Sakrale Räume – Sacral Spaces
archithese
2.2009
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Sakralität: was sie ist und ausmacht
International thematic review for architecture
Das Sakrale im Profanen – und umgekehrt Zeitgenössischer Kirchenbau in Deutschland SOM: Cathedral of Christ the Light Venturi, Scott Brown: Episcopal Academy Chapel Daniele Marques: St. Franziskus, Uetikon am See Kirchenbau und Moderne Aktuelle Umnutzungskonzepte für Kirchen Sakraler Raum als Ort sozialer Interaktion Synagogenarchitektur in Europa, Israel und den USA Manuel Herz: Mainzer Synagoge Moscheen in der Diaspora KSP Engel und Zimmermann: Mosquée d`Algérie Grabmal von F. C. Gundlach, Hamburg Bucher Bründler Wohnhaus Sevogelstrasse, Basel Valerio Olgiati Nationalparkzentrum, Zernez
Leserdienst 153
archithese 2.2009 März/April Preis: 28 CHF/18 Euro
Sakrale Räume Sacral Spaces
Editorial
Sakrale Räume Der Andachtsraum im Flughafen Zürich ist dunkel, irgendwo in der Tiefe des Terminals verborgen. Embleme der Weltreligionen lassen sich projizieren, sodass der Raum der Konfession der Besucher entsprechend erhellt werden kann. Reisen, Fliegen vor allem, ist – bei aller Alltäglichkeit – mit religiösen Vorstellungen verbunden. Vor einigen Jahren legten MVRDV den Vorschlag vor, einen neuen Friedhof mit dem Bild einer Startbahn zu strukturieren – als zeitgemässes Symbol für die Ewigkeit. Der unspektakuläre Raum in Kloten aber zeigt vor allem, dass es für einen sakralen Raum eigentlich weniger raumbestimmender Dinge bedarf. In der Diaspora oder in ihren frühen Phasen haben die monotheistischen Religionen mit völlig unspektakulären Räumen leben können. Dennoch haben wohl die meisten Menschen andere Vorstellungen, wenn es um sakrale Räume geht. Der Kölner Dom, die Altneuschul-Synagoge in Prag oder die Hagia Sophia in Istanbul können als Inbegriffe sakraler Architektur gelten. Räume, die sakrale Stimmungen evozieren, müssen offenkundig keine religiös genutzten Räume sein. Man spricht von Musen-, gar Konsumtempeln, man pilgert in die Felsentherme Vals, und alles, was zeitgeistig und trendig ist, gilt als «Kult». Nicht mehr konfessionell gebundene Spiritualität findet neue Orte für die Liturgie des Alltags. Im kirchlichen Kontext zeigt sich diese Tendenz in zwei gegenläufigen Richtungen: Während in Mitteleuropa die traditionellen kirchlichen Institutionen an Mitgliederschwund leiden – was erhebliche Folgen für den Umgang mit den Liegenschaften hat –, können Freikirchen Zuwächse verbuchen. Insofern ist die Orientierung von Papst Benedikt XVI., der eine Annäherung an die Ostkirche sucht und Entscheidungen des Zweiten Vatikanums zumindest zur Diskussion stellt, als Reaktion durchaus verständlich: Selbst dezidierte Atheisten vermögen der Zelebration einer lateinischen Messe durchaus etwas abzugewinnen. Und im Bereich der evangelischen Kirche stossen genau jene Kirchenbauten am stärksten auf Ablehnung, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nach dem Vorbild des multifunktionalen Gemeindezentrums die Schwellenangst aufheben sollten. Am Ende geht es um Symbolik, und Profanes und Sakrales finden nicht unbedingt in Harmonie zueinander. Die Debatte um die Gerhard-Richter-Fenster im Kölner Dom ist dafür ebenso ein Beispiel wie der Moscheen-Streit in Deutschland oder die Minarett-Initiative in der Schweiz. Redaktion
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Gerhard Richter: Entwurfsdetail für Kirchenfenster im Kölner Dom
Die Leere
Text: Bettina Schürkamp Kunst und Religion bilden in der Kirche St. Peter zwei Kraftpole, zwischen denen sich sehr differenzierte und zuweilen riskante Spannungen entladen. Friedhelm Mennekes grün-
