Programmblatt 5. Abo-Konzert 2020/21

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TOD, TRAUER, MUSIK 5. ABO-KONZERT ALTES KRAFTWERK BASEL SO 16.05.21 19 UHR PROGRAMM HANS WERNER HENZE 1926 - 2012

Henzes Annährung an das Requiem verzichtet vollständig auf die liturgischen Worte und den Gesang. Höchst konkrete Erlebnisse vereinen sich mit der Bilderwelt der lateinischen Totenmesse zu einem persönlichen Abschied, aber auch der beginnende Golfkrieg und Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg finden ihren Niederschlag.

5. Abo-Konzert TOD, TRAUER, MUSIK Sonntag, 16.05.21, 19 Uhr Altes Kraftwerk Basel

Ein Abend im alten Kraftwerk mit Musik, die stark von den Schrecknissen und Passionen der Wirklichkeit, von ihren Schönheiten und ihrer Dynamik beeinflusst ist.

REQUIEM

Neun geistliche Konzerte für ROLAND KLUTTIG Leitung Klavier solo, konzertierende MARCO BLAAUW Trompete Trompete und grosses Kammerorchester (1990-1992) LUDOVIC VAN HELLEMONT Klavier I Introitus BASEL SINFONIETTA II Dies irae III Ave verum corpus IV Lux aeterna MORITZ WEBER Moderation V Rex tremendae VI Agnus Dei VII Tuba mirum VIII Lacrimosa IX Sanctus

HANS WERNER HENZE Komponist

Hans Werner Henze wurde am 1. Juli 1926 in Gütersloh geboren. Er begann seine musikalische Ausbildung an der Staatsmusikschule Braunschweig. Als Kind erlebte er die Angriffe der Nationalsozialisten auf die moderne Musik, Kunst und Literatur. Nach einer Verpflichtung als Korrepetitor am Stadttheater Bielefeld begann Henze 1946 ein Studium bei Wolfgang Fortner am Kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg. In den späten 1940er Jahren kam er mit dem Serialismus und den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik in Berührung. Unglücklich über die mangelnde Aufarbeitung des Dritten Reichs in der Nachkriegsrepublik einerseits und den ästhetischen Dogmatismus in der neuen Musik andererseits verliess Henze 1953 nach Engagements am Theater Konstanz und am Hessischen Staatstheater Wiesbaden seine Heimat und liess sich in Italien nieder. Die räumliche und geistige Distanz zur deutschen zeitgenössischen Musikszene sowie die Erfahrungen in der Wahlheimat verhalfen seiner Musik zu neuem Ausdrucksreichtum.

70’ Dieses Konzert findet aufgrund der aktuellen Situation ohne Publikum vor Ort statt und wird per Video-LiveStream online auf www.baselsinfonietta.ch übertragen. Mit freundlicher Unterstützung der Stanley Thomas Johnson Stiftung.

EDITORIAL Im 5. Abo-Konzert der Basel Sinfonietta verwandelt sich mit dem Requiem des deutschen Komponisten Hans Werner Henze tiefe Trauer über den Tod in grandiose Musik.

In den späten 1970er und 80er-Jahren wandte er sich verstärkt traditionelleren Formen zu. 1962 bis 1967 unterhielt Henze eine Meisterklasse für Komposition am Mozarteum Salzburg, Lehraufträge führten ihn in die USA und nach Kuba. In Köln hatte Henze von 1980 bis 1991 eine Professur an der Staatlichen Hochschule für Musik inne. Verpflichtungen als Composer-in-Residence führten ihn 1983 und 1988 bis 1996 ans Berkshire Music Center in Tanglewood/USA sowie 1991 zu den Berliner Philhamonikern. Bereits 1976 gründete Henze das Cantiere Internazionale d‘Arte in Montepulciano. Im Jahr 1988 rief er die Münchener Biennale (Internationales Festival für neues Musiktheater) ins Leben, die er bis 1996 leitete.

Das gesamte Werk von Hans Werner Henze, des wohl vielfältigsten und einflussreichsten Komponisten der jüngeren Zeit, ist durchzogen von der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben, Verlust und Trauer. Dabei meint Auseinandersetzung hier etwas sowohl Öffentliches wie Persönliches. Henzes Vorstellung der gesellschaftlich und kulturell singulären Rolle, die der Musik zukommen sollte, geht einher mit der besonderen aufklärerischen und sensibilisierenden Funktion, die er ihr zumisst: Musik hat das besondere Vermögen, das öffentlich zu verhandeln, was gemeinhin als das innerste Fühlen und Erleben des Einzelnen gilt.

Henzes Kompositionsschaffen ist sehr umfangreich: Er schrieb Solokonzerte, Sinfonien, Oratorien, Liederzyklen, Kammermusik. Mit seinen über vierzig Werken für Musiktheater wurde Henze zu einem der meistgespielten zeitgenössischen Komponisten unserer Tage. Mit Ingeborg Bachmann verband Henze eine enge Freundschaft; aus der gemeinsamen Arbeit entstanden unter anderem «Der junge Lord » (1964), «Der Prinz von Homburg» (1958/59, rev. 1991) sowie die Nachtstücke und Arien für Sopran und großes Orchester (1957). Im Zentrum von Henzes Kompositionen für Orchester stehen seine zehn Sinfonien.

