Behörden Spiegel Dezember 2019

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. XI / 35. Jg / 50. Woche

Berlin und Bonn / Dezember 2019

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Den Turbo gezündet

Aus- und Fortbildung stärken

Selbst erlebte duale Karriere

Judith Gerlach zur Digitalisierung der Verwaltung �������������������������������������������������� Seite 34

Jörg Radek über Herausforderungen bei der Bundespolizei ��������������������������������� Seite 54

Prof. Dr. Martin Elbe zu seiner Arbeit als Ressortforscher ������������������������������������� Seite 59

Reallabore für Nachhaltigkeit (BS/mfe) In acht deutschen Städten werden in den kommenden Jahren in sogenannten Reallaboren Ideen für nachhaltige Entwicklung erprobt. Dafür stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Bocholt, Dresden, Friedrichstadt, Gelsenkirchen, Loitz, Lüneburg, Norderstedt und Ulm mehr als zehn Millionen Euro zur Verfügung. Damit könnten Projekte unter anderem aus den Bereichen Klimaschutz, Stadtplanung, urbane Mobilität, Energieversorgung und Ressourcenumgang gefördert werden. Das erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Dr. Michael Meister (CDU).

Nationales Register wünschenswert (BS/mfe) Bisher lassen sich Informationen zur Häufigkeit und regionalen Verteilung von Massenanfällen von Verletzten (MANV) nur sehr schwer zusammentragen. Bekannt ist insbesondere, dass viele derartige Einsätze entweder Brandereignisse oder CBRN-Lagen sind und es in solchen Lagen oft zu verzögerten Rettungsketten kommt. Um mehr Licht ins Dunkel zu bringen, wäre die Einrichtung eines nationalen MANV-Registers vorteilhaft. Dafür plädiert Fritjof Brüne von der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Außerdem macht er sich dafür stark, die MANVPlanungen zu aktualisieren. Einige Bundesländer arbeiteten diesbezüglich noch mit mehr als 55 Jahre alten Erfahrungswerten, kritisiert Brüne.

IMK für höhere Strafen (BS/mfe) Die Mitglieder der Innenministerkonferenz (IMK) plädieren bei Fällen von Kindesmissbrauch für eine deutliche Erhöhung des Strafrahmes. Außerdem sollten die Tilgungsfristen von Einträgen entsprechender Verurteilungen in das Bundeszentralregister deutlich verlängert werden. Gleiches gilt für die Nichtaufnahme in das (erweiterte) Führungszeugnis (mehr dazu auch auf Seite 51 dieser Ausgabe). Des Weiteren wollen die Ressortchefs intensiver gegen Rechtsextremismus vorgehen. Hierzu sollen zum einen die Verfassungsschutzämter gestärkt werden. Zum anderen sollen sie stärker im digitalen Raum präsent sein. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll darüber hinaus eine Zentralstelle zur Erfassung und Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im Öffentlichen Dienst aufgebaut werden. Der bereits geltende Abschiebestopp nach Syrien wurde bis 30. Juni kommenden Jahres verlängert.

Bewahrer der Demokratie Grundlagen für die Sachwalter des Staates in die Zeit setzen (BS/Jörn Fieseler) In der heutigen Zeit scheinen etablierte Institutionen nicht länger wichtig, werden als antiquiert abgetan, gehören reformiert oder sind gleich abzuschaffen. So auch das Berufsbeamtentum. In schöner Regelmäßigkeit werden die vermeintlichen Überprivilegien, etwa die Pensionen, in Neiddebatten aufs Tableau gesetzt, wird darüber diskutiert, in welchen Bereichen es überhaupt Beamter bedarf. Dabei ist genau das Gegenteil vonnöten: Das Berufsbeamtentum ist weiter zu stärken. Und den Staatsdienern ist mehr Wertschätzung entgegenzubringen. “Deutschland ist nicht schlecht bedient mit einem professionellen Öffentlichen Dienst samt Regeln und rechtsstaatlicher Überprüfung von Verwaltungsgerichten”, konstatiert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Andere Länder würden uns darum beneiden. Von unseren Beamtinnen und Beamten werde erwartet, dass sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen, Mut zum eigenen Denken und zum eigenen Urteil haben, sogar die Pflicht zum Widerspruch wahrnehmen, wenn sie beispielsweise Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anweisung haben. Denn: “Staat und Gesellschaft können kein Interesse an einer unkritischen Beamtenschaft haben”, urteilt das Bundesverwaltungsgericht. “Zum Berufsethos gehört nicht einfach die Verpflichtung gegenüber dem Staat, sondern die auf die Grundrechte der Bürger und die Grundwerte unserer Demokratie”, unterstreicht der Bundespräsident. Beamte haben jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzustehen. Auf dieser inneren Loyalität zur Verfassung als Fundament fußen die “hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums”. “Diese Grundsätze sind eine Reaktion auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft”, betont

Das Ethos, dem Gemeinwohl als Willensvollstrecker demokratischer Entscheidungen zu dienen, gilt es zu wahren und zu unterstützen. Foto: BS/Increa, stock.adobe.com

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio. Die damalige Demokratie hätte nicht hinter die Weimarer Republik zurückfallen wollen. Eine Zerstörung des Berufsbeamtentums in Form des widersinnig klingenden Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sollte es nicht mehr geben können. “Deshalb ist das Beamtentum in Art. 33 des Grundgesetzes als rechtsstaatliche Identität

festgeschrieben worden”, so der frühere Richter im zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts und Lehrstuhlinhaber am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn. Das müsse man sich in Erinnerung rufen: “Ein professionelles Berufsbeamtentum dient der Durchsetzung des demokratischen Willens”, resümiert di Fabio. Der Beamte sei damit der Sachwalter des Staates.

Umgekehrt: Setze keiner mehr die Entscheidungen des Parlamentes um, habe die Demokratie versagt. Zugleich sei Art. 33 GG auch ein Gegengewicht zum Parteienprinzip der Parteiendemokratie. Beamte sollen Gesetze neutral umsetzen, so der Rechtswissenschaftler. Dafür brauche es sehr gut ausgebildetes Personal, das adäquat alimentiert werden müsse. Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Ulrich

Kommentar

Rechtsstaat durchsetzen (BS) Endlich wird nach Jahrzehnten Front gegen die Clan-Kriminalität gemacht. Ewig galten die sogenannten arabischen Clans fast als unantastbar. Teile von ihnen leben von kriminellen Handlungen. Die Politik hat sich nun entschieden, gegen die Clans vorzugehen. Doch die Kriminalisten streiten noch, ob es sich bei Clan-Kriminalität um Organisierte Kriminalität (OK) handelt oder möglicherweise um eine unterschwellige Sonderform. In den betroffenen Bundesländern Berlin, NRW, Bremen und Niedersachsen bringt das jedenfalls gute Bilder und zeigt den starken Staat. So richtig es ist, bleibt die Frage nach den Schwerpunkten repressiver Arbeit. Ein Déjà-vu tritt ein. Die Diskussion nach 9/11. Als der IS (Daesh) begann, mit brutalen terroristischen Anschlägen ganz Europa zu überziehen, konzentrierte sich die gesamte polizeiliche Aufmerksamkeit auf den islamistischen Terrorismus. Kritiker mahnten seinerzeit schon, man müsse diese Gefahr zwar ernst nehmen, dürfe aber nicht anderes vernachlässigen. Die damalige Kritik ist jetzt wieder wahrzunehmen. Die durch die Politik besonders in NRW und Berlin fokussierte Ermittlungsarbeit gegen die Clans berden viele polizeiliche Kräfte gebunden. Die arabischen Clans sind für die Bevölkerung sichtbar. Sie provozieren und stellen ihre Macht dar. Sie tun dies immer öffentlich. Das unterscheidet sie von der OK.

Sie arbeitet im Verborgenen. Sie nutzt illegal legale Geschäftsmodelle. Liegt hier nicht der gleiche Handlungszwang vor, öffentlich sichtbar tätig zu werden? Doch, die OK in Deutschland ist präsenter denn je. Sie ist tief in das staatliche und Wirtschaftssystem eingedrungen. Ihre Schäden liegen im Milliardenbereich. ClanFamilien klauen, handeln mit Drogen, begehen Einbrüche und lassen sich erwischen. Dagegen ein OK-Beispiel: Die Russenmafia hat sich von blutigen Attentaten und Erschießungen längst verabschiedet und mit neuen Geschäftsmodellen innerhalb des Systems neu erfunden. Sie wirbt mit Anzeigen in russischen Zeitungen, um

alte Menschen nach Deutschland anzuwerben. Sie werden hier zu Pflegefällen, erhalten zwei- bis dreitausend Euro im Monat und eine perfide Kette von “Kick-back-Zahlungen” ermöglicht einen gigantischen Betrug. Nur eine Firma in Berlin hatte 300 “Pflegefälle” zu betreuen. 3.000 Euro mal 300 im Monat mal 12. Nach Einschätzung des BKA sind Hunderte von russischen Pflegefirmen unterwegs, die einen Schaden von Milliarden jährlich anrichten. Das ist nur ein Beispiel für den Umstand, wie die Organisierte Kriminalität ins System einsickert, unauffällig, anonym und unaufgeregt, aber sehr erfolgreich. Uwe Proll

Schöne Bescherung!

Battis formulierte dazu treffend: “Im Rahmen der Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation hat der Gesetzgeber die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte, das Ansehen des Amtes in der Gesellschaft, die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung zu berücksichtigen.” Die Alimentation ist aber nur eine Art, die Wertschätzung gegenüber den Beamten auszudrücken. Die andere ist: Respekt. Nicht nur durch den Dienstherrn und das Parlament, sondern auch durch die Gesellschaft. Und wenn es zu Gewalt gegen Staatsdiener kommt, darf es keine Toleranz geben. “Wir brauchen Taten”, fordert Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion. Gewaltdelikte gegenüber öffentlich Bediensteten müssten gemeldet werden. Jeder Dienstherr solle konsequent und ohne Bagatellgrenze Strafanzeige stellen, um die Betroffenen zu schützen. Und das Einstellen eines Verfahrens mangels öffentlichen Interesses dürfe es nicht mehr geben. Recht hat er. Denn dem Gemeinwohl zu dienen, als Willensvollstrecker demokratischer Entscheidungen, ist ein gutes Ethos. Dies gilt es zu wahren und zu unterstützen. Auf allen Ebenen des Staates.


Inhalt

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Behörden Spiegel / Dezember 2019

Mobilität ist Voraussetzung für Flexibilität in der Arbeitswelt und soziale Teilhabe. Doch sie hat ihren doppelten Preis: Die Ansprüche von Morgen erfordern enorme Investitionen in Infrastrukturen, gleichzeitig gelten Personen- und Güterverkehr vielen als größte Klimagefährder. Für den Staat wird das Kunststück darin bestehen, durch die richtigen Anreize und Regeln Bedarfe, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit zusammenzubringen. Foto: BS/j-mel, stock.adobe.com

Mobilität “Blaulicht-Bonus”

Zahlreiche Herausforderungen

Alles unter einem Dach

Das Leistungsbestimmungsrecht bei BOS-Beschaffungen .............................................. Seite 8

E-Mobilität beschränkt sich nicht auf Fahrzeuge ...... Seite 27

NRW-Kommunen auf dem Weg zur Smart City ......... Seite 37

Fast wie ein Flugtaxi

Nützliche Hilfe für die Polizei

Spezielle Abstellbereiche für E-Scooter möglich ....... Seite 22

Im ganzen Land wollen Kommunen in die Luft gehen ....................................................... Seite 30

Moderne Technik erfordert jedoch kontinuierliche Weiterbildung .................................. Seite 54

Elektrifizierung macht sich breit

Attraktive Alternativen bieten

Logistikdrehscheibe Deutschland

Zahlen zur Elektromobilität in Fuhrparks der öffentlichen Hand ............................................... Seite 24

Bremen soll bis 2030 autofrei werden ......................................................... Seite 31

“Mobilität ist die Achillesferse von militärischen Operationen” ...................................... Seite 58

Neue Regelpläne in Berlin

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Militärattachés in Deutschland Handbuch in Neuauflage erschienen (BS/por) Das neue “Handbuch der Militärattachés in Deutschland” in der 9. überarbeiteten und aktualisierten Neuauflage ist erschienen. Auf 164 Seiten werden die in der Bundesrepublik akkreditierten Verteidigungs-, Heeres-, Luftwaffen- und Marineattachés von 93 Staaten – von Afghanistan bis Weißrussland – vorgestellt. Hinzu kommen bei einigen Ländern noch gesondert eigene Wehrtechnische Attachés. Bei jedem Staat sind die wichtigsten Strukturdaten zur jeweiligen Botschaft, zum Land, zur Bevölkerung sowie zu Wirtschaft und Politik aufgeführt. Außerdem werden die nationalen Armeen einschließlich ihrer Teilstreit-

kräfte vorgestellt. Herausgeber sind Oberst a. D. Hubertus von Rohr und Chefredakteur Uwe Proll. Verlegt wurde das Handbuch vom ProPress Verlag in Kooperation mit dem Verband der ausländischen Militärattachés in Deutschland. Von dessen Doyen, dem britischen Verteidigungsattaché Brigadegeneral Rob Rider, stammt auch wieder das Grußwort. Dieses Handbuch stößt seit vielen Jahren auf überragendes Interesse bei Politik, Diplomatie, Verwaltung und Industrie, natürlich aber auch bei den Militärattachés selbst. In den Botschaften ist das Handbuch bereits ein unentbehrliches Standardwerk. Es liegt auf den Schreibtischen in Militäreinrichtungen, Parlamenten, Botschaften und Ministerien. Als Nachschlagewerk besitzt es eine ausgesprochen hohe Nachhaltigkeit.

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 30/2019, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Bayerisches Staatsministerium für Digitales, Jörg Koch Foto 2: BS/GdP-Bezirk Bundespolizei Foto 3: BS/Portugall

Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2019

KNAPP

Hindernis für die Tarifautonomie

Zuviel des Guten

Neue Diskussionen zum (vergaberechtlichen) Mindestlohn (BS/Jörn Fieseler) Wie hoch muss der Mindestlohn in Deutschland sein? Die Sozialdemokraten haben diese Frage auf ihrem jüngsten Parteitag klar beantwortet. Ein Stundensatz von zwölf Euro ist anzustreben. Und: Vor allem bei öffentlichen Aufträgen soll der Mindestlohn gezahlt werden. Was nun im Großen auf Bundesebene diskutiert werden soll, ist in Berlin schon beschlossene Sache. Doch während die einen die sozialpolitische Notwendigkeit hervorheben und sich eine stärkere Tarifbindung dadurch erhoffen, ist für andere damit eine Schwächung der Sozialpartnerschaft verbunden. Aus rechtlicher Sicht ist die Lage hingegen eindeutig – fast. Aktuell liegt der Mindestlohn in Deutschland bei 9,19 Euro. Ab 1. Januar 2020 steigt der Wert um 16 Cent auf 9,35 Euro. Ein Vollzeit arbeitender Beschäftigter muss jedoch mindestens 12,63 Euro pro Stunde verdienen, wenn er nach 45 Jahren Beitragszahlungen in die Rente nicht auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen sein soll. Diesen Wert hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ausgerechnet. Berlin hat deshalb nun einen eigenen Mindestlohn festgesetzt: 12,50 Euro sind im nächsten Jahr für alle Angestellten in der öffentlichen Verwaltung, in den Unternehmen des Landes oder in geförderten Einrichtungen wie Kindertagesstätten zu zahlen. Und: Auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soll dieser Stundensatz zugrunde gelegt werden.

Im Sinne der Menschen Die Gewerkschaften freut es: Für Verdi-Chef Frank Werneke ist dies ein Weg zur Stabilisierung des Tarifvertragssystems, wie er im Behörden Spiegel-Interview erläuterte (siehe September-Ausgabe 2019, Seite 4). Solange es keine bundesweite Lösung gebe, müsse eben hilfsweise über die Länder und die Landesvergabegesetze eine solche herbeigeführt werden. “Hier müssen wir im Sinne der Menschen handeln und nicht auf Grund ideologischer Vorgaben”, unterstreicht Volker Geyer, stellvertretender Bundesvorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik beim DBB Beamtenbund und Tarifunion. Aber: “Wenn demnächst 12,50 Euro Mindestlohn in Berlin gelten, muss Wirtschaftssenatorin Ramona Pop Finanzminister Matthias Kollatz darauf

gesetzbuch werden ab 1. Januar 2020 ja nach Lohngruppe mit 16,19 bzw. 16,39 Euro deutlich höhere Beträge als Mindestlohn gezahlt.

Landes- versus Bundesregelung

Mindestlöhne sind eine Hürde für die Tarifautonomie. Nach Meinung einiger sind sie jedoch notwendig, weshalb sie zu überspringen ist. Foto: BS/moodboard, stock.adobe.com

aufmerksam machen, dass die Tabelle für Beschäftigte im Landesdienst, die Kollatz als Chef der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) verantwortet, in den Stufen zwei bis fünf hinter dem Mindestlohn zurückbleibt. Hier hat Herr Kollatz eine wichtige Aufgabe. Wir helfen gerne dabei, diese zu lösen.”

über dem gesetzlichen Mindestlohn lägen, würde nicht nur dieser ad absurdum geführt, sondern es würden auch viele zuvor mit Gewerkschaften ausgehandelte tarifliche Lohngruppen außer Kraft gesetzt. “Solche Beschlüsse untergraben die Tarifautonomie und schwächen die Sozialpartnerschaft in Deutschland.”

Sozialpartnerschaft untergraben

Branchen müssten nachlegen

Darüber gefällt Geyer, “dass es dem Land Berlin nicht egal ist, welche Einkommensbedingungen dort herrschen, wo das Land Aufträge hin verteilt”. Dies beurteilt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), ganz anders: Vergabemindestlöhne seien kein Instrument zur Stärkung der Tarifbindung. Wenn sie dann noch, wie in Berlin beschlossen, mehr als 33 Prozent

In der Tat liegen die tarifvertraglichen Mindestlöhne einzelner Branchen über dem Wert von 12 Euro bzw. 12,50 Euro. Bei der Mehrheit würden Anpassungen notwendig werden, wie eine Auflistung des Zolls zeigt. So gelten in der Zeitarbeitsbranche Mindestlöhne von 9,66 Euro in den neuen Bundesländern oder 9,96 Euro in den alten. In der Pflegebranche sind im nächsten Jahr ebenfalls regional unterschiedliche Sätze von 10,85 und 11,35 Euro vereinbart. Im Steinmetz-

und Bildhauerwerk gelten seit dem 1. September 2019 11,85 Euro als Untergrenze, für Elektrohandwerke 11,40 Euro. Demgegenüber gibt es im Bauhauptgewerbe Mindestlöhne zwischen 12,20 Euro und über 15 Euro, je nach Lohngruppe (LG) und Region. In der Gebäude­ reinigung reicht die Spanne ab 1. Januar 2020 von 10,55 bis 14,10 Euro. Im Dachdeckerhandwerk werden bundesweit entweder 12,20 (LG I) oder 13,20 Euro (LG II) gezahlt. Einen Sonderfall stellt das Maler- und Lackiererhandwerk dar: Während für ungelernte Kräfte die Mindestentgelte aktuell bei 10,85 Euro liegen (11,10 Euro ab 1. Mai 2020), zahlt die Branche gelernten Kräften mindestens 12,95 Euro (13,50 Euro ab 1. Mai 2020). Einzig bei Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozial-

Fraglich ist jedoch, ob die in Berlin vorgesehene Lösung europarechtsmäßig ist. Die sogenannte Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71 EG) erlaubt es entsandten Arbeitnehmern aus anderen Ländern, Mindestlohnsätze als Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu garantieren. Entweder durch eine Rechtsvorschrift oder durch Tarifverträge, die als “allgemein verbindlich” deklariert wurden. Allerdings hob der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Entscheidung zur RegioPost GmbH & Co KG vom 17. November 2015 hervor, dass in dem damaligen Fall der vorgesehene vergabespezifische Mindestlohn gültig gewesen sei, “da in dem im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraum weder das Arbeitnehmerentsendegesetz (AentG) noch eine andere nationale Regelung einen niedrigeren Mindestlohn für die Branche von Postdienstleistungen vorsah”. Dies ist mit der bundesweiten Regelung aber der Fall. Und Bundesrecht bricht immer noch Landesrecht. Juristisch wird die Frage erst geklärt werden, wenn eine entsprechende Klage eingeht. Praktisch werden bei der Auftragsvergabe die Unternehmen “mit den Füßen” entscheiden, ob sie in Berlin oder im brandenburgischen Umland ihre Aufträge generieren. Denn dort liegt der vergaberechtliche Mindestlohn derzeit bei 10,50 Euro (siehe ­B ehörden Spiegel, September 2019, Seite 9)

(BS/jf) Regierungshandeln soll transparent sein. Dazu setzt die Bundesregierung die erprobte Praxis fort, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe in der Form, in der sie in eine etwaige Verbändeanhörung gegangen sind, sowie den vom Kabinett beschlossenen Gesetzesentwurf auf www.bundesregierung.de zu veröffentlichen. Auch Stellungnahmen der beteiligten Verbände werden in diesem Kontext veröffentlicht. Darüber hinaus hat das Parlament die Pflicht Regierung und Verwaltung zu kontrollieren. Doch diese Pflicht hat auch ihre Grenzen, sie darf nicht in eine administrative Überkontrolle ausarten. Dies sieht die Bundesregierung inzwischen bei zahlreichen Kleinen Anfragen der Linken zum Einfluss von Interessenvertretungen bei Gesetzesentwürfen als erreicht. Deshalb geht sie künftig davon aus, dass dem Informationsbedürfnis der Abgeordneten durch die geschilderte Veröffentlichungspraxis Genüge getan ist.

Nicht tariffähig (BS/jf) “Ob eine Vereinigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als tariffähige Gewerkschaft anerkannt wird, kann davon abhängig gemacht werden, ob sie eine gewisse Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite aufweist.” Damit betonte das Bundesverfassungsgericht, dass die Nichtanerkennung einer Gewerkschaft im Einklang mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit steht. Denn das Grundrecht garantiere keinen Instanzenzug. So ist es rechtens, wenn die Feststellung der Tariffähigkeit auf einer Tatsacheninstanz beruht. Generell sind Vereinigungen als tariffähig anzusehen, wenn sie eine gewisse Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler haben. Dafür kann maßgeblich auf die Größe und Zusammensetzung der Mitglieder abgestellt werden. Im vorliegenden Fall hatte eine Vereinigung von Beschäftigten der privaten Versicherungsbranche erfolglos geklagt.

→ 16.–17. Januar 2020, Handelskammer Hamburg

Hamburger Vergabetag 2020

Vierzehn Workshops: • • • • • • • • • • • • • •

IKT-Beschaffung im Lichte des DigitalPakts Schule Newcomer und Bestandsauftragnehmer Aktuelle Rechtsfragen aus dem Bauvergaberecht Beschaffung von Elektromobilität Lösungs- und Konfliktvermeidungsstrategien Dynamisches Beschaffungssystem Eignungsprüfung in der Praxis Richtiger Umgang mit Standardformularen Überhitzte Konjunktur – auf der Suche nach Bietern Einkauf von Textilien nachhaltig gestalten Vergabefehler bei IT-Ausschreibungen Architekten und Ingenieurverträge Der „formale Mangel“ im Vergaberecht Anknüpfungspunkte für produktspezifische Ausschreibungen

Keynotes: Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Düsseldorf York Burow, Vorsitzender der Vergabekammer, Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie Schleswig-Holstein

Dr. Gundula Fehns-Böer, Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Frankfurt am Main

► Angebotsausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB – aktuelle Rechtsprechung des OLG Düsseldorf

► Vergabeverfahrenserleichterungen in Schleswig-Holstein nach SHVgVO (Unterschwellenrecht)

► Vier wichtige Strukturüberlegungen bei Einleitung eines Vergabeverfahrens: Leistungsbestimmung, Markterkundung, Leistungsbeschreibung, Losaufteilung

→ Online-Anmeldung unter www.hamburger-vergabetag.de


Aktuelles Öffentlicher Dienst / Gesundheit

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Für einen “sauberen” Ruf

MELDUNG

Verabschiedung des Präsidenten der HS Bund (BS/bk) Im Rahmen des Festaktes zum 40-jährigen Bestehen der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (HS Bund) wurde Thomas Bönders als bisheriger Präsident verabschiedet. Er hatte die Position über 13 Jahre inne. Eine Nachbesetzung der Funktion ist noch nicht erfolgt. Der Jurist Bönders absolvierte sein erstes und zweites Staatsexamen an der Universität zu Köln. Anschließend durchlief er mehrere Positionen als Referent, Justiziar und Abteilungsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesverwaltungsamt. Seit 2006 war Bönders Präsident der HS Bund.

Neben dem Abschied feierte die Hochschule ihr 40-jähriges Jubiläum. Lehrende und Ehrengäste aus der Politik würdigten die Entwicklung der HS Bund und die Bedeutung der praxisnahen Vorbereitung für Nachwuchskräfte in der öffentlichen Verwaltung.

Nach 13 Jahren als Präsident geht Thomas Bönders in den Ruhestand. Foto: BS/HS Bund

Fragmente zusammenfügen Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (BS/Dr. Volker Reinken) Traumata, ausgelöst durch außergewöhnliche Bedrohungen oder das Miterleben einer Katastrophe, können jeden Beschäftigten im Öffentlichen Dienst treffen. Nicht jeder überwindet das Ereignis unmittelbar nach dessen Eintreten. Später auftretende Belastungsstörungen treten immer häufiger zutage. Dagegen hilft eine Vier-Phasen-Therapie. In der Regel kommt auf das Erleben einer Katastrophe ein körperlicher und psychischer Schock. Zitteranfälle oder Atemnot sind typische Reaktionen. Meist klingen diese Reaktionen nach ein paar Stunden wieder ab, die Menschen glauben, das Ereignis überwunden zu haben. Das ist nicht immer so. Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wie Gereiztheit oder Schlaflosigkeit können auch vier bis sechs Wochen oder sogar erst nach einem halben Jahr auftreten. Auch sogenannte Flashbacks, bei denen urplötzlich die

Erinnerung an die Katastrophe wieder gegenwärtig wird, sind keine Seltenheit.

Es beginnt selten mit dem Koffer voller Schmiergeld (BS/Ingo Sorgatz) Denkt man an Korruption, so fallen einem nur allzu gerne abenteuerliche, agentenähnliche Geschichten ein, in denen es den Protagonisten gelingt, mit List und Tücke die blinden, tauben oder gierigen Verwaltungsapparate zu überlisten und diese um Millionen zu erleichtern. Vielleicht hegt der eine oder andere sogar insgeheim eine gewisse Sympathie mit einem besonders raffinierten Geschäftsgebaren. “No risk, no fun” mag das Motto sein, sei es nun in der Fiktion des Folge für Folge andere Personen korrumpierenden Frank Underwoods in der Serie “House of Cards” oder aber in der Realität etwa der sogenannte “BaFinLebemann”, dem es laut Manager Magazin gelang, unter Nutzung vieler Winkelzüge konspirativen Handelns und unter filmreifer Erfüllung des Klischées eines Doppellebens die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht jahrelang völlig unbemerkt durch größtenteils fingierte ITBeschaffungen um Millionen von Euro zu erleichtern, oder auch der ehemalige Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Landesliegenschaftsbetriebes, dessen krimineller und lange Zeit unbemerkter Handel mit Insiderinformationen über geplante Bauprojekte das Land mindestens sechs Millionen Euro kostete, wie der WDR berichtete. Steuergelder, die auch seine 2018 rechtskräftig gewordene deftige Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren dem Fiskus nicht zurückbringt.

Massive Konsequenzen für Amtsträger

Dr. med. Volker Reinken ist Chefarzt der Vincera Klinik Bad Waldsee. Foto: BS/Vincera

In diesen Fällen hat das Gehirn das Erlebte fragmentiert, vergleichbar mit einem Buch, dessen Seiten zerrissen und in verschiedene Regale eingeordnet werden. Plötzlich finden sich Teile der traumatischen Erinnerungen in ganz alltäglichen Dingen wieder. In einer Therapie wird den Betroffenen dieser Vorgang in einer ersten Phase erläutert. In der zweiten Phase, der Stabilisierungsphase lernen sie Techniken, um mehr Kontrolle über sich selbst zu bekommen und sich von den Ereignissen zu distanzieren. Anschließend werden in der dritten Phase die fragmentierten Erinnerungen wieder zusammengesetzt – das Buch wieder geklebt. Um es in der vierten Phase in die Lebensgeschichte zu integrieren. Das Ereignis ist ein Teil des Betroffenen, jetzt orientiert er sich neu.

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Korruptionsfälle müssen möglichst spektakulär und skandalös sein, damit sie Aufsehen erregen. In der Realität sind es aber oft die kleinen, weder in Bezug auf die Höhe der erhaltenen Zuwendungen noch hinsichtlich entstandener Schäden besonders bemerkenswerten Fälle, die mitunter massive Konsequenzen für die handelnden Amtsträger mit sich bringen – von einsetzender Strafverfolgung bis hin zu Jobverlust und in der Folge häufig auch familiären Problemen. Selten bis nie beginnt ein Korruptionsfall mit dem sprichwörtlichen Koffer voll Bargeld, den ein Unternehmer einem Sachbearbeiter auf den Schreibtisch stellt und im Gegenzug einen Auftrag, einen begünstigenden Bescheid oder eine Projektbewilligung einfordert. Das Vorgehen ist in der Regel subtiler, auf einem Niveau beginnend, von dem wir zunächst gar nicht zwingend annehmen müssen, dass es sich um Korruption handeln, geschweige denn solche daraus werden könnte. Es sind häufig die kleinen Aufmerksamkeiten und Geschenke, die Einladungen oder Bevorzugungen, die für sich genommen von der Masse wahrscheinlich als unschädlich und in der Verfolgung als kleinlich betrachtet

würden. A la longue gesehen bewirkt solches Vorgehen, das Fachleute als sogenanntes “Anfüttern” beschreiben, aber unter Umständen den Einstieg in eine korruptive Verbindung.

Beginn mit der Einladung zum Essen Wenn man überführte Korruptionsstraftäter danach fragt, wie denn das korruptive Kartell, dem

dem zufolge die Zahl der Korruptionsdelikte, zu denen im Jahr 2018 Ermittlungen eingeleitet wurden, mit nur rund 3.800 Straftaten auf den niedrigsten Stand seit über 20 Jahren gefallen ist. Bei näherem Betrachten weist das Lagebild allerdings gewisse “Schönheitsfehler” auf. So ist nämlich bei den durch Amtsträger begangenen Delikten, also der Vorteilsannahme und

Kraftfahrzeugzulassungsstelle als korruptionsgefährdet angesehen? Sicherlich kaum jemand. Heute kann man jedenfalls für das Land Berlin hingegen davon ausgehen, dass dies, angesichts äußerst knapper Kita-Plätze, eines hoffnungslosen Unterangebots im Wohnungssektor und exorbitanter Wartezeiten bei der Terminvergabe für behördliche Dienstleistungen, Verwaltungs-

öffentlicher Sektor als Zielbereich der Korruption Prozentualer Anteil an den Korruptionsstraftaten

1200

Vorteilsannahme (§ 331 StGB)

Linear (Zielbereich öffentlicher Sektor, in %)

80

Bestechlichkeit

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Zielbereich öffentlicher Sektor, in %

90

70 60

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40 30

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2017

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Besorgniserregend: Die Entwicklung der Amtsträgerdelikte (links) und der prozentuale Anteil des öffentlichen Sektors als Ziel von Korruptionsstraftaten nehmen zu. Quelle: BKA / Grafik: BS/Wedemeyer

sie angehörten, entstanden ist, dann landet man häufig doch wieder bei der Einladung zum Essen, dem schönen gemeinsamen Wochenende auf Kosten einer Firma oder den kostenlosen Eintrittskarten für eine Unterhaltungs- oder Sportveranstaltung. Das Thema Korruptions­vor­sor­ ge ist nicht neu – man hat die Risiken in den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen erkannt und in den klassischen Risikobereichen, allen voran der öffentlichen Vergabe und den Genehmigungs- und Kontrollbereichen, in Gestalt von AntiKorruptionsregelungen ganze Bündel von präventiven Maßnahmen zur Stärkung der internen Kontrollsysteme eingeführt.

Differenziertes Lagebild Als Beleg dafür, dass der Kampf gegen die Korruption in Deutschland Erfolge zeigt, mag das am 18. O k tobe r 2 01 9 veröffentlichte “Bundeslagebild Korruption” genommen werden,

der Bestechlichkeit, gegen den Gesamttrend ein nicht unerheblicher Anstieg zu verzeichnen, wie die Grafik Nummer eins zeigt. Besorgniserregend ist auch der prozentuale Anteil des öffentlichen Sektors als Zielbereich der aufgedeckten Korruptionsfälle (siehe Grafik 2). Der zu verzeichnende Anstieg der Korruption in Teilbereichen kann aus kriminologischer Sicht damit zusammenhängen, dass sich die Korruptionsphänomene und Angriffsziele ändern, ebenso wie der Modus Operandi der Akteure. Wer hätte beispielsweise noch vor wenigen Jahren die Bediensteten einer Kindertagesstätte, eines kommunalen Wohnungsunternehmens oder einer

Ingo Sorgatz ist Erster Kriminalhauptkommissar und Dipl.-Verwaltungswirt (FH), und nach langer Tätigkeit im kriminalpolizeilichen Bereich seit mehreren Jahren für Interne Revision und Korruptionsprävention zuständig. Foto: BS/privat

bereiche mit einem hohen Risiko für Schmiergeldzahlungen sind.

Daueraufgabe Das Thema Korruptionsvorsorge ist nicht statisch, kein Projekt mit einem Enddatum. Wir dürfen uns nicht auf vermeintlich sinkenden Statistiken ausruhen und die präventive ComplianceArbeit mit der Einführung von Anti-Korruptionsregelungen als erledigt ansehen. Das wäre zu kurz gegriffen. Es bleibt, wie bei anderen Kriminalitätsbereichen auch, ein ständiger Kampf – gegen den sich wandelnden Modus Operandi der Täter und für einen nachhaltig “sauberen” Ruf der öffentlichen Verwaltung in Deutschland.

Save the Date Der nächste Zertifikatslehrgang zum Anti-Korruptionsbeauftragten des Behörden Spiegel findet vom 16. bis 20. März 2020 in Berlin statt. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www. fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “AntiKorruption”

Politik muss liefern DPolG Bundespolizeigewerkschaft erhebt zahlreiche Forderungen (BS) Heiko Teggatz steht ab sofort an der Spitze der DPolG Bundespolizeigewerkschaft. Er tritt die Nachfolge Ernst G. Walters an. Im Behörden Spiegel-Interview erläuterte er seine Ziele innerhalb der Gewerkschaft und gegenüber den politisch Verantwortlichen. Er hat sich einiges vorgenommen. Die Fragen stellte Marco Feldmann. Behörden Spiegel: Herr Teggatz, Sie sind neuer Bundesvorsitzender der DPolG Bundespolizeigewerkschaft. Welche Themen stehen ganz oben auf Ihrer Agenda? Teggatz: Der Vorstand unserer Gewerkschaft wird künftig teamorientiert arbeiten. Wir werden innerhalb des Vorstandes Fachkommissionen zu unterschiedlichen Themen bilden und uns dazu auch Expertise von der Basis holen. Wir wollen vor allem die Erfahrungen der Kollegen stärker einbinden. Die jeweilige Fachkommission baut sich jedes Vorstandsmitglied dabei eigenverantwortlich auf. Nur so ist sichergestellt, dass Gewerkschaftsarbeit an

der Basis für die Basis erfolgt. Behörden Spiegel: Das betraf jetzt den innerorganisatorischen Bereich. Welche Forderungen stellen Sie nach außen hin auf, in Richtung der Politik? Teggatz: Die Politik hat bei der Bundespolizei noch einen Schuldschein einzulösen. Wir verlangen unter anderem, die Ruhegehaltfähigkeit der Polizeizulage wieder einzuführen und die Wochenarbeitszeit bei der Bundespolizei von derzeit 41 auf 38,5 Stunden abzusenken. Außerdem wollen wir, dass die Lebensarbeitszeitgrenze bei der Bundespolizei von 62 auf 60 Jahre gesenkt wird.

Behörden Spiegel: Was verlangen Sie noch?

despolizei deutlich ertüchtigt werden.

Teggatz: Wir fordern darüber hinaus die Zahlung von Zulagen für szenekundige Beamte sowie für Diensthundeführer mit Sprengstoffspürhunden. Außerdem müssen die Erschwerniszulagenverordnung reformiert und der Fehlbestand an Führungs- und Einsatzmitteln bei der Bundespolizei rasch ausgeglichen werden. Hierfür braucht es unter anderem die Einstellung zusätzlicher Tarifbeschäftigter in der Verwaltung der Bundespolizei, insbesondere im Beschaffungsbereich. Und last but not least müssen die Liegenschaften der Bun-

Heiko Teggatz ist neuer Bundesvorsitzender der DPolG Bundespolizeigewerkschaft. Er folgt auf Ernst G. Walter, der nicht noch einmal kandidierte und zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Foto: BS/Fieseler


Behörden Spiegel / Dezember 2019

Zukunft Dienstrecht

Seite 5

“Wer was will, muss es beweisen”

Nicht schön, aber anerkannt

Klagen und Kündigungen sind im Öffentlichen Dienst keine Seltenheit

Gerichte füllen Lücken bei Beurteilung

(BS/Jörn Fieseler) Bereitschaftszeiten, Stufenzuordnung in den Tarifverträgen oder Kündigungen – beim diesjährigen Kongress Zukunft Dienstrecht (BS/jf) “Klagen gegen die dienstliche Beurteilung haben Konjunktur”, wurde wieder einmal deutlich: Vieles, was normiert ist, ist einerseits nicht auf allen Ebenen gleich und andererseits in der Anwendung immer noch stellt Anke Schulte-Trux fest. Es scheint heutzutage zum guten Ton zu ein Problem. gehören, wenigsten einmal gegen den Dienstherrn zu klagen, so die Vorsitzende Richterin des 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts NRW. anschauung zu rechnen ist”, Zugleich bemängelt sie die fehlende Regelungsdichte und gibt praktiEines der Dauerthemen für die erläutert Dr. Mario Eylert, ehe- sche Tipps für den Dienstherrn. Arbeitsgerichte ist die Stufen-

zuordnung in die Entgeltgruppen der Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen (TVöD) und der Länder (TV-L). Bereits 60 Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dazu gefällt. Der Bund ist in dieser Sache vorangegangen und hat für sich explizit geregelt, dass bei Einstellung im unmittelbaren Anschluss an ein Arbeitsverhältnis im Bund Beschäftigte mit einschlägiger Berufserfahrung der im vorherigen Arbeitsverhältnis erworbenen Stufe zugeordnet werden und die bislang erreichte Stufenlaufzeit fortgeführt wird. Demgegenüber hat das BAG im September 2018 konstatiert, dass § 16 Abs. 2 des TVöD für die Kommunen (VKA) teilnichtig ist. Danach wird die Einordnung in einer Entgeltgruppe immer auf die Stufe drei begrenzt. Selbst bei einer horizontalen Wiedereinstellung, sprich beim selben Arbeitgeber. “Damit liegt ein Verstoß gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz vor”, hält Karin Spelge, Vorsitzende Richterin des 6. Senats des BAG fest. Denn “Berufserfahrung ist Berufserfahrung”. Es werde nicht weiter differenziert, ob diese in einem befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis erworben worden sei. Und es gebe “keinen sachlichen Grund, diese ganz oder teilweise unter den Tisch fallen zu lassen”, so die Richterin. Damit bleibt die Frage, ob die Kommunen den Wortlaut der Bundesregelung an dieser Stelle übernehmen. Ein anderes Beispiel ist die An-

Erläuterte die neuesten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu den Tarifverträgen von Bund, Ländern und Kommunen: Karin Spelge, Vorsitzende Richterin des 6. Senats des BAG. Foto: BS/Fieseler

erkennung von Bereitschaftszeiten. Diese müssen laut Aussagen der Tarifvertragsparteien in nicht unerheblichem Maße anfallen. In diesem Kontext hat das BAG eine maßgebliche Grenze festgelegt: 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit bei Vollzeitangestellten. Gemäß § 6 TVöD wäre dies der Fall, wenn ab 9,5 Stunden pro Woche die Pflicht zur Bereithaltung besteht. Allerdings wird die Bereitschaftszeit faktorisiert, führt Spelge weiter aus. Mehr noch: Sie wird nur zu 50 Prozent als Arbeitszeit gerechnet. Zugleich zeigte die Richterin die Grenzen der Anrechnung von Bereitschaftszeiten auf. Die Summe von faktorisierten Bereitschaftszeiten und Vollarbeitszeit darf höchstens – und muss mindestens – die Arbeitszeit nach § 6 TVöD ergeben. Zudem dürfen sie die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48. Stunden nicht überschreiten. Spelge verdeutlicht dies an einem Beispiel: 30

Stunden Vollzeitarbeit plus 18 Stunden Bereitschaftszeit, die zur Hälfte faktorisiert werden, ergeben vergütungstechnisch eine Arbeitszeit von 39 Stunden. Arbeitszeitrechtlich decken sich die insgesamt 48 Stunden ebenfalls mit der wöchentlichen Höchstarbeitszeit. Aber: Beruft sich der Arbeitgeber vor Gericht zur Vermeidung von Überstunden (und deren Bezahlung) auf Bereitschaftszeiten, muss er auch die Voraussetzungen darlegen und beweisen. Dazu muss er seine Aussagen auf Erfahrungswerte und Prognosen stützen, wobei repräsentative Zeiträume zu wählen sind. Auch im Kündigungsrecht hat die Rechtsprechung inzwischen vieles nuanciert. So etwa die Frage, wann eine Kündigung als zugegangen gilt. “Die Zustellung gilt als erfolgt, wenn nach dem Einwurf in den Briefkasten des Empfängers mit der nächsten Entnahme nach der Verkehrs-

maliger Vorsitzender Richter des 4. Senats des BAG. Dies habe das BAG in einer Entscheidung vom 22. August 2019 herausgestellt. In dem vorliegenden Fall erfolgte die ortsübliche Postzustellung gegen elf Uhr vormittags. Der Arbeitgeber hatte die Kündigung am letzten Tag der Kündigungsfrist nachmittags in den Briefkasten werfen lassen. Der Kläger diesen aber erst am nächsten Tag – nach Ablauf der Frist – gegen elf Uhr geleert. Damit war das Schreiben letztlich nicht fristgerecht zugegangen, die Kündigung unwirksam. Auch wenn manch einer behauptet, betriebsbedingte Kündigungen würde es im Öffentlichen Dienst nicht geben, so ist die Realität eine andere. Nur handelt es sich dabei um sogenannte Änderungskündigungen. Sie sind möglich, wenn die konkrete Stelle im Haushalt gestrichen wird, so Eylert. Allerdings reicht nicht eine pauschale Stellenstreichung, sondern die Stellen müssen genau benannt werden. Und natürlich muss das Parlament die Entscheidung darüber fällen. Kommt es zu Kündigungsklagen, muss der Arbeitgeber dem Gericht ein Konzept vorlegen, damit das Gericht entscheiden kann, ob die Kündigung verhältnismäßig ist. In dem Kontext sind sogar Leistungsverdichtungen an anderer Stelle erlaubt. Auch eine Neuprofilierung der Stelle ist möglich, selbst wenn dadurch der bisherige Stelleninhaber nicht mehr als genügend qualifiziert gilt, beschreibt Eylert die weiteren Möglichkeiten.

“Der Gesetz, und Verordnungsgeber lässt uns Gerichte bei der dienstlichen Beurteilung im Stich”, kritisiert Schulte-Trux. Nach Art. 33 GG gebe es keine weiteren gesetzlichen Normen, sondern nur noch die Beurteilungsrichtlinien. “Deshalb müssen wir in die Bresche springen und die Lücken durch Richterrecht füllen.” Allerdings gibt es kaum einen Instanzenzug, um diese Entscheidungen zu überprüfen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) sei nur ein Player an der Außenlinie. Und das auch nur, weil es für den Bundesnachrichtendienst in erster Instanz zuständig sei. Beamtinnen und Beamte hätten immerhin noch die Möglichkeit, sich an das Bundesverfassungsgericht zu wenden, dieser Weg stehe dem Dienstherrn jedoch nicht offen. Und die Beurteilungsrichtlinien selbst? Die fallen meist sehr unterschiedlich aus, der Dienstherr hat bei ihrer Ausgestaltung ein weites Ermessen. Dennoch hält Schulte-Trux es für sinnvoll, eine Muster-Beurteilungsrichtlinie zu erarbeiten, die für Bund und Länder gleichermaßen gilt. Auf der anderen Seite habe das BVerwG die Wesentlichkeitstheorie bei seinen letzten Entscheidungen hervorgehoben und parlamentarische Entscheidungen eingefordert. Die weiteren Probleme lägen hingegen nicht in den Beurteilungsrichtlinien, sondern in deren Handhabung. Das meistgenutzte Verfahren seien soge-

Fordert mindestens eine Musterbeurteilungsrichtlinie, besser noch ein Beamtenbeurteilungsgesetz: Anke Schulte-Trux, Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht NRW.

Foto: BS/Fieseler

nannte Ankreuz-Beurteilungen. Bei diesen muss das Gesamturteil jedoch begründet werden. Dabei bedarf es einer gesonderten Beurteilung, um erkennbar zu machen, wie das Urteil aus den Einzelbegründungen hergeleitet wird, so Schulte-Trux. Die meisten Fehler würden jedoch beim Absenken von Beurteilungen entstehen. Die Dienstherrn hätten dazu den Quervergleich innerhalb von Gruppen gebildet. “Das finden wir nicht schön, es ist aber zulässig.” Allerdings müsse der Dienstherr die Vorgehensweise vor Gericht erläutern können, warum die Absenkung anhand des Leistungsbildes entstanden sei. Dafür müsse der Verantwortliche wissen, wie das Leistungsbild überhaupt entstanden sei.


Bund/Länder

Seite 6

D

ies nicht nur, weil Anlass und Art der Ablösung des Behördenchefs sich verwirrend vollzogen. Die Wirkung ist deshalb so signifikant, weil sich der behördliche Sicherheitsapparat seit Jahren im Zustand größter Verunsicherung befindet. Mit dem jetzigen zeitlichen Abstand soll ein schonungsloser Blick auf die Ereignisse, ihre Ursachen wie Wirkungen geworfen werden. Bestenfalls sollen Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Sicherheitslage verlangt nach Auf- und nicht Verklärung. Blick zurück: Es war ein buntes Stück, das der Öffentlichkeit im Spätsommer letzten Jahres gegeben wurde: Der Präsident des Inlandsnachrichtendienstes bewertete die Ereignisse – Hetzjagd in Chemnitz – völlig anders als alle anderen. Er setzte sich damit obendrein in öffentlichen Widerspruch zur Kanzlerin. Es folgten ein Hickhack um seine weitere Verwendung, eine schwierige Abschiedsrede im Kreis befreundeter ausländischer Dienste und schließlich sein Abgang. Und auch jüngst hat Maaßen mit – gelinde gesagt – verwirrenden Aussagen wieder von sich hören gemacht und die CDU in Unruhe versetzt. Er ist präsenter denn je.

Aussagen als Aufschrei Es stellt sich die Frage, warum ein seiner beruflichen Herkunft nach äußerst erfahrener Beamter so agierte und reagierte. Sicherlich war er – übrigens wie wohl einige Chefs deutscher Sicherheits-

I

m Herzen Europas gelegen, ist Deutschland traditionell ein Einwanderungsland und mit dem Phänomen der Migration bestens vertraut. Was sich in der letzten Dekade geändert habe, sei die Debattenkultur in Politik und Gesellschaft, so NordrheinWestfalens Staatssekretärin für Integration, Serap Güler. Mit dem Jahr 2015 – dem Auftakt der Flüchtlingskrise in Europa – sei eine Schärfe in den öffentlichen Diskurs getreten, die eine nüchterne Betrachtung der Lage unmöglich gemacht habe. “Durch die erhitzte Stimmung ist es zu einer Emotionalisierung gekommen, die der Komplexität der Sache nicht gerecht wird”, erklärt Güler. Der Verlust an Sachlichkeit sei nicht nur bedauerlich, sondern auch problematisch. Problematisch nicht zuletzt deshalb, weil die Mehrheit des diskursiven Inputs ohne Kenntnis der tatsächlichen Lage ablaufe. Viele Menschen seien zu schnell mit einem Urteil bei der Hand, wenn es um die Frage gelungener oder – noch häufiger – gescheiterter Integration gehe. Kontakt mit Eingewanderten hätten nur die wenigsten gehabt, dafür allerdings seien sie umso lauter.

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Für ein sicheres Deutschland Behörden müssen sich wandeln (BS/Michael Hartmann) Ein Jahr liegt es zurück, dass der bis dahin weitgehend anerkannte Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen, in den einstweiligen Ruhestand geschickt wurde. Für die Öffentlichkeit ist dieser Vorgang abgehakt. In der “SicherheitsCommunity” – also keineswegs nur in den Behörden – wirkt er jedoch bis heute nach. behörden – mehr als unzufrieden mit politischen Endscheidungen im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise. Er war vorher bereits wegen befremdlicher Statements aufgefallen, die Interviewaussagen zu Chemnitz übertrafen dann aber alles. Es war so etwas wie der Aufschrei einer gedemütigten Seele – und zwar der Seele unserer Sicherheitsbehörden. Diese kühne These verlangt einen Beleg, soll sie nicht als eine Art unverständliche, nachträgliche Reinwaschung eines zu Recht Gescheiterten missverstanden werden. Der unvoreingenommene Blick auf den inneren Zustand jener Ämter und Dienste ist allerdings Voraussetzung dafür. Wer ihn wagt, wird auf ein verheerendes “Schlachtfeld” blicken. Im Kalten Krieg mit seiner wohlsortierten, bipolaren Welt hatte man sich so trefflich eingerichtet, dass bis heute manche nicht

Michael Hartmann (SPD) ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Während seiner Zeit im Parlament war er unter anderem Innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion sowie Mitglied im Innenausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium.

Foto: BS/ Publicum, Agentur für Kommunikation und Marketing

Mohamed Atta, die für Osama bin Laden Passagiermaschinen und damit die Verkehrsinfrastruktur zu Bomben für traumatische Anschläge in den USA umfunktionierte. Danach war die Welt – in jedem Falle die der Sicherheitsbehörden – eine andere. Das Morden des sogenannten NSU und die Enthüllungen von Edward Snowden bedeuteten weitere Tiefschläge.

Strukturwandel und Veränfreiwillig davon lassen wollen. derung sind nötig

Diese Kultur der Tarnnamen, Scheinfirmen und Pseudobehörden kann man immer noch da und dort folkloristisch besichtigen. Sie stellte alle Präsidenten vor große Herausforderungen, die nach dem Ende der DDR die Stuben vom Mief befreien wollten. Die – so würde man heute vielleicht sagen – “home grown terrorists” der RAF lösten die erste tiefe Erschütterung aus, auch weil gelegentliches Versagen der Behörden nicht zu bestreiten war. Doch all das ist an keiner Stelle vergleichbar mit dem, was mit der Überschrift 9/11 auf ewig verbunden bleiben wird. Es war die “Hamburger Zelle” um

In Deutschland wurde in den letzten Jahren jeweils direkt nach solchen Ereignissen immer wieder eine intensivere und strukturiertere, von mehr Austausch geprägte Behördenstruktur gefordert. Am Schluss blieben hohle Formulierungen. Bewegt hat kein Innenminister etwas. Angesichts der realen Bedrohungslage und der vereinzelt schlimmen, im Vergleich zu andernorts in Europa jedoch weniger gravierenden Ereignissen ist dies ein schädliches Muster der reflexhaften Abwehr von Veränderung. Die Befürchtung, eigene Kompetenzen aufgeben zu

müssen, ist dabei stets größer als die Einsicht in den Nutzen neuer Strukturen für die Innere Sicherheit in einer multipolaren Welt. Wandeln müssen sich dazu nicht nur die Behörden, sondern auch die zuständigen Ministerien und die Kontrollorgane. In Wahrheit wurde der erste und letzte große Fortschritt hier im Jahre 2004 unter dem nicht zimperlichen Bundesinnenminister Otto Schily mit der Gründung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ) erzielt. Dass jetzt einzelne Bundesländer bei der Abwehr wieder lieber auf eigene Lösungen im Kampf gegen neue internationale Bedrohungen setzen, ist ein Anachronismus. Weisen die Ereignisse der vergangenen Jahre doch eindeutig den Weg zu mehr länderübergreifender Zusammenarbeit und nicht umgekehrt.

Lob als Brücke auf dem Weg zur Besserung Minister, Staatssekretäre und Abgeordnete müssen anders mit jenen umgehen, die seit Jahrzehnten zuverlässig als notwendige Einrichtungen eines Rechtsstaates agieren. Sie müssen sich

Zurück zur Streitkultur Wie die Konfliktfähigkeit einer Gesellschaft zur Integration beiträgt (BS/pet) Verändert hat sich die Art und Weise, wie in Deutschland an das Thema der Integration herangetreten wird. In Zeiten, da Rechtspopulismus und -chauvinismus über ein politisches Mandat verfügen, umfasst Integration nunmehr nicht nur die Frage, wie Zugewanderte ein Teil dieser Gesellschaft werden können; sie umfasst auch die Frage, wie ideologische Entgleisungen am rechten Rand in ihre Mitte zurückgeholt werden können. Als Kehrseite der Integration sind Radikalisierungstendenzen dabei vielleicht Indiz einer verlorengegangenen Streitkultur. Am schwersten wögen die eingespielten Vorurteile, denn sie deuteten auf ein subjektives Befinden, das sich nur noch sehr schwer mit Fakten erreichen ließe. Dabei sei die offene Feindseligkeit, wie man sie in öffentlichen und politischen Debatten inzwischen zu Hauf antreffe, kein Randphänomen. Im Gegenteil, oftmals komme der Hass aus der Mitte der Gesellschaft. Das kann Prof. Dr. Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, nur bestätigen. Zick, der seit längerem antidemokratische Entwicklungen auf deutschem Boden erforscht, sieht einen möglichen Grund in der Scheu vor sozialen Reibungen: “Es scheint so, als habe Deutschland seine Konfliktfähigkeit verloren. Echte

und nachhaltige Veränderung kann es aber nur dort geben, wo Streitigkeiten ausgetragen und bestanden werden. Alles in geordneten Bahnen, versteht sich. Entscheidend ist, dass man den Mut aufbringt, den Dialog aufzunehmen, was aber auch heißt, Widerspruch zu ertragen.” Zu zögern hieße lediglich, das herrschende Regime der Vorurteile zu bestätigen. Welche Folgen das nach sich ziehe, könne man derzeit im Osten der Republik beobachten. Zick: “Gleichwertigkeit herzustellen, ist eine immense Anstrengung, die nicht ohne Konflikt und Vorwurf über die Bühne geht.” Foto: BS/Giessen

Man muss es aushalten

Wo der Wissenschaftler weiche Faktoren am Werk sieht, kritisiert der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes, Dr. HansGeorg Maaßen, ein Versagen der Politik, die durch Nachlässigkeit und falsche Einsparungen dazu beigetragen habe, gewachsene

soziale Netze in Ostdeutschland zu destabilisieren. Geblieben seien Verunsicherung und Orientierungslosigkeit. “Wer soziale Strukturen abbaut, gleichgültig, ob es sich dabei um kulturelle Einrichtungen oder Sportvereine handelt, steuert aktiv dazu

bei, dass andere diese Nische besetzen. Wir sahen das schon während der Neunzigerjahre, wo Rechtsextremisten nach und nach das Freizeitangebot an sich gerissen haben”, so Maaßen. Dabei stelle der direkte Kontakt zu rechten Gruppierungen be-

zu ihnen bekennen, ohne ihnen etwas zu schenken. Wenn aber der politische Betrieb seine Mitarbeiter wahlweise als peinliche Dummköpfe oder gefährliche, rassistische, rechtsgestrickte Überwacher darstellt, wird daraus nichts. Einfacher ist nämlich auch ihre Arbeit in dieser Epoche des Informations- und damit des Desinformationsüberflusses nicht geworden. Nur wer die Behörden unserer Sicherheitsarchitektur ernst nimmt, die dort notwendigen unpopulären Maßnahmen aktiv unterstützt, ja sogar so kühn ist, verdientes Lob auszusprechen, darf sie kritisieren. Zumal nur so herum ein Schuh aus der Sache wird: Für die Mittel- und Personalausstattung, die Fach- und Dienstaufsicht sind doch Parlament beziehungsweise Ministerien und sogar das Kanzleramt allein verantwortlich.

Gutes Personal wichtiger denn je Ausreichend gut ausgebildetes Personal, das mit Menschenkenntnis und modernstem technischem Wissen wie auch Technik ausgestattet ist, wird mehr denn je gebraucht. Ob dies in unseren Zeiten mit den Angeboten der klassischen Bezahlstrukturen des Öffentlichen Dienstes geleistet werden kann, ist zu bezweifeln. Doch die durchaus noch immer vorhandenen, dem Staatswohl treu dienenden Bewerber haben wenigstens Anerkennung verdient.

reits einen Extremfall dar. Die eigentlichen Probleme lägen tiefer. So finde man in Ostdeutschland vielfach den Standpunkt vertreten, die Meinungsfreiheit sei inzwischen geringer als noch zu Zeiten der DDR. Verantwortlich macht Maaßen eine überbordende Moralisierung in Politik und Gesellschaft, die jede Abweichung von vornherein unter Populismusverdacht stelle. Viele Bürger würden aus Angst, nicht mit dem politischen Mainstream übereinzustimmen, ihre Überzeugung für sich behalten. Unter den Betroffenen wecke das mitunter ein Gefühl von Zensur und Unterdrückung. Wie Zick plädiert Maaßen für mehr Mut zur Konfrontation, auch bei sensiblen Themen wie der Zuwanderung. “Man muss die Bürger im Osten in den politischen Diskurs zurückholen. Das funktioniert aber nur, wenn man sie ermuntert, Dinge zu artikulieren, die nicht jedermann gefallen dürften. Etwa, dass man der Willkommenskultur skeptisch gegenübersteht. Auch wenn es gegen das aktuelle Klima in Politik und Gesellschaft steht – solche Sachen sind verfassungsrechtlich gedeckt und müssen ertragen werden.”

Veränderungen zwingend vonnöten

Kooperation intensivieren

Zuständigkeiten in Deutschland zu stark zersplittert

Verfassungsschutz als Verbund stärken

(BS/mfe/bk) Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), kritisiert eine zu starke Zersplitterung von Zuständigkeiten bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Ein entscheidender Faktor für diese Situation sei der Föderalismus. Hier brauche es dringend Reformen.

(BS/mfe) Der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist eine Aufgabe, die Akteure aller staatlichen Ebenen fordert. Bund und Länder sind gefragt. Die Aufrechterhaltung der wehrhaften Demokratie ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Gleiches gilt laut dem Leiter der Verfassungsschutzabteilung in der Berliner

Denn bisher gilt laut Fiedler häufig: “Die Kriminalitätsbekämpfung funktioniert in Deutschland oft trotz und nicht wegen des Föderalismus.” Er bemängelt unter anderem, dass es hierzulande an einem wirksamen Gesamtkonzept für die Bekämpfung von Geldwäsche und Finanzkriminalität fehle. Die “Financial Intelligence Unit” (FIU), die früher beim Bundeskriminalamt und inzwischen bei der Generalzolldirektion angesiedelt ist, funktioniere in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht. Au-

Und das bei Weitem nicht nur bei der Bewältigung der mit der Digitalisierung einhergehenden Aufgaben und Herausforderungen. Vielmehr müssten alle Aufgaben des Verfassungsschutzes in einem starken Verbund aus Bund und Ländern wahrgenommen werden. Es brauche sowohl starke Landesämter für Verfassungsschutz als auch ein wirksames Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden müsse jedoch noch enger werden. Dabei sei

ßerdem könne es nicht angehen, dass das Europäische Polizeiamt (Europol) über keine eigenen operativen Befugnisse verfüge. Fiedler findet mit Blick auf die deutsche Sicherheitsarchitektur: “Wir müssen neu verhandeln.” Dies sei ein langwieriger Prozess. Das meinen auch die beiden FDP-Bundestagsabgeordneten Stephan Thomae und Konstantin Kuhle. Sie verlangen Veränderungen und fordern die Einsetzung einer Föderalismuskommission III. Denn bisher, so Thomae, gelte zu

häufig: “Viele sind zuständig, aber bei Defiziten und Fehlern will niemand die Verantwortung übernehmen.” Dies sei insbesondere im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) zu beobachten. Auch wenn diese Einrichtung grundsätzlich den richtigen Ansatz eines engeren Informationsaustausches zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten verfolge, müssten Verantwortlichkeiten sowie die Bestimmungen des Datenaustausches dort klarer geregelt werden, findet Thomae.

Senatsverwaltung für Inneres, Michael Fischer, für den Verfassungsschutz. darauf zu achten, dass es weder zu Informationslücken noch zu Doppelarbeit komme, so Fischer. Zudem seien die Verfassungsschutzbehörden zwingend auf politische Unterstützung und gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Hierfür sei eine engmaschige (parlamentarische) Kontrolle hilfreich. Denn diese ermögliche es dem Verfassungsschutz, seine Arbeit fortlaufend zu evaluieren und zu verbessern. Zugleich müssten die Verfassungsschutzbehörden ihre Instrumente kontinuierlich anpas-

sen und weiterentwickeln. Dies gelte etwa für den Bereich der individuellen Fallanalyse. Des Weiteren könnten bestimmte Aufgaben bei einer Behörde gebündelt werden. So könne das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa die generelle Zuständigkeit für die Bekämpfung von Cyber-Spionage erhalten. Es müsse dann jedoch jederzeit gewährleistet sein, dass auch die Landesämter für Verfassungsschutz ihren entsprechenden Sachverstand einbringen könnten.