Sakraler Raum als Ort sozialer Interaktion
dete 1987 als Pfarrer der Jesuitenkirche die Kunst-Station
Frei von Möblierung bietet die spätgotische Kirche
Sankt Peter als Zentrum für zeitgenössische Kunst. Bereits
St. Peter zu Köln seit dem Umbau von 1997 bis 2000
Mitte der Achtzigerjahre entfachte der Jesuitenpater mit
viel Raum für Ausstellungen der Gegenwartskunst,
seinen Kunstausstellungen in der Frankfurter Vorortkirche
Konzerte Neuer Musik und Lesungen zeitgenössischer Literatur. Diese Sakralität der Leere wird durch ihre theologische und ästhetische Konzeption bis heute als
St. Markus in Nied (1979 bis 1985) und in der von ihm gegründeten Kunst-Station Frankfurt (M) Hbf (bis 1989) Debatten über eine neue Verbindung von Kunst und Kirche. Der Professor für Pastoraltheologie, Homiletik und Religionssoziologie
wegweisendes Modell wahrgenommen. Künstler
an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Geor-
wie Rosemarie Trockel, Jannis Kounellis und Barbara
gen veröffentlichte zu diesem Thema zahlreiche Bücher, die
Kruger haben für die dreischiffige Pfeilerbasilika In-
die Entwicklung der Sakralität der Leere dokumentieren.
terventionen geschaffen und damit das internationale Renommee dieser Kulturkirche geformt.
Viele Besucher staunen zunächst über den ungewohnt kargen Kirchenraum. Sie tauchen in einen umgestalteten Sakralraum ein, der ihnen keine Handlungsmuster vorgibt und ihre Bewegung nicht durch traditionelle religiöse Zeichensysteme leitet. Die dreijährige Sanierung führte den Raumeindruck der von 1513 bis 1525 erbauten Pfarrkirche auf die Grundprinzipien des gotischen Sakralbaus – Licht und dynamische Überwindung der Schwerkraft – zurück. Alle Raum bildenden Elemente wurden von dem Architekten Ulrich Wiegmann an die warmtonige Farbigkeit des historischen Natursteins angepasst und betonen so die flächige Wirkung der Wände. Eine helle, etwas höher angebrachte Flachdecke unterstreicht das Aufwärtsstreben der gotischen Architektur, die im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde. Abgesehen von der Ertüchtigung der Pfeilerkonstruktion wurden mit dem Backsteinboden auch die Altarstufen in der polygonalen Apsis entfernt. Der hellgraue, geschliffene Betonfussboden geht mit den Wänden eine Einheit ein und betont so die sachliche Klarheit des Raumes. In dem leeren Raum bilden der Altartisch, Weihwasserbecken, Tabernakel und Taufbecken unverrückbare Koordinaten des Raumes. Alle anderen liturgischen Gegenstände des Gottesdienstes werden je nach Bedarf hineingeräumt. Schritt für Schritt füllen Menschen, Musik und liturgische Aktivität den Raum, bis er wie der Resonanzraum eines Musikinstrumentes mit ihrem atmosphärischen Klang ganz ausgefüllt ist. Dieses Prinzip der temporären Aneignung illustrierte unter anderem die Installation The Red Sea von Michael Somoroff, die im Sommer 2008 kurz vor der Verabschiedung von Pater Mennekes das Mittelschiff mit einer imposanten Skulptur aus gebrochenen Bauholzlatten ausfüllte. Am Ende jeder Ausstellung verlieren sich alle Spuren, und der erneut leere Raum ist wieder offen für neue Aktivitäten. Leere und Fülle gehen so eine dynamische Wechselbeziehung ein, die Mennekes in seinen Grundsätzen für moderne Kunst in Kirchen betont. Im immer wieder neuen Sehen zeitlich begrenzter Ausstellungen habe die Kunst ihr Ziel und nicht im Besitz eines oder mehrerer Werke. Da die Geschichte der christlichen Ikonographie abgelaufen sei, sollten Kunst und Glauben sich in einer kritischen Auseinandersetzung eher robust als zimperlich gegenseitig infrage stellen. In die Leere hinein könne neue Kunst den sakralen Raum atmosphärisch aufladen.
