Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
Nr. XI / 35. Jg / 50. Woche
Berlin und Bonn / Dezember 2019
G 1805
www.behoerdenspiegel.de
Den Turbo gezündet
Aus- und Fortbildung stärken
Selbst erlebte duale Karriere
Judith Gerlach zur Digitalisierung der Verwaltung �������������������������������������������������� Seite 34
Jörg Radek über Herausforderungen bei der Bundespolizei ��������������������������������� Seite 54
Prof. Dr. Martin Elbe zu seiner Arbeit als Ressortforscher ������������������������������������� Seite 59
Reallabore für Nachhaltigkeit (BS/mfe) In acht deutschen Städten werden in den kommenden Jahren in sogenannten Reallaboren Ideen für nachhaltige Entwicklung erprobt. Dafür stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Bocholt, Dresden, Friedrichstadt, Gelsenkirchen, Loitz, Lüneburg, Norderstedt und Ulm mehr als zehn Millionen Euro zur Verfügung. Damit könnten Projekte unter anderem aus den Bereichen Klimaschutz, Stadtplanung, urbane Mobilität, Energieversorgung und Ressourcenumgang gefördert werden. Das erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Dr. Michael Meister (CDU).
Nationales Register wünschenswert (BS/mfe) Bisher lassen sich Informationen zur Häufigkeit und regionalen Verteilung von Massenanfällen von Verletzten (MANV) nur sehr schwer zusammentragen. Bekannt ist insbesondere, dass viele derartige Einsätze entweder Brandereignisse oder CBRN-Lagen sind und es in solchen Lagen oft zu verzögerten Rettungsketten kommt. Um mehr Licht ins Dunkel zu bringen, wäre die Einrichtung eines nationalen MANV-Registers vorteilhaft. Dafür plädiert Fritjof Brüne von der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Außerdem macht er sich dafür stark, die MANVPlanungen zu aktualisieren. Einige Bundesländer arbeiteten diesbezüglich noch mit mehr als 55 Jahre alten Erfahrungswerten, kritisiert Brüne.
IMK für höhere Strafen (BS/mfe) Die Mitglieder der Innenministerkonferenz (IMK) plädieren bei Fällen von Kindesmissbrauch für eine deutliche Erhöhung des Strafrahmes. Außerdem sollten die Tilgungsfristen von Einträgen entsprechender Verurteilungen in das Bundeszentralregister deutlich verlängert werden. Gleiches gilt für die Nichtaufnahme in das (erweiterte) Führungszeugnis (mehr dazu auch auf Seite 51 dieser Ausgabe). Des Weiteren wollen die Ressortchefs intensiver gegen Rechtsextremismus vorgehen. Hierzu sollen zum einen die Verfassungsschutzämter gestärkt werden. Zum anderen sollen sie stärker im digitalen Raum präsent sein. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll darüber hinaus eine Zentralstelle zur Erfassung und Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im Öffentlichen Dienst aufgebaut werden. Der bereits geltende Abschiebestopp nach Syrien wurde bis 30. Juni kommenden Jahres verlängert.
Bewahrer der Demokratie Grundlagen für die Sachwalter des Staates in die Zeit setzen (BS/Jörn Fieseler) In der heutigen Zeit scheinen etablierte Institutionen nicht länger wichtig, werden als antiquiert abgetan, gehören reformiert oder sind gleich abzuschaffen. So auch das Berufsbeamtentum. In schöner Regelmäßigkeit werden die vermeintlichen Überprivilegien, etwa die Pensionen, in Neiddebatten aufs Tableau gesetzt, wird darüber diskutiert, in welchen Bereichen es überhaupt Beamter bedarf. Dabei ist genau das Gegenteil vonnöten: Das Berufsbeamtentum ist weiter zu stärken. Und den Staatsdienern ist mehr Wertschätzung entgegenzubringen. “Deutschland ist nicht schlecht bedient mit einem professionellen Öffentlichen Dienst samt Regeln und rechtsstaatlicher Überprüfung von Verwaltungsgerichten”, konstatiert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Andere Länder würden uns darum beneiden. Von unseren Beamtinnen und Beamten werde erwartet, dass sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen, Mut zum eigenen Denken und zum eigenen Urteil haben, sogar die Pflicht zum Widerspruch wahrnehmen, wenn sie beispielsweise Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anweisung haben. Denn: “Staat und Gesellschaft können kein Interesse an einer unkritischen Beamtenschaft haben”, urteilt das Bundesverwaltungsgericht. “Zum Berufsethos gehört nicht einfach die Verpflichtung gegenüber dem Staat, sondern die auf die Grundrechte der Bürger und die Grundwerte unserer Demokratie”, unterstreicht der Bundespräsident. Beamte haben jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzustehen. Auf dieser inneren Loyalität zur Verfassung als Fundament fußen die “hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums”. “Diese Grundsätze sind eine Reaktion auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft”, betont
Das Ethos, dem Gemeinwohl als Willensvollstrecker demokratischer Entscheidungen zu dienen, gilt es zu wahren und zu unterstützen. Foto: BS/Increa, stock.adobe.com
Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio. Die damalige Demokratie hätte nicht hinter die Weimarer Republik zurückfallen wollen. Eine Zerstörung des Berufsbeamtentums in Form des widersinnig klingenden Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sollte es nicht mehr geben können. “Deshalb ist das Beamtentum in Art. 33 des Grundgesetzes als rechtsstaatliche Identität
festgeschrieben worden”, so der frühere Richter im zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts und Lehrstuhlinhaber am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn. Das müsse man sich in Erinnerung rufen: “Ein professionelles Berufsbeamtentum dient der Durchsetzung des demokratischen Willens”, resümiert di Fabio. Der Beamte sei damit der Sachwalter des Staates.
