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TESSINER GIPFEL

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Ausstellungen in Ascona und Lugano

Den ins Tessin Reisenden erwarten diesen Winter zwei Ausstellungen zu Malerei und Skulptur, deren Vertreter zu den führenden Künstlern ihrer Gattung zur Zeit der letzten beiden Jahrhundertwenden gehörten.

Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin in Ascona Die Farbenpracht der Lebensmenschen

Das Museo Comunale d’Arte Moderna in Ascona zeigt eine eindrückliche Retrospektive, welche die wechselvolle Beziehung zwischen Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin beleuchtet. Für Marianne von Werefkin ist es eine Art Heimspiel. Die 1860 geborene russische Künstlerin lebte ab 1919 bis zu ihrem Tod 1938 in Ascona im Tessin. Sie gründete hier 1922 das Gemeindemuseum für Kunst, also genau das Museum, in dem nun eine große Retrospektive zu ihrem Schaffen gezeigt wird. Das Besondere: Es ist eine doppelte Werkschau, denn gleichzeitig mit ihren Bildern sind viele Bilder ihres langjährigen Lebensbegleiters Alexej von Jawlensky (1864−1941) zu sehen. Eine Art Spiegeleffekt. Mit insgesamt mehr als 100 Werken, dazu kleine Skizzenhefte, beherbergt das Gemeindemuseum von Ascona die dritte und letzte Station einer Ausstellung, die zuvor schon in zwei der wichtigsten deutschen Institutionen für expressionistische Kunst, in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München und im Museum Wiesbaden, gezeigt wurde. Die beiden Künstler lebten annähernd 30 Jahre – von 1892 bis 1921 – zusammen an drei Orten und in drei Ländern (in Sankt Petersburg, München sowie in der Schweiz, zuletzt in Ascona). Und dies in einem hochkomplexen und spannungsgeladenen Verhältnis. Sie waren ein Künstlerpaar, aber nicht im klassischen Sinne. Sie waren einander Menschen fürs Leben – daher der Ausstellungstitel „Lebensmenschen“. „Ich liebe ihn von ganzem Herzen, er ist mein erster und letzter Gedanke, er ist mein ganzes Leben“, schreibt Marianne Werefkin 1903 in einem Brief. In München erlebten sie die Entstehung des „Blauen Reiters“ (1910) mit und die Entwicklung der revolutionärabstrakten Kunst ihres Freundes Wassily Kandinsky. Es ist kaum voneinander abzugrenzen, zu welchem Zeitpunkt die beiden Weggefährten, Bekannte, Freunde, Geliebte, Partner oder Kollegen waren. Wahrscheinlich traf alles zu, bevor sie sich im Mai 1921 mit der Abreise Jawlenskys aus Ascona endgültig trennten. Er zog weiter nach Wiesbaden, zusammen mit Helene Nesnakomoff, dem Dienstmädchen Werefkins, das er heiratete. Sie war die Mutter seines 1902 geborenen Sohnes Andreas. Der letzte Raum des Ausstellungsparcours ist just einigen Werken von Andreas Jawlensky (1902–1984) gewidmet. Jawlensky war für Werefkin über Jahre eine Projektionsfigur, weil sie selbst meinte, dass eine Frau keine vollständige Künstlerin sein könne. Sie erlegte sich künstlerische Abstinenz auf im Glauben, dass Jawlensky ihrem Ideal Gestalt geben würde – ein aus heutiger Sicht nicht

Alexej von Jawlensky, „Bildnis Marianne von Werefkin“, um 1906, Öl auf Karton, 67,5 x 49,5 cm, Museum Wiesbaden

nachvollziehbares Rollenverständnis. Glücklicherweise gab Werefkin ihre künstlerische Enthaltsamkeit wieder auf. Sonst hätte sie nie die Werke geschaffen, die bis heute die Betrachter in ihren Bann ziehen. Es sind Feuerwerke von Farben, die zugleich die tiefen und dunklen Seiten unserer Seele erforschen. Ausstellungstechnisch geschickt werden die Bilder in Ascona auf farbintensiven Wänden gezeigt: auf Rot, Türkis und Ocker. Das verstärkt die Kontraste. „Werefkins Werke erscheinen in einem immer mehr bewusst symbolischen, lyrischen Expressionismus und werden zunehmend um soziale und existenzielle Themen bereichert – ein doppelter Strang mit einer ausgeprägten visionären Mystik und einer wiedergewonnenen Lust am Erzählen, die sich dann in Ascona in den späten Reifejahren vollenden wird“, sagt Mara Folini, Direktorin des Museums in Ascona und Kuratorin der Ausstellung. Jawlenskys Bilder wirken im Vergleich zu ihren Werken immer etwas gröber und farblich weniger intensiv. Als Werefkin starb, wurde sie unter großer Anteilnahme der Bevölkerung nach russischorthodoxem Ritus beerdigt. Der großartige und reich illustrierte Katalog zur Ausstellung beinhaltet sogar eine Fotografie von diesem Ereignis: Am 8. Februar 1938 schritt der Trauerzug am Seeufer von Ascona in Richtung Friedhof.

GERHARD LOB

Bis 10. Januar 2021 Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin – Lebensmenschen Museo Comunale d’Arte Moderna, Ascona im Tessin www.museoascona.ch

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