archithese 5.02 - Flughäfen / Aéroports

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Flughäfen - Aéroports

archithese 5 02

Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur Revue thématique d’architecture

Terminal Space Bauaufgabe Flughafen

archithese 5.02

September /Oktober

Dock Midfield Zürich

Leserdienst 111

Historische und aktuelle Bauten in: Amsterdam Berlin Halle-Leipzig Hongkong Jeddah Osaka Stansted Architektur aktuell Foster and Associates Bearth und Deplazes mit

BAU DOC BAU BULLETIN

Flughäfen Aéroports



Editorial

Flughäfen

Das Fliegen gilt als uralter Traum der Menschheit. Doch den Gebrüdern Wright sollte erst im 20. Jahrhundert gelingen, motorisierte Flüge durchzuführen. In nicht einmal 100 Jahren hat die Luftfahrt eine rasante Entwicklung durchlaufen; was anfangs experimentell, dann exklusiv war, ist heute populär – Charterflüge und Billig-Airlines haben zu einer ultimativen Demokratisierung beigetragen. Man mag kostengünstige Flüge innerhalb von Europa (oder gar innerhalb einzelner Länder) begrüssen. Und doch bleibt nicht zuletzt aus ökologischen Gründen die Skepsis gegenüber einer progressiven Massenmobilität. Das Terminal ist, zumindest aus Sicht der Passagiere, das Herzstück eines jeden Flughafens. Wie das Atomkraftwerk oder die Shopping Mall zählt es zu den genuinen Bauaufgaben, welche das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Zu konzedieren ist allerdings, dass die ersten Airports ohne ein architektonisch gestaltetes Entrée auskamen – die Gebrüder Wright waren in Dayton/Ohio von einem von einigen Schuppen umgebenen Wiesenfeld aus gestartet. Zu Beginn der Zwanzigerjahre gelang es Hanns Hopp in Königsberg erstmals, eine architektonisch überzeugende Anlage zu errichten; zu den wichtigsten Inkunabeln zählen der monumentale Flughafen, den Ernst Sagebiel 1936–1939 in Berlin-Tempelhof realisierte, und sein organisch inspirierter Antipode, das TWA Terminal in New York (1956 –1962) von Eero Saarinen. Doch die Grosszügigkeit, die in Saarinens Meisterwerk überzeugend Gestalt fand, galt in den folgenden Jahrzehnten als obsolet: Während die Zahl der Flugpassagiere ständig zunahm, hatte die Architektur der Flughäfen allein logistischen, funktionalen und ökonomischen Kriterien zu genügen, Architektur stieg ab zur quantité négligeable. Seit einigen Jahren verändert sich das Gesicht der Flughäfen, die nicht mehr allein als Abfertigungs- und Umsteigeorte begriffen werden. Als Aushängeschildern von Städten und Regionen, aber auch als Wertschöpfungsmaschinen wächst ihnen neue Bedeutung zu. Wer die Aufenthaltsdauer von Passagieren verlängern will, um Kaufkraft auszunutzen, muss im Sinne eines branding auch architektonisch-ästhetische Kriterien in Betracht ziehen. Die neuen Airports bei Osaka und Hongkong suchen strikte funktionalistische Organisation mit einer einprägsamen und unverwechselbaren Architektursprache zu vereinen. Mit dem kurz vor der Fertigstellung stehenden Dock Midfield wollte sich der bislang eher gestaltlose Flughafen Zürich ebenfalls ein Wahrzeichen verschaffen. Der 11. September 2001, das Grounding der Swissair und die Redimensionierung des Luftverkehrsknotens Zürich haben diese Pläne vereitelt. Das Terminal wird fertiggestellt, aber bis auf weiteres nicht in Betrieb genommen. Allen hochfliegenden Plänen zum Trotz bleibt der Luftverkehr im Kampf um Passagiere, Betriebsbewilligungen, ökonomische Partner und gegen ökologische Einsichten ein Problemfall. Redaktion

Gedenkstätte für die Flugversuche von Otto Lilienthal in Berlin-Lichterfelde Der 1894 errichtete Hügel diente als Ausgangspunkt für die experimentellen Gleitflüge von Otto Lilienthal; 1932 wurde er von Fritz Freymüller zu einer Gedenkstätte umgestaltet. Diese zählt zu den wenigen abstrakten Denkmälern der Weimarer Republik.

