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VERTRAUEN IN DIE KUNST

Alexander Klar bringt die Hamburger Kunsthalle auf Kurs

Prof. Dr. Alexander Klar, Direktor der Hamburger Kunsthalle, Foto: Romanus Fuhrmann, © Hamburger Kunsthalle

Es ist fürwahr keine leichte Aufgabe, die Hamburger Kunsthalle, die in den letzten Jahren ein wenig im Abseits stand, wieder zu neuer Strahlkraft zu führen. Alexander Klar hat sich der Herausforderung gestellt: Seit 2019 ist er Direktor des 1869 eröffneten Hauses, das mit Kunstwerken vom Mittelalter bis zur Gegenwart acht Jahrhunderte Kunstgeschichte zu bieten hat.

Einige Werke aus den Anfängen der Sammlung stehen nun in der Präsentation „Making History. Hans Makart und die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts“ besonders im Fokus. Im Zentrum steht Makarts riesiges Gemälde „Der Einzug Karls V. in Antwerpen“ von 1878, das im Jahr darauf für die Hamburger Kunsthalle erworben wurde. Schon damals war Makarts Darstellung der nackten Frauen im Bild eine Provokation und noch heute könnte die Ausstellung des Bildes zu Stürmen öffentlicher Empörung führen. Aber wie umgehen mit all diesen Werken, die aus heutiger Sicht sexistisch, kolonialistisch oder rassistisch erscheinen? So gesehen ist die Sammlung der Hamburger Kunsthalle voller Fallstricke. Aber „zu sagen: Das gibt’s nicht, ist halt auch keine Lösung“, so Alexander Klar. Der Makart fordere ein, „dass man davor steht und sich die Köpfe heiß redet“. Und so begrüßt das Gemälde, das seit 2016 hinter einer Wand verborgen war, jetzt wieder die Besucher der Kunsthalle im ersten Ausstellungsraum des Rundgangs durchs Haus. Neben dem Hauptwerk werden im „MakartSaal“ auf samtbespannten Wänden und in salonartiger Hängung etwa 60 Gemälde und Skulpturen des 19. Jahrhunderts präsentiert, von denen einige zuletzt vor 100 Jahren zu sehen waren. Kuratiert wurde die Präsentation von Markus Bertsch und Amelie Baader. Sie zeichnen die Zeitgeschichte anhand ästhetischer und gesellschaftlicher Strömungen der Zeit nach, und im kostenlosen Begleitheft werden Fragen an die Besucher formuliert, etwa: „Finden Sie die Darstellung provokativ? Finden Sie sie sexistisch? Kann Historienmalerei Identität stiften? Hatten Sie sich Napoleon so vorgestellt?“ Alexander Klar geht es darum, „zu zeigen und zu diskutieren, was Bilder können, im positiven wie im negativen Sinne, und dabei auch den Historismus unter dem Blick der Gegenwart zu diskutieren“. Dass er auf Kontextualisierung und Vermittlung setzt und die Besucher zugleich auffordert, sich erst ein Bild zu machen und dann zu urteilen, zeugt nicht nur von einem bewussten, aufgeklärten Umgang mit der Kunstgeschichte, sondern es wäre auch ein nachahmenswertes Vorbild für andere Häuser, die sich zum Teil nur schwerfällig den Aufgaben eines Museums in der Gegenwart stellen. Austausch und Vermittlung werden auch in der Sonderausstellung „Max Beckmann. weiblichmännlich“ (bis 24. Januar 2021) großgeschrieben, die Beckmanns vielschichtigen Umgang mit Geschlechterrollen anhand von 140 Gemälden, Plastiken und Arbeiten auf Papier beleuchtet und auf seine Aktualität für die Gegenwart befragt. Einmal wöchentlich verlegen Experten ganz unterschiedlicher Fachbereiche ihren