Die neun Instrumentalstücke sprechen von den Ängsten und Nöten der Menschen, von Krankheit und Tod, von der Liebe und von der Einsamkeit und besonders von Henzes 1989 an Aids verstorbenem Freund Michael Vyner, dem langjährigen Leiter der London Sinfonietta, von dessen Leben und dessen Sterben, und von Henzes Trauer über seinen Verlust, der auch für den Verlust von vielen anderen steht, die ebenfalls tragisch und leidvoll aus der Welt gegangen sind. 1|2


MARCO BLAAUW

ROLAND KLUTTIG

Geboren 1965, studierte Marco Blaauw am Sweelinck Conservatorium Amsterdam und setzte seine Studien später bei Pierre Thibaud und Markus Stockhausen fort. «Neue Musik habe ich erstmals als Kind im Fernsehen gehört. Ich sah, wie das Publikum die Hände an die Ohren legte. Genau das wollte ich auch - dass sich Leute anstrengen und wundern über das, was sie hören.»

Roland Kluttig ist seit der Saison 2020/21 Chefdirigent der Grazer Philharmoniker und der Oper Graz, zuvor war er zehn Jahre lang als Generalmusikdirektor in Coburg tätig. Zentral ist auch seine kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Staatsoper Stuttgart. Weitere Häuser, an denen er in den letzten Jahren arbeitete, sind die Oper Frankfurt, die Hamburgische Staatsoper, die Oper Leipzig, die Opera National du Rhin, die Opéra de Nice, das Konzert Theater Bern und die schwedische Norrlandsoperan.

Trompete

Dirigent

Der Weg zum Instrument? Zunächst eine praktische Entscheidung: «Ich bin in einem Dorf aufgewachsen. Dort gab es ein Blasorchester, und da brauchte man einen Trompeter.» Dann ein Lebensziel: «Ich hatte immer das Bild vor Augen von einem Troubadour, der Neuigkeiten verbreitet. Das will ich auch – mit meiner Trompete.» Und weiter: «In vielerlei Hinsicht ist die Trompete vernachlässigt worden. Da sehe ich meine Aufgabe – die Instrumentaltechnik weiter zu entwickeln und Komponisten für die Trompete zu interessieren.»

Während seiner Coburger Zeit hat Kluttig insbesondere mit Wagner-Produktionen für grosses überregionales Interesse gesorgt. Für sein Dirigat von Beethovens «Fidelio» wurde er von der FAZ als Dirigent des Jahres bei der alljährlichen Umfrage der «Opernwelt» nominiert. Mit innovativen Vermittlungsformaten und einer kontinuierlichen Erweiterung des Orchesterrepertoires in Richtung Barock und Moderne hat er in Coburg weit über die Grenzen hinaus gewirkt. Mit einem Repertoire von Rameau bis Lachenmann ist er zudem regelmässiger Gast bei Orchestern wie dem Konzerthausorchester Berlin, den Rundfunkorchestern in München, Stuttgart, Frankfurt und Leipzig, dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Philharmonia Orchestra London und Seoul Philharmonic.

Ein vorläufiges Ergebnis: Werke von Richard Ayres, Martijn Padding, Gijsbrecht Roye, Isabel Mundry, Peter Eötvös und anderen, geschrieben für und angeregt von Marco Blaauw, eine intensive Zusammenarbeit mit Karlheinz Stockhausen, zahlreiche solistische Auftritte – und das Ensemble Musikfabrik.

Roland Kluttig hat an der Dresdner Musikhochschule studiert und war Stipendiat des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats, der Akademie Schloss Solitude und der Herbert von Karajan Stiftung. Entscheidende Impulse erhielt er durch die Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Peter Eötvös und John Eliot Gardiner. Seine Laufbahn begann er als Musikalischer Leiter des KNM Berlin. Mit diesem und Ensembles wie dem Klangforum Wien, London Sinfonietta, ASKO Amsterdam oder dem Collegium Novum Zürich gastierte er bei nahezu allen wichtigen Festivals in Europa.

LUDOVIC VAN HELLEMONT Klavier

Ludovic Van Hellemont wurde 1985 in Belgien geboren. Er studierte am Koninklijk Conservatorium Brussel (Jan Michiels), an der Hochschule für Musik Basel (Claudio Martinez Mehner) sowie an der Schola Cantorum Basiliensis (Edoardo Torbianelli). Seit 2017 ist er u.a. als Solopianist der Basel Sinfonietta und des Ensemble Phoenix Basel ein wichtiger Protagonist der zeitgenössischen Schweizer Musikszene. Er hat unter Dirigenten wie Peter Rundel, Titus Engel, André De Ridder, Thomas Hengelbrock oder Stanley Dodds gespielt, mit Komponisten wie Heinz Holliger, Michael Jarrell, Detlev Müller-Siemens, Bernd Richard Deutsch und Walter Feldmann zusammengearbeitet und war an zahlreichen Uraufführungen beteiligt. Ausserdem widmet er sich historischen Instrumenten und setzt sich gemeinsam mit seiner Partnerin Tatiana Touliankina als gesuchter Spieler der Ondes Martenot mit Konzerten, Vorträgen und Videoproduktionen dafür ein, dieses in den 1920er-Jahren erfundene elektronische Musikinstrument einem grösseren Publikum näherzubringen. Seit 2014 unterrichtet Ludovic Van Hellemont eine Klavierklasse an der Alten Kantonsschule Aarau. Im Sommer 2021 übernimmt er eine Klasse an der Musik-Akademie Basel. Seit 2016 ist er zudem künstlerischer Leiter der Konzertreihe «Musik im Museum» in Schopfheim (D).

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