archithese 1.12 - Swiss Performance 12

Page 1

Swiss Performance 12

archithese

1.2012

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

Herzog & de Meuron Museum der Kulturen, Basel

International thematic review for architecture

Graber & Steiger Panoramagalerie Pilatus, Luzern Graber Pulver Ecole des Métiers, Fribourg Raphael Zuber Schulhaus, Grono von Ballmoos Krucker Wohnsiedlung Triemli, Zürich Holzer Kobler Militärhistorisches Museum, Dresden Edelmann Krell Restaurant Theater Casino Zug Miller & Maranta Wohnhaus am See Escher GuneWardena Sola/Wright Residence, Los Angeles smarch Wohnhausanbau, Meilen Burckhardt + Partner Administrationsgebäude, Rotkreuz Michael Hansmeyer Ornamented Columns Vehovar & Jauslin Gravity, Aarau Miller & Maranta Gartenpavillon, Basel Park Architekten Aufstockung, Rothenburg

Swiss Performance 12

Bauen mit Begeisterung kostenoptimal und termingerecht realisiert. Von der Studie bis zur erfolgreichen Realisation – jeder Bau ist eine Referenz. Leutschentower – von ARIGON entwickelt, als Totalunternehmer realisiert und schlüsselfertig dem Investor zugeführt.

Leserdienst 111

ARIGON Generalunternehmung AG - Leutschenbachstrasse 52 - CH-8050 Zürich - Telefon +41 (0) 44 308 25 75 - www.arigon.ch - Mitglied des VSGU

Januar / Februar

oder Renovation: Jedes Projekt wird qualitätsbewusst,

archithese 1.2012

von Bauherren mit hohen Ansprüchen. Ob Neubau, Umbau

Preis: 28 CHF/22 Euro

Die ARIGON Generalunternehmung steht im Dienst


EDITORIAL

Swiss Performance 12 Zwölf Mal schon lautet der Titel des Heftes, mit dem archithese das Jahr beginnt, Swiss Performance. Als wir im Jahr 2001 erstmals die Idee umsetzten, die wichtigsten Bauten des Vorjahres zu resümieren, waren wir uns unsicher: Passt dieses Vorgehen zu archithese, deren Profil in der kritischen Reflexion besteht und nicht in der Dokumentation des Baugeschehens? Die Skepsis erwies sich als grundlos: Unsere Leserinnen und Leser schätzen das Heft; Swiss Performance gilt als unausgesprochenes Jahrbuch der Schweizer Gegenwartsarchitektur. Was voranzuschicken ist, sagen wir auch diesmal: Auswahlen sind stets subjektiv; dass die Auswahl selbst aus Sicht der Redaktion nur stellvertretend steht für das, was in der Schweiz oder von Schweizer Architekten im Ausland gebaut worden ist, zeugt von der Bedeutung der schweizerischen Baukultur. Einige Bauten, die ebenfalls in diese Nummer hätten Eingang finden könnnen, wurden schon in den vorangegangenen Heften des Jahres 2011 behandelt; und manches – darunter der Prime Tower von Gigon/Guyer in Zürich – wird auch noch in den kommenden Heften auftauchen. Wie in den vergangenen Jahren ist auch in diesem Heft die archithesetypische Unterteilung zwischen Thementeil und Architektur kurzzeitig suspendiert – zugunsten der Trennung in «Swiss Performance» und «Swiss Unlimited». In letzterer Rubrik finden sich erneut kleinere oder experimentellere Projekte. Thematisch ausgerichtet sind dann wie gewohnt die kommenden Hefte des Jahres 2012: Heft 2 (Bauherr) widmet sich dem Auftraggeber, ohne den keine Architektur entstünde und ohne den sie bisweilen anders aussähe. Heft 3 (Der Bau der Gemeinschaft) ist eine Kooperation mit dem S AM (Schweizerisches Architekturmuseum), dokumentiert das Erste Goetheanum in Dornach und wagt Ausblicke in den Bereich der kollektivistischen und partizipatorischen Architektur. Dass in einer globalisierten Welt nicht mehr alles herkunftsrein zu trennen ist, führt Heft 4 (Mischung und Mestizo) aus, während die Redaktion mit Heft 5 temporär in die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts verlagert wird, die heute architektonisch und planerisch erneut starkes Interesse zu wecken vermag (Paris). Das Jahr 2012 beschliesst archithese mit dem ultimativen Heft zum Thema aller Themen: Architektur. Redaktion

