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11. GWB-Novelle: Weder rechtskonform noch verfassungsgemäß
Die Bundesregierung hat am 5. April 2023 den Gesetzentwurf zur 11. GWB-Novelle verabschiedet, der nur marginale Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf enthält. Es bleibt bei den weitreichenden Befugnissen des Bundeskartellamts, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung künftig Märkte in vielen Wirtschaftsbereichen zu regulieren und strukturell neu zu ordnen. Ein Rechtsverstoß durch die Unternehmen ist dafür nicht erforderlich. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in unternehmerische Rechtspositionen dar und schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland erheblich.
Der Entwurf wird nun dem Bundestag und dem Bundesrat zur Beratung vorgelegt. Die Verabschiedung war zuvor aufgrund starker Debatten zwischen den Ministerien mehrfach verschoben worden. Anders als der Referentenentwurf wird der Gesetzentwurf jetzt nicht mehr als „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“ bezeichnet. Der Bundesrat hat dem Gesetz bereits am 12. Mai 2023 ohne Einwendungen zugestimmt. Das muss angesichts des Paradigmenwechsels in der Wettbewerbsordnung und der zu befürchtenden weitreichenden Folgen für den Wirtschaftsstandort verwundern.
Im Vergleich zum ursprünglichen Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) finden sich in dem Gesetzentwurf zwar einige Änderungen, um die neuen Regelungsbefugnisse des Bundeskartellamts etwas zu präzisieren. Es handelt sich im Ergebnis aber um halbherzige Versuche, die die weiten behördlichen Eingriffsinstrumente keinesfalls einzuschränken vermögen und den Rechtsschutz der Unternehmen noch nicht in ausreichendem Maße stärken. Es bleibt vielmehr dabei, dass das Bundeskartellamt künftig auch ohne einen Rechtsverstoß mit Abhilfemaßnahmen bis zur Entflechtung in unternehmerische Rechtspositionen eingreifen kann. Der BDI hält daher seine Kritik gegenüber dem Vorschlag aufrecht. Der BDI wird sich im anstehenden parlamentarischen Verfahren für weitere Eingrenzungen im Sinne der Verhältnismäßigkeit und der Anforderungen an das Verfassungsrecht einsetzen.
Neue Eingriffsbefugnisse für das Bundeskartellamt
Zum wesentlichen Inhalt der 11. GWBNovelle zählen neue Durchsetzungsbefugnisse des Bundeskartellamtes nach Durchführung einer Sektoruntersuchung, sofern auf einem Markt eine erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörung festgestellt wurde. Vorgesehen sind weiter tiefgreifende verhaltensorientierte und strukturelle Eingriffsbefugnisse – bis hin zur Entflechtung
– gegenüber Unternehmen, die sich völlig rechtskonform verhalten haben.
Meldung von Zusammenschlussvorhaben
Wenn nach einer Sektoruntersuchung objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Inland in einem oder mehreren der untersuchten Wirtschaftszweige erheblich behindert werden könnte, kann das Bundeskartellamt Unternehmen verpflichten, innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren alle geplanten Zusammenschlüsse oberhalb bestimmter Schwellenwerte anzumelden, auch wenn sie nach den normalen Fusionskontrollvorschriften nicht anmeldepflichtig wären. Durch die Neuregelungen könnten künftig Transaktionen von der Fusionskontrolle erfasst werden, die aufgrund der geringen Umsatzgröße typischerweise wettbewerblich keine problematische Wirkung entfalten.
Störungsbegriff und Abhilfemaßnahmen
Wenn eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend vorliegt, kann das Bundeskartellamt Unternehmen auch ohne den Vorwurf eines Rechtsverstoßes alle zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben. Hierzu zählen beispielsweise die Gewährung des Zugangs zu Daten, die Einräumung von Nutzungsrechten an geistigem Eigentum, Vorgaben zu bestimmten Vertragsgestaltungen oder die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen. Bedauerlicherweise wird der Störungsbegriff auch weiterhin nicht abschließend geregelt und lässt daher Raum für ein sehr weites Ermessen des Bundeskartellamts. Neben einer präzisen Definition und Ermessenseinschränkung des Bundeskartellamts wäre auch eine echte Subsidiaritätsklausel von Nöten. So sollte erst nach tatsächlicher Überprüfung und Ausschöpfung der kartellrechtlichen Möglichkeiten auf die neuen (nahezu voraussetzungslosen) Instrumente zurückgegriffen werden können.