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Flughafenarchitektur folgt heute zwei Strategien: Entweder sie gehorcht allein dem funktionalistischen Diktat eines optimierten Organisationsablaufes – oder sie sucht die Absenz der Form durch eine bildkräftige Formensprache zu kompensieren. Anstelle einer «Ästhetik des Gewöhnlichen» oder einer «Ästhetik des Effekts» postuliert der Autor eine komplexere Ästhetik, die mehrere Interpretationen erlaubt. Die Erfahrungen des Reisens, des Bauens und des Alltags verknüpfen sich.

Terminal Space Gedanken zur zeitgenössischen Flughafenarchitektur Marc Angélil

«Einmal am Boden, scheint nur eine Architektur tolerierbar und zulässig zu sein: es ist die der wunderbaren Flugzeuge, die den sichtbaren Raum besetzen. Ihre Biologie ist solcher Art, ihre Formen sind eines solchen harmonischen Ausdrucks, dass daneben keine Architektur vernünftig, kein Gebäude erträglich erscheint. Ein Flughafen müsste demnach nackt sein, vollkommen nackt unter dem Himmel, vor den Feldern und der Landebahn aus Zement.» Le Corbusier, 19461 «L’avion accuse . . .», schreibt Le Corbusier 1935, das Flugzeug klagt die Architektur an.2 Mit den Errungenschaften der Luftfahrt entstehen neue Rahmenbedingungen, die – im Sinne einer Herausforderung für die Baukunst – zu einer unwiderruflichen Neuorientierung des Fachgebietes führen werden. Unter dem Leitsatz «Augen, die nicht sehen . . .» wird schon in der Zeitschrift L’Esprit Nouveau und danach in Vers une architecture die These vertreten, dass der Technologietransfer von der Flugzeugindustrie zur Serienproduktion im Bauwesen eine neue Architekturästhetik bedinge.3 Ein nahtloses Band schien von der Aerodynamik der Flugmaschine zur Ästhetik der Moderne zu führen. Wie steht es aber mit der Frage des Erscheinungsbildes eines Flughafens? Hier werden von Le Corbusier andere Möglichkeiten des Ausdrucks in Betracht gezogen.

Flughäfen gehören jener Gattung von Bauaufgaben an, die im Grenzbereich zwischen Infrastruktur und Architektur anzusiedeln ist. In der Schnittmenge dieser einander scheinbar ausschliessenden Bereiche des Bauens liegen Potenziale brach, die es zu erforschen gilt. Genau an diesem Punkt setzt Le Corbusier an, als er 1945 den Vorsitz der Infrastruktur-Sektion des ersten Nachkriegskongresses der Französischen Luftfahrt übernimmt. Überlegungen zur Frage der Ästhetik leiten überwiegend den Diskurs. Ein Flughafengebäude dürfe in keiner Art und Weise das Formenvokabular eines Flugzeuges übernehmen, eine Konkurrenz zwischen der architektonischen Gestalt und den biomorphen, geschmeidigen Konturen der Flugmaschinen sei zu vermeiden. «Die Schönheit eines Flughafens», schreibt Le Corbusier, «liegt in der Pracht des offenen Raumes.» Es sei die Weite der Landschaft, an welcher sich die Architektur zu orientieren habe; man solle sie so konstruieren, dass sie aus der Vogelflugperspektive, einem Bodenrelief gleich, mit ihrem Kontext verschmilzt. Die horizontale Ausdehnung der Landebahnen, die in der ihr eigenen Geometrie den Raum zeichenhaft prägen, setze den Massstab einer Bauweise, in welcher die kategorische Trennung zwischen Hoch- und Tiefbau ihre Bedeutung verliert. «Ein Flughafen müsste demnach nackt sein», seine Architektur eine Direktheit vermitteln, die den im Bereich der Infrastruktur1 Le Corbusier: Schnitt durch ein Terminalgebäude, Skizze (1946) (aus: Le Corbusier, «Œuvre complète», 1938 – 1946)

