Postmoderne Architektur Collagen und Hyperräume; Mehrfach- und Übercodierungen
Spielerisch Von der postmodernen Philosophie zum Raum
Komplexe Welten Postmoderne Architekturzeichnungen auf dem Kunstmarkt
Kontinuität vs. Bruch Zwischen Avantgarde und Rückgriff
Postmoderne – neu gelesen
SEPT–NOV 3.2016 CHF 28.– | EUR 24.–
Postmoderne – neu gelesen SEPT – NOV
3.2016
3 Editorial
40 Barthes sticht;
Žižek schlägt Baudrillard 10 Postmoderne –
ein Selbstgespräch Zur Aktualität einer schillernden und komplexen «Epoche» Jørg Himmelreich, Elias Baumgarten, Anna Valentiny 20 Zwischen Container
und Hyperraum Raumkonzepte der Architekturund der Philosophie-Postmoderne Angelika Schnell 30 Moderne und Postmoderne Bruch oder Kontinuität ? Jörg Gleiter, Sandra Meireis
Ein spielerischer Streifzug durch die postmoderne Philosophie und mehrere Andeutungen zu ihrer Relevanz für den Architekturdiskurs Peter Volgger
78 Konstellationen des Denkens Hans Scharouns Geschwister-Scholl- Schule in Lünen – eine frühe A lternative zur Moderne Adria Daraban
Rubriken 50 Blickwechsel Postmoderne Architekturzeichnungen im Kontext der Geschichte architektonischer Imaginationen Frank Rolf Werner 60 Aufstieg und Fall der Collage Von der Revision der Moderne zum Trash Dörte Kuhlmann 68 Geld wert Architekturzeichnungen auf dem Kunstmarkt und ihre Bedeutung für den postmodernen Diskurs Martin Hartung
Coverbild basierend auf: Michael Hirschbichler, Platz III, aus dem Zyklus Theatrum Orbis Terrarum, 2013, Pigmentdruck, 59 × 84 cm
86 Premium Brands Online Schweizer Top-Adressen im Internet 88 Neues aus der Industrie Produktinformationen
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Editorial Postmoderne – neu gelesen
Immer häufiger wird nach dem Nonkonformen in
Zurück zu Neuen Wilden. Wir fragen uns: Wissen sie,
der Architektur gefragt. Auch archithese hat ein Faible für
mit welchen Bausteinen sie spielen? Sollten sie den philoso-
die Avantgarde und sucht – ganz der eigenen Tradition ge-
phischen und architektonischen Diskurs der Postmoderne
mäss – begeistert mit. Aber worum geht es dabei über-
(besser) kennen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Eventuell
haupt? Welchen Beitrag genau sollen die beschworenen
ist gerade die Unbekümmertheit Voraussetzung für den Er-
Abweichungen von der Norm leisten? Geht es lediglich um
folg ihrer Experimente? Interessant ist, dass die neuen Post-
Unterhaltung und Spektakel im Debord’schen Sinne?
modernen nicht mehr nur das formale und strukturelle Vo-
Dann wäre diese Suche ein Luxusproblem oder erwiese der
kabular der Architekturgeschichte etwa aus der Antike und
Architektur gar einen Bärendienst, indem sie diese bereit-
der Renaissancezeit zitieren und collagieren, sondern auch
willig in die Mühlen des Kapitalismus schiebt. Oder sind
Elemente der Moderne und sogar der Postmoderne lustvoll
Korrekturen als Antworten auf die sozialen, psychologi-
abrufen, verfremden und kombinieren.
schen, technologischen und ökologischen Parameter der
Diese Beobachtungen legen zwei Hefte nahe: Eines
Zeit nötig und möglich? Nimmt man einmal mehr die Ar-
müsste nach der Philosophie, den Anfängen der architek-
chitekturbiennale in Venedig als Massstab, so ist die Ant-
tonischen Postmoderne sowie ihren Methoden und Erfol-
wort eindeutig und der Prozess bereits in vollem Gange.
gen fragen. In einem zweiten Heft sollte dann die Aktuali-
Bei der Suche nach den «jungen Wilden» finden sich
tät dieser Themen ins Rampenlicht gerückt werden. Für
neben ökologisch und sozial motivierten Arbeiten interes-
letzteres werden wir in den kommenden Monaten beob-
santerweise viele Entwürfe und Projekte, die auf Ästheti-
achten und weiter recherchieren. Einen ersten Schritt ma-
ken, Strategien und Konzepte der Architektur-Postmoder-
chen wir mit dem Symposium «Die Aktualität der Postmo-
ne verweisen. Es wird lustvoll collagiert, zitiert, verfremdet
derne» am 4. Oktober im S AM in Basel.
