Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
Nr. X / 33. Jg / 41. Woche
Berlin und Bonn / Oktober 2017
G 1805
www.behoerdenspiegel.de
Stärker in die 3. Dimension gehen
Neue Wege gehen
Ernten im Nutzgarten der Achtsamkeit
Wuppertaler OB Andreas Mucke
Natalia Jaeckel fordert Mut
Dr. Lutz Kosack zur “Essbaren Stadt”
zum Diesel-Problem .............................. Seite 24
zur Digitalisierung ................................. Seite 34
Andernach ............................................. Seite 60
Noch nicht voll einsatzfähig (BS/mfe) Der Stab des neu eingerichteten Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Deutschen Bundestages wird voraussichtlich erst Mitte kommenden Jahres komplett arbeitsbereit sein. Das gestand kürzlich der Vorsitzende des Gremiums zur Überwachung der Arbeit der Nachrichtendienste des Bundes, Clemens Binninger (CDU), ein. Dem Amtsinhaber Arne Schlatmann stehen neben einem leitenden Beamten eigentlich die Mitarbeiter von vier Referaten zur Durchführung von Kontrollbesuchen bei den Diensten zur Verfügung. Das wären 20 Stellen. Davon sind bisher jedoch nur zwölf besetzt, gab Schlatmann zu. Und Binninger rechnet auch erst Anfang kommenden Jahres mit der Neuwahl der PKGr-Mitglieder.
Verhandlung zum Zensus (BS/jf) Am 24. Oktober findet in Karlsruhe eine mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Zensus 2011 statt. Geklagt hatten die Länder Hamburg und Berlin, die sich durch die Methode der registergestützten Volkszählung und anschließender Hochrechnung der Daten durch den Bund benachteiligt. Durch dieses Vorgehen wurden für Berlin 180.000 Einwohner und für Hamburg rund 82.900 Personen weniger ermittelt, was sich u.a. auf die Länderfinanzbeziehungen untereinander sowie auf die Verteilung von Geldern nach dem Königsteiner Schlüssel auswirkt. Bereits im Vorfeld hatte der Zweite Senat des BVerfG auf einen Eilantrag des Landes Berlin reagiert und den Vollzug der Löschungsvorschriften im Zensusgesetz ausgesetzt und diesen Beschluss bereits vier Mal verlängert.
Land unter – Migration in die Zentren Gleichwertige Lebensverhältnisse wiederherstellen (BS/R. Uwe Proll) Die “Verspargelung” der Landschaft durch Windräder, die Massentierhaltung und selbst das umstrittene Glyphosat, alles nur, damit die Bevölkerung in Deutschlands Großstädten versorgt werden kann. So die aktuelle Stimmung auf dem Lande, dort, wo alle Parteien inzwischen die “Heimat” verorten. Nicht nur im Wahlland Niedersachsen oder in den ostdeutschen ländlichen Regionen, sondern auch im Sauerland, in der Eifel und in Oberbayern. Land gegen Stadt. Benachteiligung gegen Bevorteilung. Ländliche Regionen fühlen sich im Stich gelassen von der großen Politik. Die Korrektur: eine Herkulesaufgabe für die nächste Legislaturperiode. Sozial, demografisch und infrastrukturell entwickeln sich Stadt und Land in der Bundesrepublik aktuell rasant auseinander. Landflucht hier – Wohnungsengpass da. Das Grundgesetz sieht die Bundeskompetenz zur “Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse” in ganz Deutschland vor. Doch es gibt keinen Anspruch, dies einzuklagen. Zumal die Bundesländer 1994 den sogenannten “Unitarisierungsdruck” unisono ablehnten und sich damit vom sogenannten Leitbild einer allumfassenden Einheitlichkeit der Lebensumstände verabschiedeten. Die Bundesländer übernahmen mehr Kompetenzen, der Bund war für die Frage der Entwicklung der ländlichen Räume nicht mehr verantwortlich. Ein fataler Fehler? Nicht nur die neuen Bundesländer verlieren Einwohner (z. B. Sachsen-Anhalt13,6 Prozent), längst gilt dies auch für westliche Länder (z. B. Saarland 7,9 Prozent). Wohlstandsländer im Westen, vor allem in den Städten, legen zu (z. B. Bayern 3,5 Prozent oder Baden-Württemberg 2,1 Prozent und Hessen 1,8 Prozent) Der Wegzug trifft nicht nur Dörfer und Samtgemeinden, sondern auch Kleinstädte. Der Zuzug in die Großstädte ist ungebremst. Wirksame Instru-
Kennzeichnen der Landflucht: zurückgebliebene Immobilien, die immer mehr verwahrlosen. Um den Trend umzukehren, braucht es dringend einen Masterplan Daseinsvorsorge und Digitalisierung in ländlichen Regionen, der im Koalitionsvertrag ganz vorn verankert werden muss. Foto: BS/© catcha, Fotolia.com
mente staatlicher Regulierung, Zu- und Abwanderung direkt zu steuern, gibt es nicht. Doch spätestens nach der letzten Bundestagswahl ist klar, die Vernachlässigung von Kleinstädten und ländlichen Regionen führt
dort zu einer Neigung zum politischen Rand. Im druckfrischen Raumordnungsbericht 2017 des Bundesverkehrsministeriums ist festgehalten, dass der Schrumpfungsprozess von
Landgemeinden sowie von Mittel- und Kleinstädten nicht nur Ostdeutschland, sondern zunehmend auch Westdeutschland erfasst. In 37 Prozent der Mittelstädte und 52 Prozent der Kleinstädte schrumpft die Be-
Kommentar
Leihrad-Schwemme in Bahnen lenken!
Zum ersten Mal bundesweit
(BS) Sie sind gelb, rot oder grün, heißen ofo oder mobike (aus China), gobee (Hongkong) oder oBike (Singapur) und verstopfen in Fernost längst Plätze und Wege. München hat es nun auch erwischt: Seit August soll allein (BS/mfe) Im Zusammenhang oBike rund 7.000 Freefloating-Räder an der Isar aufgestellt haben. Die anderen Anbieter wollen nachziehen. mit der von einem Supermarkterpresser vergifteten Babynahrung wurden zum ersten Mal alle Nutzer der Notfall-Informationsund Nachrichten-App des Bundes (NINA) informiert. Die Anwendung, die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) entwickelt wurde, nutzen über eine Million Personen. Die Bevölkerungsschutzwarnung vor den vergifteten Lebensmitteln wurde von der baden-württembergischen Polizei verfasst und dann über die einzelnen Bundesländer in NINA eingespeist. Es handelte sich folglich nicht um eine Warnung des Bundes. Technisch gab es bei der ersten bundesweiten Versendung einer Warnmeldung per NINA keine größeren Probleme.
Viele Kommunen haben stationsbasierte Mietrad-Systeme ausgeschrieben oder Gestattungsverträge aufgelegt. In Hamburg erhielt 2009 etwa die Deutsche Bahn den Zuschlag für Rad-Stationen. Aber: Konkurrent Nextbike stellte seine Räder trotzdem ins Straßenland. Im folgenden Rechtsstreit unterlag die Hansestadt. Letztes Jahr wurde dann Nextbike offizieller Anbieter in Berlin, hier bietet nun die Bahn eine weitere freie Miet-Flotte an. Während es sich im Gerangel der heimischen Platzhirsche zumeist um wenige Tausend qualitativ hochwertige Drahtesel dreht, setzen die neuen Anbieter auf günstige Masse. Mit Rädern unter 40 Euro lässt sich schnell “nach oben skalieren”. Im Ham-
burger Hafen sollen zig Tausende auf ihre Verteilung warten. Das Problem: Es gibt hierzulande kaum eine rechtliche Handhabe dagegen. Deshalb ist es gut, dass sich Verantwortliche aus mehreren Großstädten nun erstmals in Mannheim dazu getroffen haben. Die Kommunen müssen ihre Hausaufgaben machen, zumindest ein Verleih-Konzept vorlegen, früh mit den asiatischen Anbietern ins Gespräch kommen und die eigenen Interessen klar formulieren. Es gilt, die Aktivitäten der neuen Anbieter in möglichst konstruktive Bahnen zu lenken, sich aber auch für etwaige Rechtsstreitigkeiten zu wappnen. Die sind nicht auszuschließen, steht hinter den
Bikesharing-Start-ups ein weit größeres Interesse, als nur billige Stahlrösser unters Volk zu jubeln. Daten! Jedes Rad besitzt GPS und liefert gemeinsam mit einer App Bewegungsprofile. Da verwundert es nicht, dass die Materialschlacht von Internet-Giganten getrieben ist: Tencent (WeChat) und Foxconn (IT-Zulieferer) finanzieren die Expansion mit Hunderten Mio. Dollar. Wo aber geschickte Kommunikation aus den Rathäusern und interkommunaler Austausch an Grenzen stoßen, ist die künftige Bundesregierung gefordert – nicht, um Märkte zu protegieren, sondern um eine sinnvolle Mobilitätsraumentwicklung zu unterstützen! Julian Einhaus
Begehrlichkeiten
völkerung. In ländlichen Gebieten sieht es noch dramatischer aus, dort ist die Abwanderung vor allem Junger und Hochqualifizierter signifikant. Nicht nur, dass infrastrukturelle Angebote wie Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung und Freizeitangebote fehlen, das Leben wird zunehmend teurer. Z. B. wird die Wasserversorgung bei weniger Bevölkerung “kostenneutral” auf den Rest umgelegt. Die sogenannten “abgehängten” Regionen sind, so zeigen es die Wahlergebnisse, Hochburgen von Populisten, so auch in Großbritannien oder den USA. Daher ist der Ausbau der digitalen Infrastruktur in hohem Tempo notwendig, um die wirtschaftlichen Strukturen – also Arbeitsplätze – beizubehalten, wenn nicht sogar zu verbessern. Ein Masterplan Daseinsvorsorge und Digitalisierung in ländlichen Räumen ist daher eine zwingende Aufgabe der nächsten Bundesregierung und sollte ganz vorne im Koalitionsvertrag stehen. Es ist ja nicht verwunderlich, dass der Raumordnungsbericht 2017 des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVi) vor der Bundestagswahl bereits vorlag, aber erst danach veröffentlicht wurde.