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Pfitsch: Im Gespräch mit Alt-Bürgermeister Johann Pupp
from ERKER 12 2022
by Der Erker
„Ich hatte großes Glück“
Vor 45 Jahren wurde Johann Pupp zum Bürgermeister der Gemeinde Pfitsch gewählt. Wie sieht er sein Leben, seine Amtszeit und die Entwicklung des Landes Südtirol heute? Der Erker hat sich mit ihm zu einem Gespräch getroffen – in der Schmiede, die Familie Pupp in dritter Generation am Pfitscherbach in Wiesen führt.
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Interview: Renate Breitenberger
Erker: Herr Pupp, wie geht es
Ihnen?
Johann Pupp: Was soll ich sagen. Alles tut weh. Im Alter ist es eben so.
Hier in Ihrem Büro hängen an der Wand viele Erinnerungen an früher ...
Ja, die meisten sind Urkunden vom Schmiedehandwerk: abgeschlossene Gesellenprüfungen, von mir, meinem Sohn und meinem Enkel. Hier ist ein gemeinsames Foto mit Langläuferin Stephanie Santer. Da hängt ein Bild von meinem Vater aus dem Jahr 1921. Und hier ist ein Foto von meiner Zeit als Bürgermeister.
Ihre Amtszeit liegt nun schon einige Jahre zurück.
Ja. 1977 bis 2000. Gott sei Dank habe ich es geschafft, früh genug abzudanken. Ich hätte nicht gehen müssen, aber es war höchste Zeit.
Warum?
Johann Pupp war 23 Jahre lang Bürgermeister der Gemeinde Pfitsch. 2001 überreichte ihm der damalige Landeshauptmann Luis Durnwalder auf Schloss Tirol das Verdienstkreuz des Landes Tirol. Seit 2018 ist er Ehrenbürger der Gemeinde Pfitsch. Johann Pupp in der Schmiede: „Gott sei Dank bin ich viel in der Werkstatt beschäftigt.“
Ich war schon immer ein Verfechter der Mandatsbeschränkung. Nur haben wir dazumal vergessen, dass diese nicht nur für Bürgermeister, sondern auch für die Landesregierung gelten soll. Ich hatte ein Riesenglück, weil mir in meiner Amtszeit vieles gelungen ist und ich in Bozen Unterstützung erhielt. Vor allem mit den Beamten habe ich mich gut verstanden. Mir fällt gerade eine Episode ein, die auch dazu beigetragen hat, im richtigen Moment das Feld zu räumen: Bei einem Besuch in Wiesen hat mich Bischof Wilhelm Egger einmal auf die Seite genommen und mir für meinen Einsatz für die Kirche gedankt. Da habe ich zu ihm gesagt: „Ja. Aber leider Gottes habe ich meinen Sohn ziemlich vernachlässigt.“ Er zeigte Verständnis, wünschte mir viel Gesundheit und meinte, ich könne noch viel gutmachen. Das habe ich auch versucht. 2000 war die Zeit gekommen, meinem Sohn in der Schmiede zu helfen.
Eine Entscheidung, die allen gut getan hat?
Ja. Irgendwann spürt man als Gemeindeverwalter auch Abnutzungserscheinungen. Vielleicht hätte ich noch vieles für die Gemeinde tun können, vielleicht, ich weiß es nicht. Ach, es ist besser, nicht zuviel über die Politik zu reden. Erst recht, wenn man weg ist. Dann soll man einfach Ruhe geben.
Interessiert es Sie aber noch, was in der Gemeinde beschlossen wird?
Natürlich ist es nicht einfach, nach rund 30 Jahren Gemeindepolitik und nach allem, was mir gelungen ist, einfach abzuschalten. Das geht gar nicht. Natürlich interessiert es mich. Über seine Nachfolger soll man aber nicht reden. Ich bin nicht mehr politisch aktiv und das ist gut so.
Warum haben Sie sich damals
als Bürgermeisterkandidat beworben?
Ich habe mich nicht beworben. Eigentlich war ich – entschuldigen Sie den Ausdruck – nichts weiter als ein Dorftrottel. Überall, wo es einen Depp gebraucht hat, war ich mit dabei (schmunzelt). Eines Tages hieß es, im Gemeinderat brauche es einen Handwerker. Ich habe 1969 kandidiert und wurde gewählt. Als Handwerker war das politische Amt für mich ein Schaden.
Warum?
Für einen selbstständigen Unternehmer war es sehr schwierig, Beruf und politisches Engagement unter einen Hut zu bringen. Staats- und Landesangestellte hatten es da leichter. Sie wurden zeitlich freigestellt und diese Zeit wurde ihnen für die Rente gutgeschrieben.
Wie stand die Gemeinde
Pfitsch in den 1970er Jahren da?
