Zürich – die nächsten 30 Jahre Einheit in Vielfalt? Nach der Arealplanung Quartierbilder und Brüche Interaktionsdichte Für einen lebendigen und programmatischen Mix Planung als Prozess Mitarbeiten an der Stadt
Zürich – für eine neue Planungspraxis
OKT–NOV 5.2015 CHF 28.– | EUR 24.–
Zürich – für eine neue Planungspraxis OKT–NOV 5.2015
3 Editorial 6 a für archithese Zu unserem neuen Auftritt 14 Platz da! Das Unmögliche ermöglichen – Strategien für die Planung von Zürich Patrick Gmür 24 Heterogenität fördern,
46 Vorgabe, Vision oder Utopie? Die Geschichte der Leitbilder und ihrer Wirkung mit Fokus auf Zürich Celina Martinez
36 Die Kontrolle behalten Moderation und Verhandlungsgeschick gewinnen in Planungsprozessen an Bedeutung Daniela Meyer
der Optimierung Reflexionen zu den Mechanismen der Arealüberbauungen am Beispiel des Wohnhochhauses Zölly Christoph Ramisch 60 Zürich neu denken Indizien für einen Wandel in der europäischen Stadtentwicklungspraxis Angelus Eisinger, Alexa Bodammer 70 Von der Pflichtübung
zur Raumkultur Mitarbeit an der Stadt ersetzt Mitwirkung an der Planung Moana Heussler, Regula Iseli, Peter Jenni, Stefan Kurath 78 Big Little City oder Little big City? Anatomie eines Doppelgängermotivs Richard Zemp
Foto Titelbild: Joël Tettamanti
Zu den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und gebauter Umwelt Lukas Küng
54 Ästhetik im Schatten
Brüche zulassen André Odermatt, Daniel Niggli, Rainer Klostermann und Thomas Baggenstos im Gespräch mit JØrg Himmelreich
86 Vom Entstehen urbaner Qualitäten
Rubriken 94 Neues aus der Industrie 104 Vorschau und Impressum
Städtebau– Konferenz
Freitag, 30. Oktober 2015 9.00 – 18.00 Uhr ETH Zürich, ONA Gebäude Neunbrunnenstrasse 50 8050 Zürich-Oerlikon
Kleinstadt versus Metropole Planen mit Bildern Urbane Qualitäten Massstab und Mischung Programm unter archithese.ch
Marc Angélil
Andreas Hofer
Dan Schürch
Frank Argast
Anouk Kuitenbrouwer
Lukas Schweingruber
Stefan-Martin Dambacher
Stefan Kurath
Peter Staub
Piet Eckert
Dominic Papa
Astrid Staufer
Angelus Eisinger
Christa Reicher
Jörg Stollmann
Patrick Gmür
Niklaus Reinhard
Ingemar Vollenweider
Tanja Herdt
Markus Schaefer
Jørg Himmelreich
Christian Schmid
Partner Netzwerk Stadt und Landschaft Network City and Landscape
archithese 5.2015
2|3
Editorial Zürich – für eine neue Planungspraxis
Vorhang auf! archithese schlägt mit der frisch gestalteten schriftenreihe und einer Veranstaltungsserie unter dem Label kontext ein spannendes neues Kapitel auf. Damit wird nach einem mehrjährigen intensiven Prozess ein Gesamtkonzept umgesetzt, das archithese als Plattform für kritischen Architekturdiskurs im digitalen Zeitalter verankert. Beim Redesign stand die Schärfung von Profil und Inhalt im Vordergrund, nicht das Neu-Erfinden. Obwohl wir den Kanon um neue Formate und Medien erweitern, gehen wir vor allem zurück zu den eigenen Wurzeln: In einer Zeit omnipräsenter Informationen, der Dominanz der Bilder und der Verknappung von Haltungen zu Schlagzeilen versteht archithese es umso mehr als Auftrag, Subkontexte des Architekturdiskurses zu erschliessen, Zusammenhänge aufzuzeigen und Metathemen zu bergen. Bei allen formalen und strukturellen Justierungen: Geduld, Hartnäckigkeit und Sorgfalt sind weiterhin die wichtigsten Ingredienzien, um neue, alternative und kritische Blickwinkel zu etablieren und für die Architekturproduktion fruchtbar zu machen. Alle Bausteine wurden sorgfältig ausgewählt, das Zusammenspiel der Elemente harmonisch orchestriert. Doch in welcher Reihenfolge stellen wir sie nun vor? Berichten wir zuerst vom neuen kraftvollen Logo der archithese? Vom geschärften Design des Heftes und dem Konzept für die Titelseiten, mit dem wir auf die kultigen archithese-Cover der 1970er-Jahre anspielen? Oder ist wichtiger, dass archithese mit dem kleineren Format künftig wieder mehr kantiges Lesebuch als Magazin ist? Und nicht zu vergessen: Die neu gestaltete archithese Homepage ist ab sofort auch Blog und lädt zum Mitdiskutieren ein. Oder ist es für die Digital Immigrants und Natives unter Ihnen die relevanteste Neuigkeit, dass archithese für unsere Abonnenten ab heute als E-Paper jederzeit online und papierlos gelesen werden kann? Am besten ist wohl, wenn wir wie bisher beim Inhalt der vorliegenden Ausgabe ansetzen. Der thematische Diskurs rund um Architektur und ihre Nachbardisziplinen steht schliesslich auch weiterhin im Zentrum. Alle weiteren neuen Bausteine können Sie beim Lesen des Heftes, beim Studieren unseres Jahresthemen-Leporellos für 2016 und beim Erforschen unserer neuen Homepage peu à peu entdecken und schätzen lernen. Mit der ersten Ausgabe im neuen Kleid rücken wir bewusst wieder den Städtebaudiskurs ins Zentrum. «Urbanismus» war bereits das Thema der allerersten archithese-Ausgabe von 1972 und vor zehn Jahren zeigte «Planung in Zürich» (6.2005), dass sich die kleine Metropole zum Labor des städtebaulichen Diskurses in der Schweiz gemausert hatte. Damals begannen gerade die Arealentwicklungen, welche die Silhouette von Zürich nachhaltig verändert haben. Doch bereits eine Dekade später ist diese Phase auf die Zielgerade eingebogen – die grossen Brachen sind ge- beziehungsweise bebaut. Unser Heft schaut daher nur kurz zurück, um dann nach Strategien für die nächsten Jahrzehnte zu fragen. Die Herausforderung bleibt sportlich: bis 2040 soll in Zürich Wohnraum für weitere 80 000 Bewohner entstehen – so die Vorgabe des Kantons; weitere Ein- und Umzonungen sind politisch ausgeschlossen. Daher bedeutet Weiterbauen in Zürich mehr denn je «Verdichten nach innen». Dabei steht der soziale und programmatische Mix ganz oben auf der politischen Agenda, aber die Eigentumsverhältnisse sind komplex und die Regeln zahlreich. Es bedarf also neuer Strategien und Planungsverfahren. Dazu leiten wir den Fokus der Debatte bewusst weg von Zahlenspielen und einengenden Typologiediskursen hin zu Fragen der Interaktionsdichte. schriftenreihe und die neue Veranstaltungsserie kontext sind Geschwister mit grundverschiedenen Charakterzügen. Ist das Heft ein besonnener, belesener Intellektueller mit dem Hang zum Grübeln, so ist die Veranstaltungsreihe ein streitbarer Charakter; impulsiv und beinahe süchtig nach persönlichem Austausch. Jetzt darf für einen Monat unser neu gestaltetes Heft die Aufmerksamkeit geniessen. Am 30. Oktober übernimmt dann unsere Konferenz «Zürich – Räumlicher Stand der Dinge» die Bühne und zeigt auf, dass es für die Debatte über die Stadt Wissen über Geschichte, Parameter und Prozesse braucht und für das Aushandeln ihrer Zukunft vor allem den Dialog mit allen Beteiligten. Die Redaktion
