Korrektive Feinfühlige Justierungsprozesse in der ( Schweizer ) Architektur Ineinandergreifen : Vielschichtigkeit und starke Konzepte
Haltungen Capaul & Blumenthal, Marazzi Reinhardt und Caruso St John über ihren spezifischen Umgang mit Ort, Kontext und Referenzen
Gebaute Sensibilität Lilitt Bollinger – Stallumbau in Obstalden Martin Bühler – Haus mit dünnen Wänden, Zürich idA buehrer wuest – Haus an der Breitensteinstrasse, Zürich Feissli Gerber Liebendörfer und Freiluft – Tagesschule Lorraine, Bern Fuhrimann Hächler – Reihenhaus in Seengen
Neues Feingefühl
JUN – AUG 2.2017 CHF 28.– | EUR 24.–
Neues Feingefühl JUN – AUG 2.2017
5 Editorial
40 Verborgene Qualitäten
sichtbar gemacht 10 Altes Feingefühl Sensible Korrektive Christoph Ramisch
idA, Haus an der Breitensteinstrasse, Zürich Rainer Schützeichel
16 Diskussionskultur Sergio Marazzi und Andreas Reinhardt über ihren Kontextbegriff, das Debattieren und die Innovationskraft des Handwerks Elias Baumgarten
48 Hinter dem Scheunentor
24 Die Sinnlichkeit
der Geometrie Martin Bühler, Haus mit dünnen Wänden, Zürich Frida Grahn 32 Gespür für die
unmittelbare Realität Caruso St John über die Newport Street Gallery in London Gregory Grämiger
ein Loft Lilitt Bollinger, Stallumbau in Obstalden Marcel Hodel 56 Die Wahrnehmung schärfen Gordian Blumenthal und Ramun Capaul im Gespräch Anne-Dorothée Herbort 66 Typologische Erinnerungen Fuhrimann Hächler, Reihenhaus in Seengen Ansgar Staudt 74 Justierungsprozesse Feinfühlige Korrektive in der Architektur Andrea Wiegelmann
Coverbild basierend auf einem Foto von Valentin Jeck; idA buehrer wuest architekten, Umbau Haus an der Breitensteinstrasse 45 in Zürich
80 Wohlüberlegte Inkonsequenz Feissli Gerber Liebendörfer, Freiluft, Tagesschule Lorraine, Bern Hella Schindel
Rubriken 86 Architekt und Künstler Ein Nachruf des FSAI auf sein Ehrenmitglied Ernst Breit 88 Premium Brands Online 90 Neues aus der Industrie 96 Vorschau und Impressum
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Editorial Neues Feingefühl
Es ist in den letzten Jahren schwieriger geworden, neue Strömungen in der Architektur zu benennen – sei dies in der Schweiz oder allgemein –, da das Bauen im Vergleich zu den 1990er-Jahren wieder weniger regional determiniert erscheint. Sucht man dennoch nach Gemeinsamkeiten und «Schulen», läuft man als Redaktion Gefahr, zu verallgemeinern oder sich zu einseitig auf formale Ähnlichkeiten zu beziehen. Und doch zeigen sich ab und an thematische Verdichtungen und es kristallisieren sich verbindende Stossrichtungen heraus. Dann kann es lohnen, den Versuch einer Diskursverdichtung zu wagen und gemeinsame Intentionen zu verbalisieren. In den vergangenen zwei Jahren sind der archithese-Redaktion immer wieder spannende Um-, Ersatz- und Neubauten begegnet, bei denen wir eine neue Sensibilität zu entdecken glauben. Zu unserer Freude waren die Autoren häufig «junge» Büros. Um gleich vorab einem Missverständnis vorzubeugen: Es soll keinesfalls behauptet werden, dass es der helvetischen Baukultur bislang an «Gefühl» gemangelt habe; der Diskurs um «Atmosphäre» war schliesslich in den 1990ern ein Kernthema der Architekturdebatte. Der Fokus hat sich allerdings vom Auratischen und Kontemplativen zu einer vielschichtigeren Lesung des Kontexts verschoben. Diese zeigt sich im Umgang mit dem Bestand, den Körnungen, dem Aufgreifen spezifischer und charismatischer Typologien und einer ausgefeilter artikulierten Tektonik. Auch das mag im helvetischen Diskurs nicht als genuin neu erscheinen, doch fällt hier eine besondere Balance auf. Bei diesem neuen Feingefühl werden verschiedene Strömungen der Schweizer Architektur einander angenähert oder gar zusammengeführt, ohne dass sie dadurch schwächer würden. Einige räumliche und formale Elemente der gezeigten Projekte wirken daher vertraut: Analoge Konzepte und Minimalismus schwingen genauso nach wie Neoklassizismus, As Found, Brutalismus, die Bündner Schule oder Motive der autonomen Architektur wie expressive Tragwerke und starke Geometrien.
