SIEBEN SCHWARZE TÜREN Die gefragte britische Regisseurin Katie Mitchell inszeniert Herzog Blaubarts Burg. Der Oper von Béla Bartók stellt sie dessen Konzert für Orchester voran und verklammert unter dem Titel Judith beide Werke mit einem Film. Eine neue Sicht auf das Drama.
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atie Mitchell vertritt ein starkes feministisches Programm. Judith überschreibt sie denn auch ihre szenische Interpretation von Béla Bartóks Opern einakter Herzog Blaubarts Burg. Damit ist der Blickwinkel bestimmt. Radikal aus der Sicht Judiths erzählt Mitchell die Geschichte des finsteren Herzogs, für den Judith ihre Eltern und ihren Verlobten verlässt und in dessen dunkle Burg sie mit der Kraft ihrer Liebe die Sonne einziehen las sen will. Sieben schwarzen Türen sieht sie sich gegenüber. Sie verlangt vom Herzog die Schlüssel und entdeckt eine Folter kammer. Eine Tür nach der anderen schließt sie auf, findet Blaubarts Waffenkammer, seine Reich- und Besitztümer, seine Schatzkammer und einen Zaubergarten. Überall jedoch erschei nen Spuren von Blut. Dem geliebten Mann entfremdet, fordert sie dennoch die weiteren Schlüssel. Hinter der sechsten Tür erblickt sie einen Tränensee und hinter der siebten Blaubarts gemordete Frauen. Ihnen gehöre der Morgen, der Mittag, der Abend, so Blaubart, ihr die Nacht. Er schmückt sie mit Krone, Mantel und Juwelen. Sie geht durch die siebte Tür, und ewiges Dunkel bricht ein.
Mitchell gehört zu jenen herausragenden Regisseurinnen und Re gisseuren, die einem Werk ihren Stempel aufdrücken. Einzigartig ist ihr Stil, und unverwechselbar sind ihre Inszenierungen. 1964 in Berkshire geboren, fand sie in Deutschland die Freiheit, um ihre Ideen zur Entfaltung zu bringen. Während ihre Inszenierungen von Klassikern in Großbritannien anfänglich sogar als Vandalismus kritisiert wurden, stoßen hierzulande ihre Regiearbeiten auf Be geisterung. Den Grund für diese Offenheit gegenüber ihrer Arbeit sieht Mitchell in der Geschichte. Die Narben, die der Na tionalsozialismus und der Zweite Weltkrieg schlugen, haben die n° 44
Menschen skeptisch gegenüber Heroen und Autoritären werden lassen. Mittlerweile hat sich allerdings auch in ihrer britischen Heimat das Blatt gewendet, und manche sehen Mitchell sogar als bedeutendste lebende Regisseurin Großbritanniens an.
Mitchell irritiert Emotionale Eindringlichkeit und Wahrhaftigkeit zeichnen ihre Regiearbeiten aus. Tief begibt sich Mitchell in die seelischen Ab gründe, und akribisch lotet sie die grauenvollen Seiten mensch lichen Verhaltens aus. Was sie anstrebt, ist eine realistische, psychologisch fundierte Darstellung. Jede noch so unbedeutend scheinende Geste, jede Handlung und jedes Geschehen auf der Bühne muss klar sein. Der Körpersprache und dem physischen Ausdruck gilt ihre ganze Aufmerksamkeit. Für die Vorarbeit, die sie ausführlich in ihrem Buch The Director's Craft beschreibt, wendet sie viel Zeit auf. Wer zum ersten Mal mit ihr arbeitet, ist häufig irritiert über ihre akribische Recherche zur Vorgeschichte der Figuren, zu deren Befindlichkeit, dem Umfeld und zur Be schaffenheit des Ortes, an dem die Handlung spielt. Für Mitchell ebnet die Ansammlung all dieses Wissens den Weg zur vollstän digen Verkörperung der Figuren auf der Bühne. Den bewussten Weg zum unbewussten Schaffen nannte Kon stantin Stanislawski diese Phase der Vorbereitungen. Er bildet neben Peter Brook, der vom Theater den „totalen Ausdruck seiner Zeit“ verlangte, und Pina Bausch, die wichtigste Inspira tionsquelle Mitchells. Hinzu kommen die Erfahrungen, die sie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Osteuropa sammelte. Vor allem die Arbeit Leo Dodins in St. Petersburg wollte sie ken nenlernen. Seine Verbindung von Stanislawskis psychologischem Realismus mit Wsewolod Meyerholds Vorstellung vom Regisseur 11