Bauen in den Bergen – Construire en montagne
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VW-Wolfsburg, SPA | Foto © Marc Winkel
archithese
3.2005
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
In den Bergen bauen – Kontinuität eines Diskurses
Revue thématique d’architecture
St. Moritz existiert nicht Vorwärts zur Natur? Die Urbanität alpiner Regionen Alpine Moderne in Tirol und Südtirol Obersalzberg: Ideologisierung eines Berges Bauten und Projekte: Herzog & de Meuron, UN Studio, Miller & Maranta, Hans-Jörg Ruch, Jürg Conzett, Mario Botta, Matteo Thun OMA Casa da Musica, Porto Diener & Diener Quartier 110, Berlin
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Bauen in den Bergen Construire en montagne
mit Leserdienst 141
EDITORIAL
Bauen in den Bergen Als Gottfried Semper die Villa Garbald für Castasegna entwarf, interessiert es ihn wenig, wie man den eigentlich im Bergell zu bauen hätte. Er wählte ein Vorbild, das in der Zeit modisch war und auch an anderem Ort und in anderer Landschaft hätte errichtet werden können: ein italienisches Landhaus. Erst gegen 1900 wurde die Frage gestellt, ob es einen den Bergen angemessenen Baustil geben könne. Die Protagonisten des Schweizer Heimatschutzes verwahrten sich gegen den als fremd empfundenen Importstil der Hotelpaläste von St. Moritz und suchten eine Verbindung zu ortsspezifischen Bautraditionen, und Adolf Loos stellte wenig später seine
Regeln für den, der in den Bergen baut auf. Allerdings: Auch der Heimatschutz trat erst auf den Plan, als die Tradition längst bedroht, wenn nicht gar abgerissen war. Und Natur und ländliches Leben sind seit der Romantik zunächst ohnehin Konstrukte. Der Blick auf die Bergwelt und damit die Frage, wie man dort bauen sollte, ist somit stark von ideologischen Einstellungen geprägt – bis heute. Loos’ Diktum, in den Bergen nicht malerisch zu bauen, mag man akzeptieren. Aber was spricht gegen die von Loos verdammte Vertikale? Ist ein Hochhausprojekt, wie es Herzog & de Meuron für die Schatzalp in Davos vorschlagen, ein gangbarer Weg oder ein falscher? Passen die Projekte, die UN Studio oder Norman Foster in Davos oder Zuoz realisiert haben, in die Landschaft oder nicht? Und warum eigentlich sollte der Erweiterungsbau der Villa Garbald, der sich auf Vogelfangtürme in Norditalien beruft, authentischer sein? Allerdings führen ästhetische Fragen, so interessant sie auch sein mögen, nur bedingt weiter. Es wird viel gebaut in den Bergen, vor allem in Orten wie St. Moritz. Bauland in attraktiven Orten ist gefragt, Ferienwohnungen, die grosse Teile des Jahres leer stehen, prägen viele Siedlungsbereiche. Bleibt die Nachfrage von aussen nach temporären Domizilen auch ungebrochen, so siedeln mehr und mehr permanente Bewohner der Alpenregionen in die Städte ab. Marcel Meili und das ETH Studio Basel stellen daher die Frage, ob die dauerhafte Besiedlung des hochalpinen Raums ökonomisch und ökologisch vertretbar ist. Dass auch die Tourismusindustrie selbst in die Krise geraten ist, offenbaren die sinkenden Belegungszahlen vieler Beherbergungsbetriebe. Es gilt, sich umzuorientieren, und auf eine andere Form des Tourismus zu setzen. Projekte wie das Ecomuseum Viamala, der Umbau des Hotels Castell in Zuoz oder das Projekt für das Haus Piz Tschütt in Vnà zeigen ein neues Bewusstsein für eine Balance von Natur, Kultur und Tourismus – und wären wohl ohne das erfolgreiche Vorbild der Therme Vals kaum vorstellbar. Es sind diese vergleichsweise kleinen Projekte, die Hoffnung geben, auch wenn sie an der Grundproblematik der alpinen Besiedlung nur wenig zu rühren vermögen.