Die miteinander verschränkten Zeitschichten haben häufig die gleiche Kraft, sind unabhängig und doch sympathisch komplementär. Das neue Feingefühl zeigt sich forsch und doch rücksichtsvoll. Staab Architekten suchen nach einer radikalen Behutsamkeit – ein Begriff, der auch auf viele jüngere Werke der Schweizer Architektur gut passt. Es entstehen Werke, die ein höheres Mass an Mehrschichtigkeit und Widerspruch zulassen und dies nicht als konzeptionelle Schwäche, sondern als ihre eigentliche Stärke begreifen. Bereits im vergangenen Jahr haben wir diesen thematischen Ball mit Pecha Kucha-Vorträgen im S AM in Basel angestossen. Das Heft fügt dem weitere Beispiele junger Bauten hinzu und versucht zudem, eine Theorie zum aktuellen Korrektiv aufzuspannen und mit drei Büroporträts in Interviewform möglichst tief in die gedanklichen Kosmen verschiedener Protagonisten vorzudringen. Am 21. Juni bringen wir das Leder dann ins Tor: Im Rahmen eines zweiten Pecha Kucha werden zehn Autoren weitere Bauwerke vorstellen. Diese Veranstaltung findet im Landesmuseum Zürich statt und ist zugleich Heftvernissage und Sommerfest der archithese. Sie sind herzlich eingeladen! Jørg Himmelreich Chefredaktor archithese
Praktikum in der Redaktion archithese sucht einen Praktikanten oder Volontär für ein halbes oder ganzes Jahr. www.archithese.ch
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New Sensitivity It has become harder to identify new trends in architecture – whether specifically in Switzerland or in general – but construction seems less regionally determined ( compared with the 1990s, for example ). If you nevertheless look for similarities and “schools”, as an editor you run the risk of generalizing, or of focusing too one-sidedly on formal similarities. And nevertheless, themes consolidate every now and then, thereby leading to unifying strategic trajectories. As this point it can be worth your while to venture an attempt at consolidating the discourse and to verbalize mutually shared intentions. Over the past two years, we on the editorial team at archithese have encountered an exciting group of new buildings, conversions and replacement buildings in which we believe to have discovered a new sensibility. To our delight, the creators were often “young” firms. In order to preclude any misunderstanding at the outset: by no means should it be said that Swiss building culture lacks “feeling”. After all, the discourse about “atmosphere” was a central topic of debate in the 1990s. But the focus has shifted from the auratic and contemplative to a more complex reading of context. This is reflected in how one deals with the existing built fabric, the urban grain and the appropriation of specific and charismatic typologies and elaborately articulated tectonics. This, too, may not seem ge nuinely new to the Swiss discourse, yet an exceptional balance is in evidence. The new sensitivity brings different Swiss architectural trends closer to one another, and may even fuse them without causing them to weaken. Thus some of the spatial and formal elements of the projects shown seemed familiar : Minimalism and Analogue concepts resonate just like neoclassicism, the As Found movement, brutalism, the Bündner School, and motifs of autonomous architecture with expressive structures or bold geometries. The intertwined chronological layers often have the same force and are independent yet sympathetically complementary. The new sensitivity is self-assertive and yet deferential. Staab Architekten speak of radical circumspection. It results in works that allow a higher degree of multidimensionality and contradiction, and understand this not as a conceptual weakness, but as their intrinsic strength. Last year, we got the thematic ball rolling with PechaKucha presentations at S AM in Basel. This issue offers further examples of ten recent buildings. In addition, the issue seeks to define a theory of the current corrective and, with three office portraits in interview form, to also penetrate as deeply as possible into the intellectual cosmos of various protagonists. We will truly drive the ball into the net on June 21 : as part of a second PechaKucha Night, the additional buildings will be presented by their respective authors. The event at the National Museum Zurich is both our issue release party and archithese’s summer festival. You are cordially invited ! Jørg Himmelreich editor-in-chief of archithese
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Nouvelle Sensibilité Désigner de nouveaux courants architecturaux est devenu plus difficile, que ce soit en Suisse ou de manière générale, dans la mesure où l’acte de bâtir ( en comparaison des années 90 ) apparait à nouveau comme moins déterminé régionalement. Si on se met malgré tout à la recherche de points communs et d’« écoles », on court le risque en tant que rédaction de généraliser ou de tabler trop unilatéralement sur des ressemblances formelles. Des accentuations thématiques font cependant parfois leur apparition et des orientations concordantes se cristallisent. Il peut alors valoir la peine de tenter l’expérience d’une densification du discours et de la formulation d’intentions communes. Au cours de ces deux dernières années, la rédaction d’archithese a fait la connaissance d’un groupe passionnant de bâtiments neufs, de transformations et de bâtiments de substitution, auprès desquels nous pensons découvrir une nouvelle sensibilité. Pour notre plaisir, de « jeunes » bureaux en sont souvent les auteurs. Pour prévenir tout malentendu, qu’il soit d’emblée dit que nous ne voulons pas affirmer que la culture du bâtiment en Suisse