und mit Witz und Ironie entworfen. Das irritiert – jedoch
Für das vorliegende Heft haben wir Experten aus
nur für einen kurzen Augenblick. Denn rufen wir uns in
Wissenschaft und Forschung gebeten, die Architek-
Erinnerung: Die Postmoderne war in der Architektur allen
tur-Postmoderne erneut zu reflektieren und – sofern mög-
voran eine Strömung, die aufbrach, lockerte und korrigier-
lich oder nötig – die etablierten Lesarten zu umschiffen,
te. Wenn die Architekturproduktion in den vergangenen
um neue Blickwinkel zu ermöglichen. Sie haben sich dem
Jahren tatsächlich in Schemata erstarrt ist, ähnlich wie es
Thema über Schwerpunkte wie Fragmentierung, Collage,
der funktionalistischen Moderne nach dem Zweiten Welt-
Autonomie, Pluralität oder den Einfluss von Galerien und
krieg passierte, könnten Strategien der 1970-er- und
Museen genähert. In einigen Artikeln wurden vertraute
1980er-Jahre helfen sie aufzubrechen. Eine erneute Beschäftigung mit der Postmoderne
thematische und zeitliche E ckpfeiler relativiert und neue Figuren und Theorien in den Mittelpunkt gerückt.
macht auch aus einem anderen Grund Sinn: Philosophisch
Mit den Plan- und Bildwelten haben wir einen weite-
betrachtet sind wir ja noch mittendrin. Auch in den Küns-
ren Fokus gesetzt: Wir hoffen, mit dem Heft als Ganzes
ten und vielen Wissenschaften gilt sie noch immer als
und insbesondere mit der Vielfalt und Qualität der Zeich-
das Paradigma der Zeit. Und viele Fragen, Themen und
nungen vor dem digital turn zu inspirieren. Die Redaktion
Strategien, die in der Architektur der 1970er- und 1980erJahre gesetzt wurden, wirken bis heute fort, wenn sich auch die Herangehensweisen verändert haben. Es geht letztlich um nicht w eniger als die Frage, wie in einer Welt, in der es keine grossen Erzählungen wie Humanismus, Aufklärung oder Moderne mehr gibt und in welcher der Individualität der Nutzer eine hohe Bedeutung zukommt, Architektur gemacht werden kann.
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Rereading postmodernism Many magazines and critics ask for more nonconformity in architecture. archithese loves the avant-garde too and – in keeping with its own traditions – delights in joining in this search. But what is this all about? What exactly are these much-invoked desirable deviations from the norm supposed to bring? Is it simply a matter of entertainment and Debordian spectacle? If so, this search would be a champagne problem or would in fact do architecture a disservice, shoving it into the wheels of capitalism. Are corrections necessary and possible in response to the social, psychological, technological and ecological parameters of today? Taking the Venice Architecture Biennale as a yardstick, the answer is clear and the process already well under way. Interestingly, we are currently discovering numerous designs and projects that reprise the aesthetics, strategies and concepts of postmodern architecture. They take pleasure in collaging, quoting, alienating and witty, ironic designing. This may perplex – but only for a brief moment. Let us remember: postmodernism in architecture was above all a movement that set out to loosen up and correct. If architectural production has indeed recently become paralysed in patterns – similar to what happened to functionalist modernism after the Second World War – could the strategies of the 1970s and 1980s serve as a source of inspiration? Revisiting postmodernism makes sense for another reason too: philosophically, we are still right in the middle of it. It is regarded as the paradigm of the day in the arts and many sciences. Numerous questions and topics addressed in 1970s’ and 1980s’ architecture echo on today, even if the strategies have changed. Ultimately, the question is nothing less than how to make architecture in a world in which there are no longer any grand narratives such as humanism, enlightenment or modernism and in which the individuality of the users plays a major role. But back to the young wild. Do they know what building blocks they are playing with? Should they be (more) familiar with the philosophical and architectural discourse of postmodernism? Perhaps. But perhaps not. Their carefree manner may be the very basis of their experiments. The new postmodernists no longer simply quote and collage the formal and structural vocabulary of architectural history, for instance antiquity or the Renaissance, but also delight in reprising, alienating and combining elements of modernism and even postmodernism. These observations suggest two issues: one would have to question the philosophy, the beginnings of architectural postmodernism and its methods and accomplishments. A second issue would focus on the relevance of these topics today. For the latter we will be observing and collecting in the months to come. The first step is the symposium “Die Aktualität der Postmoderne” set to take place at