Finanzen

Behörden Spiegel / Dezember 2019

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Bund subventioniert wieder stärker

Milliarden-Neuverschuldung

IfW Kiel: 18 Mrd. Euro davon besonders schädlich

Brandenburg plant Zukunftsinvestitionsfonds

(BS/lkm) Der Bund hat seinen aktuellen Subventionsbericht veröffentlicht. Demnach steigen die Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bun- (BS/lkm) Die neue Kenia-Koalition in Brandenburg plant einen milliardes von 21,8 Mrd. Euro im Jahr 2017 auf 31,4 Mrd. Euro im Jahr 2020 an. Doch nicht nur der Bund, auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW denschweren Zukunftsinvestitionsfonds. Der Landesrechnungshof wie Kiel) veröffentlicht einen Subventionsbericht. Die Ökonomen des IfW kommen darin auf weit mehr Subventionen als der Bund in seinem Bericht. auch die Opposition üben Kritik an dem Vorhaben, das noch in diesem Jahr umgesetzt werden soll. Mit dem Fonds erreicht die Verschuldung sie aus gesamtwirtschaftlicher einen neuen Höchststand seit Gründung des Landes Brandenburg. Laut Bundesfinanzministerium

(BMF) sei die Subventionspolitik des Bundes immer stärker durch die Klima- und Umweltpolitik geprägt. So weisen 53 Finanzhilfen mit einem Finanzvolumen von insgesamt 8,4 Mrd. Euro einen positiven Bezug zu den in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verankerten Umwelt- und Klimaschutzzielen auf. Damit werden im Bereich der Finanzhilfen rund 58 Prozent des Subventionsvolumens für klima- und umweltfreundliche Maßnahmen bereitgestellt. Hält man dem den Subventionsbericht des IfW Kiel gegenüber, sieht die Sache ganz anders aus. Dort summierten sich die Finanzhilfen des Bundes, Steuervergünstigungen und weitere Einnahmenverzichte laut Haushaltsplan 2018 auf 118,3 Mrd. Euro. Größter Profiteur der Staatsgelder ist dabei der Verkehrssektor, für den 2018 20,9 Mrd. Euro im Haushaltsplan standen. Hierzu zählen etwa die Regionalisierungsmittel für die Länder zur Finanzierung des Öffentlichen Nahverkehrs auf der Schiene (8,5 Mrd. Euro), Infrastrukturbeihilfen für Schienenwege der Bahn (5,2 Mrd. Euro) oder Entgelt- und Pensionszahlungen für ehemalige Beamte der Bundesbahn (5,2 Mrd. Euro). Größter Einzelposten ist der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 14,5 Mrd. Euro. Grund für die große Diskrepanz der beiden Subventionsberichte ist zum einen die unterschiedliche Abgrenzung. Das IfW Kiel definiert in seinem Subventionsbericht den Subventionsbegriff sehr viel weiter als die Bundesregierung in ihrem amtlichen

Ein großer Profiteur der Subventionen ist der Verkehrssektor, für den 2018 laut IfW Kiel knapp 21 Mrd. Euro im Haushaltsplan standen. Hierzu zählen unter anderem die Regionalisierungsmittel für die Länder zur Finanzierung des Öffentlichen Nahverkehrs auf der Schiene. Foto: BS/Birte Schulz

Subventionsbericht, der insgesamt nur etwa ein Drittel der Summe ausweist. So erfasst das IfW deutlich mehr Begünstigungen an den Unternehmenssektor. Laut IfW steigen die Finanzhilfen des Bundes seit einigen Jahren wieder deutlich an. Sie hatten ihren vorläufigen Höchststand kurz nach der Finanzkrise 2011. Nach einem Rückgang in den Folgejahren nehmen die Finanzhilfen seit 2015 wieder deutlich zu, um rund zehn Prozent pro Jahr, während der Bundeshaushalt im unteren einstelligen Bereich wachse.

Umweltschädliche Subventionen Während die Bundesregierung bei der Vorstellung des Subventionsberichtes Finanzhilfen, die die Klimapolitik unterstützen, betonte, sehen viele Kritiker weiterhin einen hohen Anteil umweltschädlicher Subventionen. So bezifferte eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) das Subventionsvo-

lumen für fossile Energieträger in Deutschland auf 46,2 Mrd. Euro pro Jahr. Auch im Subventionsbericht der Bundesregierung finden sich Subventionen, die aus Umweltgesichtspunkten kritisch zu bewerten sind. So beispielsweise die Steuerbegünstigung von Agrardiesel für die Jahre 2019 und 2020 mit 450 Mio. Euro. Eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA), die in diesem Jahr veröffentlicht wurde, kritisiert die umweltschädlichen Steuervergünstigungen des Flugverkehrs. Hierbei entgehen dem Fiskus durch die Mehrwertsteuerbefreiung grenzüberschreitender Flüge im Jahr 2017 4,2 Mrd. Euro. Durch die Befreiung von der Energiesteuer für Kerosin fallen 8,1 Mrd. Euro aus.

Viele Subventionen könnten gestrichen werden Subventionen in Höhe von 18,4 Mrd. Euro könnten nach Auffassung der Kieler Ökonomen ersatzlos gestrichen werden, weil

Sicht besonders schädlich sind und/oder einseitig einzelne Interessensgruppen oder Technologien bevorzugen. Größter Posten sind mit 2,8 Mrd. Euro diverse Zuschüsse und Vergünstigungen für die Landwirtschaft. Auch die Umsatzsteuerermäßigung für Hoteliers (1,4 Mrd. Euro) oder die Förderung von Elek­ tromobilität und Mikroelektronik (0,8 Mrd. Euro) fallen in diese Kategorie. Subventionen in Höhe von 74,9 Mrd. Euro sollte der Staat einer kritischen Überprüfung unterziehen, etwa die Mittel zur Bereitstellung des ÖPNV (8,5 Mrd. Euro). Diese Förderung sei zwar richtig, kritisch sehen die IfW-Ökonomen aber, dass nicht alle Strecken und Aufträge per Ausschreibung vergeben werden. Nur Subventionen in Höhe von 7,8 Mrd. Euro seien ohne Wenn und Aber gerechtfertigt, weil entweder ein gesellschaftlicher Mehrwert zu verzeichnen sei, etwa bei Subventionen für demokratische Bildung (116 Mio. Euro), oder ein Abbau nicht vorgenommen werden könne, weil dem grundsätzlich Hürden im Weg stünden, etwa bei den Pensionszahlungen für Bundesbahn-Beamte (5,2 Mrd. Euro). “Je spezifischer einzelne Branchen oder gar Unternehmen subventioniert werden, desto problematischer ist der Eingriff in den Markt. Außerdem fehlt das Geld zwangsläufig an anderer Stelle, etwa für höhere Bildungsausgaben, Forschungsförderung, die Sanierung maroder Infrastruktur oder für Schuldenabbau und Steuersenkungen”, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des IfW Kiel.

Negativzins belastet Rücklagen der Sozialversicherungen Gefährdet die Zinspolitik die Rentenreserve?

Mit dem Fonds sollen Projekte in Regionen gefördert und die Infrastruktur für Mobilität und digitalen Datenverkehr ausgebaut werden. Der Kredit soll noch bis Jahresende aufgenommen werde, da ab Januar 2020 die Schuldenbremse in Kraft tritt, die eine Kreditaufnahme nur noch in Ausnahmefällen erlaubt. In seinem Anfang Dezember vorgestellten Jahresbericht 2019 kritisierten die Prüfer den geplanten Zukunftsinvestitionsfonds. Der Präsident des Landesrechnungshofs, Christoph Weiser, beanstandete, dass das Land mit dem geplanten Zukunftsinvestitionsfonds bei den Schulden einen neuen Höchststand erreichen werde. Die Gesamtverschuldung des Landes werde sich zum ersten Mal seit dem Jahr 2010 wieder erhöhen. Weiser warnte, dass die Rückzahlung des Kredits den Landeshaushalt in späteren Jahren spürbar belasten könne. Der Bestand der Allgemeinen Rücklage sei in den letzten Jahren stetig angestiegen und mittlerweile auf einem Rekordniveau. Deshalb sollte die neue Koalition prüfen, ob die von ihr geplanten Zukunftsinvestitionen einen Kredit in dieser Höhe erforderten, so Weiser. Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange verteidigte den geplanten Zukunftsinvestitionsfonds: “Natürlich gibt es bei jeder Kreditaufnahme wie der für den geplanten Zukunftsinvestitionsfonds auch Risiken. Das ist nicht zu bestreiten. Ich selbst habe im Landtag ausdrücklich darauf hingewiesen. Trotzdem

handelt es sich bei dem geplanten Fonds um eine richtige und auch finanzpolitisch vertretbare Entscheidung.”

Mangelnde Umsetzung das Problem Neben den Rechnungsprüfern gab es auch von der Opposition Kritik an dem geplanten Fonds. Sebastian Walter, Fraktionschef der Linken, betonte, dass das Problem bei den zu geringen Investitionen im Land nicht fehlendes Geld, sondern die mangelhafte Umsetzung der Projekte sei. Die AfD und BVB/Freie Wähler bemängelten einen fehlenden Kontrollmechanismus. Beide Parteien forderten, dass das Geld nicht in den Hauptstadtflughafen BER fließen dürfe. Der DGB begrüßte hingegen das geplante Investitionsprogramm. “Brandenburg braucht dringend Investitionen in die Infrastruktur, darum ist der geplante Zukunftsinvestitionsfonds eine gute Nachricht“, sagte der DGB-Bezirksvorsitzende Christian Hoßbach zu den Plänen von SPD, CDU und Grünen. “Verkehrswege und Internetanbindung müssen ausgebaut werden, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen in allen Landesteilen erhalten bleiben, Anpassungen an den Klimawandel und Klimaschutz vorangetrieben werden. Das ist wichtig für die Lebensqualität und die wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburg. Der Zukunftsinvestitionsfonds ist auch konjunkturpolitisch ein richtiges Signal, da er die staatlichen Investitionen nachhaltig stärkt”, so Hoßbach weiter.

Nachhaltigkeitsanleihe in NRW 2,5 Mrd. Euro für soziale und ökologische Zwecke

(BS/lkm) In der vergangenen Woche hat das Land Nordrhein-Westfalen (BS/lkm) Die Strafzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) treffen nicht nur Unternehmen und zunehmend auch Privatkunden, sondern auch die zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Landesschatzanweisung als NachSozialversicherungsträger. Haben Sie früher noch für ihre mitunter milliardenschweren Rücklagen Geld bekommen, müssen sie mittlerweile für haltigkeitsanleihe ausgegeben. Die Anleihe diene der Umschuldung des bestehenden Portfolios, nicht der Aufnahme neuer Schulden. ihre Einlagen zahlen. Die Zinspolitik der EZB ist für die Zukunft manch eines Versicherers nicht das größte Problem. Die gesetzliche Krankenversicherung zahlte 2018 rund 9,2 Mio. Euro Zinsen für ihr Fondsvermögen an die EZB. Beim Ausgleichfonds der Pflegeversicherung fielen sechs Mio. Euro Zinsen an. Am stärksten betroffen ist jedoch die Deutsche Rentenversicherung. Sie muss per Gesetz eine Nachhaltigkeitsrücklage bilden, um Schwankungen bei den Beitragszahlungen auszugleichen und pünktliche Rentenzahlungen sicherzustellen. Im Jahr 2018 musste die Deutsche Rentenversicherung auf ihre Rücklage Negativzinsen in Höhe von 54,55 Mio. Euro entrichten. 2017 lag dieser Betrag bei noch 4,8 Mio. Euro. Im Jahr davor konnte die Rentenversicherung noch 43 Mio. Euro Zinsgewinne mit ihren Rücklagen erzielen. Doch das ist Vergangenheit, denn die strengen Anlagevorschriften für die Sozialkassen erlauben nur konservative Anlagestrategien. Die Reserve der Rentenversicherung wird überwiegend in Form von Termingeldern entsprechend den gesetzlichen Vorgaben mit einer Laufzeit von maximal zwölf Monaten angelegt. Dem Versicherer zufolge bieten die Geldhäuser bei diesen kurzen Anlagezeiträumen überwiegend nur negative Verzinsungen an.

Anlagemöglichkeiten erweitern Beim Bund erwägt man nun, die strengen Auflagen zu lockern. Man prüfe, ob eine Erweiterung

Die Deutsche Rentenversicherung musste 2018 rund 54 Millionen Euro Negativzinsen für ihre Einlagen zahlen. 2019 wird mit einem ähnlichen Zinsergebnis gerechnet. Foto: BS/Deutsche Rentenversicherung, Armin Okula

der Anlagemöglichkeiten die Situation erleichtern kann. Das Bundesversicherungsamt (BVA), das die Rechtsaufsicht über die Sozialversicherungsträger ausübt und damit die Zulässigkeit der Geldanlagen der Sozialversicherungsträger prüft, schlägt vor, dass auch gesicherte Anleihen im OECD-Anlageraum erworben werden können. Dies “könnte die Situation der Sozialversicherungsträger zumindest erleichtern”, erklärte ein Sprecher des BVA gegenüber dem Behörden Spiegel. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS), das für die öffentlichen Sozialversicherungen zuständig ist, sieht man in der Lockerung der Auflagen keinen wirklichen Ausweg: “Bei Überlegungen, ob eine Erweiterung der zulässigen An-

lagemöglichkeiten die Situation der Sozialversicherungsträger zumindest erleichtern könnte, ist zu beachten, dass die Kreditinstitute für kurzfristige liquide Anlagen und Sichtguthaben – zum Beispiel für die Rentenzahlung – derzeit im Wesentlichen nur negative Zinsen bieten. Dieser Entwicklung kann sich niemand entziehen, der liquide anlegen muss”, so ein Sprecher der Behörde gegenüber unserer Zeitung.

Andere Probleme gravierender Als Alexander Gunkel, Vorsitzender des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung, Anfang Dezember vor die Bundesvertreterversammlung trat, musste er wenig erfreuliche Nachrichten präsentieren.

So wird die Rentenversicherung das Haushaltsjahr 2019 voraussichtlich mit einem Überschuss in Höhe von rund 2,1 Milliarden Euro abschließen. Das klingt beeindruckend, doch im Vergleich zum Vorjahr reduziert sich der Überschuss damit um mehr als die Hälfte. 2018 verkündete die Rentenversicherung noch ein Plus vom 4,4 Mrd. Euro. Grund für die Entwicklung seien vor allem demografische Gründe, denn die geburtenstarken Jahrgänge näherten sich aktuell dem Rentenalter. Tatsächlich ist der demografische Wandel das Kernproblem der Deutschen Rentenversicherung, nicht die Zinspolitik der EZB. Die Rentenversicherung kommt durch die Verluste bei den Zinserträgen nicht in eine Schieflage, denn der vergleichsweise kleine Verlust vom 54 Millionen Euro ist angesichts der Rücklagen von knapp 41 Mrd. Euro verkraftbar. Eine Beitragserhöhung wird, Experten zufolge, deswegen nicht stattfinden. Die Rücklage der Rentenversicherung, die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage, wird laut Gunkel bis Jahresende auf rund 40,7 Milliarden Euro ansteigen. Das entspricht 1,8 Monatsausgaben. Vom Gesetzgeber ist eine Höhe von 1,5 Monatsausgaben vorgesehen. Die Reserven sind damit nach wie vor höher als vorgesehen – aber trotzdem, es fehlen 54 Mio. Euro, die an die EZB fließen.

Mit der Anleihe werden Projekte, die soziale und ökologische Zwecke verfolgen, aus dem aktuellen Haushalt des Landes finanziert. Mit einem Gesamtvolumen von 2,5 Milliarden Euro übertrifft die aktuelle Anleihe bisherige Wertpapieremission im Nachhaltigkeitsbereich des Landes NRW. “Das Land Nordrhein-Westfalen hat bundesweit die Vorreiterrolle bei der Ausgabe von Anleihen zur Finanzierung sozialer und ökologischer Zwecke. Unser Produkt ist für unser Land genauso wirtschaftlich attraktiv wie für Investoren zunehmend wichtig. Ihre Mittel werden so nachhaltig verwendet”, kommentierte Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen in Nordrhein-Westfalen, die sechste Nachhaltigkeitsanleihe des Landes.

Besondere Schwerpunkte bei den Projekten der sechsten Nachhaltigkeitsanleihe liegen auf den Themen Bildung, Forschung, Kinderbetreuung, Integration, Inklusion, und Infrastruktur. So werden unter anderem der Ausbau von Hochschulen mit rund 500 Millionen Euro, Forschung und Entwicklung, zum Beispiel im Bereich zukunftsweisender Technologien, mit fast 150 Millionen Euro und der Ausbau von Radwegen und Breitbandinfrastruktur mit knapp 350 Millionen Euro gefördert. Erstmals gehören zudem ein Projekt zur Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt sowie ein Projekt zur Förderung von Gleichstellung an Hochschulen zum Portfolio. Auch werde die Förderung der Kinderbetreuung mit über 300 Millionen Euro ermöglicht.

MELDUNG

Konventioneller vs. PPP-Schulbau (BS/lkm) Der Bundesverband Public Private Partnership (BPPP) hat Mitte November eine Vergleichsstudie zum Bau und Erhalt von Schulen vorgestellt. Im Rahmen der Studie wurden 880 konventionell errichtete Schulen mit 50 Schulen, die als PPPProjekt realisiert wurden, verglichen. Im Ergebnis wiesen die PPP-Projekte 12 bis 31 Prozent günstigere Baukosten, über 30 Prozent kürze Bauzeiten und Vor-

teile bei der Instandhaltung auf. Im Unterschied zu den konventionellen Vergleichsprojekten lägen die Qualität und die Budgets der Gebäudeinstandhaltung bei PPPs auf einem deutlich höheren Niveau.Trotz doppelt so hoher Instandhaltungsbudgets seien die PPP-Lebenszykluskosten über 25 Jahre wegen der Effizienz im Bauprozess nicht höher und teilweise sogar niedriger als bei konventionellen Projekten.


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 8

Behörden Spiegel / Dezember 2019

“Blaulicht-Bonus”

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Das Leistungsbestimmungsrecht bei BOS-Beschaffungen ► EIGNUNG

Optionsverzicht... ...ist kein Hinweis auf Schlechtleistung Der in mehrere regionale Gebiete gegliederte Auftraggeber will eine wiederkehrende Dienstleistung neu vergeben. Darauf bewerben sich unter anderem die spätere Antragstellerin und die Beigeladene. Die Beigeladene bietet deutlich günstiger an und soll den Zuschlag erhalten. Neben einer vermeintlich unzureichenden Auskömmlichkeitsprüfung wendet die Antragstellerin gegen die Zuschlagsabsicht ein, die Eignung der Beigeladenen sei fraglich. Warum wohl sonst habe die benachbarte Vergabestelle des Auftraggebers mehrfach von der Inanspruchnahme von Verlängerungsoptionen bei der Beigeladenen abgesehen? Mit diesem Einwand dringt sie bei der Vergabekammer nicht durch. Allein der Hinweis auf den Verzicht auf die Optionsausübung sei zu wenig sub­stanziiert, um darauf einen Angriff auf die Eignungsprüfung zu bauen. Der Auftraggeber erläuterte, dass der Optionsverzicht auch ganz andere Gründe haben könne: Änderungen im Bedarf, neue gesetzliche Anforderungen, die eine Änderung der nachgefragten Leistung bedingten, oder auch fehlende Haushaltsmittel für die Fortsetzung des beabsichtigten Programms. So sei die Entscheidung des Auftraggebers, der Beigeladenen die Eignung zuzusprechen, nicht zu beanstanden. Für einen erfolgreichen Angriff hätte die Antragstellerin konkrete Hinweise auf frühere Qualitätsmängel geben müssen, was sie nicht vermochte. VK Bund (Beschl. v. 03.07.2019, Az.: VK 1-37/19)

► PLANUNGSLÜCKE

Des Kornes Größe Wahlposition war unzulässig Nach dem Abbruch eines umfangreichen Militärgeländes soll darauf ein “Landschaftsbauwerk” entstehen. Zur Modellierung der Landschaft soll der Einfachheit halber das Abbruchmaterial verwendet werden. Allerdings wird je nach Planung der Erhebungen in der Landschaft eine unterschiedliche Korngröße benötigt, bis zu der das Abbruchmaterial zu verkleinern ist. Der Abbruchauftrag wurde ausgeschrieben, bevor die Landschaftsplanung fertig war. Deswegen glaubte der Auftraggeber, er könne die Korngrößen als Wahlpositionen in das Leistungsverzeichnis einsetzen. Doch das OLG Düsseldorf macht dem einen Strich durch die Rechnung. Eine Wahlposition ist nur zulässig, wenn der Auftraggeber keine Möglichkeit hatte, vor der Erstellung des Leistungsverzeichnisses die fragliche Position exakt zu bestimmen. Der weitere Verlauf der Planung habe aber gezeigt, dass diese Möglichkeit bestand. Denn statt einer vollständigen Landschaftsplanung hatte der Auftraggeber nur eine einzige Abstimmungsrunde mit anderen städtischen Behörden benötigt, um diese Festlegung zu treffen. Für den Vergabesenat war es nicht ersichtlich, warum diese

Abstimmung nicht schon vor der Ausschreibung möglich gewesen sein sollte. Deswegen war das Verfahren zurückzuversetzen und die Wahlposition durch eine Festlegung im Leistungsverzeichnis zu ersetzen. OLG Düsseldorf (Beschl. v. 15.05.2019, Az.: Verg 61/18)

► LOSE

Bieterseitige Limitierung Angebote nicht wertbar Bei der Vergabe mehrerer gleichartiger Lose kann der Auftraggeber eine Loslimitierung vorsehen, also die Anzahl der Lose, die ein einzelner Bieter erlangen kann, beschränken. Was dem Auftraggeber recht ist, sollte dem Auftragnehmer billig sein, dachte sich wohl ein Bieter, der auf vier Flächenlose für Baumkontrollen an Autobahnen bot und zugleich mitteilte, er werde nur zwei davon ausführen, weil es ihm an Kapazitäten mangele. Dieses Ansinnen weist die Vergabekammer zurück. Wer auf mehrere Lose eines Auftrages bietet, muss auch die Leistungsfähigkeit für alle angebotenen Lose besitzen, ansonsten verhalte sich der Bieter wettbewerbswidrig und sei auszuschließen. Denn wenn dieser Bieter in allen Losen wirtschaftlich auf den ersten Platz komme, entstünde für den Auftraggeber die Verpflichtung, ihn mit mehr Auftragsumfang zu bezuschlagen, als er leisten kann. Wollte er, um dies zu vermeiden, ihn nur in einzelnen Losen ausschließen, sei dies nicht willkürfrei möglich. So verschaffe sich der Bieter einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil, weil er seine Auftragschancen dadurch zu erhöhen versucht, dass er mehr Angebote abgibt, als er annehmen kann. Wegen dieses wettbewerbswidrigen Verhaltens sind nach Ansicht der Vergabekammer die Angebote dieses Bieters auf sämtliche Lose auszuschließen. VK Brandenburg (Beschl. v. 17.05.2019, Az.: VK 3/19)

► PREISABSTAND

Auffällig extreme Spreizung Indiz für Unklarheiten im LV Eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes beabsichtigt, die Grünpflege der ihr unterstehenden verwaisten Friedhöfe zu vergeben. Dafür bildet sie drei Gebietslose, die zusammen das gesamte Bundesland umfassen. Die Arbeiten beinhalten die regelmäßige Rasenmahd und Wildwuchsbeseitigung sowie jährlich zwei Grundpflegen und eine Baumkontrolle. Als Kalkulationsgrundlage hatte der Auftraggeber lediglich die Fläche der jeweiligen Friedhöfe angegeben. Ein Interessent forderte ausweislich der Vergabeakte nähere Angaben zur Rasenfläche und Anzahl der Bäume, weil sonst eine Kalkulation nicht möglich sei. Die Zahlen hat der Auftraggeber nicht mitgeteilt. Der Interessent gab kein Angebot ab. Insgesamt gingen zehn Angebote ein. Die preisgünstigsten Angebote kamen von den Bestandsauftragnehmern. Der Preis des Zweitplatzierten war etwa doppelt so hoch, das teuerste Angebot verlangte den 15-fachen Preis. Der

Zweitplatzierte bemängelte die unterlassene preisliche Angemessenheitsprüfung des Bestbieters wegen des großen Preisabstandes. Die Vergabekammer aber geht noch einen Schritt weiter: Eine derartig große Preisspreizung deutet darauf hin, dass das LV den Bietern keine hinreichende Kalkulationsgrundlage gab. Dafür spricht auch, dass ausgerechnet die mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Bestandsauftragnehmer die günstigsten Angebote abgeben konnten. Das Vergabeverfahren muss wiederholt werden. VK Sachsen-Anhalt (Beschl. v. 03.06.2019, Az.: 3 VK LSA 1315/19)

► NACHFORDERUNG

Das NachunternehmerPhantom Unverlangte Nachreichung Der Auftraggeber machte in seinen Vergabeunterlagen eine kuriose Festlegung. Er kündigte an, er werde auch die Erklärung eines Bieters darüber, welche Auftragsteile er von Nachunternehmern erbringen lassen wolle, nachfordern. (Wie man etwas nachfordern kann, von dessen Existenz man gar keine Kenntnis hat, bleibt das ungelöste Rätsel dieses Falles. Schließlich muss der Bieter ja für den Fall der vollständigen Eigenleistung gar keine Erklärung abgeben.) Ein Bieter legte ein Angebot vor, in dem er an keiner Stelle darauf hinwies, dass er überhaupt Nachunternehmer einsetzen wolle. Erst in einem Aufklärungsgespräch über das genaue technische Verfahren eines Nebenangebotes legte der Bieter auf Nachfrage diese Absicht offen. Der Auftraggeber hat diese mündliche Nachreichung akzeptiert, das Angebot zugelassen und beabsichtigte, darauf den Zuschlag zu erteilen. Der einzige Konkurrent wollte sich damit nicht abfinden. Doch sein Einwand, die Nachunternehmerleistungen hätten sofort offengelegt werden müssen, nur die Nachunternehmen hätten nachgereicht werden dürfen, blieb erfolglos. Die Vergabekammer gesteht dem Auftraggeber zu, dass er seine eigenwillige Nachforderungsankündigung so auslegen darf, dass er mehr oder weniger ins Blaue hinein fragen kann, ob der Bieter nicht etwa Nachunternehmer einsetzen wolle – zumindest in diesem speziellen Fall, in dem der Auftraggeber aus vorangegangenen Projekten um den Nachunternehmereinsatz wusste. Ob diese Auffassung der Vergabekammer sich durchzusetzen vermag, ist fraglich. Maßgeblich hat hier die Besonderheit eine Rolle gespielt, dass der designierte Zuschlagsbieter für diese Bauleistung nicht weniger als 26 Nebenangebote offeriert hat, hinsichtlich derer der Nachunternehmereinsatz sehr unterschiedlich sein konnte. VK Rheinland (Beschl. v. 28.08.2019, Az.: VK 25/19)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. ­(Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄

(BS/Günther Pinkenburg) Die rechtskonforme Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts ist von hoher Relevanz für die Beschaffungspraxis insbesondere auch der Behörden und Organisation mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Dies zudem nicht nur aus rein vergaberechtlicher, sondern damit verbunden auch zuwendungsrechtlicher Sicht. Aufgrund des teilweise überschaubaren Marktes, etwa bei Fahrzeugaufbauherstellern, geht mit bestimmten Leistungsanforderung schnell eine deutliche Einengung des Bieterkreises einher. Nach § 121 Abs.1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist der Auftragsgegenstand in der Leistungsbeschreibung so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, sodass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können. Die Leistungsbeschreibung enthält die Funktions- oder Leistungsanforderungen oder eine Beschreibung der zu lösenden Aufgabe, deren Kenntnis für die Erstellung des Angebots erforderlich ist, sowie die Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung.

Einschränkungen nur, wenn gerechtfertigt Ergänzt werden diese Vorgaben durch § 31 Vergabeverordnung (VgV), nach dessen Absatz eins die Leistungsbeschreibung in einer Weise zu fassen ist, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt und die Öffnung des nationalen Beschaffungsmarkts für den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindert. In der Leistungsbeschreibung darf auch nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt (§ 31 Abs. 6 S. 1 VgV). Zudem schlägt § 14 Abs. 6 VgV, der die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb wegen nicht vorhandenem Wettbewerb aus technischen Gründen nur dann zulässt, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist, auf das Leistungsbestimmungsrecht durch. Die Definitionsmacht des Auftraggebers hinsichtlich des Beschaffungsgegenstandes wird begrenzt durch die Verpflichtung, den vergaberechtlichen Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen. Eine willkürliche Diskriminierung von Bietern im Wege der Leistungsbeschreibung ist daher unzulässig. Nach der dazu ergangenen und mittlerweile als gefestigt zu betrachtenden Rechtsprechung sind die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit

die Unterschiede zwischen den Produkten verschiedener Anbieter relevant werden, sehr selten sein werden. Weitere zulässige Leistungsbestimmungen können Foto: BS/privat sich etwa ergeben aufgrund von Schnittstellenthematiken (etwa bezüglich der sogenannten “Fire­CAN-Schnittstelle” bei Fahrzeugen oder Schnittstellen- bzw. Kompatibilitätsfragen bei IKTBeschaffungen, zum Beispiel für Leitstellen), aber auch bei zu erwartenden unverhältnismäßigen Schwierigkeiten bei Integration, Gebrauch, Betrieb oder Wartung. Denkbar sind hier unterschiedliche Einsatzmittel für den gleichen Zweck, auch in Verbindung mit bereits erfolgten erheblichen Schulungsaufwänden (bspw. betreffend Funkgeräte, Atemschutzgeräte, Hohlstrahlrohre, Atemschutzgeräte).

Günther Pinkenburg, LL.M, München, ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für IT-Recht und Fachanwalt für Vergaberecht sowie Geschäftsführender Gesellschafter der MAYBURG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München.

des öffentlichen Auftraggebers eingehalten, sofern • die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, • vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, • solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind • und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.

Nur bei unverhältnismäßig hohem Aufwand Im nationalen Vergaberecht ist hier auch § 23 Abs. 5 S. 2 und 3 Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) hilfreich, der besagt, dass Bezeichnungen für bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren verwendet werden dürfen, wenn ein sachlicher Grund die Produktvorgabe ansonsten rechtfertigt. Ein solcher Grund liegt demnach insbesondere dann vor, wenn die Auftraggeber Erzeugnisse oder Verfahren mit unterschiedlichen Merkmalen zu bereits bei ihnen vorhandenen Erzeugnissen oder Verfahren beschaffen müssten und dies mit unverhältnismäßig hohem finanziellen Aufwand oder unverhältnismäßigen Schwierigkeiten bei Integration, Gebrauch, Betrieb oder Wartung verbunden wäre. Bewegt sich die Bestimmung des Leistungsgegenstands also in diesen Grenzen, gilt der Grundsatz der Wettbewerbsoffenheit der Beschaffung nicht mehr uneingeschränkt.

Wegen der Menschenrettung Hinsichtlich der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts bei BOS-Beschaffungen besteht ein Rechtfertigungsgrund, den man durchaus als “Blaulicht-Bonus” bezeichnen könnte. Hier reicht bereits die abstrakte Möglichkeit einer besseren Rettung von Menschen für eine zulässige Leistungsbestimmung aus. Eine solche Leistungsbestimmung, wenn sie dem Schutz äußerst gewichtiger Rechtsgüter bei der Rettung von Menschen aus Gefahrsituationen dient, ist auch nicht schon deswegen rechtswidrig, weil Einsätze, bei denen

Handlungsspielräume eröffnet Auch wenn die vergaberechtlichen Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und die daraus abgeleitete grundsätzliche Produktneutralität (auch) den BOS-Beschaffungen ein gewisses Korsett verpassen, so muss der Auftraggeber doch nicht alles an Leistung akzeptieren. Vielmehr eröffnen sowohl Gesetz als auch Rechtsprechung Handlungsspielräume, die eine bedarfsorientierte Beschaffung ermöglichen. Die hierfür ins Feld geführten Gründe müssen aber natürlich die obenstehenden Anforderungen erfüllen und – sehr wichtig – auch dokumentiert sein (vgl. § 23 Abs. 5 S. 4 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 UVgO, § 8 Abs. 1 VgV).

Mehr zu den Themen Die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen im Bereich der Behörden und Organisation mit Sicherheitsaufgaben (BOS) – vor allem der Feuerwehren – stehen im Fokus der BOSBeschaffertage des Behörden Spiegel am 22./23. April 2020 in München. Weitere Informationen unter www.bos-beschaffertage.de Die Beschaffung von Einsatzfahrzeugen ist Thema eines gleichnamigen Seminars am 12. Mai 2020 in Fulda. Programm und Anmeldung unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Einsatzfahr”

MELDUNG

Fünf Nominierte (BS/jf) Auch im nächsten Jahr wird der Award “Innovation schafft Vorsprung” wieder vergeben. Für den Preis des Bundesverbandes für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) sind fünf öffentliche Auftraggeber nominiert. In die Endrunde um die begehrte Trophäe sind folgende öffentliche Auftraggeber gekommen: • Der Städte- und Gemeindebund Rheinland-Pfalz mit dem “Kommunalen Kaufhaus (KoKa)” als landesweite Einkaufsgemeinschaft, • die Stadt Karlsruhe mit dem

Projekt “Ressourcenschonender Beton als kommunaler Baustandard”, • die Stadt Ludwigsburg mit dem Konzept “Innovative, nachhaltige Beschaffung – gesund kreislauffähig, klimafreundlich (C2C)”, • die Landesbehörde Hessen Mobil Straßen- und Verkehrsmanagement mit der “Zentralen Beschaffung von innovativen und nachhaltigen Warnschutzanzügen unter Berücksichtigung der Prozessoptimierung” sowie • aus der Schweiz die Spital STS

AG mit einem “Partizipationsmodell als Finanzierungsmodell, welches die Aufwände mit den Erträgen parallelisiert”. Der Preis steht wie in den vergangenen Jahren unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und wird am 13. Februar 2020 in Berlin beim “Tag der öffentlichen Auftraggeber” in den Kategorien “Beschaffung von Innovationen” sowie “Innovative Beschaffungsprozesse” verliehen. Der Award ist mit Gutscheinen für Beratungsleistungen des BME bis zu 20.000 Euro dotiert.


Behörden Spiegel / Dezember 2019

Beschaffung / Vergaberecht

Seite 9

Appell für eine zukunftsfähige HOAI

Ursache für Investitionsstau

Leistungsfähigen, qualitativ hochwertig arbeitenden Planungsmarkt erhalten

Studie liefert Vergleichszahlen zu Baukosten und Qualitätsniveau von Schulen

(BS/Martin Falenski) In seinem Urteil vom 4. Juli 2019 kommt der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu dem Schluss, dass Deutschland mit der Beibehaltung der verbindlichen Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren gegen die Verpflichtungen aus der EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat. Mit diesem Urteilsspruch beendete der EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission bereits 2015 gegen Deutschland eingeleitet hatte.

(BS/jf) In Öffentlich Privaten Partnerschaften (ÖPP) umgesetzte Schulprojekte weisen um bis zu ein Drittel geringere Baukosten, über 30 Prozent kürzere Bauzeiten und ein deutlich höheres Qualitätsniveau auf. Zu diesem Ergebnis kommt der Bundesverband Public Private Partnership (BPPP) e.V. in seiner kürzlich erschienen Vergleichsstudie.

EU-Kommission abgestimmtes Modell handelt – sie mithin europarechtskonform ist, wie auch ein Martin Falenski ist Hauptgeschäftsführer der unabhängiges Bundesingenieurkammer. Gutachten der Kanzlei Redeker, Foto: BS/BIngK Sellner, Dahs unterstreicht. Zudem hat der Verlierer geben kann, zu verhin- Angemessenheitsvorbehalt bei dern. Auch die Auftraggeberseite den Steuerberatern nach Ausmuss angesichts der gewaltigen kunft der Berufsverbände und Herausforderungen im Hinblick der Kammern keinerlei negative auf Wohnungsbau, Hochbau, Auswirkungen auf die AnwenAusbau und Erhalt von Infra- dungspraxis, so dass sich aus strukturen etc. ein Interesse an der Überprüfung, ob ein Angebot einem leistungsfähigen und qua- auskömmlich und damit angelitativ hochwertig arbeitenden messen ist, keinerlei zusätzliche Schadenshäufigkeit steigt Planungsmarkt in Deutschland bürokratische Anforderungen bei Unterschreitung haben. Dieser ist dauerhaft aber ergeben. Im Rahmen von öffentliAnhand von Schadensfällen nur mit auskömmlichen Hono- chen Ausschreibungen muss diese Überprüfung – einschließlich konnte festgestellt werden, raren zu gewährleisten. der Dokumentation – nach den dass in Fällen nachweislicher vergaberechtlichen Vorsätzen Unterschreitung der (bisheri- Auskömmlichkeitsprüfung ohne Bürokratieaufwand gen) Mindestsätze der HOAI, die ohnehin erfolgen. Schadenshäufigkeit signifikant Auch der Städte- und Gemeinzugenommen hat. Folgerichtig debund hat daher unmittelbar HOAI-Entwurf im nächsten Frühjahr hat der EuGH daher der EU- nach der Urteilsverkündung im Kommission widersprochen, die Juli 2019 in seinen “Folgerungen Die Planerorganisationen hadie Existenz eines solchen Zu- aus der EU-Rechtswidrigkeit der ben in den Abstimmungsrunden sammenhangs im Verfahren wie- Mindestsätze für Kommunen” weiterhin dafür geworben, die derholt pauschal und ohne Be- darauf hingewiesen, dass es Fehler bzw. Unstimmigkeiten, die gründung zurückgewiesen hatte. ratsam sei – um sich als Kom- in der HOAI enthalten sind, zum Dennoch erging bekanntlich kein mune vor Dumping-Angeboten jetzigen Zeitpunkt, wo man das für Deutschland positives Ur- zu schützen – immer die Aus- Regelwerk sowieso ändern muss, teil, da der EuGH im deutschen kömmlichkeit des Angebotsprei- auch aus dem Gesichtspunkt der Regelungswerk insgesamt eine ses im Zuge der Angebotsprüfung Effizienz zu berichtigen. Zum näher zu betrachten und auch Beispiel ist die systematische Inkohärenz festgestellt hat. Angleichung der HOAI durch Ausgehend vom Zusammen- zu prüfen. Eingliederung der Anlage 1 sowie der Örtlichen Bauüberwachung für Ingenieurbauwerke und Verkehrsanlagen erforderlich, da diese Leistungsbilder eindeutig Planungsleistungen darstellen. Die Eingliederung wäre daher nur “redaktioneller” Natur und diente der Rechtsklarheit und damit auch der Rechtssicherheit. Sie würde auch nicht dem ambitionierten Vorhaben der Anpassung der HOAI binnen Jahresfrist entgegenstehen. Der Zeitplan der umsetzenden Ministerien sieht vor, einen ersten Entwurf im Frühjahr des Qualitative Planung hat ihren Preis, auch nach dem Wegfall der Mindestsätze nächsten Jahres vorzulegen. An der HOAI. Entsprechend müssen Alternativen für den Erhalt der Qualität gesucht dieser Stelle appellieren wir für werden. Foto: Annca, pixabay.com ein zukunftsfähiges Regelwerk, das allen berechtigten Interessen hang von auskömmlichem HonoEin weiterer Vorteil der “Steu- gerecht wird und Lösungen für rar und Planungsqualität haben erberaterlösung” ist, dass es die anstehenden Herausfordedie Vertreterorganisationen der sich bei dieser um ein mit der rungen bietet. Planerinnen und Planer AHO, Bundesarchitektenkammer und Bundesingenieurkammer in den Abstimmungsrunden mit der Bundesregierung und den öffentlichen Auftraggebern über die notwendige Anpassung der HOAI ein Modell analog der Steuerberatervergütungsverordnung als einen möglichen Lösungsansatz vorgeschlagen. Auch wenn der Gerichtshof Deutschland mit dem Urteilsspruch aufgegeben hat, die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze in der HOAI abzuschaffen, hat er gleichwohl klargestellt, “dass die Existenz von Mindestsätzen für die Planungsleistungen <….> grundsätzlich dazu beitragen kann, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu gewährleisten”. Hierbei stützt sich der EuGH auf Gutachten, die die Bundesrepublik im laufenden Verfahren beigebracht hat und die belastbare Erkenntnisse im Hinblick auf das Bestehen eines Kausalzusammenhangs von Planungsqualität und auskömmlichen Honoraren liefern.

Beratung für Bewerter und Bieter

Regel- statt Mindestsatz Die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze würden demnach durch einen gesetzlichen Regelrahmen ersetzt, von dem aber durch gesonderte Vereinbarung abgewichen kann. Ausgangspunkt des Regelrahmens wären dabei nicht Mindest- und Höchstsatz, sondern der Regelsatz in Höhe des Mittelsatzes als vereinfachte Berechnungsgrundlage. Etwaige abweichende Vereinbarungen unterlägen jedoch einem Angemessenheitsvorbehalt mit Blick auf die jeweilige Leistung, die Verantwortung und das Haftungsrisiko. Ziel dieses Kompromissvorschlags ist es, den Interessen aller Beteiligten weitestgehend entgegenzukommen und einen qualitätsschädigenden Preiswettbewerb, an dessen Ende es nur

Ausschreibungen · Submissionen

In der Studie wurden 880 konventionell errichtete Schulen mit 50 als ÖPP realisierten Projekten analysiert und gegenübergestellt. Es stellte sich bei der Masse der konventionell errichteten Schulen heraus, dass der Richtwert für die Dotierung von Instandhaltungsmaßnahmen oftmals nicht eingehalten werde. Statt der vorgesehenen 1,2 Prozent der Wiederherstellungskosten würde bei der Mehrheit der Gebäude weniger als die Hälfte des Wertes für Reparaturen verausgabt. Damit könne nur ein unterdurchschnittliches Instandhaltungsniveau erreicht werden, folgert Dr. Christian Scherer-Leydecker, Erster Vorsitzender des BPPP. In Folge würden Bauschäden deutlich häufiger auftreten und die Nutzungsdauer der Gebäude sich merklich verkürzen. “Hier liegt eine wesentliche Ursache für den Investitionsstau bei Schulen”, so Scherer-Leydecker, der laut KfW-Kommunal-Panel 2019 bei 42,8 Mrd. Euro liege.

Vorteile für ÖPP-Projekte Anders bei den realisierten ÖPP-Projekten. Diese würden den prozentualen Wert regelmäßig erreichen. Überhaupt bescheinigt die Studie den untersuchten Projekten durchweg gute Noten. Neben den Kostenund Qualitätsvorteilen hätten ÖPP-Projekte weitere Vorteile: Die für das Gebäudemanagement eingesetzten Ressourcen für die Nutzer würden viel effizienter funktionieren. Außerdem sei das Instandhaltungsmanagement sehr effizient organisiert. Service Levels würden einzuhaltende

Qualitätsstandards für wesentliche Bauteile im Vertragsverlauf definieren. Nutzer hätten zudem Anspruch auf die Einhaltung von Reaktions- und Behebungszeiten. Werden diese nicht eingehalten, wären automatische Entgeltkürzungen für den Nutzer die

Folge. Zu guter Letzt würden bei den untersuchten ÖPP-Projekten Rücklagekonten einen schnellen Mittelabfluss ermöglichen. Die Studie wurde anlässlich der Jahrestagung des Verbandes an das Bundesfinanzministerium übergeben.

qanuun-aktuell Gute Wünsche von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Verehrte Leserinnen und Leser, ich danke Ihnen für Ihr ­b isheriges Interesse an dieser Kolumne und wünsche Ihnen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest sowie alles Gute für 2020! Möge es ein thematisch anregendes, aber gleichwohl rechtlich und politisch entspanntes Jahr werden.

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org Foto: BS/Lejeune


Personelles

Seite 10

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Bundesministerium der Verteidigung

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: BMVg Stand: November 2019

Teil 2*

* Der erste Teil erschien in der November-Ausgabe.

Presse- und Informationsstab (Pr-/InfoStab), Sprecher des BMVg Leitungsstab (LStab) Oberst i.G. Dr. Freuding m.d.W.d.D.b. Büro Ministerin MinR’in Mirza

Adjutantur Ministerin

Strategische Schwerpunkte

Reden und Texte

Kpt zS Plath

N.N.

Dr. Keller

Thiels m.d.W.d.D.b.

Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer

ParlamentProtokoll und Kabinettreferat Oberst i.G. Dr. MinR’in Mutz Bauersachs

Pr-/InfoStab 1 Presse* Kpt zS Fähnrich

Foto: BS/CDU, Laurence Chaperon

Büro ParlSts Dr. Tauber Kpt zS Ristau

Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Tauber

Büro Sts Zimmer Oberst i.G. Keller

Pr-/InfoStab 2 Grundsatz, Öffentlichkeitsarbeit, Zentrale Angelegenheiten Oberst i.G. Dr. Döring

*zgl. Stv Sprecher/-in des BMVg und Stv Ltr Pr-/InfoStab

Generalinspekteur der Bundeswehr Gen Zorn

Beauftragte(r) für die strategische Steuerung nationaler und internationaler Rüstungsaktivitäten der Bundeswehr MinDirig Frank

Staatssekretär Zimmer

Büro Strategische Steuerung Rüstung N.N.

Unterstützung der Ministerin insbesondere im Bereich der Abteilungen: Pol, CIT, FüSK, SE und P

Gruppe Projektcontrolling und Risikomanagement Oberst i.G. Töpfer

Pr-/InfoStab 3 Arbeitgebermarke Bundeswehr; Social Media MinR von Holleben

Gruppe Fachaufsicht ausgewählter Rüstungsprojekte Oberst i.G. Heursch

Aufstellungsstab Cyberagentur MinR’in Dr. Boeck

Militärischer ­Führungsrat (MFR)

Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr* VAdm Rühle

*Beauftragte(r) für Reservistenangelegenheiten der Bundeswehr

Abteilung Strategie und Einsatz (SE) GenLt Schütt

SE Z Zentrale Aufgaben und Controlling Oberst i.G. Dr. Tegtmeier

Abteilung Haushalt und Controlling (HC)

Abteilung Recht (R)

MinDir Bald

MinDir Conradi

Stellvertreter des ­Abteilungsleiters KAdm Schönbach

SE I Militärisches Nachrichtenwesen

SE II Militärpolitik und Einsatz

Oberst i.G. Werres -25010

BrigGen Bodemann -25100

SE III Unterstützung MinDirig‘in Spies-Otto -25200

SE I 11) Grundsatz und Steuerung ­ ilitärisches Nachrichtenwesen M

SE II 1 Militärpolitik und Einsatz Region Asien, Ozeanien und Amerika

SE III 1 Konzeptionelle und querschnittliche Aufgaben

Oberst i.G. Kuhn -25020

Oberst i.G. Steinhaus -25110

Kpt zS Brosoẃsky -25210

SE I 2 Fähigkeiten und Kräfte; Geoinformationsunterstützung Einsatz und Übungen

SE II 2 Militärpolitik und Einsatz Region Europa, Eurasien und Arktis Oberst i.G. Arlt -25130

Oberst i.G. Enzinger -15040

SE II 3 Militärpolitik und Einsatz Region Maghreb und Naher Osten

SE I 32) Krisenfrüherkennung, Risiko- und Bedrohungsbeurteilung weltweit

Oberst i.G. Korb -25150

Oberst i.G. Prost -25040

SE II 4 Militärpolitik und Einsatz Subsahara-Afrika

SE I 4 Militärattaché-Angelegenheiten Inland/Ausland

Oberst i.G. Wenning -25170

Oberst i.G. Altersberger -25070 SE I 5 Spezialkräfte der Bundeswehr und Nationales Risiko- und Krisenmanagement

SE II 53) Militärpolitik ­Grundsatzangelegenheiten, ­Internationale ­Interessenvertretung GenInsp

Oberst i.G. Rapp -25090

Oberst i.G. Nawrat -25190

SE I 6 Identitätsschutz; Abwehr Kleindrohnen und behelfsmäßiger ­Sprengvorrichtungen; Fremdes Wehrmaterial

Alarmbereitschaft BMVg

3)

HC I Grundsatzangelegenheiten Haushalt; Haushaltsaufstellung und ­Haushaltsvollzug

SE III 3 Führungsunterstützung, ­Führungsorganisation, ­strategische Personal­ angelegenheiten, Betreuung und Fürsorge im Einsatz

HC II 1 Zentrale Aufgaben und ­Querschnittsangelegenheiten der Abteilung HC; Grundsatz KVP

R I 11) Staats- und Verfassungsrecht, Gesetzgebung, Ansprechstelle Informationsfreiheitsgesetz

MinR‘in Engelmann -13710

MinR‘in Wittenberg -23810

HC II 2 Bundesrechnungshof- und Rechnungsprüfungsausschussangelegenheiten

RI2 Verwaltungsrecht, Prozessführung Verwaltungsgerichte; Europarecht Steuerrecht, Zollrecht

R II 2 Disziplinarangelegenheiten und truppendienstliche Beschwerden

MinR Flachmeier -13720

MinR‘in von Bornstaedt-Radbruch -23820

Oberst Bullwinkel -13920

HC II 3 Zentrales strategisches Controlling; Statistik

RI3 Völkerrecht; Rechtsgrundlagen der Einsätze der Bundeswehr einschl. verfassungsrechtlicher Bezüge; Menschenrechte

SE III 4 Logistik, ­Verwaltungsunterstützung und Sanitätsdienst im Einsatz

HC I 3 Kap 1408 Unterbringung; Kap 1411 Zentral veranschlagte Verwaltungseinnahmen und -ausgaben; Kap 1412 Bundes­ ministerium; 1413 Bundeswehrverwaltung, UniBw, ­Militärseelsorge usw.; Haushalt Zivilpersonal

Kpt zS Mügge -25260

MinR Küpper -13630

SE III 5 Hilfeleistungen der Bundeswehr im In- und Ausland; ­Einsatzinfrastruktur; Military Engineering; Juristische Erstberatung ­Einsatzrecht; Zivil-militärische Zusammenarbeit mit ­Organisationen

HC I 4 Grundsatz Materialhaushalt; Kap 1407 Sonstiger Betrieb der Bw, Beteiligungen, Koopera­ tionen, Betreiberlösungen; Kap 1404 Forschung, Entwicklung und Erprobung; Vorbereitung Berichterstattergespräche und Sitzungen HHA; ParlKab-Angelegenheiten der Abteilung

Kpt zS Meyer -25280

Dir‘inBAAINBw Süsmund -13640

Oberst i.G. Schröder -25015

HC I 5 Kap 1405 Militärische ­Beschaffungen; Kap 1406 ­Materialerhaltung der Bw

Vorsitz Alarmbereitschaft BMVg Alarmbereitschaft BMVg

1)

2)

MinR Koßmann -13650

HC I 61) Kap 1401 Verpflichtungen im Rahmen der Mitgliedschaft zur NATO und anderen int. ­Institutionen sowie Maßnahmen im Zusammenhang mit int. Einsätzen

Legende – verteilt auf: Dienstsitz Bonn Dienstsitz Berlin geringer Anteil am Dienstsitz Berlin

MinR Bringmann -13660

geringer Anteil am Dienstsitz Bonn

Alarmbereitschaft BMVg

1)

MinDirig Dr. Saalfeld -13904

MinDirig Nachtwey -23802

HC I 1 Grundsatz Haushalts-, Kassenund Rechnungswesen einschl. automatisierter Verfahren; Gesamtaufstellung EPl 14; ­Haushaltsvollzug

MinR Heider -13620

Oberst i.G. Beeck -25250

R II Rechtspflege, Sicherheit

FltlAdm Müller-Meinhard -13705

HC I 2 Kap 1412, 1403 Haushalt mil. Personal, Sozialversicherungsbeiträge, Fürsorgemaßnahmen und Versorgung Soldatinnen und Soldaten; Kap 1410 Allg. ­Bewilligungen; Prüfung der ­Wirtschaftlichkeit der Organisation und des Personalbedarfs der mil. OrgBer

Oberst i.G. Meinl -25230

RI Rechtsberatung, Gesetzgebung, Prozessführung

MinDirig Kindler -13605

MinR Ludwig -13610

SE III 2 Ausrüstung im Einsatz; ­dringender Einsatzbedarf; Ertüchtigung

HC II Controlling und Rechnungswesen; Bundesrechnungshof­ angelegenheiten

RZ Zentrale Aufgaben und Controlling

Oberst i.G. Mielke -13730

R II 1 Rechtspflege der Bundeswehr; Disziplinarrecht, ­Wehrbeschwerdeordnung, ­Grundsatzfragen des Wehrrechts MinR Dr. Weber -13910

N.N. -23830

HC II 4 Grundsatz Controlling zur ­Unterstützung der strategischen Steuerung

RI4 Internationale Vereinbarungen

R II 42) Behördlicher Datenschutz, Beauftragte(r) für den ­Datenschutz in der Bundeswehr

Kpt zS Reßing -13740

MinR Dr. Hermsdörfer -13840

MinR‘in Kläs -13940

HC II 5 Zentrales integriertes Rechnungswesen (Haushaltswesen, ­Finanzbuchhaltung, Kosten- und Leistungsrechnung)

RI5 Privatrecht; Staatshaftungsrecht; Medienrecht; Strafrecht; ­Prozessführung Zivilgerichte

R II 5 Rechts- und Fachaufsicht BAMAD, Rechtsgrundlagen MilNw

MinR Dr. Raap -13850

MinR Dr. Hermsdörfer -13950 Als Beauftragte(r) für den Datenschutz in der Bundeswehr unmittelbar der Ministerin unterstellt

2)

MinR Derz -13750

RI6 Rechtsberatung des Generalinspekteurs der ­Bundeswehr, ­Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des ­Generalinspekteurs der ­Bundeswehr

HC II 6 Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Geschäftsbereich BMVg MinR Mutschke -13760

MinR Denecke -23860 Alarmbereitschaft BMVg

1)

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht nur die Möglichkeit, wenn Sie ein Zeitungsabonnement estellt haben.


Personelles

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Zentrale Aufgaben Oberst i.G. Deuer

Dienstsitz Bonn

Dienstsitz Berlin

Hausanschrift: Fontainengraben 150, 53123 Bonn Postanschrift: Postfach 1328, 53003 Bonn Telefon +49 (0)228-12-00 Telefax +49 (0)228-12-45 925

Hausanschrift: Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin Postanschrift: 11055 Berlin Telefon +49 (0)30-2004-00 Telefax +49 (0)228-12-45 925 E-Mail: poststelle@bmvg.bund.de www.bmvg.de

Parlamentarischer Staatssekretär Silberhorn

Stab Organisation und Revision (Stab Org/Rev)

Büro des Generalinspekteurs der Bundeswehr -22730

Adjutantur des GenInsp und StvGenInsp Kpt zS Grimm

Seite 11

MinDirig Krause

Staatssekretär Hoofe

Stellvertreter/-in des Leiters N.N.

Personalangelegenheiten Oberst i.G. Bongers

Managemententwicklung Oberst i.G. Terwey

Organisation1) MinR Schad

Revision MinR‘in Lind

Büro Sts Hoofe

Büro ParlSts Silberhorn MinR Dr. Busche

Unterstützung der Ministerin insbesondere im Bereich der Abteilungen: A, Plg, HC, R und IUD

Bürokratieabbau; Einführungs- und KoordinierungsRegelungsmanagement und ArbeitszeitMinR’in management Schwarz MinR‘in Paul

Alarmbereitschaft BMVg

1)

Arbeitsbereichsleiterin N.N.

Abteilung Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (IUD)

Abteilung Personal (P)

Beauftragte(r) für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf/Dienst in der Bw Bastek

GentLt von Heimendahl

IUD Z Zentrale Aufgaben und Controlling MinR Dr. Skepenat

MinDir‘in Wießalla Stellvertreter/-in des ­Abteilungsleiters3) N.N.

Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion im Geschäftsbereich des BMVg Frau Oberstarzt Neuhoff

R III Governance3)

PI Führung; Personalmarketing; Bildung und Qualifizierung

MinDirig Sohm -23902

MinDirig Moritz -23100

Stellvertreter der ­Abteilungsleiterin MinDirig Fahl

Beauftragte(r)4) für einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörungen und Einsatztraumatisierte GenArzt Dr. Mattiesen

P II Personalentwicklung

Beauftragte(r)4) Angelegenheiten für Hinterbliebene N.N.

P III Soziale Angelegenheiten

MinDirig Meyer-Höper -13200

MinDirig‘in Müller -13300

IUD I Infrastruktur MinDirig Prof. Dr. Börger -15310

IUD II Dienstleistungen, Gesetzliche Schutzaufgaben1)

IUD III Dienstleistungen BMVg, Unterstützungsleistungen IUD3) MinDirig Hasse -25320

MinDirig Graf von Strachwitz -25315

Personalmanagement BMVg MinR‘in Marmann -13367

R III 1 Compliance

PI1 Personalstrategie und ­Attraktivität, Personallage und -planung Bw

N.N. -23930

Oberst i.G. Reinhardt -23110

R III 24) Korruptionsprävention; Prüfung von Korruptionsverdachtsfällen; Annahme von Zuwendungen; Zentrale Fachstelle für ­Korruptionsprävention

P I 21) Organisation OrgBereich P; Dienstaufsicht; ­Truppendienstliche ­Angelegenheiten

Dr. Korte -13960

MinR Warntjes -23120

R III 35) Sicherheits- und Geheimschutzbeauftragte(r) BMVg

PI3 Zentrale Aufgaben der Abteilung Oberst i.G. Jünemann -23130

Birkenbach -13930 R III 4 Administrativer Datenschutz

PI4 Personalwerbung, Personalgewinnung; Wehrersatz

-23870

Frau Oberstarzt Dr. Bartoschek -13140

Zugleich Compliance Management Beauftragte(r) BMVg (CMB) Ansprechperson für Korruptionsprävention im BMVg; hinsichtlich der Prüfung von Korruptionsverdachtsfällen unmittelbares Vortragsrecht beim zuständigen Staatssekretär 5) Als Geheimschutzbeauftragte(r) des BMVg unmittelbares Vortragsrecht beim zuständigen Staatssekretär und diesem in fachlicher Hinsicht unmittelbar unterstellt. Bei der Erstellung von Gutachten in Landesverratsverfahren weisungsfrei. Als Sicherheitsbeauftragte(r) des BMVg unmittelbares Vortragsrecht beim zuständigen Staatssekretär 3)

P I 52) Hochschulen der Bundeswehr

4)

MinR Schäfer -23150

P III 1 Soziale Grundsatzfragen; ­Sozialdienst der Bundeswehr; Fürsorgeangelegenheiten; ­Wohnungsfürsorge; Beihilfe

Oberst i.G. Kaltenecker -13210

MinR Schnell -13310

P II 2 Personalentwicklung Militärisches Personal; Einzelpersonalführung der Offiziere auf B 3 und höher bewerteten Dienstposten einschl. Offiziere AMK/BAMAD

P III 2 Besoldungsrecht; Wehrsoldrecht

Oberst i.G. Willer -13220

MinR‘in Dr. Dix -13330 P III 45) Beteiligungsrechte, Rechte der Gewerkschaften und Berufsverbände

P II 4 Personalentwicklung ziviles Personal; Einzelpersonalführung ziviles Spitzenpersonal (Inland/Ausland); Personal in Internationalen Organisationen

MinR Mehl -13340 P III 5 Personalpsychologie; ­Truppenpsychologie; Klinische Psychologie; Psychologischer Dienst der Bundeswehr

MinR‘in Sabczynski -13240

MinR‘in Schmidt -13160

MinR‘in Bietz -13255

Alarmbereitschaft BMVg In universitätsspezifischen Angelegenheiten zum Vortrag beim zuständigen Staatssekretär berechtigt

P III 3 Versorgungsrecht der Soldaten und Beamten; Einsatzversorgung; soziales Entschädigungsrecht

MinR Lorse -13230

P II 5 Soldatenrecht, Wehrpflichtrecht

MinR‘in Reh -13170

MinR‘in Franke -13320

P II 3 Grundsätze des Personalmanagements ­Zivilpersonal; Personalhaushalt zivil

PI6 Ausbildung und Qualifizierung, Sprachen, Zertifizierung; ­Prüfungsangelegenheiten

PI7 Berufsförderung; Zivilberufliche Aus- und Weiterbildung; ­Bundeswehrfachschulen; ­Auslandsschulen der Bundeswehr

1)

P II 1 Grundsätze des ­Personalmanagements ­Militärisches Personal; Personalhaushalt militärisch

MinR Croon -13250 P II 6 Beamtenrecht; ­Gleichstellungsrecht (ziv/mil); Dienstliche Beurteilungen (ziv) MinR‘in Strehl -13260

MinR‘in Bruns -13350 Beauftragte(r) für die Nachwuchsgewinnung und Ausbildungszusammenarbeit mit der Wirtschaft 4) Zum unmittelbaren Vortrag beim zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär berechtigt 5) Inklusionsbeauftragte(r) des Arbeitgebers 3)

IUD I 1 Infrastrukturgesamtplanung, Infrastrukturhaushalt, NATO-­ Infrastruktur, Infrastruktur Ausland, Fähigkeitsmanagement/Koordination IPP in der ­Abteilung IUD AbtDir Hingott -15325 IUD I 2 Infrastruktur und OTI Einsatz, Unterbringung und Facility Management im Einsatz, infrastrukturelle ­Pionierunterstützung MinR Springsguth -25345 IUD I 3 Recht und Grundsatz des ­Liegenschaftswesens, BImA-Angelegenheiten, ­ aumordnung, Mitbenutzung R

MinR‘in von Bornstaedt-Küpper -13270

MinR‘in Krauskopf -25440

IUD III 2 Innerer Dienst Berlin

IUD II 3 Verpflegung und bewirtschaftete Betreuung

MinR Hentschel -25515

IUD I 6 Unterbringung und Facility Management Inland, ­Infrastrukturangelegenheiten und OTI Inland MinR‘in Bongers -15400

IUD III 3 IT-Betrieb, IT-Sicherheit BMVg MinR Riehl -15 800

MinR Plesmann -25455

MinR Brand -15465

Oberst Thoma -15385

IUD III 2 Innerer Dienst Bonn MinR‘in Schaumburg -15700

IUD I 4 Steuerung Landesbauverwaltung/ Bundesbau, Grundsatz Bauwesen, Bauaufgaben Gaststreitkräfte

IUD I 5 Flächenmanagement der ­Bundeswehr, Grundsatz Infrastrukturbedarf der ­OrgBereiche, Oberste ­Infrastrukturelle Instanz des Bedarfsträgers

Dir‘inBIZBw Bartelmann -25840

IUD II 2 Dienstleistungen Inland/Ausland/Einsatz; Travel Management

MinR‘in Perl-Grenda -15355

MinR Dr. Struzina -15370

IUD III 14) Unterstützungsleistungen IUD; militärische Sicherheit; Alarmwesen; Absicherung und Bewachung

N.N. -25420

IUD II 4 Recht und Grundsatz des Arbeitsschutzes Bw, Technischer Arbeitsschutz Bw, Technische Überwachung Bw

2)

P II 7 Arbeits-, Tarif- und ­Sozialversicherungsrecht; ­Kooperationsangelegenheiten; Entgelt

IUD II 1 Konzeption, Planung, ­Organisation, Dienstaufsicht, ­Betriebswirtschaftliche ­Steuerung, IT-Angelegenheiten OrgBereich IUD

IUD III 4 Personal-/Vertrauensärztlicher Dienst; Sozialer Dienst im BMVg; Betriebliches Gesundheits­ management im BMVg MinR Meyer -15960

IUD II 5 Umwelt- und Naturschutz, ­Ökologie, Boden- und ­Gewässerschutz, Abfallwirtschaft, Altlasten, Kontaminationsbearbeitung, Umweltmanagement, Nachhaltige Entwicklung, Öffentlich-rechtliche Aufsicht2)

IUD III 5 Dolmetscherdienst MinR‘in Richter -25980 Fachkraft für Arbeitssicherheit5)

MinR Dr. Nitsch -15480 IUD II 6 Brandschutz, Selbstschutz und Gefahrgutwesen Oberst i.G. Neumann -15490

Fedler -15735 Beauftragte(r) für Umwelt- und Arbeitsschutz der Bundeswehr; unmittelbares Vortragsrecht beim zuständigen Staatssekretär; Ressortkoordinator für nachhaltige Entwicklung 2) Soweit dem BMVg übertragen; bei der Wahrnehmung gesetzlicher Aufgaben weisungsfrei 3) Beauftragte(r) der Leitung für den betriebsärztlichen Dienst und Arbeitssicherheit im BMVg 4) Alarmbereitschaft BMVg 5) Bei Anwendung der Fachkunde weisungsfrei 1)


Diplomaten Spiegel

Seite 12

A

nfang der 70er-Jahre unterrichtet er unsere Sprache auf Malta, arbeitet bis 1985 in der Tourismusbranche und wird Ende der 1980er-Jahre erstmals maltesischer Botschafter in Bonn. Danach leitet der heute 68-Jährige 25 Jahre lang ein deutsches Produktionsunternehmen auf Malta und seit 2013 erneut die diplomatische Vertretung seines Landes – diesmal in unserer neuen Hauptstadt. “Ich denke”, meint er sehr bescheiden, “dass ich Deutschland und seine Sprache gut kenne. Aus diesem Grund wurde ich Diplomat und – als Botschafter – hier akkreditiert. Die einzige Ausnahme zu den deutschen Aspekten meines Lebens ist meine Frau; sie ist Französin. In Malta, wo meine deutsch-affinen Beziehungen bekannt sind, glauben viele, dass sie Deutsche ist.”