4

archithese 1.2012

Gigon/Guyer: Prime Tower, Zürich (Foto: Walter Mair)



DÄCHER ÜBER DER STADT Herzog & de Meuron: Museum der Kulturen, Basel Es ist das zugleich versteckteste und zentralste Werk der prominentesten Basler Architekten: die Neugestaltung und Aufstockung des Museums der Kulturen. Das Projekt ist städtebaulich und architektonisch ein Gewinn – bedauerlich nur, dass die Museumsverantwortlichen mit dem Geschenk nichts Rechtes anzufangen vermögen.

1 Blick über die Basler Altstadt zum Münsterberg; in der oberen Bildmitte der Dachaufbau des Museums der Kulturen (Fotos: Roland Halbe)

10

archithese 1.2012


Text: Hubertus Adam Kein Gebäude in Basel verkörpert den universalistischen Geist des 19. Jahrhunderts besser als das Museumsgebäude an der Augustinergasse, die vom Münsterplatz hinunter zur Mittleren Rheinbrücke führt. Als es 1849 eröffnet wurde, vereinte das in der Nachfolge von Schinkels Berliner Bauakademie stehende Hauptwerk des Basler Klassizisten Melchior Berri verschiedene bislang verstreute Sammlungen in einem Haus: die öffentliche Kunstsammlung, die Antiquitätensammlung, eine mexikanische Kollektion, die naturhistorische Sammlung, ein physikalisches Kabinett sowie einen amphitheatralischen Hörsaal – das Museum, welches das frühere Augustinereremitenkloster ersetzte, diente zugleich als Kollegiengebäude der Universität. Mit dem Anwachsen der Sammlungen wurde die universalistische Idee indes obsolet. Sammlungsbestand nach Sammlungsbestand verliess das Haus wieder, während für die zum selbstständigen Museum erhobenen völker- und volkskundlichen Kollektionen südlich an den BerriBau anschliessend in den Jahren 1915 – 1917 ein eigener Anbau nach Entwürfen des Büros Vischer & Söhne entstand. Gemäss dem Wunsch, die eurozentristische Perspektive zu neutralisieren, wurde das seit 1944 als Museum für Völkerkunde und Schweizerisches Museum für Volkskunde auftretende Sammlungshaus, das – anders als vergleichbare Institutionen in den Nachbarstaaten der Schweiz – seine Bestände nicht der kolonialen Vergangenheit, sondern der Sammlungstätigkeit des vermögenden Basler Grossbürger-

2

tums verdankt, 1996 in Museum der Kulturen umbenannt und hat sich seither nicht zuletzt durch spektakuläre Sonderaus-

203

stellungen profiliert, darunter eine vielbeachtete Tibet-Schau

6329 31

33

ISOMETRIE 32

im Jahr 2001.

6508

6506 6507

35

Mit der Ausrichtung auf Sonderausstellungen ergab sich

6328

6330

6326

34 6327

23

der übliche Raumkonflikt mit der bestehenden Schausamm-

25

6512 6509

lung. Als die 1999 lancierte Idee gescheitert war, im Innenhof

ok

3034

6511

0 2000

6510 27

26

24

36

des mittlerweile nur noch vom Naturhistorischen Museum ge-

3397

29

ok

1386

0

28 3032

nutzten Berri-Baus eine Wechelsausstellungshalle für beide Museen nach Entwürfen von Miller & Maranta zu implantieren, nahm die damalige Direktorin des Museums der Kulturen

8

30 3035

0 600

G

7 600 0

0 600

F

6 600 0

600

0

3033

Clara Wilpert zunächst Kontakt mit Renzo Piano auf, um sich

E

5 600 0

600

0 00 420

360 00

vereinzelt auf Kritik, war aber unangreifbar, da ein grosser Teil der Baukosten von einer Privatperson aufgebracht wurde, welche die Zusage an die Beauftragung «namhafter Architekten» geknüpft hatte (zu denen Miller & Maranta offenkundig seinerzeit noch nicht gezählt wurden). Herzog & de Meuron lösten das Problem souverän, indem sie den geforderten Wechselausstellungssaal auf dem Dach des an Berris Museum anschliessenden Flügel platzierten

4 600 0

600

C

0

2 600 0

600

A

1

0

0

Stiftung des Museum der Kulturen, Basel

Arch.

