Behörden Spiegel November 2017

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. XI / 33. Jg / 45. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / November 2017

www.behoerdenspiegel.de

Mein Blick zurück

Gemeinsame Sicherheit stärken

Arbeiten im Vogelwäldchen

ˇ ´ über den Kongress zur Europäischen Jir˘í Sedivy

Per Thöresson über Schweden als Partnerland

Max Patschinsky über seine Arbeit

Sicherheit und Verteidigung .................. Seite 52

der Berliner Sicherheitskonferenz ......... Seite 54

im Duisburger Zoo ................................. Seite 55

Urteil naht bald (BS/jf) Dürfen Beamte nun streiken oder nicht? Ursprünglich hatte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung für die zweite Jahreshälfte 2017 angekündigt. Das wird nicht der Fall sein. Um diese Frage zu klären, haben die Karlsruhe Richter nun für Mittwoch, den 17. Januar 2018 eine mündliche Verhandlung anberaumt. Früheren Fällen entsprechend dürfte es dann weitere sechs bis acht Wochen dauern, bis der 2. Senat unter Vorsitz von Prof. Dr. Andreas Voßkuhle anschließend sein Urteil verkündet. Geklagt hatten mehrere Lehrkräfte aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, SchleswigHolstein, die teils wiederholt während der Schulzeiten an Protestkundgebungen im Rahmen von Tarifrunden teilgenommen hatten.

Digitale Bildung kostet 2,8 Mrd. Euro jährlich (BS/stb) Der digitale Wandel macht auch ein Umdenken bei der Bildung notwendig. Außer pädagogischen Konzepten und ausreichend ausgebildeten Lehrkräften erfordert digitale Bildung auch eine angemessene Ausstattung der Schulen mit Internetzugängen, Endgeräten, Software sowie technischem Support. Für eine lernfördernde technische Infrastruktur in allen Grund- und weiterbildenden Schulen würden laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung Gesamtkosten von 2,8 Mrd. Euro pro Jahr entstehen. Darin sind Kosten für Breitbandanbindung nicht enthalten. Schätzungsweise 20 bis 50 Prozent der Kosten erbringen laut Studie bereits die Kommunen – teilweise ergänzt durch Mittel der Länder. Um die fehlenden Investitionen aufbringen zu können, sei eine Verteilung der Last auf die Schultern von Bund, Ländern und Kommunen notwendig.

Bayern: 178 Millionen Förderung

(BS/ab) Die Geburtenzahlen steigen – Zeit, die Nachfrage nach Betreuungseinrichtungen zu bedienen. “178 Millionen Euro stehen zusätzlich zur Verfügung, mit denen wir die reguläre staatliche Förderung erheblich stärken können”, sagt Bayerns Familienministerin Emilia Müller. Auch die Einrichtungen Flüchtlingskinder sowie Menschen mit Beeinträchtigungen sollen davon profitieren. Dies bedeutet für die Kommunen: Sie erhalten durchschnittlich 85 Prozent statt der ursprünglichen 50 Prozent ihrer förderfähigen Investitionskosten erstattet. Bis zum 31. August 2019 können Anträge an die Landesregierung für das vierte Investitionsprogramm gestellt werden.

Schwierige Prozentrechnung Diskussionen um den angemessenen BIP-Anteil für die Verteidigung (BS/Dr. Gerd Portugall) Auf dem Feld der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist schon jetzt ein schwerer Streitpunkt bei den Koalitionsverhandlungen für eine “Jamaika”-Regierung absehbar: die Debatte um den künftigen Anteil des Einzelplans 14 am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Nach der russischen Annexion der Krim im März 2014 bekräftigte die NATO im September desselben Jahres auf ihrem Gipfeltreffen in Wales die schon länger vereinbarte Zielgröße von zwei Prozent des BIP für die Verteidigungshaushalte bis 2024. Die Bundesregierung – damals schwarz-rot – stimmte zu. US-Präsident Trump drängt unterdessen die Europäer massiv zu mehr auch finanziellem “burden sharing”. Das deutsche BIP betrug im vergangenen Jahr 3.132,7 Milliarden Euro. Legt man diesen Wert für 2024 zugrunde, so sollte der Einzelplan 14 dann, d. h. in sieben Jahren, 62,6 Milliarden Euro betragen. 2016 hatte der Verteidigungsetat eine Höhe von 34,3 Milliarden Euro, was einem BIP-Anteil von 1,19 Prozent entspricht. Die Union sprach sich in ihrem Wahlprogramm dezidiert für das Zwei-Prozent-BIP-Ziel aus. Gegenüber dem Behörden Spiegel betonte MdB Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion: “Wir werden parallel zur Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auch die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit im Maßstab eins zu eins erhöhen, bis bei den öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit die sog. ODA-Quote (“Official Development Assistance”) von 0,7 Prozent des BIP erreicht ist. Ein zentrales Element gemeinsamer Sicherheitsvorsorge bleiben jedoch leistungsfähige Streitkräfte. Deswegen ist es wichtig, zur Stärkung unserer Truppe weiterhin auf das ZweiProzent-Ziel der NATO hinzuarbeiten.” Laut ihrem Wahlprogramm wollen hingegen die Grünen überhaupt keine Erhöhung

Im politischen Streit “ums liebe Geld” geht es zuweilen zu wie auf dem sprichwörtlichen “orientalischen Basar”. Foto: BS/Portugall

des Einzelplans 14: “Die Bundeswehr muss UN-fähiger und Europa-tauglicher werden. Für diese Herausforderungen muss die Bundeswehr gut ausgestattet sein. Dafür braucht es aber keine Erhöhung des Verteidigungsetats, sondern klare si-

cherheitspolitische Prioritäten, mehr europäische Zusammenarbeit und ein Ende der ineffizienten Beschaffungspolitik der letzten Jahre.” Damit ist Streit in den Sondierungsgesprächen vorprogrammiert. Im Wahlkampf hatte sich die

SPD ausgesprochen kritisch mit dem Zwei-Prozent-Ziel auseinandergesetzt. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im letzten Bundestag, erklärte gegenüber dem Behörden Spiegel: “Die Steigerung von Militäraus-

gaben allein ist nicht gleichbedeutend mit der Steigerung von Sicherheit. Wir wissen doch längst, dass Krisenprävention, Wiederaufbau und wirtschaftliche Zusammenarbeit einen größeren Beitrag leisten können als jede Militärausgabe. Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir uns nicht auf die Debatte um die zwei Prozent versteifen. Das gilt insbesondere für jene Politiker, die gerne öffentlich das Zwei-Prozent-Ziel postulieren.” Diese Position ist momentan jedoch weniger von Belang, da die SPD erklärtermaßen keine Neuauflage der Großen Koalition wünscht. Gerade in Bezug auf die Positionen zu dem “bösen Thema” Zwei-Prozent-Anteil äußerte sich wiederum ausgesprochen kritisch Generalleutnant a. D. Dr. Klaus Olshausen gegenüber dieser Zeitung: “Das TotschlagArgument von “65 Milliarden Euro für Rüstung” (purer Populismus übrigens mal von anderer Seite) und die Hinweise auf Diplomatie, Entwicklungshilfe, zivile Missionen für die Sicherheit lösen keine der umfassenden Aufgaben, die sich seit Jahren für alle europäischen NATO- und EU-Nationen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik stellen und weiter der Erfüllung harren.”

Kommentar

Auf die Abgrenzung kommt es an (BS) Am 20. November wählt der Gewerkschaftstag des DBB Beamtenbunds und Tarifunion eine neue Bundesleitung. Für den Bundesvorsitz stellt sich dann die Frage, ob ein Beamter oder ein Angestellter die Wahl gewinnt. Dabei ist diese Unterscheidung zweitrangig. Bis zum noch amtierenden Vorsitzenden Klaus Dauderstädt hat immer ein Beamter an der Spitze des DBB gestanden. Der zweite Vorsitzende war nach der Öffnung der Interessenvertretung für Angestellte der Fachvorstand Tarifpolitik. Somit waren beide Statusgruppen in der Führungsspitze vertreten. Auch heute gibt es viele Mitglieder, die meinen, den Vorsitz müsse ein Beamter innehaben. Doch seit dem letzten Gewerkschaftstag besteht die hauptamtliche Spitze aus einem Dreigestirn. Neben den Fachvorstand Tarifpolitik ist der Fachvorstand Beamtenpolitik getreten. Mit diesem Amt ist ein Abgrenzungsproblem entstanden. Wer ist für die Beamten-

politik zuständig? Der Bundesvorsitzende, so er ein Beamter ist, oder der Fachvorstand? Und wenn der erste Mann im DBB nun ein Tarifbeschäftigter ist, stellt sich dann die Frage, wer künftig neben Verdi-Chef Frank Bsirske die Tarifverhandlungen führt? Auf die Kompetenzverteilung von zwei Kernbereichen – Beamte und Tarifbeschäftigte –, auf drei Personen kommt es an. In den vergangenen fünf Jahren ist dies nicht optimal gelungen. Bei Fragen der Tarifpolitik waren die Kompetenzen klar verteilt, nicht bei denen zur Beamtenpolitik. Hier besteht Nachholbedarf. Zumindest intern. Entweder wird zwischen den Gebietskörperschaften unterschieden. Der eine übernimmt

die Bundesebene, der andere die Länderebene. Dies dürfte jedoch am Widerstand der einzelnen Landesverbände, insbesondere der großen, scheitern. Oder beide Fachvorstände kümmern sich um die Themen, für die sie gewählt worden sind. Und der Bundesvorsitzende übernimmt die allgemeinen Themen, die den Öffentlichen Dienst in seiner Gesamtheit betreffen. Der Gewerkschaftstag bietet die Gelegenheit für eine Neujustierung. Das ist die dringlichste Aufgabe der neuen Führung. Vielleicht wartet der Gewerkschaftstag aber auch mit einer Überraschung auf: Es wäre durchaus die Zeit für eine Bundesvorsitzende. Jörn Fieseler

Die Prenzlberg-Koalition


Inhalt

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Behörden Spiegel / November 2017

Auch wenn es gerade Streit um die Maut von Lastkraftwagen auf deutschen Autobahnen gibt, sind (Schnell-)Straßen nur ein Teil der Infrastruktur hierzulande. Auch der Unterhalt und Ausbau der Breitbandversorgung sowie der Schutz von Lieferungen vor Manipulationen sind für die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik von entscheidender Bedeutung. Foto: BS/©LVDESIGN, Fotolia.com

Infrastruktur Keine Vergabe ohne Regierung

Blick in den Breitband-Abgrund

Lückenlose Lieferkette gefordert

Neuausschreibung der Maut trotz ungeklärtem Konflikt zwischen Bund und Toll Collect ................................. Seite 5

Aktueller Stand des Breitbandausbaus in Deutschland ......................................................... Seite 24

Polizeibehörden tun noch zu wenig gegen Zigarettenschmuggel ..................................... Seite 48

Schlaglöcher in der Planung

Schnittstelle, Strandkörbe und Schadensersatz

1.Trinationaler Workshop zur ZMZ

Rechnungshof Sachsen bemängelt Haushaltswirtschaft und Infrastrukturplanungen ........................................ Seite 8

Erste Bau Beschaffertage decken breites Themenfeld ab ............................................. Seite 26

Es geht immer um den Schutz der Bevölkerung ........................................................ Seite 51

Innenspiegel

Neue Sonderpublikationen GSG-9-Heft und CCC-Magazin veröffentlicht

Impressum

(BS/mfe/wim) Der Behörden Spiegel hat zwei Sonderveröffentlichungen herausgebracht. Zum einen wurde zur Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Bonn das CCC-Magazin veröffentlicht. Und zum anderen wurde anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Befreiung der Lufthansa-Maschine “Landshut” durch die Elite-Einheit der Bundespolizei GSG 9 im somalischen Mogadischu eine weitere Broschüre vorgestellt. In dem Magazin, das anlässlich der Klimakonferenz COP23 in englischer Sprache für die Delegierten und Teilnehmer des Kongresses gestaltet wurde, finden sich unter anderem Beiträge des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet zu den Bemühungen des gastgebenden Bundeslandes, für Nachhaltigkeit und Klimaschutz

zu sorgen. Dazu gibt es ein Grußwort der Generalsekretärin des UN-Klimasekretariats, Patricia Espinosa, sowie Gastbeiträge zum Klimawandel. Außerdem gibt es für die internationalen Besucher Bonns Einblicke in Kultur und Lebensart sowie nützliche Tipps für Restaurants und Nahverkehr. In der Festschrift zur Flugzeugbefreiung

durch die GSG 9 finden sich unter anderem Gespräche mit dem ersten Kommandeur Ulrich Wegener und dem derzeitigen Präsidenten des Atlas-Verbundes, einem Zusammenschluss von Spezialeinheiten aus 36 Nationen, Bernhard Treibenreif. Außerdem schildert der Co-Pilot der “Landshut”, Jürgen Vietor, wie er die Entführung erlebte.

Die Broschüre zur UN-Klimakonferenz kann kostenlos auf www.behoerdenspiegel.de heruntergeladen werden. Die Veröffentlichung GSG 9 kann gegen einen Unkostenbeitrag von fünf Euro (zuzüglich zwei Euro Porto) per E-Mail an verlag@be hoerdenspiegel.de angefordert werden.

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Dombrowsky Foto 2: BS/Kristian Pohl, Schwedische Kanzlei der Ministerien Foto 3: BS/Seeliger

Beilagenhinweis Einer Teilauflage des Behörden Spiegel ist eine Beilage der Technischen Akademie Wuppertal beigefügt.

Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de Herausgeber und Chefredakteur R. Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Adrian Bednarski, Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), R. Uwe Proll (Politik, Parlament), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/ 726262212, Fax 030/72626-2210 Layout Beate Dach, Cornelia Liesegang, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen / Redaktion / Vertrieb, Tel. 0228/97097-0, Fax 0228/ 97097-75 Verlag Berlin Redaktion / Vertrieb, 10317 Berlin, Kaskelstr. 41, Tel. 030/557412-0, Fax 030/557412-57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 28/2017, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Sparkasse KölnBonn, IBAN: DE06370501980007503063, BIC: COLSDE33; Berliner Bank AG, IBAN: DE03100708480482263100 BIC: DEUTDEDB110; Postbank, IBAN: DE24370100500022690509 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Berlin und Bonn / November 2017

Vereinbarung geschlossen

KNAPP Bodycams im Einsatz

Gewerkschaften suchen nach Lösungen zum Tarifeinheitsgesetz (BS/Jörn Fieseler) Nach drei Runden sind die Tarifverhandlungen zwischen dem Marburger Bund (MB) und dem Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung (BG Kliniken) ins Stocken geraten. Grund ist der Umgang mit dem Tarifeinheitsgesetz (TEG). Die Ärztevertretung fordert die Aufnahme einer Vertragsklausel, mit der die Wirkungen des TEG ausgeschlossen werden. Die Arbeitgeber sehen darin keine Notwendigkeit. Jetzt haben Verdi und MB angekündigt, künftig bei allen Tarifverhandlungen eine solche Klausel als Forderung mit aufzunehmen. Und auch gegen das Gesetz wird weiter geklagt. “Mit ihrer Weigerung ignorieren die BG Kliniken die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich geboten aufgezeigte restriktive Handhabung des Tarifeinheitsgesetzes”, sagte Rolf Lübke, Verhandlungsführer des Marburger Bundes. Damit stelle die Arbeitgeber-Seite die gewachsene Tarifpartnerschaft infrage. Für ihn mache es keinen Sinn, über Gehälter und Arbeitsbedingungen zu verhandeln, “solange die Umsetzung der entsprechenden Tarifregelungen von der Willkür der Arbeitgeber abhängig ist”, unterstrich Lübke und kündigte damit indirekt mögliche Streiks bei den BG Kliniken an. “Uns ist sehr am Betriebsfrieden und einvernehmlichen Lösungen gelegen”, entgegnete deren Verhandlungsführer Ingo Thon. Für die Arbeitgeberseite sei die Streikandrohung des Marburger Bundes nur schwer nachvollziehbar.

Einigkeit zwischen Gewerkschaften Jetzt kommt zusätzlicher Druck in die Verhandlungen. Denn die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und der Marburger Bund haben sich verständigt, eine Vereinbarung zu schließen. Beide wollen so durch eine in allen Kollisionsfällen wirksame tarifpositive Abrede verhindern, dass der Tarifvertrag der jeweils anderen Gewerkschaft durch eine etwaige Mehrheitsfeststellung im Betrieb verdrängt werden kann. “Wir lassen es nicht zu, dass Gewerkschaften gegeneinander ausgespielt werden”, betont Rudolf Henke, erster Vorsitzender des MB Bundesverbandes. Und Sylvia Bühler, Mitglied des Verdi-Bundesvorstandes und Leiterin des Fachbereiches Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen, ergänzt: “Durch die Vereinbarung machen wir deutlich, dass nicht die jeweils andere Gewerkschaft das Pro-

Verdi und der Marburger Bund sind sich einig – gegen die jeweils andere Gewerkschaft will man bei Tarifverhandlungen mit Arbeitgebern nicht vorgehen. Foto: BS/Stephanie Hofschläger, pixelio.de

blem ist, sondern die oft sture Verweigerung der Arbeitgeber, die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen entscheidend zu verbessern.” Faktisch werden die beiden Gewerkschaften in jeder Tarifverhandlung, egal mit welchem Arbeitgeber, die Aufnahme einer Vertragsklausel zur Verhinderung von Kollisionsfällen in den Forderungskatalog mit aufnehmen und zur Bedingung eines Tarifabschlusses machen. “Damit ist sie auch streikfähig”, unterstreicht Hans-Jörg Freese vom Marburger Bund. Soweit müsse es aber nicht kommen, sagt er Richtung Arbeitgeber. Im Ergebnis dürfte damit das Tarifeinheitsgesetz zumindest für den Öffentlichen Dienst weitestgehend bedeutungslos werden. Neben dieser Vereinbarung besteht zwischen DBB Beamtenbund und Tarifunion und den GewerkschaftsbundGewerkschaften Verdi, Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) seit Jahren eine Verhandlungskooperation. Trotzdem wird die Abschaffung des Gesetzes weiterhin von den Beschäftigtenvertretungen gefordert. Ob das Gesetz tatsächlich von

der neuen Regierung revidiert und gestrichen wird, steht noch nicht fest. Die Sondierungsparteien haben zu diesem Punkt, auch auf Nachfrage des Behörden Spiegel, noch keine Aussagen gemacht. Auch zur Art und Weise, wie die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geforderten Nachbesserungen umgesetzt werden sollen, gibt es noch keine konkreten Vorschläge. “Das Bundesarbeitsministerium prüft sorgfältig, wie die Vorgaben des BVerfG aus dem Urteil vom 11. Juli 2017 umgesetzt werden können”, sagte eine Sprecherin der obersten Bundesbehörde. Über den konkreten Umsetzungsweg werde aber erst nach entsprechender Erörterung durch die neu zu bildende Bundesregierung entschieden werden.

Klage vor dem EGMR in Straßburg In der Zwischenzeit will neben dem DBB Beamtenbund und Tarifunion auch der Marburger Bund den Klageweg weiter beschreiten. Beide Interessenorganisationen haben angekündigt, gegen das Tarifeinheitsgesetz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu klagen. Und natürlich werde der DBB

Bürokratieabbau auf der Waagschale Was bringt die One-in-one-out-Regel des NKR? (BS/ab) Einsparpotenziale erkennen und Entlastungen aufzeigen sind die Maxime des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) beim Bürokratieabbau. Für neue Belastungen muss im gleichen Umfang auch entlastet werden. Jedoch existieren strittige Punkte, die die Aussichten trüben. “Nach britischem Vorbild muss bei einer gesetzlichen Kostenbelastung an anderer Stelle gesetzlich entlastet werden”, erläutert Florian Spengler, Leiter des Sekretariats des NKR, das Grundprinzip von “One in, one out”. Der bisherige Trend der stetig ansteigenden laufenden Kosten sei damit erstmalig durchbrochen worden. Die Bilanz der zweieinhalb Jahre: Belastungen von 0,9 Milliarden Euro stehen gesetzlichen Entlastungen von 2,4 Milliarden gegenüber. Dies ergibt eine Entlastung von 1,5 Milliarden Euro netto. Aber nicht alle Gesetze werden in die Bilanz von “One in, one out” einbezogen . Die Eins-zuEins-Umsetzung von EU-Recht sowie deren Folgekosten würden

bisher außer Betracht gelassen. Obwohl 50 Prozent der belastenden Kosten auf eben diese zurückzuführen seien. “Das muss von der Bundesregierung neu überdacht werden”, sagt auch Spengler. Nur so könne die Kostenbremse den Unternehmen spürbar weiterhelfen. Auch bei dem Prinzip selbst gibt es einen Haken: Belastung sowie Entlastung erfolgen nicht immer im gleichen Wirtschaftszweig. In der Realität sei dies bedingt durch die Rechtssetzungspraxis nur schwierig möglich. Dafür werde wiederum mit dem KMU-Test gesondert überprüft, ob für diese kleinen und mittleren Unternehmen aufwandsarme Regelungen möglich seien. Denn diese seien insbesondere

von Neuregelungen betroffen. Nicht betrachtet wurde der gesetzliche Mindestlohn. Sein Erfüllungsaufwand sowie die Kosten von Anpassungsmechanismen bezifferte der NKR für die letzte Legislaturperiode auf 6,3 Milliarden Euro. Grund für die fehlende Betrachtung: Der Mindestlohn wurde vor der “One-inone-out”-Regel verabschiedet. Aber: “Auch wenn keine Rückwärtsbetrachtung stattfindet, könnten langfristig prinzipiell die Belastungen vor Einführung der “One in one out”-Regel ausgeglichen werden”, resümiert Spengler. Insgesamt zeichnet sich eine Entlastung ab. Aber, wie der NKR selbst kritisch anmerkt, es muss nachjustiert werden.

das Problem nach der Regierungsbildung wieder verstärkt politisch angehen. “Abgesehen von den verfassungsrechtlichen Bedenken stehen auch immer noch unzählige Fragen zur praktischen Umsetzung und zu den Folgen für die Flächentarifverträge ungeklärt im Raum”, so der scheidende DBB-Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt. “Und das nur wegen eines Gesetzes, dessen Notwendigkeit bis heute niemand glaubhaft belegen

konnte.” Ursprünglich forderte der Marburger Bund in den Verhandlungen mit dem Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung (BG Kliniken) eine lineare Tarifanpassung um 5,9 Prozent sowie eine Anhebung des Nachtzuschlages für Vollarbeit und Bereitschaftsdienst in der Zeit zwischen null Uhr und vier Uhr auf 40 Prozent des individuellen Stundenentgeltes. Das war Anfang Juli, kurz bevor das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zu dem umstrittenen Gesetz verkündete (siehe Behörden Spiegel, August 2017, Seite 1). Auf diese Forderung reagierte ndie BG Kliniken mit einem eigenen Angebot: 3,5 Prozent über eine Laufzeit von 30 Monaten. Beide Parteien haben sich gegenseitig vorgeworfen, sich mit den Argumenten der Gegenseite überhaupt nicht auseinandergesetzt zu haben. Hinzu kommt die tarifvertragliche Zusicherung, dass eine Einigung auch im Fall einer Kollision mit dem Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft umgesetzt wird. Im November soll weiter verhandelt werden.

(BS/mfe) Die sächsische Polizei stattet ihre Beamten an bestimmten Orten in Dresden und Leipzig in Zukunft mit Körperkameras aus. Im Rahmen eines Pilotprojekts erhalten die jeweiligen Polizeidirektionen für die kommenden zwölf Monate jeweils 24 Geräte. Es kommen zwei verschiedene Modelle zum Einsatz. Genutzt werden sollen sie an insgesamt zehn gefährlichen Orten in beiden Städten, an denen es in der Vergangenheit vermehrt zu Polizeieinsätzen kam. Die Kosten des Modellversuchs belaufen sich auf knapp 13.000 Euro. Dafür wurden Computertechnik, die Kameras selbst und Zubehör angeschafft. Innenminister Markus Ulbig (CDU) erklärte zu dem Pilotprojekt: “Angesichts zunehmender Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten im Freistaat erweitern wir die möglichen Handlungsspielräume. Oberste Priorität hat der Schutz der Einsatzkräfte.” Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigten, dass die Bodycams die Enthemmung von Tätern beeinflussten. Außerdem lieferten sie im Falle eines Angriffs auf einen Beamten gerichtsverwertbare Beweise, so der Ressortchef. Im vergangenen Jahr war die Zahl der Übergriffe auf Polizisten im Freistaat im Vergleich zu 2015 allerdings gestiegen. 2016 wurden 1.462 Attacken aktenkundig, 2015 waren es 1.309.


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Ideenmanagement – auch in der Behörde?

“Das macht man so.” Oder nicht?

Von einer Idee zu einem regelmäßigen Event

Werte und Leitbilder als roter Faden in der Gremien- und Gleichstellungsarbeit

(BS/Dr. Hans-Dieter Schat/Dr. Gottfried Richenhagen) 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen “Wiener Wohnen Haus- & Außenbetreuung” mussten von drei Standorten an zwei neue Standorte übersiedeln. Während die logistischen Herausforderungen von einer professionellen Umzugsfirma gelöst wurden, gab es für das Unternehmen selbst die Herausforderung, die Mitarbeiter schnell mit der neuen Arbeitsumgebung vertraut zu machen und neue Abläufe, Regeln, Menschen und Möglichkeiten kennenzulernen.

(BS/Cornelia Reithmeier) Arbeiten wir künftig zu Hause, im Schwimmbad, unterwegs oder doch eher im Büro? Wie sieht für uns der optimale Arbeitsplatz der Zukunft aus? Wo wollen wir hin? Was ist wichtig – für uns selbst als auch für unsere Kolleginnen und Kollegen? Und was macht eigentlich eine gute Führungskraft in der neuen Arbeitswelt aus? Wie führt diese das Team zwischen Allerreichbarkeit und mobilem Arbeitsplatz? Und wodurch wird Unternehmenskultur geprägt? Geht diese womöglich verloren? Wie sehen Gerechtigkeit und Chancengleichheit aus in der Vielfalt an Arbeits- und Lebenssituationen?

Für viele Beschäftigte ist Neues mit ganz viel Unsicherheit und Stress verbunden. Deshalb wurde in Wien ein umfangreiches dreistufiges Modell entwickelt. Dieses beinhaltet in der ersten Woche nach der Übersiedlung einen Event. Alle Mitarbeiter, Führungskräfte und die Geschäftsführung waren dazu eingeladen. Das Ziel war, dass sich Mitarbeiter, die zuvor an unterschiedlichen Standorten arbeiteten, kennenlernen konnten. Der Event stand unter dem Motto “neu zusammenwürfeln”. Dafür wurde ein Würfel kreiert, symbolisch für “wir wollen uns

lebnis schweißt zusammen und stärkt die Identifikation mit dem Team und dem Unternehmen. Soweit ist dies einfach nur ein Beispiel für einen erfolgreichen Veränderungsprozess in einer Behörde. Das Besondere: Diese Vorgehensweise wurde nicht von der Leitung erarbeitet und angeordnet. Die Vorgehensweise entwickelten interessierte Beschäftigte, reichten sie im Rahmen des Ideenmanagements als Vorschlag ein und erreichten nicht nur die Umsetzung ihrer Ideen, sondern erhielten auch noch den Preis “Beste Idee aus Dienstleistung und Verwaltung”

Dr. Hans-Dieter Schat (links) und Dr. Gottfried Richenhagen (rechts) sind Professoren für Personalwesen an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management. Fotos: BS/privat

neu zusammenwürfeln”. Alle Mitarbeiter, die umgezogen sind, erhielten einen Sitzwürfel. Jeder Sitzwürfel war gleichzeitig ein Puzzleteil. Zusammengebaut ergaben alle Teile eine Motivwand mit dem Leitbild der Wiener Wohnen Haus- & Außenbetreuung.

Positives Erlebnis schweißt zusammen Seitdem veranstaltet die Wiener Wohnen jeden zweiten Monat ein Vernetzungstreffen der Mitarbeiter. In zwangloser Atmosphäre treffen sich Mitarbeiter, Führungskräfte und die Geschäftsführung für rund zwei Stunden zum Teambuilding. Die Sitzwürfel sind natürlich immer dabei. In dieser Zeit werden spielerisch jene Fähigkeiten trainiert, die gute Teams im Arbeitsalltag brauchen. Unternehmensrelevante Themen und Informationen werden aufgegriffen und beispielsweise durch ein Quiz interessant und nachhaltig vermittelt. Und zwar auf amüsante, unterhaltsame Weise. Das gemeinsame, positive Er-

der maßgeblichen österreichischen Vereinigung, der ÖPWZ. Ideenmanagement ist also in Behörden möglich und kann erfolgreich gelebt werden. Grundsätzlich zielt Ideenmanagement auf zwei Gruppen von Verbesserungen: Zum einen sollen Abläufe verbessert werden, zum anderen werden die Mitarbeiter besser einbezogen, können einen eigenen Betrag leisten und werden mit ihren Anliegen gehört.

Zu wenige Beispiele, zu viel Resignation Selbstverständlich können auch beide Gruppen von Zielen verfolgt werden – das Wiener Beispiel zeigt dies deutlich. Der Umzug und das Einleben in die neuen Räume konnten reibungslos und mit wenig Aufwand umgesetzt werden und einige Beschäftigte entwickelten aus eigener Initiative im Vorfeld einen Vorgehensplan, der dann auch umgesetzt wurde. Doch finden sich in unseren Behörden aktuell noch zu wenige Beispiele dieser Art. Dadurch

bleiben Verbesserungsmöglichkeiten für die Beschäftigten, aber auch für die Bürger bzw. Kunden, ungenutzt. Außerdem haben zu viele Beschäftigte in den Behörden das Gefühl, auf ihre Meinung und ihre Erfahrungen käme es ja doch nicht an. Dies führt zu Resignation, im schlimmsten Fall treten psychische Erkrankungen auf.

Es lohnt sich Der Aufwand für die Einführung und den Betrieb eines Ideenmanagements hält sich dabei durchaus im überschaubaren Rahmen. Für den Anfang kann die Aufgabe des Ideenmanagers auch im Nebenamt versehen werden. Dies kann beispielsweise eine Nachwuchs-Führungskraft übernehmen, die als Ideenmanager einen guten Überblick über die gesamte Behörde erhält. Als Software-Unterstützung genügen am Anfang Tabellenkalkulation und ein Textverarbeitungsprogramm. Wichtig ist aber die Einbeziehung des Personalrates. Eine direkte Beteiligung von Beschäftigten ohne deren Vertretungsorgane ist rechtlich problematisch und praktisch kaum zu realisieren.

Save the Date Ideenmanegement und Vorschlagswesen sind ausbaufähig. Allein auf der Bundesebene in Deutschland werden in der gesamten Verwaltung pro Jahr nur vier Ideen pro 100 Beschäftigte eingereicht. Deshalb thematisieren die beiden Autoren in einem Seminar des Behörden Spiegel am 13. März 2018 in Berlin nicht nur die Vorteile, sondern auch Anforderungen und Erfolgsfaktoren eines Ideenmanagements.

Wenn Arbeit 4.0 ein Gesicht bekommt, tauchen zahlreiche Fragen auf, die es zu beantworten gilt. Kleine und große Veränderungen, neue Anforderungen, laufende Entscheidungen, Themen wie Gesundheitsmanagement, Wiedereingliederung, Fachkräftemangel, Arbeitgeberimage, Chancengleichheit... Die Komplexität steigt stetig und damit sinkt die Möglichkeit, sich an alten Vorgehensweisen zu orientieren. Das Zusammenspiel zwischen Technik, Organisation und Mensch wandelt sich permanent, neue Arbeitsformen ziehen in die Verwaltung ein – wer hätte vor zehn Jahren über mobiles Arbeiten nachgedacht? Der Ruf nach Beständigkeit, nach der guten alten Zeit, hallt durch die Büroräume. Neben den Wandelbegeisterten gilt es vor allem, verunsicherte Mitarbeitende mitzunehmen, Ängste abzubauen, Sicherheit zu bieten.

Einstellungen ein Gesicht geben Neben all dem Wandel sind stete Anhaltspunkte gefordert, sichere Häfen in stürmischen Zeiten. Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit kann hier als Grundlage dienen. Sie bietet Antworten auf die Frage, warum wir tun, was wir tun und warum wir es gerade so tun, wie wir es tun. Auf diese Weise werden unsere Werte und Einstellungen hinter den Dingen, die wir tun, deutlich. Unsere Motive, Bedürfnisse und innere Haltung prägen all unser Handeln und wirken unmittelbar. Auf diese Weise wird direkt in Mögliches und Unmögliches sortiert. Stellt dann doch

als Grundsätze für eine gemeinsame Haltung zu Themen und ein gemeinsames Cornelia Reithmeier ist SelbstverständProzessmanagerin, Organisationsberaterin, Dipl.nis erarbeitet Verwaltungswirtin und Syswerden. Diese temischer Coach. Leitbilder geben Sicherheit in ArFoto: BS/privat gumentationen und schützen vor Endlos-Diskusmal jemand die Unmöglichkeit sionen. Integeres Auftreten fällt infrage, werden gern Antworten leichter, Themenschwerpunkte geäußert wie “Das macht man können schlüssig gesetzt werso”. “Man” ist die Haltungsof- den und Rollenkonflikte gemiefenbarung und bietet Angriffs- den. Daneben werden das Verfläche für Schubladendenke. ständnis für unterschiedliche Achten Sie doch einmal selbst Sichtweisen und die Integration darauf, wenn Ihnen ein “man” dieser durch den gemeinsamen rausrutscht. Da spüren wir auf Entwicklungsprozess gefördert. Wer seine Brille und die der einmal Unbehagen, möglicherweise meldet sich ein innerer anderen kennt, kann den Blick Gerechtigkeitssinn, ein Richtig- gezielt lenken und bewusst entscheiden, die innere Haltung oder-falsch-Bauchgefühl. Auf diese Weise geben Einstel- schlüssig nach außen zu verlungen dem Handeln Gesicht. treten oder sich auf einen PersWie Filter werden je nach Hal- pektivwechsel einzulassen. Wer tung Handlungsmöglichkeiten sein Bauchgefühl als Indikator und mögliche Sichtweisen se- nimmt, dessen Entscheidungen lektiert. Durch diese unsichtba- werden von hinterlegten Erfahre Brille wird der Blick gelenkt, rungen geprägt – dies kann nützDinge treten in den Vorder- lich oder hinderlich sein, wertvoll grund, andere verschwimmen. ist es, die Wahlfreiheit zu haben. So haben wir alle Themen, die Wie schon Arthur Schopenhaudurch unsere Lebensgeschich- er sagte: “Denn überhaupt um te, unsere Erfahrungen geprägt fremden Wert willig und frei ansind und entsprechend positiv zuerkennen und gelten zu lassen, muss man eigenen haben.” oder negativ behaftet sind.

Werte besprechbar machen Es lohnt sich, auf die Suche nach diesen unsichtbaren Brillengläsern zu gehen und die uns prägenden Werte besprechbar zu machen. Auf diese Weise können in Gruppen, Gremien und Organisationen Leitbilder

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www. fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Idee”. Es lohnt sich, auf die Suche nach “unsichtbaren Brillengläsern” zu gehen und die Ansichten anderer zu kennen. Foto: BS/Silvio Prahl, pixelio.de

Save the Date Sich eigener Werte bewusst zu sein; ist entscheidend, um diese auch überzeugend nach außen vertreten zu können. Dies ist Thema eines Seminars am 6. und 7. März 2018 in Bonn. Darin vermittelt die Autorin die Bedeutung von Werten und die Wirkung von Leitbildern sowie deren Erarbeitung, Umsetzung und welche Bedeutung “Dilts logische Ebenen” dabei haben. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www. fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Leitbilder”.

Zukunft Dienstrecht

Arbeits-, tarif- und beamtenrechtliche Entwicklungen 21. – 22. November 2017, Maritim Hotel, Bonn

§

Mit Beiträgen u. a. von:

Ansgar Hollah, Leiter der Abteilung D „Öffentlicher Dienst“ im Bundesministerium des Innern: Der Öffentliche Dienst zu Beginn der 19. Wahlperiode

Karin Spelge, Richterin am Bundesarbeitsgericht (6. Senat): Aktuelle Rechtsprechung des 6. Senats zum TVöD und TV-L

Weitere Informationen zur Tagung „Zukunft Dienstrecht“ sowie zu den einzelnen Referenten unter: www.zukunft-dienstrecht.de

Dr. Rüdiger Linck, Vizepräsident des Bundesarbeitsgerichts: Aktuelle Rechtsfragen der Arbeitsvergütung

Eine Veranstaltung des


Bund

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as bisherige Betreiberkonsortium des deutschen Maut-Systems Toll Collect, bestehend aus Daimler und der Deutschen Telekom (je 45 Prozent) und der Tochterfirma Cofiroute des französischen Baukonzerns Vinci (zehn Prozent), verantwortet die 2005 eingeführte Lkw-Maut auf Autobahnen. Der Vertrag wurde bereits einmal verlängert und auf ausgewählte Bundestraßen ausgeweitet. Die Betreiberfirma sichert der Bundesregierung dadurch Einnahmen von etwa vier Milliarden Euro jährlich. Im Gegenzug erstattet der Bund dem Konsortium die Betriebskosten und zahlt ihm Renditen und Boni. Für die Verlängerungsvereinbarung zum Betreibervertrag standen dem Unternehmen rund 1,68 Milliarden Euro Vergütung zur Verfügung. Ab dem 1. Juli 2018 wird der Vertrag mit Toll Collect für weitere geschätzte zwei Milliarden Euro Einnahmen auf alle Bundesstraßen ausgeweitet. Hierfür wurden ca. 643 Millionen Euro Auftragsvolumen veranschlagt, wie aus der Antwort der Bundesregierung vom 21. Juli dieses Jahres auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hervorgeht.

Hintergründe zum Fall Toll Collect Das Gesetz zur Ausweitung der Mautpflicht auf alle Bundesstraßen zum 1. Juli 2018 trat Ende März dieses Jahres in Kraft. Das Mautnetz wird dadurch um weitere 36.000 Kilometer Bundesstraßen wachsen und insgesamt 51.000 Kilometer Fernstraßen in Deutschland umfassen. Betroffen von dieser Mautausweitung sind nach Angaben von Toll Collect weitere rund 35.000 Unternehmen mit circa 140.000 Fahrzeugen. Allerdings sei es fraglich, ob der Zeitplan wirklich einzuhalten ist. Die Erweiterungs- und Umstellungsarbeiten seien in vollem Gange, aber es gebe Schwierigkeiten mit der zeitgerechten Installation der Kontrollsäulen an den Bundesstraßen. Es handele sich um eine “beachtliche Herausforderung”, stellt der Vorsitzende der Toll-Collect-Geschäftsführung, Hanns-Karsten Kirchmann, fest. Die Umstellung solle aber im zweiten Quartal 2018 abgeschlossen sein. Parallel kamen in diesem Jahr Vorwürfe wegen gemeinschaftlichen begangenen schweren Betrugs durch Toll Collect an die Öffentlichkeit. Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem Unternehmen vor, bei der Ausweitung der Maut auf Bundesstraßen durch bewusst überhöhte Kalkulationen der Betriebskosten den Bund um mindestens drei Millionen Euro geprellt zu haben. Im Mai 2017 gab es eine Razzia in der Toll-Collect-Zentrale, die den Verdacht auf Abrechnungsbetrug erhärtete. Laut Unterlagen der Betreiberfirma wussten die Verantwortlichen vor Vertragsabschluss im März 2012, dass der wahre “Aufwand für Betrieb” nur bei zwei Millionen Euro liegt. Trotzdem stellte Toll Collect dem Bund jedes Jahr mehr als fünf Millionen Euro in Rechnung, wie in einem Anhang zum Vertrag damals vereinbart wurde. Der Bund fordert in dem Verfahren, das als privates Schiedsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wird, rund drei Milliarden Euro an Schadensersatz und 1,65 Milliarden Euro an Vertragsstrafen. Toll Collect reagierte später drauf mit einer Gegenklage, da die Bundesregierung wegen ihrer Forderungen regelmäßig einen Teil der zugesagten Vergütungen zurückhalten. Aus einer Antwort des Parlamentarischen Finanzstaatssekretärs Jens Spahn an die Vorsitzende

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Keine Vergabe ohne Regierung Neuausschreibung der Maut trotz ungeklärtem Konflikt zwischen Bund und Toll Collect (BS/Katarina Heidrich) Das 2005 eingeführte deutsche Mautsystem wurde in den vergangen Jahren trotz Kritik weiter ausgebaut. Im August 2018 läuft der Vertrag mit dem bisherigen Betreiber Toll Collect aus, der aber noch im kommenden Juli die Ausweitung der Maut auf alle Bundesstraßen durchführen soll. Eine solche Public Private Partnership (PPP) steht nicht zuletzt wegen des Skandals des unterstellten Millionenbetrugs unter Beschuss. Die derzeitigen Koalitionsverhandlungen zeigen die Schwierigkeit einer Einigung auf dem Gebiet der öffentlichen Infrastruktur. des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags, Gesine Lötzsch (Die Linke), geht hervor, dass beide Streitigkeiten den Bund bislang rund 200 Millionen Euro kosteten.

Neuausschreibung des MautSystems Da der Vertrag zwischen Bund und Toll Collect im August kommenden Jahres ausläuft, hat das Bundesverkehrsministerium nun die Neuausschreibung der Maut-Betreibung veranlasst. Zwei Aufträge an private Firmen sind ausgeschrieben: einer für ein System, um die Straßengebühr einzutreiben, ein weiterer für die Kontrolle der korrekten Bezahlung. Die interessierten Unternehmen konnten ihre Angebote bis Ende Juli einreichen. Nach einer Vorauswahl, in der drei oder vier Mautbetreiber gewählt werden, soll Anfang 2018 mit dem Verkehrsministerium verhandelt werden, wie es von dort heißt. Den Ausschreibungsbedingungen zufolge erhalten die Gewinner ab Juni 2018 Verträge mit zwölf Jahren Laufzeit und einer einmaligen Verlängerungsoption um drei Jahre. Verschiedene europäische Unternehmen haben bereits Interesse an der Neuausschreibung angekündigt. Der italienische Autobahnbetreiber Atlantia beispielweise habe bereits alle technischen Varianten erprobt, die in Frage kommen würden und lässt verlauten, “sehr interessiert an dem deutschen Projekt” zu sein. Zuletzt hatte der Konzern dem spanischen Autobahnbetreiber Abertis ein Übernahmeangebot in Höhe von 16,3 Milliarden Euro gemacht, dessen Annahme einen europäischen Infrastruktur-Konzern mit enormer Reichweite bedeuten würde. Die österreichische Kapsch AG, die auch schon in dem Alpenstaat das Lkw-Mautsystem errichtete, zählt auf seiner Website Referenzen in 49 Ländern auf sechs Kontinenten auf, um ihren Anspruch als führender Lieferant von Telematik für die Straße zu untermauern. Toll Collect selbst gab auch mehrmals an, sich erneut zu bewerben. Allerdings hat Daimler vor Kurzem den Ausstieg aus dem Konsortium verkündet. Der Austritt des Konzerns wirft zum einen Fragen nach dem Fortbestehen von Toll Collect auf sowie nach den Auswirkungen auf das noch laufende Schiedsverfahren. Ein Sprecher des Unternehmens kommentierte dies auf Nachfrage nicht weiter: “Zu dem Vergabeverfahren wurde Vertraulichkeit vereinbart.” Vinci hingegen will seine bisherigen Anteile von zehn Prozent auf 25 Prozent erhöhen, heißt es aus dem Unternehmen.

Thema Maut wird kontrovers diskutiert Die Ausweitung der Maut und damit verbunden auch allgemeine Fragen zu Auftragspartnerschaften zwischen Bund und Privatunternehmen spalten die Geister schon seit Längerem. Ein weiteres Problem, neben denen mit Toll Collect im Bereich der Maut, offenbarte sich im vergangenen September. Das Bundesverkehrsministerium bestätigte eine millionenschwere Abrechnungspanne beim Eintreiben der Maut. Da den privaten Autobahnbetreibern seit fast zwei Jahren zu hohe Einnahmen aus der Lkw-Maut zuflossen, seien

Ob die bekannten Autobahn-Maut-Kontrollbrücken bestehen bleiben oder nicht, wird sich herausstellen, wenn der Gewinner der Neuausschreibung für das deutsche Maut-System feststeht. Foto: BS/Betty, pixelio.de

dem Bundeshaushalt bereits Mittel in zweistelliger Millionenhöhe entgangen. Als die Maut auf hunderttausende kleinere Fahrzeuge ausgeweitet wurde,

versäumte es der Bund scheinbar, die technische Ausweisung des Abrechnungssystems zu gewährleisten, um Zwölf-TonnenLkws von den nun auch maut-

pflichtigen 7,5-Tonnen-Lkw zu unterscheiden. Eigentlich stehen den privaten Betreibern aber lediglich Einnahmen für die großen Fahrzeuge zu. Diese lehnen nun mehrheitlich Rückforderungen ab. Der Bund trage die Verantwortung für die korrekte Abrechnung. Während sich die Spediteure und andere Unternehmen schon seit Längerem gegen die Ausweitung der Maut aussprechen, fordern die Kommunen eine größere Ausweitung in Form von einer Gebührenpflicht für alle Straßen. Die kommunalen Spitzenverbände befürchten eine Verlagerung des Lkw-Verkehrs nun von den Bundestraßen auf die Landes- und Kreisstraßen. Schon die Einführung der Maut auf Autobahnen verdeutlichte das Problem, denn viele Fah-

rer wichen auf Bundesstraßen aus, um den Gebühren zu entgehen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist auch dafür, dass für stark befahrene Teilstücke von Bundesstraßen etwa zu Zeiten des Berufsverkehrs eine höhere Maut fällig wird, um die Verkehrsströme zu entzerren. Die UmweltbundesamtPräsidentin Maria Krautzberger hat zum Auftakt der COP 23 die Kraftfahrzeuge-Maut für alle in Deutschland gefordert. Aber solange noch keine neue Bundesregierung gebildet ist, liegt auch die Vergabe für den neuen (oder alten) Maut-Betreiber auf Eis. Überdies wird sich erst mit abgeschlossenen Sondierungen zeigen, ob der Baubereich wieder vom Umweltministerium weg dem Verkehrsressort übertragen wird, denn auch hier kam es in der Vergangenheit zu Interessenskonflikten. Die Sachthemen für den nächsten Verkehrsminister oder die nächste Verkehrsministerin liegen aber somit schon längst auf dem Tisch: die Ausweitung der Lkw-Maut, die Einführung der Pkw-Maut und die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft.


Bund / Länder

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ührungskonzepte und die Kompetenzen der Führungskräfte sind maßgeblich für den Erfolg und den Fortbestand der Polizei. Sie müssen sich allerdings immer wieder anpassen und weiterentwickeln, da sie, anders als früher, einem ständigen Rechtfertigungsprozess unterliegen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für Führungskräfte, bestimmte Ziele im Vorfeld festzulegen und diese in Resultate umzusetzen. Gerhard Bereswill, Polizeipräsident von Frankfurt am Main, betont, dass Führung als Begrifflichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln gedacht werden kann. In Bezug auf den ökonomischen Aspekt sei “gute Führung Millionen wert”.

Kommunikation als wichtigstes Führungsinstrument Die Herausforderungen, vor denen die Polizei-Führung steht, ließen sich am ehesten durch umfassende Kommunikation angehen. Die Führungskraft stellt dabei gleichzeitig Sender und Empfänger dar und sollte Nachbesprechungen auf allen Ebenen, also auch im alltäglichen Dienst, anbieten. Dass die Kommunikation das wichtigste Führungsins-trument ist, bestätigt auch der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen (AG IPM), Dieter Wehe. Die Polizei und besonders deren Führung stehe zunehmend im Spannungsfeld zwischen politischen Vorstellungen und dienstlichen Anforderungen. Aus den unterschiedlichen Erwartungshaltungen resultiert Zeit-, Erfolgs-, Ressourcen-, Konformitäts-, Erwartungs- und Informationsdruck, denen die Führung standhalten müsse. “Es gibt zwar nicht den einen richtigen Führungsstil”, wie Wehe im Rahmen der Fachtagung “Führung in der Polizei” der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) einwendet, doch in den meisten Fällen seien es keine fachlichen Kompetenzen, die eine schlechte Führungskraft ausmachten, sondern die Sozialkompetenzen und das Handeln. Er kritisiert die bislang mangelnden Konsequenzen bei Fehlverhalten von Führungskräften. Auch durch

Behörden Spiegel / November 2017

Kommunikation ist fast alles Führungskräfte in der Polizei stehen vor großen Herausforderungen (BS/Katarina Heidrich) Die Kompetenzen, die Führungskräfte innehaben beziehungsweise entwickeln sollten, sind vielfältig. Dass sie über rein fachliche Kenntnisse hinausgehen müssen, ist allgemeiner Konsens. Auch innerhalb der Polizeien von Bund und Ländern spielen Empathie, Konfliktmanagement, Personalförderung und besonders Kommunikation eine immer größere Rolle. Aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nicht nur für den Zusammenhalt und die Effizienz in der Institution selbst, sondern als Konsequenz auch für die gesamtgesellschaftliche Sicherheit. tetraining durch interne oder externe Berater könne zudem helfen, das eigene Potenzial zu erkennen. Darüber hinaus sollten Führungskräfte stets bereit sein, negative Kritik zu äußern, aber auch Lob, Anerkennung und Wertschätzung als Motivatoren einzusetzen, so Bartels.

Beförderungen entstehe nicht selten das Problem, dass eine möglicherweise für die Führung ungeeignete Persönlichkeit als Führungskraft aufsteige, dafür aber als guter Sachbearbeiter wegfalle. Aus diesen Gründen spiele also nicht nur Kommunikation mit den Mitarbeitern eine große Rolle, sondern ebenso der Selbstcheck des Entscheidungsträgers bezüglich der eigenen Fähigkeiten und Defizite. Weg von der Stufe der reinen Strukturen, Prozesse und Strategien, sollten Führungskräfte in der Polizei zukünftig verstärkt den Austausch über Emotionen, verdeckte Regeln, Beziehungen, Motivationen und das Arbeitsklima anregen. Nur so ließe sich langfristig Vertrauen aufbauen.

Frauenförderung und gesundheitliche Prävention

Personalförderung auf unterschiedlichen Ebenen

Bei der Polizei ist die Kommunikation das A und O. Auch im persönlichen Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten. Foto: BS/Dombrowsky

Auch die Polizei muss sich zukünftig mit den Auswirkungen der demografischen Entwicklung auseinandersetzen. Ihr stehen, neben sinkenden Bewerberzahlen auf der einen Seite, ein zunehmend höheres Alter der Angestellten und damit verbundene hohe Pensionierungszahlen bevor. Die Herausforderungen sind, ein langfristiges Einbinden der Arbeitskräfte zu planen und Attraktivität des Berufes auch im Alter zu gewährleisten. Da die Mitarbeiter den “wichtigsten Aktivposten” darstellten, sei Personalförderung von essenzieller Bedeutung, betont die Polizeipräsidentin von Duisburg, Dr. Elke Bartels. Denn “die Bewerber wollen Perspektiven, nicht nur Jobs”, und dazu zählen unter anderem auch Flexibilität und Selbstverwirklichung. Zu den Führungsaufgaben gehört demnach auch das Erstellen von Personalentwicklungskonzepten, damit der Bewerber frühzeitig weiß, welche Anforderungen er für wel-

che Laufbahn erfüllen muss”. Bartels kritisiert, dass solche Verfahren bisher in den Bundesländern bezüglich des Umfangs und der Voraussetzungen sehr unterschiedlich ausgeprägt seien. Durch gezielte Förderung und standardisierte, aber anpassungsfähige Konzepte erziele die Polizei höhere Effizienz und Arbeitszufriedenheit. Die Fähigkeiten in fachlicher Hinsicht, aber auch in Führungsfragen seien frühzeitig zu fördern. Dabei komme vor allem das Gespräch als wichtigster Faktor der Personalförderung zum Tragen. Auch die Polizeipräsidentin unterstreicht hier Kommunikation als bedeutendes Führungsinstrument. Im Rahmen von Beratungs- und Fördergesprächen sollen Bedürfnisse und Fähigkeiten sowie erforderliche Fertigkeiten ermittelt und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und Vorstellungen beider Seiten erörtert werden. Ergänzend könn-

ten in einer Personaldatenbank die individuellen Merkmale der Mitarbeiter, die über “harte Fakten” hinausgehen, dokumentiert werden. Diese könnte beispielsweise Wünsche zum Wechsel erfassen, aber auch Fähigkeiten wie Sprachkenntnisse oder Technikwissen. Schon bei Ende der Ausbildung sollten solche Merkmale aufgenommen und dann kontinuierlich aktualisiert werden. So könne der langfristige Einsatz viel spezieller geplant und gefördert werden. Zusätzliche Mentoring-Programme, wie sie beispielsweise Niedersachsen flächendeckend eingeführt hat, ermöglichen den Mitarbeitern einen Einblick in die Arbeit einer Führungskraft über einen festgelegten Zeitraum. Dadurch könne Interesse an Führungspositionen geweckt werden. Im Rahmen einer Hospitation werden Mitarbeiterpotenziale besser einschätzbar, zusätzliches Nachwuchskräf-

Die Polizeipräsidentin bemängelt überdies, dass die besondere Aufgabe der Frauenförderung bisher zu kurz komme. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie solle noch stärker unterstützt werden. Es herrsche, selbst bei vielen Frauen, die Vorstellung eines Kompetenzverlustes während der Elternzeit. Bartels ermutigt zur Änderung des Blickwinkels und betont, gerade durch die Zeit mit der Familie kämen neue Kompetenzen hinzu. Beurteilungskriterien in der Polizei seien zu häufig “männlich dominiert”. Es sei aber wichtig, auch andere mögliche positive Eigenschaften von Führungskräften hervorzuheben, die nicht zu den “typisch männlichen Attributen” zählten. Eine strikte Frauenquote für Führungspositionen oder die bevorzugte Förderung von Frauen seien aber fraglich, da es dabei nicht mehr um reine Leistungsbefähigung ginge. Hier würde Gleichberechtigung mit Bevorteilung verwechselt. Dies zeigt auch §19 Abs. 6 des Landesbeamtengesetzes Nordrhein-Westphalen, der Anfang des Jahres Aufsehen erregte. Dieser inzwischen wieder abgeschaffte Paragraf, der die Frauenförderung rechtlich determinieren sollte, wurde vom Oberverwaltungsgericht NRW als verfassungswidrig und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Neben der Förderung der beruflichen und privaten Ver-

Nicht einmal 300 Eingaben erhalten

einbarkeit fordert Bartels von Führungskräften der Polizei die Stärkung der psychischen und allgemein gesundheitlichen Verfassung der Mitarbeiter. Durch ein betriebliches Gesundheitsmanagement könnten die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten und die Leistungsfähigkeit der gesamten Polizei intensiviert werden. Schon zu Präventivzwecken seien dazu Facharbeitskräfte im gesundheitlichen Bereich nötig. Da der Polizei “leistungsstarke Kräfte im mittleren Alter fehlen” und eine Entlastung der Älteren oft auf Kosten der Jüngeren vollzogen werde, wie die Präsidentin feststellt, sei es Aufgabe der Führungskraft, hier keinen Generationenkonflikt entstehen zu lassen und die Resilienz aller Beschäftigten zu stärken.

Die Kunst der Konfliktlösung Neben der Kommunikation als notwendiger Führungsaufgabe und spezieller Personalförderung sei vor allem Konfliktmanagement ein wichtiges Führungsinstrument, hebt die Psychologin und Praktikumsbeauftragte im Studiengang Sicherheitsmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Prof. Dr. Birgitta Sticher, hervor. Hinter diesem Versuch, Konflikte zu einer Lösung zu führen, stecke “die Kunst, objektiv Gegenstand und Personen voneinander zu trennen”. Aufgabe der Führungskraft sei die Einsicht, dass Konflikte unausweichlich sind, ihre Eskalation aber Energien zerstört. Da Kontroversen die wichtige Funktion der Klärung haben, sollte die Führung zum Teil auf Selbstregulierungskräfte der Mitarbeiter setzen. Erst wenn ohne Mittler keine Einigung möglich scheine, müsse eingegriffen werden. Dazu seien allerdings bestimmte Persönlichkeitsstrukturen der Führungskraft und der Wille zur Konfliktlösung Voraussetzung. Sie müsse über Empathie und Allparteilichkeit verfügen und den Konfliktpartnern mit Akzeptanz, Respekt und Anerkennung entgegentreten. Auch das gelungene Konfliktmanagement beruht demnach auf Kooperation, Transparenz und Kommunikation.

MELDUNG

Polizeibeauftragte müssen sich bisher nur mit wenigen Fällen befassen

Merkel: Förderung wird es geben

(BS/mfe) Momentan gibt es sie nur in zwei Bundesländern: Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Und viel zu tun haben sie, setzt man ihre Fallzahlen ins Verhältnis zur Personalstärke der jeweiligen Landespolizeien, auch noch nicht. Dennoch wurde auch auf Bundesebene bereits über ihre Einrichtung diskutiert. Die Rede ist von Polizeibeauftragten. (BS/kh) Der kürzlich vorgelegte So verlangten zum Beispiel die Mitglieder der Grünen-Bundestagsfraktion in der vergangenen Legislaturperiode die Schaffung des Postens eines Bundespolizeibeauftragten. Dieser hätte als Hilfsorgan des Parlaments tätig werden sollen. Der Antrag fand jedoch keine Mehrheit. Dennoch hält die Innenexpertin von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Irene Mihalic, fest: “Bei der Stelle des Polizeibeauftragten beim Deutschen Bundestag geht es gleichzeitig um die Beschäftigten der Polizeien des Bundes und einen besseren Schutz der betroffenen Bürgerinnen und Bürger.” Schließlich gehöre beides zusammen, bedinge einander und müsse gestärkt werden. Und sie unterstreicht: “Im demokratischen Rechtsstaat ist eine nationale Stelle, die einen unabhängigen Blick auf die Polizeibehörden hat, notwendig. Anders ist die Ausübung der parlamentarische Kontrolle kaum oder nur mit Abstrichen möglich.” Weiter als der Bund sind derzeit Rheinland-Pfalz und SchleswigHolstein. An den Mainzer Beauftragten wurden im vergangenen

Jahr exakt 100 Beschwerden herangetragen. In Kiel waren es seit Oktober 2016 nicht einmal doppelt so viele. Von den 100 Eingaben in Rheinland-Pfalz wurden 22 Fälle nicht einvernehmlich gelöst, 35-mal erteilte der Beauftragte Bürgern oder Polizeibeamten Auskünfte, 24 Fälle konnten einvernehmlich geklärt werden und 19 erledigten sich auf andere Weise. Dazu gehörten etwa Vorfälle, die dem Beauftragten erst nach mehr als drei Monaten gemeldet wurden und deshalb nur als Petition behandelt wurden. Hinzu kommen Sachverhalte, in denen der Betroffene sich nicht zurückmeldete.

Konflikte in den Ländern Die Zusammenarbeit der Beauftragten mit den Polizeien wird in beiden Ländern als konstruktiv beschrieben, Fälle von offensichtlicher Kooperationsverweigerung habe es nicht gegeben. Der rheinland-pfälzische Beauftragte kritisiert jedoch, dass sich die Frist von drei Monaten, innerhalb der ihm Vorfälle gemeldet werden müssen, in der Praxis nicht bewährt habe. Hierzu laufe derzeit aber eine

Evaluation mit der Hochschule der Polizei. Auch im Freistaat Bayern gab es Initiativen zur Einrichtung einer Polizeibeauftragten beziehungsweise einer entsprechenden Kommission. Dort beantragten die Grünen im Landtag bereits 2007, dass die Münchner Staatsregierung ein Konzept für eine derartige Einrichtung vorlegen möge. Das Ansinnen wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt. Nun kündigt die Innenpolitische Sprecherin der GrünenFraktion, Katharina Schulze, an, das Thema nochmals aufzugreifen und erneut in den parlamentarischen Prozess einzubringen. Sie sagt: “An eine unabhängige Beschwerdestelle können sich dann Bürger und Polizisten wenden. Dieses Instrument ist kein neues – in vielen Ländern gibt es solch eine Institution bereits.” Auch in Rheinland-Pfalz sei der Bürgerbeauftragte des Landtages schon seit 2014 zusätzlich Beauftragter für die Landespolizei. Nun meint Schulze: “Es ist Zeit, dass Bayern nachzieht.” Auch in Berlin ist die Einrichtung eines unabhängigen Polizeibeauftragten im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Regierung

vorgesehen. Die Linke pocht nun auf Umsetzung.

Teilweise reichen Gespräche aus Derweil existieren verschiedene Möglichkeiten, wie die Polizeibeauftragten Fälle abschließen können. Teilweise reichte es schon aus, wenn sie Gespräche mit den Petenten führten. Bei anderen Sachverhalten genügten Vermittlungsgespräche zwischen allen Beteiligten. Zum Teil sprachen sie aber auch Empfehlungen an die Polizei aus oder führten Vermittlungsgespräche, die zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren sowie zur Erhöhung von deren Transparenz beitrugen. Im Bereich der Bürgerbeschwerden war hingegen häufig die Überprüfung konkreter polizeilicher Maßnahmen Gegenstand der Eingaben. Derweil unterscheiden sich die gewerkschaftlichen Beurteilungen hinsichtlich der Polizeibeauftragten nicht unerheblich. Die Gewerkschaft der Polizei begrüßt solche Stellen grundsätzlich. Allerdings dürften sie nicht nur dazu dienen, dass Bürger sich über Beamte beschweren könnten. Auch die

Polizisten selbst müssten über die Beauftragten auf Missstände aufmerksam machen können. Die Deutsche Polizeigewerkschaft wiederum lehnt das Instrumentarium rundum ab. Ihr Bundesvorsitzender Rainer Wendt sagt: “Auf unsere völlige Ablehnung stoßen die von der jeweiligen Parlamentsmehrheit eingesetzten “Politikkommissare”, die in rechtsstaatlich außerordentlich bedenklicher Weise parallele “Ermittlungen” führen sollen und die Arbeit der tatsächlich unabhängigen Staatsanwaltschaften ad absurdum führen.” Diese Vorschläge, wie zuletzt erfolglos für die Bundespolizei eingebracht, seien ideologisch begründet und nichts anderes als ein politisch motiviertes Misstrauen gegen den Staat und seine Sicherheitsbehörden. Vom Bund Deutscher Kriminalbeamter hieß es schließlich, man sei in Bezug auf die von den Grünen verlangte Einführung eines Bundespolizeibeauftragten skeptisch. Die Beamten würden eine solche Person ausschließlich als weitere Kontrollinstanz ihres Handelns wahrnehmen.

Raumordnungsbericht des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigt: Noch immer gibt es erhebliche Unterschiede in den Lebensverhältnissen zwischen verschiedenen Regionen Deutschlands (siehe auch Behörden Spiegel, Oktober 2017, Seite 1). Zum einen zwischen ländlichen Regionen und Ballungsgebieten, zum anderen zwischen den alten und den neuen Bundesländern. In ihrem neuen Video-Podcast macht Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die “systematischen Unterschiede” zwischen den Ländern aufmerksam. “Deshalb wird es auch nach wie vor eine spezifische Förderung für die neuen Bundesländer geben”, kündigt sie an. Zwar seien ab 2020 alle Bundesländer in den Bund-Länder-Finanzausgleich integriert, trotzdem sei auf die Besonderheiten der neuen Länder zu achten. Auch auf EUEbene, bei der Aufstellung des Haushalts ohne Großbritannien, sei zu berücksichtigen, so Merkel, “dass die neuen Bundesländer und die strukturschwachen Regionen Deutschlands nicht urplötzlich völlig von allen EU-Förderungen abgeschnitten werden.”



Finanzen

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Fehlanreize durch Schuldenbremse

Schlaglöcher in der Planung

IDW-Positionspapier fordert ergänzende Indikatoren

Rechnungshof Sachsen bemängelt Haushaltswirtschaft und Infrastrukturplanungen

(BS/lkm) In einem aktuell veröffentlichten Positionspapier fordert das Institut der Wirtschaftsprüfer in (BS/lkm) Im Oktober veröffentlichte der Sächsische Rechnungshof seinen Jahresbericht 2017. Aufgrund guter Deutschland e. V. (IDW) eine verschärfte Regelung zur Ermittlung der Schuldenbremse. Der alleinige Blick auf wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und einer hohen Beschäftigung kann der Freistaat das sechste Jahr in Ausgaben und Einnahmen könne Fehlanreize für politische Entscheidungen setzen. Folge von Rekordsteuereinnahmen profitieren. Rechnungshofpräsident Prof. Dr. Karl-Heinz Binus sieht vor diesem Hintergrund jedoch die Gefahr, dass langfristige Haushaltsrisiken und erforderliche VorsorgemaßDie Schuldenbremse ist im fast 500 Milliarden Euro. Aller- Schuldenbremse war ein über- nahmen aus dem Blick geraten. Zudem kritisiert der Rechnungshof zahlreiche vermeidbare Ausgaben, die die Grundgesetz verankert und dings seien dabei bedeutsame aus wichtiger Schritt für die Prüfer in allen Ministerien aufgedeckt haben.

besagt, dass weder Bund noch Länder Schulden machen dürfen. Ausnahmen bestehen für konjunkturbedingte Neuverschuldung. In eng umrissenen Grenzen erlaubt das Grundgesetz weiterhin eine antizyklische Haushaltspolitik. In Zeiten konjunktureller Schwäche dürfen daher neue Kredite aufgenommen werden, die dann im Aufschwung wieder zurückzuführen sind. Eine Neuverschuldung ist auch zulässig bei Naturkatastrophen und in außergewöhnlichen Notsituationen. Außerdem ist dem Bund eine Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erlaubt. Die Schuldenbremse wirke damit einer schuldenfinanzierten Klientelpolitik entgegen, die gerade im Kontext von Wahlen und/oder negativen Zinsen für Politiker reizvoll sei, konstatieren die Analysten des DIW. Sie sei außerdem ein notwendiger (Zwischen-)Schritt, um die Maastricht-Schuldenstandsquote wieder zu erfüllen. Dennoch sei die Schuldenbremse kein Garant für einen ausgeglichenen Haushalt, kritisiert der IDW. Ob der Bundeshaushalt gut aufgestellt sei oder nicht, lasse sich nicht allein an Einnahmen und Ausgaben beurteilen. Nehme beispielsweise der Staat Schulden auf, die erst in ferner Zukunft zahlungswirksam seien, wirke sich das auf die heutige Haushaltsbilanz nicht negativ aus. Auch die Abnutzung von Vermögenswerten bleibe im Saldo ohne Beachtung. Die Folgen dieser kameralistischen Verbuchung sieht das IDW-Positionspapier kritisch. So ergeben Schätzungen, in denen staatliche Schulden und Vermögen gegenübergestellt werden, ein Reinvermögen von

künftige Zahlungsverpflichtungen der öffentlichen Hand außer Acht gelassen worden. So seien die Pensionsbelastungen in Höhe von fast 600 Milliarden Euro keineswegs – wie von Bund und Ländern bezeichnet – “implizite” Schulden, sondern ganz reale Schulden, die bereits wirtschaftlich verursacht wurden und zu Auszahlungen in der Zukunft führen werden. Beziehe man allein diese Schulden in die Berechnung ein, werde aus dem staatlichen Reinvermögen von fast 500 Milliarden Euro ein Fehlbetrag von fast 100 Milliarden Euro, rechnen die Analysten im Positionspapier vor. “Dieser ist voraussichtlich noch viel höher, denn wir wissen mangels entsprechender Rechenschaftslegung nicht, welche Verpflichtungen noch außen vor gelassen wurden”, mutmaßen die Analysten.

Energiewende und Klimawandel ausgeblendet Die Schuldenbremse könne daher nur eines von mehreren Kriterien einer guten Haushaltspolitik sein. Eine ausschließliche Betrachtung von Zahlungsströmen verhindere nicht, dass der Fiskus neue Verpflichtungen eingehe und die Schulden weiter wachsen. Vielmehr suggeriere die heutige Berechnung, das Geld sei da, und könne so Fehlanreize für politische Entscheidungen setzen. Als Folge würden notwendige Investitionen ausbleiben. Ergänzende Berechnungen, wie z. B. der Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, würden diese Lücke nicht ausfüllen. Dort liege der Fokus bewusst auf dem demografischen Wandel, während die Energiewende und der Klimawandel ausgeblendet werden. “Die Einführung der

Nachhaltigkeit des öffentlichen Haushalts und die “schwarze Null” ist ein erstrebenswertes Ziel”, sagt der IDW-Vorstandssprecher Professor Dr. KlausPeter Naumann. “Allerdings darf der eingeschränkte Aussagegehalt der Schuldenbremse nicht außer Acht gelassen werden. Um den Bundeshaushalt wirkungsvoll zu konsolidieren, bedarf es ergänzender Indikatoren und verschärfter Regelungen zur Ermittlung der Schuldenbremse.” Ohne eine Ausweitung der Grundlagen für politische Entscheidungen würden keine ausreichenden Mittel für Investitionen in Bildung, Verkehrsinfrastruktur, digitale Transformation und Energiewende vorhanden sein. Deutschland würde damit seinen Spitzenplatz in der Wirtschaft verlieren und seine Klimaschutzziele nicht erreichen, warnt das Institut.

Vorausschauende Haushaltspolitik Als ein Beispiel für eine vorausschauende Haushaltspolitik führt das Positionspapier einen Mechanismus auf, den der US-Bundesstaat Nevada eingerichtet hat, und der dazu führe, dass Straßen frühzeitig ausgebessert werden, solange nur die Fahrbahndecke beschädigt ist. Die Erfahrung habe gezeigt, dass vorher solche Instandhaltungsmaßnahmen unterblieben, bis sie unumgänglich waren. Die Ausbesserungen seien dann etwa fünfmal teurer gewesen, weil bereits die tieferliegenden Straßenschichten beschädigt waren. Im neuen Mechanismus würden Straßen zum kostenoptimalen Zeitpunkt ausgebessert. Hierdurch würden jährlich 42 Millionen US-Dollar eingespart.

NRW will 2018 die “schwarze Null” Landesetat erstmals seit 1973 ohne neue Schulden (BS/lkm) Bereits ab 2018 – und damit zwei Jahre früher als durch die Schuldenbremse eingefordert – soll der nordrhein-westfälische Landeshaushalt dauerhaft ohne neue Schulden auskommen. Die Vorgängerregierung hatte für 2018 noch eine Nettoneuverschuldung von 397 Millionen Euro vorgesehen. Ab 2020 sollen nun sogar Haushaltsüberschüsse möglich sein. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet betonte, dass Schulden ein Irrweg seien. “Landeshaushalte mit neuen Schulden und Zinszahlungen helfen den Banken, nicht jedoch unseren Bürgerinnen und Bürgern. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir heute die Grundlage für den ersten Landeshaushalt ohne geplante Neuverschuldung seit 1973 gelegt haben. Dies soll für die gesamte Legislaturperiode unser Prinzip sein.” NRW sende damit auch ein wichtiges Signal nach Berlin. “Wenn in Nordrhein-Westfalen ein ausgeglichener Haushalt möglich ist, dann sollte dies im Bund erst recht der Fall sein”, betonte Laschet. Nach der Billigung der Eckpunkte erfolge jetzt die detaillierte Ausarbeitung des Haushaltsplans für das kommende Jahr. Anfang November 2017 will das Kabinett den Etatentwurf beschließen, Mitte November soll dieser dann in den Landtag eingebracht werden. “Nach dem Reparaturhaushalt für 2017 folgt nun unser erster Gestaltungshaushalt”, betonte Nordrhein-Westfalens Finanzminister Lutz Lienenkämper. Bei der Etataufstellung für 2018

gelte der Dreiklang “Wir konsolidieren, modernisieren und investieren” als finanzpolitischer Leitsatz. Dabei seien die guten Steuereinnahmen und die jüngsten Konjunkturprognosen hilfreich, sagte Lienenkämper. “Wir erwarten auch für 2018 eine Fortsetzung dieses Trends. Dennoch: Die schwarze Null hätten wir ohne eigene Sparanstrengungen nicht erreichen können”, so Lienenkämper weiter. So will die Landesregierung im niedrigen dreistelligen Millionenbetrag sparen, um den nordrhein-westfälischen Haushalt wieder auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Nach einer intensiven Prüfung aller Landesausgaben in den vergangenen Monaten habe sich die Koalition darauf verständigt, beispielsweise bei Landesförderprogrammen zu sparen und die von den Ressorts nicht genutzten Gelder konsequent für die Haushaltskonsolidierung zu nutzen. Zugleich sollen gezielte Investitionen dabei helfen, “NordrheinWestfalen wieder zu einem Aufsteigerland zu machen”, so der Finanzminister. Seine Schwerpunkte bei den Ausgaben werde der neue Landesetat in den

Bereichen Bildung, Innere Sicherheit, Investitionen in den Breitbandausbau und Digitalisierung, Verkehr und Integration legen.

Nachtragshaushalt mit geringerer Verschuldung Wenige Tage zuvor hat die neue Landesregierung einen Nachtragshaushalt verabschiedet. Laut Lienenkämper repariere man damit viele Fehler der Vorgängerregierung und erreiche viele Verbesserungen. Mit dem Nachtragshaushalt erhöht sich das Gesamtvolumen des Haushalts 2017 von 72,7 Milliarden Euro auf 73,9 Milliarden Euro. Aufgrund einer überraschend guten Einnahmesituation konnte zudem die Nettoneuverschuldung für 2017 reduziert werden. Sie liegt nun 95,5 Millionen Euro unter dem von der Vorgängerregierung vorgesehenen Betrag. Im Einzelnen stellt NRW unter anderem zusätzliche 1,5 Millionen Euro für mehr Polizisten zur Verfügung, investiert drei Millionen Euro mehr in die Polizeiausstattung, schüttet 500 Millionen Euro an KindertagesstättenTräger und 45,3 Millionen Euro an Kommunen für die Zahlung des Unterhaltsvorschusses aus.

Sachsen könne auch weiterhin mit steigenden Steuereinnahmen rechnen. Die bereinigten Ausgaben folgen seit 2015 jedoch nicht mehr den bereinigten Einnahmen. Dies sei, schreiben die Prüfer in ihrem Bericht, Ausdruck eines strukturellen Haushaltsproblems. “Die weiterhin prognostizierten hohen Steuereinnahmen bis 2024 fördern Ausgabenwünsche und lassen die Notwendigkeit der strukturellen Anpassung des sächsischen Haushalts über den mittelfristigen Planungszeitraum hinaus vermissen”, bemängelte Binus. Die zunehmende Abhängigkeit des sächsischen Haushaltes von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung müsse daher bei der Prognose künftiger Einnahmen beachtet werden. Binus warnt davor, sich von den Rekordsteuereinnahmen über die Notwendigkeit einer Ausgabenanpassung hinwegtäuschen zu lassen: “Ein nachhaltig tragfähiger Haushalt muss nicht nur auf Einnahmeschwankungen durch Ausgabenanpassung, sondern auch auf unvorhergesehene Mehrausgaben reagieren können. Es bedarf langfristiger Planungen der Finanzen.”

Unzureichendes Konzept für den demografischen Wandel Der Rechnungshof prognostiziert, dass sich der demografische Wandel ab 2015 dämpfend auf das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung der Steuereinnahmen auswirken wird. Zudem müsse sich der Öffentliche Dienst auf einen Personalmangel einstellen. Binus warnt: “Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen gehören zu den größten Haushaltsrisiken des Freistaates Sachsen. Ein Konzept zum Umgang mit dem demografischen Wandel und den Auswirkungen auf die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen des Freistaates Sachsen gibt es bisher nicht in erforderlichem Maße, dabei sind die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Steuereinnahmen des Landes nicht unbeträchtlich.”

Planungsmängel beim Straßenbau In seinen Jahresbericht nahm der Rechnungshof auch die Infrastrukturplanungen des Freistaates in den Blick. Die Prüfer

Der Rechnungshof kritisierte Planungsmängel beim Straßenbau und Förderdurcheinander beim ÖPNV. Foto: BS/Peter von Bechen, pixelio.de

kommen hier zu dem Schluss, dass beim Um- und Ausbau von Staatsstraßen Ausgaben in Höhe von rund 230.000 Euro hätten vermieden werden können. Bei der baufachlichen Prüfung von drei Staatsstraßenbaumaßnahmen seien teils gleich gelagerte Planungsmängel aufgetreten. Mengenansätze seien unzutreffend gewesen, Ausschreibungsunterlagen widersprüchlich. Man habe technische Lösungen gewählt, die sich nicht am Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit orientiert hätten. In einem Fall sei es zu Mehrkosten von mindestens 155.000 Euro gekommen, weil der Planer eine zu hohe Bauklasse festgesetzt habe. Bei der Prüfung und Wertung von Angeboten habe man zudem überhöhte oder untersetzte Einheitspreise nicht immer umfassend aufgeklärt. Auch bei der Prüfung von Nachtrags- oder Nebenangeboten sei die Preisbildung nicht konsequent hinterfragt worden. Nachtragsleistungen und -preise seien teils falschen Vergleichspositionen des Leistungsverzeichnisses zugeordnet gewesen. In einem Fall führte dies den Prüfern zufolge zu Mehrausgaben von rund 38.000 Euro. “Das Landesamt für Straßenbau und Verkehr, Niederlassung Leipzig, muss die Qualität der Planungsunterlagen sowie die baufachliche Prüfung der Bieterangebote verbessern”, mahnten die Prüfer.

Parallele Finanzierung des ÖPNV Auch bei der Finanzierung von ÖPNV-Businfrastrukturen kritisierten die Prüfer die Vorgehensweise des Landesamts für Straßenbau und Verkehr (LASuV). So fördere das Landesamt Ausgaben, die auch durch die Zweckverbände Öf-

fentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) bezuschusst würden. Die Finanzierung erfolge damit parallel und unabhängig voneinander. Zudem existierten unterschiedliche Anforderungen an die Finanzierungsfähigkeit von Vorhaben. In Sachsen wurden Planung, Organisation und Ausgestaltung des ÖPNV den Landkreisen, kreisfreien Städten und Gemeinden übertragen. Neben dem staatlichen Bewilligungsverfahren existiert ein weiteres Finanzierungsverfahren seitens der Zweckverbände ÖPNV. Durch die zweierlei Finanzierungsverfahren existieren unterschiedliche Definitionen über die Finanzierungsfähigkeit einzelner Ausgaben. Zudem werden von der jeweiligen bewilligenden Stelle unterschiedliche Maßstäbe in Bezug auf die Finanzierungshöhe gesetzt. “Aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensweise können Förderentscheidungen des LASuV unterlaufen werden”, warnen die Rechnungsprüfer. Beispielsweise sei durch das momentan gehandhabte Verfahren beim Busbahnhof in Oschatz eine Vollfinanzierung durch Zuwendungen des LASuV und des Zweckverbandes ZVNL möglich gewesen. “Erfahrungsgemäß führen derartige Vollfinanzierungen dazu, dass der Zuwendungsempfänger einen geringen Anreiz hat, kostengünstigere Alternativen zu prüfen” merkt der Jahresbericht an. Der Sächsische Rechnungshof empfiehlt daher, dass sich das Landesamt und die Zweckverbände bei der Finanzierung in Zukunft abstimmen sollten. Sollte dies nicht möglich sein, sollte die Finanzierung von ÖPNV-Businfrastrukturen künftig ausschließlich bei den Zweckverbänden ÖPNV angesiedelt werden.