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Malta: Geschichte, Kultur und Moderne Ein Gespräch mit dem Botschafter von Malta, Dr. Albert Friggieri, in Berlin (BS/ps) Ende dieses Jahres verlässt ein wahrer Freund unseres Landes und Friedrich-von-Schiller-Kenner Berlin: Dr. Albert Friggieri, Botschafter von Malta. Der Philologe lernt schon während der Schulzeit privat Deutsch, studiert an der Universität Heidelberg, schließt mit dem Magister Artium in Germanistik und Psychologie ab und promoviert über Schillers dramatisches Fragment “Die Malteser”.

Kenntnis-Frage Hierzulande wissen nur wenige viel über die Insel und halten sie z. B. für größer, als sie ist. Tatsächlich ist Malta mit circa. 300 Quadratkilometern ein Drittel kleiner als Usedom oder doppelt so groß wie Liechtenstein. Peanuts? Das kommt darauf an – falsche Darstellungen können Meinungen zu sensiblen, wichtigen Fragen beeinflussen: Wie viele Flüchtlinge kann Malta neben seinen 500.000 Einwohnern noch aufnehmen und unterbringen, so klein ist es doch gar nicht? Dabei ist es eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt und mit Abstand das am dichtesten besiedelte der EU.

Präsentiert stolz eine heimatliche Steinskulptur in seinem Büro: Seine Exzellenz Dr. Albert Friggieri, Botschafter der Republik Malta.

Probleme engagieren wir uns nachdrücklich dafür, den Menschen zu helfen und erwarten dabei die Solidarität der Europäer”, unterstreicht der Botschafter. “Außerdem sollte unseres Erachtens das europäische Asylsystem, die Dublin-Verordnung, reformiert werden. Gleichzeitig müssen alle im Mittelmeer tätigen Schiffe mit den für die Seekoordinierung zuständigen Behörden

das Gleichstellungsressort inne. Angesichts unserer Erfahrungen und derjenigen der maltesischen Kommissarin Dr. Helena Dalli auf diesem Gebiet glaube ich, dass alle davon profitieren werden.” “Erwartet’s in Geduld! Man muss dem Augenblick auch was vertrau’n”, heißt es schon bei Schillers Wilhelm Tell. In den letzten fünf Jahren hat man genau das getan, sodass

Friggieri. Zumal es auf dem Eiland kaum Arbeitslosigkeit gibt.

Land mit Geschichte “Viele wissen nicht, dass unsere Wirtschaft hoch diversifiziert ist und zu den schnellst wachsenden Volkswirtschaften in Europa, mit hohem Lebensstandard und starkem Sozialsystem, gehört. Erfreulich ist auch, dass deutsche Unternehmen in den wich-

Fotos: BS/Dombrowsky

dem nur 90 km südlich gelegenen Sizilien über das Mittelmeer kommen, nieder. Architektonisch erstrangig sind die aus jener Zeit stammenden Megalith-Tempel, dann die römischen Mosaiken sowie die Barockbauten und gigantischen Wehranlagen des Johanniter- und späteren Malteserordens. Als 1565 die Osmanen die Insel angreifen, werden sie unter Führung des Großmeisters des Ordens, Jean de la Valette,

“Bei uns zu Hause ist Weihnachten immer noch sehr christlich geprägt. Man geht zur Mitternachtsmesse, deren Höhepunkt die “Jungenpredigt” ist. Anstelle des Priesters predigt ein Neunoder Zehnjähriger von der Kanzel einen vom Pfarrer verfassten Text. Danach wird dem Jungen ein kleines Jesuskind aus Wachs überreicht. Auch mir ward einst diese Ehre zuteil und so zitierte ich aus der Bibel den heiligen Augustinus, andere Theologen und lateinische Verse, von denen ich nichts verstand. Ansonsten haben wir fremde Traditionen, wie den Weihnachtsbaum, übernommen. Obwohl es auf Malta nie schneit, spielen Geschäfte und Radiosender im Dezember immer noch Bing Crosby’s “I’m dreaming of a white Christmas”, und Weihnachtskarten mit hübschen schneebedeckten Häusern in den Bergen, Landschaftsbildern von Lappland und dem Weihnachtsmann auf einem Rentierschlitten sind sehr beliebt”, beschreibt Friggieri die maltesischen Weihnachtsbräuche. “O tempora o mores”, grantelt schon Cicero (106 – 43 v. Chr.) mit Blick auf die wechselvollen Zeitumstände seiner Tage, hoch aktuell. Schiller gibt sich verbindlicher: “Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.” Das Zitat aus Wilhelm Tell passt bestens zu Dr. Friggieris neuen Plänen. “Ich bin Mitglied der Deutschen Schillergesellschaft und freue mich da­rauf, Zeit im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar zu verbringen. In der Vergangenheit war ich von Zeit zu Zeit da; jetzt, da ich mehr Zeit habe, hoffe ich, regelmäßig dort wie auch in anderen deutschen Archiven und Bi­bliotheken sein zu können.” Als da wäre das Schillerhaus in Leipzig. 1785 verbrachte der 25-jährige Friedrich Schiller einen Sommer in dem ehemaligen Dorf Gohlis (heute ein Leipziger Stadtteil) in einem Bauernhaus. Hier schrieb der junge Autor seine Ode “An die Freude” und arbeitete

Botschafters Rezepte Heiße Kastaniensuppe

Ein echter Hingucker: Eine mundgeblasene Glasflasche aus Malta.

“Mitunter stützen wir unsere Urteile über Ereignisse und Sachverhalte auf das, was wir z. B. aus den Medien erfahren und stellen uns diese dann entsprechend vor. Und genau das ist in letzter Zeit mit der Berichterstattung über Malta auch einige Male passiert. Sie war zwar nicht unbedingt falsch, aber unvollständig. So gelten wir schon mal als Land, das Menschen in Not nicht hilft und die Helfer bestraft. Aber wie viele kennen die ganze, wahre Geschichte?”, fragt Friggieri und gibt die Antwort gleich selbst: “Die ersten Boote mit Flüchtlingen kamen vor fast zwei Jahrzehnten bei uns an und wir haben eigentlich von allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erwartet, dass sie die Verantwortung für sie solidarisch mit übernehmen. Malta gehört seit Jahren zu den EU-Ländern mit der höchsten Anzahl von Flüchtlingen und Migranten pro Kopf. Leider blieben wir viele Jahre allein, um die riesigen Aufgaben der Rettung, Aufnahme und Versorgung der Menschen zu bewältigen.”

Solidarität erwartet Die Zahl derer, die in Malta eintreffen, scheint absolut gesehen nicht sehr hoch zu sein. Im Vergleich mit den Einwohnerzahlen unserer beiden Länder dagegen sehr wohl. Die Anzahl der Personen, die in diesem Sommer angekommen sind, entsprächen mehr als einer Viertelmillion Ankünfte in Deutschland. “Trotz der hieraus entstehenden enormen

Die Imbuliuta tal-Qastan ist ein traditionelles maltesisches heißes, sämiges, würziges Getränk nach der Mitternachtsmesse an Weihnachten oder zum Silvesterabend. Zutaten: 500 g getrocknete Kastanien, Schalen einer Orange und Zitrone, Mandarinen­schale in sehr dünne Scheiben geschnitten oder fein gehackt, 2 Esslöffel Rotwein oder 1 Esslöffel Rum, ­2 gehäufte Esslöffel Schokoladenpulver, 4 gehäufte Esslöffel braunen Zucker, 2 Esslöffel Kandiszucker, 1 Riegel Schokolade, 2 oder 3 Nelken, Gewürze und eine Prise Zimt.

Zubereitung: Getrocknete Kastanien über Nacht einweichen, die Haut entfernen und in eine Kasse­role mit den übrigen Zutaten, außer dem Rotwein, geben. Zum Kochen bringen, bis die Kastanien weich sind. Sollte das Ganze noch wässrig sein, länger köcheln lassen. Abschmecken und, falls notwendig, mehr Schokoladenpulver und den Rum oder Wein dazugeben. Vor dem Servieren die Orangen- und Zitronenrinde sowie die Nelken entfernen.

Gefüllte grüne Paprika nach maltesischer Art

Zutaten: 1 grüne Paprika mittlerer Größe, 1,5 TL Semmelbrösel, 25 g Sardellenfilets, 10 entsteinte grüne Oliven, 1 EL Kapern, Olivenöl, 1 EL Petersilie, 1 EL Minze, gehackt Zubereitung: Die Sardellen, die Oliven und die Kapern klein hacken. In eine Schüssel geben und mit

zusammenarbeiten. Das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen, ist keine Lösung und schafft lediglich weitere Schwierigkeiten”, so 68-Jährige weiter.

Europäische Erneuerung mit maltesischem Beitrag Unproblematisch und einträchtig sind die bilateralen Beziehungen Maltas zu Berlin und Brüssel. 15 Jahre nach ihrem EU-Beitritt schätzen und unterstützen die Malteser diese, ihre Mitgliedschaft in der Eurozone sowie im Schengenraum als vorteilhaft und erfüllen die Maastricht-Kriterien voll und ganz. “Wir freuen uns auf nichts weniger als eine europäische Erneuerung, zu der Malta seinen Beitrag leisten will. In der neuen EU-Kommission hat Malta

der Petersilie, der Minze und den Semmelbröseln mischen. Wenn die Mischung zu trocken ist, etwas Olivenöl unterrühren. Die Paprika längs halbieren, Kerne entfernen und mit der Mischung füllen. Olivenöl darüber träufeln und in eine am Boden gebutterte Auflaufform legen. Im auf 160 Grad vorgeheizten Backofen 40 Minuten überbacken.

sich die heimische Wirtschaft mit einem jährlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von rund sieben Prozent rasant entwickelt hat. Der IWF geht weiterhin davon aus, dass das durchschnittliche jährliche BIP mit rund vier Prozent zwischen diesem Jahr und 2024 hoch bleibt. Die Inflation ist mit derzeit 1,7 Prozent immer noch relativ niedrig. “Dieser bemerkenswerte Fortschritt ging mit einer zunehmenden Diversifizierung der Wirtschaft einher. Die Wertschöpfung hat sich weiter in Richtung der Sektoren mit höherer Wertschöpfung verlagert. Natürlich gibt es einige, die der Meinung sind, dass die EU-Mitgliedschaft für sie nicht nur von Vorteil ist. Insgesamt hat die Unterstützung für die EU jedoch nie nachgelassen”, so

tigsten Wirtschaftsbereichen, sei es im verarbeitenden Gewerbe, im Dienstleistungssektor oder in den jüngeren, von der IT dominierten Sektoren mit höherer Wertschöpfung, weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Viele von ihnen schon seit Jahrzehnten.” Wie etwa im Tourismus. Die Zahl deutscher Touristen steigt 2018 auf 227.000. Nach Großbritannien und Italien stellt Deutschland die drittgrößte Besuchergruppe. Sie kommen nicht nur, um Sonne, Strand und Meer pur zu haben sowie die auch im Winter angenehmen Temperaturen, sondern auch ob der eindrucksvollen maltesischen Kultur und Geschichte. Auf den drei Inseln – Malta, Gozo, Comino – lassen sich bereits vor über 7.000 Jahren Siedler, die wahrscheinlich aus

Seit 2001 unter einem Dach: die Botschaften von Malta, Bahrain und Luxemburg in der Klingelhöferstraße in Berlin

besiegt. Nach ihm ist die heutige Hauptstadt des Landes Valletta benannt. Last but not least lernt man dort Englisch unter Orangenbäumen ganz offenbar angenehmer als im nasskalten Winter irgendwo in Deutschland.

54 Jahre bestehende Freundschaft Kurzum, es läuft gut in und mit Malta. Was u. a. auch an den traditionell engen und freundschaftlichen diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik liegt, die schon seit über 54 Jahren bestehen. Und an Botschaftern wie Dr. Friggieri, der es faszinierend fände, mit einer seiner Kolleginnen oder einem Kollegen in der Botschaft, die ihm und seiner Frau seit sechs Jahren so nahe stehen, einen Tag lang die Rollen zu tauschen – “um zu wissen, was sie wirklich von der Art und Weise halten, wie wir zusammengearbeitet haben und vor allem, wie ich ihre persönlichen Wünsche erfüllt oder ob ich sie übersehen habe. Sicher wäre es eine aufschlussreiche Erfahrung!”, so der Botschafter. Eine andere wartet schon auf ihn. Dieses Weihnachten wird er auf seiner Insel als Diplomat a. D., vulgo Ruheständler, begehen.

am “Don Carlos”. “Ich bin fasziniert von deutschen Gelehrten, Autoren und Reisenden, die in der Vergangenheit – manchmal im Rahmen ihrer pädagogischen “Grand Tour” und manchmal aus anderen Gründen – nach Malta gekommen sind und über ihre Erfahrungen geschrieben haben. Ich habe über einige von ihnen geschrieben und Vorträge gehalten.” Das ist auch gut so, denn: “Ernst ist das Leben, heiter die Kunst”, heißt es in Schillers Prolog zu Wallenstein.

Rot-weiß-geteiltes Wappen mit Auszeichnung: Die Mauerkrone über dem farblich geteilten Schild ist Ausdruck der Souveränität des Landes. Das Georgskreuz im oberen linken Eck ist eine militärische Auszeichnung. Sie wurde der gesamten Bevölkerung Maltas für ihren Mut und ihre Tapferkeit während des Zweiten Weltkrieges vom britischen König Georg VI. 1942 verliehen.


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2019

Retter in der Not

KNAPP Bonn verklagt VW

Altschuldenproblematik in den Kommunen (BS/Katarina Heidrich) Nach der Ankündigung seitens der Bundesregierung, den Kommunen beim Abbau ihrer Altschulden zu helfen, stellt sich nun die Frage, wie. Es werden über alle föderalen Ebenen hinweg Möglichkeiten ausgelotet, wie die finanzielle Leistungsfähigkeit von notleidenden Kommunen wiederhergestellt werden kann. In der Diskussion stehen ein Schuldenerlass und ein Rettungsfonds. Zudem werden Forderungen laut nach einer höheren Beteiligung an den Sozialkosten.

D

ie nordrhein-westfälische Stadt Hattingen verzeichnet seit Jahren steigende Liquiditätskredite, während die Investitionskredite immer weiter sinken. “Die armen Städte haben überhaupt keine Möglichkeit, von diesen gigantischen Schuldenbergen runterzukommen”, klagt Hattingens Bürgermeister Dirk Glaser (parteilos). Zusammen mit rund 70 Kommunen aus acht Bundesländern kämpft er im Aktionsbündnis “Für die Würde unserer Städte” darum, dass Bund und Land ihnen helfen – offenbar mit Erfolg. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will Bundesmittel zur Lösung des Altschuldenproblems bereitstellen und bezeichnet dies als “solidarischen Akt”. In Nordrhein-Westfalen gibt es insgesamt 23 Milliarden Euro Kassenkredite, denen kein Vermögen gegenübersteht. Das macht mehr als 50 Prozent der bundesweiten Kassenkredite aus. “Das ist eine sehr große Herausforderung. Die Zeit drängt”, betont Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung in NRW, im Rahmen einer Fachtagung zum Thema “Abbau und Vermeidung kommunaler Kassenkredite – wie könnte es gehen?”. Bundesweit weisen laut Abschlussbericht der Regierungskommission für “Gleichwertige Lebensverhältnisse” rund 17 Prozent der Kommunen einen zu hohen Bestand an Altschulden und Kassenkrediten auf. Besonders im Saarland, in Rheinland-Pfalz, in Hessen und eben in NordrheinWestfalen gibt es eine Reihe von Kommunen, deren Etatlage bedrohlich sei. Die Ankündigung des Bundes wurde vor allem in diesen Ländern positiv aufgenommen. Sie argumentieren, wie etwa Doris Ahnen, Finanzministerin von Rheinland-Pfalz, die kommunale Verschuldung sei eine

“Gleichwertigkeitskommission” habe den engen Zusammenhang zwischen Liquiditätskrediten und hohen KdU-Belastungen erkannt.

Paradebeispiel Hessen

Der Bund will die Kommunen aufpäppeln. Ob es dabei aber nur bei Erster Hilfe bleibt, ist offen. Auch, wo sich die Länder in dieser Rettungsaktion befinden. Foto: BS/succo, pixabay.com

gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch Scharrenbach begrüßt die Feststellung der Bundesregierung, dass die Belastung der Kommunen mit Altschulden eine Gefahr für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland darstelle. Aber: Der Bund verlangt auch eine Beteiligung der Länder am Entschuldungsprogramm.

Problem: ­Sozialkosten Daher fordert die Ministerin, die Bundesregierung müsse zeitnah Gespräche mit dem Deutschen Bundestag, den Ländern sowie den betroffenen Kommunen und den kommunalen Spitzenverbänden aufnehmen, um eine nationale Lösung zu erarbeiten. “Und: Der Bund darf den Städten und Gemeinden nicht immer neue Belastungen aufbürden, ohne für den finanziellen Ausgleich zu sorgen.” Das bedeute auch eine

höhere Beteiligung des Bundes an den Sozialkosten. Das wird ebenfalls vom Städtebündnis gefordert, dem auch Offenbach angehört. “Eine höhere Übernahmequote des Bundes bei den Kosten der Unterkunft (KdU) für Hilfeempfänger wäre eine einfache und schnelle Lösung, um betroffenen Städten direkt und nachhaltig zu helfen”, äußert sich Offenbachs Kämmerer Peter Freier (CDU). Derzeit trägt der Bund etwas mehr als 40 Prozent der Kosten der Unterkunft. Allein in diesem Jahr stünden in Offenbach Kosten in Höhe von 51 Millionen Euro an, rund 29 Millionen davon muss die Stadt selbst zahlen. Freier fordert vom Bund, in Zukunft 75 Prozent dieser Kosten zu tragen. Das würde für die Stadt eine Entlastung um 15 Millionen Euro bedeuten. Den direkten Zusammenhang

zwischen den Aufwendungen vieler Kommunen für Sozialleistungen, den Herausforderungen des Strukturwandels und der Höhe der Kassenkredite zeigt der Finanzexperte Prof. Dr. Martin Junkernheinrich von der TU Kaiserslautern auf. Die Schrumpfung der Bevölkerungszahl korreliere statistisch hoch signifikant negativ mit Liquiditätskrediten. Da schrumpfende Kommunen meist von hoher Arbeitslosigkeit gezeichnet seien, bestehe ebenfalls ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen den Krediten und Personen in Bedarfsgemeinschaften. So hätten besonders die von der Globalisierung negativ betroffenen Regionen größtenteils hohe Liquiditätskredite. Die SGB-IIQuote habe deutlichen Einfluss auf die kommunale Verschuldung, so Junkernheinrich. Auch die Arbeitsgemeinschaft Altschulden der

Junkernheinrich verweist auf Hessen als Paradebeispiel dafür, dass die Länder sich nicht allein auf den Bund als Retter in der Not verlassen sollten, sondern auch selbst mitwirken müssten. Mit der “Hessenkasse” tilgen Land und Kommunen gemeinsam die Schulden. Hessen übernimmt 50 Prozent der kommunalen Liquiditätskredite. Alle betroffenen Kommunen müssen bis zur Tilgung der ihnen verbleibenden Liquiditätskredite 25 Euro je Einwohner zahlen und nach 30 Jahren werden alle noch nicht getilgten Schulden vom Land übernommen. Ein ähnlicher Fonds mit Zinskonditionen käme auch bundesweit infrage, um die Altschuldenproblematik zu lösen. Auch die Glättung von Spitzenlasten sei etwas, “worüber man nachdenken muss”, so Junkernheinrich. Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, gibt zu bedenken: “Die Länder wollen oft nicht, dass der Bund sich in die kommunalen Angelegenheiten einmischt.” In diesem Fall nun sei die Solidarität unter den Kommunen gefragt, aber vor allem auch die der Länder untereinander. Denn wenn Bundeshilfen an diejenigen mit den größten Problemen flössen, gingen die übrigen leer aus. Des Weiteren würde eine komplette Schuldenübernahme durch den Bund die Frage nach der schwarzen Null aufrufen und den Kritikern so in die Hände spielen, äußert sich Gatzer. Egal, ob Erlass oder Fonds: In jedem Fall würde eine Übernahme der Kassenkredite die Kommunen trotzdem nicht in die Lage versetzen, Investitionen zu tätigen.

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

S AV E

(BS/kh) Die Stadt Bonn hat den Wolfsburger Konzern auf knapp 700.000 Euro Schadenersatz verklagt. Sie nutzt Dieselfahrzeuge von Volkswagen unter anderem bei der Feuerwehr, beim Sozial- und beim Ordnungsamt. 27 dieser Fahrzeuge aus dem städtischen Fuhrpark sind mit einem Motor ausgestattet, der wiederum die von VW eingesetzte Manipulationssoftware enthält. Nach der Verhandlung am Bonner Landgericht haben beide Parteien bis zum 18. Dezember Zeit, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Eine solche könnte etwa in den korrekten Preisen abzüglich der Finanzierungsund Umbaukosten sowie der Nutzungsentschädigung liegen. Die Bundesstadt ist bisher die erste Kommune, die gegen VW vor Gericht zieht. In Düsseldorf hatte man sich nach längerer Prüfung gegen eine Klage entschieden. (Mehr zum kommunalen Fuhrparkmanagement im Sonderteil auf den Seiten 23 bis 31).

“Smart Industrial City” (BS/kh) Durch die inhaltliche Zusammenführung von Smart-City und Smart-Industry-Projekten soll in Dormagen die erste “Smart Industrial City” in Deutschland entstehen. Der Stadtrat hat mit großer Mehrheit das Vorhaben einer engeren Kooperation zwischen Verwaltung und dem Unternehmen Currenta gebilligt. Michael Bison, Geschäftsführer der Stadtmarketing- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft Dormagen (SWD), lobt die Nutzung von Synergieeffekten in diesem gemeinsamen Digitalisierungsprojekt: “Wenn wir eine Sensorik einbauen, können wir die Wartung genau zum nötigen Zeitpunkt ausführen. Der Auftrag für die Technik könnte dann von Currenta und uns gemeinsam vergeben werden, wodurch es preiswerter wird.” Ziel sei es, den Service für die Bürger zu verbessern, betont der SWD-Geschäftsführer.

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Kommunalpolitik

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S

o hat gerade die sogenannte Flüchtlingskrise der Jahre 2015/16 gezeigt, dass die Bewältigung außergewöhnlicher Ereignisse allein durch staatliche Akteure kaum möglich scheint. Der Staat ist auf die Unterstützung von Freiwilligen angewiesen. Zugleich offenbarte dieses Ereignis, dass sich die Freiwilligenarbeit in einem Wandel befindet und sich daraus Herausforderungen für Staat und Verwaltung ergeben. Wie auch in anderen Ländern, kämpfen viele etablierte zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland mit Nachwuchsproblemen. Gleichzeitig treten ereignisbezogene, kurzfristige Formen des Freiwilligenengagements immer mehr in den Vordergrund. Für Behörden wird damit die Beantwortung der Frage, wie eine effektive Zusammenarbeit mit sich spontan bildenden Helfergruppen sowie ungebundenen Helfer/-innen ohne feste Organisationsstrukturen gelingen kann, immer wichtiger. Um auf künftige Herausforderungen vorbereitet zu sein, gilt es, die während der letzten Jahre gesammelten Erfahrungen zu sichern und systematisch auszuwerten.

Wege zur Einbindung von Freiwilligen Lehren aus der sogenannten Flüchtlingskrise (BS/Florian Roth et al.*) Die effektive Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteuren in staatliche Strukturen und Prozesse stellt zunehmend eine zentrale Herausforderung für Behörden auf allen Verwaltungsebenen dar. Am deutlichsten zutage treten sowohl das Potenzial als auch die Schwierigkeiten im Umgang mit Freiwilligen in Krisen und Notlagen, wie zum Beispiel Hochwassern und Hitzewellen, aber auch in Ausnahmesituationen wie der Aufnahme und Betreuung einer großen Zahl an Geflüchteten in kurzer Zeit.

Freiwillige sind nicht gleich Freiwillige Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes (www. hyborg-projekt.de) befragten Wissenschaftler/-innen der Universität Konstanz und der ETH Zürich Landräte, Leitungspersonal von nachgeordneten Behörden und andere kommunale Verwaltungsexpert/-innen in ganz Deutschland, wie sie die Zusammenarbeit mit freiwilligen Helfer/-innen während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 erlebten. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeichnen ein insgesamt positives Bild der Zusammenarbeit zwischen lokalen Verwaltungen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Betrachtet man die Untersuchungsergebnisse getrennt nach unterschiedlichen Helfertypen, offenbaren sich einige interessante Einblicke in die Wahrnehmung freiwilligen Engagements vonseiten der öffentlichen Verwaltung. Demnach waren bei der Bewältigung der mit der Aufnahme von Geflüchteten verbundenen Herausforderungen Freiwillige nicht immer gleich Freiwillige (siehe Grafik 1). Etablierte Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen: Wenig überraschend schätzten die Vertreter/-innen der Landkreise und kreisfreien Städte die Arbeit von etablierten Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen als besonders hilfreich ein. Dazu zählen beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz, das Technische Hilfswerk sowie die Caritas. Nachbarschafts- und Sportvereine: Ebenfalls sehr positiv bewerten die Verwaltungsexpert/innen den Beitrag, den bestehende lokale Vereine wie Nachbarschafts- und Sportver-

Grafik 1: Einschätzung der Arbeit unterschiedlicher Typen von freiwilligen Helfer/-innen in der sogenannten Flüchtlingskrise durch Verwaltungsakteure. Grafik: BS/ETH Zürich

eine im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise leisteten. Neu entstandene Vereine im Asylbereich: Auch neu entstandene Vereine und Organisationsformen zur Unterstützung von Geflüchteten haben aus Sicht der Mehrheit aller Befragten einen produktiven Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingssituation erbracht, obschon es hier bereits mehr Stimmen gibt, die diesen Helfertyp eher kritisch sehen. Ungebundene Helfer/-innen: Eine klare Sonderrolle schließlich nehmen die sogenannten ungebundenen Helfer/-innen ein. Hierbei handelt es sich um Bürger/-innen, die sich jenseits einer bestehenden Organisation ehrenamtlich engagieren. Zwar überwiegt auch hier der Anteil der Verwaltungsvertreter/-innen mit positiver Wahrnehmung knapp, er fällt jedoch deutlich geringer aus als bei anderen Formen des Freiwilligenengagements.

Einbindung von Freiwilligen muss bereits vor der Krise vorbereitet werden Insgesamt zeigt sich somit: Je organisierter und strukturierter der Helfertyp, als desto hilfreicher wird die Rolle der jeweiligen Akteure beurteilt. Gleichzeitig bestätigen diese Ergebnisse frühere Befunde zu ungebundenen Helfer/-innen, wonach deren Einbindung gegenwärtig noch deutlich weniger gut organisiert ist, als dies bei anderen Formen des Freiwilligenengagements der Fall ist. Freiwillige Helfer/-innen können eine große Entlastung

für Behörden mit Aufgaben im Krisenmanagement bieten; zumindest schätzen die befragten Vertreter/-innen der Landkreise und kreisfreien Städte dies mehrheitlich so ein. Zugleich offenbart sich, dass die Einbindung von Freiwilligen insbesondere dort erfolgreich war, wo bereits vor dem Beginn des Anstiegs der Anzahl Asylsuchender formale oder informale Strukturen zur Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich Asyl vorhanden waren. Interessanterweise ergeben sich aus der vorliegenden Untersuchung diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede zwischen ländlich und städtisch geprägten Landkreisen beziehungsweise kreisfreien Städten (siehe Grafik 2). Die Untersuchungsergebnisse zeigen aber auch, dass der Zusammenhang zwischen ausgeprägten Kooperationsstrukturen vor der Krise und einem aus Verwaltungssicht positiv wahrgenommen Beitrag der zivilgesellschaftlichen Akteure während der sogenannten Flüchtlingskrise nicht für ungebundene Helfer/innen gilt. Hier besteht also eine Notwendigkeit zu untersuchen, wie diese vergleichsweise lose Form gesellschaftlichen Engagements gestaltet und gestärkt werden kann. Den Behörden stehen unterschiedliche Instrumente zur Verfügung, um Freiwilligenarbeit zu fördern und deren Einbindung in das professionelle Krisenmana-

gement zu verbessern. Zu berücksichtigen sind hierbei vor allem die unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnisse unterschiedlicher Typen von ehrenamtlichen Helfer/-innen. Frühzeitige Schaffung von Kooperationsstrukturen: Ein möglicher Ansatz, um Strukturen zur Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft aufzubauen, besteht in der Etablierung von Ressourcenmanagement- und Entscheidungsunterstützungssystemen. Beispielsweise könnten Behörden vordefinierte Anforderungsprofile in Form eines “Ampelsystems” erarbeiten: Während für grüne Aufgaben keine Einweisung bzw. Training erforderlich ist, sind rote

Aufgaben nur durch geschulte und trainierte Einsatzkräfte durchführbar. Dazu könnten sich interessierte Bürger/-innen online mit Angaben zu themenspezifischen Qualifikationen und Fähigkeiten registrieren. Diese würden dann geprüft und in einer zentralen Freiwilligendatenbank registriert. Im Bedarfsfall schließlich könnten die Verwaltungsstellen und Hilfsorganisationen auf die Datenbank zugreifen und Helfer/-innen nach örtlicher Verfügbarkeit sowie fachspezifischen Fähigkeiten finden und einsetzen. Trainingsangebote für beide Seiten: Eine weitere Möglichkeit besteht in gezielten Ausbildungsund Trainingsangeboten, sowohl für Verwaltungsmitarbeiter/innen als auch für Freiwillige. Gerade sichere Verhaltensregeln in Notlagen, psychologische Ersthilfe sowie Schadenplatzssicherung und Verletzungsprävention zählen zu jenen Aspekten, welche auch von Laien schnell erlernt werden können und im Ereignisfall sehr nützlich sind. Demgegenüber kann gezieltes Training Behördenmitarbeiter/innen dabei helfen, Motivation, Fähigkeiten und Bedürfnisse ehrenamtlicher Helfer/-innen besser zu verstehen und folglich effizienter mit ihnen zu kooperieren. Mittlerorganisationen nutzen: In Krisensituationen sind Behördenvertreter/-innen auf klare Ansprechpartner/-innen angewiesen. Dementsprechend zeigen bereits frühere Befunde, dass Verwaltungsakteure dazu neigen, auf das Fehlen formalhierarchischer Strukturen freiwilliger Helfer/-innen-Organisationen mit Unverständnis oder Ablehnung zu reagieren. Unge-

Beitrag zur Lausitzer Strukturentwicklung (BS/Katarina Heidrich) Das Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) wurde in Cottbus eröffnet. Damit ist das KEI eine der ersten Bundesbehörden, die im Zuge der Strukturentwicklung in der Lausitz angesiedelt werden. Mit dem Kompetenzzentrum etabliert das Bundesumweltministerium (BMU) eine branchenübergreifende, internationale und interdisziplinäre Wissensplattform für das Thema industrielle Dekarbonisierung. Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) begrüßt den Schritt, fordert aber auch noch weitergehende. Das sei ein Imagegwinn für die Stadt, die in diesem Fall “Mittelpunkt des Industriestandorts Deutschland” sein könne. Zudem lobt der Oberbürgermeister, dass die Bundesregierung “Wort gehalten” habe mit der Ansiedlung und auch den Zeitplan einhielt. “Wenn so Strukturwandel in Zukunft gestaltet wird, dann ist mir um den Wandel insgesamt nicht bange.” Im Kompetenzzentrum in Cottbus sollen künftig der Forschungsbedarf ermittelt,

Forschungscluster gebildet sowie Finanzierungsmöglichkeiten identifiziert und erschlossen werden. Es fungiert dabei in Kooperation mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg als “Think Tank” und unterstützt Unternehmen der energieintensiven Industrien beim Umbau ganzer Prozessketten. Im Vordergrund stehen besonders schwer vermeidbare Emissionen, die in vielen Herstellungsprozessen in

bundene Helfer/-innen in starre, formal-hierarchische Strukturen einzugliedern, kann sich jedoch als kontraproduktiv erweisen, da so ihre Anpassungsfähigkeit, ihre Innovationsfähigkeit und ihre Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt oder gar gänzlich unterbunden werden. Um das Potenzial ungebundener Helfer/-innen umfassend auszuschöpfen, sollte der Fokus vielmehr darauf gelegt werden, sich deren vergleichsweise lose Strukturen als zusätzliche Ressource nutzbar zu machen. Hierbei kommt sogenannten Mittlerorganisationen eine wichtige Rolle zu, die als Bindeglied zwischen Verwaltungsexpert/-innen und ungebundenen Helfer/-innen agieren können. Verwaltungsbehörden sollten intermediäre Organisationen fördern und darin unterstützen, den effizienten Einsatz ungebundener Helfer/innen zu vereinfachen und sich deren spezifische Eigenschaften zunutze zu machen. Die Bandbreite der vorgestellten Instrumente zeigt, dass für Behörden bereits heute eine Vielzahl an Möglichkeiten besteht, das Potenzial ehrenamtlicher Helfer/innen wirksam zu nutzen, wenn sie frühzeitig, das heißt schon vor einer möglichen Krise, eingeführt werden. Für Behörden bedeutet dies konkret, sich proaktiv mit der Einbindung von Freiwilligen auseinanderzusetzen und frühzeitig die notwendigen Kooperationsstrukturen zu etablieren, statt passiv den Eintritt der nächsten Krisensituation abzuwarten. Wichtig ist hierbei insbesondere, die Instrumente an den lokalen Kontext anzupassen und auf bereits bestehenden Strukturen aufzubauen, um das vorhandene zivilgesellschaftliche Potenzial bestmöglich zu nutzen. Gelingt dies, so stehen die Chancen gut, dass öffentliche Verwaltungen trotz fortbestehender Herausforderungen für künftige Krisensituationen gut gerüstet sind. *Florian Roth, Marco Käser (ETH Zürich), Alexa Lenz, Steffen Eckhard, Lorenz Wiese, Wolfgang Seibel (Universität Konstanz)

Grafik 2: Darstellung der Korrelation zwischen der Einschätzung der Arbeit freiwilliger Helfer/-innen in der sogenannten Flüchtlingskrise (0 = gar nicht hilfreich, 10 = sehr hilfreich) und dem Vorhandensein von Strukturen zur Einbindung von Freiwilligen bereits vor der Krise (0 = keine Strukturen vorhanden, 10 = sehr etablierte Strukturen vorhanden), mit Konfidenzintervall. Grafik: BS/ETH Zürich

KEI in Cottbus

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it der Ansiedlung des KEI in Cottbus soll die Strukturentwicklung in der Lausitz aktiv mitgestaltet werden. Diesen Schritt begrüßt Oberbürgermeister Kelch: “Für die Stadt Cottbus ist das ein Gewinn, weil es sich um hochqualifizierte Arbeitsplätze handelt, die auch öffentlich gefördert werden über das Bundesumweltministerium.” Dabei sei egal, ob es sich um sieben oder um 20 Arbeitsplätze handele, “es werden neue Arbeitsplätze geschaffen”, betont der Bürgermeister. Er sei sich aber sicher, dass mehr als 20 Arbeitsplätze im KEI entstehen werden. Der zweite Punkt sei, dass es solch ein Kompetenzzentrum kein zweites Mal gebe. Cottbus spiele hier eine andere Rolle und das weltweit gesehen, so Kelch.

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Branchen wie Stahl, Zement, Kalk, Teilen der chemischen Industrie und der Nicht-Eisenmetallurgie entstehen (sogenannte “Prozessemissionen”). Außerdem wird das KEI künftig Projektträger des BMU-Förderprogramms “Dekarbonisierung in der Industrie” sein, welches im Laufe des kommenden Jahres starten soll. “Mit der Eröffnung des Kompetenzzentrums senden wir ein klares Signal an die energieintensive Industrie, dass wir sie

auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität unterstützen. Die Dekarbonisierung der Industrie ist Herausforderung und Chance zugleich. Denn die Nachfrage nach klimaneutral hergestellten Gütern wird weltweit steigen”, betont Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Das KEI solle der Industrie dabei helfen, diesen wachsenden Markt schon jetzt zu erobern und gleichzeitig ihre klimaschädlichen Emissionen weiter zu verringern, so die

Ministerin. Die Lausitz habe somit die Chance, Vorreiter bei der Entwicklung einer treibhausgasneutralen Industrie zu werden. Gleichzeitig warnt Kelch aber auch vor einem möglichen Aus der Großen Koalition in Berlin, denn das hätte fatale Folgen für die Lausitz. Die Region brauche gesetzliche Verbindlichkeit für den Strukturwandel und das Strukturstärkungsgesetz mittels Staatsvertrag. Dem Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett auf den Weg gebracht hatte, fehlten wichtige Punkte, die von kommunaler Seite gefordert worden seien. Aus diesem Grunde hätten Vertreter von Kohlekommunen vor dem Kanzleramt demonstriert. Mit Erfolg: Das lange geforderte Bund-Länder-Abkommen soll umgesetzt werden.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Dezember 2019

B

ehörden Spiegel: Ein großes Thema, das die Politik derzeit umtreibt, heißt gleichwertige Le­ bensverhältnisse. Wie bewerten Sie die Beschlüsse der gleich­ namigen Kommission und was besagen die Ergebnisse für die strukturpolitische Lage Deutsch­ lands?

Dr. Frehse: Ausgesprochen positiv. Hier kündigt sich der so dringend benötigte Paradigmenwechsel in der deutschen Strukturpolitik an. Seit 20 Jahren wurde keine aktive staatliche Strukturpolitik aus einem Guss gemacht. Die bisherigen Fördermaßnahmen standen ganz unter dem Zeichen des Gießkannenprinzips. Gefördert wurde hauptsächlich in die Breite. Fakt ist jedoch, dass wohlhabende Regionen, wie wir sie vornehmlich im Süden der Republik vorfinden, im Grunde keine weiteren Gelder benötigen. Mit den neuen Kommissionsbeschlüssen konzentriert man sich daher gezielt auf strukturschwache Regionen. Das schließt die ostdeutschen Länder mit ein, wo fraglos Nachholbedarf besteht, aber auch Teile des alten Westdeutschlands. Insoweit wäre es auch falsch, die neue Strukturpolitik als Ostförderung auszugeben. Die alte Ost-West-Trennung ist ohnehin passé. Richtiger wäre es, von einer Dreiteilung zu sprechen, die auch das Nord-Süd-Gefälle in Rechnung stellt. Das Ganze wird dauern, ein Jahrzehnt mindestens. Behörden Spiegel: Nun ist das Thema gleichwertige Lebensver­ hältnisse keineswegs neu. Schon das Grundgesetz kennt einen Artikel, der den Abbau regionaler Ungleichheit in den Stand einer politischen Maxime erhebt. Wa­ rum wurde das so lange vernach­ lässigt? Dr. Frehse: Unter Juristen ist die Verbindlichkeit dieser Formulierung nach wie vor umstritten. Ein Grundrecht ist sie jedenfalls nicht. Trotzdem haben wir uns entschieden, künftig alle gesetzgeberischen Vorhaben daraufhin prüfen zu lassen, inwieweit sie zur Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse beitragen. Dass man in dieser Richtung bereits tätig ist, zeigt die Standortwahl einiger nachgeordneter Behörden des Bundesinnenministeriums. Die neue Außenstelle des Bundesamtes für Sicherheit

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Strukturpolitik als Daseinsvorsorge Zu den Beschlüssen der Kommission “Gleichwertige Lebensverhältnisse” (BS) In Deutschland lebt es sich ungleich. Nicht nur Länder, sondern auch Kommunen laborieren an strukturellen Ungleichheiten. Mit Umsetzung der von der Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse erarbeiteten Ergebnisse versucht die Bundesregierung, speziell strukturschwache Regionen zu fördern. Im Interview spricht Dr. Michael Frehse, Leiter der Abteilung Heimat im Bundesinnenministerium, über die strukturpolitischen Einzelvorhaben des Bundes und darüber, was Deutschland von seinen europäischen Nachbarn lernen kann. Die Fragen stellte Uwe Proll.

Von der Schweiz lernen: Trotz geografischer Widrigkeiten gilt die Infrastruktur der Alpenrepublik als vorlbildhaft. Foto: BS/Lars Schlageter, pixabay.com

in der Informationstechnik (BSI) in Sachsen wäre hier nur das prominenteste Beispiel. Weniger bekannt dürfte demgegenüber das Geodätische Observatorium im bayerischen Wettzell sein, das vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie gemeinsam mit der Forschungseinrichtung Satellitengeodäsie der Technischen Universität München betrieben wird und ab dem Jahr 2020 ausgebaut werden soll. Wir setzen uns nachhaltig für Neu- und Ausgründungen von Bundesbehörden und Ressortforschungseinrichtungen in strukturschwachen Regionen ein. Auch in den übrigen Ressorts haben wir hier einen Prozess angestoßen. Behörden Spiegel: Aber ist das nicht reine Symbolpolitik? Meist bringen die jeweiligen Behörden ihr eigenes Personal mit. Dr. Frehse: Ja und nein. Auf kurze Zeit mag das stimmen, längerfristig aber nicht. Teil der Gleichung ist eben auch, dass das derzeit beschäftigte Personal irgendwann in Rente geht. Bei der nachfolgenden Akquise werden sicherlich auch viele Bewerberinnen und Bewerber aus der Region zum Zug kommen. Gerade der Faktor Personal macht anschaulich, dass

fitiert hätten. Wir verbuchen es als unseren Erfolg, dass dieses kleine, aber entscheidende Wort gestrichen werden konnte. Man kann nicht blindlings darauf vertrauen, dass das freie Spiel der Kräfte und des Marktes die Dinge richtet. Sicherlich, Privatisierung hat ihre Vorteile, am Ende handeln die Märkte aber stets gewinnorientiert, was auf Kosten des ländlichen Raums geht. 5G ist hier nur ein Beispiel, der Ausbau des Streckennetzes der Deutschen Bahn wäre ein anderes. Eine nachhaltige Strukturpolitik muss darauf setzen, die ländlichen Räume wieder an den infrastrukturellen Kern des Landes heranzuführen. In diesem Sinne ist Strukturpolitik auch eine Form der Daseinsvorsorge. Überhaupt muss der Gedanke einer verlässlichen, umfassenden Daseinsvorsorge wieder im Mittelpunkt staatlichen Handelns und staatlicher Strukturpolitik stehen. Behörden Spiegel: Das klingt sehr kostenintensiv. Welche Rolle wird das Bundesinnenministeri­ um bei der konkreten Umsetzung einnehmen?

“Eine nachhaltige Strukturpolitik muss darauf setzen, die ländlichen Räume wieder an den infrastrukturellen Kern des Landes heranzuführen.” Dr. Michael Frehse ist Leiter der Abteilung Heimat im Bundeministerium des Innern, für Bau und Heimat. Foto: BS/BMI, Sperer

nachhaltige Strukturpolitik nicht kurzfristig, sondern in größeren zeitlichen Dimensionen zu denken ist. Entscheidend ist aber der positive Impuls, der von einer neuen Einrichtung ausgeht und der das Signal der Hoffnung, des sich nicht allein gelassen Fühlens aussendet. Behörden Spiegel: Gleichwer­ tige Lebensverhältnisse hängen zunehmend an der Schaffung einer gleichwertigen digitalen

Infrastruktur. War es vor die­ sem Hintergrund ein Fehler, den flächendeckenden Ausbau nicht zu einer Grundvoraussetzung bei der Vergabe der 5G-Lizenzen gemacht zu haben? Dr. Frehse: Ursprünglich sah man für den Rollout des neuen Netzes lediglich eine “weitgehende” Versorgung vor. Im Umkehrschluss hätte das bedeutet, dass knapp 20 Prozent des Landes nicht vom neuen Standard pro-

Dr. Frehse: Es war uns ein Anliegen, nicht alles mit Preisen zu beschildern. Gleichwohl liegt auf der Hand, dass es sich um Investitionen in Milliardenhöhe handelt. Vorhaben dieser Art lassen sich nicht über Nacht realisieren, sondern brauchen Zeit. Bei der Definition der Punkte ging es uns vornehmlich um eine entsprechende Weichenstellung, die sich über mehr als eine Legislatur erstrecken wird. Was die Akquise finanzieller Mittel angeht, halten wir uns bewusst raus. In Deutschland gilt das Ressortprinzip, folglich liegt es an den zuständigen Ministerien, die nötigen Gelder zu beschaffen. Als Heimatabteilung sind wir eine Querschnittseinheit mit beratender Funktion. Das gilt auch für andere Politikfelder. Man nehme nur die Klimapolitik, die gewiss

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nicht nur eine Angelegenheit des Bundesumweltministeriums ist, sondern gleich mehrere Ministerien betrifft. Ganz ähnlich verhält es sich auch bei der Strukturpolitik. Vielleicht ist es an der Zeit, sich die Frage zu stellen, wie administratives Handeln künftig organisiert sein soll, ob die thematisierte hergebrachte Ressortteilung noch Sinn ergibt. Behörden Spiegel: Die chi­ nesische Strukturpolitik geht bekanntlich andere Wege. Dort baut man auf Vorrat. Wäre ein derartiges Modell für Deutschland vorstellbar? Dr. Frehse: Mit den Größenverhältnissen Chinas können wir hier freilich nicht konkurrieren. Im Kleinen wurde bereits aber Ähnliches praktiziert. Man denke nur an die Berliner S-Bahn, die schon vor Anfang des letzten Jahrhunderts gezielt in die Fläche gebaut wurde, obwohl keine bauliche Veranlassung bestand, man aber wegen des Zuzugs nach Berlin wusste, dass man sie brauchen wird. Die Siedlungen, die wir heute entlang dieses Streckennetzes sehen, folgten erst danach. Meines Erachtens müssen wir zu diesem Modell zurückkehren. Behörden Spiegel: Der Seiten­ blick auf unsere europäischen Nachbarn zeigt, dass den gan­ zen Kontinent ähnlich gelagerte Probleme umtreiben. Handelt es sich beim Strukturwandel um eine gesamteuropäische Heraus­ forderung? Dr. Frehse: Ja, absolut. In der Heimatabteilung unterhalten wir daher ein entsprechendes Referat, das gezielt darauf blickt, was unsere europäischen Nachbarn unternehmen, um den Strukturwandel in ihren Ländern voranzutreiben. Mancherorts funktioniert das ausgesprochen gut. Ein Vorzeigefall wäre Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron das Phänomen der Landflucht inzwischen umkehren konnte. Lernen können wir ebenfalls von der Schweiz, zumal mit Blick auf die Höhe des jährlichen Investitionsvolumens. Im direkten Vergleich bringt die Schweiz das sechs- bis siebenfache an Kapital auf, um marode Schienennetze zu modernisieren oder defekte Züge auszutauschen. Davon sind wir in Deutschland aktuell noch weit entfernt.


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Personelles

Behรถrden Spiegel / Dezember 2019


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Kommunaler Haushalt

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Behörden Spiegel / Dezember 2019

Haushaltssperre trotz Schuldenübernahme

Mit Schulden Geld verdienen

Bremerhaven fehlen sieben Millionen Euro

Immer mehr Banken erwägen Kredite mit Negativzins

(BS/lkm) Erst Anfang November ist es her, dass das Land Bremen bekannt gab, der Stadt Bremerhaven alle Schulden abzunehmen. Von insgesamt 1,7 Milliarden Euro ist dabei die Rede. Doch bereits Ende November machte Bremerhaven wieder Schlagzeilen, diesmal, weil die Stadt eine Haushaltssperre verhängen musste. Es fehlen sieben Millionen Euro im Haushalt.

(BS/lkm) Immer mehr Banken führen ein sogenanntes Verwahrentgelt für Guthaben ein. Zahlreiche Kommunen müssen für ihr Guthaben bei den Banken Strafzinsen zahlen. Doch der anhaltend niedrige Zinssatz hat auch eine positive Seite für die Kommunen. Sie können mitunter Kredite zu negativen Zinsen bekommen. Während diese Möglichkeit bislang eher die Ausnahme war und meist nur bei ausländischen Banken zur Verfügung stand, gibt es jetzt erste Anzeichen, dass auch deutsche Kreditinstitute diese Möglichkeiten für Kommunen verstärkt anbieten.

Das Land Bremen hat sich verpflichtet, 1,7 Milliarden Euro Schulden der Stadt Bremerhaven zu übernehmen. Am 01.01.2020 wird Bremerhaven damit schuldenfrei. Die Seestadt hatte zuletzt 1,6 Milliarden Euro Schulden. Durch die Schuldenübernahme des Landes muss sie keine Zinsen mehr zahlen und spart allein dadurch jedes Jahr 49 Millionen Euro. Bremerhaven bekommt zudem einen Teil der Gewerbesteuereinnahmen aus den Überseehäfen. Das sind rund sechs Millionen Euro pro Jahr. Der Hafen ist in Bremerhaven exterritoriales Gebiet und gehört zum Eigentum der Stadt Bremen.

Nicht mehr die “arme Maus” Oberbürgermeister Melf Grantz betonte: „Viele haben es noch gar nicht realisiert, dass Bremerhaven ab 1. Januar 2020 schuldenfrei sein wird, aber es ist dank der Schuldenübernahme durch das Land so.” Mit der Schuldenübernahme erhalte die Stadt Bremerhaven neue Spielräume, die für Aufgaben in Bildung, öffentliche Sicherheit und anderes dringend benötigt würden. In einem Gastkommentar im Weser Kurier betonte Grantz noch vor wenigen Wochen, dass Bremerhaven als eine der höchst verschuldeten Städte Deutschlands “verschrien” sei, doch das, so Grantz werde sich nun “grundlegend ändern”. Bremerhaven sei nicht mehr die “arme Maus” und könne “erhobenen Hauptes” auf seine Vorzüge hinweisen. Auch Bremens Finanzsenator Dietmar Strehl zeigte sich euphorisch: “Bremen hält Wort. Schuldenfrei über Nacht – davon können die meisten Städte in Deutschland nur träumen.” Doch dieser Traum schien schnell ausgeträumt, denn trotz der Schuldenübernahme vonseiten des Landes steht es um die Finanzen der Seestadt nicht gut. Denn bereits wenige Tage später verkündet die Stadt eine Haushaltssperre. Nur noch die Pflichtausgaben werden finanziert. Für Freiwillige Aufgaben wie Museen, Bibliotheken, Jugendeinrichtungen, Sportplätze, Freibäder, Freizeitangebote,

Die mit der Schuldenübernahme neu hinzugewonnenen finanziellen Spielräume dienen laut Stadtkämmerer Thorsten Neuhoff der Abdeckung der strukturellen Unterfinanzierung des Haushalts, von Steuermindereinnahmen, von Tarif- und Besoldungssteigerungen sowie der Kompensation des ab 2020 geltenden Verbots der Neuverschuldung. “Eine entsprechende finanzielle Entlastung durch das Land war somit unentbehrlich”, so Neuhoff. Foto: BS/TheoRivierenlaan, pixabay.com

Tierparks usw. ist jetzt kein Geld mehr da. Insgesamt sieben Millionen Euro fehlen im Haushalt 2019. Grund für das hohe Defizit sind laut Stadtkämmerer und Bürgermeister Torsten Neuhoff (CDU) die im Haushalt veranschlagten “globalen Minderausgaben”, da diese nicht vollständig aufgelöst werden konnten. Globale Minderausgaben sind Einsparungen im Haushalt, die aber noch nicht konkret unterlegt wurden. Es ist bei diesem Posten damit noch unklar, wo das Geld eingespart wird. Im Haushaltsplan werden sie als negativ veranschlagte Ausgaben (Einsparverpflichtungen) ausgewiesen, die im Rahmen der Ausführung des Haushaltsplans durch Ausgabensenkungen auszugleichen sind.

Einsparungen müssen noch dieses Jahr erfolgen Bremerhaven muss dieses Defizit nun bis Ende des Jahres ausgleichen, denn wenn in der Schlussrechnung für 2019 ein Defizit übrigbleibt, verstößt das Land gegen die Auflagen für die Finanzhilfen des Bundes und riskiert, dass diese ausbleiben. Laut Neuhoff werde die Haushaltssperre den Effekt verstärken, dass die veranschlagten

Mittel einzelner Haushaltsstellen bis zum Jahresende nicht vollständig ausgegeben werden. “Diese Haushaltsreste sollen das Defizit ausgleichen”, erklärt der Stadtkämmerer gegenüber unserer Zeitung. Sollte das gelingen, scheint Bremerhaven für die Zukunft mit der Schuldenübernahme des Landes, die ab 2020 greift, gut aufgestellt zu sein. Doch den positiven Ausblick auf 2020 trüben schon jetzt die jüngsten Ergebnisse der Steuerschätzungen ein. Nach der neuesten Steuerschätzung fällt die Prognose für die Seestadt deutlich schlechter aus als noch im Mai dieses Jahres. 2019 wird Bremerhaven 7,4 Millionen Euro weniger aus Steuern und Kommunalem Finanzausgleich (KFA) erhalten als noch im Mai erwartet. 2020 ergibt sich ein Minus von 5,9 Millionen Euro und 2021 liegen die Einnahmen 6,5 Millionen Euro unter dem Mai-Wert. Ursachen seien sinkende Gewerbesteuereinnahmen und weniger Geld aus dem KFA als noch im Mai erwartet – Hintergrund dafür ist der im KFA enthaltene Steuerkraftausgleich zwischen der Stadt Bremen und Bremerhaven. Das engt den gerade neu gewonnenen finanziellen Spielraum wieder deutlich ein.

Eine aktuelle Untersuchung von rund 1.300 Banken und Sparkassen hat gezeigt, dass gut 150 Geldhäuser mittlerweile Negativzinsen auf Guthaben erheben. Auch viele Kommunen sind davon betroffen. Sie müssen für ihr Guthaben bei Banken teilweise schon seit November 2014 Geld bezahlen. 2017 verlangten dann auch Sparkassen und einige Genossenschaftsbanken ein Verwahrgeld, bei denen viele Kommunen ihre Rücklagen deponieren. Vereinzelt gibt es aber auch im- Die Welt scheint Kopf zu stehen. Immer mehr Banken verlangen von Sparern mer wieder Berichte von Kom- ein Verwahrentgelt und Kredite werden zu negativen Zinsen angeboten. munen, die mit Kassenkrediten Foto: BS/David Mark/pixabay sogar Geld verdienen. So konnte in Brandenburg die verschuldete (DSGV), ob auch die Sparkassen Einzelfällen bereits zu negativen Stadt Fürstenwalde 2017 von einen ähnlichen Schritt erwägen, Zinsen an. “Das heißt, wir zahlen Negativzinsen bei Kassenkredi- zeigte sich der Verband noch den Kommunen für die Aufnahten profitieren. Die Stadt nahm deutlich zurückhaltend. Derzeit me eines solchen Kredites ein einen Kassenkredit mit einem seien die Sparkassen in Deutsch- Agio”, so ein Sprecher der Bank. Volumen von 15 Mio. Euro auf. land technisch noch nicht in der Die Bayern LB bietet solche Es handelte sich bei dem Kredit Lage, negativ verzinste Darlehen Kredite noch nicht an, schließt um ein Drei-Monats-Angebot bei vergeben zu können. “Neben der sie aber “bei andauernd negaeuropäischen Banken, das ein umfassenden IT-Umsetzung wirft tivem Zinsniveau an den KaMaklerbüro vermittelt hatte. Die das geplante Vorgehen zudem pitalmärkten” nicht aus. Auch Stadt bekam für den Kredit laut eine Vielzahl rechtlicher Frage- bei der Hessischen Landesbank Kämmerer Eckhard Fehse 0,32 stellungen auf, wodurch die von (Helaba) beschäftigt man sich Prozent Zinsen. Medienberichten der KfW beabsichtigte Lösung “intensiv damit, wie Kommuzufolge hat auch Hannover 2016 auch rechtlichen Bedenken aus- nalkredite unter Würdigung von auf Kassenkredite in Höhe von gesetzt ist, die letztlich ohne eine Negativzinsen wirtschaftlich ver93 Mio. Euro 0,19 Prozent Zinsen entsprechende Entscheidung des geben werden können”, so ein erzielt. Auch hier waren die Nega- BGH nicht ausgeräumt werden Sprecher der Bank gegenüber tivzinsen nur bei ausländischen können”, erklärte ein Sprecher unserer Zeitung. Anders bei der Investitionsbank Banken aus Skandinavien und des Verbandes gegenüber unSchleswig-Holstein (IB.SH). Hier den Benelux-Ländern verfügbar. serer Redaktion. Aus der KfW heißt es hierzu, geht man davon aus, dass es an Ähnliches im nordrhein-westfälischen Bergisch-Gladbach: Hier man habe die rechtliche Zuläs- den Kapitalmärkten kaum noch habe man 2016 über eine hol- sigkeit von negativen Zinssätzen weiteres Zinssenkungspotenziländische Bank mit Minuszinsen umfassend geprüft. “Wir sind al gibt. “Deshalb halten wir es 3.000 Euro eingenommen. uns sicher, deren rechtliche nicht für erforderlich, Kredite Auswirkungen bei der Vergabe mit negativen Zinsen zu vergeSparkassen sehen rechtliche von Förderdarlehen auch ohne ben”, so ein Sprecher der Bank. Bedenken höchstrichterliche Entscheidung Auch die Landesbank BadenWährend Kredite für Kommunen zu Negativzinssätzen in Darle- Württemberg (LBBW) plant in in der Vergangenheit meist nur hensverträgen mit hinreichender Zukunft nach eigener Aussage über ausländische Banken mög- Sicherheit rechtlich bewerten zu keine Kommunalkredite mit Nelich waren, bereitet nun auch die können”, so ein Sprecher der gativzinsen. Eine Umfrage des Münchner Kreditanstalt für Wiederaufbau Förderbank gegenüber dem Be(KfW) Kredite mit Negativzinsen hörden Spiegel. Hinsichtlich des Unternehmens FinTech Commvor. Die Förderbank teilte mit, IT-Problems zeigte man sich in neX zusammen mit der TU dass man ab 2020 Förderkredite der KfW kreativ. Bis die tech- Darmstadt unter 140 Kommumit negativen Zinsen ausgeben nischen Voraussetzungen ge- nen, kommunalen Unternehmen wolle, solle sich das aktuelle Zins- schaffen werden, um Kredite mit und Finanzinstituten im Jahr Minuszinsen zu vergeben, behilft 2018 hat gezeigt, dass vier von niveau nicht ändern. Auf Nachfrage beim Deutschen man sich dort eines Tricks: Die zehn Banken kurzlaufende LiSparkassen- und Giroverband Darlehen werden ohne Verzin- quiditätskredite an Kommunen sung ausgegeben und die KfW selbst bei negativer Verzinsung zahlt einen Zuschuss, der den für eine attraktive Alternative negativen Zinssatz ersetzten soll. zur Einlage bei der Europäischen Zentralbank (EZB) halten. EntFinanzierung zu Negativzinsprechend seien mehr als jeder sen in jeder dritten Kommune dritten Kommune bereits FinanIm Gegensatz zu den Sparkas- zierungen zu Negativzinsen je sen vergeben andere Banken nach Laufzeit angeboten worden. Während es also schon hier und schon Kredite zu Negativzinsen bzw. planen dieses Angebot für da erste Angebote für Kommunen Kommunen, wie eine Anfrage bei gibt, zeigt sich bei vielen Banken sämtlichen Landes- und Förder- noch Zurückhaltung bei diesem banken des Behörden Spiegel Thema. Kritiker der Negativzinzeigte. So bietet die Investitions- sen befürchten zudem, dass die bank des Landes Brandenburg Verschuldungsbereitschaft der Kassenkredite mit eher kurzen Kommunalpolitiker mit negativ Laufzeiten bis zu drei Jahren in verzinsten Krediten steigt.


Behörden Spiegel / Dezember 2019

Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

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Wider die Heterogenität

Wenn der Hacker das Wasser stoppt

Neue Ideen für die kommunale Selbstverwaltung

Auch Wasserwerke müssen sich gegen Cyber-Angriffe rüsten

(BS/Dr. Ulrich Keilmann/Jörn Fieseler*) Wer regiert die Stadt? Wer steuert? Der Bürgermeister oder die Oberamtsräte in der Verwaltung? Funktioniert die Stadt anders als der Staat? Und welchen Einfluss haben Dritte? Ist die kommunale Selbstverwaltung nur eine formale Begriffshülse zur Befriedigung der Bürger? Diese Fragen wirft Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Eichhorn im ersten Teil seines Buchs “Ohnmacht der Städte” auf und kommt zu einem ernüchternden Befund. Im zweiten Teil eröffnet er neue Denkmodelle und Lösungsansätze.