600

B

Bauherr

3 600 0

Herzog & de Meuron Architekten, Basel

Ing.

wenden. Der daraus resultierende Direktauftrag stiess zwar

D

zpf Ingenieure, Basel

2 Eingangssituation mit neu geschaffenem Vorplatz Objekt

nach dessen Absage schliesslich an Herzog & de Meuron zu

MUSEUM DER KULTUREN, BASEL

STAHLBAU ÜBERSICHTSPLAN ISOMETRIE Kom.

208.1.121

seit 1865

PREISWERK + ESSER AG

Hohenrainstrasse 10,

4133 Pratteln

Tel. 061/825 66 66 Fax 061/825 68 77

3 Konstruktionsschema des Dachaufbaus (Abbildungen 3, 7–10, 12 +13: © Herzog & de Meuron)

11

Plan

5

a


1

EISENHERZ Ecole des Métiers (Lehrwerkstätten) in Fribourg von Graber Pulver Architekten Mit dem langen Neubau der Lehrwerkstätten wird nicht nur das industrielle Erbe des ehemaligen Industriequartiers für die Gegenwart aktualisiert. Der 171 Meter lange, feinmechanisch durchdachte Bau produziert eine Wahrnehmungsmaschine für die Schule wie für die Stadt.

22

archithese 1.2012

Text: Sabine von Fischer

Strasse, an welcher der Neubau liegt, beschreibt schon den

Das teledynamische Kabel, welches der Ingenieur Guillaume

Charakter des Quartiers: Route de la Fonderie, zu deutsch:

Ritter zu Ende des 19. Jahrhunderts von der Saane zum Pla-

Giessereistrasse. Einst versorgte der Staudamm Maigrauge

teau des Pérolles konstruieren liess, um Energie vom Wasser-

eine Sägerei, eine Waggonfabrik und eine Giesserei mit elek-

kraftwerk zu den tiefer gelegenen Sägereien und Fabriken zu

trischer Energie. Graber Pulver Architekten knüpfen mit den

übertragen, wurde im Zug der Elektrifizierung nach kurzer

Lehrwerkstätten für technische und industrielle Berufe an

Zeit ausser Betrieb genommen. Das Trassée der Strassen

dieses Erbe an. Das neu errichtete Gebäude, 2003 unter dem

blieb jedoch nachhhaltig definiert von dieser damals visi-

Namen «Eisenherz» als Siegerprojekt aus einem offenen

onären Erfindung, entlang der sich das erste Industriege-

Wettbewerb hervorgegangen, folgt der Route de la Fonderie

biet von Freiburg im Üechtland entwickelte. Der Name der

in der maximal möglichen Länge der Parzelle, welche vom


2

3

Rondell am Ende der zentralen Achse des Boulevard des Pé-

dem Jahr 1997, entworfen von Büro B, richtet ostwärts seine

des Quartiers, das einst industriell geprägt war, nicht fremd.

(1995) und von Jean Pythoud und Franz Füeg aus den Jahren

Einmalig ist allerdings, dass ein Bau der Strassenflucht ohne

1964 bis 1968 an ältere Hochschulbauten von Pierre Dumas,

1 Die Stirnseite der EMF verdeutlicht die Entstehung der Form als extrudiertes Profil (Fotos 1, 3, 6+8: Thomas Jantscher)

Unterbruch auf einer so erheblichen Länge folgt.

der das Pérollesquartier mit vielen Bauten geprägt hat.

