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GESCHÄFTSMODELLE UND ERFOLGSFAKTOREN IM EUROPÄISCHEN SGV DER DRUCK IM EUROPÄISCHEN SGV LASTET NICHT AUF ALLEN UNTERNEHMEN GLEICHERMAßEN. JE NACH GESCHÄFTSMODELL WIRKEN UNTERSCHIEDLICHE STRATEGISCHE ERFOLGSFAKTOREN.
und die Zukunftsfähigkeit ihrer Geschäftsmodelle sicherzustellen? Dieser Frage geht der aktuelle Branchenreport der Managementberatung Horváth & Partners nach, dessen Ergebnisse in Auszügen nachfolgend dargestellt werden. Neben einer breit angelegten Studie flossen Interviews mit ausgewählten Managern in die Ergebnisse ein. Das einstige Rückgrat der Branche – Massen- und Schüttgüterverkehre – verliert in modernen Volkswirtschaften an Bedeutung, während das Aufkommen kleinvolumiger Sendungen immer weiter steigt. Gleichzeitig nehmen die logistischen Anforderungen der Kunden aus Industrie und Handel zu. Das Wachstum des E-Commerce beschleunigt diese Entwicklungen weiter, die allesamt – anders als beim Straßengüterverkehr – den Systemeigenschaften des SGV zuwiderlaufen. In der Folge steigt der ohnehin hohe Leistungs- und Preisdruck auf SGV-Unternehmen weiter. Zusätzlich zu steigenden Kundenanforderungen und dem Wettbewerb durch
Der europäische Schienengüterverkehr (SGV) ist mit einem dynamisch-herausfordernden Umfeld konfrontiert. Zunehmender intramodaler Wettbewerb, die starke Konkurrenz insbesondere durch den Straßengüterverkehr, tiefgreifende Veränderungen der volkswirtschaftlichen Güter- und Produktionsstrukturen und anspruchsvollere Kundenanforderungen bei gleichzeitig hohen Überkapazitäten im SGV-Markt zwingen Unternehmen der Branche, ihre strategische Positionierung zu hinterfragen und Geschäftsmodelle systematisch weiterzuentwickeln. Was können SGV-Unternehmen tun, um die Weichen auf Wachstum zu stellen
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konkurrierende Verkehrsträger forciert auch das intramodale Markt- und Wettbewerbsumfeld diesen Leistungs- und Kostendruck: Neben den eingesessenen nationalen Incumbents ist seit der Liberalisierung des europäischen SGV eine Vielzahl von Unternehmen in den Markt eingetreten, die den Wandel der Branche mit Dynamik vorantreiben. Gleichzeitig bestehen industrieweit Überkapazitäten (v.a. Rollmaterial, Instandhaltung). Der damit einhergehende Druck zur Auslastung eigener Kapazitäten verstärkt den ohnehin starken Margenverfall. Vor dem Hintergrund eines anspruchsvollen Markt- und Wettbewerbsumfelds sprechen Manager der Branche häufig von einem fortwährenden „Kampf um die schwarze Null.“ Neben diesen Herausforderungen eröffnen sich auch Chancen für europäische SGV-Unternehmen: Mit der Globalisierung und wirtschaftlichen Integration Europas nimmt die durchschnittliche Transportweite zu, was dem SGV aufgrund seiner Systemeigenschaften grundsätzlich zugutekommt. Gleichzeitig zeichnen sich gerade auf der Straße deutliche Kapazitätsengpässe ab, die den intermodalen Wettbewerbsdruck dämpfen. Hinzu kommen politische Bemühungen zur Stärkung der Schiene (z.B. Halbierung der Trassenpreise für den SGV in Deutschland). Spätestens seit der vollständigen Marktöffnung des europäischen SGV zeigt sich entsprechend ein Wachstum der Transportvolumina. Mittelfristige Verkehrsprognosen indizieren auch künftig weiteres Wachstum. Vor diesem Hintergrund stellen sich entscheidende strategische Fragen für europäische SGV-Unternehmen: ● Wie positionieren sich die SGV-Unternehmen in diesem Umfeld und welche Geschäftsmodelle verfolgen sie typischerweise? ● Welches sind wichtige strategische Erfolgsfaktoren, die die Entscheider der Branche beachten sollten?