S AM in Basel on 4th of October. For this present issue we have asked scholars and researchers to reflect on architectural postmodernism once again and – if possible or necessary – to circumnavigate the established narratives so as to enable new perspectives. They have approached the topic by focussing on major aspects such as fragmentation, collage, plurality, or the influence of galleries and museums. Some of the essays put familiar cornerstones in terms of subjects and times into perspective, focusing on new protagonists and theories. With an emphasis on drawings the editors have set another focus. We hope that the issue in general and the variety and quality of the plans in particular will be a source of inspiration against the backdrop of the digital turn. The Editors Le post-modernisme revisité La demande pour ce qui est non-conforme en architecture fait (à nouveau) de plus en plus fréquemment surface. archithese apprécie également l’avant-garde et, fidèle à sa tradition, participe avec enthousiasme à sa recherche. Mais de quoi est-il vraiment question? Que nous apportent précisément les écarts de la norme tant conjurés et souhaités? Est-il tout au plus
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question de divertissement et de spectacle comme l’entend Debord? Si oui, cette quête serait un problème de riches, une quête contreproductive pour l’architecture dans la mesure où elle la conduirait avec empressement dans les griffes du capitalisme. En réponse aux paramètres actuels de nature sociale, psychologique, technologique et écologique, des correctifs sont-ils nécessaires et possibles? Si nous prenons une fois de plus la biennale d’architecture de Venise comme référence, la réponse est évidente et le processus déjà en plein essor. A la recherche des «jeunes sauvages», nous trouvons, outre des travaux motivés par la composante sociale et écologique, un nombre étonnant de projets qui se réfèrent à des esthétiques, à des stratégies et à des concepts de l’architecture post-moderne. Le collage, la citation et le décalage font l’objet d’un usage voluptueux. Le projet se conçoit dans la plaisanterie et l’ironie. Ceci irrite – l’espace d’un instant. Rappelons-nous: l’ère post-moderne en architecture était avant tout un courant propre à ouvrir de nouveaux horizons, à assouplir et à corriger ce qui devait l’être. Si la production architecturale de ces dernières années s’est effectivement figée dans des s chémas, tout comme c’était le cas pour l’architecture m oderne de l’après-guerre, les stratégies des années 70 et 80 pourraient alors servir d’inspiration. Un intérêt renouvelé pour le post-modernisme fait également sens pour une autre raison: d’un point de vue philosophique, nous nous situons encore en plein post-modernisme. Cela est également valable pour les arts et bien des domaines de la science où le post-modernisme fait office de paradigme. Bien des questions, des thèmes et des stratégies posés par l’architecture des années 70 et 80 se déclinent jusqu’à ce jour, même si les stratégies se sont modifiées. Il s’agit en définitive, ni plus ni moins, de répondre à la question consistant à savoir de quelle manière l’architecture peut se concevoir dans un monde dépouillé de grandes fresques telles que l’humanisme, le monde des Lumières ou l’époque moderne, là où l’importance accordée à l’individualisme des usagers est grande. Revenons un instant aux «jeunes sauvages». Nous nous d emandons s’ils savent avec quelles pièces du puzzle ils jouent? Auraient-ils avantage à (mieux) connaître le discours philosophique et architectural du post-modernisme? Peut-être. Ou peut-être pas. L’insouciance est-elle éventuellement la base même de leurs expériences? On remarquera avec intérêt que les nouveaux post-modernes ne se contentent plus uniquement de citer et de recomposer sous forme de collages le vocabulaire formel et structurel de l’histoire de l’architecture, tel que celui de l’Antiquité et de la Renaissance, mais également de solliciter, de travestir et de combiner v oluptueusement des éléments des modernes et même des post-modernes. Deux numéros feront l’objet de nos observations: l’un devrait questionner la philosophie, les débuts du post-modernisme en architecture, de même que ses méthodes et ses succès. Un second numéro devrait mettre en lumière l’actualité de ces thèmes. A cet effet, nous allons dans les mois à venir faire nos observations et collecter des données. Nous entreprenons un premier pas dans cette direction avec le symposium «l’actualité du post- modernisme» que nous organisons le 4 octobre au Musée d’architecture suisse à Bâle. Pour le présent numéro, nous avons demandé à des experts dans le domaine des sciences et de la recherche de poser à nouveau leur regard sur l’architecture post-moderne et, si nécessaire et dans la mesure du possible, d’en contourner la lecture qui en est faite afin de permettre de nouvelles approches. Ils se sont approprié le sujet au moyen de points forts tels que la fragmentation, le collage, l’autonomie, la pluralité, la pop, le néolibéralisme, ou par le biais de l’influence des galeries d’art et des musées. Quelques contributions relativisent des repères thématiques et temporels fondamentaux et mettent en lumière de nouveaux protagonistes et de nouvelles théories. Les plans et les illustrations constituent un autre point fort de ce numéro: nous espérons que dans son ensemble et en particulier avec la richesse et la qualité des dessins datant d’avant le «tournant digital», ce numéro soit source d’inspiration. La rédaction