(BS/wim) Geht es um das Thema Cyber-Sicherheit und Kritische Infrastrukturen, sind meistens CloudBetreiber, die öffentliche Verwaltung mit ihren sensiblen Bürgerdaten oder Krankenhäuser im Fokus. Gerade letztere waren mit Vorfällen rund um ihre Serversysteme schon häufig in den Schlagzeilen. Eine weitgehend analog wirkende, aber ebenfalls hochdigitalisierte Branche wird in der Diskussion häufig in die Nebenrolle gedrängt, obwohl ein Ausfall der Wasserversorgung in nur einer Kommune potenziell fatale Folgen für das Land haben könnte.

Auf insgesamt rund 100 Seiten geht der Autor zunächst den oben skizzierten Fragen auf den Grund und stellt nach einer kurzen Einführung in die Thematik eine umfassende Analyse vor: Demnach seien die Entscheidungskompetenzen auf kommunaler Ebene zu gering, die gesamte kommunale Selbstverwaltung in ihrer jetzigen Ausprägung unzureichend. Eichhorn fordert deshalb, die Stadt- und Gemeindeparlamente weiter zu ertüchtigen, indem sie eigene und mehr Rechtssetzungsbefugnisse bekommen. Zudem müsse auch das Steueraufkommen zu ihren Gunsten umverteilt werden. Das Ziel müsse sein, dass die Kommunen die ureigensten örtlichen Aufgaben selbst gestalten können, statt sie nur an kurzer Leine von Bund und Land zu verwalten. Eichhorn untermauert seine Argumentation mit dem Anteil der sogenannten Pflichtaufgaben an den Gesamtaufgaben. Die staatlichen Aufgaben würden vier Fünftel des Gesamtvolumens ausmachen. Die übrigen Aufgaben seien aus Sicht des Staates freiwillige Aufgaben. Aus Sicht der Bürger handle es sich dabei aber keineswegs um eine Kür, sondern um Aufgaben, die ihnen geschuldet seien. Pro­ blematisch sei zudem, dass die Aufgabenerfüllung nach Kassenlage erfolge. Doch angesichts zunehmender Aufgaben, die von Bund und Ländern an die Kommunen übertragen würden, würden die finanziellen Spielräume immer enger. Die Finanzierung sei fremdbestimmt, so Eichhorn.

Neue Horizonte Im zweiten Teil konstatiert der Wirtschaftswissenschaftler zunächst die Unterschiedlichkeit der Landkreise. Diese würden zwischen sechs und 235 kreisangehörige Gemeinden umfassen, zwischen 80.000 und 300.000 Einwohner zählen und seien insgesamt ausgesprochen heterogen aufgestellt. Eichhorn schlägt – ge-

rade in stark ländlich geprägten Gebieten – die Bildung von Regionalkreisen vor. Die Regionalkreise als Gemeindeverband sollten eine Kernstadt mit mindestens 40.000 Einwohnern und die im Umland liegenden Gemeinden umfassen. Die Idee eines solchen Regionalkreises erlaubt einen diagonalen Denkansatz und ist schon deswegen neu und interessant. Der Regionalkreis will Fläche und ländlichen Raum mit wirtschaftlicheren Strukturen vereinen, um auch damit Gestaltungsspielräume für die Kommunen zu generieren. Er eröffnet zudem aber auch neue Denkstrukturen und schafft so Spielraum und Platz für neue Denkmodelle und Lösungsansätze. Das tut Not in der aktuellen Phase, in der die Handlungsspielräume der Kommunen sehr überschaubar und das kommunale Selbstverwaltungsrecht der Kommunen im Wesentlichen auf das Wie begrenzt ist. In diesem Kontext diagonaler Denkmodelle greift Eichhorn fünf weitere zentrale Aspekte auf: Er wirbt vehement dafür, die bestehende Förderpraxis von Bund und Ländern (“Goldene Zügel”), die zwingend eine kommunale Ko-Finanzierung einfordert, kommunales Geld abschöpft und Fehlanreize setzt, abzuschaffen. Stattdessen wirbt er nachdrücklich für eine gerechtere Steueraufteilung hin zu den Kommunen, um ihnen so wieder die Handlungsspielräume zu verschaffen, die sie brauchen, um die anstehenden Herausforderungen auch angehen und meistern zu können. Dafür braucht es zudem ein einheitliches, objektiviertes und über die kommunalen Grenzen reichendes Steuerungs- und Buchungssystem – der Doppik, um die Kommune professionell wie ein Dienstleistungsunternehmen führen zu können. So ausgestattet und aufgestellt lassen sich auch die Herausforderungen der Zukunft angehen.

Allein das Onlinezugangsgesetz (OFZ) gibt Meilensteine der Digitalisierung bis Ende 2022 vor. Das erscheint zunächst noch lange hin. Gleichwohl ist die Ausgangsbasis in ganz Deutschland niederschwellig und damit auch für die Kommunen noch viel Luft nach oben, die angegangen und bewältigt werden muss. Die Erwartungshaltung der Bürger ist hoch und orientiert sich mindestens am Standard der Unternehmen. Mit der Digitalisierung ist der Umstellungsprozess von analog auf digital nicht abgeschlossen. Vielmehr projiziert es in den Köpfen der Bürger visionäre Bilder einer Smart City. Beflügelt von der Vorstellung eines flächendeckenden Ausbaus poppen nicht nur selbstfahrende Autos in Großstädten, sondern eben auch ein autonom funktionierender ÖPNV in ländlichen Gegenden rund um die Uhr auf. Summa summarum ein kompaktes Buch, das kurz, treffend und prägnant die kommunalen Problemlagen skizziert und dabei spielend Denkräume für neue Modelle, Strukturen und Lösungsansätze schafft. * Dr. Ulrich Keilmann ist Direktor beim Hessischen Rechnungshof, Jörn Fieseler ist Redakteur beim Behörden Spiegel.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Eichhorn: Die Ohnmacht der Städte – neue Aufgaben für Bürgermeister und Stadträte, Berliner Wissenschaftsverlag 2018.

MELDUNG

Kläranlage goes Klimaschutz (BS/kh) Der Ruhrverband (RVR) hat mit dem Bau einer neuen Kläranlage am Standort Altena begonnen. Die Reinigung des Abwassers soll ab 2021 durch das neuartige Nereda®-Verfahren erfolgen, mit dem der Flächenbedarf und der Betriebsaufwand reduziert werden. 30 Prozent Energie werden im Gegensatz zu konventionellen Verfahren eingespart. Das Pilotprojekt wird aus dem Umweltinnovationspro-

gramm mit rund 1,4 Millionen Euro gefördert. “Wir werden für den Neubau der Kläranlage insgesamt 14,5 Millionen Euro investieren und freuen uns deshalb über die Bundesförderung”, betont Prof. Norbert Jardin, RVRVorstandsvorsitzender. Beim in den Niederlanden entwickelten Nereda ®-Verfahren bilden die abwasserreinigenden Mikroorganismen nicht die sonst übliche Flockenstruktur, sondern

schließen sich zu kompakten, kugelförmigen Granulen zusammen. Das ermöglicht den weitestgehend gleichzeitigen Ablauf aller biologischen Reinigungsprozesse in einem Reaktor. So kann auf Nachklärbecken verzichtet werden, wodurch Flächenbedarf und Betriebsaufwand verringert werden können. Durch eine auto­ matisierte Prozesssteuerung muss die Anlage personell nicht mehr dauerhaft besetzt sein.

Das “Gesundheitshaus der Zukunft” Kautschuk-Böden für eine positive Atmosphäre (BS/ Doris Janik*) Der Patient steht an erster Stelle – dies war der Grundsatz beim Neubau der Klinik Floridsdorf in Wien. Für ein patientenzentriertes Ambiente mit Wohlfühlcharakter wird in einem der zukunftsweisenden Krankenhäuser Europas viel getan. Für das High-Tech-Spital war ein hochwertiges Materialkonzept selbstverständlich. Beim Boden fiel die Wahl auf Kautschuk-Beläge von nora systems. noraplan sentica und noraplan sentica ed liegen auf fast 80.000 Qua­ dratmetern im ganzen Gebäude: in Patientenzimmern, Fluren, Therapiebereichen, Laboren, OPs und den Intensivstationen. Die Kautschuk-Beläge schaffen mit ihren harmonischen Far-

ben eine positive Atmosphäre und sind gleichzeitig durch ihre funktionalen Eigenschaften wie hohe Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit ebenso nachhaltig wie wirtschaftlich im Unterhalt. Durch ihre hervorragende Akustik und Ergonomie bieten sie für Patienten und Personal höchsten Komfort im “Wohfühlspital”. *Doris Janik ist Pressereferentin bei der nora systems GmbH.

In der Klinik Floridsdorf, einem der zukunftsweisenden Krankenhäuser Europas, liegen Kautschukböden von nora systems. (Foto: BS/ © Markus Bachmann)

Besonders heikle Beispiele für die Unsicherheit in vielen Kommunen brachte die Geschichte zweier IT-Experten hervor, die sich zu Testzwecken auf die Suche nach hackbaren Klär- und Wasserwerken machten. Über ein Webtool fanden sie problemlos weit über 100 Einrichtungen, die sie über die Weboberfläche eines gängigen Prozessleitsystems ansteuern konnten. Ohne weiteren Aufwand und irgendwelche Hacking-Werkzeuge konnten sie sich anschließend zu gut zwei Dutzend dieser Wasserwerkssysteme durch bereits vorausgefüllte Nutzernamen und das Erraten viel zu einfacher Passwörter Zugang zu den Steuerungssystemen verschaffen – teilweise sogar mit weitreichenden Administratorrechten. In den letzten zwölf Monaten kam es immer häufiger zu ähnlichen Meldungen über Sicherheitsvorfälle bei Betreibern von Strom, Gas und eben Wasser. Hierbei geht es laut den zuständigen Behörden häufig nicht darum, Geld aus den Kommunen bzw. Stadtwerken herauszupressen, sondern um gezielte Manipulationen und Sabotage.

Höhere Standards bei Gas und Strom Um solche Angriffe möglichst zu vermeiden, hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zwar einen eigenen Branchenspezifischen Sicherheitsstandard (B3S) für Wasser und Abwasser aufgebaut, nimmt aus diesem nach dem

IT-Sicherheitsgesetz allerdings sämtliche Wasserwerksbetreiber aus, die unter einem Schwellenwert von 500.000 angeschlossenen Einwohnern (Abwasser) bzw. 22 Millionen m³ an jährlichem Wasseraufkommen (Trinkwasser) bleiben. So sollten zwar die meisten Verbund- und Metropolbetreiber von der Gesetzgebung abgedeckt sein, kleine und mittlere Kommunen mit eigener Trinkwasser- und Abwasserinfrastruktur laufen aber vollkommen

Wenn das Wasser versiegt, ist heutzutage immer wahrscheinlicher, dass Hacker am Werk waren. Da kleine Gemeinden aus den BSI-Richtlinien herausfallen, ist eine Steuerung ohne digitale Anbindung oft der sicherste Weg. Foto: BS/marlonferrerdaniel, Pixabay.com

unter dem Radar und sind daher selbst dafür verantwortlich, ob sie sich eine verstärkte ITSicherheit leisten (können) oder nicht. Demgegenüber stehen die Gas- und Energieversorgungsnetze der Republik, bei denen das BSI keine Unterscheidung über Schwellenwerte vornimmt; stattdessen müssen in diesen Bereichen pauschal alle Betreiber beim BSI registriert sein. Und all das, obwohl die Bonner IT-

Sicherheitsbehörde aber gerade die Wasserinfrastruktur schon seit einer Weile als besonders gefährdet ansieht. Bereits in seinem Bericht zur Lage der IT-Sicherheit aus dem Jahr 2017 erwähnte sie eine Reihe von Angriffen auf die Netze von öffentlichen Wasserwerksbetreibern und betonte, eine “Störung, Beeinträchtigung oder gar ein Ausfall durch einen Cyber-Angriff oder IT-Sicherheitsvorfall kann zu nachhaltig wirkenden Versorgungsengpässen, erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit oder anderen dramatischen Folgen führen”. Grund zur Sorge brachte in dem Bericht die Aussage, dass keiner der angegriffenen Wasserwerksbetreiber sich der Gefahr bewusst war. Dennoch versuchte das BSI damals, die Situation lobend abzuschließen: “Sie reagierten sehr kooperativ und schlossen die offenen Zugänge kurzfristig. Bei einer später durch das BSI durchgeführten Nachprüfung waren die Anlagen öffentlich nicht mehr erreichbar.” Andere Kommunen gehen einen umständlichen, aber deutlich sichereren Weg, wie beispielsweise die hessische Gemeinde Hatzfeld. Dort wird ebenfalls jenes anfällige Softwaresystem wie in den meisten anderen Kommunen genutzt, allerdings ist ein Login nur als Gast möglich, egal ob vom Hacker oder vom Systemadministrator. Um das Netz zu schützen, sind sämtliche aktiven Prozesse nur direkt vor Ort umsetzbar; das digitale System dient lediglich der Überwachung der Anlagen.


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Behörden Spiegel / Dezember 2019

Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur D

ie Ausgangslage ist inzwischen bedenklich, das geben die zuständigen Politiker und Verwaltungsmitarbeiter ganz offen zu. Dr. Michael Frehse, Leiter der neu aufgebauten Abteilung Heimat im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), macht sich auch für die nahe Zukunft keine Illusionen, obwohl die Arbeit gut vorangehe: “Wir hatten in Deutschland seit rund 20 Jahren keine ganzheitliche Landesentwicklung und Strukturpolitik mehr. Das Ergebnis dieser Verfehlungen sieht man jetzt. Und es wird dauern, bis man einen spürbaren Effekt erreichen kann, aber trotz allem muss es nun endlich losgehen.” Die Mammutaufgabe, das Land in allen Regionen wieder auf gleichermaßen zukunftstaugliche Beine zu stellen, müsse von allen Ministerien gemeinsam gestemmt werden, mit Ausnahme der Ministerien für Verteidigung und Entwicklungshilfe, die durch ihre Sonderfunktionen etwas außen vor zu sehen seien, so Frehse. Neben dem BMI-Abteilungsleiter sieht auch der stellvertretende Vorsitzende im Bundestagsausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommune, Volkmar Vogel (CDU), ein­ jahrzehntelanges Versäumnis der Politik zulasten des ländlichen Raumes: “Seit der Wiedervereinigung wurde ein sehr großer Fokus auf die Strukturen rund um die Zusammenführung der beiden deutschen Staaten gelegt und dabei das große Ganze aus dem Blick verloren.” Nun müsse man dafür sorgen, dass es wieder vorangehe und für wirklich gleichwertige Lebensverhältnisse im Wortsinn sorgen, denn nicht alles müsse in Stadt und Land “gleich” sein: “Wir müssen überlegen, was gleich sein muss und was nicht. Digitalisierung und Breitbandanschlüsse müssen aber auf jeden Fall gleich sein, denn das ist nichts anderes als das Fernsehen und Radio des 21. Jahrhunderts.” Gleichwertigkeit sieht für den Bundestagsabgeordneten so aus, dass nicht jede Kleinstadt eine eigene Uni haben könne, aber dennoch könnten wirtschaftsnahe Forschungs-

B

auvorhaben stehen und fallen mit dem Projektmanagement. Darunter will Dr. Barbara Buhr aber mehr als die Umsetzung aus baufachlicher Sicht verstanden wissen. Es gehe um eine zentrale Steuerung aus Auftraggebersicht über die Projektphasen Planung, Vergabe und Umsetzung hinweg, so die Rechtsanwältin von KMPG Law. “Um gerade bei größeren Vorhaben Informationsverluste zu vermeiden, sollte auf personelle Kontinuität über die Phasen hinweg Wert gelegt werden”, so Buhr. Das Team müsse zudem sowohl über fachliche als auch über Steuerungskompetenzen verfügen, um einen kosten- und zeiteffizienten Ablauf zu gewährleisten. Gerade in kleinen Kommunen sei das eine große Herausforderung. “Sie brauchen aber das Wissen und die Erfahrung, um selbstbewusst Entscheidungen treffen und gegenüber den anderen Beteiligten durchsetzen zu

Fernsehen des 21. Jahrhunderts Gleichwertigkeit darf nicht mit Gleichheit verwechselt werden (BS/Wim Orth) Dass die Schere zwischen Stadt und Land immer weiter aufgeht, ist inzwischen auch in höchster Instanz der Politik angekommen. Seit Horst Seehofer als Bundesinnenminister das Thema Heimat in den Titel seines Hauses aufgenommen hat, kommt spürbar Bewegung in die Diskussion. Gerade noch rechtzeitig? Fakt ist: Das Land blutet langsam, aber stetig aus und neue Lösungen müssen schnell gefunden und nachhaltig umgesetzt werden. Und das nicht von einem Akteur allein, sondern von Bund, Land und Kommunen gemeinsam.

Damit der ländliche Raum nicht noch weiter abgehängt wird, fordert der Paderborner Landrat Manfred Müller (re.) eine bessere finanzielle Versorgung von Bund und Ländern für die Kommunen. Nur so könnten wichtige Projekte wie eine bessere ÖPNV-Versorgung realisiert werden. Christian Pegel (li.), Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern, setzt neben besseren analogen Services für den Bürger vor allem auf die Kraft der Digitalisierung. Um diese in die Fläche zu bringen, müsse sich die Strategie von Politik und Verwaltung aber von kapitalistischen Gedanken komplett lösen. Den ersten Akzent des Kongresses setzte der Moderator der Veranstaltung: Staatssekretär a. D. Fritz Rudolf Körper. Fotos: BS/Dombrowsky

einrichtungen gefördert werden, um die dortigen Gewerbestrukturen zu fördern, so Vogel: “Dörfer waren früher Gewerbestrukturen, das müssen wir wieder erreichen. Reine Schlafdörfer können nicht zielführend sein”, so der CDU-Mann. Auch die bereits begonnene Ansiedlung von Behörden in unterversorgten Gebieten sieht Vogel als gute Möglichkeit zum strukturellen Wiederaufbau des ländlichen Raumes.

Kommunen brauchen Unterstützung Wenn dieser nämlich noch länger ausbleibt, ist es wenig verwunderlich, dass die ländlich gelegenen Kleinstädte, Dörfer und Siedlungen immer älter werden. Wo keine Jobs und keine Perspektive zu finden sind, haben junge Leute – abgesehen von Melancholie und Heimatliebe – wenige Gründe, zu bleiben. Und von Heimatliebe kann man die Miete eben nicht bezahlen. Ein Trend, den Manfred Müller, Landrat des Kreises Paderborn, nur zu gut kennt. In seinem

kleinen Oberzentrum am Rande des Ruhrgebietes gibt es um die Stadt herum viel ländlich geprägten Raum, in dem alle strukturellen Probleme bekannt sind, die aktuell bundesweit diskutiert werden: Die medizinische Versorgung wird schwieriger, die Anbindung an Breitband, Mobilfunk und Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist unzureichend und die Bildungsangebote für junge Menschen sind schwer zu erreichen: “Vor allem bei der Mobilitätsversorgung brauchen die Kommunen Unterstützung von den höheren Ebenen. Bus und Bahn müssen den ländlichen Raum dringend wieder erschließen, damit wir gleichwertige Verhältnisse erreichen können. Aber finanziell ist diese Versorgung für die Kommunen allein nicht zu bewältigen”, so der Landrat.

Infrastruktur vom ­Kapitalismus entkoppeln Aber nicht nur schnelles Internet und guter ÖPNV sind zen­ trale Punkte, die auf dem Land gegeben sein müssen,

meint Christian Pegel, Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung in MecklenburgVorpommern: “Infrastruktur sind nicht nur Gleise und Straßen, sondern auch Dienstleistungen und Menschen. Und an der Stelle ist ganz klar auch die öffentliche Verwaltung ein Teil dieser Infrastruktur.” Diese würde sich seit einigen Jahren ebenfalls spürbar aus dem ländlichen Raum herausziehen, was Pegel als schlechte, wenn auch notwendige Entwicklung sieht. Deshalb gelte es, alternative Zugänge zur Verwaltung zu schaffen: “Wenn Gemeinden heutzutage in zentralen Hauptverwaltungen gepoolt werden, dann müssen wir die digitalen Möglichkeiten auch im Sinne des Bürgers nutzen. Es kann nicht sein, dass man für einen zehnminütigen Termin mit einem Bus zu diesem Hauptamt fahren muss, der einmal morgens und einmal nachmittags fährt.” Um solche Probleme zu lösen, brauche es einen grundsätzlichen strategischen Wandel beim staatlichen Handeln, das

entkoppelt von Kapitalismus und Marktgetriebenheit funktioniere, denn “Infrastruktur ist Daseinsvorsorge für die Menschen. Wenn wir da den Ansatz nicht ändern, wird die Unzufriedenheit immer weiter zunehmen und dann brauchen wir uns über irgendwelche Wahlergebnisse gar nicht mehr zu wundern”, so der Minister.

Alternativen zu Lizenzversteigerungen Grundsätzlich sei vor allem der viel beschworene Digitalausbau auf dem Land unerlässlich, denn nur eine nachhaltige Digitalisierung auf dem Land führe zu einer objektiven und subjektiven Gleichwertigkeit, so Pegel. Dabei müssten OnlineDienstleistungen endlich von der Sichtweise des Bürgers gedacht und entwickelt werden, vor allem von älteren Bürgern her, die nicht mit Fachinformationen überfrachtet werden dürften. Neben den Verwaltungsdienstleistungen aus dem Onlinezugangsgesetz (OZG) sei aber vor allem auch die ärztliche

Stop mit “shit in = shit out” Auftraggeber und Bieter müssen zu neuen Formen der Zusammarbeit finden (BS/stb/jf) Baustau – mit diesem einen Wort lässt sich die Situation in Deutschland auf den Punkt bringen. Unabhängig, ob es dabei um Wohnungen, Schulen, Kindertagesstätten, Straßen, Brücken oder die öffentliche Kanalisation geht. Die Planungen müssen vereinfacht, öffentliche Aufträge schneller vergeben werden. Und das alles ohne die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Dazu müssen neue Lösungen und Verhaltensweisen her. können”, sagt Buhr. Eine der wichtigsten Entscheidungen muss schon relativ frühzeitig getroffen werden, nämlich die über das Realisierungsmodell. Die Mehrzahl der Zuschläge erfolge nach der losweisen Vergabe, so die Rechtsanwältin, doch gebe es mit Generalunternehmermodellen, Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) und Mehrparteienverträgen noch eine Reihe weiterer Optionen, jede mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen. Buhr: “Es empfiehlt sich, sich viele dieser Realisierungsmodelle anzuschauen, um vor dem Hintergrund von Zeit, Kosten und Risiken das Bestmögliche auszuwählen.”

Erläuterte die Vorzüge verschiedener Realisierungsmodelle: Dr. Barbara Buhr von KPMG Law. Fotos: BS/Dombrowsky

Demgegenüber votiert gerade die Bauwirtschaft für partnerschaftliche Modelle. “Nur in einer Partnerschaft schaut man sich auf gleicher Höhe in die Augen”, unterstreicht Carsten Hense. Der Geschäftsbereichsleiter der Firma Goldbeck sieht jedoch die öffentlichen Auftraggeber weiter in der Pflicht: “Sie müssen sich frühzeitiger mit Problemlagen beschäftigen und Änderungen im Projekt auf ein Minimum reduzieren. Gerade bei großen, komplexen Bauvorhaben.” Noch einen Schritt weiter geht Thomas Jansen, Geschäftsführender Gesellschafter von RKW Architektur +: “Wir müssen wegkommen von der

Verlagerung von Risiken auf die jeweils andere Seite.” Im englischsprachigen Raum gebe es eine Gleichung: “shit in = shit out”. Wenn es aber kein “shit in” gebe, könne auch nichts rauskommen. Und zugleich dürfe der Preis nicht länger allein im Vordergrund stehen. “Beim Metzger werden wir gefragt, “darf es ein bisschen mehr sein”, wir sagen ja und bezahlen es. Beim Bau wird hingegen die beste Leistung zum geringsten Preis gefordert. Das funktioniert nicht”, so der Architekt. Gerade nach dem Wegfall der Mindestsätze in der HOAI müssen die öffentlichen Auftraggeber mehr auf die Quali-

Versorgung ein zentraler Punkt, der aktuell auf eine kritische Schwelle hinsteuere: “Ich weiß, wie rar die Zahl der Ärzte auf dem Land inzwischen geworden ist. Bei der Versorgung fallen uns demnächst die Leute einfach um”, warnt der Minister. Hier müsse man die Frage beantworten, wie man die ärztliche Versorgung verbessern und erleichtern könne: “Ein Beispiel ist die Überwachung von chronischen Herzerkrankungen, die nach aktuellem Stand vom Hausarzt erhoben werden müssen. Das kann man stattdessen auch von einer App machen lassen. In der Uni-Klinik Rostock haben wir ein Callcenter mit sechs Ärzten, die sich die Werte dann ansehen und analysieren können. Dasselbe ist auch für Diabetes und andere Krankheiten möglich.” Auch Rettungswagen werden in Mecklenburg-Vorpommern mit Kamera ausgestattet und so für die Telemedizin befähigt. Rettungssanitäter seien hervorragend ausgebildet, allerdings dürften sie nach Gesetzeslage nur auf Anweisung eines Arztes handeln. Warum also nicht den Arzt per Videosystem zuschalten? Allerdings brauche es auch für solche Maßnahmen eine entsprechende digitale Infrastruktur, gerade im ländlichen Raum. Die Technik hilft wenig, wenn der Rettungswagen erst zum nächsten Funkmasten fahren muss, um eine stabile Verbindung nutzen zu können. Deshalb plant das Land den Ausbau von über 230 Funkmasten, um die sprichwörtlichen Funklöcher zu schließen. Darüber hinaus könne man für einen sinnvollen Mobilfunkausbau statt der aktuellen Praxis beispielsweise Mobilfunklizenzen kostenlos vergeben und die Vergabe mit Auflagen zur Investition in ländliche Gebiete versehen.

JETZT VORMERKEN!

Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur Der nächste Kongress findet am 2. Dezember 2020 erneut in Berlin statt. www.oeffentliche-infra struktur.de/

tät achten, betont Dr. Werner Weigl, geschäftsführender Gesellschafter der BBI Ingenieure GmbH. In diesem Kontext fordert er mehr Mut von den Auftraggebern, die qualitativen Aspekte von Angeboten unterschiedlich zu bewerten. Denn wenn die Qualität bei allen Bietern auf 100 Punkte gesetzt werde, entscheide am Ende immer der Preis, egal, wie viele Prozentpunkte auf die anderen Kriterien entfallen. Und: Die Verschriftlichung von Präsentationen in Prosatexte für eine ausführliche Dokumentation in der Vergabeakte müsse beendet werden. Gleichzeitig seien aber auch die Unternehmen gefordert, ist sich Weigl mit Tim-Oliver Müller, Geschäftsbereichsleiter Wirtschaft und Recht beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, einig. Die Bieter müssten ihren Konkurrenten auch die Aufträge gönnen und nicht ständig die Verfahren rügen und die Vergabekammern anrufen.


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Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur

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Höher, weiter, dichter

Behörden Spiegel / Dezember 2019

aut Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) gibt es in Berlin und dem Berliner Umfeld Flächenpotenziale für rund 218.000 Wohnungen. Für Berlin werden hierbei maximal 153.000 (BS/Katarina Heidrich) Dass die Wohnraumversorgung zur Daseinsvorsorge gehört, ist unumstritten. Dass eine funktionierende, flächendeckende Wohneinheiten genannt, für das Infrastruktur zur Daseinsvorsorge gehört, ebenso. In der Realpolitik wird allerdings beides noch nicht ausreichend zusammengedacht, um von Umland wird das Potenzial auf wachsenden Ballungszentren den Druck zu nehmen. Die Frage “Wem gehört die Stadt?” wird immer öfter gestellt. maximal 65.000 Wohnungen beziffert. Christian Krüger, Be- rauf ausgerichtet sein, auch im reichsleiter Portfoliomanagement ländlichen Raum die Strukturen bei der landeseigenen Berliner beizubehalten. Staat und Politik Immobilienmanagement GmbH hätten sich in der Vergangenheit (BIM), erklärt mit Blick auf das stark aus der Daseinsvorsorge innerstädtische Verdichtungspo- zurückgezogen und Infrastruktenzial: “Wir haben keine Angst tur rein technisch betrachtet, so vor enger und höher.” Die BIM Lompscher beim Bundeskongress könne dabei helfen, indem sie Öffentliche Infrastruktur. Es fehzum einen versuche, Flächen le an einer sinnvollen Steuerung: aufzukaufen und selbst Grund- Regionen mit abnehmender Bestücke zu entwickeln und zum völkerungszahl benötigten veranderen Grundstücke für den stärkte Strukturhilfen. Wohnungsbau zur Verfügung stelle – 2018 seien das über 20 Steuerung der Flächennutzung gewesen. Aber geht zunehmende VerdichAm Beispiel von Berlin und tung nicht an den Bedürfnissen Brandenburg erläutert sie, wie der Bewohner vorbei? Krüger man “planerisch das Wachstum betont, dass es noch genug Flä- in den Raum hineinsteuern” könchenpotenzial gebe, aber die Fra- ne und somit das Umland stärke. ge sei auch, welchen Anspruch je- Die Hauptstadtregion habe seit Katrin Lompscher, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin, plädiert auf dem Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur für eine gemeinsame Raumentwicklung von Stadt und Umland. mand habe, in der Stadt zu leben. diesem Jahr einen gemeinsaFotos: BS/Dombrowsky men Landes“Man kann es nicht ganz entwicklungs“Die Verbindung von plan, denn das Christine Karasch, erklärt, es und mittleren Preissegment auch hier fände eine zunehmenauflösen, man Wachstum der gebe bestimmte Strukturen, die wächst nicht im selben Umfang de Verdrängung der mittleren wird verdichflächenbezogener Städte zulasten nur überlokal funktionierten – mit. Tobias Goldschmidt, Staats- und unteren Einkommen in die ten müssen”, zu Netz-Planung ist unterstreicht des ländlichen wie etwa eine Verkehrsgesell- sekretär im Umweltministerium Außenbereiche statt. Karasch entscheidend für die er. Allerdings Raumes werde schaft. Die Region Hannover des Landes Schleswig-Holstein, erklärt, die innerstädtischen zum Problem bestehe aus 41 Kommunen, die kann das für Kiel bestätigen. Na- Flächen seien zwar theoretisch könnte das inDaseinsvorsorge.” für beide, so “sehr miteinander verschmolzen türlich sei der Druck noch nicht bebaubar, aber sie würden oftnerstädtische Lompscher. Die sind, auch was die Aufgaben so groß wie andernorts, aber mals gehalten, für andere ZweFlächenpoKatrin Lompscher E n t w i c k l u n g betrifft”, so Karasch. Alle Komtenzial sogar s o l l e n t l a n g munen hätten ein Wohnraumnoch höher sein, denn einige Punkte würden der bestehenden SPNV-Achsen versorgungskonzept, da es eine nicht erfasst. “Potenziale durch erfolgen. In der inneren Stadt Notwendigkeit der Verteilung im Anbau, Aufstockung, Dachaus- bilde das Netz ein engmaschi- Raum gebe, betont die Dezerbau, Umnutzung oder andere ges Gitter, in der äußeren da- nentin. Hier müsse man steuern Maßnahmen im Bestand sind gegen ein radiales System bis und Förderzugänge schaffen. nicht kalkuliert, weil der Aufwand ins Umland hinein. Das würde Insgesamt, so fordert Karasch, zu hoch wäre, sie für die ganze bedeuten, dass Orte, die jetzt gelte es immer, die Balance zu Stadt zu erfassen”, heißt es im nicht angeschlossen sind, dies halten zwischen der SelbstverStadtentwicklungsplan Wohnen auch blieben. Deshalb sei auch waltung der Kommunen und 2025. der “Sprung in die zweite Reihe, übergeordnet steuernd zu agieum dort Gemeinden anzubinden” ren. Im Bereich Verkehr sei das Raus aus den Zentren wichtig, so die Senatorin: “Die schon fortgeschrittener, in der Katrin Lompscher, Berlins Se- Verbindung von flächenbezoge- Flächennutzung noch nicht. natorin für Stadtentwicklung ner zu Netz-Planung ist entscheiund Wohnen, kritisiert die ein- dend für die Daseinsvorsorge.” Verdrängung in die ­Außenbereiche Doch nicht nur in Berlin hat seitige Fokussierung der Infrastrukturpolitik auf die Zentren. man das erkannt. Die DezerDoch bis das erreicht ist, wachTobias Goldschmidt, Staatssekretär im Umweltministerium des Landes Schleswig-Holstein, spricht sich für autofreie Innenstädte aus. Eine verantwortliche staatliche nentin für Umwelt, Planung und sen die Städte stetig und das Infrastrukturpolitik müsse da- Bauen der Region Hannover, Wohnungsangebot im unteren

Wohin sollen sich wachsende Städte ausdehnen?

Das Geld auf die Straße kriegen

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erlin wurde vor Jahren noch gerne als Beispiel für ungezügelte Staatsverschuldung herangezogen. Seit 2010 wurde ein strenger Konsolidierungskurs eingeschlagen, um die Neuverschuldung deutlich abzubauen. “Mittlerweile haben wir den vierten Haushalt in Folge ganz ohne Neuverschuldung”, freut sich Vera Junker, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin. Mit der Schuldenbremse könnte die Fortsetzung des Kurses allerdings schwierig werden. Es sei abzusehen, dass ab 2022 die Zielerreichung Minderausgaben erfordern würde.

Sind öffentliche Haushalte fit für Infrastrukturinvestitionen? (BS/Benjamin Stiebel) Wer bauen will, braucht Geld. Und das könnte in den nächsten Jahren deutlich knapper in die Staatskassen fließen, glaubt man den immer trüber werdenden Konjunkturprognosen. Hier und da wird gerne schon das Wort “Rezession” in den Mund genommen. Mit Wirksamwerden der Schuldenbremse für die Länder im nächsten Jahr werden finanzielle Spielräume zudem kleiner. Dabei sind vielerorts noch erhebliche Investitionen in städtische und ländliche Infrastrukturen nötig, zumal in digitale. Doch längst nicht alle wollen schon den Rezessions-Teufel an die Wand malen. Sie sehen Probleme eher darin, vorhandene Mittel zeitnah und zielführend einzusetzen.

Finanzielle Lage im Umbruch “Noch ist die finanzielle Situation aber sehr günstig”, betont Junker. “Auch das überproportionale Wachstum der Stadt finden wir trotz aller damit verbundenen Herausforderungen vor diesem Hintergrund erfreulich.” Der erhebliche Zuwachs von jüngst rund 40.000 Einwohnern pro Jahr habe natürlich erhebliche Bedarfe im Bereich der Infrastrukturen mit sich gebracht. Berlin habe trotz ehrgeiziger Konsolidierungsziele die nötigen Konsequenzen gezogen, so die Staatssekretärin. “Wir haben Investitionen in Schulen vervierfacht und in Kitas verdreifacht.” Ein Riesenthema sei bekanntermaßen die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum im Stadtgebiet. Hier verpflichte sich Berlin finanziell unter anderem durch den Rückkauf von Wohnungen.

Sieht Schwierigkeiten für eine Fortsetzung des Berliner Konsolidierungskurses, wenn die Schuldenbremse anzieht: Finanzstaatssekretärin Vera Junker.

“Aber ehrlicherweise lässt sich das alles so nur aufgrund der momentan noch guten Konjunktursituation ermöglichen”, räumt Junker ein. Dass der Geldsegen nicht ewig anhalten würde, sei klar. Den teils sehr schwarzmalerischen Prognosen will sie sich allerdings nicht anschließen: “Wir sehen nicht unbedingt dunkle Wolken am Horizont. Wir gehen eher von einer Normalisierung der Konjunktur aus.” Dem stimmt auch Michael Stroschein

Der Leipziger Stadtkämmerer Michael Tirpitz kritisiert bürokratische Hürden bei der Inanspruchnahme von Fördermitteln.

Fotos: BS/Dombrowsky

zu, Associate Director bei S&P Global Ratings Europe. Seine Agentur geht für Deutschland nur von einer Abschwächung der Wirtschaftskraft, nicht aber von einer Rezession aus. “Nach unseren Prognosen wird das Wachstum auf etwa 0,5 Prozent zurückgehen und sich dann bei etwa einem Prozent einpegeln”, so Stroschein. Er merkt allerdings auch an, dass für Deutschland als Exportnation ein gewisser Unsicherheitsfaktor im Spiel sei:

“Sämtliche Unwägbarkeiten in der Welt können Einfluss haben.” Den Finanzierungssaldo für die öffentliche Hand im Ganzen sieht Stroschein auf 0,2 Prozent im Jahr 2022 sinken. “Das ist bei Weitem nicht so hoch wie in den letzten Jahren, die große Katastrophe wird aber ausbleiben.” Aus Überschüssen und den trotz Schuldenbremse erlaubten Schulden ergäben sich weiterhin Investitionspuffer, mit den sich arbeiten ließe. Die Hausaufgabe

werde es sein, die vorhandenen Kapazitäten sinnvoll zu nutzen. Stroschein: “Sie müssen das Geld auch auf die Straße kriegen.

Abbau bürokratischer Hürden gefordert Das sei gerade in der noch anhaltenden Hochkonjunkturphase nicht die leichteste Übung, wie Michael Tirpitz, Stadtkämmerer der Stadt Leipzig, berichtet. In der sächsischen Großstadt sei seit Jahren ein überdurchschnittli-

cke. Also werde draußen gebaut und damit Flächenversiegelung vorangetrieben.

Recht auf Stadt? “Wir haben ein Pendel, das ausschlägt in Richtung Schutz des Eigentums, aber zulasten des Gemeinwohls”, moniert Hilmar von Lojewski, Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag (DST). Neben einem deutlich gemeinwohlorientierteren Baurecht brauche es auch höhere Dichten und ein Umdenken des eigenen Konsumverhaltens. Es gebe viele Ansprüche, aber nach dem Prinzip “not in my backyard” solle die Umgebung nicht verändert werden. Was dabei auch eine Rolle spielt: die Pro-Kopf-Wohnfläche ist seit Ende der 90er-Jahre stetig gestiegen. Städtische Raumverteilung sei ein Aushandlungsprozess, so von Lojewski. Doch in den Städten werden nicht nur Wohnungen knapp, sondern auch Büroimmobilien. Die BIM setze ein Projekt zur Steuerung der Unterbringungsbedarfe um, erklärt Krüger. “Es wird auch dahin gehen, dass wir für die Verwaltung wieder Neubauten errichten.” Dabei würden auch Fragen der modernen Arbeitswelten mitgedacht, da diese mit effizienter Flächennutzung zu tun hätten, so Krüger. Karasch warnt allerdings davor, es könne zum Problem werden, wenn Mitarbeiter trotz mobilen Arbeitens noch eigene Büros als Anlaufstelle forderten, obwohl diese über längere Zeit leerstünden. In Berlin gebe es Überlegungen zu sogenannten dezentralen “Hubs” mit Arbeitsplätzen an den Stadträndern. Neben den Menschen gebe es in den Städten noch einen großen Flächenverbraucher: den Verkehr. Goldschmidt ist der ­Meinung: “Die Stadt gehört mit Sicherheit nicht den Autofahrern.” Die Autos müssten raus aus den Innenstädten und stattdessen Geld in die Hand genommen werden für bessere Radwege und den schienengebundenen ÖPNV. Es gebe zwar effizientere Fahrzeuge und Angebote, aber gleichzeitig werde mehr und mit größeren Autos gefahren.

cher Einwohnerzuwachs zu verzeichnen. Entsprechend gebe es erheblichen Investitionsbedarf, so für Kita- und Schulausbau. “Durch die gute Konjunktur ist die örtliche Baubranche jedoch stark ausgelastet”, sagt Tirpitz. “Auf viele Vergabeverfahren bekommen wir kaum wirtschaftliche Rückmeldungen. In einigen Fällen gab es gar keine Rückmeldungen.” Abgesehen davon, dass sich wichtige Projekte verzögerten, würden unter diesen Umständen schnell monopolistische Tendenzen und Preissteigerungen auftreten. Bundesweit sei die Lage besonders im Tiefbau kritisch, stimmt Sven Knapp vom Bundesverband Breitbandkommunikation (BREKO) ein. Zwar würden Markt und öffentliche Hand vielerorts viel in den Glasfaserausbau investieren, häufig scheitere die Investition in die digitale Basisinfrastruktur aber schlicht an fehlenden Kapazitäten. Schwer falle der öffentlichen Hand das Geldausgeben aber auch aufgrund bürokratischer Hürden, ergänzt Tirpitz. “Vor allem für die Verwendung von Fördermittelanteilen gelten zu enge Vorschriften”, meint der Stadtkämmerer. Außerdem seien Förderzeiträume oft zu kurzfristig angesetzt und deckten sich deshalb nicht mit langfristigen Planungen größerer Investitionsvorhaben. Zwar seien in einigen Bereichen Vereinfachungen auf den Weg gebracht. Diese würden aber nur langsam umgesetzt, kritisiert Tirpitz.


Kommunale Ordnung

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Behörden Spiegel / Dezember 2019

Aufgabe Personalentwicklung

Neue Regelpläne in Berlin

Altersgerechter Einsatz von Mitarbeitern erfordert Strukturaufweichung

Spezielle Abstellbereiche für E-Scooter möglich

(BS/pet) Der demografische Wandel gehört zu den personalpolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre. Auch im Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) stellt sich angesichts der immer älter werdenden Beleg­ schaft die Frage, wie Personal, das den physischen Ansprüchen des Außendienstes nicht mehr gewachsen ist, effektiv untergebracht werden kann. Möglichkeiten sind vorhanden, wie Gerd vom Baur, Leiter des Stadt­ ordnungsdienstes in Magdeburg, betont.

(BS/mfe) Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz hat erstmals verbindliche Planungsvorgaben für Lastenrad- und E-Tretroller-Parkplätze erlassen. Die Bezirke der Bundeshauptstadt haben die Pläne bereits erhalten.

Obwohl das Problem inzwischen seit zehn Jahren bekannt sei, betrete man mit der Altersfrage noch immer Neuland, umreißt vom Baur. Je polizeiähnlicher der Ordnungsdienst werde, desto dringender werde die Frage, wie älteres Personal adäquat verwendet werden könne. Dies habe man auch bei der Gewerkschaft Verdi erkannt, die 2018 für eine Aufweichung der Trennung von Innen- und Außendienst plädiert hatte. In Magdeburg, wo das KODDurchschnittalter bei 53 Jahren liegt, ist derzeit ein ähnliches Modell in der Erprobung. Für

Mitarbeiter, die den physischen Ansprüchen des Außendienstes nicht länger gewachsen sind, wurde die Möglichkeit eingeräumt, ab 50 Jahren in den Innendienst zu wechseln. Im Vergleich zum Streifendienst, der neben Vollzugshilfen auch Nachtschichten einschließe, seien die körperlichen Anforderungen hier auch für älteres Personal geeignet. Ab 60 Jahren stehe es den Mitarbeitern obendrein frei, ihre Arbeitszeiten flexibel anzupassen. Was in Magdeburg so weit gut funktioniere, sei aber nicht auf alle Kommunen übertragbar, fügt vom Baur an. Schließlich

hänge die Transferoption stark von den personellen Kapazitäten im Innendienst ab. Sei dieser voll besetzt, wäre der Wechsel nicht möglich. Kompliziert würde die Lage bei externen Mitarbeitern, die keine Verwaltungsausbildung vorzuweisen hätten. Für sie wäre ein Übergang in den Innendienst nicht möglich. Um Situationen wie diesen vorzubeugen, wäre es dringend nötig, Quereinsteiger nach Stellenantritt zügig nachzuschulen; andernfalls könne sich die Überalterung des Außenpersonals auch zur Gefahr für jüngere Kollegen auswachsen.

Technik wird modernisiert Rund 900 videoüberwachte Bahnhöfe bundesweit (BS/mfe) In Deutschland werden circa 900 Bahnhöfe videoüberwacht. Dafür sind mehr als 6.000 Kameras im Einsatz. Deren Bilder können – auch von der Bundespolizei – live ausgewertet werden. Das geht aus e­ iner Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag hervor (Drucksache 19/13848). modernere Anlagen in Form von fest verbauten Kameras mit einem digitalen Standard ersetzt. Dies erfolge insbesondere im Rahmen der Modernisierung und Erweiterung dieser Bahnhöfe und obliege der Deutschen Bahn AG. Für die Zukunft ist vorgesehen, dass die Bundespolizei auf alle Kameras, die durch das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, die DB Station & Service GmbH, betrieben werden, in den eigenen Diensträumen beziehungsweise Einsatzleitstellen zugreifen kann. In Deutschland werden derzeit rund 900 Bahnhöfe bundesweit durch V ­ ideokameras überwacht. An größeren Stationen wird die Technik derzeit auf den neuesten Entwicklungsstand gebracht. Foto: BS/rochus, pixelio.de

Die gemeinsame Nutzung der Videomanagementanlagen durch die Deutsche Bahn und die Bundespolizei für unternehmerische beziehungsweise polizeiliche Zwecke erfolge auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen. Sie würden von der Deut-

schen Bahn als Eigentümerin im Rahmen eines Betreibermodells betrieben sowie gewartet und könnten durch die Bundespolizei (mit-)genutzt werden, heißt es. An den am stärksten frequentierten Verkehrsstationen würde die vorhandene Technik durch

Robustere Ausstattung Kommunale Ordnungsdienste rüsten auf (BS/mfe) Aufgrund zunehmender verbaler und körperlicher Attacken verstärken zahlreiche Städte und G ­ emeinden die Ausrüstung ihrer ­Beschäftigten im Kommunalen Ordnungsdienst (KOD). So hat Mainz dort nun Pfefferspray eingeführt. In Düsseldorf sollen die Mitarbeiter sogar Schlagstöcke erhalten. Das Reizstoffsprühgerät sei momentan das einzige wirklich effektive Mittel zur Abwehr potenzieller Angreifer, so die Mainzer Ordnungsdezernentin Manuela Matz. Angeschafft worden seien 45 Geräte. Alle Kräfte wurden im Umgang mit diesen bereits geschult. Die Düsseldorfer Stadtverwaltung ist in der Realisierung noch nicht ganz so weit wie die Kollegen in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Dafür würde ihre Ausstattungsvariante noch weiter gehen. Die dortigen KODKräfte sollen Teleskopschlagstöcke erhalten. Eine entsprechende Beschlussvorlage liegt dem Ordnungsausschuss bereits vor. Dieser muss nun über die Anschaffung entscheiden. Die Kosten belaufen sich auf circa 20.000 Euro. Neben den Einsatzmitteln müssten dann auch Schulungen für die Mitarbeiter stattfinden. In der Stadt mit über 600.000 Einwohnern hatte sich die Zahl der Angriffe auf Kräfte des KOD in

der Vergangenheit immer weiter erhöht. Im letzten Jahr gab es über 120 Attacken. 2009 waren es noch “nur” 21 gewesen. In Nordrhein-Westfalen setzen übrigens immer mehr Städte auf Schlagstöcke für ihre KODBeschäftigten. Im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland sind unter anderem die Kräfte in Neuss, Bonn, Wuppertal, Köln und Dortmund bereits derart ausgestattet. In vielen anderen Bundesländern, darunter auch Berlin, ist dies noch nicht der Fall.

In mehreren Städten werden die Mitarbeiter der kommunalen Ordnungsämter robuster ausgestattet. Foto: BS/mihi, Fotolia.com

Demnach können in Zukunft an allen Straßen, auf denen maximal Tempo 30 gilt, speziell für Lastenräder konzipierte Bügel auf gesicherten Parkplätzen aufgestellt werden. Auch Abstellbereiche für E-Tretroller können in verschiedenen Varianten ausgewiesen werden. Und das sogar an Hauptverkehrsstraßen, sofern dort die entsprechende Geschwindigkeitsbeschränkung gilt. Die E-Scooter-Parkplätze können, wenn sie entsprechend beschildert sind, auch von Fahrradfahrern genutzt werden. Für beide neuartigen Parkflächen ist die Umwandlung von Autostellflächen zulässig. Auf einem KfZ-Parkplatz können demnach je drei schräg gestellte Lastenfahrradstellplätze eingerichtet werden. Gekennzeichnet sind sie dann sowohl mit Baken als auch mit einem gesonderten Parkschild. E-Scooter können künftig längs geparkt werden. Die entsprechenden Abstellflä-

chen sind dann zwei Meter breit. Senkrechte Parkstände werden dann fünf Meter messen.

Derzeit noch erhebliche Probleme Bisher ist das Abstellen von elektrischen Tretrollern – nicht nur in Berlin – oftmals ein großes Ärgernis, da die Kleinstfahrzeuge oftmals achtlos im öffentlichen Straßenland zurückgelassen werden. Bisher gilt das Abstellen der Scooter nur in Bremen als kostenpflichtige Sondernutzung des öffentlichen Straßenlandes. Die Bundeshauptstadt hat diesbezüglich nun einen Prüfprozess angestoßen. Berlins Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese sagte zu der Neuregelung in der Bundeshauptstadt: “Mit diesen neuen Regelplänen stellen wir berlinweit einheitliche Vorgaben für das Parken von Lastenrädern und E-Scootern auf der Straße sicher.” Für die Tretroller wolle man neue Abstellflächen auf der

Fahrbahn schaffen, um die Gehwege frei zu bekommen. Mithilfe der Pläne könnten die einzelnen Bezirke nun mit der konkreten Umsetzung beginnen.

In Berlin sind neue Regelungen für Parkplätze von E-Scootern erlassen worden. Bisher stehen diese oftmals unkontrolliert auf öffentlichem Straßenland herum und behindern. Foto: BS/Ivan Radic, CC BY 2.0, flickr.com

Überfahrtaten sehr gefährlich Schutz öffentlicher Räume muss in ganzheitliche Strategie passen (BS/mfe) Anschläge mit Fahrzeugen, wie es sie unter anderem auf den Breitscheidplatz in Berlin gab, fordern deutlich mehr Opfer als alle anderen Attentatsformen zusammen. Aber Kommunen und Städte können sich gegen sogenannte Überfahrtaten schützen. Sinnvoll sei etwa der gezielte Einsatz von Sperrmaßnahmen.

Poller sind eine Möglichkeit, öffentliche Räume abzusichern. Städtebaulich sind sie jedoch umstritten. Und ob sie schwere Fahrzeuge tatsächlich abhalten, ist ebenfalls fraglich. Foto: BS/Feldmann

Bauliche Sperren wie etwa Poller könnten helfen, um zum Beispiel Weihnachtsmärkte abzusichern, erklärt der Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Torsten Akmann (SPD). Es komme jedoch auf die jeweiligen individuellen Bedingungen vor Ort an. An den Absperrungen am Breitscheidplatz, wo derzeit viele Menschen auf dem Weihnachtsmarkt unbeschwert Glühwein trinken wollen, hatte sich zuletzt massive Kritik entzündet. Akmann sagt in diesem Zusammenhang: “Die einzelnen Maßnahmen werden abhängig von der Beschaffenheit sowie der Umgebung der Orte individuell abgestimmt.” Denn, so der Staatssekretär: “Es ­ist uns bei der Umsetzung der Maßnahmen wichtig, einen Ausgleich zwischen der Bewahrung des Stadtbildes einerseits und dem bestmöglichen Schutz vor Anschlägen andererseits zu finden.”


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Fuhrparkmanagement B

undesverkehrsminister Andreas Scheuer betont anlässlich der Gründung: “Ich will, dass wir überall eine noch bessere Mobilität bekommen – auf dem Land genauso wie in der Stadt. Dafür brauchen wir einen engen Austausch mit Ländern, Kommunen und Verbänden. Wir klären gemeinsam, wer auf welcher Ebene aktiv werden muss. Die Kommunen sollen mehr Spielraum bekommen, die Regeln so zu gestalten, wie sie den Bedürfnissen entsprechen. Denn Mobilität wird vor Ort gelebt.” Den größeren Gestaltungsspielraum werten gerade die kommunalen Spitzenverbände als positives Zeichen. Sie könnten Bund und Länder auf

Fünf Partner beschleunigen Verkehrswende Bündnis für Moderne Mobilität gegründet (BS/Katarina Heidrich) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, die Verkehrsministerkonferenz der Länder sowie die drei kommunalen Spitzenverbände haben das “Bündnis für moderne Mobilität” geschlossen. Ziel ist eine engere Abstimmung zwischen allen Ebenen. Dadurch sollen Fördermittel des Bundes zielgerichteter an die Kommunen fließen und der Austausch über nachhaltige Lösungen im Verkehrssektor intensiviert werden. programme sowie des Ausbaus der Elektromobilität und weiterer alternativer Antriebe durch den Bund zu erwarten. Es ist begrüßenswert, dass dieser sich ausdrücklich zu einer flächendeckenden Bereitstellung der Mittel bekennt und entsprechende Programme für alle Städte und Gemeinden, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, zur Verfügung stehen.” Schließlich fände die Verkehrswende in der Fläche statt – dort, wo die Pendler wohnten – und nicht nur in wenigen Großstädten mit Luftreinhalteproblemen.

Neuordnung des ­Straßenraums

Das Bündnis soll dazu beitragen, dass die bisher im Schneckentempo verlaufende Mobilitätswende an Fahrt gewinnt. Foto: BS/Schaloko, pixabay.com

notwendige Handlungs- und Regelungserfordernisse hinwei­sen, um insbesondere den Mittelabfluss zu beschleunigen, heißt es vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB). Die Kommunen wirkten in ihrer Funktion als Multiplikatoren an Projektdatenbanken über gute und skalierbare Lösungen nachhaltiger Verkehrssysteme unter Einbeziehung bestehender Angebote mit. DStGB-Vizepräsident Roger Kehle lobt: “Aktuell sind erhebliche zusätzliche Mittel im Bereich der ÖPNVFörderung, der Radverkehrs-

Das Kernanliegen des Bündnisses ist die Erhöhung der Lebensqualität, der gesellschaft­ lichen Teilhabe sowie der wirtschaftlichen Aktivität bei gleichzeitiger Klima- und Umweltschonung. Dazu gehöre auch, “den umweltfreundli­ chen Verkehrsmit­teln den notwendigen Platz einzuräumen”, wie es aus dem Bundesverkehrsministerium heißt. Bei der Neuaufteilung des öffentlichen Straßenraums zugunsten nachhaltiger Mobilitätsangebote sollen Kommunen selbstständiger gestalten können. Darüber hinaus fordert Kehle: “Im Übrigen sollten bei der Parkraumbewirtschaftung die Städte und Gemeinden mehr Spielräume erhalten. Jede Kommune sollte selbst entscheiden dürfen, ob und wie viel Gebühr für einen Anwohnerparkausweis bezahlt werden soll. Ein insoweit größerer Spielraum würde den örtlichen Gegebenheiten auf dem Weg zur Verkehrswende besser Rechnung tragen.” Weiterer Kernpunkt in der Zusammenarbeit der fünf Partner soll künftig der Ausbau des Radverkehrs sein, beispielsweise durch die Gestaltung von flächendeckenden Radverkehrsnetzen. Auch der Ausbau des

MELDUNG

Umstellung auf E-Antriebe (BS/kh) Wiesbaden und seine Verkehrsgesellschaft ESWE hat vom Bundesumweltministerium einen Förderbescheid für die Beschaffung von weiteren 140 Elektrobussen erhalten. Die Förderung wurde in Höhe von knapp 45 Millionen Euro bewilligt. Nun steht fest: Bis Ende 2021 sollen mit dem Geld 120 elektrische Solo- und 20 Gelenkbusse finanziert werden. Darüber hinaus werden auch Teile der notwendigen Ladein­ frastruktur auf dem Betriebshof sowie weitere Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Einsatz der Busse, wie Schulungen von Fahr- und Werkstattpersonal, unterstützt. Die gegenüber einem Dieselbus entstehenden Mehrkosten werden zu 80 Prozent durch das Bundesumweltministerium übernommen. Die

übrigen Ausgaben werden mit 40 Prozent gefördert. “Wiesbaden geht mit gutem Beispiel voran und zeigt, wie ein umweltfreundlicher und attraktiver ÖPNV möglich wird”, betont Bundesumweltministerin Svenja Schulze. “Das ist gerade vor dem Hintergrund der zurückliegenden Diskussionen um die Luftschadstoffbelastung in der Stadt eine gute Nachricht.” Seit 2017 steht bereits der Plan der ESWE fest, ab 2022 den ÖPNV in Wiesbaden komplett emissionsfrei betreiben zu wollen. Bis dahin soll die gesamte Flotte von 220 Bussen auf Elektroantriebe umgestellt werden. Im April dieses Jahres hatte die ESWE schon 56 Exemplare bestellt, deren Anschaffung bereits vom Bund mit 14,5 Millionen Euro gefördert wurde.

ÖPNV, der Infrastrukturausbau für alternative Antriebe sowie die Digitalisierung und Vernetzung – zum Beispiel durch Modellversuche für Sharingangebote auf dem Land – stehen auf der Agenda des Bündnisses. Entscheidungen zur Einrichtung von Tempo-30-Zonen sollten laut den kommunalen Spitzen-

verbänden der Expertise und den Wünschen von Städten und Gemeinden überlassen werden.

Gewinn für Verkehrswende “Die Städte sind zuversichtlich, dass mit dem neuen “Bündnis für moderne Mobilität” die vielbeschworene Verkehrswende an Fahrt gewinnen kann. Digitalisie-

rung und Innovationen wollen wir für eine intelligente stadt- und regionalverträgliche Mobilität nutzen”, hebt Markus Lewe, Vizepräsident des Deutschen Städtetages (DST) und Oberbürgermeister der Stadt Münster, hervor. In Form von jährlichen Spitzentreffen und einem Lenkungskreis auf Arbeitsebene soll das Bünd-

nis ergänzend zu bestehenden Formaten und Gremien der Akteure wirken und Impulse geben. Insbesondere sollen die Ergebnisse aus der Kommis­sion “Gleichwertige Lebensverhältnisse” so­ wie Maßnahmen der verschiedenen betroffenen Bundesressorts in den Prozess einfließen. Zudem sollen weitere Bundesministerien mit ihren Programmen zur Mobilitätsförderung eingebunden werden. Der zielgerichtete Mittelfluss sowie der anvisierte Wissensaustausch tragen ebenfalls dazu bei, dass Kommunen ihre städtischen Fuhrparks effizienter und emissionsärmer gestalten können. Wie, lesen Sie auf den folgenden Seiten des Sonderteils “Fuhrparkmanagement”.


Zahlen & Daten

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Elektrifizierung macht sich breit (BS) Die Fahrzeugflotten in den kommunalen Fuhrparks sind sehr heterogen. Auch Sonderfahrzeuge finden sich im Öffentlichen Dienst in großen Zahlen wieder. Dabei zeigt sich, was auch bei den Neuzulassungen im Allgemeinen gilt: Der Anteil der Fahrzeuge mit reinem Elektromotor, vor allem aber mit hybridem Antrieb, steigt weiter an. Im Vergleich zu Norwegen besteht aber noch deutlich Luft nach oben. Dort werden sogar schon Fahrzeuge mit Wasser- und Brennstoffzellen zugelassen. Nur eines bleibt konstant, wie das Beispiel der Streifenwagen der Polizeien der Länder zeigt: Die meisten Fahrzeuge werden klassisch gekauft.

Fuhrpark der Stadt Frankfurt am Main

Fuhrpark einer kommunalen Wohnungsbaugenossenschaft mit 600 Beschäftigten Gesamt:

Gesamt:

1.052

356

Pkws Lkws hybrid (Benzin-Erdgas) Hybrid (Elektro-Benzin) Elektrizität

39

45

564

48

353

78

190

50 25

5

Jobräder Transporter bis 3,5 t Pkws Pedelecs E-Scooter Lastenräder Transporter bis 3,5 t (elektrisch)

2

3 Quelle: Stadt Frankfurt/Main

Quelle: eigene Recherche

Fahrzeuge im Bereich kommunaler Abfallwirtschafts- und Stadtreinigungsbetriebe

Anteil ausgesuchter Antriebsarten bei Neuzulassungen (2017) im Vergleich Deutschland

10.000

1.500

3.500

7.500

Abfallsammelfahrzeuge

Container-Farzeuge

kommunale Kehrmaschinen

mittlere Transportfahrzeuge (bis 3,5 t)

Quelle: Schätzung VKU

Norwegen

0,13

k.A.

Diesel

38,86

32,85

Erdgas

0,11

0,03

Elektrizität

0,30

29,08

k.A.

0,04

Flüssiggas

Streifenwagen im Fuhrpark der deutschen Polizeien* 1.597 449 BW BY 863 BB 600 BE 116 HB 900 HE 268 HH 231 MV 2.156 NI NW** 457 74 RP keine Angaben SH 125 SL 789 SN 429 ST 1.306 TH 2.743 BPol

4.270

davon gekauft

davon geleast

3.300

7.700

* verschiedenen Stichtage, Angaben zum Teil gerundet **Gesamtfuhrpark

Wasser- und Brennstoffzellen

Quelle: eigene Berechnungen, eurostat (März 2019), Kraftfahrtbundesamt und Statista.com

Quelle: eigene Recherche; Grafik: BS/Beate Dach

Entwicklung elektrisch betriebener Pkws in Deutschland von 2010 bis 2019 Elektro

Pkws gesamt

Hybrid

43.431.124

42.927.647

42.301.563

41.737.627

45.071.209

44.403.124

43.851.230

46.474.594

45.803.560

47.095.784 341.411

236.710

165.405

130.365 107.754 83.175

85.575 64.995

53.861

47.642 28.862 1.588

2010

37.256

2.307

2011

4.541

2012

7.114

2013

12.156

18.948

2014

Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt Grafiken: BS/Marvin Hoffmann unter Verwendung von andrew_rybalko, stock.adobe.com; mast3r, stock.adobe.com; Sentavio, stock.adobe.com

2015

25.502

2016

34.022

2017

2018

2019


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Fuhrparkmanagement

Bundesregierung fährt eingleisig Ergebnisse des E-Autogipfels

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MELDUNG

Bauhof-Streetscooter (BS/kh) In der rheinland-pfäl-

(BS/ Dieter Grün) Die Ergebnisse des Autogipfels zeigen durchaus in eine zukunftsweisende Richtung. Vor allem dort, wo der Bund selbst entscheiden und investieren könnte, wie zischen Stadt Gau-Algesheim beispielsweise beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Besonders wichtig ist es zunächst, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine einfache und leichte Umsetzung der Vorgaben er- bereichert ein “Streetscooter” möglichen. Zusätzlich sollen auch andere Möglichkeiten im Blick behalten und eine Gas- und Wasserstoffstrategie ausgearbeitet werden. künftig den städtischen Bauhof.

Grün kritisiert die einseitige Fokussierung der Bundesregierung auf die Elektromobilität.