2 Lageplan

rolles westwärts führt. Die Dimension des 171 Meter langen

kurze Seite zur Strassenkreuzung. Auf dem Plateau südlich

und strassenseitig viergeschossigen Baus ist dem Massstab

des Neubaus fügen sich Hochschulbauten von Daniel Herren

Auf der westlichen Hälfte des Perimeters stand ein sand-

Westwärts grenzen die Fabrikgebäude der 1901 gegrün-

steinverkleideter Massivbau des Architekten Joseph Troller

deten Chocolats Villars an die EMF und erzählen mit den

aus dem Jahr 1928/1929, der in Anlehnung an Peter Behrens

gelblichen und rötlichen Backsteinfassaden, ihren Massen

und Auguste Perret in der Tradition monumentaler, reprä-

und Turmaufbauten, wie die Industrie hier einst in Erschei-

sentativer Industriebauten stand und bei einigen Wettbe-

nung trat. Die feingliedrig modulierte Metallfassade des Neu-

werbseingaben erhalten bleiben sollte. Im Siegerprojekt war

baus von Graber Pulver Architekten bietet nicht nur ein präg-

der Entscheid jedoch, den Troller-Bau abzureissen – mit des-

nantes Pendant zum älteren Industriebau, sondern leistet

sen schwacher Tragstruktur und der schlechten Belichtung

auch ein Update zum Begriff des Industriellen in der Schweiz

der Ateliers begründet –, was schliesslich gewichtiger wog

des 21. Jahrhunderts überhaupt. Im historischen Industrie-

als das Argument, den Bau für das ehemalige Technicum als

quartier von Freiburg lernen und erproben die Lehrlinge mo-

Zeuge seiner Zeit zu erhalten. Der kompakte Neubaukörper

dernste Fertigungstechniken und es wirkt, als spiegle sich

nimmt nicht nur die geforderten Nutzflächen von gut acht-

die in den Werkstätten vermittelte Feinmechanik in der sorg-

tausend Quadratmeter auf, sondern setzt das grosse Pro-

fältigen Gestaltung und Profilierung der Fassadenkonstruk-

gramm in städtebaulich wirksamer Weise um.

tion und -erscheinung.

Städtebauliche Dynamik

Schichtungen

Der Neubau der École des métiers, kurz EMF, tritt das indus-

Weniger ein Schulhaus, sondern vielmehr ein Campus in einer

trielle Erbe des Quartier des Pérolles auf mehreren Ebenen

einzigen Hülle, fasst die perforierte und gefalzte äusserste

an – am offensichtlichsten im Massstab, welcher die Dimen-

Schicht die Vielfalt der Innenräume zusammen und reflek-

sionen der umliegenden Grossbauten verschiedenen Datums

tiert gleichzeitig die serielle Gliederung. Wie eine Karosserie

aufnimmt. Stadtseitig im Norden ragt das 49 Meter hohe

aus Metall lege sich die Fassaden- und Dachhaut über den

Wohnhochhaus Tour des Charmettes von Jacques Waeber

Unterbau aus Beton – diese an Le Corbusier erinnernde Reve-

aus dem Jahr 1963 in die Höhe, das mit seiner aufgefächerten

renz an die Autoindustrie führen die Architekten an, um ihren

Fassade zum Gegenüber der gezackten Fassaden- und Dach-

Bau zu beschreiben. Das Schichtenprinzip des Ortbetonbaus

linie der neuen Lehrwerkstätten wird. Gemeinsam wirken

mit der vorgehängten und darübergestülpten Metallhaut

der neue horizontale und der ältere vertikale Bau als Anker

wurde nicht nur den strengen energetischen und kostenpla-

für das Verkehrsrondell am Ende des Boulevard des Pérol-

nerischen Vorgaben gerecht: Es liefert Spannung und auch

les. Ein mindestens gleich langer Bau für die Universität aus

Überraschungen, wenn die hart reflektierende Aluminium-

3 Seitenansicht

23


LA SCUOLA ROTONDA Raphael Zuber Architekt: Schulhaus Grono Im neuen Schulhaus im südlichsten Zipfel Graubündens ist die Idee eines monumentalen und autonomen Bauwerks gleichsam auf die Spitze getrieben. Durch einen Überschuss an gestalterischer Energie bei aller konzeptionellen und ideellen Strenge eignet dem Bau etwas Südliches – auf spielerische, erzählerische und poetische Art.