4. Oktober 2016 18.00 –21.00 Uhr S AM Schweizerisches Architekturmuseum Steinenberg 7, 4051 Basel
Die Aktualität der Postmoderne
Die 1980er-Jahre haben Bewegung in den Architekturdiskurs gebracht und neue Möglichkeitsräume eröffnet. archithese diskutiert mit Architektinnen über das Potenzial der Arbeit mit Theorien und Konzepten der häufig als «Postmoderne» klassifizierten Zeit – jedoch nicht um etablierte Erzählstränge zu bestätigen, sondern neue Lesungen zu ermöglichen und im Schweizer Diskurs bisher wenig bekannte Ansätze zu bergen. Es sprechen und diskutieren: Charlotte von Moos und Florian Sauter, Basel Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis, Zürich Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan, Zürich Jørg Himmelreich, archithese
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Postmoderne – ein Selbstgespräch Die Redaktion der archithese reflektiert in einem fiktiven Dialog, warum sie mit der Postmoderne einen der faszinierendsten, aber auch komplexesten und widersprüchlichsten Architekturdiskurse wieder aufs Tapet bringt. Weil die Postmoderne in der Architektur eine Phase der Korrektur, Befreiung und Kreativität einleitete, lohnt es, aus der Reflexion Schlüsse und Strategien für den aktuellen Diskurs abzuleiten. Autoren: Jørg Himmelreich, Elias Baumgarten, Anna Valentiny
Warum habt ihr euch entschieden, eine archithese zur Architektur der Postmoderne zu machen?
Bereits seit Jahren reizt uns die riesige Ambivalenz, die der Begriff und die darunter subsummierte Architektur der 1970er und 1980erJahre ausstrahlen. Edward Docx schrieb im Prospect Magazine: «Ich habe die Postmoderne nie verstan den. […] Kein Begriff verwirrt, erregt, ärgert, nimmt gefan gen, ermüdet und vergiftet uns mehr als ‹Postmoderne›. Doch
die Postmoderne ist auch spielerisch, intelligent, lustig und faszinierend. Sie ist die beherrschende Idee unseres Zeital ters.» Das stimmt weitestgehend mit unseren Wahrnehmun gen überein. Es ist aber vor allem die zweite Ebene, die uns interessiert – jene transformative Energie, welche die Post moderne in der Architektur freigesetzt hat.
Zwischen Container und Hyperraum Raumkonzepte der Architektur- und der Philosophie-Postmoderne Die postmoderne Philosophie schüttelte die Zeitorientierung der Moderne zugunsten einer starken Raumbezogenheit ab. Folglich sollte Raum auch eine wesentliche Begrifflichkeit im postmodernen Architekturdiskurs sein. Doch tatsächlich blieb die Architektur-Postmoderne in ihrem Denken über weite Strecken positivistisch – und die Konzepte vieler Postmoderner wie Rob Krier oder Colin Rowe kamen über euklidisch-statische Raumcontainer, die sich gegen relationale Raumtheorien sperren, nicht hinaus. Fredric Jameson erkannte hingegen in John Portmans Westin Bonaventure Hotel in Los Angeles (1974–1976) einen postmodernen Raum, der unsere Wahrnehmungsgewohnheiten herausfordert, indem er das Herstellen einer zur Verortung nötigen Distanz verunmöglicht. Autorin: Angelika Schnell
«Der spatial turn ist ein Kind der Postmoderne»1 – so beginnt die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick in ihrem Überblickswerk über die verschiedenen cultural turns der Gegenwart das Kapitel zum «raumgeprägten Selbstverständnis der Postmoderne». Dort ist zu lesen, die Raumbezogenheit des postmodernen Diskurses habe die moderne Orientierung an der Zeit abgelöst. Laut dieser Aussage müsste der Raum folglich eine zentrale begriffliche Kategorie der Architektur-Postmoderne sein. Aber trifft dies wirklich zu? Die Antwort darauf ist kein eindeutiges Ja oder Nein,2 stattdessen rückt Bachmann-Medick ein bisher wenig untersuchtes Phänomen innerhalb der Debatten um postmoderne Architektur in den Fokus. Es gibt eine architektonische Postmoderne und eine, deren Denken und Theorien sich aus der Philosophie, aus den Literatur-, Theater- und Kulturwissenschaften und selbst aus den Geschichtswissenschaften speist. Ihre Gemeinsamkeiten scheinen klar auf der Hand zu liegen – Pluralismus und Relativismus als Kritik an der Moderne –, aber ein genauerer Blick zeigt, dass sich gerade bei zentralen Fragen eine Kluft auftut, die offenbart, wie sehr die Architektur-Postmoderne in ihrem Denken positivistisch geblieben ist.
