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QUADRATUR DES KREISES

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DAY AND DREAM

DAY AND DREAM

Maurizio Nannucci, LOVE, 2013, © Künstler, Foto: Gerhard Sauer

Interview mit Marli Hoppe Ritter

Marli Hoppe-Ritter: „Die Kunst lehrt zu sehen, sie lehrt, die Dinge zu hinterfragen.“

Kunst und Künstler waren schon immer stark von Mäzenen abhängig. Der gesamte globale Kunstkanon wäre eine dürftige Angelegenheit, hätte es nicht zu allen Zeiten und in allen Kulturen private Kunstförderer gegeben. Derzeit, unter den Bedingungen der CoronaPandemie, ist dieser symbiotische Zusammenhang zwischen Kunstproduktion und dem Engagement von privaten Geldgebern noch augenfälliger geworden. Staatliche Fördermittel wurden zwar bereitgestellt, doch die Zuteilung der nach dem Gießkannenprinzip ausgeschütteten Gelder erfolgt mitunter nach betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, die an den Realitäten des Kunstbetriebs vorbeigehen. Um den speziellen Lebens und Arbeitsmodellen der Künstler gerecht zu werden, braucht es das Engagement von privaten Sammlern und Stiftungen, die mit ihrer Expertise gezielt bestimmte Projekte und Kunstschaffende fördern. Marli HoppeRitter ist Miteigentümerin der Firma Ritter Sport, gründete eine Stiftung zur Förderung der Kunst und zeigt ihre umfangreiche Kunstsammlung im vor 15 Jahren eröffneten Museum Ritter in Waldenbuch bei Stuttgart. Hansjörg Fröhlich sprach mit Marli HoppeRitter über Ateliers in einer ehemaligen Schokofabrik, das gesellschaftliche Potenzial von Kunst und über die Quadratur des Kreises.

ARTMAPP: Frau HoppeRitter, Sie sind für Ihr langjähriges Engagement in der Kunstförderung bekannt. Gab es ein prägendes Erlebnis oder einen anderen Auslöser für Ihre Entscheidung, Kunst und Künstler zu unterstützen?

Marli HoppeRitter: Kunst hat mich immer begleitet. Schon in meinem Elternhaus hingen Genrebilder aus dem 19. Jahrhundert und Landschaftsgemälde, die mir sehr gefallen haben. Dieses Interesse hat sich in Richtung moderne und später dann zeitgenössische Kunst weiterentwickelt. Ende der 1980erJahre begann ich zu sammeln, zunächst waren das noch einzelne private Ankäufe. Ab 1993 fokussierte ich mich auf das Thema „Quadrat“.

ARTMAPP: Das Atelier Wilhelmstraße in Stuttgart Bad Cannstatt ist wohl eines Ihrer ersten Förderprojekte. Wie ist es entstanden?

MHR: Im Haus Wilhelmstraße 16 haben meine Großeltern seit 1912 gelebt. Im Vorderhaus war das Süßwarengeschäft meiner Großmutter, im Hinterhaus befand sich der erste Produktionsstandort von Ritter. Seit 1986 vermiete ich eine Fläche von etwa 700 Quadratmetern an Künstler, die sich im Verein „Atelier Wilhelmstraße 16 e. V.“ selbst organisieren und sich um die Vermietungen und Veranstaltungen kümmern. Derzeit arbeiten dort neun Künstler. Jedes Jahr im Dezember präsentieren die jeweils aktuellen Ateliermieter Werke von Kunstschaffenden, die nicht in der Wilhelmstraße 16 arbeiten, deren Werke sie aber schätzen oder mit denen sie befreundet sind. ARTMAPP: Sie fördern sowohl Institutionen wie die Kunststiftung BadenWürttemberg und den Künstlerbund BadenWürttemberg als auch direkt konkrete Künstler, etwa durch die Finanzierung von Katalogen. Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Projekte in Betracht kommen?

MHR: Lange Zeit habe ich über Direktförderungen gemeinsam mit einem Kunsthistoriker entschieden. In den letzten Jahren machte ich das allein, möchte künftig aber gerne wieder jemanden dazunehmen. Die Aspiranten sollten noch nicht am Kunstmarkt arriviert sein und innovatives Potenzial erkennen lassen. Meist fördere ich bildende Kunst, aber auch Theaterprojekte und PerformanceEvents kommen in Betracht. Die Regionen BadenWürttemberg und Berlin werden von mir etwas bevorzugt.

ARTMAPP: Neben der Kunst engagieren Sie sich für Umweltschutz und die Abwendung der Klimakatastrophe. Diese ökologische Verantwortung spiegelt sich unter anderem im Gebäude des Museums Ritter in Waldenbuch, dessen Klimatechnik von regenerativen Quellen gespeist wird, sowie im nachhaltigen Anbau von Kakao in Nicaragua. Sind Kunst und Ökologie zwei Pfeiler derselben Brücke, die in eine global lebenswerte Zukunft führt?