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St. Markus Frankfurt-Nied – Kirche als Institution
geschichtlichen Stadien ihres Werdens.»1 Auch Mennekes
sozialer Kritik
öffnete als Pfarrer der Vorortgemeinde St. Markus Nied (1979
In der Textsammlung Katholische Theologie, die Friedhelm
bis 1985) mit seiner Jugendarbeit den Kirchenraum für ge-
Mennekes gemeinsam mit Peter Knauer 1975 herausgegeben
sellschaftliche Fragen. «Damals habe ich zum ersten Mal ver-
hat, wird deutlich, dass die Quellen der Sakralität der Leere
standen, dass Räume Inhalte entstehen lassen. Jugendliche
nicht nur in der Kunst liegen, sondern sich auch aus dem Stu-
brauchen Räume, damit sie überhaupt kommen.»2 Auf einer
dium der Theologie, der Philosophie und der Politischen Wis-
städtischen Wiese veranstaltete er Diskothekenabende für
senschaften speisen. Für Mennekes’ Konzeption des Sakralen
die aggressive, entwurzelte Jugendszene des Arbeitervier-
erscheinen mir einige Texte aus diesem Buch bedeutsam. Die
tels und inszenierte die Rockoper Franz von Assisi in einem
ausgewählten theologischen Positionen von Gustavo Gutiér-
ausgebauten Speisewagen der Deutschen Bundesbahn und
rez, Gottlieb Söhngen, Medard Kehl und Joseph Ratzinger,
sieben Zirkuswaggons.
heute Papst Benedikt XVI., sollen die Verbindung von Litur-
Durch diese erste nachhaltige Begegnung entdeckte er die
gie, Kunst und Gesellschaft in Sankt Peter veranschaulichen.
Kunst als ein Medium, mit dem er die vielfältige Einbindung
Als Theologe der Befreiung beschreibt Gustavo Gutiérrez in
der Menschen in ihren gesellschaftlichen Kontext thematisie-
dem Reader die Kirche als Institution der sozialen Kritik mit-
ren konnte. Wie konzentrische Kreise berühren sich in seiner
ten im Leben: «Reflexion auf die Präsenz und das Handeln
Arbeit Religion, Wissenschaft und Kunst, ohne dass sich die
der Kirche in der Welt bedeutet Öffnung für die Welt, Hören
drei Disziplinen jemals vermischen. Analog zu Niklas Luh-
auf die in ihr drängenden Fragen, Aufmerksamkeit für die
manns Modell der sozialen Interaktion kann es in diesem Ne-
1 Michael Somoroff: The Red Sea (Foto: Constantin Meyer)
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Zur Akustik sakraler Räume Christliche Gemeindebildung zwischen Direktschall und Raumantwort Die Bergpredigt im Freien, das Pfingstwunder im Haus und die Messe im grossen Kirchenraum bilden eine Abfolge sakraler Räume, deren Akustik für Rede und Musik mit theologischen Vorstellungen von Kirche- und Gemeindebildung in Korrespondenz steht.
1 Illustration zu Vitruvs Urhüttenbau, Cesariano 1521 Warm haben, Reden, Nachahmen und Bauen (aus: Vitruv, Baukunst, Zürich und München 1987)
Text: Jürgen Strauss Reden und Bauen
ten sie die Behausungen der anderen, fügten durch eigenes
In der Vorrede zum zweiten Buch über Architektur beschreibt
Nachdenken Neuerungen hinzu und schufen so von Tag zu
Vitruv den Ursprung menschlichen Bauens als eine Kette von
Tag bessere Arten von Hütten. Da aber die Menschen von
natürlichen, zufälligen und kulturellen Ereignissen, die die
Natur zur Nachahmung geneigt und gelehrig waren, zeigten
angenehme Wärmewirkung von Feuer mit Gruppenbildung,
sie, stolz auf ihre Erfindungen, täglich der eine dem anderen,
Sprache und Nachahmung in Verbindung bringt: «Als bei
wie sie ihre Bauten ausführten.»
diesem Zusammenlauf von Menschen (am Feuer, Anm. d.
