archithese 5.06 - Genossenschaft, Gemeinschaft / Cooperative, communauté

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Leserdienst 132

5.2006

Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

Strategien der Wohngenossenschaften in Zürich

Revue thématique d’architecture

Neue Genossenschaftsbauten Revisited: Wohnungsbau in Deutschland Neue Genossenschaftskonzepte in Deutschland Gemeinsam bauen: Baugruppen und Baugemeinschaften Nach der Deregulierung: Wohnbau in den Niederlanden Council Housing in England Ateliers Jean Nouvel Guthrie Theater, Minneapolis Herzog & de Meuron Transforming Tate Modern Kazuo Shinohara Der schwarze Raum

Genossenschaft, Gemeinschaft Cooperative, communauté

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archithese 5.2006

Büro braucht Bene.

Genossenschaft, Gemeinschaft, – Coorperative, communauté

archithese


EDITORIAL

Wohnen: Genossenschaft – Gemeinschaft – Gesellschaft In Zürich zählen Genossenschaften zu den Motoren des zeitgemässen Wohnungsbaus. Die vorhandenen Baubestände stammen zumeist aus den Zwanziger- bis Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, und daher sehen sich die Genossenschaften mit zwei Problemen konfrontiert: Einerseits bedürfen viele der Wohnungen einer Sanierung, andererseits entsprechen viele Grundrisse nicht mehr den heutigen Wünschen – zumindest nicht den Wünschen der avisierten Klientel. Da sich der pro Kopf beanspruchte Wohnraum (nicht nur in der Schweiz) in den letzten drei Dezennien verdoppelt hat, ist eine Standard-Dreizimmerwohnung mit 60 Quadratmetern für Familien nicht mehr attraktiv. Um für breite Bevölkerungsgruppen ihre Anziehungskraft zu behalten, wollen einige Genossenschaften mit grosszügigen, mitunter auch unkonventionellen Wohnungen neue Kundensegmente erschliessen. Das geschieht zum Teil durch Zusammenlegung von Einzelwohnungen bei der Sanierung von Altbauten, vor allem aber im Bereich des Neubaus. Die Idee der Genossenschaft, die sich heute zumeist ideologiefrei präsentiert, wird auch in Nachbarländern der Schweiz wieder belebt. Beispielsweise in Deutschland, wo durchaus auch gesellschaftsintegrative Projekte modellhaft erprobt werden. Noch aktueller indes ist ein anderes Konzept: das der Baugruppe oder Baugemeinschaft. Wem weder der Sinn nach einem Einfamilienhaus am Stadtrand noch nach einer überteuerten Eigentums- oder Mietwohnung steht, der tut sich mit seinesgleichen zusammen, sucht sich einen Architekten und realisiert ein gemeinsames Bauvorhaben. Das Postulat der Genossenschaften, der Spekulation den Kampf anzusagen, findet gleichsam mit personeller Minimalbesetzung seine Umsetzung. Die Grenzen zwischen Baugruppen und Genossenschaften können dabei fliessend sein, wie das vorbildliche Projekt «Sargfabrik» von BKK-3 in Wien belegt. Zu sprechen ist in diesem Heft indes auch von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die inzwischen von den Städten – ob in Deutschland, den Niederlanden oder in England – wahlweise als Last oder als Verkaufsmasse angesehen werden. Der Effekt ist der gleiche: Der kommunale Wohnungsbestand gelangt in die Hände privater Investoren.

Redaktion

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pool Architekten: Wohnüberbauung in Zürich-Leimbach, 2005 (Foto: Arazebra, Andrea Helbling)



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FRISCHER WIND IM WOHNUNGSBAU Strategien von Wohngenossenschaften in Zürich Der genossen-

mige Entrées, der damals eher ungewöhnliche Luxus von Ba-

schaftliche Wohnungsbau ist in Bewegung: Neue Wohnsiedlungen

dezimmern und gedeckte Sommerveranden bringt dies zum

von Patrick Gmür, Bünzli Courvoisier, EM2N oder Pool Architekten

Ausdruck, sogar Dienstmädchenzimmer waren Teil des An-

zogen in den letzten Jahren das erstaunte Interesse der Öffentlichkeit auf sich: Zürcher Baugenossenschaften zeigten sich innovativ und risikofreudig.