MHR: Natürlich ist es mein Wunsch, dass Kunst und Ökologie hierzu beitragen. In der Kunst sehe ich eher die soziale Seite, denn die Beschäftigung mit Kunstwerken öffnet den Geist, macht Menschen toleranter und bietet Raum für das aufeinander Zugehen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. „Die Kunst lehrt zu sehen, sie lehrt, die Dinge zu hinterfragen“, lautet mein Credo.

In der Kunststiftung Baden-Württemberg, Stuttgart, von links nach rechts: Marli Hoppe-Ritter, Angelika Harthan, Bernd Georg Milla, Helena Vayhinger, Foto: Steffen Schmid

Außenansicht des Museumsgebäudes, Passage mit Installation von Daniel Buren, 2013, Foto: Franz Wamhof, © Museum Ritter / VG Bild-Kunst, Bonn 2020

ARTMAPP: Ihr soziales und ihr ökologisches Engagement entsprechen nicht gerade den tradierten Vorstellungen, die nach wie vor mit einer „Firmenerbin“ verbunden werden. Wie gelangten Sie zu dieser kritisch philanthropischen Geisteshaltung?

MHR: Ich denke diese Geisteshaltung wurde mir in die Wiege gelegt. Denn sowohl mein Vater als auch meine Großmutter Clara Ritter, mit der ich als Kind täglich Umgang hatte, waren der Ansicht, dass, wer die Möglichkeiten dazu hat, andere unterstützen sollte. Und zwar auch aus einer inneren Notwendigkeit heraus, denn das Engagement für andere tut ja zugleich dem Förderer gut, etwa indem es ein besseres Lebensgefühl beschert. Clara Ritter sagte einst, wer seine Gewinne nur für sich selbst nutzt, auf dessen Geschäft liege kein Segen. ARTMAPP: Das Museum Ritter in Waldenbuch wurde vor 15 Jahren eröffnet. Was waren für Sie die Highlights, welche Ausstellungen sind Ihnen besonders ans Herz gewachsen?

MHR: Insbesondere zwei Ausstellungen haben mich nachhaltig beeindruckt. Zum einen die des französischen Malers und Lichtkünstlers François Morellet, der mit seiner Frau eine Woche in Waldenbuch war und mit uns zusammen die Ausstellung gemeinsam aufgebaut hat. Die Zusammenarbeit mit dem inzwischen auch international sehr berühmten Morellet machte mir sehr viel Freude. Ein zweiter Künstler, mit dem wir sehr viel Spaß und sehr interessante Gespräche hatten, ist der interdisziplinär arbeitende Timm Ulrichs. Wir hatten vor einigen Jahren eine Einzelausstellung mit ihm. Auf der Wiese hinter dem Museum Ritter ist noch ein Relikt dieser Schau zu sehen, die Skulptur „Die Quadratur des Kreises“. Zu Ulrichs Kunst und Lebenseinstellung gehört sehr viel Witz und Ironie, wie auch bei Morellet. Für mich hat Kunst letztlich immer viel mit Spiel, Experiment und Spaß zu tun: Heiter sei die Kunst!

Bis 11. April 2021 Vera Molnar. Promenades en carré Highlights. Lichtkunst aus der Sammlung Marli Hoppe-Ritter Museum Ritter, Waldenbuch www.museum-ritter.de

Malereien von Franziska Sophie Geissler

Glück, immer dieses Glück

Franziska Sophie Geissler, Ausstellungsansicht in der Villa Merkel, Galerie der Stadt Esslingen, 2020, Foto: Rob Freiberger

Franziska Sophie Geissler in ihrem Atelier Wilhelmstraße, Stuttgart-Bad Cannstatt, Foto: © Reiner Brouwer