a manqué de « sentiment ». Le discours concernant l’« atmosphère » était après tout un thème central du débat des années 90. Le centre d’intérêt s’est cependant déplacé de ce qui est porteur d’une aura et de ce qui est contemplatif vers une lecture plus multidimensionnelle du contexte. Cette lecture s’exprime dans la manière de traiter l’existant, dans la granulométrie, la manière de s’emparer de typologies spécifiques et charismatiques, ainsi que par une tectonique à l’articulation sophistiquée. Tout cela n’apparait pas comme véritablement nouveau dans le discours helvétique, mais un équilibre particulier attire notre attention. La nouvelle sensibilité fait se rapprocher et même se rassembler différents courants de l’architecture suisse sans pour autant les affaiblir. Quelques composantes physiques et formelles des projets présentés nous paraissent ainsi familières : des concepts analogues et le minimalisme font écho, tout comme le néo-classicisme, As Found, le brutalisme, l’école grisonne ou des motifs de l’architecture autonome avec des porteurs expressifs et des géométries marquantes. Les strates du temps imbriquées entre elles ont souvent la même force, elles sont indépendantes les unes des autres et pourtant complémentaires de manière sympathique. La nouvelle sensibilité est fringante et tout de même prévenante. Les architectes Staab parlent de « précaution radicale ». Des réalisations qui permettent un degré de complexité et de contradiction plus élevé voient le jour, considérant ceci non pas comme une faiblesse du concept mais comme faisant spécifiquement leur force. L’an passé, nous avons déjà poussé du pied le ballon thématique avec des exposés Pecha Kucha au Musée d’architecture suisse à Bâle. Ce numéro ajoute d’autres exemples concernant des constructions récentes. Nous tentons par ailleurs d’échafauder une théorie se rapportant au présent correctif. Trois présentations de bureaux sous forme d’interview devraient nous permettre de pénétrer le plus profondément possible dans les configurations intellectuelles des différents protagonistes. Le 21 juin, nous mettrons le ballon dans le but : dans le cadre d’un deuxième Pecha Kucha, les auteurs respectifs présenteront dix réalisations supplémentaires. La manifestation, qui se déroulera au Musée national à Zurich, correspondra à la fois au vernissage du présent numéro et à la fête de l’été d’archithese. Vous êtes cordialement invités ! Jørg Himmelreich rédacteur en chef d’archithese
archithese kontext 21. Juni 2017 18.00 – 21.00 Uhr Schweizerisches Nationalmuseum Museumstrasse 2, Zürich Willy G. S. Hirzel Auditorium
Pecha Kucha
Neues Feingefühl II Lilitt Bollinger, lilitt bollinger studio, Basel Harry van der Meijs, raumfalter Architekten, Zürich Patrick Schmid, Schmid Schärer Architekten, Zürich Sebastian Holzhausen, Holzhausen Zweifel Architekten, Zürich Oliver Menzi, Menzi Bürgler Architekten, Zürich Gus Wüstemann, gus wüstemann architects, Zürich Philippe Jorisch, JOM Architekten, Zürich Roland Bernath, bernath+widmer, Zürich Ramon Arpagaus, Capaul & Blumenthal, Ilanz Armon Semadeni, Armon Semadeni Architekten, Zürich
Flinke Wort, prägnante Bilder und starke Konzepte: archithese rückt wieder Bauwerke ins Rampenlicht, die einen sensiblen Umgang mit dem Kontext und eine starke architektonische Setzung ausbalancieren. Zehn Referenten präsentieren je ein Projekt mit einem knackigen Kurzvortrag. Danach kann in entspannter Atmosphäre beim Apéro nach Herzenslust weiter debattiert und gefachsimpelt werden.
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Altes Feingefühl Sensible Korrektive Im Feingefühl liegt eine verbindende Schnittmenge gegenwärtiger Entwurfsansätze. Eine undogmatische und aufgeschlossene Herangehensweise meist junger Protagonisten führt zu einer subtilen Neuausrichtung der schweizerischen Architekturproduktion, ohne dass etablierte Strömungen verneint oder etablierte Qualitäten über Bord geworfen würden. Was derzeit zu beobachten ist, kann als Korrektiv verstanden werden, als Justierungsprozess, wie er sich in der ( modernen ) Architektur wiederholt ausmachen lässt. Vergleichbar dazu ist beispielsweise die Humanisierung des Neuen Bauens in den 1940er-Jahren. Die theoretischen Wurzeln führen aber weiter zurück – bis zu den wahrnehmungsästhetischen Überlegungen im späten 19. Jahrhundert. Autor : Christoph Ramisch
Verschiebungen Christian Kerez’ Haus mit einer Wand überzeugt als stringente Lösung einer selbstgewählten Entwurfsaufgabe. Eingehüllt in eine stützenfreie Haut aus grossformatigen Fens tern thront es als stilles Zeugnis schweizerischer Architektur präzision über dem Zürichsee. Die namensgebende Wand ist dabei mehr als die Trennung der beiden freien Wohngrundris se. Neben der räumlichen Zonierung dient sie sowohl der kon struktiven Lastabtragung als auch zur Aufnahme sämtlicher Installationen und erwächst so zum alles definierenden Ele ment des Gebäudes. Unberührt vom Kontext generiert der Bau dieses ihn bestimmende Konzept vollends aus sich selbst her aus. Die Idee ist absolut, die Architektur autonom. In seinem Anspruch an eine präzise Detailausbildung und eine makello se Materialisierung vereint der Architekt die Eigenschaften jener minimalistischen Perfektion, die sowohl die äussere Wahrnehmung als auch das Selbstverständnis der schweizeri schen Architektur seit der Jahrtausendwende prägen. Die in trospektive Konzentration ist auf das räumliche Konzept ge richtet und noch bei jeder einzelnen fotografischen Abbildung spürbar. Der architektonische Ausdruck ist Inhalt genug ; jeder Anschein individueller Gestaltung scheint bewusst vermieden worden zu sein.