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Vitruvs Ursprungsvorstellung von Gesellschaft, Sprache
Verf.) bald so, bald so beim Atmen (unartikulierte) Laute her-
und Architektur bleibt ganz an innerweltliches Geschehen
vorgestossen wurden, setzten sie durch tägliche Gewohnheit
gebunden und kontrastiert damit zu biblischen Erzählungen
Wörter zusammen, so wie sie sich gerade geboten hatten;
eines göttlichen Sprachursprungs beziehungsweise eines
dann begannen sie dadurch, dass sie öfter Dinge (mit diesen
Eingreifen Gottes in sprachliche, in kulturelle Zusammen-
Worten) beim Gebrauch bezeichneten, schliesslich durch Zu-
hänge. Für die Bildung der christlichen Kirchen – und damit
fall zu sprechen. Und so brachten sie es zu Gesprächen un-
verbunden die Akustik sakraler Räume der Christen – bleibt
tereinander.» Und weiter: «... einige ahmten auch die Nester
das Mysterium eines Bundes Gottes mit den Menschen, eines
der Schwalben nach und stellten aus Lehm und Reisig Be-
Gottes, der eingreift, konstitutiv: Kirche ist zunächst nicht
hausungen her, um dort unterzuschlüpfen. Dann beobachte-
Rede, nicht Architektur, sondern Gemeinschaft mit Gott.
Vom Turmbau zu Babel zum Pfingstwunder Die Nachkommen der Söhne Noahs waren alle Teilnehmer des Bundes, den Gott mit Noah geschlossen hatte: «Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. [...] Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. [...] Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. [...] Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des anderen Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten die Stadt zu bauen.» (1. Mose, 11; 1 – 8) Folgt man den Kalkülen des Jesuiten Athanasius Kircher, der den Bedarf an Ziegeln, Pflanzen, Tieren und Menschen spekulativ ermittelte, so waren die Bewohner Babels sehr wohl in der Lage, einen Turm zu bauen, der die sublunare Sphäre durchstossen und den Himmel erreichen konnte; freilich um einen hohen Preis, denn ein derartiger Turm hätte die Bewegung der Erde dezentriert und damit die harmonia
2 Illustration zu Athanasius Kirchers Turris Babel, 1679 Vollendeter Turm, der die Erde dezentriert hätte.
mundi ruiniert. Vor diesem Hintergrund erscheint der Eingriff Gottes nicht willkürlich strafend gegen menschliche Hybris gerichtet, sondern rational, die Schöpfung bewahrend. Kirchers Interpretation unterstreicht indes die Potenz einer untereinander verständigten und dasselbe Ziel verfolgenden Gemeinschaft: ein kräftiges und zugleich irritierendes Motiv, das bei der Stiftung des neuen Bundes Gottes mit der Christenheit deutlich hervortritt, denn im Pfingstwunder weicht
Gebärdensprache (Goethe) oder authentische Rede in grie-
die babylonische Sprachverwirrung einer neuen Verständi-
chischer (Welt-)Sprache, die den Gehalt des alten Bundes
gung. «Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel
mit den Innovationen des neuen Bundes nachvollziehbar
wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus,
verbindet (Herder). Den problematischen, um nicht zu sa-
in dem sie sassen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt,
gen prekären Status von Zungenrede als inspirierter Rede
wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen,
im öffentlichen Raum beschreibt uns Paulus im ersten Brief
und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen
an die Korinther: «Bemüht euch um die Gaben des Geistes,
an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab
am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! Denn
auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die
wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern
waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem
für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im
Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge
Geist von Geheimnissen. [...] Wenn nun die ganze Gemeinde
zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in
an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es
seiner eignen Sprache reden.» (Apostelgeschichte des Lukas,
kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie
2; 2 – 6) Was geschah hier anlässlich der Bildung der ersten
nicht sagen, ihr seid von Sinnen?» Verständlichkeit oder Un-
christlichen Gemeinde?