Es ging uns nicht schlecht, aber es fehlten viele Infrastrukturen. 1931 waren die Gemeinden Wiesen und Pfitsch zur Gemeinde Pfitsch zusammengelegt worden. Mein Vorgänger Johann Bacher hatte zwischen 1945 und 1977 als Bürgermeister vieles in die Wege geleitet, das ich dann umzusetzen hatte: Alle Schulen waren zu sanieren, Trink- und Abwasserleitungen zu errichten, ein System für die Müllentsorgung einzuführen. Es gab auch keinen Bauhof, wir hatten nicht einmal einen Schraubenzieher.
Erhielt die Gemeinde finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand?
Ja. Ich habe mich immer erkundigt. Als das Land mehr Kompetenzen übernehmen konnte, profitierten auch wir als Gemeinde. Beim Land arbeiteten gute Leute, darunter der damalige Landeshauptmann Silvius Magnago und die beiden Wippta-
ler Privatsekretäre Adolf Auckenthaler und Karl Rainer. Auch zu Landeshauptmann Luis Durnwalder und zu seinem Ressortdirektor Heinrich Holzer hatte ich ein gutes Verhältnis. Für ihre Unterstützung bin ich ihnen bis heute dankbar.
Wie war die Zusammenarbeit zwischen den Bürgermeistern im Wipptal? Tauschte man sich oft aus oder kochte jeder sein eigenes Süppchen?
Durch die Gründung der Bezirksgemeinschaft ist das Wipptal ziemlich zusammengewachsen. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und verstanden, mal mehr, mal weniger. In meiner Zeit hat es nicht schlecht funktioniert. Damals gab es in den Gemeindestuben noch so gut wie gar keine Opposition. Im Gemeinderat Pfitsch kam die Bürgerliste erst, als ich weg war.
Trotzdem wurde auch innerhalb der SVP oft gestritten, auch in der Parteizentrale.
Luis Durnwalder war ein guter Landeshauptmann. Arno Kompatscher ist der beste Mann für diese Zeit und ich bin froh, dass er sich von der Presse nicht beeinflussen lässt und ihr die Stirn bietet. Früher gab es genauso Gruppierungen wie heute, aber es gab auch gute Leute mit viel Idealismus. Ich mache mir zurzeit generell ein bisschen Sorgen um Südtirol. Hier leben ungefähr 400.000 Deutsche, italienweit rund 60 Millionen Italiener. Ich weiß nicht, ob den Südtirolern wirklich bewusst ist, was es bedeutet, ein Autonomiestatut zu haben. AltLandeshauptmann Luis Durnwalder sagte einmal: „Wir haben fast alles erreicht, was wir erreichen können, und jetzt werden alle unzufrieden und kritisieren.“ In meiner Amtszeit arbeiteten auch in Rom gute Vertreter Südtirols, auch heute noch.
Leidet man da mit?
Ja, das kann man schon sagen. Ich habe die ganze Entwicklung der Autonomie in Südtirol miterlebt. Mit 23 Jahren war ich bei der ersten SVP-Landesversammlung dabei, ich besuchte auch die darauffolgenden Versammlungen, erst im Romkino, dann im Reichrieglerhof und schließlich in Meran. Die Paketabstimmung in Sigmundskron am 22. November 1969 war schon ein Meilenstein in Südtirols Geschichte. Es war für mich klar, dass ich nicht gegen Magnago stimmen werde, weil ich ein überzeugter Befürworter des Pakets bin. Ich hatte aber auch zu Paketgegner Peter Brugger ein gutes Verhältnis. Auch er war ein guter Mann, der leider allzu früh verstorben ist. Eine knappe Mehrheit hat sich für das Paket, die Autonomie-Regelung mit 137 Maßnahmen, die zwischen Österreich und Italien ausverhandelt worden ist, entschieden, und ich bin bis heute froh darüber.
War das Paket das Beste, was
Südtirol passieren konnte?
Meiner Meinung nach schon. Ich weiß nicht, wo Südtirol heute ohne Paket stehen würde. Auch das Ausland hat uns viel geholfen, man denke nur an Bayern und Tirol. Bis zum Staatsvertrag 1955, durch den Österreich seine volle staatliche Souveränität zurückerhalten hat, gab es nur wenig Handlungsspielraum. Viele junge Südtiroler wurden damals in Bayern ausgebildet. Dass gewisse Parteien die Loslösung von Italien fordern, kann ich nicht nachvollziehen. Eine Abtrennung ist gesetzlich gar nicht möglich. Und: Würde sich bei einer Volksabstimmung in Südtirol überhaupt eine Mehrheit für die Loslösung aussprechen? Ich glaube es kaum.
Haben Sie Angst, dass Südtirols Autonomie durch den
Rechtsruck im Parlament wackeln könnte?