archithese 5.2015
Zurich – Towards a New Planning Culture Curtains up for archithese’s newly designed schriftenreihe (publication series) as well as its brand-new series of events under the title of kontext. Following an extensive planning process that spanned several years, these innovations are part of an encompassing concept to define archithese as a central platform for critical architecture discourse in the digital age. Rather than reinventing the brand, the aim of the magazine’s redesign was to sharpen its existing profile and content. While we extend our reach with new formats and media, we are, in fact, going back to our roots. In the age of ubiquitous information, prevalence of images and scarcity of clear standpoints on attention-grabbing headlines, archithese more than ever before believes in its mission to dig deeper and look at the subcontexts of architectural discourses, to join the dots and to point out the metatopics. All formal and structural adjustments aside, diligence, perseverance and attention to detail are still the most important ingredients needed to establish new, alternative and critical viewpoints that also constitute a valuable input for architectural production. All components were carefully chosen, the interplay of all elements harmoniously orchestrated. But which order shall we present them in? Shall we talk about the new, expressive logo first? The sharpened design of the magazine and the new concept for the title pages that references the iconic archithese covers of the 1970s? More important, perhaps, is that with its new format, archithese is once again more of a handy reader than a magazine. Not forgetting our new interactive homepage, which now also includes a blog and invites visitors to join the discussion. Possibly the most important news for all the digital immigrants and natives out there, however, is that subscribers to archithese can now access an online version of the magazine – around the clock, everywhere and paperless. In the end, the best way to go might be to stick to tradition and first of all introduce the content of this present issue, because thematic discourse surrounding architecture and its neighboring disciplines is still at the heart of it all. All the new features can be discovered step by step along the way, when reading this issue, perusing our yearly flyer of topics for 2016 or exploring our new homepage. We have decided to focus on the city planning discourse for our first issue in the new look. Urbanism, after all, was the topic of the first-ever archithese issue of 1972; and ten years ago the issue Planung in Zürich (Planning in Zurich; 6.2005) showed that the small metropolis had evolved to become a laboratory of city planning discourses in Switzerland. The large-scale industrial site developments, which were to have a lasting impact on Zurich’s cityscape in the years to follow, had only just begun. A decade further on, however, and this phase has already nearly come to an end – all the large brownfield sites have been developed. This issue of archithese only furtively glances back before it fixes its gaze firmly on the future to investigate newstrategies for the coming decades. The challenges, meanwhile, are still immense: according to cantonal objectives, residential space for up to 80 000 new residents is to be created in Zurich until 2040. Further rezoning is out of the question politically. And thus, development in Zurich more than ever before equals “densification of the interior”. On the political agenda, the social and programmatic mix is key. But ownership structures are complex and, usually, multitudinous. Therefore, new strategies and planning processes are needed. We deliberately steer the focus of the debate away from number crunching and constricting typology discourses to questions of interaction density. schriftenreihe and the new series of events kontext are closely related but of entirely different character. While the magazine is like a considerate, studied intellectual, who likes to muse and ponder and consider different standpoints, the events series has a strident character, impulsive and practically addicted to personal debate. Our freshly designed issue can now enjoy the spotlight for a month, before the conference «Zürich – Räumlicher Stand der Dinge» takes center stage on October 30th, proving that the necessary prerequisites for any discourse on the city are knowledge of its history, parameters and processes, while to negotiate its future, it needs, most of all, an inclusive dialogue between all interested parties. The editors
4|5
Zurich – une nouvelle pratique pour la planification Que le rideau se lève! archithese ouvre un nouveau chapitre captivant avec sa collection d’écrits nouvellement conçue, et par une série de manifestations sous le label kontext. Ainsi se réalise, après plusieurs années, un concept global, résultat d’un processus intensif qui place archithese dans l’ère digitale en tant que plateforme d’un discours architectural critique. Cette refonte est bien plus un aiguisage du profil et du contenu de premier plan qu’une redécouverte. Même si nous complétons la gamme par de nouveaux formats et media, nous retournons avant tout à nos racines: en période d’information omniprésente, de domination de l’image et d’attitudes réductrices par de gros titres, archithese entend plus encore faire sien tout ce qui entoure le discours architectural, démontrer les liens et mettre en lumière des métathèmes. Quels que soient les ajustages formels et structurels, la patience, la persévérance et le soin restent toujours les ingrédients majeurs pour poser de nouveaux points de vue alternatifs et critiques, et pour les