ALEŠ TACER
DIE HUNGRIGEN IGEL ILLUSTRIERT VON TANJA LEDINEK
WIR ALLE WISSEN, LIEBE KINDER, DASS VIELE WALDTIERE WINTERSCHLAF HALTEN. IM WINTER SCHLAFEN DIE EICHHÖRNCHEN, DIE SIEBENSCHLÄFER, DIE WALDMÄUSE ... UND AUCH DIE BÄREN, DAS HABEN WIR JEDENFALLS IRGENDWO EINMAL GEHÖRT. UND WENN WIR ES GEHÖRT HABEN, WIRD ES WOHL AUCH STIMMEN, NICHT WAHR? ABER SO GANZ ÜBERZEUGT BIN ICH DENNOCH NICHT. SCHLAFENDE BÄREN WÜRDEN BESTIMMT SO LAUT SCHNARCHEN, DASS SIE JEDES ANDERE WALDTIER AUFWECKEN WÜRDEN. DAS GLAUBE ICH JEDENFALLS, DENN IN EUREM ALTER WAR ICH VIEL ZU NASEWEIS, UM DEN ERWACHSENEN ETWAS ZU GLAUBEN. SEHT, SO KANN ES AUCH EUCH ERGEHEN, LIEBE KINDER, DESHALB DÜRFT IHR ES MIR AUF KEINEN FALL NACHMACHEN. ANGEBLICH PFLEGEN AUCH DIE IGEL IM WINTER IHREN VERDIENTEN WINTERSCHLAF. SO HABEN ES UNS JEDENFALLS DIE ÄLTEREN LEUTE IMMER ERZÄHLT. ALSO GUT, AUCH DIE IGEL SCHLAFEN, SO WIE DIE BRUMMENDEN BÄREN, UND SIE HALTEN GENAUSO WINTERSCHLAF WIE DIE MOLLIGEN SIEBENSCHLÄFER. SCHON WEIT VOR DEM WINTER FALLEN SIE INS SCHNARCHEN UND WERDEN BIS ZUR WARMEN FRÜHLINGSSONNE NICHT WACH. DASS ABER DOCH NICHT ALLES SO STIMMT UND ES NICHT IMMER SO SEIN MUSS, SOLL EUCH DIESES KLEINE MÄRCHEN ZEIGEN, IN DEM DER IGEL FERDO UND SEINE FRAU, DIE IGELIN FERDINANDA, AUFTRETEN.
„SCHAU, SCHAU“, SAGTE ER MEHR LEISE ZU SICH ALS ZU SEINEM LIEBEN FRAUCHEN FERDINANDA, DIE SCHON GANZE ZWEI FRÜHLINGE, ZWEI SOMMER, ZWEI HERBSTE UND ZWEI WINTER SEIN RECHTMÄSSIGES FRAUCHEN WAR. ER WUSSTE NÄMLICH NICHT, OB SIE WACH WAR ODER OB SIE SCHLIEF. AUFWECKEN WOLLTE ER SIE ALLERDINGS NICHT, ER HATTE SCHLIESSLICH SEINE ERFAHRUNGEN MIT DER IGELIN FERDINANDA, DIE MANCHMAL SEHR BÖSE WERDEN KONNTE. ABER ALS ER SAH, DASS AUCH SIE WACH WAR, FUHR ER FORT: „ICH HABE EIN WENIG FRISCHE LUFT GESCHNAPPT UND DAS SCHNÄUZCHEN IN ALLE VIER HIMMELSRICHTUNGEN GEHALTEN. DA DRAUSSEN MÜSSTE JETZT MINDESTENS EIN METER SCHNEE LIEGEN, ES IST ABER FAST ALLES WEGGETAUT. WAS HAT DAS NUR ZU BEDEUTEN?“ „DU UND DEIN LUFTSCHNAPPEN! WARUM WECKST DU MICH DENN? SIEHST DU NICHT, DASS ICH MÜDE BIN UND VERSCHLAFEN! WAS WIRD SCHON SEIN, WENN DRAUSSEN NICHT VIEL SCHNEE LIEGT? WAS SOLL DAS SCHON ZU BEDEUTEN HABEN? DOCH WOHL NUR, MEIN LIEBER FERDO, DASS DU KEIN MASSBAND HAST, MIT DEM DU DIE SCHNEEHÖHE MESSEN KÖNNTEST“, BLIEB IGELIN FERDINANDA UNGNÄDIG. „DU MÜSSTEST MINDESTENS NOCH ZWEI MONATE SCHLAFEN, DOCH NEIN, DU MUSST ÜBERALL HERUMRUMOREN. ABER WENN DU MICH SCHON GEWECKT HAST, SAG ICH ES DIR GLEICH IN DEIN SPITZES SCHNÄUZCHEN HINEIN: ICH HABE HUNGER!“
ER LIEF EINE ZEIT LANG HIERHIN UND DORTHIN, IHN FROR, ABER ETWAS ESSBARES FAND ER NICHT. ER TRIPPELTE HIN, ER TRIPPELTE HER, UND ER DACHTE SCHON DARAN AUFZUGEBEN UND ZURÜCKZUKEHREN, OBWOHL ER SICH VOR SEINER LIEBEN FERDINANDA FÜRCHTETE. WENN ER NICHTS MITBRÄCHTE, WÜRDE SIE SEHR BÖSE WERDEN! ETWAS GENIESSBARES MUSSTE ER AUF JEDEN FALL NACH HAUSE BRINGEN!