verständlichkeit: Worte der Offenbarung, der Erkenntnis, der Prophetie und Lehre oder Rede im Geist von Geheimnissen
Gemeindebildung durch Geheimnis und Verständigung
– damit ist eine semantische Spannung benannt, die bis heute
Die Interpretationsgeschichte des Pfingstgeschehens, der so-
zwischen Predigt und Messe besteht, die sich akustisch als
genannten Zungenrede (Glossolalie), zeigt eine Fülle unter-
Opposition von Deutlichkeit und Diffusität bemerkbar macht,
schiedlicher Beschreibungen beziehungsweise Auflösungen
ihre visuelle Entsprechung in Sicht- und Unsichtbarkeit fin-
des wunderbaren Geschehens, das aus einer heterogenen
det und wiederum semantisch auf Klarheit vs. Dunkelheit
Gruppe eine homogene Gemeinschaft formt: göttlich inspi-
verweist. Denn Deutlichkeit der akustischen Wahrnehmung
riertes Sprechen, das Enthusiasmus vermittelt; Rede von Be-
von Rede liegt nur dann vor, wenn eine Dominanz von Direkt-
trunkenen; ekstatisches Lallen beziehungsweise Sprechen
schall des Redners gegenüber den Reflexionen des begren-
in fremden, unbekannten (Ur-)Sprachen; Musik beziehungs-
zenden Raumes besteht – im griechischen Freilufttheater,
weise musikalisierte Rede als Universalsprache, die Emoti-
der Mission auf der Strasse und in der Lage der Bergpredigt
onen unmittelbar überträgt; Pantomime als ursprüngliche
ist das der Fall. Umgekehrt ergibt sich eine Dominanz von Dif59
1 Erich Mendelsohn: Park-Synagoge, Cleveland, Ohio, 1950 bis 1954 (Fotos 1+2, 5, 9+10: Hubertus Adam) 2 Owen Williams: Dollis Hill Synagogue, London
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Symbolträchtige Bauskulpturen Zur neuen Synagogenarchitektur in Europa, Israel und den USA Auch wenn die äussere Erscheinung für jüdische Gotteshäuser eigentlich nachrangig ist, dominiert derzeit eine Tendenz zu einer spektakulären Architektur. Diese zeugt – gerade in Deutschland – von einem neuen Selbstbewusstsein der durch Zuwanderung wachsenden Gemeinden.
Text: Roman Hollenstein
punkt einer architektonischen Entwicklung hin zur zeichen-
Der lange vernachlässigte Jakobsplatz im Herzen Münchens
haften Form. Diese setzte nach dem Krieg mit Erich Men-
erstrahlt in neuem Glanz, seit hier vor zwei Jahren das der-
delsohns kuppelüberwölbter Park-Synagoge in Cleveland
zeit grösste jüdische Gemeindezentrum Europas eröffnet
(1950 – 1954) ein und führte in jüngster Zeit zu mehreren
wurde. Die vom Saarbrücker Architektenteam Wandel Hoefer
interessanten Werken – vor allem in Deutschland. Dass sie
Lorch konzipierte Gebäudegruppe setzt sich zusammen aus
noch nicht abgeschlossen ist, belegen der im November 2008
dem Verwaltungsgebäude, dem Museum und der im Novem-
geweihte Rasterbau von Fritz Wilhelm in Lörrach, die Main-
ber 2006 eingeweihten Synagoge. Dank ihrem klagemauer-
zer Synagoge von Manuel Herz, mit deren Bau Anfang 2009
artigen Travertinsockel, aus dem ein gläserner, von einem
begonnen wurde, oder der jüngst ausgeschriebene Wettbe-
metallenen Gewebe getragener Baukörper herauswächst,
werb für eine orthodoxe Synagoge in Potsdam.