Max Beckmann (1884–1950), „Selbstbildnis Florenz“, 1907, Öl auf Leinwand, 98 x 90 cm, Hamburger Kunsthalle, Dauerleihgabe Nachlass Peter und Maja Beckmann, Foto: Elke Walford © Hamburger Kunsthalle / bpk // VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Arbeitsplatz in die Ausstellung und laden zum Dialog über Beckmanns Kunst und Geschlechterfragen ein, für Januar 2021 ist ein international besetztes Symposium zum Thema geplant. Dass Max Beckmanns Werk immer wieder Anlass für besondere Betrachtung bietet, zeigt sich nicht zuletzt an der Fülle der Ausstellungen in diesem Jahr: Auch Brühl, Frankfurt am Main und München laden ein, Facetten von Max Beckmanns (1884−1950) Werk neu zu entdecken. Für die Hamburger Kunsthalle ist es übrigens bereits die vierte BeckmannSchau in den letzten 30 Jahren. Eine ganz andere Herausforderung für die Kuratoren der Kunsthalle ist die 1996 eröffnete „Galerie der Gegenwart“. Das mag an der dominanten Architektur von Oswald Mathias Ungers liegen. Dieser hatte das erste Obergeschoss als offene Tageslichtgalerie konzipiert, die als Plattform für

künstlerische Projekte dienen sollte, doch schon bald wurde das Tageslicht ausgeschlossen und Wände eingefügt. Der etwas augenzwinkernde Titel der von Alexander Klar und Jan Steinke konzipierten Ausstellung „Die absurde Schönheit des Raumes: 7 Künstler*innen vs. Ungers“ spielt darauf an. Auch hier setzt Klar auf Dialog. Er ließ die Architektur in ihren ursprünglichen Zustand versetzen, sodass man beim Gang um das Geviert den Blick aus dem Fenster und zurück auf die Kunst wandern lassen kann. Und die einzige Vorgabe für die Künstler lautete: sich mit dem Raum auseinanderzusetzen – Vertrauen in die Kunst und die Künstler vs. kuratorische Einflussnahme gewissermaßen. Das funktioniert im Übrigen auch digital, denn jeweils einen Monat lang übernehmen Künstler immer mittwochs den InstagramAccount der Kunsthalle. Überhaupt: Die digitale Vermittlung wird in der Hamburger Kunsthalle großgeschrieben, dennoch setzt Klar darauf, Besucher ins Haus zu locken. Das Kunsterlebnis funktioniert so richtig nur analog. Aber wer von der Binnenalster aus in die hell erleuchteten Fenster der Kunsthalle schaut, mag vielleicht doch genauer nachsehen wollen, was hinter der Fassade zu entdecken ist.

Raumansicht Makart-Saal mit dem Werk

„Der Einzug Karls V. in Antwerpen“, 1878, von Hans Makart (1840–1884), mittig, Foto: Fred Dott, © Hamburger Kunsthalle / bpk

VIEL KUNST FÜR WENIG GELD: DIE KUNSTMEILE HAMBURG

Mit der Sammlung und den Gegenwartskünstlern arbeiten, die Kunsthalle zur Stadt und für die Menschen öffnen, einen offenen und auf aktuelle Fragen reagierenden Ort des Gesprächs und der Diskussion bieten – diese Ziele Alexander Klars klingen gar nicht so viel anders als das, was der erste Direktor der Kunsthalle Alfred Lichtwark einst formulierte: „Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung unserer Bevölkerung eingreift.“ Im Herzen der Hansestadt zwischen Binnenalster und Speicherstadt liegen zahlreiche Museen, Ausstellungshäuser und Galerien. 2010 haben sich hier fünf renommierte Institutionen zur „Kunstmeile“ zusammengeschlossen. Zu dem besucherstärksten Museumsverbund im norddeutschen Raum gehören die Hamburger Kunsthalle, das Museum für Kunst und Gewerbe, der Kunstverein, die Deichtorhallen und das Bucerius Kunst Forum. Alle fünf liegen in fußläufiger Entfernung zueinander, also optimal für einen ausführlichen Kunstspaziergang − und die Pässe der „Kunstmeile“ machen das Ganze zu einem sensationell kostengünstigen Erlebnis: Der 12MonatePass bietet einmaligen Eintritt innerhalb eines ganzen Jahres für 36 Euro, der 3Tages Pass bietet unbegrenzten Eintritt in alle fünf Häuser an

kunstmeile-hamburg.de

drei Folgetagen für 25 Euro.

KIM BEHM

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