faire fructifier en faveur de la production architecturale. Toutes les constituantes ont été choisies avec soin et le jeu des éléments a été orchestré harmonieusement. Mais dans quel ordre les présentons-nous? Informons-nous d’abord au sujet du nouveau logo vigoureux d’archithese? Ou à propos du design plus percutant de la revue et du concept des couvertures en référence aux couvertures-culte d’archithese des années 70? Ne serait-il pas plus important qu’archithese, avec son plus petit format, soit à l’avenir à nouveau plus livre qui achoppe que magazine? Et n’oublions pas que la nouvelle page de garde du site est maintenant aussi un blog qui vous invite à participer instantanément à la discussion. Parmi les Digital Immigrants et les Natives d’entre nous, la nouveauté la plus marquante ne serait-elle pas celle d’une version électronique pour les abonnés? Nous ferions peut-être bien de renouer comme d’habitude avec le contenu du présent numéro, car la discussion thématique sur tout ce qui touche à l’architecture et à ses disciplines annexes reste au centre de nos préoccupations. Peu à peu, vous découvrirez et apprendrez à apprécier toutes les autres parties constituantes, en lisant ce numéro, en étudiant le dépliant des thèmes annuels pour 2016, et en visitant notre site internet. Pour ce premier numéro dans son nouvel habit, nous mettons à nouveau consciemment la discussion sur l’urbanisme au centre des débats, car l’urbanisme constituait le thème du tout premier numéro d’archithese en 1972. Il y a 10 ans, «Planification à Zurich» (6.2005), démontrait que la petite métropole s’était imperceptiblement hissée au rang de laboratoire du discours urbain en Suisse. C’est à cette époque que sont apparus les développements liés aux sites importants qui allaient modifier durablement la silhouette de Zurich. Une décade plus tard, cette phase atteint la dernière ligne droite – les grandes friches sont construites, respectivement recouvertes. Pour cette raison, nous entreprenons une brève rétrospective pour ensuite poser la question des stratégies pour les prochaines décennies. Le défi est de taille: de l’habitat pour 80 000 personnes doit voir le jour à Zurich d’ici 2040. La création de nouvelles zones d’habitation ainsi que le dézonage semblent politiquement exclus. Raisons pour lesquelles continuer à bâtir à Zurich signifie plus que jamais «densifier vers l’intérieur». La mixité sociale et celle des programmes se situent en première position de l’agenda politique. Mais les rapports de propriété sont complexes et les règles nombreuses. De nouvelles stratégies et de nouvelles méthodes de planification sont requises. Nous focalisons consciemment le débat sur les questions concernant la densité des interactions, loin du jeu des chiffres et des discours étouffants au sujet de la typologie. La suite de publications et la nouvelle série de manifestations sont frère et sœur aux caractères foncièrement différents. Si la revue est un intellectuel posé, érudit, avec une propension à ruminer, la nouvelle série de manifestations a un caractère vindicatif, impulsif et avide d’échanges personnels. Dès à présent et pour la durée d’un mois, le présent numéro dans son nouvel habit ose attirer l’attention sur lui. Le 30 octobre, ce sera au tour de notre conférence «Zurich-état des lieux» de monter en scène et de démontrer que le débat sur la ville exige des connaissances en histoire ainsi que des connaissances concernant les paramètres et les processus, et qu’afin de façonner le futur, ce débat nécessite avant tout le dialogue avec toutes les personnes concernées. La rédaction
für archithese Mit der Ausgabe 5.2015 erhält archithese einen neuen Auftritt, der zugleich eine Hommage an die Gestaltung aus den Gründerjahren ist. Das neue Design zitiert dieses selbstbewusste und inhaltsbezogene Erscheinungsbild und übersetzt es zeitgemäss neu. Mit dem Relaunch werden gleichzeitig das Veran staltungsformat archithese kontext, der Blog und das E-Paper etabliert. Das aus dem Auftritt entwickelte neue Logo versammelt die Formate unter der Dachmarke archithese. Wir wollen Inhalte diskutieren und voranbringen. Das neue Logo ist zugleich das Symbol für unser Verständnis von archithese als Plattform. Wir möchten die verschiedenen Disziplinen und Gruppen rund um die Themen und Fragestellungen der einzelnen Fachrichtungen in einen produktiven Austausch bringen und mit Ihnen, unseren Lesern, auf unterschiedlichen Kanälen kommunizieren und diskutieren. archithese ist und bleibt die internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, Städtebau und Theorie mit Sitz in Zürich. Entsprechend werden in den einzelnen Ausgaben die jeweiligen Themen vorgestellt, verhandelt und kritisch reflektiert. archithese kontext, das Format der Veranstaltung, das wir seit drei Jahren mit einer Konferenz pflegen, werden wir zukünftig stärker nutzen, um die in den Heftthemen behandelten Inhalte vertieft zu diskutieren. Neu wird archithese viermal im Jahr erscheinen, neu werden wir in jährlich vier Veranstaltungen die jeweiligen Heftinhalte aufgreifen. Neu können Sie mit uns auf unserem Blog archithese.ch diskutieren und archithese als E-Paper lesen.
archithese schriftenreihe mit E-Paper Durch das Zitat des Covers der kultigen ersten Ausgaben der 1970er-Jahre wollen wir mit Format und Ausstattung unseren Inhalten besser entsprechen. Das neue kantige Buchformat, die Klappenbroschur und das ungestrichene Papier bieten Lesevergnügen und sind zugleich eine angemessene Umsetzung der Inhalte. Ab 2016 erscheint alle drei Monate eine themenbezogene Ausgabe mit Beiträgen wechselnder Experten aus Theorie und Praxis – ab dieser Ausgabe auch als E-Paper.
archithese 5.2015
Städtebau– Konferenz
Freitag, 30. Oktober 2015 9.00 – 18.00 Uhr ETH Zürich, ONA Gebäude Neunbrunnenstrasse 50 8050 Zürich-Oerlikon
archithese kontext ist das Veranstaltungsformat von archithese. Wir führen den kritischen Dialog zu Raum und Form, Städtebau und Raumplanung, Theorie und Praxis und möchten in einen produktiven Austausch mit unseren Lesern, den Städten, Gemeinden, Hochschulen, Bauherren, Architekten, Ingenieuren und Stadtplanern treten.