Eigentumsrechtliche Entflechtung
Als ultima ratio kann das Bundeskartellamt auch die Veräußerung von Unternehmensanteilen oder Vermögen anordnen bei marktbeherrschenden Unternehmen sowie Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb anordnen, wenn zu erwarten ist, dass durch diese Maßnahme die Störung des Wettbewerbs beseitigt oder erheblich verringert wird. Wenn das entflochtene Unternehmen für den abgetrennten Unternehmensteil keine entsprechende Gegenleistung am Markt erzielt, muss der Staat den Verlust kompensieren. Nach dem aktuellen Vorschlag müsste ein Unternehmen einen Verlust von bis zu 25 % des Unternehmenswerts hinnehmen. Der Entzug von Eigentumssubstanz als Folge der Entflechtung verlangt verfassungsrechtlich aber eine Entschädigung in Höhe des vollen Verkehrswertes.
Die Veräußerung von Vermögensteilen, die das betroffene Unternehmen nach Freigabe eines Zusammenschlusses erworben hat, soll grundsätzlich jetzt nach zehn Jahren zulässig sein. Hiergegen spricht weiterhin eine Kollision mit der EU-Fusionskontrollverordnung, da eine Freigabeentscheidung der Kommission nicht im Nachhinein zur (nationalen) Disposition steht; das wäre nicht EU-konform.
Vorteilsabschöpfung
Laut Regierungsentwurf sollen auch die Voraussetzungen der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB überarbeitet werden, die den Kartellbehörden ermöglicht, Unternehmen Vorteile zu entziehen, die sie aus wettbewerbswidrigem Verhalten erlangt haben. Geplant wird eine Vermutungsregelung, nach der davon ausgegangen wird, dass ein Unternehmen durch einen nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von mindestens 1% der Umsätze erlangt, die im Inland mit den Produkten oder Dienstleistungen, die mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehen, erzielt wurden.
BDI-Einschätzung
Die Pläne der Bundesregierung sind ein massiver Eingriff in unternehmerische Rechtspositionen zum Schaden des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Es bestehen erhebliche wettbewerbspolitische, industriepolitische und rechtliche Bedenken gegenüber den Kernanliegen der Novelle. Eine durch eigene Leistung errungene – und kartellrechtlich nicht missbrauchte – Marktmacht („erfolgreiches internes Wachstum“) einer Sanktion in Form der Entflechtung und Eingriffen in die unternehmerische Gestaltungsfreiheit auszusetzen, ist ein Systembruch und Paradigmenwechsel, der ein deutlich negatives bis destruktives Signal für Investitionen und Innovation setzt; dies wird für erhebliche Rechtsunsicherheit sorgen. Rechtmäßiges internes Wachstum sollte der Staat fördern und nicht bestrafen.
Jegliche Abhilfeverfügungen der Kartellbehörden gegenüber Unternehmen, die sich rechtmäßig verhalten, sind als Eingriffsverwaltung an den verfassungsrechtlichen Grundsätzen auszurichten und zu messen. Es ist deshalb fraglich, ob die Maßnahmen einer Prüfung an dem verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsgrundrecht von Unternehmen und deren Anteilseignern, Art. 14 GG, und der Unternehmensfreiheit, Art. 12 GG, standhalten werden.
Derartig weitgehende Eingriffe obliegen allein dem Gesetzgeber, der für sektorspezifische Regulierung zuständig ist. Sektorspezifische Regulierung darf nicht an eine Behörde delegiert werden. Es ist nicht Aufgabe des Bundeskartellamts, zu definieren, was in seinen Augen tragfähiger Wettbewerb ist und nach diesem Blickwinkel einen Markt neu zu strukturieren. Unternehmen mit einer marktstarken Position dürfen nicht von vorneherein unter Generalverdacht gestellt werden. Unternehmensentflechtungen bei erfolgreichen deutschen Unternehmen und ohne anknüpfbaren Rechtsverstoß schwächen die deutsche Wirtschaft zusätzlich in schwierigen Zeiten. Zur Standortsicherung in einem zunehmend systemischen Wettbewerb muss – neben Europa –auch Deutschland souveräner, resilienter und wettbewerbsfähiger werden. Globalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeitsziele verändern das Spielfeld, auf dem global agierende Unternehmen einschließlich des industriellen Mittelstands ihre Effizienz unter Beweis stellen müssen. Hierfür setzt der Regierungsentwurf ein falsches Signal. Darüber hinaus führen die Pläne der Bundesregierung zu einer „Insellösung“ zum Schaden der deutschen Wirtschaft und machen den Standort unattraktiv für multinational agierende Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen. . Ansprechpartner/innen