Umgekehrt: Setze keiner mehr die Entscheidungen des Parlamentes um, habe die Demokratie versagt. Zugleich sei Art. 33 GG auch ein Gegengewicht zum Parteienprinzip der Parteiendemokratie. Beamte sollen Gesetze neutral umsetzen, so der Rechtswissenschaftler. Dafür brauche es sehr gut ausgebildetes Personal, das adäquat alimentiert werden müsse. Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Ulrich
Kommentar
Rechtsstaat durchsetzen (BS) Endlich wird nach Jahrzehnten Front gegen die Clan-Kriminalität gemacht. Ewig galten die sogenannten arabischen Clans fast als unantastbar. Teile von ihnen leben von kriminellen Handlungen. Die Politik hat sich nun entschieden, gegen die Clans vorzugehen. Doch die Kriminalisten streiten noch, ob es sich bei Clan-Kriminalität um Organisierte Kriminalität (OK) handelt oder möglicherweise um eine unterschwellige Sonderform. In den betroffenen Bundesländern Berlin, NRW, Bremen und Niedersachsen bringt das jedenfalls gute Bilder und zeigt den starken Staat. So richtig es ist, bleibt die Frage nach den Schwerpunkten repressiver Arbeit. Ein Déjà-vu tritt ein. Die Diskussion nach 9/11. Als der IS (Daesh) begann, mit brutalen terroristischen Anschlägen ganz Europa zu überziehen, konzentrierte sich die gesamte polizeiliche Aufmerksamkeit auf den islamistischen Terrorismus. Kritiker mahnten seinerzeit schon, man müsse diese Gefahr zwar ernst nehmen, dürfe aber nicht anderes vernachlässigen. Die damalige Kritik ist jetzt wieder wahrzunehmen. Die durch die Politik besonders in NRW und Berlin fokussierte Ermittlungsarbeit gegen die Clans berden viele polizeiliche Kräfte gebunden. Die arabischen Clans sind für die Bevölkerung sichtbar. Sie provozieren und stellen ihre Macht dar. Sie tun dies immer öffentlich. Das unterscheidet sie von der OK.
Sie arbeitet im Verborgenen. Sie nutzt illegal legale Geschäftsmodelle. Liegt hier nicht der gleiche Handlungszwang vor, öffentlich sichtbar tätig zu werden? Doch, die OK in Deutschland ist präsenter denn je. Sie ist tief in das staatliche und Wirtschaftssystem eingedrungen. Ihre Schäden liegen im Milliardenbereich. ClanFamilien klauen, handeln mit Drogen, begehen Einbrüche und lassen sich erwischen. Dagegen ein OK-Beispiel: Die Russenmafia hat sich von blutigen Attentaten und Erschießungen längst verabschiedet und mit neuen Geschäftsmodellen innerhalb des Systems neu erfunden. Sie wirbt mit Anzeigen in russischen Zeitungen, um
alte Menschen nach Deutschland anzuwerben. Sie werden hier zu Pflegefällen, erhalten zwei- bis dreitausend Euro im Monat und eine perfide Kette von “Kick-back-Zahlungen” ermöglicht einen gigantischen Betrug. Nur eine Firma in Berlin hatte 300 “Pflegefälle” zu betreuen. 3.000 Euro mal 300 im Monat mal 12. Nach Einschätzung des BKA sind Hunderte von russischen Pflegefirmen unterwegs, die einen Schaden von Milliarden jährlich anrichten. Das ist nur ein Beispiel für den Umstand, wie die Organisierte Kriminalität ins System einsickert, unauffällig, anonym und unaufgeregt, aber sehr erfolgreich. Uwe Proll
Schöne Bescherung!
Battis formulierte dazu treffend: “Im Rahmen der Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation hat der Gesetzgeber die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte, das Ansehen des Amtes in der Gesellschaft, die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung zu berücksichtigen.” Die Alimentation ist aber nur eine Art, die Wertschätzung gegenüber den Beamten auszudrücken. Die andere ist: Respekt. Nicht nur durch den Dienstherrn und das Parlament, sondern auch durch die Gesellschaft. Und wenn es zu Gewalt gegen Staatsdiener kommt, darf es keine Toleranz geben. “Wir brauchen Taten”, fordert Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion. Gewaltdelikte gegenüber öffentlich Bediensteten müssten gemeldet werden. Jeder Dienstherr solle konsequent und ohne Bagatellgrenze Strafanzeige stellen, um die Betroffenen zu schützen. Und das Einstellen eines Verfahrens mangels öffentlichen Interesses dürfe es nicht mehr geben. Recht hat er. Denn dem Gemeinwohl zu dienen, als Willensvollstrecker demokratischer Entscheidungen, ist ein gutes Ethos. Dies gilt es zu wahren und zu unterstützen. Auf allen Ebenen des Staates.