Bei der Glückssuche – und was ist Malerei anderes ? – der in Stuttgart lebenden Malerin Franziska Sophie Geissler sind Leinwand und Ölfarbe längst schon in Vergessenheit geraten. Was taugte nämlich besser dazu, dem ParadiesischHimmlischen näher zu sein, als ebenjene Werkstoffe, die bereits an anderer Stelle in der Luft und Raumfahrttechnik in bewährter Form gebräuchlich sind. Sie jedenfalls haben bisher verlässlich all jene Distanzen überwunden, die von unserem beengten Kopfinneren bis in den Weltenraum und die seit den 1970erJahren sprichwörtlich gewordenen unendlichen Weiten dort zu reichen vermögen. Einfach im Überflug das private Universum zu begreifen, ist so oder so das Anliegen der Künstlerin, und sie bedient sich der ihr eigenen Bildsprache als eine Art virtuoser Zeitmaschine. Lieblingskatzen, unerzählte Pferde und die einem herrenlosen Playgirl entwendeten BunnyOhren geben sich unvermittelt ein wenig zärtliches Stelldichein. Mit einer schier unglaublichen Innovationsgabe verwendet Franziska Sophie Geissler daher in ihrer Malerei – sofern man sie überhaupt noch als Malerei bezeichnen möchte – Glasfaserfolien, Carbon, Epoxidharze und Pigmente. Wider Erwarten entstehen aus dem Gebrauch dieser hochtechnoiden Materialien jedoch mitnichten kühl anmutende oder etwa konkrete Bildwerke. Im Gegenteil: Eine poetisch aufgeladene Fabulierlust breitet sich da vor dem Betrachter mit einer außergewöhnlichen Farbkraft, Plastizität und damit auch verbundenen Tiefenräumlichkeit aus. Aus ihrem Erinnerungsarchiv, aus dem Fundus von Freunden, Künstlerkolleginnen und der Familie zur Verfügung gestellter Diapositive und Fotoaufnahmen rekonstruiert die Künstlerin dabei komplexe Vorstellungsareale, die über die verschiedenen Generationen und bloß individuell Biografisches hinweg Gültigkeit behaupten. Rätselhaft kaschierte Porträts, teilweise vollständig ausgelöscht, mehr oder weniger nachverfolgbare Landkarten und Wegepläne, detaillierte Höhenlinien, zeichnerische Einschlüsse, labyrinthisch miteinander verschichtet, erweisen sich als Spurensuchen nach der eigenen Identität. Doch das wohlgeordnete behauste Idyll der Dingewelt entpuppt sich als trügerisch, sobald das rauschhaft überbordende Karussell der Formen und Farben jählings Fahrt aufnimmt und uns abseits aller Fliehkräfte des bis dahin als möglich Vorgestellten hinausbefördert in ein niemandes nichtses Nirvana. So gesehen gleichen Franziska Sophie Geisslers Malereien ins Räumliche gestaffelten Lichtinszenierungen, die eher im Bereich diaphaner Glasgestaltungen und damit verbundener Licht und Rauminstallationen angesiedelt sind. Hier hat die Malerei mit den eincollagierten Scherenschnitten und kuriosen Fundstücken des Alltags, die als Gestaltungselemente in die Darstellungsflächen eingewoben sind, selbst überhaupt keinen Bildträger, weder Leinwand noch grundierte Holzplatten oder dergleichen. Sie ist und sich selbst genug und immer wieder strahlt sie auch vor lauter Glück, Licht und Farbe.

CLEMENS OTTNAD

5. bis 15. Dezember 2020 NO PARKING ANY TIME Franziska Sophie Geissler im Atelier Wilhelmstaße 16 e. V., Stuttgart-Bad Cannstatt www.franziska-geissler.de

30 Jahre Galerie Stadt Sindelfingen

Beheimatet im alten Rathaus am Marktplatz prägt die Galerie Stadt Sindelfingen das Gesicht der Stadt. Im Jahr 2020 feiert die Galerie ihr 30jähriges Bestehen und begeht zugleich das 175jährige Jubiläum des Gebäudes. Gegründet wurde die Galerie 1990 als Ausstellungs und Produktionsort für zeitgenössische Kunst, der die Auseinandersetzung mit aktuellen Positionen und ästhetischen Erfahrungen ermöglicht. Sie besitzt die hochkarätige Privatsammlung Diethelm Lützes mit Schlüsselwerken von Otto Dix, Willi Baumeister und vielen weiteren Künstlern des späten 19. und des 20. Jahrhunderts aus Südwestdeutschland.