Kleinstadt versus Metropole Planen mit Bildern Urbane Qualitäten Massstab und Mischung Programm unter archithese.ch
Marc Angélil
Andreas Hofer
Dan Schürch
Frank Argast
Anouk Kuitenbrouwer
Lukas Schweingruber
Stefan-Martin Dambacher
Stefan Kurath
Peter Staub
Piet Eckert
Dominic Papa
Astrid Staufer
Angelus Eisinger
Christa Reicher
Jörg Stollmann
Patrick Gmür
Niklaus Reinhard
Ingemar Vollenweider
Tanja Herdt
Markus Schaefer
Jørg Himmelreich
Christian Schmid
Partner Netzwerk Stadt und Landschaft Network City and Landscape
Plakat_ZH_Oktober.indd 2
6|7
29.09.15 13:12
Webseite berichtet aktuell und tritt in Dialog mit unseren Lesern. In den einzelnen Rubriken werden aktuelle Veranstaltungen und Wettbewerbsergebnisse kritisch bewertet, neue Bücher diskutiert und Projekte vorgestellt. Mehr auf archithese.ch. Newsletter Mit dem Newsletter informieren wir zukünftig regelmässig über unsere Aktivitäten, Hefte, Veranstaltungen und Themen, die uns beschäftigen. Anmeldungen unter www.archithese.ch/newsletter.
Platz da! Das Unmögliche ermöglichen – Strategien für die Planung von Zürich Um die Zersiedelung zu stoppen, hat der Kanton Zürich beschlossen, das erwartete Bevölkerungswachstum vorrangig in den urbanen und periurbanen Gebieten zu organisieren. Die daraus resultierende Aufgabenstellung ist kurz, aber knackig: In der Stadt Zürich ist bis zum Jahr 2040 Raum für 80 000 neue Einwohner zu schaffen. Zürich wird also urbaner – mit allen Vor-, aber auch Nachteilen. Weil keine weiteren Einzonungen mehr möglich sind, ergibt sich daraus zwangsläufig eine höhere Dichte. Wie kann der Wirtschaftsstandort attraktiv bleiben, wie verhindert werden, dass die Mieten weiter steigen, und wie gewährleistet werden, dass die Lebensqualität in den Quartieren zu- statt abnimmt ? Das Amt für Städtebau der Stadt Zürich zeigt Strategien auf, wie mehr Dichte zu mehr Lebensund Wohnqualität für alle führen kann. Autor: Patrick Gmür
archithese 5.2015
14 | 15
Links Baustrukturen, Freiräume, Quartiererschliessung: Die Verdichtung nach innen erfolgt quartierspezifisch. Luftaufnahme von Zürich mit dem Quartier Aussersihl im Vordergrund (Foto: Amt für Städtebau, Stadt Zürich, 2015 )
St. Gallen in Zürich einfügen
Jede Sekunde wird in der Schweiz ein Quadratmeter Land überbaut; dies entspricht etwa einem Fussballfeld alle zwei Stunden. Im Kanton Zürich sind es sogar fast doppelt so viele Quadratmeter wie im schweizerischen Mittel. Die damit einhergehende fortschreitende Zersiedelung ist nicht nur die Folge des Bevölkerungswachstums, sondern auch eines veränderten Lebensstils mit mehr Wohnraum und Mobilität. Sie wird seit einigen Jahren von der Öffentlichkeit kritisch wahrgenommen: 2012 hat das Stimmvolk der kantonalen Kulturlandinitiative und 2013 der Revision des Raumplanungsgesetzes mit grosser Mehrheit zugestimmt. Die nationale Initiative «Zersiedelung stoppen» ist lanciert; der Kanton Zürich hat bereits darauf reagiert. Im Kantonalen Raumordnungskonzept hält er fest, dass auf die Stadt- und urbanen Wohnlandschaften künftig mindestens 80 Prozent des Bevölkerungswachstums entfallen sollen.1 Damit steigt der Siedlungs- und Verdichtungsdruck auf die Städte und ganz besonders auf Zürich weiter an. Die Antwort der Stadt heisst Kommunaler Richtplan.
Zürich ist attraktiv. Die wirtschaftliche und politische Stabilität, das umfangreiche Bildungsangebot, die hohe Sicherheit, die guten Verkehrsverbindungen, aber auch die bevorzugte geografische Lage, das unverwechselbare Stadtbild und der intakte gesellschaftliche Zusammenhalt machen Zürich zu einer der Städte mit der höchsten Lebensqualität weltweit. Bereits in den letzten 15 Jahren ist Zürich um 40 000 neue Einwohner gewachsen und bis ins Jahr 2040 muss die Stadt Raum für weitere 80 000 schaffen – so fordert es der Kanton aufgrund der aktuellsten Wachstumsprognosen. Das heisst: Die Einwohner einer Stadt, bevölkerungsmässig so gross wie St. Gallen, müssen in Zürich zusätzlich Platz finden. Doch es gibt kein freies Bauland mehr, die Landreserven auf den Industriebrachen gehen zur Neige und die letzten verbliebenen Industriestandorte müssen – um Arbeitsplätze und Gewerbeflächen langfristig zu sichern – erhalten bleiben. Zudem sind die Stadtgrenzen gegeben und spätestens seit der Kulturlandinitiative neue Einzonungen kein Thema mehr. Daher kann dies nicht ohne grosse städtebauliche und architektonische Veränderungen geschehen. Das Gebot der Stunde lautet «Verdichtung nach innen» und stellt diverse, mitunter verzwickte Herausforderungen an die Zürcher Stadtplanung. Wo genau sollen die 80 000 neuen Einwohner wohnen und arbeiten, ihre Freizeit verbringen und einkaufen? Wo ihre Kinder in die Schule gehen, auf welchen Grünflächen sollen sie spielen? Wie befriedigen wir unser Mobilitätsbedürfnis, und wie kann der zusätzliche Bedarf an sozialen und technischen Infrastrukturen wie Bildungseinrichtungen oder öffentlichen Bauten, Tramlinien oder Strassen finanziert werden? Aus diesen Fragen ergeben sich übergeordnete: Wohin und wie soll sich Zürich in Zukunft städtebaulich und räumlich entwickeln? Soll grossflächig – nach dem Giesskannenprinzip – aufzoniert oder nur in bestimmten Gebieten verdichtet werden? Welche Bedingungen müssen gestellt und erfüllt werden, damit Zürich eben Zürich bleibt – eine vielfältige, lebendige und durchmischte Stadt?