gebots. Wichtig war den Gründern jedoch ein Gedanke, der seither das genossenschaftliche Bauen in Zürich prägt: Die Häuser sollten für immer «der Spekulation entzogen» werden, das heisst im gemeinsamen Eigentum der Mieterinnen und Mieter verbleiben und zu Selbstkostenpreisen vermietet werden. Individualismus charakterisierte auch andere ge-

Text: Daniel Kurz

nossenschaftliche Wohnprojekte vor dem Ersten Weltkrieg:

Jahrzehntelang hatte sich der gemeinnützige Wohnungsbau

Das Bergheim beim Klusplatz (1910), wie der benachbarte

am Bau von normierten Wohnungen für normierte Bedürf-

Kapf (1914) von den Gebrüdern Pfister erbaut, ist eine kleine

nisse orientiert. Doch in den letzten Jahren ist die Szene in

Gartenstadt, die Behaglichkeit und familiäre Privatheit at-

Bewegung geraten und neuere Bauprojekte atmen einen

met. Die Siedlung war hier als antiurbanes Manifest gedacht,

neuen Geist.

das Einfamilienhaus als Gegenmodell zur verpönten Mietskaserne der Innenstadt.

Selbsthilfeprojekte und Massenwohnungsbau

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Die grosse Wohnungsnot am Ende des Ersten Weltkriegs

Am Anfang der Genossenschaftsbewegung stand der Ge-

stellte den genossenschaftlichen Wohnungsbau vor ganz

danke der Selbsthilfe. In ihrer Pionierzeit vor dem Ersten

neue Aufgaben. Mit der Baugenossenschaft des Eidgenössi-

Weltkrieg schufen sich die meist mittelständischen Initianten

schen Personals (BEP ) und der Allgemeinen Baugenossen-

Wohnraum, der durch Grosszügigkeit, Individualität und Ex-

schaft Zürich (ABZ ) traten Selbsthilfeorganisationen der Ar-

perimentierlust überrascht. Mitglieder des eben gegründeten

beiterschaft auf den Plan, die sich anschickten, Wohnungsbau

Zürcher Mietervereins gründeten 1892 die Zürcher Bau- und

für die grosse Masse der Menschen mit kleinem Einkommen

Spargenossenschaft und bauten entlang der Sonneggstrasse

zu betreiben und dank Gewinnverzicht die private Spekula-

eine mittelständischen Wohnüberbauung (1893–1897, Hein-

tion aus dem Markt zu drängen. «Sozialer Bodenbesitz und

rich Ziegler, Jakob Rehfuss). Die Backsteinzeilen entsprechen

sozialer Häuserbau», prophezeite die ABZ 1923, werde bald

äusserlich und im Grundriss dem damaligen Standard bür-

den Kapitalismus im Wohnungsmarkt ablösen. Dass die ABZ

gerlicher Wohnarchitektur. Getäfelte Wohnzimmer, geräu-

von ihren Mitgliedern nur 25 Franken Kapitalbeteiligung


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forderte, die in monatlichen Raten von 20 Rappen einbezahlt

zusammen. Badezimmer, vor dem Ersten Weltkrieg noch sel-

wurden, verschaffte ihr innerhalb kürzester Zeit Tausende

ten, wurden ebenso rasch zum Standard wie die Zentralhei-

von Mitgliedern, und bald entstanden grosse Arbeitersied-

zung. Das gesellschaftliche Umfeld unterstützte die Durch-

lungen am Röntgenplatz, im Sihlfeld und an den Peripherien

setzung der Normwohnung, denn die Einkommen und Haus-

der Stadt. Die schlichten Lochfassaden und schweren Walm-

haltsformen der Lohnabhängigen unterschieden sich wenig;

dächer verkörpern die Idee kollektiver Solidarität. Der Block,

«intakte» Familien mit wenigen Kindern waren verbindliche

nicht das Einzelhaus bildet die städtebauliche Einheit; hori-

Norm, und die Auffassungen von einem guten und anständi-

zontale Elemente wie die umlaufenden Gurtgesimse und

gen Leben waren im Vergleich zu heute recht einheitlich.

bandartig aufgereihten Fenster betonen die Grossform. Kräf-

Die zweite Bauwelle der Baugenossenschaften in den

tige Farben und figürliche Malereien oder Reliefs lösten die

Vierzigerjahren folgte vermehrt dem Paradigma der Garten-

Fassadenornamentik der Vorkriegszeit ab.