Anhand eines kleinen Projekts verdeutlichen Christian Scheidegger und Jürg Keller, ehemalige Mitarbeiter des Büro Kerez, eine inhaltliche Verschiebung dieses Ansatzes. Ihr Haus mit zwei Stützen aus dem Jahr 2014 stellt die Nähe zur Architektur ihres Lehrers nicht nur durch die Namensgebung heraus, sondern besticht auch durch eine ebenso klare Ent wurfskonzeption. In dem kleinen Bau am Sarnersee gliedern zwei betonierte Stützen den offenen Raum, bevor sie sich dank asymmetrischer Verzweigungen mit dem räumlichen Trag werk der Dachkonstruktion verbinden. Im Innenraum erleb bar, lassen Stützen und Stabwerk das schwere Dach als orga nische Einheit über einer umlaufenden Verglasung schweben. Anders als beim Bau am Zürichsee liessen die beiden jungen Architekten jedoch auch äussere Einflüsse auf die Gestaltung zu. Während Standort und Ausmass des Baus durch die Bestandsgarantie identisch zu denen des Vorgängers sein mussten, setzen die bestehenden und signifikanten Terrassie rungen der Sarner Uferlandschaft einen neuen Akzent im Gebäude. Ins Innere fortgeführt, zonieren höhenversetzte Ebenen die unterschiedlichen Wohnnutzungen. Das massive Zeltdach mit tiefgezogener Traufe sucht in seiner prägnanten Form und natürlichen Materialisierung den bewussten Bezug
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Diskussionskultur Sergio Marazzi und Andreas Reinhardt im Gespräch mit Elias Baumgarten Bauen im Bestand erfordert laut Sergio Marazzi und Andreas Reinhardt vor allem eine starke Haltung. Doch was meinen sie damit ? Für die beiden sind Sensibilität für den Kontext und die Diskussion mit allen Beteiligten der Schlüssel zu gelungenen Gestaltungen. Beide haben überdies ein grosses Faible für das Stricken von Narrationen, welche sich etwa aus dem Lebensentwurf der Bauherren oder der Historie des Ortes speisen. Jedes Bauwerk hat für sie zudem einen « überprivaten Charakter », wie Marazzi ergänzt. Deshalb sollen die Gestaltungen des Winterthurer Duos einen Mehrwert für alle generieren und Orte weiterentwickeln. Mal kann dies durch sehr kraftvolle Architekturen geschehen, dann wieder durch feine, dezente Interventionen.
Elias Baumgarten In eurem Portfolio finden sich viele Umbauten und Sanierungen in Kernzonen, bei denen euch ein Balanceakt zwischen kraftvoller Setzung und Sensibilität für den Kontext gelungen ist. Im Mai letzten Jahres habt ihr beim archithese-Pecha-Kucha im Schweizerischen Architekturmuseum S AM in Basel das Haus zum Baumgarten in Beggingen gezeigt – für mich ein gutes Beispiel für diese Haltung. Habt ihr eine besondere Vorliebe für das Bauen im Bestand ?
