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Panoramageschichte Der richtige Standpunkt
DER „RICHTIGE“ STANDPUNKT
Das Panorama, eine Erfindung von Robert Barker
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Wer behauptet, immersive Kunst sei eine Entdeckung des digitalen Zeitalters, hat noch nichts von Robert Barkers „Panorama“ gehört. Der Hype der Immersion begann vor mehr als zweihundert Jahren: Bereits im 18. Jahrhundert besuchten Menschen immersive 360°-Erlebnisse.
Was macht ein Medium eigentlich immersiv? Die Antwort hängt von der Beziehung zwischen dem eigenen Körper und dem Medium ab, und der Gedanke ist keineswegs neu. Wenn wir die frühesten Beispiele für immersive Techniken in illusorischen Räumen betrachten, wird uns klar, wie alt dieses Konzept eigentlich ist. Die Verwendung eines ausgedehnten linearen Raums zu Darstellungszwecken hat jedoch weitaus ältere historische Vorläufer als das Panorama. Etwa ein Jahrtausend vor der christlichen Ära zeichneten die Chinesen, Ägypter und Babylonier historische und mythologische Ereignisse in langgestreckten visuellen Erzählungen auf.
Obwohl der Begriff „Panorama“ heute für jeden umfassenden Überblick über ein Thema steht, sei es visuell oder inhaltlich, hatte er zum Zeitpunkt seiner Entstehung eine ganz bestimmte Bedeutung. Das Wort wurde 1792 von dem irischen Maler Robert Barker (1736 – 1806) aus den griechischen Wörtern ‚pān‘ = alles und ‚hórāma‘ = sehen, zusammengesetzt. Barkers Patent für ein 360-Grad-Gemälde der „Natur auf einen Blick“ betonte die Konstruktion „eines richtigen Standpunktes“ als Mittel, um dem Betrachter „das Gefühl zu geben, als wäre man tatsächlich vor Ort“. Diese Idee wurde erstmals von Barker selbst verwirklicht, der eine Ansicht seiner Heimatstadt Edinburgh mit Aquarellfarben auf Leinwand und Papier auf eine halbkreisförmige Fläche malte und sie dann an einem zu diesem Zweck errichteten Rundbau aufhängte: einer Rotunde. Dieses erste Werk wurde anschließend in weiteren Städten ausgestellt und veranschaulichte von Anfang an zwei Merkmale von Panoramen: Vorläufigkeit und regelmäßige Ortswechsel. Die eigentliche Einführung des neuen Mediums fand jedoch in London statt. Hier gründete Barker eine Aktiengesellschaft, um seine Erfindung in großem Maßstab zu entwickeln. In kurzer Zeit waren Barkers Londoner Rotunden äußerst erfolgreich. Die Besucher zahlten Eintritt und gelangten über einen Tunnel in die Mitte der Rotunde zu einer Plattform, von der aus sie das Motiv in seiner Gesamtheit betrachten konnten.
Barkers Panoramen tourten durch Europa und brachten eine ganze Generation von Panoramisten hervor, darunter auch seine Söhne, die seine Arbeit fortsetzten. Jedes neue Motiv, das Landschaften, Stadtansichten oder Schlachtszenen zeigte, hatte eine ganz besondere, noch nie dagewesene und äußerst ungewöhnliche Wirkung: es vermittelte dem Betrachter das Gefühl, wirklich dabei zu sein. Diese Beeinflussung der visuellen Wahrnehmung unterscheidet sich jedoch nicht von dem Prinzip, auf dem Technologien wie Virtual Reality oder Augmented Reality beruhen. Sie besteht in der künstlichen Einführung von visuellen Elementen in den Raum, in dem wir uns befinden, um eine Illusion von einem anderen Ort zu erzeugen.
Das Panorama wurde eines der erstaunlichsten und beliebtesten visuellen Spektakel des 19. Jahrhunderts: Seine Erfindung stellte einen Meilenstein in der Entwicklung der visuellen Technologien dar.

Abbildung unten links: Querschnitt von Robert Barkers Panoramarotunde am Londoner Leicester Square. Gezeigt wurden ein Panorama der Stadt London (oben, klein) sowie ein Großpanorama der Umgebung von Edingburgh (unten, groß).
Abbildung unten rechts:
Erstes Patent für ein Panorama von Robert Barker, 1787. Übersetzung der Patentschrift: Spezifikation des Patents, das Herrn Robert Barker aus der Stadt Edinburgh, Portraitmaler, erteilt wurde; für seine Erfindung einer ganz neuen Vorrichtung oder eines Apparates, von ihm La Nature à Coup d‘Oeil genannt, zum Zwecke der Darstellung von Ansichten der Natur im Großformat, durch Ölmalerei, Fresko, Aquarell, Kreide oder jede andere Art von Malerei oder Zeichnung.