stadt, war aber wie die erste vom vereinheitlichenden Druck der Kosten geprägt. Den besten Architekten der Zeit gelang

Die Normwohnung

es, selbst korridorlose Wohnungen von 55 Quadratmetern

Der genossenschaftliche Wohnungsbau wurde seit 1918 zu

noch einigermassen geräumig erscheinen zu lassen. Die grü-

einem tragenden Pfeiler der Wohnungsversorgung. Sein Pro-

nen, sauberen und wohlgeordneten Stadtrandsiedlungen

gramm war bestimmt von der städtischen Förderungspolitik

weckten in ihrer Massenhaftigkeit jedoch schon um 1950 Be-

einerseits, von enormem Kostendruck anderseits, denn es

denken, und in den frühen Fünzigerjahren wurde da und dort

sollte erschwinglicher Wohnraum entstehen. Das Resultat

nach Differenzierung und Individualisierung gestrebt: Die

war die gezielte Verkleinerung und Vereinheitlichung des

Durchmischung von subventionierten und freitragenden

Wohnungsgrundrisses: Eine tausendfach in ähnlicher Form

Wohnungen war dazu ein Mittel, der Einbau von Künstler-

gebaute «Normwohnung» von 55 bis 65 Quadratmetern

ateliers ein zweites. Mit den 1951 und 1954 erbauten Hoch-

setzte sich durch. Ihr Zuschnitt war vom Gedanken geprägt,

häusern im Heiligfeld (Albert H. Steiner) machte sich der

die Arbeiter zu gehobener Wohnkultur zu erziehen. Zim-

öffentlich geförderte Wohnungsbau erstmals auch die Klein-

mergrösse und Zimmerzahl waren bewusst knapp angesetzt,

wohnung für kinderlose Paare oder Singles zur Aufgabe.

1 Ästhetik des Kollektivs, der Block als städtebauliche Einheit: Kolonie Letten 1 der Baugenossenschaft BEP an der Rousseaustrasse (Wipkingen), Peter Giumini 1921 (Fotos 1–3: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich) 2 Normwohnungsbau der Nachkriegszeit: VitasanaKolonie Wallisellenstrasse (Schwamendingen) am öffentlichen SaatlenGrünzug, Hans Hochuli 1945

um die Aufnahme von familienfremden Untermietern zu verhindern. Die Küche war so eng konzipiert, weil die Arbeiter

Differenzierung nach innen

lernen sollten, im Wohnzimmer zu essen. Stattdessen dräng-

Die Grosssiedlungen der Sechziger- und Siebzigerjahre, die

ten sich die meisten Familien zum Essen doch in der Küche

später so oft wegen ihrer Monotonie und Anonymität kriti-

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ZWEI ZU EINS Pfister Schiess Tropeano: Sanierung der Siedlung Kolonie Industrie 1, Zürich, 2006 Durch Zusammenlegung von kleinen Wohnungen sind in einem denkmalgeschützten Zürcher Genossenschaftskomplex grosszügige Raumstrukturen entstanden, die den Wünschen heutiger Bewohner besser entsprechen. Auf Grund der infolge hoher Investitionen steigenden Mieten sind derlei Vorhaben allerdings keinesfalls unumstritten.