MELDUNGEN

Finanzkontrolle mit KONSENS (BS/lkm) Die Präsidenten der Rechnungshöfe unterzeichneten auf ihrer Herbstkonferenz im Oktober in Thüringen eine Prüfungsvereinbarung über die Durchführung der Finanzkontrolle mit KONSENS. Mit der Prüfungsvereinbarung können nun länderübergreifend prüfungsbezogene Unterlagen und sonstige

Informationen von sämtlichen am Gesamtvorhaben KONSENS beteiligten Stellen angefordert werden. Die Prüfungsrechte der Rechnungshöfe sind damit nicht mehr auf die Aktivitäten der Verwaltung des jeweiligen Landes bzw. des Bundes beschränkt. KONSENS ist ein Verwaltungsabkommen von Bund und

Ländern über eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Informationstechnik für die Besteuerungsverfahren. Für die Entwicklung und Pflege des IT-Vorhabens wurde den Rechnungshöfen zufolge seit 2007 nahezu eine Milliarde Euro aufgewendet. Alle Länder und der Bund tragen die Finanzierung.

Öffentliches Finanzvermögen gewachsen (BS/lkm) Das Finanzvermögen des öffentlichen Gesamthaushalts beim nicht-öffentlichen Bereich belief sich zum Jahresende 2016 auf 574,1 Milliarden Euro. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, hat sich das Finanzvermögen damit ge-

genüber dem Vorjahr um 3,5 Prozent beziehungsweise 19,3 Milliarden Euro erhöht. Das Finanzvermögen umfasst Bargeld und Einlagen, sonstige Forderungen sowie Wertpapiere und Ausleihungen an den nicht-öffentlichen Bereich. Das Finanzvermögen des Bun-

des verringerte sich entgegen dem Gesamttrend leicht um 0,2 Prozent. Die Länder konnten dagegen ein Plus von zwei Prozent verzeichnen, die Kommunen ein Plus von 10,2 Prozent. Bei der Sozialversicherung gab es einen Zuwachs des Finanzvermögens um 7,5 Prozent.


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / November 2017

I

n Deutschland kaufen Bund, Länder und Kommunen jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 385 Mrd. Euro von privaten Unternehmen. Ihre Einkäufer verantworten damit ein Volumen von über 14 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes und tragen damit, gerade in Zeiten allgegenwärtiger Bemühungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, eine große Verantwortung für die öffentlichen Haushalte. Kurzfristige Einsparungen, nur alleine bezogen auf den Einkaufspreis, sollten hier nicht das Ziel sein. Wer ein billiges Produkt kauft, muss dieses unter Umständen wegen schlechter Qualität früher ersetzen, unterdessen kann ein teureres Produkt, etwa ein Elektrofahrzeug, deutlich niedrigere Betriebskosten nach sich ziehen. Ein bezogen auf den Einkaufspreis “billiges” Produkt muss daher nicht auch “wirtschaftlich” sein. Neben diesen monetären Überlegungen stellen auch Bürger und Politik zu Recht höhere Anforderungen an die gekauften Leistungen: Die Pflastersteine des Marktplatzes etwa sollen nicht in Steinbrüchen mit Kinderarbeit gewonnen werden, die Fahrzeugflotte der Behörden sollen ihren Beitrag zum CO2Reduktionsziel leisten.

Definitionsversuch zwischen Sparen und Beschaffen Vor dem Hintergrund, dass die Verfassung des Landes Hessen aufgrund eines Volksentscheides aus dem Jahr 2011 um die Schuldenbremse erweitert wurde, gilt ab dem Jahr 2020 für das Land Hessen ein Neuverschuldungsverbot. Bereits seit 2016 kommt das Land ohne neue Schulden aus. So ein Erfolg fällt trotz steigender Steuereinnahmen nicht vom Himmel. Auch Einsparbemühungen beim Einkauf gehören dazu. Diese Einsparungen beziehen sich zum einen auf den Einkaufsprozess als solchen: Die internen Prozesse sollen schlanker werden. Dazu gehört aber auch die Frage, welche Kriterien an einzu-

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300 Jahre nachhaltiges Wirtschaften Was öffentliche Haushalte und Beschaffung von der Forstwirtschaft lernen können (BS/Dr. Thomas Schäfer/Prof. Dr. Michael Eßig) Hessen ist das waldreichste Bundesland. Warum uns das im Haushalt und beim Einkauf von Gütern für das Land hilft? Weil es von der Forstwirtschaft viel zu lernen gibt. Das haben wir getan. kaufende Güter und Dienstleistungen angelegt werden sollen. In diesem Spannungsverhältnis hat das Land Hessen es sich zum Ziel gesetzt, allgemein abstrakt, aber auch für bestimmte Produktgruppen konkret, Wirtschaftlichkeit nachhaltig und umgekehrt Nachhaltigkeit wirtschaftlich zu definieren. Nach diesem Verständnis sollten beide Begriffe keinen Widerspruch bilden, sondern sie gehören zusammen.

Langfristigkeitsprinzip Vorbild sind hierbei die Grundsätze der vor dreihundert Jahren (1713) von Carl von Carlowitz in seinem Werk “Sylvicultura oeconomica” formulierten Prinzipen der Forstwirtschaft. Bereits der Titel verbindet Wirtschaften mit langfristigem Denken. Forstwirte bewirtschaften den Wald sehr wohl nach ökonomischen Prinzipien – und vernachlässigen dabei in keinem Fall ökologische Kriterien. Abholzen geht deutlich schneller als (Wieder-)Aufforsten, daher ist es bei der Waldbewirtschaftung Ziel, in Generationen zu denken. Finanzpolitik tut gut daran, sich dieses Prinzip zu vergegenwärtigen und sich daran zu orientieren: Gerade weil öffentliche Haushalte der Jährlichkeit unterliegen und von den Parlamenten verabschiedet werden müssen, dürfen situativ charmante, weil kurzfristig billige, Lösungen nicht zukünftige Haushaltsjahre überproportional belasten. Entscheidend ist dabei die Wirtschaftlichkeit, welcher im hessischen Finanzund Haushaltswesen schon durch die Einführung der kaufmännisch orientierten Doppik Rechnung getragen wurde. Das Land Hessen versucht, im Rahmen seiner Beschaffung genau dieses Prinzip der Lang-

ist damit zuvor genannte AusHessens Finanzminister Dr. richtung immer Thomas Schäfer ist Finanzminister in Hessen, mitzudenken. Welche Vorgaben dann nach der Bedarfsbestimmung im Rahmen des konkreten Vergabeverfahrens gefordert werden können, ist ebenfalls ausdrückProf. Dr. Michael Eßig leitet das Forschungszentrum lich geregelt. für Recht und Management Um gerade bei öffentlicher Beschaffung diesen rechtlich (FoRMöB) an der Universiund tatsächlich tät der Bundeswehr Münanspruchsvollen chen. Fragestellungen die Mitarbeiter Fotos: BS/HdF und Bw Uni München zu unterstützen, werden entsprefristigkeit anzuwenden und lei- chende Arbeitshilfen zur Verfütet seine Beschaffungsstrategie gung gestellt. unmittelbar aus der NachhaltigGrundsätzlich dient die öfkeitsstrategie Hessen ab. Nach fentliche Beschaffung der wirtdem Verständnis von Generati- schaftlichen Bedarfsdeckung. onengerechtigkeit sollen dabei Wirtschaftlichkeit ist damit im ökologische, ökonomische und Prinzip als das zentrale Versoziale Nachhaltigkeit berück- gabekriterium anzusehen. Im sichtigt und jeweils sachgerecht Hessischen Vergabe- und Tagewichtet werden. Die Landes- riftreuegesetz heißt es: “Der Zuverwaltung Hessen hat sich schlag darf nur auf das unter frühzeitig zu einer entsprechen- Berücksichtigung aller Umständen Ausrichtung ihrer Beschaf- de wirtschaftlichste Angebot erfung auf nachhaltige Produkte teilt werden. Der niedrigste Preis und Dienstleistungen bekannt. allein ist nicht entscheidend.” Dabei sind neben dem (AnschafZentrales Kriterium fungs-)Preis noch weitere, mit Wirtschaftlichkeit dem Auftragsgegenstand verDiese Entscheidung findet bundene Wertungskriterien wie ihren Niederschlag z. B. im die Nachhaltigkeit, qualitative Hessischen Vergabe- und Ta- Eigenschaften, Umwelteigenriftreuegesetz, wonach bei al- schaften Betriebskosten oder len Beschaffungen des Landes Lebenszykluskosten zu berückdie Aspekte einer nachhalti- sichtigen. Wirtschaftlichkeit ist gen Entwicklung in Bezug auf damit dominierendes Ziel beim den Beschaffungsgegenstand Einkauf – und das ganz im Sinund dessen Auswirkungen auf ne des forstwirtschaftlichen das ökologische, soziale und Modells unter Berücksichtiwirtschaftliche Gefüge zu be- gung ökologisch-langfristiger rücksichtigen sind. Bereits im Kriterien. Eine “nachhaltige WirtschaftRahmen der Bedarfserhebung

lichkeit” bezeichnen wir als Verhältnis aus bewerteter Leistung zu anfallenden Gesamtkosten. Dabei sind im Rahmen der Leistung neben technischen Zielen die drei Säulen der Nachhaltigkeit (Wirtschaft, Umwelt und Soziales) und bei den anfallenden Gesamtkosten Anschaffung, Betrieb und Entsorgung als wesentliche Bestandteile des Lebenszykluskostenansatzes zu erfassen. Natürlich stellt sich die Frage, wie das Verständnis einer “echten” und damit nachhaltigen Wirtschaftlichkeit konkret bei Beschaffungsentscheidungen verankert werden kann. Am Beispiel eines Pkws ist das Ziel einer “echten” Wirtschaftlichkeitsentscheidung nicht – wie oben skizziert –, das Fahrzeug mit dem niedrigsten Anschaffungspreis zu kaufen, sondern den Zuschlag für das Fahrzeug zu erteilen, das über seine gesamte Nutzungsdauer am wirtschaftlichsten und nachhaltigsten betrieben werden kann. Niedrigere Energiekosten etwa aufgrund besserer Verbrauchsdaten können höhere Anschaffungspreise überkompensieren. Dynamische Wirtschaftlichkeitsmodelle wie die Lebenszykluskostenrechnung tragen dazu bei, dies vergaberechtskonform nachzuweisen. Die letzte europäisch initiierte Vergaberechtsreform auf Bundesebene sieht explizit den Einsatz von Lebenszykluskosten beim Zuschlag vor. Demzufolge dürfen Anschaffungs-,

Nutzungs- bzw. Betriebs- sowie Entsorgungskosten bei der Vergabeentscheidung berücksichtigt werden. Selbst externe Kosten der Umweltbelastung können beim Zuschlag miteinbezogen werden.

Methodenkompetenz für Beschaffer Damit gelingt es, strategische Ziele wie die Beschaffung ökologischer Produkte und Dienstleistungen wirtschaftlich im öffentlichen Einkauf abzubilden und Wirtschaftlichkeitsberechnungen nach modernen, betriebswirtschaftlichen Maßstäben durchzuführen. Dennoch sind die Anforderungen hoch, die an die Lebenszykluskostenrechnung gestellt werden. So muss die Methode den Bietern bekannt gemacht werden, darf nicht diskriminierend und nicht zu aufwendig sein. Damit einher geht die valide Bestimmung der zukünftigen Nutzungskosten, was den Vergabestellen sowohl kaufmännisches als auch technisches Verständnis abverlangt. Folglich erfährt das Profil des öffentlichen Einkäufers eine maßgebliche Erweiterung um eine betriebswirtschaftliche Methodenkompetenz. Darüber hinaus erfordert die Verankerung eines strategisch-wirtschaftlichen öffentlichen Einkaufs, dass Vergabestellen für sich eigene Beschaffungsstrategien entwickeln und künftig vermehrt strategische Initiativen in ihre Aufgaben einbeziehen. Letztlich muss der öffentliche Einkauf einen Beitrag zu den strategischen Organisationszielen leisten, wie das der Forstwirt bei der Bewirtschaftung des Waldes schon vor 300 Jahren getan hat. Hessen als waldreichstes Bundesland hat dabei eine gewisse Tradition – und den Blick nach vorne gerichtet.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

Wirksamkeit von Investitionen verbessern Neue EU-Initiative nimmt öffentliche Auftragsvergabe ins Visier (BS/jf) Die EU-Vergaberichtlinien sind doch erst vor Kurzem in nationales Recht umgesetzt worden, könnte man meinen, da naht aus Brüssel schon das nächste Projekt: Um den Binnenmarkt weiter zu stärken und mehr Anreize für Investitionen in der EU zu schaffen, ist eine Initiative ins Leben gerufen worden, mit der die Auftragsvergabe effizienter und nachhaltiger gestaltet werden soll. Vier Aspekte stehen im Mittelpunkt der Initiative von Jyrki Katainen, Vizepräsident und Kommissar für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Kommission, und Elżbieta Bieńkowska, Kommissarin für den Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU): • Identifizierung von Schwerpunktbereichen für die Verbesserung, • freiwillige Ex-ante-Bewertung großer Infrastrukturvorhaben, • Empfehlung zur Professionalisierung öffentlicher Käufer, • Konsultation zur Förderung von Innovationen durch die öffentliche Auftragsvergabe. So sollen öffentliche Auftraggeber in den Mitgliedsstaaten einen strategischen Ansatz für die Vergabepraxis entwickeln. Dieser soll nicht nur die systematische Einbeziehung innovativer, ökologischer und sozialer Kriterien umfassen, sondern auch den Zugang von KMU aus anderen EU-Mitgliedsstaaten sowie in Drittländer verbessern. Außerdem könne die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern in der EU verbessert werden. Des Weite-

ren sind die Datenqualität der öffentlichen Auftragsvergabe zu optimieren und die Verfahren zu digitalisieren.

Informationsdienst für Infrastrukturvorhaben Während diese Punkte den allgemeinen Zielen der Vergaberechtsmodernisierung entsprechen, ist der zweite Aspekt eine echte Neuerrung: “Die Kommission wird einen Informationsdienst für die Beantwortung spezifischer Fragen in einem frühen Stadium großer Infrastrukturmaßnahmen einrichten, die Projekte mit einem geschätzten Auftragswert von mehr als 250 Mio. Euro betreffen. Bei Projekten, die für den betreffenden Mitgliedsstaat von großer Bedeutung sind oder deren geschätzter Gesamtwert 500 Mio. Euro überschreitet, können die zuständigen Behörden die Kommission zudem ersuchen, den gesamten Vergabeplan auf seine Vereinbarkeit mit den EU-Vergabevorschriften hin zu überprüfen”, führen die beiden Kommissare weiter aus. Auf diese Weise könnten Unsicherheiten und das Risiko von Verzögerungen und rechtlichen Problemen erheblich verringert werden. Die Nutzung des Diens-

tes ist freiwillig, die Empfehlungen der Kommission sind nicht verbindlich und die Informationen werden streng vertraulich behandelt. Der dritte Aspekt widmet sich dem Personal im Öffentlichen Dienst. Einkäufer benötigen unternehmerische Fähigkeiten, technisches Wissen und das Verständnis über Abläufe, um einerseits rechtssichere Verfahren durchzuführen, andererseits für das Geld der Steuerzahler die besten Waren und Dienstleistungen zu beschaffen.

Dafür sind sie zu schulen und der gesamte Einkauf zu professionalisieren.

Potenziale ausschöpfen Und schlussendlich startet die Kommission einen neuen Konsultationsprozess zur Förderung von Innovationen durch die öffentliche Auftragsvergabe. Ihre Ergebnisse sollen in künftige Leitlinien für Behörden einfließen. “Wir wollen das volle Potenzial der öffentlichen Auftragsvergabe ausschöpfen”, sagt Katainen.

→ Save the Date

Hamburger Vergabetag 2018 25.–26. Januar, Handelskammer Hamburg Der Hamburger Vergabetag ist der Treffpunkt für öffentliche Einkäufer, Vergaberechtler und -berater sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verbänden. → Online-Anmeldung unter www.hamburger-vergabetag.de


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 10

Nur im Verhandlungsverfahren

► Entscheidungen zum Vergaberecht ► DUMPING

► JURY

Preisverhandlungen bei öffentlichen Aufträgen

► VORABINFORMATION

Preiswerte Planung

Size matters

Zu spät

Trotz Nullleistung zu werten

Geschrumpfte Bewertungskommission

Vom Zuschlag überholt

Für sein Konzept für die Erbringung des Planungsauftrages für den Ausbau des Glasfasernetzes hatte ein Bieter in zwei wichtigen Unterkriterien null Punkte erhalten. Zudem hat dieser Bieter für die HOAILeistungsphasen acht und neun extrem niedrige Preise kalkuliert. Ein Konkurrent erfuhr dies im Nachprüfungsverfahren, weil diese Preise in den Unterlagen trotz Schwärzung noch erkennbar waren. Beides zusammen führt den Konkurrenten zu der Auffassung, dass hier ein Angebot vorliege, das nur deswegen so günstig sei, weil es bewusst mit unzureichender Leistung kalkuliert sei. Es sei daher auszuschließen. Dieses Ansinnen bleibt trotzdem erfolglos. Denn allein die Null-Punkte-Wertung führt nicht zum Ausschluss, weil die bewussten Unterkriterien nicht ausdrücklich mit einer Mindestpunktzahl unterlegt waren. Die extrem niedrigen Preise in Teilen der Kalkulation bedürften auch keiner weiteren Prüfung, weil der Gesamtpreis des Angebotes keinen so großen Abstand zum nächsten Angebot hatte, dass eine Preisaufklärung zwingend gewesen wäre. Woraus wieder einmal zu erkennen ist, dass Auftraggeber gut beraten sind, essenzielle Leistungsbestandteile als KO.-Kriterien zu definieren, um der Gefahr zu entgehen, einen Zuschlag auf Abmagerungsangebote erteilen zu müssen. VK Lüneburg

Manche Entscheidungen der Nachprüfungsorgane stoßen richtungsweisende Überlegungen an, die beachtenswert sind, auch wenn die Entscheidung selbst noch keinen Bestand hat. So denkt die VK Bund darüber nach, welche Folgen es wohl hat, wenn der Auftraggeber für die Bewertung einer Leistung in den Vergabeunterlagen eine mindestens 15-köpfige Jury garantiert, die tatsächliche Beurteilung dann aber von lediglich sechs Personen vorgenommen wird. Konkret ging es um die Anwendererprobung von Schutzausrüstung für Sicherheitskräfte, z. B. die Körperpassform betreffend, die schließlich je nach Körperbau des eingesetzten Beamten sehr unterschiedlich ausfallen kann. Die zu kleine Jury hatte die Vergabekammer im Rahmen eines aus anderen Gründen geführten Nachprüfungsverfahrens von Amts wegen aufgegriffen. Sie konstatiert, dass also mindestens neun weitere Tester die Erprobung hätten vornehmen müssen. Wie deren Urteil ausgefallen wäre, lässt sich nicht ermitteln. Damit bleibt auch das Gesamtergebnis der Teststellung unklar. Ein solches Abweichen von der bekannt gegebenen Mindestgröße der Jury verletzt diesen Überlegungen zufolge die Rechte der Bieter, weil die Bieterreihenfolge sonst durchaus anders hätte ausfallen können.

(Beschl. v. 02.05.2017, Az: VgK-08/2017)

► FRISTEN

Nur nicht hetzen

Am 02.12. erhält der Bieter eine Vorabinformation. Am 05.12. rügt er die Wertungsentscheidung. Am 9.12. werden alle Rügen vom Auftraggeber zurückgewiesen. Am 12.12. reicht der Bieter am Vormittag einen Nachprüfungsantrag ein, am Mittag geht bei der Vergabekammer eine Schutzschrift des Auftraggebers ein. Beides wird von der Kammer geprüft, die am 13.12. vormittags die Zustellung an den Auftraggeber verfügt. Der hatte aber bereits um 8.40 Uhr morgens den Zuschlag erteilt. Der Bieter bemängelt nun zusätzlich, dass auch die Vorabinformation, die den 13.12. als frühest möglichen Zuschlagstermin genannt hatte, formal unwirksam gewesen sei und erhofft sich so noch einen Zugang zum Nachprüfungsverfahren. Das Informationsschreiben habe nicht alle erforderlichen Elemente enthalten. So habe z. B. die Mitteilung gefehlt, welchen Rang sein Angebot eingenommen habe. Die Vergabekammer weist diesen Nachprüfungsantrag zurück. Er sei durch den Zuschlag erledigt. Die Vorabinformation sei kein Selbstzweck. Sie solle den Betroffenen in die Lage versetzen, die Wertungsentscheidung zu überprüfen. Wenn aber der Bieter aufgrund des Informationsschreibens eine umfangreiche Rüge abgeben konnte, habe die Information ihren Zweck zur Sicherstellung des Rechtsschutzes erfüllt. Sie kann dann nicht ungenügend gewesen sein.

VK Bund

VK Berlin

(Beschl. v. 06.04.2017, Az: VK 1-17/17)

(Beschl. v. 03.02.2017, Az: VK B 2-40/16)

► GARANTIE

► KURIERDIENST

Herstellerangabe nötig

Rechtzeitig absenden

Für die Dienstleistungsvergabe hatte der Auftraggeber in der Bekanntmachung bestimmt, dass die Bieter gegebenfalls auf Anforderung Nachweise innerhalb vor vier Arbeitstagen einreichen müssten. An einem Freitag setzte der Auftraggeber einem Bieter die Nachreichungsfrist bis zum darauffolgenden Mittwoch. Der Bieter reichte Unterlagen nach, die dem Auftraggeber aber nicht ausreichend erschienen. Dies teilte er am Donnerstagvormittag mit. Darauf reichte der Bieter noch am Donnerstagnachmittag weitere Unterlagen ein. Er sollte den Zuschlag erhalten. Ein Konkurrent beantragte die Nachprüfung und forderte, dieses Angebot auszuschließen, weil eine zweite Nachforderung nicht zulässig gewesen sei. Das OLG hält die zweite Nachreichung für zulässig. Denn die in der Bekanntmachung gesetzte Vier-Tages-Frist lief erst am Donnerstag ab. Insofern war auch die zweite Nachreichung noch in der Frist. Bei der Berechnung ist der Senat davon ausgegangen, dass der Samstag im Sinne der Fristsetzung kein “Arbeitstag” ist. Ungeprüft blieb die Frage, ob der Auftraggeber vor Fristende den Hinweis auf die immer noch unzureichende Nachreichung geben durfte. Denn auch die zweite Nachreichung hielt das OLG für unzureichend, was allein schon den Ausschluss erforderlich machte.

Angebotsprüfung ermöglichen

Mögliche Autopannen einplanen

Um große Mengen Daten zu speichern, werden auch heute noch Magnetbänder eingesetzt. Um eine solche “Tape-Library” nutzen zu können, werden auch entsprechende Mengen an Bandlaufwerken benötigt. Diese zu erneuern war Gegenstand des Auftrages, den die Vergabekammer Westfalen zu beurteilen hatte. Der Auftraggeber verlangte unter anderem, dass der Hersteller der Geräte eine zehnjährige Garantie auf die Laufwerke geben müsse. Allerdings hatte er nicht ausdrücklich in den Vergabeunterlagen gefordert, dass der Hersteller zu benennen sei. So hatte ein Bieter wohl einen passenden Hersteller für die anzubietenden Geräte ausgesucht, ihn aber nicht namhaft gemacht. Der Auftraggeber schloss dieses Angebot wegen Unvollständigkeit aus, was in der Nachprüfung bestätigt wurde. Es sei unerheblich, dass die Benennung des Herstellers nicht ausdrücklich gefordert wurde. Aus der Gesamtschau der Vergabeunterlagen sei nämlich zweifelsfrei erkennbar gewesen, dass die Herstellerbenennung unumgänglich sei, um das Angebot zu prüfen. Der Name des Herstellers sei elementarer Bestandteil des mit dem Bieter zu schließenden Vertrages, weil daran die vorausgesetzte Garantieerklärung festgemacht werden müsse.

Für das Angebot einer Dienstleistung, die die Einbindung ausländischer Partner erforderte, musste der in Berlin ansässige Konsortialführer auf Originaldokumente aus dem Ausland warten. Diese trafen erst am Tag vor Angebotsschluss ein. So wurde das Angebot sehr spät vervollständigt und am Abend vor dem Schlusstermin um 21.30 Uhr einem Kurierdienst übergeben. Der hatte als Zustellungszeitpunkt beim Auftraggeber in Bonn den nächsten Morgen zwischen 8 und 9 Uhr avisiert. Die Frist endete um 10 Uhr. Auf dem Weg nach Bonn erlitt das Kurierfahrzeug einen Motorschaden, was den Transport durch Behebung der Panne verzögerte. Das Angebot traf erst um 10.18 Uhr in Bonn ein und wurde ausgeschlossen. Dagegen wehrt sich der Bieter: Weder er noch sein Kurier habe die Verspätung zu vertreten. Eine Motorpanne sei ein unvorhersehbarer Zufall. Damit bleibt er erfolglos. Denn die Vergabekammer sieht die Ursache nicht in der Panne, sondern in der extrem späten Absendung des Angebotes. Bieter und Kurier müssten bei einem Transport immer mit Unwägbarkeiten rechnen.

OLG Dresden

(Beschl. v. 09.06.2017, Az: VK 1-12/17)

Bekanntmachung maßgeblich

(Beschl. v. 27.05.2016, Az: Verg 2/16)

Behörden Spiegel / November 2017

VK Westfalen

VK Bund (Beschl. v. 15.08.2017, Az: VK 2-84/17)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄

(BS/Dr. Martin Schellenberg) Preisverhandlungen bei öffentlichen Aufträgen sind in der Praxis sehr selten. Selbst bei Verhandlungsverfahren fordern Vergabestellen aktiv meistens keine Preisreduktion ein. Weit verbreitet ist die Unsicherheit darüber, ob dies überhaupt zulässig ist und falls ja, wie konkret Preisverhandlungen geführt werden. Mangels entsprechender Expertise und Schulung sind die Vertreter des öffentlichen Auftraggebers gegenüber professionell geschulten Vertriebsmitarbeitern nicht selten unterlegen. In der Privatwirtschaft sind dagegen Preisverhandlungen im Einkauf fester Bestandteil des Beschaffungsprozesses. Preisverhandlungen werden zum einen in der Phase der Leistungsspezifikationen genutzt. Hier geht es darum, durch einen Abgleich des gegenseitigen Verständnisses über den Leistungsinhalt Optimierungspotenziale zu erkennen, die sich sowohl auf Leistungs- als auch auf Preisseite auswirken können. Professionelle Einkäufer in der Privatwirtschaft nutzen das Instrument der Preisverhandlung jedoch auch, um den Bieter möglichst nahe an die “Schmerzgrenze” seiner Kalkulation zu bringen. Im Anwendungsbereich des öffentlichen Vergaberechts wird gegen Preisverhandlungen oft eingewandt, dass diese zum einen vergaberechtlich kaum zulässig und zum anderen weniger effizient als beispielsweise das offene Verfahren seien.

Bei konzeptionellen oder innovativen Lösungen Richtig hieran ist, dass Preisverhandlungen nur im Verhandlungsverfahren zulässig sind. Dieses ist jedoch auch nach neuem Vergaberecht für klassische Auftraggeber kein Regelverfahren. Allerdings sind die Anwendungsvoraussetzungen für das Verhandlungsverfahren mit der Reform vom 18.04.2016 erheblich erweitert worden. So kann beispielsweise das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb gewählt werden, wenn der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst (§ 14 Abs. 3 Nr. 2 VgV). Diese Regelung eröffnet der Vergabestelle bei komplexen Leistungen einen weitreichenden Freiraum für die Wahl des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb. Immer dann, wenn die gewünschte Leistung mit einem konzeptionellen, innovativen Planungsvorgang verbunden ist, darf dieses Verfahren gewählt werden. Dies wird jedenfalls immer dann der Fall sein, wenn sich der Auftraggeber für die Vergabe von Generalunternehmerleistungen mit Pauschalfestpreis entscheidet. In diesem Fall müssen die Bieter schon im Vergabeverfahren eigene Planungsleistungen erbringen, die im herkömmlichen Verfahren vor Beginn der Ausschreibung durch den Auftraggeber erbracht worden wären. Dies gilt unabhängig davon, ob der Auftragsgegenstand einen Schulbau betrifft oder ob ein komplexes Dienstleistungspaket beispielsweise im IT-Bereich zu realisieren ist. Ebenfalls anwendbar ist das Verhandlungsverfahren, wenn die Erstellung eines Konzepts Gegenstand des Auftrages ist. Muss der Auftragnehmer beispielsweise vor der eigentlichen Realisierung dem Auftraggeber eine Umsetzung des Konzepts vorlegen, so kann der Auftrag im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben werden.

Nachlässe nachfragen ist erlaubt Weiter unsicher ist die Praxis sich darüber, in welchem Umfang Preisverhandlungen im Verhandlungsverfahren zulässig sind. Die Rechtsprechung sieht hier eine Grenze lediglich dann, wenn einzelne Bieter gezielt preislich gegen ande-

Dr. Martin Schellenberg ist Partner der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Foto: BS/privat

re Bieter ausgespielt werden. Selbstverständlich ist es nicht zulässig, Preise einzelner Bieter anderen Bietern zur Kenntnis zu bringen und sie auf diesem Wege dazu zu veranlassen, den eigenen Preis zu reduzieren. Durchaus zulässig ist es dagegen, Bieter nach Preisnachlässen zu fragen. Auch spricht nichts dagegen, die Preisstruktur eines Bieters zu analysieren und ihm auf dieser Basis preisliche “Optimierungspotenziale“ aufzuzeigen. Das Gegenargument, wirksamer als Preisverhandlungen sei ein unbeschränkter Wettbewerb durch Veröffentlichung des Auftrages, greift nur bedingt. Bei Standardprodukten hat das offene Verfahren sicherlich seine Berechtigung. Sobald die Leistung jedoch komplexer und erklärungsbedürftiger wird, erscheint es sinnvoll, Verhandlungen über Leistungen und den Preis zu führen. Voraussetzung dafür ist sicherlich eine gewisse Mindestgröße des Auftrages. Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb sind aufwendig und daher nur bei komplexen und großvolumigen Beschaffungen sinnvoll. Dort allerdings können sie zu einer erheblichen Verbesserung der Wirtschaftlichkeit führen. Fünf Prozent Preisnachlass lassen sich durch geschickte Verhandlungen in der Regel ohne Weiteres erreichen. Häufig sind auch höhere Nachlässe durchsetzbar. Gerade bei IT-Unternehmen,

die Lizenzen vertreiben, haben die Bieter einen ganz erheblichen Spielraum bei der Bepreisung ihrer Leistungen.

Erhebliches Einsparpotenzial

Gesamtwirtschaftlich hätte eine verstärkte Nutzung des Verhandlungsverfahrens mit Preisverhandlungen durchaus erhebliche Auswirkungen. Geht man davon aus, dass circa 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch öffentliche Aufträge realisiert werden, so ergibt sich hieraus bei einem Bruttoinlandsprodukt 2016 von 3133,9 Mrd. Euro ein Volumen für öffentliche Beschaffungen von rund 530 Mrd. Euro. Wenn von diesem Volumen zehn Prozent in Verhandlungsverfahren vergeben werden, so entspräche dies einem Volumen von etwa 53 Mrd. Euro. Lassen sich durch effiziente Preisverhandlungen dabei auch nur fünf Prozent sparen, so ergäbe dies einen Betrag von 2,65 Mrd. Euro. Zum Vergleich: die gesamten Ausgaben für den Deutschen Bundestag betrugen im Haushaltsjahr 2016 870 Mio. Euro. Das ist jedoch nur knapp ein Drittel des durch Preisverhandlungen einsparbaren Betrages.

Mehr zum Thema Der Autor thematisiert die Preisverhandlungen in einem Seminar des Behörden Spiegel. Es findet am 17. Januar 2018 in Hamburg statt. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Preisverhandlungen”.

qanuun-aktuell Schweigen ist Gold – oder auch nicht... von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Mit dem Bau und Verkauf von Flugzeugen oder Automobilen lassen sich beachtliche Summen umsetzen und seitens der Unternehmensführungen dementsprechend verdienen. Da, wo viel Geld bewegt werden kann, werden die Vertragsabschlüsse gerne kreativ und flexibel begleitet. Aktuell bewegen zwei Nachrichten der internationalen Wirtschaft die Gemüter und man darf auf die Ermittlungsergebnisse gespannt sein. Bei Airbus soll dem früheren Leiter der Vertriebsabteilung, Jean-Paul Gut, der Abschied vom Unternehmen 2007 mit insgesamt 80 Mio. Euro erleichtert worden sein. Hintergrund seines Ausscheidens soll seine teilweise sehr kreative Art der Vertragsanbahnung gewesen sein, die Airbus zwar stolze Umsätze, beim genauen Bekanntwerden aller Umstände aber wohl auch die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden beschert hätte. Insoweit wird gemutmaßt, Guts Abfindung könne wohl eher ein üppiges Schweige- als denn eine Trennungsgeld sein. Demgegenüber geht es im im Falle des vermeintlichen Kartells zwischen den größten

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

deutschen Automobilherstellern genau um das Gegenteil, nämlich um das Brechen des Schweigens gegenüber den EU-Wettbewerbsbehörden. So wurde ruchbar, dass Mercedes und Volkswagen nacheinander ihre Beteiligung an Kartellverstößen gegenüber diesen eingeräumt haben sollen, um sich eine Bußgeldimmunität zu sichern. BMW könnte in diesem Fall das Nachsehen haben. Interessant ist dabei allerdings, dass jene Person, die bei Mercedes und VW das Reden gegenüber den Wettbewerbshütern initiiert haben soll, von VW eine Abfindung über 12 Mio. Euro erhalten haben soll. Da sage noch einer, Schweigen sei immer Gold.


Personelles

Behörden Spiegel / November 2017

Seite 11

Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg Stand: November 2017

Hausanschrift

Vizepräsident Joachim Mose

Präsident Dr. Stefan Schulz

Direktorin Elisabeth Seeler-Kling

Gänsemarkt 36, 20354 Hamburg

Direktor Philipp Häfner

Postfach 301741, 20306 Hamburg

-1740

Prüfungsgebiet -1Präsidialabteilung

Direktorin Birgit Fuhlendorf

Tel.: 040 / 428 23-0 Fax: 040/ 427 310 570 E-Mail: rechnungshof@rh.hamburg.de Internet: www.rechnungshof.hamburg.de

LRDin Birgit Carstens-Wähling

Bild: Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg

Direktorin Elisabeth Seeler-Kling -2021

Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg

Weitere Mitglieder des Kollegiums

Prüfungsgebiet -2Vizepräsident Joachim Mose -1740

Prüfungsgebiet -3-

Prüfungsgebiet -4-

Birgit Carstens-Wähling -1785

Direktor Philipp Häfner -1759

Prüfungsgebiet -5Direktorin Birgit Fuhlendorf -1789

Friedhelm Imkampe -1770 · Organisation, Geschäftsverteilung · Haushalts- und Personalangelegenheiten, Personalentwicklung, Fortbildung · Geschäfts- und Prüfungsordnung · Prüfungsplanung · Jahresbericht, Gutachten u. Berichte · Vorbereitung präsidialer und kollegialer Entscheidungen · Erfahrungsaustausch mit anderen obersten Rechnungsprüfungsbehörden · Öffentlichkeitsarbeit · Informations- und Kommunikationstechnik · Kosten- und Leistungsrechnung · Datenschutz

Abteilung -1b-

Abteilung -2a-

Abteilung -3a-

Abteilung -4b-

Dr. Julia Friedland

Claas Wienstroh

N.N.

Rolf Wissing

-1844 · Behörde für Schule und Berufsbildung · Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration - Kinder- und Jugendhilfe, Familie, Kindertagesbetreuung · Bezirksämter - Jugend und Familienhilfe · Behörde für Wissenschaft, Forschung u. Gleichstellung - Hochschulamt · Universität Hamburg · Staats- und Universitätsbibiothek · Hochschule für angewandte Wissenschaften · Technische Universität Hamburg-Harburg · Hochschule für Bildende Künste · Hochschule für Musik und Theater · HafenCity Universität Hamburg · Landesbetriebe - Erziehung und Berufsbildung - Hamburger Volkshochschule - Hamburger Institut Berufliche Bildung

-1708 · Einnahmen aus Gemeinschaftssteuern, Landessteuern, Gemeindesteuern und Finanzausgleichen · Finanzbehörde - Steuerverwaltung mit den Finanzämtern · Grundsatzfragen des Steuerrechts

Abteilung -2bWiebke Aust -1788 · Justiziariat · Ausbildungsleitung für Referendare · Gesetzgebung und Rechtsfragen der Finanzkontrolle · Wissenschaftliche Grundlagen für Status und Tätigkeit der Rechnungshöfe · Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration - ohne Kinder- und Jugendhilfe, Familie, Kindertagesbetreuung · Bezirksämter - Grundsicherungs- und Sozialämter · öffentliche Unternehmen der Arbeits- und Berufsförderung · Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz - Abteilung Senioren, Pflege u. rechtliche Betreuung - Referat Sozialversicherung · fördern & wohnen AöR · Landesbetrieb Winterhuder Werkstätten

Abteilung -3cMichael Evensen -1889

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· Bürgerschaft u. Bezirksversammlungen · Senatskanzlei · Grundsatzangelegenheiten der Organisation u. Wirtschaftlichkeit, Stellenwirtschaft · Bezirksämter · Justizbehörde, Gerichte · Hamburgisches Verfassungsgericht · Behörde für Inneres u. Sport · Ausländerdienststellen der Bezirksämter · Grundsatzfragen der Straffälligenund Gerichtshilfe, der Justizverwaltungs- und Gerichtskosten · Statistikamt Nord · Landesbetriebe - Verkehr - Rathausservice

-2004 · Norddeutscher Rundfunk (NDR) · Staatsaufsicht über den NDR · Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein · Behörde für Kultur und Medien · Grundsatzfragen - der Informations- und Kommunikationstechnik - des Datenschutzes · Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit · Hamburgische Staatsoper · Deutsches Schauspielhaus · Thalia-Theater · Museen · Landesbetriebe - Philharmonisches Staatsorchester - Planetarium · Dataport AöR

Abteilung -5aAbteilung -4bHerr Wissing Susanna Kurth

-1757 -1796

-1757 · Prüfung und Bewertung der kaufm. Jahres- und Konzernabschlüsse der FHH · Grundsatzfragen zur Prüfungsmethodik, Planung, Qualitätssicherung (Jahresabschlussprüfung) · Bestellung von Abschlussprüfern · Finanzbehörde - Beteiligungsmanagement · Beteiligung der FHH an Kreditinstituten · Grundsatz- und Querschnittsfragen öffentlicher Unternehmen · Anstalten öffentlichen Rechts - Stadtreinigung Hamburg - Hamburger Stadtentwässerung - GKL Gemeinsame Klassenlotterie der Länder

Prüfung und Unterhaltung Bewertung der und · Errichtung, kaufm. Jahresund KonzernBetrieb von Hochund abschlüsse der FHH baulichen Ingenieurbauten, · Einrichtungen Grundsatzfragenund zur PrüfungsAnlagen methodik, Planung, Qualitätsdes Landes, der Landessicherung betriebe, hamburgischer (Jahresabschlussprüfung) undAbschlussprüfern Gesellschaften · Anstalten Bestellung von ·· Landschaftsbaumaßnahmen Finanzbehörde · Stadterneuerungsund - Beteiligungsmanagement · Sanierungsmaßnahmen Beteiligung der FHH an Kreditinstituten · Wasserbau, Hochwasser· Grundsatzschutz undundQuerschnittsfragen Hafenbaumaßöffentlicher Unternehmen nahmen ·· Projekte Anstalten öffentlichen Rechts des technischen - Stadtreinigung Hamburg Umweltschutzes - Hamburger Stadtentwässerung · Bauherrenleistungen - GKLGemeinsame Klassenlotterie bei Hochbauten, des der Länder Flächen- und Gebäudemanagements, des Krankenhaus-, Schul- und Hochschulbaus sowie bei Ingenieurbauten · Zuwendungen für Hoch- und Ingenieurbauten

Abteilung -4c-

Abteilung -3b-

Lars Hellberg

Ulrich Kamjunke -1619 · Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation · Behörde Umwelt und Energie · Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz · Sport · Grundsatzangelegenheiten Europa · Grundsatzangelegenheiten der Stadtentwicklung · Hamburg Port Authority A.ö.R. · Hamburger Friedhöfe A.ö.R. · Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf · Landesbetrieb Großmarkt Obst, Gemüse und Blumen · Grundsatzfragen des Gebührenwesens

-1780 · Grundsatzfragen - des Haushaltsrechts - des Kassenrechts - des Vorprüfwesens - der Entwicklung der Haushaltslage und der Finanzpolitik - der mittelfristigen Finanzund Aufgabenplanung - des kaufm. Rechnungswesens im öffentlichen Bereich - des Finanz- und Haushaltswesens · Einführung von Fachverfahren des Kassen- und Rechnungswesens · Grundsatzfragen - der Kreditaufnahme - der Innenrevision - des Liegenschaftswesens · Grundsatzfragen - der Personalwirtschaft - des Stellenplans - des Personalaufwands - des Personalrechts · Finanzbehörde · Personalamt · Landesbetriebe - Immobilienmanagement u. Grundvermögen - Gebäudereinigung Hamburg - Zentrum für Personaldienste - Kasse.Hamburg - Zentrum für Aus- und Fortbildung

Abteilung -5dAbteilung -4bHerr Wissing Beate Becker

-1757 -1777

· Verwaltungsangelegenheiten und Organisation in der Bauverwaltung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, angegliederter Landesbetriebe und der · Prüfung und Bewertung der Bezirksämter kaufm. Jahres- und Konzern· Behörde abschlüssefür derWirtschaft, FHH · Verkehr Grundsatzfragen zur Prüfungsund Innovation -methodik, Amt für Planung, Verkehr Qualitätsund sicherung Straßenwesen (Jahresabschlussprüfung) LB Straßen, und · -Bestellung von Brücken Abschlussprüfern Gewässer · Finanzbehörde - Beteiligungsmanagement · Vergabewesen und · Materialwirtschaft Beteiligung der FHH an Kreditinstituten · Beschaffung, Errichtung, · Grundsatz- undQuerschnittsfragen Unterhaltung und Betrieb öffentlicher Unternehmen aller gebäudeund Rechts · Anstalten öffentlichen - Stadtreinigung Hamburg betriebstechnischen Anlagen - Hamburger Stadtentwässerung · Technisches - GKLGemeinsame Klassenlotterie Gebäudemanagement der Länder · Energiemanagement


Seite 12

Diplomaten Spiegel

“M

Deutschland hat eine Schlüsselrolle

it der Unabhängigkeit der Ukraine1991 hat sich für mich und viele meiner Landsleute alles über Nacht dramatisch geändert. Ich wollte unbedingt meiner Heimat dienen. Dass ich doch ein Diplomat geworden bin, ist das größte Wunder und Glück, wofür ich dem lieben Gott jeden Tag danke. Auch nach 20 Jahren kann ich mir nichts Schöneres und Würdevolleres vorstellen, als mein Land nach Kräften zu repräsentieren.” So auch in Deutschland, wo er seit Januar 2015 als Botschafter akkreditiert ist. Zuvor war der 42-jährige Jurist, Vizeminister im Ministerkabinett (Regierung) in Kiew, arbeitete im Außenministerium, als Generalkonsul in Hamburg und an der ukrainischen Botschaft in Wien. In den knapp drei Jahren als Frontmann seines Landes in Berlin “sind die deutsch-ukrainischen Beziehungen so intensiv und vertrauensvoll wie nie zuvor. Unser Präsident war zehn und mein Außenminister 25 Mal in Berlin. Diese “Shuttle-Diplomatie” wird nur noch durch unzählige Telefonate getoppt: Allein 58 Mal hat Kanzlerin Angela Merkel mit Präsident Petro Poroschenko telefoniert – oft im “NormandieFormat” zusammen mit dem französischen und russischen Präsidenten. Die Bundesregierung spielt eine Schlüsselrolle, um der russischen Aggression im Donbass ein Ende zu setzen und die territoriale Integrität der Ukraine wiederzuerlangen. Diesen Friedensbeitrag wissen die Ukrainer nicht hoch genug zu schätzen.” Doch die Beilegung des seit 2014 herrschenden Konfliktes in der Ostukraine, nach dem Abkommen von Minsk, das auch der russische Präsident Wladimir Putin unterschreibt, ist nicht in Sicht.

Minsker Abkommen umsetzen “Dieser müsste nur mit dem Finger schnipsen und seine Soldaten zurückbeordern. Im Moment scheint dem Kremlherrn der politische und wirtschaftliche Preis für dieses perfide geopolitische Spielchen noch erträglich zu sein. Es fehlt ihm offenbar der Wille. Daher muss die internationale Gemeinschaft durch noch härtere Sanktionen Putin zwingen, den Friedensvertrag von Minsk umzusetzen. Wenn er sagt, diese seien ihm egal und nicht wirksam, dann blufft er. Die Ukraine ist jedenfalls nach wie vor bereit, jeden einzelnen Buchstaben des Protokolls von Minsk gewissenhaft in die Tat umzusetzen, einschließlich unserer politischen Verpflichtungen wie einem Sonderstatus für Regionen in Donezk, Luhansk und einer lokalen Wahl. Allerdings kann diese nur stattfinden, nachdem die Waffen endgültig schweigen, das Kriegsgerät und russisches Militär abgezogen, ein freier Wahlkampf mit freien Medien möglich ist und internationale Wahlbeobachter vollen Zugang bekommen.” “Deswegen müssen die Bundesrepublik und unsere westlichen Verbündeten den politischen und ökonomischen Druck

Behörden Spiegel / November 2017

Ein Gespräch mit dem ukrainischen Botschafter Dr. Andrij Melnyk in Berlin (BS/ps) Als Andrij Melnyk in der Ukraine das Abitur macht, gehört diese noch zur UDSSR und dort einmal Diplomat zu werden, nicht zu seinen Möglichkeiten. “Damals konnte man ja nicht mal davon träumen. Dieses Privileg war vorwiegend Sprösslingen von Parteibonzen vorbehalten. Außerdem war ich kein Fan der Sowjetunion, ich wurde als ukrainischer Patriot erzogen, mein Onkel aus politischen Gründen zu 25 Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt. So etwas prägt einen zutiefst. Deswegen wollte ich wie mein Vater Wissenschaftler (Chemiker) werden.”

Krim verfolgt und deren Rechte mit Füßen getreten werden. Wir glauben, dass eine Einkapselung dieses Themas brandgefährlich und eine neue Stufe der Eskalation wäre.” “Denn Putin würde sich in seiner arglistigen Politik bestätigt sehen, die militärische Karte noch vehementer auszuspielen, noch schlimmere Tatsachen zu schaffen und nur abzuwarten, bis dem Westen aus Verzweiflung der Kragen platzt, bis er die Russland-Sanktionen zurückschraubt und zum business as usual übergeht. Diese Entwicklung wäre katastrophal für die Friedensordnung in Europa!”

Prinzipientreu bleiben

Vertritt die Ukraine in Berlin: Botschafter Andrij Melnyk.

Fotos: BS/Dombrowsky

Botschafters Rezept Warenyky (“ukrainische” Maultaschen) Klassiker der ukrainischen Küche und jede gute Hausfrau besitzt angeblich ihr eigenes Rezept. Dieses stammt aus Lwiw (Lemberg). Ob mit Schinken oder vegan, süß oder herzhaft – Warenyky sind ein perfektes Gericht für die ganze Familie! Zutaten: Teig: 400 g Mehl, 150ml Wasser, Salz, 2 Eier. Füllung: 400 g Kartoffeln, 1 Schalotte, 5 Champignons, Petersilie, Salz, Pfeffer, Muskat, Schmand und Schinken. Zubereitung: Die Eier in einer Schüssel mit Mehl, Salz und Öl verkleppern. Wasser dazugießen, rühren bis der

Teig glatt ist. Kartoffeln schälen und in gleich großen Stücken in Salzwasser kochen und stampfen. Schalotten und Champignons klein schneiden, anbraten und in das Püree unterheben, mit Petersilie abschmecken. Teig zu einer ‚Wurst‘ von ca. 2 cm Durchmesser rollen und in etwa 15-20 Warenykys schneiden, bemehlen und dünn ausrollen. Die Füllung mittig drauf setzen, Scheiben zuklappen und Ränder mit Gabel andrücken. Eine Gemüse- oder Fleischbrühe zum kochen bringen und Warenyky darin ca. 3-5 Min. kochen. Zwischenzeitlich die Schalotten fein zerhacken mit Schinken in Öl anbraten, über die Warenyky garnieren und mit Petersilie bestreuen. Dazu passt hervorragend Bier und Wodka als Digestif.

ders freut”, so Botschafter Melnyk, “die deutsche Öffentlichkeit interessiert sich zunehmend mehr für mein Land als Kulturnation und Reiseziel.” In dieses bilaterale Ambiente passt es überhaupt nicht so recht, wenn Christian Lindner, FDP-Chef, Jamaika-Koalitionär und eventueller Minister in derselben, im August darüber räsoniert, den Krim-Raub “als dauerhaftes Provisorium hinzunehmen, einzukapseln und die Sanktionen (gegen Russland) nicht erst dann fallen zu lassen, wenn das Friedensabkommen von Minsk vollständig erfüllt ist. Putin muss ohne Gesichtsverlust seine Politik korrigieren können.”

Unverständnis auf Russland solange erhöhen, bis die Minsker Bestimmungen im vollen Maß erfüllt sind. Die Ukrainer werden sich nie mit dem schrecklichen Zustand im Donbass abfinden.” Zumal dort Häftlinge zur Zwangsarbeit von den russischen Besatzern eingesetzt werden, was Erinnerungen an die über zwei Millionen ukrainischen Zwangsarbeiter im Dritten Reich wachruft. “Die internationale Gemeinschaft darf auf keinen Fall diese moderne Sklaverei mitten in Europa dulden! Leider verfügt die Ukraine nach wie vor über keinen Zugang zu den besetzten Gebieten und schon gar nicht zu den Gefängnissen. Hier sind wir auf die Informationen von unabhängigen NGOs (NichtregierungsOrganisationen) angewiesen. Aber auch sie haben kaum

Schmuckstück im Büro: Ein feinteiliges Spielzeug komplett aus Holz der ukrainischen Firma UGEARS.

einen Überblick, denn nicht einmal das Rote Kreuz darf die ukrainischen Kriegsgefangenen besuchen. Hier müssen unsere westlichen Partner alle Mittel gegenüber Putin einsetzten, um zu verhindern, dass die Menschenrechte in dieser erschreckenden Dimension verletzt werden.”

Ziel: EU-Mitgliedschaft Doch es gibt auch gute Nachrichten für die Ukraine. Im September ist ein Assoziierungsabkommen mit der EU in Kraft getreten, das lange Zeit auf der Kippe stand. “Wenn wir dieses 1.000-seitige Vertragswerk akribisch erfüllt haben, wird die Ukraine in der Lage sein, die EUMitgliedschaft zu beantragen. Die Assoziierung ist erst eine umfassende “Roadmap” (Strategie, Plan) für großangelegte Reformen, die seit dem Majdan angestoßen wurden.” Auf dem Kiewer Platz beginnt 2013 der Protest gegen die Aussetzung der EU-Assoziierung, was zum Rücktritt des damaligen Präsidenten führt und letztlich zur Annektion der Krim und der Sezession in der Ostukraine. Im Westen des Landes dagegen – viel Neues. “Es gibt bereits greifbare Fortschritte, vor allem im Bereich Korruptionsbekämpfung und der Justizreform. Die Ermittlungsbehörde NABU mit riesigen Befugnissen soll Korruptionsdelikte ohne jegliche politische Einflussnahme lückenlos aufde-

cken. Über 300 Strafverfahren wurden gegen Abgeordneten, Richter, hohe Beamte und Geschäftsführer von staatlichen Unternehmen eingeleitet. Der dem Staat dadurch zugefügte Schaden beläuft sich auf drei Milliarden Euro. Und das ist erst der Anfang. Jetzt muss auch die Richterschaft komplett erneuert werden.”

Überraschende Nachricht Hierzulande wird dies sehr positiv registriert – denn Berlin hat großes Interesse an einer stabilen, demokratischen, wirtschaftlich prosperierenden Ukraine mit europäischen Strukturen. “Was mich beson-

“Dass diese Forderung ausgerechnet von den Liberalen kommt, war für die Ukrainer eine besonders böse Überraschung, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie weicht vom FDPWahlprogramm, das einen harten Kurs gegenüber dem Kreml empfiehlt, ab. Nur, was wir nicht nachvollziehen können, ist: Warum sollte die Krim-Frage, die für die Zukunft der internationalen Ordnung eine zentrale Rolle spielt, unter den Teppich gekehrt und mit den Russen gar nicht angesprochen werden? Es geht ja nicht um etwas Abstraktes, sondern um das Schicksal von Hunderttausenden Ukrainern und Krimtataren, die auf der

“Die deutsche Wiedervereinigung ist für uns ein historischer Präzedenzfall, auch wenn die Mehrheit der Menschen in diesem Land bis zum Vorabend des 9. November 1989 die Einheit für nicht umsetzbar hielt und davon nur träumen konnte. Deswegen darf man nicht ins Wanken geraten und faule Kompromisse mit dem Aggressor eingehen, sondern man muss prinzipientreu bleiben. Die Krim wird zweifellos zur Ukraine zurückkehren. Viel früher als manche glauben. Dafür muss man aber die strategische Geduld bewahren und den Druck auf Putin erhöhen.” Klare Worte für Diplomaten, denen nachgesagt wird, sie denken zweimal nach, bevor sie nichts sagen. Dr. Melnyk ist so frei. “Was die Meinungsfreiheit betrifft, beziehe ich mich persönlich auf den Begriff des Botschafters. Er heißt ja nicht zufällig “der außerordentliche und Bevollmächtigte”. Das bedeutet für mich ganz konkret, dass man nicht jedes Mal eine Bewilligung für das eine oder andere öffentliche Statement aus Kiew einholen muss. Ich bin glücklich, dass ein ukrainischer Botschafter einen relativ großen Spielraum genießen darf, aber gleichzeitig auch eine erhöhte Verantwortung tragen muss.”

Einmal Putin sein Letzte Frage – mit wem möchte er gerne für einen Tag tauschen? “Das mag vielleicht überraschen, aber ich würde gerne mit Putin tauschen. Ein Tag dürfte mir durchaus ausreichen, um den blutigen Krieg in der Ostukraine zu stoppen und die Annexion der Krim sofort rückgängig zu machen. Außerdem werde ich alle politischen Häftlinge freilassen sowie die Reparationen für den Wiederaufbau des zerstörten Donbass zahlen. Und natürlich werde ich einräumen, einen fatalen Fehler gemacht zu haben und die Ukrainer um Vergebung bitten. Denn nur auf diese Weise kann eine echte Versöhnung mit den Russen möglich sein. Ohne diese Schritte wird es keinen Frieden zwischen den beiden benachbarten Völkern geben können.” Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mit fehlt der Glaube... Doch manchmal muss man an Utopien glauben, um sie verwirklichen zu können. Aber das ist eine andere Geschichte...

Engeres Verhältnis als Ziel Europäische Union will Beziehungen zu Ägypten intensivieren (BS/mfe) Brüssel beabsichtigt, die Unterstützung für die ägyptische Regierung in Kairo bis 2020 zu verstärken. Das soll sowohl für den finanziellen als auch für den technischen Bereich gelten. Einen besonderen Fokus wolle die Europäische Kommission auf die Förderung von Frauen und Jugend setzen, erklärte der Kommissar für Erweiterungsfragen, Johannes Hahn. Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitsfragen, Federica Mogherini, ergänzte: “Wir sind davon überzeugt, dass die soziale Entwicklung und der soziale Schutz, insbesondere wenn es dabei um junge Men-

schen und Frauen geht, zentral sind, um nachhaltiges Wachstum und Stabilität in Ägypten und der Region zu schaffen”, so die Italienerin. Das sei auch der Grund, weshalb man dies als Grundlage der Partnerschaftnehme. Der österreichische EU-Kommisssar Hahn wiederum unterstrich bei der Unterzeichnung einer Vereinbarung über einen einheitlichen Unterstützungs-

rahmen sowie zweier Finanzierungsabkommenn für die Bereiche Gesundheit, Umwelt und Verkehr in Kairo: “Die EU unterstützt Bemühungen Ägyptens, seine Wirtschaft zu reformieren, um nachhaltiges und inklusives Wachstum zu schaffen und die zentralen sozioökonomischen Herausforderungen zu bewältigen.” Dazu gehöre unter anderem das rasante Bevölkerungswachstum.


Gesundheit

Behörden Spiegel / November 2017

“J

e höher die Zielgenauigkeit der Zuweisungen auf Individualebene, nach Versichertengruppen und auf Krankenkassenebene, desto geringer sind – unter sonst gleichen Umständen – die verbleibenden Krankheitsrisiko-bedingten Wettbewerbsverzerrungen”, schreiben die neun Forscher des Beirats unter Vorsitz von Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. Zugleich stellt das Gremium fest, dass der Wettbewerb nicht nur zwischen den Krankenkassenarten stattfindet, sondern auch zwischen Kassen der gleichen Art. Deshalb schlagen die acht Professoren und Dr. Ingrid Schubert von der PMV Forschungsgruppe an der Universität Köln vor, die Haftungskaskade aufzugeben. Die Primärhaftung im Falle einer Schließung, Auflösung oder Insolvenz solle dann nicht mehr auf die anderen Mitglieder der gleichen Kassenart übertragen werden, sondern sofort auf den GKV-Spitzenverband.

Unterschiedliche Entwicklungen Außerdem habe eine Auswertung der sieben Jahresausgleiche ergeben, dass sich die Deckungsbeiträge und Deckungsquoten zwischen den verschiedenen Kassenarten auseinanderentwickelt haben: Während die Zuweisungen bei der Bundesknappschaft und den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) gesunken sind, sind sie bei den Betriebskran-

Für eine gerechte Aufteilung Wissenschaftlicher Beirat legt Gutachten zum Risikostrukturausgleich vor (BS/Jörn Fieseler) Der Morbiditätsorientierte Risikostrukturabgleich (kurz: Morbi-RSA) soll den fairen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen ermöglichen, gleichzeitig die Risikoselektion bei der Auswahl der Versicherten verhindern, schreibt der wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des Morbi-RSA in seinem jüngsten Gutachten. Aber: Das stößt auf Kritik. Die jetzige Schieflage werde noch weiter befeuert. kenkassen (BKK), Innungskrankenkassen (IKK) und Ersatzkassen im Durchschnitt gestiegen. Allerdings gibt der Beirat zu diesem Punkt keine weiteren Empfehlungen ab. Stattdessen schlagen die Wissenschaftler vor, einerseits Arzneimittel konsequent im Aufgreifalgorithmus zu berücksichtigen und andererseits die Vergütung von Selektivverträgen von dokumentierten Diagnosen zu entkoppeln. Darüber hinaus hat sich der Beirat intensiv mit der Krankheitsauswahl bei der Morbiditätsorientierung auseinandergesetzt. Auf der einen Seite spricht er sich für die Beibehaltung des bisherigen Gewichtungssystems aus, um rund 80 Erkrankungen für den Morbi-RSA auszuwählen. Auf der anderen Seite wird empfohlen, das Klassifikationsmodell zu einem Vollmodell weiterzuentwickeln. In diesem Fall würden alle Krankheiten bei den Ausgleichsberechnungen berücksichtigt werden. Auch sei es nicht sinnvoll, Krankheiten auszuschließen, die durch Präventionsaktivitäten vermieden werden können. Nicht abschaffen wollen Prof. Dr. Wasem und seine Kolleginnen und Kollegen die Berück-

Sondergutachtens den als ein lernendes System konstruierten RSA sorgsam und vernünftig weiterzuentwickeln. Hierbei sei allerdings zu berücksichtigen, dass die meisten Anpassungen des Verteilungsmechanismus nur auf Grundlage rechtlicher Änderungen vorgenommen werden könnten. Außerdem müsse die Evaluierung des Morbi-RSA institutionalisiert und in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.

Appell an die Politik Zwischen den Krankenkassen sollen morbiditätsbasierte Risiken gleichmäßig verteilt werden. Dazu dienst der sogenannte Morbi-RSA. Dieser Soll weiterentwickelt werden. Foto. BS/twinlili, pixelio.de

sichtigung von Erwerbsminderungs-Variablen. Dadurch ergäben sich schwerwiegende Risikoselektionsanreize. Pro Erwerbsminderungsrentner würde der jeweiligen Kasse eine Unterdeckung von 1.100 Euro entstehen.

Gesetzliche Änderungen notwendig Darüber hinaus sehen die Forscher, etwa bei der Frage derRegionalselektion oder bei der Anpassung des Zuweisungsalgorithmus an Therapie- und

Interoperabilität im Test: Suisse Projectathon

Präventionserfolge sowie bei der Wiedereinführung eines Risikopools weiteren forschungsbedarf. Der Präsident des Bundesversicherungsamtes Frank Plate sagte im Rahmen der Ergebnispräsentation des Gutachtens: “Ich bin dankbar, dass sich der Wissenschaftliche Beirat als fachkundiges und unabhängiges Gremium so intensiv mit der Evaluation des RSA und den Folgen möglicher Veränderungen im RSA beschäftigt hat.” Nun gelte es auf Basis der Ergebnisse des

Über 400 neue Stellen

(BS/Michael Reiter*) Ende September kamen Entwickler, Architekten und Testspezialisten aus der Gesundheits-IT in Bern zusammen, um Softwaresysteme im Hinblick auf ihre Kompatibilität zum EPD, dem Schweizer elektronischen Patientendossier, miteinander zu verbinden und deren Interoperabilität zu testen. Bei diesem mehrtägigen Projectathon der eHealth Suisse engagierte sich die InterSystems gemeinsam mit ihrem Partner BINT und Kunden; Mitarbeiter der beiden Unternehmen belegten bei dem Treffen die Interoperabilität der InterSystems Plattform HealthShare®.

(BS/jf) Berlins Senat ein Personalbedarfskonzept für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) beschlossen. Dieses sieht vor, den ÖGD in den kommenden Jahren von derzeit 1.631 auf künftig 2.033 volle Planstellen (Vollzeitäquivalente) auszubauen. Der Personalaufbau soll im kommenden Jahr beginnen und schrittweise bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr

forderungen und Datenschutzvorgaben. Hierfür entwickelte die Bundesorganisation IHE Suisse nationale Erweiterungen von IHE-Profilen und auch neue. speziell für die Schweiz konzipierte Profile. Als nächsten Schritt führten das Bundesamt für Gesundheit (BAG), IHE Suisse und eHealth Suisse, die Kompetenz- und Koordinationsstelle von Bund und Kantonen, den “EPD-Projectathon” durch. Analog zu IHE-

Große Testmöglichkeit: Wer wollte, konnte sein eigenes IT-System gegen die EPD-Referenzumgebung ausprobieren. Foto: BS/www.e-health-suisse.ch

sammenführen und deren Nutzung beschreiben. Die Bestätigungen, die die Unternehmen von diesen Technik-Events für erfolgreiche “Testungen” mit nach Hause nehmen, dienen als wichtiger Beleg für Entscheider und Anwender.

Die lange Reise zum EPD Das EPD ist essenzieller Bestandteil der Strategie eHealth Schweiz seit 2007. Mit dem EPD werden die wichtigsten medizinischen Dokumente den Leistungserbringern und den Patienten zur Verfügung gestellt. In Kraft ist das EPDGesetz (EPDG) seit April 2017; es erfordert eine Anpassung der internationalen IHE-Profile an spezifische schweizerische An-

Connectathons konnten vom 25. bis 29. September in Köniz bei Bern alle interessierten Personen und Organisationen ihre IT-Systeme untereinander und gegen die EPD-Referenzumgebung testen. Dies ermöglichte es sowohl den Bundesstellen als auch den Lösungsanbietern, sich auf den EPD-Praxiseinsatz vorzubereiten – auch im Hinblick auf eine nachfolgende Zertifizierung gemäß EPDG. Im Fokus standen Schweiz-spezifische IHE-Profile, die “National Extensions”. Die Erfahrungen aus diesem Projectathon fließen in die Anhörung zur Strategie eHealth Schweiz 2.0 ein, die seit dem 18. September bis 10. Dezember dieses Jahres läuft. Ziel ist die Entwicklung einer Folge-

strategie für den Zeitraum von 2018 bis 2022.

Kompetenz unter Beweis gestellt Die InterSystems konnte ihre Kompetenz im Test mit den anderen Teilnehmern erfolgreich unter Beweis stellen. Der InterSystems Partner BINT testete das elektronische Patientendossier (EPD) anhand der technischen Infrastruktur seiner Kunden AD Swiss Net AG und der Berufsgenossenschaft der Apotheker Ofac; zwei nationale Leuchtturmprojekte für alle niedergelassenen Ärzte (AD Swiss), sämtliche Apotheker und potenziell alle Bürger und Patienten der Schweiz. Bei dem Projectathon haben die engagierten Kollegen von InterSystems und BINT bewiesen, dass sich die Anpassungen für die Schweizer IHE-Profile rasch und sicher umsetzen lassen – ein toller Erfolg für die Interoperabilität. Volker Hofmann, Manager of Healthcare, InterSystems, abschließend: “Die speziellen Anforderungen des Bundes in den umfangreichen Verordnungen zum EPDG gehen über die Definitionen der internationalen Profile hinaus. Da wir seit Jahren an vielen Connectathons in den USA und in Europa teilgenommen haben, konnten wir diese Anforderungen in kurzer Zeit umsetzen und erfüllen. Dem Einsatz unserer HealthShareProduktlinie im Rahmen des EPD steht somit technisch nichts mehr im Weg.” Mehr unter: www.InterSystems.de *Michael Reiter ist freier Journalist mit Schwerpunkt auf Healthcare IT.Kontakt: michael-reiter@ michael-reiter.com.

Ersatzkassen, BKK und IKK appellieren an die Politik, trotz des Gutachtens nach kurzfristigen Lösungen für die sich zuspitzende Schieflage zwischen den Kassen zu suchen. Der wissenschaftliche Beirat würde keine Antworten geben, wie bestehende Wettbewerbsverzerrungen kurzfristig behoben werden könnten, kritisieren der Verband der Ersatzkassen (vdek), der Dachverband der BKK und die IKK in einer gemeinsamen Presseerklärung. “Die Empfehlung der Gutachter zur Einführung eines “Vollmodells”, bei dem alle – statt der bisherigen 80 – Krankheiten im Morbi-RSA berücksichtigt werden, befeuerten in der

MELDUNG

InterSystems und Partner BINT belegen in Bern EPD-Fähigkeit

Die Projectathons werden von der Initiative Integrating the Healthcare Enterprise (IHE) gemeinsam mit lokalen Organisationen wie der eHealth Suisse durchgeführt. Entwickler testen dort das Zusammenspiel ihrer Software mit den Systemen anderer Hersteller. Diese Kommunikation ist für die Erfüllung von eHealth-Prozessen erforderlich. Die Basis bieten die Profile der IHE, die bestehende Standards für den spezifischen Ablauf zu-

Seite 13

2021 vollzogen werden. “Berlin wächst, die Gesundheitsämter müssen mitwachsen”, sagte die Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Dilek Kolat. Um die jetzt und künftig zur Verfügung stehenden Stellen auch besetzen zu können, müsse aber auch die Bezahlung verbessert werden. Dafür werde sie kämpfen.

Praxis die finanzielle Schieflage sogar noch. Mit diesem Ansatz würde noch mehr Geld in Richtung der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) gelenkt – sie könnten ihre Monopolstellung in den Bundesländern weiter ausbauen”, ausbauen, befürchten Ersatzkassen, BKK und IKK. Außerdem sehen sie die Gefahr, dass der Morbi-RSA manipulationsanfälliger würde. Gerade die Vielzahl neuer, leichter Erkrankungen böte einen großen Spielraum für sogenannte UpcodingStrategien. Deshalb fordern eine Reform des Finanzausgleichs unter den Krankenkassen auf die politische Agenda zu nehmen. Mit kurzfristigen Maßnahmen müsse ein einfaches, transparentes und manipulationssicheres Verfahren durchgesetzt werden. Ansonsten müssten sich wohl bald Kartellrichter um regionale AOK-Monopolisten kümmern, so die Prophezeiung.

Wettbewerbshüter aufgepasst Demgegenüber unterstreicht der Beirat, dass Vorschläge, die zu einer Verschlechterung der Leistungsfähigkeit des RSA-Modells führten, nicht damit begründet werden könnten, dass durch diese Vorschläge eine für notwendig erachtete finanzielle Umverteilung zwischen Krankenkassen oder Krankenkassenarten ermöglicht. Allerdings würde stimmen die Wissenschaftler zu, dass der Krankenkassenmarkt sorgfältig zu beobachten sei, da die Marktkonzentration zugenommen habe.


Zahlen & Fakten

Seite 14

Behörden Spiegel / November 2017

Staatswald Bund 403.464 ha

Deutschlands Wälder

Privatwald 5.485.679 ha

Staatswald Land 3.309.537 ha

(BS/Jörn Fieseler) Zwischen 1990 und 2015 hat sich die Waldfläche in Deutschland kaum verändert. Waren es laut Weltbank 1990 noch 32,37 Prozent, sind es 2015 32,71 Prozent. Nur die Hälfte ist in der Hand von Bund, Ländern und Gemeinden. Gleichwohl wird er wirtschaftlich genutzt. Aber: Waldbrände stellen jedes Jahr eine ernstzunehmende Gefahr dar.

Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Waldbericht der Bundesregierung 2017

Körperschaftswald 2.220.445 ha

Aufteilung der Wälder nach Besitz und Bundesländern Staatswald - Bund Baden-Württemberg

0,5 %

Bayern

2,1 %

Brandenburg + Berlin

29,8 %

7,4 %

8,9 % 4,6 %

Nordrhein-Westfalen

3,8 %

Rheinland-Pfalz

1,6 %

Saarland

0,8 %

Sachsen

13,2 %

Sachsen-Anhalt 3,2 %

Thüringen

3,5 %

894.180 ha

24,5 %

10,3 %

558.123 ha

39,5 %

16,1 %

47,7 %

839.796 ha

26,7 %

22,9 %

38,5 %

102.634 ha

28,6 %

10,3 %

26,3 %

173.412 ha

51,4 %

37,1 %

15,8 %

549.088 ha

43,6 %

14,3 %

20 %

532.481 ha

54,3 %

14,5 %

31,4 %

533.206 ha

45,2 %

9,1 % 31,0 %

0%

909.511 ha

66,8 % 46,1 %

Hamburg + Bremen

1.204.591 ha

58,7 %

25,6 %

10,2 %

Schleswig-Holstein

36,3 %

8,9 %

6,0 %

1.130.847 ha

59,1 %

41,2 % 27,9 %

2.605.563 ha

55,7 %

38,2 %

Niedersachsen

1.371.847 ha

35,9 %

12,4 %

27,4 %

Fläche insgesamt

Privatwald

40,0 %

1,1 %

Mecklenburg-Vorpommern

Körperschaftswald

23,6 %

6,1 %

Hessen

Staatswald - Land

13.845 ha

54,3 %

40 %

60 %

80 %

100 %

Quelle: eigene Berechnungen, Grundlage: Bundeswaldinventur 2016 des Thünen Instituts

Gesamteinschlag nach Holzarten 2016

15.652

(in 1.000 m3, ohne Rinde)

Die Esskastanie ist der Baum des Jahres 2017. Beim Holzeinschlag spielt sie hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Eiche und Buche sind die meistgefällten Laubbäume, an Nadelbäumen werden vor allem Kiefer, Lärche, Fichte, Tanne und Douglasie geschlagen.

13.168

52.191 m3 gesamt in Deutschland

8.210

5.594

5.206 4.565

4.705

2.616

4.089 2.893

2.597

2.484 1.968 501

BW

BY

3.202

2.156

1.846 1.263

3.291

1.196

1.135

1) Angaben umfassen nur den

2.076

1.126

HE

MV

1.476 376

583

BB + BE1

NRW

RhP

1.327

162

SL

323

SN

Landeswald) 2) ohne Bremen

1.754

1.004

1.314

206 170

NI

Bestand der Berliner Forsten (=

2.382

561 211

ST

350

628 1

SH

TH

8

Quelle: eigene Berechnungen, Grundlage: Statistisches

7

Bundesamt 2017

HH + HB2

Wie oft brennt es wo im Wald?

*) davon 1 in Berlin **) davon 4 in Berlin ***) beide in Hamburg

2015

316* 69

57 28

BW

55

BY

124 252** 37

BB + BE

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70 25 25

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33

NI

25 21

NRW

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3

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0

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2016

43 14

TH

2***

HH + HB

Weitere Quelle: Welt Bank - Indikator Wald: https://data.worldbank.org/indicator/AG.LND.FRST.ZS?locations=DE , abgerufen am 30. Oktober 2017

Grafiken: BS/Dach unter Verwendung von © elfhame, Fotolia.com. Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / November 2017

Wer nutzt, wer bezahlt?

KNAPP Kreisgebietsreform gestoppt

Kommunen drängen auf finanzielle Unterstützung bei Forsten

(BS/Jörn Fieseler) “Die Inanspruchnahme des Waldes durch die Bevölkerung für Freizeit-, Erholungs- und Sportaktivitäten hat in den letzten Jahren weiter zugenommen”, heißt es im (BS/jf) Brandenburgs Minisaktuellen Waldbericht der Bundesregierung. Und weiter: “Dieser Befund überrascht.” Zudem verdeutlicht er vor allem für die Kommunen ein Dilemma, da sie für die Verkehrssicherung terpräsident Dietmar Woidke in ihren Wäldern zuständig sind. Denn was ist die Leistung des Waldes wert? Und wer kommt dafür auf? stoppte die in der Mark umstritDie Zahlen sprechen für sich: 55 Mio. Menschen in Deutschland gehen mindestens einmal jährlich in den Wald – rund 70 Prozent der Bevölkerung. Im Durchschnitt kommt jeder Einwohner im Jahr rechnerisch auf 28 Besuche mit einer durchschnittlichen Dauer von zwei Stunden, so das Ergebnis aus einer Waldumfrage 2016 des Thünen-Instituts. Schätzungen zufolge gibt es jedes Jahr 2,3 Milliarden Besuche. Die gesellschaftliche Bedeutung des Waldes ist unbestritten. Nicht nur, dass die Bäume einen Beitrag zur CO2-Senkung leisten – jährlich nimmt ein 100-jähriger Eichenwald pro Hektar elf Tonnen Kohlendioxid auf. Medizinische Studien belegen zudem, dass Waldbesuche das menschliche Wohlbefinden steigern und die körperliche, mentale und soziale Gesundheit fördern, wie es im Waldbericht 2017 heißt. Dem wird auch im Bundeswaldgesetz (BWaldG) Rechnung getragen: Der Wald dürfte zur Erholung betreten werden, regelt § 14 BWaldG kurz und bündig. Dafür – und für die forstwirtschaftliche Nutzung – stehen insgesamt 512.000 Kilometer Fahrwege und 62.000 Kilometer Fuß-, Reit- und Radwege bundesweit in allen Forstgebieten zur Verfügung. Für deren Unterhaltung und Kontrolle sowie die von Erholungseinrichtungen, Parkplätzen, Wildgehegen, die Beseitigung von Vandalismus oder die Müllentsorgung sind die jeweiligen Waldbesitzer verantwortlich. Die kommunalen Waldbesitzer sind deshalb immer größeren Belastungen ausgesetzt, vor allem auch finanzieller Art, erläutert Winfried Manns, Vorsitzender des Gemeinsamen Forstausschusses “Deutscher Kommunalwald” der Bundes-

Der Wald dient der Erholung und wird von Spaziergängern gern genutzt. Dadurch entstehen den Waldbesitzern Kosten. Diese überschreiten inzwischen die Erträge, weshalb über den gesellschaftlichen Wert diskutiert wird. Foto: BS/Rainer Sturm, pixelio.de

vereinigung der kommunalen Spitzenverbände. Diese können durch die nachhaltige Holzwirtschaft nicht mehr allein gedeckt werden. Im Körperschaftswald (zu den Anteilen des Waldes

nach Inhabern siehe Seite 14 in dieser Ausgabe) stammen 96 Prozent aller Erträge aus dem Holzverkauf. “Bei den Kosten wird der Waldbesitz bisher jedoch im Stich gelassen”, bringt

es Manns auf den Punkt. Die Mehraufwände würden nicht bestritten. Ganz im Gegenteil: Im Waldbericht 2017 heißt es: “In Summe übersteigen die Aufwendungen in den Bereichen

“Schutz und Sanierung” und “Erholung und Umweltbindung” in den meisten Jahren die Erträge.” Durch neue Berechnungen kommt das Thünen-Institut auf Minderträge und Mehraufwendungen aus der Schutz- und Erholungsfunktion von rund 52 Euro pro Hektar. Bezogen auf den Reinertrag von 124 Euro/ha im Körperschaftswald ein erheblicher Betrag. “Unsere Gesellschaft verlangt vom Wald alles und von den Bürgerinnen und Bürgern wird der freie Zutritt in den Wald als selbstverständlich angesehen”, sagt Manns. Deshalb müsse das Bewusstsein für den hohen Wert des Waldes gesteigert werden. “Dafür brauchen wir ein Preisschild für die gesellschaftlichen Dienstleistungen der Wälder”, fordert der Verbandsdirektor aus Mainz und appelliert an die neue Bundesregierung, die bisher von den Kommunen gratis erbrachten gesellschaftlichen Walddienstleistungen zu honorieren. Das Ziel müsse sein, nachhaltige Forstwirtschaft und Erholung in Einklang zu bringen.

Kommentar

Lieber kooperieren (BS) Gegen den Willen der Betroffenen lassen sich politische Entscheidungen nur schwer durchsetzen. Das musste auch die brandenburgische Landesregierung erkennen und die Kreisgebietsreform nun absagen (siehe nebenstehende Meldung). Stattdessen sollten andere Wege gewählt werden. Das Projekt stand von Anfang an in der Kritik. Am Ende erwiesen sich die Widerstände als zu groß. Was verständlich ist, denn wer will schon die eigene politische Einflussnahme und den damit verbundenen Gestaltungsspielraum aufgeben oder geschmälert sehen. Aber: Wie soll die Daseinsvorsorge künftig gesichert bleiben,

wenn die Bevölkerung im Lande schrumpft? Ein Land braucht zukunftsfeste Verwaltungsstrukturen. Dieses Ansinnen der Landesregierung ist vollkommen richtig. Doch die “par ordre du mufti” umzusetzen, ist nicht der richtige Weg. Stattdessen sollte bei der Verwaltung selbst angesetzt werden. Warum soll ein Landkreis

nicht Aufgaben für eine kreisfreie Stadt übernehmen und umgekehrt? Dieses lässt sich über Verwaltungskoop era tion en leichter bewerkstelligen als eine Gebietsreform. Es muss nicht jede Gebietskörperschaft alles selber machen. Die kommunalen Grenzen bleiben hingegen unangetastet. Und auch die politischen Entscheidungsgremien.

