Programmblatt 4. Abo-Konzert Saison 2020/21

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IN ALGORITHMISCHEN WELLEN 4. ABO-KONZERT STADTCASINO BASEL SO 14.03.21 • 19 UHR hende Information ist aber überaus einfach: ST steht als Abkürzung für Stochastik, 48 gibt die Besetzungsgrösse an, die 1 bedeutet, dass es sich um die erste Komposition für diese Besetzung handelt, die restlichen Zahlen geben das Datum der Fertigstellung der Komposition an.

PROGRAMM IANNIS XENAKIS

4. Abo-Konzert IN ALGORITHMISCHEN WELLEN

«ST/48-1,240162» für 48 Instrumente (1959–62)  11’

Sonntag, 14.03.21, 19 Uhr Stadtcasino Basel

1922-2001

REBECCA SAUNDERS

«Traces», ein Werk für Kammerorchester der für ihre feingewobenen Klangtexturen bekannten britischen Komponistin Rebecca Saunders ist ein Spiel mit der Stille, die von der Komponistin mit Tönen umkreist, manchmal aber auch rau und laut zunichte gemacht wird. Klangfarben, die spurenhaft auszumachen sind, und die doch immer im Nichts enden.

LIN LIAO Leitung BASEL SINFONIETTA

Das für die Basel Sinfonietta geschriebene Werk «Wave» des schwedischen Komponisten Jesper Nordin setzt sich mit den Möglichkeiten der Verwendung neuer Technologien in der Musik auseinander. Dabei kommt eine vom Komponisten entwickelte App zum Einsatz, mit deren Hilfe die Dirigentin über Bewegungssensoren das Orchester in Echtzeit aufnehmen, sampeln und wiedergegeben kann – und ihre Gesten zu Noten werden lässt! Eine visionäre Interaktion zwischen Mensch, Musik und Technologie.

MORITZ WEBER Moderation

*1967

«Traces» für Kammerorchester (2006/09) 14’

JESPER NORDIN

Der finnische Komponist Magnus Lindberg strebt in seiner Musik danach, den Klang in seine physikalischen Einzelheiten zu zerlegen. Dabei untersuchte er auch die Eigenschaften von elektronisch generierter Musik und komponierte mit synthetischen Sinustönen. In jüngerer Zeit wandte er sich eher wieder einer instrumentalen Schreibweise zu. Der Computer dient ihm dabei als kompositorische Hilfe. Ergebnis dieser Neuausrichtung auf traditionelle Orchesterklangfarben ist «Marea», das von der monotonen Wiederholung der Gezeiten des Meeres inspiriert ist.

*1967

«Wave» Konzert für Dirigentin und Orchester (2021) 17’

MAGNUS LINDBERG

*1958 «Marea» für Orchester (1989/90)  11’

LIN LIAO

Uraufführung  Schweizer Erstaufführung

Dirigentin

Dieses Konzert findet aufgrund der aktuellen Situation ohne Publikum vor Ort statt und wird per Video-LiveStream online auf www.baselsinfonietta.ch übertragen.

Die taiwanesische Dirigentin Lin Liao zeichnet sich durch ein breites Repertoire von der Klassik bis zur Moderne, eine grosse Offenheit gegenüber neuen Kunstformen sowie vielfältige Erfahrungen mit spartenübergreifenden Programmen und Projekten aus. Im Bereich der zeitgenössischen Musik arbeitet Lin Liao regelmässig mit den wichtigsten europäischen Ensembles wie dem Ensemble Intercontemporain oder dem Ensemble Modern. Eine besondere Beziehung verbindet Lin Liao seit 2007 mit der Lucerne Academy des Lucerne Festivals, wo sie unter anderem Aufführungen von Karlheinz Stockhausens «Gruppen» (2007) und «Inori» (2018) leitete.

EDITORIAL Das 4. Abo-Konzert der Basel Sinfonietta unter der Leitung der taiwanesischen Dirigentin Lin Liao lässt das Publikum unter den hervorragenden akustischen Bedingungen des renovierten Musiksaals im Stadtcasino Basel in algorithmischen Wellen des zeitgenössischen Orchesterklangs eintauchen. Das Konzert wird eröffnet mit einem Werk des griechischen Komponisten Iannis Xenakis mit dem kryptischen Titel «ST/48-1.240162», einem frühen Beispiel einer stochastischen, computergenerierten Komposition. Der Titel liest sich zwar wie die Version einer Software, die dahinterste-

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In Taiwan leitet Lin Liao die Weiwuying Academy am neuen National Kaohsiung Center for the Arts, deren Ziel die Förderung talentierter taiwanesischer Musiker im Bereich der zeitgenössischen Musik ist. Lin Liao studierte Komposition und Klavier an der Taipei National University of the Arts und schloss anschliessend ihr Dirigierstudium an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien ab.


IANNIS XENAKIS

JESPER NORDIN

Komponist

Komponist

In der mit mathematischer Präzision konstruierten Musik von Iannis Xenakis werden enorme, den Hörer überwältigende Energien freigesetzt. Seinen Kompositionen liegen visuelle Vorstellungen zu Grunde, die Xenakis mit Hilfe mathematischer Verfahren in Partituren oder elektroakustische Klänge verwandelt.

Jesper Nordin (*1971) gilt als einer der führenden schwedischen Komponisten. Seine kraftvolle Musik ist von Einflüssen schwedischer Volksmusik sowie von Rock und improvisierter Musik geprägt. Nordin studierte am Royal College of Music in Stockholm bei Pär Lindgren, Bent Sørensen und William Brunson, bevor er weitere Studien am IRCAM in Paris bei Philippe Leroux absolvierte. Anschliessend war er als Gastwissenschaftler an die Stanford University in den USA tätig, wo er Unterricht bei Brian Ferneyhough erhielt und im CCRMA Recording Studio arbeitete.