ist sie der skulpturale Blickfang. Gleichzeitig markiert das
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nachts wie eine Laterne schimmernde Gotteshaus, dessen
Geschichte der Synagogenarchitektur
stimmungsvolles Inneres die meisten zeitgenössischen Syn-
Wenn kürzlich in Hannover nicht neu gebaut, sondern eine
agogenräume an Schönheit übertrifft, den vorläufigen Höhe-
evangelische Kirche in eine liberale Synagoge umgewandelt
wurde, so zeigt dies aber auch, dass trotz des gegenwärtigen
Das Stiftszelt als Inspiration
Trends hin zum Spektakulären bei jüdischen Gotteshäusern
Der damit verbundene Triumph der Moderne war das Re-
die äussere Erscheinung letztlich zweitrangig ist. Dennoch
sultat eines gesellschaftlichen Aufbruchs, zogen doch viele
kann die Synagogenarchitektur auf eine eigenständige, bis
wohlhabend gewordene amerikanische Juden in der Nach-
in die späthellenistische Zeit zurückweisende Tradition bli-
kriegszeit von den Innen- in die Vorstädte, wo sie neue
cken. Wichtige typologische und stilistische Verfeinerungen
Synagogen errichten liessen. Neben Durchschnittsbauten
erlebte sie in römischer Zeit in Galiläa, dann im maurischen
entstanden baukünstlerische Ikonen wie der fallschirmar-
Spanien, vorab in Córdoba und Toledo, in der rheinländi-
tig aufgeblähte Kuppelbau des Beth-Sholom-Tempels in
schen Romanik, der Prager Gotik sowie im Barock Italiens,
Miami Beach (1953 – 1956) von Percival Goodman, dem pro-
Hollands und Osteuropas. Im Zeichen der Emanzipation trat
duktivsten Synagogenarchitekten jener Jahre. Neben dem
die Synagogenarchitektur seit Ende des 18. Jahrhunderts mit
Stiftszelt, das einst auf der Wanderung durch die Wüste das
neuem Selbstbewusstsein in Erscheinung. Dies dank einem
tragbare Heiligtum der Bundeslade aufnahm, und anderen
orientalische und romanische Elemente verschmelzenden
symbolischen Bezügen zur jüdischen Tradition war es das
Formenspiel, das durch Weinbrenners ägyptisierende Sy-
Skulpturale, das fortan die Synagogenbaukunst prägte. So
nagoge in Karlsruhe und mehr noch durch Gottfried Sempers
konzipierte Frank Lloyd Wright den zwischen 1953 und 1959
Dresdener Tempel stilbildend wurde. Bald darauf avancierte
realisierten Beth-Sholom-Tempel in Elkins Park bei Philadel-
die Gestaltung eigentlicher Gemeindezentren zur neuen bau-
phia als gläserne Pyramide. Diesem bald an ein Zelt, bald an
künstlerischen Herausforderung.
den Berg Sinai gemahnenden «Mountain of Light» eignet
Der reiche Schatz an historischen Vorbildern kümmerte die
eine kosmische Dimension, die allerdings im lichtdurchflute-
Anhänger des Neuen Bauens indes kaum, als sie die Archi-
ten, dem reformierten Ritus gemäss kirchenartig bestuhlten
tektur der modernen Synagogen definierten. Entsprechend
Inneren wenig atmosphärischen Widerhall findet.
neuartig wirkten die vor dem Zweiten Weltkrieg entstande-
3+4 Percival Goodman: Tempel Beth Sholom, Miami Beach, 1956 (Fotos 3+4, 12: Paul Rocheleau, aus Samuel D. Gruber, American Synagogues, New York 2003) 5 Frank Lloyd Wright: Beth-Sholom-Tempel, Elkins Park, 1953 – 1959
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nen Bauten: etwa die jüdischen Gotteshäuser von Harry Elte in Amsterdam, von Friedmann & Ascher in Hamburg, von Owen Williams in London, Hector Guimard in Paris, Fritz Landauer in Plauen, Peter Behrens im slowakischen Zilina oder von Henauer & Witschi in Zürich. Unbeeindruckt von diesen Strömungen setzte man in den USA, dem gelobten Land der Synagogenarchitektur, zunächst weiterhin auf traditionelle Formen. Erst die einer moderneren Ästhetik verpflichteten Sakralbauten von Albert Kahn und mehr noch Mendelsohns Park-Synagoge in Cleveland kündigten auch dort eine Erneuerung an.
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Orchideen im Blätterwald – Moscheen in der Diaspora Eine Annäherung Was den «Einen» ihre Minarett-Initiative, ist den «Anderen» ihr Moscheen-Streit. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland löst der Bau von Moscheen und Minaretten ungeahnte Protestbewegungen aus. Eine innovative islamische Diasporaarchitektur wird vor allem Zeit und Diskurs benötigen.
Text: Verena Doerfler
in der Phantasie der Menschen.»1 Bauaufgaben auf ihr We-
Dass es den «metaphysisch Obdachlosen» dieser Welt ein
sentliches reduziert.