Selbst auf Landesebene gibt es doch gute Beispiele für solche Kooperationen, etwa das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Hier sollte die Landesregierung Anreize setzen und freiwillige Kooperationen fördern, und sei es nur im Kleinen. Daraus kann schließlich Größeres wachsen. Jörn Fieseler

tene Kreisgebietsreform. Zuvor hatten sich alle Landräte und Oberbürgermeister geschlossen gegen die Landesregierung gewandt. Ursprünglich sollte die Zahl der Kreise und kreisfreien Städte von 18 auf zwölf reduziert werden. Mit Ausnahme von Potsdam sämtliche kreisfreien Städte mit den angrenzenden Landkreisen fusioniert werden. Begründet wurde das Vorhaben mit der demografischen Entwicklung im Land, Brandenburgs Bevölkerung wird schrumpfen. Laut Berechnungen der Landesregierung sinkt die Zahl der Erwerbstätigen in den nächsten zwanzig Jahren um rund ein Drittel. Anders die Gemeindegebietsreform in Thüringen. Im Freistaat soll am 21. November ein Gesetz im Kabinett beschlossen werden, das die freiwillige Gemeindefusion regelt. “Die Verbandsgemeinde kommt”, sagte Thüringens Innenminister Georg Maier.

Mehr direkte Demokratie (BS/jf) In Sachsen-Anhalt soll auch künftig in Ortschaften unter 300 Einwohnern die Möglichkeit bestehen, entweder einen Ortschaftsrat mit Ortsbürgermeister oder einen Ortsvorsteher zu wählen. Nach der letzten Änderung des Kommunalverfassungsgesetzes Sachsen-Anhalt (KVG LSA) scheidet die Wahlmöglichkeit mit der Kommunalwahl 2019 aus, dann soll nur noch ein Ortsvorsteher in den jeweiligen Ortschaften gewählt werden dürfen. Das will die Landesregierung ändern. Die alte Rechtslage soll wiederhergestellt werden. Anfang 2018 soll dazu eine Gesetzesnovellierung in den Landtag durch die Landesregierung eingebracht werden.

www.oeffentliche-infrastruktur.de

Themen auf dem Kongress u.a.

12. Bundeskongress

» Zukunftsfeste Verwaltungs- und Bildungsinfrastruktur

Öffentliche Infrastruktur

» Modelle für ein flächendeckendes Glasfasernetz bis 2025

Infrastruktur-Agenda 2020 30. November 2017 30 2017, Vienna House Andel’s Berlin

HAUPTREDNER u.a.

Ashok Sridharan ist Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn

» Warenkontor Innenstadt – mit Hubs, Pedelecs und Drohnen? » Wie dem Investitionsstau wirklich zu begegnen ist! » Flexiblere und emissionsarme Mobilität » Großprojekte – was nach der Bundestagswahl anders wird

Kathrin Schneider ist Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung in Brandenburg.

Thomas Webel ist Minister für Verkehr und Landesentwicklung in Sachsen-Anhalt

Eine Veranstaltung des


Kommunalpolitik

Seite 16

Behörden Spiegel / November 2017

Solide Basis

Leere Stühle im Flüchtlingsprojekt?

Standardwerk für Personal- und Organisationsmanagement

Fünf Kriterien für bedarfsgerechte Angebote

(BS/Jörn Fieseler) “Eignung, Befähigung und Leistung”, nach diesen drei Kriterien werden Mitarbeiter in Kommunalverwaltungen ausgewählt, eingestellt und befördert. Haushaltsrechtliche Vorgaben, Laufbahnrecht, dienstliche Beurteilungen und aufwendige Verfahren bei der leistungsorientierten Bezahlung im Tarifbereich zwingen den Arbeitgeber, hier Vereinfachungen und Standardisierungen vorzunehmen. Eine solide Basis ist dafür ein Kompetenzmanagement. Der Begriff Kompetenz könne in diesem Zusammenhang definiert werden als die Verknüpfungen von Kenntnissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Fertigkeiten einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, schreibt Dr. Thomas Böhle, Herausgeber des Handbuchs, “Kommunales Personal- und Organisationsmanagement”, erschienen im Verlag C.H. Beck. Dazu zählt auch kreatives und selbstbestimmtes Handeln sowie Qualifikationen, Talente und Potenziale, die in Zusammenhang mit strategischen, finanziellen oder organisatorischen Rahmenbedingungen zu sehen seien.

Qualifizierungsbedarfe frühzeitig erkennen Durch die Einführung und Anwendung eines Kompetenzmanagements ist es möglich, Qualifizierungsbedarfe unter der Heranziehung von Personalbestands-, Fluktuations- und Altersstrukturanalysen frühzeitig zu erkennen und Strategien zur Bedarfsdeckung heranzuziehen, so Böhle, der das Handbuch zusammen mit 37 weiteren Autoren verfasst hat. “Ein Konzeptmanagement ermöglicht allgemein ein systematisches, werkzeuggestütztes Handeln von Personalexperten und Führungskräften und damit mehr Effektivität, mehr Effizienz und eine nachhaltige Personalbindung”, ist der frühere Präsident der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände Deutschlands (VKA)

(BS/Anne-Marie Kortas) Ana, 24, ist vor sechs Monaten nach Deutschland gekommen. Sie ist im siebten Monat schwanger. In ihrer Unterkunft sieht sie ein Poster für eine Veranstaltung zur Geburtshilfe. Das passt perfekt, da sie noch viele Fragen hat. Aber dann wird sie unsicher: Kommen auch Männer zu der Veranstaltung? Um das zu klären, will sie bei dem Veranstalter anrufen. Allerdings steht auf dem Poster nicht, ob sie dort auch auf Arabisch anrufen kann. Sie zweifelt, ob ihre Deutschkenntnisse reichen, um ihre Fragen zu stellen. Sie will sich nicht blamieren und ruft lieber nicht an. Da sie keine Gewissheit hat, ob Männer anwesend sein werden, funktionsspezifischen geht sie letztlich nicht zu der Veranstaltung.

sowie Kompetenzen unterscheidet, und erläutert die unterschiedliche Skalierung – vergleichbar mit einem Schulnotensystem. Zahlreiche Abbildungen und Beispiele verdeutlichen die Ausführungen. Damit ließen sich für jeden Mitarbeiter ein Kompetenzprofil erstellen und letztlich Qualifizierungsplanungen durchführen. Allerdings räumt er ein, dass die Einführung eines solchen Managements “relativ aufwendig” sei. Für eine erfolgreiche Implementierung gibt er ausführliche Tipps. Dr. Thomas Böhle (Hrsg.): Kommunales Personal- und Organisationsmanagement; Handbuch, 2017, Verlag C.H. Beck oHG, 180 Euro

überzeugt. Zugleich helfe es, die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Personalbedarfe zu erkennen und zu planen sowie das vorhandene Personal passgenau und anforderungsgerecht einzusetzen und zu entwickeln.

Praxisbezogenes Modell als Grundlage Grundlage dafür ist ein Kompetenzmodell. “Dieses braucht nicht streng nach wissenschaftlichen Maßstäben ausgelegt, sondern sollte auf die Praxis bezogen sein”, rät Böhle, der selbst 18 Jahre die Themen Personal und Organisation in einer Kommunalverwaltung verantwortete. Zugleich schlägt er ein Modell vor, das zwischen Basisbzw. Grundkompetenzen, Führungskompetenzen, fachlichen

Für Laien und Experten Darüber hinaus umfasst das Handbuch sämtliche Bestandteile des Personal- und Organisationsmanagements. Gegliedert ist das 1.624-seitige Werk nach dem Arbeitsleben. Angefangen bei der Personalgewinnung und Einstellung, inkl. Employer Branding, über die berufliche Entwicklung und die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen von Beamten und Tarifbeschäftigten bis zum Eintritt in den Ruhestand sind alle Bereiche abgedeckt. Dabei stellen die 37 unterschiedlichen Autoren wichtige Verfahren Schritt für Schritt vor und geben, ähnlich wie Böhle beim Kompetenzmanagement, praktische Tipps. Damit eignet es sich nicht nur für den Laien, sondern auch für erfahrende Personaler. Ein Werk, das mit seiner ersten Auflage einen Standard setzt und in keiner Personalverwaltung fehlen darf.

Anas Geschichte zeigt exemplarisch, wie auch gut ausgearbeitete Angebote nicht immer ihre gewünschte Wirkung entfalten können. Um dies zu vermeiden, ist es sinnvoll, wenn Kommunen fünf Kriterien beachten. Diese habe ich im letzten Jahr mit Geflüchteten erarbeitet. Die Kriterien sind: Partizipation: Geflüchtete Menschen wünschen sich, aktiv in die Erstellung von Angeboten involviert zu werden. Sie wollen z. B. vor der Entwicklung eines Projektes befragt werden. Inhaltliche Relevanz: Die Angebote müssen den Bedürfnissen der Geflüchteten entsprechen und ihnen beim Ankommen und Leben in Deutschland helfen. So wünschen sie sich für gewöhnlich eher Wohnungsberatung als

onen darzulegen. So werden Missverständnisse wie in Anas Beispiel vermieden. Anne-Marie Kortas von der KommunikatiHertie-Stiftung coacht Komon: Damit Gemunen, zielgruppengerechte Angebote auszuarbeiten. flüchtete von Angeboten erFoto: BS/GHST fahren, müssen die Kommunikationskanäle adäquat gewählt Yogakurse. werden. Typischerweise werden Projektträger: Für Geflüchte- mit Postern oder E-Mails wenite ist es nicht relevant, ob ein ger Menschen erreicht als per Projektträger privat oder staat- Facebook oder über persönliche lich ist. Jedoch müssen sich die Kontakte. Diese fünf Kriterien lassen sich Organisationen langfristig und auf alle Angebotsarten anwenehrlich für sie engagieren. Präsentation: Ein Angebot pas- den, sei es ein Lebenslauftraisend zu präsentieren, bedeutet ning oder ein Sprachcafé. Damit Kommunen die Bedürfu. a., alle relevanten Informatinisse ihrer Zielgruppe identifizieren können, habe ich ein interaktives Workshopformat entwickelt. Dort erarbeiten die relevanten Akteure gemeinsam praktische Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung bzw. Weiterentwicklung der Projekte. Im Falle von Anas Kommune hätte die Entwicklung des Angebotes mit der Zielgruppe eventuell zu einem detaillierten Poster oder persönlicher Informationsweitergabe geführt. Bedarfsorientierung ermöglicht es, guten Angeboten den letzten Schliff für den Erfolg zu geben.

Damit Stühle in Flüchtlingsprojekten nicht leer bleiben, gilt es, bedarfsgerecht zu informieren. Foto: BS/pixabay.com

Weitere Informationen auf Anfrage bei: amkortas@gmail.com

Kommunaler Datenschutztag 2017 EU-DSGVO: Auf dem Weg zum neuen Datenschutzrecht Foto: Q.Alexyndr, www.fotolia.com

Am 25. Mai 2018 wird die neue EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) in Kraft treten. Auch das neue Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), das die neuen europäischen Datenschutzvorgaben umsetzen und konkretisieren wird, findet dann Anwendung. Was kommt auf die öffentliche Verwaltung – insbesondere die Kommunen – zu? Was wird sich gegenüber dem derzeit noch geltenden Datenschutzrecht ändern? Darüber informiert der Kommunale Datenschutztag des Behörden Spiegel am 5. Dezember 2017 in Berlin. Themen der Veranstaltung u.a.: • Grundsätzliche Fragen der EU-DSGVO und der Regelungen durch das BDSG (neu) • Herausforderungen und Chancen des neuen Datenschutzrechts für Behördenvertreter auf der Grundlage des EU-DSGVO • Institutionelle Absicherungen des neuen Datenschutzrechts und Sanktionen Fachliche Leitung und Moderation: Prof. Dr. Wilfried Bernhardt Staatssekretär a.D. im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa Chief Information Officer a.D. der sächsischen Staatsregierung

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de

Foto: BS/SMJ


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / November 2017

Seite 17

10. KOMMUNALE in Nürnberg

Berliner aller Bezirke, beteiligt euch!

Topthemen Digitalisierung und Integration

Leitlinien für Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung

(BS/gg) Mitte Oktober war das Messezentrum Nürnberg wieder Treffpunkt für Entscheidungsträger aus dem (BS/kh) Mehr Partizipation der Berliner Bevölkerung in Fragen der räumlichen Stadtentwicklung – das ist das kommunalen Bereich. Die 10. KOMMUNALE, Deutschlands größte Fachmesse für Kommunalbedarf, hatte ihre Ziel, welches der Senat anstrebt. Hierfür wird es zukünftig klare Leitlinien geben, an deren Entwicklung die Tore geöffnet. Bürger von Beginn an beteiligt sein sollen. Ende Oktober kam erstmalig ein Arbeitsgremium zusammen, um den Plan in die Tat umzusetzen. Zum Jubiläum der Messe zeigten über 350 Aussteller eine breite Palette an Produkten und Dienstleistungen, vom Abfallentsorgungssystem bis zum Parkscheinautomaten vom versenkbaren Straßenpoller bis zur IT-Lösung für die Verwaltung. Im Rahmenprogramm der Veranstaltung wurde am ersten Messetag fünf Mal der Preis für den “Kommunalen ITProfi” verliehen. In den beiden Ausstellerfachforen wurden an beiden Tagen verschiedenste Zukunftsthemen für Städte und Gemeinden präsentiert. Auf dem parallel zur Fachmesse stattfindenden Kongress des Bayerischen Gemeindetags ging es in diesem Jahr um Themen wie interkommunale Zusammenarbeit oder digitale Schule. Der Veranstalter NürnbergMesse konnte an beiden Tagen fast 5.000 Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet begrüßen. Angesichts dieser Zahlen zeigte sich Christian Arnold, Abteilungsleiter Partner- und Publikumsveranstaltungen bei der NürnbergMesse, sehr zufrieden: “Ich freue mich sehr über die positive Entwicklung der KOMMUNALE. Wir begrüßen diesmal 356 Aussteller aus elf Ländern, das entspricht einem Zuwachs von über 13 Prozent im Vergleich zur Vorveranstaltung 2015.”

Kulturtechnik Datensouveränität lernen Dr. Ulrich Maly, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, setzte bei seinem traditionellen Grußwort zum Kongress des Bayerischen Gemeindetags ei-

im November im Stadtrat verabschiedet werden.

Deutschland digitales Mittelmaß

Auf der KOMMUNALE in Nürnberg wurden in der Ausstellung zahlreiche Innovationen für Städte, Gemeinden und Landkreise präsentiert, mitunter sogar mit galaktischer Unterstützung. Foto: BS/NürnbergMesse

nen besonderen Schwerpunkt beim Thema Digitalisierung. Diese ist auch für ihn eine der zentralen aktuellen Herausforderungen für die Kommunen, denen er wiederum im Transformationsprozess eine “entscheidende Rolle” zumisst. Wichtig sei es in diesem Zusammenhang, die digitale Bildung zu stärken und “die Kulturtechnik der Datensouveränität in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler zu verankern.” Um die Herausforderungen der Digitalisierung zukünftig noch besser meistern zu können, wird die Stadt Nürnberg, wie der Behörden Spiegel am Rande des Kongresses erfuhr, zum 1. Januar 2018 einen Chief Digital Officer (CDO) installieren, der organisatorisch unmittelbar beim Oberbürgermeister angesiedelt sein soll. Der entsprechende Beschluss soll noch

Wie die Digitalisierung unsere Welt verändert, zeigte den Teilnehmern anschließend Thomas Langkabel, National Technology Officer von Microsoft. Er machte dabei nicht nur das Ausmaß, die Möglichkeiten und die Konsequenzen des digitalen Wandels deutlich, Stichwort Internet of Things, sondern zeigte auch auf, dass die öffentliche Verwaltung auf allen Ebenen momentan dabei ist, hier den Anschluss an Gesellschaft und Wirtschaft zu verlieren. Deutschland sei bei der Digitalisierung in Europa ohnehin nur bestenfalls Mittelmaß. Es bestehe also insgesamt großer Handlungsbedarf, um hier den Anschluss nicht zu verpassen. Neben dem Thema Digitalisierung waren die Diskussionen am Rande des Kongresses des Bayerischen Gemeindetags (BayGT), wie schon 2015, stark von den Herausforderungen des Flüchtlingszuzugs geprägt. BayGTPräsident Dr. Uwe Brandl erklärte: “Die Bewältigung der Folgen der Flüchtlingskrise, wie die Wohnungssuche für anerkannte Asylbewerber und die Integration der Neuankömmlinge in unsere Gesellschaft, beschäftigen unsere Gemeinden und Städte derzeit am meisten. Hier erwarten wir weiterhin finanzielle Hilfe von Bund und Freistaat.” Brandl forderte vor diesem Hintergrund ein verstärktes Engagement für bezahlbaren Wohnraum.

Generationenwechsel im Koblenzer Rathaus Langner folgt am 1. Mai 2018 auf Hofmann-Göttig (BS/har) David Langner wird Koblenz neuer Oberbürgermeister. Der 42-jährige, der als unabhängiger Kandidat in die Wahl gegangen war, um parteiübergreifend die Bürger zu überzeugen, hat deutlich gewonnen. Er folgt am 1. Mai 2018 auf den 66-jährigen amtierenden OB Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig, der sich nicht wieder aufstellen ließ. Hofmann-Göttig steht seit 2010 an der Spitze der rheinland-pfälzischen Großstadt. Für seine Wahl benötigte Langner zwei Wahlgänge. In der Stichwahl konnte er sich mit dem klaren Ergebnis von 69,8 Prozent gegen seinen Kontrahenten, den Koblenzer Baudezernenten Bert Flöck, behaupten. Der Christdemokrat Flöck war ebenfalls unabhängig zur Wahl angetreten. 40 Prozent der 87.000 wahlberechtigten Bürger wählten bei der Stichwahl im Oktober ihr neues Oberhaupt, das für acht Jahre seine Regierungsgeschäfte im Koblenzer Rathaus aufnehmen wird. Mit David Langner erhält die Rheinstadt eine Persönlichkeit mit lokalen Wurzeln. Langner wurde im Koblenzer Stadtteil Horchheim am 20. September 1975 geboren. Der Politologe, der in Oldenburg, Marburg und Mainz studierte, begann seine Berufslaufbahn 2003 als Referent beim SPD-Landesverband in Mainz. 2006 zog er in den

eines Staatssekretärs im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demographie David Langner übernimmt wahr. Bis zur am 1. Mai 2018 das Amt des Übergabe im Oberbürgermeisters von kommenden Mai Prof. Dr. Joachim Hofmannwird Langner Göttig. Foto: BS/Sahra Reuther Staatssekretär in Mainz bleiben. Der neue Oberbürgermeister Landtag als Vertreter des heutigen rheinland-pfälzischen war mit seinem GrundsatzInnenministers Roger Lewentz programm, der “David-Langein und übernahm von ihm den ner-Garantie”, ins Rennen Wahlkreis Koblenz/Lahnstein. gegangen. Vor allem möchZwischen 2011 und 2013 te er in Koblenz bezahlbaren war Langner Vizepräsident der Wohnraum schaffen sowie den vorantreiben. Struktur- und Genehmigungs- Kita-Ausbau direktion Nord (SGD Nord) in Neben der Verbesserung der Koblenz – mit den Tätigkeits- Infrastruktur für Radfahrer feldern Landesplanung, Na- soll der ÖPVN auf Vordermann turschutz und Bauaufsicht. gebracht werden. Außerdem Seit dem Regierungsantritt der werden die Digitalisierung und rheinland-pfälzischen Minis- Verwaltungsmodernisierung terpräsidentin, Malu Dreyer, im wichtige Zukunftsthemen seiJahr 2013 nimmt er das Amt ner Amtszeit sein.

MELDUNG

Sauberkeitsbeauftragter für Offenbach (BS/mfe) Im hessischen Offenbach wird künftig eine Stabsstelle alle Aktivitäten der Bereiche Sauberkeit und Ordnung auf öffentlichen Flächen koordinieren. Unterstellt ist sie dem Ordnungsdezernenten und Bürgermeister Peter Schneider (Bündnis 90/Die Grünen). Geleitet wird die Stabsstelle von Christian Broos, der zuvor 13 Jahre lang die Sachgebiete Sauberkeit und Ordnung im Ord-

nungsamt der Stadt mit über 120.000 Einwohnern leitete. Er unterstrich: “Mit der Sauberkeit steht und fällt das Image einer Stadt. Eine saubere Fußgängerzone, saubere Straßen, gepflegte Wege, Parks und Spielplätze sorgen für eine bessere Aufenthaltsqualität in der Stadt.” Das wiederum ziehe mehr Besucher an und sorge für eine größere Attraktivität bei Unternehmen, so der Diplom-

Verwaltungswirt. Während der ersten Monate seiner neuen Tätigkeit will Broos alle Abläufe, die mit der Sauberkeit im öffentlichen Raum zu tun haben, überprüfen. Dabei wird er unter anderem die Müllabfuhr und die Praxis der Autowrackbeseitigung betrachten. Broos kündigt an: “Ich werde mir jeden einzelnen Ablauf genau anschauen und nach Optimierungsmöglichkeiten suchen.”

“Die Berlinerinnen und Berliner wollen bei der Entwicklung ihrer Stadt mitreden”, lässt die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, verlauten. “Der Senat begrüßt dieses Interesse und möchte mit den Leitlinien Bürgerbeteiligung ein Instrument entwickeln, das gute Beteiligung ermöglicht. Bürgerinnen und Bürger sollen wissen, wann und wie sie sich einbringen können. Klare Regeln und Grundsätze können es schaffen, dass Partizipationsprozesse bei Bau- und Planungsvorhaben nicht zu Verzögerungen führen, sondern zu einer schnelleren Umsetzung mit einem breiten Rückhalt aus der Bevölkerung.” In der Vergangenheit gab es auch seitens des Senats selbst Kritik an Volksentscheiden und Bürgerbegehren. Da diese nach dem Bezirksverwaltungsgesetz (BezVerwG) als Mitwirkung der Einwohner unter das Prinzip der Selbstverwaltung der Bezirke fallen, gab es für sie keine einheitlichen Regelungen. Befürchtet wurde, dass diese Formen der Bürgerbeteiligung sich gegen Pläne der Regierung wenden könnten und diese verzögern, wie es zum Beispiel der Volksentscheid zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel zeigte. Klare Leitlinien aber sollten die Partizipation optimieren. Das Arbeitsgremium, welches die Leitlinien für Bürgerbeteiligung entwickelt, setzt sich zusammen aus zwölf Vertretern aus der Bevölkerung sowie aus

Ganzheit und Einheit sind Richtlinien, die bei der Partizipation von Bürgern an Entscheidungsprozessen der räumlichen Stadtentwicklung eine bedeutende Rolle spielen. Sie sind zugleich Voraussetzung und Ergebnis von Bürgerbeteiligungen. Foto: BS/Wolfgang Staudt, CC BY 2.0 , flickr.com

zwölf Vertretern aus Politik und Verwaltung. Schon im Vorfeld war das Interesse der Bürger, bei diesem Arbeitskreis mitzuwirken, so groß, dass im Anschluss an das offene Bewerbungsverfahren die Mitglieder aus der Bevölkerung ausgelost wurden. Dabei spielten das Geschlecht, das Alter, der Wohnbezirk und andere Merkmale der Bewerber eine Rolle, um die Bürgerschaft möglichst umfassend zu repräsentieren. Die entwickelten Leitlinien sollen verbindlich festlegen, wann und wie über Vorhaben informiert werden soll, wie Beteiligungsprozesse praktisch umgesetzt werden können und was

mit den Ergebnissen der Beteiligung geschieht. Der inhaltliche Status und die erarbeiteten Ergebnisse des Arbeitsgremiums sollen dann veröffentlicht und zur Diskussion und Ergänzung freigegeben werden. Der gesamte Erarbeitungsprozess soll innerhalb eines Jahres in Form eines Entwurfs der Leitlinien Bürgerbeteiligung vorliegen, um ihn im Herbst 2018 an das Abgeordnetenhaus übergeben zu können. Ab Januar 2018 soll auch die gesamte Stadtöffentlichkeit in den Vorgang der Leitlinienentwicklung einbezogen werden. Hierzu dient die Online-Beteiligungsplattform mein.berlin.de .


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Personelles

Behรถrden Spiegel / November 2017


Behรถrden Spiegel / November 2017

Personelles

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Kommunaler Haushalt

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Behörden Spiegel / November 2017

Verfestigung der Zweiklassengesellschaft

Zwischenbilanz: “Stärkungspakt Stadtfinanzen”

Finanzschwache Kommunen machen die meisten Schulden

Nur ein erster Schritt zu nachhaltigen Finanzen

(BS/lkm) Im vergangenen Jahr konnten primär die Kommunen ihren Konsolidierungskurs fortsetzen, die ohnehin eine eher geringe Verschuldung aufweisen. Ganz anders war die Entwicklung bei stark verschuldeten Kommunen: Die Mehrheit musste im vergangenen Jahr zusätzliche Schulden machen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Ernst & Young (EY) Kommunenstudie, die auf einer Befragung von 300 deutschen Kommunen mit mindestens 20.000 Einwohnern beruht.

(BS/lkm) NRW-Kommunen, die am “Stärkungspakt Stadtfinanzen” teilnehmen, erreichen zwar den Ausgleich ihres Haushalts. Bei zwei Dritteln der 61 Stärkungspaktgemeinden werde die Haushaltskonsolidierung aber nicht nachhaltig sein. Hierzu seien weitere Maßnahmen nötig, um ihre meist schwachen sozioökonomischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie des RWI – LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung.

Für das kommende Jahr rechnen Deutschlands Kämmerer eher mit einem Ende der positiven Entwicklung als mit einem weiteren Schuldenabbau: 48 Prozent der für die aktuelle EY-Kommunenstudie befragten Städte planen, zusätzliche Schulden aufzunehmen, nur 41 Prozent gehen von einer sinkenden Verschuldung aus. Das habe zur Folge, dass der Großteil der Kommunen an ihrem Konsolidierungskurs festhalten und in den kommenden Monaten Steuern und Gebühren erhöhen werde. Drei von vier Kommunen (76 Prozent) gaben an, in diesem und im kommenden Jahr kommunale Steuern und Gebühren erhöhen zu wollen, jede vierte Kommune (25 Prozent) wolle Leistungen streichen. 33 Prozent der Städte und Gemeinden wollen die Gebühren für Kitas und Ganztagsplätze erhöhen. Ebenso viele Städte wollen die Friedhofsgebühren erhöhen. Bei der Grundsteuer planen 23 Prozent der Kommunen eine Erhöhung. In jeder vierten Stadt sollen zudem die Eintrittspreise etwa für Bäder und andere öffentliche Einrichtungen steigen. Eine Anhebung der Gewerbesteuer steht bei 14

Prozent der Kommunen auf der Agenda. Beliebteste Sparmaßnahme ist die Reduzierung der Straßenbeleuchtung (acht Prozent). Gespart werden soll auch an den Angeboten für Jugendliche und Senioren (vier Prozent). Ebenfalls vier Prozent der befragten Kommunen wollen den Betrieb ihrer Schwimmbäder einschränken oder die Bäder sogar ganz schließen. “Da es viele Kommunen gibt, die ihre Schulden nicht mehr alleine aus eigener Kraft tilgen können, müssen in den betroffenen Ländern Lösungen gefunden werden, diese übermäßige Verschuldung zurückzuführen”, fordert Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Partner bei EY. Es seien vor allem die kontinuierlich steigenden Sozialausgaben, die den Kommunen Sorge bereiten. Erschwerend komme hinzu, dass der starke Anstieg der Sozialausgaben überproportional stark solche Kommunen treffe, die finanziell ohnehin angeschlagen seien: “Für das laufende Jahr erwarten die Kommunen mit Haushaltsdefizit einen Anstieg ihrer Sozialausgaben um durchschnittlich 4,2 Prozent – die übrigen Städte sehen nur ein Plus von 2,8 Prozent”, erläutert Lorentz. Das Er-

gebnis sei eine Verfestigung der Zweiklassengesellschaft unter deutschen Kommunen.

Kommunen wollen stärker investieren Nachdem die Sachinvestitionen der deutschen Kommunen im vergangenen Jahr um 4,4 Prozent gestiegen sind, wollen die befragten Städte und Gemeinden auch in diesem Jahr mehr investieren. Vor allem für Kitas und Schulen soll es mehr Geld geben (durchschnittlich plus 4,3 Prozent), die Ausgaben für die IT-Infrastruktur sollen um zwei Prozent steigen und in den Straßenbau sollen 1,7 Prozent mehr fließen als im Vorjahr. Insgesamt rechnen die befragten Städte und Gemeinden mit einem Anstieg ihrer Investitionen um 3,2 Prozent. Dabei zeigen sich prosperierende Kommunen spendabler als finanzschwache Städte: So planen Kommunen, die in diesem Jahr voraussichtlich mindestens einen ausgeglichen Haushalt erreichen, einen Anstieg der Gesamtinvestitionen um 3,5 Prozent, während Kommunen mit Haushaltsdefizit nur einen Anstieg um 2,7 Prozent für realistisch halten.

“Doppik”

Der kommunale Gesamtabschluss von Dr. Ulrich Keilmann

Soweit Kommunen doppisch buchen, sind sie regelmäßig auch gehalten, einen Gesamtabschluss zu erstellen, d. h. die Gebietskörperschaft und ihre Auslagerungen sind so abzubilden, als seien sie ein “Konzern”. Leider bleiben hier viele Kommunen noch hinter den gesetzlich vorgegebenen Zielen zurück. Auch in Hessen geben HGO und LKO vor, den erstmaligen Gesamtabschluss zum 31. Dezember 2015 bis zum 30. September 2016 aufzustellen. Dieses Ergebnis erreichte keiner der geprüften Landkreise. Ähnlich sah es bei den 17 parallel untersuchten hessischen Städten aus, die zum Fristende lediglich in der Vorbereitung zum Gesamtabschluss mehr oder weniger Fortschritte aufwiesen. Bundesweit nehmen auf kommunaler Ebene v. a. die hessische Stadt Dreieich (Gesamtabschluss 2006) und die niedersächsische Stadt Salzgitter (Pilot-Gesamtabschluss 2008) eine Pionierrolle ein. Unter den Großstädten kommt der Stadt Frankfurt am Main eine Vorreiterrolle zu, die bereits zum Geschäftsjahr 2009 einen ersten konsolidierten Gesamtabschluss vorlegte. Insgesamt zeigt dies, dass das Gros der Kommunen die ge-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

setzlichen Anforderungen noch nicht erfüllt und auch der Weg zum Ziel “Gesamtabschluss” noch steinig ist. Erfahrungsgemäß liegt der Zeitaufwand für die Aufstellung eines Gesamtabschlusses im laufenden Prozess zwischen 80 und 200 Stunden. Für den ersten Gesamtabschluss ist mit dem doppelten bis dreifachen Zeitaufwand, also rund 200 bis 600 Stunden, zu rechnen. Dabei ist ein intensiver Informationsund Datenaustausch mit den in den Konsolidierungsprozess einzubeziehenden Aufgabenträgern unerlässlich. Es gilt, einen ausgereiften Konsolidierungsprojektplan, eine Konsolidierungsrichtlinie und einen “Konzern”-Kontenrahmen aufzustellen. Ebenfalls muss klar sein, in welchem System die Konsolidierungsbuchungen umgesetzt werden, z. B. in bereits eingesetzter Finanzsoftware oder spezieller Kon-

solidierungssoftware, und wie letztlich die Schnittstelle zwischen den Summen- und Saldenlisten von Kernhaushalt und Aufgabenträgern mit dem Konsolidierungssystem zu definieren ist. Die Überörtliche Prüfung empfiehlt auch hier einen intensiven Austausch zwischen den Kommunen. Als Hilfestellung für die geprüften Kommunen haben wir einen indikativen Gesamtabschluss erstellt und den Jahresergebnissen gegenübergestellt. Die so errechneten Ergebnisse lagen zwar von über zehn Millionen Euro positiv bis zu sechs Millionen Euro negativ gegenüber dem jeweiligen Jahresergebnis des Kernhaushalts. Insgesamt waren die so ermittelten indikativen Gesamtergebnisse aber nicht auffällig. Wie aber auch immer der Zeiger ausschlägt, der Nutzen liegt in der allumfassenden Darstellung von Gesamt-Schulden und GesamtVermögen und somit in einer transparenteren Aufbereitung der Haushaltslage des “Konzern Kommune”. Lesen Sie mehr zum Thema “Gesamtabschluss” im Kommunalbericht 2016, Hessischer Landtag, Drucksache 19/3908 vom 2. Dezember 2016, S. 44 ff. und S. 78 ff.

Der “Stärkungspakt Stadtfinanzen” wurde aufgelegt, um Kommunen bei der Sanierung ihrer Haushalte zu helfen. Er verpflichtete überschuldete Gemeinden, ihre Ergebnishaushalte auszugleichen. Im Gegenzug erhielten sie Konsolidierungshilfen. Bei einem Großteil der Kommunen führe der Haushaltsausgleich jedoch nicht zu nachhaltigen Finanzen. Den Städten fehle längerfristig das Eigenkapital und/oder sie könnten ihren Schuldendienst nur unzureichend abdecken, heißt es in der RWI-Studie.

Die Haushaltskonsolidierung in den Kommunen sei vielerorts vor allem durch Steuererhöhungen gelungen. Damit bestehe laut RWI die Gefahr, dass diese Gemeinden längerfristig ihre Wirtschaftskraft schwächen und so in eine Abwärtsspirale geraten. Auch sei der bisherige Konsolidierungserfolg zum Teil Faktoren zu verdanken, die nicht auf Dauer Bestand haben dürften: das günstige konjunkturelle Umfeld, die Hilfen des Bundes und die sinkenden Geld- und Kapitalmarktzinsen. Belastend wirke auch, dass fi-

nanzschwache Kommunen unter anderem über eine “Solidaritätsumlage” an der Finanzierung des Stärkungspakts beteiligt werden. Hier wäre eine Finanzkraftumlage die bessere Lösung, findet das RWI. Ferner fehle bislang eine systematische Analyse, inwieweit die kommunale Finanzausstattung ausreichend ist. Eine solche Analyse sollte sich nicht auf den horizontalen Finanzausgleich unter den Kommunen beschränken, sondern einen Systemwechsel hin zu einer aufgabenorientierten Bedarfsmessung ins Auge fassen.

Gemeindefinanzbericht 2017 Städte forderen Chancengerechtigkeit (BS/lkm) Anfang November stellte der Deutsche Städtetag seinen Gemeindefinanzbericht 2017 vor. Darin fordern die Städte von einer neuen Bundesregierung Lösungen, um wachsende Unterschiede zwischen strukturschwachen und wirtschaftsstarken Städten und Regionen abzubauen sowie den Abbau von Altschulden zu ermöglichen. Der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, sagte: “Wir wollen, dass unsere Städte Chancen für alle Menschen bieten, die in ihnen wohnen. Egal ob in Ost, West, Nord oder Süd. Bund und Länder müssen dafür sorgen, dass die Städte finanziell so ausgestattet sind, ihre Aufgaben erfüllen zu können und dass die Infrastruktur nicht verfällt. Deshalb fordern wir von einer neuen Regierungskoalition den Ausbau der Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsstruktur zu einem leistungsfähigen, gesamtdeutschen Regionalfördersystem, das Entwicklungs-

chancen für alle Städte bietet und das Wachstum in den strukturschwachen Regionen stärkt.” Die regionalen Unterschiede hätten in der Vergangenheit vielfach zugenommen. Gleichzeitig zeige die Entwicklung in einigen Regionen in Ostdeutschland, dass sich durch Investitionen in die Infrastruktur die Chance auf Anschluss an die allgemeine Entwicklung verbessern könne. Der Städtetag zeigt sich zudem über das Risiko, das sich aus den hohen Altschuldenbeständen vor allem in strukturschwachen Kommunen ergibt, besorgt. Bei wieder steigenden Zinsen sei das

kaum beherrschbar. Betroffene Städte könnten ihr Altschuldenproblem nicht allein lösen. Diese Städte sollten Unterstützung von Bund und Ländern erhalten, erläutert die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetages, Verena Göppert: “Kommunen mit Kassenkrediten in Höhe von mehreren Tausend Euro je Einwohner können bei steigenden Zinsen in eine finanzpolitische Katastrophe laufen. Hier ist der Bund gefordert, zusammen mit den jeweiligen Ländern in der neuen Legislaturperiode eine Lösung des Altschuldenproblems anzugehen.”

Steuern in der öffentlichen Verwaltung Neues Umsatzsteuerrecht und Internes Kontrollsystem Steuern effizient verbinden (BS/Silvia Michel) Spätestens bis Ende 2020 müssen juristische Personen öffentlichen Rechts die Anforderungen des neuen Umsatzsteuerrechts in den Verwaltungsprozessen umgesetzt haben. Ab 2021 werden Tätigkeiten von Bundes- und Landesbehörden, Kommunen sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen öffentlichen Rechts dem unternehmerischen Bereich im Sinne des Umsatzsteuergesetzes zugeordnet, wenn deren Nichtbesteuerung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt oder diese auf Grundlage privatrechtlicher Vereinbarungen erbracht werden. Öffentliche Einrichtungen müssen deshalb überprüfen, inwieweit ihre Einnahmen und Vereinbarungen zukünftig der Umsatzsteuer unterliegen oder neue Erklärungspflichten entstehen. Gleichzeitig sind die Beschäftigten zu informieren, Verträge mit den richtigen Umsatzsteuerklauseln zu versehen und viele interne Abläufe anzupassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle Fachbereiche einbezogen werden. Die Anpassung der Verwaltungsprozesse nimmt erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch und sollte bei der Planung des Prozesses berücksichtigt werden. Insbesondere aus dem Grund, weil innerhalb der Verwaltung nur in seltenen Fällen eine Stelle über den notwendigen Gesamtüberblick verfügt.

erklärungen als Selbstanzeige zu werten, das heißt, sie unterstellt Steuerhinterziehung oder zumindest eine grob fahrlässige Steuerverkürzung. Damit birgt Foto: BS/Trinavis eine Berichtigung von ungewollten Fehlern ein strafrechtliches Risiko. Inzwischen hat die Finanzverwaltung sich zur Abgrenzung zwischen Berichtigungspflicht und Selbstanzeige geäußert. Danach kann bei Vorliegen eines funktionierenden internen Kontrollsystems für Steuern ein Organisationsversagen in der Regel ausgeschlossen werden. Persönliche und finanzielle Haftungsrisiken lassen sich somit durch ein konzeptionell überzeugendes Tax Compliance Management System vermeiden.

Silvia Michel ist Partnerin bei der Berliner Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Trinavis. Sie berät regelmäßig Unternehmen der öffentlichen Hand zu steuerrechtlichen Fragen.

Warum ein Tax Compliance Management System sinnvoll ist Gleichzeitig steigen die Steuererklärungspflichten der öffentlichen Verwaltung. Dabei ist zu beachten, dass die unrichtige oder unvollständige Einreichung von Steuererklärungen erhebliche finanzielle Risiken birgt und darüber hinaus strafrechtliche Konsequenzen für gesetzliche Vertreter und Beschäftigte nach sich ziehen kann. Die Steuergesetzgebung ist komplex und unternehmerischer und Hoheits-Bereich sind nicht immer leicht voneinander abzugrenzen. Beschäftigte müssen auch in großen Strukturen steuerlich relevante Sachverhalte als solche erkennen und an die zuständige Abteilung weiterleiten. Damit kann die Abgabe unvollständiger Steuererklärungen durch die Verwaltung nie ganz ausgeschlossen werden. Leider geht die Finanzverwaltung vermehrt dazu über, bloße Berichtigungen von Steuer-

Wie Sie effizient ein wirksames Kontrollsystem Steuern und die Umsetzung des neuen Umsatzsteuergesetzes miteinander verbinden, erörtern wir gerne mit Ihnen bei unseren anstehenden Mandantenseminaren. 22.11.2017 und 6.12.2017, jeweils 10-13 Uhr Trinavis Cicerostraße 2, 10709 Berlin Anmeldungen per E-Mail an christiane.wolf@trinavis.com


Behörden Spiegel / November 2017

B

ehörden Spiegel: Wie relevant ist die öffentliche Hand für die Inkassobranche?

Pedd: Die meisten Inkassounternehmen arbeiten zwar für Auftraggeber aus der Privatwirtschaft. Aber auch die öffentliche Hand ist für uns sehr relevant. Alleine schon die Tatsache, dass Bund, Länder und Kommunen Inhaber von Forderungen in Milliardenhöhe sind, macht sie zu wichtigen Gesprächspartnern für uns. Behörden Spiegel: Welchen Anteil machen die Forderungen der öffentlichen Hand in der Inkassowirtschaft aus? Pedd: Ich kann Ihnen zwar keine konkrete Zahl nennen, da wir das aktuell nicht erhoben haben. Laut dem Statistischen Bundesamt summierten sich die Außenstände der öffentlichen Hand Ende 2015 auf rund 70 Milliarden Euro. Das ist ein erheblicher Betrag, der dem Steuerzahler zusteht. Man sollte daher darüber nachdenken, wie man dieses Geld für den Staatshaushalt effektiv einziehen kann. Behörden Spiegel: Warum braucht die öffentliche Hand für ihr Forderungsmanagement externe Dienstleister? Hat sie nicht selbst die Möglichkeiten und die Expertise, sich darum zu kümmern? Pedd: Auf keinen Fall möchte ich die Expertise der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst kritisieren. Es wird aber im Rahmen der Haushaltskonsolidierungen eben auch im Öffentlichen Dienst gespart, was wiederum dazu führt, dass vielerorts nicht mehr das notwendige Personal zur Verfügung steht. Die öffentliche Hand hat ein Ressourcen-,

Kommunaler Haushalt / Forderungsmanagement

“Der Handlungsdruck wird größer” Länderhaushalten drohen Ausfälle in Milliardenhöhe (BS) Kirsten Pedd, Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU), sprach mit dem Behörden Spiegel über Verbesserungsbedarf beim Forderungsmanagement der öffentlichen Hand. Sie sieht in Anbetracht der hohen Außenstände in Milliardenhöhe akuten Handlungsbedarf. Aufseiten der öffentlichen Hand zeigt man jedoch noch Zurückhaltung bei der Beauftragung externer Dienstleister – zu Unrecht, findet Pedd. Die Fragen stellten Julia Seeliger und Lora Köstler-Messaoudi. kein Expertisenproblem, insbesondere beim Forderungsmanagement. Auf der anderen Seite gibt es beispielsweise in den Sozialämtern auch Konstellationen, in denen es aus meiner Sicht sinnvoller wäre, diesen Bereich auszulagern. Zum Beispiel sollten die Mitarbeiter, die Unterhaltsvorschüsse bewilligen und auszahlen, nicht gleichzeitig auch für den Forderungseinzug bei denselben Bürgern verantwortlich sein. Es ist effektiver, wenn man das voneinander trennt. Behörden Spiegel: Sie sprachen gerade den Unterhaltsvorschuss an. Hier betragen die offenen Forderungen rund 650 Mio. Euro pro Jahr. In welchen Bereichen hat die öffentliche Hand die meisten ausstehenden Forderungen? Pedd: Den höchsten Anteil machen Steuerforderungen aus. Auch im Sozialbereich und bei den Lohnersatzleistungen gibt es erhebliche Außenstände – und sie dürften weiter wachsen. Laut Experteneinschätzungen rollt bei den Unterhaltsvorschüssen auf die Länder eine regelrechte Kostenwelle zu, da durch eine Gesetzesänderung zukünftig Unterhaltsvorschüsse auch für ältere Kinder ausgezahlt werden. Den Länderhaushalten drohen dadurch Ausfälle in Milliardenhöhe. Um die damit verbundenen Aufgaben zu schultern,

“Die öffentliche Hand hat ein Ressourcen-, kein Expertisenproblem.” Kirsten Pedd ist Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU). Foto: BS/BDIU

fehlen von Ort aber die Kapazitäten. Behörden sollten daher die Chance nutzen und sich externe Expertise hinzuziehen.

Behörden Spiegel: Welche Kosten fallen in den Kommunen für die Beauftragung eines Inkassounternehmens an?

Behörden Spiegel: Wie können Inkassounternehmen die öffentliche Hand konkret unterstützen – wie gehen sie dabei methodisch vor?

Pedd: Ein häufig angewandtes Vergütungsmodell ist eine anteilige Provision am Geldeingang. Das Inkassounternehmen verdient nur dann Geld, wenn es beim Einzug der Forderung auch erfolgreich ist. Außerdem hat dieses Vergütungsmodell eine schuldnerschützende Funktion, da eine bestehende Forderung nicht weiter anwachsen kann, denn Inkassokosten werden nicht geltend gemacht. Wie hoch die Provision ist, ist Verhandlungssache.

Pedd: Wenn man für die öffentliche Hand arbeitet, ist das gängige Modell der Verwaltungshelfer. Das Inkassounternehmen ist hier der verlängerte Arm der Verwaltung, und die gibt vor, was genau getan werden soll. Das Vorgehen wird individuell mit der Verwaltung abgestimmt. Auch die Schreiben, die verschickt werden, werden seitens der Verwaltung zuvor freigegeben. Das Verwaltungsermessen bleibt dabei immer bestehen, das heißt, die Verwaltung kann jederzeit bei jedem Fall ihr Ermessen ausüben, um einen Vorgang zu stoppen oder weiter voranzutreiben.

Behörden Spiegel: Welche Probleme haben sich in der Praxis gezeigt, wenn die öffentliche Hand Inkassounternehmen beauftragt hat? Pedd: Wirkliche Probleme kenne ich nicht. Den einen oder anderen Schuldner mag es irritieren, Post von Inkassounter-

nehmen zu bekommen, wenn er der öffentlichen Hand etwas schuldet. Das lässt sich meiner Erfahrung nach allerdings vermeiden, wenn man im Vorfeld eine vernünftige Kommunikationsstrategie aufsetzt, sodass dem Schuldner eindeutig klar ist, dass das Inkassounternehmen hier als Verwaltungshelfer für die Behörde handelt. Behörden Spiegel: Wo nimmt die öffentliche Hand bereits Inkassounternehmen in Anspruch? Pedd: Es gibt Beispiele aus dem Bundesland Hessen sowie aus der Landeshauptstadt Wiesbaden. In Nordrhein-Westfalen hat die Stadt Essen eine Vorreiterfunktion. Auch die Bundesagentur für Arbeit beauftragt zwei Inkassounternehmen mit dem Einzug von Forderungen. Zudem gibt es in den neuen Bundesländern durchaus Kommunen, die ganz offen damit umgehen. Behörden Spiegel: Tendenz steigend? Pedd: Ja, da der Handlungsdruck größer wird. Vielen Gemeinden und Städten fehlt das Geld, das sie brauchen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Da ist es nur logisch, dass sie sich nach zusätzlichen Einnahmequellen umschauen. Es ist dann naheliegend, die Forderungen einzuziehen, die der Stadt oder Kommune sowieso berechtigterweise

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zustehen. Wir reden hier, wie gesagt, von einem zweistelligen Milliardenbetrag, der nicht effektiv eingezogen wird. Wir sind der Ansicht, dass die öffentliche Hand hier noch mutiger sein müsste, denn es gibt gute Beispiele und es gibt gute Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Behörden Spiegel: Warum zögern hier viele Verwaltungen? Pedd: Häufig gibt es noch Berührungsängste. Diese versuchen wir durch Transparenz und Offenheit abzubauen. Wir gehen in Gespräche, bieten aber auch Schulungen an, um beispielsweise über Themen wie Datenschutz aufzuklären. Gerade in diesem Punkt unterscheiden sich die Vorgaben von Bundesland zu Bundesland teilweise erheblich, und das kann manchmal problematisch für einige Verwaltungen sein, die gerne mit Inkassounternehmen zusammenarbeiten möchten. Meine Erfahrung allerdings ist, dass sich diese Probleme lösen lassen, zum Beispiel indem man die zuständigen DatenschutzAufsichtsbehörden bereits frühzeitig in die Projekte einbindet und die einzelnen Maßnahmen mit ihnen abstimmt. Es wäre sicherlich auch hilfreich, wenn sich die Politik eindeutiger für die Möglichkeit einer solchen Zusammenarbeit von Behörden und externen Rechtsdienstleistern aussprechen würde. Von einem besseren Forderungsmanagement der öffentlichen Hand würden alle Bürgerinnen und Bürger erheblich profitieren. Immerhin geht es hier um Steuergelder. Daher scheut sich der BDIU auch nicht, deutliche Kritik daran zu üben, dass eine Zusammenarbeit zwischen Inkassounternehmen und öffentlicher Hand noch immer zu wenig als Chance gesehen wird.


Forderungsmanagement

Behörden Spiegel / November 2017

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Zersplittertes Forderungsmanagement

Erprobung der Zusammenarbeit

Zwei Milliarden Euro Außenstände in Berlin

Pilotprojekt der Stadt Essen mit externen Dienstleistern

(BS/lkm) Ende 2016 hatte das Land Berlin offene Forderungen gegenüber Bürgern und Unternehmen in Höhe von rund 2,1 Milliarden Euro, die die Verwaltung bis dato nicht einbringen konnte. Der Schuldenstand des Landes betrug zur gleichen Zeit knapp 60 Milliarden Euro. Der Rechnungshof übt deutliche Kritik am Forderungsmanagement des Landes.

(BS/Beate Behnke-Hahne) Kommunalverwaltungen suchen zunehmend nach Optimierungsstrategien, um die seit Jahren steigenden Fallzahlen im Forderungsmanagement schneller und effizienter zu bewältigen. Was im Zeitalter der Kameralistik mangels valider Datengrundlagen noch unzureichend war, ist im Zeitalter der kommunalen Bilanzen deutlich leichter geworden. Das Forderungsmanagement wird in den öffentlichen Verwaltungen zunehmend in betriebswirtschaftlicher und kaufmännischer Dimension betrachtet.

Die größten Außenstände hat die Finanzverwaltung Berlins. Dort summieren sich offene Steuerforderungen auf mittlerweile zwei Milliarden Euro. Die Innenverwaltung hat offene Forderungen für Bußgelder in Höhe von rund 21 Millionen Euro. In den Bezirken setzt sich das Problem fort. Hier schlagen vor allem offene Forderungen im Bereich des Unterhaltsvorschusses zu Buche. Die Bezirke haben hier insgesamt Außenstände in Höhe von knapp neun Millionen Euro. Am höchsten sind sie in Spandau und Marzahn-Hellersdorf mit jeweils über einer Million Euro.

Personalmangel und uneinheitliche Verfahren Grund für die hohen Außenstände bei den Bußgeldern sei vor allem der Personalmangel bei der Polizei, kritisiert die Berliner Gewerkschaft der Polizei. Doch auch Mängel beim Forderungsmanagement des Landes führten zu den hohen Außenständen. Eine 2013 eingesetzte “Arbeitsgruppe Forderungsmanagement” legte im letzten Jahr ihren Bericht vor, und machte darin deutlich, dass das Forderungsmanagement des Landes zersplittert ist. Mindestens 2.376 Beschäftigte des Landes und der Bezirke betreiben dem-

nach in irgendeiner Form Forderungsmanagement. Die Arbeitsgemeinschaft hatte zudem festgestellt, dass nur 30 Prozent der Verwaltungen Statistiken und standardisierte Abfragen nutzen, um die Forderungen zu überwachen. Erschwerend komme hinzu, dass in den einzelnen Bezirken und Senatsverwaltungen des Landes zum Bearbeiten der Forderungen unterschiedliche Fachsoftware und Verfahren angewendet würden, wie Klaus Feiler, Staatssekretär der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen, in einem aktuellen Bericht über die niedergeschlagenen Forderungen des Landes schreibt. Auch der Berliner Rechnungshof moniert in seinem aktuellen Jahresbericht grundlegende Mängel beim Forderungsmanagement. So werde in den geprüften Bezirksämtern dem Forderungsmanagement nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen. Auch seien nicht alle Forderungen im ITVerfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Landes Berlin erfasst. Hierfür seien fehlende Schnittstellen der eingesetzten IT-Fachverfahren maßgeblich ursächlich. Dies habe zur Folge, dass für eine übergreifende Steuerung und Überwachung offener Forde-

rungen nur eine unvollständige Datengrundlage zur Verfügung stehe. Zudem seien die Funktionalitäten des automatisierten Mahnverfahrens teilweise unbekannt bzw. würden nicht genutzt werden. “Die Senatsverwaltung für Finanzen hat nicht dafür gesorgt, die Mängel im Rahmen ihrer gesamtstädtischen Leitungs- und Steuerungsaufgaben abzustellen”, konstatieren die Prüfer.

Modellprojekt Marzahn Zur Optimierung seines Forderungsmanagements hat Berlin ein Modellprojekt in MarzahnHellersdorf zur Einrichtung von dezentralen Controllingeinheiten eingerichtet. Das Projekt wurde bis 2018 verlängert. In der Finanzverwaltung erhofft man sich daraus weitere Erkenntnisse, die dann in anderen Bezirken angewendet werden könnten. In ihrem Jahresbericht haben die Rechnungsprüfer dem Land zahlreiche Empfehlungen zur Optimierung der Organisation des Forderungsmanagements an die Hand gegeben. Man könne daher nicht nachvollziehen, warum die Berliner Senatsverwaltung vor organisatorischen Maßnahmen zunächst noch die Evaluation des Modellprojekts in lediglich einem Bezirksamt abwarten wolle.

“Forderungsmanagement”

Die vier Säulen der Entlastung von Rechtsanwalt Bernd Krziscik

Auch ein Inkassounternehmen als Berater einzusetzen, erscheint angesichts der kontinuierlich steigenden Arbeitsbelastung der öffentlichen Verwaltung als ein probates Mittel zur Entlastung. Dabei kann man sich von verschiedenen Arten der Last befreien. Von was kann sich die öffentliche Verwaltung entlasten? Entlastung von vielen kleinen Lasten, Unbekanntem, Unbequemen und Ungeliebtem. Eine Entlastung von vielen kleinen Aufgaben könnte beispielsweise die Auslagerung des ersten Mahnschreibens sein, das vom Inkassounternehmen vollautomatisiert ver-

Bernd Krziscik (49) ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der KOHL GmbH & Co. KG, www. kohlkg.de . Foto: BS/KOHL GmbH & Co. KG

sendet wird – und damit Zeit und Arbeit spart. Genauso verhält es sich bei der Befreiung von Unbekanntem sowie Unbequemen: Mit der Ausgliederung von Prozessschritten wie Gesprächen mit Schuldnerberatungen und den erforderlichen Telefonaten, können wertvolle Ressourcen gespart

werden. Auch der Überwachungsprozess in der Wohlverhaltensphase kann durch ein Inkassounternehmen effizient erledigt werden. Die unangenehme Konfrontation mit einem Bürger als ungeliebte Notwendigkeit kann durch darauf spezialisierte Inkassomitarbeiter übernommen werden, die ergebnisorientiert und empathisch auf die Bürger eingehen. Aus einer genauen Prüfung, welche Aufgaben möglichweise abgegeben werden sowie gemeinsamen Gesprächen mit dem Dienstleister können sich somit erste Anhaltspunkte zur effizienten Entlastung der Verwaltung ergeben.

Die Stadt Essen hat im Rahmen der Optimierung des Forderungsmanagements mehrere Handlungsansätze gewählt und im Jahr 2016/17 umgesetzt. Der Kern der Optimierung bestand in der Neuausrichtung der Aufbauorganisation an den Geschäftsprozessen entlang der Forderungen. Das Mahnwesen und die Vollstreckung wurden zusammengelegt, die Stammdaten einschl. SEPA-Mandate zentralisiert und ein Service-Desk als Anlaufstelle für die Bürger eingerichtet. Die vorgelagerten Prozesse in den Ämtern wurden in den Blick genommen, die Geschäftsvorfälle der Stundung und Niederschlagung im Forderungsmanagement zentralisiert. Ein weiterer Optimierungsansatz war die Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistungsunternehmen. In einem auf ein Jahr angelegten Projekt wurden die technisch-organisatorische Verwaltungshilfe und der Aufbau von Geschäftsprozessen erprobt. Gegenstand der Zusammenarbeit waren niedergeschlagene Forderungen, bei denen alle Optionen der Eigenvollstreckung ausgeschöpft waren. Die Stadt Essen hat für die Zusammenarbeit die Rechtsfigur des Verwaltungshelfers gewählt. Grundsätzlich ist die Übertragung von Aufgaben der Zwangsvollstreckung an Dritte unzulässig, Ausnahmen gelten in engen Grenzen für Verwaltungshelfer, die unselbständig mit der Durchführung von Unterstützungstätigkeiten beauftragt werden. Bei der Vertragsgestaltung wurde auf die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sowie der Vorschriften zum Schutz des Steuer- und Sozialgeheimnisses geachtet. Der vertraglich festgelegte Kompetenzahmen umfasste: Führung der Korrespondenz mit den Schuldnern einschließlich aktiver und passiver Telefonkontakte, Adressund Arbeitgeberrecherche, Bonitätsprüfung und Abschluss von Ratenzahlungsvereinba-

Im Rathaus von Essen hat man sich aufgrund der positiven Erfahrungen entschieden, nach dem Pilotprojekt auch weiterhin private Inkassodienstleister zu beauftragen. Foto: BS/peterpe1, CC BY NC 2.0, flickr.com

grund von Anschreiben der Inkassodienstleister. • Die realisierte Einziehungsquote von 2,2 Prozent (ohne nachlaufende Ratenzahlungen nach Projektende) hat die hohe Qualität des kommunalen Forderungsmanagements und die Niederschlagungspraxis der Stadt Essen bestätigt. • Die Arbeitsentlastung durch die Verwaltungshilfe ermöglicht die Intensivierung der eigenen Beitreibung “junger” Forderungen und erhöht insgesamt die Einziehungsquote im Forderungsmanagement. • Die Erprobung hat gezeigt, dass die Einbindung eines privaten Inkassodienstleisters einen Nutzen für den Auftraggeber darstellt, wenn hierfür ein geordneter, sicherer und einfach zu handhabender Prozess implementiert wird. • Die Stadt Essen hat sich aufgrund der positiven Erfahrungen aus dem Erprobungsprojekt zur Fortsetzung der Zusammenarbeit mit einem noch zu bestimmenden Inkassounternehmen entschieden und schreibt aktuell die Dienstleistung beschränkt aus.

Dipl.-Kff. Beate BehnkeHahne leitet den Fachbereich “Finanzbuchhaltung und Stadtsteueramt” bei der Stadt Essen. Sie ist für das externe Rechnungswesen der Stadt Essen verantwortlich. Ihr Schwerpunkt liegt in der Optimierung der Prozesse des Rechnungswesens und Ausrichtung der kommunalen Ablauf- und Aufbaustrukturen an den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. Foto: BS/privat

rungen im festgelegten Umfang. Der Datenschutzbeauftragte, das Rechtsamt, die Rechnungsprüfung sowie der Personalrat wurden im Vorfeld beteiligt. An drei Projektpartner, EOS Deutschland GmbH, GFKL Financial Services AG und Lindorff Deutschland GmbH, wurden niedergeschlagene Forderungen zu rd. 3.000 Schuldnern mit einem Forderungsvolumen von 2,6 Mio. Euro übergeben. Das Projekt wurde am 30.06.2017 mit folgenden Erkenntnissen abgeschlossen: • Die Datenaufbereitung und technische Übergabe in der Startphase waren aufwendig, der Aufwand jedoch einmalig und u. a. dem Modellcharakter des Projektes geschuldet. • Sehr ruhiger Projektverlauf ohne nennenswerte Arbeitsbelastung beim Auftraggeber. • Keine negativen Reaktionen seitens der Schuldner auf-

Sachsen will Rückholquote verbessern Einheitliche Vorgehensweise angestrebt (BS/lkm) Daniela Kuge, frauenpolitische Sprecherin der CDU Sachsen, erklärte in einer Debatte im Sächsischen Landtag, dass man die Rückholquote beim Unterhaltsvorschuss verbessern wolle, Sachsen liege hier deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. “Beim Unterhaltsvorschuss geht der Staat in Vorleistung. So verursachten 2016 säumige oder nicht auffindbare Unterhaltszahler dem Freistaat zusätzliche Kosten von mehr als 56 Millionen Euro!”, kritisierte Kuge. Die Rückholquote soll nun erhöht werden. “Wer sich für Kinder entscheidet, sollte auch Verantwortung übernehmen! Was Eltern unter sich klären müssten, klären wir – nicht, um die säumigen Zahler zu schützen, sondern zum Wohle der Kinder”, mahnt Kuge.

Im Ergebnis beauftragte der Landtag die Staatsregierung mit wenigen Enthaltungen, die aktuelle Situation der Inanspruchnahme des Unterhaltsvorschusses sowie die Ursachen darzustellen. Außerdem soll der Landtag berichten, welche Anstrengungen unternommen werden, bundesweit eine einheitliche Vorgehensweise und Zusammenarbeit zu ermöglichen und wie bspw. das Land die Kommunen unterstützen kann, um die Rückholquoten zu erhöhen.

Beim Unterhaltsvorschuss geht der Staat in Vorleistung für den ausbleibenden Barunterhalt eines Elternteils. Diese Sozialleistung tragen Bund, Länder und Kommunen. Mit der Ausweitung des Anspruchs sei mit einer Steigerung um 50 Prozent zu rechnen. Die vorgestreckten Mittel können bisher nur begrenzt und landesweit sehr unterschiedlich beim anderen Elternteil zurückgeholt werden. In Sachsen lag die Rückholquote 2014 mit 16 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.

MELDUNG

Defizite beim Forderungsmanagement (BS/lkm) Der Baden-Württembergische Rechnungshof kritisiert in seiner Denkschrift 2017 das Forderungsmanagement der beiden Materialprüfungsanstalten in Stuttgart und Karlsruhe. So haben die beiden Materialprüfungsanstalten trotz Kenntnis der wirtschaft-

lich angespannten Situation über Jahre hinweg Teile der ihr zustehenden Einnahmen nicht oder nicht rechtzeitig geltend gemacht. Die Summe der offenstehenden Forderungen bewegte sich zur Zeit der Prüfung in einer Größenordnung von über einer Million Euro.

Durch Verjährungen seien den beiden Anstalten in den letzten zehn Jahren Einnahmen von 260.000 Euro entgangen, monieren die Prüfer. Der Rechnungshof fordert die Materialprüfungsanstalten auf, ihr Forderungsmanagement an beiden Standorten zu verbessern.


Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

Behörden Spiegel / November 2017

Kreislaufwirtschaft fast ohne Kreislauf

K

unststoff, der Werkstoff, der lange Zeit aufgrund seiner Beschaffenheit als das innovative Verpackungsmaterial gefeiert wurde, stellt die Welt mehr und mehr vor große Probleme. Die globale Produktion von Plastik hat sich seit 1964 verzwanzigfacht. Weltweit gehen derzeit fünf Prozent des TreibhausgasAusstoßes und sechs Prozent der Erdölproduktion auf das Konto der Kunststoffproduktion. Darüber hinaus ergibt sich dadurch zwangsläufig die Schwierigkeit der Entsorgung. Jedes Jahr gelangen über zehn Millionen Tonnen Plastikmüll in die Meere, wovon der Großteil Verpackungsmaterial darstellt, berichtet Kristine Doroško von der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission.

Mangelnde Umsetzung Zwar gibt es recyclingfähiges Plastik, das sich zu wiederverwendbarem Recyklat umwandeln lässt, doch ist dessen Einsatz nicht reguliert. PET beispielsweise ist dank seiner chemischen Eigenschaften theoretisch kreislauffähig, in der Praxis aber werden lediglich ca. ein Viertel der entsorgten PETFlaschen recycelt. Der größte Teil geht in Anwendungen, die häufig nicht mehr wiederverwertet werden (können). Umweltverbände fordern deshalb eine umfassende und vor allem EU-weite Ressourcenschonungspolitik, die die Produzentenverantwortung noch stärker hervorheben und auf Abfallvermeidung setzen soll. Dr. Sandra Schöttner, Greenpeace-Meeresexpertin, stellt alarmiert fest: “Wir exportieren nicht nur unseren Müll und falsche Lösungen, sondern auch unser Konsumverhalten.” Dass in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Regeln gelten, werde von vielen Unternehmen in Form von Doppelstandards ausgenutzt. Kunststoffhersteller auf der anderen Seite warnen vor einheitlichen Standards auf europäischer

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Neues Verpackungsgesetz stärkt Kommunen und soll Kunstsstoffrecycling fördern (BS/Katarina Heidrich) 2019 wird das neue Verpackungsgesetz (VerpackG) in Deutschland in Kraft treten. Mit diesem hat der Gesetzgeber eine Grundlage geschaffen, um Auswirkungen von Verpackungsabfällen auf die Umwelt möglichst gering zu halten und sich dem Ziel eines wortwörtlichen Kreislaufs in der Abfallentsorgung zu nähern. Einflussmöglichkeiten der Kommunen sollen gestärkt werden, allerdings in Abhängigkeit und Kooperation mit den Dualen Systemen. Auch Umweltverbände und Hersteller sind sich uneinig ob der Verantwortlichkeiten innerhalb der Kreislaufwirtschaft. Ebene und fürchten Einbußen der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Staaten. Der Verband der Kunststofferzeuger PlasticsEurope sieht schon jetzt eine große Spaltung zwischen den Ländern im Umgang mit Kunststoffabfällen und setzt auf Wissenstransfer statt politischer Reglementierungen. Der Kompromiss hier wäre ein Regelwerk, das zum einen die Ziele der Kreislaufwirtschaft – im Sinne eines echten Kreislaufs – befördert und zum anderen den freien und fairen Wettbewerb gewährleistet.

Das neue Verpackungsgesetz soll Abhilfe schaffen Das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen, kurz das Verpackungsgesetz, soll die Balance zwischen ökologischen und ökonomischen Zielvorstellungen bei der Kunststoffverwertung gewährleisten. Hierfür werden Maßnahmen getroffen, die die gesamte Wertschöpfungskette betreffen. Angefangen bei den Herstellern, wird es Änderungen geben, die von vornherein die Recyclingfähigkeit von Verpackungen fördern sollen. Dazu wurde am 28. Juni 2017 von Herstellern und Vertreibern die “Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister” geschaffen. Das zentrale Register, das für mehr Transparenz und Kontrolle bei Entsorgungs- und Recyclingprozessen von Verpackungen sorgen soll, führt alle Produktverantwortlichen aus Industrie und Handel auf. Die

MELDUNGEN

Ob die Wertstofftonne kommt, hängt auch weiterhin von der einvernehmlichen Abstimmung der Kommunen mit den Dualen Systemen ab. Foto: BS/Klaas Brumann, flickr.com

zentrale Stelle soll zudem kongruente Standards für recyclinggerechtes Design – Ökodesign – von Verpackungen entwickeln. Hersteller, die ökologische Verpackungen verwenden, werden dann von den Dualen Systemen durch geringere Lizenzentgelte belohnt. Die Nachhaltigkeitskriterien hierfür werden unter Fachaufsicht des Umweltbundesamtes erarbeitet. Die Arbeit der Behörde, die künftig für die Feststellung der Marktanteile zuständig ist, dürfte zu stabileren Rahmenbedingungen für das Mengen- und Nebenentgeltclearing und die Abrechnung gegenüber beauftragten privaten beziehungsweise öffentlich-

rechtlichen Entsorgern führen, mutmaßt der Geschäftsführer des Dualen Systems Reclay, Dr. Fritz Flanderka.

Anreize für nachhaltige Verwertung in den Kommunen Hinsichtlich der Ausgestaltung der haushaltsnahen Sammlung seien die Einflussmöglichkeiten der Kommunen durch die Verabschiedung des Gesetzes gestärkt worden, stellte Dr. Matthias Klein vom Bundesumweltministerium anlässlich der Tagung “Neues Verpackungsgesetz Recycling – Qualität – Kontrolle” des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (bvse)

fest. Rahmenvorgaben durch die Kommunen ließen sich nur zur Verbesserung bestimmter Ziele rechtfertigen und müssten auch zukünftig in einvernehmlicher Abstimmung mit den Dualen Systemen umgesetzt werden. Beide Seiten müssten nun rechtzeitig neue Abstimmungsvereinbarungen treffen, da die Übergangsfrist spätestens am 01.01.2021 ende. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Dualen Systeme auch weiterhin zu gewährleisten, sieht das Gesetz demnach eine Fortführung der privatwirtschaftlichen Organisation der Erfassung, Sortierung und Verwertung über diese vor. Allerdings werden die schon aus dem Vorgänger “Verpackungsverordnung” bekannten Recyclingquoten in zwei Schritten erhöht. Die bisherige Quote für Kunststoffe von 36 Prozent wird ab 2019 58,5 Prozent betragen und ab 2022 auf 63 Prozent angehoben. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) beklagt diese Änderungen als bloßes “Update der Verpackungsverordnung” und bemängelt, dass nicht auch stoffgleiche Nichtverpackungen erfasst werden. Des Weiteren kritisiert er, dass die Kommunen auch weiterhin mit den Dualen Systemen in Konflikt geraten könnten, da beispielsweise das Aufstellen einer Wertstofftonne nach wie vor nur nach Einigung zwischen der Kommune und dem privaten Recycling-Unternehmen stattfinde. Ursprünglich war die Einführung einer einheitlichen, verpflichtenden Wertstofftonne geplant. Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE) dürften lediglich unter dem Vorbehalt der “Verträglichkeit der Systembetreiber” die Art der

Sammlung mitgestalten. Der Umweltausschuss des Bundesrates hatte am 27. April 2017 mit einer klaren Mehrheit empfohlen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Die Bundesländer Nordrhein-Westphalen und Berlin hatten im Vorfeld mehrere Anträge gestellt, die von der Forderung nach einer kompletten Kostenerstattung für die kommunale Abfallberatung der dualen Systeme an die Kommunen bis zur Ablehnung des gesamten Verpackungsgesetzes reichten. Dass der Bundesrat davon abgesehen hat, kritisieren die kommunalen Spitzenverbände.

Forderung einer EU-weiten Plastikstrategie Auch der Leiter Ressourcenpolitik beim Naturschutzbund (NABU), Dr. Benjamin Bongardt, fordert Recyclingquoten für verschiedene Kunststoffarten abseits von Verpackungen. Im Rahmen des vom NABU veranstalteten Dialogforums Kreislaufwirtschaft zum Thema “Den Kreislauf enger führen – Ansätze für mehr und besseres Kunststoffrecycling” warb er für politische Maßnahmen, vor allem auf EU-Ebene, damit einheitliche Standards gegeben und eingehalten werden. Der Warenverkehr und die Märkte seien globalisiert, also müsse man auch das “Abfallproblem global denken”. Dem widerspricht Michael Hillenbrand von PlasticsEurope und warnt davor, dass EU-weite Regelungen für Recyclingvorgaben viele Staaten abhängen würden, da die Rahmenbedingungen nicht gegeben seien, um diese einzuhalten. Darüber hinaus gebe es in Deutschland schon zahlreiche technische Lösungen und ein gut funktionierendes Kunststoffrecycling im Vergleich zu anderen Ländern. Dass es bei einer funktionalen und insbesondere nachhaltigen Kreislaufwirtschaft aber nicht nur um die Verwertbarkeit von Plastik, sondern in erster Linie auch um dessen Vermeidung gehe, thematisiere das neue Verpackungsgesetz nur unzureichend, wie Bongardt abschließend feststellt.

Der Fluch der Dunkelheit (BS/ab) Mit der kalten Jahreszeit kommt die Dunkelheit: Eine merkliche Unsicherheit erfasst die Bürger. Die Städte reagieren darauf. Beispielsweise hat Köln in diesem Kontext auf dem Ebertplatz ein Bündel an Sofortmaßnahmen ergriffen. Dazu werden die Lichtverhältnisse verbessert. Hellere LED-Leuchten statt Glühbirnen, Scheinwerfer am Busbahnhof, und auch tieferliegende Flächen sollen mit

Masten und Stromanschlüssen ausgestattet werden. Die Umrüstung auf LED-Lampen wird sich bemerkbar machen. Mainz hat bisher 50 Prozent der Innenstadtbeleuchtung auf LED umgestellt. Das Ergebnis: Im Jahr 2015 wurden 96.000 Euro eingespart – 341.000 Kilowattstunden weniger als regulär. Diese Einsparung zeigt das Potenzial von LED-Lampen im Einsatz der öffentlichen Beleuchtung.

Gekaufte Interessensvertretung? (BS/ab) Dem Thüringer Gemeinde- und Städtebund schlägt dieser Tage viel Kritik entgegen. Er ist Aktienteilhaber des Energieunternehmens Thüringer Energie AG (TEAG). Dadurch hat er ein Aktienvermögen von mindestens 80 Millionen Euro angehäuft. Die Kritik am Verband: Es werde befürchtet, dass er die Interessen der Thüringer Kommunen nicht mehr gegenüber dem Energieunternehmen vertrete. Außerdem seien einige Bürger-

meister der Meinung, dass das Aktienvermögen den Verbandsmitgliedern gehören müsste. Aber über die Ausschüttung werde weiter gestritten. Denn 85 Prozent des Unternehmens sind in der Hand der Kommunen. Allerdings: Nicht alle Kommunen bekommen die gleiche Dividende. Der Großteil finanzierte den Kauf mit aufgenommenen Krediten. Diese wollen denjenigen, die dies nicht taten, keine höheren Dividenden einräumen.

Lichtblick für die öffentliche Beleuchtung (BS/kh) In Österreich wird derzeit ein leuchtender Beton hergestellt, der sich auch in Deutschland für die öffentliche Beleuchtung eignet. Smart Cities könnten diesen Lichtbeton, in den LED-Technologien implementiert sind, für die Wegeführung, die Orientierung oder die Sicherheit nutzen. Auch illuminierte Fassaden

sind möglich. Der Lichtbeton wäre aus ökonomischer und ökologischer Sicht ein Vorteil. Eingesetzt werden kostensparende LED-Lichter und zusätzlich Sensoren, die eine Beleuchtung nur bei Bedarf ermöglichen. Wege müssten nicht dauerhaft ausgeleuchtet werden, der Energieverbrauch im “Schlafmodus” sinkt.

Es werde (Sonnen-)Licht euroLighting vertreibt erste LED-Produkte mit sonnenlichtähnlichem Spektrum (BS/kh) Die Firma euroLighting GmbH Nagold, die sich auf den schnell wachsenden Markt mit LED-Leuchtmitteln konzentriert, vertreibt als erstes Unternehmen in Europa LED-Produkte mit sonnenlichtähnlichem Spektrum. Zusätzliche Leuchtdioden sollen dabei für eine neue Art der Beleuchtung sorgen. Große Teile des Alltags der Menschen, vor allem des Arbeitsalltags, spielten sich heute in geschlossenen Räumen ab, heißt es seitens des Unternehmens. Das dort verwendete künstliche Licht habe erhebliche Folgen für den menschlichen Körper, die bisher kaum als solche gedeutet worden seien. Erst die Entwicklung von Leuchtdioden, die ein sonnenlichtähnliches Spektrum aufwiesen, ermögliche es, auch in geschlossenen Räumen Lichtanlagen zu bieten, die dem Sonnenlicht nahekämen.

Vorteile der LEDs EuroLighting vertreibt nun solche LED-Produkte, die die Annehmlichkeiten und gesundheitlichen Vorzüge echten Tageslichts aufweisen würden. Das Wohlbefinden, die Konzentrationsfähigkeit und das Sehvermögen würden gefördert, Ermüdung und StressErscheinungen gehemmt. Zum Teil könnten sie ein besseres Schlafverhalten hervorrufen sowie unterschiedliche Krankheitssymptome lindern, deren Ursache Sonnenmangel sei. Das sonnenlichtähnliche Spektrum erreiche dabei aber nicht die Intensität der Sonneneinstrah-

lung, weshalb es vollkommen unschädlich sei. Die Basis dieser Leuchtmittel bilden zum einen weiße Dioden mit dem bekannten unvollständigen Lichtspektrum und zum anderen Leuchtdioden, die genau diese Lücken schließen. Sie

erzeugen Lichtwellen im Bereich von 496 nm (blau-grün) und 600 nm (rötliches Licht). Die LEDProduktpalette umfasst dimmbare und nicht dimmbare LEDEinschraublampen mit 9 W, LED-Strahler mit 15 W sowie LED-Flächenleuchten in den

Abmessungen 60 x 60 und 120 x 30 cm mit einer Leistung von je 40 W. Sie sind in den Lichtfarben 3200 K und 4800 K erhältlich. Mit den Flächenleuchten wurden bereits vier Klassenzimmer und zwei Lehrerzimmer in Nagold ausgestattet.


Breitband

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Behörden Spiegel / November 2017

Blick in den Breitband-Abgrund

B

eim Breitbandausbau weit vorne sind die drei Stadtstaaten. Mit 97 Prozent angeschlossener Haushalte ist die Heimat der Elbphilarmonie Spitzenreiter. Bremen kommt mit 94 Prozent auf den zweiten und die Bundeshauptstadt auf den dritten Platz. Aber bereits im Falle von Berlin zeichnen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtteilen ab. So erreichen in dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf 96,3 Prozent der Haushalte mindestens 50 Mbit/s, wohingegen in Lichtenberg dies nur 83,2 Prozent tun (siehe Tabelle).

Aktueller Stand des Breitbandausbaus in Deutschland (BS/Adrian Bednarski) Das Ziel der Digitalen Agenda, bis 2018 landesweit Bandbreiten mit mindestens 50 Mbit/s bereitzustellen, wird nicht erreicht. Zu groß sind die Unterschiede zwischen Ballungszentren und ländlichen Regionen einerseits und zwischen den Bundesländern andererseits. Entsprechend deutlich ist die Kritik. Nordrhein-Westfalen mit einem Gefälle von 43 Prozent und Rheinland-Pfalz (44 Prozent) zwischen Stadt und Land noch am besten ab. Während Sachsen (64 Prozent) und MecklenburgVorpommern (72 Prozent) die größten Differenzen aufweisen. Bei diesen ist der Ausbau in der Fläche kaum vorhanden. Nur 18 bzw. 23 Prozent sind erschlossen. Wobei Christian Pegel, Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung von Mecklenburg-Vorpommern dieses Problem angehen möchte: “Bis 2019 sollen 90 Prozent der ländlichen Haushalte mit Breitband angeschlossen sein.” Für den Breitbandausbau seien 2,5 Milliarden Euro eingeplant, um das dünnbesiedelste Bundesland zukunftsfähig zu machen. Ein Lichtblick am Horizont für ländliche Städte und Gemeinden könnten die neuen Fördergelder sein, wie beispielsweise in Brandenburg. So kündigte das Ministerium für Wirtschaft und Energie an, dass, zu den laufenden Kofinanzierungen über das Bundesprogramm mit 255 Millionen Euro, 116 Millionen Landesmittel investiert werden sollen. Der Eigenanteil

Brennpunkt: östliche Flächenländer Diese Unterschiede in der Hauptstadt sind jedoch nicht mit denen, in anderen Bundesländern zu vergleichen. Die westdeutschen Flächenländer liegen mit Werten um die 80 Prozent hinter den Stadtstaaten und bilden das Mittelfeld. Die neueren Bundesländer belegen die hinteren Plätze beim Breitbandausbau. Abgesehen von Berlin kommen weder Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg noch SachsenAnhalt oder die beiden Freistaaten über 70 Prozent hinaus. Sachsen-Anhalt bildet mit 51 Prozent angeschlossener Haushalte das Schlusslicht.