Foto: BS/AKrebs60, pixabay.com

Diese Absichten der Bundesregierung, die Mobilitätswende voranzutreiben und auch die Elektromobilität zu fördern, klingen vielversprechend. Nur müssen den Ankündigungen nun auch zügig Taten folgen. Die Verkehrswende muss dringend eingeleitet werden, damit der Energieverbrauch des Verkehrssektors sinkt. Klimaneutralität muss erreicht und Emissionen müssen drastisch reduziert werden. Gleichzeitig sollte es aber nicht zu einer Einschränkung der Mobilität kommen – denn die lieben und leben wir inzwischen nicht nur alle, die benötigen wir auch, um unsere Wirtschaftskraft und in der Folge unseren Wohlstand nicht zu schwächen.

In Alternativen denken Leider wurde beim Autogipfel wieder einmal ein zu großer Schwerpunkt auf die Elektromobilität gelegt – durchaus als wichtiger Teil der Verkehrswende anerkannt, aber eben nicht die allein gültige Lösung. Die Vorschläge und Entscheidungen drehten sich bedauerlicher Weise nahezu ausschließlich um dieses Thema. Und dazu braucht man Kunden, die investieren. Es ist jedoch durchaus zweifelhaft, ob die Klimaziele allein mit Kaufprämien für Elektroautos erreicht werden können. Es herrscht eine offensichtliche Disharmonie zwischen politischem Wunsch

und umsetzbarer Realität. Es müsste zum Beispiel leicht und einfach sein, wenn man die Elektro-Prämie beantragen will. Aber das ist heute viel zu kompliziert und dauert Stunden – so motiviert man nicht zur Umsetzung. Halten wir fest: Die Prozesse müssen es den Nutzern einfach machen, auf alternative Antriebe umzustellen. Die Aufgabe politischer Entscheidungsträger ist es nicht, Technologien festzulegen und Werbung für bestimmte Antriebe zu machen. Zumindest sollte sie dies nicht tun, so lange es Alternativen gibt, die aus Umweltgesichtspunkten genauso gut oder besser geeignet sind, kurzfristig Emissionen zu senken. Es bedarf vielmehr weitgreifender Rahmenbedingungen, die seitens der Politik gesetzt werden müssen. Das schließt Vorgaben von CO2-Standards für Fahrzeuge und Kraftstoffe ebenso mit ein wie den Ausbau der Infrastruktur – von Ladesäulen bis zu Erdgastankstellen. Im Übrigen haben die politischen Entscheidungsträger noch ganz andere Baustellen zu bearbeiten, die beim Autogipfel dezent beiseitegeschoben wurden: – Eine essenzielle Voraussetzung für den Durchbruch der Elektromobilität in Deutschland und weltweit wäre zum einen die Änderung der Stromproduktion. Das beinhaltet, dass der Strom für den Verbrauch langfristig ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammt und zu wettbewerbsfähigen Preisen allen zur Verfügung stehen muss. – Ein weiterer Punkt ist die nach wie vor fehlende, stärkere Orientierung an der wichtigen Zielgruppe der gewerblichen Mobilitätsentscheider. Betriebliche Fuhrparks haben eine Schlüsselfunktion bei der Verbreitung neuer Antriebsarten. Entscheider in den Unternehmen brauchen dafür aber transparente und klare Prozesse und so wenig bürokratische Hürden wie möglich. Momentan sind leider zahlreiche rechtliche Rahmenbedingungen nach wie vor ungeklärt.

ein Elektroantrieb, Erdgasfahrzeug, Hybridfahrzeug, Diesel oder Dieter Grün ist Betriebsleiter (nach HWO) in einem Benziner sein kann, hängt vom kommunalen Betrieb sowie Angebot der Hersteller und der Betrieblicher Mobilitätsmageplanten Einsatzart ab. Immer nager (IHK) und stellvertresind betriebswirtschaftliche und tender Vorstandsvorsitzenökologische Kriterien bei der Ausder des Bundesverbands wahl zu berücksichtigen. Aber Fuhrparkmanagement e.V. auch Themen wie Lärmentwick lung, Haltedauer und PraxistaugFoto: BS/Bundesverband lichkeit der Fahrzeuge müssen Furhparkmanagement bei der Entscheidung im Auge behalten werden. Die technologieoffene Entwicklung und – Außerdem müssen Abrechnungssysteme für Ladesäulen dringend bundesweit der Einsatz emissionsarmer Antriebe vereinheitlicht, kundenfreundlicher müssen das Ziel sein, verfügbare Alterund transparenter gestaltet werden. nativen wie Erd- oder Biogas sollten nicht Und Stellplätze an Ladesäulen für vernachlässigt werden und in gleichem Elektroautos sollten ebenfalls in ganz Maße gefördert werden. Die Kfz-BesteuDeutschland einheitlich so gekennzeich- erung sollte saubere Antriebe insgesamt net werden, dass sie rechtlich bindend fördern. Die Aussage, man müsse die Hersind, damit Falschparker sanktioniert ausforderung neuer Antriebstechnologien werden können. in der ganzen Breite im Blick behalten und die Bundesregierung bereite eine umfassende Wasser“Die Aufgabe politischer Entscheistoffstrategie vor, macht einen dungsträger ist es nicht, Technologien noch zu allgemeinen, weichen festzulegen und Werbung für bestimmte Eindruck. Es ist aber an der Zeit, Tempo aufzunehmen und Antriebe zu machen.” vor allem an klaren Leitlinien und Rahmenbedingungen zu – Eine weitere Stellschraube könnte sein, arbeiten und nicht nur an das Fahrzeug dass der Staat nachhaltige Förderpro- (als Energieverbraucher), sondern auch gramme für kommunale Einrichtungen an die Erzeugung (nachhaltige Energieund Betriebe schaffen könnte: Gerade herstellung) zu denken. Auch neue Mobilität kostet Geld. Und bei öffentliche Flotten könnten mit einer Leuchtturmwirkung in neue Techno- schwindenden Haushaltsüberschüssen logien investieren. Aber es darf sich ist vieles neu zu überdenken. Klar ist: Wir niemand wundern, wenn von den kom- müssen nachhaltig wirtschaften – doch munalen Betrieben etwas gefordert wird wir sollten nicht träumen, zum Mond zu und danach der Nothaushalt ansteht. fliegen und dabei nicht einmal über die Es gibt immer noch die Gretchenfrage: Straße kommen. Auch die Anreize müssen richtig gesetzt sein, um vielleicht festge“Wer zahlt?” fahrene Denk- und Verhaltensmuster Klare Rahmenbedingungen nötig im Mobilitätsverhalten zu beeinflussen Kommunen brauchen einige Spezial- – im Sinne einer nachhaltigen Zukunft. oder Sonderfahrzeuge mit und ohne Energieverschwendung ist zu vermeiden, Sonderrechte im Straßenverkehr. Ob es auch wenn sie grün ist.

Das elektrische Fahrzeug – ein Pritschenwagen – das mit Ökostrom ohne Emissionen unterwegs ist, ergänzt den städtischen Fuhrpark und ist für vielfältige Aufgaben einsetzbar. Bürgermeister Michael König betont, das Fahrzeug sei ein wichtiger Baustein für die Stadt in der Mobilitätswende. Es gelte, die CO 2-Emissionen in allen Bereichen des täglichen Lebens wenn möglich zu reduzieren. Dazu gehöre vor allem auch der Verkehrssektor. Dank des Ökostroms, der den Scooter bis zu 250 Kilometer weit fahren lässt, stößt es keine klimaschädlichen Treibhausgase aus. Das Fahrzeug kann im städtischen Bauhof entweder an einer normalen Steckdose aufgeladen werden oder an einer “Wallbox” – einer Wandladestation für Elektroautos. Neben dem neuen E-Pritschenwagen gibt es ein zweites kommunales elektrisches Fahrzeug in der Verbandsgemeinde. Ein E-Carsharing-Fahrzeug steht neben der Verwaltung auch allen interessierten Bürgern und Bürgerinnen zur privaten Nutzung zur Verfügung. Dieses wurde von der Verbandsgemeindeverwaltung Gau-Algesheim in Kooperation mit der Bürgerenergie-Genossenschaft Rabenkopf Energie aus Wackernheim beschafft. Außerhalb der Dienstzeit kann es jeder kostengünstig über die Homepage der Genossenschaft buchen. Der Vorteil laut Verbandsgemeinde: Ein CarsharingFahrzeug ersetze bis zu zehn Kfz. Des weiteren gebe es weniger Parkplatzprobleme, weniger Ressourcenverbrauch und weniger Treibhausgase durch den Gebrauch von Ökostrom.


Fuhrparkmanagement

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Großes Potenzial

Neue Rettungsinseln

Wasserstoff birgt auch im Mobilitätsbereich viele Chancen

Verkehrs- und Energiewende verbinden

(BS/Marco Feldmann) Wasserstoff ist – auch in öffentlichen Fuhrparks – eine zukunftsweisende Antriebsart. (BS/Jörn Fieseler) Die Metropolregion Hannover gehört als Projektträger zum erlesenen Kreis von 50 Projekten Denn der Energieträger ist vielseitig einsetzbar. Er kann unter anderem bei Autos und Zügen genutzt werden. im Rahmen des Programms “MobilitätsWerkStadt 2025”. Ziel des Projektes ist die Entwicklung intelligenter Außerdem können mit seiner Hilfe Batteriesysteme ersetzt werden, deren Umweltverträglichkeit umstritten ist. Lösungen für das Laden von Elektrofahrzeugen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) fordert: “Wasserstoff, Brennstoffzelle und Strom bewegen die Zukunft. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Studien und Pilotprojekte zu Wasserstoff und Brennstoffzellentechnologie im Verkehr gefördert.” Jetzt müsse die Automobilindustrie bezahlbare Fahrzeuge auf den Markt bringen und den Menschen zeigen, dass die Technik zuverlässig funktioniere. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ergänzt: “Gasförmige Energieträger, vor allem Wasserstoff, werden ein Schlüsselrohstoff einer langfristig erfolgreichen Energiewende sein.” Gleichzeitig böte die Herstellung von CO2-freiem und CO2-neutralem Wasserstoff große industriepolitische Chancen. “Diese müssen wir nutzen und bereits heute die Weichen dafür stellen, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien die Nummer eins in der Welt wird”, verlangt der Ressortchef. Helfen soll dabei auch eine nationale Wasserstoffstrategie. Diese will die Bundesregierung eigenen Angaben zufolge noch bis Jahresende vorlegen.

Tempo erhöhen Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Dr. Michael Meister, fordert in diesem Zusammenhang mehr Tempo. Denn: “Wasserstoff ist ein ganz zentraler Energieträger der Zukunft. Und “grüner” Wasserstoff ist eine Schlüsseltechnologie für die Erreichung

Wasserstoffbusse (Foto) werden zwar erprobt, konnten sich bisher jedoch noch nicht flächendeckend durchsetzen, obwohl sie zahlreiche Vorteile bieten. Foto: BS/Energieagentur.NRW

unserer Klimaziele. Gleichzeitig bietet die Wasserstofftechnologie der deutschen Industrie enorme Marktchancen.” Nicht zuletzt aus diesem Grunde wird das BMBF die Entwicklung neuer klimafreundlicher Wasserstofftechnologien weiter vorantreiben. Dafür stehen im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie bis 2023 allein aus dem Klimafonds über 300 Millionen Euro bereit. Für Forschung in den Themenfeldern Elektrolyse, Methanpyrolyse, künstliche Photosynthese sowie Brennstoffzellen investiert das Haus von Ministerin Anja Karliczek (CDU) bereits bis 2021 180 Millionen Euro. Auch im niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung wird Wasserstoff als zukunftsträchtiger Antriebsstoff erachtet, insbesondere im Bereich des Öffentlichen

Personennahverkehrs (ÖPNV). In einigen Regionen Deutschlands, unter anderem in Berlin und Brandenburg, sind bereits wasserstoffbetriebene Züge im Einsatz. Auch derart angetriebene Busse fahren in manchen Städten oder stehen dort vor der Erprobung. Dies ist unter anderem in Bielefeld der Fall.

Nicht überall durchgesetzt Aber die Technologie ist nicht überall erfolgreich. Die Hamburger Hochbahn verkaufte zuletzt ihre Wasserstoffbusse. Diese waren seit 2010 in der Hansestadt im Einsatz gewesen. Experten zufolge gibt es mit Blick auf den Wasserstoffantrieb bisher hierzulande noch zwei Probleme. Es mangelt an der erforderlichen Infrastruktur und die Erzeugung von Wasserstoff aus regenerativen Quellen ist derzeit noch zu teuer.

“Die Auswahl durch das Bundesministerium für Forschung und Bildung ist eine weitere Anerkennung der Metropolregion als Entwicklerin neuer Lösungen in der Elektromobilität”, freute sich noch-Geschäftsführer Nowak über den Förderbescheid von 100.000 Euro. Die Mittel sind für das Projekt in.spe vorgesehen. Damit soll unter dem Titel Rettungsinseln eine Lösung für die Bereitstellung von Lade- und Speichermöglichkeiten von Strom sowie die Integration von Leihsystemen für Elektrofahrzeuge entwickelt werden. Die Inseln könnten künftig in größeren Liegenschaften und auf Schulparkplätzen zum Einsatz kommen. Auch für den Bürger ist die Nutzung möglich, beispielsweise wenn die Rettungsinseln in Wohnquartieren aufgebaut werden. Damit könnte neuen Fahrzeugen der Eintritt in den Markt erleichtert werden. So seien im Rahmen des Projektes Experimentierräume für die Nutzung von Vorserien- und Kleinstfahrzeugen vorgesehen. Zusammen mit dem Branchenverband Erneuerbare Energien Niedersachsen/Bremen, dem Energieforschungszentrum Niedersachsen sowie dem Institut für Solarenergieforschung in Hameln als weiteren Projektträgern hat die Metropolregion nun ein Jahr Zeit, um sich für die zweite Phase des Förderprogramms zu qualifizieren. “Wir brauchen neue und nachhaltige Lösungen für die Mobilität der Zukunft”, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Städte und Gemeinden

seien Schlüsselakteure für die nachhaltige Entwicklung. Kommunen könnten gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern am besten entscheiden, welche Lösungen geeignet seien, um das Mobilitätssystem und die Stadt nachhaltiger zu machen. “Deshalb gestalten Kommunen mit dem Wettbewerb “MobilitätsWerkStadt 2025” gemeinsam mit der Forschung den Wandel. Und deshalb unterstützt das BMBF ganz gezielt die Nachhaltigkeitsforschung mit und für Kommunen.”

Elektromobilitätsengagement Überhaupt setzt sich die Metropolregion seit mehreren Jahren für die Elektromobilität ein und hat sich schon um mehrere Fördermittel erfolgreich beworben. So hat sie nach eigener Aussage mit Unterstützung des Bundesministeriums für Verkehr und

digitale Infrastruktur (BMVI) eine der größten kommunalen E-Fahrzeugflotten Europas auf die Straße gebracht. Für den weiteren Austausch über die Förderung der Elektromobilität ist die Region Partner der Fachkonferenz “Elektromobilität vor Ort” des BMVI geworden. An zwei Tagen besteht für die kommunalen Akteure die Möglichkeit, sich über klimaschonenden Verkehr in urbanen und ländlichen Zentren auszutauschen. Auch mit Blick auf die eigenen Fuhrparks. Insgesamt ist die Metropolregion, die zu 50 Prozent in Besitz von 60 Kommunen und Teil des Bundesprogramms “Schaufenster Elektromobilität” ist, in drei nationale und ein europäische Modellvorhaben involviert. Insgesamt sind bereits rund 40 Mio. Euro an Drittmitteln von Bund und Ländern in die Region geflossen.

Neue und nachhaltige Methoden und Modelle für die Elektromobilität werden vom BMBF gefördert. Einer der Fördergeldempfänger ist die Metropolregion Hannover. Foto: BS/Markus Distelrath, pixabay.com

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist Pflicht Führerscheinkontrolle & Fahrerunterweisung (BS/Anna Lena Hartmann*) Unternehmen und Einrichtungen des Öffentlichen Dienstes, die Dienstfahrzeuge zur Verfügung stellen, müssen laut gängiger Rechtsprechung regelmäßig Führerscheinkontrollen und Fahrerunterweisungen durchführen. Beides muss lückenlos dokumentiert werden, andernfalls drohen straf- und zivilrechtliche Konsequenzen.

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ie rechtlichen Grundlagen der Führerscheinkontrolle sind in § 21 Abs. 1, Nr. 2 sowie Abs. 2 Nr. 1 und 3 des Straßenverkehrsgesetzes festgehalten. Die sich daraus ergebene Verpflichtung zur Führerscheinkontrolle führt bei Nichteinhaltung zu einer strafrechtlichen Haftung des Halters, was u. a. eine Freiheitsstrafe nach sich ziehen kann. Zudem droht der Verlust des Versicherungsschutzes. Die Unterweisung von Fahrern ist gemäß Unfallverhütungsvorschriften (UVV) ebenfalls verpflichtend. Grundlage dafür sind die Vorschriften der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV/Vorschrift 1, 70) und das Arbeitsschutzgesetz (§ 12). Wer dagegen verstößt, muss ebenfalls mit sensiblen Konsequenzen rechnen. Um ihrer Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, können Ver-

antwortliche manuelle Kontrollen durchführen. Eine erfolgreiche Durchführung muss vom Fuhrparkverantwortlichen und dem Dienstwagenfahrer bestätigt werden. Zudem muss eine lückenlose Dokumentation sichergestellt werden. Fehlende oder unvollständige Dokumente sind bei manuellen Kontrollen jedoch nicht selten. Effizienter und sicher sind digitale Lösungen, die die Kontrollen und Unterweisungen automatisiert ermöglichen und dokumentieren. Im Schadensfall kann problemlos die revisionssichere Dokumentation nachgewiesen werden. Nicht nur die Dokumentation wird erleichtert, auch die Führerscheinkontrolle geht deutlich einfacher.

Kontrolle per App LapID bietet drei Methoden zur Führerscheinkontrolle und

Führerschein mit dem LapID Siegel zur selbstständigen Kontrolle.

Foto: BS/LapID

kann so alle Anwendungsfälle im Betrieb abbilden. Nach Anbringung eines LapID-Siegels auf dem Führerschein kann der Fahrer die Kontrolle selbstständig an über 1.200 öffentlichen oder einer hausinternen Prüfstation vornehmen. Eine siegellose, ortsunabhängige Eigenkontrolle durch den Fahrer ermöglicht darüber hinaus die Driver App. Mittels Manager App kann eine autorisierte Person (z. B. der Vorgesetzte) eine App-gestützte Kontrolle des Führerscheins durchführen. Die Fahrerunterweisung wird durch ein E-Learning-Tool abgebildet, mit dem Mitarbeiter die Unterweisung am Arbeitsplatz durchführen können – eine Präsenzveranstaltung entfällt. Die Fahrer werden interaktiv mittels kurzer Lektionen zu den Inhalten gemäß UVV unterwiesen. Die erfolgreiche Unterweisung wird automatisiert dokumentiert. Im LapID-System hat das Fuhrparkmanagement alles zur Führerscheinkontrolle und Fahrerunterweisung im Blick. Doppelte Datenpflege wird obsolet, das System übernimmt das Terminmanagement und hält die Kon­trollen und Unterweisungen nach. Die Lösungen von LapID stellen hohe Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit. Die Auftragsverarbeitung wird jährlich durch den TÜV Süd geprüft. *Anna Lena Hartmann ist Content Marketing & Communication Managerin bei der LapID Service GmbH.


Fuhrparkmanagement

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Zahlreiche Herausforderungen

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arauf weist deren Bereichsleiter Angebot, Klaus Emmerich, hin. So benötige sein Unternehmen, das seine Busflotte bis zum Jahr 2030 vollständig elektrifizieren wolle, neben den neuen Bussen auch mehrere neue Betriebshöfe im gesamten Stadtgebiet. Auch Lademöglichkeiten müssten in ausreichender Zahl gegeben sein. Hier sei noch einiges zu tun. Auch sei in den nächsten 15 Jahren mit Mehrkosten von zwei bis drei Milliarden Euro allein für die BVG zu rechnen, so Emmerich. Die Bedeutsamkeit der Infrastruktur unterstreicht auch Jens Burkhardt, Leiter Unternehmensentwicklung beim Berliner Immobilienmanagement (BIM).

Komplett neue Infrastruktur wird aufgebaut Der erforderliche Milliardenbetrag für die BVG erklärt sich nur zum Teil damit, dass Elektrobusse derzeit noch rund doppelt so teuer sind wie vergleichbare Dieselbusse. Bei der Elektrifizierung des Busverkehrs geht es natürlich um sehr viel mehr als die Fahrzeugbeschaffung. Die BVG baue hier für künftige Generationen eine komplett neue Infrastruktur auf, so Bereichsleiter Emmerich. Er gehe aber davon aus, dass sich die Technik weiterentwickelt und die Kosten perspektivisch sinken. In der aktuellen Hochlaufphase werden die Mehrkosten durch Mittel des Landes Berlin und Förderprogramme des Bundes gedeckt. In Niedersachsen fördere das Land Busbeschaffun-

E-Mobilität beschränkt sich nicht auf Fahrzeuge (BS/mfe) Der Umstieg auf Elektromobilität und andere alternative Antriebe ist bei Weitem nicht mit der Beschaffung entsprechender Fahrzeuge getan. Auch die Infrastruktur muss entsprechend ausgebaut und angepasst werden. Das gilt auch für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). gen für den Linienverkehr im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Dieses Programm sei nach einer zwischenzeitlichen Aussetzung im Jahr 2015 wieder aufgenommen worden, berichtet Richard Eckermann.

Noch nicht überall ausreichend auf der Agenda Problematisch ist laut dem Referatsleiter “Schiene, Öffentlicher Personennahverkehr” im niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung jedoch, dass die Bedeutsamkeit eines guten ÖPNV noch nicht in allen Kommunen angekommen sei. Er meint deshalb auch, dass eine rein monetär ausgerichtete Förderung des ÖPNV in der Fläche nicht zielführend sei. So träfen etwa starre Buslinienverkehre nicht immer die tatsächlichen Bedarfe. Auch könnten wirksame ÖPNV-Lösungen nicht zentral auf Landesebene gefunden werden. Besser sei es, wenn sie vor Ort entwickelt und erprobt würden. Hierbei komme es auch entscheidend auf die Vernetzung verschiedener Angebote an, findet Eckermann. Aus seiner Sicht muss der ÖPNV kommunales Kernthema sein. Sowohl innerhalb der Verwaltung als

München goes E-Mobility Einsatz der elektromobilen Flotte (BS/Michael Holler*) Im Jahre 2006 wurde von der Stadt München das erste Hybrid- und 2012 das erste Elektrofahrzeug beschafft. 2016 hat der Münchner Stadtrat dann eine Beschaffungsrichtlinie für Kfz beschlossen, um die Umstellung des Fuhrparks auf alternative Antriebe und bevorzugt lokal emissionsfreie Elektrofahrzeuge schneller voranzubringen. Im Fokus stand hierbei aufgrund der relativ guten Marktverfügbarkeit von geeigneten Serienfahrzeugen der Ersatz der Flotte an Pkws und Kleintransportern bis 2,5 t Gesamtmasse. Hier konnten bereits über 50 Prozent der Flotte elektrifiziert werden. Auch im Bereich 2,5 bis 3,5 t konnten bereits einige Transporter mit Elektroantrieb beschafft werden, obwohl die Marktverfügbarkeit geeigneter Fahrzeugvarianten noch gering ist. In diesen Fällen setzt die Stadt derzeit als Brückentechnologie vor allem auf Erdgasfahrzeuge, die – mit Biogas betrieben – zumindest eine klimaneutrale Lösung darstellen. Derzeit gibt es rund 125 rein elektrische sowie 30 Hybridfahrzeuge im städtischen Fuhrpark und weitere 60 sind bestellt. Dies ist eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, wie begrenzt das Marktangebot im Bereich der Lkws und Sonderfahrzeuge ist. Für Lkws und Arbeitsmaschinen gibt es bislang nur wenige einsatztaugliche Lösungen auf dem Markt. Insbesondere die erforderlichen hohen Batte­ riekapazitäten für kommu­nale Sonderaufbauten wie z. B. Kanal­ spülfahrzeuge stellen hier große Herausforderungen dar. Die große Variantenvielfalt eines städtischen Fuhrparks lässt hier in Verbindung mit den eher geringen Stückzahlen und den hohen technischen Anforderungen seitens der Hersteller leider für viele Bedarfe keine zeitnahen Lösungen erwarten. Trotz dieser Hemmnisse hat die Stadt, nicht zuletzt um Einsatzerfahrungen zu sammeln, hier z. B. elektrische Kleinkehrmaschinen, Hy­ brid-Lkws und sogar eine größere Stückzahl an Müllfahrzeugen mit elektrifiziertem Aufbau beschafft. Zur Finanzierung der teils doch erheblichen Mehrkosten

für Elektrofahrzeuge wurden konsequent die im Rahmen der Förderrichtlinien zur Verfügung stehenden Bundesfördermittel genutzt. Entscheidend für die erfolgreiche Einführung der Elektromobilität ist auch die rechtzeitige Zurverfügungstellung der Ladeinfrastruktur. Bei größeren Fuhrparkstandorten müssen häufig Hausanschlüsse ertüchtigt werden, falls die Instal­lation eines geeigneten Lademanagements keine ausreichende Batterieladung ermöglicht. Sollen mehrere Großfahrzeuge geladen werden, sind zusammen mit dem Netzbetreiber Lösungen zu erarbeiten.

Hohe Zuverlässigkeit ­überzeugt Die anfangs größeren Vorbehalte des Fahrpersonals insbesondere bezüglich der Reichweiten der Fahrzeuge sind inzwischen einer überwiegend sehr positiven Einstellung gewichen. Grund hierfür sind unter anderem die hohe Zuverlässigkeit und die vorteilhaften Fahreigenschaften der Elektrofahrzeuge gerade im Stadtverkehr. Insgesamt ist die Einführung der Elektromobilität bei der Stadt München bislang erfolgreich verlaufen. Ob für alle Fahrzeuge des städtischen Fuhrparks batterieelektrische Lösungen möglich bzw. sinnvoll sind, ist aus heutiger Sicht noch unsicher. Vielversprechende alternative Antriebe, wie z. B. die Brennstoffzelle, sind noch in Erprobung oder müssen noch weiterentwickelt werden. Die Stadt München ist auf jeden Fall bereit, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. *Michael Holler ist stellvertretender Leiter der Vergabestelle 1 des Direktoriums der Landeshauptstadt München.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollen ihre Busflotte bis 2030 komplett elektrifzieren. Dafür brauche es aber auch die entsprechende Infrastruktur, etwa an Betriebshöfen, erläutert der BVG-Bereichsleiter Angebot, Klaus Emmerich (ganz rechts). Foto: BS/Dombrowsky

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auch in der Kommunalpolitik. Eine ebenso große Bedeutung muss der Elektromobilität zukommen. Und das nicht nur auf kommunaler und Landes-, sondern auch auf Bundesebene. Schließlich würden bis 2025 50 Prozent aller Fahrzeuge auf dem Markt batteriegestützt angetrieben, sagt Andreas Schimanski, Key Account Manager bei ads-tec, voraus. Bis 2040 würden es sogar 55 Prozent sein, ergänzt Florian Bittlingmaier, Sales Manager EV-Charging Utilities Germany beim Unternehmen BuschJäger. Mit diesem Wachstum einher gingen eine gesteigerte Batteriekapazität, aber auch längere Stand- und Ladezeiten. In diesem Zusammenhang werde es künftig immer mehr darauf ankommen, die notwendige Energie zielgenau zu verteilen und bereitzustellen. Schimanski unterstreicht: “Die Elektromobilität ist keine Herausforderung der Stromproduktion, sondern der Stromverteilung.” Ebenso wichtig seien wirksame bebauungsplanrechtliche Entscheidungen von Städten und Landkreisen, meint Matthias Möller, Bürgermeister der hessischen Stadt Schlüchtern.


Fuhrparkmanagement

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Behörden Spiegel / Dezember 2019

Begleiter der elektrifizierten Verwaltung

R+V Versicherung testet selbstfahrende Busse

Dritte Ausgabe des E-Mobility-Magazins erschienen

Forschungsprojekt des InnoLabs

(BS/Wim Orth) Kommunen, Bund und Länder haben schon früh die Chance verstanden, die sich aus einer Mo- (BS/Stefan Häfner*) Autonomes Fahren, Konnektivität, Share Economy und Elektromobilität: 2017 rückte das bilitätswende ergeben kann. Die dritte Ausgabe des “E-Mobility-Magazins” des Behörden Spiegel soll diese Management der R+V die vier Megatrends in den Fokus. Mit ihrem InnoLab “MO14” startete die Versicherung Entwicklung begleiten und gleichzeitig Best Practices sowie weitere innovative Ideen für die Zukunft aufzeigen. ein eigenes Forschungsprojekt zum autonomen Fahren, um mit eigenen Daten Erfahrungen zur Mobilität der Zukunft zu sammeln. Mit zwei selbstfahrenden Kleinbussen begann eine spannende Reise in ein bis dahin Nicht nur Bürger und Unter­ die Lebensqualität der Bürger zu Direktor und Gruppenleiter der weitgehend unbekanntes Gebiet in der Fahrzeugwelt.

nehmen sind aktuell vermehrt in Fahrzeugen mit alternativen Antrieben unterwegs. Auch die öffentliche Hand stellt sich in diesen Tagen “elektromobil” auf und geht in vielen Fällen so­ gar mit gutem Beispiel voran. Zahlreiche Fuhrparkbetreiber stellen in den kommenden Jah­ ren komplett auf elektrifizierte Busflotten um und auch auf der Schiene gibt es neue Entwick­ lungen, die den Verkehr der Zu­ kunft beeinflussen werden. Wie sich die Behördenland­ schaft auf die alternativ ange­ triebene und teilweise automa­ tisierte Mobilität von morgen vorbereitet und welche zu­ sätzlichen Möglichkeiten die Forschung für die Zukunft be­ reithält, wird in redaktionellen Beiträgen sowie Gastbeiträgen hochrangiger Entscheider so­ wie von Experten der Materie erörtert. Auch in seiner dritten Ausgabe richtet sich das E-Mo­ bility-Magazin 2019 an interes­ sierte Entscheider und Mitar­ beiter aus Kommunen, Ländern und Bundesverwaltung.

erhalten und die Gesundheit der Einwohner zu schützen. In Ber­ lin und Hamburg wird gleicher­ maßen an der Umstellung der gesamten Busflotten gearbei­ tet. Dr.-Ing. Markus Dietmanns­ berger, Gesamtprojektleiter Elektrobus bei der Hamburger Hochbahn AG, sowie Dr. Dani­ el Hesse, Leiter Vorstandsstab Infrastruktur alternative An­ triebe Berliner Verkehrsbetrie­ be, berichten über die Projek­ te und den Status quo in den beiden größten Städten der Re­ publik. Und auch die Technik hinter den Elektrofahrzeugen beleuchtet das aktuelle Maga­ zin. Dr. Dominic Bresser vom Helmholtz-Institut Ulm (HIU) und Prof. Dr. Stefano Passerini,

Von der Busflotte über die Batterie bis zum E-Scooter Auf einem thematisch breiten Fundament stellt das E-Mobili­ ty-Magazin 2019 verschiedene innovative Projekte der öffentli­ chen Verwaltung vor. So beschreibt Stephanie Ja­ cobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt der Landeshaupt­ stadt München, wie die Stadt München diverse Projekte der Elektromobilität mit insgesamt 60 Millionen Euro fördert, um

Das E-Mobility-Magazin des Behörden Spiegel ist in seiner dritten Ausgabe erschienen und präsentiert innovative Projekte und Best-Prac­ tice-Beispiele. Grafik: BS/Hoffmann

Forschungsgruppe “Elektroche­ mie der Batterien” am HIU er­ läutern aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen für die Zukunft der Batterieforschung in Deutschland. Und auch das neue Phänomen der E-Scooter kommt im Magazin zur Sprache. Die beiden Grünen-Politiker Ste­ fan Gelbhaar, MdB, und Matthi­ as Gastel, MdB, fordern in ihrem Gastbeitrag eine neue Debatte über die Aufteilung des Ver­ kehrsraumes. Neben den neuen Verkehrsmitteln an sich gibt es zudem eine Reihe von Beiträgen rund um die Infrastrukturen, die für den nachhaltigen Erfolg der neuen Mobilität benötigt werden.

Anregung zum Austausch Auf insgesamt 48 Seiten er­ hält der Leser einen kompak­ ten Eindruck von Perspektiven und Positionen verschiedener Verbände, Kommunen und For­ schungseinrichtungen zum The­ma E-Mobilität, aber auch zur digitalen Vernetzung von Verkehr und Infrastruktur so­ wie zu Fragestellungen rund um das autonome Fahren und die damit verbundenen Heraus­ forderungen und Chancen. Das Magazin soll dabei nicht nur der Information dienen und den viel­ fältigen Strauß an Strategien, Projekten und Meinungen auf­ zeigen, sondern gerade im Rah­ men der rasanten Entwicklung moderner Mobilität mehr denn je zur Vernetzung zwischen den Akteuren der Szene und vor al­ lem zum behördenübergreifen­ den Austausch beitragen.

Ein ungewöhnliches Projekt für eine Versicherung, die bis dahin keinerlei Erfahrung im Betrieb, geschweige denn der Zulassung selbstfahren­ der Fahrzeuge hatte. Und so brauchten ich und die zwei an­ deren Projektverantwortlichen Verena Reuber und Marcel Heinz vom InnoLab “MO14” ei­ nen langen Atem, bis das erste Fahrzeug seine Jungfernfahrt im öffentlichen Straßenverkehr absolvieren durfte. Bereits die Auswahl der Fahrzeuge war ein Abenteuer: Der Markt der “Peop­ lemover” begann sich gerade zu etablieren und es gab weltweit lediglich drei relevante Herstel­ ler. Damit verbunden fehlten Erfahrungswerte hinsichtlich Zuverlässigkeit, Sicherheit und Entwicklungsstand dieser neu­ en Fahrzeugkategorie. Nicht einmal Kaufverträge für solche Fahrzeuge waren damals vor­ handen, ganz zu schweigen von Sicherheitskonzepten, tech­ nischen Beschreibungen zur Funktionalität sowie verwert­ baren Prüfberichten. Die Ent­ scheidung für einen der drei Hersteller fiel schließlich auf Basis einer ersten technischen Einschätzung durch eine Prüf­ gesellschaft, die ebenfalls erst­ malig mit solch einem Fahrzeug konfrontiert war. Nach rund 40 Umbauten und zahlreichen Tests bekam die R+V schließlich im April 2018 die streckengebundene Zulas­ sung für Fahrten im öffentlichen Raum – am Campus des Versi­ cherers in Wiesbaden. Seitdem hat das Team von “MO14” vier Testfelder erfolgreich installiert und außer in Hessen auch in Rheinland-Pfalz eine Zulassung erhalten. Im Rahmen dieser Testfelder hat die R+V auch mit kommunalen Verkehrsverbün­

Projektleiter Stefan Häfner mit einem der autonomen Kleinbusse.

den zusammengearbeitet, die sich teilweise intensiv mit inno­ vativen Verkehrskonzepten aus­ einandersetzen. Erste Erfah­ rungen zeigen, dass für sie der Einsatz von autonomen Fahr­ zeugen in Zukunft insbesonde­ re in Randgebieten von Städten und im ländlichen Raum inter­ essant sein könnte, also in Ge­ genden, die nicht so gut an den Nahverkehr angebunden sind.

Nicht abwarten, sondern handeln Nach rund zweieinhalb Jahren, tausenden Fahrgästen und so manchem Testkilometer gibt es interessante Erkenntnisse. Im Rahmen von wissenschaftlich begleiteten Testfeldern wurden rund 6.000 Passagiere zu ih­ rer Meinung nach den selbst­ fahrenden Kleinbussen befragt. Überraschend beim Ergebnis ist nicht die hohe Akzeptanz, sondern vielmehr die Notwen­ digkeit einer Moderation dieser neuen Technologien gegenüber den Nutzern. Die Passagiere wol­ len Fragen stellen und angehört werden. Die Aufgabe des gesetz­ lich vorgeschriebenen Beglei­ ters an Bord, der im Notfall das selbstfahrende Fahrzeug über­ steuern kann, geht daher weit

Foto: BS/R+V Versicherung

über diese Funktion hinaus. Der Begleiter, der eigentlich durch autonome Systeme entfallen soll, ist somit der entscheidende Faktor beim Wandel hin zu die­ ser Technologie. Betrachtet man dann den Kostenfaktor des Betriebs im Verhältnis zum Nutzen, wird schnell klar, dass im Moment mit solchen Gefährten kein Geld zu verdienen ist. Im Gegenteil, der Betrieb ist kostspielig, unbe­ ständig und enorm aufwendig. Andererseits ist es eine unver­ meidbare Investition in die Zu­ kunft, denn autonomes Fahren wird kommen. Solche Projekte, wie das der R+V Versicherung, generieren ein erstes Verständ­ nis für disruptive Veränderun­ gen im Mobilitätssektor. Abzu­ warten bedeutet, anderen das Feld zu überlassen und keinen gestaltenden Einfluss nehmen zu können. Egal, ob Versiche­ rung oder Mobilitätsanbieter, wer in Zukunft an Veränderun­ gen Teil haben will, muss heute investieren und seine Hausauf­ gaben machen. *Stefan Häfner ist Geschäfts­ entwickler und Projektleiter ­autonomes Fahren bei der R+V Versicherung.

100-prozentig elektrisch unterwegs E-Transporter für städtische Logistik (BS/Gordon Krug*) Mit dem Tropos ABLE bringt die TROPOS MOTORS EUROPE GmbH, mit Produktionsstätte in Herne, kompakte elektrische Leichtnutzfahrzeuge der Kategorie L7E-CU auf den Markt. Die elektrischen Transporter mit einer Breite von 1,40 Metern und einer Länge von 3,70 Metern sowie einem Wendekreis von unter vier Metern sind der ideale Begleiter für die städtische Logistik. Dank des leise arbeitenden Zehn-kW-Elektromotors fährt der Tropos ABLE nahezu ge­ räuschlos und absolut emissi­ onsfrei. Davon profitieren alle im Einsatzgebiet: Innenstädte, Stadtparks, Friedhöfe, Zoos, Freizeitparks, Industriegelän­ de, Hotelresorts, Parkanla­ gen, Festivals und viele mehr. Und nicht zuletzt erhöht ein geräuscharmes und emissions­ freies Nutzfahrzeug die Akzep­ tanz bei Bürgern, Mitarbeitern sowie Kunden. Mit Reichweiten zwischen 80 und 260 Kilometern bieten die Tropos ABLE für jedes Anfor­ derungsprofil eine Lösung. Mit seinen kompakten Abmessun­ gen und der größten Ladeflä­ che seiner Klasse ist der Tropos ABLE prädestiniert für den Ein­ satz im industriellen und ur­ banen Umfeld. Und der kurze Radstand ermöglicht gezieltes Rangieren auf kleinstem Raum. Das Fahrzeug ist dadurch auch für den Einsatz in Gebäuden geeignet. Neben den kompak­ ten Maßen profitiert der Tropos ABLE von seiner serienmäßigen Flexibilität: Das Easy-Swap®System ermöglicht den Umbau von Pritsche auf Koffer in weni­ ger als fünfzehn Minuten. Da­ durch erhöht sich das mögliche

Einsatzgebiet um ein Vielfa­ ches. Unabhängig, für welchen Aufbau Sie sich entscheiden und ob ein Wechsel vorgesehen ist – jeder Tropos ABLE verfügt über die gleiche Basis und da­ mit über die vielen nützlichen Eigenschaften.

ren. Egal ob Fleet Management oder Internet of Things – die Einsatzmöglichkeiten wie auch die Art der Nutzung lassen sich entsprechend der Bedürfnisse konfigurieren. Das reine Fah­ ren von A nach B wandelt sich zu einer 360°-Anwendung.

Der elektrische Tropos ABLE fährt ­geräuscharm und emissionsfrei. Foto: BS/Tropos Motors

Der Tropos ABLE versteht sich dabei nicht nur als kompak­ tes und vielseitig einsetzbares Fahrzeug auf vier Rädern. Unse­ re elektrischen Nutzfahrzeuge sind Teil eines digitalen Ökosys­ tems. Mit der optional verfüg­ baren Databox können wir den Tropos ABLE vernetzen und in die unterschiedlichsten digita­ len Anwendungen transformie­

Und ganz nebenbei sind Sie unabhängig von einer Ladein­ frastruktur: Der Tropos ABLE kann zum Laden an jede haus­ haltsübliche Steckdose ange­ schlossen werden. Mehr Informationen unter www.tropos-motors.de *Gordon Krug ist Marketing­ leiter bei Tropos Motors.



Fuhrparkmanagement

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Fast wie ein Flugtaxi

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inige solcher Gefährte gab und gibt es bereits in Deutschland, beispielsweise in Köln über den Rhein, in Berlin durch das Gelände der Internationalen Gartenausstellung (IGA) sowie in Kiel, wo eine Seilbahn knapp 20 Jahre lang ein dortiges Großkaufhaus mit dem hauseigenen Parkhaus auf der anderen Seite des alten Bootshafens verband. Was es bislang allerdings noch nicht gab, ist eine Seilbahn mit reiner Zweckbindung als Alternative im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Diese Lösungsmöglichkeit wird aber immer häufiger diskutiert, etwa in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn. Auf dem dortigen Venusberg liegen eine Reihe von Krankenhäusern, nicht zuletzt die Uniklinik. Durch die zugebaute Lage und die Enge des bewaldeten Berges ist die Park- und Verkehrssituation allerdings seit Jahren ausgelastet. Seit einiger Zeit gibt es in der Stadt daher die Idee, eine Seilbahn zu bauen, die vom Venusberg über das ehemalige Regierungsviertel verläuft und mit Haltestellen am neuen UNCampus sowie dem Posttower bis nach Ramersdorf auf der anderen Rheinseite führen könnte. Auf diese Weise sollen Besucher oder Mitarbeiter der Einrichtungen auf dem Venusberg entweder über gut angebundene ÖPNV-Knotenpunkte wie den UN-Campus oder via Park-and-Ride-Station in Ramersdorf in den Zubringer einsteigen können. Um die Machbarkeit einer solchen Baumaßnahme zu evaluieren, hat die Stadt Bonn bereits im Frühjahr eine Kosten-Nutzen-Analyse in Auftrag gegeben, die seit dem Spätsommer vorliegt und aktuell in Teilen vom Stadtrat diskutiert wird. Öffentlich gemacht habe die Stadt das Dokument allerdings noch nicht, weil man noch mit dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Bund in Abstimmungsgesprächen sei, bei denen es unter anderem auch um eine mögliche finanzielle Förderung des Projektes gehe. Aktuell ist ein Ausgang der Geschichte in der Bundesstadt offen.

In der Praxis bewährt Als prüfenswertes Verkehrsmittel sehen auch verschiedene Kommunalverbände den “angeleinten” Weg durch die Luft. Aus dem Verkehrsdezernat des Deutschen Städte- und Gemeindebundes heißt es zu dem Thema, dass es durchaus als Baustein eines breit aufgestellten ÖPNV integriert werden könne. So sei es durch diverse touristische und vor allem alpine Projekte ein technisch und praktisch absolut bewährtes Konzept, das in Kommunen mit den entsprechenden topografischen Rahmenbedingungen gerade auch

Im ganzen Land wollen Kommunen in die Luft gehen (BS/Wim Orth) Dass der Verkehr sich wandelt und für eine nachhaltige Zukunft wandeln muss, ist schon lange keine Neuigkeit mehr. Politik, Verwaltung und Gesellschaft müssen immer mehr Herausforderungen ins Auge sehen, die ein “Weiter so” wie bislang perspektivisch schlicht unmöglich machen werden. Das prominenteste Problem ist sicherlich der Klimawandel, der alle Verkehrsteilnehmer zu saubereren Lösungen drängt, doch auch die immer volleren Straßen sowie aus allen Nähten platzende ÖPNV-Systeme zwingen Kommunen zu neuen Ideen für den Verkehr von morgen. Eine Möglichkeit ist dabei der Weg in die Luft – und zwar ohne Flugtaxi, dafür aber mit Stahlseil gesichert. der temporären Beeinträchtigung durch neue Großbaustellen, eine Verunstaltung des Stadtbildes mit dazugehöriger Abwertung von Immobilien sowie eine Lärmbelästigung durch die Reibung der Stahlseile dazu. Auch die Zerstörung von Wald- und Naturflächen wird kritisch gesehen. All diese Einwände führten beispielsweise im rheinischen

Wuppertal dazu, dass ein durch die Politik geplantes und ausgiebig beworbenes Seilbahnprojekt in einer Bürgerbefragung in diesem Jahr mit mehr als 60 Prozent der Stimmen deutlich abgelehnt wurde und das Ende der Bemühungen bedeutete. Ein Votum dieser Größenordnung, das insgesamt knapp 83.000 Nein-Stimmen bedeutet, stellt im Vergleich auch eine neue Petition in Bonn in den Schatten, wo kurz vor der Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie noch einmal Druck für den Bau der kommunalen Seilbahn auf den Venusberg gemacht werden sollte. Die Zahl der Unterschriften: gut 5.000 Stück. Ob dies reichen wird, um Schwung in das Projekt zu bringen, bleibt abzuwarten.

Smart City Monheim am Rhein Digitalisierungsstrategie setzt auf Mobilität (BS/Sabine Noll*) Monheim am Rhein befindet sich auf einem sehr innovativen Weg hin zu einer Smart City. Dabei dienen die umfangreichen Digitalisierungsmaßnahmen nicht dem Selbstzweck, sondern sind grundsätzlich darauf ausgerichtet, die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu steigern, die Digitalisierung transparent und erlebbar zu machen und die Standortattraktivität für Unternehmen durch modernste Kommunikationstechniken und durch Schaffung echter Mehrwerte zu erhöhen.

Auch in Koblenz gab es zunächst starke Proteste gegen die Seilbahn zur Bundesgartenschau 2011. Als sie dann wieder abgebaut werden sollte, hatte sie so große Sympathien gewonnen, dass die Bevölkerung sich nachdrücklich für ihren Erhalt einsetzte. Foto: BS/591360, pixabay.com

von den Kapazitätsmöglichkeiten her eine interessante Alternative zum herkömmlichen Straßenund Schienenverkehr sein könne. Dabei spiele auch zusätzlich immer noch ein touristischer Faktor mit in das Gesamtbild, sodass eine Seilbahn durchaus eine Anziehung für auswärtige Menschen bieten könne. Ein Beispiel für eine nach diesen Charakteristika gelungene Integration einer Seilbahn in das Stadtbild gibt die Stadt Koblenz. Dort wurde die Seilbahn mit der weltweit größten Förderkapazität ursprünglich für die dortige Bundesgartenschau (Buga) im Jahr 2011 errichtet, um innerhalb des Stadtgebietes eine Verbindung zwischen der Altstadt am Deutschen Eck und der auf der anderen Rheinseite sowie auf 180 Höhenmetern gelegenen Festung Ehrenbreitstein zu schaffen. Aufgrund heftiger Proteste aus der Bevölkerung war das Konstrukt so ausgelegt, dass man es nach der Buga wieder hätte abbauen können; allerdings waren die

MELDUNG

Erste autonome Trams rollen in Potsdam (BS/wim) Neben der Elektrifizierung ist das fahrerlose Auto seit einiger Zeit das zweite große Innovationsthema im Bereich der Mobilität. Ganz neu dagegen sind Pilotprojekte mit selbstfahrenden Straßenbahnen. Im vergangenen Jahr fuhr in Potsdam anlässlich der im benachbarten Berlin stattfindenden Bahntechnikmesse Innotrans die weltweit erste selbstfahrende Tram durch die Stadt, die mit einem System ausgestattet war, das laut Entwickler Siemens “eigens für die Erprobung des autonomen Fahrens entwickelt wurde.” Da eine autonome Tram im Verkehrsalltag komplexe Hochleistungsalgorithmen benötige, um alle Einflüsse von außen sinnvoll zu bewerten und die weitere Entwicklung der Situationen möglichst sicher vorhersehen zu können. Im Rahmen der Testfahrt wurden die

Behörden Spiegel / Dezember 2019

vier Szenarien “Ampelanfahrt”, „Haltestellenanfahrt“, “Kreuzende Fußgänger” sowie “Kreuzende Autos” besonders in Augenschein genommen. Im Anschluss an den Testlauf machten die Projektpartner in diesem Jahr ein ganzes Projekt aus der autonomen Bahn, das seit diesem Herbst gibt es auf dem Betriebshof des Verkehrsbetriebs Potsdam durchgeführt wird und an dem sich neben dem Hersteller der Bahn, Siemens Mobility, auch das Karlsruher Institut für Technologie sowie das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität beteiligen. Im Rahmen des Projekts AStriD (kurz für “Autonome Straßenbahn im Depot”) soll in den nächsten drei Jahren an der Realisierung eines vollautomatisierten Depots mit autonom fahrenden Trams geforscht werden.

Bürger der Stadt anschließend so begeistert von der schnellen Verbindung auf die Anhöhe am anderen Ufer, dass die Seilbahn bis heute steht und sogar von der UNESCO attestiert bekam, dass sie das Welterbe “Mittelrheintal” nicht beeinträchtige, sondern im Gegenteil sogar erstmals eine vernünftige Verbindung aus der Stadt zur Festung ermögliche. Auch der Deutsche Städtetag sieht solche Projekte als Möglichkeit für eine “sinnvolle Ergänzung für den Öffentlichen Nahverkehr”, wie Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy erklärt. Die Hauptgemeinsamkeit der Seilbahnprojekte in Koblenz, Berlin und auch Köln: Sie “sind für Gartenausstellungen gebaut worden und werden nun nachgenutzt”. Aber auch in anderen Kommunen gebe es Potenziale, vor allem in jenen “Städten, die aufgrund ihrer geografischen Lage eine Alternative zu den eta­blierten Nahverkehrsmitteln brauchen.” Dabei sei aber wichtig, dass diese nicht mehr nur privat betrieben und kommunal gefördert würden, so Dedy: “Wichtig ist, dass sie auch sinnvoll in das Tarifsystem vor Ort integriert werden können. Der Deutsche Städtetag hat deshalb den Bund gebeten, urbane Seilbahnen, die Nahverkehrsaufgaben erfüllen, in den Förderkatalog zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz aufzunehmen.” Gerade bei der angesprochenen Integration in die gegebenen Strukturen des ÖPNV hakt es derzeit noch deutlich. Zwar prüft die Berliner BVG derzeit, die für die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2017 errichtete Seilbahn in ihr System zu übernehmen, allerdings ist diese nicht frei zugänglich und führt zudem lediglich über besagtes IGA-Ausstellungsgelände, das seitdem als “Gärten der Welt” Naherholung für die Berliner Bevölkerung bietet. Und auch in Köln und Koblenz gibt es die Seilbahnfahrt nur gegen separate Tickets. Dabei spricht für die kommu-

nale Seite vieles für den Einsatz von Seilbahnen. So liegt allein die Bauzeit deutlich unter der von Schienensystemen: Während Bahnen unter Tage oder neue Straßenprojekte im Regelfall mehrere Jahrzehnte von der Idee über die Planung bis zum Bau benötigen, können spezialisierte Seilbahnbauer eine Stadtbahnlinie in knapp zwei Jahren hochziehen, wenn keine allzu großen Hürden zu überwinden sind. Und auch die Kosten sind nur mit einem Bruchteil von denen einer neuen U-Bahn-Trasse zu verorten.

Vorbehalte trotz vieler Pluspunkte Doch bei aller vermeintlicher Aufbruchsstimmung gibt es auch einige Vorbehalte gegen die Verkehrslösung, über den Stau hinweg zu schweben. In Köln scheint das geplante “Rheinpendel”, das insgesamt 21 Haltestellen entlang des Rheines bieten soll, beispielsweise schon allein deswegen zum Misslingen verdammt, da nicht nur das Koblenzer Rheintal, sondern auch der Kölner Dom zum UNESCO-Welterbe gehört und man dort bereits vor einigen Jahren durch den Bau eines Hochhauses auf der anderen Rheinseite kurz davor stand, diesen Status – und damit viele Millionen Euro Fördergelder – entzogen zu bekommen. Noch einmal wird die UNESCO sich in einer Diskussion mit der Stadt wohl nicht gnädig zeigen, wenn bereits Tatsachen vonseiten der Kölner Stadtplaner geschaffen wurden. Ein weiterer Kritikpunkt kommt regelmäßig aus der Bürgerschaft selbst. Während Pendler die Seilbahnen als nervenschonende Lösung sehen, den Straßen- und Schienenverkehr zu umgehen, wehren sich die Anlieger der Strecke. Hauptargument gegen einen Bau von Trassen durch die Stadt ist dabei die möglicherweise erfolgende Verletzung der Privatsphäre der darunter lebenden Bürger, da die Gondeln in einer nur geringen Höhe über den Häusern fahren würden. Zudem komme, neben

Grundlage dafür ist das Vorhandensein der technischen Infrastruktur, die mit dem flächendeckenden Ausbau des Glasfasernetzes Ende 2018 abgeschlossen werden konnte. Hinzu kommt die öffentliche WLAN-Versorgung, die ebenfalls flächendeckend ausgebaut wird und mit über 60 Prozent bereits umgesetzt wurde. Zur Digitalisierungsstrategie der Stadt Monheim am Rhein gehören insbesondere die Aktivitäten, die Mobilität im Stadtgebiet vorausschauend weiterzuentwickeln: das digitale Fahrradverleihsystem sowie die Projekte Smart Parking, Carsharing und der selbstfahrende, elektrisch angetriebene Linienbus. Auf die beiden letztgenannten Projekte soll hier näher eingegangen werden.

Carsharing/Fuhrpark Seit dem 2. Mai 2019 hat die Stadt Monheim am Rhein insgesamt elf Stadtautos in Kooperation mit der Firma mikar GmbH & Co. KG Deggendorf in Betrieb genommen und damit auch gleichzeitig den städtischen Fuhrpark ersetzt. Den Nutzerinnen und Nutzern stehen an den zunächst drei Standorten, u. a. am Rathausparkplatz, insgesamt neun elektrisch angetriebene Renault ZOEs und zwei Renault Master mit Verbrennungsmotoren zur Verfügung. Die Fahrzeuge dienen sowohl als städtische Dienstfahrzeuge als auch als Carsharing-Angebote für die Monheimer Bürgerschaft. Die monatliche Leasingrate der Fahrzeuge umfasst die Kosten für die Bereitstellung, Wartung und Pflege der Fahrzeuge sowie die organisatorischen Kosten. Lediglich die erstmalige Sichtprüfung der Führerscheine verbleibt im städtischen Bürgerbüro. Das städtische Unternehmen “Monheimer Elektrizitäts- und Gasversorgung GmbH (MEGA)” ist für die Bereitstellung und technische Betreuung der La­ deinfrastruktur sowie die Stromlieferung zuständig. Die monatlichen Leasingraten mit den inkludierten Leistungen ersetzen damit die schlecht kalkulierbaren Betriebs- sowie Wartungs- und Reparaturkosten des vorherigen städtischen Fuhrparks. Aufgrund der hohen Nachfrage durch die Bürgerschaft aufgrund von einfacher Handhabung und attraktiven Preisen wird derzeit die Einrichtung von weiteren Standorten im Stadtgebiet geprüft.

Selbstfahrender, elektrisch angetriebener Linienbus Vor dem Hintergrund, dass es bislang keine selbstfahrenden Busse im Linienbetrieb im Bundesgebiet gibt, wurde nach erfolgreich durchgeführtem Vergabeverfahren über die Beschaffung von insgesamt fünf Fahrzeugen einschließlich des dafür notwendigen Supports im Frühjahr das erste Fahrzeug der Fa. Easymile im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Zum Start der Teststrecke war es erforderlich, eine vorläufige Zulassung für das Fahrzeug zu bekommen. Bevor die finale Zulassung der Fahrzeuge in Verbindung mit der zu befahrenden Strecke erfolgt, bedurfte es zunächst einer Beurteilung, ob die Fahrstrecke möglichst störungsfrei von den autonomen Fahrzeugen befahren werden kann. Parallel dazu wurden die autonomen Busse mit weiteren Funktionen und technischen Einrichtungen ausgestattet, die für einen Busbetrieb und eine Straßenzulassung erforderlich sind. Die technische Konformität wurde vom Hersteller in Workshops mit dem TÜV Rheinland erarbeitet. Für die Entscheidung über den Antrag auf Zulassung ist die Bezirksregierung Düsseldorf zuständig. Nach Erteilung der Zulassung werden die weiteren Fahrzeuge zum Betrieb der Buslinie voraussichtlich zum Jahresende geliefert und zugelassen. Parallel zu den Zulassungsaktivitäten haben in unmittelbarer Nähe zur Strecke die Bauarbeiten für eine Garage begonnen. Dort sollen die Fahrzeuge abgestellt und geladen werden. Außerdem steht Platz für Arbeiten an den Fahrzeugen zur Verfügung. Hierfür sowie für die Anschaffung der fünf Busse (rd. 1,7 Mio. Euro, größtenteils öffentlich gefördert), die Einrichtung und den Betrieb der Buslinie mit Linienkonzession ist das städtische Unternehmen Bahnen der Stadt Monheim GmbH (BSM) verantwortlich. Von dort werden kleinere technische Aufgaben wahrgenommen, das notwendige Personal bereitgestellt sowie für die Unterbringung der Fahrzeuge Sorge getragen. Für die Zukunft ist in Monheim am Rhein vorgesehen, ab dem 01. April 2020 den kostenlosen ÖPNV einzuführen. Zudem sind weitere Linien als Zubringer zum bisherigen Liniennetz mit den selbstfahrenden Bussen vorgesehen. *Sabine Noll ist Kämmerin der Stadt Monheim am Rhein.


Fuhrparkmanagement

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Foto: BS/Senatskanzlei Bremen, Tristan Vankann

Crash Boom Bäng – adé Der SafeDrivePod von CarMobility sorgt für mehr Verkehrssicherheit

Vier Fragen – Vier Antworten mit Dr. Andreas Bovenschulte, Präsident des Senats sowie Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen

Attraktive Alternativen bieten Bremen soll bis 2030 autofrei werden (BS) Seit Mitte August ist Dr. Andreas Bovenschulte Bürgermeister sowie Senatspräsident von Bremen. Der SPD-Mann regiert die Hansestadt in einer rot-rot-grünen Koalition, die in ihrem Regierungsvertrag als zentrales Ziel ausgegeben hat, die Stadt bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts weitgehend autofrei zu gestalten. So soll das Klima geschont und die Innenstadt gleichzeitig wieder attraktiver für den Menschen gemacht werden. Mit welchen Maßnahmen dieses ehrgeizige Ziel umgesetzt werden soll, erklärt Dr. Bovenschulte im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellte Wim Orth. Behörden Spiegel: Herr Dr. Bovenschulte, gemeinsam mit Ihren Koalitionspartnern wollen Sie die Bremer Innenstadt bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts autoarm bzw. teilweise autofrei umgestalten. Woher kommt die Motivation für diesen Plan und wie wollen Sie die Autos aus der Stadt bekommen? Dr. Bovenschulte: Die Innenstädte haben heute zwei Konkurrenten: Die Einkaufszen­tren am Stadtrand oder auf der grünen Wiese und das Internet. Ich glaube, dass die Bremer City da nur bestehen kann, wenn sie attraktiver wird. Das heißt: kaum Autoverkehr, dafür mehr Platz für Gastronomie, Fußgänger und Fahrradfahrer. Andere Städte machen es vor und haben deutlich mehr Fußgängerzone als Bremen. Die örtliche Handelskammer, in der die Kaufmannschaft vertreten ist, sieht das übrigens genauso. Auch sie ist für eine autofreie Innenstadt. Nebenbei bedeutet weniger Autoverkehr in der Innenstadt natürlich auch weniger CO2-Ausstoß. Die Koalition hat sich im Koalitionsvertrag zum Pariser Klimaschutzabkommen bekannt. Eine autofreie Innenstadt wäre ein Beitrag dazu. Behörden Spiegel: Weniger Verkehr bedeutet auch weniger Parkplätze in der Stadt. Was soll

aus den frei werdenden Flächen im Stadtraum werden? Dr. Bovenschulte: In der Bremer Altstadt gibt es fünf Hochgaragen. Allesamt in hochattraktiven Lagen. Sollten sie als Parkhäuser nicht mehr benötigt werden, könnten sie umgebaut oder durch Neubauten ersetzt werden. Ein Mix aus Einzelhandel, Büros, Wohnungen und öffentlicher Nutzung wären willkommen, um wieder mehr Leben in die Stadt zu bekommen. Ich bin mir sicher: An interessierten Investoren wird es nicht mangeln. Behörden Spiegel: Keine bzw. spürbar weniger Autos in der Stadt vergrößern den Bedarf nach alternativen Verkehrsangeboten und einem Ausbau des ÖPNV enorm. Wie soll der Stadtverkehr in Bremen im Jahr 2030 aussehen? Dr. Bovenschulte: Sicher ist: Die Bremer City muss gut erreichbar bleiben, sonst kaufen die Kunden bei der Konkurrenz – das heißt, siehe oben, im Internet oder den Einkaufszentren. Wenn die Innenstadt autofrei werden soll, müssen wir also in den ÖPNV investieren. Konkret: mehr Fahrzeuge, schnellere Taktung, preiswertere Tickets. Zudem werden wir in den Radverkehr investieren und

Förderung für Nutzfahrzeuge Viele Töpfe bei Bund und Ländern (BS) Ob es um den Aufbau von elektrischen Fuhrparks oder Programmen zum kommunalen Carsharing geht: Die Liste der Förderprogramme für kommunale Mobilität ist lang. Aber auch bei der Anschaffung von Nutzfahrzeugen für die Verwaltung greifen Bund und Länder den Kommunen kräftig unter die Arme. Um nachhaltige Mobilitätsprojekte nicht nur im Bereich der herkömmlichen Pkws, sondern auch bei Bussen und Lastwagen zu realisieren, gibt es für fast jeden Geschmack eine eigene Förderung. So fördert das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen seines Klimaschutzpaketes unter anderem die Modernisierung von Busflotten hin zu klimaneutralen Antrieben “durch eine stärkere Förderung von Bussen mit elek­trischen und wasserstoffbasierten Antrieben sowie von Bussen, die mit Biogas betrieben

Die Stadt Köln plant, ihre Busflotte perspektivisch komplett umzustellen; am Rhein kann man sich dabei über einige Förderungsprojekte freuen. Foto: BS/Christoph Seelscheid, KVB AG

werden”, wie es aus dem Ministerium heißt. Zudem soll künftig ein neues Förderprogramm aufgelegt werden, mit dem die Kommunen gezielt bei der Anschaffung von Nutzfahrzeugen mit emissionsfreien Antrieben unterstützt werden sollen: “Wir wollen Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben stärker fördern. Deshalb stehen für eine Kaufprämie rund eine Milliarde Euro zur Beschaffung bereit.” Aber auch einige Länder schütten Gelder für die Umrüstung der Fuhrparks aus. So unterstützt das Land Baden-Württemberg beispielsweise im Rahmen der “Landesinitiative III Marktwachstum Elektromobilität BW” kommunale und gewerbliche Vorhaben zum Ein- bzw. Umstieg in die E-Mobilität im Nutzfahrzeugsektor. Dabei geht es vor allem um Elektro-, Brennstoffzellen- sowie Hybrid-Lkws sowie die Umrüstung vorhandener Fahrzeuge. Die Kommunen erhalten dabei 50 Prozent der Mehr- bzw. Umrüstungskosten, sofern die Gesamtförderung ein Maximum von 100.000 Euro pro E-LKW/ Brennstoffzellen-Lkw nicht übersteigt. Bei Hybrid-Lkws beträgt die Maximalsumme 60.000 Euro pro Fahrzeug.

beispielsweise Rad-PremiumRouten bauen und mehr Augenmerk auf Fußgänger legen. Behörden Spiegel: Der Individualverkehr ist in Deutschland sehr ausgeprägt – wie wollen Sie die Bürger überzeugen, das Auto stehen zu lassen oder, im besten Fall, sogar ganz abzuschaffen? Dr. Bovenschulte: Indem wir Alternativen bieten: Attraktive Rad- und Fußwege, einen komfortablen, verlässlichen und preiswerten ÖPNV und ein wohnortnahes Carsharing-Angebot. In Bremen sind diese Alternativen schon hochattraktiv. Dennoch wollen wir sie noch besser machen.