Sergio Marazzi Das hat sich ein Stück weit durch unsere Akquisitionsstrategie ergeben : Schon während des Studiums haben wir begonnen, an Direktaufträgen zu arbeiten. Ursprünglich, um uns eine Vertrauensbasis aufzubauen und sichtbare Referenzen zu schaffen, aber auch als Ersatz für einen gewöhnlichen Studentenjob. So entstanden zum Beispiel das Gartenhaus Transformer in Thundorf ( 2005) oder der Anbau an der
Foto : Lea Hepp
Trottenstrasse ( 2006). Dabei hat sich bald ein Auftrag aus dem anderen ergeben. Salopp könnte man von Mund-zu-MundPropaganda sprechen. Einer gewissen Eigendynamik folgend, landeten immer wieder ähnliche Bauaufgaben auf unserem Tisch. Wir konnten so beim Umbau in eine gewisse Tiefe vordringen und ein fundiertes Wissen erwerben. Sicher, wir haben auch kleine Neubauten realisiert, doch haben wir für unsere Umbauten und Sanierungen, die sich meist in Kernzonen befinden, mehr Aufmerksamkeit erhalten. Andreas Reinhardt Umbauten sind eine sehr spannende Aufgabe – gerade heute, wo die Thematik von Nachverdichtung und Umnutzung aufgrund veränderter Gesellschaftsstrukturen, von Bevölkerungszunahme an einem Ort und -abnahme an anderen immer wichtiger wird. Solchen Bauaufgaben kommt künftig eine wachsende Bedeutung zu. Wie verhält man sich als Gestalter in gewachsenen Strukturen ? Dabei muss es sich jedoch nicht unbedingt um Kern zonen handeln. Genauso interessant ist die Frage, wie man sich beispielsweise
an der städtischen Peripherie oder bei der Umnutzung ehemaliger Gewerbeoder Industrieanlagen verhält. SM Wir haben gelernt, dass es beim Umbau vor allem darauf ankommt, eine starke Haltung zu entwickeln. Das heisst aber nicht, dass man mit einem fixfertigen Konzept ankommen und dieses durchboxen kann oder soll. Dafür gibt es zu viele Variablen, auf die reagiert und zu denen Position bezogen werden muss. Was zum Beispiel tun, stösst man in einem alten Gebäude auf unerwartete Layer oder birgt an einem Ort neue, ungeahnte Geschichten ? Man muss in der Lage sein, auf solche Situationen zu rea gieren, ohne sich von ihnen dominieren zu lassen. AR Das beste Konzept kann sich rasch als obsolet entpuppen. Wichtig ist die Fähigkeit, sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen, sowie die Bereitschaft, immerzu zu hinterfragen und zu diskutieren.
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Verborgene Qualitäten sichtbar gemacht idA architekten : Umbau Haus in der Breitensteinstrasse 45, Zürich Der sensible Umbau respektiert das Vorhandene, passt es aber – wo nötig – an die Ansprüche des modernen Wohnens an. Eine massvolle Erweiterung um einen balkonhaltigen wireframe ghost ermöglicht neue Formen des Miteinanders und verleiht dem an sich ruppigen Haus eine kommunikative Offenheit. Zugleich ist das Projekt eines der wenigen in der Schweiz realisierten « kritischen Projekte », da die Architekten eigentlich beabsichtigten, die Lücke zum Nachbarhaus baulich zu schliessen. Dies durften sie jedoch nicht. Indem die Metallstruktur der Balkone eine denkbare Umrissfigur der gescheiterten Verdichtung sichtbar macht, üben sie Kritik am Baugesetz und machen zugleich auf vertane Chancen aufmerksam. Autor : Rainer Schützeichel Fotos : Valentin Jeck
Am Haus in der Breitensteinstrasse 45 im Zürcher Quar tier Wipkingen lassen sich verschiedene Phasen der Urbani sierung ablesen. 1893, im Jahr seiner Errichtung, wurde das bis dahin eigenständige Wipkingen der Stadt Zürich einge meindet. Bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstücke wurden überbaut und städtische Wohn- und Geschäftshäuser begannen das Gesicht des neuen Zürcher Quartiers zu prägen. In den unteren Etagen mit Putzdekor lagen Läden, dar über wohnten Mieter. Einige Jahrzehnte nach der Erbauung wurden dem Haus eingeschossige Garagen angedockt. Damit wurde der Motorisierung Tribut gezollt, die sich den Städten in immer breiteren, immer autogerechteren Strassen ein schrieb. Von dieser späteren Phase der Urbanisierung zeugt auch die vielspurige Hardbrücke ( 1972 ), welche die nahe Lim mat und das entferntere Gleisfeld überspannt, den Stadtkörper aber jäh durchschneidet.
Heute – wiederum Jahrzehnte später – findet eine neue Welle der Urbanisierung statt : Mit der Revision des Raumpla nungsgesetzes von 2014 wendet sich das Augenmerk vom dif fusen, weit ins städtische Umland ausgreifenden Siedlungs brei hin zu den Möglichkeiten, die mit der inneren Verdichtung von Stadtquartieren einhergehen. Im Zuge dieses Paradigmen wechsels trat das Haus in der Breitensteinstrasse aus seiner passiven Rolle heraus, mit der es in der Vergangenheit die ver schiedenen Entwicklungen mitgemacht, kaum aber geprägt hatte. Mit bescheidenen Mitteln und doch mit einer kraftvol len Geste machte das junge Zürcher Architekturbüro idA mit dem Umbau des Hauses auf dessen Potenziale aufmerksam. Die Mehrfachcodierung des Bauwerks haben sie sanft heraus gearbeitet, docken damit an die verschiedenen Zeitschichten des Quartiers an und fügen eine neue hinzu.