„GEH JETZT UND FINDE ETWAS GENIESSBARES ZUM BEISSEN!“ „ZU BEFEHL“, ERWIDERTE IGEL FERDO UND NAHM HALTUNG AN. ER WUSSTE, DASS ES NICHT RATSAM WAR, SICH SEINEM FRAUCHEN SCHON MITTEN IM WINTER ZU WIDERSETZEN. ES KÖNNTE IHN NOCH EINMAL BÖSE FRIEREN, WEIL SIE IHM NICHT MEHR ERLAUBTE, SICH AN SIE ZU SCHMIEGEN. UND SO BLIEB DEM ARMEN IGEL FERDO NICHTS ANDERES ÜBRIG, ALS SEINE SCHNELLEN BEINCHEN ZU STRECKEN UND SICH AUFZUMACHEN IN DIE UMGEBUNG IHRES HÄUSLICHEN HEIMES, UM ETWAS ESSBARES ZU SUCHEN.
UND SO TRUG IGEL FERDO EINE GROSSE SCHÜSSEL VOLLER SÜSSER NUSSKERNE NACH HAUSE, SEINER FREUNDIN HENRIETTE DANKBAR DAFÜR, DASS SIE IHM ETWAS ESSBARES GELIEHEN HATTE. IM STILLEN GELOBTE ER, ES IHR IM HERBST WIRKLICH ZU LOHNEN UND IHR MEHR ZURÜCKZUGEBEN, ALS ER BEKOMMEN HATTE. UND ER GELOBTE SICH AUCH, SEINER FRAU NICHT ZU SAGEN, DASS ER DEM EICHHÖRNCHEN HENRIETTE VOR LAUTER DANKBARKEIT EINEN DICKEN SCHMATZ AUF DEN GESPITZTEN OHRPINSEL HATTE DRÜCKEN WOLLEN. ER HÄTTE ES WOHL GETAN, ABER SIE WAR IHM AUSGEWICHEN. VERMUTLICH WEGEN SEINER STACHELN. IGELIN FERDINANDA ZEIGTE ANGESICHTS DER SÜSSEN NUSSKERNE ZWAR NOCH IMMER EINE GRIESGRÄMIGE MIENE UND SAGTE, SIE WERDE DANACH DURSTIG SEIN, ABER IGEL FERDO FAND RASCH EINE LÖSUNG. ER WÄLZTE EINEN SCHNEEBALL AUF EIN GROSSES HUFLATTICHBLATT UND ZOG ES IN DIE SONNE. BALD HATTE SICH AUF DEM BLATT EINE GROSSE LACHE WASSER GEBILDET, SO GROSS, WIE DIE LACHE UNTERM WASCHBECKEN, DAS KENNT IHR JA, LIEBE KINDER.
DIE HERAUSGABE DES BUCHES HABEN FINANZIELL ERMÖGLICHT: AMT DER KÄRNTNER LANDESREGIERUNG BÜRGERMEISTER DER STADT GRAZ MAG. SIEGFRIED NAGL ALPENLÄNDISCHER KULTURVERBAND SÜDMARK VEREIN SÜDMARK KÄRNTNER HEIMATDIENST