Ich habe immer gesagt: Wir brauchen eine Sammelpartei. Wenn Südtirol zusammenhält, wird in Rom nicht viel passieren. Einmal kriegt Südtirol mehr, einmal weniger. Das wird immer so bleiben. Wenn heute unser Landeshauptmann vor der UNO eine Rede halten darf, dann muss man schon Respekt vor unserer Autonomie haben. Das, was wir geschafft haben, ist eine Errungenschaft, um die uns viele Länder weltweit beneiden. Schade, dass wir Südtiroler immer nur kritisieren, egal was. Alle kritisieren die Sanität, aber kaum jemandem ist bewusst, was sie jeden Tag für uns leistet. Vor kurzem hat der pensionierte Gemeindearzt von Klausen in den Medien einen Satz erwähnt, dem ich voll zustimme: „In der Sanität ist nicht alles perfekt, aber das ist es nirgends. Kritisieren tun nur die, die das Krankenhaus noch nie gebraucht haben. Wer einmal dringend behandelt werden musste, wem das Leben gerettet wurde, von denen hört man nichts. Im Gegenteil: Sie sind dankbar.“
Wird Südtirol von anderen beneidet?
Ja, Südtirol wird bewundert. Ob es auch in Zukunft so sein wird, hängt davon ab, in welche Richtung sich das Land weiterentwickelt. Starker Fremdenverkehr, bauwütige Gastwirte und Investoren trotz fehlender Arbeitskräfte ... Irgendwann packt das Südtirol nicht mehr. Wer kauft noch Wohnungen, wer kann sie sich leisten? Aber die jüngere Generation wird es schon anders sehen als wir Alten.
Welches sind die schönsten
Erinnerungen an Ihre Zeit als
Gemeindepolitiker?
Ich habe mich über alles, was mir gelungen ist, immer sehr gefreut – begonnen bei der Ortseinfahrt, für die ich lange gekämpft habe. Als bei der alten Pfitscherstraße die Lahne heruntergekommen ist, wurde eine neue Umfahrung gebaut. Als die ANAS-Straßen an das Land übergegangen sind, wurde 1988 der Bau von Brücken und des Ölbergtunnels beschlossen. Für letzteren hat sich Vize-Bürgermeister Johann Graus eingesetzt. Die Bauprojekte wurden 1999 genehmigt und finanziert. Die Umsetzung selbst hat noch einige Jahre gedauert, aber die Voraussetzungen haben wir geschaffen.
Haben Sie in Ihrer Amtszeit oft gegrübelt in der Nacht?
Natürlich, das tut jeder, wenn ihn etwas beschäftigt. Gott sei Dank ist mir vieles gelungen. Ich hatte auch Glück. Ein Kollege aus dem Vinschgau hat mir einmal gesagt: Solange er Bürgermeister ist, lässt er sich den Bauernhof nicht überschreiben. Du haftest ja für alles mit deinem eigenen Vermögen. Das war schon eine riesige Verantwortung. Heute gibt es für alles eine passende Versicherung.
Was würden Sie heute anders machen?
Hintennach ist man immer gescheiter. Vielleicht habe ich manchmal gewissen Leuten zu viel vertraut. Du darfst dir nur niemanden über den Kopf hinauswachsen lassen. Wenn du das aushältst, dann geht es schon. Du musst auch früh genug das Feld räumen.
Sie waren früher in vielen
Vereinen aktiv. Wie haben sie alles unter einen Hut bekommen?
Früher war ich überall dabei. Musikkapelle, Theater … ich kann mich gar nicht mehr an alle Vereine erinnern. Nur, dass ich nicht bei der Feuerwehr war. Mit dem Einstieg in die Gemeindepolitik bin ich nach und nach überall ausgestiegen. Oft habe ich ab 4.00 Uhr in der Früh in der Werkstatt geschmiedet und bin dann um 8.00 Uhr nach Bozen gefahren. Alle 14 Tage bin ich dorthin, um den Kontakt zu halten. Für die Gemeinde Pfitsch haben sich diese Fahrten ausgezahlt.
Wie verbringen Sie heute Ihre freie Zeit?
Gott sei Dank bin ich viel in der Werkstatt beschäftigt. Mein Vater hat den Betrieb 1930 gegründet. Es ist ein großes Glück, dass ihn mein Sohn und mein Enkel weiterführen. Am Vormittag arbeite ich in der Schmiede, am Nachmittag spiele ich gerne Karten, wenn jemand Zeit hat. Seit Corona sind nur noch wenig Leute unterwegs, viele meiden den Kontakt. Für Senioren wird in Wiesen aber viel getan. Der 88. Geburtstag hat mich schon teuflisch gezwickt. Aber mein Asthma ist besser geworden. Ich hoffe, ich bleibe noch eine Weile gesund und mobil. Das wünsche ich mir. I