Redaktion
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Norman Foster: Chesa Futura, St. Moritz
Kontinuität eines Diskurses Adolf Loos zum Trotz: Allgemein gültige Regeln für die Architektur in den Bergen existieren nicht. Aber es gibt immer noch zu wenig architektonische Qualität im Bereich der Tourismusarchitektur. Dabei geht es nicht nur um formale Fragen, sondern auch darum, welcher Tourismus gewünscht wird.
IN DEN BERGEN BAUEN
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marginalisiert, auch wenn er inzwischen selbst in der Krise steckt. Zweifellos ist die Orientierung auf die Masse, die seit den Siebzigerjahren um sich griff, für ein Hochpreis-Land wie die Schweiz problematisch: Der Kampf in der Preisspirale nach unten kann nur verloren werden. Vielmehr muss der Tourismus inhaltlich neu konzipiert werden.
1 Studio Monte Rosa/Professur Andrea Deplazes: Projekt SAC-Hütte, Monte Rosa, 2005 2 Valerio Olgiati mit Bonzi Peterli Verme: Projekt Peak Gornergrat, Zermatt, 2004
Neue Tourismuskonzeptionen 3 Mario Botta: Capella Santa Maria degli Angeli, Monte Tamaro, 1990–96 (Fotos 3–7, 11: Hubertus Adam)
Die Frage ist also, wie ein Tourismus entwickelt werden kann, der die gewachsenen Strukturen respektiert und dennoch etwas bietet, das anderenorts nicht zu finden ist. Musterbeispiel für eine touristische Neupositionierung ist zweifelsohne die Ortschaft Vals, die mit dem wagemutigen Konzept der Therme von Peter Zumthor durchaus erfolgreich an Architektur und Natur interessierte Besucher in eine abgelegene Talschaft Graubündens zu locken vermag. Leider stellt das Valser Projekt, das eine moderne Formensprache meisterhaft mit regionalen Elementen zu einem Bad der Sinne verschmilzt, neben der Erweiterung des Hotels Saratz in Pontresina (Hans-Jörg Ruch, St. Moritz) und der Carmenna-Sesselbahn in Arosa (Bearth und Deplazes, Chur) Text: Hubertus Adam Im Vorfeld des 150-jährigen Jubiläums der ETH Zürich 2005 richtete das Departement Architektur das von Andrea Deplazes geleitete Studio Monte Rosa ein – mit dem Ziel, eine neue Hütte des SAC auf 2795 Metern oberhalb von Zermatt zu planen und schliesslich auch auszuführen. Innerhalb von vier Semestern entstand ein baureifes Projekt, das unlängst vorgestellt wurde und 2006 realisiert werden soll. Es handelt sich um einen viergeschossigen Holztafelbau aus präfabrizierten Elementen, der durch einen integralen Wasser- und Stoffkreislauf mit Biogasanlage zu neunzig Prozent energetische Autarkie besitzt. Die Studierenden mussten sich mit den technischen Anforderungen auseinander setzen, die das Bauen im Hochgebirge stellt: Es ging also um eine spezifische Baustellenlogistik, um nachhaltige Planung sowie um eine energieeffiziente und autarke Infrastruktur. Nicht zuletzt aber warf das Projekt die Frage auf, wie formal auf die grandiose Berglandschaft ringsum zu reagieren wäre. Das Studio Monte Rosa wählte schliesslich eine kristallin anmutende Struktur, die Assoziationen an ein Zelt weckt und somit den ephemeren Charakter menschlichen Lebens in klimati-
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schen Extremgebieten anklingen lässt. Andererseits mag man auch an einen geduckten Felsblock denken, dessen Kanten durch die Naturgewalten abgeschliffen sind. Das Projekt der Monte Rosa-Hütte ist vor allem deshalb massstabsetzend, weil der SAC als Auftraggeber des ambitionierten Projekts sich auch einer kulturellen Rolle bewusst zeigt. Denn abgesehen von der hervorragenden Bertolhütte, die Jakob Eschnmoser 1975/76 auf dem Col de Bertol im Wallis errichtete, zeichnen sich die meisten Hütten durch architektonische Belanglosigkeit aus. Das gilt allerdings nicht allein für Hütten, sondern für die meisten Bereiche der Tourismusarchitektur. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hat der Tourismus die Landwirtschaft als Einnahmequelle in den Bergregionen
