Unabhängige Zeitung für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
G 1805
www.behoerdenspiegel.de
Berlin und Bonn / Februar 2017
Nr. II / 33. Jg / 6. Woche
Beidseits der Oder
“Bitte mit Gesetzesgrundlage!”
Wenn es einmal an der Leine zieht
Ministerin Kathrin Schneider zum deutsch-polnischen Zukunftskonzept ......... Seite 8
Dr. Jürgen Gehb zu Theorie und Praxis seiner Aufgabe .......................................... Seite 23
Bernd Barabasz: Berliner Feuerwehrtaucher sichern sich gegenseitig ............................ Seite 48
Gestalten statt beharren
“Digitaler Thesenanschlag” (BS/ein) Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt hat Ende Januar ihr erstes “Digitalisierungskabinett” durchgeführt und will im September 2017 eine umfassende Digitale Agenda verabschieden. Darin sollen auch die Ergebnisse des “Digitalen Thesenanschlags” der Staatskanzlei aus den Jahren 2015/16 einbezogen werden, darunter Themen wie “Digitale Infrastruktur”, “Digitale Bildung”, “Öffentliche Verwaltung als digitaler Dienstleister” und “Datenschutz, Datensicherheit und Informationsfreiheit”. Der Koalitionsvertrag sehe in nahezu allen wichtigen Politikfeldern Digitalisierungsaktivitäten vor, erklärte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff. “Wir stellen uns dieser Aufgabe.“
“Blaues Band Deutschland” (BS/ein) Das Bundeskabinett hat Anfang Februar das Programm “Blaues Band Deutschland” beschlossen. Damit will die Bundesregierung verstärkt in die Renaturierung der Bundeswasserstraßen investieren sowie neue Akzente in Naturund Gewässerschutz, Hochwasservorsorge sowie Wassertourismus und Sport setzen. Der gemeinsam von Bundesverkehrsund Bundesumweltministerium erarbeitete Handlungsrahmen soll “ökologische Trittsteine” auf viel befahrenen Bundeswasserstraßen schaffen, vor allem aber auf den rund 2.800 Kilometern Nebenwasserstraßen – wo kaum noch Gütertransporte unterwegs sind – gleichermaßen ökologisch entwickeln und für Freizeit und Erholung aufwerten.
Ersten Schritt zur Weiterentwicklung des Beamtenrechts gehen (BS/Jörn Fieseler) Streikrecht, Pensionen und jüngst die Beihilfe: Um gewerkschaftliche Mitgliederzahlen zu erhöhen oder die Bilanz der Sozialkassen zu verbessern, geistern alle möglichen Vorschläge durch Gesellschaft und Medien. Die Beamten sind eine begehrte Gruppe – allein ihre elementare staatliche Funktion bleibt dabei oft unberücksichtigt. Gerade deswegen ist es in diesen für Deutschland wirtschaftlich guten, weltweit aber immer unsichereren Zeiten dringend geboten, das Beamtenrecht adäquater zu gestalten. Sonst muss stärker zwischen hoheitlichen Aufgaben und weniger essenziellen Dienstleistungen unterschieden werden. “Wenn wir eine effiziente und leistungsstarke öffentliche Verwaltung wollen, die auch gegenüber der Wirtschaft bestehen kann”, so formuliert es Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière, “müssen die bewährten Rahmenbedingungen erhalten bleiben.” Besoldung, Versorgung und Beihilfe seien drei unverrückbar zusammenhängende Bestandteile dieser Rahmenbedingungen. Der oberste Dienstherr reagierte damit auf eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Deren Ergebnis: Die Integration der Beihilfe in die gesetzliche Krankenversicherung könnte zu Milliarden-Einsparungen führen (s. Seite 15). Seit Jahren melden sich weitere Stimmen, die die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in Zweifel ziehen. Vor allem aus der Wissenschaft. Prof. Dr. Gisela Färber von der Universität in Speyer moniert in einem Gutachten zur Nachhaltigkeit der Beamtenversorgung die “stark besitzstandswahrende Interessenpolitik”. Selbst das Bundesverfassungsgericht habe reine Detailaspekte etwa aus dem Besoldungs- und Versorgungsrecht zu hergebrachten Grundsätzen erklärt, wodurch die gesetzliche Ausgestaltung besoldungs- und versorgungsrechtlicher Fragestel-
Damit der Öffentliche Dienst auch in Zukunft ein attraktiver, moderner und verlässlicher Arbeitgeber bleibt, sollte der erste Schritt gegangen und das Beamtenrecht modifiziert werden. Foto: BS/©Marco 2811, Fotolia.com
lungen inflexibler geworden sei. Damit stellt sich die Frage, inwieweit beamtenspezifische Grundsätze und tradierte Ausprägungen bis heute beansprucht werden können? Oder: Welche verfassungsrechtliche Fortentwicklung ist bei einer zeitgemäßen, zukunftsfähigen Interpretation des einschlägigen Art. 33 Abs. V GG über-
haupt möglich? Angesichts aktueller Entwicklungen nicht ohne Weiteres zu klären. Beim Streikrecht oder Streikverbot steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) noch aus. Aufgrund vorrangig zu bearbeitender Verfahren sei es dem Zweiten Senat nicht möglich gewesen, im Jahr 2016 das Verfah-
ren zu entscheiden, teilte ein Sprecher des obersten deutschen Gerichts mit. Dies soll nun 2017 nachgeholt werden. Ein Zwei-Klassen-Beamtentum scheint aber, selbst wenn Karlsruhe dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) folgt, nicht wahrscheinlich. Positionen von “Tarifbeamten” (Prof. Dr. Jens
Kommentar
Parallele Großlagen (BS/mfe) Im Rahmen der gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr Anfang März werden mehrere gleichzeitig zu bewältigende Terroranschläge und Großlagen simuliert. Innerhalb dieses Rahmens des Kernszenarios legt jedes beteiligte Bundesland das länderspezifische Szenario dann selbst fest. Es ist unter anderem die Rede von zwei Terroranschlägen auf Bremer Schulen, einem Sprengstoffattentat und einer Geiselnahme in Bayern sowie einer Bombendetonation auf dem Düsseldorfer Flughafen und einem Anschlag auf ein ausländisches Konsulat in Stuttgart. An der dreitägigen Stabsrahmenübung (GETEX) nehmen, neben der Bundespolizei, die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Schleswig-Holstein teil, sowie die Bundeswehr. Hier werden zum Beispiel die Kommandos Streitkräftebasis und Territoriale Aufgaben aktiv sein.