(BS/Malte Krause*) Auch wenn es viele Autofahrer nicht wahrhaben wollen: Die Handynutzung am Steuer ist mittlerweile die Unfallursache Nummer eins im Straßenverkehr. Obwohl das Problem bekannt ist, gehören mit dem Smartphone am Ohr telefonierende und Kurznachrichten schreibende Menschen vermehrt zum Alltag auf deutschen Straßen. Um diesem Trend besonders im Bereich der betrieblichen Mobilität entgegenzuwirken, bieten die Fuhrparkmanagement-Spezialisten von CarMobility den SafeDrivePod an. Es braucht heutzutage keinen Alkohol mehr am Steuer, um einen totalen Blindflug auf der Straße hinzulegen: Das Schreiben einer Kurznachricht kostet mindestens fünf Sekunden totale Ablenkung. Bereits zwei Sekunden Ablenkung bedeuten bei 50 km/h einen Blindflug am Steuer von 30 Metern. Eine angemessene Reaktionszeit ist dabei völlig ausgeschlossen. Das Problem ist auch im betrieblichen Alltag angekommen. Denn auch die Schadenquoten werden durch vermehrte Auffahrunfälle nach oben getrieben – alles in allem eine Situation, die Fuhrparkverantwortliche kaum kalt lassen kann. Dabei kann die Lösung so klein wie einfach sein: der SafeDrivePod. Das System besteht aus drei Elementen: dem circa fünf Cent großen SafeDrivePod (Hardware), einer zugehörigen App für Android- und iOS-Geräte (Software) sowie einem Reporting-System für Fuhrparkmanager (Server). Die Hardware wird beliebig im Fahrzeug platziert (z. B. Handschuhfach) und verbindet sich per Bluetooth mit der zugehörigen App

Foto: BS/Volkswagen Financial Services AG

auf dem Smartphone. Stellt der Fahrer die Bluetooth-Verbindung aus, bekommt er eine Erinnerung per Push-Nachricht und E-Mail. Durch Radiowellen und einen Vibrationssensor nimmt das System wahr, ob sich das Fahrzeug bewegt. In diesem Fall sperrt die App den Bildschirm des Handys. Telefonieren ist dann nur noch über die Freisprecheinrichtung möglich. Navigations-Apps sind nutzbar, können aber während

der Fahrt nicht bedient werden. Alle anderen Apps laufen im Hintergrund weiter, können aber nicht angesteuert werden. Die integrierte SOS-Funktion ermöglicht im Notfall dennoch das Absenden eines Anrufs. Sowie das Fahrzeug länger als 20 Sekunden nicht bewegt wird, wird der Bildschirm wieder freigeschaltet. Der SafeDrivePod funktioniert ohne GPS und zeichnet dementsprechend keine Fahrten auf. Über das Internetportal kann der Fuhrparkmanager die Nutzung aller registrierten SafeDrivePods in seinem Unternehmen einsehen und entsprechende Auswertungen machen. Der SafeDrivePod eignet sich nicht nur für den Einsatz im Pkw, sondern auch für den Lkw- oder Bus-Bereich. Clever, oder? www.car-mobility.com *Malte Krause ist Pressesprecher der Volkswagen Financial Services AG.


Sichern Sie sich Ihren Wissensvorsprung ! Seminar-Highlights im Frühjahr 2020 Vergaberecht Planerausschreibungen: Was gilt jetzt?

31.01.2020, Berlin

DigitalPakt Schule: Rechtssichere Vergabe von IT-Leistungen im Bildungsbereich 13.02.2020, Frankfurt a. M. Der Gorch-Fock-Effekt – wie viel Vergaberecht ist Chefsache?

14.02.2020, Düsseldorf

Personal und Dienstrecht Stellenausschreibungen formulieren und geschickt platzieren

13.-14.01.2020, Berlin

Personalmanagement in der öffentlichen Verwaltung

12.-13.02.2020, Berlin

Personalratswahl Bund 2020

06.02.2020, Berlin

IT Digitalisierungsstrategie für die öffentliche Verwaltung

18.02.2020, Berlin

IT-Sicherheitsrecht für Behörden

19.02.2020, Berlin

Die E-Akte als Kern der Verwaltungsdigitalisierung

03.03.2020, Bonn

Kommune Kreatives Standortmarketing mit Design Thinking

23.01.2020, Berlin

Wie prüfe ich einen (kommunalen) IT-Dienstleister?

24.-25.02.2020, Berlin

Neues Umsatzsteuerrecht (§ 2 b UstG): Chancen und Risiken für die öffentliche Hand

24.03.2020, Hamburg

Revision & Compliance Controlling in der öffentlichen Verwaltung

03.-07.02.2020, Hannover

Interne Kontrollsysteme in öffentlichen Verwaltungen

18.-19.02.2020, Hamburg

Antikorruptionsbeauftragte/r in der öffentlichen Verwaltung

16.-20.03.2020, Berlin

Organisation und Management Beschwerdemanagement in öffentlichen Verwaltungen Einführung einer Sicherheitsarchitektur in Behörden Ideenmanagement und Vorschlagswesen in Behörden

03.02.2020, Bonn 05.-06.02.2020, Bonn 10.03.2020, Berlin

Detaillierte Informationen und weitere Termine unter: www.fuehrungskraefte-forum.de


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Dezember 2019

Die Crux mit der Souveränität

KNAPP Gründung der “govdigital eG”

Kann ein Staat heute digital souverän sein? (BS/Uwe Proll) Die Diskussion um digitale Souveränität erhält dieser Tage eine neue Dimension, denn hier geht es nicht mehr um Souveränität gegenüber anderen Staaten, sondern gegenüber globalen Konzernen. Es geht also nicht nur darum, russische, chinesische und US-amerikanische Ausspähung von Daten zu verhindern, sondern darum, nicht in Abhängigkeit supranationaler, global operierender Digital-Konzerne zu geraten. Das ist eine Herausforderung, der sich besonders europäische Regierungen derzeit widmen. Dies auch deswegen, weil die großen Digital-Konzerne in den USA direktem Staatszugriff unterliegen, ebenso die IT-Unternehmen in Russland oder Telekommunikationsausrüster in China. Europa verfügt nicht über vergleichbare Konzerne und stellt sich daher die Frage nach einer Souveränitätsstrategie. Eine Frage, auf die es viele Antworten gibt, doch bisher keine schlüssigen. Da ist zum einen die Frage, wie die Daten der Bürger geschützt werden können. Dazu hat Europa mit der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung eine Antwort gegeben. Diese trägt innerhalb Europas einigermaßen, doch globale Konzerne wie Google, Amazon und andere halten sich schlicht nicht dran oder erzwingen im “Kleingedruckten” eine Einwilligung über die Verwendung der Daten ihrer Nutzer, die dies zwingend tun müssen, um weiterhin die Dienste dieser Konzerne in Anspruch nehmen zu können. Doch was macht der Staat? Wie will er sich gegen den Zugriff auf seine Daten schützen? Das ist eine Diskussion, die seit der Abhör-Affäre auf das Handy der Bundeskanzlerin in Berlin läuft, also seit sechs Jahren. Dutzende von Konzeptpapieren zur digitalen Souveränität kursieren. Doch am Ende des Tages – und das ist die bittere Erkenntnis – lässt sich digitale Souveränität nicht postulieren, sondern nur in Form von ITTechnik “festschrauben”. All die Think Tanks, Verbände, Parteien und Ministerien, die zu diesem Thema Doktrinen formuliert haben, bleiben eine einfache Antwort schuldig: Wie organisiert der Staat sich so, dass er einer digitalen Fremdbestimmung entgeht. Kann man eine staatliche IT-Infrastruktur so errichten, dass sie es der nationalen Regierung erlaubt, souverän über die Verwendung der Daten und ihre Verfügbarkeit zu entscheiden? Das ist in einer Welt, die von Cloud Computing wird beherrscht und damit der Internationalisierung der Datenspeicherung huldigt, eigentlich eine Frage an die technologische Vergangenheit.

Am Ende geht es immer darum, mit welchen technologischen Partnern digitale Souveränität zu realisieren ist. Denn der Staat selber wird nicht in der Lage sein, den Innovationszyklen bei Softwareentwicklung und dem rasanten technologischen Fortschritt als Selbstversorger oder Eigenproduzent beizukommen. Staaten mit großen IT-Konzernen haben es da einfacher. Was kann also Deutschland machen, um digital souverän zu werden? Es wird nach technischen Lösungen gesucht, die mit den globalen Playern zu vereinbaren sind. Seit zwei Jahren verhandeln Microsoft und die Bundesregierung. Die Gespräche sind derzeit abgebrochen, nachdem es zwar mehrere Vorschläge seitens Microsoft gab, Rechenzentren zur Verfügung zu stellen, die mehr oder weniger gekapselt werden und durch Mitarbeiter der Regierung betrieben werden könnten. Nach mehreren Verhandlungsrunden ist derzeit jedoch Stillstand. Ein Vorschlag von Microsoft war unter anderem eine sogenannte Airway-Lösung, die das Unternehmen für die NSA nach der Snowden-Affäre eingeführt hat. Beim US-amerikanischen Geheimdienst hatte man nach Edward Snowden keinen Bedarf mehr an Fremdmitarbeitern in den eigenen IT-Systemen. Also erklärte sich Microsoft bereit, die direkte Verbindung nach Redmond in die Zentrale zu kappen und alle Updates und Releases von der NSA selbst prüfen zu lassen. Dies ist für die Bundesregierung aber keine Option, wie diese Zeitung erfuhr, weil trotz dieser Maßnahmen Mitarbeiter von Microsoft Zugang zu den IT-Systemen der NSA haben. Als industrielle Alternative steht

der deutsche Softwarekonzern SAP zur Verfügung. Er hat sich angeblich bereit erklärt, eine On Premise Cloud zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, dass eine SAP-Software betrieben wird, allerdings ohne direkten Zugriff von SAP und “gefahren” von Mitarbeitern der Regierung. Dritte Variante ist derzeit eine Open-Source-Lösung, möglich etwa mithilfe des von IBM gekauften Unternehmens Red Hat oder auch mit Suse. Dies würde ermöglichen, dass die Bundesregierung eine eigene Cloud betreiben könnte. Doch bei all diesen Lösungen stehen nicht alle Funktionalitäten uneingeschränkt zur Verfügung. Die Bundesregierung ist derzeit also in einer Klemme, zumal ein erster Versuch von Microsoft, T-Systems und der Bundesdruckerei der Bundesregierung eine seriöse Private Cloud anzubieten, letztlich an der fehlenden Nachfrage scheiterte. Microsoft hatte die Infrastruktur auf zwei Rechenzentren in Magdeburg und Frankfurt zur Verfügung gestellt, T-Systems den Betrieb organisiert und die Bundesdruckerei über ein Verschlüsselungssysteme den Treuhänder gegeben. Im Bundesinnenministerium (BMI) hat man nun eine Arbeitsgruppe “Digitale Souveränität” eingerichtet, die bis zur Sitzung des IT-Planungsrats im März eine Strategie vorlegen will, mit der man eine eigene deutsche Cloud auf Basis von Rechenzentren des Bundes wie auch großer IT-Landesbetriebe, gegebenenfalls auch weiterer kommunaler Rechenzentren, realisieren kann. Diese soll auf Open Source basieren. Gespräche mit Open Source Communities haben bereits stattgefunden. Eine Bereitschaft bei einigen

Rechenzentren, etwa Dataport, ist da. Das Ganze läuft aber mit hohem Risiko, denn bereits die Landeshauptstadt München hatte sich vor Jahren von Microsoft abgewendet und auf die Open Source-Lösung Linux gesetzt. Das Ganze endete in einem Fiasko. Mitarbeiter saßen an zwei Bildschirmen. Auf dem einen liefen die Microsoft-basierten Fachanwendungen und auf dem anderen die interne Kommunikation. Im BMI ist man der Ansicht, dass München seinerzeit nicht groß genug gewesen sei, um ein solches Verfahren gegenüber Microsoft durchzustehen. Also heißt das, die Marktmacht zu bündeln. Dafür spricht einiges, denn auch in den Niederlanden und Frankreich gibt es Bestrebungen, sich von Microsoft zu lösen. Was ist das Problem bei Microsoft? Das US-Unternehmen hat mit Windows 10 eine klare Linie in Richtung Consumer-Markt gesetzt. Permanent laufen Metadaten aus den Kundenrechnern in die Entwicklungsabteilung nach Redmond, um die “Gesundheit“ des Systems zu verbessern. Damit fließen aber auch Daten ab, die die Bundesregierung nicht abfließen sehen möchte. Microsoft hat sich also für den Massenmarkt und gegen Government entschieden. Mehrere Zugeständnisse wurden dennoch gemacht, wieder zurückgezogen und aktuell herrscht Schweigen zwischen den Parteien. Auch für Microsoft ist das ein hohes Risiko, denn Deutschland ist der größte Markt außerhalb der USA und die öffentlichen Verwaltungen wiederum der größte Kunde innerhalb dieses Marktes. Microsoft Deutschland stand daher im ständigen kontroversen Dialog mit der Zentrale, denn dort will man von Sonderlösun-

gen möglichst wenig wissen. Die Ausrichtung des Unternehmens auf Windows 10 und die Azure Cloud verspricht voluminöse Umsätze. Sonderregelungen passen da nicht ins Konzept. Wenn einige Regierungen, vorneweg Deutschland und Holland, jedoch abspringen und eigene Wege gingen, widerspricht das dem linearen Microsoft-Geschäftsmodell. In Frankreich ist das bereits geschehen, denn dort haben Gendarmerie und Militär Open-Source-Lösungen eingeführt, um sich von Microsoft zu “befreien“. Die Diskussionen laufen nun in den beiden IT-verantwortlichen Ressorts BMI und BMF auf vollen Touren. Während im BMI die Arbeitsgruppe Digitale Souveränität definieren will, was Souveränität eigentlich bedeutet und wie sie strategisch gesichert werden kann, laufen im BMF, zuständig für den IT-Betrieb, die Diskussionen darüber, mit wem man das eigentlich realisieren könnte. Hier gibt es große Unterschiede in der Betrachtungsweise, da der Betreiber einer IT-Infrastruktur eine völlig andere Sicht auf die Dinge hat als derjenige, der für die Strategie verantwortlich zeichnet. Im BMF schließt man eine Nutzung verschiedener Cloud-Anbieter schon längst nicht mehr aus, denn die Masse der Daten allein aus der Finanzverwaltung muss irgendwo bleiben. Sie könnten kryptiert werden und in kleinen Paketen auf verschiedene seriöse und geprüfte Cloud-Anbieter verteilt werden. So zumindest derzeit die perspektivische Diskussion im BMF. Das BMI schließt dies völlig aus, wenn staatliche Daten so gespeichert würden, müsse dies obligatorisch in der eigenen Bundes-Cloud geschehen.

(BS/gg) Mitte Dezember haben zehn öffentliche IT-Dienstleister unter der Mitwirkung von Vitako in Berlin die neue BlockchainGenossenschaft “govdigital” ins Leben gerufen. Die Gründungsmitglieder AKDB, Bundesdruckerei, Dataport, ekom21, Governikus, KDO, Stadt Köln, krz Lemgo, regio iT und SIT wollen die Blockchainund weitere neue Technologien für die öffentliche Hand vorantreiben und eine bundesweite Netzwerkinfrastruktur für Anwendungen schaffen. Server und Datenbanken sollen zukünftig in zertifizierten Rechenzentren zur Verfügung gestellt und betrieben werden. Auf dieser Basis sollen kommunale genauso wie Landes- und Bundesbehörden Anwendungen für die öffentliche Hand entwickeln und anbieten können. Die Genossenschaft will zukünftig noch weitere Mitglieder aus dem Bereich der öffentlichen IT aufnehmen.

Neue Abteilung Cyber Crime (BS/stb) Das Bundeskriminalamt (BKA) erhält eine neue Hauptabteilung Cyber Crime, um Kräfte im Kampf gegen Internetkriminalität zu bündeln. Ziel ist es unter anderem, ITSpezialisten stärker als bisher direkt in die polizeiliche Arbeit einzubinden. Dafür sollen zusätzliche Stellen im BKA geschaffen werden. Die neue Abteilung soll zum 1. April 2020 offiziell die Arbeit aufnehmen. Abteilungsleiter soll Carsten Meywirth werden, der bereits mit der Leitung des Aufbaustabes betraut ist. Meywirth war zuletzt im Bereich Personalplanung in der Zentralverwaltung der Behörde tätig. Zuvor war der Leitende Kriminaldirektor bereits als Referats­ leiter im BKA für das Thema Cyber-Kriminalität zuständig gewesen.


Informationstechnologie

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Den Turbo gezündet

B

ehörden Spiegel: Frau Ministerin, Mitte November feierte Ihr Haus einjähriges Bestehen. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz nach einem Jahr als Digitalministerin aus? Gerlach: Ich bin sehr zufrieden. Wir mussten ja nicht nur ein neues Ministerium aufbauen, sondern haben vom ersten Tag an auch inhaltlich gearbeitet. Dabei hatte ich anfangs nicht einmal einen Schreibtisch. Wir haben in den ersten zwölf Monaten viel erreicht. Von unserer Initiative “Online – aber sicher!” mit der Hotline für ITNotfälle über das Frauentalentprogramm BayFiD bis hin zum Digitallabor, das wir gemeinsam mit dem Landkreistag gestartet haben.

Bayern will mit Online-Services nicht bis Ende 2022 warten

durchgeführt, um – auch auf dieser Grundlage – gemeinsam im ITPlanungsrat Anfang kommenden Jahres eine Grundsatzentscheidung für eine deutschlandweite Lösung zu treffen. Das ist mir sehr wichtig, denn noch mehr Zeit dürfen wir hier nicht verlieren.

(BS) Der geflügelte, von Ex-Bundespräsident Roman Herzog geprägte Ausspruch “Laptop und Lederhose” ließ seit Ende der 90er-Jahre den oberflächlichen Schluss zu, Digitalisierung sei in Bayern vornehmlich Männersache. Spätestens seit Judith Gerlach vor rund einem Jahr an die Spitze des neu geschaffenen Staatsministeriums für Digitales trat, kann hiervon keine Rede mehr sein. Ihr Haus ist seitdem das Schlüsselressort für die digitale Transformation des Freistaats. Der Behörden Spiegel sprach mit der Ministerin über die Bilanz des ersten Jahres und die vielfältigen He- Behörden Spiegel: In Frankfurt fand jüngst erstmals eine Konferausforderungen im Zuge der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Das Interview führte Guido Gehrt. renz der Digitalministerinnen und -minister statt. Sind durch diese Runde auch zusätzliche Impulse für die Verwaltungsdigitalisierung zu erwarten, die über das hinausgehen, was im IT-Planungsrat diskutiert wird?

Judith Gerlach, bayerische Staatsministerin für Digitales, ist nicht nur Schirmherrin des Zukunftskongresses Bayern, sondern wird die Veranstaltung auch mit einer Keynote eröffnen. Weitere Informationen zum Kongress sowie eine Anmeldemöglichkeit unter: www.zukunftskongress.bayern

an einem Strang ziehen. Viele Rathäuser und Landratsämter leisten hier tolle Arbeit. Und die, die noch zögerlich sind, werden sicher bald mitziehen.

Behörden Spiegel: Die Digitalisierung der Verwaltung zählt zweifellos derzeit zu den größten Herausforderungen für die Behörden und die Politik gleichermaßen. Welche Fortschritte konnten Sie hier in den letzten zwölf Monaten erreichen? Gerlach: Wichtig war, dass wir von der Planung zur Umsetzung kommen. Wir haben in Bayern den Turbo für die digitale Verwaltung gezündet. Die wichtigsten Verwaltungsleistungen wollen wir bereits Ende 2020 online zur Verfügung stellen. Das ist deutlich schneller als vom OZG vorgesehen. Damit das gelingt, unterstützen wir zum Beispiel sieben Pilotlandkreise mit unserem Digitallabor. Die Ergebnisse stehen dann natürlich bayernweit zur Verfügung.

Behörden Spiegel / Dezember 2019

kutiert. Brauchen wir hier einen stärkeren Fokus auf die Wirtschaft, deren Behördenkontakte zahlenmäßig ja weit über denen der Bürger liegen? Gerlach: Wenn dem so wäre, hätten Sie recht. Aber tatsächlich spielt die Wirtschaft in unseren Überlegungen eine große Rolle. Das lässt sich beispielsweise an der aktuellen Debatte um die Zukunft der Unternehmenskonten im ITPlanungsrat ablesen. Das war auch ein Grund, warum wir hier nicht lockergelassen haben. Auf unsere Initiative hin wird aktuell eine Machbarkeitsstudie für ein ELSTER Unternehmenskonto

“Wenn alle digitale Ideen haben, aber der Chef nicht mitzieht, dann wird das nichts.”

Judith Gerlach sieht eine positive Bilanz ihres ersten Jahres in der bayerischen Staatsregierung. Als Staatsministerin für Digitales vertritt sie ebenfalls die Interessen des Freistaats im IT-Planungsrat. Foto: BS/Bayerisches Staatsministerium für Digitales, Jörg Koch

Behörden Spiegel: Wo liegen für Sie hier die Kernherausforderungen für die kommenden zwölf Monate?

Gerlach: Die digitale Verwaltung wird nur dann ein Erfolg, wenn sie “Die wichtigsten Verwaltungsfür die Menschen genauso einfach ist leistungen wollen wir bereits wie Online-Shopping Ende 2020 online zur Verfügung oder die Reisebustellen.” chung im Internet. Das Smartphone ist Mit dem Förderprogramm “Digi- unser ständiger Begleiter und so tales Rathaus” wenden wir uns etwas wie unser mobiles Büro. an die Kommunen und fördern Deswegen wollen wir schon jetzt dabei auch Digitallotsen. Zudem den nächsten Schritt gehen: Wir haben wir dem Bund und allen bringen die digitale Verwaltung Ländern die technische Infra- in die App. Mobile Government struktur für die Interoperabili- macht es den Menschen noch tät, also die Schnittstelle für den einfacher, Verwaltungsleistungen Portalverbund, zur Verfügung in Anspruch zu nehmen. Rund gestellt. Auch bei der Regis- um die Uhr und von jedem Ort termodernisierung haben wir aus. Das ist ein wesentlicher Beschon mit der Arbeit begonnen. standteil von Smart Bavaria. Wir So schaffen wir die Vorausset- werden aber auch unser Digitalzung, dass Bürger und Unter- labor weiter ausbauen und einen nehmen wiederkehrende Daten Fokus auf die Nutzerfreundlichnur einmal eingeben müssen keit von Verwaltungsleistungen legen. Erst kürzlich haben wir – Stichwort: once only.

im IT-Planungsrat erreicht, dass das bayerische ELSTER-Verfahren Bürgern und Unternehmen bundesweit zur Verfügung steht. Das müssen wir jetzt weiter vorantreiben. Behörden Spiegel: Die arbeitsteilige Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) hat zu einem deutlich erhöhten Kooperationserfordernis zwischen allen Verwaltungsebenen geführt. Wie zufrieden sind Sie derzeit mit der Zusammenarbeit und wo sehen Sie ggf. noch “Luft nach oben”? Gerlach: Bei uns klappt die Zusammenarbeit sehr gut, da kann ich gar nicht meckern. Gerade die Kommunen sind für uns ein wichtiger Partner, da sie bei den meisten Verwaltungsleistungen die erste Anlaufstelle für die Bürger sind. Dass unser E-Government-Pakt jetzt auch von anderen Ländern aufgegriffen wird, zeigt doch, dass Bayern hier den richtigen Weg eingeschlagen hat. Die digitale Verwaltung kann nur dann gelingen, wenn wir alle

Behörden Spiegel: Das OZG erfasst nicht die Digitalisierung der verwaltungsinternen Prozesse. Sehen Sie die Gefahr, dass man nach der Umsetzung des Gesetzes bei vielen der 575 Verwaltungsleistungen zwar ein “schmuckes” digitales Frontend, aber ein weiterhin durch Medienbrüche gekennzeichnetes Backend vorfinden wird? Gerlach: Das ist tatsächlich eine Frage der Umsetzung. Schauen Sie sich mein Ministerium an. Wir sind Vorreiter bei der E-Akte, medienbruchfrei vom Sachbearbeiter bis hin zu mir. Auch die hausinterne Kommunikation läuft bei uns häufig digital ab. Gerade auch, weil wir agile Arbeitsmodelle pflegen. So müssen wir das auch bei den OZG-Leistungen angehen. Deswegen müssen wir von vorneherein auch die Fachanwendungen in den Blick nehmen. Das ist zum Beispiel Aufgabe unserer Digitallabore. Mein Ziel ist es daher schon, dass wir nicht nur nach außen hin einen schicken, digitalen Verwaltungszugang bieten und intern alles beim Alten bleibt. Da liegen meine Ansprüche deutlich höher. Behörden Spiegel: Das Thema E-Government wird in Deutschland zumeist sehr bürgerzentriert dis-

Gerlach: Das D17-Treffen in Frankfurt war ein wichtiger erster Impuls. Wir waren das erste Bundesland mit einem eigenen Digitalministerium. Aber auch die anderen Länder erkennen den Bedarf, dass es bei der Digitalisierung einen zentralen Antreiber braucht. Der Austausch unter den Ländern ist immer hilfreich, gerade bei Fragen der digitalen Verwaltung, wo es auch einen gewissen Abstimmungsbedarf gibt. Der Bürger darf ja nicht der Leidtragende sein, wenn er innerhalb Deutschlands umzieht oder in Hessen lebt, aber in Bayern arbeitet. Hier brauchen wir gemeinsame Standards und Lösungen. Das Treffen war sicherlich auch hilfreich, damit das Thema EGovernment in den Chefetagen ankommt. Das ist wie bei einer großen Firma: Wenn alle digitale Ideen haben, aber der Chef nicht mitzieht, dann wird das nichts.

Neue BVA-Dependance 500 Arbeitsplätze für die Region Magdeburg (BS/pet) Das Bundesverwaltungsamt (BVA) soll eine neue Außenstelle in Sachsen-Anhalt erhalten, Zielort ist die Region um Magdeburg. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde jüngst durch Bundesinnenminister Horst Seehofer und Ministerpräsident Reiner Haseloff unterzeichnet. Der neue Standort in der Region Madgeburg sei eine ideale Ergänzung der eignen Infrastruktur und füge sich sehr gut in das Konzept des BVA als einer Flächenbehörde, so Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungsamtes. Allein in Ostdeutschland betreibt das Bundesverwaltungsamt derzeit sieben Standorte mit rund 600 Beschäftigten, über die gesamte Republik verteilt sind es 20 Dependancen mit knapp 5.500 Mitarbeitern.

Im Augenblick ist das BVA noch auf der Suche nach einer geeigneten Liegenschaft, unterstützt durch das Land SachsenAnhalt, das seinerseits eng mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) kooperiert. Bis zum Jahr 2020 soll die Infrastruktur so weit gediehen sein, dass die Dienststelle, die bis 2022 über eine Kapazität von bis zu 200 Stellen verfügen soll, ihren Betrieb aufnehmen kann. Später soll sie auf 500 Arbeitsplätze anwachsen.


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Digitaler Staat 2020 – agil, legitim und elegant Zukunftsfähige Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung müssen agil, legitim und elegant sein. Diese drei Begriffe setzt der Kongress Digitaler Staat 2020, zu dem erneut Innovatoren, Modernisierer und Trendsetter zu intensiven Diskussionen apa azusammenkommen. art rtt vitall vit Ein zentrales Thema wird dabei die laufende Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sein, die der Verwaltungsdigitalisierung derzeit sehr viel Dynamik verleiht. Dabei soll auch die Frage diskutiert werden, was nach der Umsetzung des OZG geschehen soll, um den Weg in die digitale Zukunft der Verwaltung erfolgreich fortzuentwickeln. responsive e Dorothee n vve desig design n Die Schirmherrschaft des Kongresses haben erneut Bär,gStaatsministerinnfür Digitalisierung im Bundeskanzleramt, und Bremens Finanz-fle ga g am mifica ca ation o on exiib bel staatsrat Hans-Henning Lühr Übernommen. Die begleitende Fachausstellung und verschiedene Side-Events bieten zudem die Möglichkeit, sich umfassend über Angebote für die digitale Verwaltung zu informieren sowie Netzwerke zu knüpfen digiita d tal al und zu pflegen.

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Mehr Interaktion – le eg eg ga al neue Formate der Fachforen

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Die Vielfältigkeit der Themen des Kongresses werden auch bei der Präsentation und Diskussion der Inhalte ihren Niederschlag finden. So werden in den Fachforen verschiedene Formate genutzt, um für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Informationsgewinn und Interaktivität bestmöglich zu verknüpfen.

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Werkstatt Labor Fachforum

www.digitaler-staat.org

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Eine Veranstaltung des


Informationstechnologie

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“Infrastructure is Service”

I

m Index der EU-Kommission für digitale Wirtschaft und Gesellschaft 2019 belegt die Bundesrepublik Deutschland Rang zwölf (2018: Rang 13, 2017: Rang elf) und ist damit weiterhin Mittelmaß unter den 28 EU-Mitgliedsstaaten. Dieser Index setzt sich aus den fünf Themenfeldern Konnektivität, Humankapital, Internetnutzung, Integration der Digitaltechnik und Digitale öffentliche Dienste zusammen. Während Deutschland bei den Themen “Humankapital” (Rang zehn) und “Internetnutzung” (Rang neun) über dem EU-Durchschnitt liegt, sind im Bereich “Integration der Digitaltechnik” keine Fortschritte sichtbar. Dramatisch sei die Situation in den Bereichen “Konnektivität” und “Digitale öffentliche Dienste”, wie es von den Studienautoren Werner Achtert und Jürgen Fritsche aus der Geschäftsleitung Public Sector von msg heißt. Deutschland habe zwar bei den meisten Konnektivitätsindikatoren Fortschritte gemacht, allerdings nicht in derselben Geschwindigkeit wie andere Länder. Weiterhin blieben hierzulande die Herausforderungen einer flächendeckenden Festnetzbreitbandabdeckung sowie des geringen Anteils an Glasfaseranschlüssen bestehen. Im Bereich der “Digitalen Öffentlichen Dienste” ist Deutschland im Vergleich zum Jahr 2018 um vier Plätze abgerutscht und liegt mit Rang 24 weit unter dem EU-Durchschnitt. Während dort rund 64 Prozent der Internetnutzer auch E-Government-Dienste nutzen, tun dies in Deutschland lediglich 43 Prozent. Somit besteht in Deutschland die größte digitale Herausforderung darin, die Online-Interaktion zwischen Behörden und der Bevölkerung zu verbessern. “Die Vorstellung der DLZ-Studie ist für mich immer ein Ritt auf der Rasierklinge”, pointiert MdB Dr. Reinhard Brandl (CSU). Die ITLandschaft, wie sie sich heute in Deutschland darstellt, sei seines Erachtens nach nicht zukunftsfähig. Für einheitliche Standards im

DLZ-Studie 2019 vorgestellt (BS/Katarina Heidrich) Die IT-Konsolidierung in der öffentlichen Verwaltung läuft trotz Höhen und Tiefen gut, ist sich der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik, Staatssekretär Klaus Vitt, sicher. Während die negativen Erfahrungen mit der forcierten Standardisierung der IT-Systeme vor zwei Jahren noch bei knapp 45 Prozent gelegen hätten, hätten sie sich seitdem fast halbiert, wie Vitt im Rahmen eines Politischen Abends des Behörden Spiegel betonte, bei dem die Studienergebnisse der DLZ-Studie 2019 von msg vorgestellt wurden. Studie den Titel “IT-Konsolidierung: Eine Erfolgsgeschichte””, so Brandl.

Investitions- und Personalknappheit Wichtigstes Fazit der DLZ-Studie, für die zum dritten Mal in Folge Behörden sowie Vertreter der IT-Dienstleistungszentren (ITDLZ) befragt wurden, ist, dass die Komplexität der IT-Konsolidierung in der öffentlichen Verwaltung von den Beteiligten unterschätzt wurde. Vor allem unzureichende Investitionen in die IT-Systeme seien die Ursache für einen massiven Investitionsstau. Zudem bleibe die Personalgewinnung für die IT-DLZ, aber auch die Fachbehörden schwierig. Vor allem in den Ballungsräumen werde es zunehmend schwieriger, geeigStaatsekretär Klaus Vitt, Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik, betonte beim politischen Abend des Behörden Spiegel die Herausforderung einer zeitgleichen Umsetzung der Dienste- und der Betriebskonsolidierung.

Fotos: BS/Giessen

gesamten Bundesgebiet brauche es die IT-Konsolidierung unbedingt, so Brandl. Die Bereitschaft zur Veränderung sei oft nicht stark ausgeprägt, da solch ein Großprojekt auch immer mit gewissen Risiken – auch technischer Art – verbunden sei. Die Fehler liegen laut Brandl schon in den Anfängen des Projektes. So habe sich der integrative Ansatz, dass anfänglich verschiedene Ressorts beteiligt gewesen seien, seiner Meinung nach nicht bewährt. Außerdem sei die Kostenrechnung viel zu tief veranschlagt worden. “Ich hoffe, in zwei Jahren hat die

Wegbereiter und Wegbegleiter sein Der ITEOS-Vorstandsvorsitzende, William Schmitt, betonte, dass sich die ITEOS in ihrer Rolle als IT-Dienstleisterin für die baden-württembergischen Kommunen für die digitale Souveränität einsetzen werde. “Es geht uns dabei nicht nur um die Beratung, sondern um eine weiterentwickelte Zukunftsvision – wir wollen Wegbereiter, Wegbegleiter sein und durch geeignete Dienstleistungen und Produkte die Entwicklung fördern, nicht zuletzt im Bereich IT-Sicherheit”, erklärte der ITEOS-Chef. Viele der notwendigen “Werkzeuge und Bauanleitungen” seien bereits vorhanden, so Schmitt weiter. Jetzt gehe es verstärkt darum, dass die Dinge in den Kommunen mit Leben gefüllt und die kommunale Selbstverwaltung damit gestärkt würden. ITEOS hat sich

Dr. Stephan Frohnhoff, Mitglied des msg-Vorstands, betont die digitale Souveränität der staatlichen IT-Dienstleister.

netes IT-Personal zu finden. Erneuerungen in beiden Bereichen würden in vielen Fällen länger als geplant dauern und mehr finanzielle Mittel als vorgesehen erfordern. Dennoch zeigten die

Die Vertreter der IT-Dienstleister des Bundes sprechen über Erfolgsfaktoren der Konsolidierung: Martin Kaloudis (BWI GmbH), Dr. Alfred Kranstedt (ITZBund).

Veränderungen gegenüber 2017, dass der eingeschlagene Professionalisierungsweg der IT-DLZ richtig sei. Die Herausforderung, zeitgleich die Dienste- und die Betriebskonsolidierung durchzuführen, müsse zu einem neuen Modell nach dem Motto “infrastructure is Service” führen, hebt Vitt hervor. Auch Achtert ist sich sicher: “Usability, das ist die Herausforderung für die nächsten Jahre.” Nichtsdestotrotz sei es aber schwierig, die verschiedenen Konsolidierungs- und Digitalisierungsvorhaben der öffentlichen Verwaltung übereinzubringen. Es herrsche ein “Spannungsfeld zwischen der Standardisierung und den vielfältigen Anforderungen der Kunden”, betont Achtert. Die Erfolgsfaktoren für die Zukunft der IT-DLZ sieht sein Kollege Fritsche insbesondere in der Konsolidierung der Entscheidungsstrukturen und einer konsequenten Standardisierung, um die Komplexität an unterschiedlichen Technologien und Systemen zu reduzieren. Die ein-

zige Möglichkeit, die Abhängigkeit von externen Beratern zu senken, sei zudem die Ausstattung der ITDLZ mit entsprechend dotierten Stellen, um Schlüsselfunktionen mit eigenem, gut qualifiziertem Personal zu besetzen. Dies führe gleichzeitig auch zu realistischeren Planungen von Zeit und Kosten. Auch realistischere Wirtschaftlichkeitsprüfungen seien ein Erfolgsgarant, so Fritsche.

Aufgabe groß genug für zwei Anbieter Dr. Stephan Frohnhoff, Mitglied des msg-Vorstands, betont derweil die Sensibilität der verschiedenen Daten. Der Staat trage eine Verpflichtung zum sicheren Umgang mit diesen, aber:

Der vollständige Studienband 2019 “IT-Konsolidierung in der öffentlichen Verwaltung” von msg kann hier eingesehen werden: www.msg.group/public-sector/studie.

Vitako-Regionalkonferenz im Zeichen von OZG und digitaler Souveränität (BS/gg) Auf Einladung des baden-württembergischen kommunalen IT-Dienstleisters ITEOS und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister Vitako kamen Ende November in Stuttgart rund 200 Vertreter der Kommunen, kommunalen Landes- und Spitzenverbände sowie des Landes- und Bundesinnenministeriums zur Regionalkonferenz in Stuttgart zusammen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die Zielsetzungen für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) bis Ende 2022, inklusive der bereits laufenden und geplanten Digitalisierungsprojekte. Eines der zentralen Themen war auch die digitale Souveränität. klare Ziele gesetzt: “Wir werden die Digitalisierung an uns selbst erproben, Best Practices, neue Produkte und Dienstleistungen bereitstellen und neue Technologien ausprobieren – nicht alleine, sondern mit Partnern”, kündigte Schmitt an.

Aktuelles von der OZG-Umsetzung Dr. Jens Dietrich, Ansprechpartner für das Digitalisierungsprogramm im Bundesinnenministerium, dankte den Teilnehmern für ihre Arbeit im Digitalisierungsprogramm und unterstrich die Notwendigkeit, den kommunalen Sachverstand in die Prozesse einzubringen. Vertreter aus Baden-Württemberg engagieren sich derzeit in den Arbeitsgruppen des IT-Planungsrats genauso wie in mehreren Digital-Laboren, insbesondere in den Bereichen “Mobilität & Reisen”, “Bauen und Wohnen”, “Steuern & Zoll” sowie “Umwelt”. Dietrich erläuterte die novellierten Organisations- und Kommunikationsstrukturen zur Umsetzung des OZG. Neben der regelmäßigen Abteilungsleiterrunde, welche die Sitzungen des IT-Planungsrates vorbereite, treffen sich nun alle vier bis sechs Wochen die Federführer

der 14 OZG-Themenfelder zum “Jour fixe”. Zudem sind 16 “OZGKoordinatoren” dafür zuständig, wie die Ergebnisse aus den Themenfeldern jeweils in ihrem Bundesland umgesetzt werden sollen. Federführer und OZGKoordinatoren kämen darüber hinaus nun zweimal im Jahr zu einem Erfahrungsaustausch zusammen.

lung auch ein Kulturwandel für die Bediensteten einher. “Wir sollten die Zeit dringend nutzen”, sagte Vitako-Geschäftsführer Dr. Ralf Resch mit Blick auf die aktuelle Debatte zur digitalen Souveränität. In den kommenden drei bis vier Jahren gebe es die Möglichkeit, die bestehenden, in vielen Behörden eingesetzten Produkte weiterhin ohne CloudAnbindung zu nutzen.

Mit einer Stimme sprechen In der Zwischenzeit und danach müsse die öffentliche Hand versuchen, stärker mit einer Stimme zu sprechen. Es gelte, so Resch, gegenüber den großen SoftwareHerstellern und einzelnen Monopolisten wirkungsvoller aufzutreten und dafür zu sorgen, dass der hierzulande gültige Datenschutz eingehalten werde. Gerade im Umgang mit personenbezogenen Bürgerdaten müsse die öffentliche Hand sagen können, wo diese gespeichert sind, sonst habe man ein Problem.

Bürger in die Weiterentwicklung einbinden Dr. Björn Weiße, Leiter des Ordnungs- und Bürgeramtes der Stadt Karlsruhe, wies als kommunaler Praktiker in die Zukunft. “Wir haben ein digitales Bürgerbüro im Rathaus eingerichtet, in dem auf Terminals die bereits bestehenden Dienstleistungen angeboten werden. Unsere Idee ist, Bürgern die Möglichkeit zu bieten, sich in diesem Bürgerbüro an der Weiterentwicklung der Prozesse zu beteiligen.” Hierzu gibt es in Karlsruhe einen Raum mit der notwendigen Infrastruktur samt Scanner, Drucker, eID-Lesegerät, aber auch Feedback-Terminals innerhalb des städtischen Netzes. “Diejenigen, die einen hohen Anspruch an Datenschutz haben, können sich in dieser Umgebung sicher sein”, so Weiße. Auch wenn

“In digitalen Geschäftsmodellen ist die Souveränität schwieriger zu erreichen.” Deshalb brauche es starke, souveräne staatliche IT-Dienstleister. Die erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung benötige ausreichend Zeit, Geld und Personal, so Frohnhoff. “Eigentlich wissen wir alle, was getan werden muss, um erfolgreich zu konsolidieren, aber wir tun es nicht”, moniert Martin Kaloudis, CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI GmbH, mit Blick auf die GesamtKonsolidierung. Anders sei es aber bei der BWI selbst, gemeinsam mit der Bundeswehr habe man “schon zehn Jahre erfolgreich konsolidiert”. Die Erfolgsfaktoren seien hierbei ein klarer Wille zur Standardisierung, klare Organisationsstrukturen, klare Qualitätskennzahlen und vor allem langfristige und durchfinanzierte Verträge, so Kaloudis. Dr. Alfred Kranstedt, Direktor des Informationstechnikzen­trums Bund (ITZBund), betont in Anspielung auf die Konkurrenzsituation zwischen den beiden Dienstleistern, dass die Aufgabe “groß genug ist, für zwei Anbieter”. Man werde in den kommenden Wochen die laufenden Projekte hinsichtlich ihres derzeitigen Standes, aber auch der Bedürfnisse der Kunden analysieren. “Wir werden unsere Kapazitäten hochfahren, das geht aber nicht von heute auf morgen”, betont Kranstedt. Am derzeitigen jährlichen Personalaufwuchs von 200 bis 300 Mitarbeitern wolle man weiterhin festhalten und auch der Zeitplan für die Umsetzung der künftigen Rechtsform stehe. Im Gegensatz zur BWI soll das ITZBund ab dem 1. Juli 2020 als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) eingerichtet werden.

Die DLZ-Studie

Mit Leben füllen

B

aden-Württembergs CIO/ CDO, Stefan Krebs, zeigte sich froh, mit ITEOS einen einheitlichen kommunalen ITDienstleister im Lande zu haben. Mit Blick auf die Digitalisierung der Landes- und Kommunalverwaltungen in Baden-Württemberg unterstrich Krebs die Bedeutung der Gründung der Digitalakademie des Landes: “Die Digitalisierung wird uns alle einholen. Wir fördern deshalb die Ausbildung von “Digitallotsen” in allen Ebenen der Verwaltungen. Die Digitalakademie ist uns in den Jahren 2018/19 mehr als neun Millionen Euro wert gewesen. Zusätzlich vergeben wir Prozessentwicklungsaufträge an das Zentrum für E-Government bei ITEOS.”

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Alternativen schaffen

William Schmitt ist Vorstandsvorsitzender der ITEOS und Vitako-Vorstand.

Dienstleistungen zunehmend digital würden, blieben aber auch in Zukunft Fälle mit Beratungs- und Aufklärungsbedarf. “Wir brauchen auch künftig noch einen persönlichen Bürgerservice, der wohl anders aussehen wird”, erklärte er. Freiwerdende Ressourcen könnten stärker für

Foto: BS/ Wöhrle, ITEOS

Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf eingesetzt und Strukturen und Hierarchien hinterfragt werden. Die Arbeit in den Behörden werde vernetzter, interdisziplinärer und agiler. Dies erfordere ein komplettes Neudenken der Verwaltungsservices und letztlich gehe mit dieser Entwick-

Es gehe aber auch darum, Lösungen zu erzeugen, die es Behörden erleichterten, auf Alternativen umzuschwenken. Jüngst habe sich dazu eine neue Arbeitsgruppe im IT-Planungsrat gegründet. Einige Vitako-Mitglieder arbeiteten zudem an alternativen Produkten, die im Office-Bereich eingesetzt werden könnten. Der Vitako-Geschäftsführer unterstrich, dass es bei diesen Aktivitäten weder um Autarkie noch um rein deutsche Lösungen gehe. Vielmehr sei bei den Überlegungen zur digitalen Souveränität immer zumindest im europäischen Kontext zu denken.


Behörden Spiegel / Dezember 2019

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e-nrw 2019 N

achdem man in der Vergangenheit viele Jahre bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung auf allen Ebenen nicht richtig vorangekommen sei, habe man in letzter Zeit gelernt, “dass es sich lohnt, einfach mal anzufangen”, erklärte Pinkwart. Man müsse einfach mit einem Projekt loslegen und Dinge ausprobieren und schnell in die Umsetzung bringen, “wissend, dass am Anfang nicht alles perfekt sein kann”, so der Minister weiter. Hier beobachte er in vielen Kommunen, nicht nur den vom Land geförderten Modellkommunen, dass in NRW in jüngster Zeit einiges nach diesem Prinzip an den Start gebracht worden sei. Dies sei umso wichtiger, da sich die Erwartungshaltung der Bürger im Zuge der Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche auch gegenüber der Verwaltung verändert habe. “Die Bürger müssen spüren, dass sich etwas bewegt”, sagte er im Hinblick auf den Ausbau digitaler Verwaltungsservices in den Kommunen. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist für den Digitalminister eine gute gesetzliche Grundlage, deren aktuelle Umsetzung (Frist bis Ende 2022) für ihn zu diesem Zeitpunkt allerdings noch ein “Loch Ness” (mehr zur Diskussion des OZGs auf dem Kongress lesen Sie auf Seite 38).

Digitalstrategie “nicht in Stein gemeißelt” Vom Geist der permanenten Fortschreibung und Weiterentwicklung sei auch die im April 2019 verabschiedete Digitalstrategie des Landes NRW getragen, in der 44 Teilziele in allen von der Digitalisierung betroffenen Bereichen (nicht nur öffentliche Verwaltung) festgelegt wurde. Diese seien jedoch “nicht in Stein gemeißelt”, so

Loslegen, ausprobieren, umsetzen Mutig vorangehen bei der Verwaltungsdigitalisierung in Nordrhein-Westfalen (BS/Guido Gehrt) Ein Plädoyer für noch mehr Tatendrang bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung hielt NRW-Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart vor über 600 Teilnehmern auf dem Verwaltungskongress “e-nrw” im November in der Stadthalle Neuss. Die Veranstaltung zeigte allerdings, dass man sich in vielen Teilen der Landes- und Kommunalverwaltung in Nordrhein-Westfalen auf den Weg zur Digitalen Verwaltung gemacht hat und zahlreiche Konzepte mittlerweile in der Umsetzung sind.

NRW-Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart (li.) nutzte die Eröffnungsrede auf “e-nrw”, um die Teilnehmer zu einem couragierten Voranschreiten bei der Digitalisierung der Verwaltung zu animieren. Roland Ledinger (re.), Geschäftsführer der Plattform Digitales Österreich im Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, war aus Wien nach Neuss angereist, um über die Digitale Strategie der Alpenrepublik zu berichten. Fotos: BS/Giessen

Pinkwart. Vielmehr sei man in ständiger Diskussion mit den beteiligten Akteuren, um neue Herausforderungen zu identifizieren und ggf. für die Strategie aufzugreifen. Allen Beteiligten müsse angesichts der disruptiven Entwicklung klar sein: “Wir sind auf einem Weg, dessen Verlauf nach vorne offen ist.” Wichtig sei es jedoch, bei diesem Prozess “proaktiv in der Vorhand zu bleiben”. Daher sei es wichtig, mutig voranzugehen und insbesondere auch die Möglichkeiten der Kooperation und des Austausches zu nutzen. “Wir sollten offen bleiben für das, was

Der österreichische Weg Das Ziel NRWs, bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland und Europa in die Spitzengruppe aufzusteigen, hat man in Österreich längst erreicht. Seit Jah-

ren belegt die Alpenrepublik bei entsprechenden Rankings stets einen der vorderen Plätze. Warum dies so ist und wo Österreich aktuell bei der Digitalisierung der Verwaltung steht, zeigte Roland Ledinger, Geschäftsführer der Plattform Digitales Österreich im Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort. Allein der Name des Ressorts zeigt, dass in Wien – wie auch in Düsseldorf – heute schon Realität ist, was beim Bund in Berlin bislang noch nicht gelang: ein eigenes Ressort für Digitalisierung, welches durch die Verknüpfung mit dem

Wirtschaftsressort auch gewisse Parallelen zu Pinkwarts Ressort in NRW aufweist, dem Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie. Mit Blick auf die Verwaltungsdigitalisierung liegt auch in Österreich, ähnlich wie hierzulande aktuell ein besonderer Fokus darauf, die verschiedenen Angebote zu bündeln und insbesondere auch für die Nutzung per Smartphone zu optimieren. So wurde mit “oestereich.gv.at” eine einheitliche Plattform geschaffen, auf der alle Informationen der Portale “help.gv.at”, des Rechtsinformationssystems

Alles unter einem Dach

“D

igitalisierung ist für uns kein Selbstzweck, wir machen sie, um die Lebensqualität der Bürger zu steigern”, erläutert Sabine Noll, Kämmerin der Stadt Monheim am Rhein, die Digitalisierungsstrategie “Monheim 4.0”. Was an oberster Stelle stehe: schnelle Zugangschancen, keine großen Barrieren, niedrige Schwellen, um dem Bürger den Eintritt zu ermöglichen. Inklusion als vom Rat beschlossenes oberstes Stadtziel habe auch zur Folge, dass darauf die gesamte Digitalisierungsstrategie ausgerichtet sei. Alle Einzelmaßnahmen richten sich danach – und von denen gibt es zahlreiche in der 43.000-Einwohner-Stadt. So liegt etwa Glasfaser im gesamten Stadtgebiet von Monheim, das erst seit 2011 Überschüsse verzeichnet und seit 2013 schuldenfrei ist. Seitdem wird in die Digitalisierung investiert. Zur Strategie der Kommune gehörte, zunächst den Fokus auf Infrastrukturinvestitionen zu legen. Als Basis für verschiedene Anwendungsfälle. Gleichzeitig mit kontinuierlicher Erweiterung des Infrastrukturausbaus verbunden. Nach Entwicklung der “Monheim 4.0”-Strategie im Jahr 2016 begab sich die Stadt dann in die konkrete Umsetzung von Anwendungsfällen. Zuerst mit dem WLAN-Ausbau im ganzen Stadtgebiet und Maßnahmen in

der Nachbar macht”, erklärte der Minister. Dabei müsse man insbesondere auch ins Auge fassen, das, was gut ist, günstig zu übernehmen. Dieses Prinzip werde auch in den fünf Modellkommunen des Landes verfolgt, die ihre Ergebnisse im Nachgang allen anderen NRW-Kommunen zur Verfügung stellen müssen.

NRW-Kommunen auf dem Weg zur Smart City (BS/Katarina Heidrich) Die Kleinstadt Monheim am Rhein plant für 2020 die Einführung einer Bürgerkarte, die mit einem Bürgerkonto einhergeht. Während eine bundesweite OZG-Umsetzung immer noch nicht in Sichtweite ist, gehen die Kommunen eigene Wege in Richtung Smart City. Auch das Thema Mobilität und Verkehrssteuerung spielt dabei eine immer wichtiger werdende Rolle. Konzepte, die verschiedene Lösungen und Dienstleistungen vereinen, sind auf die Kundenzufriedenheit ausgerichtet und können so Alternativen zum Individualverkehr darstellen. den Bereichen “Smart Lighting” und “Smart Parking”. Dann folgten auch Projekte im Bereich Stadtinformation, Zutrittskontrolle, Bikesharing oder autonomer Bus (siehe Gastbeitrag von Noll auf Seite 30). Die dritte Welle an Anwendungsfällen beinhaltet schließlich die Einführung der digitalen Bürgerkarte “Monheim-Pass”. Mit ihr kann die Bevölkerung Dienstleistungen der Stadt und ihrer Töchter in Anspruch nehmen und bezahlen. Dazu werden im Projekt “MonLightGrid” die Bausteine Smart Lighting, die schon in der Erprobung sind, und Smart Metering verknüpft.

Sorgenkind Verkehr Noll betont, dass der flächendeckende Breitbandausbau und die parallele Schaffung von öffentlichen freien WLANZugängen im gesamten Stadtgebiet die Voraussetzungen bieten, der Bevökerung Mehrwertdienste anbieten zu können, die auf dieser digitalen Infrastruktur aufbauen. Das Projekt eines digitalen Fahrradverleihsystem solle helfen, “das

Sabine Noll, Kämmerin der Stadt Monheim am Rhein, erläuterte die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie “Monheim 4.0”. Foto: BS/Giessen

Thema Digitalisierung für die Bevölkerung konkret erlebbar zu machen”. Es laufe derzeit ein europaweites Vergabeverfahren dazu. Das Ziel ist, 34 Standorte mit Anbindung zu S-BahnStationen mit insgesamt 450 Rädern auszustatten. Bezahlvorgang und Ausleihe können mit dem Monheim-Pass erledigt werden. Im Rahmen einer interkommunalen Zusammenarbeit erfolgte ebenfalls die Einbindung der Nachbarkommune.

Rolf Neumann, Abteilungsleiter im Umweltamt der Landeshauptstadt Düsseldorf unterstreicht: “Der Verkehr ist das Sorgenkind der Klimapolitik.” In Düsseldorf seien täglich rund 500.000 Berufspendler verantwortlich für Staus, Parkplatzmangel und Emissionen. Viele andere Staaten hätten schon konkrete Ziele für einen kompletten Ausstieg aus der Verbrennungsmobilität. Der Begriff “Lebensraum Stadt” würde im-

mer mehr bedeuten: ein Leben ohne eigenes Auto, durch die Digitalisierung. Der Trend, so Neumann, ginge hin zum “öffentlichen Auto”. Perspektivisch könne dieses Teil vom Prinzip “mobility on demand/mobility as a service” sein und als Testfeld für neue Antriebs- und Fahrzeugkonzepte – wie das teil-automatisierte Fahren – fungieren. Wäre in Düsseldorf jedes Pendler-Auto voll besetzt, ließe sich der Verkehr um 75 Prozent reduzieren. Um das zu erreichen, sei gerade die “MitfahrApp” in der Testphase, erläutert Neumann. Mitarbeiter Düsseldorfer Unternehmen können sich dort in kürzester Zeit für eine geteilte Fahrt zusammenfinden: Treffpunkt und Fahrpreis werden durch einen Algorithmus automatisch bestimmt. Sicherheit bieten eine E-Mail-Validierung und ein Bewertungssystem. Auch multimodale Stationen, an denen verschiedene Mobilitäts-Dienstleistungen abgerufen werden können, stehen auf der Agenda der Stadt. “Aber wir haben gemerkt, dass wir als Kommune gar nicht

“ris.bka.gv.at”, des Unternehmensserviceportals “usp.gv.at” und der Open-Data-Plattform “data.gv.at” von einer Stelle aus durchsucht werden können. Die eingebundenen Plattformen verzeichnen insgesamt rund 55 Millionen Kundenkontakte jährlich, allein auf Dokumente des Rechtsinformationssystems erfolgen im Jahr 2,4 Milliarden Zugriffe. Über die Handy-Signatur können Verwaltungskontakte entweder über die Plattform oder über die App “Digitales Amt” komplett online abgewickelt werden, sofern das Smartphone Face- oder TouchID unterstützt. Aktuell gibt es in Österreich rund 1,1 Millionen aktive Handy-Signaturen. Zukünftig sollen in der App auch Dokumente rechtssicher gespeichert werden können. “Mit der App Digitales Amt macht Österreich einen großen Schritt in Richtung M-Government (M steht für Mobile)”, so Ledinger. Ein zentraler Erfolgsfaktor von “oesterreich.gv.at” liegt darin, dass die Plattform eine eID nicht nur für Verwaltungsdienstleistungen, sondern auch für Services privater Anbieter, etwa Autovermietungen, Online-Shops oder Banken und Versicherungen zur Verfügung stellt, was den Mehrwert gegenüber einer rein auf die Behördenwelt beschränkten Lösung naturgemäß deutlich erhöht.

JETZT VORMERKEN!

e-nrw 2020 Der nächste Kongress findet am 5. November 2020 erneut in der Stadthalle Neuss statt. www.e-nrw.info

so viel machen können. Also brauchten wir Unterstützer”, so Neumann mit Blick auf Mobilitätspartnerschaften mit Unternehmen. Dabei stellten sich auch Fragen nach der Mobilität der eigenen Mitarbeiter. Lobend verweist er auf das Projekt des Unternehmens Viega, das seinen pendelnden Mitarbeitern einen Shuttlebus zur Verfügung stellt. Aus der Not heraus, denn die Suche nach IT- und Digitalisierungsfachkräften im näheren Umfeld wurde immer schwieriger. Der Bus ist mit WLAN ausgestattet und die Fahrzeit gilt als Arbeitszeit. Zu den neuen Mobilitätsformen als Chance für eine umweltorientiertere Mobilität gehörten aber neben Sharingsystemen und Packstationen zur Logistikoptimierung ebenfalls Infrastrukturalternativen wie automatisierte U-Bahnen, eine Fahrradinfrastruktur und etwa Seilbahnsysteme (mehr auf Seite 30). Gemeinsam mit Co-Working-Räumen am Rande großer Kommunen könne dies die Innenstädte wieder entlasten, bemerkte Neumann. E-Scooter hingegen seien ein Mobilitätsproblem für die Städte. So zeigten Umfragen, dass diese überwiegend als Fortbewegungsmittel zum reinen Vergnügen angesehen würden. Nur 20 Prozent halten sie für ein umweltfreundliches Fortbewegungsmittel.


