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Biogasanlage: Größtes Dekarbonisierungsprojekt Südtirols?
from ERKER 06 2021
by Der Erker
Biogas Wipptal – das größte Dekarbonisierungsprojekt Südtirols?
„Die größte Herausforderung bestand darin, ein funktionierendes, in sich geschlossenes System zu schaffen“, erklärte Ingenieur Johann Röck vom Architektur- und Ingenieurbüro Plan Team im Rahmen eines Fachvortrages, der Anfang April stattfand.
Mit dem ersten Baulos der Biogasanlage, das im Jahr 2014 begonnen wurde, wurden auf einem 14.000 m² großen Grundstück eine Lagerstätte für die Rohstoffe mit 1.100 m³ für den Festmist, zwei Rundbehälter mit je 800 m³ für die Gülle und zwei Fermenter mit jeweils 3.000 m³ Volumen realisiert. Zudem wurde ein Nachfermenter mit 4.500 m³ Inhalt errichtet, der künftig als Speicher für Gärreste und verschiedene Konzentrate genutzt wird. Ein weiterer Bestandteil ist das Blockheizkraftwerk mit einer Leistung von 1 MW. Der innovativste Teil der Anlage sei jedoch die Düngemittelproduktionsstätte, so Röck sichtlich stolz. Denn Biogasanlagen gebe es viele – aber nur wenige, hinter denen ein so ausgeklügeltes Konzept stehe. Bereits damals seien die Voraussetzungen für eine mögliche Erweiterung der Anlage geschaffen worden und mit dem zweiten Baulos wird die bestehende Anlage nun auf die doppelte Kapazität erweitert – derzeit werden rund 70.000 Tonnen Mist und Gülle verarbeitet, künftig sollen es 150.000 Tonnen sein. Vorgesehen ist die Errichtung mehrerer Gebäude, in denen weitere zwei Fermenter mit je 3.000 m³, zwei Nachfermenter mit einer Kapazität von je 3.400 m³, die Anlage für das Reinigen (Upgrading) von Biogas, die Aufbereitungsanlage zur Produktion von flüssigem Bio-Methan (LNG), die Produktionsstätte für flüssige Kohlensäure (CO2) für den Lebensmittelhandel bzw. zur Trockeneisherstellung untergebracht sind. Zudem wird eine Betriebstankstelle für das Bio-LNG errichtet, die den LKW der Partnerunternehmen vorbehalten bleibt bzw. für den Weitertransport gedacht ist. Wie Klaus Stocker, Präsident der Biogas Wipptal erklärte, gehe man wochentags von etwa vier bis fünf LKW in der Stunde aus.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität
„Heute kommt die Landwirtschaft um das Thema Klimaschutz nicht mehr herum“, bringt es Josef Mayr, Vize-Präsident der Biogas Wipptal, auf den Punkt. Was mit den ersten EU-Gesetzen aus dem Jahr 1986 zum Schutz des Bodens, des Oberflächen- und des Grundwassers begonnen hatte, ist spätestens seit Greta Thunberg in aller Munde: Klimaschutz und Klimawandel. Auch auf die Landwirtschaft als einen der Mit-Verursacher von klimaschädlichen Treibhausgasen und Umweltschäden kommen ständig neue Herausforderungen zu. Einerseits verlangt die stetig wachsende Bevölkerung nach einer Steigerung der Nahrungsmittelproduktion bzw. Versorgung, andererseits soll die Landwirtschaft klimaneutraler werden, schonend mit den Ressourcen umgehen, auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel verzichten und die Artenvielfalt fördern. Eine Quadratur des Kreises? Schon früh sei den Betreibern der Biogasanlage klar gewesen, dass eine Fortführung ihrer landwirt-
