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Geschichte: Die „sterbenden Läuf der Pestilenz“ (Teil 2

Die „sterbenden Läuf der Pestilenz“

Pestordnungen und -traktate „an den gemainen man“ – Teil 2

von Carmen Mair

Die „Pest“ blieb vom 14. bis ins 18. Jahrhundert die Krankheit par excellence und so bedeutete in jenen Jahren der Umgang mit Krankheit vor allem einen Umgang mit der „Pest“. Die Maßnahmen, die entwickelt wurden, erwiesen sich dann auch noch im Kampf gegen Epidemien im 19. Jahrhundert als bedeutsam. Der frühneuzeitliche Staat übernahm gesundheitspolitische und seuchenpolitische Aufgaben, daneben wurden auch medizinische und religiöse Abwehrmaßnahmen getroffen.

Die städtische Obrigkeit reagierte nicht nur auf bereits ausgebrochene Pestwellen, sondern versuchte durch administrative Maßnahmen, auch präventiv einen erneuten Ausbruch zu verhindern. Eigene Stadtärzte sowie weiteres Sanitätspersonal wurden angestellt, Pestspitäler errichtet, Häuser von Pestkranken wurden versperrt und von der Krankheit Genesene mussten sich eine Zeit lang von der Gesellschaft isolieren. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, die Straßen sauber zu halten, Veranstaltungen wurden untersagt, Badehäuser geschlossen. Zudem ließen die Städte Pestordnungen drucken, stellten Gesundheitspässe aus und richteten Pestbehörden ein. Andererseits wurden Seuchen – aus Angst vor Panik, Hysterie, Massenflucht und anderem unkontrollierten Verhalten – tendenziell verharmlost. Natürlich führte die „Pest“ neben individuellen Benachteiligungen auch zur Intensivierung von sozialen, ökonomischen und politischen Problemen. Es waren vor allem zwei Textsorten, die im Zuge immer wiederkehrender Pestepidemien entstanden sind. Einerseits waren dies von der Obrigkeit erlassene Pestordnungen, andererseits von Ärzten ver-

Pesttheorien

• Die Vier-Säfte-Lehre: Krankheiten waren nach dieser Theorie immer Fehlmischungen der vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Demnach betrachtete man die „Pest“ als eine gefährliche Fäulnis der inneren Organe, die durch ein Übermaß an Blut hervorgerufen wurde. • Die Miasmen-Theorie: Grundgedanke, dass schlechte Ausdünstungen, sogenannte Miasmen, eine gesundheitsgefährdende Verderbnis der Luft verursachen, die epidemische Krankheiten hervorrufen. • Die Diätetik (Lehre von der gesunden Lebensführung): Man sollte versuchen, Luft, körperliche Betätigung sowie Bäder, Speise und Trank, Schlaf und Wachen, Ausscheidungen sowie Gemütsbewegungen in Balance zu halten

„Ordnung in Sterbennden Lewffen“: letzte Seite des Originals

Seuchenordnungen legten Abwehrmaßnahmen gegen die Krankheit fest. Neben ärztlichen Ratschlägen enthielten sie auch Regeln, Verbote und eventuelle Strafen bei Zuwiderhandlung, sie hatten also bindenden Charakter. Ein Beispiel für ein solches Textstück aus der frühen Neuzeit ist die Sterzinger Pestordnung aus dem Jahr 1534, die auch im Sterzinger Stadtarchiv zu finden ist.

fasste Ratgeber, sogenannte Pesttraktate „an den gemainen man“. Als Auftraggeber gehen der Bürgermeister und der Rat der Stadt Sterzing hervor, der Verfasser ist unbekannt. Da man die „Pest“ vor allem als Strafe Gottes für menschliche Sünden betrachtete, wundert es nicht, dass gleich zu Beginn an die Gläubigkeit und Frömmigkeit der Menschen appelliert wird: Prozessionen sollen abgehalten werden, die Bewohner werden dazu angehalten, sich züchtig und andächtig zu verhalten, geistliche Dienste sowie Gebete zur Abwehr der Seuche wer-

Behandlungsmethoden

• Der Aderlass: Das Blutablassen durch einen Einstich oder Einschnitt in die Vene zählte zu den üblichen Heilmaßnahmen des

Mittelalters und auch noch der frühen Neuzeit. • Das Schröpfen: Das Ansetzen von Schröpfköpfen war eine weitere Methode der örtlichen Blutableitung. Zu Zeiten der „Pest“ versuchte man dadurch, den Inhalt der eitrigen Bubonen abzusaugen. • Das Purgieren bezeichnete das innerliche und äußerliche Säubern des Körpers, u. a. auch die Entleerung des Darmes.