1 Kanton Zürich, Richtplan Kanton Zürich, Raumordnungskonzept, S. 1.3 –1.
Heterogenität fördern, Brüche zulassen André Odermatt, Daniel Niggli, Rainer Klostermann und Thomas Baggenstos im Gespräch mit Jørg Himmelreich. Der erste fsai-Talk kreist um urbane Strategien für Zürich. Mit Blick über Zürich-West diskutiert die Runde über die vergangene Dekade und aktuelle Aufgaben der Planung im Metropolitanraum. Was kann aus der Rückschau für das nächste Kapitel – das Weiterbauen bestehender Stadtquartiere – gelernt werden? Welche zusätzlichen oder alternativen Strategien sind zu entwickeln, um die Lebensqualität im Rahmen der geforderten Verdichtung nicht bloss zu erhalten, sondern gar zu steigern?
archithese 5.2015
24 | 25
Auch wenn die Gesprächsteilnehmer von den Escher-Terrassen aus der klassischen Planerperspektive auf die Stadt schauten, waren sie sich einig: Bei der Verdichtung von Zürich muss der programmatische und soziale Mix im Fokus stehen, nicht das stadttypologische Bild. Von links nach rechts: Rainer Klostermann, Thomas Baggenstos, André Odermatt, Daniel Niggli, Jørg Himmelreich ( Fotos: Markus Frietsch)
Ein kritischer Rückblick auf die Arealentwicklungen Jørg Himmelreich archithese hat vor genau zehn Jahren ein Heft zur Stadtplanung in Zürich herausgegeben ( siehe archithese 6.2005, Planung in Zürich ). Damals war die Arealüberbauung in vollem Gange. Seitdem hat sich einiges getan: Mittlerweile gehört ein halbes Dutzend neuer Türme wie selbstverständlich zur Stadtsilhouette von Zürich-West. Das Programm «10 000 Wohnungen in 10 Jahren » hat das innerstädtische Wohnen gefördert. Heiss diskutierte Grossprojekte wie das Fussballstadion oder ein neues Kongresshaus sind jedoch auf der Strecke geblieben. Starten wir mit einer kritischen Reflexion: Was ist in der Stadtentwicklung in der letzten Dekade gut gelaufen – vor allem bei den Arealüberbauungen? Wo wurden Erwartungen nicht erfüllt und – noch wichtiger: Was lässt sich daraus für die aktuellen Auf gaben lernen?
André Odermatt Die Umnutzung der Industrieareale begann als Problemlösungsprozess zur Baulandaktivierung. Die Frage war: Wie gehen wir mit den grossen Industriebrachen in der Stadt Zürich um? Es ist viel geschehen und insgesamt halte ich den Prozess für gelungen. Nehmen wir Neu-Oerlikon: Dort besteht heute ein breites, durchmischtes Wohnangebot und in puncto Parks hat dieser Stadtteil Vorbildcharakter. Ein anderes gutes Beispiel ist das Hunziker-Areal, wo neue ökologische Wohnformen erprobt werden (siehe hierzu: Marcel Hodel, «Ein Genossenschaftsbau als Stadtbaustein», in: archithese 1.2015, S. 22 –29). Allerdings gibt es auch Pendenzen. Man wollte in Zürich-West ein vielfältiges, durchmischtes Stadtgebiet bauen. Aber Stadt ist mehr als die Summe von Kubaturen und Strassenräumen; Stadt entsteht vor allem durch den richtigen Mix an Nutzungen und Bewohnern. Die Arbeitsbevölkerung dominiert, und bei den Wohnbauten ist in Bezug auf die soziale Mischung nicht alles ideal gelaufen.
JH Haben sich nicht auch die Massstäbe als problematisch erwiesen? Der räumlicharchitektonische Dialog zwischen den einzelnen Bausteinen scheint mir zudem mitunter zu schwach. AO Die grossen Volumen sollten an den Massstab der Industrie erinnern und damit den Genius Loci des Ortes erhalten oder weiterschreiben. Gerade beim Wohnungsbau funktionieren grosse Distanzen aber nicht gut. Zudem: Wo ist in Zürich-West das Zentrum? Wo sind die Begegnungsachsen im Quartier, wie die einzelnen Bausteine vernetzt? Daniel Niggli Das Problem der Grobkörnigkeit hat mit den Besitzverhältnissen zu tun – grosse Grundeigentümer haben grosse Parzellen entwickelt. Das hat die Stadtentwicklung und das Instrument der Arealentwicklung an ihre Grenzen gebracht. Die Investoren – nicht zuletzt auch unsere Pensionskassen – bevorzugen grosse, nichtdurchmischte Anlageobjekte, die maximale Renditen generieren. Bei den Wohnbauten wurde zudem fast ausschliesslich auf das hohe Preissegment gesetzt, was sich nun rächt. Es sind mehrheitlich spezifische Wohnformen für eine kleine zahlungskräftige Gruppe entstanden.