Enorme regionale Diskrepanzen Hinsichtlich der regionalen Unterschiede verschiebt sich das Ranking. Hier schneiden

Stand des Breitbandausbaus in Deutschland Länder

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Gigabit-Gesellschaft in weiter Ferne “Das aktuell noch gültige Aus bauziel der Bundesregierung von 50 Mbit/s ist nur ein kleiner Zwischenschritt. Wir müssen auf Glasfaser setzen und vermehrt kommunale Betreibermodelle fördern”, fordert der Deutsche Landkreistag in seiner Pressemitteilung. Jedoch ist Breitband nicht gleich Breitband: Die mo mentane Regierung hat bereits die Gigabit-Gesellschaft ange kündigt. Wenn von dieser gesprochen wird, dann geschieht dies im Rahmen von Glasfa serkabeln, welche nicht nur bis zur Bordsteinkante (FTTB), sondern direkt zur Haus oder Wohnung führen (FFTH). Aber nur letzteres kann die Geschwin digkeiten im Gbit/s-Bereich aufbringen. Nach dem Bericht des Breitbandatlas von 2017 sind deutschlandweit 7,3 Prozent der Haushalte mit dem FTTB/FTTHAnschlüssen ausgestattet. Hierbei belegt Hamburg mit 71 Pro zent angeschlossener Haushalte den Spitzenplatz. Dahinter fol -

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HH 1)

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der Landkreise sowie kreisfreien Städte mit circa 30 Millionen kommt dazu. Dies könnte für einen Auftrieb sorgen.

Haushalte in Deutschland, die 50 Mbit/s empfangen können (in Prozent). Unterteilt in allgemeine, städtische sowie ländliche Regionen. 1) In den Stadtstaaten wird nicht weiter differenziert. Quelle: Deutscher Bundestag und Bericht zum Breitbandatlas 2017 Darstellung: Behörden Spiegel-Gruppe

gen Schleswig-Holstein mit 19 Prozent sowie Bayern mit zehn Prozent. Die restlichen Bundes länder liegen unter der ZehnProzent Grenze. Wann Deutschland in der Gigabit-Gesellschaft ankommt, lässt sich nicht be antworten. Aber auch vor allem wie viel Mbit/s von den versprochenen Angaben wirklich beim Verbraucher ankommen. “Kupferbasierte Übergangs technologien wie VDSL2-Vec toring können die künftigen Bandbreiten- und Qualitätsan forderungen nicht befriedigen”, sagt Marc Kessler von BREKO e. V. mit Blick auf die bisherigen Breitbandausbauaktivitäten.

Wenn Jamaika kommt “Die Wettbewerber haben mehr als 80 Prozent aller heute ver fügbaren, direkten Glasfase ranschlüsse errichtet”, sagte Kessler. Deren Position könnte neu verortet werden, wie die bisherigen Sondierungsgespräche zwischen den künftigen Koaliti onsparteien zeigen. Die FDP sowie die Grünen möchten, dass der Bund seine Aktienbeteiligung an der Deut schen Telekom AG (womöglich auch DHL/Post) vollständig verkauft. Als international täti ge Unternehmen könnte sie für sich selbst sorgen. Mit dem Erlös könne die Gigabit-Gesellschaft finanziert werden. Teile der CDU fangen an, sich für diese Idee zu erwärmen. Jedoch reicht der Ver kauf nicht aus, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen un geeignet sind (siehe unten auf dieser Seite).

Gegen die weißen Flecken

Eine Schildkröte namens Breitbandausbau

GIGA-Netz im Landkreis Börde

Gründe für dessen Verzögerung

(BS/Gret Beccard*) Digitale Kommunen auf dem Weg zum Gigabitnetz, das hat sehr viel mit Strukturen zu tun, (BS/ab) Die Kluft beim Ausbau zwischen dem ländlichen und städtischen Raum ist groß, vor allem bei den die Hand in Hand arbeiten. So auch bei der ARGE-Breitband in Sachsen-Anhalt, die sich konsequent auf die neueren Bundesländern (siehe oben). Vielfach wird die Schuld der Politik zugeschoben. Die RahmenbedinStrategie “Glasfaser bis ins Haus” konzentriert. gungen sind zwar komplex, aber zum Teil erleben Städte und Gemeinden unangenehme Überraschungen. Zusammen mit dem Landrat des Landkreises Börde, den Bürgermeistern der Verbands- und Einheitsgemeinden und Städten des Landkreises sowie der Geschäftsführung der DNS:NET wurde mit der Unterzeichnung der Konzessionsverträge der offizielle Start für die Realisierung der flächendeckenden Glasfa serinfrastruktur gegeben. Mit dabei waren die Bürgermeister und Vertreter der Verbandsgemeinden Elbe-Heide, Westliche Börde, Flechtinge und der Einheitsgemeinden: OebisfeldeWeferlingen, Niedere Börde, Barleben, Stadt Oschersleben (Bode), Stadt Wanzleben-Börde. In der ARGE-Breitband sind acht Einheits- und Verbandsgemeinden organisiert. 78 Prozent der Gemeindegebiete zählen derzeit zu den “weißen Flecken”. Von den circa 6.000 Unternehmen sind 90 Prozent in Ortslagen und ländlichen Be reichen angesiedelt; nur zehn Prozent der auszubauenden Bereiche betreffen Gewerbegebiete. Das soll sich schnell än dern, indem Glasfaser bis ins Haus als Zukunftstechnologie für alle zur Verfügung gestellt wird. Im Ausschreibeverfahren wurde als Spezialist und Kom petenzpartner für den Betrieb von Glasfaserinfrastruktur die DNS:NET ausgewählt. Der Landrat des Landkreises Börde, Hans Walker, bekräftigt die Strategie für Glasfa ser bis ins Haus: “Unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft “ARGE-Breitband” unterstützt der Landkreis Börde alle 13 Kommunen durch kostenfreie Steuerungsaktivitäten. Die Koordinierung liegt in der Hand eines eigens durch den Kreis dazu ins Leben gerufenen Arbeitsstabes. Mit dieser Bündelungsfunktion ist der Landkreis Börde für die Beantwortung von Zukunftsfragen der Digi-

talisierung und des Glasfaser - unserem beschrittenen Weg unsere Zukunft und die der komausbaus gut aufgestellt. Der menden Generationen sichern wirtschaftliche Erfolg unserer Gemeinden und des Landkrei- und attraktiv gestalten.” ses Börde hängt maßgeblich von Holger Haupt, Breitbandbeder Breitbandinfrastruktur ab. auftragter im Landkreis Börde, Ein Autobahnanschluss allein erläutert das ehrgeizige Projekt ist heute kein Garant mehr für der ARGE-Breitband: “Vor 20 Standortentscheidungen der Monaten haben acht GemeinWirtschaft. Deshalb lassen wir den mit rund 90.000 Einwoh uns im Landkreis Börde davon nern des Landkreises Börde den Breitbandausbau in die eigenen leiten, der Wirtschaft und den privaten Haushalten ein reines, Hände genommen und in die Vorbereitung des Giga-Projek tes investiert. Aus Sicht der Gemeinden und des Landkreises gut angelegtes Geld, das die Zu kunftstauglichkeit einer ganzen Region absichern soll. Auf der Grundlage der technischen Planungen, einer Wirtschaftlich keitsanalyse und einer Mach barkeitsuntersuchung kann das Glasfaser-Netz in den acht Gemeinden zu allen unterver sorgten Haushalten gelegt werden. Neben dem kostenfreien Anschluss der privaten Haus halte ist es erklärtes Ziel, alle Unternehmen, landwirtschaft lichen Betriebe und öffentlichen Unter dem Dach der Arbeitsgemein- Einrichtungen an das Giga-Netz schaft ARGE-Breitband sollen alle 13 anzuschließen.” Bei einem Termin in Barleben Kommunen des Landkreises Börde unterstützt werden. Denn 78 Prozent wurde gleichzeitig die neue Beder Gemeindegebiete zählen zu den triebsstätte der DNS:NET in “weißen Flecken”. Das Ziel zur Lö- Sachsen-Anhalt eingeweiht. sung des Ganzen: Glasfaser bis ins Durch diese Betriebsstätte und Haus. Foto: BS/©xiaoliangge, Fotolia.com die direkte Lage an den Glas faserknotenpunkten kann der gesamte Logistikprozess abge zukunftsfähiges Glasfasernetz bildet werden. In Sachsen-An zur Verfügung zu stellen. Um dieser immer größer werden - halt schafft die DNS:NET neue den Herausforderung gerecht Arbeitsplätze, sowohl Technik als auch Bauplanung werden zu werden, ist eine einheitlich abgestimmte, gemeinsame von hier aus zielgenau mit den Strategie von Bund, Ländern Landkreisen und Kommunen koordiniert. und Kommunen erforderlich. So kann dem enormen Bedarf Weitere Informationen: www. an Datenmengen und Übertragungsgeschwindigkeiten landkreis-boerde.de entsprochen werden. Wir, der *Gret Beccard ist FachjournaLandkreis Börde als planungs listin für Wirtschaft/ITK/Komrechtlicher und tatsächlich munalthemen (D/A/CH). ländlicher Raum, wollen mit

“Die Komplexität der Breitbandförderung ist auch darauf zurückzuführen, dass dem freien Markt und somit den privaten Telekommunikationsunternehmen obliegt, die Breitband infrastruktur auszubauen”, teilt eine Sprecherin aus dem baden-württembergischen Ministerium für Inneres, Digitali sierung und Migration mit. Dies entspreche dem europäischen Rechtsrahmen für Telekom munikation sowie dem deutschen Grundgesetz. Nur wenn kein marktgetriebener Ausbau erfolge, könnten Kommunen selbst aktiv werden. “Aber das Förderverfahren muss unterschiedliche rechtliche Vorgaben einhalten”, fuhr sie fort. Konkret berühre das Verfahren folgende Regelungen: EU-Beihilfe- und Wettbewerbsrecht sowie all gemeines Vergaberecht, haushaltsrechtliche und technikbe zogene Vorgaben. Ein großes Becken voller Paragrafen, die es einzuhalten gilt. Auch in Thüringen zeigen sich ähnliche Erfahrungen. “Es liegt nicht an den fehlenden Mitteln. Die Komplexität des Antragsverfahrens im Bundesförderpro gramm muss reduziert werden”, sagt Stephan Krauß, Pressesprecher vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft. Auch nach positiven Bescheiden dauere das Vergabeverfahren sehr lange. “Vereinfachungen sind diesbezüglich nicht zu er warten”, ergänzt die Sprecherin aus Baden-Württemberg.

Praktische Probleme aus dem Alltag “Wir haben das Geld, aber wir kriegen es nicht auf die Straße”, sagt Nicole Gargitter, Leiterin der Telekommunikation von den Stadtwerken München. Auch Ressourcenengpässe so wie der steigende Druck würden

Der Breitbandausbau entwickelt sich eher zu einer Schildkröte als zu einem Geparden. Neben rechtlichen Rahmenbedingungen zeigen sich viele Probleme in der praktischen Umsetzung. Foto: BS/Andreas Sulz, pixelio.de

sich bemerkbar machen. “Es ist schwer, Tiefbaufirmen zu fin den und das gelieferte Material hat öfter Materialschäden”, fuhr sie fort. Also müssten die Ka bel getauscht und neu geliefert werden. In Bayern werde beim Ausbau auf Kupferstrukturen aufgesetzt. Denn beim Versuch das Glasfasernetz bis in jedes Haus oder jede Wohnung (FTTH) auszubauen, würden die Wohnungsbaugesellschaf ten blockieren, die es erst zu überzeugen gelte. All dies koste Zeit. Die Verknappung bei der

Planungs- und Baukapazität sei jedoch kein Einzelfall. Auch in Baden-Württemberg mache sie sich negativ bemerkbar und der Ausbau könne nicht so schnell wie gewünscht erfolgen. Während dies bei der prakti schen Umsetzung Geduld ein fordert, hat Thüringen eine Beratungsstelle für die Kom munen geschaffen. Das Breitbandkompetenzzentrum werde diese bezüglich der Förderung des Ausbaus beraten. Es soll den Dschungel aus Gesetzen verständlich machen.

MELDUNG

97 Prozent profitieren (BS/ab) Das bayrische Förderprogramm läuft auf Hochtouren. Um Breitbandnetze mit einem Minimum von 50 Mbit/s in ganz Bayern auszulegen, investiert der Freistaat bis zu 1,5 Milliarden Euro. “Unsere Breitbandförderung ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raumes”, sagt Finanz- und Heimatminister Markus Söder. 97 Prozent aller Kommunen sind in das Förderprogramm eingestiegen. 1.644 Kommunen

starten mit einer Gesamtfördersumme von rund 689 Millionen Euro in ihren Breitbandausbau. Auch beantragen viele Gemeinden die Förderbescheide nacheinander, um eine hohe Flächendeckung zu erreichen. Mit der zweiten Stufe der bayrischen Gigabit-Initiative sollen vor allem die weißen Flecke auf der Landkarte angeschlossen werden. Das betrifft vor allem Kommunen mit Streusiedlungen sowie Höfen.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / November 2017

Behörden Spiegel: In Ihrer Ansprache anlässlich des diesjährigen Neujahrsempfangs haben Sie die rhetorische Frage gestellt: Müssten wir uns nicht eigentlich viel intensiver mit der Digitalisierung auseinandersetzen? Wie gehen Sie persönlich mit diesem Thema um? Maly: Ich habe mich im Sommer sehr intensiv mit der Digitalisierung auseinandergesetzt. Nicht nur im Hinblick darauf, welche Innovationskraft und Effizienzvorteile in digitalen Möglichkeiten stecken, sondern auch mit Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen. In der Literatur wird oftmals der Eindruck vermittelt, da käme etwas über uns wie ein Tsunami und wir hätten uns irgendwie dazu zu verhalten. Die eine Hälfte betont dabei insbesondere die Chancen, während die andere die Risiken in den Vordergrund stellt. Ich glaube, dieser Zugang ist falsch. In einem Buch las ich folgendes Zitat: “Wer die Digitalisierung bekämpfen will, überschätzt seine Möglichkeiten, wer sie bejubelt, unterschätzt ihre Wirkung.” Ich denke, dieser Satz vermisst das Feld ganz gut. Behörden Spiegel: Welche konkreten Handlungsfelder leiten sich daraus für Sie ab? Maly: Natürlich müssen wir uns in unseren eigenen Verwaltungen mit den Optionen von Digitalisierung auseinandersetzen. Wo sind Medienbrüche zwischen elektronischer Sachbearbeitung und schriftlicher? Wie können wir den Bürgerservice verbessern, ohne den persönlichen Kontakt komplett durch die Maschine zu ersetzen? Denn ich glaube, das eine Stadtverwaltung immer auch Gesicht zeigen muss. Wir werden im Zuge der Umstrukturierung unserer Verwaltung ab Januar nächsten Jahres zudem einen Chief Digital Officer (CDO) haben, der als Mitglied der Referentenrunde gewisser-

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Digitalisierung gestalten Nürnberg bekommt 2018 einen Chief Digital Officer (BS) Die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und gleichzeitig den damit verbundenen Wandel politisch nicht nur zu begleiten, sondern aktiv zu gestalten, ist momentan eine der zentralen Aufgaben, der sich viele Stadtoberhäupter immer engagierter zuwenden. So auch Dr. Ulrich Maly, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, der im Interview mit dem Behörden Spiegel erläutert, wie man in der mittelfränkischen Metropole das Thema Digitalisierung anpackt. maßen mit am Kabinettstisch sitzen wird. Behörden Spiegel: Wie gehen Sie im Bildungsbereich mit der Digitalisierung um? Maly: Dies ist eine ganz zentrale Herausforderung. Wir beschäftigen uns momentan in allen Schuldezernaten mit großen Bauprogrammen zur Ausstattung der Schulen mit WLAN, Whiteboards, Laptops und Ähnlichem. Die Frage, was das Unterrichtsfach bzw. die Kulturtechnik “Digitale Souveränität” bedeutet, beantwortet bislang jedoch noch niemand so richtig. Wenn wir in der Vergangenheit neue Kulturtechniken, neue technische Instrumente hatten, dann haben wir immer die Frage gestellt, wie können wir diese für unsere politischen Ziele nutzbar machen. Bei der Bildung würde ich gerne versuchen, den positiven Blick nach vorne zu wenden. Gelingt es uns zum Beispiel, die Integration der zu uns gekommenen ins Bildungssystem mit digitalen Mitteln besser umzusetzen als mit dem klassischen Schulbuch? Die Antwort liegt für mich auf der Hand. Sie können heute eine Flüchtslingsintegrationsklasse eigentlich nur mit dem Whiteboard und mit Laptops entsprechend unterrichten, aber nicht mit Schulbüchern, die kulturell geprägt und rein deutschsprachig sind. Es wäre zudem auch denkbar, dass es uns die Digitalisierung irgendwann ermöglicht, die Bildungsnachteile von bestimmten Schichten auszugleichen, weil ergänzend zur stationären Schule digitale Zu-

Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly hat bei der Digitalisierung nicht nur die technologischen, sondern insbesondere die dadurch beförderten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse im Blick. Foto: BS/Stadt Nürnberg

satzangebote gemacht werden können. Behörden Spiegel: Was bedeutet die Digitalisierung für die Stadtentwicklung? Maly: Wir haben in der Stadtentwicklung positive wie negative Optionen. Die positive Option ist, dass die Industrie 4.0 dazu führen wird, dass die Produktion zukünftig weniger emissionsintensiv ist, als sie es über die letzten zwei Jahrhunderte hinweg war. Dadurch kann auch die Stadt wieder enger zusammenrücken, weil die Trennung von Wohnen und Arbeiten entfällt, da die sauberen Produktionsstätten direkt im Wohngebiet situiert sein können. Der Einsatz von Technologien wie dem 3D-Druck führt in diesen Bereich mutmaßlich eher zu Arbeitsplatzabbau, weil das erste Stück, was im 3D-Drucker gemacht wird, die gleichen Kosten hat wie das einmillionste. Auf der anderen Seite führt die Digitalisierung im Einzelfall zu einem exponentiellen Anstieg der Express- und Kurierdienste, die wiederum dann, das ist andere Kehrseite der Medaille,

ein Verkehrsproblem auslösen. In der Verkehrspolitik, größte Belastung in allen größeren Städten, kann die Digitalisierung aber auch helfen, Verkehre zu reduzieren. Ob es die simple App ist, die die freien Parkplätze anzeigt, bis hin zur Optimierung von Fahrten, wenn es uns tatsächlich gelänge, den Kulturwechsel vorzunehmen von “Auto besitzen” zu “Auto benutzen”. Dann gäbe es vielleicht noch genauso viele Fahrten in der Stadt, aber mit einem Drittel weniger Autos. Diese Optimierung des Maschinenparks würde somit die Zahl der Fahrzeuge reduzieren, die Platz verbrauchen. Hier bietet die Digitalisierung bis hin zum autonomen Fahren jede Menge Optionen. Behörden Spiegel: Mit welchen Folgen rechnen Sie für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktstruktur Ihrer Stadt? Maly: Es gibt unterschiedliche Studien zu den Effekten der Digitalisierung auf die heimische Ökonomie. Die für mich seriöseste ist die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB, welches hier in

Nürnberg sitzt. Diese besagt, dass der Beschäftigungseffekt in Deutschland wahrscheinlich kein negativer sein wird. Jede Innovation in den vergangenen zweihundert Jahren hat zunächst einmal Jobs gekostet, am Ende aber auch neue geschaffen. Die Beschäftigungsstruktureffekte werden jedoch gewaltig sein. Das heißt, dass die Zahl der einfacheren Jobs weiter abnehmen und die Anforderung, digitale Kompetenz vorzuweisen, in allen Berufen noch einmal deutlich zunehmen wird. In der Übergangszeit kann es natürlich zu Strukturbrüchen kommen. Der Niedergang des Unternehmens Quelle beim gleichzeitigen Aufstieg von Amazon ist gewissermaßen prototypisch für diesen Strukturbruch. Behörden Spiegel: Wie schafft man es, möglichst viele Akteure in der Stadt bei diesem Digitalisierungsprozess mitzunehmen? Maly: Wir haben, wie so oft in Nürnberg, eine Organisation, die eine Mischung aus Bottomup und Top-down ist. Jeder Geschäftsbereich der Verwaltung setzt mit Digitalisierung auseinander. Diese holen wir dann im Rahmen der “InSEK – Integriertes Stadtentwicklungskonzept” an einen Tisch. Es gibt jetzt auch eine eigene Stelle, die sich zunächst insbesondere einer Bestandsaufnahme widmen wird. Darauf aufbauend werden wir dann dort eine Agenda “Digitales Nürnberg” entwickeln. Jeder einzelne Geschäftsbereich pflegt zudem auch seine Außenbeziehungen. So haben

wir schon seit zehn Jahren mit der “NIK – Nürnberger Initiative für Kommunikationswissenschaft” ein entsprechendes Cluster gebildet, in dem sowohl die großen wie auch die kleinen IT-Unternehmen in der Stadt vertreten sind. In diesem freiwilligen Zusammenschluss, der von der Stadt vorangetrieben wird, wird also die Kompetenz der Branche gebündelt. Das sind allerdings diejenigen, die schon “digital geküsst” worden sind. Die Schwierigkeit in einer Stadt, in der immer noch vergleichsweise viel Industrie und Produktion stattfindet, ist, diejenigen zu erreichen, die sich als Mittelständler möglicherweise noch nicht intensiv mit dem Potenzial der Digitalisierung für ihr Unternehmen auseinandergesetzt haben. Dies wollen wir jetzt im Bereich unserer Wirtschaftspolitik verstärkt angehen. Behörden Spiegel: Wie wird die regionale Start-up-Kultur gefördert? Maly: Der Freistaat Bayern hat entschieden, in jedem Regierungsbezirk ein “Digitales Zentrum” einzurichten. Das Digitale Zentrum Mittelfranken, das sich aber nicht auf Mittelfranken beschränkt, residiert bei uns in Nürnberg im Zollhof. Dies ist ein Joint-Venture des Freistaats Bayern, der Friedrich-Alexander-Universität, der TH Nürnberg, der digitalen Wirtschaft und der Stadt Nürnberg. Wir sind gerade dabei, das Zentrum umzugestalten. In dem Vorläuferbetrieb gab es eine Art Co-Working-Space, wo man das Gefühl hatte, an jeder Ecke wird alle fünf Minuten etwas Neues erfunden. In diesem digitalen Hub sind auch die großen ITUnternehmen engagiert, aber auch Persönlichkeiten wie Dieter Kempf, heutiger BDI- und ehemaliger DATEV-Chef. Ich bin überzeugt davon, dass wir von den sieben bayerischen Zentren eines der größeren und bedeutenderen schaffen werden.

Wenn Oma schneller ist als die Enkel

Grün, grün, grün sind alle meine Ziele

Breitbandausbau in Niedersachsen: Umsetzungsstau

Umweltbericht der Metropole Ruhr 2017

(BS/ab) “Auch ihre Enkelkinder besuchen Sie häufiger und länger, weil sie bei ihnen surfen können”, wirbt (BS/kh) Aus Anlass der Europäischen Grünen Hauptstadt – Essen 2017 hat der Regionalverband Ruhr (RVR) der Landkreis Uelzen. Eine Metapher, die das zukünftige schnelle Glasfasernetz von Uelzen beschreiben soll. erstmals eine regionale Berichterstattung zur “Lage der Umwelt in der Metropole Ruhr” veröffentlicht. Trotz Aber weder steht es alleine dar noch läuft alles reibungslos. zahlreicher bereits umgesetzter Maßnahmen und Pläne für eine nachhaltige Entwicklung der Region gibt es Handlungsbedarf. Besonders die Bereiche der Emissionssenkung und, damit verbunden, der zukünftigen Mobilität stellen noch ausbaubedürftige Arbeitsfelder dar. Alle 36 Landkreise in Niedersachsen sowie die Region Hannover sind im geförderten Breitbandausbau unterwegs. Niedersachsen rangiert aktuell auf Platz sechs der Flächenländer, was die Breitbandversorgung betrifft. Während die Städte sehr gut mit mindestens 50 Mbit/s versorgt sind, herrscht im ländlichen Raum Nachholbedarf (siehe Seite 24 in dieser Ausgabe). Seit Januar 2016 hat die niedersächsische Landesregierung im Rahmen der Breitbandförderungsmittel 105 Millionen Euro von den vorgesehenen 120 Millionen bewilligt. Der Bund steuerte insgesamt 286 Millionen Euro dazu. Damit sollen vor allem die unterversorgten Regionen erschlossen werden. Wobei unterversorgt bedeutet, dass maximal 30 Mbit/s ankommen. Aber das Ziel, dass bis 2018 flächendeckend das Minimum von 50 Mbit/s vorherrschen soll, kommt in Niedersachsen ins Schwanken. “Wir haben uns die Zielmarke 2019, maximal 2020 gesetzt”, sagt Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD).

Der Breitbandausbau blockiert sich selbst Ein Grund hierfür ist die hohe Nachfrage: “Noch nie haben wir so viele bewilligte Förderprojekte gehabt”, sagt Peer Beyersdorff, Geschäftsführer des Breitband

Alle preschen vor beim Breitband, aber die hohe Nachfrage sorgt für einen Stau. Baufirmen kommen beim Ausbau nicht hinterher. Kann das Ziel 2018 erreicht werden? Kritische Stimmen denken, dass das Jahr des Breitbands erst 2019 gefeiert wird. Foto: BS/Th. Reinhardt, pixelio.de

Kompetenz Zentrums Niedersachsen. Dadurch entstünde ein Stau. Denn es fänden sich nicht ausreichend Unternehmen, die die Glasfaserkabel verlegen könnten. Der Breitbandausbau blockiert sich selbst. Ein weiteres Problem stelle die parallele Fördermittelstruktur dar. Sinnvoller sei es, so Joachim Schwind, dass der Bund den Ländern die Mittel gebe. So fährt der Geschäftsführer des Landkreistages fort: “Die können dann selbst entscheiden, wo diese eingesetzt werden. Das beschleunigt den Ausbau.” Auch rechtlich komplizierte Rahmenbedingungen bringen viele Kommunen an ihre Grenzen. Unsicherheit in der Umsetzung zeige sich dann im Beantragen der

Fördermittel. Um die komplexen Förderbescheide zu umgehen, werden einige Kreise zu ihren eigenen Chefs über die Glasfaser-Netze.

Ausweichlösung Betreibermodell Sie bauen diese eigenständig aus und verpachten sie dann an Provider, die die Anschlüsse vermarkten. Damit sich dies nicht zu einen Millionengrab entwickelt, müssen in unterschiedlichen Regionen mindestens 60 Prozent der unterversorgten Haushalte einen Vorvertrag abschließen. Jedoch gestaltet sich dies, aufgrund der hohen Nachfrage, nicht schwierig – so jedenfalls zeigt die Erfahrung in Uelzen.

Die Städte, Kreise und Gemeinden des Ruhrgebiets sind sich einig: Die Zukunft der Region soll auf nachhaltigen, umweltfreundlichen und ressourcenschonenden Konzepten basieren. Zu deren Überprüfung und Entwicklung entstand der Umweltbericht der Metropole Ruhr. Erarbeitet wurden, in Kooperation mit den Umweltdezernenten der Region, zum einen Beispiele für aktuelle ökologische Strategien aus dem Ruhrgebiet, zum anderen wurde eine Bestandsaufnahme der aktuellen Umweltsituation in der Metropole durchgeführt. Schließlich ordnet der Bericht die Ergebnisse umweltpolitisch ein und gibt einen Ausblick auf seine Fortschreibung. Die Veröffentlichung macht deutlich, dass es trotz vieler Strategien für eine nachhaltige, resiliente Metropole noch Handlungsbedarf besonders bei der Reduktion der “noch immer zu hohen Schadstoffbelastung” gibt. Verkehrsreiche Ballungszentren wie das Ruhrgebiet sind davon stark betroffen und sehen sich gezwungen, alternative umweltfreundliche Konzepte zu entwickeln. “Nicht zuletzt bietet der Sektor “Mobilität” eine große Herausforderung an eine nachhaltige Entwicklung”, wie es im Bericht heißt. Allerdings

berge gerade die politisch polyzentrische Struktur das Potenzial, flächendeckend und einheitlich umweltpolitische Maßnahmen ausarbeiten und umsetzen zu können.

Grüne Infrastruktur als Strategie Die Grüne Infrastruktur Ruhr ist ein integrierter Ansatz der Regionalentwicklung, der unter anderem die emissionsneutrale Mobilität sowie den nachhaltigen Klimaschutz mit Steigerung der Energieeffizienz zum Ziel hat. Das Land NRW hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 25 Prozent und bis 2050 um mindestens 80 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Wuppertal Institut empfiehlt der Metropole Ruhr in Anlehnung an die Zielsetzungen des Landes bis 2030 eine Reduktion um ca. 44 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent. Der Umweltbericht erörtert, dass sich im Ruhrgebiet die Höhe der Treibhausgase seit 1990 kaum verändert hat. Lediglich um 4,3 Prozent sind sie bis zum Jahr 2012 seitdem zurückgegangen. Demgegenüber fand eine Reduktion auf Landesebene NRW um 17,4 Prozent und auf Bundesebene um 24,7 Pro-

Der Regionalverband Ruhr hat kürzlich den Umweltbericht 2017 publiziert, der sich mit der Umweltpolitik des Ruhrgebiets beschäftigt. Foto: BS/Regionalverband Ruhr

zent im gleichen Zeitraum statt. Um die Zielvorgaben bis zum Jahr 2020 erfüllen zu können, müssen die Emissionen in nur acht Jahren (2012 – 2020) um 20,7 Prozent gesenkt werden. “Dies zeigt, dass kurzfristig in allen Sektoren enorme Anstrengungen unternommen werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen”, wie es in den Ausführungen heißt. Eine langfristige Umgestaltung der Lebens- und Wirtschaftsweise sei erforderlich.


Kommunale Infrastruktur

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Behörden Spiegel / November 2017

Schnittstellen, Strandkörbe und Schadensersatz

MELDUNG

Erste BAU Beschaffertage decken breites Themenfeld ab

Es wird futuristisch!

(BS/Jörn Fieseler) Gewerkeweise ausschreiben oder doch einen Totalunternehmer suchen? Wie verfahren, wenn auf eine Bauausschreibung keine Angebote eingehen? Wann kann das (BS/ab) Steigende Preise, regiWetter als Grund für Mehraufwendungen herangezogen werden? Was sind die entscheidenden Aspekte bei der Bauabnahme? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt der onalbedingte Leerfahrten, Dieersten BAU Beschaffertage des Behörden Spiegel. selskandal – der ÖPNV muss “Achten Sie immer auf Transparenz und Gleichbehandlung, und die meisten Detailfragen bei der Vergabe von Bauleistungen lösen sich von selbst”, rät Dr. Ute Jasper. Die Leiterin der Praxisgruppe Öffentlicher Sektor und Vergabe in der Sozietät Heuking, Kühn Lüer Wojtek thematisierte die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH). Allgemein sollten sich Bauherren bei Ausschreibungen genau überlegen, was wirklich als “Muss”-Kriterium ausgeschrieben werden muss. Umgekehrt: “Wenn kein zwingendes Kriterium gewollt ist, dann ist ein Konzept abzufordern und dieses zu werten.” Dann müsse aber auch erläutert werden, wie die Wertung erfolgt, so die Leiterin der rund 35-köpfigen Praxisgruppe.

Transparent und nicht diskriminierend Ein anderer Aspekt, gerade bei Bauausschreibungen, sind Angebote, die eine deutliche Preisdifferenz zu anderen Angeboten aufweisen. Bevor diese ausgeschlossen werden, ist der Preisunterschied auf jeden Fall aufzuklären, unterstreicht die Rechtsanwältin. Dies könne auch mittels einer Frage beim Bieter, ob dieser auskömmlich kalkuliert habe, geschehen. Erfolge eine positive Antwort, sei vergaberechtlich gesehen die Aufklärung erfüllt. Und wie mit Ausschreibungen umgehen, auf die keiner bietet? Dann sei zu überlegen, das Leistungsverzeichnis abzuändern und das Verfahren zurückzusetzen. Allerdings dürfe niemand ausgeschlossen werden, es müsse

Die ersten BAU Beschaffertage des Behörden Spiegel widmeten sich allen Fragen rund um Bauaufträge und Baustellen. Foto: BS/Rainer Sturm, pixelio.de

transparent und nichtdiskriminierend gestaltet werden. Es ging aber nicht nur um das Vergaberecht. Denn die vergaberechtsfreien Räume werden weniger. “Die Schlinge zieht sich zu”, so Jasper. Auch bei der Verpachtung einer Strandfläche für Strandkörbe. Eigentlich handele es sich nicht um ein Vergabeverfahren. Trotzdem könnte auch bei einem Pachtvertrag ein grenzüberschreitendes Interesse vorliegen, erläutert Jasper die Rechtsprechung des EuGH. Deshalb müsse der Wettbewerb gewährleistet werden. “Ansonsten könnte ein Verstoß gegen das Beihilferecht vorliegen.” Also müsse zumindest das Vorhaben bekanntgemacht werden.

Bauen und Planen aus einer Hand “Reduzieren Sie Schnittstellen bei der Bauausführung” riet Henrik Vogt, Dipl.-Ing. und Architekt bei der DU Diederichs Projekt-

management AG & Co KG, den Teilnehmern und plädierte für die sogenannte Totalunternehmervergabe (TU-Vergabe). Bei dieser erfolgt nicht nur die Planungs- und Bauphase aus einer Hand. Im Gegenzug zur Generalunternehmervergabe (GU-Vergabe) stünden auch schon sämtliche Baufirmen fest. Allerdings sei nicht jedes Unternehmen für solche Projektvergaben gerüstet. Planer sollten deshalb an ähnlichen Wettbewerben teilgenommen haben, Bauunternehmen schon schlüsselfertig gebaut haben. Über Referenzen im Rahmen der Eignungsprüfung können die richtigen Bieter ausgewählt werden. Fünf Bieter pro Ausschreibung seien ein guter Wert, damit sei einerseits der Wettbewerb sichergestellt, andererseits ließen sich so marktübliche Preise erzielen. Diesen sollten aber auch Entschädigungen angeboten werden für die Angebotskalkulati-

on, wünscht sich Vogt. Letztlich eigne sich eine TU-Vergabe vor allem bei Neubaumaßnahmen, bei denen Termin- und Kostensicherheit besonders wichtig seien und die finanziellen Mittel des Auftraggebers begrenzt. “Da ist diese Ausschreibungsform unschlagbar!” Zudem biete sie sich an, um einen Architektenwettbewerb zu integrieren, allerdings dürfe man keine architektonischen Leuchttürme erwarten. Diese würden dem Prinzip der Kostensicherheit untergeordnet werden. “Ungeeignet ist die TUVergabe für Sanierungen, besonders dann, wenn auch noch der Denkmalschutz beachtet werden muss”, räumte der Architekt ein.

Wetter kein Grund für Mehrkosten Das Wetter kann beim Bauen zwar Grund für Verschiebungen der Ausführungsfristen sein, aber nur, wenn es sehr ungewöhnlich war, betont Dr. Christopher Marx, Jaspers Kollege. Für eine Mehrvergütung kann es aber nicht herangezogen werden, denn kein Bauherr hat die Pflicht, eine Baustelle vor Frost, Eis und Schnee zu schützen. Entscheidend ist auch hier, die Umstände zu dokumentieren. Selbiges gilt für die Abnahme. “Nur mit einem unterschriebenen Abnahmeprotokoll gibt es tatsächlich eine Bauabnahme.” Eine mündliche Zusage auf der Baustelle reiche nicht, so der Rechtsanwalt, der damit die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH wiedergab. Denn ohne das Abnahmeprotokoll gebe es auch keinen Werklohn für die Leistungserbringung. Zudem gab der Baurechtsex-

perte noch einen wichtigen Tipp: “Nehmen Sie immer einen Architekten mit zur Abnahme”, weil dieser auf Mängel hinweisen könne. Generell beginnen die Frist im Mängelrecht und der Anspruch auf Zahlung des Werklohns erst nach erfolgter Abnahme. Es sei denn, der Bauherr kündigt entweder dem ausführenden Bauunternehmen oder Handwerker und verlangt nicht die Fertigstellung, sondern Schadensersatz, oder er verweigert eine endgültige Bauabnahme. In beiden Fällen wird der Werklohn fällig und beginnt die Verjährungsfrist zur Mängelbeseitigung.

Vergaberecht vs. Vertragsrecht Außerdem warnte Marx davor, dass vergaberechtliche Verstöße nicht immer das Vertragsrecht verletzten. Wenn beispielsweise aufgrund einer Ausschreibung ohne eindeutige Leistungsbeschreibung und ohne Planungsunterlagen eine Architektenleistung vergeben und ein Vertrag geschlossen wurde, liegt ein eindeutiger Verstoß gegen § 7 Abs. 1 VOB/A bzw. § 7 Abs. 1 VOB/A EU vor, dennoch bleibe der geschlossene Vertrag mit dem Architekten gültig. “für diesen besteht weiterhin die Pflicht zur pauschalen Leistung, wie sie angeboten worden ist”, führt der Baurechtsexperte weiter aus.

JETZT VORMERKEN!

2. BAU Beschaffertage Oktober 2018 in Düsseldorf www.bau-beschaffertage.de/

sich selbst neu erfinden. Zwar fordert Wasilis von Rauch, Bundesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs (VCD), von der zukünftigen Bundesregierung Lösungen: “Eine zukunftsfähige Verkehrspolitik stellt die Gesundheit der Menschen und den Klimaschutz in den Mittelpunkt, indem sie Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr stärkt.” Aber die Kreativität müsse auch Teilweise von den Unternehmen und Kommunen selbst kommen. Wie dies konkret aussieht, zeigen aktuelle Experimente mit autonom fahrenden Shuttlebussen. In Bad Birnbach hat die Deutsche Bahn die erste autonom verkehrende Buslinie in Deutschland gestartet. Bei dem mehrjährigen Projekt sollen selbstständig fahrende Kleinbusse Erfahrungen sammeln – vor allem, um die Technik auszufeilen und die Akzeptanz beim Kunden auszutesten. Aktuell ist für den Notfall noch ein Fahrbegleiter an Bord, der auch dabei hilft, Hindernissen auszuweichen. Der Kleinbus erkennt diese zwar, kann sie jedoch noch nicht selbstständig umfahren. Auch die Stadtwerke München haben auf ihrem Gelände ein autonomes Shuttle getestet. “Möglicherweise lassen sich solche Fahrzeuge eines Tages als flexible Ergänzung in den klassischen ÖPNV integrieren, etwa auf eher schwach nachgefragten Linien oder als Zu- und Abbringer zu Bus- und Bahnstationen”, sagte Ingo Wortmann, Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und SWM-Geschäftsführer Verkehr. Mit den Tests sei in München der aktuelle Stand der Technik demonstriert worden.

Bundesweit erstmalig

Kampf den CO2-Emissionen!

Auftraggeber-Informations-Anforderungen für Verkehrsinfrastrukturen von Arup

Greifswald-Masterplan Klimaschutz mit E-Mobilitätsschwerpunkt

(BS/Jörg Obergfell/Gabriele Schubert) Im Stufenplan für “Digitales Planen und Bauen” hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Mindestanforderungen definiert, die ab dem Jahr 2020 in allen neu zu planenden Building-Information-Modeling-Projekten erfüllt werden sollen. So hat der Auftraggeber bereits im Vergabeverfahren seine BIM-bezogenen Vorgaben in den sogenannten Auftraggeber-InformationsAnforderungen – kurz AIA – zu spezifizieren. Darin werden beispielsweise der Umfang und die Inhalte des BIM-Modells festgelegt sowie konkrete Zeitpunkte für wichtige Entscheidungen im Planungs- und Bauprozess genannt und die hierfür notwendigen Informationen vorgegeben. Doch was bedeuten die Vorgaben des Stufenplanes für die öffentlichen Auftraggeber konkret?

(BS/ab) Die Stadt Greifswald hat ihr Umweltschutzkonzept vorgestellt – das ambitionierte Ziel: CO2-frei bis 2050. “Hierfür müssen wir die Bedeutung des Autos in unserem Mobilitätsverhalten grundlegend überdenken”, sagt Masterplan-Manager Michael Busch.

Jörg Obergfell leitet den Bereich Infrastructure Consulting bei Arup in Deutschland, Gabriele Schubert ist Infrastructure Consultant. Fotos: BS/Arup

Als weltweit tätiges, unabhängiges Planungs- und Beratungsbüro verfügt Arup über internationale Erfahrungen bei der Erstellung von AIA. In Deutschland hatte das Unternehmen bereits im Jahr 2015 die ersten BIM-Pilotprojekte der DEGES begleitet und nun die bundesweit ersten AIA im Verkehrsinfrastrukturbereich für die Neubauprojekte der Bundesstraßen 87n und 178n erstellt.

AIA für Variantenuntersuchungen Um Qualität und Quantität der Planung sowie die Entscheidungsfindung bei der Variantenauswahl zu verbessern, entschied die DEGES, beim Ausbau der B 87n zwischen Eilenburg und Mockrehna die BIM-Methode anzuwenden. Die zu erbringenden BIM-Leistungen wurden

von Arup über AIA als Teil der Vergabeunterlagen ausgeschrieben. Ein Jahr später beschloss die DEGES, diese Methode auch für den Lückenschluss der B 178n zwischen Autobahn 4 / Kreuz Weißenberg und Nostitz vom Vorentwurf bis zur Ausführungsplanung anzuwenden. Arup erstellte auch hierfür die AIA für das komplette Leistungsbild unterschiedlicher Gewerke.

Konkrete Zielvorstellungen im Vorfeld Entsprechend der Arup-Methodik ist der erste Schritt die Klärung von Grundsatzfragen in Bezug auf die Ausschreibung und die Festlegung der individuellen BIM-Strategie. Gemeinsam mit dem Auftraggeber werden die BIM-Ziele und die besonderen Rahmenbedingungen und Anforderungen des Projektes

definiert. Markteinschätzung, Chancen- und Risikoabwägung sowie Zieldefinition spielen dabei eine wichtige Rolle. Auf Basis dieser Informationen erarbeitete Arup die BIM-spezifischen Ausschreibungsunterlagen.

Aufbau der AIA AIA umfassen im Wesentlichen die technischen Anforderungen und die Management-Anforderungen und informieren den Auftragnehmer über Zielvorgaben und Informationsbedarf des Bauherrn. Zusätzlich werden in den AIA von Arup Prozesse und Standards definiert, die jeder Auftragnehmer in seine Projektabwicklung zu integrieren hat. AIA werden stets projektspezifisch erstellt. Die Nutzung von BIM, speziell im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, verändert sich derzeit stark. Dies und die Tatsache, dass sich über die oftmals langen Projektlaufzeiten Änderungen ergeben können, muss bei der Erstellung von BIM-Vertragsunterlagen berücksichtigt werden. Hinzu kommt der gegenwärtige Mangel an nationalen BIM-relevanten Standards. Arup ist mit den internationalen Richtlinien vertraut und hat diese für den Einzelfall angepasst und entsprechend angewandt.

Die Stadt erhält für ihr Vorhaben Bundesfördermittel. 95 Prozent kämen vom Bund, die Eigenbeteiligung liegt bei fünf Prozent. Sie hat als einzige Stadt aus Mecklenburg-Vorpommern den Zuschlag für ihr Konzept erhalten. “Ganz aktuell bemüht sich die Stadt um den Ausbau der Elektro-Mobilität. Wir wollen in Kooperationen mit den Stadtwerken nach sinnvollen Standorten für E-Ladesäulen suchen”, so Bausenatorin Jeannette von Busse. Auch sollen die Bürger dem Plan nach wieder vermehrt den ÖPNV nutzen. Deshalb soll eine

Greifswald engagiert sich noch stärker beim Klimaschutz als bisher. Mit dem “Masterplan 100 Prozent Klimaschutz” widmet die Stadt sich auch der E-Mobilität und präsentiert Ideen, um diese einzubinden. Foto: BS/©Andrea Lehmkuhl, Fotolia.de

weitere Reduzierung der ÖPNVLeistungen gestoppt werden. Durch den demografischen Wandel bedingt, würde zudem eine verbesserte regionale Vernetzung angestrebt. Dies bedeutet neue Angebote: Mischformen zwischen Linienbussen und Taxiverkehr, welche nach Bedarf fahren und kleinere Fahrzeuge umfassen. Daneben sollen die Fahrradabstellmöglichkeiten ausgebaut werden, damit Drahtesel und E-Bikes mehr genutzt werden. An Schnittstellen wie Park+Ride-Plätzen würden für diese weitere E-Ladestationen errichtet.

Positive Auswirkung Mehr Ruhe im Klassenzimmer mit Kautschukböden (BS/Doris Janik*) Vom Sanierungsobjekt zur Vorzeigeschule: Der Neubau der Beruflichen Schule Pinneberg bietet ein modernes Lernumfeld und setzt auch in ökologischer Hinsicht Maßstäbe: Beim Fußboden fiel die Wahl auf Kautschuk-Beläge von nora systems. Diese sind nicht nur besonders umweltgerecht und langlebig, sondern vermindern auch Gehgeräusche und tragen so zu einer guten Raumakustik bei. Großen Wert legten Bauherr und Nutzer auf Ökologie. Da passten nora Bodenbeläge ideal ins Konzept: Sie sind emissionsarm, enthalten weder Weichmacher (Phthalate) noch chlororganische Verbindungen und tragen somit zu einer gesunden Innenraumluft bei. Ein zusätzliches

Plus: Durch ihre Dauerelastizität reduzieren die Kautschuk-Beläge zudem die Geräuschkulisse. Schulleiter Ulrich Krause hat beobachtet, dass sich die gute Raumakustik in jeder Hinsicht positiv auswirkt: “Die Stimmen der Lehrkräfte werden geschont, sie leiden seither viel weniger unter Heiserkeit.” *Doris Janik, Regional Communications Manager, nora systems GmbH

Kautschuk-Bodenbeläge sind nicht nur umweltgerecht und langlebig, sondern verringern die Geräuschkulisse. Foto: BS/Dirk Wilhelmy


Kommunale Ordnung

Behörden Spiegel / November 2017

V

oraussetzung zur Erteilung dieser ist unter anderem die Einhaltung von Mindestabständen zu anderen Spielhallen. Zudem dürfen Spielhallen nicht mit anderen Spielhallen in demselben Gebäudekomplex untergebracht sein. Da dies jedoch auf viele bestehende Spielhallen zutrifft, stehen die Kommunen vor der schwierigen Aufgabe, aus mehreren derzeit legal arbeitenden Betrieben diejenigen auszusuchen, die ihr Geschäft schließen müssen. Auf Einladung des Behörden Spiegel trafen sich Vertreter mehrerer Kommunen – vornehmlich aus Nordrhein-Westfalen – in Bonn zu einem Workshop, um sich über Maßnahmen und Entscheidungen hierzu auszutauschen und Lösungen zu finden. Andreas Ramisch, Kommunalbeamter bei der Großen Kreisstadt Forchheim/Oberfranken und studierter Jurist, stand den Teilnehmern dabei als versierter Experte auf diesem Gebiet zur Seite.

Unbestimmte Rechtsbegriffe beklagt Wichtige Themen in der Diskussion waren der Härtefall, Vertrauensschutz, Kriterien für die Störerauswahl, Bestandsspielhallen und Mehrfachkonzessionen. In vielen Fällen beklagten die Praktiker hier unbestimmte Rechtsbegriffe. So darf der Mindestabstand laut Gesetz minimal unterschritten werden. Hier stellt sich in der Praxis die Frage, was genau eine minimale Abweichung ist. In einigen Städten geht man hier von drei bis fünf Prozent aus, da die Bezirksregierung diesen Wert auf Nachfrage genannt habe. Das Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen lässt für Spielhallen auch Ausnahmen zu, definiert diese aber nicht eindeutig. Auch die topografische Trennung ist für viele Entschei-

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Verantwortliche vor Problemen Ordnungsamtsmitarbeiter müssen Spielhallenrecht korrekt auslegen (BS/Lora Köstler-Messaoudi) In den kommunalen Ordnungsämtern herrscht aktuell große Unsicherheit über den richtigen Umgang mit Spielhallen und Wettbüros. In diesem Sommer ist die im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehene Übergangsregelung für Spielhallen ausgelaufen. Betreiber von Spielhallen benötigen dann neben der gewerberechtlichen Erlaubnis auch eine glücksspielrechtliche Erlaubnis. der wichtig. So kann aufgrund von Flüssen oder Gebäuden der tatsächliche Fußweg weiter sein als die für den Mindestabstand relevante Luftlinie. Doch auch die korrekte Messung der Luftlinie wurde aus Sicht vieler Praktiker nicht eindeutig geregelt: Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Ist der Bezugspunkt die Gebäudeaußenkante, der Eingang, oder die Gebäudemitte? Laut Ramisch ist hier Letztere zu veranschlagen. Der Fachdozent machte auch darauf aufmerksam, dass eine nicht vorhandene Blickachse nicht als alleiniges Instrument bei der Ausnahmeprüfung ausreiche, sondern nur ein unterstützendes Argument sein könne. “Die Abstandsfristen schieben die Entscheidung über die Schließung einer Spielhalle nur nach vorn. Einfacher wäre es, bis zum Auslauf des Glücksspielstaatsvertrages im Jahr 2021 den Betrieb für alle Spielhallen großzügig weiterlaufen zu lassen”, meinte Ramisch. Grundsätzlich, so der Experte, “steht keine der Spielhallen wirklich auf der Schwarzen Liste und soll geschlossen werden. Deshalb gibt es auch die vielen Übergangsfristen in den Ländern.”

Härtefallprüfung kompliziert Ein weiteres Problem stellt sich den Ordnungsbeamten bei der Prüfung des Härtefalls, wenn es Spielhallen gibt, die ihren Antrag auf Prüfung eines Härtefalls erst nach der vorgesehen Pflicht (30. November 2017) einreichen. Denn auch ein verspäteter An-

Der korrekte Umgang mit Spielhallen, in denen auch Geldspielautomaten (Foto) stehen, stellt die Verantwortlichen in den Ordnungsämtern vor Ort momentan vor erhebliche Herausforderungen. Denn: Im Sommer ist eine im Glücksspielstaatsvertrag verankerte Übergangsregelung für Spielhallen ausgelaufen. Foto: BS/Andreas Trojak, CC BY 2.0, flickr.com

trag ist zu berücksichtigen. Bisher getroffene Abwägungen und Entscheidungen zu den anderen beantragten Härtefällen können damit nichtig sein, da mit dem neuen Härtefall-Antrag auch neue Abstandskollisionen entstehen können. Bei dieser Rechtslage zeigte sich Unmut unter den Praktikern, die aktuellen Härtefallprüfungen überhaupt erst anzugehen, solange nicht alle Spielhallenbetreiber irgendwann ihren Antrag eingereicht haben. In vielen Ordnungsbehörden zeigte sich Resignation in Anbetracht der Komplexität und der Unübersichtlichkeit der aktuellen Lage. Hinzu kommt, dass die meisten Kommunalbeamten, die mit dem Glücksspielrecht betraut sind, auch viele andere Aufgaben mit auf dem Tisch lie-

gen haben und daher kaum alle Themen fristgerecht abarbeiten können. Am Ende könnten viele Fälle daher auf eine möglicherweise rechtsmissbräuchliche Duldung hinauslaufen, so Ramisch.

Betreiber wollen Zeit schinden Beklagt wurde von den Mitarbeitern der Ordnungsämter zudem, dass viele Spielhallenbetreiber Zeit bis 2021 (Gültigkeit des Glücksspielstaatsvertrages) schinden wollten. Härtefälle würden erst einmal nicht begründet, Unterlagen möglichst spät eingereicht. Vielerorts wolle man daher auch in den Ordnungsämtern abwarten, denn man laufe hier auch immer Gefahr, etwas zu entscheiden, dass sich später als

nicht richtig herausstelle. So passierte es auch Ramisch. In seiner Stadt hatte man bereits Bescheide an die Spielhallenbetreiber verschickt, als dann im Juni das Ministerium in einem Erlass den Mindestabstand für Spielhallen von derzeit 250 Meter auf 500 Meter erhöhte. “Das macht unsere bisherigen Ausführungen bei erlaubten Unterschreitungen teilweise unglaubwürdig”, kritisiert der Diplom-Verwaltungswirt. Ein anderes Problem, von dem die Kommunalbeamten berichteten, ist der Zuwachs von Gaststätten mit drei Spielgeräten. Denn: Während in einer Spielhalle maximal bis zu zwölf Geldspielgeräte mit Erlaubnis aufgestellt werden dürfen, erlaubt das Glückspielrecht für Gaststätten drei Geldspielgeräte erlaubnisfrei. Gaststätten mit Spielgeräten dürfen sich zudem – im Gegensatz zu Spielhallen – im selben räumlichen Komplex befinden, Alkohol ausschenken, Rauchen zulassen und müssen auch kein Suchtkonzept vorlegen. Das alles macht dieses Modell für ehemalige Spielhallenbetreiber durchaus interessant. “Abhängig davon, wie restriktiv die Mindestabstandsregelung durchgesetzt wird, kann das eine Entwicklung sein”, bestätigte Ramisch. Für ihn sind solche Gaststätten daher kleine Spielhallen, durch die in einem kleinen Radius ein Vielfaches an Spielgeräten – ohne Jugend- und Spielerschutz – vorhanden sind. Eine weitere Möglichkeit für

Spielhallenbetreiber, den Mindestabstand oder das Verbot der Mehrfachkonzessionen zu umgehen, sind Pferdewetten. Für Betreiber von Pferdewetten gibt es keine Beschränkungen, wie sie Spielhallen oder Wettbüros kennen. Sie dürfen zusammen mit einer Spielhalle oder einem Wettbüro im selben Gebäudekomplex sein und ebenfalls wie Gaststätten bis zu drei Geldspielgeräte aufstellen. Einige Workshop-Teilnehmer berichteten auch, dass Spielhallenbetreiber bei ihnen bereits die Konzession für Pferdewettbüros beantragt haben. Beobachtet wurde auch, dass vornehmlich große Spielhallenbetreiber in letzter Zeit viele Spielhallen, die keinen Abstandskonflikt haben, aufkaufen, um dann dort ihr Gewerbe weiterbetreiben zu können.

Zukunftsmusik Aktuell herrscht nicht nur viel Unsicherheit in den Kommunen, auch auf Bundes- und Länderebene steht man vor großen Verwerfungen bei der Glücksspielregulierung. Der von den Ministerpräsidenten ausgehandelte dritte Glücksspieländerungsstaatsvertrag wird wohl nicht 2018 in Kraft treten. Schleswig-Holstein wird ihn nicht ratifizieren. Auch in Hessen will man einen anderen Weg einschlagen. “Wenn der Glücksspieländerungsstaatsvertrag wegfällt, gelten immer noch die Landesgesetze und die Ausführungsgesetze”, erklärt Ramisch. Der Fachmann kann sich nicht vorstellen, dass der Glücksspielstaatsvertrag ausfällt und nicht landesrechtlich reagiert werde. “Das Ergebnis wären wieder Landesgesetze, die die Glücksspielregulierung noch mehr komplizieren könnten”, schlussfolgert der Experte.


Kommunale Ordnung

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Behörden Spiegel / November 2017

Große Herausforderung für Kommunen

Qualifizierter Außendienst für Nürnberg?

Auffinden von “Blindgängern” erfordert zahlreiche Maßnahmen

Mehrheit im Stadtrat will neue Beschäftigte einstellen

(BS/Marco Feldmann) Bombenfunde bringen erhebliche Belastungen für die Verantwortlichen in Städten und Gemeinden mit sich. Sie müssen Ersatzräume oder Notunterkünfte für von Evakuierungsmaßnahmen betroffene Anwohner organisieren, in Absprache mit dem Kampfmittelräumdienst den Sperrradius festlegen und den Sprengsatz teilweise sogar durch Kräfte des Kommunalen Vollzugsdienstes bewachen lassen.

(BS/Marco Feldmann) Im fränkischen Nürnberg soll künftig die städtische Außendiensttätigkeit verstärkt werden. Dafür verlangen CSU und SPD im Rat der Stadt mit rund 510.000 Einwohnern die Einführung eines qualifizierten Kommunalen Außendienstes. Er soll zwölf Mitarbeiter umfassen, von denen zehn operativ tätig werden sollen.

Dies ist zum Beispiel in Koblenz der Fall. Dort müssten die städtischen Mitarbeiter diese Aufgabe vom Zeitpunkt des Auffindens bis zum Eintreffen des Kampfmittelräumdienstes übernehmen, berichtet der stellvertretende Leiter des Ordnungsamtes, Thomas Flöck. Außerdem würden vor Evakuierungen Handzettel verteilt. Auch diese Aufgabe falle dem Ordnungsamt zu. Unterstützt würden dessen Kräfte dabei von Feuerwehrleuten. Und auch am Tag der Evakuierung selbst seien seine Mitarbeiter gefordert, erläutert Flöck.

Keine Entwarnung möglich Dann würden sie nämlich – ebenfalls zusammen mit der Feuerwehr – den Sperrkreis durchkämmen und dafür Sorge tragen, dass auch tatsächlich alle Anwohner ihre Wohnungen verlassen. Gegebenenfalls werde, wenn sich eine Person wiederholt weigere, der Evakuierungsanordnung Folge zu leisten, auch die Polizei hinzugezogen. Dies käme aber glücklicherweise nur sehr selten vor. Und noch etwas erzählt Flöck: Die Leitung solcher Einsätze obliege seinem Chef und dem Leiter der Koblenzer Berufsfeuerwehr. Sie richteten dann eine “Technische Einsatzleitung” in den Räumlichkeiten der Feuerwehr ein. Dort seien dann auch Vertreter der Polizei und der Hilfsorganisationen zugegen. Dieses Gremium war in den letzten Jahren oftmals gefordert. Jährlich gibt es in der rheinland-pfälzischen Stadt mit rund

113.000 Einwohnern durchschnittlich zwei Kampfmittelentschärfungen, bei denen auch Evakuierungsmaßnahmen für die Bevölkerung notwendig werden. Dieser Schnitt wurde in diesem Jahr noch nicht ganz erreicht: Zwar wurde im April eine 50-Kilogramm-Bombe gefunden. Damals musste jedoch niemand seine eigenen vier Wände verlassen. Zugleich mussten wegen einer 500-Kilogramm-Bombe im September gleich 21.000 Menschen evakuiert werden. Entwarnung für die Zukunft kann übrigens nicht gegeben werden. Zwar liegen deutschlandweit kaum exakte Daten über die Menge und Anzahl der noch im Boden befindlichen “Blindgänger” vor. Zugleich ist aber bekannt, dass etwa allein in Koblenz 90 Prozent der Altstadt durch Bombenabwürfe im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden.

Exakte Zahlen hat niemand Und noch eine Zahl lässt aufhorchen. Sie kommt vom Regierungspräsidium Darmstadt, bei dem der hessische Kampfmittelräumdienst angesiedelt ist. Von dort heißt es, dass im Schnitt jedes fünfte während des Zweiten Weltkrieges über dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik abgeworfene Kampfmittel ein “Blindgänger” war. Eine systematische Erfassung findet aber in keinem Bundesland statt. Das hat zur Folge, dass niemand – trotz Luftbildern, die von den Alliierten zur Verfügung gestellt wurden – verlässlich Auskunft darüber geben kann, wie viele nicht explodierte Sprengmittel noch im

Werden Kampfmittel gefunden, müssen kommunale Verantwortliche zahlreiche Aufgaben übernehmen. Foto: BS/Feldmann

deutschen Boden liegen. Allein in Hessen gebe es aber jährlich rund 500 Einsätze landesweit für den Kampfmittelräumdienst. Dabei würden 30 bis 40 Bomben ab einem Gewicht von 50 Kilogramm entschärft. In Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover wiederum wurden laut Stadtverwaltung von 2010 bis heute jedes Jahr zwischen zwei und sieben Fliegerbomben beseitigt, bei deren Entschärfung oder Sprengung die Einrichtung eines Sicherheitsbereichs sowie Evakuierungsmaßnahmen für die Anwohner erforderlich waren. In Hannover und den anderen niedersächsischen Städten und Gemeinden gibt es allerdings ein Problem: Die Landesregierung entschied Anfang 2012, das Landesräumprogramm als Amtshilfe für die lokalen Gefahrenabwehrbehörden einzustellen. Seither wird – zumindest in Hannover – nicht mehr präventiv nach Kampfmitteln gesucht. Künftig soll sich das – nach einem entsprechenden Ratsbeschluss – aber wieder ändern.

Fast 800 Verdachtspunkte in Berlin In Berlin gibt es jedes Jahr circa sieben Funde von Bomben mit einem Gewicht von mehr als 50 Kilogramm. Auch wenn die zuständige Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz nicht über ein Gutachten zur Kampfmittelbelastung für das gesamte Stadtgebiet verfügt, sind dennoch etwa 780 Bombenverdachtspunkte in der Bundeshauptstadt bekannt. Und in Hamburg hat die Feuerwehr, bei der der Kampfmittelräumdienst der Hansestadt angesiedelt ist, im vergangenen Jahr insgesamt 572.000 Quadratmeter Fläche auf eine Kampfmittelbelastung hin sondiert. Beseitigt wurden laut Jahresbericht unter anderem zwölf große Sprengbomben, 23 Brandbomben, 216 Stabbrandbomben, 176 Granaten, 171 Zünder sowie 195 Treibladungshülsen.

Kooperationsvertrag unterschrieben Essen richtet “Haus des Jugendrechts” ein (BS/mfe) In Essen wollen die politisch Verantwortlichen, die Polizei und die Staatsanwaltschaft künftig effektiver und stärker konzentriert gegen junge Intensivtäter vorgehen. Dazu soll ein neues “Haus des Jugendrechts” entstehen. Der entsprechende Kooperationsvertrag, der auch eine gemeinsame Geschäftsordnung vorsieht, wurde bereits unterzeichnet. In der Einrichtung, die voraussichtlich Anfang nächsten Jahres ihren Betrieb aufnehmen kann, kümmern sich verschiedene Behörden um diese Personengruppe. In Fallkonferenzen können Jugendgerichtshilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft in Zukunft noch enger kooperieren. Davon versprechen sich die Verantwortlichen einerseits schnellere Verfahrensabschlüsse und andererseits das Stoppen und Beenden krimineller Karrieren junger Straftäter.

Verschiedene Stellen arbeiten zusammen Durch das “Haus des Jugendrechts” sollen darüber hinaus eine Reduzierung der Jugendkriminalität sowie eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls und der Sicherheitslage in Essen erreicht werden. Mit der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags einigten sich die drei Projektpartner zugleich auf den neuen Sitz der Einrichtung sowie auf eine gemeinsame Geschäftsordnung. Im “Haus des

Sie könnten zum Vorgehen gegen Ordnungsstörungen aller Art eingesetzt werden. Und das sowohl präventiv als auch repressiv. Des Weiteren könnten die Beschäftigten die Polizei und andere Behörden dabei unterstützen, Sicherheitsstörungen sowie das Anbahnen krimineller Handlungen frühzeitig zu erkennen und an die zuständigen Stellen zu melden. Dadurch würde nicht nur das objektive Sicherheitsgefühl, sondern auch das subjektive gestärkt, meinen Christsoziale und Sozialdemokraten. Nun wurde die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly (SPD) aufgefordert, referatsübergreifend ein Konzept zur Einrichtung der neuen Dienststelle zu erarbeiten. Die dafür notwendigen Stellenmehrungen sollen bereits in den Personalhaushalt des kommenden Jahres eingebracht werden.

Strafen nicht im Mittelpunkt Tätigkeitsschwerpunkte eines möglichen neuen, qualifizierten Kommunalen Außendienstes sollen öffentliche Straßen, Wege und Plätze, Sauberkeit und Vermüllungen, Grünanlagen und Spielplätze sowie die Leinenund Maulkorbpflicht für Hunde im öffentlichen Raum sein. Primär ist vorgesehen, dass seine Mitarbeiter Bürger informieren und aufklären sollen. Nur in zweiter Linie solle es auch um Sanktionen gehen, meinen die Verantwortlichen von CSU und SPD. Gleichwohl müssten die uniformierten Mitarbeiter berechtigt sein, Verwaltungsund Bußgeldverfahren einzuleiten. Außerdem müssten sie die Möglichkeit haben, mündliche

Foto: BS/Peter Prengel, Stadt Essen

Jugendrechts” wird die gesamte Essener Jugendgerichtshilfe untergebracht. Sie umfasst zwölf Mitarbeiter. Ebenfalls zwölf Beschäftigte kommen von der Polizei. Dabei handelt es sich um Mitglieder der “Einsatzgruppe Jugend” des lokalen Polizeipräsidiums, das unter der Leitung von Präsident Frank

Richter steht. Hinzu kommen vier Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft. Untergebracht sind sie in einer neu angemieteten Immobilie im Zentrum der Stadt mit rund 570.000 Einwohnern. Das Gebäude befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Polizeipräsidium sowie zum Sitz der Staatsanwaltschaft.

Foto: BS/Maximilian Goldmann, CC BY 2.0, flickr.com

Anordnungen zu erteilen und Verwarnungsgelder bis zu einer Höhe von 55 Euro zu erheben.

Mehrarbeit in warmen Monaten Aktiv sein sollten die Kräfte dabei im gesamten Nürnberger Stadtgebiet. Zudem sollten auch Einsätze in Zivilkleidung gestattet und eine hohe Mobilität der Mitarbeiter geschaffen werden. Darüber hinaus sollten die Arbeitszeiten derart gestaltet werden, dass auch Einsätze in den Abend- und Nachtstunden sowie am Wochenende möglich wären. Des Weiteren müsste zwischen Mai und Oktober –

Die Arbeit von Außendiensten in Städten und Gemeinden sind auch ein zentrales Thema des kommenden “Bundeskongresses Kommunale Ordnung”. Dieser findet am 26. und 27. September 2018 in Hamburg statt. Weitere Informationen unter: www.kommunale-ordnung.de.

aufgrund des dann vermuteten erhöhten Einsatzbedarfes – eine aufgestockte Arbeitszeit vorgesehen werden. Diese würde während der kälteren Monate dann wieder ausgeglichen, um die zulässige Jahresarbeitszeit nicht zu überschreiten. Ausgestattet werden sollten die Tarifbeschäftigten nach den Vorstellungen von Christsozialen und Sozialdemokraten unter anderem mit einer blauen Uniform mit Stadtwappen, einer stichsicheren Weste, Einmalhandschuhen, einem Erste-Hilfe-Set und einem Diensthandy. Hinzukommen sollten eine Taschenlampe, eine Verkehrskelle sowie ein Reizstoff-Sprühgerät zur Selbstverteidigung. Außerdem sollen sie drei rein auf Elektromobilität basierende Dienstfahrzeuge erhalten. Operativ angebunden werden sollte die neue Einheit als Stabsstelle beim Zweiten Bürgermeister der Stadt. Für die Schaffung des Kommunalen Außendienstes wird von einmaligen Kosten in Höhe von rund einer Million Euro ausgegangen.

Massive mobile Sicherheit Zaunsystem bietet temporären Schutz bei Veranstaltungen (BS/Kaber Kolioutsis*) Mit dem mobilen Sicherheitszaun Publifor bietet Betafence ein massives, bewegliches Zaunsystem für die temporäre Absicherung von Veranstaltungen und Objekten an. Die rund 2,4 Tonnen schweren Zaunelemente bestehen aus einem robusten Rahmenprofil mit beidseitig montierten Gittermatten und einem massiven, mit Beton gefüllten Stahlsockel. Die äußerst widerstandsfähigen Elemente sind für den Transport mit einem Gabelstapler konzipiert und lassen sich in kurzer Zeit als temporäre Sicherung aufbauen, die größere Menschenansammlungen kontrolliert. Die Publifor-Elemente sind 2.500 Millimeter hoch und in den Breiten 1.230 oder 2.530 Millimeter lieferbar. Basis ist ein massiver, 805 Millimeter hoher Stahlsockel, der mit Beton gefüllt wird. Die Grundkonstruktion der Zaunelemente besteht aus sehr robusten waagerechten und senkrechten Stahlpfosten mit 80 x 60 Millimetern Profil. In der schweren Ausführung sind beidseitig Gittermatten montiert, alternativ ist eine leichtere Ausführung mit einseitig montierter Matte lieferbar.

Unterschiedliche Gittermattentypen nutzbar

Unterzeichneten die Kooperationsvereinbarung zum neuen “Haus des Jugendrechts” in Essen (v.l.n.r.): Polizeipräsident Frank Richter, Sozialdezernent Peter Renzel, Oberbürgermeister Thomas Kufen, Jugendamtsleiter Ulrich Engelen und der Leitende Oberstaatsanwalt Walther Müggenburg.

Im Nürnberger Rathaus (Foto) soll ein Konzept zur Schaffung eines qualifizierten Kommunalen Außendienstes erarbeitet werden. Er sollte aus zwölf Mitarbeitern bestehen, fordern CSU und SPD im Stadtrat.

Standardmäßig wird der Gittermattentyp Nylofor 2D Super (schwerer Doppelstab) verwendet, es können aber auch andere Typen wie Nylofor 3D (mit Profilierung) oder die Hochsicherheitsmatte Securifor mit besonders enger Maschung eingesetzt werden. Als weitere Option steht eine Ausführung mit schlagfester, transparenter Polycarbonat-Füllung zur Verfügung. Die Publifor-Elemente sind je nach Ausführung 2,2 bis 2,5 Tonnen schwer. Sie sind äußerst widerstandsfähig und bieten durch den abgeschrägten Stahlsockel keinen Halt zum Überklettern. Zum Publifor-Produktprogramm gehören auch ein- und zweiflügelige To-

Die massiven Publifor-Stahlsockel werden mit Beton gefüllt und lassen sich per Gabelstapler transportieren. Foto: BS/Betafence

re für bis zu 6,28 Meter freien Durchgang, Eckelemente, eine zusätzliche Stahlblechfüllung als Sicht- und Durchdringungsschutz sowie verschiedene Übersteigschutz-Lösungen. Die Tore sind mit Sicherheitsscharnieren und Anti-Panik-Schlössern ausgeführt, die ein sicheres Öffnen in Notsituationen ermöglichen.

Wenig Aufwand beim Aufbauen Die Publifor-Elemente sind langlebig verzinkt und in unterschiedlichen StandardRAL-Farbtönen lieferbar. Für spezielle Anforderungen sind Sonderausführungen möglich, etwa durchschusshemmende Polycarbonat-Füllungen gemäß EN 1063. Das PubliforSystem verbindet Mobilität

mit enormer Widerstandskraft und ermöglicht mit geringem Montageaufwand eine hohe temporäre Sicherheit. Typische Einsatzbereiche sind Sportveranstaltungen, Konzerte, Demonstrationen, aber auch die zusätzliche temporäre Sicherung von Flug- und Seehäfen, militärischen Einrichtungen und anderen Kritischen Infrastrukturen. Das PubliforSystem ist in mehreren Ländern bereits erfolgreich im Einsatz, so etwa in Italien in Fußballstadien der Seria A, in den Bahnhöfen Mailand und Rom oder bei einem öffentlichen Projekt in Österreich. *Kaber Kolioutsis ist im Bereich Marketing DACH der Betafence Deutschland GmbH tätig.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / November 2017

Der “Backbone” der Digitalisierung

KNAPP E-Geburt soll ab Frühjahr 2018 kommen

Die Registermodernisierung als Grundlage der digitalen Verwaltung (BS/Wim Orth) Die öffentliche Verwaltung in Deutschland verfügt bei Bund, Ländern und Kommunen über eine Vielzahl von Registern, die oftmals jedoch nicht den Ansprüchen eines digitalen Staates genügen. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) fordert vor diesem Hintergrund in einer aktuellen Studie, die Modernisierung der Verwaltungsregister zu einem zentralen Projekt der nächsten Bundesregierung in der neuen Legislaturperiode zu machen. Nur mithilfe digitaler Register sei es möglich, die anderen Digitalisierungsprojekte auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung in Deutschland erfolgreich umzusetzen. Unterstützung erhält der NKR für seine Forderungen u. a. vom Deutschen Landkreistag. Der NKR hat in den vergangenen Monaten ein Gutachten zu diesem Thema erarbeiten lassen, welches im Oktober vorgestellt und Kanzleramtschef Peter Altmeier überreicht wurde. Dieses Gutachten setzt sich mit der Registerlandschaft in Deutschland auseinander und analysiert, was noch getan werden muss, um die Digitalisierung in Zukunft erfolgreich gestalten zu können. Das Gremium, das von der Regierung eingesetzt wurde, um Lösungen und Wege zu einem effektiven Bürokratieabbau und einer besseren Rechtsetzung zu finden, fordert in seinem Thesenpapier unter anderem, die Registermodernisierung zum Kernpunkt des Regierungsprogramms für die neue Legislaturperiode von 2017 bis 2021 zu machen.

Konsequente Umsetzung des Once-Only-Prinzips gefordert Zusätzlich bietet das Papier laut NKR neben dem Aufzeigen der Probleme durch die Verzögerungen in der digitalen Entwicklung auch konkrete Lösungsvorschläge, die sich zu großen Teilen um das Once-Only-Prinzip drehen. So sollen die Behörden ihre Register so digitalisieren und einrichten, dass die Bürger in Zukunft ihre Formulare, wie beispielsweise die Geburtsurkunde, nicht immer wieder neu bei unterschiedlichen Stellen einreichen müssen. Stattdessen soll es den zuständigen Stellen möglich sein, unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Aspekte und mit Zustimmung des Bürgers, einen Registerauszug abzurufen, der zentral gespeichert und vom Bürger nur ein einziges Mal bei einer Behörde zu erstellen ist.

An einer umfassenden Registermodernisierung führt in Deutschland kein Weg vorbei, wenn die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung erfolgreich umgesetzt werden soll. Foto: BS/Lisa Nottingham, cc by 2.0, flickr.com

Neben allen anderen Projekten ist die Registermodernisierung laut NKR als zentrales Projekt der Bundesregierung anzusiedeln. Die Behördenregister sollten als Grundlage aller anderen Digitalisierungsbemühungen angesehen werden. Denn ohne die Verwaltungsdatenbanken in digitalisierter Form agieren sämtliche anderen Neuentwicklungen im Grunde ohne “Backbone”, da sie eben alle auf diese Verwaltungsregister zurückgreifen müssen. Die Digitalisierung aller Register unter der Wahrung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen bildet somit die Grundlage und verwaltungstechnische Voraussetzung für sämtliche anderen Digitalisierungsvorhaben, an-

gefangen beim Bürgerkonto bis hin zum Portalverbund. Aber nicht nur der Normenkontrollrat der Regierung kämpft für die eine umfassende Registermodernisierung. Der Deutsche Landkreistag (DLT) sieht das Thesenpapier des NKR als einen richtigen Ansatz und prüft seinerseits, ob zusätzlich zu den Forderungen und Empfehlungen des Kontrollrats noch weitere Anforderungen für eine erfolgreiche, durchgängige Digitalisierung der Verwaltung nötig sind. Der DLT fordert dabei ebenfalls die Öffnung sämtlicher Register und nennt dafür das Vorbild unserer österreichischen Nachbarn. Dort sind sämtliche Behörden dazu verpflichtet, nach dem Once-OnlyPrinzip auf Daten aus digitalen

Save the date: 20.-21. März 2018

Registern zurückzugreifen, sofern diese vorliegen. Bürger und Unternehmen haben diesbezüglich keinerlei Bringschuld mehr. Stattdessen kann das Amt benötigte Daten wie Geburtsurkunde oder Handelsregistereintrag direkt in elektronischen Registern abfragen und alles einsehen, was datenschutzrechtlich für den jeweiligen Verwaltungsakt nötig und möglich ist.

Vorbild Ausländerzentralregister Im Zuge solcher Überlegungen sieht der Landkreistag die Einführung einer einheitlichen Identifikationsnummer für diese Zwecke nicht unbedingt als falschen Weg an und benennt das Ausländerzentralregister (AZR) als positives Beispiel für

die Nutzung einer solchen Methode mit persönlicher Kennziffer. Diese zentrale Informationsdrehscheibe des Bundesverwaltungsamtes im Ausländer- und Asylrecht steht allen Behörden zur Verfügung, die mit der Durchführung einschlägiger Vorschriften betraut sind. Daneben ist aber auch die Übermittlung von Daten an andere öffentliche und – in beschränktem Maße – an nicht öffentliche Stellen zugelassen. Das AZR ist mit rund 26 Millionen personenbezogenen Datensätzen eines der großen automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Im allgemeinen Datenbestand sind die Daten der Ausländer gespeichert, die nicht nur vorübergehend (mindestens drei Monate) im Inland leben oder gelebt haben. Das Ausländerzentralregister wird aktuell von mehr als 8.500 Partnerbehörden und Organisationen mit weit über 100.000 Anwendern genutzt. Rund 32 Mio. Geschäftsvorfälle werden so jährlich weitgehend automatisiert abgewickelt. Die Zusammenarbeit der Behörden läuft hierbei laut DLT sehr positiv und ohne unnötige Bürokratie ab. Für alle anderen Amtsstellen ist der Zugriff auf das Register allerdings wiederum nur über die typischen bürokratischen Hürden möglich. Der DLT fordert daher vom Bund, die rechtlichen und technischen Grundlagen zu schaffen, um die Modernisierung der Verwaltungsregister ohne unnötigen bürokratischen Aufwand zu realisieren und so die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung auf ein solides Fundament zu stellen.

(BS/wim) In Bremen soll ab dem kommenden Frühjahr das Projekt E-Geburt starten. Ziel der Maßnahme ist, das System auf eine weitgehende Antragslosigkeit umzustellen. So könnte in Zukunft mit einer Unterschrift der Eltern noch im Krankenhaus das Ausstellen der Geburtsurkunde sowie die Zahlung des Elterngeldes veranlasst werden. In einem zweiten Schritt sollen Geburtsurkunde und Elterngeldantrag vorausgefüllt nach Hause geschickt werden. Hierfür muss jedoch das Bundesgesetz angepasst werden, was wohl noch etwa zwei Jahre dauern wird. Die kommenden Monate sollen daher dafür genutzt werden, die technischen Voraussetzungen für den Datenaustausch zwischen den beteiligten Behörden zu schaffen.

Start-up-Lösungen für Kommunen (BS/ab) Fünf Start-ups haben im Oktober auf einer Veranstaltung des Instituts für den öffentlichen Sektor in Berlin ihre Ideen für die digitale Verwaltung vorgestellt. Die Firma Commnex hat eine Marktplatzplattform für Kommunen entwickelt, die Kredite suchen. Polyas hingegen ermöglicht Online-Wahlen, die die fünf Wahlgrundsätze einhalten und BSI-zertifiziert sind. Mit Little Bird ist die Planung von Kitaplätzen effizienter werden. Und dort, wo der ÖPNV erschöpft ist, setzt door2door an. Die Firma bietet eine nachfrageorientierte Mobilitätsplattform, die die Infrastruktur entlastet. Abschließend stellte CitizenLab ein Bürgerbeteiligungskonzept vor. Dabei werden Bürger in geplanten Projekten enger in die Verfahren eingebunden, um ggf. bestehende Ängste abzubauen und zudem deren Vorstellungen besser einfangen zu können.

KOSMOS, Berlin

THEMENKANÄLE

Bereits zum 21. Mal wird der Digitalisierungskongress in Berlin stattfinden. In diesem Jahr zog der Kongress rund um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung über 700 Teilnehmer in die Hauptstadt. Mit dem digitalisierten Partnerland Norwegen sowie dem Themenpartner Dänemark wird der Kongress zudem internationale Lösungen im Hinblick auf die öffentliche Verwaltung aufzeigen. Impulse werden durch die neue Legislaturperiode und die Digitale Agenda 2017-2021 gesetzt. Zum neuen März-Termin wird der „Digitale Staat“ auch den Veranstaltungsort wechseln. Erstmals findet der Kongress im ehemaligen Premierenkino KOSMOS in Berlin statt. Hierdurch wird die Präsentation und Diskussion der Inhalte in einem neuen Licht erscheinen. Vorhang auf! // E-Government

// Digitaler Datenschutz

// Arbeit und Personal 4.0

Ob FITKO, das Digitalisierungsprogramm, die neue Digitale Agenda oder der Portalverbund – die nächsten Jahre werden von Projekten geprägt sein, die eine standardisierte und verbindliche Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen ermöglichen sollen.