Iannis Xenakis wurde 1922 als Sohn griechischer Eltern geboren, die in Rumänien lebten. Nach dem frühen Tod seiner Mutter wurde er auf ein Eliteinternat in Griechenland geschickt. Als Xenakis im Herbst 1940 sein Studium in Athen aufnahm, schloss er sich der Widerstandsbewegung gegen die italienische und deutsche Besatzung an. In den Wirren des Kriegsendes erlitt Xenakis eine schwere Verwundung. Er verlor ein Auge und blieb durch die Lähmung der linken Gesichtshälfte sein Leben lang gezeichnet. Nach dem 1947 erfolgten Abschluss seines Studiums als Bauingenieur entzog er sich einer drohenden Zwangseinberufung durch eine Flucht nach Paris, wo er eine Arbeit im Büro des berühmten Architekten Le Corbusier fand. Parallel dazu besuchte er für zwei Jahre die Analysekurse Olivier Messiaens.

Aufgrund seiner langjährigen Studioerfahrung greift Jesper Nordin in seiner musikalisch-künstlerischen Praxis gerne auf das Potential elektroakustischer Zusammenhänge zurück. Mit «Gestrument» hat er zudem eine beliebte App entwickelt, die es ermöglicht, auf einem iPad per Finger-Gesten live gespielte Instrumente via Midi-Schnittstelle direkt zu beeinflussen und damit zu «spielen». Zwischen 2004 und 2006 war Nordin Composer-in-Residence bei P2, dem Klassiksender des Schwedischen Rundfunks. 2014 widmet ihm das Royal Stockholm Philharmonic Orchestra ein viertägiges Festival. 2010 wurde er mit dem Christ Johnson Preis ausgezeichnet. In der Begründung der Royal Swedish Academy of Music heisst es, Nordin sei ein «Klangzauberer, der akustische Räume erforscht und erweitert, mit Originalität und kompromissloser Neugier».

Die Uraufführung seines Orchesterwerks «Métastasis» 1955 machte Xenakis mit einem Schlag bekannt. Beinahe zeitgleich veröffentlichte er einen Artikel, in dem er die serielle Musik seiner Zeit grundlegend kritisierte. 1958 führte ein Streit über Xenakis’ zunächst verschwiegenen Anteil an dem Philips-Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel zu einem Zerwürfnis mit Le Corbusier. Xenakis’ schöpferische Tätigkeit wendete sich danach eindeutiger als vorher der Musik zu. Sein kontinuierlich erweitertes umfangreiches Œuvre umfasst Kompositionen für eine Vielzahl von Klangkörpern vom gigantisch besetzten Orchester bis zum Solostück. Iannis Xenakis starb am 4. Februar 2001 in Paris.

MAGNUS LINDBERG

REBECCA SAUNDERS

Komponist Der finnische Komponist Magnus Lindberg wurde 1958 in Helsinki geboren. Er studierte Komposition an der SibeliusAkademie in Helsinki bei Einojuhani Rautavaara und Paavo Heininen. 1977 war er Mitbegründer der Ears Open Society («Korvat auki r.y.»), um in Finnland neue Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Komponistin Mit ihrer unverkennbaren und bemerkenswerten Klangsprache ist die in Berlin lebende britische Komponistin Rebecca Saunders eine der führenden internationalen Vertreterinnen ihrer Generation. 1967 in London geboren, studierte sie Komposition bei Nigel Osborne an der University of Edinburgh sowie bei Wolfgang Rihm an der Universität Karlsruhe.

1981 reiste Lindberg nach Paris, um bei Vinko Globokar und Gérard Grisey zu studieren und besuchte Kurse bei Franco Donatoni in Siena. Er machte Bekanntschaft mit Brian Ferneyhough, Helmut Lachenmann und Karl Höller. Den Durchbruch als anerkannter Komponist schaffte er mit den Orchesterwerken «Action-Situation-Signification» (1982) und «Kraft» (1983). Mit gross dimensionierten Werken wie «Feria» (1997), «Fresco» (1997), «Cantigas» (1999), «Concerto for Orchestra» (2002/03), «Sculpture» (2005) etablierte er sich als einer der führenden Komponisten für Orchestermusik.

Saunders hegt ein grosses Interesse an den plastischen und räumlichen Eigenschaften von organisierten Klängen. «chroma I-XX» (2003-2017), «Stasis» und «Stasis Kollektiv» (2011/16) sind sich ausdehnende räumliche Kollagen von bis zu 25 Kammermusikgruppen und Klangquellen, die in architektonisch sehr unterschiedlichen Räumen angeordnet sind. 2017 schrieb sie eine 80-minütige räumliche Kompositionsinstallation, die für die Räume der Berliner Philharmonie und der Kathedrale St. Eustache (Paris) konzipiert ist.

Mit «Seht die Sonne» (2007) entstand ein Auftragswerk für die Berliner Philharmoniker, das unter Simon Rattle uraufgeführt wurde. Von 2009 bis 2012 war Lindberg Composerin-Residence bei den New Yorker Philharmonikern sowie ab der Spielzeit 2014/2015 für drei Jahre beim London Philharmonic Orchestra.

Seit 2013 schreibt Saunders eine Reihe von Solos und Duos für Künstler, mit denen sie schon viele Jahre eng zusammen arbeitet. Gleichzeitig hat sie ihr leidenschaftliches Interesse für konzertante Formen verfolgt. Für ihre Kompositionen hat sie zahlreiche international renommierte Preise erhalten, darunter den Ernst von Siemens Musikpreis 2019.

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