Vorgabe, Vision oder Utopie? Die Geschichte der Leitbilder und ihrer Wirkung mit Fokus auf Zürich Unter dem Namen Kommunaler Richtplan 2050 arbeitet die Stadt Zürich derzeit an einer Vision, wie die langfristige räumliche Entwicklungsstrategie des Kantons umzusetzen ist. Der Richtplan kann als Fortsetzung einer Reihe von Leitbildern betrachtet werden, die in den letzten 100 Jahren sowohl für die gesamte Schweiz als auch für einzelne Regionen und Gemeinden entwickelt wurden. Seither blühen in der Raumplanung immer wieder Diskussionen über Leitbilder auf. Das liegt unter anderem daran, dass diese einem ständigen Wandel unterliegen. Sie sind eng verknüpft mit den jeweiligen Welt-, Gesellschafts- und Menschenbildern und sehr stark abhängig von sozialpolitischen Gegebenheiten. Gleichzeitig variieren auch ihre Inhalte und physischen Erscheinungsformen enorm. Autorin: Celina Martinez
Ideenwettbwewerb Gross-Zürich
Die Förderung der Innenkolonisation durch den Bund
1920 1915
Internationaler Ideenwettbewerb für Zürich und Vororte. Bezieht 21 Vororte mit rund 270 000 Einwohnern ein; darf als erster Ansatz einer StadtRegion-Planung gelten. ( Karte: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich )
Die Schweiz als dezentralisierte Grossstadt
1932
Armin Meilis Leitbildvorschlag für eine Zoneneinteilung als Grundlage für die Landesplanung. ( Karte aus: Die Autostrasse, 2 / 1933, S. 21.)
Hans Berhard entwarf eines der ersten Planungsleitbilder für einen gesamtschweizerischen Siedlungsplan. Es entstand aus der Notwendigkeit, eine klare Abgrenzung von ländlichen und städtisch-industriellen Siedlungsräumen, Agrar- und Forstgebieten, Erholungszonen und Verkehrsbereichen vor zunehmen. ( Buchcover: Verlag Rascher )
Village Radieux Bebauungsstudie für die Zürcher Altstadt
1933
Die Vision Karl Mosers für den Umbau der Zürcher Altstadt: Der historische Stadtteil sollte zur modernen City umfunktioniert werden. ( Bild: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich )
«Es gibt zwei Arten von Zeitgenossen, die sich über die Misere unseres derzeitigen Städtebaus aufregen; die einen, die grosse Mehrzahl und auch sonst die Mächtigeren, sind die Automobilisten, die keinen Parkplatz finden; die andern sind die Intellektuellen, die in unserem derzeitigen Städtebau etwas anderes nicht finden: sie finden keine schöpferische Idee darin, keinen Entwurf in die Zukunft hinaus, keinen Willen, die Schweiz einzurichten in einem veränderten Zeitalter, keinen Ausdruck einer geistigen Zielsetzung – das macht noch nervöser, als wenn man keinen Parkplatz findet.» Der Mangel an städtebaulichen Visionen, den Max Frisch bereits 1953 im Vorwort zum Buch wir selber bauen unsre Stadt 1 beschrieb, ist eine noch heute häufig geäusserte Kritik an der Schweizer Raumplanung. Als Mittel dagegen gelten vermehrt sogenannte Leitbilder. Dabei stellt sich die Frage, ob sie die von Frisch bemängelte Lücke tatsächlich zu schliessen vermögen. Hier soll untersucht werden, was Leitbilder leisten können, welche Verbindlichkeit sie aufweisen und was ein erfolgreiches Leitbild auszeichnet. Die Bedeutung des Begriffs geht über den Horizont der Disziplinen Raumplanung und Städtebau hinaus. Seine erstmalige Verwendung fand er Anfang des 20. Jahrhunderts im Kontext der Psychologie, wo er für «Vorbild» steht. In den 1940er-Jahren hielt er als «eine kollektiv übergreifende und dominierende Idee»2 Einzug in die Sozialwissenschaft. Im Zentrum stand die Frage, wie soziale Leitbilder entstehen und in welcher Form sie sich zur gesellschaftlichen Steuerung nutzen lassen. Zudem hatte auch die Theologie einen bedeuteten Einfluss auf den Ursprung des Leitbildbegriffs in der Raumplanung. Der Theologe Helmut Thielicke bezeichnete Leitbilder als «bildlich visionäre Verdichtung von Zielen, die wir mit ganzer Leidenschaft ansteuern und die uns deshalb nicht nur in der Abstraktion des Gedankens, sondern auch in der Bildschicht berühren».3
archithese 5.2015
46 | 47
Das Dörfli an der Landi 39
Obwohl schon bei der Herausbildung der Disziplin Städtebau im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts die Debatten über Visionen, was eine Stadt ausmachen sollte, einsetzten, kam der Begriff dort erst später zur Anwendung. Er wurde erstmals in den 1950er-Jahren von Erich Dittrich als Kategorie der Orientierung für die bundesdeutsche Raumordnung eingeführt.4 Aus nationalökonomischen Überlegungen und als Antwort auf die Kriegszerstörung, den Wiederaufbau und die sich stetig ändernden Rahmenbedingungen wurde das Leitbild in der räumlichen Planung und zur Auszeichnung einer zielgerichteten Steuerung zur zentralen Kategorie. Anfang der 1960er-Jahre wurde der Begriff schliesslich im ganzen deutschsprachigen Raum für die Diskussion von raumplanerischen, insbesondere städtebaulichen Zielvorstellungen aufgegriffen und teilweise retrospektiv auf die historischen Modelle angewendet.
Erste raumplanerische Ideale Im Schweizer Kontext gilt der von 1915 bis 1918 durchgeführte Ideenwettbewerb Gross-Zürich, der über die Stadtgrenzen hinaus das Ideal der Gartenstadt als eines der ersten Leitbilder einer Regionalplanung propagierte. Das Ergebnis war ein allgemeiner Bebauungsplan, der zwischen Wohngebieten verschiedener Dichte, Industriegebieten und Grünräumen unterschied. Das Ziel war nicht die Formulierung konkreter Umsetzungsstrategien, sondern die Definition einer grundsätzlichen Idee für die Entwicklung von Zürich und dessen Umgebung. Auch auf nationaler Ebene entstanden Visionen, wie der Boden genutzt werden sollte: Unter Hans Bernhard entstand im Jahr 1920 eines der ersten gesamtschweizerischen Planungsleitbilder. Die zu Kriegszeiten schwierige wirtschafts- und bevölkerungspolitische Lage und der damit verbundene Mangel an Nahrungsmitteln veranlassten Bernhard, über eine produktivere Nutzung des Bodens nachzudenken. In seiner programmatischen Schrift Die Förderung der Innenkolonisation durch den Bund schreibt er über die Notwendigkeit eines nachhaltigen Siedlungsund Produktionskatasters als Grundlage jeglicher Planung. Seine Worte blieben nicht nur Programm; vielmehr begannen kleine Gemeinden und Regionen mit der Erfassung ihrer Kulturlandschaften, was zu einer vertieften Kenntnis von deren geografischer Lage führte. Zehn Jahre später präsentierte Armin Meili, Architekt und späterer Nationalrat, das Bild einer Schweiz als dezentralisierter Grossstadt. Als Verfechter einer klar definierten Landesplanung konzipierte er damit ein Leitbild für die Besiedlungsstruktur des ganzen Landes, was jedoch ohne Wirkung blieb.