Im Mai 2018 wird die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft treten. Mit diesem Themenkanal wird der Kongress auf das Spannungsfeld der digitalen Plattformen zwischen Effizienz und Datenschutz eingehen und die neuen Anforderungen an Behörden aufzeigen.

Chancen und Grenzen der fortschreitenden Digitalisierung der Verwaltungsarbeit bis hin zu Bots und dem vollautomatisierten Verwaltungsakt. Personalrecruiting, Qualifizierung und Weiterentwicklung, mobiles Arbeiten, Homeoffice, Wahlarbeitszeit – wichtige Fragen der Zukunft.

Weitere Informationen www.digitaler-staat.org

www.facebook.com/digitalerstaat

twitter #digistaat


Organisation & Management

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Initiative D21 präsentiert die Zahl des Monats

Ich komm‘ lieber direkt vorbei E-Government kommt noch nicht in Fahrt

(BS/Roland Dathe*) Noch schnell online eine Änderung den Behörden mitteilen und abhaken? Das ist gegenwärtig kaum möglich. Entsprechend gering ist der Zuspruch zu E-Government-Angeboten in Deutschland. Nur vier von zehn BürgerInnen nutzen diese, die Zahl stagniert seit Jahren. Wäre es nicht schön, wenn manche standardisierte Prozesse durch eine automatisierte Lösung erledigt werden könnten? Das würde Zeit und Ressourcen sparen – auf beiden Seiten, bei den MitarbeiterInnen der Behörden wie auch bei den Bürger/ -innen und Unternehmen. Seit Jahren gibt es verschiedene EGovernment-Angebote, diese werden aber von nicht einmal der Hälfte der Deutschen genutzt. Gerade einmal 41 Prozent griffen in den vergangenen 12

aktuelle Studie eGovernment MONITOR 2017.

41%

Verwaltung hält mit Anforderungen nicht Schritt

In den letzten 12 Monaten nutzten nur vier von zehn Deutschen die E-GovernmentAngebote der Behörden. Monaten darauf zurück. Ein Blick auf andere Länder deutet an, irgendetwas läuft hier gehörig schief in Deutschland.

Zum Vergleich: Bei unseren Nachbarn Österreich und der Schweiz liegt die Nutzung bei 74 und 61 Prozent. Dies zeigt die

Die meisten Menschen in Deutschland sind im Internet und haben damit Zugriff auf zahlreiche Online-Dienstleistungen. Das würde dafür sprechen, dass auch die Zahl derer steigt, die E-GovernmentAngebote in Anspruch nehmen. Nicht zuletzt, weil die Bekanntheit eben dieser zwar noch nicht

Behörden Spiegel / November 2017

auf dem Niveau anderer Länder liegt, aber zumindest kontinuierlich steigt. Doch der Trend zeigt etwas anderes. Noch vor fünf Jahren, 2012, lag die Zahl der Nutzenden sogar um vier Prozentpunkte höher. Die aktuellen digitalen Behördendienstleistungen scheinen also nicht zu dem zu passen, was die Bevölkerung durch kommerzielle Dienste gewohnt ist und daher von digitalen Angeboten erwartet. Der Aufbau der Dienste entspricht also nicht den Bedürfnissen und Lebenssituationen der BürgerInnen. Immer noch sind Prozesse nicht zusammengefasst, bspw. nach der Geburt eines Kindes, wo es des oft zeitund nervenraubenden Kontakts zu unterschiedlichen Behörden bedarf, um alles Notwendige erledigen zu können – von der Geburtsurkunde über das Melden im heimischen Haushalt bis zum Antrag für Kinder- und Elterngeld. Außerdem sind vorhandene Angebote nicht medienbruchfrei, d. h. ausschließlich online abschließbar. Ausdrucken und unterschreiben oder der Gang zum Amt bleiben auch weiterhin notwendig. Die Studie zeigt aber auch:

Es fehlt an Anreizen, um den Bürger/-innen den digitalen Pfad schmackhaft zu machen. Um vermehrt auf die E-Government-Angebote zuzugreifen, erwarten die Bürger/-innen einen echten Mehrwert für sich, sei es ein verminderter Aufwand, die schnellere Bearbeitung, geringere Gebühren oder eine begleitende Statusabfrage im Gegensatz zum Vor-Ort-Service.

Politischer Wille ist gefragt Es gibt viel zu tun, aber vor allem fehlt es an einem klaren politischen Willen, die Verwaltung endlich sinnvoll und umfassend zu reformieren und zu digitalisieren. Der Druck wächst nicht zuletzt auch durch die großen Fortschritte, die im europäischen Umland seit Jahren erzielt werden. Als stärkste Marktwirtschaft Europas sollten wir auch in puncto Digitalisierung Spielmacher sein, stattdessen geraten wir immer mehr in Rückstand. Es bleibt abzuwarten, was durch die neue Regierung nun von den Wahlversprechen umgesetzt wird. *Roland Dathe ist Pressereferent bei der Initiative D21.

Rückbesinnung Münchens Rückkehr zu Microsoft (BS/Angelika Mühleck*) Eben erst ins neue Amt gehoben, steht Thomas Bönig, dem neuen IT-Referatsleiter der Stadt München, bereits eine Mammut-Aufgabe bevor: Die Rückmigration von LiMux auf Microsoft. 2003 hatte sich die Stadt München für das OpenSource-System LiMux entschieden, u. a. um Lizenzkosten zu sparen. Im Februar 2017 stimmte der Stadtrat dafür, die Verwaltung wieder auf Software von Microsoft umzurüsten. Bis 2020 soll ein neuer Windows Basis Client entwickelt werden, für Textverarbeitung, Kalkulation, E-Mail etc. sollen “marktübliche Standardprodukte” zum Einsatz kommen. Diese Rückbesinnung nimmt die Vendosoft GmbH zum Anlass, sich als IT-Reseller vorzustellen. Das Unternehmen aus dem Münchner Westen handelt mit gebrauchten Softwarelizenzen von Microsoft und Adobe. Geschäftsführer Björn Orth bemerkt mit einem Augenzwinkern: “Wir freuen uns auf die Anfrage des IT-Referats.” Denn nach dem Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung sind Gebrauchtsoftware-Händler zur Angebotsabgabe bei öffentlichen Ausschreibungen nicht auszuschließen. 2016 hatte die Vergabekammer Münster dazu festgestellt: “Gebrauchtlizenzen sind keine vom Original abweichenden Lizenzen, sondern eine gebrauch-

Björn Orth ist Geschäftsführer der Vendosoft GmbH mit Sitz in Inning am Ammersee. Foto: BS/Vendosoft GmbH

te Lizenz ist von der Neufassung nicht zu unterscheiden.” Der Stadt München entstünden mit gebrauchten MicrosoftProdukten also keine Nachteile. Im Gegenteil, Behörden können bis zu 70 Prozent gegenüber dem Neupreis sparen. Das dürfte selbst die Münchner Opposition milde stimmen, die zunächst alle Kosten prüfen lassen will. *Angelika Mühleck ist Marketing Managerin bei der Vendosoft GmbH.

Kunde im Fokus Neues Fachbuch erschienen (BS/gg) Unter dem Titel “Kunde im Fokus” beschäftigen sich Beate van Kempen und Prof. Dr. Frank Hogrebe in einem aktuell erschienenen Fachbuch mit modernem und agilem Kunden- und Dienstleistungsmanagement für öffentliche Verwaltungen und öffentliche IT-Dienstleister. Eine ihrer Thesen lautet: “Kunden wollen beteiligt sein. Sowohl an den Entscheidungen, an der Umsetzung als auch an der Bewertung der Ergebnisse.” Dies gelte nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern ganz besonders in der öffentlichen Verwaltung und bei öffentlichen IT-Dienstleistern. Davon sind beide Autoren aus ihrer eigenen jahrelangen Erfahrung überzeugt. Praxisbeispiele, Rahmenwerke und Erkenntnisse für ein modernes und agiles Kundenund Dienstleistungsmanagement haben van Kempen und Hogrebe in diesem Handbuch gesammelt, bewertet und mög-

liche Handlungsempfehlungen strukturiert dargestellt. Quintessenz: “Verwaltung ist kein Selbstzweck. Kunden wollen ernst genommen und entsprechend ihren Wünsche bedient werden.” Welche Kompetenzen es hier in den diversen Rollen braucht und wie ein Rahmenwerk zum Servicemanagement wirksame Effekte erzielen kann, wird genauso beschrieben wie die Fragen zur Grundhaltung im Dienstleistungssektor. Das Werk ist in der Fachbuchreihe Verwaltung 4.0 im Verlag für Verwaltungswissenschaft erschienen.


ÖFIT / E-Services

Behörden Spiegel / November 2017

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Monatliche Themenseite in Kooperation mit:

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

November 2017 beim Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme

Staat und Gesellschaft auf Autopilot? Algorithmen sind der Motor der Digitalisierung und mitverantwortlich für positive wie negative Effekte. Das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) lädt für den 23. November 2017 im Rahmen einer Konferenz nach Berlin, um die Auswirkungen der algorithmischen Automatisierung zu diskutieren.

überhaupt reduzieren lässt. Immerhin sollten solche Entscheidungen valide, fair und rechtskonform sein. Das ist die Grundlage, um algorithmische Systeme etwa im Sinne des Gemeinwohls zu nutzen.

Kunst von Algorithmen Grafik: BS/Substrate Watercolor, j.tarbell, Juni 2004, Albuquerque, New Mexico, complexification.net

Ob Menschen einen Kredit erhalten oder zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden, entscheiden immer häufiger auch Algorithmen, indem sie unsere Datenspuren analysieren, uns bewerten und kategorisieren. In der aktuell kontrovers geführten Debatte stehen daher nachvollziehbare, faire und kontrollierbare algorithmische Systeme im Mittelpunkt. Big Data, künstliche Intelligenz und Automatisierung werden mal als Verheißung eines einfacheren Lebens, mal als negatives Bild der Zukunft, als Dystopie, diskutiert. Diese Perspektiven zusammenzuführen und ein Diskussionsforum zu schaffen, ist Ziel der Konferenz ”(Un)Berechenbar? Algorithmen und Automatisierung – Chancen und Herausforderungen für Staat und Gesellschaft“. Sie nimmt die Debatte Ende November auf drei Ebenen ins Visier: 1. Regieren & Verwalten, 2. Individuum & Gesellschaft und 3. Medien & Öffentlichkeit.

Automatisch regieren & verwalten? Gesellschaftliche oder technische Innovationen stellen meist zwei grundlegende Fragen an Staat und Verwaltung: Wo ist Bedarf für Einhegung und Regulierung? Und wo können Politik und Verwaltung selbst Nutzen ziehen? Ist also die Integration von Big Data, algorithmischen Entscheidungssystemen und Automatisierung in den politischen und administrativen Prozess sinnvoll? An Fallbeispielen fehlt es nicht, etwa in Finanzmarktaufsicht, Sicherheit, Strafverfolgung und Justiz. Die öffentliche Verwaltung im digitalen Staat ist in verschiedenen Abstufungen denkbar: von der Automatisierung einzelner Teilprozesse bis zur vollautomatisierten Verwaltungsentscheidung. Ob nun im Rahmen der politischen Steuerung und Entscheidungsfindung oder bei einem Verwaltungsakt: Wenn mittels Big Data und automatisierter Prozesse Entscheidungen

getroffen oder vorbereitet werden, geht es auch um grundlegende Fragen der Legitimation und Rechtsstaatlichkeit. Keine Ungleichheit (re-)produzieren Das eingangs erwähnte Versicherungsbeispiel zeigt, wie Algorithmen genutzt werden können, um individuelles Verhalten nachzuvollziehen, vorherzusagen und teilweise sogar zu steuern. Um die (Re-) Produktion sozialer Ungleichheit und Diskriminierung zu verhindern, bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Wir müssen uns z. B. die Frage stellen, wie weit wir den Zugang zu bestimmten Informationen, Dienstleistungen oder gesellschaftlichen (Teilhabe-)Chancen allein über Kennzahlen und algorithmische Systeme regeln wollen. Und wie sich angesichts der hohen Komplexität vernetzter Umgebungen und selbstlernender Algorithmen die Intransparenz von Softwareentscheidungen

Rechtsrahmen für Vertrauensdienste E-Government und digitale Signatur brauchen klare Regeln (BS/stb) Die mit der europäischen eIDAS-Verordnung bereitgestellten Vertrauensdienste ermöglichen papierlose Rechtsgeschäfte und elektronische Verwaltungsprozesse. Diese Werkzeuge sollen das Potenzial der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung ausschöpfen helfen. Die Hürden für ihren Einsatz sind jedoch noch hoch, weil es an klarer Regulierung auf nationaler Ebene fehlt. Korrespondenz und Verträge auf Papier werden früher oder später aus dem Alltag von öffentlicher Verwaltung, Unternehmen und Bürgern verschwinden. Um diesen Wandel aktiv zu gestalten, wird auf europäischer Ebene die Einführung digitaler Dienstleistungen gefördert. Eine frühzeitige Umstellung hin zu digitalen, papierlosen Prozessen ist ein zentrales Anliegen bei der Schaffung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarkts. Interaktionen zwischen Behörden, Unternehmen und Bürgern sollen so vereinfacht und beschleunigt werden.

Vertrauensfunktion für digitale Willensakte Für die Verbindung zwischen analogem Handeln und digitaler Äußerung ist jedoch ein Mechanismus notwendig, der die Funktion übernehmen kann, die früher durch physische Unterschriften, Siegel oder Stempel erfüllt wurde. Während z. B. der Empfänger bei der Schriftform den Unterzeichner am Schriftbild identifizieren lassen kann, wird dies im papierlosen Zeitalter unmöglich. Vertrauensdienste sollen daher die Identitäts-, Echtheits- und Verifikationsfunktion übernehmen, um auch in der digitalen Welt bei rechtserheblichen Handlungen sicher sein zu können, wer was wem digital erklärt hat. Mit den eIDAS-Werkzeugen wie qeSignatur (digitaler Fingerabdruck), qeSiegel (digitaler Stempel) oder Web-Zertifikat

(digitaler Ausweis für Web- oder Cloud-Anwendungen) soll die Brücke von analog zu digital geschlagen werden. So könnte ein elektronisches Behördensiegel (qeBehördensiegel) die Herkunft eines Dokuments von einer konkreten Behörde rechtssicher nachweisen. Elektronische Website- und Cloud-Zertifikate könnten eine rechtsverbindliche und sichere Vertrauensinfrastruktur zwischen Behörde und Rechenzentrum ermöglichen und Anwendungssoftware oder Datenbanken verlässlich identifizieren. Beispielsweise erfordert die digitale Ummeldung des Wohnsitzes eine rechtssichere und beweiskräftige Identifikation der ummeldenden Person, der Behörde und ggf. des Vermieters. Außerdem muss die Kommunikation abgesichert sein, um personenbezogene Daten angemessen schützen sowie die Manipulation übertragener Daten oder das Einbringen von Schadsoftware ausschließen zu können. All diese Anforderungen könnten mit den Werkzeugen des digitalen Vertrauensraums erfüllt werden.

Studie fordert Rechtsrahmen Für solche Anwendungsfälle gibt es derzeit jedoch keine rechtsverbindlichen Grundlagen, sodass Verwaltungen zurückhaltend bei der Umsetzung digitaler Dienste und Prozesse sind. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Bundesdruckerei, die dem Behör-

den Spiegel vorab vorliegt. Darin heißt es: “Die Vertrauensdienste der eIDAS-Verordnung müssen effektiv eingesetzt werden, um das Digitalisierungspotenzial in Verwaltungs- und Geschäftsprozessen auszuschöpfen. Die Implementierung fehlt im deutschen Recht noch weitgehend.” Die Autoren fordern daher die umfassende Einführung einer Vertrauensfunktion auf Basis der eIDAS-Werkzeuge. Dazu sei eine Anpassung der Form- und Beweisvorschriften an die Erfordernisse der digitalen Welt notwendig. Mit Handlungsempfehlungen wenden sich die Autoren der Studie direkt an die Bundesregierung. Um die Digitalisierung voranzutreiben, sollen in der 19. Legislaturperiode 18 konkrete Gesetzesänderungen in Angriff genommen werden. So soll die flächendeckende Verankerung aller eIDAS-Standards in den E-Government-Gesetzen von Bund und Ländern erfolgen, Regelungen für die Anwendung von Vertrauensdiensten sollen geschaffen werden. Empfohlen wird die Orientierung an der Better Regulation Toolbox der EU, die Hilfestellung für konsistente Regulierung leistet. Darüber hinaus heißt es in der Studie der Bundesdruckerei: “Das Vorgehen sollte grundsätzlich in der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien verankert werden (GGO). Denn dadurch wird Digitalisierung schon im Gesetzgebungsverfahren mitgedacht.

Maßgeschneiderte Medien Was algorithmisch optimierte Umgebungen ohne Nachvollziehbarkeit und Transparenz bedeuten können, zeigt sich deutlich an der Medien- und Informationsbereitstellung, wo unter Schlagworten wie ”Filterblasen“ oder ”Echokammern“ zuletzt heftig die algorithmische Beeinflussung der Meinungsbildung diskutiert wurde. Wo Algorithmen als “Black Box“ gesellschaftliche Informationsflüsse und Kommunikation vermitteln, steht das Fundament der demokratischen Öffentlichkeit und des politischen Gemeinwesens auf dem Spiel. Nach Auffassung vieler Experten fehlen aktuell der Rechtsrahmen und geeignete Instrumente, die der strukturbildenden Bedeutung algorithmischer Prozesse gerade in Sozialen Medien gerecht werden. Regulieren und sinnvoll nutzen Die Konferenz am 23. November beleuchtet Risiken und unbeabsichtigte Wirkungen algorithmischer Systeme, fragt aber zugleich nach Chancen und Mehrwerten datengetriebener Technologien für Öffentlichkeit, Gemeinwohl und Demokratie. Der Staat und die öffentliche Hand agierten hier in einer Doppelrolle, so Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums ÖFIT: “Einerseits muss die Politik über sinnvolle Regulierungsmaßnahmen entscheiden, die individuellen und gesellschaftlichen Risiken minimieren und Regeln für den kommer-

ziellen Einsatz finden. Andererseits finden die möglichen Innovationspotenziale datengetriebener Entscheidungsfindung und algorithmischer Optimierung zunehmend auch Anklang bei Politik und öffentlicher Verwaltung in der Hoffnung, staatliches Handeln effizienter und stärker evidenzbasiert am gesellschaftlichen Nutzen ausrichten zu können.“ Dieser schmale Grat zwischen Nutzen und Risiken bildet das thematische Zentrum der ganztägigen Konferenz in Berlin. Programmaufbau In den drei Themenbereichen des Konferenzprogramms erwarten die Besucher jeweils Vorträge international anerkannter Experten sowie anschließend Podiumsdiskussionen. Die Keynote wird von Prof. Karen Yeung vom King’s College London gehalten, einer der international anerkanntesten Expertinnen auf dem Gebiet der Governance von und durch neue und aufkommende Technologien. Eingeladen ist sowohl die Fachöffentlichkeit wie auch Interessierte aus den Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Medien. Die Teilnahme ist kostenlos. Zudem wird unter www.oeffentliche-it.de ein Live-Stream bereitgestellt. Tagungsort: Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, Kaiserin-Augusta-Allee 31, 10589 Berlin

Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung (bis spätestens 19. November) finden Sie unter: http://www.oeffentliche-it.de/veran staltungen.


Informationstechnologie / E-Services

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Behörden Spiegel / November 2017

Gezielte Modernisierung

MELDUNG

Jobcenter Schwerin führt E-Akte ein (BS/stb) Das Jobcenter Schwerin führt die elektronische Aktenführung ein. Ab dem 6. November 2017 sollen dort alle Dokumente, die von Kunden des Jobcenters persönlich oder postalisch eingereicht werden, eingescannt und in Form einer E-Akte digital hinterlegt werden.

Zukünftig sollen so Auskünfte schneller erteilt werden können, weil die digitale Kundenakte gebündelt vorliegt und direkt am Bildschirm eingesehen werden kann. Zugriff haben nur die Mitarbeiter, die die Informationen für die Erledigung ihrer Aufgaben benötigen. Die suk-

Spielraum für Innovationen schaffen zessive Einführung der E-Akte in den rund 300 Jobcentern der Bundesagentur für Arbeit sowie den Kommunen und Landkreisen hatte nach Beschluss des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im August 2016 begonnen und soll bis Mitte 2018 abgeschlossen sein.

E-Akte ausbauen... ...zur mitdenkenden Informationsplattform (BS/Thomas Walsch) Die öffentlichen Verwaltungen treiben derzeit die flächendeckende Einführung der E-Akte voran. Bei der Umsetzung sollten sie sich nicht auf das Ziel einer vollständigen elektronischen Sachbearbeitung und Aktenführung beschränken. 80 Prozent der Behördeninformationen verbergen sich in Dokumenten. Mit einer Kombination aus E-Akte und künstlich-intelligenten Systemen zur Dokumentenanalyse lässt sich der Wissensschatz heben, wodurch der Nutzen der E-Akte signifikant steigt. Projekte zur Umsetzung der EAkte gab es bereits Mitte der neunziger Jahre. Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung von heute sind die Ziele von damals allerdings überholt. Es geht nicht mehr nur darum, Papier zu sparen. Heute gibt es intelligente Systeme, die Informationen aus Texten und dem gesprochenen Wort herauslesen und weiterverarbeiten können. Diese Möglichkeiten können zusammen mit der E-Akte einen Beitrag leisten, die großen Herausforderungen wie Vorgangsspitzen – siehe Flüchtlingswelle 2015/2016 –, Fachkräftemangel und steigende Erwartungen der Bürger und Unternehmen zu meistern.

Einsatzorte für KI-Lösungen Der Einsatz künstlicher Intelligenz für die Sachbearbeitung wird bereits geprüft und teilweise erprobt. Ein denkbarer Anwendungsort ist die Poststelle. Intelligente Systeme können bei Anfragen und Widersprüchen die zuständige Stelle und die passenden Mitarbeiter innerhalb einer Behörde ermitteln sowie Sachbezüge aus Texten herauslesen. Die Suche nach relevanten Informationen gelingt durch die Verknüpfung mit Wissensdatenbanken und durch neue Möglichkeiten, Informationen aus Suchanfragen in natürlicher Sprache auszulesen und weiterzuverarbeiten. Deep-LearningVerfahren ermöglichen darüber hinaus die Zusammenfassung von umfangreichen Texten. Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Entscheidungsunterstüt-

Systeme, indem sie beispielsweise Ressourcen besser steuern sowie Vorgangspeaks voraussehen und abfedern Thomas Walsch ist Experte können. Darüber für “Digitale Transformation” hinaus können bei Sopra Steria Consulting. sie einen verbesFoto: BS/Sopra Steria Consulting serten digitalen Service bieten, zung: KI-Lösungen prüfen zum beispielsweise indem sie Bürger Beispiel die Qualität von aus- und Unternehmen auf dem Laugestellten Bescheiden, indem fenden halten, wie der Status der sie die Ausgangsinformationen Bearbeitung ihres Antrags oder analysieren, und erstellen Pro- Widerspruchs gerade ist. Eine gnosen, beispielsweise wie wahr- KI-gestützte Qualitätskontrolle scheinlich ein Widerspruch sein kann zudem helfen, sicherzuwird. Neue, intelligente Ansät- stellen, dass ähnlich gelagerte ze sind wichtig, die sinkende Fälle mit gleichen RahmenbeZahl erfahrender Mitarbeiter zu dingungen auch zu dem gleientlasten: Aufwendige Recher- chen Ergebnis führen. chearbeiten lassen sich zum Beispiel durch den Zugriff auf E-Akte als leicht zugängliche Informationsquelle Wissensdatenbanken reduzieren. Gleichzeitig stehen ihnen Die E-Akte liefert hierfür die neue Wissensquellen in unge- solide Basis, um die die Mögahnter Qualität zur Verfügung. lichkeiten der Digitalisierung zu Durch die Automatisierung der nutzen. Zusammen mit technoQualitätskontrollen erhalten die logischen Entwicklungen eingeMitarbeiter zudem mehr Sicher- setzt, wie der Erkennung naheit in ihrem Handeln. Die Wahr- türlich-sprachlicher Texte, dem scheinlichkeit von Fehlern sinkt. maschinellen Lernen und der Blockchain-Technologie, lässt Nutzen für Mitarbeiter, sie sich zur mitdenkenden InBehörden und Bürger formationsplattform ausbauen. Hierfür dürfen Verwaltungen Software am Arbeitsplatz kann sogar vom Menschen lernen bei der Umsetzung jedoch nicht und Routinen nach Anleitung im Denken vergangener Jahrfür ihn erledigen – immer mit der zehnte hängen bleiben. Die Evollen Kontroll- und Korrektur- Akte muss offen konzipiert sein möglichkeit für den Bearbeiter. und leicht zu verknüpfen mit Denn Entscheidungsverantwor- modernen Werkzeugen zur Ertung ist und bleibt Sache der schließung der Inhalte ihres Aktenbestandes. Ziel ist eine leicht Fachkräfte. Die Behörden selbst profitie- zugängliche Quelle für Informaren vom Einsatz intelligenter tionen in einer neuen Qualität.

(BS/Bernd Breiholz) Die digitale Transformation macht auch vor dem öffentlichen Sektor nicht halt. Ämter und Behörden haben damit begonnen, vorhandene Applikationen und Prozesse zu erneuern und mit innovativen Technologien zusätzliche bürgernahe Lösungen zu entwickeln. Die Digitale Agenda der Bunderegierung verfolgt ein klares Ziel: Die Autonomie und Handlungsfähigkeit der Informationstechnik in den Behörden soll gestärkt und ausgebaut werden. Das Leitmotiv dabei ist der “innovative Staat”, der die Effektivität der öffentlichen Verwaltung sichert sowie einfach zugängliche und verlässliche Services bereitstellt. Dem gegenüber stehen die ITLandschaften der öffentlichen Verwaltungen, die über viele Jahrzehnte hinweg gewachsen sind und nur eine geringe Integrationsfähigkeit für neue Anforderungen aufweisen. Darüber hinaus ist die eingesetzte Technologie häufig in die Jahre gekommen, wird oft nur noch von wenigen Mitarbeitern beherrscht und erzeugt hohe Betriebs- und Wartungskosten. Zudem wird beim Management der IT-Landschaft auf veraltete Architekturparadigmen und unzeitgemäße Vorgehensweisen bei der Weiterentwicklung der Systeme gesetzt. Die Folge: Viele IT-Abteilungen in den öffentlichen Verwaltungen können die Chancen und Möglichkeiten, welche die neuen Technologien und Methoden wie Cloud, Big Data oder Mobile Computing bieten, nicht nutzen. Dies ist insbesondere in kleineren und mittelgroßen Verwaltungen der Fall. Gesucht wird also ein systematischer und effizienter Modernisierungsansatz.

Altsysteme schrittweise in die neue IT-Welt überführen Die Erfahrung von CGI aus einer Vielzahl von vielfältigen Modernisierungsprojekten im öffentlichen Sektor belegt ganz klar: Mit einer systematischen, schrittweisen Modernisierung der IT und entsprechendem organisatorischen Umbau sind Ämter und Behörden in der Lage, ihre Kernsysteme zu “entschlacken”, mit neuen Lösungen zu verzahnen und innovativ durchzustarten. CGI setzt in diesem Umfeld eine systematische Anwendungsanalyse ein, bei der sich oft zeigt, dass Ämter und Behörden bereits durch eine methodische Bereinigung der vorhandenen

visionierung und weiteren Modernisierungsmaßnahmen. Das Justizministerium in Portugal konnte seine ITBernd Breiholz ist Vice PreBetriebskosten sident Consulting Services durch eine Überbei CGI. Foto: BS/CGI führung seiner Applikationen in eine offene IT- ArSoftwarepalette beträchtliche chitektur beträchtlich senken: finanzielle Mittel freisetzen von jährlich knapp 1,5 Millionen können, die sie gezielt für In- auf 73.800 Euro. Zudem verfügt novation nutzen können. Altes das Ministerium heute über eine wird dabei keineswegs komplett moderne, zukunftssichere Plattentsorgt: Die Altdaten werden form, die eine wesentlich höhere nach anonymen Tests getrennt Performance bietet. vom Legacy-System abgelegt und die aktuell nicht mehr be- Kernfunktionalitäten innovativ ergänzen nötigten Informationen stehen in einem Archiv für den Zugriff Selbstverständlich ist nicht bereit. Durch diese Entlastung jeder Prozess und jede Anwenwird das Gesamtsystem trans- dung für einen Umbau im Sinparent, agil und bereit für eine ne der digitalen Transformation schrittweise Migration in eine geeignet. Aber mit einer sorgsasichere Cloud. men System- und Prozessintegration, der gezielten EinbezieFitnesskur für Bestandshung von Cloud-Diensten und systeme Beachtung aller gesetzlichen Ausgangspunkt einer moder- Vorgaben sind die wesentlichen nen und agilen IT-Systemland- Grundsteine gelegt. Das beweist schaft von Ämtern und Behörden der Einsatz der E-Akte, die die ist eine detaillierte Bestandsauf- Bearbeitungskosten für Schriftnahme, die alle Bereiche durch- stücke um mehr als 40 Prozent leuchtet. Daran anschließend reduzieren kann. Eine mittelgroüberprüft CGI zusammen mit ße Stadt kann damit einige Mildem Kunden, ob und wie sich lionen Euro einsparen. Behörbetriebsnotwendige Anwendun- den und Ämter können durch gen und Architekturen sicher den Einsatz neuer Technologien modernisieren lassen. Viele und modularer E-GovernmentStandardanwendungen und zu- Lösungen Prozesse um 30 bis gehörige Programmiersprachen 50 Prozent beschleunigen und lassen sich heute – zum Teil die Durchlaufzeiten im optimasogar automatisiert – migrieren. len Fall um bis zu 90 Prozent Die “Transformation Roadmap reduzieren. Fazit: Die Bestands-IT muss für agile Unternehmen” von CGI enthält eine Reihe von Elemen- kein unüberwindbares Hinderten, die in Kombination zur Agi- nis auf dem Weg zur Digitalisielisierung und höheren Effizienz rung sein. Allerdings haben vieeiner IT-Systemlandschaft bei- le Behörden nicht ausreichend beziehungsweise tragen. Welche der verschiede- Know-how nen Bausteine und Verfahren Personal, um die Altsysteme zu zur Modernisierung der IT am überführen – zumal historisch besten geeignet sind, ist abhän- gewachsene Alt-Verfahren und gig von der jeweiligen individuel- hochintegrierte Systeme das Prozedere vielerorts erschweren. len Ausgangslage. Die Verwaltung der Landes- Unterstützung finden Behörden hauptstadt München beispiels- in Beratungsunternehmen, die weise profitiert von einer Konso- auf die Entwicklung von Stralidierung und Standardisierung tegien und die Umsetzung von ihrer IT-Arbeitsplätze, von einer Transformationsprozessen in zentralen Anwendungsbereit- der öffentlichen Verwaltung spestellung mit rollenbasierter Pro- zialisiert sind.


Behörden Spiegel / November 2017

Informationstechnologie / E-Services

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Medienbruchfrei integriert

EU-DSGVO: Der Countdown läuft

Vom Bedarf zur Vergabe

Klappt die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie?

(BS/Christian Baltes*) Mit dem Bedarfserhebungstool (BET) stellt die Administration Intelligence AG ein Werk- (BS/Johannes Rosenboom/Andreas Werner) Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) muss bis zum zeug für zentrale Beschaffungs- und Vergabestellen zur Verfügung, das es ermöglicht, Bedarfserhebungen, 25. Mai 2018 in Behörden und Unternehmen umgesetzt sein. Massiv verschärfte Pflichten und neue AnfordeBedarfsanalysen und -konsolidierungen benutzerfreundlich digital abzuwickeln. rungen sind zu bewältigen. Ist Ihre Organisation bereits fit für die neuen Vorgaben? Zentrale Vergabestellen können dabei über eine intuitive WebOberfläche Bedarfserhebungen veröffentlichen, die zurückgemeldeten Bedarfe analysieren und auswerten. Ebenso kann jeder Bedarfsträger eigene Bedarfsmeldungen über konkrete Einzelbedarfe auf diesem Weg einfach und schnell digital und medienbruchfrei den zentralen Vergabestellen übermitteln. Über entsprechende Bündelungs- und Aufteilungsfunktionalitäten im Bedarfserhebungstool (BET) können die Mitarbeiter zentraler Vergabestellen die so eingesammelten Bedarfe in entsprechende Positionen eines Leistungsverzeichnisses überführen. Dabei erhalten sie die volle Kontrolle über die erweiterten Strukturierungsmöglichkeiten von Leistungsverzeichnissen, wie etwa durch die Bildung von Losen oder die Zuordnung mehrerer Positionen in LV-Gruppen sowie z. B. auch der Anlage von optionalen Positionen. Diese derartig strukturierte Datenhaltung ermöglicht eine standardisierte, medienbruchfreie und semantisch eindeutige Integration der Bedarfe in ein Vergabeverfahren.

Vom Bedarf zum Leistungsverzeichnis

Grafik: BS/Administration Intelligence AG

Das so entstandene Leistungsverzeichnis wird im AIVergabemanager noch um Wertungskriterien ergänzt, bevor es von den Bietern als Grundlage für ein Angebot mit ihren Daten befüllt wird. Das Ergebnis nach der Angebotsöffnung und -prüfung ist eine strukturierte Wertungsmatrix, in der dem Bearbeiter der zentralen Vergabestelle übersichtlich alle relevanten Daten visualisiert werden. Bequem kann das wirtschaftlichste Angebot bezuschlagt werden. Die Daten für den daraus resultierenden Rahmenvertrag stehen ebenso standardisiert und struktu-

riert zum Abruf durch externe Systeme zur Verfügung. Ein besonderer Fokus lag bei der Umsetzung des Bedarfserhebungstools (BET) auf der Integrationsfähigkeit in bestehende IT-Landschaften zentraler Vergabestellen. Aus diesem Grund verfügt das Bedarfserhebungswerkzeug über eine offene, standardisierte Schnittstellenarchitektur, die es ermöglicht, medienbruchfrei Geschäftsobjekte mit anderen Systemen auszutauschen. *Christian Baltes ist Niederlassungsleiter Berlin bei der Administration Intelligence AG.

Mit der EU-DSGVO gelten neue und verschärfte Pflichten zur Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten, die von Management bzw. Geschäftsführung, IT-Verantwortlichen und Datenschutzbeauftragten zu beachten sind. Zusätzlich werden die Regelungen durch ein neues BDSG konkretisiert und ergänzt, das auch am 25. Mai 2018 in Kraft tritt. Novellierungen der Landesdatenschutzgesetze sind ebenfalls in Vorbereitung. Im Gegensatz zu den bisherigen Regelungen des deutschen Datenschutzrechtes macht die DSGVO konkrete Angaben, was den Stand der Technik und was die Anforderungen an die Organisation von Prozessen und Abläufen zur Datenerhebung, -verarbeitung und -speicherung angeht. Folgende Bereiche sind vor allem betroffen: • Technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen, die unter einem risikobasierten Ansatz zu beurteilen und umfassend nur mit einem InformationssicherheitsManagement-System (ISMS) nach BSI oder ISO/IEC 27000 umsetzbar sind. • Gestiegene Dokumentationsanforderungen beim Einsatz von IT-Systemen. Dazu gehören beispielsweise das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten oder die Datenschutz-Folgeabschätzung, die eine systematische Beschreibung der geplanten Verarbeitungen und ihrer Zwecke umfasst, sowie eine Bewertung ihrer Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, eine Bewertung der Risiken für die Freiheitsrechte Betroffener sowie die Maßnahmen, die zur Bewältigung dieser Risiken getroffen werden. • Umfassende Rechenschaftspflichten hinsichtlich der Einhaltung und Dokumentation der getroffenen Maßnahmen. • Meldepflichten gegenüber den zuständigen Aufsichtsbehörden (und ggf. auch Betroffenen) bei jedem Vorfall binnen 72 Stunden, der ein “Risiko” für die Rechte und Pflichten der Betroffenen darstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vorfall selbst verschuldet oder durch eine externe Cyber-Attacke verursacht wurde. • Technischer Datenschutz mit

tung personenbezogener Daten zu gewährleisten und zu dokumentieren? • Welche Verarbeitung personenbezogener Daten in den ITSystemen stellt ein Risiko für die Rechte und Freiheiten natürAndreas Werner ist Senilicher Personen or-Berater bei der Infora dar? Kann dies GmbH und verantwortet ermittelt, nach das Themenfeld IT-CompliRisiko-Manageance, Informationssicherment-Grundsätheit und IT-Recht. zen behandelt Fotos: BS/Materna und dokumentiert werden? teilweise neuen Vorgaben wie • Kann die Verletzung des Schutzes personenbezogener der Berücksichtigung des Daten erkannt und der zuDatenschutzes bei der Proständigen Aufsichtsbehörde duktentwicklung (Privacy by innerhalb von 72 Stunden in Design) und bei Voreinstellunaufbereiteter Form gemeldet gen (Privacy by Default). werden? • Strenge Anforderungen an die Gestaltung von Einwilligun- • Existieren Prozesse, um Betroffenen (Kunden, Arbeitgen und an die Zweckbindung nehmern etc.) innerhalb von bei der Verarbeitung persoeinem Monat mitzuteilen, nenbezogener Daten. welche personenbezogenen • Informationspflichten und BeDaten über diese in den ITtroffenenrechte wie das Recht Systemen gespeichert sind, auf “vergessen werden” oder um diese Daten dann an die auch das Recht auf DatenBetroffenen herauszugeben übertragbarkeit. Damit räumt oder zu löschen? die DSGVO erstmals jeder Können nicht alle Fragen unPerson das Recht ein, die sie betreffenden personenbezoge- eingeschränkt mit “Ja” beantnen Daten, die sie einem Ver- wortet werden, sollten dringend antwortlichen bereitgestellt Projekte aufgesetzt werden, um hat, in einem strukturierten, die noch verbleibenden Monate gängigen und maschinenles- effektiv zu nutzen. Projekte zur DSGVO-Complibaren Format zu erhalten. Bei Verstößen können die Da- ance beinhalten parallel techtenschutzbehörden nach dem nische, organisatorische und Stichtag Bußgelder in Höhe von juristische Aspekte, die in inbis zu vier Prozent des weltwei- terdisziplinären Projektteams ten Umsatzes verhängen. Für ei- gespiegelt werden müssen. Der nen ersten Eindruck, ob eine Or- Expertenpool von Materna und ganisation bereits “DSGVO-fit” Infora unterstützt und begleiist, dient die folgende Checkliste: tet diesen Prozess mit maßge• Ist genau bekannt, wo und in schneiderten Lösungen. Übrigens: Am 10.01.2017 hat welchen Prozessen und Systemen personenbezogene Daten die EU-Kommission ihren ofgespeichert sind und ob diese fiziellen Entwurf der neuen Ein Drittländer übermittelt wer- Privacy-Verordnung vorgestellt, die an die DSGVO anknüpfen den? • Wird für alle IT-Systeme, so- und diese ergänzen soll. Diese wohl on-premise als auch in könnte auch 2018 in Kraft treder Cloud, ein Verzeichnis al- ten, ebenso gilt ab März 2018 ler Verarbeitungstätigkeiten ein neuer BSI-Grundschutz. Eine Umsetzung auf einem schon geführt? Datenschutz-Ma• Ist für die IT-Systeme ein etablierten dem Stand der Technik ent- nagement-System nach DSGVO sprechendes Management- dürfte besser gelingen als das System implementiert, um die parallele Abarbeiten von zwei Sicherheit bei der Verarbei- oder sogar drei Projekten. Johannes Rosenboom ist Vice President Business Development und Marketing im Geschäftsbereich Government bei Materna. Als Vice President Business Development verantwortet er die Weiterentwicklung und den Ausbau des Branchenportfolios für die öffentliche Verwaltung.


Informationstechnologie / E-Services

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Behörden Spiegel / November 2017

Neue Funktionen in subreport ELViS

Wie Führungskräfte zu Dirigenten werden

Der Frühling belebt, der Herbst inspiriert

Was Behörden von Orchestern lernen können

(BS/Andrea Farnung*) Mit einem großen Relaunch hat subreport zum 30. Oktober 2017 neue Funktionen im Vergabeinformations-System subreport ELViS realisiert. Ziel ist es, mit einem individuellen Formularmanagement, einem erweiterten Rollen- und Rechtemanagement und der Umsetzung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) den Workflow von Ausschreibern bei der E-Vergabe noch besser zu unterstützen und spürbar zu vereinfachen.

(BS/gg) Mitte Oktober trafen sich über 200 Entscheider öffentlicher Verwaltungen zum 17. Führungskräfteforum “Innovatives Management” der MACH AG in Lübeck. Im Mittelpunkt stand das Thema “Die lernende Verwaltung – Veränderungen zulassen und Menschen mitnehmen”. Damit verbunden war die Suche nach Lösungen im Umgang mit der Digitalisierung als aktuell und in naher Zukunft größter Herausforderung für den öffentlichen Bereich.

Mit dem Relaunch bietet subreport ein neues, individuelles Formularmanagement an. Neben den Formularen nach VHBStandard haben Ausschreiber nun die Möglichkeit, in subreport ELViS eigene Formulare für den Vergabeworkflow mit Microsoft Word, OpenOffice und PDF implementieren zu lassen. Bei der Gestaltung der Formulare, die nach Verfahrensart und Prozessschritten konfigurierbar sind, sind keine Grenzen gesetzt: Ausschreiber können neben individuellen Layouts, Farben, Icons und Logos auch eigene Textvorgaben umsetzen und in subreport ELViS einbinden lassen. So lassen sich maßgeschneiderte Formulare entwickeln, die genau an die Standards und Vorgaben des Auftraggebers angepasst sind. Ebenfalls neu ist die Möglichkeit, Formular-Bibliotheken nach Landesrecht für alle gewünschten Bundesländer in das E-Vergabe-System ELViS integrieren zu lassen.

Erweitertes Rollen- und Rechtemanagement Der Einsatz von externen Dienstleistern wie Planern im Vergabeverfahren ist bei öffentlichen Auftraggebern längst gang und gäbe. Durch ein neuartiges, flexibles Rollen- und Rechtemanagement bietet subreport

können mit subreport ELViS jetzt alle Vergabeverfahren nach der Unterschwellenvergabeordnung rechtssicher durchführen – seien es Direktvergaben, öffentliche sowie beschränkte Verfahren und Verhandlungsvergaben mit und ohne Teilnahmewettbewerb. Mit den integrierten Formularen können Bekanntmachungen einfach Neue Funktionen bei ELVis von subre- erstellt und bequem direkt an port Foto: BS/subreport service.bund.de sowie einen individuellen Fachmedienverteiler ELViS Auftraggebern die Mög- versandt werden. Natürlich stelichkeit, externen Partnern indi- hen neben der neuen UVgO auch viduelle Zugänge zum Vergabe- weiterhin alle Vergabeverfahren prozess zur Verfügung zu stellen nach VOL in subreport ELViS – vom reinen Leserecht bis hin zur Verfügung. “Unser E-Vergabe-System ELzur Bearbeitung der Bekanntmachung, der Vergabeunterla- ViS wird dank seiner einfachen gen etc. Für eine sichere Kom- Handhabung und großen Pramunikation nutzen die Partner xisnähe bei mehreren tausend ein neues, internes Nachrich- Vergabestellen in ganz Deutschtensystem, in dem die gesamte land eingesetzt”, erläutert subKorrespondenz dokumentiert report-Geschäftsführerin Chriswird. Auf diese Weise sind beide tiane Schäffer. “Mit den neuen Seiten stets vollständig und si- Funktionen bieten wir unseren cher informiert – grundlegende Nutzern jetzt noch mehr MögVoraussetzung für eine erfolgrei- lichkeiten, ihre Aufträge einfach und vergaberechtskonform elekche Zusammenarbeit. tronisch zu vergeben.”

Vergabeverfahren nach UVgO

Bisher wurde die neue Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) auf Bundesebene und in Hamburg umgesetzt. Weitere Länder werden in den nächsten Monaten folgen. Auftraggeber

*Andrea Farnung ist in der Öffentlichkeitsarbeit für das Kölner Unternehmen subreport tätig. Mehr Informationen zu subreport ELViS stehen online unter www. subreport.de zur Verfügung.

Gemeinsam erarbeiteten die Teilnehmer passende Führungsstrategien im Zeichen des Wandels. Die Keynote des Dirigenten Christian Gansch über die Führung von Orchestern ermöglichte den Führungskräften einen außergewöhnlichen Perspektivwechsel und machte deutlich: Orchester und Verwaltung haben mehr gemeinsam als gedacht. Die Podiumsdiskussion zum Thema “Technologie, Informationen und Menschen in Einklang bringen – Lernprozess, Vision oder Illusion?” und weitere Werkstätten führten diese Impulse fort und lieferten zahlreiche Erkenntnisse: • Die öffentliche Verwaltung benötigt einen neuen, ganzheitlichen Ansatz, der den digitalen Wandel noch besser ermöglicht. • Es bedarf einer emotionaleren Kommunikation zum Thema Digitalisierung. Aktuell ist der Diskurs zu technokratisch; es fehlt ein soziales Kernargument. • Die Verantwortung für den Erfolg des Wandels liegt vor allem bei den Führungskräften. • Führen heißt, sich um Menschen kümmern – das beinhaltet Kompetenzen wie vorausdenken und zuhören können, um so Vertrauen zu

Das “Innovative Management” stand in diesem Jahr ganz im Zeichen des Umgangs mit der Digitalisierung – in der Verwaltung und darüber hinaus. Foto: BS/MACH AG

den Mitarbeitern aufzubauen. • Einheit entsteht durch Commitment der Mitarbeiter – gegenseitiger Respekt und Wertschätzung bilden dabei die Basis. • Wichtig ist, ein Verständnis für den Sinn der Veränderung zu schaffen, welcher allen Mitarbeitern klar sein muss, um Veränderungen akzeptieren und mitgestalten zu können. “Die lebhaften Diskussionen und Werkstätten bewiesen eindrucksvoll die Aufbruchstimmung in den Verwaltungen, zeigten aber auch getreu unserem Motto der lernenden Verwaltung, dass noch einiges zu tun ist, um die Digitalisierung erfolgreich in den Verwaltungen umzusetzen und damit auch für die Bürgerinnen und Bürger einen Nutzen zu schaffen”, fasst der MACH-Vorstandsvorsitzende Rolf Sahre zusammen.

Digitalisierung – “ein Betonklotz” Digitalisierung sei wie ein Betonklotz, damit müsse es doch einfacher werden, erklärte Gülten Bockholdt, Kommanditistin der Bockholdt KG. Sie sprach, angelehnt an die vielen smarten Lösungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, lieber von “Smartizifieren”. Ähnlicher Ansicht war Dr. Erwin Wagner, Abteilungsleiter IT und EGovernment des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, und forderte Lösungen, die einfach funktionieren, um ein Mitgehen der Belegschaft zu ermöglichen. Für ihn stand fest: “Wir müssen unsere Werkzeuge und

Prozesse so gestalten, dass das Arbeiten Spaß macht.” Auch Hans-Josef Vogel, Regierungspräsident des Regierungsbezirks Arnsberg, sieht viel Positives in der Digitalisierung, denn sie sei “die Chance, Neues zu beginnen”. Wenn man wolle, könne man hier auch im Kleinen schon viel bewegen. Dazu sei, so Silvia Bechtold, Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsamtes, mehr Raum notwendig, um gestalten zu können. Gleichzeitig brauche es einen Wertewandel hin zu einer Kultur, die von Offenheit, Wertschätzung und einem Lernen aus Fehlern geprägt sei. Prof. Dr. Heischkel, Kanzlerin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, appellierte an alle Führungskräfte, Mitarbeiter mitzunehmen und den Wandel vorzuleben. Angelehnt an die Keynote von Gansch ergänzte sie: “Führungskräfte müssen mehr Vorbild als Leitbild sein.” Thomas-Losse Müller, Staatssekretär a. D., erläuterte den Teilnehmern seine Gedanken zu einem Leitbild erfolgreicher Integration von E-Lösungen. Auch wenn der Staat viele Mechanismen – insbesondere im Bereich der Technologien – aus der Wirtschaft übernehmen könne, müssten sich die Digitalisierungsstrategien von Verwaltung und Unternehmen voneinander unterscheiden, sagte Losse-Müller. Sein Fazit: Auch, wenn der digitale Wandel oft schneller als politische Gestaltungsprozesse voranschreite, dürfe trotzdem der politische Gestaltungsanspruch nicht verloren gehen.

Partnerland Norwegen Vorbild bei der Digitalisierung (BS/Michael Harbeke) Der Fachkongress Digitaler Staat, der vom 20. bis 21. März 2018 im KOSMOS Berlin stattfinden wird, hat mit Norwegen ein offizielles Partnerland an seiner Seite, welches den Weg der Verwaltungsmodernisierung konsequent beschreitet. Trotz der anspruchsvollen Topografie Norwegens gehört die Breitbandentwicklung auch in weniger dicht besiedelten Gebieten zur besten in Europa. 97 Prozent der norwegischen Haushalte haben direkten Zugang zum Internet, 94 Prozent davon verfügen über einen Breitbandzugang.

Stärkung der digitalen Kompetenz Norwegen will mit seinen Digitalisierungsprojekten die digitale Kompetenz seiner Bürger stärken und deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt rücken. Das Land verfolgt das Ziel, die Bereitschaft seiner Bürger zu erhöhen, sich auf die fortschreitende digitale Transformation einzulassen. Norwegen hat sich zum Ziel gesetzt, seinen Bürgern eine effek-

tive und digitale Verwaltung mit einer Vielzahl von Dienstleistungen – unter Wahrung der Privatsphäre und Sicherstellung der IT-Sicherheit – zur Verfügung zu stellen.

Innovation, Transparenz und Demokratie Das Land sieht in der Priorisierung der Digitalisierungspolitik einen wichtigen Faktor für die nationale Wirtschaftskraft. Neben der Stärkung der Infrastruktur durch Innovationen auf dem Gebiet der Digitalisierung fordert der Staat seine Ämter auf, ihre öffentlichen, gesammelten Daten für die Allgemeinheit u. a. auf dem Portal www.data.norge. no frei zugänglich zu machen. Mehr News zum Fachkongress Digitaler Staat finden Sie auf: http://www.digitaler-staat.org.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / November 2017

Nicht warten, bis es zu spät ist

B

ehörden Spiegel: Warum ist es wichtig, sich in der öffentlichen Verwaltung bereits heute mit Zukunftstechnologien auseinanderzusetzen? Hat diese mit der Implementierung der Technologien der Gegenwart nicht schon genug zu tun? Sahre: Die Weiterentwicklung der Technologien findet heute in einem dynamischen Prozess statt. Die unterschiedlichen Datenräume, die wir heute haben – für die öffentliche Verwaltung, für die Bürgerinnen und Bürger – werden zukünftig nicht mehr so abgegrenzt sein. Erste Beispiele gibt es, etwa im Bereich des Öffentlichen Nahverkehrs, der seine Daten bereits heute zur Verfügung stellt. Dies zeigt, wie die Datenräume zusammenwachsen werden. Daher glaube ich, dass es wichtig ist, sich bereits jetzt mit diesen Zukunftstechnologien ganz konkret auseinanderzusetzen und nicht zu warten, bis man mit den heute aktuellen Themen erst mal fertig ist. Denn dann wird es zu spät für die Zukunft sein.

Behörden Spiegel: Welche Zukunftstechnologien sollte man sich denn genauer ansehen? Sahre: Ich glaube, dass das Thema Blockchain ein ganz spannendes Thema werden wird, ebenso das Thema autonomes Fahren insbesondere mit Blick auf den Öffentlichen Nahverkehr. Ein drittes Thema ist Künstliche Intelligenz (KI) und die Frage, wie KI-Methoden in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden können. Ich glaube, dass KI heute schon am greifbarsten ist, obwohl es vielleicht am abstraktesten erscheint. Was heißt denn eigentlich Künstliche Intelligenz? Im Grunde geht es darum, frühzeitiges Erkennen, Nutzeranalysen oder Systemverhalten auf bestimmte Problemstellungen zu konkretisieren und daraus letztlich Schlussfolgerungen und selbstständige Entscheidungen abzuleiten. Wenn man in der öffentlichen Verwaltung nicht nur bei Optimierung und Digitalisierung der Prozesse stehen bleiben will, sondern bei einfachen, sich wiederholenden Tätigkeiten auch den nächsten Schritt zur Automatisierung machen will, kann diese KI-Komponente entscheidungsunterstützend helfen. So können Sachbearbeiter z. B.

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Zukunftstechnologien für die öffentliche Verwaltung (BS/gg) Am Rande des Kongresses “Innovativen Management” sprach Behörden Spiegel-Redakteur Guido Gehrt mit dem Vorstandsvorsitzenden der MACH AG, Rolf Sahre, über Zukunftstechnologien für die öffentliche Verwaltung.

Insgesamt muss es dazu eine stärkere öffentliche Förderung geben, damit diese Technologien bereitgestellt werden können, um private Unternehmen in die Lage zu versetzen, auf dieser technologischen Basis entsprechende Angebote machen zu können.

Sahre: Auf der einen Seite ja, aber das ist keine Einbahnstraße. Denn umgekehrt kann es genauso passieren, dass es heute private Angebote gibt, die mittelfristig nicht mehr für jeden zugänglich sind, weil sie vielleicht nur noch digital zugänglich sind. Auch darauf sollte sich der Staat einstellen, um hier künftig den Bürgern im Bedarfsfall entsprechende Angebote machen zu können. So muss man sich gegebenenfalls über die örtliche Grundversorgung Gedanken machen, wenn Dinge des täglichen Bedarfs vornehmlich nur noch im Internet zu bestellen sind. Es geht hierbei um neue ordnungspolitische Fragestellungen, für die der Staat Antworten wird entwickeln müssen.

Behörden Spiegel: Digitalisierung bedeutet demnach auch ein Stück Privatisierung?

Behörden Spiegel: Wo liegt die neue Qualität bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung

“Man kann durch den Einsatz von KI-Komponenten die gleiche Arbeit mit weniger Menschen schaffen. Das bedeutet aber nicht, dass die öffentliche Verwaltung dann weniger Menschen braucht.” Rolf Sahre, Vorstandsvorsitzender der MACH AG, ist bereits seit dem Jahr 2000 für das Unternehmen tätig. Foto: BS/MACH AG

zukünftig von routinemäßigen Entscheidungen entlastet und stattdessen Freiräume für die prüfungsintensiveren Fälle geschaffen werden. Behörden Spiegel: KI-Methoden könnten natürlich auch genutzt werden, um Stelleneinsparungen zu realisieren? Sahre: Prinzipiell kann man durch den Einsatz von KI-Komponenten die gleiche Arbeit mit weniger Menschen schaffen, das ist richtig. Das bedeutet aber nicht, dass die öffentliche Verwaltung dann weniger Menschen braucht. Ohnehin wird sie durch den demografischen Wandel zukünftig erfahrene Mitarbeiter verlieren und zudem viel schwerer Nachwuchs gewinnen können, das heißt, es wird auch darauf ankommen, die nicht zu besetzenden Stellen anderweitig zu kompensieren. Der besondere Nutzen von KI liegt aber in der Verschiebung von Mitarbeiteraufgaben in die wertschöpfenden, beratenden Tätigkeiten. Für diese komplexeren Aufgabenstellungen brauchen wir dann gut ausgebildete Verwaltungsmitarbeiter. Die zunehmende Automatisierung der Routinetätigkeiten wird also zu einer Bereicherung des Aufgabenspektrums in der öffentlichen Verwaltung führen. Dies zeigt ja auch ein Blick in andere Wirtschaftsbereiche, etwa die Automobilindustrie. Hier traten automatisierte Produktionsstraßen an die Stelle der klassischen Fließbandarbeit. Die dadurch weggefallenen Jobs wurden aber durch ein Wachstum der Beschäftigung im Dienstleistungsbereich von

1. Februar 2018,

den Unternehmen mehr als kompensiert. Behörden Spiegel: Ein Schlagwort der Digitalisierungsdebatte ist “Disruption”. Welche Ansätze sehen Sie hier im öffentlichen Bereich? Sahre: Überall dort, wo der Staat nicht hoheitlich tätig ist, gibt es öffentliche Angebote bislang ja vor allem deshalb, weil kein entsprechendes wirtschaftliches Angebot vom Markt zur Verfügung gestellt wird: z. B. Theater, Öffentlicher Nahverkehr, Kinderbetreuung. Ich glaube, dass es einen Markt für Leistungen geben wird, die heute öffentlich angeboten werden. Der Bereich des Öffentlichen Nahverkehrs ist ein schönes Beispiel dafür, wie mit neuen, disruptiven Geschäftsmodellen neue Angebote und neue Werte entstehen können. So ist durchaus denkbar, dass der Staat beim Öffentlichen Nahverkehr zukünftig eine Art Schnittstellenfunktion übernimmt und vielleicht nur noch die Infrastruktur bereitstellt, etwa Verkehrs- und Parkleitsysteme und weitere technische Infrastruktur, insbesondere auch die entsprechende Bandbreite. Erste Anfänge beobachten wir aber auch bereits bei der Rechnungsbearbeitung und Veraktung in den Verwaltungen. Mit dem Einzug von E-Beschaffung, E-Rechnung und E-Akte in die Behörden laufen Prozesse und Arbeitsabläufe zunehmend automatisiert ab. Diese neuen, disruptiven Lösungen machen Papier und manuelle Routineaufgaben zukünftig überflüssig.

Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen einsetzen (BS/ Dr. Stefan Grotehans) Behörden wollen ihre Daten nutzen, um Prozesse zu optimieren und Services zu verbessern. Mit den vorliegenden großen Datenmengen ließe sich mit dem entsprechenden Ansatz viel erreichen, denn Data Scientists in öffentlichen Behörden und Nachrichtendiensten haben ein tiefgreifendes Wissen und wenden mathematische Verfahren auf unternehmenskritische Fragestellungen an. Deren Arbeit kann zwar sehr bereichernd sein, doch oft verbringen sie bis zu 80 Prozent ihrer Zeit damit, Daten aus verschiedenen Systemen zu aggregieren und zu bearbeiten, um sie in modernen Tools zu nutzen. Diese Aufgabe verschlingt hohe Summen. Die Integration von Datensilos und die Umwandlung von Daten in eine Form, mit der Data Scientists arbeiten können, um Algorithmen zu entwickeln, stellt oft ein Hindernis für die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen dar. Ob Compliance- oder Sicherheitsfragen, Infrastruktur oder Finanzen: KI und maschinelles Lernen können den manuellen Arbeitsaufwand in verschiedensten Bereichen reduzieren. Was müssen Behörden berücksichtigen, damit die digitale Transformation gelingt?

weiterentwickelt werden. • Die Konzeption, Entwicklung, Prüfung und Anwendung von Algorithmen Dr. Stefan Grotehans ist müssen in einer Director Sales Engineering iterativen TestDACH & Nordics bei Markumgebung erfolLogic. Foto: BS/Marklogic gen. Die Implementation sollte • KI und maschinelles Lernen erfolgen, ohne bestehende können nur dann im Zentrum Systeme ersetzen zu müssen. der Modernisierung stehen, • Behörden benötigen ein Dawenn Datensilos aufgelöst tenbank-Managementsystem werden. und ein Implementierungs• Die Interaktion zwischen muster, z. B. einen Data Hub, Mensch und Computer muss der die Daten aus Datensiintensiviert werden, mit delos lädt, harmonisiert und anreichert. Dies ermöglicht tailliertem Feedback, granueine 360-Grad-Sicht, wobei laren Datenzugriffskontrollen die Wahl der Plattform für das und Sicherheitsmaßnahmen. Datenbank-Management entAlgorithmen und Technoloscheidend ist. gien müssen kontinuierlich

4. Zukunftskongress Bayern Die digitale Verwaltung in Staat und Kommunen – heute und morgen – für Bürger und Wirtschaft Fotos: © alphaspirit, fotolia.com; Dombrowsky

Sahre: Digitalisierung ist mehr als nur ein neues Wort für EGovernment. Bei E-Government geht es darum, ganz konkrete Angebote für die Kommunikation zwischen Bürgern bzw. Unternehmen und der Verwaltung darzustellen. Digitalisierung meint eine grundsätzliche Veränderung der Arbeitswelt. Bei Digitalisierung geht es am Ende um drei Themen: Software, Daten, Menschen. Bei der Software ist entscheidend, auf welche Lösung ich setze: Stehen Standards im Fokus, konsolidiere ich die Lösung oder modularisiere ich die Lösung. Bei den Daten geht es darum, wie ich mit meinem Datenumfeld umgehe, denn jedes Verfahren hat seine eigene Datentonne. Entscheidend aber bleiben die Menschen: Wie arbeiten sie zusammen, wie sehen ihre Prozesse aus, wie verändert sich die Arbeitskultur? Da merkt man ganz schnell, dass es um deutlich mehr geht als “nur” um E-Government im Sinne eines Fachverfahrens mit Schnittstellen zum kommunalen Internetauftritt.

Behördliche Effizienz steigern

Haus der Bayerischen Wirtschaft, München

Der Zukunftskongress Bayern wird auch im kommenden Jahr wieder die aktuelle Entwicklung der Digitalisierung von Staat und Kommunen diskutieren. Der traditionelle Blick in andere Bundesländer, aber auch nach Österreich und in die Schweiz wird die Diskussionen öffnen und um zusätzliche Impulse bereichern. Ziel der Veranstaltung ist es, einerseits eine Standortbestimmung vorzunehmen und über das bislang Erreichte zu informieren. Ebenso wichtig ist es jedoch, angesichts der Dynamik der digitalen Transformation, Konzepte, Strategien und Lösungen für die Weiterentwicklung des digitalen Staates und der digitalen Verwaltung zu entwerfen. Daher wird es ein zentrales Element des Kongresses sein, intensiv, visionär und kontrovers über die richtigen Weichenstellungen für das digitale Bayern der Zukunft zu diskutieren. Melden Sie sich unter www.zukunftskongress.bayern an und diskutieren Sie mit!

www.zukunftskongress.bayern [#zkonbayern]

gegenüber dem “klassischen” E-Government?

Eine Veranstaltung des


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en Verantwortlichen für IT-Security, IT-Compliance und Datenschutz bereitet die berufliche Nutzung des privaten Messengers zunehmend schlaflose Nächte. Denn gerade die am weitesten verbreiteten Dienste sind unter Sicherheitsaspekten mehr als umstritten. Denn auf den meisten Plattformen sind die Nachrichten und Anhänge nicht ausreichend gesichert, Dritte können über eine Backdoor darauf zugreifen. Die Vermischung privater Unterhaltungen mit dienstlicher Kommunikation kann darüber hinaus zu unabsichtlichen Falschadressierungen führen. Und im schlimmsten Fall gelangen Schadsoftware oder Spionageprogramme auf das Smartphone, mit allen dabei denkbaren Konsequenzen. Im Fall von WhatsApp kommt noch die komplette Weiterleitung von Adressverzeichnissen an den Mutterkonzern Facebook dazu – ein nach den deutschen und den

Informationstechnologie

Behörden Spiegel / November 2017

Messenger in der Verwaltung Datenschutz ist ein entscheidender Faktor für den Einsatz (BS/Marco Hauprich) Smartphones sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. 78 Prozent der Bundesbürger nutzen laut Branchenverband Bitkom ein Smartphone, 71 Prozent können sich ein Leben ohne dieses Gerät nicht mehr vorstellen. Mehr als zwei Drittel der Nutzer verwenden regelmäßig Messengerdienste zur Kommunikation. Nicht nur Text, sondern auch Bilder und Videos lassen sich so in Sekundenschnelle übertragen. An sich genau das Kommunikationsmittel, das auch Behörden für die interne Kommunikation brauchen können – direkt, leicht zu handhaben und weit verbreitet. Also einfach die Apps benutzen, die ohnehin schon viele Verwaltungsmitarbeiter auf dem Smartphone haben? EU-Datenschutzvorschriften völlig unzulässiger Vorgang. Ein Grund, warum beispielsweise in Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg Lehrer nicht mit Eltern und Schülern in Klassenchats über WhatsApp kommunizieren dürfen. Überzeugte sich auf der it-sa von den Sicherheitsfeatures von SIMSme Business: Dr. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (2. v. l.), mit Marco Hauprich (2. v. r.). Fotos: BS/Deutsche Post

Verwaltungen müssen aber keineswegs auf den Einsatz von Messengern verzichten. Es gibt durchaus geeignete Programme. Zum Beispiel bietet die von der Deutschen Post entwickelte App SIMSme Business genau die Sicherheitsfeatures, die für den Einsatz in Behörden wichtig sind. So ist hier unter anderem die

gen des Bundesdatenschutzgesetzes sowie der EU-Datenschutzgrundverordnung. Auf der IT-Security-Messe it-sa im Oktober 2017 informierte sich unter anderem Dr. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, über die Sicherheitsfeatures des Messengers.

Bereits im Einsatz

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Nachrichten, Medien und Kontaktdaten garantiert, ebenso wie eine vollständige Nutzerkontrolle über die Adressdaten.

Die strikte Einhaltung deutscher Rechtsvorschriften überzeugte den Bayerischen Landkreistag, SIMSme Business als Lösung für die sichere, mobile Kommunikation auszuwählen. Datenschutzkonforme Eine geschlossene BenutzerAlternative gruppe, die Einrichtung eines Die SIMSme-Server stehen zu- Push-Kanals für aktuelle Nachdem ausschließlich in Deutsch- richten sowie ein verschlüsseltes land. Und SIMSme Business Cloud-Back-up sind nur einige entspricht den Anforderungen der Features, die der Bayerides Bundesamtes für Sicher- sche Landkreistag bei SIMSme heit in der Informationstechnik Business schätzt. Ebenfalls in(BSI). Und selbstverständlich tegriert sind eine verbesserte auch den strengen Anforderun- Moderatorenfunktion für Nutzergruppen und die Möglichkeit, den Versand von Nachrichten im Voraus zu terminieren. Die App steht den 71 Landrätinnen Marco Hauprich ist Senior und Landräten Vice President Digital Labs, im Freistaat und Deutsche Post AG. ihren Mitarbeiten zur Verfügung.

MELDUNG

Positionspapier zur E-Kompetenz veröffentlicht (BS/stb) Mit einem Positionspapier zur E-Kompetenz im öffentlichen Sektor wenden sich das Nationale E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ) und die Fachgruppe Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik (GI) an Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung. Sie fordern einen deutschland-

weiten Maßnahmenplan zum Kompetenzaufbau. Als Rahmen schlagen die Autoren eine zentrale Lern- und Wissenplattform vor, in der begrenzte Ressourcen für die Qualifizierung und Weiterbildung im Bereich Digitalisierung gebündelt werden können. “Das wird nur in Zusammenarbeit vieler Akteure gelingen”,

sagt der stellv. NEGZ-Vorsitzende Prof. Dr. Wilfried Bernhardt. “Der IT-Planungsrat ist der ideale Schirmherr hierfür.” Eine weitere Forderung der Autoren betrifft die Etablierung eines zielgerichteten Employer Brandings, um den Öffentlichen Dienst als attraktiven Arbeitgeber auf dem Markt zu positionieren.


Behörden Spiegel / November 2017

IT-Sicherheit / Sichere Rechenzentren

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Modernisierung abgeschlossen

Schluss mit starren Systemen

BSI präsentiert den neuen IT-Grundschutz

Container sind die Zukunft der Behörden-IT

(BS/stb) Der IT-Grundschutz ist eine vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) herausgegebene Vorgehensweise zur Festsetzung und Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen in der IT einer Organisation. Mit der Neufassung der Methodik soll die Erhöhung der IT- und Informationssicherheit in Unternehmen und Behörden nun flexibler und handhabbarer werden. Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie kleine Behörden sollen profitieren.

(BS/Christof Orth/Ansgar Kückes*) Die öffentliche Verwaltung steht heute vor einer Reihe von Herausforderungen. Prozesse müssen im Rahmen der Digitalisierung überprüft, Fachverfahren modernisiert und die IT konsolidiert werden. Neue Gesetzesvorschriften und sich ändernde Anforderungen steigern den Bedarf nach einer schnellen und flexiblen Umsetzung. Die Zukunft der Rechenzentren in der öffentlichen Verwaltung ist agil und setzt auf innovative Technologien.

Der IT-Grundschutz wurde 1994 eingeführt und hat sich zum weit verbreiteten Standard in Deutschland für die Einführung eines InformationssicherheitsManagementsystems (ISMS) entwickelt. Für die Bundesverwaltung ist er als Leitlinie zu verstehen. Auf Basis des Grundschutzes können optional auch Zertifizierungen nach ISO 27001 erfolgen. Die jetzt durch das BSI abgeschlossene Modernisierung ist eine Reaktion auf die Kritik, der Grundschutz sei zu groß und komplex. Gerade für kleine Organisationen sei seine Anwendung zu aufwendig. Nun ist die zugrundeliegende Dokumentation neu strukturiert und verschlankt worden. So sollen notwendige Maßnahmen schneller identifiziert werden können. Bestandteile des überarbeiteten Grundschutzes sind das IT-Grundschutz-Kompendium, die BSI-Standards 200-1, 200-2 und 200-3 sowie der “Leitfaden zur Basisabsicherung”. Das IT-Grundschutz-Kompendium ersetzt die früheren ITGrundschutz-Kataloge. Neben einer Einführung enthält es 80 Bausteine, die jeweils auf etwa zehn Seiten grundlegende Anforderungen entsprechend des jeweiligen Schutzbedarfs für einzelne Teilaspekte einer IT-Systemlandschaft umreißen. Auf Umsetzungshinweise und weiterführende Informationen wird verwiesen. Durch den modularen Aufbau des Kompendiums will das BSI zukünftig schneller und flexibler Aktualisierungen vornehmen oder neue Themen

einführen können, wenn dies aufgrund neuer Entwicklungen in der IT oder veränderter Bedrohungslagen nötig wird.

Einstieg erleichtert Die neuen BSI-Standards basieren auf den bisherigen der 100-Reihe und definieren Anforderungen an ein IT-Sicherheits- bzw. Risikomanagement. Der BSI-Standard 200-2 stellt die eigentliche IT-GrundschutzMethodik dar und dient als Anleitung für den Aufbau eines soliden ISMS. Auf diesem Standard basiert auch der neue “Leitfaden zur Basisabsicherung”, der als Einstieg für KMU und kleine Behörden gedacht ist. Die Modernisierung macht aber keine komplette Neuausrichtung eines ISMS einer Organisation nötig, die bereits vorher nach IT-Grundschutz gearbeitet hat. „Die Modernisierung des ITGrundschutzes hat einerseits zum Ziel, Neuanwendern den Einstieg zu erleichtern. Andererseits ist es möglich, die neuen Bausteine mit jenen aus den alten Grundschutzkatalogen zu kombinieren und so ein bestehendes ISMS Schritt für Schritt auf den aktuellen Standard zu heben.”, erklärt Carsten Schulz, Geschäftsführer Informationstechnik bei der Infodas GmbH. Die Gesellschaft berät Behörden und Unternehmen bei der Umsetzung des IT-Grundschutzes bis zur Zertifizierungsreife des ISMS und stellt zur Unterstützung des Prozesses ein Tool bereit, das in Zusammenarbeit mit dem BSI entwickelt wurde.

Alle Dokumente zum IT-Grundschutz stehen auf der Webseite des BSI zum Download bereit. Gedruckte Fassungen der neuen BSI-Standards und des Leifadens sind ebenfalls erhältlich. Das IT-Grundschutz-Kompendium wird im Februar 2018 erstmals in gedruckter Fassung erscheinen.

Alternative VdS 3473 Auch in modernisierter Fassung ist der IT-Grundschutz aus Sicht von Marcus Edel, Leiter Cyber Security bei der VdS Schadenverhütung GmbH, in seinem Gesamtumfang zu komplex, als dass er sich für kleine Unternehmen und Behörden anbieten würde. Speziell auf diese Adressaten zielen die Richtlinien nach VdS 3473. Die seit 2015 vorliegenden Richtlinien sollen es kleinen Organisationen wie Unternehmen, Verwaltungen oder Verbänden ermöglichen, mit vergleichsweise überschaubarem organisatorischen und finanziellen Aufwand ein angemessenes Schutzniveau bei ihren IT-Systemen zu etablieren, erklärt Edel. Auf lediglich 38 Seiten werden Aspekte eines soliden ISMS in allgemeingültiger Form dargestellt. Die Methodik sieht vor, zunächst kritische Ressourcen zu identifizieren, um dann weitere Schritte in Bezug auf diese vorzunehmen. “Die Richtlinien sind kompatibel sowohl mit dem BSI-Grundschutz als auch mit dem IT-Sicherheitsstandard ISO 27001 und dem Bundesdatenschutzgesetz”, betont Edel.

Die IT-Infrastruktur muss daher zum einen eine hohe Flexibilität und Agilität bieten und zum anderen die Mitarbeiter von Routinetätigkeiten entlasten. An diesem Punkt kommen neue Technologien und Services wie Linux-Container, Modularität in Form von Microservices, leistungsfähige und einfache Automatisierungswerkzeuge sowie skalierbare und kosteneffizient betreibbare Private-Cloud-Umgebungen ins Spiel. Zu den größten Herausforderungen beim Cloud Computing zählt das Management der oft komplexen Infrastrukturen. Eine Lösung dafür bietet Red Hat OpenShift Container Platform, eine Container-Applikationsumgebung, die nativ Technologien wie das Container-Cluster-Management- und Orchestrierungssystem Kubernetes integriert und auf Red Hat Enterprise Linux basiert. Um Innovationen in diesem Kontext voranzutreiben, haben sich User Communities mit Hunderten von Mitgliedern gebildet (zum Beispiel OpenShift-Anwender: http://www. openshift-anwender.de/), was umso mehr den Stellenwert des Themas Container für Organisationen verdeutlicht.

End-to-End-Automation von Prozessen Die Linux-Container bieten der IT in der öffentlichen Verwaltung eine komfortable und effiziente Möglichkeit, in kurzer Zeit neue Applikationen zu entwickeln und bereitzustellen.

Monolithisch geprägte Anwendungen stoßen in puncto Agilität prinzipbedingt an ihre Grenzen. Wird nur ein kleiner Teil der Anwendung geändert, muss die gesamte Applikation meistens aufwendig neu getestet werden. Mit Container-Technologien und Microservices-Architekturen können diese Entwicklungsprozesse erheblich flexibler gestaltet werden.

Beliebige Kapazitäten in beliebigen Umgebungen Red Hat OpenShift Container Platform sorgt dafür, dass Anwendungen hochverfügbar und einfach skalierbar sind. Zwei Eigenschaften zeichnen OpenShift aus: Erstens sind Administratoren damit in der Lage, in einem Cluster beliebige Kapazität für Compute, Storage und Networking hinzuzufügen. Die Workloads sind abstrahiert und unabhängig von der Hardware und können auf irgendeinem Knoten im Cluster laufen. Zweitens lässt sich OpenShift, bedingt durch seine stabile und sichere Linux-Basis, auf einer ganzen Bandbreite von Infrastrukturen einsetzen: sei es im eigenen Rechenzentrum direkt auf der Hardware, in virtuellen Maschinen, in der Private Cloud (z. B. mit Red Hat OpenStack Platform) oder auch in der Public Cloud (z. B. Amazon AWS, Microsoft Azure, Google GCE). Im Hinblick auf die gesamte Verwaltungs-IT bedeuten diese Veränderungen, dass sich wahrscheinlich eine IT der zwei Geschwindigkeiten etablieren

wird. Im Mittelpunkt wird wahrscheinlich weiterhin die klassische IT-Infrastruktur mit den Kernverfahren der Verwaltung stehen. Hier kommt es in erster Linie auf Sicherheit und Stabilität und erst in zweiter Linie auf die schnelle Umsetzung neuer Funktionen und Services an. In Ergänzung zu dieser traditionellen IT wird sich aber auch eine Infrastruktur etablieren, die eine schnelle und flexible Entwicklung und Bereitstellung von Anwendungen unterstützt – und damit ist man dann bei Themen wie Container- und Microservices-Architekturen.

Schritt halten mit innovativen Technologien Red Hat OpenShift Container Platform eröffnet einen sicheren Migrationspfad für ein umfangreiches Spektrum von Workloads und Applikationen, die auf Linux oder anderen Plattformen laufen. Red Hat OpenShift Container Platform stellt dazu ein Abstraktions-Layer mit allen möglichen Schnittstellen bereit. Nur mit solchen Technologien wird die öffentliche Verwaltung mit den dynamisch wechselnden Verwaltungs- und Bürgeranforderungen Schritt halten können. *Christof Orth ist Sales Manager Government, Health Care, Education and Research bei Red Hat. Ansgar Kückes ist Chief Architect Public Sector bei Red Hat.


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ie Ransomware WannaCry und ihre Nachfolger haben die IT von Tausenden Unternehmen weltweit beeinträchtigt oder lahmgelegt. Diese spektakulären Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Nicht nur Unternehmen, auch Behörden und staatliche Einrichtungen werden Opfer von Wirtschaftsspionage, Sabotage und Datendiebstahl – die Täter machen keinen Unterschied. So wurde im Sommer bekannt, dass Unbefugte Zugriff auf sensible Daten des schwedischen Militärs und der schwedischen Führerscheinbehörde hatten. Die Folge war eine veritable Regierungskrise in dem Land, das kurz vor einem Rücktritt des Ministerpräsidenten stand. Nach einer aktuellen BitkomStudie zum Wirtschaftsschutz ist mit 53 Prozent mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren Opfer von Datendiebstahl, Spionage oder Sabotage geworden. Gleichzeitig sagen 28 Prozent der Unternehmen, dass sie vermutlich Opfer solcher Angriffe geworden sind – nicht immer lässt sich zum Beispiel zweifelsfrei feststellen,

IT-Sicherheit / IT-Security made in Germany

Behörden Spiegel / November 2017

Basisschutz reicht nicht mehr aus Die öffentliche Verwaltung als Vorreiter bei IT-Sicherheit? (BS/Marc Bachmann) Angriffe auf Unternehmen und Organisationen, bei denen Daten gestohlen oder die digitale Infrastruktur lahmgelegt wurde, gehören fast schon zu unserem Alltag. So haben sich Hacker zum Beispiel kürzlich Zugang zu Equifax verschafft, der größten Wirtschaftsauskunftei der USA. Dabei wurden offenbar persönliche Informationen von 143 Millionen US-Amerikanern entwendet, also Namen, Adressen, Geburtsdaten, aber auch die in den Vereinigten Staaten so wichtige Sozialversicherungsnummer. Back-ups. Andere, technisch anspruchsvollere, aber sehr wirksame Maßnahmen sind dagegen leiMarc Bachmann ist Sicherder weiterhin nur heitsexperte beim Digitaldie Ausnahme. verband Bitkom Dazu gehören Foto: BS/Bitkom Intrusion Detection Systeme, mit denen Angriffe bemerkt werden ob wirklich Daten abgeflossen können, oder Penetrationstests, sind oder ein Angriff verborgen mit denen Schwachstellen sysblieb. Ein Grund dafür ist, dass tematisch identifiziert werden IT-Sicherheit in vielen Unter- und so Sicherheitslücken genehmen und Behörden immer schlossen werden können. noch zu wenig Aufmerksamkeit erhält. So ist der technische Ba- Lösungen aus Deutschland können mithalten sisschutz fast überall vorhanden, zum Beispiel Passwörter Am fehlenden Angebot kann auf den Geräten, Firewalls, Vi- diese Zurückhaltung nicht lierenscanner oder regelmäßige gen. Gerade auch die deutsche

IT-Sicherheitsindustrie ist hier hervorragend aufgestellt, wie nicht zuletzt die IT-SecurityMesse it-sa in Nürnberg gezeigt hat. Nach einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums kann annähernd 80 Prozent der inländischen Nachfrage nach ITSicherheitsgütern durch inländische Anbieter bedient werden. “Made in Germany” kann zumindest auf dem Heimatmarkt bei der IT-Sicherheit auf Augenhöhe mit ausländischen Wettbewerbern mithalten. Etwas weniger gut sieht es aus, wenn man sich den internationalen Markt anschaut. Das BMWi kommt zum Ergebnis, dass unter den Top-500-Anbietern von IT-Sicherheitstechnologien weltweit nur elf aus Deutschland stammen, keiner davon schafft es zudem unter die ers-

ten Hundert. An dieser Stelle gibt es großen Handlungs- und Nachholbedarf. IT-Sicherheit wird in den kommenden Jahren von immer größerer Bedeutung werden. Die Digitalisierung zieht in alle Branchen ein, Vernetzung wird immer wichtiger. Industrie 4.0 und Internet of Things (IoT) benötigen erstklassigen Schutz vor Datendiebstahl und eine hohe Ausfallsicherheit.