● Welche Handlungsbedarfe und strategische Stoßrichtungen zur Weiterentwicklung der jeweiligen Geschäftsmodelle sind erfolgversprechend? GÄNGIGE GESCHÄFTSMODELLE Mit ihrem Geschäftsmodell legen Unternehmen fest, mit welchen wertschöpfenden Tätigkeiten sie am Markt operieren. Geschäftsmodelle lassen sich über sieben Kernelemente beschreiben und erfassen (sog. 7K-Modell von Horváth & Partners): von der Kundenschnittstelle und Ausrichtung der Kundenwahrnehmung über die Wertkette und den Kooperationsansatz bis hin zum Humankapital und innovativen Zukunftskonzepten. Neben diesen äußeren Gestaltungsparametern bildet ein so genannter strategischer Kern das zentrale Element eines jeden Geschäftsmodells. Dieser beinhaltet das Produktportfolio, das den Zielkunden in den Zielmärkten angeboten wird. Bei der Analyse von Geschäftsmodellen sind im SGV ebenfalls die Eigentümer-
strukturen zu beachten – denn staatliche unterliegen anderen Anreiz- und Einflussstrukturen als private Unternehmen, von denen mittlerweile eine Vielzahl im europäischen Schienengüterverkehr aktiv ist. Die im europäischen SGV vorzufindenden Geschäftsmodelle lassen sich im Geschäftsmodell-Radar von Horváth & Partners entlang von zwei Dimensionen einordnen (vgl. Abb. 1): Einerseits über die Spezialisierung im Sinne der Kunden- und Marktpositionierung, andererseits über das konkret angebotene Produktspektrum. Hinzu kommt die Eigentümerstruktur. Dabei zeigen sich wiederkehrende Muster, die sich zu drei grundlegenden Typen von Geschäftsmodellen im SGV verdichten lassen: ● Heimatmarkt-Spieler ● Industrie-Experten ● Korridor-Spezialisten Heimatmarkt-Spieler betreiben v.a. nationale Verkehre. Grenzüberschreitende Verkehre werden allenfalls in Kooperation
Abbildung 1: Auszug aus dem Geschäftsmodell-Radar von Horváth & Partners
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Abbildung 2: Strategische Stoßrichtungen nach Geschäftsmodelltypen
den grenzüberschreitenden europäischen Transportachsen zu bedienen, agieren Korridor-Spezialisten oft im Verbund mit Tochtergesellschaften oder Beteiligungen an SGV-Unternehmen in anderen EU-Staaten. So hält z.B. FRET SCNF strategische Beteiligungen an der schweizerischen BLS Cargo bzw. Captrain. Bei einigen der vielfach als „private Newcomer“ bezeichneten SGV-Unternehmen handelt es sich häufig tatsächlich um Tochterunternehmen anderer Staatskonzerne. Häufig handelt es sich bei Korridor-Spezialisten um nationale Incumbents, die als (ehemalige) Staatsbahnen rein öffentliche Eigentümer haben. Ihre Wertkette ist aufgrund ihrer Historie und gewachsenen Strukturen von hoher Asset-, Wertschöpfungs- und Personalintensität gekennzeichnet: Einerseits verfügen Incumbents damit über ausgeprägte Expertise, Know-how, Manpower und Potenziale. Andererseits stellt sie gerade der gewachsene Asset- und Personalkörper vor Herausforderungen bei der Anpassung an neue Marktund Wettbewerbsbedingungen.