«In allen westlichen Ländern wird die Hinwendung zur Geschichte vollzogen»,3 schrieb Heinrich Klotz 1987 – und meint damit vor allem das Zitieren historischer Stile, welches als Merkmal postmoderner Architektur gilt. Gleichwohl ist damit nach wie vor die Vorstellung einer universalen, objektivierbaren Geschichte (Geschichte verstanden als «Kollektivsingular») verbunden. Doch diese steht im deutlichen Widerspruch zur postmodernen Geschichtstheorie, die unter dem
1 Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006, S. 285. 2 Das hat auch damit zu tun, dass der spatial turn nicht in allen damit befassten Disziplinen als gleichermassen paradigmatisch angesehen wird. Vgl. Jörg Döring / Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008. 3 Heinrich Klotz, Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart, Braunschweig / Wiesbaden 1987, S. 45.
Fredric Jameson bezeichnet das Atrium des Westin Bonaventure Hotels von John Portman (1976) aufgrund seiner Komplexität als «Hyperraum». (Foto: Alexandre Georges)
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Moderne und Postmoderne Bruch oder Kontinuität? Die Postmoderne kann nicht separat von der Moderne betrachtet werden. Wie sollte das auch funktionieren, da sie sich schliesslich als Kritik an der Moderne etablierte. Im Rückblick stellen sich zwei Fragen: erstens, ob die Postmoderne nur eine Kritik der Moderne im Stadium ihrer Erschöpfung war, mit dem Ziel ihrer Ablösung, oder zweitens, ob sie durch konstruktive Kritik erst die Defizite der Moderne zur Sichtbarkeit brachte, um sie durch Korrektur zu stabilisieren. In diesem zweiten Fall müsste die Postmoderne als Teil der Moderne verstanden werden. 50 Jahre nach Robert Venturis Buch Complexity and Contradiction in Architecture (1966) und gut 25 Jahre nach der digitalen Wende scheint heute ein solch historisch-kritischer Blick auf die Postmoderne möglich und nötig. Autoren: Jörg Gleiter, Sandra Meireis
Kritik der Moderne Zu Beginn einer Auseinandersetzung mit der Postmoderne muss klargestellt werden, dass sie nicht allein als ästhetische Alternative zu einer orthodox verhärteten Moderne entstand, auch wenn sie angesichts von Hedonismus und Libertinismus, von Ironie und Pastiche in ihren späteren Stadien diesen Eindruck erweckte. Insofern ihr ein kritischer Impuls gegenüber den sozialen, technologischen, institutionellen wie auch ästhetischen Grundsätzen der Moderne ursächlich war, war die Postmoderne zu Beginn mehr intellektuell als ästhetisch geleitet. Umgekehrt wäre es jedoch ebenso problematisch, die Postmoderne mit der in den 1960er-Jahren sich etablierenden Kritischen Theorie der Architektur gleichzusetzen. Das würde bedeuten, die Kritische Theorie einseitig auf die populärkulturellen und massenmedialen Zielsetzungen der Postmoderne zu beschränken. Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass die architektonische Postmoderne von jenen Prinzipien der Moderne geprägt war, denen ihre Kritik galt. Das heisst, dass heute ein Zugang zur Moderne so sehr in Vermittlung durch die Postmoderne im Blick zurück gesehen werden muss, wie aus ihrer historischen Entwicklungslinie im Blick nach vorn aus dem 18. Jahrhundert. Diese wird auch dadurch unterstützt, dass heute das Interesse der jüngeren Generation an der Postmoderne wohl vom ästhe-
tischen Phänomen ausgeht, dennoch dem kritischen Impuls der Postmoderne und so den theoretischen Grundlagen der Moderne selbst gilt. Mit der Postmoderne lässt sich keine eigenständige Epoche verbinden, dagegen vollzog sich mit ihr die Öffnung der Moderne hin zu einer Massen- und kommerziellen Kultur. Durch die postmoderne Kritik erfuhr die moderne Architektur die nötige konzeptuelle Weitung, mit der es gelang, die veränderten kulturellen Inhalte der 1950er- und 1960er-Jahre in die Architektur einzubringen. So betrachtet hatte die Postmoderne das Ziel, die Architektur der Moderne aus ihrer kulturellen Marginalisierung durch den Bauwirtschaftsfunktionalismus der Nachkriegszeit herauszuführen und sie wieder als zentrale kulturelle Praxis einzusetzen, mit welcher der Mensch sich eine ihm angemessene lebenswerte Umwelt schafft. Die Postmoderne wäre damit als eines jener Korrektive zu verstehen, die im Verlauf der Geschichte immer wieder die Aufgabe hatten, die Architektur ins Zentrum der Kultur und damit auf ihre gesellschaftliche Funktion zurückzuführen.