schaftlicher Tätigkeit nur im Einklang mit der Natur- und Klimaschutzgesetzgebung möglich sein würde. Zu Nutze gemacht habe man sich dabei auch die Förderpolitik der EU, welche die Entwicklung nachhaltiger Konzepte massiv unterstützt. Das auf einem „Null-Kilometer“-Grundkonzept aufbauende Projekt ist sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Umweltministerium befürwortet worden, nachdem es finanzielle Unterstützung durch das EU „Life+“-Programm erhalten hat. Tatsächlich hat Südtirol kein „Gülle-Problem“, wie vielfach kritisiert wird, sondern ein „Gülle-Verteilungsproblem“. Wird in den Bezirken, in denen vorwiegend Milchviehhaltung betrieben wird, zuviel Gülle und Mist produziert, so fehlt dieser wertvolle biologische Dünger in den Gemüse- und Obstanlagen im Unterland und dem Vinschgau. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit der Kellerei Tramin, weitere Kooperationsgespräche mit Obst- und Weingenossenschaften laufen derzeit. Mit dem Einstieg namhafter Transport- und Industrieunternehmer, die sich ebenfalls der Herausforderung stellen müssen, klimaneutraler zu werden, wurde ein weiterer Schritt getan, die Kooperation zwischen Landwirtschaft, Transportwesen und Industrie zu intensivieren. Viele europäische Staaten fördern die Produktion von Bio-LNG, so Präsident Stocker, der erklärte, dass sich der ökologische Weg, den Biogas Wipptal jahrelang gegangen sei, nun bezahlt mache, da BioLNG von Biogas Wipptal eine besonders positive CO2-Bilanz im Vergleich zu anderen Herstellern aufweise. Dies sei auch der Grund gewesen, warum Unternehmen wie Lidl Schweiz und ein weiteres Schweizer Logistikunternehmen auf die Wipptaler Biogasanlage aufmerksam geworden sind. „Denn in der Schweiz ist Bio-LNG nur dann von der Mineralölsteuer befreit, wenn es aus einer besonders nachhaltigen Produktion stammt und als CO2-neutraler Kraftstoff angesehen werden kann“, so Stocker.
Gut fürs Image
„Wir könnten der erste Bezirk Südtirols sein, der im Bereich Landwirtschaft die Klimaziele erricht“, so Mayr. Ein ehrgeiziges Ziel, mit dem langfristig auch das wirtschaftliche Überleben der Betriebe gesichert werden könnte. Während die Entwicklung dahin geht, dass CO2-Sünder zukünftig stärker zur Kassa gebeten werden, könnte sich das Image einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu einem Verkaufsschlager entwickeln. „Die kostenlose Bereitstellung der modernen Ausbringmaschinen für Steillagen in Kombination mit den von Biogas Wipptal gebotenen Dienstleistungen würde laut einer aktuell laufenden Studie, sollten alle Milchbetriebe sich daran beteiligen, eine CO2-Reduktion von 25.000 Tonnen CO2 und anderer klimaschädlichen Gase im Jahr bewirken. Milch von Milchbauern, die der Biogas Wipptal angeschlossen sind, hat damit einen um bis zu 50 Prozent kleineren CO2-Fußabdruck als Milch von anderen Produktionsbetrieben“, so Stocker, der mit einem gewissen Stolz vom größten Dekarbonisierungsprojekt Südtirols spricht.
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Green Deal
EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann stellte unlängst im Rahmen der Bauernbund-Bezirksversammlung den „Green Deal“, die neue Wachstumsstrategie der EU vor, mit dem ehrgeizige politische Ziele verfolgt werden, u. a. die Reduzierung von klimarelevanten Gasen wie CO2 oder Methan um 55 Prozent bis 2030. Bis zum Jahr 2050 hat sich die EU vorgenommen, klimaneutral zu werden, so der EU-Parlamentarier, der den Beitrag der Landwirtschaft am Ausstoß von klimaschädlichen Gasen mit 9,8 Prozent beziffert; 60 Prozent davon würden wiederum aus der Tierhaltung stammen. Laut des kürzlich veröffentlichten Klimareports der EURAC entfallen 17,4 Prozent der Gesamtemissionen Südtirols auf die Landwirtschaft. Etwa sieben Prozent dieser landwirtschaftlichen Emissionen stammen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe für Maschinen und Fahrzeuge. Die restlichen 93 Prozent sind Methan- und Lachgasemissionen aus den Tierzuchtbetrieben. Damit ist die Landwirtschaft, vor allem die Grünlandwirtschaft, für 67 Prozent der Methan- und für 75 Prozent der Lachgasemissionen Südtirols verantwortlich, heißt es im Report.