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STRATEGISCHE FAKTOREN Wie ein Assessment der wirtschaftlichen Performance der SGV-Unternehmen zeigt, weisen die Unternehmen innerhalb eines Geschäftsmodelltyps ähnliche Muster des wirtschaftlichen Erfolges auf. Aufbauend auf diesem Performance-Assessment und der Analyse der Geschäftsmodelle lassen sich übergreifend sieben strategische Erfolgsfaktoren für SGV-Unternehmen ableiten: ● SGV-Unternehmen sind umso erfolgreicher bzw. profitabler, je fokussierter der strategische Kern des Geschäftsmodells im Hinblick auf angebotene SGV-Produkte, Zielkunden/ -industrien und Zielmärkte durch das Management festgelegt wird. ● Eher „einfache“ SGV-Produkte (Ganzzug-/kombinierte Verkehre, nationale Verkehre) lassen sich grundsätzlich profitabel betreiben, sind aber starkem intramodalen Wettbewerb und Effizienzdruck ausgesetzt. ● Eine klare Ausrichtung des Leistungsangebots auf die spezifischen Anforderungen der Zielkunden/-branchen der verla-
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mit anderen EVU angeboten. Das Produktportfolio besteht aus eher „einfachen“ Ganzzug- und/oder kombinierten Verkehren. Typisch ist, dass diese EVU eine private Eigentümerstruktur aufweisen. Gleichzeitig haben sie Schwerpunkte in den transportierten Güterarten. Während sich z.B. GB Railfreight v.a. auf den Transport von Biomasse und Kohle spezialisiert, setzt Freightliner auf Massen- und Schüttgüter. Daneben verfolgen Heimatmarkt-Spieler mitunter innovative Ansätze – so versucht etwa GB Railfreight, durch den Betrieb des „Caledonian Sleeper“-Nachtzuges von London nach Schottland Synergien zwischen SGV und Schienenpersonenverkehr zu realisieren: Triebfahrzeugführer bspw. werden dual ausgebildet, um die Einsatzflexibilität zu erhöhen und Stückkosten zu senken. Demgegenüber zeichnen sich Industrie-Experten durch ihren Industrie-Schwerpunkt aus (Chemie, Automotive etc.). Als Konzerntochter verladender Unternehmen sind sie typischerweise eng in die Logistikund Transportnetzwerke ihrer Konzernmutter eingebunden und fungieren als Bindeglied in ihrem Wertschöpfungsprozess, bedienen daneben aber auch Drittkunden. Industrie-Experten betreiben überwiegend Ganzzug- und Anschlussbahnverkehre auch auf der ost-west-europäischen Güterverkehrsachse. Neben ihrer hohen industriebezogenen Spezialisierung profitieren Industrie-Experten von ihrer Zugehörigkeit zu verladenden Unternehmen, durch die sie langfristig eine planbare Auslastung ihrer Assets sicherstellen können. Korridor-Spezialisten bedienen flächendeckend grenzüberschreitende, transeuropäische Verkehrsachsen (Nord-Süd-, OstWest-Korridor) mit einem breiten Leistungsspektrum: Neben Ganzzug- und kombinierten Verkehren werden auch Einzelwagenverkehre angeboten. Ergänzt wird das Produktportfolio häufig um transportnahe Logistikleistungen. Um ihre Leistungen auf
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denden Industrie, eine enge Verzahnung mit deren Wertschöpfung und der Aufbau langfristiger Leistungsbeziehungen sind wichtige Hebel, um die Profitabilität zu steigern. ● Um komplexere SGV-Produkte profitabel betreiben zu können, ist eine ausgezeichnete Auslastungs- und Kapazitätssteuerung Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. ● Ein wichtiger Stellhebel zu Kosteneffizienz und Wettbewerbsfähigkeit liegt in der Gestaltung der Wertkette. SGV-Unternehmen können durch Strategien der Asset Lightness und Fixkostenflexibilisierung bei Auslastungslücken (etwa bei der Instandhaltung) ihre Profitabilität spürbar steigern. ● Durch Kooperationen im grenzüberschreitenden Verkehr und strategische Beteiligungen entlang der Zielmärkte lassen sich grundsätzlich Größenvorteile zur Asset-Auslastung erzielen. ● Unternehmen