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ZEITGENÖSSISCHES AUS ST. MORITZ Sechs Beispiele
Bearth + Deplazes: Öffentliche Räume und Eingang des Parkhauses Serletta, St. Moritz, Eröffnung Dezember 2004 Projektleitung: Walter Dietsche Baumanagement, Chur (Fotos: Ralph Feiner)
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Hans-Jörg Ruch: Galeriegebäude Serletta Retail, St. Moritz, 2003 Ein öffentlicher Durchgang führt durch das Gebäude und unterstreicht die städtische Konstellation (Fotos: Karl Steiner AG )
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MARKANTER EINGRIFF ODER REGIONALE VERBAUUNG? Drei aktuelle Projekte aus Graubünden Bereits Adolf Loos hat in
Text: Daniel Walser
seinem Aufsatz Regeln für den, der in den Bergen baut darauf auf-
In den letzten Jahren sind in Graubünden diverse Projekte
merksam gemacht, dass nicht malerisch gebaut werden soll. Was dies konkret aber heisst, beinhaltet einen grossen Ermessensspielraum. Es existieren verschiedenartige Strategien und Ansätze, wie in Bergregionen moderne Bauten erstellt werden können.
entstanden, die versuchen, bestehende Komplexe weiterzuentwickeln und darüber hinaus die Kraft der bestehenden Landschaft und die Qualitäten eines Ortes zu nutzen. Neben den bekannten Arbeiten in Vrin und Vals existiert eine Reihe weiterer Projekte, die Architektur als Mittel und als Motor zur Weiterentwicklung eines Ortes und einer Landschaft nützen.
Mario Botta: Bergoase in Arosa Das Grandhotel Tschuggen in Arosa gehört zur Gruppe der
Leading Hotels of the World des Deutschen Karl-Heinz Kipp. Das Hotel versteht sich als eines der führenden Hotels der Schweiz; durch sukzessive Umbauten versucht man, diesen Status zu sichern. Der gesamte Hotelbereich wird seit einigen Jahren durch den Tessiner Architekten Carlo Rampazzi umgestaltet, so dass aus dem ehemaligen Sanatorium ein «zeitgenössisches Märchen in der Bergwelt» entsteht.1 Zusätzlich zum Umbau des Hotelkomplexes wurde im Jahr 2003 für eine neu zu erstellende Wellnessanlage ein eingeladener Wettbewerb durchgeführt, den Mario Botta mit seinem
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Projekt Berg Oase für sich entscheiden konnte. Der direkt hin-
suggeriert eher das Gegenteil von einer unterirdischen, in
ter dem Grandhotel gelegene Anbau soll auf vier Hauptebe-
den Felsen gebauten Wellnessanlage; der Blick durch die
nen Fitnessraum, Gymnastikhalle, Sauna, Massageräume
Oberlichter am Hotel vorbei in den Himmel und die Berg-
und Schwimmbad beherbergen. Das Volumen ist komplett in
landschaft ist das bestimmende Element. Die Präsenz der
den Hang gebaut und folgt der Neigung des ursprünglichen
Berge wird auf ihr Bild reduziert.
Terrains. Mario Botta sucht den Hang «zu bebauen, ohne zu
Vier Materialien prägen das Äussere: Die Wiese als Fort-
überbauen». Nach aussen hin treten riesige, baumartige
führung des natürlichen Terrains, Granit für die Mauern so-
Oberlichter in Erscheinung. Diese belichten tagsüber die
wie Titanzink und transparentes Glas für die «Blätter». Die
Wellnessbereiche, ermöglichen von innen Ausblicke auf die
interne Landschaft zeigt ebenfalls eine reduzierte Material-
Berge und leuchten in der Nacht wie Laternen. Die Bergoase
palette: Stein für Boden, Schwimmbecken und feste Wände,
ist über eine Brücke direkt mit dem Hotelkomplex verbunden,
Glas und Gipskarton für leichte Trennwände, Holz für die ab-
wodurch den Gästen problemlose Erreichbarkeit garantiert
gehängten Decken sowie Stahlbeton und Stahl für tragende
wird.