James Stirling and Partner, Entwurf für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, 1975, Axonometrie, Tinte/Farbstift auf Papier, 40,3 × 33,8 cm (© CCA)
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Barthes sticht; Žižek schlägt Baudrillard Ein spielerischer Streifzug durch die postmoderne Philosophie und mehrere Andeutungen zu ihrer Relevanz für den Architekturdiskurs Für viele begann mit den Post-Theorien neufranzösischen Denkens ab den 1960er-Jahren ein hemmungsloses «Philosophieren mit dem Hammer», für andere wiederum eine Entgrenzung festgefahrener Theorie konstrukte. Gemeinsam ist allen Philosophen dieser Denkrichtung das Abarbeiten an älteren Theorien: Das Zusammenfallen des ideologischen Kartenhauses der Moderne setzte eine Fülle an Material frei, das den ungeordneten Baukasten der Postmoderne bildete. Weil sich die propagierte Pluralität der postmodernen Theorien ausschliesslich auf die (Re-)Kombination codierter Modelle stützte, ist ihre Verspieltheit vergleichbar mit Spiegeln, die statt der Realität nunmehr sich selbst reflektieren. Was bleibt, ist die Frage nach einem Ausweg aus dem Spiegelkabinett der Postmoderne. Hat der postmoderne Philosophiediskurs heute ausgedient; ist er gar gescheitert? Vermag die Postmoderne nur unklare Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu geben? Die postmodernen Positionen der Philosophen und Architekten Roland Barthes, Jean Baudrillard, Jacques Derrida, Peter Eisenman, Fredric Jameson, Charles Jencks, Jean-François Lyotard, Paul Virilio und Slavoj Žižek werden hier kurz vorgestellt, um diesen Fragen nachzugehen und die Beziehung zwischen Architektur- und Philosophie-Postmoderne zu beleuchten. Autor: Peter Volgger
Vor elf Jahren wurden in der Süddeutschen Zeitung die Theory Trading Cards1 vorgestellt – ein von David Gauntlett er schaffenes Set aus 21 Karten, das neben Theodor Adorno und Karl Marx auch die Theoriegrössen der Postmoderne bein haltet. Sie treten im Sinne eines Supertrumpf-Spiels in drei Kategorien gegeneinander an: Stärken, Schwächen und beson dere Fähigkeiten. Unter den Schwächen findet man beispiels weise: «May not really describe a whole era», oder bei Pierre Bourdieu: «For a people’s hero, not very accessible». Die GillesDeleuze-und-Pierre-Félix-Guattari-Karte hingegen schlägt alle, verspricht sie doch einen special skill: «Super Postmodern terms are really cool.» Der Versuch, mit den Mitteln eines Quartetts komplexe philosophische Inhalte auf einfache Art zu vermitteln, ist äus serst amüsant. So ein «Herunterbrechen» scheint sich mitun ter zu empfehlen, geht es etwa darum, die Zusammenhänge zwischen postmoderner Philosophie und Architektur-Post moderne zu erläutern. Von Rem Koolhaas stammt die bekann te Formel: «Derrida sagt, dass die Dinge nicht mehr ganz sein können, Baudrillard sagt, dass die Dinge nicht mehr echt sein können und da ist Virilio, der sagt, dass die Dinge nicht mehr da sein können.»2 Klaus Laermann lieferte mit Lacancan und Derridada3 hierzu die Pointe: eine polemische Kritik an einer diffus gewordenen Postmoderne, die wie Dada nur mehr ab surd erscheint. Eine derart formelhafte Verkürzung kann es
innerhalb des Paradigmas eigentlich gar nicht geben, da die Existenz einer Kerntheorie oder einer allgemeingültigen Les art im postmodernen Diskurs grundsätzlich in Abrede gestellt wird.