Fabian Krause, „Datenstrom“, 2020, Foto: Henning Krause

Anlässlich des 30jährigen Bestehens wurde die spannende Geschichte der Galerie Stadt Sindelfingen nun durch den kreativen Technikspezialisten und gebürtigen Sindelfinger Fabian Krause in einer multimedialen Rauminstallation aufbereitet. In der Arbeit „Datenstrom“ verwob er Video, Sound, Text und Bilddokumente zu einem faszinierenden Infotainment. Der begehbare „Datenraum“ gibt den Menschen die Möglichkeit, sich interaktiv einzubringen und mit allen Sinnen in die Geschichte der Galerie einzutauchen. Besucher können – je nach Interesse – Informationen über das Gebäude, die Galerie, die Sammlung, die Kunst im öffentlichen Raum, die Ausstellungen, die Kulturpolitik und das Kulturleben Sindelfingens aufrufen. Dieser Datenstrom aus Bildern, Zeitungsartikeln und Videos referiert nicht nur auf die Geschichte der Galerie, sondern ebenso auf die Digitalisierung unserer Lebenswelt. Im ersten und zweiten Stock der 750 Quadratmeter großen Galerie Stadt Sindelfingen ist die umfangreiche Gruppenausstellung „Beyond the Pain“ zu sehen. Sie nimmt zentrale Fragen zum Themenfeld der Schmerzüberwindung in den Blick: Was kommt nach dem Schmerz? Kann Schmerz ein sinnvolles oder gar lustvolles Erlebnis sein, das es schafft, Grenzerfahrungen in eine positive Haltung umzuwandeln? Vor dem Hintergrund, dass es Menschen selbst nach dem Erleben von Folter oder Traumata gelingt, ihr Leben positiv zu gestalten: Wie kann mit scheinbar nicht aushaltbarem oder unüberwindbarem Schmerz umgegangen werden? Die künstlerische Leiterin Madeleine Frey und Kurator Sebastian Schmitt haben zwölf internationale Kunstschaffende eingeladen, das Themenfeld der Schmerzüberwindung in der bildenden Kunst zu diskutieren. Neben bereits existierenden Werken werden für die Räumlichkeiten der Galerie neue Arbeiten entwickelt und umgesetzt.

Peter Bosshart erhält den Oberrheinischen Kunstpreis 2020

„Ein faszinierender Bildkosmos“

Ausstellung in der Städtischen Galerie Offenburg bis 21. Februar 2021

Peter Bossharts kraftvollfigürliche Malerei findet ihre Motive im alltäglichen Leben. Der Künstler verwebt Gesehenes, Gehörtes, Träume und Wortspiele. Die Schilderungen sind oft hintergründig, geprägt von einem sehr persönlichen Humor. Es sind meist nur wenige Motive, manchmal stark vergrößert, häufig umfasst die Palette nur wenige Farben. „Ich versuche, das Reich der Malerei zu entdecken, indem ich es beschränke“, sagt der Künstler über seine Vorgehensweise. „Die Möglichkeit, bei sich zu sein, habe ich einzig in der Malerei gefunden. Darin enthalten ist das Hin und Her zwischen GeschehenLassen und Anstreben einer klaren Form. In der Malerei erhält das Momenthafte, das, was ich jetzt mache, ein Bild, das man später sehen kann. Es ist die Möglichkeit, so etwas wie das Zeitliche zu begreifen oder den Moment festzuhalten.“ „Was mir an seinen Bildern so gut gefällt, ist ihre Treffsicherheit, ihre Lakonie. Er macht nicht viel Worte über eine Sache – er malt sie und – übermalt sie“, beschreibt Professor Klaus Gallwitz, Vorsitzender der Jury des Oberrheinischen Kunstpreises 2020, Peter Bossharts künstlerische Strategie.

Peter Bosshart, Foto: Bernhard Strauss

Peter Bosshart, „Frühlingssocken“, 2018, 50 x 40 cm

Peter Bosshart (* 1966), lebt und arbeitet in EfringenKirchen. Nach Studienjahren in Basel bei Werner von Mutzenbecher und in Frankfurt am Main bei Thomas Bayrle, Martin Kippenberger und Andreas Slominski kehrte er 1998 in seine Heimatregion zurück. 2018 erhielt er den Kunstpreis der Stiftung der Sparkasse Markgräflerland. Der Künstler wurde ausgewählt von einer Jury unter Vorsitz des Kunsthistorikers und internationalen Kurators Prof. Dr. Klaus Gallwitz und den weiteren Mitgliedern Julia Garimorth, Chefkonservatorin, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, Søren Grammel, Leiter Kunst ab 1960 / Gegenwartskunst, Kunstmuseum Basel, Dr. Christine Litz, Direktorin des Museums für Neue Kunst Freiburg und Dr. Bernhard Serexhe, Kurator, Karlsruhe. Die Stadt Offenburg und der Förderkreis Kunst + Kultur e. V. verleihen 2020 zum vierten Mal den Oberrheinischen Kunstpreis Offenburg. Die Auszeichnung beinhaltet ein Preisgeld sowie eine viermonatige Ausstellung in der Städtischen Galerie Offenburg. Es erscheint ein dreisprachiger Katalog mit Texten von Klaus Gallwitz, Gerlinde BrandenburgerEisele und einem Gespräch zwischen Peter Bosshart und Katharina Dunst im modo Verlag, Freiburg im Breisgau.

PATRICIA POTRYKUS

Städtische Galerie Offenburg Amand-Goegg-Straße 2 Kulturforum 77654 Offenburg www.galerie-offenburg.de

Öffnungszeiten unter Vorbehalt: Fr–So 13–17 Uhr geschlossen: 24./25./31.12.2020, 1.1. und 11. 2. 2021

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