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bauten gängigen Prinzipien der Ausführung folgt. Interessanterweise wird eine ähnliche Position zwanzig Jahre später vom amerikanischen, für seine Land Art-Werke bekannten Künstler Robert Smithson vertreten. Anlass der Überlegungen zum Thema des formalen Ausdrucks grossmassstäblicher Anlagen im Bauwesen ist seine Teilnahme als künstlerischer Berater bei der Planung des Flughafens Dallas-Fort Worth. Fasziniert von der Dimension des Unterfangens beginnt Smithson im Sinne eines fachübergreifenden Diskurses und mit der Absicht, sein eigenes Fachgebiet zu erweitern, die Grenzen zwischen Kunst, Architektur und Infrastruktur aufzulösen. Auch sein Ansatz beruht darauf, das «ästhetische Potenzial» gross angelegter Bauvorhaben zu erkunden. Der Aufsatz «Towards the Development of an Air Terminal Site», den Smithson 1967 in Artforum veröffentlicht, wird von fotografischen Aufnahmen diverser Infrastrukturbaustellen begleitet.4 «Durch die Untersuchung der physischen Formen solcher Projekte kann man unerwartete ästhetische Informationen gewinnen», schreibt Smithson. Während des Bauprozesses eines Staudammes, einer Speicheranlage oder einer Landebahn entstehen Formen enormer Kraft, die in jeder Phase der Ausführung «eine ganze Serie von Kunstwerken» bilden. Diese durch den Gebrauch determinierten Architekturen weisen eine Syntax auf, die durch die «Sprache» des «Bauens» bestimmt wird. Es sei diese Sprache, die zu neuen Möglichkeiten kreativer Produktion und damit ästhetischer Rezeption beitragen kann. Um Kunst herzustellen, könnte ein Künstler «statt eines Pinsels einen Bulldozer benutzen». Obwohl Le Corbusiers und Smithsons Ansätze auf die Realität des Bauens eingehen und diese als Anlass nehmen, um dem Aspekt des formalen Ausdruckes in der Architektur und der Kunst nachzugehen, scheinen diese Versuche von einer neuen Realität überholt worden zu sein. Die zeitgenössische Flughafenarchitektur entwickelt sich entlang anderer Achsen, die – dem heutigen Zeitgeist entsprechend – auf eine überraschende, aber dennoch problematische Art Ästhetik und Realität zueinander in Beziehung setzen. Zwei Positionen können grundsätzlich unterschieden werden: Während die

erste Fragen der architektonischen Gestalt sozusagen ausklammert, beruht die zweite darauf, genau diese Absenz der Form zu kompensieren. Die Ästhetik des Gewöhnlichen

Am Rande grossstädtischer Agglomerationen gelegen, gehören Flughäfen einer Kategorie von Anlagen an, die in den letzten Jahrzehnten vielerorts und in kürzester Zeit gleichsam aus dem Nichts entstanden sind. Diese quantitative Zunahme einer für das Fachgebiet der Architektur verhältnismässig neuen Bauaufgabe scheint jedoch in qualitativer Hinsicht eher wenig verheissungsvolle Beiträge geleistet zu haben. Obwohl als das Tor zur Welt bezeichnet, scheint der Flughafen als Gebäudetypus einer Anonymität zu verfallen, die Unterschiede jeder Art nivelliert. Ob der Flughafen von Frankfurt, Los Angeles oder Tokyo: Sie sehen alle gleich aus. Regionale Eigenheiten sind nur an den Sprachen der Personenleitsysteme oder Souvenirs zu erkennen, die am Kiosk zum Kauf angeboten werden. Banalität und Eigenschaftslosigkeit sind die vorherrschenden Merkmale einer im internationalen Kontext zur Norm erklärten Architektur. Wenn der Betrachter im Zustande der Zerstreuung von diesen Architekturen eingenommen und seiner Sinneswahrnehmung nahezu beraubt wird, dann geschieht dies gewissermassen als Folge dessen, was Peter Fischli und David Weiss in ihrer Fotosequenz Airports darzustellen versuchen.5 Ohne einen bestimmten künstlerischen Eingriff zu vollziehen, werden Flughäfen als objets trouvés unserer Zivilisation als das präsentiert, was sie sind. Das routinemässige Geschehen auf dem Flugfeld wird in fotografischen Aufnahmen unverfälscht festgehalten. Diese kommentarlos aneinander gereihten Bilder der Spezies Flughafen, eine Darstellungsart, die in ihrer Persistenz an eine Sammlung eines kulturanthropologischen Museums erinnert, sprechen einen Zustand an, welcher der heutigen Gesellschaft mehr denn je eigen ist.6 Fischli und Weiss, die sich als «Kanalisationsarbeiter der Gesellschaft» bezeichnen, machen sich zur Aufgabe, genau diese von ihr produzierten, dennoch von unserer Wahrnehmung verdrängten

2 Robert Smithson: Pine Flat Dam, Sacramento, Kalifornien; (Abb. 2 – 3: Fotografien aus «Towards the Development of an Air Terminal Site», «Artforum», 1967) 3 Robert Smithson: Bauplatz für das Fundament eines Staudamms, Texas

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Fliegen, das galt seinerzeit nicht nur als Faszination für Passagiere, sondern auch für jene, die sich am Rand des Rollfelds versammelten, um zuzuschauen. Der Blick über das Flugfeld war das Motiv des Restaurantgebäudes für den Flughafen Halle-Leipzig, das Hans Wittwer 1929 – 1931 errichtete. In diesem Jahr jährte sich am 19. März Hans Wittwers Todestag zum fünfzigsten Mal – Anlass genug, sein zerstörtes Meisterwerk wieder in Erinnerung zu rufen.