Dach über dem Kopf zur Verfügung stellt – vielleicht liesse
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sich das Sujet des sakralen Baus bei aller religiöser Bekennt-
Wesenhaftes einer Moschee
nis-Differenz unter diesem kleinsten gemeinsamen Nenner
Eine Moschee ist zunächst einmal ein Ort der Zusammen-
zusammenfassen. Damit wäre das «Haus Gottes», respektive
kunft gläubiger Musliminnen und Muslime. Und dieser Ort
jenes «Allahs» nahe am, auf seine Essenz reduzierten, Kern
muss allem voran über ausreichend Platz verfügen. Platz, der
der Architektur – aus Orten Räume werden zu lassen und
es jedem Einzelnen möglich macht, seinen Gebetsteppich
Behausungen zu errichten für die vor dem Unbill der Aussen-
an Ort und Stelle auszurollen, um das islamische Gebet, die
welt Schutzsuchenden. Vielleicht bedarf es solcher reduzie-
Niederwerfung gen Mekka, zu praktizieren. Schon das Wort
rend-unverfrorener Ausgangsthesen, um die in Deutschland
Moschee, abgeleitet vom arabischen masdjid, verweist dabei
und der Schweiz derzeit so hitzig geführten Debatten – hier
auf die Tätigkeit im Innenraum: «Ort der Niederwerfung» ist
«Minarett-Initiative», dort «Moscheen-Streit» – zumindest
seine Übersetzung. Diese Form des Gebets sowie das Rezitie-
um einige wenige Grade abzukühlen. In einem Aufsatz zur
ren des Glaubensbekenntnisses («Es gibt keinen Gott ausser
«Euro-Islamischen Architektur» formuliert Christian Welzba-
Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes») bilden zwei
cher es folgendermassen: «Eine Moschee ist nichts anderes
wesentliche der insgesamt fünf Grundsäulen der islamisch-
als ein nach Mekka ausgerichteter Raum. Alles Weitere liegt
religösen Praxis.
2
Die Ausrichtung gen Mekka bleibt dabei tatsächlich – wie
mel» fungiert, dabei gleichzeitig jedoch den (zerstörten)
Welzbacher es richtig bemerkte – Hauptwesensmerkmal der
Tempel in Jerusalem als zentralen Ort ihres Glaubens kennt,
Bauaufgabe Moschee. In Richtung Geburtsort des Propheten
ist die Moschee vor allem ein Ort der Zusammenkunft der
muss sie also weisen, und damit gleichzeitig gen Kaaba, dem
Gemeinschaft, in deren Mitte Gott allgegenwärtig ist und
eigentlich heiligen Ort des Islam. Diese aufs Äusserste mini-
dessen Allgegenwart es sich – gen Kaaba betend – zu verge-
malistisch gehaltene, kubusförmige heilige Stätte hat wenig
genwärtigen gilt.
gemein mit der klassischen Moschee, wie sie der europäische Westen kennt und kritisiert. Kein Kuppelbau, kein Mina-
1 Heilige Kaaba in Mekka, Wallfahrtsort des Islam 2 Visualisierung Neubau Islamisches Kulturzentrum, Köln-Ehrenfeld (Architekturbüro Paul Böhm)
Sakralität durch Gemeinschaft
rett, sondern reine quadratische Form, die jeder Muslim und
Diese «Allgegenwart Gottes» bietet einen Erklärungsansatz,
jede Muslimin zumindest einmal in seinem oder ihrem Leben
warum das islamische Gebet auch im Hinterhof eines Fa-
aufgesucht haben sollte. Jener Erstbau allein macht deutlich,
brikgeländes, in Kellerräumen oder eben auch in ehemali-
dass der Moschee an sich ein starker Verweischarakter zu
gen Räumlichkeiten eines Supermarktes verrichtet werden
eigen ist. Denn im Gegensatz zu einer den Ort zum Heiligtum
konnte und verrichtet werden kann – so wie es in 40 Jahren
erklärenden katholisch-christlichen Sakralarchitektur, in wel-
europäischer Diaspora lange genug der Fall war.