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1. + 3. Obergeschoss

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Text: Hubertus Adam An der in weitem Bogen geführten Röntgenstrasse im Zürcher Kreis 5 – sie folgt der einstigen Streckenführung der Nordostbahn – befindet sich die erste Wohnsiedlung der 1910 gegründeten Eisenbahner-Baugenossenschaft Zürich, die nach der Fusion mit der PTT-Genossenschaft in Baugenossenschaft des Eidgenössischen Personals (BEP ) umbenannt wurde. Zwischen 1913 und 1915 errichteten die Architekten Eduard Hess und Peter Giumini im moderaten Reformstil der Zeit einen fünfgeschossigen Komplex, dessen leicht geschwungene Zeile sich in acht Gebäude gliedert und der zum Röntgenplatz hin eine Stirnseite ausbildet. Als mächtiges Volumen stellte er seinerzeit einen Massstabssprung innerhalb des Zürcher Wohnungsbaus dar; ein Grund dafür, dass er heute unter Schutz steht. Der Standard der kleinen Wohnungen entsprach dem seinerzeit üblichen, und so mussten Bäder in den Sechzigerjahren nachgerüstet werden; die Gemeinschaftsbäder im Keller liessen sich daraufhin eliminieren. Als Problem erwiesen sich indes die Wohnungsgrössen; die Siedlung umfasste 20 Zweizimmerwohnungen (48 Quadratmeter), 52 Dreizimmerwohnungen (60 Quadratmeter) und acht Vierzimmerwohnungen (85 Quadratmeter). Schon länger wurde eine grundlegende Sanierung der Siedlung ins Auge gefasst. Dabei diskutierte die BEP diverse Szenarien, unter anderem eine Beschränkung auf die Sanierung von Küchen und Bädern. Am Ende fällte man indes eine viel radikalere Entscheidung: eine Vergrösserung der Wohnungen durch Zusammenlegung. Dabei war mit Sorgfalt vor-

Dachlandschaft, ausserdem auf die hinsichtlich von Oberflä-

zugehen, um den Eingriff in die Substanz mit den Anforde-

chen und Farben im Sinne der Entstehungszeit wiederherge-

rungen der Denkmalpflege zu versöhnen. Einen unter drei

stellten Treppenhäuser. Nicht immer war der Dialog einfach,

Büros ausgelobten Studienauftrag im Jahr 2003 gewann das

und die hohen Anforderungen wirkten sich nicht zuletzt auf

Zürcher Büro Pfister Schiess Tropeano.

die Kosten aus. 3500 Franken wurden pro Quadratmeter

Ziel des Umbaus war nicht nur die nötige Werterhaltung der Immobilie, sondern vor allem auch die Schaffung eines di-

1 Ansicht der Hofseite mit den «Terrassenbäumen» (Foto: Giorgio Hoch) 2 Schema einer Wohnungszusammenlegung

Wohnfläche investiert – mit 2800 Franken hätte ein Ersatzneubau zu Buche geschlagen.

versifizierten Angebots an Wohungstypen. Insbesondere

Es ist verständlich, dass die neuen Wohnungen – aus

möchte die BEP Familien anziehen, die verstärkt vom Stadt-

80 wurden 50 – deutlich teurer sind als die vormaligen. Eine

rand in die innerstädtischen Quartiere ziehen, wenn sich

Vierzimmerwohnung mit 86 Quadratmetern kostet nun 1510

überzeugende Wohnungen finden lassen. Die Architekten er-

Franken pro Monat, eine Sechzimmerwohnung 2120 Franken.

zielten die Vergrösserung der Wohnfläche, indem sie jeweils

Die durchschnittliche Jahresmiete ist von 122 auf 202 Fran-

zwei Kleinwohnungen zu einer vereinten. Dabei wurden die

ken pro Quadratmeter gestiegen. Ein derartiges upgrade ist

bestehenden Brandwände durchbrochen – viele der neuen

auch innerhalb der Genossenschaften keinesfalls unumstrit-

Wohnungen erstrecken sich somit über zwei Häuser und

ten, denn billiger Wohnraum wird so eliminiert. Andererseits

besitzen Eingänge von zwei Treppenhäusern aus. Die kam-

bleibt der jetzige Mietzins für das attraktive Quartier und an-

merartige Reihung der zur Röntgenstrasse hin orientierten

gesichts des hohen Ausbaustandards überaus moderat.

3+4 Grundrisse vor und nach dem Umbau 5+6 Innenansichten zusammengelegter Wohnungen (Fotos: Pfister Schiess Tropeano)

Schlafräume blieb erhalten. Neu entstand zum Hof hin durch Entfernung der Mauern eine kombinierte Wohn- und Esszone mit offener Küche, die den Wohnungen eine ungewöhnliche Grosszügigkeit verleiht. Überdies haben die Wohnungen private Aussenräume erhalten. Viele profitieren von den vier «Terrassenbäumen» aus Beton, die als plastische Strukturen