mit privater Eigentümerstruktur fokussieren ihr Geschäftsmodell i.d.R. stärker und sind damit langfristig profitabler. Staatliche Incumbents sind hingegen oft mit gemeinwirtschaftlichen Ansprüchen ihrer öffentlichen Eigentümer konfrontiert, die eine klare Ausrichtung erschweren. STRATEGISCHE RICHTUNGEN Aus der Verbindung von Geschäftsmodelltyp und Erfolgsfaktoren lassen sich für SGV-Unternehmen spezifische strategische Handlungsbedarfe und Stoßrichtungen zur Weiterentwicklung der einzelnen Geschäftsmodelltypen ableiten. Diese sind schematisch in Abb. 2 skizziert. Da Heimatmarkt-Spieler im engen nationalen Marktumfeld agieren, liegt eine zentrale Herausforderung in der Erschließung neuer Wachstumspotenziale. Ansatzpunkte sind eine stärkere Industrie-Spezialisierung und Leistungskooperationen mit der verladenden Industrie. Dies setzt voraus, dass sie diesen (bahn-)logistische Kosten-
vorteile bieten können. Folglich müssen Heimatmarkt-Spieler auch ihre Kostenposition stetig verbessern, insbesondere durch kreative Nutzung von Skaleneffekten/Synergien sowie ein effektives Auslastungs- und Kapazitätskostenmanagement. Industrie-Experten müssen einerseits ihre Kostenstrukturen stetig verbessern (z.B. durch Asset Lightness-Ansätze), um weiterhin von internen Kontrahierungen der Mutterkonzerne zu profitieren, die wiederum ihren Kostendruck intern weiterreichen. Andererseits ergeben sich aus der Übertragung der Kernkompetenzen auf das Drittgeschäft zur Verbreiterung der Kundenbasis neue Wachstumspotenziale und Möglichkeiten, Größenvorteile zu realisieren. CargoServ zeigt beispielsweise mit Angeboten für das Unternehmen Audi entsprechende Ansätze. Zugleich können hierdurch Abhängigkeiten vom Mutterkonzern reduziert und Risiken diversifiziert werden. Auch bei Korridor-Spezialisten stellen sich Fragen nach neuem Wachstum, das etwa aus einer besseren Ausrichtung einzelner Business Units an den spezifischen Anforderungen bestimmter Zielbranchen resultieren kann. Im Fokus stehen aber Effizienzthemen. Große Produktionsnetzwerke, Kapazitäten und ein breites Leistungsangebot erlauben zwar hohe Umsätze. Die „Asset
Heaviness“ induziert aber zugleich starke Auslastungszwänge bzw. den Bedarf zur marktorientierten Kapazitätsanpassung über alle Wertschöpfungsstufen. Auf der Verkehrsleistungsebene liegt ein wichtiger Effizienzhebel in der Weiterentwicklung des Produktionssystems im Einzelwagen- bzw. Wagengruppenverkehr. Daher forcieren Korridor-Spezialisten entsprechende Initiativen, wie etwa die SBB mit ihrem „Wagenladungsverkehr (WLV) 2017“ oder DB Cargo mit dem Ansatz „Netzwerkbahn“. Die bloße Beteiligung an mehr oder weniger isoliert arbeitenden EVU führt Korridor-Spezialisten nicht zu profitablem Wachstum, sondern birgt vielmehr die Gefahr einer Bündelung lokaler Ineffizienzen, ohne dass die Leistungsfähigkeit insgesamt gesteigert wird. Im Hinblick auf Wachstum und Kosteneffizienz spielen für Korridor-Spezialisten grenzüberschreitende Verkehre eine besondere Rolle. Um die aus der wirtschaftlichen Integration Europas und öffentlichen Programmen zur Förderung des SGV resultierenden Chancen profitabel nutzen zu können, müssen Korridor-Spezialisten aber über die reine Beteiligung an nationalen EVU hinaus die Leistungs- und Steuerungsprozesse unternehmensübergreifend besser integrieren und verzahnen.
DR. PHILIPP HERMANNS
DR. CHRISTIAN SCHNÖBEL
Nach Inhouse-Consulting-Positionen bei der DB und SBB berät er bei Horváth & Partners Rail-Unternehmen in Restrukturierungen und strategischen Neupositionierungen.
Seit 2008 bei Horváth & Partners tätig und Leiter Business Segment Aviation & Rail. Er berät in komplexen Strategie-, OperationalExellence- und Restrukturierungsprozessen sowie Performance-Management-Fragen.