Stadt der Söhne Vorschlag für eine Grossstadt mit Satelliten
1939
Das für die Landesausstellung erstellte Dörfli agierte als Gegen- pol zum übermässig aufkommenden Interna tionalismus. Es war handfester Angelpunkt patriotischer Gesinnung, die sich an einem handwerklich-bäuerlichen Ideal orientierte. ( Postkarte )
1944
Vision Armin Meilis für die Entwicklung der Vaterstadt Zürich: Zur Vermeidung einer Vermassung der Stadt schlug er das Konzept Stadt der Söhne vor, das eine Auflockerung von Gross-Zürich in Satellitenorte vorsah. ( Karte: Meili, 1944)
Makroebene Grossräumig gedacht: Dieser Ebene werden Leitbilder zugeordnet, die sich mit der landesweiten Raumplanung beschäftigen. Mesoebene Zunehmend an Bedeutung gewinnen Visionen auf regionaler und kantonaler Ebene, die funktionale Räume berücksichtigen. Mikroebene Hierzu zählen Bilder, die auf dem Massstab der Gemeinde agieren oder gar auf einzelne Quartiere fokussieren.
1 Lucius Burckhardt /Markus Kutter, wir selber bauen unsre Stadt, Basel 1953, S. 7. 2 Rudolf Hippius, «Macht und Grenzen des Vorbildes», in: Reichsuniversität Posen ( Hg.), Vorträge und Aufsätze, Heft 5, Posen 1943. Zitiert in: Bernd Streich, Grundzüge einer städtebaulichen Leitbildtheorie, Bonn 1988, S. 21. 3 Helmut Thielicke, Brauchen wir Leitbilder? Ein Wort an die Jugend über Größe und Elend der Ideale, Hamburg 1961, S. 42. 4 Erich Dittrich, « Zum Begriff des Leitbildes in der Diskussion über die Raumordnung», in: Informationen des Instituts für Raumforschung, 1 / 1958, Bad Godesberg 1958.
Zürich neu denken Indizien für einen Wandel in der europäischen Stadtentwicklungspraxis Um auch in zukünftigen Planungen die Qualitäten der europäischen Stadt, urbane Vielfalt wie soziale Durchmischung, zu bewahren, gilt es, sich wirklich auf dieses gesellschaftlich-räumlich-technische Geflecht einzulassen. Urbane Vielfalt kann dabei nicht als abstraktes, planbares Modell verstanden werden, sondern ist als faktisch immer schon präsente, weil gelebte und widersprüchliche Grösse bei der Weiterentwicklung unserer Städte anzunehmen. Autoren: Angelus Eisinger, Alexa Bodammer
archithese 5.2015
60 | 61
Gestaltete Aneignung I: Folly for a Flyover, Architektenkollektiv Assemble aus London, 2011. Eine ungenutzte Autobahnunterführung in Hackney Wick wurde in einen Treffpunkt für Kunst und Kultur transformiert. Als Kollektiv treten die Architekten in den Hintergrund; Die Umsetzung basiert auf Mitarbeit und Eigenleistung der Passanten und Anwohner. (Fotos: Assemble )
Zürich hat zur Stadt gefunden. Nicht nur zeigen sich wesentliche Tendenzen der europäischen Städtebaupraxis der letzten 20 Jahre in der Limmatstadt, sondern sie erfuhren zudem – bei den ambitionierten Projekten in öffentlichen Räumen oder in der Renaissance des genossenschaftlichen Wohnungsbaus – immer wieder wichtige Akzentuierungen und Impulse. Das gilt nicht nur für konkrete Bauten und Realisierungen, sondern wesentlich auch für planerische Verfahren. Hier kann auf die Testplanung als Methode der Exploration möglicher urbaner Zukünfte verwiesen werden, deren Anfänge auf verschiedenen kleineren und grösseren Industriebrachen der Stadt Zürich zu suchen sind, oder auf die Räumliche Entwicklungsstrategie (RES), für die in einem ämterübergreifenden Prozess gesamtstädtisch inhaltliche und räumliche Grundprinzipien formuliert wurden, die bis heute für das behördliche Arbeiten eine wichtige Referenz bilden.
Über die letzten zwei Dekaden ist in der Stadt Zürich eine eigenständige stadtplanerische Praxis der Verklammerung von Städtebau und Infrastrukturentwicklung entstanden. Das offenbart sich in der kompakten Silhouette des Gebäudeensembles der Europaallee ebenso wie in den markanten Akzenten der architektonisch prägnant ausformulierten Hochhäuser in Zürich-West. Ebenso spiegelt es sich im Norden Zürichs in den Verdichtungsprogrammen der Gartenstadt, in den Umgestaltungen von verkehrsumtosten Plätzen und Achsen in fokale Punkte des Quartierlebens. Sie stehen auch für einen sorgfältigen Umgang mit dem Bestehenden, das im neuen Sechseläutenplatz eine mutige Umdeutung erfahren hat.