1 Die Theory Trading Cards wurden zuerst auf David Gauntletts Webseite www.theory.org.uk 2001 bis 2002 im monatlichen Rhythmus veröffentlicht und 2004 von AltaMira Press als Set mit zwölf Spielkarten herausgegeben. In deutscher Übersetzung abgedruckt in: Süddeutsche Zeitung, 19.08.2005, S. 14. 2 Rem Koolhaas, «Die Entfaltung der Architektur. Rem Koolhaas im Gespräch mit Nikolaus Kuhnert, Philipp Oswalt und Alejandro Zaera», in: Arch+ 117, 01.06.1993, S. 22. 3 Klaus Laermann, «Lacancan und Derridada. Frankolatrie. Gegen die neueste Mode, den neuesten Nonsens in den Kulturwissenschaften», in: Zeit online, 30.05.1986, auf: www.zeit.de/1986/23/ lacancan-und-derridada, Stand 15.06.2016.
Rem Koolhaas / Zoe Zenghelis / Elia Zenghelis, Egg of Columbus Circle, Projekt für New York, A xonometrie, 1975 (Zeichnung © The Museum of Modern Art / SCALA / Art Resource)
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Blickwechsel Postmoderne Architekturzeichnungen im Kontext der Geschichte architektonischer Imaginationen Erich Mendelsohn und viele seiner Architektenkollegen glaubten so zeichnen zu können wie Michelangelo. Aber so richtig ausleben konnten sie sich erst während der kurzen Phase der Postmoderne. Da «schöne» Architekturzeichnungen zeitgleich zum Sammelobjekt für Museen und private Sammler wurden, boomte das internationale Geschäft. Sie bedienten eine gewisse Bandbreite, von harscher Gesellschaftskritik bis hin zu affirmativen Beschwörungsformeln des Ewiggestrigen. Für kurze Zeit schien es, als seien die Mechanismen des Wirtschaftswunderfunktionalismus ausser Kraft gesetzt: Alles war möglich – zumindest in den gemalten Architekturen jener Jahre! – und verpuffte dennoch letztendlich fast wirkungslos. Nicht ganz, denn eine Überzeugung ist der Disziplin trotz digital turn und vermeintlichem Aussterben der Architekturzeichnung erhalten geblieben: dass Architektur alles ist – und alles Architektur. Autor: Frank Rolf Werner
«Habe in Rom die Skizzenbücher von Michelangelo durchgeblättert. P ilaster, Kapitelle und was noch dazu gehört: alles Krakeleien. Das war mir eine O ffenbarung. […] Was Michelangelo kann, das kann ich auch.» Erich Mendelson1
Hans Dieter Schaal, Weg aus einer klinisch-technischen Umgebung in eine romantische, Tuschezeichnung auf Transparentpapier, 1977–1978
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In seinem Roman Der Babylonische Turm lässt der expres sionistische Schriftsteller Josef Ponten einen enttäuschten al ten Baumeister zu seinem Sohn sagen: «Das Beste, was gebaut wurde, mein Sohn, ist nur auf dem Papier gebaut worden […]. Es gibt auf der ganzen Welt kein wahrhaft großes Bauwerk, das nicht Ruine wäre, im einen oder anderen Sinne. Und wenn es scheinbar auch vollendet wurde, so konnte es nie so vollendet werden, wie der Baumeister es sich gedacht hatte, tausend Rücksichten verhinderten das.»2 So zutreffend diese Passage auf die jahrtausendealte Tradition «unschuldiger» architekto nischer Präfigurationen auf Papyrus, Ton, Stein, Pergament oder Papier auch verweisen mag, um so dringender müsste
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bei genauerer Betrachtung unterschieden werden zwischen spontanen, idealistischen, stilisierten, repräsentativen, hand werklich detaillierten, bauökonomisch relevanten oder rein spekulativen Architekturdarstellungen. Ungeachtet dessen handelt es sich bei den freien, sprich schönen Architektur zeichnungen jedoch nur um einen verschwindend geringen Anteil an der zeichnerischen Gesamtproduktion.
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Erich Mendelsohn, zit. nach: Julius Posener, Heimliche Erinnerungen. In Deutschland 1904 bis 1933, München 2004, S. 364. Josef Ponten, Der Babylonische Turm, Stuttgart / Berlin 1918, S. 412.