No-Go oder go to go? (BS) Alle Macht geht vom Volke aus. Alle Gewalt – da, wo sie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Rechtsstaats dient – notwendigerweise ausschließlich vom Staat, das sogenannte Gewaltmonopol. So sieht es das Grundgesetz vor. Doch mit der Diskussion um die No-Go-Areas sind zumindest deutliche Zweifel am Gewaltmonopol des Staates aufgekommen. In einer Dauerschleife reden Politiker davon, dass es in Deutschland keine No-Go-Areas gebe. Stimmt und stimmt nicht! Mit No-Go-Areas sind Stadtteile gemeint, in die sich die Polizei nicht mehr hineintraut. Und solche gibt es mittlerweile. Nicht nur in Neukölln (Berlin), auch in Altenessen oder DuisburgMarxloh, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine ZweimannBesatzung eines Streifenwagens wird nur nach längerem Zögern hier anhalten, um eine Straftat zu vermeiden oder zu verfolgen. Polizeibeamte in solchen Gegenden gehen nur noch in Zivil zur Dienststelle und verlassen diese auch in Zivil. Sie gehen mittlerweile jeden Tag andere Wege, um nicht erkannt oder angegriffen zu werden. “Ich gehe auch deswegen in Zivil zur
Dienststelle nach Neukölln, weil ich in Uniform gezwungen wäre, bei einer Straftat auf der Straße sofort einzugreifen. Das erwarten die Leute. Doch das ist zu gefährlich. Ich rufe dann lieber von meinem privaten Handy aus eine Streife oder gleich die Hundertschaft“, so ein Polizist in Neukölln im Gespräch mit diesem Autor. No-Go für die Polizei gibt es deswegen nicht, da zur temporären Durchsetzung der Staatsgewalt Hundertschaften anrücken oder gleich das SEK. In DuisburgMarxloh liegt eine Hundertschaft direkt vor Ort, in Neukölln abrufbereit in der Nähe und das SEK ist schnell dabei. Mit dieser
massiven Präsenz können Politiker zu Recht konstatieren, es gebe keine No-Go-Areas für die Polizei, weil, wenn es zu einem kritischen Polizeieinsatz kommt, schwerbewaffnete Einheiten anrücken. Doch kaum sind sie weg, gilt dies auch für den Rechtsstaat. Was bleibt, sind Angsträume und eben No-Go-Areas für die Bevölkerung. Diese ist in den oben genannten Stadtteilen größtenteils türkischstämmig. Und die Meinung dieser Menschen einzuholen, lohnt sich in jedem Fall, denn sie sind die vehementesten Befürworter für mehr Staat auf der Straße! R. Uwe Proll
Super Fusel
Schubert), die streiken dürfen, könnten langfristig auch von Angestellten besetzt werden. Aktuell wird angesichts von Terrorgefahr, Flüchtlingsströmen und dem damit verbundenen Ruf nach mehr Sicherheit und Ordnung ein starker Staat gefordert. Das Pendel kann jedoch wieder umschwenken, wie es der ehemalige Abteilungsleiter aus dem BMI, Paul Fietz, artikuliert (s. Seite 5). Zum Beispiel, wenn die Konjunktur einen Dämpfer erhält, die Zinsen steigen, die Steuereinnahmen zurückgehen und dementsprechend Stücke der Personalund Versorgungskosten am Gesamtkuchen der öffentlichen Haushalte wieder über die politisch gesetzten Grenzen steigen. Die Lösung kann nicht lauten, einen größeren Kuchen zu backen, wie es Wolfgang Pieper, Vorstandsmitglied bei Verdi, treffend formuliert. Wenn das Recht nicht moderat “in die Zeit gesetzt” wird, bleibt lediglich, die Zahl der Beamten zu senken. Schlimmstenfalls im Sinne des inzwischen emeritierten Prof. Dr. Bernd Wunder von der Universität Konstanz, für den das Beamtenverhältnis die Ausnahme, der “Angestellte der Regelfall im Öffentlichen Dienst” sein soll. Mit allen Effekten, die damit verbunden sind.