Architektur: Pfister Schiess Tropeano & Partner Architekten AG, Zürich; Tragwerksplanung: APT Ingenieure AG ; Umgebungsgestaltung: Jürg Altherr, Schlieren; Ausführung: Unirenova, Renovationen und Umbauten, Zürich; Kunst am Bau: Jürg Altherr, Cristina Fessler; Auftraggeber: BEP, Zürich

die Hofseite akzentuieren; den Wohnungen im Mansardgeschoss wurden als Ausgleich Kompartimente der Dachterrasse zugeordnet. Die denkmalpflegerischen Arbeiten konzentrierten sich auf die Bewahrung der Fassade zur Röntgenstrasse und der

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Text: Doris Kleilein «Private Baugruppe sucht noch sechs von elf Mitmachern für eine Baulücke im Friedrichshain». Anzeigen dieser Art sind derzeit viele zu lesen in Berliner Stadtmagazinen. Bauwillige schliessen sich in Eigeninitiative zusammen, kaufen Grundstücke nicht etwa am Stadtrand, sondern mitten in der Innenstadt, und unterziehen sich einem gemeinsamen Planungsund Bauprozess. Architekturbüros, für die partizipatorische Planung kein Fremdwort ist, werden hinzugezogen oder sind in einigen Fällen auch Mitinitiatoren. Eine neue städtische Planungskultur formuliert sich, die weitestgehend ohne öffentliche Förderung auskommt. Anders als in anderen Städten gibt es in Berlin bislang eine Vielzahl von Entwürfen, aber nur wenige gebaute Beispiele. Doch das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Während die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reiher, auf dem letztjährigen Stadtforum das selbstorganisierte Wohnen in der Innenstadt noch als ein «ziemliches Luxusproblem» kaufkräftiger Mittelschichten abtat und auf die 25 000 Obdachlosen der Stadt verwies, angesichts derer die Diskussion um Deckenhöhen von mehr als drei Metern zynisch erscheinen muss, bemüht sich die Senatsverwaltung in diesen Tagen mit Hochdruck darum, eine Servicestelle für Baugruppen auf ihrer Internetseite einzurichten. Das Deutsche Architekturzentrum plant für den Winter die Ausstellung auf.einan-

der.bauen – Baugruppenprojekte in der Stadt, Wochenendseminare vermitteln Basiswissen für Architekten. Private Baugruppen, diese Erkenntnis setzt sich langsam auch in der 1

Hauptstadt durch, sind nicht nur ein zunehmend beschrittener Weg zur massgeschneiderten Wohnung, sondern ein

STRATEGIE BAUGRUPPE Gemeinsam zum Wohneigentum in Deutschland In den urbanen Zentren Deutschlands wird das Prinzip Baugruppe immer beliebter:

Phänomen, das sozial, ökologisch, wirtschaftlich und im besten Falle auch ästhetisch der Stadt zugute kommt.

Postindustrielle Mittelschichten Woher kommt das wachsende Interesse am Bauen in der Gruppe? Zum einen ist es eine Reaktion auf den Wohnungsmarkt: Das relativ standardisierte und rationalisierte Wohnungsangebot erfüllt zunehmend nicht mehr die Bedürfnisse

Unabhängig von Projektentwicklern und staatlicher Reglementierung

vieler Stadtbewohner. Der Wohnraum soll auf die jeweilige

tun sich Interessierte mit Architekten zusammen und realisieren

Lebenssituation zugeschnitten sein und sich leicht verän-

ein Bauprojekt nach eigenen Wünschen. Inzwischen haben auch die

dern lassen; man möchte in einer nachbarschaftlichen, aber

Kommunen den Parzellenstädtebau der Baugruppen und seine

nicht zu stark reglementierten Gemeinschaft leben – ruhig,

Potenziale erkannt.

grün, eingebunden in ein dichtes städtisches Viertel mit kurzen Wegen. Ermüdet von der Suche nach einer hochwertig gestalteten, gut gelegenen und sozial eingebundenen Eigentumswohnung, abgeschreckt von überteuerten Mieten, entschliessen sich immer mehr Bauwillige, zum Teil mit wenig Kapital und viel Eigenleistung einen Neubau zu stemmen – gemeinsam mit anderen, denen es ähnlich geht. Zum anderen erreichen alternative Lebensmodelle, die in den vergangenen Jahrzehnten nur in Nischen existierten, gegenwärtig den Mainstream. Das Experiment wird zum Normalfall: Baugruppen sind urbane, gemeinschaftliche, ökologische Entwürfe, die erfrischenderweise ohne revolutionäres Pathos auskommen. Eine Reihe von gesellschaftlichen Korrosionserscheinungen begünstigen paradoxerweise