Digitale Souveränität fördern Aber auch mit Blick auf die Behörden wird IT-Sicherheit stärker in den Fokus rücken müssen. E-Government und digitale Verwaltung waren in den vergangenen Jahren häufig nur Schlagworte, mit der Digitalisierung unseres gesamten Alltags wird aber auch der Druck der Öffentlichkeit wachsen, dass es endlich mehr digitale Bürgerangebote gibt. Nur mit einem erstklassigen Schutz und Sicherheitskonzept können diese Angebote aber auch wirklich eingeführt werden. Kurz: Verwaltungen und Behörden müssen ihre IT ebenso gut schützen wie Unternehmen. Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Anbieter

könnten sie aber auch noch einen Schritt weiter gehen. Die öffentliche Hand könnte Vorreiter bei der IT-Sicherheit werden und mit Best-Practice-Beispielen auch ein internationales Schaufenster für alles, was heute mit IT-Sicherheit möglich ist. An dieser Stelle kann die Politik ganz konkret etwas tun, um das ITSicherheitsniveau zu erhöhen und gleichzeitig Innovationen einen Schub zu geben. Die Politik setzt aber darüber hinaus auch den rechtlichen Rahmen. Die kommende Bundesregierung muss deshalb dafür sorgen, digitale Souveränität zu schaffen und Sicherheit grundsätzlich zu steigern. Digitale Souveränität bedeutet dabei nicht unbedingt, alles selbst zu machen, aber sie beinhaltet die Fähigkeit, die Angebote in ihrer Qualität sinnvoll bewerten zu können. Quer über alle Ressorts müssen Maßnahmen ergriffen werden, um eigene Infrastrukturen abzusichern und den Informationsaustausch zwischen Staat, Behörden und Wirtschaft zu erweitern. Eine zentrale Aufgabe wird darüber hinaus sein, den strukturellen Fachkräftemangel an IT-Sicherheitsexperten durch die flächendeckende Einrichtung von Lehrstühlen und neue Studiencurricula zu beseitigen. Absolute Sicherheit gibt es auch in der IT nicht. Dieses Wissen darf aber kein Freibrief für Tatenlosigkeit sein, sondern muss Ansporn werden, dem Idealzustand so nah wie möglich zu kommen.

Fünf Jahre Zusammenarbeit Allianz für Cyber-Sicherheit feiert Jubiläum (BS/stb) Die Allianz für Cyber-Sicherheit befördert den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen großen und kleinen Akteuren im Bereich der Cyber-Sicherheit. In diesem Jahr feiert die Allianz ihr fünfjähriges Bestehen. Die Feierlichkeiten fanden traditionsbewusst im Rahmen der it-sa in Nürnberg statt. Dort war 2012 von einigen Unternehmen die Initiative zur Gründung der Kooperationsplattform zur Förderung der IT-Sicherheit ausgegangen. Die Gründung erfolgte durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und den Verband der Digitalbranche Bitkom. Heute zählt die Allianz für CyberSicherheit fast 2.500 Mitglieder. “Was die Allianz für Cyber-Sicherheit zu bieten hat, ist einzigartig in Europa”, betonte Peter Batt, Leiter der Abteilung IT im Bundesministerium des Innern, in seinem Grußwort. Das Anliegen, Unternehmen Informationen zur Verfügung zu stellen und Bemühungen im Bereich Cyber-Sicherheit im Dialog voranzubringen, habe sich zum “Markenkern des BSI” entwickelt, so Batt. “Die Allianz für Cyber-Sicherheit ist ein Erfolgsmodell. Wir haben in den letzten fünf Jahren eine umfangreiche Wissensbasis aufgebaut, die Unternehmen verschiedenster Branchen und Größen den Zugang zu stets aktuellem und erprobtem ITSicherheits-Know-how ermöglicht”, erklärte dazu der Präsident des BSI, Arne Schönbohm. Den zentralen Erfolgsfaktor für die Zusammenarbeit zwischen Behörde und Privatwirtschaft fasste Schönbohm mit dem Schlagwort zusammen: “Nicht Besserwissen, sondern gemeinsam besser machen.” Tatsächlich habe es zu Beginn Vorbehalte gegen das kooperative Modell gegeben – und zwar auf beiden Seiten, erinnerte Prof. Dieter Kempf. Der heutige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hatte in seiner damaligen Funktion als Bitkom-Präsident die

Gründung der Allianz für Cyber-Sicherheit mit auf den Weg gebracht. Aufseiten der Privatwirtschaft habe man sich damals durchaus gefragt, warum gerade die Zusammenarbeit mit einer Behörde “heilsbringend” für die Verbesserung der IT-Sicherheit sein solle. “Mittlerweile ist diese Zurückhaltung überwunden. Cyber-Sicherheit kann nur unter Beteiligung aller relevanten Gruppen, auch der Behörden, vorangebracht werden”, so Kempf. Das Jubiläum gab aber nicht nur Anlass zur Rückschau. Dr. Klaus Mittelbach vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) warb als Vorsitzender des Beirats der Allianz für Cyber-Sicherheit um neue Mitglieder. Ziel sei ein exponentielles Wachstum der Teilnehmerzahl, um das Thema noch weiter in die Fläche zu bringen. Die Allianz will verstärkt mittlere und kleine Unternehmen ansprechen. Diese sollen besonders vom Austausch und konkreten Empfehlungen profitieren.

Öffentlich-private Kooperation Mit Blick in die Zukunft betonte der Beiratsvorsitzende Mittelbach die wichtige Rolle von Kooperationsplattformen öffentlicher und privater Akteure. Regulierung durch Gesetzgebung allein sei häufig ein zu träges Instrument. “Um Geschwindigkeit in die Prozesse zu bekommen, wird es neue Konzepte der Zusammenarbeit geben müssen. Die Verantwortung der Wirtschaft wächst”, sagte Mittelbach. Dem schloss sich auch Winfried Holz vom Bitkom an: “Je besser man miteinander redet, desto eher lässt sich destruktive Regulierung vermeiden.”


IT-Sicherheit / Cybercrime

Behörden Spiegel / November 2017

Proaktiv statt reaktiv

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ass es um die IT-Sicherheit bei Behörden nicht immer zum Besten steht, belegen mehrere Vorfälle der Vergangenheit wie die Hacker-Angriffe auf den Deutschen Bundestag oder die hessischen Kfz-Zulassungsstellen. Die Analysen der “erfolgreichen” Attacken haben ergeben, dass drei Angriffspunkte in der IT besonders zu berücksichtigen sind: Die zentrale Infrastruktur mit dem Active Directory, die Endgeräte der einzelnen Mitarbeiter und der Zugriff auf die Behördennetze durch externe Dienstleister.

Schutz privilegierter Benutzerkonten ist ein Muss Dass Institutionen zur Gefahrenabwehr Standard-Sicherheitsvorkehrungen mit Firewall, Antivirenschutz oder WebfilterTechniken ergreifen, ist heute Status quo. Allerdings: Sie reichen bei Weitem nicht mehr aus. Mit immer raffinierteren Methoden wie den häufig anzutreffenden Advanced Persistent Threats (APTs) oder Ransomware-Attacken ist es relativ leicht möglich, den Schutzwall gegen Angriffe von außen zu überwinden. Als wichtiger Zwischenschritt der Angreifer haben sich vor allem privilegierte Benutzerkonten mit ihren weitreichenden Rechten erwiesen, wie sie etwa Administratoren besitzen. Gelingt es Hackern, die Kontrolle über solche Konten zu gewinnen, können sie hochsensible Informationen entwenden, Sicherheitssysteme aushebeln oder behördenkritische Applikationen beziehungsweise Fachverfahren manipulieren. Die Verwaltung und Überwachung privilegierter Benutzerkonten und Aktivitäten sollte deshalb im Zentrum jeder Sicherheitsinitiative stehen. Adäquate Lösungen hierfür sind heute auch verfügbar. Als marktführendes Unternehmen bei Lösungen zur Sicherung privilegierter Benutzerkonten hat das Analystenhaus KuppingerCole mit Hauptsitz in Wiesbaden bereits mehrfach CyberArk eingestuft, etwa auch im aktuellen Report “Leadership Compass: Privilege Management 2017”. Die Softwarelösung Privileged Account Security von CyberArk ist gezielt für den Schutz privilegierter Benutzerkonten konzipiert. Sie legt die Passwörter der Konten an einem zentralen und besonders geschützten Ort ab, einem sogenannten Vault, und stellt durch spezielle Authentifizierungs- und Zugriffskontroll-Methoden sicher, dass sie nur von berechtigten Personen benutzt werden können. Die Lösung unterstützt dabei eine “Separation of Duties”, das heißt die strikte Trennung von Administration und Anwender des Vaults. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Administrator zwar die Vault-Applikation verwalten kann, aber zu keiner Zeit die darin gespeicherten Passwörter zu sehen bekommt. Die Passwörter der angeschlossenen Systeme werden von der Software automatisch und regelmäßig geändert und hinsichtlich ihrer Länge und Komplexität so generiert, dass sie sich auch durch professi-

IT-Sicherheitslösungen auf dem Stand der Technik implementieren (BS/Michael Kleist) Auch Behörden werden zunehmend zum Ziel von Cyber-Angreifern. Etliche Sicherheitsvorfälle haben gezeigt, dass klassische Abwehrmaßnahmen nicht mehr ausreichend sind. Ein Umdenken in der IT ist nötiger denn je, und zwar weg von rein reaktiven hin zu proaktiven Sicherheitsvorkehrungen. onelle Angriffsmethoden nicht vor dem nächsten Wechsel knacken lassen. Der kontinuierliche Passwortwechsel ist vor allem deshalb unverzichtbar, da sich Angreifer im Netzwerk oft sukzessive “seitwärts” bewegen und laut vieler Studien bis zu 200 Tage unbemerkt im Netz agieren; das schnelle Rotieren von Passwörtern macht ein solches Vorgehen unmöglich. Bei einer Lösungsimplementierung sollte immer berücksichtigt werden, dass das größte Risiko der Kontrollverlust im Bereich des Active Directory ist. Somit müssen im ersten Schritt Sicherungsmaßnahmen für den Schutz privilegierter Zugangsdaten der Windows-Domäne ergriffen werden. Dies kann relativ schnell umgesetzt werden, da die Administrator-Accounts typischerweise begrenzt und die Anzahl der Server überschaubar ist. Aber nicht nur die Passwörter von Administratoren sind im Hinblick auf die Sicherheit ein Bereich, der zu beachten ist. Auch Application Accounts oder Software Accounts, das heißt, die in Anwendungen, Skripten oder Konfigurationsdateien gespeicherten Passwörter, sind eine Sicherheitslücke. Die Application Accounts werden zum Beispiel für den Datenbank-Zugriff einer Anwendung benötigt. Da die Passwörter meistens im Klartext vorliegen und nie geändert werden, bieten sie ebenfalls eine sicherheitskritische Zugangsmöglichkeit zu vertraulichen Datenbeständen. Mit der CyberArk-Lösung können die eingebetteten statischen Passwörter eliminiert werden, das heißt, sie werden zentral abgelegt, automatisch verwaltet und in Abhängigkeit zu den Systemkonten mitgeändert.

Sicherheitslücken bei Endgeräten schließen Eine weitere zentrale Schwachstelle – und oft der erste Ankerpunkt des Angreifers – sind in aller Regel die unzureichend geschützten Endgeräte von Mitarbeitern. Das haben vor allem die jüngsten Ransomware-Attacken deutlich gezeigt. Ohne eine adäquate Endpunktsicherheitslösung, die Benutzerrechteverwaltung und Applikationskontrolle bietet, sind diese Geräte leichte Beute. So ist es heute in der öffentlichen Verwaltung keine Seltenheit, dass auch normale Anwender mit WindowsRechner gleichzeitig Administratorenrechte oder zumindest zusätzliche Benutzerrechte auf ihrem System erhalten, obwohl dies für ihre Arbeit nicht nötig wäre. So entsteht eine große, unübersichtliche und häufig genutzte Angriffsfläche. Erlangt nämlich ein Angreifer Zugriff auf einen Rechner, an dem auch ein Domänen-Administrator angemeldet ist oder war, kann er die

MELDUNG

Markt für Ransomware wächst (BS/stb) Die Wachstumsrate für den Handel mit Erpressungstrojanern im Darknet liegt bei über 2.500 Prozent. Das ist Ergebnis einer Studie von Experten des IT-Sicherheitsanbieters Carbon Black. Demnach gebe es derzeit mehr als 6.300 Marktplätze im Darknet, auf denen mit Ransomware gehandelt werde. Gelistet würden über 45.000 Produkte. Die durchschnittlichen Preise für direkt durch Cyber-Kriminel-

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le einsetzbare Schadsoftware zur Erpressung von Lösegeldern soll bei etwa zehn US-Dollar liegen. Je nach Umfang von Paketen schwankten die Preise zwischen 50 Cent und 3.000 US-Dollar. Bei teureren Angeboten würden sogar Server zur Verbreitung der Schadsoftware mitgeliefert. Besonders erfolgreiche Verkäufer von Ransomware können der Studie zufolge mehr als 100.000 US-Dollar im Jahr einnehmen.

schränkung der Privilegien auf das notwendige Mindestmaß und zum anderen die bedarfsabhängige, auch tempoMichael Kleist ist Regional räre Vergabe von Director DACH bei CyberArk. Rechten ermögFoto: BS/CyberArk lichen. Ebenso wichtig wie die Rechtevergabe Zugangsdaten für den Domä- und -kontrolle ist auch die ApEin nen-Account entwenden und so plikationsüberwachung. auf alle Ressourcen, Rechte und innovativer Ansatz ist hier das Privilegien des entsprechenden Greylisting von Anwendungen. Kontos für die gesamte Domäne Damit können zum einen die Ausführung bekannter Malwazugreifen. Empfehlenswert ist deshalb der re auf Blacklists verhindert und Einsatz einer Endpunktsicher- zum anderen die Berechtigunheitslösung, die die Umsetzung gen für alle Anwendungen beflexibler Least-Privilege-Richtli- grenzt werden, die nicht explizit nien für Fach- und administra- vertrauenswürdig oder unbetive Anwender unterstützt. Zum kannt sind. Dieser Ansatz hat einen sollte sie dabei die Ein- sich bei allen bisher angetrof-

fenen Ransomware-Attacken zu 100 Prozent als sicher bewährt und auch völlig neue Angriffsmuster ins Leere laufen lassen.

Sichere Anbindung externer Dienstleister ist Pflicht Erst im Mai 2017 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seinem “Cyber-Brief” vor einer aktuellen Angriffskampagne gegen IT-Dienstleister gewarnt. Dieser Punkt ist für öffentliche Institutionen von hoher Relevanz, da diese oft von externen IT-Dienstleistern unterstützt werden, die etwa zur Wartung vorübergehend auf Anwendungen zugreifen müssen. “Gehackte” externe Dienstleister können natürlich immer auch eine Gefahr für die eigene Behörden-IT darstellen. Eine Privileged-Account-SecurityLösung sollte deshalb auch die

Möglichkeit bieten, externen Anwendern nur temporären Zugriff auf die nötigen privilegierten Konten einzuräumen. Zudem sollte eine Protokollierung aller Tätigkeiten erfolgen, das heißt mittels Session-Protokollen muss es möglich sein, nicht nur zu überprüfen, wer Zugang zu vertraulichen Informationen hat, sondern auch, auf welche er zugreift und was er damit macht. Dies empfiehlt auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in den “Grundregeln zur Absicherung von Fernwartungszugängen”. So lautet eine Grundregel: “Die Durchführung einer Fernwartung muss protokolliert werden.” Dass öffentliche Institutionen vor Cyber-Angriffen nicht gefeit sind, steht außer Frage. Die Implementierung von Sicherheitslösungen, die auf dem Stand der Technik sind, ist deshalb unverzichtbar – gerade im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung aller Verwaltungsprozesse. Schließlich besteht die gesetzliche Pflicht für alle Bundesbehörden, die elektronische Aktenführung bis spätestens 1. Januar 2020 einzuführen.


IT-Sicherheit / Cybercrime

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Behörden Spiegel / November 2017

Tappen im Dunkeln?

Bad Rabbit – Ransomware

Sichere Internetnutzung

Bitcoin und die Strafverfolgung

Lawine rollt auf deutsche Behörden zu

Endgeräte und IT-Netzwerk vor Schadsoftware schützen

(BS/stb) Auf Grundlage der Kryptowährung Bitcoin, mit der Zahlungen an klassischen, streng regulierten Kreditinstituten vorbei getätigt werden können, hat sich im Darknet in wenigen Jahren eine Nische für den Handel mit illegalen Gütern entwickelt. Die Strafverfolgung ist dadurch aber nicht per se ausgehebelt. Ein wichtiger Ansatzpunkt für Ermittlungen besteht in der Beobachtung von Finanztransaktionen. Diese sind auch bei der Kryptowährung Bitcoin nicht vollkommen anonym. Tatsächlich ist es gerade ein zentraler Bestandteil der zugrundeliegenden Blockchain-Technologie, dass alle Überweisungen eingesehen werden können. Zwar ist zunächst keine direkte Zuordnung zu einer natürlichen Person möglich, allerdings lassen sich durch IT-gestützte Analysen auffällige Transaktionen bestimmen. Diese können wiederum danach ausgewertet werden, ob sie wahrscheinlich einem bestimmten Händler bzw. Käufer zuzuordnen sind. Abgleiche mit Nachrichten auf illegalen Marktplätzen oder in Foren können manchmal zur Ermittlung von Verdächtigen führen – z. B. wenn diese für verschiedene Plattformen dieselben Nutzernamen verwen-

(BS/Michael Klatte*) Hacker haben Ende Oktober Computer von Regierungsbehörden und Infrastruktur-Betreibern in Russland und der Ukraine lahmgelegt. Wie der Security-Software-Hersteller ESET mitteilte, befiel die als “Bad Rabbit” (auch als Diskcoder.D) bezeichnete Ransomware in der ersten Welle unter anderem den Flughafen in Odessa, das U-Bahn-Netz in Kiew, das ukrainische Ministerium für Infrastruktur Bitcoin-Adressen und Finanzen sowie die russische Nachrichtenagentur Interfax.

den oder preisgeben, die sich Konten mit Klarnamen zuordnen lassen. Dass Blockchain-Daten mithilfe von Zusatzinformationen prinzipiell Personen zugeordnet werden können, führe allerdings auch dazu, dass die Zulässigkeit ihrer Nutzung bei der Ermittlung schwer abzuschätzen sei, erklärt Dr. Paulina Jo Pesch. Am Institut für Wirtschaftsinformatik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war sie am Forschungsprojekt BITCRIME zur Prävention und Verfolgung von Kriminalität mit virtuellen Währungen beschäftigt. Wie Pesch betont, sei eine Dauerüberwachung des BlockchainSystems aus Datenschutzgründen definitiv unzulässig. Die gezielte Suche nach Transaktion auf einen Verdacht hin sei dagegen eindeutig zulässig. “Dazwischen gibt es leider noch viel Grauzone.”

Die ESET-Security-Experten gehen von einer globalen Ausbreitung aus, denn die Cyber-Attacken griffen schnell auch auf die Türkei, Bulgarien und weitere Länder über: “Es ist davon auszugehen, dass auch Deutschland im Zuge des laufenden Cyber-Angriffs zur Zielscheibe wird. Auch bei den vergangenen Ransomware-Angriffen gerieten deutsche Unternehmen und Infrastrukturanbieter ins Fadenkreuz der Täter”, sagt Thorsten Urbanski, Pressesprecher von ESET Deutschland. ESET rät, die eigenen Sicherheitsmaßnahmen auf ihre Aktualität hin zu überprüfen. Bereits Betroffene sollten das geforderte Lösegeld generell nicht bezahlen: “Es besteht keine Garantie, dass Nutzer nach erfolgter Lösegeldzahlung auch wirklich ihre Daten zurückbekommen”, so Urbanski. “Mit Zahlung des

Lösegelds werden zudem die Cyber Crime-Strukturen für kommende Angriffe mitfinanziert.” Der Angriff per Bad Rabbit erfolgte über einen sogenannten “Watering-Hole-Angriff” per Drive-by-Infektion. Dabei werden populäre Webseiten, die von der Zielgruppe in der Regel häufig besucht werden, mit Schadcode präpariert. Für eine Infektion reicht der bloße Besuch der Webseite, das Herunterladen und Öffnen einer Datei ist dafür nicht notwendig. Der Umstand, dass alle Behörden und Unternehmen zur selben Zeit getroffen wurden, lässt vermuten, dass die CyberKriminellen bereits einen Fuß in den Netzwerken hatten und die Angriffe nur per Knopfdruck starten mussten. *Michael Klatte ist für die ESET Deutschland GmbH tätig.

Bromium auf der PITS Endgerätesicherheit steht im Vordergrund (BS/Jochen Koehler*) Die Lage für die IT-Sicherheit ist unverändert ernst. Längst ist mit Ransomware ein kriminelles, aber sehr lukratives Geschäftsmodell entstanden, das Unternehmen und öffentliche Einrichtungen massiv beeinträchtigen kann. Innovative Ansätze wie Sandboxing oder Secure-Browsing versprechen Schutz, haben aber ihre Schwächen. Fakt ist: Behörden benötigen ein vernünftiges optimiertes ITRisikomanagement, das eine der aktuellen Bedrohungslage angemessene Sicherheitsphilosophie vertritt. Es dürfen nicht mehr nur die Infrastruktur und Komponenten wie Server oder Festplatten im Mittelpunkt stehen, sondern Daten und Anwendungen, die ja auch die eigentlichen Angriffsobjekte sind – es geht also um die Sicherheit der Arbeitsplatz-Endgeräte. Konzepte scheinen nicht zu fehlen, jedoch mangelt es an der Umsetzung und den Strukturen, beispielsweise beim Personal. Im Wettbewerb um fähiges IT-Sicherheitspersonal ziehen Behörden häufig den Kürzeren: Die Angebote der freien Marktwirtschaft sind deutlich attraktiver. Interessant sind daher Sicherheitslösungen, die letztendlich wenig Betreuung abverlangen, aber viel Schutz bieten. Drei Ansätze sind hier besonders gefragt: • Sandboxing, das verdächtige Dateien zur Prüfung in abgeschirmten Bereichen des Betriebssystems ausführt; • Secure-Browsing, das den zentralen Angriffsvektor Browser vom Arbeitsplatz abkapselt; • Micro-Virtualisierung, die

Die Bromium-Lösung isoliert gefährdende Anwenderaktivitäten in Micro-VMs. Foto: BS/Bromium

eine generelle Isolierung gefährdender Prozesse vornimmt.

Kein Schutz vor unbekannter Malware Gerade Sandboxing und Secure-Browsing haben naturgemäß mit dem Schutz vor unbekannter Malware Probleme. Sandboxing kann immer nur so gut sein, wie die Prüfverfahren und die Erkennung, die es seiner Entscheidung zugrunde legt. Kann die Sandbox eine Malware nicht identifizieren, so kann diese den geschützten Bereich verlassen und die produktiven Systeme angreifen. Secure-Browsing-Lösungen hingegen schützen zwar vor al-

lem den zentralen Angriffsvektor Browser; andere Gefahren für das Endgerät, beispielsweise E-Mails oder USB-Speichermedien, werden jedoch nicht geschützt. Beide Lösungen schränken zudem die Nutzerfreundlichkeit des Endgerätes enorm ein.

Isolieren statt erkennen Wie eine Schutzweste hingegen verhält sich die Micro-Virtualisierung, die Bromium mit seiner Secure-Platform-Lösung umsetzt. Das Endgerät wird an den entscheidenden Stellen geschützt, während sich der Anwender frei bewegen kann. Zwar greift sie die Idee des Sandboxings auf, grundlegen-

Trend Micro Security-Tipp

Cyber-Sicherheit als Grundrecht? KOLUMNE Udo Schneider, Security Evangelist bei Trend Micro Immer wieder wird die Unverletzlichkeit der digitalen Persönlichkeit gefordert. Dies ist langfristig sicher erstrebenswert. Kurzfristig ist jedoch das Bewusstsein für alltägliche Cyber-Sicherheit schneller zu erreichen. Die wenigsten Bürger können Gesetzestexte frei zitieren – die dahinterstehenden Ideen und Konzepte dürften den meisten aber bewusst sein. Ähnlich sollte die Herangehensweise an die

Foto: BS/Trend Micro

Cyber-Sicherheit sein. Wie die Organe der Rechtspflege den genauen Wortlaut der Gesetze kennen, müssen IT-Sicherheitsspezialisten Detailwissen

zu Werkzeugen und Prozessen der Cyber-Sicherheit haben. Bei beiden kann man nicht erwarten, dass der “normale” Bürger dieses Wissen aktiv bereithält. Aber ähnlich wie bei den Gesetzen sollte jeder Bürger ein Gefühl dafür haben, was gut oder böse, gefährlich oder ungefährlich ist. Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, ähnlich wie bei der politischen Bildung dieses “Bauchgefühl” für Cyber-Sicherheit zu vermitteln.

der Unterschied ist jedoch die generelle Isolation gefährdender Prozesse wie Internet Browsing oder das Öffnen von heruntergeladen Dateien und von E-MailAnhängen. Innovative Ansätze der Endgerätesicherheit müssen nicht nur die Identifizierung von Schadcode oder das Aufspüren von Angriffen in den Vordergrund stellen, sondern auch vor Malware schützen, die als solche (noch) gar nicht identifiziert werden kann. Auf diese Weise kann die IT-Sicherheit den “natürlichen” Vorsprung der Angreifer zunichte machen. Dennoch sollten Behörden weiterhin multidimensional denken: Micro-Virtualisierung will beispielsweise Antiviren-Software nicht ersetzen, sondern erweitern und den Kampf gegen Cyber-Kriminalität auf einer anderen Ebene führen. *Jochen Koehler ist Regional Director DACH bei Bromium in Heilbronn.

(BS/Dr. Norbert Schirmer*) Eine der häufigsten Ursachen für Infektionen mit Schadsoftware ist der Besuch von Webseiten und der Klick auf schadhafte Links. Der Browser gilt als Einfallstor für Cyber-Angriffe. Die Infektion des Endgerätes ist dabei das geringste Problem. Vielmehr ist die Weiterverbreitung des Schadcodes auf das interne Netzwerk und weitere IT-Systeme eine größere Gefahr. Neben nicht erfolgten Systemoder Softwareupdates ist besonders der Browser das Einfallstor für Viren, Trojaner, Ransomware, Advanced Persistent Threats und Zero-Day-Exploits. Problematisch sind dabei vor allem aktive Inhalte wie Flash, Java, JavaScript, aber auch HTML5. Dabei wird fremder, externer Code auf dem PC, auf dem eigenen Betriebssystem und damit in der Dateninfrastruktur ausgeführt. Enthält dieser Programmcode Schadsoftware, so gelangt diese ebenfalls zur Ausführung. Die primäre Infektionsquelle sind E-Mails mit schadhaften Links, die dann im Browser geöffnet werden und dann zu destruktivem Verhalten auf PC und Netzwerk führen. Danach kommen kompromittierte Webseiten. Gerade das Stichwort “Social Engineering” sollte an der Stelle genannt werden. Dabei werden Mitarbeiter z. B. durch PhishingMails mit vermeintlich legitimen Links auf schadhafte Webseiten geführt. Die Infektion der Endgeräte ist allerdings nur das kleinste Problem. Vielmehr wird dieses nur als Einstiegspunkt genutzt, um das interne Netzwerk und weitere IT-Systeme zu infizieren. Die bisherigen Ansätze in der Bedrohungsabwehr sind vielfach noch von rein reaktiver Natur. Zu dieser Art von Abwehrdesign zählen z. B. die Antiviren-Softwareprogramme. Die Logik dieser Programme erfolgt nach dem Blacklisting-Verfahren. Hiermit werden lediglich bereits bekannte Bedrohungen abgewehrt. Zero-Day-Exploits, die bisher unbekannte Sicherheitslücken ausnutzen, oder Advanced Persistent Threats, das sind lange und anhaltende Angriffe, bleiben so unentdeckt und werden von Antivirenprogrammen nicht herausgefiltert. Klar ist: Die Internetnutzung ist aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Somit muss ein adäquater Schutz her, mit dem Mitarbeiter wie gewohnt Webseiten besuchen können, gleichzeitig aber der PC und das Netzwerk vor Cyber-Angriffen geschützt werden. Exemplarisch an dem Beispiel der Internetnutzung in Behörden und Unternehmen ist ein Paradigmenwechsel von rein reaktiven Systemen hin zu proaktiven Lösungen vonnöten. Dazu kommt der Ansatz der Separation, bei dem kritische Bereiche in der IT in voneinander isolierte Bereiche aufgeteilt werden.

Proaktiver Schutz mit voll virtualisiertem Browser Der Aspekt der proaktiven Sicherheit wird besonders durch die Sicherheitslösung Browser in the Box von Rohde & Schwarz Cybersecurity deutlich. Diese wurde 2011 in Deutschland zu-

sammen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationssicherheit (BSI) entwickelt und ist seitdem in kleinen, mittleren und großen Behörden und Unternehmen erfolgreich im Einsatz. Die Sicherheitsarchitektur von Browser in the Box beruht zunächst auf der Trennung von Internet und Intranet. Diese Trennung realisieren wir auf Rechnerebene durch Vollvirtualisierung auf dem PC und auf Netzwerkebene anderseits durch Tunnelung des InternetTraffics durch das Intranet mittels Verschlüsselung. Auf dem PC besteht Browser in the Box aus einer virtuellen Maschine, auf der Linux als Betriebssystem installiert ist. Im Gegensatz zu SandboxingVerfahren der Browser oder anderen Virtualisierungsverfahren kommt hier eine Vollvirtualisierung zum Einsatz. Alle Aktivitäten des Browsers sind vollständig vom Windows-Basisbetriebssystem isoliert. Das ist ein Sicherheitsgewinn, denn: zum einen sind Cyber-Angriffe zum Großteil auf Windows-Betriebssysteme ausgelegt, zum anderen ist durch die Isolation die Infektion dieses WindowsBasisbetriebssystems stark eingeschränkt. Die Virtualisierung trennt demnach im ersten Schritt den Browser vom restlichen PC. Für ein noch höheres Sicherheitsniveau trennt Browser in the Box das Internet vom internen Unternehmensnetzwerk oder Intranet. Jeglicher Zugriff auf das Internet erfolgt durch einen VPN-Tunnel und wird somit vom internen Netzwerk ferngehalten. Browser in the Box wurde mit dem Ansatz entwickelt, dass es neben dem Sicherheitsaspekt auch benutzerfreundlich sein muss. Demnach verändert sich für den Nutzer an der gewohnten Internetnutzung nichts. Wie gewohnt können Webseiten aufgerufen werden. Hinzu kommt, dass Browser in the Box auch barrierefrei zugänglich ist.

Fazit: nachhaltiger Schutz vor Cyber-Angriffen Gerade bei Zero-Day-Exploits und Advanced Persistent Threats muss man mit einer innovativen Sicherheitsarchitektur agieren, die nicht davon abhängig ist, dass der Angriff beziehungsweise das Angriffsmuster bereits bekannt ist. Es geht in Zukunft darum, durch mehrstufige Sicherheitslösungen die IT-Sicherheit zu erhöhen. Mit Browser in the Box wird durch die verschiedenen Isolationsschichten und durch die Vollvirtualisierung ein hohes Maß an Sicherheit erreicht. *Dr. Norbert Schirmer ist VP Business Unit Endpoint Security bei Rohde & Schwarz Cybersecurity.

MELDUNG

Kooperation vereinbart (BS/stb) Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) haben eine Kooperation vereinbart. Ziel ist es, besonders in Handwerksunternehmen Bewusstsein für die wachsende Bedeutung des Themas IT-Sicherheit und die Gefahr durch Cyber-Attacken zu wecken. “Wenn wir Hand-

werksbetrieben Unterstützung anbieten und Hilfestellungen an die Hand geben, um die mit der Digitalisierung einhergehenden Gefahren zu erkennen und abzuwehren, dann trägt das dazu bei, die Cyber-Sicherheit in Deutschland insgesamt zu verbessern”, erklärte BSIPräsident Arne Schönbohm. Mithilfe von gemeinsamen Lehrveranstaltungen sowie In-

formationsmaterialien wollen BSI und ZDH in den Betrieben Bewusstsein für Gefahren im virtuellen Raum schaffen und sie dazu befähigen, Maßnahmen zum Schutz zu ergreifen. Als zentraler Bestandteil der zukünftigen Kooperation soll eine Dialogplattform zum Informations- und Erfahrungsaustausch für Handwerksunternehmen geschaffen werden.


IT-Sicherheit / Cybercrime

Behörden Spiegel / November 2017

Wenn es keiner wissen darf!

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ie Stadt Amsterdam hat wie viele Großstädte eine hohe Verkehrslast und brauchte ein neues Mobilitätskonzept, um diese neu zu steuern. Durch installierte Kameras sowie digitale Parkuhren hätten sie die notwendigen Daten, um Verkehrsströme zu analysieren und zu lenken. Aber Datenschutzverordnungen (DVO) erlauben dies nicht. Nummernschilder sind als personenbezogene Daten nicht verwertbar.

Pseudonymisierung: Die Informationen entscheiden Im Hinblick auf die im Mai 2018 wirksam werdende Europäische Datenschutzgrundverordnung ist das ein Problem, das auch in Deutschland zunehmen könnte, meint Guido Goelitz. Für ihn ist Pseudonymisierung die po-

Die Krux mit dem Datenschutz und dem Nutzen von personenbezogenen Daten (BS/ab) “Das schwächste Glied ist der Mensch. 82 Prozent schützen ihre Daten nicht”, sagt Guido Goelitz. Dabei können die Daten freiwillig im Netz landen, wie durch Facebook, zeigt der Business Development Director von Viacryp B.V. auf. Personenbezogene Daten seien jedoch nicht nur für Kriminelle, sondern auch für Kommunen interessant, um neue Stadtkonzepte entwickeln zu können. Deshalb favorisiert er die Pseudonymisierung, welche er anhand der Stadt Amsterdam exemplarisch präsentierte. tenzielle Lösung. Diese verlaufe nach folgendem Prozess: Zuerst würden bei einem Absender die Personen beziehungsweise Kennzeichen des Fahrzeuges per Hash unkenntlich gemacht. Ein Absender wäre beispielsweise das Unternehmen, das die Kameradaten besitzt. Ein Hash sei ein Kürzel, welches aus dem Vornamen, Nachnamen, Geburtsjahr oder Wohnort erstellt werde, erläuterte Goelitz auf dem

Digitalisierung: ja klar! Moderne IT-Sicherheit: zu aufwendig…!? von Jan Lindner, Geschäftsführer Panda Security

Das Thema Digitalisierung ist für Behörden und andere staatliche Institutionen unumgänglich. Nur durch die Umstellung der Arbeitsabläufe auf digitale Systeme wird es auf die Dauer möglich sein, die Produktivität zu steigern und einen reibungslosen Informationsaustausch zu sichern. Ein großes Hindernis auf dem Weg in die schöne neue und volldigitalisierte Welt sind jedoch die zunehmenden CyberBedrohungen. Immer wieder erreichen uns Schreckensmeldungen über gehackte Computer, verschlüsselte oder geklaute Daten, lahmgelegte Arbeitsprozesse. Dabei gründet der Erfolg von Malware-Attacken nicht auf der unglaublichen Raffinesse und dem Know-how der Malware-Entwickler. Diese sind zwar zugegebenermaßen

oftmals sehr geschickt, doch es gibt Abwehrtechniken, die jede neue und noch so raffinierte Bedrohung unmittelbar erkennen und blockieren. Das Problem liegt vielmehr in den Köpfen der IT-Verantwortlichen. Diese denken noch immer, dass zuverlässige IT-Sicherheit aufwendig und kaum bezahlbar ist. Welch ein Trugschluss! Bereits seit 2014 können Pandas cloudbasierte, automatisierte Erkennungs- und Präventionsmechanismen jeden Malware-Angriff in Echtzeit entdecken und blockieren – und zwar ohne zusätzlichen Aufwand auf Kundenseite. Fortschrittliche IT-Sicherheit braucht keine neuen Technologien, sondern ein Umdenken bei den Verantwortlichen! Ihr Jan Lindner

Grundschutz mit DocSetMinder Ab sofort mit dem modernisierten BSI-IT-Grundschutz (BS/Krzysztof Paschke*) Die GRC Partner GmbH präsentiert am 06.12.2017 auf der IT-Grundschutz-Tool-Messe für Bundesbehörden (BAköV in Brühl) den GSTool-Nachfolger DocSetMinder. DocSetMinder setzt mit dem Modul “IT-Grundschutz” konsequent alle Anforderungen und die Methodik des modernisierten IT-Grundschutzes (200-Reihe) um. Die Modulstruktur und Softwarefunktionen unterstützen eine effiziente “Step-by-Step”-Umsetzung des Sicherheitsprozesses, wahlweise gemäß BSI-Standard 100-2 und 200-2. BSI-GS-Kataloge und GS-Kompendium können gleichzeitig genutzt werden. Durch die implementierte Auswahl der Umsetzungsmethoden (Basis-, Kern- und Standard-Absicherung) eignet sich DocSetMinder für den Einsatz in Behörden jeder Größe. Die Strukturanalyse, Schutzbedarfsfeststellung und Modellie-

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rung berücksichtigen das neue Schichten-Modell der neuen ITGS-Methodik. In Kombination mit den Modulen “EU-DS-GVO” und “Notfallmanagement” ist DocSetMinder eine Komplettlösung für die Informationssicherheit und den Datenschutz einer Behörde. Für die unmittelbaren Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen in Deutschland fallen für das Modul “IT-Grundschutz” keinerlei Lizenzkosten an. Die Lösung bietet somit eine hervorragende Grundlage, um Behörden sicher und “Ready for Audit” zu machen. *Krzysztof Paschke ist Geschäftsführer der GRC Partner GmbH.

Innovationsforum FinTech. Dieses wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Im zweiten Schritt erhalte ein externer vertrauenswürdiger Drittanbieter den Hash. Dieser Drittanbieter müsse neben hohen Sicherheitsstandards für seine IT-Systeme ebenfalls hohe Sicherheitsüberprüfungen seitens der Behörden durchlaufen. Dadurch werde die Seriosität gewährleistet. Die konkreten Informationen wo, wann und wie das Kraftfahrzeug geparkt wurde, würden direkt an den geplanten Empfänger, die Stadt Amsterdam, geleitet. Diese Informationen seien zur Sicherheit verschlüsselt und nur der Empfänger könne sie entschlüs-

Buchstabenkombination. Diese leite er an den Empfänger weiter. So erhalte der Empfänger detaillierte Informationen, die keiner spezifischen Person zugeordnet werden könnten. Aber Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Automarke würden erhalten bleiben. Diese gesammelten Informationen könne er für sein Projekt und seine Analysen nutzen. Im Gegensatz zur Anonymisierung könne die Person auch, im Falle einer Strafverfolgung, ausfindig gemacht werden, betont Goelitz.

Vielerlei Einsatzmöglichkeiten

Wie können personenbezogene Daten in unserer digitalen Gesellschaft geschützt werden? Wie können Städte gleichzeitig wichtige Daten nutzen, um unsere Gesellschaft zu optimieren, ohne den Datenschutz zu verletzten? Pseudonymisierung könnte der Schlüssel dazu sein. Foto: BS/Simeon Berg, CC BY 2.0, flickr.com

seln. Der Drittanbieter erhalte diese Informationen nicht, betont Goelitz. Im dritten Schritt

wandle der externe Anbieter den Hash um. Er pseudonymisiere ihn durch eine Zahlen- und

Dieses System kann dem Entwickler zufolge auf viele Bereiche übertragen werden, um die Daten digital zu schützen. Neben dem Datenschutz werde es erschwert, an personenbezogene Daten heranzukommen. “Ein Hacker müsste dafür die verschlüsselten Informationen knacken, sich in das System des Drittanbieters sowie des Absenders hacken, welche beide gesichert sind”, betonte Goelitz die drei Angriffspunkte. Es sei nicht unmöglich, fuhr er fort, aber wesentlich schwieriger als bisher.

Schutz durch Isolation Secure-Browsing-Lösungen versprechen viel, halten aber nicht alles (BS/Jochen Koehler) Secure-Browsing-Lösungen liegen im Trend. Sowohl Unternehmen als auch Behörden setzen verstärkt auf die BrowserIsolation zur Abwehr von Cyber-Gefahren – ein prinzipiell richtiger Ansatz, alle Risiken können damit aber nicht ausgeschlossen werden. Hierzu müssen alle Endpunktaktivitäten isoliert werden. Die Lösung heißt: Sicherheit durch Virtualisierung. Ransomware-Attacken nehmen wieder in beängstigendem Maße zu. Allein von Januar bis April 2017 hat sich die Zahl der Infektionen verdoppelt – nach einer aktuellen Untersuchung von Microsoft von rund 100.000 auf mehr als 200.000 Attacken. Vor allem das Business-Modell Ransomware-as-a-Service, das aktuelle Ransomware im Darknet verfügbar macht, hat sich als sehr “erfolgreich” erwiesen. Dass mit herkömmlichen Sicherheitsmaßnahmen der wachsenden Cyber-Gefahr nicht mehr beizukommen ist, hat vor Kurzem erst wieder WannaCry bewiesen. Diese Erkenntnis hat sich inzwischen in der Sicherheitsbranche auch weitgehend durchgesetzt – abgesehen vielleicht von einigen Herstellern klassischer Antivirus-Lösungen. Weder mit Intrusion-Prevention-Systemen noch mit Antiviren-Software oder Next-Generation-Firewalls können neue Zero-Day-Attacken, Advanced Persistent Threats oder immer raffiniertere Ransomware-Trojaner zuverlässig aufgespürt werden. Der Grund: Diese Lösungen sind auf die Erkennung von Schadsoftware angewiesen und bei bisher unbekannter, neuer Malware stoßen sie an ihre Grenzen.

ReCoBS-Lösungen liegen im Trend Unternehmen und auch Behörden setzen deshalb verstärkt zusätzliche Sicherheitsgateways ein, die vor allem den zentralen Angriffsvektor Browser schützen. En vogue sind dabei Remote-Controlled-Browser-Systeme (ReCoBS). Charakterisiert sind sie durch den Aufbau einer Terminalserver-Umgebung. Der Webzugang erfolgt ausschließlich über Browser auf den Terminalservern, wodurch die ClientPCs geschützt werden sollen. Bis zu einem gewissen Grad sind solche Client-Server-Modelle erfolgreich, ihre Nachteile liegen aber auf der Hand. Erstens sind erfolgreiche Angriffe auf ReCoBS-Server nicht gänzlich auszuschließen. Zweitens sind die Lösungen mit hohen Kosten verbunden, sowohl hinsichtlich des Hardware-Bedarfs für die Terminalserver als auch bezüglich der Betriebskosten. Und drittens beeinträchtigen

Browsing und ignorieren damit andere Sicherheitsgefahren für den Endpunkt wie E-Mails oder USB-SpeicherJochen Koehler ist Regional medien. Zum Director DACH bei Bromium anderen eint diein Heilbronn. se Lösungen ein Foto: BS/Bromium weiterer gravierender Nachteil. Wird etwa ein sie die Performance durch den aus dem Internet geladenes und erhöhten Bandbreitenbedarf für zunächst isoliertes File dann die Kommunikation zwischen doch in der Produktivumgebung Servern und Clients. Wie bei al- benötigt, muss es analysiert len Client-Server-Architekturen werden. Und hier sind solche kann eine Reduzierung des Nut- Ansätze wiederum auf die Detektionsmöglichkeiten klassizerkomforts die Folge sein. Noch keine größere Rolle im scher Antiviren-Lösungen mit Umfeld von Secure-Browsing den damit verbundenen Unzuspielen zur Zeit cloudbasierte länglichkeiten angewiesen. Lösungen. Mit ihnen soll auf Basis von Container-Isolierung Micro-Virtualisierung als nächster Schritt ebenfalls verhindert werden, dass Malware den Endpunkt erPrinzipiell zeichnet sich aber reicht. Für viele Unternehmen ab, dass in der IT-Sicherheit sind Cloud-Security-Lösungen die Virtualisierung zunehmend aber aufgrund vorhandener Compliance-Vorgaben und interner Richtlinien kein gangbarer Weg für die Sicherung von Endpunkten.

Kompromittierung wäre für einen potenziellen Angreifer mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden. Bei der Bromium-Lösung werden Hardware-isolierte MicroVMs für alle Anwenderaktivitäten mit Daten aus unbekannten Quellen realisiert. Jeder einzelne Task läuft dabei in einer eigenen Micro-VM – und zwar strikt getrennt voneinander, vom eigentlichen Betriebssystem und vom verbundenen Netzwerk. Im Unterschied zu SecureBrowsing-Lösungen zielt die Bromium-Lösung nicht nur auf den Browser als Sicherheitsschwachstelle ab, vielmehr können damit alle potenziell gefährlichen Aktivitäten gekapselt werden, also nicht nur das Aufrufen einer Webseite, sondern auch das Downloaden eines Dokuments, das Öffnen eines E-Mail-Anhangs oder der Zugriff auf die Daten eines portablen Speichermediums. Eine Kompromittierung des Endpunkts

Sicherheit durch Virtualisierung Die Browser-Isolation steht auch bei einigen Lösungsansätzen im Vordergrund, die auf Virtualisierung basieren. Zu nennen ist etwa Software, die eine virtuelle “Surfumgebung” mit getrenntem Webbrowser installiert. Ein zentrales Problem dabei ist, dass es sich um eine reine Softwarelösung mit den immer damit einhergehenden Sicherheitsgefahren handelt. Nachteil sind auch hier die Performanceeinbußen und verringerte Benutzerfreundlichkeit, da keine Standard-, sondern dedizierte Browser verwendet werden. Virtualisierung ist allerdings ein Lösungsweg, den im Hinblick auf IT-Sicherheit momentan viele Software-Hersteller einschlagen, so auch Microsoft. So soll künftig die Option bestehen, den Browser Edge in einer eigenen virtuellen Maschine auszuführen. Zwei generelle Mankos kennzeichnen aber alle angeführten Lösungen. Zum einen ist es der Funktionsumfang. Sie beziehen sich rein auf das Thema Internet-

Sicherheit durch Isolation: vom Word-Dokument bis zur .exe-Datei Foto: BS/Bromium

an Gewicht gewinnen wird, das heißt die Isolation endpunktbezogener Risiken mittels Virtualisierung. Auch Bromium geht mit seiner Lösung Secure Platform den Virtualisierungsweg, allerdings einige entscheidende Schritte weiter. Zentrales Merkmal der Lösung ist die Hardware-isolierte Micro-Virtualisierung. Sie basiert auf dem Bromium Microvisor, einem speziell im Hinblick auf Sicherheit entwickelten Hypervisor, und den integrierten Virtualisierungsfeatures aller aktuellen CPU-Generationen. Eine hohe Sicherheit ist gerade durch die Hardware-Virtualisierung gewährleistet, denn eine CPU-

und letztlich des Unternehmensnetzes über einen dieser Angriffswege ist damit gänzlich ausgeschlossen. Generell zeigt sich, dass bei den erfolgversprechendsten Ansätzen in der Endpunktsicherheit nicht die Detektion von Schadcode oder das Aufspüren von Angriffen im Vordergrund steht, sondern die Isolation, das heißt ein gezielter Schutz vor Malware, ohne dass sie zwingend als solche erkannt werden muss. Dies markiert einen neuen Meilenstein in der IT-Sicherheit. Cyber-Angriffe – wie neu oder “sophisticated” sie auch immer sein mögen – laufen damit unweigerlich ins Leere.


Cyber Akademie

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Behörden Spiegel / November 2017

Themenseite in Kooperation mit:

Neues aus der Cyber Akademie

November 2017

Smart Mobility vs. Mobile Security (CAk/fl) Am Donnerstag, den 23. November 2017 findet von 17:00 bis 21:00 Uhr im Fraunhofer Forum Berlin, Anna-Louisa-KarschStraße 2, die AFCEA-Fachveranstaltung “Smart Mobility versus Mobile Security” statt. Der Begriff Mobilität gewinnt eine zentrale Bedeutung im heutigen Leben und unterliegt starken Veränderungen. Die klassische Mobilität, beispielweise mit dem eigenen Auto, verändert sich massiv. Free floating Carsharing oder autonomes Fahren sind nur zwei Beispiele, die hier zu nennen sind. Auf der anderen Seite werden die früheren stationären IT-Dienste durch Smartphones und Tablets vollständig mobil. Viele Behörden und Dienststellen streben nach diesen mobil erreichbaren IT-Anwendungen. Die Veranstaltung “Smart Mobility versus Mobile Security” setzt sich mit dem Aspekt der sicheren Mobilität in der gesamten, hier dargestellten Spannweite auseinander. Die Themen reichen vom autonomen Fahren bis zur BSI-Zulassung für mobile Endgeräte mit den Anforderungen und Technologien für sichere Anwendungen. Mobility & Mobile Dabei setzt sich die Veranstaltung aus zwei Diskussionspanels zusammen, die jeweils einen Themenschwerpunkt abdecken. Die technischen, sicherheitsbezogenen sowie wissenschaftlichen Aspekte des

Zentrum für Informationssicherheit Informationssicherheit durch Know-how Best Practice-Seminare 2018 IT-Forensik – Spurensuche auf elektronischen Datenträgern 17.–19. Januar 2018, Frankfurt am Main Hacking-Methoden in der Praxis: Vorgehen des Angreifers und Schutzmaßnahmen 30.–31. Januar 2018, Düsseldorf IT-Sicherheitsbeauftragte(r) in der öffentlichen Verwaltung 5.–9. Februar 2018, Berlin

Free floating Carsharing oder autonomes Fahren: Die Veranstaltung “Smart Mobility versus Mobile Security” setzt sich mit dem Aspekt der sicheren Mobilität in den unterschiedlichsten Bereichen auseinander. Foto: CAk/© zapp2photo, Fotolia.com

“Autonomen Fahrens” diskutieren Prof. Dr. Frank Köster vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt, der Vizepräsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Dr. Gerhard Schabhüser, sowie Dr. phil. Fadia Sauerwein von der Universität des Saarlandes. Mit Blick auf das zweite Schwerpunktthema, “Mobile ITAnwendungen im Sicherheitsbereich” aus Sicht der Industrie, der Entwicklung und der Wissenschaft, diskutieren Dr. Christoph Erdmann, Geschäftsführer der Firma Secusmart, Dr. Wolfgang Koch vom Fraunhofer FKIE sowie der Neurobiologe Dr. Sven Sebastian.

Anmeldung Anmeldungen sind bis spätestens 16.11.2017 direkt über das Anmeldetool auf der Internetseite www.afcea.de möglich. Die Zahl der Teilnehmer ist aus organisatorischen Gründen auf 100 Plätze begrenzt. Der Tagungsbeitrag beträgt für Nichtmitglieder 15,00 Euro und für Mitglieder 5,00 Euro (inkl. Imbiss). Hinweis: Zum Thema Mobile Sicherheit bietet die Cyber Akademie 2018 die Schulung “Mobile Device Security – Risiken und Schutzmaßnahmen” in Düsseldorf und Berlin an. (Termine siehe rechts)

IT-Risikomanagement – Identifikation, Bewertung und Bewältigung von Risiken 27. Februar 2018, Berlin IT-Notfallplanung – Vorausschauende Vorbereitung auf den IT-Notfall 28. Februar – 1. März 2018, Berlin Cyber Defence Simulation Training 6.–8. März 2018, Berlin Webanwendungssicherheit und Penetrationstests 6. März 2018, Düsseldorf ISMS-Prozesse und ISMS-Betrieb 7. März 2018, Berlin Mobile Device Security – Risiken und Schutzmaßnahmen 12.–14. März 2018, Düsseldorf Ethische Applikations-Hacking anhand praktischer Beispiele – Fokus Android-Apps 14.–15. März 2018, Berlin) BSI-Grundschutz in der Praxis 17.–18. April 2018, Düsseldorf Netzwerk- und WLAN-Sicherheit 24.–26. April 2018, Berlin

Weitere Informationen zu diesen und anderen Seminaren unter: www.cyber-akademie.de

Cyber-Reserve als staatliche Sicherheitsvorsorge (CAk/fl) Die Digitalisierung in der Wirtschaft, der Verwaltung und auch bei Organen der Inneren und Äußeren Sicherheit schreitet unaufhaltsam voran. Was fehlt, ist ein übergreifendes Konzept, um den unmittelbaren Bedarf an IT-Security-Fachleuten zu decken. Die Digitalisierung nahezu aller Lebens- und Arbeitsbereiche verspricht große Chancen und Wachstumspotenziale für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland. Sie wird ein entscheidender Wettbewerbsfaktor in der zunehmend globalisierten Welt sein. Gleichzeitig nimmt die Verwundbarkeit Kritischer Infrastrukturen, staatlicher Institutionen und Unternehmen mit dem Grad ihrer Vernetzung zu. CyberSicherheit und Cyber-Verteidigung sind als Herausforderung erkannt worden, der nur durch ein gesamtstaatliches Handeln begegnet werden kann. Ein branchen- und sektorenübergreifender, kooperativer Ansatz auf horizontaler und vertikaler Ebene ist notwendig, um Fragen des Fachkräftemangels, der Sicherheit sowie der Erschließung von Innovationspotenzialen und Synergieeffekten zu begegnen. Die Offenheit für Partnerschaften und Kooperationen wird entscheidend sein für die erfolgreiche und sichere Digitalisierung des Landes. Cyber-Reserve Ein zentrales Element könnte dabei eine sogenannte “Cyber-Reserve” – eine große Gruppe von qualifizierten IT-Fachkräften aus Verwaltung, Sicherheitsbehörden, ITKWirtschaft und Industrie – sein. Diese “Cyber-Reservisten” setzen sich aus engagierten ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr (Zeitsoldaten, Wehrdienstleistenden & Zivilisten), Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes sowie auch Ungedienten aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Das Reservoir potenzieller Cyber-Reservisten ist, trotz ITFachkräftemangel, durchaus vorhanden. Je nach Stand der Qualifikation könnten diese Reservisten anhand modular aufgebauter Curricula kontinuierlich und unab-

NEUES aus IT- und Datenschutzrecht

der Cyber Akademie

Erstes verwaltungsrechtliches Urteil zur EU-DSGVO

Von einer gut ausgebildeten und konkret eingesetzten Cyber-Reserve kann ein wichtiger Beitrag zur Resilienz staatlicher und ziviler Infrastrukturen ausgehen.

Das Verwaltungsgericht in Karlsruhe hat mit Urteil vom 06.07.2017, Az. 10 K 7698/16, entschieden, dass die Datenschutzbehörden / Aufsichtsbehörden vor Eintritt des 25.05.2018 keine datenschutzrechtlichen Verfügungen auf Grundlage der EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) erlassen dürfen. Die Übergangsfrist beträgt gem. Art. 99 Abs. 2 EU-DSGVO zwei Jahre. Dieser Zeitraum ist den Verantwortlichen zur Umsetzung der Grundverordnung zu gewähren. Somit liegt keine Ermächti-

gungsgrundlage für ein frühzeitiges Einschreiten der Aufsichtsbehörden vor. Weiterhin wurde ausgeurteilt, dass die Prüf- und Löschfristen nach § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG mit der Neufassung des Bundesdatenschutzgesetzes wegfallen. Die EUDSGVO enthält keine konkreten Angaben zu den jeweiligen Fristen. Laut dem Verwaltungsgericht ergeben sich die Prüf- und Löschfristen aus einer Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) EU-DSGVO.

Foto: CAk/© Gorodenkoff, Fotolia.com

hängig von Reservedienstleistungen ausund weitergebildet werden. Die Module decken die benötigten fachlichen Anforderungen an die Reservisten und Ausbildungskriterien, die beispielsweise durch das Kommando CIR definiert werden, ab. Die Ausbildung könnte im Zusammenspiel anerkannter Akteure (private und öffentliche Bildungseinrichtungen, Bundeswehr) und Formate (E-Learning, Webinare, Präsenzschulungen, Trainings) erfolgen und durch Ausbildungs- und Tätigkeitsnachweise belegt werden. Eine Qualitätskontrolle könnte durch eine unabhängige Instanz erfolgen. Im Gegenzug verpflichten sich die Reservisten dazu, eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahr für Reservedienstleistungen zur Verfügung zu stehen. Die Einplanung würde in Abstimmung zwischen Bundeswehr, Reservist und Arbeitgeber erfolgen. Ausbildung, Einsatz und Mehrwert einer Cyber-Reserve Somit könnte in flexibler Art und Weise ein hohes Ausbildungsniveau geschaffen werden, welches sich an den unterschiedlichen Bedarfen des Kommandos orientiert und gleichzeitig einen konkreten Mehrwert für die Reservisten und ihre zivilen und öffentlichen Arbeitgeber bietet. Gerade letztere profitieren von weiter- und ausgebildeten Mitarbeitern, die durch die

Schulungen neue Fähigkeiten erwerben und ihren Horizont erweitern, durch die Reservedienstleistungen neue Erfahrungen sammeln sowie durch den Austausch mit anderen Reservisten neue Ideen in das Unternehmen bringen können. Gleichzeitig können durch die enge Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Experten aus der ITWirtschaft und engagierten Reservisten aus unterschiedlichen Branchen und Sektoren aktuelle Trends und innovative Ideen Eingang in die Digitalisierungsanstrengungen der Streitkräfte finden. Die kontinuierliche Aus- und Weiterbildung von Cyber-Reservisten ist ein wichtiges Element zur Gewinnung, Bindung und Entwicklung interessierter Fachleute. Von einer gut ausgebildeten und konkret eingesetzten Cyber-Reserve kann ein wichtiger Beitrag zur Resilienz staatlicher und ziviler Infrastrukturen ausgehen. Um Fragen der Digitalisierung der Streitkräfte sowie der Ausbildung von IT-Experten in Staat, Wirtschaft und Militär zu diskutieren, steht die Cyber Akademie auf der Berliner Sicherheitskonferenz 2017 zur Verfügung. Die Konferenz findet am 28./29. November 2017 unter dem Motto “Europe under pressure – security and defence in unpredictable times” im Berliner andel‘s Convention Center in der Landsberger Allee statt.

Umsetzung EU-Datenschutzgrundverordnung Mit Geltung der neuen DS-GVO ab dem 25.05.2017 müssen Unternehmen und Behörden sich auf die Pflichten im Falle der Verletzung personenbezogener Daten eingestellt und diese neu implementierten Prozesse verinnerlicht haben. Nach Art. 33 DS-GVO hat der Verantwortliche die Behörde binnen 72 Stunden über den Vorfall in geeigneter Art und Weise zu informieren. Im Rahmen dieser Pflicht ist es ratsam, folgende Punkte zu beachten: Ist im Prozess sichergestellt, dass die Meldung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten innerhalb von 72

Stunden an die Aufsichtsbehörde möglich ist? Ist festgelegt, welche Personen oder deren Vertreter zwingend in den Meldeprozess eingebunden werden müssen? Hat der Verantwortliche Maßnahmen ergriffen, dass derartige Verletzungen von den Mitarbeitern erkannt werden können? Ist sichergestellt, dass alle zu einer vollständigen Meldung notwendigen Informationen vorliegen werden? Ist sichergestellt, dass alle von dem Vorfall betroffenen Personen in geeigneter Weise gem. Art. 34 DS-GVO informiert werden können?

IT Sicherheit – Achtung vor Social Engineering! Social Engineering umfasst vielfältige psychologische Tricks, die im Rahmen der Wirtschaftsspionage eingesetzt werden, um Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wichtige sicherheitsrelevante Informationen rechtswidrig zu entlocken. Mit diesem erlangten Wissen sollen IT-Systeme infiltrieren werden, um so Zugriff auf wichtige schützenswerte Unternehmensdaten oder vertrauliche Informationen zu erhalten. Um diese Sicherheitslücke möglichst zu schließen, ist es ratsam die Mitarbeiter zu schulen und zu sensibilisieren. In diesen Schulungen sollen

nach Möglichkeit die Angriffsmuster erklärt und auch durchgespielt werden. Den Mitarbeitern soll ein gesundes Misstrauen gegenüber Unternehmensfremden vermittelt werden, sodass sensible Auskünfte nie am Telefon weitergegeben werden oder unbekannte E-Mail-Anhänge nicht ungeprüft geöffnet werden. Auch das Auftreten der Mitarbeiter in Sozialen Netzwerken birgt häufig ein hohes Risiko, da auch hier potenzielle Angreifer gezielt auf der Suche nach geeigneten Informationsträgern sind.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / November 2017

Alles eine Frage der Anerkennung Bisherige Unterschiede bei Hinterbliebenenversorgung sollen angeglichen werden (BS/Marco Feldmann) Kommt ein Feuerwehrangehöriger bei einem Einsatz ums Leben, entscheidet sein Status über den Umfang und die Höhe der Leistungen und Zahlungen, die seine Angehörigen erhalten. Dabei können erhebliche Unterschiede auftreten. Und das, obwohl es sich um ein und denselben Einsatz handeln kann. Das will das Land Brandenburg ändern. Für die Beamten des Bundes gilt, dass Sterbegeld in Höhe des Zweifachen der Dienstbezüge gezahlt wird. Das Witwengeld beträgt bei dieser Personengruppe 55 Prozent des Ruhegehalts, das der Verstorbene erhalten hat. Das Waisengeld schließlich macht für Halbwaisen zwölf Prozent und für Vollwaisen ein Fünftel des Ruhegehalts des Verstorbenen aus. Insgesamt dürfen alle Zahlungen weder einzeln noch gemeinsam die Höhe des vollständigen Ruhegehalts des verstorbenen Bundesbeamten übersteigen.

Einem Entschließungsantrag des Potsdamer Landtages von SPD, CDU, Linken und Grünen folgend soll die Hinterbliebenenversorgung von Feuerwehrkräften und Angehörigen von im Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisationen, wie etwa dem Technischen Hilfswerk oder dem Deutschen Roten Kreuz, angeglichen werden. Verschiedene Status – also die Frage ob ein zu Tode gekommener Helfer Beamter, Tarifbeschäftigter oder Ehrenamtlicher war – sollen keine Rolle mehr spielen.

Thema wird auf IMK besprochen Des Weiteren fordern die Abgeordneten der vier Parteien, die bestehenden Regelungen des Unfallschutzes zu überprüfen. Geklärt werden soll, wie ein vergleichbarer Versicherungsschutz aller Kräfte erreicht werden kann. Zudem will Brandenburg die Thematik auf die Tagesordnung der kommenden Sitzung der Innenministerkonferenz (IMK) setzen. Der Arbeitskreis fünf des Gremiums, dessen Mitglieder sich mit Angelegenheiten des Feuerwehr- und Rettungswesens sowie des Katastrophenschutzes beschäftigen, hat sich bereits mit dem Vorstoß befasst. Dem Vernehmen nach wurde er allerdings nicht von allen Anwesenden mit Wohlwollen aufgenommen. Ungeachtet dessen wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt. In ihr sollen die verschiedenen Regelungen zum Status der Hinterbliebenenversorgung im Bund und den Ländern erhoben werden.

Drei unterschiedliche Ansätze Bei den Feuerwehren existieren derzeit drei Absicherungsmöglichkeiten. Während die beamteten Angehörigen der Berufsfeu-

Innenministerien nicht allein zuständig Werden Feuerwehrleute im Dienst getötet, entscheidet bisher ihr Status über die Höhe der Hinterbliebenenversorgung. Berufsfeuerwehrleute unterliegen dabei dem Beamtenrecht, freiwillige Kameraden sind über die Unfallkassen abgesichert und erhalten in der Regel weniger Leistungen. Das Land Brandenburg will das nun ändern. Foto: BS/©Kzenon, Fotolia.de

erwehren und ihre Angehörigen über die Versorgungssysteme der jeweiligen Länder geschützt sind, sind die Kräfte der Werkfeuerwehren als reguläre Arbeitnehmer ihres Unternehmens über die Berufsgenossenschaften unfallversichert. Die freiwilligen Kameraden schließlich sind ebenfalls gesetzlich unfallversichert. Zuständiger Träger für die Gewährung von Leistungen nach dem siebten Sozialgesetzbuch an ehrenamtlich Tätige in Hilfeleistungsunternehmen sind die Unfallkassen. Diese Körperschaften des öffentlichen Rechts können auch Mehrleistungen für diesen Personenkreis postulieren. Über ihre Satzungen können sie nach einem Unfall zum Beispiel für einen tatsächlichen Ausgleich des Nettoverdienstausfalls sorgen, indem sie das Verletztengeld entsprechend aufstocken, erläutert der Leiter des Fachbereichs Sozialwesens des Deutschen Feuerwehrverbandes und

Direktor der Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen, Thomas Wittschurky.

Manche gehen leer aus Anspruchsberechtigt sind auf Grundlage der Bestimmungen des Sozialgesetzbuches sieben aber nur verheiratete Partner und Kinder der verstorbenen Einsatzkraft sowie eingetragene Lebenspartner. Diese Hinterbliebenen haben Anspruch auf Sterbegeld, die Erstattung der Kosten der Überführung des Leichnams an den Ort der Bestattung sowie auf Zahlung von Hinterbliebenenrenten. Das Sterbegeld beläuft sich dabei auf ein Siebtel der zum Zeitpunkt des Todes geltenden Bezugsgröße. Witwen- beziehungsweise Witwerrente erhalten die Angehörigen in der Regel für zwei Jahre. Bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Todesmonat stehen ihnen zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen zu.

Anschließend sind es nur noch 30 Prozent. Die Höhe der Waisenrente bemisst sich danach, ob eines oder beide Elternteile verstorben sind. Halbwaisen erhalten ein Fünftel des Jahresarbeitsverdienstes des nicht mehr lebenden Elternteils, Vollwaisen 30 Prozent des Jahresarbeitsverdienstes. Insgesamt darf die Höhe der sozialgesetzlich zustehenden Hinterbliebenenrenten 80 Prozent des Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen nicht übersteigen.

Nicht mehr als komplettes Ruhegehalt Angehörige von verbeamteten Feuerwehrleuten, die bei einem Dienstunfall ums Leben kommen, haben laut Gesetz Anspruch auf die Auszahlung der Bezüge, die dem Toten im Sterbemonat zugestanden hätten. Des Weiteren erhalten sie Witwengeld und Waisengeld. Deren exakte Höhe variiert zwischen den einzelnen Bundesländern.

Hier soll der IMK-Antrag Brandenburgs eine Anspruchsangleichung bringen. Außerdem sei beabsichtigt, die Hinterbliebenenversorgung auch auf Angehörige freiwilliger Feuerwehrleute auszuweiten, die nicht verheiratet waren, erklärt der Abteilungsleiter im Potsdamer Innenministerium, Dr. Herbert Trimbach. Der Vorsitzende des Arbeitskreises fünf der IMK räumt aber auch ein, dass dafür das Sozialgesetzbuch geändert werden müsste und dieser Schritt nicht in die Zuständigkeit der Innenressorts falle. Ungeachtet der geteilten Gesetzgebungskompetenzen wäre ein solcher Schritt, wie jede Verbesserung für ehrenamtliche Tätigkeit, durchaus zu begrüßen, heißt es aus dem nordrhein-westfälischen und dem Schweriner Innenministerium. Außerdem wäre er ein Ausdruck der angemessenen sozialen und finanziellen Absicherung über Freistellungen für Einsätze der freiwilligen Feuerwehren und die Erstattung des Verdienstausfalls hinaus, ist aus dem Wiesbadener und dem Stuttgarter Innenministerium zu hören.

KNAPP Pilotprojekt gestartet (BS/mfe) In mehreren rheinland-pfälzischen Polizeiinspektionen erproben Beamte von jeweils zwei Gruppen im Wechselschichtdienst neue mobile Endgeräte. Im Test, der bis Januar nächsten Jahres dauern soll, sind Smartphones mit unterschiedlichen Displaygrößen von fünf, 5,7 und 5,9 Zoll. TabletComputer sollen folgen. Bisher wurden rund 70.000 Euro investiert. Innenminister Roger Lewentz (SPD) erklärte zu dem Pilotprojekt: “Die Geräte erlauben es den Beamtinnen und Beamte eine Vielzahl polizeilicher Tätigkeiten künftig direkt vor Ort zu erledigen.” Es können zum Beispiel Verkehrsunfälle und Strafanzeigen mit einer eigens in der Polizei entwickelten Applikation unmittelbar in das mobile Endgerät eingegeben werden.

Erstmals voll integriert (BS/mfe) Die Bundesanstalt TechnischesHilfswerk(THW)war bei der Unbrauchbarmachung der in Kolumbien eingesammelten Waffen der linksgerichteten FARC-Rebellen erstmals ein komplett integrierter Teil einer Mission der Vereinten Nationen (UNO). Seit Ende Januar waren mit Ablösungen insgesamt 56 THW-Helfer vor Ort. Aufgabe der THW-Kräfte war es dabei, die eingesammelten Waffen technisch fachgerecht zu zerlegen. Eingesammelt wurden die Waffen hingegen von Beobachtern der Vereinten Nationen. Das waren Polizisten und Soldaten aus unterschiedlichen Nationen. Insgesamt machten die THWAngehörigen knapp 9.000 Waffen unbrauchbar. Darunter waren sowohl Langwaffen wie etwa Gewehre als auch Kurzwaffen, insbesondere Pistolen. Darüber hinaus wurden im Rahmen des Einsatzes in Kolumbien, der für das THW in dieser Form eine Premiere darstellte und in Zukunft öfter vorkommen könnte, mehr als 30.000 Munitionskartuschen unbrauchbar gemacht.

Save the Date

21. Europäischer Polizeikongress

6.-7. Februar 2018 | Berlin Congress Center Sicherheit besser vernetzen | Information – Prävention – Repression www.europaeischer-polizeikongress.de


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / November 2017

Sachsen stellt zahlreiche neue Polizisten ein

“In die Puschen kommen”

Innenminister Ulbig will Flickenteppich bei Sicherheitsbehörden beenden

Anpassungen in Aus- und Fortbildung dennoch notwendig

(BS/Marco Feldmann) Spätestens Anfang der 2020er-Jahre wird es im Freistaat Sachsen – verglichen mit den (BS/Marco Feldmann) Auf sie wird auch in Zukunft nicht verzichtet werden können: Die Polizei. Um aber den Zahlen des Jahres 2015 – 1.000 Polizeivollzugsbeamte mehr geben. Dieses Versprechen gab Landesinnenmi- Herausforderungen gewachsen zu sein, benötigt sie ausreichende Ressourcen und eine passende Ausbildung. nister Markus Ulbig (CDU) ab. Zudem betonte er: “Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt.” Darin waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde auf dem Dresdner Polizeitag des Behörden Spiegel einig. Deshalb sei der eigentlich vorgesehene Stellenabbau bei der Polizei gestoppt worden. Außerdem würden die Kapazitäten zur Ausbildung von Vollzugsdienstanwärtern im Freistaat ausgebaut, so der Ressortchef. Darüber hinaus sei die Ausstattung der Beamten bereits verbessert worden und werde auch in Zukunft fortlaufend an den Fortschritt der Technik angepasst. Sachsens Polizisten hätten bereits bessere Schutzwesten, neue, sondergeschützte Fahrzeuge sowie Langwaffen erhalten. Dies sei auch dringend erforderlich, denn, so Ulbig auf dem Dresdner Polizeitag des Behörden Spiegel mit rund 100 Teilnehmern: “Verbrecher des 21. Jahrhunderts lassen sich nicht mit Mitteln des 20. Jahrhunderts fangen.” Und noch etwas war dem Dresdner Innenminister wichtig: “Mit dem Flickenteppich muss Schluss sein. Wir brauchen unbedingt ein bundesweit gültiges Musterpolizeigesetz.” Des Weiteren stellte der Christdemokrat klar: “In Sachsen werden wir das Niveau der Polizeiausbildung nicht absenken.” Angesichts der bisher noch guten Bewerberlage mit etwa 15 Interessenten pro Stelle sei dies nicht notwendig, meinte Ulbig.

Mehrere offene Fragen Ebenfalls ein Ende des aktuellen Flickenteppichs verlangte der sächsische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Hagen Husgen. Zugleich unterstrich er, dass es Aufgabe seiner Gewerkschaft sei, bundesweit einheitlich zu definieren, wie der Polizeibeamte der Zukunft aussehen sollte. Dafür sei es zunächst erforderlich, in ganz Deutschland gemeinsam zu klären, welche Aufgaben die Polizei in den kommenden Jahren übernehmen solle. Dazu müssten zahlreiche Fragen beantwortet werden. Dazu gehörten unter anderem jene nach den künftigen Erwartun-

Versprach auf dem Dresdner Polizeitag des Behörden Spiegel bis Anfang des nächsten Jahrzehnts 1.000 Polizisten mehr im Freistaat als im Jahr 2015: Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Foto: BS/Feldmann

gen an und den Kernaufgaben für die Polizei. Ebenso dazu zähle die Frage, welche Aufgaben in Zukunft zentralisiert beziehungsweise in enger Zusammenarbeit mit anderen Behörden erledigt werden sollten. Mit der Klärung dieser Fragestellungen verband Husgen zudem die Forderungen nach einer Harmonisierung der Aus-, Fortund Weiterbildung bei Deutschlands Polizeien sowie nach einer Angleichung der Befugnisse.

Noch mehr Auswahl ab 2030 Auf die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) wies wiederum Gerhardt Weitkunat aus der Zentral- und Grundsatzabteilung der Bundespolizeiakademie Lübeck hin. Mit Blick auf die Polizei sagte er: “Jeder Versuch, die Polizeiorganisationen so zu erhalten, wie sie derzeit sind, muss scheitern.” Und er prognostizierte: “2030 können sich die potenziellen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz aussuchen.” Das liege schlicht und einfach an der erheblichen Differenz zwischen altersbedingten Abgängen einerseits und der zu geringen Zahl an vorhandenen Nachwuchskräften andererseits. Dabei be-

nötige Deutschland gut ausgebildete Polizeivollzugsbeamte, ergänzte Friedel Durben. Dafür müssten an den entsprechenden Hochschulen jedoch auch die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden und es brauche eine neue Bildungsoffensive bei der Polizei, meinte der Direktor der Hochschule der rheinland-pfälzischen Polizei. Denn: “Nur eine gut ausgebildete Polizei kann ihre Funktion als Konfliktmanager erfüllen, um die öffentliche Sicherheit und den gesellschaftlichen Frieden zu schützen.” Gleiches gelte für die effiziente Nutzung sowie den nachhaltigen Einsatz von Ressourcen.

Viel Platz nach oben Auf Lücken im und Probleme des Versammlungsrechts machte schließlich Prof. Dr. Henning Schwier, amtierender Leiter des Fachbereichs Recht, Sozialwissenschaften und Sprachen an der Hochschule der sächsischen Polizei, aufmerksam. So kritisierte er zum Beispiel, dass das Versammlungsgesetz des Bundes an zahlreichen Stellen verfassungsrechtlich problematisch sei. Aus diesem Grunde konstatierte der Jurist: “Im Versammlungsrecht ist noch viel Platz nach oben!”

Neuzertifizierung der Funkgeräte unerlässlich Bundeswirtschaftsministerium prüft Sepura-Übernahme (BS/leh) Die finanzielle Pleite der britischen Sepura Group PLC und deren Übernahme durch die chinesische Hytera Ltd. haben überrascht und zugleich so manchen Innenminister auch in Deutschland mit Sorge erfüllt. Sepura ist einer der weltweit führenden Lieferanten von TETRA-Funkgeräten. Der Marktanteil bei den deutschen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) liegt bei nahezu 50 Prozent. Wegen der Übernahme von Sepura durch das chinesische Unternehmen bestehen nun offenbar Sicherheitsbedenken. Thüringen hat deshalb die flächendeckende Einführung digitaler Funkgeräte bei Feuerwehren und Rettungsdiensten vorerst gestoppt. Das Land hatte die Lieferung von Digitalfunktechnik für Feuerwehr und Rettungsdienst ausgeschrieben. Den Zuschlag bekam die deutsche Firma Selectric aus Münster. In Deutschland sind unter anderem die Polizeien der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen vollständig mit TETRAFunkgeräten von Sepura ausgestattet. Diese bereits in der Vergangenheit beschafften und zertifizierten Endgeräte können nach Angaben der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) weiterverwendet werden. Die britische Regierung hat das chinesische Buy-Out des Unter-

nehmens aus dem Vereinigten Königreich inzwischen unter Auflagen gebilligt. So müssen Hytera und Sepura erweiterte Kontrollen implementieren, um die sensiblen Informationen und Technologien zu schützen und dem Innenministerium, dem Verteidigungsministerium und dem Government Communications Headquarters (GCHQ) Zugangsrechte zu Räumlichkeiten und Informationen gewähren, um deren Einhaltung zu überwachen.

Bedenken noch nicht vollständig ausgeräumt Dagegen konnte das vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Mai eröffnete außenwirtschaftsrechtliche Investitionsprüfungsverfahren noch nicht abgeschlossen werden. Dem Vernehmen nach haben die Unternehmen bestehende Sicherheitsbedenken bislang nicht vollständig ausräumen können. Dies betrifft insbesondere die bei den deutschen BOS eingesetzte Ende-zu-Ende-Ver-

schlüsselung. Es ist aber damit zu rechnen, dass dies in Kürze geschieht und eine Zustimmung unter Auflagen erfolgt. Sepura-Funkgeräte werden bei Neubeschaffungen beziehungsweise Nachbestellungen neu zertifiziert werden müssen. Der Bund beabsichtigt, mit der Firma Sepura notwendige Sicherheitsauflagen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zu vereinbaren, diese regelmäßig auf ihre Einhaltung hin zu überprüfen und auf dieser Grundlage die Zertifizierungen vorzunehmen. Hierdurch soll die notwendige Rechts- und Handlungssicherheit für alle BOS bei der Beschaffung von Endgerätetechnik herbeigeführt werden. Kartellrechtlich ist die Übernahme nicht relevant, weil der Umsatz von Sepura in Deutschland für das zum 31. März endende Geschäftsjahr unter dem für den Erwerb maßgeblichen Umsatzschwellenwert liegt. Daher haben Sepura und Hytera ihre Anmeldung beim Bundeskartellamt in Bezug auf den Erwerb wieder zurückgezogen.