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D

e-nrw

Zur Halbzeit ein OZG 2.0

Behörden Spiegel / Dezember 2019

ie initiale Idee bei VerabKundenzufriedenheit liege bei schiedung des OZGs sei es Online-Shops bei 7,9 auf einer gewesen, die Digitalisierung der Skala bis zehn, bei Behörden bei öffentlichen Verwaltung arbeits6,3. Der Kundennutzen müsse teilig und mit klar definierten Zuauch beim OZG ins Zentrum ständigkeiten anzugehen, skizgestellt werden, so Wiesinger. ziert Nordrhein-Westfalens CIO, (BS/ecp/kh/pet) Das Jahr 2022 rückt immer näher und mit ihm das offizielle Fristende für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Noch Die Digitalisierungslabore hätten Hartmut Beuß, die Ausgangslage immer herrscht Uneinigkeit, ob das Gesetz überhaupt den passenden Rahmen abgeben kann, um als Motor für die Verwaltungsdigitalisierung dabei viel geholfen, alle Beteiim Jahre 2017. Während es in in Deutschland zu dienen. In Anbetracht der noch zu erbringenden Leistungen blieben nach wie vor viele Baustellen bestehen. Das zeige sich ligten an einen Tisch zu holen. den Aufgabenbereich des Bun- nicht nur im teils zerfahrenen Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen, sondern auch in der noch zu klärenden Frage, wie ein digitales Die Frage aber bleibe, wie man des fiel, die nötigen Gelder zur Prozessmanagement in den Behörden implementiert werden könne. Fest steht, eine einseitige Digitalisierung, die sich nur auf den Abruf von aus vielen kleinen Laboren das Verfügung zu stellen, sollten die Verwaltungsleistungen im Netz konzentriert, greift – auch mit Blick auf eine Zeit nach dem OZG – viel zu kurz. Manch einer plädiert darum schon große Ganze schaffen könne. Ein Erfolgsrezept zeige Dänemark Länder ihre Kompetenzen ein- für eine Neuauflage des Gesetzes. bringen. Ein Kraftakt, der auch mit kundenzentrierten Zielen. ne schon bei der Auffindbarkeit Die Dänen müssten heute nur die Kommunen als Schnittstelle die auch für einen Großteil von von Verwaltungsleistungen im noch in Ausnahmefällen zum zum Bürger miteinbezieht, sollte Kommunen und andere Länder Netz. “Suchportale, wie sie von Amt, fast alle Dienstleistungen im Fahrwasser des OZGs das nachnutzbar seien. Dazu gebe gesamte Leistungsspektrum der es noch sehr viele offene FraBund und Ländern geplant sind, werden über eine Website abgeöffentlichen Verwaltung, immer- gen, die auch in den kommenden mögen in der Theorie eine gute wickelt. Wiesinger lobt, es gebe hin knapp 1.900 Einzelservices Monaten kontrovers diskutiert Idee sein, in der Praxis sind sie eine klare Gesamtverantwortung aus 14 Themenfeldern, bis Ende werden müssen. Dazu gehören weitgehend unbekannt. Gut 80 und durchgängige KundeneinProzent der Suchanfragen, ins- bindung. Daraus folgten auch 2022 im Netz zum Abruf stehen. Themen, wie zum Beispiel mit besondere unter Jugendlichen, deutlich zufriedenere Kunden Für die technische Realisierung offenen Standards umgegangen erfolgen über Plattformen wie plus Einsparungen beim Porto. wurde ein Portalverbund vorgese- werde, wie technologisch sichere Die Voraussetzung für die Umhen, der alle Verwaltungsleistun- und unabhängige Plattformen Google. Als Verwaltung darf man gen in sich integriert und auch entstehen und wer dafür langfrissich dieser Einsicht gegenüber setzung von “once only” ist die ermöglicht, zwischen den ein- tig die Koordination übernehme. nicht versperren, sondern muss Vertrauensbasis durch die BeBei der Digitalisierung mache zelnen Plattformen zu wechseln. sie in die eigenen Überlegungen völkerung, damit die Verwaltung Die Tatsache, dass man, statt es bekanntlich auch für Bürger mit aufnehmen”, rät Heimann. auf Daten zugreifen kann, ist auf eine zentrale Lösung zu einen Unterschied, ob Anträge Kundenfreundlichkeit be- sich Marc Reinhardt, Leiter Public schränke sich allerdings nicht Sector and Health bei Capgemini, digital einginsetzen, die Innur auf den Bürger als Endnut- sicher. “Es geht darum, Verwalgen oder auch teroperabilität “Wir brauchen neue kooperative Ansätze, die auch die Expertise der Kom“Unser Anspruch war munen miteinbeziehen”, fordert Dr. Uda Bastians vom Städtetag NRW. digital bearbeider Portale zer. Ebenso in Betracht kom- tungsabläufe radikal zu vereinfaes, den Gang zum Amt tet würden, wie zur Grundvochen”; etwa bei me das verFoto: BS/Giessen schon Digitalder Anmeldung antwortliche raussetzung durch maximal drei minister Pinkdes NachwuchIT-Personal, gemacht habe, “Es geht darum, Klicks zu ersetzen.” wart in seiner erklärt Dr. Uda Bastians, Beige- development kits bestehe in ihrer d a s i n d e n sei u. a. darauf ses. Das DigiVerwaltungsabläufe Hartmut Beuß talisierungszurückzufühKeynote her- ordnete und Leiterin des Dezer- Übersetzbarkeit. Mit anderen Behörden für projekt ELFE ren, dass es vorhob. Sonst nats Recht und Verwaltung. Was Worten, es brauche IT-Lösun- d i e t e c h n i radikal zu sei dafür ein bereits vor Verwürden einmal man für die Zukunft brauche, sei gen, die in die Fläche hinein sche Realisievereinfachen.” abschiedung des OZGs Ansätze digital eingereichte Anträge in eine Neuauflage, ein OZG 2.0, operationalisierbar seien, ohne rung digitaler gutes Beispiel, Marc Reinhardt einer digitalen Infrastruktur auf den öffentlichen Verwaltungen das eine medienbruchfreie Be- die spezifischen Anforderungen Dienstleitunes brauche solche InnoVerwaltungsebene gegeben habe. wieder ausgedruckt, abgelegt arbeitung auch in den Behörden der Kommunen zu übersehen. gen Sorge travationen. Eine Diese schlichtweg aufzugeben, und damit wieder zu analogen selbst gewährleiste. Nachbesse- Angesichts der in Deutschland ge. Heimann: wäre, auch mit Blick auf heutige Anträgen. rungsbedarf gebe es des Weiteren herrschenden Vielfalt der IT- “Oftmals wird übersehen, dass nutzerfreundliche Oberfläche beDies lässt sich insbesondere bei der ZusamArchitekturen IT-Experten genauso in den inhalte auch, dass E-Government Verhältnisse, eine Verschwendie einzig prak- Kundenbereich gehören wie der mobil funktionieren müsse. Dazu dung von Ressourcen und Steu- durch die neben dem OZG in menarbeit von tikable Heran- Bürger auch. Umso wichtiger ist müsse die Verwaltung aber ihren ergeldern gewesen, sagt Beuß. NRW zu gestaltende Geschäfts- Bund, Ländern “Digitalisierung darf gehensweise, es jedoch, ihre Wünsche und gesamten Datenschatz heben. Ein anderer Grund liege in der prozessoptimierung (GPO) un- und Kommuden Menschen um Heterogeni- Anliegen ernst zu nehmen.” Als Hier sei NRW Vorreiter, so Reinföderalen Vielfalt Deutschlands, terstützen. Während das OZG nen. Zwar sei nicht ersetzen – tät beherrsch- möglicher Ausweg biete sich an hardt. Die wichtigsten Paramedie Einbindung bar zu machen. – in Anlehnung an FIM –, offene ter, um ein stabiles Fundament kommunaler Digitalisierung soll Im kommen- Plattformstrukturen einzurich- zu legen, seien der Ausbau der Spitzenverden Menschen bände in die den Jahr werunterstützen!” Arbeit des ITde man seine Planungsrates Kräfte daher Jörg Schrader inzwischen wevor allem darsentlich besser auf konzentrieals zu Beginn des OZGs, mit ren, FIM mit weiterem Content Blick auf die noch ausstehen- auszustatten. Zumindest aufden Aufgaben sei in Fragen der seiten des Frontends – d. h. der Kooperation aber noch Luft nach angebotenen Verwaltungsleisoben. Das gelte im Speziellen für tungen – ließe sich somit eine Leistungen, welche die Kommu- Einheitlichkeit erzeugen, die spänen stellvertretend für den Bund ter auch beim Bürger ankomme. erbrächten, die Ausstellung des Ausschlaggebend sei, sich nicht Personalausweises zum Beispiel. auf Perfektion zu versteifen, wie “Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen” – gilt nicht nur für den Hausbau, sondern auch für das OZG, meint Jörg Schrader, Teilzentralisierte Lösungen, die Kremer betont: “Perfektion kann Dezernent und Kämmerer des Kreises Minden-Lübbecke. Kommunen im Bedarfsfall über- und soll niemals das Ziel sein. Foto: BS/Giessen nehmen könnten, würden hier Einmal etablierte Lösungen sind bereits Abhilfe schaffen. stets dem Test der Zeit auszuBeklagt das Fehlen einer einheitlichen Klammer bei der Umsetzung des OZGs: Jörg Kremer, stellvertretender Leiter des Aufbaustabs der FITKO. setzen. Hat ein System ausgedie, nicht nur von Land zu Land, nach außen wirke, entfalte ein dient, wird es durch ein anderes sondern auch auf kommunaler ganzheitlich ausgerichtetes Pro- Heterogenität beherrschbar Foto: BS/Giessen machen ersetzt.” Ebene ein abweichendes Servi- zessmanagement seine Wirkung Zuständig für ein übergreifenceangebot der Verwaltung er- in die Verwaltung hinein. Der ten, auf denen nutzer- und pro- Datenanalyse und eine stärkere forderlich mache. Darum gebe schrittweise Aufbau einer Pro- des Architekturmanagement ist Private Plattformen integrieren blemorientierte Lösungsangebote Vernetzung der eigenen Daten. das OZG auch keine Richtlinie zesslandschaft erfolgt in NRW im die Föderale IT-Kooperation, kurz Des Weiteren ginge E-GovernDem pflichtet Thomas Heimann, zum Abruf bereitlägen. vor, was die operative Seite der E-Government-Grundlagen-Pro- FITKO, die zum 1. Januar 2020 Digitalisierungsmaßnahmen an- jekt “Geschäftsprozessoptimie- offiziell ihren Betrieb aufneh- Experte für Unternehmensarchiment in Deutschland nur föderal. belangt, sondern beschränke rung” (EGP 17 GPO) des MWIDE men wird. Auch hier beklagt man tekturen und Digitale Transfor- Dänemark als Vorbild Aber es gebe eine neue Qualität sich bewusst auf die rechtlichen und basiert auf dem E-Govern- das Ausbleiben einer gemeinsa- mation bei Capgemini Deutsch“In der Entwicklung von Lö- der föderalen Zusammenarbeit, men Klammer: land, bei. Als Werkzeug sei die sungen war ein Stuhl bisher deren Basis in NRW etabliert Verpflichtungen, mit denen für ment Gesetz “Dass ein ein- Technik niemals Selbstzweck, unbesetzt”, bemängelt Dr. Anna wurde, erklärt Reinhardt mit einheitliche Regelungen beim der Landesreheitliches Bild sondern lediglich ein Enabler. Wiesinger, Partnerin bei McKin- Blick auf IT-Kooperationen, den “Das größte Problem, E-Government gesorgt werden gierung. Astrid fehlt, macht Im Zentrum stehe demgegenüber sey & Company: der des Kun- IT-Planungsrat, FITKO und den solle. Und das bundesweit. Ge- Grüneklee aus das wir derzeit haben, messen an der Herausforderung dem Grundsich vor allem der Kunde mit seinen Wünschen den. Dies sei aber ein essenzieller Portalverbund für NRW. 2016 ist nicht technischer, und nicht zuletzt dem Balance- lagen-Projekt darin bemerk- und Nutzergewohnheiten. Diese Punkt dafür, wie sich Verwal- sei dies noch Vision gewesen, akt, der damit einhergeht, könne betont dabei, bar, dass Res- müsse man zwingend berück- tungsdienstleistungen und da- heute Wirklichkeit. Gut sei, dass sondern organistoriman beim OZG daher durchaus “für die gesamsourcen noch sichtigen, soll E-Government durch Vertrauen in den Staat als die Finanzierung im Land über scher Natur.” immer doppelt im Zuge der OZG-Umsetzung Ganzes verbessern könnten. Im eine Art Förderprogramm gelöst von einer Revolution sprechen, te Breite der Jörg Kremer a u f g e b r a c h t ein Erfolg werden. Das begin- Vergleich: Die durchschnittliche ist und dass NRW eine dezidierte behördlichen so die Einschätzung des CIO. OZG-Koordinierungsstelle hat. Prozesse je die werden. Das Es bleiben offene Fragen Aber es müsse auch das föderale größte Probrichtige Tiefe” Architekturmanagement, das in Das OZG bietet derzeit nach zu wählen. Es mache wenig Sinn, lem, das wir derzeit haben, ist NRW besteht, zur künftigen GeAnsicht einer Vielzahl von Be- alle Prozesse bis auf die unters- nicht technischer, sondern orteiligten eine Chance, das be- te Ebene darzustellen, sondern ganisatorischer Natur. Um ein samtarchitektur in Deutschland stehende Potenzial für Konso- nur dort, wo die entsprechenden Mammutprojekt wie das OZG passen. Offene Fragen seien auch lidierung, Serviceoptimierung Einsichten tatsächlich benötigt zu bewältigen, ist es von entnoch die nach der Nachnutzung und Kosteneinsparung zu heben. werden. scheidender Bedeutung, dass und der politischen Steuerung die anstehenden Aufgaben unter auf Ebene des Ministers oder des Aus den Digitalisierungslaboren Einbezug aller Ebenen angeganMinisterpräsidenten. “Chefsache komme derzeit positiver Input Es ist Zeit für ein OZG 2.0 ist immer gut, aber viele Köche und eine positive Stimmung, so Ähnlich sieht man es auch beim gen werden. Kirchturmdenken verderben den Brei”, skizziert Dr. Markus Brackmann, Refe- Städtetag NRW: “Wo das OZG bringt uns hier nicht weiter. Das Reinhardt. Seine Empfehlungen ratsleiter der Abteilung Digita- in manchen Punkten zu ambi- gilt nicht zuletzt auch für die für NRW: ein Investitionsprolisierung der Landesverwaltung tioniert daherkommt, ist es an Frage der Nachnutzbarkeit”, sagt im Ministerium für Wirtschaft, anderer Stelle nicht ambitioniert Jörg Kremer, stellvertretender gramm und der interne sowie Innovation, Digitalisierung und genug. Statt vorzuschreiben, alle Leiter des FITKO-Aufbaustabs. externe Aufbau des Teams mit Energie (MWIDE) NRW mit. Eine 1.900 Verwaltungsleistungen zu Als FITKO setze man sich daher einer klaren Strategie. “Deutschwesentliche Herausforderung sei digitalisieren, hätte man sich lie- für standardisierte Lösungen land ist auch 2019 nur E-GovDer Kundennutzen müsse auch bei der Umsetzung des OZGs in den Mittelpunkt rücken, erklärt Dr. Anna Wiesinger, Partnerin bei McKinsey & Company. es jedoch, aus den agilen Ergeb- ber darauf konzentrieren sollen, ein, u. a. in Form des Föderalen Nachzügler.” Aktuell stelle sich nissen nun stabile und sichere Regelungen für die Anbindung Informationsmanagements (FIM). die entscheidende Frage: Aufstieg Foto: BS/Giessen Betriebsplattformen zu schaffen, der Fachverfahren zu finden”, Der enorme Vorteil einheitlicher oder weiter zweite Liga.

Was das Gesetz leistet und wo dringender Nachholbedarf besteht


e-nrw

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Seite 39

NRW in guter Ausgangsposition

Kräfte bündeln – Entwicklungen teilen

Trotz heterogener IT-Landschaft zählt Nordrhein-Westfalen zur digitalen Spitze

Warum der Rhein-Kreis Neuss seine Apps verschenkt

(BS/pet) Was in Bayern die AKBD, in Baden-Württemberg ITEOS, das ist in Nordrhein-Westfalen der KDN. Anders bei den südlichen Nachbarn handelt es sich beim KDN aber nicht um einen zentralen kommunalen Dienstleister, sondern um einen Dachverband bestehend aus 30 regionalen Rechenzentren. Doch wer glaubt, eine heterogene IT-Landschaft würde die digitale Entwicklung Nordrhein-Westfalens ausbremsen, der irrt. “Wir befinden uns in einer hervorragenden Ausgangsposition” sagt Prof. Dr. Andreas Engel, IT-Leiter der Stadt Köln und Geschäftsführer des KDN. Nicht nur sei die fristgerechte Umsetzung der vom Onlinezugangsgesetz (OZG) definierten Leistungen machbar, mit Blick auf das Jahr 2030 könne man in NRW obendrein neue Maßstäbe für die digitale Kommune der Zukunft setzen.

(BS) Die Digitalisierung eröffnet neue Wege der interkommunalen Zusammenarbeit. Mit seinem kooperativen Ansatz geht der nordrhein-westfälische Rhein-Kreis Neuss (460.000 Einwohner) seit Jahren energisch voran. Seitdem ist dort viel Neues gewachsen.

Ein Blick auf die Zahlen verrate, dass Nordrhein-Westfalen insgesamt besser dastehe, als man bei der stark ausgeprägten Heterogenität der hiesigen ITLandschaft vermuten könne, so der Geschäftsführer des KDN, Prof. Dr. Andreas Engel. Im direkten Vergleich befinde sich NRW laut Deutschland-Index derzeit sogar vor Baden-Württemberg und Bayern. Auf Landesebene etwa sei die grundlegende Infrastruktur, das Servicekonto.NRW eingeschlossen, bereits vorhanden. Weitere Schritte, den Portalverbund des Landes mit Leben zu erfüllen, stünden unmittelbar bevor. Bedingt durch die starke Regionalbindung trete man als KDN aber auch gezielt als Enabler für die Kommunen auf: So plane man, bereits im nächsten Jahr mit dem Start eines OZGServiceportals, das sich zumal an kleinere Gemeinden richte, die nicht über die entsprechenden Ressourcen verfügten, den Kraftakt der Digitalisierung aus eigenem Antrieb zu leisten. Insgesamt setze das OZG beim derzeitigen Vorgehen zwar einen wichtigen Impuls, sei aber nicht allein ausschlaggebend, betont Engel. Die Digitalisierung des kommunalen Gemeinwesens ende nicht mit der Onlinestellung des Leistungspakets der öffentlichen Verwaltung, sondern nehme hier vielmehr erst ihren Anfang. Mit Blick auf die kommenden Jahre müsse das Zusammenspiel von Kommune und Kommunalen IT-Dienstleistern daran gemessen werden, inwieweit es ihnen gelinge, alle betroffenen Akteure in einem digitalen Ökosystem zusammenzuführen. Das schließe neben der Verwaltung auch die Bürgerschaft und das Land mit ein. Doch wie kann eine solche Zukunft im Detail aussehen? Auf dem Weg dorthin sei es zunächst einmal wichtig, den Prozesscharakter der Digitalisierung nicht aus den Augen zu verlieren.

D

ie Vorträge von Thomas Pennartz, Verbandsgeschäftsführer des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbands, und von Andreas Zurbel, Key-AccountManager E-Government GiroSolution, stellten auf e-nrw das kommunale Portfolio der Sparkassen vor, mit dem Kommunen auf dem Weg zur Digitalisierung unterstützt werden.

Urkundenbestellung bequem vom Sofa aus Schnell vom Sofa aus eine Meldeurkunde bestellen – für den Bürger attraktiv, weil er orts- und zeitunabhängig sein Anliegen erfüllt bekommt und für das Bürgerbüro von Vorteil, weil es gleichzeitig entlastet wird. Damit die Urkundenbestellung bequem online genutzt werden kann, müssen im Vorfeld allerdings seitens der Kommune einige Vorbereitungen getätigt werden: So muss eine Implementierung des Fachverfahrens in das Bürgerportal stattfinden. Ist dies geschehen, können sich die Bürger ihre Meldeurkunde online anfordern – vorausgesetzt, sie wissen, dass dieser Dienst digital zur Verfügung steht. Kommunen sollten also ihr Bürgerportal bewerben, damit die Bürger auch Kenntnis darüber haben, dass ihnen entsprechende OnlineServices angeboten werden.

Zuversichtlich, was die Einhaltung der vom OZG gesetzten Fristen angeht: Neuss’ Oberbürgermeister Reiner Breuer. Foto: BS/Giessen

“Auch im Jahr 2030 wird NordrheinWestfalen digitaler Spitzenreiter bleiben”, prognostiziert Prof. Dr. Andreas Engel, IT-Leiter der Stadt Köln und Geschäftsführer des KDN. Foto: BS/Giessen

“Es ist ein Irrglaube anzunehmen, die digitale Vernetzung der Kommune sei ab einem gewissen Zeitpunkt beendet. Weit davon entfernt, nach der vom OZG verhängten Frist wird die dringlichste Aufgabe sein, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten und die einmal errichteten Ökosysteme weiter auszubauen”, mahnt Engel. Für die unmittelbare Zeit nach 2022 werde man sich daher vordringlich darauf konzentrieren müssen, regionale IT-Kraftzentren zu errichten und

gleichzeitig Betriebsstandards zu definieren, die eine landesweite Vernetzung unter dem Dach des KDN ermöglichten. Regionalisierung und Zentralisierung würden einander nicht ausschließen, sondern liefen parallel. Mehr noch: Sie seien eine Ergänzung des jeweils anderen. Die digitale Kommune der Zukunft könne dabei auf ein breites Leistungsangebot zurückgreifen, das Services des Öffentlichen Dienstes mit denen privater Anbieter im Rahmen einer übergreifenden Systemarchitektur verknüpfe. Aufseiten des Bürgers müsse sich der Kontakt zur Verwaltung – in Anlehnung an Portale der Privatwirtschaft – wie ein Erlebnis darstellen. In der Praxis könne das so aussehen, dass im Fall einer Wohnungsanmeldung mit wenigen Klicks ersichtlich werde, welches Bildungsangebot in direkter Umgebung bestehe, welcher Stromanbieter die günstigsten Preise habe oder wie es um die Internetversorgung bestellt sei. Engel spricht von einer Renaissance kommunaler Selbstverwaltung. Entscheidend sei, dass man die Chance nicht dadurch verspiele, dass man unnötig Zeit vergeude. Andernfalls würden Unternehmen – globale Player in der Größenordnung von Amazon oder Google – die Nische für sich beanspruchen.

So entwickelt der Rhein-Kreis Neuss mit geschultem, eigenem Personal zahlreiche innovative und bürgerfreundliche App-Anwendungen, wie beispielsweise eine Pflegefinder-App für die Suche nach Kurz- oder Langzeitpflegeplätzen und ambulanten Pflegediensten, eine Straßenverkehrsamts-App, die den Service für rund 170.000 Kunden jährlich erheblich verbessert oder eine Rettungsdienst-App zur standardisierten Fortbildung des rettungsdienstlichen Personals. Die Apps stellt der Rhein-Kreis Neuss dabei bundesweit auch interessierten Kommunen und Ministerien zur Verfügung. Mehr als zwei Dutzend Kommunen haben sich bereits beim Kreis über die Apps informiert. Einige haben die Apps bereits übernommen, andere stehen kurz vor der Einführung. Erst vor einigen Wochen hat er eine Kooperationsvereinbarung mit dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur Übernahme der Heimfinder-App unterzeichnet. “Ich bin stolz darauf, dass wir mit unseren Online-Anwendungen auf so große Resonanz stoßen. Viele sind überrascht, wenn sie im Gespräch von uns hören, dass wir ihnen unsere App-Entwicklungen schenken wollen. Aber nur wenn wir die verschiedenen Stärken zusammenlegen und arbeitsteilig vorgehen, können wir die Herausforderungen des digitalen Wandels in Deutschland meistern”, ist sich der Neusser Landrat HansJürgen Petrauschke sicher. Der schon spür- und vorhersehbare Mangel an Fachkräften sowie die begrenzten IT-Personalressourcen schwächen tendenziell die Leistungsfähigkeit unserer Verwaltungen im Veränderungsprozess. “Daher ist es sinnvoll, die Kräfte zu bündeln”, so Pe­

Treiben gemeinsam das E-Government im Rhein-Kreis Neuss voran (v.l.): Landrat Hans-Jürgen Pe­ trauschke und CIO Harald Vieten. Vieten sprach in diesem Jahr auch beim “e-nrw-Heimspiel” in der Stadthalle Neuss. Foto: BS/Rhein-Kreis Neuss

trauschke weiter. Die Verantwortung für Steuerung und Koordination von IT, E-Government und Digitalisierung hat Petrauschke zentral in einem Dezernat gebündelt, das vom Leitenden Kreisverwaltungsdirektor Harald Vieten geführt wird.

Lokales Bündnis mit Kreiskommunen Teil seiner Kooperativen Digitalisierungsstrategie ist auch eine stärke Zusammenarbeit mit den acht kreisangehörigen Kommunen bei den anstehenden Digitalisierungsaufgaben. Im Januar dieses Jahres unterzeichneten Bürgermeister und Landrat eine Verwaltungsvereinbarung für ein lokales Bündnis zur Digitalisierung der Verwaltungen. Darin vereinbaren

Erste Projekte wie das erste gemeinsame DigitalisierungsFortbildungsprogramm von Kreis und Kommunen im kreiseigenen Technologiezentrum Glehn, die Übernahme der Digitalisierung von Baulasten-Akten der Kommunen, die Kfz-Anschriftenänderung in den acht kommunalen Einwohnermeldeämtern sowie die gemeinsame Teilnahme an OZG-Modellprojekten sind erfolgreiche Belege für die kooperative Digitalisierungsstrategie des Rhein-Kreises Neuss.

Informationen und eine Broschüre zu den Apps sind beim Rhein-Kreis Neuss erhältlich: IT-Dezernent Harald Vieten, Tel. 02181/601-1060, CDO Jürgen Brings, Tel. 02181/601-1062; digitalisierung@rhein-kreis-neuss.de, www.rhein-kreis-neuss.de

Lösungen von Sparkassen und GiroSolution bieten Unterstützung (BS/Volker Müller*) Die Anforderungen an E-Government-Services aus Sicht der Bürger sind klar: Sie wünschen sich passgenaue Angebote und Dienstleistungen, die sie künftig elektronisch sowie zeit- und ortsunabhängig in Anspruch nehmen können. Dabei sollen die Angebote nutzerfreundlich und einfach zu bedienen sein. Für Kommunen bedeutet das, sich bei der Bereitstellung ihrer E-Government-Angebote an den Bürgerwünschen zu orientieren. Für die damit einhergehenden Herausforderungen stellen Sparkassen digitale Lösungen und Unterstützung bereit. Kreditkartenzahlungen, eingebunden werden können. Dadurch können die Bürger die Urkunde dann bequem mit dem jeweils gewünschten Bezahlverfahren begleichen – welche Bezahlverfahren die Kommunen den Bürgern zur Verfügung stellen, können sie dabei selbst entscheiden. Nach der Bezahlung erhält die Kommune eine Information darüber, dass der Vorgang bezahlt wurde und kann den Versand der Urkunde veranlassen. Dieses Vorgehen bietet sich neben der Urkundenbestellung natürlich noch für viele weitere Online-Services, wie z. B. Müllmarkenbestellung, Beantragung eines Bewohnerparkausweises, Buchung von Freizeitangeboten oder Ähnliches an, sodass die Kommune ihr digitales Serviceangebot umfangreich aufstellen kann. Neben den genannten Lösungen gibt es weitere Angebote, mit denen die Digitalisierung der

Kooperative Digitalisierungsstrategie

Mehr Infos

E-Government einfach machen

Dann kann es losgehen: Mithilfe einer Authentifizierungslösung, wie z. B. “yes”, haben die Bürger die Möglichkeit, sich bei der Anmeldung am Bürgerportal oder im Rahmen der Nutzung von Fachverfahren zu identifizieren. Mit “yes” können die Bürger hierfür einfach das Online-Banking ihrer Sparkasse oder Hausbank nutzen und ihre persönlichen Daten – ohne Medienbruch – sehr einfach in den jeweiligen elektronischen Workflow des EGovernment, übertragen lassen. Damit entfällt das lästige Eintragen von Daten in elektronische Formulare. Damit die Urkunde nicht nur online bestellt, sondern auch gleich bezahlt werden kann, sollte in das Fachverfahren eine Bezahllösung integriert sein. Hierfür steht die Multi-Bezahllösung GiroCheckout zur Verfügung, mit der alle gängigen OnlineBezahlverfahren, wie z. B. paydirekt, giropay, Lastschrift- oder

Kommunen und Kreis, Digitalisierungs- und E-GovernmentProjekte von gemeinsamem Interesse sowie bei der Fortbildung des Personals gemeinsam anzugehen. Als Kooperationsgremium wurde ein Arbeitskreis der IT-Leitungen gebildet, der ein Vorschlagsrecht in der Bürgermeisterkonferenz hat. Er soll u.a. neue Projekte von gemeinsamem Interesse identifizieren und entwickeln und dient auch dem Austausch von abgestimmten Strategien. “Grad und Reichweite der projektbezogenen Zusammenarbeit, die auch eine Finanzierung über den Kreishaushalt vorsehen kann, werden in der Hauptverwaltungsbeamtenkonferenz beraten und einstimmig verabschiedet”, so Vieten, der das Bündnis auf den Weg gebracht hat. Das schaffe Akzeptanz, Vertrauen und steigere die Motivation zur Zusammenarbeit, erläutert Vieten weiter. Jährlich 100. 000 Euro zusätzlich zum regulären Fortbildungsprogramm investiert der Kreis in Schulungen und Fortbildungen der Mitarbeiter im Rahmen seiner Digitalisierungsstrategie. Darin nimmt das Personal eine Schlüsselfunktion im Veränderungsprozess ein.

Verwaltung erfolgreich vorangetrieben werden kann.

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E-Rechnungen und kommunales Portfoliomanagement

Kompetenzcenter für E-Government

Für die Bereiche E-Rechnung und kommunales Portfoliomanagement stellen die Sparkassen in Zusammenarbeit mit GiroSolution digitale Lösungen bereit. Mit “S-Kompass” können Kreditportfolios einfach, revisionssicher und präzise per Knopfdruck verwaltet und gesteuert werden. Die Lösung enthält übersichtliche Reportings, automatisierte Berichte und zahlreiche zusätzliche Funktionen. Eine Schnittstelle zu komuno, der digitalen Plattform für Kommunalkredite, ist ebenfalls vorhanden. Mit dem “S-Rechnungs-Service” können Rechnungen einfach, schnell und sicher elektronisch empfangen und versendet werden. Ohne Anpassung der ITInfrastruktur, ohne Schulungsaufwand und völlig unkompliziert

Durch ihre örtliche Verankerung, ihre Nähe zu den Menschen und ihre öffentliche Trägerschaft sind Sparkassen auf besondere Weise mit den Kommunen verbunden. Sie sind der Partner der Kommunen, kennen aufgrund der regionalen Nähe der Institute die Gegebenheiten vor Ort und können die Kommunen mit bedarfsgerechten Lösungen unterstützen. GiroSolution unterstützt – als eigenes Kompetenzcenter für E-Government der SparkassenFinanzgruppe – die Sparkasse vor Ort bei allen Fragen rund ums E-Government und stellt passende digitale Lösungen zur Verfügung. Gemeinsam stark: Die He­ rausforderungen, die der digitale Wandel und neue Gesetzesvor-

schriften mit sich bringen, lassen sich mit einem starken Partner leichter meistern. Wir begleiten die Kommunen gerne auf dem Weg zur “Digitalen Kommune”. Die Sparkasse vor Ort steht dabei jederzeit bei Fragen zur Verfügung. *Volker Müller ist Geschäftsführer der GiroSolution GmbH.

Wie die Sparkassen vor Ort das kommunale E-Government in Nordrhein-Westfalen mit ihren digitalen Lösungen unterstützen können, zeigte Thomas Pennartz, Verbandsgeschäftsführer des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbands, den Teilnehmern auf dem Kongress auf. Foto: BS/Giessen


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / Dezember 2019

Smarte Geozukunft

Den Datenschatz endlich nutzbar machen

Rheinland-Pfalz auf dem Weg zum Basisdienst Geodatenmanagement

Politik und Verwaltung dürfen nicht nur auf Daten glucken

(BS/Dr.-Ing. Jörg Kurpjuhn*) Die Geodateninfrastruktur Rheinland-Pfalz ist etabliert und Geodaten stehen zur (BS/wim) In der digitalisierten Welt sind Daten in vielen Bereichen mehr wert als materielle Ressourcen. Mit Erfüllung der europäischen INSPIRE-Richtlinie zur Verfügung. Braucht es da noch ein einheitliches Geoda- ­Abstand die meisten Daten über Bürger in Deutschland sammelt und verarbeitet dabei die öffentliche Vertenmanagement? waltung, denn nur hier sind alle Personen mit sämtlichen sensiblen Daten gespeichert. Dieser Schatz wurde bislang gehütet, um möglichst viel Sicherheit dafür zu gewährleisten. Dieser Ansatz ist wichtig, die Verwaltung “Ja, der Bedarf ist vorhanden”, die jeweiligen Fachinhalte und­ Projektergebnis werden Empfeh- muss dennoch lernen, diese Daten auch nutzbar zu machen, um sich selbst und die Bürger zu entlasten.

sagt Innenstaatssekretär Randolf Stich, CIO des Landes RheinlandPfalz, ganz im Sinne der “Strategie für das digitale Leben in Rheinland-Pfalz – Wir vernetzen Land und Leute”. Danach sind digitale Geodaten als Abbild der realen Welt der digitale Rohstoff einer smarten Geozukunft. Um diesen digitalen Rohstoff noch intensiver als bereits heute nutzen zu können, hat der Staatssekretär ein auf zwei Jahre angelegtes Projekt zur Voruntersuchung zur Einführung eines einheitlichen Geodatenmanagements (rlp-GDM) gestartet.

-applika­tionen werden die fachlich zuständigen Stellen auch weiterhin tragen. Von einem Basisdienst rlpGDM werden also die bestehenden Geoanwendungen in der Landesverwaltung etwa im Agrarbereich, der Umweltverwaltung, der Statistik oder der Landesvermessung profitieren, zugleich wird die bestehende service-orientierte Geodateninfrastruktur des Landes sinnvoll ergänzt. Die Nutzung von amtlichen Geodaten für Verwaltungsentscheidungen soll vereinfacht werden.

Innenstaatssekretär Randolf Stich, CIO des Landes Rheinland-Pfalz, und das Projektteam (v.r. Dirk Hübler, Hermann-Josef Heinz, Randolf Stich, Dietmar Barth, Kristina Süßmilch und Dr.-Ing. Jörg Kurpjuhn) Foto: BS/MdI RLP

Es geht um die Einrichtung eines fachneutralen Basisdienstes, der allgemeinen Geschäftsprozessen dient und eine Voraussetzung für übergeordnete Querschnittsdienste und Fachverfahren darstellt. Mit dem Basisdienst soll die Entwicklung und die Bereitstellung von Geodatenangeboten und -anwendungen der Landesverwaltung weiter optimiert und zu einem einheitlichen Geodaten­management weiterentwickelt werden. Das Projektziel wird in der IT-Strategie weiter ausgeführt: Die jeweiligen Fachverwaltungen sollen über hoch performante Kommunikations­ netze zentral bereitgestellte Hardund Softwareressourcen nutzen können. Dafür sollen die bisher eingesetzten, heterogenen GISPlattformen, wenn technisch und wirtschaftlich sinnvoll, möglichst vereinheitlicht werden. Die inhaltliche Verantwortung für

Es geht letztlich um Standardisierung, Konsolidierung und Zentralisierung. Der Basisdienst rlp-GDM bezieht damit sowohl IT-technische Belange wie auch Fragen der Organisation sowie der personellen und finanziellen Ressourcen mit ein. Entsprechend arbeitet die kleine Projektgruppe im Innenministerium ausgehend vom Status quo an den Erwartungen an diesen. Als

lungen für die Einführung in der Landesverwaltung erwartet. Früh fiel die Entscheidung, dass die Wissenschaft mit am Tisch sitzen soll. Die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FöV) konnten als gemeinsame Auftragnehmer gewonnen werden. Diese haben als weiteren Projektpartner die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH zur Abrundung der ITtechnischen Expertise eingebunden. Insbesondere mit Dr. Rubina Zern-Breuer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement, sowie PD Dr. Margrit Seckelmann (FöV) ist es gelungen, zwei anerkannte Vertreterinnen aktueller Innovationsforschung mit einzubeziehen. Um den Bedarf in der Landesverwaltung zu erheben, führt die Universität Speyer derzeit Interviews. Ein weiterer Baustein ist eine weit gestreute Online-Umfrage bei Bediensteten, die potentiell mit Geodaten arbeiten - sei es als Karte, Dienst, in der Verfahrensentwicklung oder in der Administration. Ein Erfahrungsaustausch mit anderen Bundesländern soll die Erkundungsphase abrunden. Darauf basierend werden im nächsten Jahr Innovationslabore stattfinden. Nur in der Zusammenarbeit aller Akteure kann die bestmögliche Gestaltung eines einheitlichen Geodatenmanagements gelingen. *Dr.-Ing. Jörg Kurpjuhn ist Referatsleiter Geoinformation Raumbezug, Gebührenrecht und Bodenordnung im Ministerium des Innern und für Sport RheinlandPfalz.

Die Vision für einen Basisdienst rlp-GDM Das einheitliche Geodatenmanagement in Rheinland-Pfalz (rlp-GDM) ist eine modular aufgebaute Standardisierung, Konsolidierung und Zentralisierung von Geodaten, IT-Architektur und Dienstleistungen in einem Basisdienst zur Verknüpfung, Speicherung, Übermittlung und Nutzung der Geodaten verschiedener Landes­behörden durch zentrale Betriebs- und Servicestrukturen unter Einbeziehung der Geodaten­ infrastruktur Rheinland-Pfalz.

Wenn man den Begriff des “Data Driven Government” im engeren Sinne betrachtet, ist die Verwaltung in Deutschland noch sehr weit von diesem Zustand entfernt, meint Dr. Jens Klessmann, stellvertretender Leiter des Geschäftsbereiches Digital Public Services bei Fraunhofer FOKUS: “Für ein wirklich datengetriebenes Regieren und Verwalten fehlt es hierzulande noch an grundsätzlichen Digitalisierungsaspekten. Ein Beispiel ist der Zensus 2021, der ja trotz allem weiterhin ohne Registerunterstützung durchgeführt wird.” Dabei würden auswertbare Daten auf digitaler Basis eine Vielzahl an Möglichkeiten eröffnen, um große und kleine Projekte damit anzugehen. So könne beispielsweise der Fachkräftemangel zumindest teilweise aufgefangen werden, indem digitale Daten dabei helfen können, die vorhandenen Arbeitsressourcen effizienter zu verteilen. Aber auch ganz abseits von fehlenden Mitarbeitern können Daten der Verwaltung helfen, wie Andreas Kiessling, Senior Director im Bereich Sales Public

kann, um einen besseren Überblick darüber zu erhalten, was in der Stadt passiert.” Für Projekte wie diese müsse die Verwaltung in klar vorgegebenen Grenzen eine Fehlerkultur zulassen, wie sie bislang im öffentlichen Sektor nicht bekannt war, so Kiessling: “Es braucht Freiräume, um im digitalen Raum zu lernen und neue Kompetenzen zu gewinnen.” Grundsätzlich müsse man sich überlegen, welche Wirkung man von Seiten des Staats mit dem Data Driven Government erzielen will, meint die Geschäftsführerin der Initiative D21, Lena-Sophie Müller. Natürlich könne man damit die Qualität der Dienstleistungen verbessern, “aber man kann auch ganz neue Potenziale aus den Daten herausholen. So könnte die öffentliche Verwaltung maßgeschneiderte Dienste für die Bürger anbieten, wie es bei Anbietern wie Zalando oder Amazon schon lange Standard ist. Aber natürlich nur dann, wenn der Bürger der Nutzung seiner Daten zustimmt. Genau das ist dann auch digitale Souveränität, die durch den Bürger gelebt wird.”

In Berlin laufen bei ihr alle Fäden der Informationstechnologie zusammen: Sabine Smentek, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin sowie Landes-CIO der Hauptstadt. Für sie hat die IT nicht nur technische Relevanz, sondern ist auch gesellschaftlich ein hochsensibles Thema, das in letzter Konsequenz die Demokratie schützen kann. Foto: BS/Orth

Sector bei Oracle erläutert: “Ein gutes Beispiel ist dafür immer wieder das Projekt KL.digital, das in der Kaiserslauterer Verwaltung durchgeführt wird. Dort setzt man ein digitales Steuerungsinstrument ein, das Daten aus allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung in Echtzeit visualisieren

Um Daten in Zukunft sinnvoll zu nutzen, dürfe der Staat aber nicht einfach allein darauf sitzen, sondern müsse den Bestand unter Bedingungen mit hoher Sicherheit für den Markt öffnen, fordert Fraunhofer-Mann Klessmann: “Die Verwaltung muss lernen, bis zu einem gewissen Grad

loszulassen von der alleinigen Datennutzung. Das heißt aber nicht, dass man die Hoheit abgeben sollte. Stattdessen muss man einen Wandel hinbekommen vom Besitzer der Daten hin zum Bereitsteller und Schützer der Daten.” Als einen verfolgungswürdigen Ansatz sehen Klessmann und Müller dabei, eine “digitale Soziale Marktwirtschaft als Mittelwegsmodell” zwischen dem radikal offenen Datenmodell in den Vereinigten Staaten und dem komplett verstaatlichten Modell in China für den deutschen und europäischen Markt aufzubauen. Um aber endlich hin zu einem wirklich datengetriebenen Verwaltungshandeln zu kommen, muss der öffentliche Sektor endlich dafür sorgen, dass erfolgreiche Pilotprojekte nicht mehr stecken bleiben. In Berlin ist dies die Aufgabe von Sabine Smentek, Staatssekretärin, Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin: “Ob Blockchain oder datengetriebene Entscheidungen, wir integrieren die moderne Technik kontinuierlich in unsere Bürgerdienste. Nur in die Fläche schaffen es bislang die wenigsten und daran müssen wir dringend arbeiten.” Darum hat man in Berlin die Entscheidungsgewalt für alle IKT-Projekte zentralisiert. So kann Smentek ohne Parlament und Senat entscheiden, trägt dadurch aber auch eine hohe Verantwortung: “Wenn was schief geht, bin ich natürlich auch immer schuld.” Dabei schreibt sie der IT eine Bedeutung zu, die über die technische Verantwortung weit hinausgeht: “Wir hatten am Berliner Kammergericht einen emotet-Fall, von dem 20 Rechner betroffen waren, die das ganze Gericht bis voraussichtlich Anfang 2020 vom Netz genommen haben. Das ist ein riesieger Rattenschwanz, der Auswirkungen auf Fristen und Verfahren hat. Und da stehen immer Menschen und dahinter, das hat eine riesige gesellschaftliche Komponente”, so Smentek. Daher sei IT nicht einfach irgendein Schnickschnack, sondern habe in letzter Instanz auch eine demokratieschützende, oder im schlimmsten Fall -schädigende Wirkung.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Kreativität und Innovation bündeln

I

nnovationszyklen verkürzen sich, Märkte werden komplexer. Neue Lösungen sind gefragt, damit Unternehmen im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben. Um neue Produkte oder Dienstleistungen zu schaffen und um den Kundennutzen zu erhöhen – fernab von gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen haben große Firmen schon seit einiger Zeit ausgelagerte Innovationsabteilungen. Sie sollen neue Erfindungen hervorbringen, die zukünftige Geschäftsmodelle abbilden können. Nun ziehen öffentliche Verwaltungen mit eigenen Hubs und Labs nach. Die initiale Phase des Innovationsprozesses wird teilweise, unter Einbeziehung von Wirtschaft und Wissenschaft, für Kreativschaffende geöffnet.

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Labs und Hubs in der öffentlichen Verwaltung (BS/Denise Coleman, Jaqueline Elitok, Dr. Eva-Charlotte Proll) Bund, Länder und Kommunen investieren in innovative Arbeitsweisen, um die Verwaltung von morgen zu gestalten. In sogenannten Labs und Hubs sollen neue kreative Lösungen und Innovationen erarbeitet werden. Solche Einrichtungen spielen in der Privatwirtschaft abseits klassischer Produktionsprozesse längst eine wichtige Rolle, da sie kreativen Lösungen, in einer sich schnell wandelnden Welt, Raum zur Entfaltung bieten. Unter “Hubs” versteht man Orte, an denen verschiedene Akteure, z. B. Start Ups, traditionelle Wirtschaft und Wissenschaft sich begegnen und vernetzen, um gemeinsam an Innovationen für die Zukunft zu arbeiten. Beispiel für einen von der öffentlichen Verwaltung ins Leben gerufenen Hub ist der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr, der als Schnittstelle zwischen Start Up-Szene und Bundeswehr digita-

le Innovationen vorantreiben soll. Der Hub identifiziert innovative Technologien in der internationalen Start Up-Szene und entwickelt und validiert diese für die Bundeswehr. Er wurde erst kürzlich in den Regelbetrieb überführt. Labs bezeichnen demgegenüber Räumlichkeiten oder Zusammenkünfte, die eine aktive, interdisziplinäre und offene Zusammenarbeit zwischen kreativen Köpfen ermöglichen sollen. Labs haben

eine thematische Ausrichtung und sind offen für Ansätze aus der Bevölkerung. Als ein Beispiel ist auf Bundesebene die Ideenwerkstatt des Bundesverwaltungsamtes (BVA) tätig. Monatlich trifft sich das zwölfköpfige Kernteam, bestehend aus Mitarbeitenden verschiedener Abteilungen, um Lösungsansätze für Herausforderungen in den vier Schwerpunkten Digitalisierung, Liegenschaften, Personal und Or-

ganisation zu finden. Fortlaufend widmen sich Kleingruppen des Kernteams konkreten Fragestellungen. Die Gruppe arbeitet hie­ rarchielos und unabhängig von den anderen Abteilungen. Zu den ersten Ergebnissen der Werkstatt gehört beispielsweise die Einrichtung eines Kreativraumes. Dieser soll innovative Arbeitsmethoden wie das Design Thinking begünstigen. Zudem werden Optionen für neue Arbeitszeitmodelle

geprüft. Eine Rahmenvereinbarung des Bundesverwaltungsamtes soll, nach Vorbild des BMI, flexible Teilzeitvereinbarungen und mobiles Arbeiten ermöglichen. Bei allen Formaten geht es um eine Öffnung der Denkgrenzen, um für die Lebens- und Arbeitswelt von morgen fit zu werden. Dies beeinflusst die Grundhaltung gegenüber Neuem. Flexibilität, Lernbereitschaft und das Verlassen der Komfortzone sind wesentliche Erfolgsfaktoren, um visionäre Kraft zu entfalten. Hier abgebildet sind dauerhaft eingerichtete Labs oder Hubs mit Beteiligung der öffentlichen Verwaltung, finanziert oder teilfinanziert aus öffentlichen Geldern. Die Übersicht umfasst keine dauerhaft an Agenturen ausgelagerten Einrichtungen oder Think Tanks, Werkstätten oder Labore.

Joint Innovation Lab (JIL) Erarbeitet innovative Ideen für die Verwaltung im Bereich E-Government.

CityScienceLab Hamburg Forschungseinheit im Bereich Digitalisierung von Städten (Kooperation mit dem MIT in den USA, 2016 Projekt FindingPlaces)

LÜBECK

DIGITAL HUB Industry Vernetzt etablierte Unternehmen, Universitäten, Hochschulen und Start Ups für industrielle Geschäftsmodelle.

HIH (Health Innovation Hub) Entwickelt Ideen und Konzepte zur Gestaltung der Versorgung und für die digitale Transformation sowie neue Gesundheitslösungen.

HAMBURG

BREMEN

Innovation Land Lab

Cyber Innovation Hub (CIH) Schnittstelle zwischen Start Ups und Bundeswehr, treibt digitale Innovationen innerhalb der Bundeswehr voran.

Begleitet technische, soziale und kulturelle Innovationen für den ländlichen Raum.

KoSI-Lab Treibt und katalysiert soziale Innovationen für die Felder nachhaltige Stadtentwicklung, Demografiefestigkeit und neue Arbeit.

MÜNSTER

Digital Hub münsterLAND Vernetzt Unternehmen, Institutionen, Wissenschaft, Verbände und Start Ups in der digitalen Wirtschaft. Forschungsnetzwerke Energie Förderung des Austauschs von Akteuren im Energiesektor (acht themenorientierte Netzwerke, wie z. B. Bioenergie, Stromnetze)

Open Knowledge Labs “OK Labs” Erarbeiten Open-DataAnwendungen mit dem Ziel, zu informieren (Netzwerk von circa 30 Labs mit mehr als 300 Freiwilligen).

BERLIN

DÖRENTRUP

Public Service Lab Unterstützung des Kulturwandels in der öffentlichen Verwaltung und Hinführung an neue Technologien

DORTMUND LEIPZIG JÜLICH KÖLN

DRESDEN

DWNRW-Hubs Digital Hub Cologne Berät und vernetzt etablierte Unternehmen mit Start Ups; Teil der Initiative Digitale Wirtschaft NRW. Weitere Städte und Regionen: Aachen, Bonn, Düsseldorf, Münsterland, Ruhr

KI-Hub Koordinations- und Anlaufstelle, um KI-Innovationen in die Anwendung zu bringen.

Bodenseezentrum Innovation 4.0 Strukturiert und schafft Transparenz bei den Digitalisierungsaktivitäten mehrerer Hubs der Region. Weitere Regionen: Neckar-Alb, Nordschwarzwald

LUDWIGSHAFEN

SPEYER

Münchner Innovationshub für angewandte KI (innohubai) Integriert und vernetzt (Forschungs-)Aktivitäten zum Thema Künstliche Intelligenz.

LUDWIGSBURG Innovationsnetzwerk Living LaB Ludwigsburg

GARCHING

STUTTGART

Erarbeitet und erprobt Lösungen für die Stadtgesellschaft von morgen unter realen Bedingungen.

Smart Infrastructure Hub Initiative für Start Ups, KMUs, junge Unternehmen und Forschung im Bereich Energie, digitale Gesundheit, smarte Städte und IoT (zwölf Standorte mit unterschiedlichen Schwerpunkten) Weitere Städte, u. a.: Leipzig Zentrum Digitalisierung Bayern (ZD.B), Digital Innovation Hub (DIH) Vernetzt Wissensträger zu Produktionsprozessen, Produkten oder Dienstleistungen der Zukunft. Weitere Städte: München

KAISERSLAUTERN SmartCity Living Lab (SCLL) Forschungsvorhaben zur Erprobung innovativer IKT für eine nachhaltige Stadtentwicklung

Hub / Netzwerk Verbraucherforschung Interdisziplinäre Plattform für die Verbraucherforschung und Programm zur Innovationsförderung

MÜNCHEN

SÜDLICHER OBERRHEIN DIGIHUB Südbaden Anlaufstelle, Beratungs- und Umsetzungsunterstützung für KMUs in der digitalen Transformation

©Behörden Spiegel

Innovation Lab / Innovationslabor

Smart Data Solution Center Baden-Württemberg (Digital Innovation Hubs)

Gestaltet den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Erleichtert KMUs den Zugang zu Smart-Data-Technologien und simulert Big-Data-Anwendungen

Lab

Hub

Bund

Land

Kommunal

Wissenschaft

Mischform


Informationstechnologie

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Mehr Tempo machen

W

ie gelingt die Digitalisierung von 575 Verwaltungsleis­ tungen laut Onlinezugangsge­ setz (OZG)? Wie lässt sich der Verkehrsfluss in Städten opti­ mieren? Wie sieht die Zukunft der Verwaltung in Zeiten von Quantencomputing und Bot Eco­ nomies aus? Dass die Antworten in der smarten Umsetzung von digitalen Prozessen zu finden sind, zeigten die unterschiedli­ chen Beiträge deutlich. Digitali­ sierung ist demnach der Motor, der heute Takt und Tempo in Gesellschaft und Verwaltung vor­ gibt. In deutschen Verwaltungen lässt jedoch insbesondere die Ge­ schwindigkeit der Digitalisierung noch “viel Luft nach oben”. Dies belegten zuletzt verschiedene Sta­ tistiken, die Wolfgang Kubicki, Vizepräsident des Deutschen Bundestags und stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, in seinem Impuls zitierte. Dass die Kommunikation im Bundestag zum Großteil immer noch pa­ pierbasiert oder per Fax erfolgt, ist für ihn nicht mehr zeitgemäß und mit Blick auf die Umwelt auch nicht akzeptabel. Kubicki sieht eine “große Ge­ fahr für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands” in der Tatsache, dass die deutsche Verwaltung nicht zu den “digitalen Vorrei­ tern” zähle. Unternehmen und Bürger erwarteten heutzutage unkomplizierte Verwaltungs­ services, die rund um die Uhr ortsunabhängig genutzt werden könnten. Die Digitalisierung biete hier große Chancen, um durch nutzerfreundliche Angebote ein Höchstmaß an Ansprechbarkeit zu gewährleisten. Hier müssten Staat und Verwaltung mit gutem Vorbild vorangehen, mahnte Kubicki. Zentrale Erfolgsfaktoren sieht er im Ausbau der digitalen Infrastruktur, in der Entwicklung einer ganzheitlichen und zentral verantworteten Digitalisierungs­ strategie sowie in der mentalen Vorbereitung der Mitarbeiter in den Verwaltungen. Für InaMaria Ulbrich, Staatssekretärin im Ministerium für Energie, In­ frastruktur und Digitalisierung

B

ehörden Spiegel: Herr Kubicki, welche Bedeutung hat eine digitale Verwaltung für ein Land wie Deutschland?

Kubicki: Eine digitale Ver­ waltung ist zukünftig über­ lebenswichtig für den Wirt­ schaftsstandort Deutschland. Verwaltungsprozesse, etwa Ge­ nehmigungsverfahren, dauern heute deutlich zu lange und füh­ ren zu Wettbewerbsnachteilen ge­ genüber Mitbewerbern in Europa und weltweit. Eine Untersuchung zeigt, dass die Unternehmen al­ lein durch die Digitalisierung der Top-30-Verwaltungsverfahren bis zu einer Milliarde Euro im Jahr sparen würden. Zudem müssen wir im Zuge der Digitalisierung auch Informati­ onen bündeln. Es ist den Men­ schen kaum noch zu erklären, warum sie ihre Daten verschie­ denen Behörden immer wieder mitteilen müssen und dies bis­ lang teilweise auf elektronischem Wege gar nicht können. Die Grundvoraussetzung dafür, dass die Verwaltung im Interesse aller Menschen digitalisiert wer­ den kann, ist die Sicherstellung einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur. Die haben wir mo­ mentan nicht, wenn man allein an die vielen Funklöcher im Lan­ de denkt. Hier versagt der Staat komplett. Dies ist nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern insbesondere für die Wirtschaft ein gewaltiges Pro­ blem. Zumal ich davon ausgehe, dass die digitale Infrastruktur in Zukunft wichtiger sein wird als die Verkehrsinfrastruktur, weil ein großer Teil der Beschäftigten zunehmend in der Cloud arbei­ ten wird.

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Wie lässt sich die Verwaltungsdigitalisierung beschleunigen? (BS/Guido Gehrt) Wie kann die Modernisierung im öffentlichen Bereich schneller gelingen? Dieser Frage gingen im Rahmen des diesjährigen Kongresses “Innovatives Management” in Lübeck rund 300 Führungskräfte aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft nach. Am Ende der verschiedenen Diskussion stand auch hier die Erkenntnis, dass in der Kooperation ein wesentlicher Faktor für eine möglichst rasche und erfolgreiche Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung liegt.

Rund 300 Teilnehmer kamen in den Lübecker Media Docks zum 19. Kongress “Innovatives Management” ­zusammen. Foto: BS/MACH AG

Mecklenburg-Vorpommern, steht fest: “Die Digitalisierung wird die Kultur in den Verwaltungen massiv verändern”. Der notwen­ dige Wandel erfolge jedoch zu langsam, da Verwaltungen noch zu stark in Zuständigkeiten und Abhängigkeiten dächten. Ulbrich forderte daher auf, die Sicht der Bürger und Unternehmen ein­ zunehmen, um das Vertrauen in den Staat wiederherzustellen. Rolf Sahre, Vorstandsvorsitzen­ der der MACH AG, ist, inspiriert von seinen Reisen ins Silicon Valley, fest davon überzeugt: “Die Digitalisierung der öffentli­ chen Verwaltung gelingt besser und schneller, wenn Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung eng zusammenarbeiten und mit­ einander kooperieren.” Daher

gründete er gemeinsam mit der Universität zu Lübeck und mit Unterstützung der Landesre­ gierung Schleswig-Holstein das Joint Innovation Lab (JIL). Prof. Dr. Moreen Heine, Head of Joint Innovation Lab und Professorin für E-Government und Open Data Ecosystems an der Uni­ versität zu Lübeck, bestätigte die Zusammenarbeit in Netzwer­ ken, wie sie im Joint Innovation Lab praktiziert wird, als sehr aussichtsreich, da “die heutigen Herausforderungen in der öffent­ lichen Verwaltung keiner mehr allein lösen kann”. Als Erfolgs­ faktoren der Zusammenarbeit sieht Prof. Heine den Willen zur gemeinsamen Umsetzung sowie die Offenheit und Bereitschaft, Wissen auszutauschen. Für Jan

Lindenau, Bürgermeister der Hansestadt Lübeck, entstehen durch Kooperationen “völlig neue Lösungsansätze und Produkte”. Begeistert beschrieb er die derzei­ tige Zusammenarbeit von Tech­ nischer Hochschule, Universität, Wirtschaft und Stadtwerken in Lübeck, um Fragen der Mobili­ tät und Echtzeitdatennutzung gemeinsam anzugehen.

Zukunftsbild für öffentliche Verwaltung Der renommierte Zukunfts­ forscher Sven-Gabor Janszky nahm die Teilnehmer mit auf eine Reise in die Zukunft. Er skizzierte zwei Vorstellungen von Zukunft: Pessimisten, die z. B. Angst davor hätten, dass KI zu Jobverlusten führe, stün­

den Optimisten gegenüber, die in der Zukunft viele Chancen und neue Möglichkeiten sähen, die das Leben besser machten. In der Folge entstehe ein “Reality Gap”, den es zu gestalten gelte. Technologie-Optimisten inves­ tierten bereits heute Millionen in Innovationen, die nach mensch­ licher Unsterblichkeit strebten, weil sie fest an diese Vision glaub­ ten. Der Verwaltung hingegen fehle ein visionäres Zukunfts­ bild. Technologisch betrachtet, sieht Janszky die Zukunft in Quantencomputern, die durch Analyse riesiger Datenmengen immer besser darin würden, zukünftige Ereignisse vorher­ zusagen. Er ist sich sicher, dass Menschen Maschinen zukünftig mehr vertrauen würden als an­ deren Menschen oder sich selbst. Zusätzlich würden Bots Aufga­ ben wie Terminvereinbarungen für Menschen übernehmen. Der Zukunftsforscher forderte: “Wenn Zukunft vorhersagbar wird und Bots den Alltag prägen, müs­ sen Verwaltungen klären, wie sie damit umgehen und welche Aufgaben und Rollen sie in Zu­ kunft übernehmen.” Doch dass Menschen aufgrund dieser Ent­ wicklung arbeitslos werden, ist für Janszky unwahrscheinlich, wenngleich Experten ihr Geld zukünftig eher als Coach ver­ dienten, die andere befähigten, etwas zu tun. Weiterhin werde sich das Ver­ ständnis von Daten ändern: Wäh­ rend heutzutage zum Großteil statische Daten wie Namen und Adressen in Tabellen festgehalten würden, sieht Janszky in Echt­ zeitdaten bzw. dem Zugang zu Echtzeitdaten-Ökosystemen die “Öllampen” der Zukunft. Gleich­

Überlebenswichtig Wirtschaftsstandort Deutschland braucht die digitale Verwaltung (BS) Am Rande des Kongresses “Innovatives Management” in Lübeck standen Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki und der MACH-Vorstandsvorsitzende Rolf Sahre dem Behörden Spiegel für ein Interview zu verschiedenen Fragestellungen der Digitalisierung zur Verfügung. Das Gespräch führte Guido Gehrt. Doch leider wird nach meiner Ansicht der Rückstand, den wir hier heute im internationalen Vergleich schon haben, in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen. So gehe ich nicht davon aus, dass wir bei unse­ ren langwierigen Prozessen, etwa bei der Genehmigung von Funk­ masten, vor dem Jahre 2026 ein flächendeckendes 5G-Netz in Deutschland haben werden, wenn überhaupt. Dabei ist dies von elementarer Bedeutung, will man die Perspektiven des ländlichen Raumes verbessern und den derzeitigen Druck der Bevölkerung auf die Städte zu­ rückführen. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt für Sie die Kooperation der verschiedenen Akteure im Rahmen der Verwaltungsdigitalisierung? Kubicki: Was wir dringend brauchen, ist eine stärkere Fo­ kussierung auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wie man Prozes­ se in der Verwaltung umsetzen kann. Das Problem ist nicht, dass wir an dieser Stelle ein Wissens­ defizit haben. Das Problem ist der inhaltliche Widerstand von weiten Teilen der Verwaltung, entsprechende digitale Prozesse zu adaptieren und sie im Zweifel auch anzuwenden. Hier spielt auch eine Rolle, dass dadurch mitunter auch ein Teil ihrer bis­

um derartige Lösungen in der Praxis zu testen. In einem anderen Projekt wurde im JIL eine App für E-Partizipati­ on entwickelt, um auch den Kon­ takt der Bürgerinnen und Bürger zur Verwaltung zukünftig – rund um die Uhr – zu erleichtern und zu verbessern. Der MACH-Vorstandsvorsitzende Rolf Sahre ist überzeugt davon, dass die trilaterale Kooperation zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung im Joint Innovation Lab Früchte tragen wird.

herigen Arbeitsleistung infrage gestellt wird. Behörden Spiegel: Herr Sahre, Kooperation – auch unter Einbindung der Wissenschaft – und die Schaffung nutzernaher und praxisrelevanter Lösungen wird in Lübeck ja seit Ende letzten Jahres im Joint Innovation Lab, kurz JIL, gelebt. Kann man das so sagen? Sahre: Ja, mit dem JIL haben wir ein breites Ökosystem aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung geschaffen. Bislang waren solche Systeme vorwiegend bilateral organisiert. Entweder hat die Wirtschaft für die Verwal­ tung etwas entwickelt, da fehlten die wissenschaftlichen Ansätze oder die Wissenschaftler forsch­ ten an ihren Lehrstühlen, wobei ihnen aber die echten Probleme

Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Kubicki (FDP) fordert auch für den Bund ein Digitalisierungsministerium. Fotos: BS/MACH

fehlen, die sie lösen sollen und entsprechende Geschäftsmodelle dahinter. Deswegen glauben wir daran, dass die trilaterale Zu­ sammenarbeit im JIL zu neuen Erkenntnissen führen wird. Wir haben uns gefreut, dass die Landesregierung dazu passend eine Professur für E-Government und Open Data Ecosystems ein­ gerichtet hat und diese mit Prof. Dr. Moreen Heine, einer Spezia­ listin für genau diese Themen, erstklassig besetzt wurde. Wir haben erste Prototypen wie die digitale Bauakte unter Einsatz von Augmented Reality gebaut, die Veränderungen auf der Bau­ stelle vor Ort visualisiert und so unmittelbar deutlich macht, wie sich Planungs- bzw. Ver­ waltungsprozesse entsprechend ändern müssen. Deren Nutzung in den Behörden ist momentan leider rechtlich noch nicht mög­ lich, daher glaube ich, dass es Erprobungsräume geben muss,

Behörden Spiegel: Für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung bedarf es auch entsprechender digitaler Kompetenzen auf allen Ebenen. Welchen Beitrag kann das JIL hier leisten? Sahre: Wir arbeiten im Joint Innovation Lab in enger Koope­ ration mit der Verwaltungshoch­ schule Altenholz zusammen, um das Curriculum mit Digitalisie­ rungsthemen anzureichern. Da­ durch sollen die Studierenden zukünftig nicht mehr nur die Verwaltungsvorschriften lernen, sondern etwa auch den Umgang mit Computersystemen oder Prozessmodellierung. Solche Fähigkeiten müssen unbedingt Einzug halten in die Ausbildung von Verwaltungsmitarbeiterin­ nen und -mitarbeitern. Dies ist jedoch gar nicht so einfach, da man zunächst einmal die Lehr­ kräfte haben bzw. dafür gewinnen muss. Behörden Spiegel: Herr Kubicki, wie digital ist eigentlich die Arbeit des Parlamentes?

zeitig sei es bereits heute möglich, Computer durch menschliche Gedanken zu steuern und Emo­ tionen zu messen. Verwaltungen müssten sich fragen, was das für sie bedeute und welcher Nutzen sich daraus ergebe. Für Janszky steht am Ende etwas Positives, wobei die Ethik-Frage für viele Entwicklungen noch zu beant­ worten sei. Schlussendlich trage jeder Entscheider in der Verwal­ tung Verantwortung, die Lücke zwischen beiden Zukunftsreali­ täten zu gestalten, denn darin liege die Chance, die Welt für zukünftige Generationen besser zu machen.