Geld wert Architekturzeichnungen auf dem Kunstmarkt und ihre Bedeutung für den postmodernen Diskurs In den 1970er-Jahren avancierten Architekturzeichnungen zu autonomen Kunstwerken, die in Galerien ausgestellt und für viel Geld von leidenschaftlichen Sammlerinnen und Sammlern wie Phyllis Lambert oder Heinrich Klotz erworben wurden. Dies führte nicht nur zur Herausbildung eines neuen Architektenschlages, den der amerikanische Kritiker Joseph Giovannini als gallery architect bezeichnete, sondern vor allem dazu, dass der postmoderne Architekturdiskurs zu einem beachtlichen Teil über Kunstgalerien verhandelt wurde. Dieser Aufsatz leistet einen kurzen zeitgeschichtlichen Abriss über die Etablierung der Architekturzeichnung auf dem Kunstmarkt. Ein besonderer Fokus gilt dabei den Aktivitäten des New Yorker Galeristen Max Protetch. Autor: Martin Hartung
Die Kunstgalerie als Bühne Rosemarie Haag Bletter warnte 1982 in ihrem Beitrag «Architektur Marketing» in archithese 2 eindringlich vor einer «Überbewertung» der Architekturzeichnung. Sie schrieb von der Gefahr, einem Architekten, der schöne Zeichnungen produziere, mehr Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen als einem, der gute Häuser baut, ohne dabei ein grosser Zeichner zu sein.1 Währenddessen war bereits ein neuer Typus von Architekt auf der Bühne erschienen, den der amerikanische Kritiker Joseph Giovannini als gallery architect betitelte: «certainly not the earnest contractor/architect, measuring-tape at the hip, but the published architect, denizen of architectural magazines and the haute architecture circuit».2 Vor dem Hintergrund der Baukrise in den 1970er-Jahren, die mit einer erhöhten Bild- und Theorieproduktion einherging, wurden seit 1975, ausgehend von den Vereinigten Staaten, vermehrt Ausstellungen in Kunstgalerien abgehalten, bei denen man Architekturzeichnungen und -modellen wie autonomen Kunstwerken begegnen konnte.3 Allein in der bedeutenden New Yorker Galerie Leo Castellis wurden zwischen 1977 und 1983 drei Gruppenausstellungen namhafter Architekten organisiert. Den Mitgliedern der italienischen Avantgardegruppe Superstudio kam dieser Kunstmarkttrend so gelegen, dass sie dem Galeristen freudig mitteilten: «Things have never been so good since Piranesi.»4 Da sich die ausgestellten Arbeiten allerdings oft nur schleppend verkauften, waren sie
je nach Kontext vor allem aufmerksamkeitsökonomisch pro fitabel und gerieten zu Motoren für die Etablierung einer Celebrity-Kultur in der Architektur.
1 Vgl. Rosemarie Haag Bletter, «Architektur Marketing», in: archithese 2/1982, S. 22–24. 2 Joseph Giovannini, «Models for ‹House for Sale› for sale», in: Los Angeles Herald Examiner, 16.3.1981, S. 5. 3 Nach der Gründung des Committee for the Preservation of Architectural Records (1973) unter Catha Grace Rambusch und diversen Ausstellungsaktivitäten am MoMA in New York eröffnete die Architektin Judith York Newman dort im Oktober 1975 die SPACED Galerie in der Upper West Side. Daneben kam es zur Gründung weiterer Galerien mit einem Fokus auf Architekturprojekte, wie zum Beispiel Antonia Jannone (1976 in Mailand) oder Aedes (Kristin Feireiss und Helga Retzer, 1980 in Berlin), das anfangs noch kommerziell ausgerichtet war, und Luce van Rooy (1980–1995 in Amsterdam). Vgl. zu einem allgemeinen Überblick: Jordan Kauffman, Drawing on Architecture. The Socioaesthetics of Architectural Drawings. 1970 – 1990, Diss., MIT, 2015. 4 Vgl. Brief von Superstudio an Leo Castelli, November 1977, Archives of American Art, Smithsonian Institution, Washington.
Die 77,5 × 49,5 cm grosse, an kubistischen Formfindungen orientierte, Poster-Collage des Portland Building von Michael Graves entstand anlässlich der Einweihung im Oktober 1982 aus Papier, Holz und einem Druck. Die Edition wurde unter anderem bei Max Protetch für je USD 450 angeboten, wobei dem Galeristen in den meisten Fällen 40, dem Architekten 60 Prozent des Erlöses zukamen. Die Einnahmen aus diesem Verkauf sollten ursprünglich helfen, die Reisekosten der Mitarbeiter von Graves zur Eröffnung des Gebäudes zu decken.
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