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Die Wahrnehmung schärfen Anne-Dorothée Herbort im Gespräch mit Gordian Blumenthal und Ramun Capaul Die Projekte des Architektenduos aus Ilanz – Umbauten, Erweiterungen und Sanierungen – schöpfen ihre Kraft aus einer selbstbewussten und doch sensiblen Interaktion mit dem Bestand. Für ihre Architektur verwenden die Architekten lokale Materialien und greifen traditionelle Bauweisen auf, spinnen sie jedoch permanent weiter und passen sie an die heutigen Bedürfnisse an. Das Gespräch über Strategien und Haltung des Bündner Büros fand im Badehaus Davos Munts in der Val Lumnezia statt ; Heimat und Arbeitsort der beiden Architekten. Es thematisiert, wie Architekten und Architektur Impulse für die Gemeinschaft und Ökonomie geben können.
Anne-Dorothée Herbort Eure Projekte sind
ADH Das im Jahr 2014 fertiggestellte
sehr direkt – und doch poetisch. Bei den
Badehaus ist ein Neubau in einer grandiosen
meisten von ihnen handelt es sich um
Berglandschaft. Wie geht ihr vor, wenn ihr ein
Umbauten. Offensichtlich braucht ihr den
Projekt « auf der Grünen Wiese » plant ?
Bestand als Reibungsfläche, um kraftvolle Architektur zu entwickeln ?
Gordian Blumenthal Das Anknüpfen an die Umgebung oder den Bestand und das Aufgreifen traditioneller Bauweisen ist für uns ein wichtiges Thema. Beides gibt uns Parameter vor, auf denen wir aufbauen können. Wir sehen unsere Arbeit in einer jahrhundertealten Bautradition. Zwar entwickeln wir sie auch stets weiter, aber in kleinen Schritten. Durch die Wahl von lokal verfügbarem Material und das Aufgreifen tradierter Konstruktionen – häufig in Zusammenarbeit mit regionalen Handwerksbetrieben – schaffen wir eine Verbundenheit von Gebäuden, Orten und Menschen. Das tut uns und der Architektur gut. Und wir sind überzeugt, dass die Nutzer – wie hier beim Haus am Badesee – das ebenfalls spüren können.
Ramun Capaul Das Badehaus sollte vertraut erscheinen und auch in der Landschaft nicht fremdartig wirken. Der Badesee in Davos Munts wurde bereits vor 20 Jahren angelegt. Wir haben nach dem richtigen Verhältnis des Gebäudevolumens zu seiner Umgebung gesucht, indem wir die Proportionen genau austariert haben. Wir haben das Gebäude leicht vom Hang abgedreht an die Bergstrasse gesetzt. Mit der Felsenlandschaft fasst es das Gelände des Badesees, doch bleibt es zugleich zur Berglandschaft auf der anderen Talseite hin offen. Wir wollten ein niedriges Volumen, das grosse Raumprogramm wäre eingeschossig umgesetzt aber zu flächig geworden. Wir haben es daher zweigeschossig ausgeführt, aber einen optischen Kniff angewendet : Durch das ausladende Pultdach erscheint es vom See aus eingeschossig. ADH Wo habt ihr angeknüpft, um das Badehaus kontextuell einzubetten ?
Foto : Lea Hepp
RC Auch wenn die Nutzung eine neue ist : Wir haben nach Referenzbauten gesucht. Wir befinden uns oberhalb des Siedlungsgebiets. Hier sind kleine Architekturen – Landwirtschaftsbauten,
die verstreut auf den Wiesen stehen – typisch. Diesen traditionellen Stallscheunen hat man – standen sie weiter weg vom Dorf – zusätzlich eine Hütte angebaut oder ein einfaches Haus mit Feuerstelle, Stube und Schlafkammer daneben errichtet. Diese temporär bewohnten Bauten auf den Maiensässen waren einfachere Häuser als im Dorf, ohne repräsentativen Charakter oder getäferte Stuben. Strick – innen und aussen. Das Badehaus soll daran erinnern, wo wir uns befinden : auf der Höhenstufe zwischen Alp und Dorf. ADH Welche Rolle spielt der Strickbau, um die angesprochene Vertrautheit zu schaffen ?
GB Das Badehaus ist ein Betriebsgebäude für ein Programm, das es vorher in dieser Lage nicht gab. Doch mit der traditionellen Konstruktionsweise und dem lokalen Handwerk schaffen wir die gewünschte Vertrautheit. Der Strickbau war für Jahrhunderte in den Dörfern die übliche Bauweise, bis zum Einzug von industriellen Produkten nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach gab es einen Bruch – bis Gion A. Caminada in den 1990er-Jahren den Strickbau wiederentdeckt hat. In der Erinnerung der Leute ist er immer fest verankert geblieben, und heute wieder selbstverständlich. Er gibt uns das Regelwerk vor, wie wir das Material zu verarbeiten haben.