1

28

archithese 1.2012


2

Text: Eberhard Tröger

kleinen Gartens erhebt sich ein ungewöhnlicher Kubus auf

Grono ist ein kleines Strassendorf im Tal der Moësa, die

quadratischem Grundriss. Seine rohen Sichtbetonfassaden

vom San Bernardino hinab zum Ticino fliesst. Obwohl die

sind zu grossen Teilen kreis- und bogenförmig perforiert und

Gemeinde politisch zum Kanton Graubünden gehört, ist sie

öffnen so den Blick von aussen nach innen – und umgekehrt.

geografisch und kulturell eindeutig dem nahen Tessin zuge-

Aufgrund seiner abstrakten Monumentalität könnte man sich

wandt. Das Ortsbild ist schon typisch ticinese – Bellinzona

fragen, ob dies vielleicht das neue Rathaus der Gemeinde

liegt nur wenige Autominuten entfernt, und das Klima ist

oder auch eine Bibliothek ist, wären da nicht die Spielgeräte

bereits südlich-mild. Aufgrund seiner wichtigen Funktion als

auf der Wiese, die Papierblumen an den Fenstern und die

Alpenübergang ist der untere Talgrund entsprechend stark

vielen Kinder auf dem Platz davor. Es ist das neue Schulhaus

mit Industriegebieten und einer Autobahn belegt, wenn auch

von Grono, das mit ausdrucksstarker Geste einen Fixpunkt in

weitaus nicht so dicht wie der des wichtigeren Valle Leven-

der verstreuten Bebauung schafft.

tina. Trotz dieser Agglomerationslage ist in Grono noch der baulich verdichtete historische Ortskern zu erkennen.

In seinem Untergeschoss mit eigenem Zugang durch den Garten beherbergt der dreistöckige Bau die zwei Gruppen des Kindergartens und einen Speisesaal; das obere Geschoss

1 Treppenkern (Fotos: Miguel Javier Verme) 2 Übereck-Ansicht

Neue Monumentalität

nimmt vier Primarschulklassen und zwei Handarbeitsräume

Seit Kurzem hat das Dorf nun ein zweites, ganz anders ge-

auf, und im mittleren Geschoss finden sich gemeinsame Nut-

artetes Zentrum bekommen. Nachdem sich der Postbus

zungen wie die Aula, das Lehrerzimmer und die Toiletten.

durch die Verengung bei der Kirche gezwängt hat, hält er

Hier erreicht man über eine Brücke auch den Haupteingang

ein paar Meter weiter vor einem Gebäude, das sich unter-

zur Primarschule.

halb der Hauptstrasse mit einem unerwarteten Äusseren

Bei aller Einfachheit und Selbstverständlichkeit, mit der

selbstbewusst Platz schafft. Eine grosszügige Freitreppe

sich diese gestapelte Nutzungsstruktur erklärt, bleibt die

führt hinunter zu einem hangabwärts geneigten, geteerten

Frage nach der expressiven Erscheinung des kleinen Schul-

Platz, auf dem ein kreisrunder Ausschnitt mit weitgehend

gebäudes. Nun sind Schulhäuser in der Schweiz in den

ebener Rasenfläche ausgespart wurde. Aus der Mitte dieses

letzten Jahren immer wieder zu Demonstrationsobjekten

29


1

NACHDEM ICH DURCH DAS TRIEMLI GEGANGEN BIN von Ballmoos Krucker Architekten: Wohnsiedlung Triemli, Zürich Nicht die Serialität, die üblicherweise zur Begründung von Plattenbaukonstruktionen hinzugezogen wird, steht für die Architekten im Vordergrund. Es geht um den Ausdruck der Gebäude, der sich auf die abstrakten Bilder der modernen Stadt bezieht.