den gefordert. Ein „Lassl“ (Aderlasser) soll angestellt, ein „Bruederhaus“ (Siechenhaus/eine Art Pesthospital) errichtet werden und von der Krankheit Betroffene sollen ihr Haus versperren. Bereits 1303 wird in Sterzing in der Nähe vom Kreuzkirchl ein „Siechenhaus“ erwähnt, das 1540 im Steuerbuch der Stadt als Neubau aufscheint. Die Anstellung von ein bis zwei Personen zur Beschaffung von Speis und Trank und weiteren für die Pflege der kranken und abgesperrten Bürger wird verordnet sowie die Anstellung eines Totengräbers und eines eigenen Priesters. Das Betteln in Pestzeiten wird verboten, auch die Wirte sollen keine Menschen beherbergen, die aus von der „Pest“ heimgesuchten Ländern kommen. Kein von der Krankheit Betroffener oder gerade Genesener soll vor Ablauf von sechs Wochen das „vailbad“ (gegen Bezahlung zugängliches Bad) aufsuchen, auch sollen Personen, die in Häusern leben, in denen sich ein Kranker befindet, dieses für 30 Tage nicht verlassen. Zuletzt wird angeordnet, dass niemand tote Tiere in der Stadt herumliegen lassen oder vergraben soll, da dies die Luft verunreinige. Auf die Ordnung folgt ein Anhang mit Angaben zu Personen mit besonderen Aufgaben zu Zeiten der „Pest“, so der „Lässl“, der „Briester“, die „Ordinatores“, der „Zuetrager“ (sie hatten wohl die Aufgabe, infizierte Personen mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Dingen zu versorgen) und der „Tottengraber“.

Daneben erschienen zahlreiche Traktate von Ärzten, die sich an den „gemainen man“ richteten. Darin wurde versucht, die vermeintlichen Ursachen für die „Pest“ zu erklären und Ratschläge zu deren Heilung zu geben. Hier handelt es sich nicht um mediziPostkarte 1925: In diesem Haus in der Gänsbacherstraße hat Doktor Jörg Menndler um 1534 gewohnt.

Da das Schriftstück aus zwei unterschiedlichen Handschriften besteht, kann vermutet werden, dass den leicht lesbaren Hauptteil möglicherweise Menndlers Bruder Bartlmä geschrieben hat, der als Stadtschreiber arbeitete, und Georg Mendler selbst bloß Nachträge und Rezept-Ingredienzien (den schwer leserlichen Teil) ergänzt hat. Georg Menndler war zunächst Hofarzt in Innsbruck, nach Sterzing kam er wahrscheinlich durch seinen Bruder.

nische Fachliteratur, sondern um Ordnungen zum Nutzen von Einzelpersonen, indem man versuchte, das Wissen der damaligen Medizin an den „gemainen man“ zu bringen. In den Texten wird die Krankheit kurz dargestellt, es folgen häufig Verhaltensanweisungen in Zeiten der Seuche, zudem beinhalten sie oft Anleitungen zur Zubereitung von Arzneien und Diätvorschriften. Das erste Pesttraktat erschien 1348 in Spanien, es folgten zahlreiche weitere in ganz Europa. Die weit verbreitete Miasmentheorie führte dazu, dass fast überall dieselben Maßnahmen vorgeschlagen wurden. Auch im Sterzinger Stadtarchiv befindet sich ein solches Textstück aus dem Jahr 1535 von Doktor Georg Menndler, das Traktat „Jn Sterbenden leüffen Von Dokther Jörgn Menndler“. Es handelt sich um ein ungedrucktes Manuskript, das an die Stadt Sterzing adressiert und in Innsbruck verfasst wurde.