Fliegen und Rasten Hans Wittwer, Flughafen-Gaststätte Halle-Leipzig, 1929 – 1931 Eva Maria Froschauer

Verstand Hans Wittwer sich als der «zweite Mann»? Gab er tatsächlich wenig darauf, nach den berühmt gewordenen und gemeinsam mit Hannes Meyer bestrittenen Wettbewerben Petersschule Basel und Völkerbundpalast Genf auch für die Bundesschule des ADGB in Bernau als Mitautor genannt zu sein? War ihm die Rolle des «Handwerkers» genehmer als jene des Propagandisten für das Neue? So zumindest vermutete es Julius Posener in der einzig grösseren Gesamtdarstellung zu Wittwer, die gleichwohl ein schmales Bändchen ist.1 Heute ist Wittwer auch für den programmatischen Schulbau unweit Berlins als ein gleichwertig Entwerfender und Ausführender rehabilitiert, das Baudenkmal wird neuerdings als Meyer /Wittwer-Bau geführt.2

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Fest stehe, um noch einmal Posener zu zitieren, Wittwer habe seine eigene, kleine Berühmtheit gehabt, er sei einmal der Mann der Stunde gewesen. Und dies brachte ihm das Flughafenrestaurant in Halle-Leipzig ein. Gerade noch, bevor Hans Wittwer sich den Fragen des Bauens im heraufdämmernden Totalitarismus entziehen sollte, von seiner Arbeitgeberin, der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, 1933 entlassen wurde und sein architektonischer Lebenslauf daheim in der Schweiz unverstanden und verblassend endete. Sieht man also von Wittwers Teilhabe an der Bernauer Schule in Entwurf, Detailplanung und Umsetzung ab, war sein herausragendes gebautes Hauptwerk das Flughafenrestaurant. Und dieses hatte sich nach seiner Zerstörung En-


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de des Zweiten Weltkriegs als eine Ikone in das weite Gedächtnis der Architekturgeschichte eingebrannt. Schon zur Fertigstellung 1931 war Wittwer vom grossen modernen Geschichtsbegleiter Sigfried Giedion als ein hoffnungsfrohes Zeichen unter den ansonsten vereinzelten und zerstreuten Talenten Deutschlands am Massstabe Marcel Breuers gemessen worden.3 Julius Posener, der Methusalem der Architekturgeschichte, der oft genug auf jene Generation der Modernen reflektierte, der er selbst angehörte, erinnerte sich auch in den Achtzigerjahren noch an seine damalige Begeisterung für den schnittigen, kompromisslosen Glaskasten in Schkeuditz, über den er einmal schrieb: «Der Bau spricht übrigens für sich: bei

einer solchen Durchsichtigkeit ist der Plan und die Einrichtung ohne weiteres von den Bildern abzulesen. Was man aber beim Ansehen der Bilder spürt, ist, dass der Bau, obgleich er doch wirklich nicht Stimmungsarchitektur sein will, so intensiv ‹Flugplatz› ist, wie keiner, den man sonst kennt.»4 Bautyp ohne Typus

Für Wittwers Leistung in Halle-Leipzig hat die Arbeit des Spiritus rector der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein massgeblich vorbereitend gewirkt. Paul Thiersch, Sohn des August und Neffe des Friedrich von Thiersch, war die architektonische Autorität der Hallenser Schule. Gleichzeitig trat er mit einem Engagement seiner Anstalt in der Stuttgarter

1 Ansicht des Flughafenrestaurants (Sämtliche Abbildungen aus dem Nachlass Hans Wittwer, Archiv gta, ETH Zürich) 2+ 3 Entwürfe für das Verwaltungsund Abfertigungsgebäude, Sommer 1929 Blicke von Süden sowie Nordwesten 4 Projekt für die Flughafenerweiterung, Grundriss, Oktober 1929 5 Entwurf für das Verwaltungsgebäude, Oktober 1929

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Als «Jet-Age Icon» bezeichnete Philip Johnson unlängst das TWA Terminal von Eero Saarinen. Doch dem Architekten war nicht nur ein bildhaftes Zeichen für das Luftfahrtzeitalter gelungen, sondern auch die Synthese der widerstreitenden Pole Funktionalität und Expressivität. Nun ist das Gebäude bedroht, das funktional die Terminalarchitektur revolutionierte.