Von der Pflichtübung zur Raumkultur Mitarbeit an der Stadt ersetzt Mitwirkung an der Planung Der Zürcher Stadtrat beauftragte für die Legislatur 2010 bis 2014 das Amt für Städtebau, Quartiere unter Einbezug der Bewohner zu gestalten. Der Rückblick zeigt, dass die lokal abgestimmten Herangehensweisen zu guten Resultaten führten. Dennoch ist das Potenzial der Mitwirkung noch nicht ausgeschöpft. Beispiele aus den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz verdeutlichen, dass sie weniger als gesellschaftliche Legitimation von Planung, sondern als Form einer Raumkultur zu verstehen ist. Eine solche Kultur erfordert das stetige Zusammenarbeiten aller Beteiligten. Autoren: Moana Heussler, Regula Iseli, Peter Jenni, Stefan Kurath
Die Wohn- und Gewerbebauten entlang der stark frequentierten Überlandstrasse in Zürich-Schwamendingen werden nördlich von einem Kanal und der Autobahn 4 begrenzt. Die starken Belastungen durch Strassen- und Fluglärm sowie Hochspannungsleitungen stellen die Eignung als Wohnort in Frage. Ein Masterplan zur Verdichtung des Areals wurde in einem kooperativen Verfahren entwickelt unter Einbezug von Grundeigentümern, Quartier- und Gewerbeverein, verschie dener Ämter der Stadt Zürich und Oester Pfenninger Architekten. (Plan: Amt für Städtebau der Stadt Zürich)
archithese 5.2015
70 | 71
Der Druck auf bestehende Stadtquartiere hat aufgrund politischer und raumplanerischer Bestrebungen zur EntwickStädtebauliches Quartierentwicklungsleitbild Wollishofen lung nach innen zugenommen. Stetige Veränderungen und unvorhersehbare Dynamiken verunmöglichen die Lenkung Der stetige Wachstumsdruck führte in Zürich-Wollishoder räumlichen Prozesse zusehends. Um diesen Unbestimmt- fen zu baulichen wie gesellschaftlichen Veränderungen, die heiten zu begegnen, helfen Leitvorstellungen und Orientie- bei der Bevölkerung zunehmenden Widerstand gegenüber rungspunkte, um im Hier und Jetzt Entscheidungen zu treffen grösseren Bauvorhaben hervorriefen. Dies war der Auslöser und die Weichen für angestrebte stadträumliche Entwick- für die Erarbeitung eines Quartierentwicklungsleitbildes. lungen zu stellen. Das Amt für Städtebau der Stadt Zürich hat Rund 40 Vertreter von Schulen, Altersheimen, Quartierverein, zusammen mit dem Tiefbauamt, Grün Stadt Zürich und der Grundeigentümern und weiteren Interessierten wurden einStadtentwicklung – ausgehend von den «Strategien Zürich geladen teilzunehmen. Grundlage für das Leitbild bildete eine 2025 » – die Räumliche Entwicklungsstrategie des Stadtrats für städtebauliche Testplanung, die einerseits auf verwaltungsdie Stadt Zürich ( RES) erarbeitet. Diese Grundlage sowie die internen Vorgaben der RES, namentlich den Bestimmungen politische Vorgabe «Stadt und Quartiere gemeinsam gestal- «Weiterentwickeln des verdichtungsempfindlichen Gebietes» ten» aus den Legislaturschwerpunkten 2010 bis 2014 führten und andererseits auf den Anliegen von Quartiervertretern zur Definition räumliche Leitbilder für einzelne Zürcher Quar- aufbaute. Dazu zählten unter anderem die Verbesserung wichtiere unter Mitwirkung von Bewohnern und Bewohnerinnen. tiger Verbindungen zwischen Quartier und See, die AufwerEin Forschungsprojekt des Instituts Urban Landscape tung von Begegnungs- und Freiräumen mit Ausstrahlung über und des Departements Soziale Arbeit der ZHAW beschäftigt das Quartier hinaus sowie die Stärkung einzelner Orte als sich im Auftrag des Zürcher Amts für Städtebau, der Stadtent- wichtige Quartierbausteine. Der Auftrag an die zwei Planungsteams, bestehend aus wicklung Winterthur und des Amts für Städtebau Winterthur mit der Praxis der Leitbildentwicklung und den damit ver- je einem Architektur- und Landschaftsarchitekturbüro, lautebundenen Mitwirkungsverfahren. Das Projekt verfolgt das te, ein städtebauliches Konzept für Wollishofen zu entwerfen. Ziel, diese Prozesse zu reflektieren und zu konsolidieren sowie Im Mittelpunkt standen die Gebiete mit Entwicklungspotenzioffene Fragestellungen bei der Konzipierung räumlicher Leit- al und deren mögliche Verdichtung unter Wahrung ihrer städbilder unter Mitwirkung der Bevölkerung zu diskutieren. Der tebaulichen Qualitäten. Es ging zunächst darum zu definieren, Vergleich von drei Zürcher Fallbeispielen zeigt, dass im Vorn- wo öffentliche Erdgeschossnutzungen vorzusehen sind und hinein Vorstellungen darüber bestanden, wie städtebauli- welche Entwicklungspotenziale die Hauptverkehrsachsen che Leitbilder zu entwickeln sind. Unter Einbezug der Bevöl- aufweisen.1 Die Entwürfe der Planungsteams wurden vorgekerung in die Planungsvorhaben galt es, unterschiedliche stellt und diskutiert, danach erfolgte in Zusammenarbeit mit Herangehensweisen auszutesten und erste Erfahrungen zu Vertretern der Mitwirkungsworkshops eine stadtinterne Konsammeln. solidierung der Inhalte zu einem Quartierentwicklungsleitbild, gegliedert in die vier Themen Bebauungsstruktur, Landschaft und Freiräume, Begegnungsorte und Wegnetze sowie öffentliche Infrastruktur. Im Rahmen einer Schlussveranstaltung wurde das Leitbild der Bevölkerung präsentiert.2
1 Die Anliegen der Quartiervertreter waren unter anderem: die Verbesserung wichtiger Verbindungen zwischen Quartier und See, die Aufwertung von Begegnungs- und Freiräumen mit Ausstrahlung über das Quartier hinaus sowie die Stärkung einzelner Orte als wichtige Quartierbausteine. 2 Siehe: Städtebauliches Quartierentwicklungsleitbild Wollishofen, Amt für Städtebau der Stadt Zürich, September 2013.