«Dich will ich loben, Hässliches, Du hast so was Verlässliches.»¹

34

archithese 1.2012

Text: Elena Kossovskaja

schön) zu bezeichnen wissen. Das «Interessante» wird dem

Wenn Robert Gernhardt Recht behalten sollte und das Schöne

Uninteressanten, Alltäglichen – schlichtweg dem Hässlichen

nur im Vergänglichen zu finden wäre, hat das Schöne bei der

– entgegengestellt. Also eine Entgegenstellung, bei der es

Architektur einen schweren Stand. Und wenn, kämen nur die

nicht auf das absolut Schöne ankommen soll; das Hässliche,

illusorischen Architekturen in Betracht, solche, die vor allem

das Banale aber scheint eine sichere Grösse zu sein, die zur

auf eine unmittelbare Wirkung hin zielen. Die Scheinarchi-

Wertung eines Hauses immer hinzugezogen werden kann.

tekturen des Barock, die Ruinen aus der Zeit der Romantik,

Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass etwa 99 Prozent der

die atmosphärisch aufgeladenen zeitgenössischen Bauten

gebauten Umwelt (in der Schweiz sind es vielleicht nur 97

eines Peter Zumthor spielen mit der Idee des Flüchtigen, des

Prozent) aus banalen und gewöhnlichen Bauten besteht. Und

Unfassbaren und Unbeständigen, die ihnen letztendlich die

dass das Banale, das Unscheinbare Kulisse des städtischen

Aura des Schönen verleiht.

Lebens ist.

Doch auf welche Kriterien – wenn nicht auf das der Schön-

Die Banalität, die Monotonie prägt die Bilder, die uns um-

heit – kommt es bei dem Urteil über die Architektur noch

geben und unseren Alltag bestimmen. Die schönen Städt-

an? Die meisten Architekturkritiker berichten in den Fach-

chen, denen so mancher gern nachtrauert und die zur Ziel-

medien über die Bauten, die sie als interessant (ja, auch als

scheibe der allgegenwärtigen Touristenströme verkommen


2

1 Hofansicht (Fotos: Georg Aerni) 2 Ansicht zur Quartiersstrasse 3 Situationsplan 4 Geschossgrundriss

3

4

35


EIN HAUS FĂœR DIE LANDSCHAFT Miller & Maranta Architekten

50

archithese 1.2012


Text: J. Christoph Bürkle

terialisierte Form wiederum ganz aus der gefalteten Dach-

Das Haus liegt direkt an einem Schweizer See hinter einer

landschaft und der ebenfalls geknickten, als Glasvorhang

Felswand, auf einem Grundstück von einmaliger Schön-

aufgelösten Fassade zur Seesicht generiert. Da das Haus

heit. Nähert man sich dem Haus von der Seestrasse, so ist

über eine gekurvte Zufahrt von oben erschlossen wird, ist

es zunächst nicht auszumachen, da es sich unterhalb der

die flach geneigte Dachlandschaft aus Beton tatsächlich die

Strasse – geschützt von der Felswand aus Nagelfluh – an den

fünfte Fassade, die der Besucher als erstes wahrnimmt, und

terrassierten Hang schmiegt. So erscheint es wie selbstver-

so erscheint das Haus wie eine gewellte, amorphe Stein-

ständlich, dass der Entwurf der weit gestreckten Landvilla

skulptur, eingebettet zwischen Felswand und Wiesenland-

von der einzigartigen Landschaft und der überwältigenden

schaft. Diese Wahrnehmung wird nicht zuletzt auch durch

Aussicht geprägt ist und das Haus in einem eindrücklichen

die gezielte Wahl und Ausführung des Betons erzielt. Die

Dialog mit der Natur entworfen ist. Quintus Miller und Paola

Zuschlagstoffe Andeerer Granit und Lavaschotter sowie eine

Maranta entwickelten eine vielschichtige Raumskulptur, die

leichte Einfärbung führen zu der spezifischen Materialisie-

von einer umfassenden Betonhaut umspannt ist, die ihre ma-

rung und einem warmen, hellbeigen Farbton. Jene Körnung

1 Frontalansicht der Fassade zum See (Fotos: Ruedi Walti)

51


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.