Capaul & Blumenthal, Badehaus Davos Munts, Val Lumnezia, 2014 ( Fotos : Lucia Degonda )
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Links von unten nach oben Schnitte A und B Rechts von unten nach oben Grundrisse Erdgeschoss und Obergeschoss
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Typologische Erinnerung Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler : Reihenhaus in Seengen Fuhrimann Hächler Architekten haben gemeinsam mit einer engagierten Bauherrschaft eine spannungsreiche, dichte und sozial durchmischte Kleinwohnanlage im dörflichen Kontext verwirklicht – ein Projekt im Spannungsfeld zwischen Raum und Dichte, Urbanität und Landschaft, Gemeinschaft und Privatheit. Das Bauwerk ist weit mehr als nur eine Gruppe von Reihenhäusern im Gewand einer Scheune. Für seine Form wurde die Kubatur des vormaligen Bauernhofs aufgegriffen, wodurch typologische Erinnerungen wachgehalten und Referenzen etabliert werden. Zudem verbindet sich der Bau so mit dem Dorfzentrum. Kombiniert mit einer freien as-found-Ästhetik, ist die Anlage jedoch weit davon entfernt, Altes plump zu kopieren. Die Reihenhäuser überzeugen als kraftvolle Abstraktion und gelungene Übersetzung in die heutige Zeit. Autor : Ansgar Staudt Fotograf : Valentin Jeck
Verwandtschaft Seengen am nördlichen Ende des Hallwilersees, rund 20 Kilometer südwestlich von Aarau gelegen, besticht durch seine gewachsene Dorfstruktur. Den westlichen Rand des Zentrums markiert die evangelisch-reformierte Kirche mit Gemeindehaus und umgebendem Friedhof. Dort geht die dichte Kernzone nahtlos in eine lockere Siedlungsstruktur aus einzelnen Bauernhäusern und Scheunen über. Eingebettet zwischen verstreuten Wohngebäuden ruhte hier ein langgestrecktes Bauernhaus mit integrierter Scheune. Es stand eine Zeit lang leer; die zugehörige Scheune war einsturzgefährdet, weshalb das Ensemble verkauft, abgerissen und die Parzelle neu bebaut werden sollte. Rasch stand die Befürchtung im Raum, Investoren könnten den Hof erwerben und durch ein optimiertes Renditeobjekt ersetzen. So wurde der Ruf nach einer alternativen Gesamtlösung laut, dem die sozial engagierte Bauherrschaft folgte. Sie holte schliesslich Fuhrimann Hächler für die Gestaltung und Konzeption des Ersatzbaus ins Boot. Der Hof orientierte sich mit seiner groben Nord-Süd-Ausrichtung sowohl zum Dorf als auch zum Landschaftsraum. Durch diese Positionierung wurde ausserdem an der östlichen Seite ein grosser Vorplatz mit einem Nussbaum aufgespannt, zu dem die Kirche vis-à-vis liegt. Im Westen lief die Parzelle dagegen in eine weitläufige Grünfläche aus. Der Neubau greift diese Lage auf dem Grundstück wieder auf.
Fuhrimann Hächler entwarfen eine durchmischte Kleinwohnanlage, die 2015 realisiert wurde. Das neue Gebäudevolumen ähnelt in Kubatur und Grösse dem abgebrochenen Bau und soll dessen Dachform in spielerischer Weise zitieren. Eine abgezwackte Ecke im Südosten ist der ungewöhnlichen Form der Parzelle geschuldet. Die Gesetzgebung zu den Abstandsflächen führte zum Aufbruch der Kubatur, was der Gestalt zugute kommt. Durch die unmittelbare Nähe zur Kirche unterlag die Parzelle dem kantonalen Ortsbildschutz. Deshalb galt es, eine sensible Lösung im Bezug auf vorhandene Gebäudetypologien und die städtebauliche Setzung zu entwickeln, die sich in den vorhandenen Kontext einfügt oder im besten Fall sogar den Genius Loci stärkt.
Justierungsprozesse Über feinfühlige Korrektive in der aktuellen ( Schweizer ) Architektur : Eine vergleichende Betrachtung bemerkenswerter Projekte Waren es lange Zeit zwei Antipoden, welche die Schweizer Architektur prägten – auf der einen Seite eine autonome, auf sich bezogene, oftmals ikonische Architektur, auf der anderen Seite eine analoge Position –, so lässt sich bei den Bauten der letzten Jahre ein Wandel beobachten. Im Umgang mit dem Städtebau, der Materialität und auch der Durcharbeitung der Baukörper ist eine grosse Sensibilität für den Ort und das weitere Umfeld sowie eine entspannt wirkende und doch wohldurchdachte Vorgehensweise mit historischen Bezügen auszumachen. Die im Essay vorgestellten Projekte zeigen Tendenzen und Aspekte dieser Entwicklung auf und sind in diesem grösseren Kontext zu verstehen. Autorin : Andrea Wiegelmann
Herzog & de Meuron, Musée Unterlinden, Colmar, 2015 ( Foto : Ruedi Walti )
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Das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron hat im vergangenen Jahr zwei Projekte fertiggestellt, die als Antipoden gelesen werden können : Die Elbphilharmonie in Hamburg ( siehe hierzu : Jørg Himmelreich, « Eine Hafenstadt findet ( wieder ) zum Wasser », in : archithese 1.2017 Swiss Performance, S. 8–15 ) und das Musée Unterlinden in Colmar. Beide Bauten stehen stellvertretend für architektonische Positionen, die sich im Umgang mit dem Kontext deutlicher nicht unterscheiden könnten. Während die Elbphilharmonie als Solitär und Landmarke in ihrem städtebaulichen Umfeld steht und dies bewusst zelebriert, betreibt das Museum in Colmar an seinem Standort Stadtreparatur. In Hamburg ist eine autonome Architektur als Zugpferd des Stadtmarketings entstanden, die für das Hafenareal städtebaulich relevant ist. In Colmar zeugt die Sanierung und Erweiterung des Museums im Zentrum der Stadt von einer grossen Sensibilität für den unmittelbaren Ort. Der ehemalige Busbahnhof, zuletzt eine wenig einladende Brache, die den ehemals frei liegenden Flusslauf der Sinn überdeckte, wurde zu einem urbanen Ort umgewidmet. Entstanden ist eine « Museumsstadt » im Kleinen, die sich in den Kontext einfügt, das Potenzial des städtischen Raums freilegt und damit Aufenthaltsqualitäten schafft.