Nach einer zweiseitigen Einleitung, in welcher der Arzt sei-

Aderlassmännchen zur Veranschaulichung

Der Aderlass wurde zu Pestzeiten wohl von allen Ärzten empfohlen. Auch nach Menndler soll man die Kranken „zu Aderlassen, durch ein parbierer, der darzue verordnet […] damit daz dygkh peß und vergifft pluet heraus müg“. Es folgt eine Erläuterung, wie man den Aderlass anwenden soll, wobei genaue Anweisungen zum Vollzug, d. h. zu den unterschiedlichen Stellen gegeben werden. Diese lauten beispielsweise wie folgt: „Hasstu es hinder den Oren, so laß die Ader auf der hannd auf dem daumen. Wann du Es unnder der yexen (Haxen, Beine) hast, so laß dier die Medion („median“, in der Mitte des Armes)[…]“. Zur Veranschaulichung hat Menndler ein „Männdl oder fygür“ seiner Ordnung hinzugefügt, das vom Geschichts- und Heimatforscher Konrad Fischnaler als ein „flott gezeichnetes Aderlassmännchen“ bezeichnet wird. Alte Menschen über 70 Jahren und Kinder unter zehn Jahren sollten nicht zur Ader gelassen werden, sondern „köpfl sezen“ (vermutlich mit dem Vorgang des Schröpfens gleichzusetzen). ne Schreibgründe nennt, nämlich sein ganzes Wissen über die „Pest“ weitergeben zu wollen, folgt die Einteilung des Traktats: Er will berichten, wie die Ordnung eingehalten werden soll, wie sich ein jeder verhalten sollte und was ein Kranker bei Betroffenheit machen kann. Als ein großes Problem sieht er die Verseuchung der Luft und fordert die Bevölkerung daher auf, dass „kain prunnzwasser, und besonnder von den Krannckhen auf die gassen, sonnder in das fliessig wasser oder Secret (Abort) gegossen“ wird. Auch kein Mist soll auf den Straßen liegen bleiben, man soll Hunde, Katzen, Tauben und vor allem Schweine aus der Stadt entfernen. Außerdem sollen sich keine Pfützen, Blut oder „Spuellach“ vor den Häusern befinden und die Stadt soll ständig mit frischem Wasser versorgt werden. Menndler hat also erkannt, dass es besonders zu Pestzeiten wichtig war, auf Sauberkeit zu achten. Auch in der Isolierung von kranken und infizierten Personen sah er eine bedeutende Maßnahme. Obwohl man in jener Zeit noch keine Ahnung von Pestflöhen hatte, glaubte man an ein ansteckendes Pestgift und verbot deshalb den Umgang mit dem materiellen Hab und Gut von Kranken und Verstorbenen. So rät er, Kleider und Häuser von Verstorbenen zu verschließen, und verordnet die Isolierung von Kranken und Infizierten. Auch sollen Zusammenkünfte vermieden werden, wie Kirchen- und Wirtshausbesuche oder Versammlungen. Der Arzt fordert alle auf, Krankheitsfälle sofort zu melden, damit die Kranken dann „in der still“, also geheim und unauffällig, wegtransportiert werden konnten. Im zweiten Teil weist Menndler darauf hin, dass man in den Häusern jeglichen üblen Gestank vermeiden solle, außerdem empfiehlt er, täglich ein Feuer zu machen – dieses „trucknet aus die feül des luffts“. Wer das Haus verlassen muss, dem legt er es nahe, sich einen Schwamm in Rosenessig zu tunken und vor den Mund zu halten. Er empfiehlt allen, ihre Räumlichkeiten täglich zu lüften, außer jenen „wo der prech so nach bey ainem an der gassen war (wo Pestkranke in der näheren Umgebung wohnen), der behalt sein vennster bewardt“. In der Folge richtet sich Menndler nun abwechselnd an die Reichen und die Armen. Für die Reichen liegen nämlich alle erwähnten Zutaten in den Apotheken auf, den Armen schreibt er das Rezept auf Deutsch auf, damit sie es sich selbst zubereiten können. Es werden Rezepte für ein „pulver Zu Rachen“, ein Pulver zur Stärkung des Herzens sowie ein weiteres zur Bewahrung vor schlechter Luft aufgelistet. In Folge werden diätetische Ratschläge gegeben, vor allem das Essen und Trinken betreffend. Die Hinzugabe von Essig und anderen Salzen mit Säuren wird stets empfohlen, sie würden die Fäulnis hemmen. Im Allgemeinen soll das Essen eher trockener Natur sein, man sollte schwere Kost meiden, wie Fleisch und Milch, und generell nicht zu viel und langsam essen. Auch schweren Wein solle man eher vermeiden sowie den Schlaf bei Tag, der zu viel Feuchtigkeit erzeuge. Menndler kommt auch auf das Gemüt zu sprechen und meint, man solle, um das Herz zu stärken, Freude suchen, Melancholie und Traurigkeit sollen vermieden werden. Das Traktat endet mit einer kurzen Schlussformel, alles wird in die Hände Gottes gelegt und man bittet um die Verzeihung der Sünden und die Abwendung der Seuche.

Die zwei vorgestellten Texte zeigen, dass im Gebiet Sterzing und Umgebung relativ früh Pestschriften verfasst wurden, obwohl die Stadt und ihr Umland nur sehr gering von der „Pest“ betroffen waren. Sie passen inhaltlich in das Muster von Pestschriften des 16. Jahrhunderts und bieten somit einen interessanten Einblick in die seuchenprophylaktischen Maßnahmen der frühen Neuzeit.

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