Expression und Funktion Das TWA Terminal von Eero Saarinen in New York Ahmed Sarbutu

Das Terminal, das Eero Saarinen für die Fluggesellschaft TWA zwischen 1956 und 1962 auf dem Idlewild Airport in New York (dem heutigen John F. Kennedy Airport) errichtete, gilt als Meilenstein der Luftfahrtarchitektur und zudem als Inkunabel der Architekturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die vier gewölbten Tonnenschalen aus Beton, welche von vier Y-förmigen Stützen getragen werden und die nach aussen geneigten Glaswände überfangen, erinnern zweifelsohne an das Bild eines Vogels mit ausgestreckten Flügeln – Saarinen selbst nutzte die visuelle Metapher zunächst, um sie später allerdings strikt von sich zu weisen. «To express the drama and specialness and excitement of travel», beschrieb der Architekt seine Absicht in wesentlich allgemeineren Worten. Bewundernswert ist dabei, in welchem Masse es gelang, den eleganten Schwung der Grossform auch im Inneren aufzugreifen – bis hin zu den kleinsten Details. Saarinen selbst sprach von einem «fully-designed environment, in which each part arises from another and everything belongs to the same formal world». Während der Architekt sich mit seinem ersten grossen Bau, dem «General Motors Technical Center» in Warren (1947–1949), noch ganz in jenen Bahnen bewegte, die Mies van der Rohe mit seiner Haut-und-KnochenArchitektur geebnet hatte, suchte er mit der Schale des Kresge Auditorium in Cambridge (1950 –1955) den Weg zu einer expressiven Architektur. Die Kritik, die Saarinen am banalen Funktionalismus der Zeit äusserte, ist luzide: Standardisierung optimiere zwar die Art, wie ein Gebäude hergestellt werde, nicht aber notwendigerweise auch dessen Funktionsweise. Das TWA Terminal bewies auf das Überzeugendste, dass die expressive Eleganz sich sehr wohl mit der Nutzung vertrug. Der (deutsche) Expressionismus der frühen Zwanzigerjahre hatte sich auf eine Ideenarchitektur beschränkt; die kristalline und astrale Metaphorik war ein Vorschein ferner Welten, über jede prosaische Nutzung erhaben. Als wenige Jahre später die Utopien verblassten, gerieten die Zacken und Schwünge zum Applikationsdesign. In Idlewild nun führte Saarinen beide Pole zu einer grossartigen Synthese: Er schuf eine Schalenkonstruktion, welche die grandiosen Bahnhofshallen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts in eine neue Dimension transponierte, und realisierte ein Funktionskon32 archithese 5.02

zept, welches bahnbrechend wirkte. Insbesondere zählte die seinerzeit neuartige Trennung der Verkehrsströme durch eine unter der Passagierebene befindliche Gepäckebene zu den wesentlichen Innovationen. Überdies führte Saarinen mit den conveyor belts für das Gepäck, den beiden Satellitenterminals sowie den Röhren der jetways Neuerungen ein, die bald als Standard übernommen wurden. Düsenjets benötigten deutlich mehr Platz zum Rangieren als Propellerflugzeuge, so dass sich die Notwendigkeit ergab, grössere Stellflächen zu reservieren. Mit der Entwicklung des Satellitenterminals ergab sich die Möglichkeit, Flugsteige und Abfertigungsgebäude räumlich voneinander zu trennen und architektonisch unterschiedlich zu behandeln. Da die Flugzeuge das Hauptgebäude seither nicht mehr unmittelbar umstanden, blieben Veränderungen der Luftfahrttechnologie oder des Verkehrsaufkommens fortan ohne gravierende Auswirkungen auf die zentralen Abfertigungsbereiche. Eero, der 1910 geborene Sohn Eliel Saarinens, erlebte die Eröffnung des TWA Terminals ebenso wenig wie die des Dulles International Airport bei Washington: 1961 starb er in Ann Arbor. Restrukturierung des Airports

Wer heute nach JFK kommt, sieht das Terminal als Lagerhalle zweckentfremdet. Die Übernahme von TWA durch American Airlines bedeutete für das Gebäude das definitive Aus seiner einstigen Bestimmung. Eine Weiternutzung, so wünschbar sie auch wäre, scheint unmöglich: Den jetzigen Sicherheitsanforderungen entspricht das Terminal nicht, und überdies ist es – seinerzeit mit seinen Satellitenterminals für die Abfertigung von Flugzeugen der Baureihe 707 konzipiert – angesichts heutiger Maschinen viel zu klein. Defizite aus gegenwärtiger Sicht sind auch das Fehlen eines Vordachs sowie die nicht vorhandene Trennung von Departure- und Arrival-Bereichen – üblich sind heute drei Ebenen. Vermutlich wird sich die Forderung der rührigen New Yorker Municipal Art Society (MAS ), die ursprüngliche Nutzung beizubehalten, daher als unrealistisch erweisen – auch wenn eine Weiternutzung die historische Bausubstanz am besten und am überzeugendsten zu bewahren vermöchte.