cher die Kirche als besonderer Ort der Gegenwart Gottes
Nicht der Ort der Moschee an sich ist somit geheiligter
gilt, und in Analogie zum Bau der jüdischen Synagoge, die
Raum im Primären, vielmehr produziert sich Sakralität vor
als symbolische Entsprechung für das «Heiligtum im Him-
allem durch den Akt der Gemeinschaftlichkeit im Gebet: 77
ARchitektur Aktuell
Einheit xxx und Vielheit
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1 Blick Richtung Osten auf das Nationalparkzentrum und das Schloss Planta-Wildenberg (Fotos: Javier Miguel Verme)
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2 Blick von Süden entlang der Kantonsstrasse 3 Rückseite
Valerio Olgiati: Nationalparkzentrum,
rem Besuch informieren. Angesichts der räumlichen
Grundstück, und so entschied man sich dazu, das
Zernez
Begrenztheit dieser Informationsstelle entschied
Besucherzentrum gleichsam zu verschieben: Rich-
Für das Nationalparkzentrum ist eine abs-
sich die Leitung des Nationalparks für den Neubau
tung Westen, auf ein dem örtlichen Schulkomplex
trakte Bauskulptur entstanden: archaisch,
eines Besucherzentrums und fand mit der unmittel-
vorgelagertes Baufeld jenseits der zum Ofenpass
monumental und schweigsam. Bei aller Logik,
baren Umgebung des Schlosses Planta-Wildenberg
führenden Kantonsstrasse. Bedauerlicherweise ist
die dem Grundrisskonzept zu eigen ist, wirkt
in Zernez einen geeigneten Standort. Neben der
der direkte Bezug zum Schloss Planta-Wildenstein
das Innere erstaunlich vielgestaltig.
Kirche, welche den Dorfbrand von 1872 überstand,
damit verloren gegangen, das ästhetisch unbefrie-
wirkt der mit einer geschweiften Haube bekrönte
digende Schulhaus drängt sich unvorteilhaft ins Bild.
1914 wurde, vorbereitet durch Mitglieder der Schwei-
mittelalterliche Turm des Schlosses, der winkelför-
Lediglich die übrigen Teile des Raumprogramms
zerischen Naturforschenden Gesellschaft im Enga-
mig von zwei Flügeln flankiert wird, als Dominante
konnten wie ursprünglich vorgesehen realisiert wer-
din der Schweizerische Nationalpark gegründet – als
des Dorfs. Valerio Olgiati, der den unter 13 Teilneh-
den: Die Verwaltung des Nationalparks sitzt jetzt im
erste Institution dieser Art in den Alpen, ja Mittel-
mern ausgelobten Wettbewerb des Jahres 2002 ge-
Schloss, während der benachbarte Stall zu einem
europas überhaupt. Inzwischen ist die Fläche auf
wann, überzeugte die Jury durch einen unmittelbar
Veranstaltungssaal umgebaut wurde.
174 Quadratkilometer angewachsen; Aufgabe des
südöstlich des Schlossareals platzierten Komplex
Nationalparks ist nicht nur Erhalt und Erforschung
aus zwei an den Spitzen sich verschneidenden Ge-
Symmetrie auf den zweiten Blick
der heimischen Flora und Fauna – etwa durch An-
bäudeteilen über jeweils quadratischem Grundriss;
Sah der Wettbewerbsbeitrag noch die Grundriss-
siedlungsprogramme durch den zwischenzeitlich in
dem Architekten sei eine «räumliche einfühlsame
konfiguration eines grösseren und eines kleineren
dieser Region ausgestorbenen Bartgeier –, sondern
Erweiterung des barocken Ensembles» gelungen,
Quadrats vor, so zeigt der ausgeführte Bau die Kom-
auch die Kommunikation. Jährlich 150 000 Besucher
hiess es seinerzeit. Auf weniger Resonanz indes
bination zweier gleich grosser, symmetrisch ange-
lockt der Nationalpark an, und schon seit einiger
stiess das Projekt bei den Anwohnern. Rekurse ver-
ordneter Quadrate. Nähert man sich dem Bauwerk,
Zeit konnten diese sich in Zernez vor oder nach ih-
hinderten eine Realisierung auf dem vorgesehenen
so offenbart sich diese prinzipielle Balance nicht
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