Seit Anbeginn waren der Bau und die Inbetriebnahme der Biogasanlage umstritten. Die Kritiker befürchteten sowohl die Zunahme des Verkehrs, Geruchsbelästigungen, die sich nachteilig auf die Anrainer und den Tourismus auswirken könnten, als auch die Möglichkeit, dass die angeschlossenen landwirtschaftlichen Betriebe ihren Viehbestand hemmungslos ausbauen würden. Zeitweilig gestoppt wurde der Bau durch den Rekurs, den die Gemeinde Sterzing gegen die Bauleitplanänderung der Gemeinde Pfitsch eingereicht hatte, da sie sich dadurch in ihren Rechten verletzt sah. Dieser wurde jedoch vom Staatsrat abgelehnt, 2016 wurde die Anlage in Betrieb genommen. Auch mit Beginn des zweiten Bauloses – speziell mit der Errichtung einer Betriebstankstelle – wurden Bürgermeister Stefan Gufler: Befürchtungen laut, dass mit einer „Kein ungewöhnliches deutlichen Verkehrszunahme zu Verkehrsaufkommen“ rechnen sei. Nicht nur die Partei „Fratelli d’Italia di Vipiteno” meldete sich in einer Presseaussendung zu Wort, in der die Furcht vor einem „picco di traffico pesante“ zum Ausdruck kam, sondern auch im Gemeinderat von Pfitsch wurde in der April-Sitzung darüber diskutiert. Man einigte sich darauf, die Bürger-Anliegen zu sammeln und den Betreibern zu übermitteln. Anfang April fand ein Informationsaustausch statt, bei dem die Bedenken besprochen wurden. Wie Bürgermeister Stefan Gufler auf Anfrage des Erker mitteilte, betrafen die Themen vor allem das Verkehrsaufkommen, die Sicherheit und die Materialien, die in der Biogasanlage verwertet werden. „Es wurde bereits in der Vergangenheit von verschiedener Seite bestätigt, dass durch die Biogasanlage kein ungewöhnliches Verkehrsaufkommen entsteht. Auch bei der Erweiterung der Anlage wurde dies seitens der Gemeinde genau analysiert und zur Überprüfung an die zuständigen Landesämter weitergeleitet, die wiederum kein ungewöhnliches Verkehrsaufkommen durch die Erweiterung der Anlage bestätigt haben“, berichtet Bürgermeister Gufler. Bei der geplanten Tankstelle würde es sich maximal um eine Betriebstankstelle handeln. Bereits die Kapazität der Anlage würde nur das Betanken der eigenen Fahrzeuge ermöglichen. Auch sei bestätigt worden, dass eine Betankung entlang der Autobahn-Strecke geeigneter erscheine, das Bio-LNG eher durch Tanklastwagen abtransportiert werden und somit nur wenige Fahrten notwendig sein dürften, so Gufler. Auch die Sicherheitsthematik sei angesprochen worden. Die Führung der Biogasanlage habe versichert, dass beim Bau der Anlage geeignete Sicherheitsvorkehrungen umgesetzt würden. Einerseits seien bereits die Tanks durch meterhohe Betonwände gesichert, die im Falle eines Brandes als Schutz dienen sollen, eine Explosionsgefahr bestehe nicht. Zudem werde es auch eine Einführung für die Feuerwehren des Bezirks geben. „Es handelt sich um ein innovatives Projekt, das darauf ausgerichtet ist, Gülle und Mist zu verarbeiten und einen Großteil der diesbezüglichen Umweltbelastung zu reduzieren. Abfälle dürfen nicht in der Anlage verwertet werden“, so Gufler. Die Anlage sei darauf ausgerichtet die „Rohstoffe“ aus dem Bezirk zu nutzen, auch weil ein Transport von auswärts mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre.