Behörden Spiegel September 2017

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. IX / 33. Jg / 36. Woche

Berlin und Bonn / September 2017

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Verlässlich und attraktiv

“E” muss zum Normalfall werden

Zwischen Aktenberg und Leberwurst

Wolfgang Pieper zu den Anforderungen an den

Dr. Sönke Schulz: “Bereit, mit dem Land

Walter Koch über die Jagd nach Fettgehalt und

Bund als Arbeitgeber ............................. Seite 4

das große Rad zu drehen!” ..................... Seite 18

Etikettenschwindel ................................ Seite 68

Bürokratieabbau mit E-Vergabe (BS/jf) Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat sich den Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben. In einem ersten Anlauf stehen 13 Gesetze und drei Rechtsverordnungen auf der Agenda, die von überbordenden Belastungen für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung befreit werden sollen. Eines der Gesetze ist das Tariftreue- und Vergabegesetz des Landes. Zudem soll die Einführung der elektronischen Vergabe Entlastungen bringen. Dazu soll die elektronische Abwicklung des gesamten Beschaffungsprozesses einschließlich der Anbindung der Beschwerde- und Nachprüfungsinstanzen über das Vergabeportal.NRW abgewickelt werden. Der E-Vergabe widmet sich der Behörden Spiegel in einem Sonderteil ab Seite 35.

IT-Sicherheit beim Bund (BS/stb) Mit Wirkung vom 1. September ist mit dem Umsetzungsplan Bund 2017 eine neue Leitlinie zur Steuerung und Umsetzung der Informationssicherheit in der Bundesverwaltung in Kraft getreten. Dies geht auf den Beschluss des Bundeskabinetts am 19. Juli zurück. Mit der Neukonzeption soll der seit 2007 gültige Umsetzungsplan Bund an die Entwicklungen der vergangenen Jahre vor allem im Bereich der IT- und Cyber-Sicherheit angepasst werden. Festgelegt werden verbindliche und einheitliche Mindestanforderungen an die Informationssicherheit in Bundesbehörden anhand von Leitlinien unter anderem zum Informationssicherheitsmanagementsystem, zu Anforderungen an IT-Dienstleister und zum Umgang mit sicherheitsrelevanten Ereignissen.

Jodtabletten verteilt (BS/mfe) Die Region Aachen hat damit begonnen, vorsorglich Jodtabletten an die Bevölkerung auszugeben. Personen, die nicht älter als 45 Jahre sind, können sich im Internet einen Bezugsschein beschaffen und diesen dann in der Apotheke einlösen. Grund für die deutschlandweit bisher einmalige Präventivmaßnahme ist die Befürchtung eines Unfalls im skandalträchtigen belgischen Atomkraftwerk Tihange. Dieses liegt nur rund 70 Kilometer von Aachen entfernt und weist zahlreiche Mikrorisse auf. Die hochdosierten Tabletten verhindern die Aufnahme von radioaktivem Jod in der Schilddrüse. Am wirksamsten ist der Schutz laut Experten der Strahlenschutzkommission, wenn die Tabletten kurz vor oder sogar gleichzeitig mit dem Einatmen des radioaktiven Jods eingenommen werden.

Droht der Zusammenbruch? Unterschiedliche Wege bei der Krankenversicherung von Beamten (BS/Jörn Fieseler) Die Einführung einer Bürgerversicherung ist eines von vielen Wahlversprechen im aktuellen Wahlkampf. Ebenso deren Verneinung. Wie auch schon 2013. Seit der Ankündigung von Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks hat die Diskussion um die Bürgerversicherung an Fahrt gewonnen. Doch in der Hansestadt soll den Beamten die Wahl zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Privater (PKV) gelassen werden. Ob damit der PKV die Beitragszahler wegbrechen, bleibt abzuwarten. Zu vieles ist noch ungewiss. Wenn die Bürgerversicherung Realität wird, steht eins schon fest. Es wird teurer – für alle. Die Einführung der Bürgerversicherung soll vor allem die Einnahmesituation in der GKV verbessern. Manche Partei will damit aber auch die Ärztehonorare auf der Ausgabenseite vereinheitlichen (siehe Seite 16). Einige private Krankenversicherungen würde es im Gegenzug sehr hart treffen. Vor allem die Debeka, die sich besonders auf die Versicherung von Beamten spezialisiert hat. 2,33 Mio. Privatversicherte verzeichnete die Kasse im letzten Jahr an Mitgliedern, branchenweit Platz eins in diesem Segment. Die auf den weiteren Plätzen folgenden Kassen DKV (795.000 Krankenkassenvollversicherungen) und Axa (792.000) erreichen jeweils nur ein Drittel der Debeka-Verträge. Doch nicht nur die Versicherungen wären betroffen. Zwar würde sich für die bislang privat Versicherten die Zahllast um rund 40 Prozent verringern, wie das Kieler Institut für Mikrodaten-Analyse errechnet hat. Unter der Voraussetzung einer Ausgaben- und Budgetneutralen Ausgestaltung hätte dieser Schritt aber Mehrkosten bei allen GKV-Versicherten zur Folge: Der Beitragssatz würde um 1,5 Prozent steigen, so Institutsleiter Dr. Thomas Drabinski. Auch für die jeweiligen öffentlichen Arbeitgeber würde es teu-

Mit dem Hamburger Vorstoß entstehen erste Risse im einheitlichen System der PKV mit Beihilfe. Das könnte die Dienstherren teuer zu stehen bekommen. Foto: BS/©Francesco Scatena, Fotolia.com

rer werden. In der Freien und Hansestadt Hamburg rechnet man bereits mit 5,8 Mio. Euro Mehrkosten für die rund 2.400 Beamten, die schon jetzt in der gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichert sind. Damit ist noch keiner der insgesamt rund

44.400 aktiven Beamten wie vorgesehen gewechselt (siehe Seite 6). Wenn alle in der GKV wären, müsste die Stadt jährlich 107,3 Mio. Euro als Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung zahlen. Dem stehen rund 85, 15 Mio. Euro für die Bei-

hilfe ihrer aktiven Staatsdiener gegenüber, wie die Leiterin der Personalbehörde, Bettina Lentz, mitteilte. Im Ergebnis müsste Hamburg rund 22 Mio. Euro im Jahr mehr aufbringen. Darin sind die Versorgungsempfänger nicht miteinbezogen. Deren

Kommentar

Für mehr Wirksamkeit die Städte entfesseln! (BS) Seit 2010 vermag es keine der Koalitionen in Bund und Ländern, die städtische Luftreinhaltung zu verbessern, schon gar nicht im Wahlkampf. Der Wille kommt einzig über klagerechtsbefugte Umweltverbände und die Justiz. Weil die Auto-Industrie als Partner ebenso ausfällt, braucht es nun Druck. Und die Kommunen! Auch die Städte haben Stickoxiden und Gesundheitsschutz in der Vergangenheit nicht die nötige Aufmerksamkeit eingeräumt. Viele der Diesel-Busse, um die es aktuell geht, hätten schon längst auf Euro-6 umgerüstet sein können. Der nun auf eine Mrd. Euro aufgestockte ÖPNVMobilitätsfonds hilft zwar, die Flotte zu modernisieren. Das ist grundsätzlich sehr zu begrüßen! Die Diesel-Emissionen dieser Busse machen aber laut Verband der Verkehrsunternehmen max. zehn Prozent des NO2-Aufkommens in den Städten aus – ein Nebenschauplatz. Zwar spielt der ÖPNV für die Lösung eine Rolle, aber erst im zweiten Schritt. Denn bevor in den Städten noch mehr Bür-

ger auf Busse und Bahnen umsteigen, müssen sie ihr eigenes Fahrzeug in Betracht nehmen. In München etwa verursachen Diesel-Pkw die NOx-Belastung zu 72,5 Prozent. Es geht darum, diese Fahrzeuge sofort nachzurüsten, zu erneuern oder sonst gewisse städtische Einfahrten zu untersagen. Für die richtige Mischung kommt es aber nicht mehr auf deren Popularität an, sondern auf die jeweilige Wirksamkeit – und darüber entscheiden nun Messstationen und Richter. Wer wirklich an einer ausgewogenen Lösung interessiert ist, muss die unterschiedlichen Verhältnisse vor Ort einbeziehen. In München werden die Grenzwerte auf einem Viertel aller innerstädti-

schen Straßen übertroffen. In Stuttgart sind es die großen Durchgangsstraßen. In dieser Gemengelage hilft ein grundlegendes ordnungspolitisches Instrument mit örtlichem Ermessenspielraum: eine Plakette wie für die Umweltzonen. Diese muss der Bund einführen. Die Städte entscheiden dann selbst, ob und inwieweit es zu Einschränkungen kommt und welche Ausnahmen etwa für Gewerbe gelten. Je mehr Fahrzeuge die Auto-Industrie zuvor umrüstet und erneuert, desto weniger müssen die Kommunen den Verkehr einschränken. Das sollte auch von Bund und Ländern klar herausgestellt und mit Fördermitteln weiter angereizt werden. Julian Einhaus

Betreuungs(un-)glück

Beihilfeausgaben beliefen sich 2016 auf rund 183 Mio. Euro. Und wenn bundesweit das Hamburger Wahl-Modell gelten würde? Diese Auswirkungen lassen sich nicht so einfach berechnen, denn keiner weiß, wer wirklich wechselt. Dieser Schritt würde sich vor allem für Beamte lohnen, die entweder verheiratet sind und deren Ehepartner weniger als 18.000 Euro verdienen und/oder chronisch krank sind. Letztere müssen in der PKV einen 30-prozentigen Risikoaufschlag zahlen, so Stefan Reker, Sprecher des PKV-Verbandes. Doch beide Gruppen werden nicht zwangsläufig in die gesetzlichen Kassen mit Freuden aufgenommen. Vielleicht gibt es deshalb im Verwaltungsrat der GKV eine Pattsituation, die GKV-Sprecher Florian Lanz bestätigte. Arbeitgeber und Versicherungsnehmer sind sich uneins, welche Position die GKV in Sachen Bürgerversicherung beziehen soll. Letztlich ist es eine Entscheidung der Politik. Drabinski schlägt stattdessen vor: “Anstelle zu vereinheitlichen, sollte die Gesundheitspolitik die Dualität aus GKV und PKV einer strukturellen Überarbeitung unterziehen. Denn die ersten geburtenstarken Jahrgänge beginnen in der nächsten Legislatur in Rente zu gehen.”


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