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die Hinwendung zum gemeinschaftlichen Bauen: Arbeitslosigkeit, eine knapper werdende soziale Absicherung, sinkende Renten, sich rasch ändernde Lebenssituationen. Die Baugruppe wird zum Anker, ist Alterssicherung ebenso wie ein Ort, an dem man – gegebenenfalls – gemeinsam altern kann. Die Bauwilligen kommen in und aus allen Lebenslagen,

1–3 roedig.schop: Wohnhaus Ten In One, Anklamer Str., Berlin 2005 Strassenansicht, Dachterrasse, Wohnhaus im 5. OG (Fotos: Stefan Müller)

im Paar, in der Kleingruppe, alleine; viele junge Familien sind darunter, deren Ideal längst nicht mehr das isolierte Einfamilienhaus in der grünen Suburbia ist. Mit einem undogmatischen Pragmatismus gehen sie an die Umsetzung ihrer Vorstellungen, das Bauen als kleinster gemeinsamer Nenner:

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Die Parzelle in der Stadt erscheint wieder als ein Ort, an dem man seine Wohn-, Arbeits- und Lebensmodelle verwirklichen will. Ein exemplarisches Projekt für die neuen Stadtbürger ist das im letzten Jahr fertig gestellte Wohnhaus TenInOne in Berlin. Fünf Geschosse in einer ehemaligen Baulücke im innerstädtischen Block, von denen jedes anders aufgeteilt ist: als Loft, als Maisonette, als Familienwohnung mit vielen kleinen Zimmern. Die Baugruppe hat unter Anleitung der Architekten roedig.schop gemeinsam die Grundrisse und sogar die Fassade entworfen, in der eigenen Wohnung lebt jeder nach seiner Fasson: Tapete, Sichtbeton, bunte Kacheln. Gemeinsam nutzen sie den Hof, die Dachterrasse und die Gästewohnung. Die Architekten haben den Planungsprozess nicht nur moderiert, sondern sind selbst mit eingezogen. Der Kostenrahmen wurde immer wieder herauf- und heruntergerechnet, die Wohnungsgrössen wurden neu aufgeteilt, die Mitglieder in Ausschreibung und Vergabe der Bauleistungen mit einbezogen – so dass am Ende jeder mit seinem Budget zurecht kam. Die Bewohner, die sich zu Beginn nur entfernt oder gar nicht kannten, sind im Lauf der zwei Jahre dauernden Planungs- und Bauzeit zu einer lockeren Gemeinschaft zusammengewachsen, die Identifizierung mit dem Gebäude ist entsprechend hoch. «Wenn man diesen Prozess gemeinsam überstanden hat, steht einer harmonischen Gemeinschaft nichts mehr im Wege», so die Erfahrung des Architekten Christoph Roedig. Durch das selbstorganisierte Bauen entstehen in der Regel Wohnhäuser mit einer funktionierenden Sozialstruktur, die in das Umfeld wirken und zum Teil ganze Quartiere stabilisieren. Dienstleistungsangebote wie Kinderbetreuung oder Café im Erdgeschoss vernetzen Baugruppen auch mit der Nachbarschaft. Viele Kommunen erkennen dies als Potenzial. «Es gilt, vermehrt um die neuen postindustriellen Mittelschichten als Träger wirtschaftlicher und auch kultureller Innovation zu werben und diese in der Stadt zu halten», lautete eines der Ergebnisse des Stadtforums Berlin 2020. Auch Verbände und Einzelpersonen fordern zur Unterstützung von Baugruppen auf: In einer Erklärung der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SLR ) der Regionalgruppe Baden-Württemberg heisst es etwa: «Baugruppen müssen nicht subventioniert werden. Sie lösen nach den Erfahrungen in anderen Städten sogar in grossem Um-

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HOCH DIE MASSEN Die Werkbundsiedlung München trägt neues Leben in die Stadt Im Jahr 2007 feiert der Deutsche Werkbund seinen 100. Geburtstag. Nicht zuletzt mit den Werkbundsiedlungen, so 1927 in Stuttgart und 1929 in Breslau, setzte die Organisation Massstäbe im zeitgenössischen Wohnungsbau. Mit der Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München möchte man nun an diese Tradition anknüpfen. Das prämierte Projekt von Kazunari Sakamoto sucht jenseits von Zeile und Block nach einer neuen urbanen Identität und nach einer neuen Vorstellung vom Wohnen.