Struktur und Pfeiler. Die Aussenräume sind nach Westen
Der Grundriss ist in Modulen organisiert, die auf einem
orientiert und auf jeder Ebene direkt von den Innenräumen
dreieckförmigen Stützenraster basieren. Diese Struktur er-
erreichbar. Sie befinden sich auf Terrassen, umgeben von der
möglichte dem Architekten bereits in der Wettbewerbs-
Natur, und sind dennoch vor fremden Blicken geschützt.
phase, als das genaue Raumprogramm noch wenig präzise
Das Hotelmanagement nutzt die Wellness Berg Oase von
war, flexibel auf die Wünsche des Bauherren einzugehen.
Botta bereits als Werbeträger für das Hotel. Mit der «er-
Auch können später relativ einfach Ergänzungen und Erneu-
weiterten Fläche von nunmehr 3500 m2 ist das Projekt eines
erungen durchgeführt werden, wenn die Auslastung der An-
der grössten vergleichbaren Bauprojekte in der Schweiz».
lage nicht mehr stimmen sollte. Die leichte Stützenstruktur
Die Berg Oase soll im November/Dezember 2006 eröffnet
1–3 Mario Botta: Projekt Erweiterung Grandhotel Tschuggen, Arosa, 2003 Perspektive der Terrassen mit Oberlichtern, Situationsplan, Schnitt und Innenraumansicht
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STILLE ALS PROGRAMM
Matteo Thun: Vigilius Mountain Resort, Lana, 2004 Resort, so lautet das Zauberwort für ein neues, nun auch in Europa heimisches Hotelkonzept. Exquisites Essen, Outdoor-Sport, Wellness und die Stille der Berglandschaft auf 1500 Metern Höhe sind die Faktoren, mit denen das Vigilius Mountain Resort in Südtirol Erfolg hat. Und nicht zuletzt mit dem Design von Matteo Thun.
1 Restaurant- und Rezeptionsgebäude sowie Zimmertrakt (Fotos: Viglius Mountain Resort) 2+3 Zimmer
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Text: Klaus Leuschel Das Vigilius Mountain Resort liegt auf 1500 Metern Höhe, oberhalb von Lana, einem kleinen Ort unweit von Meran. Erreichbar ist das Hotel mit einer Seilbahn, immerhin der zweitältesten Europas. Sie verkehrt von 9 bis 17 Uhr im Halbstundentakt, danach noch einmal um 19 Uhr, später bestenfalls noch auf Wunsch der Hotelgäste: Einmalige, wenn nicht ideale Bedingungen für einen Ort der Erholung und Hort der Stille zugleich. Der Y-förmige Baukörper des Hotels ist so ausgerichtet, dass sich im ersten der drei Schenkel – im von der Seilbahn wahrnehmbaren Teil – der Empfang sowie zwei Restaurants befinden: Das bodenständige Ida mit traditoneller Küche, sinnigerweise im Erdgeschoss, darüber das Gourmetrestaurant 1500, in dem, wie man ankündigt, «die Kreativität der mediterranen Küche» zelebriert wird. Das räumliche Zentrum, das diesen mit den anderen beiden anderen Flügeln verbindet, bildet eine Piazza, die, ganz in der Tradition der italienischen Stadt, Zentrum und Verkehrsknoten in einem ist. Die östlich und westlich ausgerichteten 35 Zimmer und sechs Suiten reihen sich beidseits eines lang gestreckten Erschliessungsflures, der deutlich an die Dampfermetaphorik der modernen Architektur erinnert. Wenn das Hotel von der Seilbahn her vollkommen in die Landschaft integriert erscheint, dann täuscht der erste Eindruck nicht. Dabei setzt das im September 2003 eröffnete Hotel auch ökologisch Standards; etwa mit begrüntem Dach, einer CO2 -neutralen Heizung und der Konsequenz eines Niedrigenergiehauses, das mehrfach ausgezeichnet wurde und über Italien hinaus als vorbildlich gilt.
Glas und Lärche Vor Ort soll sich der Architekt Matteo Thun spontan an einen Anspruch Vitruvs erinnert haben, demzufolge kein Baumaterial von weiter her kommen dürfe als ein Ochse in einem Tag
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