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4 1 Vorfahrt mit Hauptgeb채ude, historische Ansicht 2 Vorfahrt mit Hauptgeb채ude, Ansicht im Jahr 2000 (Foto: Ahmed Sarbutu) 3 Haupteingang, historische Ansicht 4 Schematische Ansicht des Innenraums

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Einen der überzeugendsten Flughäfen der jüngsten Zeit errichtete Norman Foster in Stansted bei London. Ein modulares Dachtragwerk überfängt eine Halle, in der sämtliche für Passagiere relevanten Bereiche vereint sind. An die Stelle labyrinthischer Terminalanlagen tritt hier räumliche Klarheit, die Orientierung erlaubt und die übliche Desorientierung innerhalb von Flughafenbauten verhindert.

Alles auf einer Ebene Foster and Partners: Stansted Airport, 1987 – 1991 Hubertus Adam

In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Londoner Flughäfen auf fünf erhöht. Lange Zeit, schon seit 1953, war die Landebahn Stansted, nordöstlich der Hauptstadt in der Grafschaft Essex gelegen, als dritter Flughafen vorgesehen. Doch erst Norman Foster, seit 1981 in das Projekt involviert, entwickelte ein Konzept, das dann zwischen 1987 und 1991 realisiert wurde. Wer sich jemals durch die unübersichtlichen Innereien der Flughäfen Heathrow oder Gatwick gequält hat, wird den von Liverpool Street Station oder Tottenham Hale mit der Vorortbahn zu erreichenden Airport zu schätzen wissen. Vom unterirdischen Bahnhof aus gelangt man via Lift und Rolltreppe direkt in die Haupthalle, in der sämtliche Funktionen versammelt sind: Check-in und Shopping, Immigration und Customs, Security, Departure und Arrival. Während die meisten anderen Flughäfen auf die Organisation einer Trennung der Verkehrsströme auf verschiedenen Ebenen und die räumliche Differenzierung der Funktionsbereiche setzen, findet sich in Stansted nahezu alles unter einem Dach. Diese setzt sich aus elf mal elf quadratischen Dachmodulen zusammen,

die von baumartigen Stahlrohrkonstruktionen getragen werden. In und an den Stützen sind sämtliche technischen Einrichtungen untergebracht – Lüftungssystem, Bildschirme, Displays, Versorgungsschächte, Lichtquellen. Der klare Raster der in einer Höhe von 12 Metern über den Passagieren schwebenden, mit einer weissen Membran bespannten Dachkonstruktion trägt zur Übersichtlichkeit bei, ebenso aber die Verglasung des Gebäudevolumens. Man blickte auf Landebahn und Rollfeld und konnte Innen- und Aussenraum überblicken, wo immer man auch stand. Allerdings ist der transparente Charakter durch spätere Einbauten heute entstellt. Eine Monorail, die flugfeldseitig vor dem Terminal hält, führt unterirdisch zu den zwei (von geplanten vier) Satellitenterminals mit ihren jeweils acht Gates.

Architektur: Foster Associates; Tragwerksplanung: Ove Arup & Partners, London; Auftraggeber: Airports Authority/Stansted Airport Ltd.

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3 1 Detail Aussenansicht 2 Detail Dachkonstruktion

3 Nachtansicht 4 Funktionskonzept des Flughafenterminals Alle Passagierbereiche sind auf einer Ebene organisiert

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Mit dem neuen Chep Lap Kok Airport ist auf einer weitgehend künstlichen Insel vor Hongkong einer der grössten Flughäfen der Welt entstanden. Der passionierte Pilot Norman Foster übertrug hier sein in Stansted erprobtes Konzept in neue Dimensionen: Kurze Wege kann das 1200 Meter lange Terminal nicht garantieren, wohl aber Aufenthaltsqualität. Dank einer modularen Dachkonstruktion bleibt der Blick auf Rollfeld und Landebahn unverstellt.