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Text: Oliver Herwig München, du hast es besser. Die Hochhausdebatte von 2004 ist vergessen, neue, spektakuläre Architekturen entstehen, und die Stadt wächst. Sie bleibt wohl über Jahre Traumland für Immobilienanleger, ein Standort, der durch Wachstum, Zuzug und geringen Leerstand bei Immobilien gekennzeichnet sein wird. Die bayrische Landeshauptstadt «steht erneut deutlich an der Spitze der deutschen Bürostandorte», jubelt der aktuelle Immobilienbericht von Atisreal, hier habe sich die «Trendwende deutlich vollzogen». Besonders Luxusimmobilien gehen wieder. Zugleich wächst die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum und nach neuen Wohnmodellen, die über Zeilenbauten hinausgehen. Genossenschaftsprojekte boomen. Urbanes Wohnen heisst eine Initiative, die mit Hilfe der Freisinger Architekten A2 einen viel beachteten Neubau am Ackermannbogen geschaffen hat, einen Dampfer für neue Gemeinschaften, mit Decks und Gemeinschaftsräumen. Gegenüber, jenseits der Strasse, entsteht ein noch gewagteres Projekt, die neue Werkbundsiedlung mit 400 Wohnungen. Sie verspricht nichts weniger als neues Leben in der Stadt. 2

Dichte und Öffnung Der Japaner Kazunari Sakamoto hat das Areal der LuitpoldKaserne mitten in München-Schwabing als wogendes Feld von Hochhäusern, Pavillons und Punkthäusern gedacht. Eine wunderbare Vision von rund 40 Einzelhäusern mit je vier, acht und elf Geschossen. Skulptural gedacht, poetisch – und so undurchführbar. Sakamoto, Gewinner des StadtplanungsWettbewerbs Werkbundsiedlung Wiesenfeld, trat gegen zwei ortsansässige Büros an, die gleichfalls Sieger der ersten städtebaulichen Runde waren: Allmann Sattler Wappner sowie 03 München. Die Ergebnisse waren sehr verschieden. Das jüngste der drei Planungsteams, 03 München, verabschiedeten sich vollständig vom utopischen Erbe der grossen Werkbundsiedlungen der Vergangenheit. Kein zweiter Weissen-

Arrangements, das sich in der Praxis bewähren muss. Denn

hof, keine Experimente. Ihre pragmatische Wende setzte auf

noch immer gilt: Das Bewusstsein prägt das Quartier. Bauten

Zeilenbebauung, auf sauber gereihte und zusammengefügte

können keine neuen Sozialstrukturen initiieren, wohl aber

Areale rund um kleine Central Parks. Allmann Sattler Wapp-

fördern.