Eine neue Sensibilität gegenüber dem Ort In Hamburg « erhebt » sich der Neu- über den Altbau. Die beiden Volumen sind deutlich als solche wahrnehmbar. Die Elbphilharmonie bietet auf der Ebene, die den Speicher von der darüber liegenden gläsernen Konstruktion trennt, einen öffentlichen Platz. Auf der Stadtebene jedoch geschieht wenig. Der gewaltige Sockel unterstreicht die solitäre Position des Gebäudes. Der Bezug zum Hafengebiet ist auf einer übergeordneten Ebene angesiedelt : Vom Wasser aus bildet der Hybrid gleichsam den Auftakt des anschliessenden Quartiers. In Colmar formulieren hingegen die Altbauten gemeinsam mit den Neubauten die präzisierte städtebauliche Setzung am Ort selbst. Die Instandsetzung und Erweiterung des Musée Unterlinden beschränkte sich nicht nur auf das sorgfältige Weiterformen der bestehenden Anlage. Die ergänzenden Bauten und Elemente sprechen eine eigenen Sprache und konstituieren aus der Assemblage des Bestehenden ein neues Ganzes. Das alte Museumsgebäude – eine gotische Klosterkirche aus
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dem 13. Jahrhundert – wurde jenseits des wieder freigelegten Flusses um einen dreigeschossigen Neubau erweitert. Dieses Ausstellungshaus mit seiner Hülle aus gebrochenen Backsteinen und einem Kupferdach, mit seinen wenigen schmalen, von den gotischen Fenstern des Altbaus inspirierten Lichtschlitzen liegt an der Rückfront der umgebauten historischen Schwimmhalle – ein Jugendstilgebäude, das ebenfalls in das Ensemble integriert ist. Es gibt keine klare Abgrenzung zwischen Alt und Neu, dennoch sind die Neubauten eigenständige Gebäude, deren Form und Materialität dies auch ausdrücken. Diese Weiterentwicklung samt Neuinterpretation zeugt vom Respekt vor den bestehenden historischen Bauten, zugleich verweisen die Neubauten auf ein Verständnis von Architektur, das den Ort, den urbanen Kontext nicht ignoriert, sondern sich ihm zuwendet, ja gleichsam einen Dialog entstehen lässt. Dem wohnt eine gewisse unaufgeregte Selbstverständlichkeit inne. Das Neue muss sich nicht als solches inszenieren – und tritt doch selbstbewusst auf. Augenfällig macht dies das kleine, mit Walmdach bekrönte Ziegelgebäude, das am Platz zwischen Flusslauf und der historischen Schwimmhalle zum Hof des Museums überleitet. Dieses « kleine Haus » ist als gliederndes Element städtebaulich relevant ; es ist eingepasst in das Zusammenspiel von Körpern und Raum. Zugleich ist es mit seinem tief heruntergezogenen Walmdach aus Kupfer auffällig und ein regelrechter Kunstgriff – versorgt es doch die unterirdische Galerie zwischen dem alten Kloster und dem Neubau mit Tageslicht und ist z udem Schaufenster zu den unterirdischen Ausstellungsbereichen.
Dialog mit dem Alltäglichen – der Neubau als Baustein im Quartier Man könnte das Ensemble in Colmar in die Nähe einer analogen Position rücken, und doch ist es etwas anderes. Wenn es als zentrales Element im Stadtraum fungiert, so geschieht dies über seine Brüche. Die historischen Bauten stehen als Zeugen ihrer Zeit neben den Neubauten, die ihr Entstehungsdatum nicht verleugnen. Colmars eindrücklicher Stadtraum ist aus der Collage unterschiedlicher Epochen und Stile entstanden. Diese Weiterentwicklung aus und mit dem Vorhanden zeugt von einer Sensibilität und Aufmerksamkeit gegenüber der Situation vor Ort und von einer Haltung, die Bezüge im Alltäglichen sucht.
archithese ist die führende Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, Städtebau und Theorie. Jedes Jahr werden in vier thematischen Ausgaben aktuelle Fragestellungen besprochen.
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