Modularität in grosser Form Foster and Partners: Hong Kong International Airport, 1992 – 1998 Francesco Kleeblatt

Der Landeanflug in einer waghalsigen Kurve auf Kai Tak war eines der beeindruckendsten Schauspiele, die ein Flugzeugpassagier erleben konnte: Mit den Tragflächen nahezu die wuchernde Hochhausbebauung von Kowloon streifend, setzte die Maschine schliesslich auf der in die Kowloon Bay ragenden kurzen Landebahn auf. Für dieses Erlebnis entschädigt seit 1998 ein von Foster and Partners entworfener Flughafen auf der Insel Chep Lap Kok, der mit einer eigens angelegten Schnellbahn von Kowloon aus in zwanzigminütiger Fahrt zu erreichen ist. Mitten im innerstädtischen Bereich des Archipels Hongkong gelgen, bot Kai Tak keine Chancen zur Erweiterung, ganz abgesehen davon, dass Starts und Landungen über den dichten Wohnquartieren auf Dauer nicht tragbar waren. Das Projekt eines neuen Flughafens wurde massgeblich von der seinerzeitigen britischen Kolonialverwaltung lanciert, welche verpflichtet war, die Einkommensüberschüsse der Kronkolonie im Land zu investieren – man wollte dem an China zurückfallenden Hongkong mit einem Hub zu einer exzeptionellen infrastrukturellen Position im südchinesischen Raum verhelfen. Geplant wurde der neue Airport in grössten Dimensionen: Berechnungen für die finale Ausbaustufe beruhten auf der Basis von 87 Millionen jährlichen Passagieren, so viele wie in London Heathrow und JFK zusammen. Wie in Osaka wurde Chep Lap Kok auf vorwiegend künstlichem Grund im Meer errichtet. Die namensgebende kleine, unmittelbar nördlich von Lantau gelegene Insel, ursprünglich mehr als 100 Meter hoch, wurde bis auf sieben Meter abgetragen, der Schutt zur Erweiterung des Terrains benutzt, auf dem sich nun der Flughafen befindet. Foster gelang es, sein in Stansted erprobtes Konzept eines transparenten Flughafens in den grossen Massstab zu übersetzen. Auch hier handelt es sich um eine vereinheitlichende Dachstruktur, die frei von Installationen ist. An die Stelle der quadratischen Kuppeln treten jedoch gewölbte Tonnen in einheitlicher Ausrichtung, die Empfangsgebäude, Concourse und Flugsteige gleichermassen überfangen und die natürlich belichtet sind. Vom «Ground Transportation Centre» im Osten aus gelangen die Passagiere zunächst in die «East Hall», die derzeit als grösster «airport retail space» in der Welt gilt. Von hier aus führt der Concourse in Y-Form zu

den insgesamt 38 Gates. Ein Satellitenterminal in X-Form soll als zweiter Bauabschnitt auf dem Vorfeld errichtet werden. Mit dem neuen Flughafen, der zwischen den beiden Startund Landebahnen eingespannt ist, konnte Foster ein Konzept von extremer Funktionalität realisieren, das sich aufgrund seiner visuellen Durchlässigkeit als benutzerfreundlich erweist. Überdies besitzt es optische Signifikanz auch beim Anflug – eine ästhetische Komponente, die bei vielen Flughäfen vernachlässigt wird.

Architekten: Foster and Partners, London; Directors: Norman Foster, Ken Shuttleworth, Graham Philips, Donald Choi, Grant Brooker, Mouzhan Majidi, Robin Partington, Winston Shu; Project Directors: Brian Edes, Brian Timmoney, John

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Small, Mike Jeliffe, Richard Hawkins; Associates: Jonathan Parr, Ken Wai, Martin Riese, Paul Casey, Stephen Trstenjak; Structural Engineering: Ove Arup and Partners; Auftraggeber: Hong Kong Airport Authority.


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3 1 Entwurfsskizzen von Norman Foster 2 Schnitt durch das Abfertigungsgeb채ude 3 Inneres der Arrivals Hall

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Architektur aktuell Foster and Partners, Musée de la Préhistoire des Gorges du Verdon, Quinson, Frankreich, 1992–2001 Texte français pp. 55 – 56

High Tech in der Höhle Das grösste Museum für Vorgeschichte Europas, das im letzten Frühling eröffnete Musée de Préhistoire des Gorges du Verdon von Norman Foster and Partners, liegt am Rande des mittelalterlichen Dorfes Quinson. Der linsenförmige Neubau greift lokale traditionelle Bautechniken auf und fügt sich in die bewegte Topografie des Ortes ein. Zugleich evoziert er im Innenraum die steinzeitlichen Höhlen, deren archäologischer Erforschung und Dokumentation er gewidmet ist.