Und Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag, zeigte sich sogar überzeugt: “Der Polizeiberuf wird in den nächsten Jahren wieder eine größere Nachfrage erleben.” Dem wollte auch sein Kollege von der Linkspartei, Enrico Stange, nicht gänzlich widersprechen. Er forderte allerdings zugleich: “Wir müssen in Zukunft im Bereich der polizeilichen Fortbildung in die Puschen kommen.” Zudem sei es für die Zukunftsfähigkeit der Sicherheitsbehörde von entscheidender Bedeutung, wie der anstehende Personalwechsel ablaufe. Schließlich würden viele Beamte in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen.

Grundlastausbildung erforderlich Und auch Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Dresdner Landtag, forderte: “Wir müssen darüber reden, wie wir die Ausbildung der sächsischen Polizei in Zukunft gestalten wollen.” Des Weiteren verlangte der SPDPolitiker: “Die Polizei muss moderner werden.” Hierzu ergänzte der Christdemokrat Hartmann: “Wir müssen konstant und kontinuierlich eine Grundlastausbildung bei der Landespolizei im Freistaat durchführen.” In diesem Zusammenhang gab Hagen Husgen, sächsischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), allerdings zu bedenken, dass mehr als 700 Neueinstellungen jährlich bis 2030 die Ausbildungskapazitäten der sächsi-

schen Polizei sprengen würden. Der Dresdner Polizeitag wurde aber nicht nur zur Diskussion über die Zukunftsfähigkeit der Polizei genutzt. Zugleich wurden auch zahlreiche mögliche neue Einsatzmittel für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) präsentiert. So berichtete zum Beispiel Christian Scherf, Country Manager Deutschland der Axon Public Safety Germany SE, dass sein Unternehmen bereits über 500.000 Taser und mehr als 100.000 Bodycams im Einsatz habe.

Neues Anforderungsprofil Dr. Matthias Weber von Heckler & Koch wiederum unterstrich: “Terroranschläge sind inzwischen ein Teil der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung im Sinne der Gefahrenabwehr.” Und er konstatierte: “Das Anforderungsprofil der Polizeikräfte nähert sich immer mehr dem des militärischen Nutzers an.” Aus diesem Grunde würden auch Polizeikräfte bereits vereinzelt über den Einsatz von Maschi-

nengewehren nachdenken. Auf eine große Lücke zwischen militärischen Helmen einerseits und polizeilichem Kopfschutz andererseits wies Edwin Busch, Geschäftsführer der Busch GmbH & Co. KG, hin. Seines Erachtens müssten moderne Polizeihelme gute Splitterschutzeigenschaften haben. Eine Kommunikationslösung für Polizisten präsentierte der CEO der heinekingmedia GmbH/stashcat, Andreas Noack. Er stellte den sicheren Messenger “stashcat” vor. Den Möglichkeiten der Identitätsfeststellung per Smartphone widmete sich Uwe Demsky von der secunet Security Networks AG. Er stellte die “secunet-bocoa”-Anwendung auf Android vor. Mit dieser wird auch der geschützte NFC-Chip des Personalausweises ausgelesen. Und Marco Bollmeier, Produktmanager bei der adp Gauselmann GmbH, präsentierte den “Face-Check”. Dieser wird in Spielstätten genutzt, um den Jugendschutz zu gewährleisten und Spielersperren durchzusetzen.

Diskutierten über die Zukunftsfähigkeit des Polizeiberufs (v.l.n.r.): Albrecht Pallas (SPD), Christian Hartmann (CDU), R. Uwe Proll (Moderator), Hagen Husgen (GdP) und Enrico Stange (Die Linke). Foto: BS/Feldmann


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / November 2017

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ugleich hielt Arloth in Bonn fest: “Strafvollzugsbedienstete sind keine kleinen Psychologen.” Und er forderte, dass die Ausbildung für diesen Beruf möglichst in jenem Bundesland erfolgen solle, in dem auch der spätere Einsatz des Mitarbeiters geplant sei. Gegenseitige Personalabwerbungen der einzelnen Landesregierung dürften nicht stattfinden.

Netzwerk aufgebaut Denn, so der Vertreter aus dem Münchner Justizministerium: “Der internationale islamistische und salafistische Terrorismus und andere Terrorbewegungen fordern unser entschlossenes Handeln.” Hierfür brauche es genügend und gut qualifizierte Mitarbeiter. Schließlich gelte: “Der Justizvollzug als Teil der Inneren Sicherheit unternimmt größte Anstrengungen sowohl im Bereich der Deradikalisierung als auch in der Prävention. Dazu arbeiten wir ressortübergreifend und mit zivilgesellschaftlichen Trägern in einem gemeinsamen Kompetenznetzwerk zusammen.” Ebenfalls die Idee eines “Netzwerks Sicherheit” und die Notwendigkeit eines grundlegend veränderten Berufsbildes im Strafvollzug betonte Beate Bube, Präsidentin des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Sie berichtete, dass es in ihrem Bundesland rund 25 Häftlinge gebe, die eigentlich nicht wegen religiös motivierter Straftaten einsäßen, aber im Vollzug islamistisch bedingte Auffälligkeiten bis hin zu einer Radikalisierung zeigten. Über diese tauschten sich der Verfassungsschutz und die Leitungen der Justizvollzugsanstalten auch regelmäßig aus. Allgemein komme aus Sicht des Verfassungsschutzes im Justizvollzug darauf an, Radikalisierungsprozesse in der Strafhaft

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er Kampf um die Stadt startete bereits im November 2016 und wurde mit unglaublicher Härte (auch in Form der Luftunterstützung durch die Vereinigten Staaten von Amerika) geführt, unter der zumeist die Zivilbevölkerung litt. Das “Kalifat”, einst so groß wie Portugal, schrumpfte auf ein paar Kampfregionen. Mitte Oktober dieses Jahres kapitulierten in al-Rakka 275 der letzten DaeshKämpfer nach Zusicherung des freien Abzugs mit ihren Familien. In der Innenstadt verblieben zuletzt nur noch circa 100, zumeist ausländische, Kämpfer ohne tribale Verbindungen. Sie verschanzten sich im Krankenhaus und im Stadion, bewegten sich durch ein Labyrinth von Tunneln und Gräben, behinderten den Vormarsch ihrer Gegner durch Heckenschützen, tückische unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen, Minen, Sprengfallen, Zäune – und verbargen sich hinter menschlichen Schutzschilden. Das waren zivile Geiseln, die sie aus al-Rakka und dem Umland zusammentrieben. 400 Geiseln wurden bis zuletzt im Krankenhaus festgehalten.

Weiterhin zahlreiche Kämpfer im Ex-Kalifat Kurdisch geführte Verbände der Syrian Democratic Forces (SDF) nahmen die Innenstadt von al-Rakka ein, befreiten die Geiseln und vertrieben die letzten Terroristen. Immer noch gibt es zwischen 6.000 und 10.000 Kämpfer im Ex-Kalifat, wie es von der von den USA geführten Koalition heißt. Das sind immerhin elfmal mehr, als der angeblich zerstörte “Islamische Staat im Irak” Ende 2010 hatte. Immer wieder stöbern die SDF Widerstandsnester auf, immer

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Justizvollzug muss mit der Zeit gehen Bedienstete in Gefängnissen immer stärker gefordert (BS/mfe) Salafisten, ältere Gefangene, Wohngruppenvollzug: Die Justizvollzugsanstalten in Deutschland müssen immer größere Herausforderungen bewältigen. Um diesen auch in Zukunft gerecht werden zu können, müssten die Rahmendbedingungen kontinuierlich verbessert und angepasst werden. Das verlangte Prof. Dr. Frank Arloth auf dem ersten “Bundeskongress Strafvollzug und Justizverwaltung” des Behörden Spiegel. Zudem berichtete der Ministerialdirektor aus dem bayerischen Justizministerium, der aufgrund des Verfassens eines einschlägigen Kommentars zu den Strafvollzugsgesetzen des Bundes und der Länder auch als “Papst des Strafvollzuges” gilt, dass weibliche Justizvollzugsbeamte im Freistaat sich in Haftanstalten, in denen nur Männer untergebracht sind, vermehrt gefährlichen Situationen gegenübersähen. zu erkennen und möglichst zu verhindern. Weitere wichtige Punkte seien Gefährdungsbewertungen sowie Kriminalprognosen im Einzelfall. Um all diesen Anforderungen aber gerecht werden zu können, müssten verschiedene Behörden ihre jeweiligen Informationen zusammenführen. Dazu gehörten neben der Polizei, dem Verfassungsschutz und dem Justizvollzug auch die kommunalen Ausländerbehörden sowie gegebenenfalls medizinische Einrichtungen. Damit auch Justizvollzugsbeamte Radikalisierungstendenzen erkennen könnten, brauche es eine entsprechende Aus- und Fortbildung der Bediensteten, gezielte Strukturbeobachtungen sowie einen engen – auch personenbezogenen – Informationsaustausch der Behörden, verlangte Bube. Des Weiteren könne Radikalisierung in Gefängnissen durch Überprüfungen muslimischer Seelsorger und Fremdpersonal in den Anstalten sowie durch den Abgleich von Gefangenendaten mit dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem verhindert werden.

Gefängnisse sind Radikalisierungszentren Eine Warnung sprach auf der Veranstaltung, die von der ehemaligen Staatssekretärin im Dresdner Justizministerium Gabriele Hauser moderiert wurde, Dr. Katharina Bennefeld-Kersten

Forderte eine kontinuierliche Verbesserung der Rahmenbedingungen im Strafvollzug: Prof. Dr. Frank Arloth. Foto: BS/Feldmann

aus. Die ehemalige Direktorin der Justizvollzugsanstalt Celle unterstrich: “Europas Gefängnisse entwickeln sich immer mehr zu Radikalisierungszentren von Islamisten.” Deshalb müsse die Aus- und Fortbildung weiterentwickelt werden.

Mehr Wohngruppenvollzug gefordert Nahezu alle Strafvollzugsgesetze in Deutschland sehen den Vollzug der Strafhaft in Wohngruppen als Möglichkeit vor. Einzige Ausnahme ist Hessen. Dennoch handelt es sich bei dieser Unterbringungsart von Häftlingen nirgendwo in der Bundesrepublik um die Regelform. Dr. Hilde van den Boogart ist das ein Dorn im Auge.

Die Leiterin der Sozialtherapie in der Justizvollzugsanstalt Lübeck ist der Auffassung, dass der Wohngruppenvollzug dazu beitragen könne, dass der Gefangene neue Lernfelder finde, Neues versuche und aus Althergebrachtem ausbreche. Zudem diene er der Resozialisierung des Häftlings und trage zur Arbeitsentlastung der Bediensteten in Gefängnissen bei. Deshalb verlangte sie: “Wir brauchen mehr Wohngruppenvollzug:” Und van den Boogart gestand ein: “Da bin ich Überzeugungstäterin. Mir liegt diese Unterbringungsart sehr am Herzen.” Des Weiteren betonte sie: “Ich plädiere für kleinere Strukturen im Strafvollzug.” Damit der Wohngruppenvollzug aber auch tatsächlich Vorteile bringen könne, müsse er sowohl räumlich als auch akustisch vom restlichen Strafvollzug getrennt sein und über kurze Schließzeiten verfügen. Darüber hinaus sollte das dort arbeitende Personal seine Büros möglichst direkt im Bereich der Wohngruppe haben und täglich vor Ort sein. Außerdem dürften in einer solchen Einheit nicht mehr als 15 Häftlinge leben. Ansonsten könnten Freizügigkeit und Interaktion nicht mehr gewährleistet werden. Und noch etwas sei wichtig, so van den Boogart: “In der Lerngruppe muss ein Lernmilieu hergestellt werden.” Dazu brauche es emotionales Lernen und emo-

tionale Bindungen. Seien alle diese Voraussetzungen erfüllt, senke der Wohngruppenvollzug die Rückfallquote und erhöhe den Anteil der Reststrafenaussetzungen auf Bewährung. Die Sozialtherapieleiterin gab jedoch auch zu: “Die Wohngruppe ist keine allumfassende Wohlfühleinheit, kein Allheilmittel und sie ersetzt keine Psychotherapie.”

Hohe Scheidungsrate unter Gefangenen Welche Auswirkungen eine Inhaftierung für die Familien des Gefangenen haben kann, erläuterte Prof. Dr. Michael Kubink. Der nordrhein-westfälische Justizvollzugsbeauftragte betonte: “Die Familie wird durch

Dr. Hilde van den Boogart lobte den Wohngruppenvollzug. Er diene der Resozialisierung der Häftlinge . Foto: BS/Feldmann

Der Daesh hat alle Schlachten verloren Aber verliert die islamistische Terrormiliz auch den Krieg? (BS/Uwe Kranz) Der Niedergang des Daesh begann schon 2015, zunächst in den nördlichen Hochburgen Kobane, Tal Abyad und Hasak. Er setzte sich dann im Süden fort, mit den empfindlichen Verlusten von Ramadi, Fallujah, Samarra,Tikrit, Baiji, oder Palmyra, und fand seinen vorläufigen Höhepunkt mit dem Fall der irakischen Großstadt Mossul zur Jahreswende 2016/2017. Nunmehr ist auch seine syrische “Kalifats-Hauptstadt” al-Rakka gefallen. wieder verüben klandestine Terrorzellen Anschläge. Wohin die 275 Kämpfer mit ihren Familien gingen, ist nicht bekannt. Man darf aber vermuten, dass sie sich zu einem Großteil wieder den Daesh-Kampfeinheiten anschließen werden, die sich in das schwer kontrollierbare Euphrat-Tal oder in die Provinz Deir al-Zour zurückzogen. Der aktuelle mediale Fokus auf das “syrakische” Geschehen verstellt den Blick aufs Ganze. Schon früh hatte der Daesh strategisch weitsichtig weltweit Provinzen (Wilayah) errichtet, Außenstellen seines Kalifates. Dazu gehört unter anderem die “IS-West-African Province” (ISWAP). Sie erwuchs aus der nordnigerianischen Terrorgruppe Boko Haram. Ihr Anführer Abubakar Muhammad Shekau schwor schon im März 2015 dem Daesh-Kalifen Ibrahim die Treue. In den rund sechs Jahren seiner Terrorherrschaft verantwortete Shekau über 40.000 Tote und zwang 1,8 bis 2,8 Millionen Menschen in die Flucht – zu über 50 Prozent Frauen und Kinder. Unklar ist, ob Schekau noch lebt und weiterhin die ISWAP anführt. Seit Oktober 2014 herrschte der Daesh auch in Libyen in drei Provinzen: alFizan (Süd), al-Bargha, auch genannt “Cyrenaica” (Ost), und al-Tarabulus, auch bekannt als “Tripolitania” (West). Von besonderer Bedeutung war der 250 Kilometer lange Küstenstreifen von al-Buerat bis Sirte, wo der

gen. Außerdem formiert sich die Gruppierung im Uwe Kranz, TerrorexperSüdwesten Libyte des Behörden Spiegel, ens neu. Nach glaubt nicht, dass der Daesh polizeilichen vollständig besiegt ist. An dieser Einschätzung änderErkenntnissen ten auch die jüngsten militäwurden, sowohl rischen Erfolge nichts. der Anschlag im englischen Foto: BS/Dombrowsky Manchester der Brüder Salman Daesh zum Teil in Kooperation und Hashim Abedi als auch das mit Gruppen der Muslimischen Attentat auf den Berliner WeihBruderschaft und der Libyan Is- nachtsmarkt von Anis Amri in lamic Fighting Group (LIFG) das engem Kontakt mit Daesh-FühÖlgeschäft, die Organisierte Kri- rern von Libyen aus gesteuert. Die Daesh-Provinz Sinai ist minalität (Zigarettenschmuggel und Menschenhandel) sowie die eine der aktivsten und gefährSchleuserbanden fest im Griff lichsten in Nahost und Nordhatte. Und seine Vorauskom- afrika und es gibt mächtige mandos als Flüchtlinge getarnt Verbündete. Manche Analysten wie etwa Arik Agassi sprechen nach Europa schickte. sogar von einer “Iran-HamasRekrutierung aus Sahelzone ISIS-Achse”. Sie soll Teil der nimmt zu iranischen Strategie sein, um US-Analysten schätzten die Vormacht im Nahen Osten 2015/16 die Stärke des Daesh zu stärken, den US-Verbündein Libyen auf bis zu 6.500, fran- ten Ägypten zu schwächen, den zösische Geheimdienstinfor- ohnehin nur schwächelnden mationen sprachen sogar von Friedensprozess zwischen Isra10.000 Mann. Obwohl die Prä- el und Palästina zu unterhöhlen senz des Daesh bis zum Dezem- und Israel letztlich gar ganz zu ber 2016, vor allem im Raum zerstören. Neben den hunderten GranaSirte, stark zurückgedrängt werden konnte, kommt es stän- ten und Raketen, die vom Gazadig zu opferreichen Überfällen streifen aus auf Israel abgefeuund Anschlägen der Terrormi- ert werden, schlagen nunmehr liz. Dabei rekrutiert der Daesh auch Raketen des Daesh ein, wie zunehmend Söldner aus der aus israelischen MedienberichSahelzone und füllt damit sei- ten hervorgeht. Die Anschläge ne Bataillone wieder auf. Sei- auf ägyptische Polizei- und Mine aktuelle Stärke dort dürfte litärstationen nehmen deutlich bei etwa 1.000 Personen lie- zu und eskalieren. Seit Jahres-

beginn hat sich auch die Lage für die koptischen Christen in Ägypten drastisch verschlechtert. Zu erinnern ist vor allem an das Palm-Sonntag-Massaker, bei dem über 40 Gläubige starben. Und der gnadenlose Kampf des Daesh gegen die Christenheit und andere Ungläubige geht weiter: Insgesamt kamen in diesem Jahr schon über 100 ägyptische Christen ums Leben.

Serie TERRORZIELE (TEIL 15 Auf der Insel Mindanao, in Marawi und Umgebung, einst Heimat für 200.000 Muslime, tobt seit Mai ein blutiger Krieg gegen die philippinische Daesh-Provinz unter der Führung von Isnilon Hapilon, ehemals Anführer der brutalen Abu-Sayaf-Miliz. Gemeinsam mit ihm schworen auch die Gebrüder Maute, die eine kriminelle Gang führten, dem Kalifen die Treue und verbündeten sich mit Hapilon. Fast 500.000 Menschen mussten aus ihrer Heimat fliehen, rund 7.000 Menschen starben und Dutzende wurden als Geiseln genommen. In Deutschland besser bekannt wurde Hapilons Truppe durch die Geiselnahme eines deutschen Urlaubers, dessen Yacht aufgebracht und der später geköpft wurde. In einer groß angelegten militärischen Offensive stürmten phil-

die Inhaftierung eines Mitglieds mitbestraft.” Das gelte insbesondere für Kinder. Außerdem konstatierte er: “Längere Haftstrafen führen oft zu Trennungen und Scheidungen.” Um hier gegenzusteuern, seien im Strafvollzug des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes die Besuchsmöglichkeiten und -kapazitäten verbessert und erhöht worden. Ziel sei es, dass Inhaftierte ihre familiären Beziehungen so normal wie möglich führen könnten. Deshalb seien zum Beispiel auch Besuchsmöglichkeiten an Wochenenden und Feiertagen eingerichtet worden. Weitere Ideen für die familienorientierte Vollzugsgestaltung seien größere Besuchsräume für Untersuchungshäftlinge mit mehreren Kindern oder virtuelle Besuche für Angehörige.

Fokus auf Kontaktlosigkeit Auch Bestandteile einer opferbezogenen Vollzugsgestaltung, die nicht unumstritten sei, fänden sich in Gefängnissen, so Kubink. Dazu gehörten unter anderem die Schaffung von Opferinformationsansprüchen oder eine opferorientierte Rückfallprävention, zum Beispiel mithilfe von Empathie- oder Anti-Gewalt-Trainings. Bei all diesen Maßnahmen gehe es immer um einen tatsächlich stattfindenden Täter-Opfer-Ausgleich, stellte der Justizvollzugsbeauftragte klar. Und er forderte: “Der kontaktlose Täter-OpferAusgleich sollte weiter in den Fokus rücken.” Dem für einen effektiven Strafvollzug unbedingt erforderlichen Verhältnis zwischen Nähe und Distanz widmete sich schließlich Dr. Erik Koch aus dem Dresdner Justizministerium. Er unterstrich, dass bereits in der Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter Kompetenzen vermittelt werden müssten, um dieses Verhältnis zu wahren.

ippinische Truppen vor einigen Wochen die Stadt. Hapilon und Omarkhayam Maute konnten zwar getötet werden, doch Ersatzführer stehen ausreichend bereit, ihre Rolle zu übernehmen. Die Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF) haben ebenfalls dem Daesh-Kalifen die Treue geschworen und sind trotz militärischer Rückschläge unter der Führung von Imam Bongos weiter aktiv. Auch angesichts des ewigen Drogenkrieges und der jahrzehntelangen Vorgeschichte der Aufstände der muslimischen Bevölkerung (von der Moro National Liberation Front bis zur Moro Islamic Liberation Front) ist also kein Ende der gewalttätigen Aktionen des Daesh auf den Philippinen in Sicht. Weitere Daesh-Provinzen existieren in Algerien, Saudi-Arabien, Afghanistan und Pakistan, Russland und im Jemen. Daesh, der sogenannte “Islamische Staat”, ist vielleicht aus militärischer Sicht im “Syrak” vernichtet worden, er verfolgt aber einen weit längerfristigen Plan. Der Kalif hat seine Anhänger aufgerufen, sich zurückzuziehen, auszuharren und neu zu organisieren. Vor allem aber hat er Schläferzellen in die USA, nach Russland, in die Türkei und nach Europa entsandt, die den Auftrag haben, den Dschihad dort mit Lone-Actor- oder Mikrozellen-Anschlägen fortzuführen und neue Anhänger dafür zu gewinnen. Sie sollen also genau das zu tun, wozu der Sprecher des Daesh, Abu Muhammed alAdnani, aufrief. Der “Daesh 2.0” verfügt zudem über eine äußerst wirkungsvolle Waffe: Seine Präsenz in den Sozialen Medien und seine dahinter stehende PR-Maschine.


Innere Sicherheit

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es Weiteren werde deshalb mittlerweile ein neuer Sicherheitsbegriff verwendet. Bei diesem fielen Innere und Äußere Sicherheit zusammen, so Maaßen auf der diesjährigen Nachrichtendienst-Konferenz des Behörden Spiegel in Berlin. Zudem berichtete der BfVPräsident, dass nahezu alle Themen, die für seine Behörde relevant seien, transnationalen Charakter hätten. Das gelte besonders für den Cyber-Raum. Dieser sei außerdem grenzenlos und entziehe sich schon per se der Unterscheidung zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit. Angesichts dessen forderte er: “Es braucht zeitgemäße Schutzschilde.”

Dienste müssen stärker kooperieren Zudem käme es zwischen den Nachrichtendiensten des Bundes darauf an, untereinander Synergien zu nutzen, Erkenntnisse zu teilen und gemeinsame Datenbanken zu verwenden. Letzteres ist bisher nur mit europäischen Nachrichtendiens-

Verlangte “zeitgemäße Schutzschilde” angesichts der nicht mehr vorhandenen Trennung zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen.

Behörden Spiegel / November 2017

Neuer Sicherheitsbegriff notwendig Innere und Äußere Sicherheit verschmelzen zunehmend (BS/Marco Feldmann) Die Globalisierung und die Entwicklungen im digitalen Raum führen dazu, dass sich Sphären, die früher klar voneinander zu unterscheiden waren, immer mehr vermischen. Das spüren auch die deutschen Nachrichtendienste. Sie müssen heutzutage viel stärker bereits im Bereich der Vorfeldaufklärung und Gefahreneinschätzung tätig werden. Denn: “Außenpolitik ist heute auch Weltinnenpolitik.” Und: “Außenpolitische Krisen bestimmen die innenpolitische Agenda inzwischen mit”, konstatierte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Dr. Hans- Georg Maaßen. Aufgrund dieser Interdependenz sei inzwischen eine eindeutige Trennung zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit unmöglich. ten gestattet. Bundesnachrichtendienst (BND) und BfV dürfen hingegen derzeit noch keine gemeinsamen Projektdateien errichten. Allgemeines Ziel der Dienste müsse es laut Maaßen dabei sein, vor die Lage zu kommen. Dafür reiche eine rein quantitative Neuausrichtung der deutschen Sicherheitsarchitektur jedoch nicht mehr aus. Es müssten vielmehr auch qualitative Reformschritte unternommen werden, verlangte der BfV-Chef. Die Bedeutsamkeit einer reibungslosen Kooperation zwischen BfV und BND sowie einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen diesen beiden Diensten unterstrich wiederum der Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, KlausDieter Fritsche. Er konstatierte: “Der internationale Terrorismus stellt für die Zusammenarbeit der deutschen Nachrichtendienste immer wieder eine neue Herausforderung dar. Und der Staatssekretär im Bundeskanzleramt verlangte: “Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss ohne Zeitverzug über aus dem Ausland drohende Terrorgefahren informiert werden.” Dafür brauche es eine enge Verzahnung, etwa durch gegenseitige Kurzhospitationen, und eine Vernetzung der IT-Strukturen der unterschiedlichen Behörden. Des Weiteren sei vorgesehen, in Zukunft den Personalaustausch zwischen BfV und

ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass es an gemeinsamen Standards der Informationsbeschaffung fehlt und die Qualität der gewonnenen Informationen je nach Nachrichtendienst sehr unterschiedlich ist.

Kontrolle nicht immer einfach

Debattierten über die parlamentarische Kontrolle von Nachrichtendiensten (v.l.n.r.): Uli Grötsch (SPD), Dr. André Hahn (Die Linke), Dr. August Hanning (Moderator) und Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU). Der Linken-Abgeordnete kritisierte dabei, dass in diesem Bereich in den letzten Jahren oftmals geltendes Recht gebrochen worden wäre. Der Christdemokrat wiederum warnte davor, parlamentarische Kontrolle mit der exekutiven Dienst- und Fachaufsicht der jeweils zuständigen Bundesressorts zu verwechseln. Foto: BS/Feldmann

BND zu intensivieren und “Joint Teams” einzurichten, berichtete Fritsche.

Investitionen notwendig Ebenfalls für eine intensivere Zusammenarbeit plädierte Gilles de Kerchove, Koordinator der Europäischen Union für die Terrorismusbekämpfung. Er verlangte, dass die nationalen Nachrichtendienste ein Netzwerk bilden sollten, dessen Mitglieder der Europäischen Kommission mitteilen könnten, welche Technik sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Dies würde eine gezielte Finanzierung durch die EU ermöglichen,

zeigte er sich überzeugt. Denn eines sei klar: “Wir müssen in die Nachrichtendienste investieren.” Darüber hinaus sprach sich de Kerchove dafür aus, den Nachrichtendiensten den Zugang zu Metadaten zu ermöglichen. Zugleich appellierte er an die Dienste selbst, ihre Informationsanalyse zu verbessern und verstärkt Verbindungsbeamte zur europäischen Polizeiagentur Europol im niederländischen Den Haag zu entsenden. Von dieser Möglichkeit würden bisher nämlich nur fünf Nachrichtendienste Gebrauch machen, kritisierte der Belgier. Problematisch

Zuspruch erhielt de Kerchove für seine Forderung nach mehr Kooperation zwischen den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben von Pierre Saint Hilaire. Der Sonderbeauftragte der internationalen Polizeiorganisation Interpol bei der Europäischen Union forderte: “Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden müssen als Team agieren.” Dazu müssten Informationen besser miteinander geteilt und in den einzelnen Behörden effektiver verteilt werden. Des Weiteren dürfe es “mit der Geheimhaltung nicht übertrieben werden”. Hier gibt es in Deutschland offenbar aber noch deutlichen Verbesserungsbedarf. Denn: Selbst die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) im Deutschen Bundestag würden nachrichtendienstlich relevante Sachverhalte oftmals erst aus Presseberichten erfahren. Das bemängelten jedenfalls die Bundestagsabgeordneten Uli Grötsch (SPD) und Dr. André Hahn (Die Linke). Deshalb verlangte der Sozialdemokrat auch: “Ich erwarte,

dass in der nun begonnenen Legislaturperiode das neue BNDGesetz und das reformierte Verfassungsschutzgesetz auch tatsächlich umgesetzt werden.” Und Hahn kritisierte, dass es eine Reihe von Problemen bei der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste gebe und in den letzten Jahren oftmals geltendes Recht gebrochen worden wäre. Der CDU-Abgeordnete Prof. Dr. Patrick Sensburg wiederum warnte davor, die parlamentarische Kontrolle der Dienste mit der Dienst- und Fachaufsicht durch die Exekutive zu verwechseln. Des Weiteren plädierte er aufgrund unterschiedlicher Tätigkeitsschwerpunkte für eine stärkere gesetzliche Trennung zwischen BfV und BND sowie für die Einrichtung eines Geheimdienstbeauftragten. Dieser solle Teil der Exekutive sein, der Bundesregierung über eventuelle Missstände berichten und unabhängig vom Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Arne Schlatmann, agieren.

Der Koordinator der Europäischen Union für die Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove, plädierte dafür, dass Nachrichtendienste auch Zugang zu Metadaten erhalten sollten.

Informationsaustausch verbessern

BND kooperiert mit 450 Diensten

Europol erhält bisher aber noch zu wenige Daten

Handlungsfähigkeit im digitalen Raum verbessern

(BS/mfe) Angesichts zunehmender grenzüberschreitender Bezüge und Zusammenhänge bei Straftaten müssten die nationalen Sicherheitsbehörden ihre gewonnen Informationen künftig besser untereinander austauschen. Dies könne jedoch nicht nur über die europäische Polizeiagentur Europol erfolgen, meint Irene Mihalic. Denn, so kritisiert die Innenexpertin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: Dieser Behörde würden zu wenige Nationen ihre Erkenntnisse zur Verfügung stellen.

(BS/mfe) Sicherheit im digitalen Raum ist schon lange keine reine Privatangelegenheit der Bürger mehr. Angesichts der Grenzenlosigkeit dieses Bereichs ist sein Schutz mittlerweile zu einer öffentlichen Aufgabe geworden. Dabei gibt es allerdings ein Problem: Die Cyber-Sicherheit muss immer wieder neu erkämpft werden und ist zunehmend schwieriger aufrechtzuerhalten.

Zudem plädiert die ausgebildete Polizeibeamtin für einen effektiveren Informationsaustausch auch zwischen den Polizeien der deutschen Bundesländer. Schließlich müsse am Ende in jedem Fall tatsächlich ermittelt werden. Und dafür sei neben einem wirksamen Erkenntnisaustausch noch etwas sehr wichtig: Der direkte Kontakt zwischen Polizei und Bürgern. Des Weiteren zeigte sie sich auf dem zweiten Grünen Polizeikongress in München überzeugt: “Digitales ist für die Polizei heutzutage Arbeitsmittel und Tatumfeld zugleich.” Aus diesem Grunde präge die Datenverarbeitung schon heute den polizeilichen Alltag massiv, so die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag auf der von ihrer Amtskollegin im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, organisierten Veranstaltung in München.

Polizei hat Rekrutierungsproblem Ähnlich äußerte sich die Vizepräsidentin des bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA). Petra Sandles unterstrich: “IT hat uns weltweit im Griff.” Zugleich gab sie jedoch auch zu, dass die Polizei große Probleme habe, eine ausreichende Zahl an Spezialisten für dieses Sachgebiet zu gewinnen. Und Sandles gestand ein, dass die Polizei sich noch nicht vollständig auf alle neuen Kriminalitätsphänomene habe einstellen können.

te sich wiederum Oliver Weiß, Leiter des Cybercrime-Dezernats im bayerischen Landeskriminalamt. Dazu gehörten seines Erachtens unter anderem Ermittlungen im Darknet, die anwachsende Verbindung von Alltagsgegenständen mit dem digitalen Raum (“Internet of Things”) sowie die Kryptografie. Als weitere Herausforderungen identifizierte der Kriminaldirektor dezentrale kryptografische Währungen wie Bitcoin und die Bewältigung großer Datenmengen (“Big Data”).

Veranstaltete zum zweiten Mal den Grünen Polizeikongress: Katharina Schulze. Thema der Verastaltung war der (grenzüberschreitende) Austausch von Ermittlungserkenntnissen. Foto: BS/Feldmann

In diesem Zusammenhang lobte sie den Informationsaustausch über Europol, verlangte aber auch: “Europa muss über die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hinaus gedacht werden.” Und sie bemängelte, dass es zwar einen internationalen Austausch von DNA-Spuren gebe. Aber selbst wenn es dabei einen Treffer gebe, erfahre die anfragende nationale Polizeibehörde nur diese Tatsache. Weitere Details müssten dann über Rechtshilfeersuchen in Erfahrung gebracht werden. Den Problemen von Polizei und Staatsanwaltschaft im Bereich der Internetkriminalität widme-

Immer mehr Fälle mit Auslandsbezug Zustimmung für diese Feststellung erhielt Weiß vom Leiter der Zentralstelle Cybercrime Bayern, Oberstaatsanwalt Lukas Knorr. Dieser betonte, dass insbesondere der Bereich der Kryptografie sowie das Darknet für die Strafverfolger große Herausforderungen darstellten. Problematisch seien darüber hinaus Großverfahren mit Tausenden Opfern sowie Fällen, in denen große Datenbestände analysiert werden müssten. Und noch etwas bereite ihm Sorge, so der Jurist, dessen Dienststelle bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg ist: die zunehmende Zahl der Fälle mit Auslandsbezug sowie jene Sachverhalte, bei denen es um kinderpornografische Inhalte gehe. Außerdem konstatierte Knorr, dass er Cybercrime als ein internationales Phänomen sehe.

Darauf machte der Vizepräsident für militärische Angelegenheiten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Generalmajor Werner Sczesny, aufmerksam. Und er forderte, weil sich die Digitalisierung nicht aufhalten lasse: “Wir müssen angesichts der aktuellen Sicherheitslage im Cyber-Bereich handlungsfähiger werden.” Dazu müssten möglichst umfassende Netzwerke gebildet werden, unterstrich er auf der fünften Nachrichtendienst-Konferenz des Behörden Spiegel in Berlin. Der BND sei hier schon recht weit. Er kooperiere mit rund 450 anderen Nachrichtendiensten weltweit. Mit vielen von ihnen arbeite er auch in der Vorfeldaufklärung zusammen. Zudem berichtete er: “Wir stehen in einem ständigen Austausch mit den Innenbehörden.” Gleichwohl räumte Sczesny insbesondere mit Blick auf den Bereich der Cyber-Sicherheit aber auch ein: “Nachrichtendienste können aufgrund ihrer Arbeitsweisen und ihres gesetzlichen Auftrags oftmals keine gerichtsfesten Beweise liefern.” Ungeachtet dessen machte der Generalmajor deutlich: “Unser Anspruch ist es, schneller zu werden. Und wir bitten darum, auch schneller werden zu dürfen.” Als Auslandsnachrichtendienst beobachte der BND, wie staatliche Akteure – und hier vor allem ausländische Nachrichtendienste – Einfluss auf international agierende Hackergruppen nähmen. Zudem

Plädierte für eine enge Netzwerkbildung zur Aufrechterhaltung der Cyber-Sicherheit: BND-Vizepräsident Werner Sczesny. Foto: BS/Feldmann

arbeite der BND an speziellen Paketfiltern, die den Aufbau von Angriffen auf deutsche Infrastrukturen detektierten. Im Idealfall gelänge es, die Inlandsbehörden frühzeitig vor CyberAttacken zu warnen, so Sczesny.

ZITiS ohne Eingriffsrechte Ebenfalls dem Bereich Cyber widmete sich Wilfried Karl, Präsident der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS). Er erläuterte, dass seine Einrichtung mit Sitz in München Bestandteil der deutschen Cyber-Sicherheitsstrategie sei und die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bei deren Aufgabenerfüllung unterstützen solle. Für Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz

und Bundespolizei fungiere ZITiS dabei als Dienstleister, ohne über eigene operative Befugnisse zu verfügen. Als zentrale Aufgabenbereiche seiner Organisation stellte Karl, der ein enges Anlehnen der ZITiS-Arbeit an die Wünsche der Bedarfsträger versprach, in diesem Zusammenhang die digitale Forensik, den Umgang mit großen Datenmengen, die Kryptoanalyse sowie die Telekommunikationsüberwachung heraus. Die Arbeit einer Dienstleistungsbehörde, dieses Mal allerdings nicht im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums, sondern in jenem des Bundeswirtschaftsministeriums, präsentierte schließlich Andreas Obersteller. Der Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) berichtete dabei, dass seine Behörde im vergangenen Jahr von rund 52.000 Anträgen der Ausfuhrkontrolle 90 Prozent autonom entschieden habe. Die übrigen, bei denen es vor allem um den Export von Kriegswaffen ging, seien den zuständigen Ressorts beziehungsweise dem Bundessicherheitsrat vorgelegt worden. Darüber hinaus erläuterte Obersteller, dass sein Amt bei seiner Aufgabenwahrnehmung auch eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem BND zusammenarbeite. Schließlich komme es entscheidend darauf an, dass die Sicherheit nicht durch konventionelle Waffen oder Massenvernichtungswaffen bedroht werde.


Innere Sicherheit / GSG 9

Behörden Spiegel / November 2017

Seite 47

Der Terror verändert sich

Sichere Kommunikation

Spezialeinheiten müssen sich an neue Lagen anpassen

Z1p von Hytera besteht in kritischen Einsatzsituationen

(BS/R. Uwe Proll/Marco Feldmann) Terroristische Handlungsmuster sind heute andere. Mittlerweile sind die Attentäter von vorneherein zum Ster- (BS/Bettina Francke*) Im Notfall und in Katastrophensituationen kommt ben bereit und instrumentalisieren auch Kinder für ihre Anschläge. Ihre Opfer sind nicht wie früher öffentlich bekannte Persönlichkeiten, sondern es darauf an, dass bei den Einsatzkräften jeder Handgriff sitzt – und jedermann. Und ihre Werkzeuge sind mittlerweile Alltagsgegenstände. dass vor allem die Kommunikation aller Beteiligten reibungslos und verlässlich funktioniert. Deshalb ist ein leistungsstarkes Funksystem, Sprengsatz nötig würde. Über das hohen Belastungen und Anforderungen mühelos gewachsen ist, die Das erfordert eine veränder- oder den Generalbundesanwalt diese Fähigkeit verfügen welt- unerlässliche Basis für schnelle Hilfe und effizientes Handeln. Hytera te Ausbildung, Strategie und eine Unterordnung unter den weit bisher nämlich nur wenige Mobilfunk ist auf diesem Gebiet ein starker und kompetenter Partner. Ausrüstung der polizeilichen jeweiligen Rechtsrahmen der Spezialeinheiten, darunter die Weltweit. Spezialeinheiten. Auch die anfordernden Stelle stattfinden GSG 9 sei davon nicht ausgenommen, erklärte kürzlich der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dr. Dieter Romann. Und die Bundespolizei hat bereits gehandelt. Um die Schlagkraft und Verfügbarkeit der Anti-Terror-Spezialkräfte in Zukunft zu optimieren, wurde die neue Direktion 11 in Berlin eingerichtet. Dort sind neben der GSG 9 der Flugdienst, die Flugsicherheitsbegleiter, die Kräfte des Personenschutzes Ausland und das Entschärferwesen ressortiert. Ziel ist es, die Krisen- und Reaktionsfähigkeit der Bundespolizei zu erhöhen und die Bewältigung komplexer Lagen zu professionalisieren. Ungeachtet dessen sollen die einzelnen Kräfte auch modular abrufbar sein. Dabei gilt laut Romann, dass bei Abruf der Kräfte der Direktion 11 durch Bundesländer, das Bundeskriminalamt

müsse, um jegliche Reibungsverluste auszuschließen.

GSG 9. Was das Personal der zusätzlichen Einheit betrifft, ist davon auszugehen, dass dieses größtenteils neu rekrutiert werden muss.

GSG 9 erhält CBRN-Experten Zudem wies der Präsident des Potsdamer Bundespolizeipräsidiums darauf hin, dass die GSG 9 eine vierte Einsatzeinheit erhalten soll. Deren Kräfte, die in Blumberg bei Berlin untergebracht werden, sollen zum einen eine ständige Hauptstadtrepräsentanz der AntiTerror-Einheit sicherstellen. Bisher müssen die Beamten bei besonderen Anlässen noch aus Hangelar bei Bonn eingeflogen werden. Zum anderen sollen sich die Elitepolizisten der vierten Einsatzeinheit auf CBRNSzenarien spezialisieren. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Terrorlagen, bei denen ein Attentäter im Umfeld einer schmutzigen Bombe festgenommen und wo im Vorfeld Strahlenbelastungsmessungen

Überlegungen gehen weiter

Der Behörden Spiegel hat eine neue Sonderpublikation zur GSG 9 herausgebracht. Anlass ist das 40-jährige Jubiläum der Befreiung der Lufthansa-Maschine “Landshut” durch die Anti-Terror-Einheit. Grafik: BS/Cornelia Liesegang

vorgenommen werden müssen. Außerdem wäre ein Einsatz dieser Experten denkbar, wenn die Abtrennung einer radioaktiven Beiladung von einem weiteren

Mit der Errichtung einer vierten GSG-9-Einsatzeinheit dürften die Überlegungen zur Zukunftsfähigkeit der AntiTerror-Einheit allerdings noch nicht abgeschlossen sein. Angesichts der neuen Bedrohungslage dürfte auch über die Bildung regionaler Schwerpunkte sowie die räumliche Verlegung einzelner GSG-9-Komponenten nachgedacht werden. Die Broschüre “GSG 9 – Im Einsatz bewährt” kann zum Preis von fünf Euro (zuzüglich zwei Euro Versandkosten) beim Verlag bestellt werden. Dafür genügt eine E-Mail an verlag@ behoerdenspiegel.de.

Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung GSG-9-Angehörige müssen sich absolut aufeinander verlassen können (BS/rup/mfe) Er war der erste Kommandeur der GSG 9 und führte den Einsatz zur Befreiung der “Landshut”: Ulrich Wegener. Noch heute ist er eng mit der Spezialeinheit verbunden und will auf ein Charakteristikum der GSG 9 keineswegs verzichten: den engen Zusammenhalt ihrer Mitglieder. Diese Eigenschaft, die durchaus auch als Kameradschaft bezeichnet werden könne, sei in einer Einheit wie der GSG 9 oder anderen Spezialeinheiten wesentlich. “Das kann durch nichts anderes ersetzt werden”, zeigt sich Wegener überzeugt. Zudem konstatiert er: “Sie brauchen Befehlshaber, die wirklich mitmachen.” Er selbst habe sich nie vor Einsätzen gedrückt, erzählt der erste GSG-9-Kommandeur nicht ohne Stolz. Darüber hinaus sagt er über seine Amtszeit als Chef der Spezialeinheit der Bundespolizei, die damals noch Bundesgrenzschutz hieß: “Ich habe immer größten Wert darauf gelegt, dass ich mich auf jeden meiner Männer zu 100 Prozent verlassen konnte.” Wenn einer von ihnen sich nicht ausreichend auf einen Einsatz vorbereitet habe, sei

das im Nachgang deutlich angesprochen worden. “Dann habe ich demjenigen gesagt: Was du abgeliefert hast, das war nichts. Ich erwarte von dir, dass du dich beim nächsten Mal wieder ordentlich vorbereitest.”

Weiterhin großes Interesse an der Truppe Selbst heute noch gelte für ihn: “Ich bin natürlich weiterhin begierig zu hören, wie heute der Stand ist, auch wenn ich weiß, dass das inzwischen manchmal etwas schwierig.” Eine aktuelle Entwicklung sieht der erste GSG-9-Kommandeur mit Sorge. Er hält es für den falschen Weg, polizeiliche Sondereinheiten, die zur Terrorismusbekämpfung geschaffen wurden, zunehmend in den polizeilichen Alltag einzubinden. Was die GSG 9 angehe, sei es bisher allerdings gelun-

gen, sie ausschließlich bei außergewöhnlichen Bedrohungslagen, “bei denen wir wissen, mit wem wir es zu tun haben”, zum Einsatz kommen zu lassen. Gleiches gelte für Lagen, bei denen es auf “ganz besondere Fähigkeiten, die nur wir haben”, ankomme.”

Spezielle Bewaffnung erforderlich Auch was die Bewaffnung angehe, gelte weiterhin: “Wir sind immer stur gewesen und haben uns damit durchgesetzt, dass wir spezielle Waffen benötigen”, berichtet Wegener, der vor seiner Verwendung bei der GSG 9 bei der Nato in Rom tätig war. Alles andere sei “nicht der Sinn der Sache”. Des Weiteren sei es “völlig unmöglich, dass wir uns mit nicht aktuellen Führungs- und Einsatzmitteln bescheiden”.

Denn eines sei äußerst wichtig. “Die GSG 9 muss immer auf dem aktuellsten Stand der Technik sein”, verlangt Wegener. Und dann erzählt er von seinen Erlebnissen bei der “Landshut”Befreiung in Mogadischu. So habe er aufgrund seiner guten Beziehungen nach Israel zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Jerusalemer Regierung mäßigend auf einen Funker in ihrem Land eingewirkt habe. Dieser hatte den Funkverkehr abgehört, so von der Entführung Kenntnis erlangt und darüber an israelische Zeitungen berichtet.

Kontakte spielen lassen Ebenso habe er dazu beigetragen, dass seine Einheit nach der Stürmung der Maschine rasch aus Somalia nach Deutschland zurückfliegen konnte.

Atlas-Verbund weiterentwickeln Netzwerk will sich enger an Europol binden (BS/mfe) Bisher ist er nur ein informelles Netzwerk der polizeilichen Spezialeinheiten von 36 Staaten aus der Europäischen Union sowie weiteren assoziierten Nationen: der Atlas-Verbund. Aber das könnte sich in Zukunft ändern. Zumindest, wenn es nach dem derzeitigen Präsidenten des Zusammenschlusses, Bernhard Treibenreif, geht. Er plädiert dafür, den Atlas-Verbund aus der Generaldirektion Migration und Inneres der EUKommission herauszulösen und eine nähere Anbindung an die Polizeiagentur der Europäischen Union, Europol, zu prüfen. Treibenreif sagt: “Es ist noch nicht ganz klar, ob wir eine Unterorganisation von Europol werden. Schließlich ist es uns sehr wichtig, eigenständig zu bleiben.”

Budgeterhöhung für Verbund ist ein Ziel “Auch die Einsatzentscheidungen sollen weiterhin von den jeweiligen Kommandanten in den Mitgliedsstaaten gefällt werden.” In der Generaldirektion der Kommission sei man jedoch nur eines von rund 30 informellen Netzwerken und deutlich unterrepräsentiert, kritisiert der Direktor der österreichischen Anti-Terror-Einheit Cobra. Ein weiteres Reformvorhaben sei

Bernhard Treibenreif ist Direktor der österreichischen Anti-Terror-Einheit EINSATZKOMMANDO Cobra / Direktion für Spezialeinheiten. Zudem ist er derzeit Präsident des Atlas-Verbundes, der aus 36 Spezialeinheiten besteht. Foto: BS/Eko Cobra, DSE

das Abrücken von der jährlichen Budgetplanung des Verbundes hin zu einem längerfristigen Ansatz, berichtet Treibenreif. Ebenso setzt er sich für eine Erhöhung der finanziellen Leistungen an den Verbund ein, dem auch die deutsche GSG 9 angehört. Das

erhöhe den Spielraum des informellen Netzwerkes, ist der Österreicher überzeugt. Im Übrigen lobt Treibenreif die Zusammenarbeit zwischen seiner Cobra und der GSG 9, wie sie zuletzt unter anderem beim Amoklauf von München praktiziert wurde. Er unterstreicht: “Nicht nur über den Atlas-Verbund existieren zu den deutschen Kollegen bereits lange Zeit sehr enge und vertrauensvolle Kontakte. Wir arbeiten mit der GSG 9 auch im Rahmen bilateraler Polizeiverträge zusammen, etwa bei Geiselnahmen oder grenzüberschreitenden Fahndungsmaßnahmen.”

Waffennutzung nur eingeschränkt möglich Dabei liege die Einsatzführung und Entscheidungsgewalt grundsätzlich bei den Verantwortlichen des Landes, in dem der Einsatz stattfinde. Das habe

zur Folge, dass die Cobra-Kräfte bei Lagen in der Bundesrepublik die Anweisungen eines deutschen Polizeiführers zu befolgen hätten und GSG-9-Beamte bei Anforderungen durch die Alpenrepublik dem dortigen Polizeirecht unterlägen. Es gebe nur eine Ausnahme, erklärt Treibenreif: “Das polizeiliche Waffengebrauchsrecht ist in den einschlägigen Polizeiverträgen für solche Assistenzfälle auf das Notwehrrecht zur Verteidigung eines Menschen beschränkt.” Zur Bedeutsamkeit der 40 Jahre zurückliegenden Befreiung der Lufthansa-Maschine “Landshut” hat der Kommandant von EINSATZKOMMANDO Cobra / Direktion für Spzeialeinheiten schlussendlich eine eindeutige Meinung: “Dieses Ereignis ist über Deutschland hinausgehend identitätsstiftend für Spezialeinheiten und keineswegs nur Historie.”

Die Experten für Professionellen Mobilfunk aus Bad Münder entwickeln für ihre Kunden individuell abgestimmte, autarke und abhörsichere Funksysteme mit hoher Ausfallsicherheit und Stabilität. Denn darauf kommt es im Notfall ganz besonders an: Wenn alle Verbindungen abbrechen – die Kommunikation von Polizei, Rettungskräften und Feuerwehr muss auch in den widrigsten Umständen funktionieren und jederzeit flexibel anpassbar sein. Hytera Mobilfunk hat die passenden Lösungen dafür und bietet eine sichere und gute Übertragung von Sprache und Daten in jeder Situation.

Großes Spektrum vorhanden Dabei spielt die Größe des Systems keine Rolle. Das Unternehmen entwickelt sowohl kleine Lösungen als auch landesweite Funknetze mit mehr als 500 Basisstationen. Die Kunden profitieren dabei von der Erfahrung einer weltweit anerkannten Marke. “Unsere Funksysteme beweisen ihre Stärke, Qualität und Zuverlässigkeit vor Ort. Wir sind stolz, dass wir deshalb weltweit großes Vertrauen genießen”, sagt Frank Pauer, Deputy CSO bei Hytera Mobilfunk. So setzen beispielsweise die Niederlande auf eine neue Funklösung aus Bad Münder. Hytera Mobilfunk hat 2015 den Zuschlag zur Erneuerung des landesweiten TETRA-Funknetzes erhalten, das gemeinsame Kommunikationssystem für alle Sicherheits- und Rettungsdienste vor Ort. “Wir freuen uns, das Projekt in vertrauensvoller Partnerschaft mit dem niederländischen Ministerium für Sicherheit und Justiz zu realisieren”, erläutert Matthias Klausing, CEO und Präsident von Hytera Mobilfunk.

Auch hochwertige Endgeräte verfügbar Wie groß das Spektrum für Professionellen Mobilfunk im Bereich Public Safety von Hytera ist, macht ein anderes Beispiel deutlich: Auf der anderen Seite der Erde entsteht aktuell ein TETRA-System in der peruanisches Provinzhauptstadt Puno. Das Funknetz wird dort künftig dazu beitragen, die öffentliche Sicherheit in der Stadt zu erhöhen. Unter anderem werden auch Hand- und Fahrzeugfunkgeräte aus dem Hause Hytera verwendet. Denn die Hytera Mobilfunk GmbH bietet als Teil eines globalen Konzerns nicht nur individuelle Funklösungen sondern auch hochwertige Endgeräte (für die Funkstandards DMR, TETRA, LTE und für Analogfunk). Eine große Lieferung an Hytera-TETRA-Funkgeräten geht derzeit nach Bulgarien: Das Innenministerium stattet seine Grenzpolizei neu aus und hat sich für knapp 4.000 PT580H Plus-Handfunkgeräte und rund 600 Fahrzeugfunkgeräte vom Typ MT680 Plus samt Zubehör entschieden. Damit haben sich

Das Z1p vereint alle wichtigen Eigenschaften eines guten Funkgeräts im kritischen Einsatz. Foto: BS/Hytera Mobilfunk GmbH

die Mobilfunkexperten aus Bad Münder in Kooperation mit ihrem bulgarischen Partner erneut bei der Vergabe eines Auftrages im Bereich der öffentlichen Sicherheit gegen die Konkurrenz durchsetzen können.

Z1p – bewährt in Europa Alle wichtigen Eigenschaften, die ein gutes Funkgerät im kritischen Einsatz braucht, vereint auch das Z1p von Hytera. Deshalb ist dieses hochwertige TETRA-Handfunkgerät bereits in zahlreichen europäischen Funknetzen für den Bereich öffentliche Sicherheit zugelassen, unter anderem in Norwegen, Schweden, Spanien, Italien, den Niederlanden, Polen, Serbien, Mazedonien, Bulgarien, Dänemark und Portugal. “Das Z1p ist mit jeder Menge Funktionen ausgestattet und verfügt über eine intuitiv bedienbare Benutzeroberfläche und eine versteckte Notruftaste für den stillen Betrieb”, zeigt Hytera-Produktmanager Hans van der Velden die Vorteile auf. *Bettina Francke ist im Marketing der Hytera Mobilfunk GmbH tätig.

Hytera Mobilfunk Die Hytera Mobilfunk GmbH ist Teil des Hytera-Konzerns und gehört weltweit zu den führenden Herstellern von hochwertigen TETRA-, DMR-, LTE-, Analog- Funksystemen und Endgeräten. Der HyteraKonzern verfügt über ein weltweites Netz von 60 Niederlassungen und Filialen auf allen Kontinenten, mit insgesamt über 7.000 Mitarbeitern. Der Standort in Deutschland entwickelt seit über 35 Jahren die Zukunft des Professionellen Mobilfunks und realisiert maßgeschneiderte Lösungen.

MELDUNG

Hells-Angels-Charter verboten (BS/mfe) Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hat den Rockerverein “Hells Angels MC Concrete City” sowie die Teilorganisation “Clan 81 Germany” verboten und aufgelöst. Zweck und Tätigkeit des

Rockerklubs und seiner Unterstützer verstießen gegen die Strafgesetze. “Die Hells Angels versuchen, Macht- und Gebietsansprüche aggressiv gegen verfeindete Klubs durchzusetzen”, erläuterte der Ressortchef.


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

Seite 48

Behörden Spiegel / November 2017

Lückenlose Lieferkette gefordert

Bevölkerungsschutz im Fokus

Polizeibehörden tun noch zu wenig gegen Zigarettenschmuggel

Junge Wissenschaftler werden ausgezeichnet

(BS/mfe) Im vergangenen Jahr wurden allein in Deutschland rund 4,8 Milliarden Zigaretten illegal gehandelt. Dies führte zu einem Steuerausfall (BS/ab) “Die Hanno-Peter-Preise werden jungen Wissenschaftlern für in Höhe von mindestens 1,1 Milliarden Euro. Angesichts dieser Dimensionen verwundert es folglich nicht, dass Experten Alarm schlagen und ihre interessanten Forschungen zum Bevölkerungsschutz überreicht”, Verbesserungen anmahnen. mit diesen Worten eröffnete Prof. Dr. med. Leo Latasch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin e.V. (DGKM), die So fordert der ehemalige Nachschub werde heutzutadiesjährige Preisverleihung. Polizeidirektor Hans-Joachim Kensbock-Rieso: “Bei Zigaretten und Medikamenten muss es eine lückenlose Lieferkette geben.” Zudem warnte er: “Der Terrorismus finanziert sich auch aus dem Zigarettenschmuggel.” Des Weiteren berichtete KensbockRieso, dass der illegale Zigarettenhandel beziehungsweise -schmuggel große Gewinnspannen mit sich brächte und dieser Bereich oftmals Strukturen der Organisierten Kriminalität aufweise. Zugleich unterstrich er:

ge vielmehr aus sogenannten “Bunkern” heraus an sie geliefert. Dabei würden alle Aufgaben – mit Ausnahme der Bereitstellung der “Bunker”, bei denen es sich in der Regel um Wohnungen sozial schwächerer deutscher Staatsbürger handele – von Vietnamesen selbst wahrgenommen. Die Lieferfahrten nach Berlin wiederum starteten in Polen und würden auch von dortigen Staatsbürgern durchgeführt. Dabei seien immer mindestens

Den ersten Preis erhielt Dr.-Ing. Florian Brauner von der Bergischen Universität Wuppertal. Er widmete sich dem Schutz des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Zeiten des Terrorismus. Auf dieser Basis erforschte Brauner das Szenario des Kofferbombenattentats auf dem Bahngleis. Hierfür entwickelte er Entscheidungshilfen für die 600 Unternehmen und Kommunen, die den ÖPNV betreiben.

Ernüchterndes Resultat Gregor Ott von der “Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Zigaretten” berichtete, dass im Bereich des illegalen Glimmstängelhandels in Berlin fast ausschließlich vietnamesische Staatsbürger aktiv seien. Außerdem erläuterte er die Arbeitsweise der Lieferanten. Fotos: BS/Feldmann

nicht aus Berlin verdrängen können.” Seine Kollegen und er könnten zwar der Lieferschiene wehtun, aber nicht die Organisierte Kriminalität aus der Bundeshauptstadt verdrängen.

Täter sind Opportunisten

Kritisierte, dass sich die Polizei kaum um Zigarettenschmuggel kümmere: Hans-Joachim Kensbock-Rieso.

“Deutschland ist ein großes Ziel des illegalen Zigarettenhandels in Europa.” Dabei kämen die Glimmstängel insbesondere aus Polen, der Ukraine oder Weißrussland. Obwohl dies bekannt sei, kritisierte der ehemalige Polizeibeamte aus NordrheinWestfalen die Untätigkeit vieler seiner früheren Kollegen. Kensbock-Rieso bemängelte: “Die Polizei kümmert sich nicht um den Zigarettenschmuggel.” Es gebe nur eine Ausnahme: Die bereits seit 1999 existierende “Gemeinsame Ermittlungsgruppe Zigaretten” (GE Zig) von Berliner Polizei und dem Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg.

Rein vietnamesische Netzwerke Deren Arbeit präsentierte Gregor Ott auf einem Führungskräfte Forum des Behörden Spiegel in Berlin. Dabei berichtete er, dass die vietnamesischen Händler in der Bundeshauptstadt die Glimmstängel mittlerweile aus Plastiktüten heraus stangenweise verkaufen würden. Sie hätten auch nicht mehr – wie es früher einmal der Fall gewesen sei – größere Vorräte an Zigaretten direkt an ihren Verkaufsplätzen. Der

zwei, teilweise auch drei Fahrzeuge mit gefälschten Kennzeichen unterwegs, erläuterte Ott. Bei einem von ihnen handele es sich um den sogenannten “Piloten”. Dessen Lenker fahre vorweg und prüfe die Strecke mit seinem hochmotorisierten Fahrzeug auf Kontrollpunkte. Stelle er solche fest, informiere er den Fahrer des eigentlichen Lieferfahrzeugs und fordere diesen gegebenenfalls sogar auf, nach Polen zurückzukehren. Das eventuelle dritte Fahrzeug werde als Begleiter verwendet, ergänzte der Polizeibeamte.

Repression allein nicht ausreichend Grundsätzlich konstatierte Ott, dass es in Berlin verschiedene Muster des illegalen Zigarettenhandels gebe. Gegen diese versuche die GE Zig mit Strukturermittlungen vorzugehen. Dabei setze man auch auf Observationen und Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung. Zugleich räumte er aber auch ein, dass die Einheit nicht das gesamte Stadtgebiet kontrollieren könne. Und Ott gestand ein: “Über repressive Maßnahmen alleine werden wir den illegalen Zigarettenhandel

Ebenfalls auf die Vielschichtigkeit des illegalen Handels wies Thomas Franke vom “Forum Vernetzte Sicherheit” hin. Er unterstrich, dass derzeit insbesondere die AgrarchemieBranche von Plagiaten und Produktfälschungen betroffen sei. Allgemein hielt er außerdem fest: “Es wird alles gefälscht, was gefälscht werden kann.” Dabei seien die Kriminellen Opportunisten und würden in jenen Feldern aktiv, in denen die Gewinne hoch und die Kontrolldichte gering sei. An die Teilnehmer appellierte Franke: “Im Kampf gegen Plagiate brauchen wir eine bessere Zusammenarbeit von Industrie, Handel und Behörden.” Insellösungen für einzelne Branchen würden die Realitäten global vernetzter Lieferketten verkennen. Und: “Nur durch Interoperabilität können alle Glieder einer Lieferkette effektiv geschützt werden.” Durch welche Ereignisse Lieferketten gestört werden können, erläuterte Prof. Julia Bendul von der RWTH Aachen. Dazu zählten unter anderem Naturkatastrophen, Krankheiten und Seuchen sowie politische und soziale Risiken. Deren individueller Einfluss ließe sich jedoch relativ genau bestimmen. Hier helfe ein von ihr entwickelter kostenloser und modular aufgebauter Quick-Check. Dieser zeige für

Zu dem Führungskräfte-Forum des Behörden Spiegel zur Lieferkettensicherheit in Berlin konnten rund 40 Teilnehmer begrüßt werden.

MELDUNG

Neue Streifenwagen für Nordrhein-Westfalen (BS/mfe) Im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen werden die Polizeibeamten ihre Streifen- und Einsatzfahrten in Zukunft in Fahrzeugen des Modells “Mercedes Vito” absolvieren. Die ersten elf Fahrzeuge,

die das bisherige Fabrikat VW T 5 sukzessive ablösen werden, wurden bereits am Standort des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg übergeben. Sie gehen an Dienststellen in Gelsenkirchen, Köln, Wesel, Bielefeld, Viersen,

Mettmann, Münster, Düsseldorf und Dortmund. Grund für die Auswahl dieser Standorte ist, dass die dort bislang genutzten VW-Busse am ältesten sind. Im kommenden Jahr sind mindestens 100 weitere Neufahrzeuge vorgesehen.

jede Lieferkette auf, welche Bedeutung etwa politische Instabilität, Korruption oder Terrorgefahr für sie hätten. Einen besseren Datenaustausch zwischen den einzelnen Sicherheitsbehörden – auch im Kampf gegen den illegalen Zigarettenhandel – verlangte schließlich Jens Duhme, BigData-Experte bei Atos. Außerdem wies er darauf hin, dass im Bereich der Analyse großer Datenmengen nicht nur die reine Datenmasse entscheidend sei, sondern es auch auf die Datenvielfalt, deren Aussagekraft und ihre Relevanz ankomme. Grundsätzlich zeigte sich Duhme dabei überzeugt: “Daten sind inzwischen der Dreh- und Angelpunkt jeder Lösung.”

Dr. med. Robert Wunderlich vom Universitätsklinikum Tübingen wurde Zweiter. An Universitäten soll die Katastrophenmedizin nach internationalen Vorgaben ausgebildet werden. Dies sei vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen Jahren 1,2 Millionen Menschen durch Katastrophen getötet wurden, von großer Bedeutung. Seine Arbeit untersucht, inwiefern sich die 37 deutschen Universitäten an entsprechende Vorgaben hielten. Aber das Ergebnis sei ernüchternd. Internationale Vorgaben für die Ausbildung in der Katastrophenmedizin würden nur in geringem Umfang eingeführt. Wobei dies ein internationales Phänomen sei und dringender Handlungsbedarf bestehe, betonte Wunderlich. Den dritten Preis erhielt Alexandra Nipko, die ihre Abschlussarbeit an der Hochschule für angewandte

Wissenschaften Hamburg verfasste. Sie untersuchte, wie die Einsatzkräfte sich bei einem Schadensereignis mit 1.000 Verletzten organisieren, reagieren und welche Ressourcen genutzt werden könnten. Dabei zeigte sich, dass es in der Praxis an vielem mangele. So sei oftmals zu wenig Personal wie Ärzte und Rettungskräfte verfügbar. Hinzu käme ein Mangel an Rettungswagen sowie Sichtungsausrüstung für die Feuerwehrkräfte. Diese könnten sonst ebenfalls Ersthilfemaßnahmen ergreifen. Selbst unter optimalen Bedingungen sei die volle Einsatzfähigkeit erst nach zwei Stunden gegeben, kritisierte Nipko.

Dr.-Ing. Florian Brauner wurde für seine Forschung zu Sicherheitsmaßnahmen des ÖPNV gegen Terroranschläge ausgezeichnet. Foto: BS/Giessen

Auf den Ernstfall vorbereitet sein Individuelle Lager- und Logistiklösungen für Persönliche Schutzausrüstung (BS/Pascal Rastoul*) Pest, EHEC oder Schweinegrippe – Pandemien gab es schon immer und wird es immer geben. Das Gefährliche: Sie können sich rasant ausbreiten, viele Opfer fordern und das öffentliche Leben komplett lahmlegen. Um ihre Auswirkungen so gering wie möglich zu halten, ist es wichtig, dass Behörden auf den Ernstfall vorbereitet sind. Im April 2009 stirbt in Mexiko eine 39-jährige Frau an einer schweren virusbedingten Lungenentzündung. Heute weiß man, dass sie das erste Todesopfer der Schweinegrippe war. In den folgenden Wochen breitet sich der neue Grippeerreger auf der ganzen Welt aus. Allein in Deutschland sterben 253 Menschen.

Pandemien stellen große Bedrohungen dar Pandemien sind eine der größten Bedrohungen der modernen Zivilisation. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland vorbereitet ist, wenn die nächste Epidemie kommt. Denn sicher ist: Sie kommt bestimmt. Deshalb haben Bund und Länder in den letzten Jahren umfangreiche Pandemiepläne entwickelt. Diese Planungen sind sehr wichtig, allerdings existiert mit Blick auf die Umsetzung ein großes Problem: die hohe Anzahl an benötigter Schutzausrüstung.

336 Millionen Atemmasken allein in Nordrhein-Westfalen Beispiel Nordrhein-Westfalen: Im Falle einer Pandemie sollen über 900.000 Menschen vom Staat geschützt werden – dazu gehören Polizisten, Feuerwehrmänner, Ärzte oder Busfahrer. Sie alle sorgen dafür, dass das öffentliche Leben nicht zusammenbricht. Sie zu schützen heißt, ihnen eine Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel bei Bedarf eine Atemschutzmaske. Jeder Einzelne benötigt jedoch nicht nur eine, sondern vier bis sechs Mas-

Im Falle von Pandemien müssen zahlreiche Atemschutzmasken bereitgestellt werden. 3M entwickelt in diesem Zusammenhang wirtschaftliche Lösungen, damit im Bedarfsfall genügend Material zur Verfügung steht. Foto: BS/3M

ken am Tag. Alleine für Nordrhein-Westfalen sind das vier bis sechs Millionen Masken täglich für circa sechs bis acht Wochen. So lange dauert laut der Weltgesundheitsorganisation WHO in der Regel die kritische Phase einer Pandemie.

3M bietet Unterstützung Diese Mengen stellen Behörden vor eine riesige Herausforderung. Denn im Ernstfall steigt der Bedarf viel schneller, als die Industrie liefern kann. So war die tägliche Anfrage bei der sogenannten Schweinegrippe um ein 20-Faches höher als die Produktionsleistung. Hinzu kommt, dass Schutzausrüstungen nur eine beschränkte Zeit gelagert werden können. Eine Atemschutzmaske ist zum Beispiel schon nach rund fünf Jahren nicht mehr einsetzbar.

Der Multitechnologiekonzern 3M entwickelt deshalb jetzt neue wirtschaftliche Lösungen, die im Bedarfsfall garantieren, dass ausreichend einsetzbare Schutzausrüstung auf Lager ist. Damit bietet 3M Behörden Komplettlösungen gemäß Pandemieplan an, bei denen die eingesetzten Finanzmittel langfristig gesichert sind. Durch individualisierte Lösungen stehen im Einsatzfall 100 Prozent des geplanten Materials zur Verfügung. Gleichzeitig wird mit einem Logistikpartner auch die Belieferung einzelner Dienstoder Einsatzstellen sichergestellt. Mehr Informationen www.3m.de/behoerden

unter

*Pascal Rastoul ist Key Account Executive bei 3M.


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / November 2017

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Neues aus der Wehrtechnik Zwei neue Vice Presidents

Bundeswehr erhält tragbare Jammer-Systeme

Rohde & Schwarz Cybersecurity

Thales

(BS) Rohde & Schwarz Cybersecurity ernannte Alexander Schellong zum Vice President Solutions & Services sowie Walter Schumann zum Vice President Sales & Marketing. Schellong soll das Consulting- und Lösungsgeschäft aufbauen und mit seinem Bereich zukünftig Kunden und Partner mit strategischer, systemnaher Expertise unterstützen. Mit dem Fokus auf Verteidigung und Kritische Infrastrukturen werden Schellong und sein Team insbesondere bei der Erstellung von technischen Bedarfsanalysen und adäquaten Systemarchitekturen sowie bei der Entwicklung von Systemlösungen unterstützen. Schumann soll den weiteren Ausbau des Produktportfolios von Rohde & Schwarz Cybersecurity für die Bereiche Enterprise und Public vorantreiben. Schellong war zuvor u. a. bei CSC General Manager für den Cyber Security-Bereich in Zentral- und

Osteuropa, Italien und die Türkei. Schumann arbeitete u. a. als Senior Vice President Sales des Security-Spezialisten Astaro (Sophos), als General Manager und Vice President International Sales des Cloud-Security-Anbieters Eleven (Cyren) sowie als Managing Director EMEA von Zone Labs (Checkpoint). Zuletzt verantwortete Schumann das Vorstandsressort Vertrieb und Marketing bei der G DATA Software AG.

Alexander Schellong

Walter Schumann Fotos: BS/Rohde & Schwarz

(BS) Deutsche Soldaten sollen in naher Zukunft in ihren Einsätzen noch besser gegen funkgesteuerte, improvisierte Sprengfallen, sogenannte IEDs, geschützt werden. Anfang Oktober unterzeichneten Thales Deutschland und das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) einen Rahmenvertrag über die Lieferung von tragbaren Jammern für den Schutz abgesessener Einsatzkräfte. “Wir freuen uns sehr, dass mit diesen Systemen die Frauen und Männer der Bundeswehr bei ihren anspruchsvollen Einsätzen noch besser gegen hinterhältige Angriffe geschützt sind”, erklärte Oliver Dörre, Vice President Sales & Marketing vonThales Deutschland. Die Ausstattung der Truppe mit den Jammern sei nur ein Beispiel für die Möglichkeit des Technologieunternehmens, Lösungen aus dem weltweiten Angebot mit einer umfassenden

Übungsmunition DM98 für Kampfpanzer “Leopard 2”

Artillerie-Ausstattung

Rheinmetall

Hensoldt

(BS) Die Bundeswehr hat Rheinmetall mit der Lieferung einer neuen Übungsmunition für Kampfpanzer beauftragt. Die deutschen Streitkräfte erhalten damit erstmals die neue 120mm-Vollkaliber-Übungsmunition mit der Bezeichnung “DM98”. Im September hat das Düsseldorfer Unternehmen einen ersten Auftrag über die Fertigung und Lieferung von 10.000 Patronen DM98 erhalten, die noch in diesem Jahr ausgeliefert werden sollen. Aufgrund des Bedarfs aufseiten der

Bundeswehr erwartet Rheinmetall kurzfristig Anfang 2018 einen weiteren Abruf über ca. 3.200 Patronen, die im ersten Quartal 2018 geliefert werden sollen.

D

ie EU-Kommission hat im Juni 2017 mit dem Aufbau des Europäischen Verteidigungsfonds begonnen. Der Fonds wurde im September 2016 von Kommissionspräsident Juncker angekündigt und im Dezember 2016 vom Europäischen Rat unterstützt. Ihm kann zukünftig eine wesentliche Bedeutung für die Finanzierung innovativer multilateraler Großprojekte zukommen, indem er die Investitionen, die auf nationaler Ebene in die Verteidigungsforschung, die Entwicklung von Prototypen und die Beschaffung von Verteidigungsgütern und Verteidigungstechnologien fließen, koordiniert, ergänzt und verstärkt. Für koordinierte Investitionsentscheidungen ist laut Kommission eine gemeinsame Festlegung des Bedarfs und der Prioritäten notwendig, die nach wie vor in den Händen der Mitgliedsstaaten verbleiben. Einige dieser Prioritäten wurden bereits ermittelt, darunter ferngesteuerte Flugsysteme (Drohnen), Luftbetankung, Satellitenkommunikation und Cyber-Abwehr. Der Verteidigungsfonds soll dazu auf jeder Stufe des industriellen Zyklus – von der Forschung über die Entwicklung von Prototypen bis zur Beschaffung von Verteidigungsfähigkeiten – die erforderlichen Anreize setzen. Entscheidend wird eine deutliche Erhöhung des Anteils kooperativer Verteidigungsprojekte an den gesamten Verteidigungsausgaben sein. Ziel des Fonds ist die Unterstützung bei der Entwicklung technologischer Kompetenzen sowie beim Aufbau integrierter und wettbewerbsorientierter grenzübergreifender Lieferketten. Besondere Bedeutung wird der Komplementarität mit den anderen Bereichen der EU-Sicherheitspolitik, einschließlich der Cyber-Sicherheit, zukommen.

Die DM98-Übungsmunition Foto: BS/Rheinmetall

(BS) Ab Februar 2019 wird Hensoldt 30 weitere Beobachtungs- und Aufklärungsausstattungen BAA II für die Spähwagen “Fennek” des “Joint Fire Support Teams” (JFST) liefern. Dazu kommt ein System für die Schulung der Soldaten. Zum Auftrag gehören zusätzlich 35 Rückfahrkameras (RFK II). Der Auftrag hat einen Wert von knapp 13,3 Millionen Euro. Die Integration aller Sichtmittel soll bis 2022 abgeschlossen sein.

Unterstützung vor Ort der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen. Die in Großbritannien hergestellten Stör-Systeme Tragbarer Sprengfallen-Jammer ermöglichen Foto: BS/Thales den Soldaten, sofort beim Verlassen der Fahrzeuge über einen größtmöglichen Schutz gegen über Funk ausgelöste, improvisierte Sprengfallen zu verfügen. Laut Herstellerangaben zeichnen ein leichtes Gewicht, einfache Bedienung und lange Batterielaufzeit die bereits bei mehreren NATO-Mitgliedsstaaten im Einsatz befindlichen Jammer aus.

Die BAA II ist mit modernen Sensoren ausgestattet: einer hochauflösenden CCD-Kamera und ATTICA, einem gekühlten Wärmebildgerät der dritten Generation.

EU-Förderung innovativer Beschaffung Verteidigungsfonds und Verteidigungsindustrieprogramm (BS/Prof. Dr. Heiko Höfler, Dr. Robert Glawe*) Für die Streitkräfte und die wehrtechnische Industrie bieten sich interessante Perspektiven durch kombinierte Entwicklungs- und Beschaffungsverfahren. Einheitlichen Auftragsvergaben, die sowohl Entwicklungs- als auch Serienlieferleistungen einschließen, könnte im Sicherheits- und Verteidigungsbereich zukünftig eine große Bedeutung zukommen. Die 2016 eingeführte Innovationspartnerschaft bietet dafür gute Ansätze. Auf EU-Ebene werden zudem erhebliche Mittel und Ressourcen durch den neuen Europäischen Verteidigungsfonds sowie das zukünftige Europäische Verteidigungsindustrieprogramm bereitgestellt.

Elemente des EU-Verteidigungsfonds Der Verteidigungsfonds besteht aus zwei rechtlich getrennten, sich ergänzenden sog. Fenstern, die schrittweise eingeführt werden; dem Forschungsfenster sowie dem Fähigkeitenfenster. Koordiniert werden diese Fenster von einem Koordinierungsausschuss, dem Kommissionsvertreter, die Hohe Vertreterin der EU für Außenund Sicherheitspolitik, die Mitgliedsstaaten, die Europäische Verteidigungsagentur und ggf. Industrievertreter angehören. Bezüglich der Industrie sollen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (“KMU”) – nach Auffassung der KOM die “Taktgeber der Innovation” – von den Maßnahmen profitieren. In Bezug auf das Fähigkeitenfenster benennt die KOM die strukturellen Defizite einer getrennten Vergabe von F&TLeistungen und der davon losgelösten Serienbeschaffung. Sie bezieht sich dabei auf frühere Entwicklungsvorhaben im Verteidigungsbereich, die nicht vorangeschritten seien, obwohl die ersten F&T-Phasen bereits finanziert waren. Nunmehr gilt es, die Kluft zwischen Forschung und Entwicklung zu schließen, also dafür zu sorgen, dass die Forschungsergebnisse zu den benötigten Fähigkeiten weiterentwickelt werden. In dieser Phase des Zyklus bestehen demnach große technische und finanzielle Risiken, die einzelne Mitgliedsstaaten nicht auf sich nehmen wollen oder können. Mit dem Programm soll auch

die Übernahme kommerzieller Innovationen aus Bereichen wie künstliche Intelligenz, Massendaten (Big Data), Cyber-Abwehr, Robotik und Hochleistungsrechner in künftige Verteidigungsprojekte unterstützt werden.

Die Konditionen des Forschungsfensters Das Forschungsfenster soll sich auf gezielte Forschungsmaßnahmen zur Förderung der Entwicklung von Verteidigungsprodukten und innovativen Technologien konzentrieren. Es wird über ein eigenes EU-Programm im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens mit etwa 500 Mio. Euro pro Jahr vollständig aus EU-Mitteln finanziert. Der Vorschlag für ein Verteidigungsforschungsprogramm wird im Laufe des Jahres 2018 vorgelegt werden, damit es bis Anfang 2021 operativ ist.

Die Konditionen des Fähigkeitenfensters Die Kooperationsprojekte müssen zur Einhaltung der Sicherheits- und Verteidigungsinteressen der EU beitragen, insbesondere zu den von den Mitgliedsstaaten auf EU-Ebene vereinbarten Prioritäten für die Verteidigungsfähigkeit. Der Europäischen Verteidigungsagentur EDA wird eine entscheidende Rolle bei der Ermittlung der Prioritäten für die Verteidigungsfähigkeit sowie der Harmonisierung der technischen Anforderungen zufallen. Auch eine regionale oder multilaterale Zusammenarbeit, die den strategischen Prioritäten der EU entspricht, ist zu berück-

sichtigen. Sie sollen zudem die Wettbewerbsfähigkeit der Verteidigungsindustrie verbessern. Das Programm gilt zunächst für den Zeitraum 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2020. Nur Projekte mit mindestens drei Unternehmen aus mindestens zwei Mitgliedsstaaten sind förderfähig. Die Kooperationsprojekte können von einem Projektmanager geleitet werden, der von denjenigen Mitgliedsstaaten ausgewählt wird, die das Projekt kofinanzieren. Als nächster Schritt soll nun

sieht ihre Rolle im Hinblick auf die Finanzierung solcher Projekte zuvorderst bei der Einrichtung einer Plattform für optimale Finanzierungsregelungen, der Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten, bei der Vermeidung von Finanzierungsengpässen in der Lieferkette – z. B. durch Garantien – sowie insbesondere bei der Risiken- und Kostenteilung durch einen noch zu schaffenden Kostendeckungsmechanismus zwischen den beteiligten Mitgliedsstaaten.