ner hingegen versuchten die klassische Blockrandbebauung

Eigentlich ist Sakamotos wogendes Feld von Punkthäu-

durch frei schwingende Baukörper optisch so aufzubrechen,

sern nicht zu verwirklichen, zumindest nicht mit dem deut-

dass ein tänzerisches Ballett-Band um ein zentrales Kiefern-

schen Baurecht. Der Japaner stellt zu viel in Frage: Abstands-

wäldchen entstand. Vielleicht ist Sakamotos Erfolg so zu er-

flächen, Erschliessung der Wohnungen, öffentliche Freiflä-

klären: Er hatte den Mut, gegen die Bauordnung zu planen,

chen und Strassenbreiten. Dabei setzt er auf Vielfalt, Freiheit

indem er gegen Blockrandbebauung und Zeile ein offenes

und Entwicklungsmöglichkeiten. Er liefere «Massstäbe für

Raumgefüge schmaler Kuben entwarf – ästhetisch und stadt-

modernes Wohnen in der Stadt», betont Christian Böhm, Pro-

räumlich ein Genuss, durchaus problematisch, was Kosten

jektleiter der Arbeitsgemeinschaft Werkbundsiedlung. Böhm

und Ökobilanz der vielen Bauten angeht. Sakamoto wagt

betreut das, was nach dem Wettbewerb ansteht: die Mühen

einen Tanz aus Dichte und Öffnung. Das Arrangement der

der Ebenen. Ein Dutzend Architekten, eingeteilt in Teams,

drei Typen von Häusern – intern San Gimignano genannt –

versuchen bis Oktober, den locker schwingenden Entwurf

setzt auf Verhandlungsspielräume und offene Prozesse, wie

aus Stadtvillen, Mehrfamilienhäusern und kleinen Hochhäu-

sie Japan prägen. Ein Tanz um eine Mitte, die in Deutschland

sern zu erden, das heisst auf deutsche Massstäbe anzupas-

vor allem durch juristische Finesse geprägt ist. Sakamotos

sen. Fünfeinhalb Hektar und 40 Häuser «auf Genehmigungs-

partielle Dichte verkörpert die Suche nach neuer Urbanität,

stand zu bringen», könne selbst manches einheimisches Büro

seine Elfgeschosser sind also nicht Herren des Luftraums und

überfordern, meint Böhm. Zusammen aber böten sich neue

Stadtzeichen, sondern Bestandteil eines ungewöhnlichen

Möglichkeiten.

1+2 Modellfotos der Siedlung

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ARCHITEKTUR AKTUELL

Blicke auf die B端hne, Blicke ins Tal

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1 Guthrie Theater mit Speichergebäuden des Milling District (Foto: Hubertus Adam)

ATELIERS JEAN NOUVEL : GUTHRIE THEATER,

2 Längsschnitt

polis, hoch über dem Flusstal des Mississippi,

3 Blick über Mississippi und St. Anthony Falls auf das Westufer mit Milling District und dem neuen Guthrie Theater ( Fotos: Roland Halbe)

hat Jean Nouvel vor einer beeindruckenden

MINNEAPOLIS, 2001– 2006

Im historischen Milling District von Minnea-

postindustriellen Kulisse das neue Guthrie Theater errichtet. Das 125-Millionen-DollarProjekt ist der krönende Abschluss eines ambitionierten Programmes, die Kulturinstitutionen der Stadt zu stärken und damit auch das Image von Minneapolis aufzupolieren.

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Die St. Anthony Falls des Mississippi, entdeckt 1680 durch den Franziskanerpater Louis Hennepin, galten zu Beginn des 19. Jahrhunderts als landschaftliche Sehenswürdigkeit der Vereinigten Staaten. Dann begann man, die Wasserkraft zu nutzen, und mit Mühlenbauten am Flussufer avancierte das 1867 zur Stadt erhobene Minneapolis zum wichigsten Getreideumschlagplatz des Landes. Aus den riesigen Kornkammern Iowas, Kanadas und der Dakotas gelangte der Weizen mit der Eisenbahn an die Ufer des Mississippi, wo er gemahlen und umgeschlagen wurde. Um 1930 war Minneapolis’ Stern im Sinken begriffen; Buffalo übernahm seine Funktion, bis nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Niedergang des Eisenbahnwesens die Dezentralisierung der Getreidewirtschaft einsetzte.

Kultureller Kraftakt Dank wirtschaftlicher Prosperität ist Minneapolis – das mit dem benachbarten St. Paul, der Kapitale von Minnesota, gerne als «Twin Cities» firmiert – heutzutage eine kulturell attraktive Stadt. Gleichwohl zählt es für Touristen kaum zu den Hotspots des Landes: In der geografischen Mitte des Landes gelegen und von den attraktiven Destinationen der West- wie Ostküste gleichermassen weit entfernt, besass die Stadt bislang wenig an eigenem Attraktionspotenzial, zumindest für Besucher aus Übersee. Wie in anderen amerikanischen Städten lässt sich hier die Verödung der Innenstädte beobachten – aber auch der Versuch, dagegen anzusteuern. Kultur gilt auch in Minneapolis als Mittel, um das Image der fragmentierten City mit ihrem Patchwork aus spiegelverglasten Wolkenkratzern, historischen Bauten und zu Parkplätzen umgewidmeten Brachen aufzupolieren. In einem gewaltigen Kraftakt haben verschiedene Institutionen zusammengespannt, um ihre Häuser zu erneuern, zu erweitern oder gar neu zu errichten. Den Anfang machte schon im April des vergangenen Jahres die Erweiterung des Walker Art 67


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