Beim neuen Museum für Vorgeschichte kontrastiert eine konkav gekrümmte, ockerfarbige Trockenmauer mit einer gegenteilig geschwungenen Betonfassade. Es ist eine sorgfältig formulierte Antwort auf die historische Bausubstanz des mittelalterlichen Dorfes Quinson, welches etwa hundert Kilometer landeinwärts von der Côte d’Azur entfernt in der kargen, von Schluchten zerklüfteten Tafellandschaft der Haute Provence liegt. Vom 350-Seelen-Dorf Quinson aus ist der Neubau am Ortsrand praktisch nirgends sichtbar. Nur wer den Felsen, die falaise, im Rücken des Ortes besteigt, entdeckt die markante Form: die Linse oder riesige Meerschnecke, wie die Dorfbewohner sagen. Der Grundriss des Gebäudes ist auf der Schnittfläche zweier Kreise aufgebaut. Die bergseitige Fassade setzt eine alte Stützmauer fort, die den Eingang ins Dorf markiert, und symbolisiert den Einschnitt in einer von Schluchten durchfurchten Landschaft. Ur- und Vorgeschichte In den Gorges du Verdon, einer Wiege der Menschheit, wimmelt es von Höhlen, die während der letzten vierhunderttausend Jahre Menschen Zuflucht boten. Die Vorgeschichte des Museums begann Anfang des 20. Jahrhunderts, als ein Priester zufällig die ersten Pfeilspitzen entdeckte; doch erst nach 1945 förderten Wissenschaftler Tausende von Gegenständen aus prähistorischer Zeit zu Tage. Dann blieb es wieder eine Zeit lang still, bis Archäologen in den Sechzigerjahren – die Electricité de France plante, den Verdon zu nutzen – Ausgrabungen durchführten. Unter der Leitung von Henri de Lumley, damals Professor am Musée National d’Histoire Naturelle in Paris, und seiner Equipe wurden an die sechzig Fundstätten ausgegraben und ausgewertet. Als 1974 die Staumauern gebaut waren, kamen ein Dorf sowie etwa ein Dutzend steinzeitlich genutzter Höhlen unter den vierzig Meter höheren Wasserspiegel zu liegen. Das ist auch der Grund, warum ausgerechnet an diesem Standort ein Museum errichtet wurde – in einer Region, in der die Abwanderung die Dörfer leer fegte und die Felder verödeten. 58 archithese 5.02

Nachdem das «archäologische Mobiliar» zwei Jahrzehnte lang vor sich hin geschlummert hatte, wuchs der Wunsch in der Bevölkerung, die Fundstücke sichtbar zu machen. Als 1986 zwei Mitglieder des Gemeinderates von Quinson den Bau eines Museums vorschlugen, beschloss dieser, dafür ein grosses Stück Land zu erwerben. Henry de Lumley nahm die Idee auf und erstellte einen Forderungenkatalog, der als Grundlage für den 1990 ausgeschriebenen internationalen Architekturwettbewerb diente. Den ersten Preis erhielt 1992 das Projekt von Norman Foster and Partners in Zusammenarbeit mit dem Museumsfachmann Bruno Chiambretto. Den grössten Teil der Baukosten von 66,2 Millionen FF (rund 25,5 Millionen Euro) übernahm die öffentliche Hand: das Département des Alpes de Haute Provence, der Conseil Général des Nachbar-Département Var, der Conseil Régional, das nationale Kulturministerium (noch unter Mitterrand) sowie die Europäische Union. Lektüre der Landschaft und des Ortes Das bergseitig zwei- und talseitig dreistöckige Gebäude auf dem linsenförmigen Grundriss umfasst eine Nutzfläche von 4274 Quadratmetern. Dabei evozieren die konkav und konvex gekrümmten Fassaden aus der Vogelperspektive das Bild eines Auges in der Landschaft. Der Entwurf zeichnet sich aus durch eine einfache Lesbarkeit der Formen und durch bildhafte Anspielungen sowie durch die Verwendung klar identifizierbarer Materialien: Steine aus der Umgebung, im Ton abgestimmter Sichtbeton und galvanisierter Stahl und Glas. Am deutlichsten thematisiert die mächtige Trockenmauer aus ockerfarbigen Kalksteinen den Bezug zur Umgebung. Indem sie den Hang gegen Norden stützt, bildet sie einerseits einen schluchtähnlichen Einschnitt in die Landschaft; andererseits führt sie die bestehende Stützmauer am Dorfrand fort, womit der Dorfeingang und die Haupterschliessungsachse neu definiert werden. Ein weiterer Aspekt ist die klare Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum: Der weit offene Vorplatz mit den wellenförmigen


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