Prof. Dr. Heiko Höfler ist Rechtsanwalt in Hamburg, Partner der Bird & Bird LLP und schwerpunktmäßig in der Verteidigungswirtschaft beratend tätig. Er unterrichtet Vergaberecht als Honorarprofessor in Weimar und ist Stabsoffizier der Reserve.

Das Europäische Programm zur industriellen Entwicklung

Im Juni 2017 hat die Kommission zudem ihren Verordnungsentwurf für ein VerteidigungsindusDr. Robert Glawe trieprogramm ist Fachanwalt für Vergabevorgestellt. Diese recht und ebenfalls für die Verordnung zielt Bird & Bird LLP in Hamburg auf die Fördetätig. Er berät industrieseirung der Wetttig im Verteidigungssektor bewerbsfähigkeit (jüngst beim 2. Los der Korund Innovation vette K130). Er ist als Major in der EU-weiten der Reserve beordert. Verteidigungsindustrie ab, einFotos: BS/Bird & Bird LLP schließlich der die Abstimmung mit den Mit- Cyber-Abwehr. Bei der Erstelgliedsstaaten über den Beginn lung des Arbeitsprogramms soll der Vorbereitung möglicher Pro- die Kommission durch einen jektlinien geführt werden. Bei Ausschuss der Mitgliedsstaaten entsprechender Unterstützung (“Programmausschuss”) unterdurch das Europäische Parla- stützt werden. Ein besonderes ment und den Rat beabsichtigt Augenmerk soll wiederum auf die Kommission, das erste Pro- der Förderung von KMU als jekt 2019 zu finanzieren. Sie auch auf der transnationalen

Die BAA II auf einem JFST”Fennek” Foto: BS/Hensoldt, Carl Schulze

Zusammenarbeit liegen. Das Ziel des Programms besteht darin, die Wettbewerbsfähigkeit der Verteidigungsindustrie der Union zu fördern, indem das Risiko in der Entwicklungsphase kooperativer Projekte gemindert wird. Daher sollen insbesondere Maßnahmen zur Festlegung gemeinsamer technischer Spezifikationen, zu Entwürfen, Prototypen, Tests, Eignung nachweisen, Zertifizierung, Durchführbarkeitsstudien etc. förderfähig sein. Dies gilt auch für die Optimierung bereits bestehender Verteidigungsprodukte und -technologien. Die Finanzierung der einzelnen Projekte ist zuvorderst Sache der Mitgliedsstaaten, auch durch die Bündelung nationaler Einzelbeiträge. Von den förderfähigen Kosten wird sich die Unterstützung der Kommission auf maximal 20 Prozent des Gesamtbetrags beschränken, soweit es sich um Prototypen handelt, da dies häufig die teuerste Maßnahme innerhalb der Entwicklungsphase sei. Die Mitgliedsstaaten werden sich an den verbleibenden Kosten beteiligen müssen. Die finanzielle Hilfe der EU kann direkt oder indirekt über die regulären Finanzierungsarten gewährt werden, insbesondere durch Finanzhilfen, Finanzierungsinstrumente (Beteiligungsinvestitionen oder beteiligungsähnliche Investitionen, Darlehen, Bürgschaften oder Risikoteilungsinstrumente) sowie die Vergabe öffentlicher Aufträge. Dazu kommen auch und gerade neuartige Vergabeverfahren wie die Innovationspartnerschaft in Betracht, die durch die EU-Vergaberechtsreform 2014 eingeführt wurde. Als kombiniertes Entwicklungs- und Beschaffungsverfahren dürfte es für innovative Großprojekte im Verteidigungsbereich sehr interessant werden.


Wehrtechnik

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ie veränderte Bedrohungslage veranlasst die Länder, ihre Sicherheitspolitik anzupassen. Um den Bedrohungen besser begegnen zu können, ist es unerlässlich, komplementäre Verteidigungsansätze auf Basis intensiverer Zusammenarbeit zu entwickeln. Die Unvorhersehbarkeit neuer Bedrohungen und Herausforderungen für die transatlantische Sicherheitsarchitektur bedeutet, dass die verbündeten Länder gleichermaßen dynamisch und anpassungsfähig sein müssen. Kein Land ist heute mehr in der Lage, die hybriden Bedrohungslagen alleine zu bewältigen.

Behörden Spiegel / November 2017

Integrierte Luft- und Raketenabwehr Eine gemeinsame Herausforderung (BS/Joe DeAntona) Die Berliner Sicherheitskonferenz 2017 der 16. Kongress zur Europäischen Sicherheit und Verteidigung stellt zu Recht fest, dass Europa hinsichtlich Sicherheit und Verteidigung bis auf Weiteres unter Druck stehen werde. Europa wird von einem breiten Spektrum potenzieller Bedrohungen herausgefordert: ob Drohnen und Luftfahrzeuge, Kurz- und Langstreckenraketen oder fortschrittliche Interkontinentalraketen. Zugleich nehmen Cyber-Angriffe sowohl an Intensität als auch an Häufigkeit zu und bedrohen die Privatsphäre, die Infrastruktur und die nationale Sicherheit.

operable Systeme im Krisenfall schnelle Reaktionszeiten und fördern durch die Möglichkeit gemeinsamer Trainings eine kohärentere strategische Kultur. Im Einsatz können die Partnerstaaten ihre Ausrüstung teilen und den logistiDer Europäische schen Aufwand Verteidigungsfonds geringhalten. Joe DeAntona, Vice President and Business DevelopGlücklicherweise verfügt dieKomplexe Bement Executive, Raytheon Europäische Union (EU) über drohungen Integrated Defense Sysein solides Fundament, um bei tems, gibt die Einführung diesen Herausforderungen als Dies trifft besonzum Panel A6 “Integrated Partner aufzutreten: die Erkläders auf gestaffelAir and Missile Defence” rung von Rom im März 2017 te kontinentale der Berliner Sicherheitskonund die anschließende ErrichLuft- und Rakeferenz am 28. November tung des Europäischen Verteitenabwehr zu. 2017 ein. digungsfonds. Die europäischen Komplexe BedroStaats- und Regierungschefs sohungen durch Foto: BS/VDV wie die Führungskräfte der EUballistische RaInstitutionen betonten ihre Ab- henden und künftigen Syste- keten können in unterschiedlisicht, eine vertiefte europäische men eine Schlüsselrolle für die chen Höhenlagen und DistanZusammenarbeit in der gemein- Gewährleistung der Sicherheit zen auftreten und potenziell samen Verteidigung zu realisie- Europas spielen. ganz Europa gefährden. Es kann nicht genug betont ren. Als globaler Akteur müsse Das betrifft nicht nur die Frontdie EU engere Kooperation mit werden, dass Interoperabilität staaten, sondern all jene, die der Atlantischen Allianz (NATO) sich nicht auf die bloße Ver- zu einer kollektiven und umfasund eine wettbewerbsfähigere knüpfung verschiedener Ver- senden Verteidigung beitragen und integrierte Verteidigungsin- teidigungssysteme beschränkt, wollen. Die Fähigkeit, jede Bedustrie entwickeln. Der Fonds sondern dass auch andere As- drohung unabhängig von Herfördert gemeinsame Investitio- pekte zu berücksichtigen sind. kunft, Höhe, Reichweite oder nen und die Konsolidierung von In Hinblick auf die Beschaffung Ziel bekämpfen zu können, ist Forschungsprogrammen, um ermöglicht Interoperabilität den der Eckpfeiler einer gestaffelten die Bestrebungen der Industrie Staaten, gemeinsame Wartungs- Verteidigung. Da sie auf einem zu bündeln, Doppelstrukturen kosten zu teilen und gemein- gemeinsamen und kombinierzu vermeiden und die kollektive same Beschaffungsstrategien ten System beruht, hat die inteSicherheit zu erhöhen. Dennoch zu verfolgen. Darüber hinaus grierte Luft- und Raketenabgehen die Forderungen über blo- werden Risiken und Kosten für wehr dabei immer eine führende ße Kooperation der bereits be- die Entwicklung von Systemen Rolle eingenommen. reduziert, wodurch sich sowohl stehenden Allianzen hinaus. Mit der verstärkten Zusam- für die interoperablen Systeme Das System “Patriot” menarbeit zwischen EU und NA- als auch für die jeweiligen PartDas integrierte “Patriot”-LuftTO sehen die Bündnispartner nerstaaten ein wertvoller Vor- und Raketenabwehrsystem von neue Anreize, um Chancen für sprung ergibt. Aus taktischer Raytheon ist technologisch fühgemeinsame Investitionen und Perspektive ermöglichen inter- rend in der Luftverteidigung und nimmt unter den gestaffelten Verteidigungssystemen in den MELDUNG unteren Ebenen die Stellung eines technologischen Vorreiters Minenabwehr in der Ostsee ein. Es ist vollständig in die NA(BS/por) Vom Kieler Marine- beiden Weltkriegen – und selbst TO-Luftkommando- und Kontrollsystem-Architektur (ACCS) stützpunkt aus waren im Ok- noch aus dem Kalten Krieg. tober sechs von insgesamt zwölf Wo genau sich die Gefahren- integriert und bildet die GrundMinenabwehreinheiten der stellen befinden, weiß man oft lage der gestaffelten integrierten Deutschen Marine zusammen nicht. Sie sind möglicherweise Luft- und Raketenabwehr. In dieser Funktion bündelt es mit dem Tender “Mosel” für drei versandet oder wurden von FiWochen zu einer Übung in die schernetzen verschleppt. Als mehrere Fähigkeitsebenen in eiOstsee ausgelaufen. sie gelegt wurden, gab es nicht nem System und verschafft den Für die Minenjäger ist jede Fahrt die präzisen Navigationsmittel Staaten, die die Effizienz ihrer in der Ostsee aber nicht nur von heute. Kurz: Sie gefährden Schutzsysteme erhöhen und Übung, sondern immer auch die Schifffahrt noch immer. Mi- Kosten reduzieren wollen, einen Ernstfall: Denn in der zweiten nenabwehreinheiten aus vielen Vorteil. Fünf NATO-Staaten beWoche des Manövers suchten Ländern – vor allem natürlich treiben mehr als 30 Feuereindie deutschen Boote des 3. Mi- von den Ostseeanrainern selbst heiten in Europa. Sie sind Teil nensuchgeschwaders scharfe – suchen regelmäßig nach die- der wachsenden “Patriot”-PartMinen. Vor der estnischen Küste sen explosiven Altlasten. In nerschaft von heute 13 Partnergalt es, Altlasten zu finden und den vergangenen zwei Jahren staaten, welche in Kürze um zuhat die Deutsche Marine etli- sätzliche zwei erweitert wird. Die zu vernichten. In den dortigen Gewässern liegen che Kooperationen mit anderen “Patriot”-Partnerstaaten profiimmer noch Minen, Torpedos, Seestreitkräften in der Region tieren nicht nur von den Vorteilen der Interoperabilität auf dem Bomben und Munition aus den angestoßen. die Beschaffung bewährter und effektiver Systeme zu identifizieren. Neben finanziellen Anreizen und gemeinsamen Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung, wird der Aspekt der Interoperabilität bei beste-

Kampffeld. Sie teilen sich auch die Entwicklungskosten und Risiken technologischer Meilensteine, zu denen beispielsweise die vollständig digitale “Modern Man Station” gehört, die verschiedene Abfangraketen und bahnbrechende Technologien wie das demnächst verfügbare GaN-AESA-Radar mit 360-Grad-Leistung zusammenführt. Dies sind gemeinsame Bemühungen, um den Vorsprung des “Patriot”-Systems aufrechtzuerhalten. Um die dauerhafte Abwehrbereitschaft integrierter Luft- und Raketenabwehrsysteme (IAMD) zu garantieren, gilt es für alle Hersteller, die Systeme den sich ständig ändernden Bedrohungslagen anzupassen.

mit den “Patriot”-Partnerstaaten geteilt wird. Sobald eine neue Bedrohung in einem beliebigen Teil der Welt aufkommt, sind “Patriot”-Systeme bereits in der Lage, diese abzufangen. Drei sehr aktuelle Beispiele zeigen die Einsatzstärke hoch interoperabler und integrierter Luftund Raketenabwehrsysteme.

Beispiel Schweden “Aurora 17” war 23 Jahre lang die größte multinationale Übung auf schwedischem Boden. Der schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist betonte, dass “Aurora” ein starkes Signal im Zeichen der schwedischen Sicherheitspolitik aussendete. Die Übung bezog Truppen am Boden, zur See und in der Luft

die Kapazitäten der Luft- und Raketenabwehr der NATO auf die Probe. Es wurde deutlich, dass gemeinsame Schulungen die technologische Zusammenarbeit unterstützen können. Für Deutschland und die Niederlande sind gemeinsame Übungen mit “Patriot”-Systemen bereits Routine. Die jährlich stattfindenden Raketen-Schießübungen auf Kreta und die Vernetzung von Kommandostrukturen in der Luft- und Raketenabwehr beider Länder im Rahmen des APOLLO-Projektes können als Vorbild für Europas künftige interoperable Verteidigungssysteme dienen. Die nationalen Streitkräfte verbessern ihr Engagement auf allen Ebenen – vom Unteroffizier bis hin zum hochrangigen Oberbefehlshaber. Auf diese Weise lernen Soldatinnen und Soldaten eine reale europäische Sicherheitspolitik kennen. Letztlich profitieren auch die Steuerzahler von einer gemeinsamen Verteidigung mit reduzierten System- und Betriebskosten sowie einer effizienten Logistik zwischen EU- und NATO-Partnern.

Das “Patriot”-System ist das Rückgrat der Luftverteidigung von 13 “Patriot”-Nutzerstaaten – hier im Einsatz der U.S. Army. Fotos: BS/Raytheon

Nur durch gemeinsame Investitionen der Partnerstaaten in diese kontinuierliche Weiterentwicklung können Entwicklung und Produktion dabei effizient und kostengünstig gestaltet werden. Sollte eine Krise ausbrechen, werden die Bedrohungen nicht berücksichtigen, in welcher Phase der Forschung und Entwicklung sich die Systeme befinden, sondern sie müssen zu diesem Zeitpunkt mit vorhandenen modernen und getesteten Abwehrsystemen gestoppt werden. Ein Beispiel dafür ist die “Patriot”Bedrohungs-Datenbank, die kontinuierlich aktualisiert und

mit ein und verfolgte das übergeordnete Ziel, die Interessen des Landes, seine Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen. Raytheon ist stolz darauf, dass amerikanische “Patriot”-Batterien die schwedischen Streitkräfte bei der Zusammenführung in andere Seeund Landsysteme unterstützen konnten. Durch Übungen in mehreren Ländern wurde eine weitere Stufe der Komplexität erreicht: Mit mehr als 13 teilnehmenden Staaten und verschiedenen Übungsorten in Deutschland, Tschechien, Litauen und Rumänien stellte “Tobruq Legacy 17”

Wenn die Systeme auf allen Ebenen der Luftverteidigung zusammenarbeiten, wird Europa nicht nur vor Bedrohungen aus der Luft geschützt sein. Ein gestaffeltes und integriertes Luftund Raketenabwehrsystem ist ein entscheidendes Element der Abschreckung, weil die Kosten für einen Erstschlag erhöht werden. Schlussendlich ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich die europäischen Bürgerinnen und Bürger sicher fühlen, was nur gewährleistet werden kann, wenn sie vor Bedrohungen aus der Luft geschützt werden.


Wehrtechnik / Verteidigung

Behörden Spiegel / November 2017

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ie weitgehend im freien Gelände stattfindende Übung brachte zunächst eine intensive Vorbereitungsphase mit zahlreichen, inzwischen nicht mehr alltäglichen Herausforderungen mit sich. So galt es, im Vorfeld unter anderem Beantragungsund Genehmigungswege sowie behördliche Ansprechpartner in Erinnerung zu rufen. Vor allem die Logistiker standen hier im Fokus. In den vergleichsweise wenigen Planungsmonaten war darüber hinaus das NATO-Szenario auf die geografischen Gegebenheiten des Übungsraumes Niedersachsen und SchleswigHolstein anzupassen. Hohe Leistungsbereitschaft, Professionalität sowie Entschlussfreude waren dann auch in der eigentlichen Übungsphase gefordert. Hier hat sich erneut gezeigt, dass die Division Schnelle Kräfte mit ihrem einzigartigen Gefechtsstand in der Lage ist, schnelle Anfangsoperationen zu führen. Mir kam es besonders darauf an, unter realistischen Bedingungen die Planung, Führung und Durchführung von Operationen zu trainieren, die möglichst viele unserer spezifischen Fähigkeiten beinhalten. Im Schwerpunkt standen dabei Betrieb, Arbeitsabläufe und Funktionalität des Divisionsgefechtsstandes. Vom Truppenlager Trauen aus wurden bis zu 200 Kilometer entfernte Operationen erfolgreich geführt. Ebenso funktionierte der Einsatz sowie die Fernmeldeanbindung des vorgeschobenen Divisionsgefechtsstandes samt der beweglichen Befehlsstelle einwandfrei. Als Träger der Luftbeweglichkeit im Deutschen Heer standen in der ersten Woche Luftlandungen im Vordergrund. Die Folgewoche war von luftgestützten Operationen geprägt. In einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung wurden Spezial- und spezialisierte Kräfte eingesetzt, eine militärische Evakuierungsoperation gemeinsam mit der

Großübung “Red Griffin/Colibri” Stresstest für die Division im freien Gelände (BS/Generalmajor Andreas Marlow*) Mit unserer Großübung “Red Griffin/Colibri 50” liegt eines der wichtigsten Vorhaben der Division Schnelle Kräfte (DSK) der vergangenen Jahre hinter uns. Mit etwa 3.500 Soldaten aus der DSK, aus den anderen Organisationsbereichen der Bundeswehr, aus mehreren Staaten und im gesamten Norden Schleswig-Holsteins durchgeführt, war diese Übung in vielerlei Hinsicht einmalig. Mehr als tausend Fahrzeuge, dreißig Flugzeuge und Hubschrauber kamen zum Einsatz. Dies bedeutete einen Kraftakt, der nur im engen Schulterschluss mit unseren nationalen und internationalen Partnern gelingen konnte. In die ohnehin anspruchsvolle Kombination aus Gefechtsstandübung und Volltruppenübung wurde zusätzlich die traditionsreiche deutsch-französische Fallschirmjägerübung “Colibri” in ihre 50. Auflage integriert. Alle Verbände und Großverbände der Division, einschließlich des Kommandos Spezialkräfte (KSK), nahmen daran teil. Marine durchgeführt und die Rettungskette der integralen taktischen sanitätsdienstlichen Versorgung unter Einbindung der Folgeversorgung durch den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr praktisch geübt. Insbesondere dieser Aspekt war einer der Schwerpunkte meines Erkenntnisinteresses. Damit komme ich zum zweiten wichtigen Übungsziel: Die Vertiefung der multinationalen Zusammenarbeit bei Planung, Führung und Durchführung von luftbeweglichen Operationen. Durch die inzwischen auf verschiedensten Übungen praktizierte gegenseitige Unterstellung von Einheiten zwischen der LLBrig 1 und der niederländischen 11. LMB zeigte sich erneut, wie routiniert und selbstverständlich der binationale Ansatz mit Durchmischung bis auf Kompanieebene funktioniert. Unkompliziert gestaltete sich ebenfalls die Zusammenarbeit mit den französischen Fallschirmjägern sowie den USHeeresfliegern. Innerhalb zweier Jahre wurde der Divisionsgefechtsstand bereits das vierte Mal einem Praxistest unterzogen, sodass ich mit Zuversicht auf die NATO-Zertifizierung durch das I. DEU/NLD Korps aus Münster während der Übung “Vital Sword” im Herbst dieses Jahres blicke. Meine Absicht ist es, hierbei die volle Einsatzbereitschaft des Divisionsgefechtsstandes unter Beweis zu stellen. Damit wollen wir unseren

Soldaten des Fallschirmspezialzuges 31 aus Seedorf steuern als “Combat Control Team” (CCT) den Freifall der Fallschirmjäger aus einer “Transall” im Rahmen der Übung “Red Griffin/Colibri 50” bei Bondelum. Foto: BS/Bundeswehr, Jane Schmidt

Beitrag leisten, unsere Fähigkeiten einsatzbereit der militärischen und politischen Führung zur Verfügung stellen. In einem hochintensiven Bündnis- und Landesverteidigungsszenario stand bei “Red Griffin/Colibri 50” unsere Kernfähigkeit – die Nutzung der dritten Dimension für luftbewegliche Operationen – im Vordergrund. Diese Fähigkeiten bleiben unverändert im Mittelpunkt, jedoch stellen wir uns bei “Vital Sword” darauf ein, zeitlich begrenzt zusätzlich auch mechanisierte Kräfte zu führen. Dazu ist die Division Schnelle Kräfte technisch in der Lage. In der weiteren Entwicklung der Fähigkeiten der Division kommt es zukünftig darauf an, die strukturelle Ausrichtung an das geänderte Auftragsportfolio der Streitkräfte vor allem hinsichtlich der Landes- und

Fachveranstaltung zum IoT Chancen und Risiken digitaler Hilfsmittel

Bündnisverteidigung anzupassen. Dies muss im Gesamtrahmen des Heeres erfolgen und die erforderlichen Synergien mit den anderen Heeresdivisionen erzeugen. Der Prozess hierzu ist angelaufen. Augenfällige Defizite sind derzeit das Fehlen von Divisionstruppen zur Steigerung des Einsatzwertes und der Durchhaltefähigkeit der Kampftruppenbrigaden im Gefecht sowie die Durchhaltefähigkeit der integralen Führungsunterstützung. In der weiteren Umsetzung des FrameworkNation-Konzepts sehe ich große

Trotz aller Sicherheitsrisiken überwiegen für Oberstleutnant Jens Romeis vom Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr die Chancen des Internets der Dinge. Foto: BS/AFCEA Bonn

Wehrtechnik sind solche Risiken selbstverständlich ebenfalls gegeben, dennoch sieht der Stabsoffizier das IoT als “Zukunftstechnik des modernen Militärs”. Der vernetzte Soldat der Zukunft biete laut Romeis die Chance, Vitalfunktionen, Umwelteinflüsse und sogar die individuelle logistische Versorgung zu überwachen und auf Probleme schnell und gezielt zu reagieren. Gleichzeitig müsse sich die Entwicklung solcher Innovationen allerdings immer auch mit essenziellen Risiken wie Attacken auf die Netzwerkinfrastruktur, der Einspeisung von Malware oder Störangriffen befassen und diese so gut wie möglich vor Angriffen von außen abschotten. Unabhängig von seiner Nutzung verstärke das IoT jedoch die Entwicklung, dass das Internet mehr und mehr dem Datenkollaps entgegensteuert. Denn

die großen globalen Unterseekabel seien der steigenden Belastung durch die “Vision der Vernetzung aller Alltagsgegenstände” laut Dr. René Bantes vom Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT) immer weniger gewachsen und bewegten sich gleichzeitig langsam, aber sicher auf ihre Maximalauslastung zu. Wenn dieses Problem in 15 bis 20 Jahren zur Realität werde, müsse sich auch die Bundeswehr damit beschäftigen. Denn dort werde man sich bis zum Ernstfall mit dem potenziell militärischen Schutz von Bandbreiten, der Integrität des Internets und weiteren Fragen befassen müssen, die auftreten werden, wenn das Internet und seine Nutzung plötzlich nicht mehr frei für jeden verfügbar seien, sondern ein wertvolles und knappes Gut darstellten.

Chancen für die DSK. Hierbei wird zukünftig die vereinbarte Zusammenarbeit mit einer rumänischen Brigade im Vordergrund stehen. Langfristig kann ich mir eine Erweiterung des Fähigkeitsspektrums der DSK um weitere “schnelle Kräfte” vorstellen. Dadurch könnten die Möglichkeiten von der Fähigkeit zur raschen Kräfteprojektion im Rahmen von Luftlande- bzw. taktischen Luftanlandungsoperationen mit Flächenflugzeugen über große Entfernungen über die Durchführung von luftbeweglichen Operationen mit Hubschraubern und Infanterie bis hin zu schnellen radbeweglichen leichten infanteristischen Kräften reichen. Dies würde – je nach taktischem Erfordernis – nahezu alle Optionen für Anfangsoperationen abdecken. Selbst eine engere Zusammenarbeit mit amphibisch geprägten Kräften sollte dabei nicht ausgeschlossen werden. Multinationalität bereits im täglichen Grundbetrieb ist prägend für die Division Schnelle Kräfte. Einen ersten Schritt in diese Richtung stellt hierbei die Vertiefung der deutsch-niederländischen Integration dar.

Die technische und prozessuale Interoperabilität gilt es in den nächsten Jahren weiter auszubauen, um neue Partner noch effizienter aufnehmen zu können. Insofern erbrachte “Red Griffin/ Colibri 50” auch in dieser Hinsicht wertvolle Erfahrungen. Alles in allem führte unsere Divisionsübung zu zahlreichen wichtigen Erkenntnissen, deren Auswertung und Aufbereitung nun zügig in Angriff genommen werden. Ganz besonders bewegend empfand ich dabei die weit überwiegend herzliche Aufnahme und Unterstützung durch die Bevölkerung im Übungsraum. Insbesondere für die jüngeren Kameradinnen und Kameraden war dies ein neues Erlebnis, das man eben nicht auf den einschlägigen Übungsplätzen machen kann. Zudem – das gebe ich zu – auch ein gewisser Balsam auf die derzeit doch strapazierte Soldatenseele. Wir Älteren kannten dies noch von den Übungen vergangener Tage, aber der Umfang des Zuspruchs, “Gut, dass ihr mal wieder zu sehen seid!”, hat auch mich am Ende überrascht. Ebenso positiv war das große und faire Medieninteresse an unserer Übung, von dem ich hoffe, dass es uns in der Folge viele neue angehende Heeresflieger oder Fallschirmjäger bescheren wird. Viel Neuland wurde betreten, immense Anstrengungen unternommen – dafür gilt allen Beteiligten mein Dank! Denn unser Divisionsmotto ist gleichzeitig unser “Level of Ambition”: einsatzbereit – jederzeit – weltweit. *Generalmajor Andreas Marlow, Kommandeur Division Schnelle Kräfte

1.Trinationaler Workshop zur ZMZ Es geht immer um den Schutz der Bevölkerung (BS/Susanne Lopez*) Wenn Naturkatastrophen, große Unglücke oder Unfälle Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringen, ist schnelle und vor allem reibungslose Hilfe gefordert – zivil-militärisch und auch über Landesgrenzen hinweg. “Im Ernstfall spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle”, sagte Generalmajor Jürgen Knappe, Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr in Berlin und Gastgeber des “1. Trinationalen Workshops Zivil-Militärische Zusammenarbeit” (ZMS), der Mitte Oktober in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg stattfand.

(BS/Wim Orth) Das Internet der Dinge (IoT) erobert seit einigen Jahren langsam, aber sicher die Welt. Vom Fernseher über den Kühlschrank bis zur Glühbirne – selbst einfachste Alltagsgegenstände arbeiten smart Die dreitägige Veranstaltung bot und sind ans Internet angeschlossen. den Akteuren aus Deutschland, Doch nicht nur im Alltag wird das Leben stetig digitaler, auch und gerade im Bereich der Streitkräfte wird die Digitalisierung mehr und mehr in die tägliche Arbeit integriert. Doch all diese Vernetzung birgt neben der gewünschten Vereinfachung des Lebens in Alltag und Einsatz auch große unsichtbare Gefahren für den Benutzer. Aus diesem Grund veranstaltete AFCEA Bonn e. V. im Oktober eine Fachveranstaltung unter dem Titel “Internet der Dinge für Systeme der Bundeswehr – Vernetzung und Souveränität”. Neben den Chancen und Gefahren, die von smarten Gegenständen ausgehen, wurde hier auch das Risiko eines sogenannten “Capacity Crunch” besprochen, dem Kollaps des Internets, der droht, wenn mittelfristig alle Kapazitäten der weltweiten Unterseekabel aufgebraucht sein werden. So gut wie jedes Gerät mit integriertem Prozessor und Zugang zum Internet kann von außen gehackt und dann im Sinne des Angreifers zweckentfremdet werden. Oberstleutnant Jens Romeis vom Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr stellte das Beispiel einer smarten, also vernetzten Glühbirne vor, die sogar so eingerichtet war, dass der Hersteller über die WLAN-Verbindung regelmäßige Sicherheitsupdates durchführen konnte. Dennoch wurde sie gehackt und die verbundenen Router konnten in ein Botnet integriert werden. In der

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Österreich und der Schweiz und Teilnehmern aus Liechtenstein erstmals die Möglichkeit, sich in praxisnahen Seminaren und Fachvorträgen intensiv und im direkten Austausch mit den Herausforderungen der Zusammenarbeit in Krisen- und Katastrophenfällen auseinanderzusetzen. Rund 200 hochrangige und praxiserfahrene Akteure waren dazu in die Hansestadt Besuch im Polizeipräsidium in Hamburg: die Delegationsleiter aus der Schweiz gekommen. Erstes Ziel war es, (r.) und Österreich (2.v.r.) im Gespräch mit dem Landeskommandeur aus Bayeinander kennenzulernen. Wie ern (2.v.l.) und Hamburgs Polizeivizepräsidenten (l.). können Blaulicht- und HilfsFoto: BS/Bundeswehr, Susanne Lopez organisationen, Behörden und Militär im Ernstfall über Län- zivil-militärischen Zusammen- “Da brauchen wir zupackende dergrenzen hinweg reibungslos arbeit für die Stadt: “Die Er- Kräfte, die dafür sorgen, dass die innerung an die Sturmflut von Bevölkerung schnell wieder in zusammenarbeiten? Das Kommando Territoriale 1962 bleibt immer verbunden Sicherheit und Ordnung leben Aufgaben führt als Dienststelle mit der zupackenden und le- kann”, sagte er. Die Veranstaltung in Hamburg der Streitkräftebasis den mili- bensrettenden Hilfe auch durch tärischen Anteil der zivil-mili- die Bundeswehr”, so Grote. “Es war der Auftakt für eine Worktärischen Zusammenarbeit in war die Geburtsstunde der zivil- shop-Serie, die langfristig im Deutschland. Generalleutnant militärischen Zusammenarbeit Zwei-Jahres-Rhythmus stattfinden soll. “Es war es ein guter Martin Schelleis, Inspekteur der bei Großschadenslagen.” Der Schutz der Bevölkerung im Auftakt”, sagte Generalmajor Streitkräftebasis und Nationaler Territorialer Befehlshaber, sagte Katastrophenfall ist gemeinsa- Knappe abschließend. Er habe zum Auftakt: “Diese Veranstal- mes Ziel und Auftrag aller, die dazu beigetragen, Fragezeichen tung steht für den vernetzten sich zu dem Workshop versam- abzubauen und für die ansteAnsatz für Sicherheit, den wir melt haben. “Der Austausch von henden Workshops “rote Linien” ja auch in unserem Weißbuch Erfahrungen und Ideen trägt zu markieren. “Wir haben Handdazu bei, dass wir unsere Hil- lungsfelder identifiziert und uns festgeschrieben haben.” Hamburg erwies sich als gut feleistungen noch effizienter ge- Themen gestellt, die wir bereits gewählter Veranstaltungsort. stalten können”, sagt Brigadier in der Vorbereitung zum folgenNeben einem Besuch im Rat- Robert Prader, Delegationsleiter den Workshop aufbereiten und haus und einer Hafenrundfahrt Österreichs und stellvertreten- abarbeiten.” Nächster Gastgestanden Seminarbesuche bei der Kommandant der österrei- ber wird die Schweiz sein. der Hamburger Innenbehörde, chischen Landstreitkräfte. Auch *Susanne Lopez arbeitet seit im Polizeipräsidium, der Was- der Schweizer Delegationsleiter serschutzpolizei und beim Flug- und Territorial-Kommandant, 2013 als Redakteurin und stellzeughersteller Airbus auf dem Divisionär Hans-Peter Keller- vertretende Leiterin des DezerProgramm. Hamburgs Innense- hals, stimmte dem zu. In der nats Informationsarbeit im Komnator Andy Grote verwies auf Schweiz wirke sich der Klima- mando Territoriale Aufgaben in die besondere Bedeutung der wandel bereits dramatisch aus. Berlin.


Verteidigung

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Der Treffpunkt für Europa

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chweden ist das Partnerland der BSC 2017 und ist Mitglied der Europäischen Union (EU), aber nicht Mitglied der NATO. Dennoch ist das Land ein Stabilitätspfeiler im Norden Europas. Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa und auch wegen der anhaltenden Nachwuchssorgen hat seine rot-grüne Minderheitsregierung in diesem Jahr die Wehrpflicht sieben Jahre nach ihrer Aussetzung wieder eingeführt. Das Thema “Europa unter Druck” betrifft aber alle europäischen Länder von EU und NATO. Diese wissen, dass sie für ihre Sicherheit und Verteidigung mehr tun müssen. Die Terrororganisation “Islamischer Staat” ist zwar auf dem Rückzug im Nahen Osten, sie hat aber Bastionen in Nordafrika und verbreitet ihren Schrecken in fast allen europäischen Ländern. Die Annektierung der Krim ist schon fast vergessen, die instabile Lage in der Ost-Ukraine erinnert daran, dass Russland andere Interessen hat. Der bevorstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU schwächt schon jetzt die Gemeinschaft und die schwierigen Signale aus Washington tragen nicht dazu bei, die sicherheitspolitische Lage in Europa zu verbessern.

Europa unter Druck Europa ist gefordert – vor allem in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung. Die BSC 2017 greift die Themen und Fragestellungen, die sich aus dieser Lage ergeben, in ihrem Programm auf. Der schwedische Verteidi-

Die Berliner Sicherheitskonferenz 2017

Die BSC und ihre Partner Durch die unterschiedlichen

Das Panel High Readiness Forces bei der BSC 2016

gungsminister Peter Hultqvist und Sven Mikser, der Außenminister von Estland, werden bei der Eröffnung darauf eingehen. Estland hat in diesem Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft. Helga Maria Schmid, die Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), spricht am Vormittag des ersten Tages. Ihr Beitrag ist die Einleitung zur High-Level-Debate, in der sechs hochrangige Politiker aus Deutschland, Frankreich, Russland, Schweden und den USA über Europas Rolle und

Verantwortung in einer sich verändernden Welt diskutieren werden. Dieses Thema findet seine Fortsetzung, wenn Michel Barnier den zweiten Tag der BSC 2017 eröffnet. Er wird neben den sicherheitspolitischen Veränderungen in und für Europa auch auf den Sachstand der Verhandlungen zum Ausstieg Großbritanniens aus der EU eingehen. Michel Barnier hat die BSC 2017 als Forum für seine Botschaft gewählt. Anschließenden wird Werner Sonne mit ihm ein Interview führen.

Europa muss mehr tun!

EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik erhielt ihren heutigen Namen mit dem Vertrag von Lissabon 2007. Wichtigste Akteure sind die nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat, die alle wichtigen Beschlüsse in diesem Politikbereich einstimmig fassen müssen.

Besondere Aufmerksamkeit gilt danach der Diskussionsrunde mit General Mikhail Kostarakos, dem Vorsitzenden des EU-Militärausschusses, und General Denis Mercier, dem Oberkommandierenden des Allied Command Transformation der NATO. Sie werden auf die Fähigkeiten eingehen, über die die Streitkräfte von EU und NATO verfügen müssen, um sich künftigen

Herausforderungen zu stellen. Darauf folgt das Future Forces Forum, in dem alle sechs Inspekteure der Bundeswehr über die Fähigkeiten ihrer Teilstreitkräfte sprechen werden. Keiner der Inspekteure kann mit der heutigen Lage zufrieden sein. Die Wunschliste an eine neue Bundesregierung wird spätestens bei der BSC 2017 deutlich werden. Unabhängig von den Forderungen aus Washington muss die Bundeswehr wenigstens ihre Defizite aus der Vergangenheit abbauen, um den heutigen und künftigen Herausforderungen begegnen zu können. Deutschland muss ein ernstzunehmender und handlungsfähiger Bündnispartner in EU und NATO bleiben!

die heutige Stabilität der Nordflanke auch in Zukunft erhalten kann. Das im Juli 2016 auf dem NATO-Gipfeltreffen in Warschau beschlossene Programm “Enhanced Forward Presence” hat dazu schon seinen ersten Beitrag geleistet. Generalleutnant Dr. Dennis Gyllensporre, der Chef des Stabes der Schwedischen Streitkräfte, wird in dieses Thema einführen. An beiden Tagen wird das Hauptprogramm durch Panels ergänzt. Hier werden die bereits am Nachmittag des ersten Tages diskutierten militärischen Fähigkeiten im Vordergrund stehen. Unter der Leitung der Inspekteure von Streitkräftebasis, Heer, Luftwaffe, Sanitätsdienst sowie Cyber- und Informationsraum werden die sehr gut und international besetzten Panels noch genauer auf die heutigen und künftigen Herausforderungen und die dafür benötigten Fähigkeiten eingehen. Die schwedischen Inspekteure von Heer und Luftwaffe unterstützen die Leitung von zwei Panels. Schwedische Politiker und Offiziere beteiligen sich an den Diskussionen in den Panels. Wie in all den früheren Jahren bietet die Berliner Sicherheits-

Der Nachmittag des zweiten Tages befasst sich mit der Bedeutung der Nordflanke Europas. Sechs Generale/Admirale diskutieren in dem High-Level-Military-Forum darüber, wie man

(BS/Botschafter Jir˘í S˘edivy´ *) Ich kann mich genau an meine allererste Teilnahme am Kongress zur Europäischen Verteidigung erinnern, die Berliner Konferenz für Verteidigungspolitik (später ab 2012 Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) – Kongress zur Europäischen Sicherheit und Verteidigung). Damals, 2006, wurde ich eingeladen, im Rahmen des Forums der Verteidigungsminister über die sogenannten “EU Headline Goals”, die militärischen Planziele Europas, zu sprechen. Ich war damals sehr beeindruckt und bin es bei jeder Neuauflage dieser Veranstaltung auch heute noch.

“Der Mehrwert und die Relevanz des Kongresses für alle praktischen Belange im Leben politischer und militärischer Entscheidungsträger sind unbestreitbar.” Foto: BS/Dombrowsky

Damit möchte ich unterstreichen, welche Ehre es für mich ist, Mitglied des BSC-Beirats und seit 2015 einschließlich dieses Jahres Präsident der Konferenz zu sein. Mein besonderer Dank gilt der engen Zusammenarbeit mit dem BSC-ManagementTeam unter Leitung von Briga-

*Brigadegeneral a. D. Reimar Scherz, Behörden Spiegel, Koordinator und Moderator der Berliner Sicherheitskonferenz

Das High-Level-Military-Forum bei der BSC 2016

Meine zwölf Jahre bei der Berliner Sicherheitskonferenz

vom Vereinigten Königreich, der Türkei, den Vereinigten Staaten, Frankreich und nun dieses Jahr Schweden. Das jeweilige Gastland stellt dank hochrangiger Referenten mit ihrem landesund regionalspezifischen Fachwissen und Erfahrungsschatz eine wahre Bereicherung der Konferenz dar. Bei Durchsicht der Konferenzprogramme und Kongressberichte der letzten zwölf Jahre fällt auf, wie gut es dem Kongress gelungen ist, prägende Sicherheits-, Verteidigungs- und Technologietrends der Zeit widerzuspiegeln bzw. ihnen vorzugreifen (häufig lange, bevor sie bei der NATO oder EU als prioritäre Themen behandelt wurden): Beispiele dafür sind Cyber-Sicherheit, unbemannte Systeme, Informationüberlegenheit und C5ISR, Smart Energy und, in jüngster Zeit, Resilienz gegenüber hybriden Taktiken. Der Mehrwert und die Relevanz des Kongresses für alle praktischen Belange im Leben politischer und militärischer Entscheidungsträger sind somit unbestreitbar. Davon zeugt allein das nicht nachlassende Interesse der Kongressteilnehmer (stets mehr als insgesamt 1.000 Personen).

genen Schwerpunkt. Die festen Partnerschaften haben mit Russland im Jahr 2012 begonnen und wurden mit Großbritannien, der Türkei, den USA und Frankreich fortgesetzt. Sie haben zum Erfolg der BSC beigetragen. In diesem Jahr ist Schweden das Partnerland. Europa ist mehr als die NATO und die EU. Sicherheit und Verteidigung können nur in Zusammenarbeit mit den Nachbarn dauerhaft gewährleistet werden. Militärische Stärke erleichtert jedoch den politischen Konsens. Softpower alleine, ohne militärische Fähigkeiten, könnte missverstanden werden. Auch in diesem Jahr wird die Berliner Sicherheitskonferenz darauf hinweisen. Die aktuellen Themen und die in dem Programm mitwirkenden Vertreter aus EU-, NATO- und anderen Ländern garantieren wieder einen Besuch der Veranstaltung. Bereits in den letzten Jahren wurden mehr als 1.000 Teilnehmer für diesen zweitägigen internationalen Kongress in Berlin registriert.

Schwerpunkt Nordflanke

Ein Blick zurück

E

s wurde mir bereits zu jener Zeit klar, was diese Konferenz unter der Vielzahl sonstiger Sicherheits- und Verteidigungstreffen, die jedes Jahr in Europa stattfinden, so einzigartig macht. An erster Stelle das Dreierformat aus zivilen, militärischen und industriellen Belangen. Diese Mischung aus politischer und strategischer Debatte, militärischen Empfehlungen und Einbindung der Industrie (mit Exponaten der Teilnehmer und Sponsoren) ist angesichts der Erfordernisse in Sachen Verteidigungsfähigkeit eindeutig der beste Ansatz zur Erzielung wirksamer und effizienter Lösungen. Der zweite Vorteil dieser Konferenz im Vergleich zu anderen ist ihre Struktur. Durch die Kombination von Plenarsitzungen rund um ein Kernthema und spezialisierten Podiumsgesprächen mit unterschiedlichem Fokus kann sich jeder Teilnehmer je nach Interessenlage ein maßgeschneidertes Programm zusammenstellen. Was jeder nach diesen beiden intensiven Tagen mit nach Hause nimmt, sind stets ein enorm geschärftes Bewusstsein und viel Stoff zum Nachdenken über diesen dreifachen Ansatz zu Fragen der Sicherheit und Verteidigung. Der dritte Vorteil beruht auf dem Konzept der Partnernation. Seit 2012 kommt bei jeder Konferenz einem bestimmten Land eine prominente Rolle zu, sowohl bei der Vorbereitung als auch in Bezug auf das Programm selbst. Die erste Einladung erging an Russland, gefolgt

konferenz auch dieses Mal wieder ein abwechslungsreiches, hochwertiges Programm.

(BS/Reimar Scherz*) Wenige Tage vor der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) 2017 – dem 16. Kongress zur Europäischen Sicherheit und Ver- Partner werden neue Themen teidigung – wird deutlich, dass das Thema des Kongresses die aktuelle Entwicklung trifft: “Europa unter Druck – Sicherheit und Verteidigung in aufgenommen und behandelt. unberechenbaren Zeiten”. Jede BSC hat daher ihren ei-

HINTERGRUND (BS/por) Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ist ein zentrales Politikfeld der Europäischen Union (EU). Die GSVP wurde mit dem Vertrag von Nizza 2001 unter der Bezeichnung Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingeführt und

Behörden Spiegel / November 2017

degeneral a. D. Reimar Scherz sowie auch R. Uwe Proll, Herausgeber und Chefredakteur des Behörden Spiegel und vor allem Gründer und Hauptsponsor der Konferenz. Das diesjährige Thema der BSC “Europa unter Druck – Sicherheit und Verteidigung in unabsehbaren Zeiten” mag alarmierend klingen. Die Stimmung scheint sich allerdings im Vergleich zur recht pessimistischen Einstellung in Europa vor nur einem Jahr im Moment wieder aufgehellt zu haben – zumindest unter denjenigen, die eine weitere EU-Integration und ein starkes Nordatlantisches Bündnis als existenzielles Pflichtprogramm für den Westen ansehen. Letzten Endes haben sich ja viele der Worst-Case-Szenarien nicht bewahrheitet: so die vorhergesagte rasche Erosion der Europäischen Union (infolge einer Kombination aus Brexit, internen institutionellen Spannungen und steigendem Nationalismus), die angekündigte massive Unterstützung populistischer Parteien bei Landeswahlen oder die als Möglichkeit erwogene Unterminierung der NATO durch die anhaltende hybride Angriffskampagne vonseiten Russlands. Im Gegenteil! Die Europäische Union macht sich für eine ro-

buste Sicherheits- und Verteidigungsagenda stark (darunter auch die Förderung von Innovation in der Rüstungsindustrie) und kooperiert mit der NATO wie nie zuvor; das Bündnis wiederum hat die volle operationelle Fähigkeit seiner Vornepräsenz an der Ostflanke und eine erhebliche Stärkung seiner stabilitätsfördernden Einsatzkapazität im Mittleren Osten und Nordafrika erreicht und ist gleichzeitig bemüht, sich noch stärker in der Terrorismusbekämpfung zu profilieren. Darüber hinaus ist der sogenannte “Islamische Staat (Dasesh)” so gut wie besiegt und die Flüchtlingskrise kein Thema mehr, das täglich Schlagzeilen macht. Und in Belangen von gemeinsamem Interesse, insbesondere in der Terrorismusbekämpfung, scheint sogar Russland – wenn auch in äußerst bescheidenem Umfang – Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. Was allerdings die langfristigen strategischen Aussichten angeht, besteht keinerlei Veranlassung, irgendwo in unseren Anstrengungen zurückzuschalten. Mit der Vernichtung des Daesh als territorialer Einheit rollt eine neue Welle terroristischer Anschläge durch rückkehrende Auslandskämpfer auf Europa

Fotos: BS/Dombrowsky

zu. Die Internationale Organisation für Migration hat für Europa in einer jüngsten Schätzung die mögliche Immigration aus Afrika auf bis zu 60 Millionen Menschen beziffert. Sollte auch nur ein Zehntel dieser Prognose eintreten, würde sich daraus eine radikale Veränderung für unseren Kontinent ergeben. Und etwas weiter weg von Europa: In Afghanistan ist keine machbare Lösung in Sicht und im Raum Asien-Pazifik verkompliziert sich die ohnehin schon angespannte Lage durch die akute Eskalation um das nordkoreanische Kernwaffenund Raketenprogramm. Dieser Sachverhalt, das heißt ziemlich “unabsehbare Zeiten”, die “Europa unter Druck” (und generell die westliche Welt) setzen, kann daher nicht als vorübergehender Zustand betrachtet werden. Er ist die neue Normalität, der wir uns, ohne uns irgendwelchen Illusionen hinzugeben, stellen müssen. Vor diesem Hintergrund bildet die Berliner Sicherheitskonferenz aufs Neue ein unerlässliches Forum von höchster Relevanz, wenn es darum geht, das Bewusstsein unserer politischen Entscheidungsträger für strategische Belange zu schärfen, erfahrungsgestützten militärischen Rat offen auszusprechen und die Einbindung der Verteidigungsindustrie zu ermöglichen. *Botschafter Jiří Šedivý, Ständiger Vertreter der Tschechischen Republik bei der NATO, früherer Verteidigungsminister, BSCKongresspräsident 2015 – 2017


BSC

Berlin Security Conference

1 6 th C o n g r e s s o n E u r o p e a n S e c u r i t y a n d D e f e n c e

28. – 29. November 2017 Vienna House Andel’s Berlin

Europa unter Druck – Sicherheit und Verteidigung in unberechenbaren Zeiten Partnerland BSC 2017: Schweden Highlights im Hauptprogramm, u. a.: > ERÖFFNUNG DER KONFERENZ » Peter Hultqvist (1), Verteidigungsminister von Schweden (Partnerland der BSC 2017) » Sven Mikser (2), Außenminister von Estland (zurzeit EU-Ratspräsidentschaft)

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> KEYNOTE-ANSPRACHEN » Helga Maria Schmid (3), Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) » Michel Barnier (4), Beauftragter der EU-Kommission für die Austrittsverhandlungen mit dem 3

Vereinigten Königreich (Brexit) » Dr. Géza Andreas von Geyr (5), Abteilungsleiter für Politik im Bundesministerium der Verteidigung » General Mikhail Kostarakos (6), Vorsitzender des EU-Militärausschusses » General Denis Mercier (7), Supreme Allied Commander Transformation, NATO » Generalleutnant Dr. Dennis Gyllensporre (8), Chef des Stabes,

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Schwedische Streitkräfte

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> FORUM ZUKÜNFTIGE STREITKRÄFTE » Vizeadmiral Andreas Krause (9), Inspekteur der Marine » Generalleutnant Ludwig Leinhos (10), Inspekteur des Cyber- und Informationsraums 9

» Generalleutnant Karl Müllner (11), Inspekteur der Luftwaffe » Generalleutnant Martin Schelleis (12), Inspekteur der Streitkräftebasis

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» Generalleutnant Jörg Vollmer (14), Inspekteur des Heeres

Weitere Informationen und Anmeldung  www.euro-defence.eu Veranstalter

Fotos: BS/Dombrowsky/privat

» Generaloberstabsarzt Dr. Michael Tempel (13), Inspekteur des Sanitätsdienstes


Verteidigung

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I

n unseren Bemühungen, die gemeinsame Sicherheit zu stärken, müssen wir die multilaterale, regelbasierte Ordnung verteidigen. Dies ist die effizienteste Art, sich alten und neuen Herausforderungen zu stellen, sowohl zwischen- als auch innerstaatlich. Unsere eigene Sicherheit basiert darauf, dass andere Staaten vereinbarte internationale Regeln und Prinzipien respektieren. Aus diesem Grund betrachtet Schweden die regelbasierte europäische Sicherheitsordnung als ein nationales Sicherheitsinteresse. Heute steht diese Ordnung vor ihrer größten Herausforderung seit dem Ende des Kalten Krieges. Russlands illegale Annexion der Krim und seine andauernde Aggression gegen andere Teile der Ukraine sind ein Verstoß gegen das Völkerrecht und die Grundprinzipien der territorialen Integrität und Souveränität, das Recht eines Staates auf die eigenständige Gestaltung seiner Sicherheitspolitik eingeschlossen. Gehen wir bei diesen Prinzipien Kompromisse ein, würde das letztendlich zu weniger statt zu mehr Sicherheit führen. Ein wichtiger Sicherheitsaspekt ist das von Schweden nachdrücklich unterstützte Konzept der umfassenden Sicherheit. Die Achtung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Grundfreiheiten ist ein wesentlicher Bestandteil von Sicherheit im Verständnis der

Gemeinsame Sicherheit stärken Schweden – Partner der Berliner Sicherheitskonferenz 2017 (BS/S. E. Per Thöresson) Die Sicherheitsbedrohungen und Herausforderungen, denen Europa gegenübersteht und die auf der Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr diskutiert wurden, haben leider nichts an Aktualität verloren. Fortschritte können im Kampf gegen denDaesh verzeichnet werden, die Krisen in unserer östlichen und südlichen Nachbarschaft hingegen warten noch immer auf eine Lösung. Nach wie vor stehen hybride Bedrohungen, Informationsoperationen und Cyber-Attacken weit oben auf der Tagesordnung, Terrorismus und Klimawandel ebenso. Die Unsicherheit in Bezug auf Nordkorea und auf die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran geben weiteren Anlass zur Besorgnis. Oft wird darauf hingewiesen, dass Sicherheitsbedrohungen heute keine Grenzen mehr kennen und komplexer und stärker miteinander verbunden sind als je zuvor. Was außerhalb Europas passiert, wirkt sich deshalb immer stärker direkt auf unsere eigene Sicherheit und unseren Wohlstand aus. Ich denke, das wird sich auch nicht so schnell ändern.

Leitprinzip der nichtständigen Mitgliedschaft Schwedens im UN-Sicherheitsrat 2017–18, bei der Anstrengungen zur Konfliktprävention und zur Sicherung des Friedens an erster Stelle stehen. Hervorzuheben ist hier die Verbindung zwischen Frauen, Frieden und Sicherheit, einschließlich der Notwendigkeit, Frauen aktiv in Friedensprozesse einzubinden. Damit sind wir auf dem richtigen und intelligenten Weg, denn die Forschung hat deutlich gezeigt, dass Friedensabkommen länger halten, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch sitzen. Die Europäische Union ist die wichtigste Plattform für die Umsetzung der schwedischen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Verschlechterung der Sicherheitslage im Umfeld Europas hat ironischerweise dazu geführt, dass sich die EU wieder ihrem Kern als Friedens- und Sicherheitsprojekt zuwendet. Die Geschichte hat gezeigt, dass Länder, die demokratische Werte teilen und in hohem MaS. E. Per Thöresson, schweße voneinander discher Botschafter in abhängig sind, Deutschland selten miteinanFoto: BS/Kristian Pohl, Schwedische Kanzlei der Ministerien der in Konflikt geraten. Deshalb verringert sich dank der EU die Vereinten Nationen, der OSZE, Gefahr von Konflikten in Europa. der EU und des Europarats. Die Erweiterungspolitik hat sich Die Standards zu senken, wür- dabei als wichtiges Instrument de uns nur größeren Gefahren erwiesen und wird dies auch weiaussetzen. Länder, die repressiv terhin sein. Die Zeiten mögen unvorhernach innen agieren, verhalten sich oft aggressiv nach außen. sehbar sein, aber die EU stellt Deshalb müssen wir besonders sich den Herausforderungen in Zeiten großer Herausforde- und geht voran, indem sie mehr rungen an unseren Grundwer- Verantwortung für ihre eigene ten festhalten. Dies ist auch ein Sicherheit übernimmt. Durch

D

ie handlungsauslösenden Veränderungen für den gegenwärtigen Anpassungsbedarf unserer (Land-)Streitkräfte ergeben sich in erster Linie aus dem Wandel auf strategischer und operativer Ebene. Vor allem auf dem strategischen Politikfeld haben sich langfristige Konfliktlinien herauskristallisiert. Dieses sind u. a. die strategische Konkurrenz und Herausforderung des Westens durch Russland, den Iran, den gewaltbereiten Islamismus sowie China, seit Kurzem auch Nordkorea. Gleichzeitig erodiert der innere Zusammenhalt der westlichen Gemeinschaft. Die Anwendung von Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure scheint als Fortsetzung der Politik wieder salonfähiger geworden zu sein. Die Erscheinungsformen dieser Gewalt, von klassischen Kriegen über hybride Konflikte bis hin zu Aufständen und Terror, treten häufig zeitgleich auf – die Grenzen sind fließend. Auf der operativen Ebene sind es v. a. die Rahmenbedingungen der modernen, zeitlich und räumlich entgrenzten Informationsgesellschaftsowiediesichaus der Digitalisierung ergebenden technologischen Möglichkeiten, die neue Herausforderungen v. a. für die Landstreitkräfte schaffen. Am negativen Ende dieser Entwicklung wird “Perception is Reality” stehen, ohne dass dieser Prozess seinen Hö-

Behörden Spiegel / November 2017

“Schweden ergreift umfassende Maßnahmen zur Stärkung seiner Streitkräfte.”

die Implementierung ihrer globalen Strategie vertieft die EU ihre Verteidigungs- und Sicherheitskooperation – unter anderem durch die Etablierung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) – und optimiert so ihre Fähigkeiten, Krisen außerhalb der EU besser zu bewältigen. Schweden unterstützt diese Entwicklung nachdrücklich unter der Voraussetzung, dass die Zusammenarbeit zwischenstaatlichen Charakters und mit unserer militärischen Bündnisfreiheit vereinbar ist. Gleichzeitig ist es wichtig, den breiteren Sicherheitskontext nicht zu vergessen und auch die zivile Seite unseres Krisenmanagements zu stärken. Schweden beteiligt sich an allen Militäroperationen der EU und zählt zu den drei Ländern, die am maßgeblichsten zu den zivilen Krisenbewältigungsmissionen der Union beitragen. Schweden ergreift zudem umfassende Maßnahmen zur Stär-

kung seiner Streitkräfte. Unser nationaler Verteidigungshaushalt wurde aufgestockt und die Wehrpflicht wieder eingeführt. Die Zahl der Wehrpflichtigen, die im nächsten Jahr ihre Grundausbildung absolvieren werden, wird so bei 4.000 Soldatinnen und Soldaten liegen. Schweden schafft Sicherheit gemeinsam mit anderen Partnern. Als militärisch bündnisfreies Land vertiefen wir die Zusam-

Foto: BS/Portugall

menarbeit mit anderen Staaten und Organisationen, vor allem mit Finnland als unserem engsten Partner in diesem Bereich und mit den anderen nordischen Ländern. Schweden misst der Nordischen Verteidigungszusammenarbeit (Nordefco) große Bedeutung bei und legt hier besonderes Gewicht auf die Verbesserung des Situationsbewusstseins in unserer Region und die Stärkung der militärischen Fä-

higkeiten. Intensiviert wird aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Partnern. So wurde im vergangenen Jahr eine Absichtserklärung mit den USA und in diesem Jahr eine mit Deutschland unterzeichnet. In diesem Sommer traten Schweden und Finnland der unter Leitung von Großbritannien stehenden Joint Expeditionary Force (JEF) bei, einer Task Force für das gesamte Spektrum an Militäreinsätzen zur Unterstützung beispielsweise der Vereinten Nationen, der EU und der NATO. Schweden setzt die Vertiefung seiner Partnerschaft mit der NATO fort. 2014 wurde Schweden Enhanced Opportunity Partner (EOP) der NATO und unterzeichnete eine Gastland-Vereinbarung (Host Nation Support). Ein wichtiger Bestandteil des schwedischen Engagements für Sicherheit besteht in gemeinsamen Übungen mit seinen Partnern. Im September führten die schwedischen Streitkräfte mit “Aurora 17” ihr größtes Manöver seit 20 Jahren durch – mit über 19.000 schwedischen Teilnehmern und etwa 2.000 Soldaten aus Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Lettland, Litauen, Norwegen und den USA. Dieses Manöver stärkt unsere Verteidigungspolitik: Wir festigen unsere Landesverteidigung, vertiefen die Zusammenarbeit mit unseren Partnern und schaffen so gemeinsam Sicherheit. Ich freue mich auf die Diskussionen im Rahmen der Berliner Sicherheitskonferenz. Als Partner der diesjährigen Konferenz wird Schweden deutlich machen, wie sehr wir die Zusammenarbeit mit unseren Partnern schätzen und wie wir zur Sicherheit Europas und darüber hinaus beitragen.

Hintergrund: Schwedens Streitkräfte (BS/por) Die schwedischen Streitkräfte verfügen über einen Personalbestand von 52.325. Darin enthalten sind u. a. 15.009 Berufssoldaten, 5.132 Zivilbedienstete sowie 21.487 Angehörige der Heimwehr. Der diesjährige Verteidigungshaushalt beläuft sich auf umgerechnet 5,136 Milliarden Euro. 2010 war die Wehrpflicht ausgesetzt worden; in diesem Jahr wurde sie wieder aktiviert. Das Heer bildet mit rund 15.000 Soldaten, davon 6.000 im aktiven Dienst, die größte Teilstreitkraft.

Strategische und operative Volatilität

Rückgrat der Panzerwaffe sind 120 “Stridsvagn (Strv) 122”. Dabei handelt es sich um Lizenzbauten des deutschen “Leopard-2”-Kampfpanzers. Je fünf U-Boote und Korvetten stellen die Hauptstreitmacht der Marine dar, die eine Küstenlinie von 3.218 Kilometern zu sichern hat. Die schwedischen Seestreitkräfte verfügen über rund 8.000 Soldaten. Rückgrat der Luftwaffe bilden 96 Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ Saab JAS-39C/D “Gripen”. 4.000 Soldaten bilden den Personalbestand der Luftwaffe.

Gleichzeitigkeit und Reaktionsfähigkeit, kombiniert, verlangen nach adaptierbarer, skalierbaHerausforderungen an die Landstreitkräfte der Zukunft rer Ausrüstung und Waffen, (BS/Generalleutnant Jörg Vollmer) “Panta rhei” – diese altbekannte Weisheit gilt auch und besonders für die Anpassung von Streitkräften an zu- die flexibel und möglichst von künftige Herausforderungen – ein dauerhafter und fließender Prozess. Die schiere Komplexität der sich daraus ergebenen Fragestellung und die allen Soldaten einsetzbar sein unzähligen Möglichkeiten, sie zu beantworten, gleicht zuweilen einer Sisyphusarbeit, darf dabei aber nicht zu einer planerische Kapitulation führen. sollen. Neben bereits eingelaufeIm Gegenteil, es gilt, scharf und präzise die wenigen vorhandenen Konstanten und Determinanten zu identifizieren und diese in intelligente Planung nen Pfaden wie “Joint Fire Supumzusetzen. Groß ist dabei die Gefahr, Plattitüden aufzusitzen, noch größer die Gefahr, sich in einen Zielkonflikt zu manövrieren, in dem es zwischen port” müssen dabei auch neue notwendiger Masse mit querschnittlichen Fähigkeiten und besonderer Spezialisierung zu entscheiden gilt. Weder Wunschdenken noch die Über- Wege gedacht und beschritten höhung technologischer Möglichkeiten darf erkenntnisleitend sein, sondern das Streben nach zukunftsweisendem und missionstauglichem Gerät. werden. Dies kann beinhalten, dass innerhalb eines Verbandes neben den Kernfähigkeiten auch ple” mit den Einflussfaktoren keiten. Kernkompetenz bleibt weitere, ergänzende Fähigkeiten des Geländes, der Infrastruktur die Fähigkeit zum Kampf! Die- ausgebracht werden müssen, und widriger Umweltbedingun- ser muss geführt werden gegen so z. B. das Fähigkeitssegment gen. Dabei wird auch zukünftig, jede Form von Gegner bis hin zu “qualifizierte Fliegerabwehr” wie seit jeher, der entscheidende einem “Peer Opponent”, also ei- oder die Fähigkeit zum “ManTeil einer Gesamtoperation stets nem auch technologisch gleich- ned-Unmanned Teaming”. In von Landstreitkräften zu erbrin- wertigen Gegner. Aus diesem Zeiten knapper Ressourcen gilt gen sein. Unverändert wird daes, eingesetzte bei getötet und unverändert geht Mittel und damit es um systematische Gewaltandie “Usability of Generalleutnant Jörg Vollwendung zur Durchsetzung des Forces” effizient mer, Inspekteur Heer, leitet eigenen Willens, der eigenen zu nutzen und das Panel A3 “Enhanced Interessen gegen einen Gegner. deutlich zu erForward Presence – first Die Art und Weise der Operatiresults and recommendahöhen. Das wird tions” der Berliner Sicherdie Königsdiszi“Der Charakter des Kampfes, das Wesen von Konflikt und Krieg: Die “Essenz onsführung, des Kampfes änheitskonferenz am 28. Noplin aller militäder Dinge” ändert sich nicht.” Foto: BS/Bundeswehr, Heer dern sich quasi als Kettenreaktion unter dem Einfluss der vember 2017. rischen Planer hepunkt schon erreicht hätte. für den Einsatz von Landstreit- strategischen und operativen der Zukunft sein. Foto: BS/Bundeswehr Die Herausforderung für unse- kräften. Angesichts der sich Rahmenbedingungen. Doch auch die Welche Folgerungen sind aus re eigenen “Cyber-Krieger” wird wandelnden Rahmenbedingunbeste Planung darin bestehen, technische und gen bieten sie die Ansatzpunkte diesen Erkenntnissen zu zie- “Worst Case Scenario” müssen wird erfolglos sein, wenn der inhaltlich günstige Bedingun- für die zukünftige Ausrichtung hen? die eigenen Fähigkeiten, ausge- Schlüssel für erfolgreiche Opegen für die Operationsführung von Landstreitkräften. Strategische und operative stattet mit einer entsprechenden rationen fehlt: die Ressource auch von Landstreitkräften zu Der Charakter des Kampfes, Volatilität erfordern von Land- Reaktionsfähigkeit, abgeleitet Mensch. Gutes und leistungsfäschaffen. Während sich die stra- das Wesen von Konflikt und streitkräften die Fähigkeit zur werden. Um dies zu erreichen, higes Personal war gestern, ist tegische und operative Ebene Krieg: Die “Essenz der Dinge” gleichzeitigen und jederzeit in benötigt das Heer voll ausge- heute und wird auch morgen der hochgradig volatil zeigen, finden ändert sich nicht. Kampf und jede Richtung skalierbaren “Po- stattete Verbände, ein heraus- entscheidende Faktor sein, er sich auf der taktischen Ebene Krieg erfolgen nach Sir Rupert wer Projection” aller auf dem Ge- ragendes Ausbildungssystem muss am Anfang und am Ende grundsätzlich die Konstanten Smith immer “amongst the peo- fechtsfeld erforderlichen Fähig- und v. a. gut gerüstete Soldaten. jeder Überlegungen stehen.


Die letzte Seite

Behörden Spiegel / November 2017

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enn der Tierpfleger auf seinem Fahrrad durch den Duisburger Zoo fährt, ist er meist auf dem Weg zum nächs­ ten Revier. Als Springer hilft er aus, wo Not am Mann ist. Eigent­ lich arbeitet der Tierpfleger in der Fasanerie “Vogelwäldchen”, doch die wird zurzeit umgebaut. Viermal die Woche arbeitet er acht Stunden, einmal pro Woche elf Stunden, wenn er Schließ­ dienst hat. Aber einen richtigen Feierabend hat der 28­Jährige eigentlich nie. Max Patschinsky ist mit ganzem Herzen dabei, das merkt man schnell, wenn er über die Zootiere spricht. Er versteht seinen Beruf als Berufung. In seiner Freizeit liest er wissen­ schaftliche Literatur über Vögel. Auf Reisen sieht er sich die exo­ tischen Vögel der jeweiligen Länder an und ist einer seiner Schützlinge mal krank oder ein Küken frisch geschlüpft, nimmt der gebürtige Essener das Tier mit nach Hause und päppelt es auf. “Wenn ich sehe, dass all die Arbeit und Mühe sich gelohnt haben, wenn eine Henne brütet, freut mich das besonders”, sagt er. Dann fühlt er sich und seine Arbeit mit den Tieren besonders bestätigt.

Die Liebe zu Tieren Der Kontakt zu Tieren jeglich­ er Art war schon immer eine große Leidenschaft. In seiner Kindheit hatten er und seine Familie mehrere Hunde, Katzen und Nagetiere. Immer wieder brachte er als Kind Tiere mit nach Hause, die er verletzt oder verlassen aufgefunden hatte. Seine Eltern waren da­ von allerdings wenig begeistert. Später begann Schlangen und Spinnen in Terrarien zu halten. Während der Ferien absolvierte

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Arbeiten im Vogelwäldchen Ein Tierpfleger aus dem Duisburger Zoo (BS/Julia Seeliger) Seine beiden Lieblingstiere im Zoo sind Alfonso und Pepone. Die beiden Tapire freuen sich immer über Max Patschinskys Besuch, denn er bringt nicht nur Obst, sondern auch genügend Streicheleinheiten mit.

Panda geschminkt teil. Außer­ dem verreist er gerne, am lieb­ sten nach Thailand oder Indo­ nesien. Dort ist er besonders fasziniert von den heimischen und exotischen Vogelarten. Auch im Zoo besucht er gerne das Südostasien­Revier. Seine beiden Lieblingstiere sind Alfonso und Pepone, zwei heißblütige Latinos, die zu den Tapiren gehören. Vater und Sohn teilen sich zusammen mit zwei Ameisenbären ein Gehege gegenüber der Fasanerie und freuen sich, wenn ihr Nachbar sie besucht. Erst gibt es ein paar Stücke Obst, dann lange Streicheleinheiten, die die beid­ en sichtlich genießen. Ein Tier, die 26­jährige Orang­Utan­ Dame namens Miri, mag ihn allerdings gar nicht. Wenn er gelegentlich Schließdienst im Affenhaus hat, bespuckt sie ihn regelmäßig. Nicht nur ihn, son­ dern auch Kollegen oder Freun­ de, die ihn beim Schließdienst manchmal begleiten. Lediglich die Pfleger, die sie als Baby noch mit der Flasche aufgezogen und gebadet haben, werden von ihr geduldet.

Pflege und Artenerhalt “Tierhaltung ist immer verbes­ serungswürdig”, sagt PatschinsFotos: BS/Julia Seeliger ky. In den letzten Jahren habe sich bei der Vogelhaltung eini­ insgesamt eine deutlich höhere ges getan. Früher wurden den Lebenserwartung”, erklärt er. Tieren noch die Flügel gestutzt, Das haben sie vor allem der damit sie nicht mehr wegfliegen medizinischen Behandlung und konnten. Dennoch seien immer Pflege im Zoo zu verdanken. wieder Vögel aus den Zoos ver­ Der Seehund­Rentnerin Oma schwunden und einfach durch mussten zum Beispiel beide Au­ ein neues Exemplar oder eine gen entfernt werden, zusätzlich andere Art ersetzt worden. sei sie taub. “In der freien Wild­ Heute achte der Duisburger Zoo bahn wäre sie längst gestorben”, auf eine adäquate Haltung der so Jurczynski. “Aber hier wird Tiere und habe das Ziel, gefähr­ Oma von den dete Arten zu “Tierhaltung ist immer anderen Rob­ erhalten und ben in Frieden verbesserungswürdig.” zu etablieren. gelassen und Auch wenn kann ihr Fut­ Vögel kein ter mithilfe der Pfleger und ihrer Besuchermagnet seien, sollte Schnurrbarthaare sehr gut auf­ an diesen Zielen dennoch weit­ spüren.” Nachteil der höheren er festgehalten und gearbeitet Lebenserwartung der Zootiere werden, wünscht sich Patschsind allerdings Krankheiten, die insky. sie altersbedingt entwickeln. So Um bei der Tierhaltung und finden sich auch Fälle von Osteo­ ­Pflege der Vögel immer auf dem porose und anderen typischen neusten Stand zu sein, liest er in Alterskrankheiten, die genauso seiner Freizeit viel Fachliteratur bei Menschen auftreten kön­ zu Vögeln. Als Auszubildender nen. “Bei harmloseren Krank­ besuchte er einmal die Woche heiten kann es auch schon mal den zoointernen Unterricht. vorkommen, dass sich Tiere und “Während der Ausbildung wird Pfleger gegenseitig anstecken”, die Ornithologie nur oberfläch­ erzählt Patschinsky. “Wenn lich behandelt”, erzählt er. Sein im Affenhaus zum Beispiel ein Wissen über Vögel musste er sich Pfleger einen Schnupfen hat, im Großen und Ganzen selbst dann haben den am nächsten aneignen. Umso mehr freut er Tag unter Umständen auch alle sich über den Umbau der Fasan­ anderen, Kollegen wie Tiere.” erie und den neuen Kurator des Zoos, der wohl sehr vogelaffin Die Duisburger Zooläufer sei. Wie groß die neue Fasan­ Seine Freizeit verbringt Pat- erie werden wird, ist zunächst schinsky am liebsten auch allerdings noch unklar. Um­ an der frischen Luft. Zusam­ bauten finanziert der Tierpark men mit einigen Kollegen ist ausschließlich durch Spenden. er Mitglied der zoointernen “Im Gegensatz zu größeren Laufgemeinschaft. Dieses Jahr Tierparks, die sehr viele Mittel nahmen sie zum Beispiel am zur Verfügung haben, wie zum zehnten Duisburger Zoo­Lauf Beispiel der Kölner Zoo, ist die teil, dabei laufen die Teilneh­ Stadt Duisburg selbst knapp bei mer kostümiert zwei Runden Kasse und kann dem Zoo nur be­ durch den gesamten Tierpark. grenzt unter die Arme greifen”, Der 28­Jährige nahm als großer sagt Patschinsky.

In der Fasanerie ist das Streicheln der Vögel eher Wunschdenken. Wenn der Tierpfleger doch mal das Bedürfnis hat, wechselt er ins Gehege der Tapire.

irgendwann sein eigenes Revier zu leiten. Derzeit ist er inoffi­ zieller Stellvertreter von Andreas Uterhardt, dem Revierleiter der Fasanerie.

Fasziniert von der Vogelwelt Während seiner Ausbildung merkte Patschinsky schnell, welche Abteilung ihn am meisten fasziniert: die Fasanerie. “Die meisten Vogelarten sind noch

ger Zoo zum Beispiel Kirk, eine afrikanische Windspielantilope, geboren. Da es von seiner Mut­ ter nicht angenommen wurde, zog der Revierleiter das Junge mit der Flasche auf. Patschinsky: “In solchen Momenten weiß man, dass sich die Arbeit im Zoo lohnt.” Um acht Uhr morgens beginnt der Tierfreund seinen Dienst. Dann sieht er zuallererst nach

Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist natürlich das Füttern der Tiere. Den Schneeeulen zum Beispiel bringt er täglich 30 weiße Mäuse, die von einer speziellen Tierfutterfirma an den Zoo geliefert werden.

er immer wieder Praktika in weitestgehend unerforscht”, Zoos, unter anderem in Duis­ sagt er. Es gebe nur wenig Li­ burg, Wuppertal und Essen. teratur über sie, vermutlich, weil “Für mich war schon immer klar, Vögel im Zoo nicht unbedingt dass ich später mit Tieren arbe­ ein Besuchermagnet seien. Aber gerade das findet der Tierpfleger iten möchte”, erklärt er. Mit 16 begann er dann seine so besonders an ihnen. “Vögel dreijährige Ausbildung zum sind sehr scheue, misstrauische Tierpfleger im Duisburger Zoo. Tiere. Man behält immer eine Distanz zu Er hatte die “Für mich war schon ihnen und es Wahl zwis­ dauert lange, chen den immer klar, dass ich sie einem Fachrich­ später mit Tieren arbeiten bis vertrauen.” tungen Zoo, möchte.” Das Beste an Forschung seiner Arbe­ und Klinik od­ er Tierheim und Pension. Bezahlt it sei, wenn eine Henne nach werden ausgebildete Tierpfleger langer Arbeit endlich brüte wie Max Patschinksy nach TVÖD und so den Erhalt ihrer Art ein 6, Stufe 4. Ein Biologiestudium kleines Stückchen mehr sichern zog er nur kurz in Betracht. “Mit könne. Manchmal dauere das einem abgeschlossenen Studi­ allerdings sehr lange. Ein Pärch­ um ist es sehr schwer, einen en der Riesentrappen ließ sich Job im Zoo zu finden”, sagt er. so lange Zeit, bis man auf die “Außerdem möchte ich den Kon­ – im Nachhinein banale – Idee takt zu den Tieren nicht verlier­ kam, den Bodenbelag zu än­ en.” Ein Schreibtischjob in der dern. Schon eine Woche später Zooverwaltung sei zwar schön, brütete die Henne auf dem wenn es kalt sei und regne, aber neuen Sandboden. “Dennoch Patschinsky arbeitet lieber mit bleibt zu den Vögeln immer ein den Tieren als im Büro. Span­ gewisser Abstand”, erzählt er. nend findet er hingegen die Ar­ Man baue einfach keine sehr beit eines Kurators. Dieser führt starke emotionale Bindung zu Zuchtbücher und vermittelt bei dieser Tierart auf, anders als bei der Übergabe von Tieren zwi­ manch anderen Charaktertie­ schen den verschiedenen Zoos. ren im Zoo, sagt er weiter. Vor Am liebsten wäre es ihm jedoch, zwei Jahren wurde im Duisbur­

den Tieren in der Fasanerie. Ist alles in Ordnung, verteilt der Tierpfleger kleine Frühstücksra­ tionen an die Tiere und säubert das Außengehege. Anschließend lässt er sie nach draußen und mistet ihre Ställe aus. Gegen Mittag veranstaltet die Fasan­ erie wie viele andere Reviere kommentierte Fütterungen. Dem Publikum erzählt Patschinsky dann von den verschiede­ nen Vogelarten im Zoo und ihren Besonderheiten. Wer sich traut,

darf sogar selbst ein paar der lebenden Heuschrecken an die Tiere verfüttern. Derzeit befind­ en sich nur noch fünf Vogelarten und zwei afrikanische Zwergan­ tilopen in seiner Obhut. Über vi­ erzig Arten mussten mit Beginn des Umbaus an andere Zoos ab­ gegeben werden. Momentan ist die Fasanerie also eher nur ein Ein­Mann­Job. Deshalb fragt er, sobald er diesen erledigt hat, in den anderen Revieren nach, ob er helfen kann. Die Fasa­ nerie macht zwar derzeit kaum Arbeit, im restlichen Zoogebiet herrscht jedoch dringender Per­ sonalmangel. Bevor er jedoch in anderen Re­ vieren aushilft, schaut er noch schnell in der Tierarztpraxis vor­ bei. Hier versorgt er momentan zwei Murmeltiere und eine Po­ larfüchsin mit Lungenwürmern. “Kleine Patienten oder frisch geschlüpfte Küken nehmen wir auch schon mal mit nach Hause”, erzählt er. Die müssten nämlich sehr intensiv gepflegt und alle halbe Stunde gefüttert werden. Dazu nimmt er genug Utensilien aus der Praxis mit. Es gibt dort sehr viele Untersuch­ ungsgeräte, die meisten Herden­ tiere würden jedoch im Revier selbst versorgt, erklärt Tierärz­ tin Kerstin Jurczynski. Sonst sei ihr Platz in der Rangordnung des Rudels gefährdet. Lediglich der Rudelstärkste oder ­schwächste könne ohne Probleme nach einer Behandlung wieder in sein Revier zurückkehren. Darüber hinaus kümmern sich die Zooveterinäre auch um fremde Tiere, die zu ihnen gebracht werden. Momen­ tan befindet sich zum Beispiel ein kleiner Igel in der Praxis, der sich von einer Lungenentzünd­ ung erholt. “Die Zootiere haben

Der Duisburger Zoo – Highlights und Zahlen (BS) Im Jahre 1934 wurde der Duisburger Zoo eröffnet, seitdem hat sich viel verändert. Heute besteht der Tierpark aus rund 16 Hektar Land, die von der Autobahn A3 in zwei Hälften geteilt werden. Der Besucher gelangt über eine begrünte Brücke auf die andere Seite. Der Zoo hat jeden Tag geöffnet und freut sich über rund eine Million Besucher pro Jahr. Er beschäftigt etwa 100 feste Mitarbeiter, die in der zoologischen, technischen, kaufmännischen oder Marketingabteilung des Zoos tätig sind. Zu den Highlights des Parks gehören unter anderem das Delfinarium und das Koalahaus, welche in Deutschland eher selten zu

finden sind. Für die Koalas übernahm bisher die Fluggesellschaft Air Berlin den Transport des Futters aus Florida (USA). Wie der Zoo jetzt an den Eukalyptus für die Koalas kommen wird, nachdem die Fluggesellschaft im August Insolvenz angemeldet hatte, ist noch unklar. Sich selbst hat der Zoo vier Ziele bzw. Aufgaben auferlegt: Er möchte sich für Artenerhaltung einsetzen, die Tierforschung vorantreiben und dieses Wissen den Zoobesuchern auch vermitteln und ein Ort der Erholung für seine Gäste sein. Der Zoo ist eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Die größten Anteile

Im Duisburger Zoo finden sich über 400 Tierarten und knapp 8.500 individuelle Tiere.

halten die Stadt Duisburg (72 Prozent) und der Verein der Freunde des Duisburger Tierparks (25 Prozent), drei Prozent werden von privaten Aktionären gehalten. Laut eigenen Angaben beträgt das Grundkapital des Zoos 1.738.000 Euro.



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