OZG als Turbo Zurück in die Gegenwart führten Diskussionen rund um die aktu­ ellen Herausforderungen zur Um­ setzung des OZG. Stephan Noller verglich das Onlinezugangsgesetz mit der Mondlandung als einen guten Ansatz, der “wirklich etwas bewegen” werde in Deutschland. Dr. Ariane Berger, Referentin für E-Government und Verwal­ tungsorganisation im Deutschen Landkreistag und Mitglied des ITPlanungsrates, teilt diese Ansicht und sieht in der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes mit Labo­ ren, in denen Kommunalvertreter auf Landes- und Bundesmitar­ beiter träffen, eine “echte Revo­ lution”. Beschleunigen lässt sich Digitalisierung laut Noller durch positive Rahmenbedingungen, wie sie z. B. aktuell durch die Blockchain-Strategie der Bun­ desregierung entstünden. Zudem seien Start-ups gute Vorbilder, die zeigten wie schnelles Arbeiten in kurzen Zyklen funktioniere und wie aus Fehlern gelernt wer­ de. Entscheidend sei, die Mitar­ beiter zu identifizieren, die etwas bewegen wollten und diese in ihren Vorhaben zu unterstützen. Dabei müsse es Verwaltungen ge­ lingen, den Experimentierstatus zu überwinden und Lösungen zu entwickeln, die in der Fläche verlässlich funktionierten. Der Behörden Spiegel war auch in diesem Jahr Medienpartner der Veranstaltung.

Kubicki: Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag ist aktuell die einzige Fraktion, die komplett papierlos arbeitet. Alle anderen Fraktionen lassen sich zu jeder Sitzung noch 15 Bäume vor die Tür stellen, von den Kosten ganz zu schweigen. Begründung der Geschäftsführer der Fraktionen: Unsere Abgeordneten sind das so gewöhnt. Die wollen etwas in der Hand haben. Ein weiteres Beispiel, welches den Digitalisie­ rungsgrad der parlamentarischen Arbeit ganz gut illustriert: Die Entschuldigung für das Fernblei­ ben an einer Abstimmung muss im Deutschen Bundestag noch per Fax erfolgen, eine Technolo­ gie, die für viele junge Menschen in den Besuchergruppen heute ein Fall fürs Technikmuseum ist. Behörden Spiegel: Brauchen wir auf Bundesebene nicht auch endlich ein Digitalisierungsministerium, um die Querschnittsaufgabe Digitalisierung besser steuern zu können? Kubicki: Aktuell beschäftigen sich 76 Abteilungen in 14 Bun­ desministerien mit dem Thema Digitalisierung. Wer weiß, wie Ministerien zueinander stehen, der weiß auch, dass wir, wollen wir die Digitalisierung im Bund ernsthaft vorantreiben, zwingend ein Digitalisierungsministerium brauchen. Sahre: Auch für mittelstän­ dische Unternehmen wie die MACH AG ist es wichtig, klare Zuständigkeiten und verlässliche politische Rahmenbedingungen zu haben, an denen man die Un­ ternehmensstrategie ausrichten kann.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Positives Menschenbild

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ie Beispiele geglückter di­ gitaler Transformationen zeigen, dass ein positives Men­ schenbild Basis und Zentrum aller Neuerungen sein muss. Leitbild ist der verantwortlich handelnde Mensch. Agile Kultur setzt dementsprechend auf Ei­ genverantwortung, persönliche Erfolgsverpflichtung, Trans­ parenz und Zusammenarbeit jenseits althergebrachter Hie­ rarchien – Werte, die auch Mit­ arbeitern nicht fernliegen. Denn unbestreitbar sind die meisten Menschen ohne Weiteres bereit, Verantwortung für sich und an­ dere zu übernehmen. Sie tun das wie selbstverständlich in ihrer privaten Sphäre, in der Familie, im Freundeskreis oder im Eh­ renamt. Weswegen also sollte, wie die CIO der Deutschen Bahn Christa Koenen zutreffend fragt, diese Fähigkeit und Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme morgens an der Pforte abgegeben werden? Gerade der öffentliche Sektor tut sich mit dieser Grundan­ nahme allerdings schwer. Die Verwaltung tendiert dazu, Re­ gelwerke und Prozesse zu er­ richten, die den Menschen von der Verantwortlichkeit – für den Organisationserfolg oder auch für seine eigenen Belange – ent­ fernen. Die eingangs genannten Beispiele sind symptomatisch für staatliches Handeln. Aller­ dings bleibt selbst bei näherer

Basis für die erfolgreiche digitale Transformation (BS/Marcel “Otto” Yon*/Anja Theurer*) Gesetzliche Arbeitszeitvorgaben werden durch behördeninterne Regelungen weiter eingeengt, etwa wenn der Belegschaft ein zeitlicher Korridor für die Mittagspause vorgeschrieben wird. Führungskräfte mit vermeintlich eigenem Budget für ihren Bereich können hierüber erst nach weiteren Einzelfreigaben aus anderen Abteilungen verfügen. Solcherlei Regelungen haben längst den Pfad des “VierAugen-Prinzips” verlassen. In Wahrheit liegt ihnen ein bemerkenswertes Menschenbild zugrunde. In der aktuellen Debatte wird der Begriff der digitalen Transformation noch häufig auf die Digitalisierung und damit darauf reduziert, analoge Verfahren durch digitale Alternativen zu ersetzen. Das ist notwendig, aber nicht hinreichend. Erforderlich ist vielmehr eine Neuordnung der Führungs- und Zusammenarbeitskultur. Dabei ist die Revision des Menschenbildes, das in großen Organisationen des öffentlichen und privaten Sektors vorherrscht, unausweichlich. Auseinandersetzung mit den internen Arbeitszeitregularien unklar, welche Motivation ih­ nen zugrunde liegt: Entweder Misstrauen gegenüber dem Leis­ tungswillen der Menschen – sie könnten ohne detaillierte Vor­ gaben zu wenig arbeiten – oder aber Misstrauen gegenüber ihrer Fähigkeit zum Selbstschutz – sie könnten ohne detaillierte Vor­ gaben zu viel arbeiten. Letztlich sprechen beide Annahmen Mit­ arbeiterinnen und Mitarbeitern die Fähigkeit und Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln ab und erziehen sie perspektivisch zur Unmündigkeit. Gleiches gilt für das Thema Budgetkontrolle: Unabhängig davon, ob unsachgemäße Aus­ gaben zulasten der öffentlichen Hand verhindert oder aber die handelnde Führungskraft davor geschützt werden soll, aus Un­ wissenheit Vorgaben etwa des Haushalts- oder Vergaberechts

IT als Treiber der Verwaltungsmodernisierung: Der Newsletter E-Government, Informationstechnologie und Politik des Behörden Spiegel

Anmeldung: www.behoerdenspiegel.de newsletter@behoerdenspiegel.de

Innovation made in Germany SprinD-Direktor Rafael Laguna in Köln (BS/pet) Vorbei sind die Zeiten, da Deutschland als Nation der Tüftler und Erfinder galt: “Die letzte Disruption, die ihren Anfang in Deutschland nahm, ist das Auto. Das liegt über ein Jahrhundert zurück”, so Rafael Laguna de la Vera, Direktor der Agentur für Sprunginnovation (SprinD), auf dem Kongress des Verbands der Internetwirtschaft (eco) in Köln. Doch dabei müsse es nicht bleiben. Ideen seien nicht das Problem. Handlungsbedarf bestehe vielmehr bei der Ökonomisierung. Hier fehle noch immer eine Strategie, um Ideen “made in Germany” auch in Deutschland zu halten. Wer technologische Innovationen suche, der müsse nicht zwin­ gend ins Silicon Valley schauen; technologische Innovation ge­ be es auch in Deutschland, er­ klärt der Gründungsdirektor der Agentur für Sprunginnovation (SprinD). “Wir haben keine Pro­ bleme mit neuen Ideen. Als For­ schungs- und Datenweltmeister ist Deutschland gut aufgestellt. Die eigentlichen Probleme liegen bei der Monetarisierung.” Dabei fehle es erfolgreichen Start-ups nicht nur an finanziellen Zu­ wendungen, sondern auch an politischer Rückendeckung, um zu den Großen der Branche auf­ schließen zu können. Viele ziehe es darum auch ins Ausland, wo insgesamt günstigere Konditio­ nen winkten. Für Laguna sind es unter ande­ rem auch strukturelle Probleme, die einer erfolgreichen Grün­ dungskultur “made in Germany” im Wege stehen. Das sehe man beispielsweise an den Universi­ täten, die ihre kreativsten Köpfe nur ungerne ziehen ließen, nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen. Denn meist bedeute ein Abgang junger Wissenschaft­ ler auch den Wegfall der so drin­ gend erforderlichen Fördermittel für weitere Forschungsvorhaben.

Teil dieser Gemengelage sei die geringe Risikobereitschaft, der Mut, auch Misserfolge in Kauf zu nehmen. Es brauche einen Mentalitätswechsel, sonst werde man in nicht allzu ferner Zu­ kunft noch zu einem Indust­ riemuseum. Dabei hätten Deutschland und Europa einiges zum technologi­ schen Wandel beizutragen. Etwa einen humanistischen Werteka­ non, der sich als Alternativent­ wurf zu den digitalen Datensi­ los der Gegenwart in Stellung bringen ließe. Laguna: “Derzeit nimmt die Monopolstellung man­ cher Unternehmen beunruhigen­ de Ausmaße an. Das muss geän­ dert werden, andernfalls rückt das Ziel digitaler Souveränität in weite Ferne. Statt exklusiver Kanäle und Plattformen brau­ chen wir föderierte und geneh­ migungsfreie Lösungen. Das ist die einzige Option, um partizipa­ tive Modelle durchzusetzen, die für jedermann zugänglich sind. Entscheidend ist nur, dass wir endlich anfangen.” Diesen Ruf habe man inzwischen auch in der Politik vernommen. GAIA X und nicht zuletzt die Agentur selbst seien klare Zeichen dafür, dass man sich gegenwärtig in einem Umbruch befinde.

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Disziplin. Denn Auftragsorien­ tierung, Verantwortung im Team und Transparenz führen, anders als die eher zahnlose Aufteilung von Zuständigkeiten, zu einer wahrhaft gelebten Ergebnisver­ antwortung. Unstrittig ist, dass sich die Anpassungsgeschwindigkeit des öffentlichen Sektors erhö­ hen muss. Zustimmungs- und Mitzeichnungsketten über 30+ Schreibtische hinweg – keine Seltenheit im Geschäftsbereich BMVg – haben keine Zukunft. Um diese Prozesse nachhaltig reformieren zu können, geht es um weit mehr als den Neuzu­ schnitt von Zuständigkeiten und Dienstwegen; alle internen Re­ gelwerke und Prozesse müssen auf den Prüfstand. Moderne, auf einem positiven Menschenbild gründende Ansätze bieten ein probates, alternatives und längst bewährtes Handlungsinstru­ mentarium. Auch die Rolle der Führungskraft wird sich hierbei ändern. Hin zu einer Führungs­ kraft, die eben führt und nicht beaufsichtigt.

*Marcel “Otto” Yon ist CEO und Anja Theurer CFO des BundesAgile Methoden basieren auf einem positiven Menschenbild und gehen grundsätzlich davon aus, dass Mitarbeiter mündig wehr Cyber Innovation Hubs, der und verantwortungsbewusst sind. Hier: Marcel “Otto” Yon (li.) im Gespräch im Bundeswehr Cyber Innovation Hub mit ersten Digital Innovation Unit eiJeff Sutherland, Co-Autor des “Agile Manifesto” und Erfinder der agilen Methode “Scrum”. Foto: BS/CIHBw, Luise Evers nes Bundesministeriums. Mit der Initiative “Staat-up” engagieren nicht einzuhalten – die Basis für fortschritte herbeigeführt. Die se zu erkennen, zu formulieren, sich die Autoren für den Einzug überstrenge Regeln ist das Leit­ Fürsorgepflicht des Arbeitgebers um- und nötigenfalls durchzu­ der agilen Kultur in den öffentlichen Sektor, die Befähigung bild des unmündigen Menschen. für Mitarbeiterinnen und Mitar­ setzen. Selbstverständlich sollte ein von “Public Intrapreneurs” als In einer auf einem positiven beiter wird nicht über Mechanis­ Menschenbild gründenden Orga­ men von Befehl und Gehorsam, positives Menschenbild nicht mit Treiber von Veränderung und die nisation hingegen greifen andere sondern dadurch erwirkt, dass Naivität verwechselt werden. Es Förderung der direkten ZusamMechanismen. Leistungswille die Menschen aktiv, etwa durch wäre töricht anzunehmen, jeder menarbeit zwischen Staat und und Erfolgsverantwortung wer­ Schulungen oder geeignete, in­ Einzelne könne mit Verantwor­ Start-ups. Die Autoren vertreten den über im Team gemeinschaft­ stitutionalisierte Erfahrungsaus­ tung auch umgehen. In einer ihre persönliche Meinung, nicht lich definierte Leistungsziele und tausch- und Feedbackformate, agilen Organisation herrscht in die des BMVg. Kontakt: mitge Transparenz über Leistungs­ befähigt werden, ihre Bedürfnis­ Wahrheit jedoch eine höhere stalten@staat-up.net


Informationstechnologie

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m diese Zukunft zu ermögli­ chen, müssen jedoch einige Hindernisse beseitigt werden. Deutschland ist geprägt von der föderalistischen Struktur des Landes. Das zeigt sich in der IT durch Mehrfacherhebungen, nicht harmonisierte Daten und Ineffizienzen. Um diese Unzu­ länglichkeiten zu verändern, ist eine Vernetzung und zugleich Modernisierung der Registerland­ schaft unabdingbar.

Transformation der Verwaltung Verwendung der Blockchain für die Umsetzung des OZG (BS/Michael Sasdi*) Wagen wir einen Blick in die nahe Zukunft. Wenn Sie als Bürger beim Einwohnermeldeamt eine neue Adresse angeben, eine Ummeldung ihres Fahrzeuges bei der Kfz-Zulassungsstelle beantragen oder eine Berufsqualifikation bestätigt haben möchten, so können Sie dies bequem von zu Hause aus durchführen. Die Zeiten, in denen für Behördengeschäfte noch ein Urlaubstag genommen werden musste, gehören der Vergangenheit an. Für die Entwicklung gibt es ver­ schiedene öffentliche und private DLT-Systeme, so zum Beispiel Hyperledger Fabric. Diese pri­ vate DLT hat eine besonders hohe Geschwindigkeit und einen geringen Stromverbrauch. Die­ ser ist vergleichbar mit anderen nachrichtenbasierten Anwen­ dungen.

Das OZG – ein erster Schritt Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist ein erster Schritt hin zu der beschriebenen Zukunft. Hier lau­ tet der Auftrag des Gesetzgebers an Bund, Länder und Kommu­ nen, ihre Leistungen auch elek­ tronisch über Verwaltungsportale bis 2022 verpflichtend anzubie­ ten. Doch es gibt keine Vorgaben, wie einfach die Handhabung und mit welcher Geschwindigkeit die­ se Leistungen dem Bürger über Bürgerportale angeboten und ob unverhältnismäßig hohe Aufwen­ dungen in den Behörden hierfür benötigt werden. So erspart sich der Bürger mit der internetbasierten Fahrzeug­ zulassung, i-Kfz, den zum Teil mehrfachen Weg zur Zulas­ sungsstelle. Dennoch bleibt auch diese Vorgehensweise aufwendig, da ein Vorhalten verschiedenster Dokumente, Papiere sowie Pla­ ketten notwendig ist. Wäre es nicht viel einfacher, diese Daten nur einmal zu hinterlegen und bei jeder weiteren An-, Um- und Abmeldung den Datenbestand für die Zulassungsstelle mit einem funktionierenden Iden­ titätsnachweis freischalten zu lassen? Die Geschwindigkeit von der Beantragung bis zur Lieferung der Leistung erhöht sich, wenn Medienbrüche beseitigt, einheit­ liche, strukturierte Daten und Prozesse verwendet werden und zusätzlich die notwendige Sicher­ heit gewährleistet wird. Denn eine Prozesskette ist nur so stark

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Kernkomponente mit Zugangsnotarisierung entwickelt

Mithilfe von Blockchain-Technologie lassen sich die Geschwindigkeit der Bearbeitung von Verwaltungsleistungen erhöhen sowie deren Nachvollziehbarkeit und Sicherheit verbessern. Grafik: BS/your123, stock.adobe.com

wie das schwächste Glied. Die Blockchain-Technologie bietet die Möglichkeit einer einheitlichen, zusammenhängenden Sicher­ heitsarchitektur sowie lückenlose Nachvollziehbarkeit.

Blockchain im Asylprozess Es gibt weltweit unterschiedli­ che Bestrebungen, Migrations­ wellen und den dabei entste­ henden Asylprozess durch die Blockchain abzubilden. Dieser Anwendungsfall ist deshalb besonders prädestiniert, weil weni­g e Technologien, die un­ terschiedlichen Teilnehmer, vom Flüchtling bis zu den Behörden (meist mit sehr vielen beteiligten Dienststellen), sowie unterschied­ liche Zustände darstellen und allen Beteiligten Sicherheit und Transparenz der Asylprozess­ schritte gewährleisten können.

Dadurch, dass die Daten fest in die Blockchain eingetragen werden, wird die Abwicklung fair und die Geschwindigkeit in der Abwicklung forciert. Schulzeugnisse digital über die Blockchain zu validieren, ist ein weiteres geplantes Projekt in der Verwaltung. Dabei ist es möglich, dass der Rechteinhaber das Leserecht auf die Zeugnisse freigibt. Die Blockchain, oder auch kurz DLT (engl. Distributed-LedgerTechnology) genannt, ist ein elek­ tronisches Register und bildet Rechte ab. Jede Veränderung des Zustandes erfolgt durch eine Transaktion. Jede Transaktion wird chronologisch sortiert und auf ihren Wahrheitsgehalt von allen Teilnehmenden durch einen Konsensus überprüft und erst bei erfolgreicher Verifizierung in ei­

nen Block übertragen. Die Blöcke sind kryptografisch miteinander zu einer Kette (engl. Chain) ver­ knüpft. Die Daten werden unum­ kehrbar und unveränderlich mit Zeitstempel eingetragen und sind dadurch nicht nur protokolliert, sondern zugleich notarisiert. Im Gegensatz zu einer Datenbank gibt es für die Zugriffe keine zen­ tralen Dateien und damit keinen einzelnen Punkt der Verwund­ barkeit. Dies macht die DLT im Gegensatz zu einer Datenbank widerstandsfähig.

Ein “Trilemma” lösen Die Entwickler einer Blockchain werden vor die Aufgabe gestellt, das “Trilemma” zwischen De­ zentralität, Geschwindigkeit und Sicherheit zu lösen. Mehr von einem sorgt für weniger bei dem oder den anderen Werten.

Die SVA System Vertrieb Alexan­ der GmbH hat ihre Kompetenzen im Bereich Blockchain ausgebaut und dabei eine Kernkomponente mit einer Zugangsnotarisierung entwickelt. Dadurch können ent­ sprechende Erweiterungen für verschiedene Anwendungssze­ narien im behördlichen Umfeld umgesetzt werden. Der Einsatz der Blockchain hat insbesondere dort ein großes Potenzial, wo die Register besonders fehleranfällig sind oder neu eingerichtet werden müssen. So zum Beispiel beim Transplantationsregister. Der Zugriff auf die Daten erfolgt immer über die Blockchain (Onchain). Von dort wird auf die offchain liegenden Daten bei den jeweiligen Behörden und Ämtern zugegriffen, sofern diese von der Besitz-führenden Behörde freige­ geben werden. Dieser Vorgang wird in Code verfassten Verträgen (Smart Contract) festgehalten und automatisch ausgeführt. So kann bestimmt werden, dass Be­ hörde A auf Daten von B zugrei­ fen darf, während Behörde C eine extra Freigabe von A benötigt. Verweise in der Blockchain auf die Off-chain-Daten sind derart

gestaltet, dass diese DSGVOkonform sind.

Unbeschränkte ­Rückverfolgbarkeit In der Blockchain zeigt sich, wer was, wann, wie erhalten hat – mit einer zeitlich unbeschränkten Rückverfolgbarkeit. Die automa­ tische Datenredundanz und damit einhergehende Verteilung der Da­ ten auf andere Knoten ermöglicht einen konsistenten Datenbestand. Somit verringert sich nicht nur die Bearbeitungszeit, sondern auch die Zeit dazwischen, sodass die Zeit für einen Vorgang sich insgesamt verkürzt. So umgesetzt, würde das OZG somit dem Wunsch des Bür­ gers hinsichtlich Geschwindigkeit, Nachvollziehbarkeit und Sicherheit in der Bearbeitung von Verwal­ tungsleistungen nachkommen. Das OZG wird durch die Ver­ wendung digitaler Identitäten erst konsequent umgesetzt. Für den Identitätsnachweis und die zen­ trale Anmeldung kann die Online­ funktion des Personalausweises genutzt werden. In der Zukunft könnte eine weitere Möglichkeit, die selbstbestimmte Identitäts­ verwaltung, die ebenfalls auf Blockchain basiert, verwendet werden. Hier würde der Bürger selbst die Freigabe spezifischer persönlicher Daten autorisieren. Die Geschäftsstelle Öffentlicher Dienst der SVA setzt dabei explizit auf die Zukunft der BlockchainTechnologie. Es wurde ein stan­ dardisierter Prozess definiert, um Verwaltungsprozesse mithilfe der Blockchain zu optimieren. Die Kosteneinsparungen nehmen durch den Einsatz dieser Techno­ logie und die dadurch hervorge­ rufenen Effizienzsteigerungen in den Prozessen erheblich zu und der Bürger bekommt die Leistung so, wie er sie in Zukunft von der Verwaltung erwartet. *Michael Sasdi ist Senior Consultant bei der SVA System Vertrieb Alexander GmbH mit Sitz in Hamburg.

Metropolatlas Rhein-Neckar gestartet

Arbeit 4.0

11. Regionalkonferenz “Wirtschaft trifft Verwaltung”

Chancen für die Verwaltung

(BS/gg) Die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH hat im Rahmen ihrer 11. Regionalkonferenz “Verwaltung trifft Wirtschaft” in Speyer den “Metropolatlas Rhein-Neckar” offiziell freigeschaltet. Die webbasierte Anwendung ermöglicht, als zentrale Anlaufstelle jedem Nutzer, Daten aus amtlichen Statistiken oder Crowd-basierte Daten von mehr als 200 Indikatoren in Form von Diagrammen und Karten zu visualisieren.

(BS/Maria Rösch/Alice Greschkow) Agiles Arbeiten, New Work, Arbeit 4.0 – eine Reihe von Begriffen rund um die Veränderungen der Arbeitswelt ist in den vergangenen Jahren Gegenstand von Diskussion und Verwunderung geworden. Im Kern geht es dabei um die Veränderungen von Arbeitsprozessen und -methoden, die durch digitale Technologien hervorgerufen werden. Das Zusammenspiel von Globalisierung und demografischem Wandel führt zusätzlich zu neuen Herausforderungen für Arbeitgeber und Ansprüchen von Arbeitnehmern.

“Primäres Ziel war die Schaffung einer zentralen Datengrundlage für Entscheidungsprozesse in der Re­ gionalplanung”, erklärte Dr. Christine Brockmann, Geschäftsführerin der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH (MRN), bei der Vorstellung der Anwendung im Rahmen der Regionalkonferenz. “Mit dem “Me­ tropolatlas Rhein-Neckar” haben wir unser bereits bestehendes Raumbeobachtungssystem kon­ sequent weiterentwickelt und auf diese Weise ein leistungsfähiges, zeitgemäßes Arbeitsmittel geschaf­ fen”, so Dr. Brockmann weiter. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hatte in den vergangenen zwei Jahren eine um­ fassende Neukonzeption der An­ wendung gefördert. “Die interak­ tive Webseite wird im Fachbereich

Digitalisierung und E-Government der MRN GmbH inhaltlich und technisch weiterentwickelt und geht mit der offiziellen Inbetrieb­ nahme in die operativen Hände des Verbands Region Rhein-Neckar (VRRN)”, sagte Verbandsdirektor Ralph Schlusche bei der Freischal­ tung des Online-Angebots in der Stadthalle Speyer. Die Realisie­ rung dieses Projekts verdeutliche die Möglichkeiten der Zusammen­ arbeit und das Bestreben, als eine regionale Institution die Ziele der Regionalentwicklung erfolgreich umzusetzen. Der aktuell recherchierbare Bestand an Themenkarten und Statistiken bietet den Nutzern kon­ krete Hilfestellung bei der Betrach­ tung vielschichtiger Aspekte der Regionalentwicklung: Verwaltun­

Diskutierten auf der MRN-Regionalkonferenz den Stand und die Perspektiven des E-Governments in der Metropolregion Rhein-Neckar (v.l.): Eberhard ­Wurster (Abteilungsleiter im Digitalisierungsministerium Baden-Württemberg), Dr. Christine Brockmann (Geschäftsführerin MRN GmbH), Randolf Stich (Staats­ sekretär im Innenministerium Rheinland-Pfalz und Landes-CIO), Thomas Wieland (E-Government-Verantwortlicher des Landkreises Bergstraße) und Moderator Guido Gehrt (Behörden Spiegel). Foto: BS/MRN GmbH/Schwerdt

gen können im direkten Vergleich ihren Status quo innerhalb der Region bestimmen. Unternehmen, Investoren und Gründer finden nützliche Daten zur Standortbe­ stimmung oder -suche. Anspruch der Metropolregion Rhein-Neckar ist es, als eine der attraktivsten und wettbe­ werbsfähigsten Regionen Euro­ pas anerkannt zu sein und als fortschrittlich, engagiert und lebenswert wahrgenommen zu werden. Der Metropolatlas RheinNeckar ermöglicht den Vergleich mit den zehn anderen Metropol­ regionen Deutschlands und stellt auf diese Weise eine verbesserte Vergleichbarkeit für verschiedene Themenfelder her. Auch auf dieser Konferenz war das Onlinezugangsgesetz (OZG) für die rund 200 Teilnehmer ein Schwerpunktthema. Im Zusam­ menspiel von Bauwirtschaft und Baubehörden bieten sich durch das OZG neue Möglichkeiten, die Marco Brunzel, Fachbereichsleiter Digitalisierung und E-Govern­ ment der Metropolregion RheinNeckar GmbH, aufzeigte. Mit der Vorstellung eines “Digi­ talisierungslabors” wurde durch die MRN-Projektleiterinnen Stephanie Schmidt und Patricia Müllner zusammen mit Dr. Rubina Zern-Breuer von der Deutschen Universität für Verwaltung Speyer der Umgang mit den anstehenden mittel- und langfristigen Heraus­ forderungen für Verwaltungen aus dem Onlinezugangsgesetz in der Region erläutert.

Im Hintergrund von Arbeit 4.0 steht die Frage, welche die effi­ zienteste und beste Organisati­ onsform für Wissensarbeit ist, die auch Talente anzieht. Ar­ beitsprozesse und der Aufbau von Büroräumen sind noch immer stark an das Fabrikmodell der Industrialisierung angelehnt. Der Gedanke, dass Aufgabenpakete in wiederkehrenden Abläufen am besten abgearbeitet werden, funktioniert im produzierenden Gewerbe bis heute. Diese He­ ran­gehensweise ist auch für be­ grenzte Bürotätigkeiten sinnvoll. Der Arbeitsalltag von Arbeitneh­ mern, die primär Informationen verarbeiten und auswerten, ist jedoch abhängig von stimmiger Kommunikation und Organisa­ tion. Genau diese Aspekte wer­ den durch digitale Technologien maßgeblich verändert. Digita­ le Infrastruktur impliziert eine Dimension von Flexibilität, die angemessen vom Führungsper­ sonal aufgefangen werden muss. Zusätzlich läuft bereits ein großer Teil von Aufgaben automatisiert ab und wird dies künftig noch viel mehr tun – sei es die Kalkulati­ on in Excel oder das Verwalten von Unterlagen. Vor diesem Hin­ tergrund verändern sich auch Ansprüche von Arbeitnehmern. Die freiwerdenden Ressourcen möchten sie gut nutzen – Zufrie­ denheit mit der eigenen Arbeit ist dabei der größte Treiber für ihre Motivation. Organisationen benö­ tigen deshalb mehr als effiziente

Maria Rösch ist Senior Business Consultant bei msg, Alice Greschkow Redakteurin und Beraterin. Foto: BS/msg bzw. BS/Martin Funck

Prozesse. Sie müssen sowohl auf der Ebene einzelner Teams als auch auf der Ebene der Gesam­ torganisation Lernprozesse etab­ lieren, um auf Veränderungen in den Ansprüchen von Kunden und eigenen Mitarbeitern schneller reagieren zu können. Die Veränderungen, die mit der Digitalisierung der Arbeitswelt einhergehen, krempeln auch den öffentlichen Sektor um. Die Pla­ nung von Ressourcen, die Suche nach Fachkräften und die Orga­ nisation von Verantwortung wird durch die digitale Transformation herausgefordert. Dafür bedarf es neuer Formen der Zusam­ menarbeit, des Aufbaus weitrei­ chender Lernprozesse, passender rechtlicher Rahmenbedingungen und praktischer Lösungsansätze. Wer allerdings den Transforma­ tionsprozess der Arbeitswelt als

Chance für die Kreation eines besseren Arbeitsumfeldes sieht, gewinnt auch bei Fachkräften. Wie die Digitalisierung der Ar­ beitswelt in der Verwaltung um­ gesetzt werden kann, wird msg am 4. Februar 2020 im Rahmen eines Workshops diskutieren. Dr. Stefan Rief, Fraunhofer IAO, wird die wissenschaftliche Sicht auf Arbeit 4.0 erläutern, Prof. Dr. Wilfried Bernhardt, früherer Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa, die rechtlichen und praktischen Herausforderungen für Verwaltungen. Zudem erar­ beiten moderierte Arbeitsgruppen Lösungsansätze für die Verände­ rung der Arbeitswelt. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Arbeit 4.0”


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Erfolgreich eingeführt Elektronische Rechnungsstellung bei der GIZ (BS/Lucia Reiter*) Für ihre Arbeit greift die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH auf eine Fülle von methodischen Ansätzen zurück, die auf langjährige Erfahrungen gegründet sind und den Wünschen und Bedürfnissen von Auftraggebern und Partnern gerecht werden. Deshalb hat die GIZ die Entscheidung getroffen, künftig die Vorteile der elektronischen Rechnungsstellung über eine Cloud-Plattform von TIE Kinetix für sich und ihre Partner zu nutzen. Die Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit TIE Kinetix ergab sich aus dem Bedarf nach einer Plattform, die nicht nur das sichere Senden und Empfangen von elektronischen Rechnungen ermöglicht, sondern auch in der Lage ist, in Bezug auf das Datenvolumen mit dem Unternehmen zu wachsen und die extrem große Anzahl an Dokumenten (z. B. Leistungserfassungsbögen) zu verarbeiten. Basierend auf all diesen Anforderungen und der sich ändernden Regulierung (europäische Richtlinie 2014/55/EU) beschleunigte sich die Entscheidung, den richtigen Lösungsanbieter für die Bereitstellung der richtigen Plattform zu finden. Die FLOW Partner Automation Plattform von TIE Kinetix konnte alle Anforderungen erfüllen und war optimal auf die Bedürfnisse zugeschnitten. Die GIZ nutzt die Erfahrung und Produkttechnologie von TIE Kinetix, um die Annahme, Konvertierung und Validierung von Rechnungen der GIZ-Lieferanten und -Dienstleister über die FLOW-Plattform sowie die

Weitergabe an SAP und weitere Subsysteme zum Zweck der Workflowsteuerung, Prüfung und revisionssicheren Speicherung zu ermöglichen. Durch den Einsatz der FLOW-Plattform mit der Verwendung von Schnittstellen mit bidirektionaler Datenübertragung in die nachgelagerten Systeme bei GIZ wird eine erhebliche Effizienzsteigerung bei der Bearbeitung der Rechnungen erwartet. TIE Kinetix unterstützt die GIZ bei der Herausforderung mit der interaktiven Verarbeitung komplexer Leistungserfassungsbögen über Webformulare mit automatischer Generierung einer Rechnung. Ein zusätzliches Ziel ist, die Erfassung, Validierung und Anlage von mehreren tausend neuen Lieferanten pro Jahr in die Stammdaten zu vereinfachen und ebenfalls über die TIE Kinetix Plattform FLOW abzuwickeln. “Die Entscheidung für TIE Kinetix und das FLOW E-Invoicing Portal versetzt uns nicht nur in die Lage, E-Rechnungen gemäß der EU-Richtlinie 2014/55/EU zu empfangen, sondern auch

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) nutzt die Einführung der E-Rechnung auch, um Prozesse zu vereinfachen und die Effizienz zu steigern. Foto: BS/GIZ, Dirk Ostermeier

Prozesse zu vereinfachen und unsere Effizienz signifikant zu steigern”, erklärt Christof Born, IT-Projektleiter E-Rechnung bei der GIZ: Christian Seidl, Geschäftsführer TIE Kinetix GmbH, ergänzt: “Das Projekt E-Rechnung bei der GIZ hat uns von Anfang an begeistert, weil es eine Komplexität mitbringt, bei der wir alle Vorteile der FLOW-Plattform, vom Dokumentenhandling über hohe Sicherheitsstandards bis zur Skalierbarkeit, ausspielen können.” Die GIZ ist ein weltweit tätiges Bundesunternehmen. Sie unterstützt die Bundesregierung in der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung und in der internationalen Bildungsarbeit. Die GIZ trägt dazu bei, dass Menschen und Gesellschaften eigene Perspektiven entwickeln und ihre Lebensbedingungen verbessern. TIE Kinetix liefert seit mehr als 32 Jahren Lösungen für Supply Chain, Commerce und Marketing an OEMs, Hersteller, Lieferanten und Anbieter. Die Lösungen von TIE Kinetix bieten verschiedene Module, die Ihr Unternehmen beim Versand von Rechnungen unterstützen und helfen, diese mittels PEPPOL Access Points oder über das E-Rechnungs-Portal von TIE Kinetix auszutauschen. Das Unternehmen bietet mit seinem hochqualifizierten und globalen Team seinen Kunden Expertise, Support und Lösungen an, um Geschäftsvorgänge zu 100 Prozent elektronisch mit all ihren Kunden und Partnern abzuwickeln, unabhängig davon, ob es sich um Regierungsbehörden oder Wirtschaftsunternehmen handelt. Als Innovator in der Branche sorgt TIE Kinetix ständig dafür, dass die FLOW-Plattform den höchsten und neuesten PEPPOL-, ZUGFeRD- und XRechnungs -Standards entspricht. Das Unternehmen ist seit 2016 zertifizierter PEPPOL Access Point Service Provider, Gründungsmitglied mehrerer E-InvoicingStandards und Mitglied des FeRD Competence Centers “Standards, Formats & Integration”. *Lucia Reiter ist Marketing Spe­ zialist bei TIE Kinetix.

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Wie digitale Innovation funktionieren kann Einsatz von Analytics und Künstlicher Intelligenz bei der BA (BS) Dass die öffentliche Verwaltung an der Spitze der Digitalisierung steht, wird vermutlich niemand ernsthaft behaupten. Aber es gibt positive Beispiele: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) macht vor, wie sich digitale Innovation in der öffentlichen Verwaltung erfolgreich umsetzen lässt. Karsten Bunk, Leiter der Familienkasse der BA, erklärt, welche Rolle moderne Technologien wie Analytics und künstliche Intelligenz (KI) dabei spielen. Das Gespräch führt Robert Ruf von SAS, einem der weltweit führenden Anbieter auf diesem Gebiet. Ruf: Welche Innovationen treibt Ihre Institution hauptsächlich voran? Bunk: Innovation ist für die BA ein wichtiges Thema, das zeigt sich vor allem in zwei Bereichen. Zum einen in der gesamtstrategischen IT- und Organisationsentwicklung hin zur agilen Transition. Dafür binden wir Kunden konsequent und permanent ein. Und indem wir die jeweils betroffene Fachseite mit ins Boot holen, sorgen wir für eine durchgehende Digitalisierung von Prozessen. Zum anderen stellen wir unsere Innovationsbereitschaft an konkreten Beispielen wie der Beantragung von Kindergeld über das Online-Portal für Angebote und Leistungen der Familienkasse (OPAL) unter Beweis. Bescheinigungen und Daten können darüber einfacher abgerufen werden, da unter anderem die Unterschriftserfordernisse wegfallen und Bescheinigungen automatisch geprüft werden können. Bei diesen Automatisierungsansätzen spielt auch KI bereits eine Rolle. Vorbildlich sind wir im Hinblick auf agile Transition: So beginnt zum Beispiel bereits in Geburtskliniken die Einbindung von Kunden. Ruf: Wie wird Innovation bei Ihnen erfolgreich durchgeführt? Bunk: Das hängt davon ab, welchen Wirkungsgrad die IT

in dem jeweiligen Bereich hat, bei dem innovative Lösungen eingeführt werden sollen. Eine “Test Factory” spielt den Einsatz neuer Lösungen im Vorfeld gründlich durch. Teilweise werden Innovationen auch direkt in Pilotprojekten mit Einbindung der Bürger erprobt. Und man startet in der Regel in einer bestimmen Region und rollt die Lösung dann später aus. Ruf: Was ist für die kommen­ den drei Jahre zu erwarten? Bunk: Der erste Trend ist, dass die Sachbearbeitung immer mehr über digitale Kanäle abgewickelt wird, sodass sich die Effizienz mit steigendem Automatisierungsgrad erhöht. Der zweite Trend ist der zunehmende Austausch von Daten mit anderen Behörden. Dadurch wird der Bürokratieaufwand auch für den Antragsteller geringer. Die BA ist hierbei aktuell am weitesten, verfügt über die besten technologischen Ressourcen und fördert die Zusammenarbeit. Einer zentralisierten Lösung steht allerdings immer noch das föderale System im Weg. Wir versuchen daher, Kooperationen zu schließen. Ruf: Was sind Gründe, wa­ rum innovative Ideen nicht zum Erfolg führen? Bunk: Veränderungsideen

müssen von den operativ Verantwortlichen ausgehen – oft fehlt diesen jedoch das Vorstellungsvermögen, was mit KI oder Analytics möglich ist. Hinzu kommt die generelle Angst vor Rationalisierung und damit Personaleinsparung – auch wenn die Automatisierung ganz andere Ziele verfolgt. Ruf: Wie wird der Einsatz von Analytics gesteuert? Bunk: Der Fachbereich muss zunächst Bedarfe für AnalyticsAnwendungen formulieren. Teil der IT-Strategie sind das Vorstellen innovativer Möglichkeiten, das Wecken von Verständnis und das Auslösen von Transferüberlegungen. Die IT ist dann der Haupttreiber, wenn es an die Umsetzung der technischen Innovationen geht. Ruf: Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Innovationsstrategie? Bunk: Hauptmotivation ist der Abbau von Bürokratie. Aber auch der gesellschaftliche Nutzen ist ein wesentlicher Treiber. Dies ist wichtig, um sich die Akzeptanz für die Modernisierung und Digitalisierung weiterer Aufgabenfelder zu holen. Den Föderalismus kann man nicht abschaffen. Aber Schritt für Schritt lassen sich die leistungsfähigsten Anwendungsfelder auf andere Behörden übertragen.


Informationstechnologie

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ie Gesellschaft sei seit vielen Jahrzehnten fundamental technologisch geprägt. Dies habe in der Vergangenheit gegolten und gelte insbesondere in der digitalen Welt. “Technologien steigerten über all die Jahre die Produktivität unserer Gesellschaft und ermöglichten so das Wachstum, das die Grundlage für unseren Wohlstand ist. Deshalb ist es von großer Relevanz, dass wir technologisch souverän handeln und unabhängig gestalten können”, so Streibich weiter. Es gehe dabei nicht um Autarkie im Sinne absoluter Unabhängigkeit von ausländischen Technologien, vielmehr müsse man sich fragen, bei welchen Technologien welcher Grad an Souveränität notwendig sei.

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Verwaltung soll Triebfeder sein Souveräne digitale Infrastruktur für Deutschland und Europa (BS/Guido Gehrt) Die Zukunft der öffentlichen IT muss, wie in der Industrie, auf einer souveränen digitalen Infrastruktur für Deutschland und Europa beruhen, fordert Karl-Heiz Streibich, Präsident von acatech und Co-Vorsitzender der Plattform “Digitale Verwaltung und öffentliche IT” des Digital-Gipfels. Die öffentliche Verwaltung müsse daher Vorreiter bei der Erlangung digitaler Souveränität sein.

Bürokratieaufwand und -kosten für Verwaltung, Unternehmen und Bürger zu senken. Sichere öffentliche Plattformen bedeuteten zudem, dass Bürger und Unternehmen die Hoheit über ihre Daten und deren Verwendung behielten.

Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge

in das “öffentli- und Vorreiter bei der Erlangung “Daten sind das neue Öl, wird che Gut” digita- digitaler Souveränität sein. Ihre le Souveränität Präsenz, ihr Einkaufsvolumen oft gesagt. Jedenfalls sind sie zuKarl-Heiz Streibich, Präsident zu investieren. und somit ihre standardprä- nehmend die Grundlage unserer von acatech und Co-VorsitTrotzdem bestehe gende Rolle muss sie in die Wirtschaft, für neue Geschäftszender der Plattform “Digitaein kollektives In- Waagschale werfen. Dann folgt modelle, für Zukunftstechnolole Verwaltung und öffentliche teresse an digita- auch die Wirtschaft.” Souveräne gien wie Künstliche Intelligenz IT” des Digital-Gipfels, zur ler Souveränität, Digitale Plattformen böten auch und Lernende Systeme. Datensidigitalen Souveränität. denn nur selbst- ein großes Potenzial für den öf- cherheit und Privacy werden zu bestimmte Öko- fentlichen Sektor. einem enorm hohen Gut”, sagt Foto: BS/Weedezign nomien würden Die Plattform “Digitale Ver- Streibich, der auch der Plattauch in Zukunft waltung und öffentliche IT” des form Lernende Systeme vorsitzt. men nicht im Alleingang zu er- global erfolgreiche Ökonomien Digital-Gipfels setze sich für “Staat und Verwaltung als verSechs Ebenen reichen. Global etablierte Inter- sein. “Hier kommt der öffent- den Ausbau eines breiten und trauenswürdige und souveräne digitaler Souveränität netkonzerne wie Amazon hätten lichen Hand eine wesentliche qualitativ hochwertigen Ange- Akteure in der datengetriebenen schon vor 15 bis 20 Jahren auf Rolle zu”, findet Streibich, und bots digitaler Behördendienste Welt – das ist auch Teil der öfDer acatech-Präsident untereigene digitale Architekturen ge- fordert: “Sie muss Triebfeder in Deutschland ein. Ziel sei es, fentlichen Daseinsfürsorge.” scheidet dabei sechs Ebenen setzt. Sie seien als Unternehmen digitaler Souveränität: Kommubereits weitgehend souverän. Um nikationsinfrastruktur, Infrastructure-as-a-Service, Plattdies zu kopieren sei es zu spät form-as-a-Service, Datenräume, und dies sei zudem zu teuer. Software-as-a-Service und die Die DAX-Konzerne seien heute politischen, rechtlichen sowie “Global Citizens”, hätten “exterBestandsaufnahme und Blick in die Zukunft ritoriale” Alternativen überall in ethischen Rahmenbedingungen. der Welt und nutzten diese auch. (BS/Kai Sattler) Die Künstliche Intelligenz (KI) hat sich als eines der Top-Themen der letzten Jahre herauskrisWelcher Grad an Souveränität Deshalb gingen von diesen weni- tallisiert. Dabei liegen deren Vorteile nicht nur in der Beseitigung mechanischer und belastender Arbeitsaufauf welcher Ebene benötigt wird, ge Impulse aus, um die digitale gaben, sondern richtig trainiert arbeitet KI auch vorurteilsfrei. Zudem verbessern die Systeme die von ihnen um ein selbstbestimmter, global führender Wirtschaftsraum in Souveränität für Deutschland produzierten Ergebnisse selbstständig, indem sie aus neuen Daten und Prüfergebnissen lernen. Im Audit, einem Bereich, der nicht nur in der EU-Förderpolitik eine erhebliche Rolle spielt, werden vom Einsatz künstlich der digitalen Welt zu sein, hängt zu gestalten. für den ehemaligen VorstandsDer Mittelstand sei größtenteils intelligenter Systeme tiefgreifende Veränderungen erwartet. pragmatischer, handle betriebsvorsitzenden der Software AG innen kommt eiwirtschaftlich, aber in Teilen Im Folgenden möchte ich drei oft wesentlich von der geopolitikurz bis mittelfristig und habe gestellte Fragen beantworten und ne zentrale Rolle schen Architektur ab. natürlich nicht primär das Ge- einen Ausblick geben. In den letzten Jahrzehnten beim Einsatz von meinwohl im Fokus. Wie ist der derzeitige Status hätten die fortschreitende GloKI im Audit zu. quo bei KI im Audit? Machine balisierung und internationale Nur sie haben Vorreiterrolle der Learning & Co. befinden sich für Arbeitsteilung eine Phase einbreit angelegtes Kai Sattler ist Senior Soluöffentlichen Hand tion Consultant in der PASS das Auditing Ende 2019 noch Wissen, Kreatizigartigen Wachstums gebracht. Business Unit Public Sector. vität und kritiDie Stabilität sei im WesentliEinzelne Firmen hätten deshalb in der Phase des Erforschens sches Denken. Sie chen durch Multilateralismus, nur begrenzt eigene Hebel zur und Testens. Die großen privaten Foto: BS/PASS IT-Consulting kontrollieren die die Kooperation in Europa und Verfügung, um individuelle tech- Wirtschaftsprüfer erproben KI Ergebnisse, trefden Schutzschirm der USA ganologische Abhängigkeiten zu seit einigen Jahren; mit Erfolg. reduzieren, und keinen Anreiz, Kleinere Einheiten und Startrantiert worden. fen die Entscheiups zogen nach. Die Diskussion Die Leistungsfähigkeit von KI in dungen und rechtfertigen diese. über Standards und Normen im der Bilderkennung ist gleichzei- Fähigkeiten, die erst in vielen Auditing nimmt zu, Curricula an tig unzweifelhaft. Es liegt nahe, Jahren künstlich bereitgestellt Hochschulen werden weiterent- Satellitenbilder oder In-Situ-Auf- werden. wickelt. Ein guter Zeitpunkt für nahmen (Drohnenflüge) für den die Prüfer/-innen in der öffent- Flächen-Audit zu nutzen. Erste Die Zukunft des Audits Interamt liefert maßgeschneiderte Lösungen für den Öffentlichen Dienst lichen Verwaltung, das Thema Projekte zeigen vielversprechende Die Arbeit wird also nicht weniaufzugreifen. Ergebnisse. ger, sondern anders. Ein Audit (BS/Jana Wendig*) Interamt ist das führende Stellenportal des Öffentlichen Dienstes und spezialisiert auf die Bedürfnisse öffentlicher Arbeitgeber und registrierter Interessenten. Damit hat Interamt eine Marktlüist oftmals die sprichwörtliche cke erschlossen und den Aufstieg zum “TOP Karriere Portal” (Auszeichnung Focus 2019) geschafft. Welche Anwendungsgebiete Welche Anforderungen beste- Suche nach der Nadel im Heuder KI lassen sich identifizie- hen und wie wird das Prüfge- haufen. Diese Suche wird sich mit ren? Zwei Anwendungsfälle für schehen in ein paar Jahren Sicherheit grundlegend ändern. “Im direkten Vergleich mit der aufgestellt, um das Portal in die Kompakt die erste Wahl für alle, Wirtschaft kann sich der Ver- Zukunft zu führen. Auch DVZ- die kostengünstig und mit wenig KI im Audit werden aktuell mit aussehen? Eine der wichtigsten KI-basierte Prüfungen finden waltungssektor oftmals nur Geschäftsführer Hubert Ludwig Aufwand möglichst viele BewerErfolg vorangetrieben. Zum einen Anforderungen an die KI im Audit künftig laufend statt – 24 Stunschwer behaupten”, weiß In- betont: “Mit Interamt können ber erreichen wollen. Systeme zur Sprachverarbeitung folgt aus einer einfachen Feststel- den am Tag und sieben Tage die (NLP – Natural Language Proces- lung: KI wird nicht programmiert, Woche – und eine Betrachtung teramt-Leiter Marco Prill aus der wir künftig genau die digitale sing). NLP kann Verträge, Proto- sondern lernt. Es werden viele erfolgt nicht mehr ausschließlich Erfahrung heraus zu berichten. Plattform anbieten, die öffentli- Das gesamte Bewerbermanagement in einem Tool kolle oder Rechnungen, also in qualitativ hochwertige histori- in Stichproben. KI prüft jedes “Das herausragende Merkmal che Arbeitgeber beim Recruiting elektronischer Form gespeicherte sche Daten benötigt. Diese müs- verfügbare Datum und identiist, dass sich das Portal kom- der besten Kandidatinnen und Das integrierte E-RecruitingTexte, lesen, einordnen, “verste- sen gesammelt, aufbereitet und fiziert Muster und schließlich plett an der öffentlichen Verwal- Kandidaten unterstützt.” Tool Interamt Professional ist ein tung ausrichtet. Die dort derzeit hen” und Ergebnisse präsentie- teils bewertet werden. Denn so Cluster mit höherem Fehlerrisiko. Denn Interamt ist nicht nur prozessorientiertes Instrument registrierten 200.000 Nutzer Interessendatenbank und Stel- für ein erfolgreiches und datenren. Im internationalen Auditing wird das Ziel einer verlässlichen Dort finden sich dann die Fälle, haben sich ganz bewusst für lenportal: mit Interamt Kompakt schutzgerechtes Bewerbermasparen schon heute Produkte wie Bewertung der Prüffälle durch Äcker, Verwendungsnachweise “Argus” erhebliche Aufwände in KI-Methoden wahrscheinlicher. oder Förderbereiche, in denen eine Karriere im Öffentlichen und Interamt Professional wer- nagement. “Kunden erhalten Dienst entschieden.” diesen mechanischen Tätigkeiten. Auf der anderen Seite müssen humane Intelligenz für die Überden zwei Tools geboten, die das eine Komplettlösung zu einem Eine KI, die Verwendungsnach- die IT-Systeme, welche die Da- prüfung benötigt wird. Auf diese Ziel haben, Personalakquise ein- festen monatlichen Preis, ohne Führendes Stellenportal weise prüft, ist in greifbarer Nähe. ten erfassen, deren Manipulation Weise wird der Trade-off zwischen fach steuerbar, erfolgreich und dabei in die eigene IT investieren bald in öffentlicher Hand Zum anderen profitieren Prü- verhindern. Und sie sollten sich Qualität und Geschwindigkeit jederzeit verwaltungskonform zu müssen”, erklärt Marco Prill. Interamt Professional unterfungen in der flächenbezogenen flexibel an neue technologische im Audit aufgelöst. Beides ist zu Zum 1. Januar 2020 über- zu gestalten. Förderung der EU-Agrarfonds von Entwicklungen anpassen lassen. haben. Der Arbeitsaufwand wird Interamt Kompakt ist ein intu- stützt Behörden in allen Phagibt Vivento, der PersonalDas Fortschreiten der KI gilt es zeitlich entzerrt und das PrüfgeKI-Systemen. Regelungsdichte dienstleister der Deutschen itiv zu bedienendes Tool zur ef- sen des Bewerbungsprozesses, und damit die Anforderungen durch rechtliche Änderungen zu schehen gerechter, da nicht jeder Telekom, Interamt an die DVZ fektiven Personalgewinnung im von der Ausschreibung über die an Audits in der Agrarförderung begleiten. Ethik und Haftung sind Fall ohne Grund – zufällig – mit Datenverarbeitungszentrum Öffentlichen Dienst. Behörden Gremienbeteiligung bis zur Stelund die Prüfaufwände sind hoch zentrale Begriffe. Spätestens jetzt den Aufwänden einer Prüfung M-V GmbH (DVZ). Als etablier- haben damit die Möglichkeit, lenbesetzung. Auch die immer – v. a. bei Vor-Ort-Kontrollen. sollte klar werden: Den Prüfer/- konfrontiert werden kann. ter IT-Dienstleister im Verwal- eigenständig Stellenangebote mehr gefragte Möglichkeit zur tungssektor ist das Unterneh- zu erstellen, zu veröffentlichen Durchführung von anonymimern der ideale Partner für alle und zu verwalten – ganz oh- sierten Bewerbungsverfahren Behördenkunden und bestens ne Umweg. Damit ist Interamt ist enthalten. Für zusätzliche Reichweite können Stellenangebote an Medienpartner (wie­ z. B. bund.de) übermittelt oder Den Staat zum Vorreiter machen auf der eigenen Homepage verlinkt werden. Der Perso(BS/wim) Die Bundesregierung hat bei ihr Sitzung des Digitalkabinetts auf Schloss Meseberg die Eckpunkte einer Datenstrategie beschlossen. Bis Frühjahr 2020 soll eine entsprechende Strategie vorbereitet sein. nalengpass rüttelt an der Zukunftsfähigkeit des Öffentlichen Mit der Strategie adressiert Dienstes. Die Fachkräfte- und In diesem Zusammenhang wür- heißt es in dem vom Kanzleramt Nachwuchsgewinnung bleibt den auch die Empfehlungen vorbereiteten Papier. Zudem soll die Bundesregierung nicht nur langfristig eine Herausfordeder Datenethikkommission, der eine gerechte Teilhabe gesichert Gesellschaft, Wirtschaft und rung. Hier erweist sich Interamt Kommission Wettbewerbsrecht und etwaigem Datenmissbrauch Wissenschaft. Vielmehr soll der als große Unterstützung bei der 4.0 und andere Expertenberichte konsequent begegnet werden. Bund selbst zum Vorreiter einer Dazu müsse in insgesamt vier verstärkten, verantwortungsvolmit einbezogen. Suche und Gewinnung von quaHandlungsfeldern entwickelt wer- len Datennutzung und -bereitlifiziertem Personal. Datennutzung steigern den: Datenbereitstellung und stellung werden. Dazu werde Weitere Informationen unter Ziel der Datenstrategie ist es, Datenzugang verbessern, ver- in Zukunft insbesondere der www.dvz-mv.de die verantwortungsvolle Be- antwortungsvolle Datennutzung Open-Data-Ansatz verfolgt und reitstellung und Nutzung von befördern, Datenkompetenzen die Umsetzung einer umfangInteramt unterstützt Behörden bei der Fachkräfte- und Nachwuchsgewinnung und unterstützt damit die Zukunftsfähigkeit des Öffentlichen Dienstes. *Jana Wendig arbeitet im MarDaten signifikant zu steigern in der Gesellschaft erhöhen und reichen “Data Literacy” in den und gleichzeitig keine Daten- den Staat zum Vorreiter einer Bundesbehörden geprüft und Foto: BS/DVZ M-V GmbH keting der DVZ M-V GmbH. initiiert. monopole entstehen zu lassen, Datenkultur machen. Deutschland habe in besonderer Weise von dieser Stabilität profitiert. Unsere Exportnation habe vollen Zugriff auf digitale Innovationen “Made in USA” gehabt und ihre globale Spitzenposition als Ausstatter wachsender Industrien ausbauen können. “Fragen der Souveränität waren in dieser Phase innerhalb der von freundschaftlichen Beziehungen geprägten westlichen Welt praktisch kein Thema”, erklärt Streibich. Die globale politische Architektur verändere sich jedoch stark. Aufgrund eines zunehmenden Unilateralismus sei die Selbstbestimmtheit unseres eigenen Handelns nicht mehr garantiert. “Der Zugriff auf US-Technologie wird unter der Leitlinie “America First” zum politischen Druckmittel”, so Streibich. Zudem sei durch den US Cloud Act die Datensicherheit auf US-Computersystemen nicht mehr gewährleistet, selbst wenn die Computer in Europa stünden. Hinzu komme China als der erstarkende neue Gegenspieler der USA. Vor diesem Hintergrund müsse Europa die eigene Rolle neu definieren, um weiter handlungsfähig zu sein. Nur durch die europäische Einheit lasse sich die notwendige Schlagkraft und Souveränität erreichen, denn das Gewicht einzelner europäischer Staaten, inklusive Deutschlands, sei global zu gering und digitale Souveränität von den europäischen Unterneh-

Künstliche Intelligenz im Audit

Der nächste Schritt im Bewerbermanagement

Datenstrategie verabschiedet


Behörden Spiegel / Dezember 2019

Informationstechnologie

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Polizei 2020

amit soll die zersplitterte IT-Landschaft der Sicherheitsbehörden, die von Eigenentwicklungen, Sonderlösungen, Schnittstellen, unterschiedlichen Dateiformaten und Erhebungsregeln geprägt ist, neu geordnet und vereinheitlicht werden. Die drei Kernziele sind die Verbesserung der Verfügbarkeit polizeilicher Informationen, die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Datenschutzes. Im Ergebnis sollen die Sicherheitskräfte jederzeit und überall Zugriff auf die Informationen haben, die sie benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Zugleich soll das Verbundsystem helfen, kriminelle Muster früher und besser zu erkennen und damit schnellere Fahndungserfolge zu erzielen. Die Zauberworte lauten: “gemeinsames Datenhaus” und “smarter Datenzugriff”.

Zieljahr 2020 nicht zu halten Der Leiter der Programmleitung im Bundeskriminalamt (BKA), Holger Gadorosi, sieht das Projekt insgesamt auf einem guten Weg. Wer allerdings annimmt, das Programm werde im Jahr 2020 die Ziellinie erreichen, wie es der Programmname suggeriert, wird enttäuscht werden. Vor dem Hintergrund der Komplexität und der geplanten phasenweisen Transformation der Bestandssysteme war ohnehin eine Laufzeit des Projektes von nur drei Jahren völlig unrealistisch. Die Zeit reichte gerade einmal für die Erarbeitung der Grundlagen für die Realisierung, den Aufbau der Projektstrukturen in Bund und Ländern sowie deren personelle und materielle Ausstattung, die Bestandsaufnahme der mehr als 2.000 für den Verbund relevanten Anwendungen

Der lange Weg zum gemeinsamen Datenhaus (BS/Gerd Lehmann) Vor drei Jahren verständigten sich die Innenminister des Bundes und der Länder auf eine grundlegende Modernisierung des Informationsmanagements der deutschen Polizei. Zur Umsetzung der “Saarbrücker Agenda” initialisierte das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) das Programm “Polizei 2020”. im Bund und in den Ländern und die Entwicklung eines länder­ übergreifenden Vorgehensmodells.

Projektes ist immer noch nicht möglich. “Realisten” nennen das Programm inzwischen “Polizei 2030”.

Grobkonzept vorhanden

Polizei-IT-Fonds vorgesehen

Inzwischen existiert auch ein Grobkonzept für das weitere Vorgehen und eine erste grobe Wirtschaftlichkeitsbetrachtung (Vorkalkulation). Das beschreibt die maßgeblichen Anforderungen an das zukünftige Informationsmanagement und spezifiziert den Programmgegenstand. Das Programm “Polizei 2020” umfasst demzufolge nicht nur die Modernisierung der bestehenden INPOL-Systemlandschaft, sondern auch die Einbindung zahlreicher bereits bestehender, initiierter und zukünftiger verbundrelevanter Projekte wie etwa PIAV (Polizeilicher Informations- und Analyseverbund), eFBS (einheitliches Fallbearbeitungssystem), IAM (Identity- and Access-Management – Zugriffsund Rechtekonzept) und XPolizei (einheitliches fachliches Datenmodell und technisches Austauschformat der deutschen Polizeien). Kaum nachvollziehbar ist, dass ein einheitliches Vorgangsbearbeitungssystem (eVBS) bei der Realisierung des Programms “Polizei 2020” bislang nur perspektivisch gesehen wird. Ohne dessen Einbindung dürfte das angestrebte Ziel der Einmalerfassung der Daten nicht erreichbar sein. Auffallend und bestimmt nicht der Sache dienlich ist allerdings

Und wie steht es um die Finanzierung des Mammutvorhabens? Die notwendige finanzielle Planungssicherheit, die aufgrund der unterschiedlichen haushaltsrechtlichen Vorgaben in den einzelnen Ländern nicht gegeben ist, soll durch die Auflage eines Polizei-IT-Fonds geschaffen werden. Im Juli 2019 segneten die Innenminister eine “Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung des Polizei-IT-Fonds” ab. Dieser besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil dient der Schaffung einer finanziellen Grundlage für die gemeinsame Planung, Umsetzung und den Betrieb von Verfahren des polizeilichen Informationswesens auf der Basis einer zentral verantworteten ITInfrastruktur und gemeinsamen Standards, die die Aufgaben der Teilnehmer von Bund und Ländern betreffen. Der zweite Teil umfasst solche Verfahren, die Teilnehmer eines oder mehrerer Vertragspartner in ihrer Aufgabenerfüllung betreffen und die an die zentral verantwortete ITInfrastruktur angebunden sind. Die Bestückung des Fonds für den ersten Teil soll nach dem gültigen Königsteiner Schüssel in Form von Jahresbeiträgen erfolgen. Die einzelnen Finanzierungsoptionen und -modalitäten sollen im Rahmen eines Beschlusses des eigens eingerichteten Verwaltungsrates bindend festgelegt werden. Die Bestückung des Fonds für den zweiten Teil soll durch diejenigen Vertragspartner erfolgen, die die Verfahren entwickeln, betreiben und an diesen partizipieren. Für den Polizei-IT-Fonds werden auch EU-Mittel erwartet. Mancherorts

Durch das Programm “Polizei 2020” sollen die Sicherheitskräfte jederzeit und überall Zugriff auf alle für die Aufgabenerfüllung relevanten Informationen haben. Grafik: BS/© jijomathai, stock.adobe.com

auch, dass die Verantwortlichkeiten für das Projekt “Polizei 2020” und deren integrale Bestandteile INPOL-Modernisierung, PIAV und eFBS in den Bundesländern nicht einheitlich geregelt sind. Während zum Beispiel in BadenWürttemberg die Projektierung von “Polizei 2020”, von PIAV und eFBS in einem Projekt beim Landeskriminalamt (LKA) betrieben wird, liegt in Brandenburg die Verantwortlichkeit für PIAV beim LKA und für “Polizei 2020” beim Innenministerium. Die Länder Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen verzichten bislang zudem auf eine Teilnahme am Projekt eFBS. Mit PIAV und eFBS wurden dennoch bereits wesentliche Elemente des Programms “Polizei 2020” auf den Weg gebracht, so unter anderem die dateiübergreifende

Digitale Barcodezahlung im Einzelhandel Leistungen an der Supermarktkasse beziehen (BS/Frank Weinmann*) Modernisierung und Digitalisierung begleiten konsequent unseren Alltag und vereinfachen dabei viele Abläufe. Auch in der öffentlichen Hand werden zunehmend Prozesse digitalisiert, um den Bürgern in Deutschland einfacheren und schnelleren Zugang zu bestimmten Diensten zu ermöglichen. Ein Erfolgsbeispiel dafür ist das neue System für Notauszahlungen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Diese zahlt ihren Leistungsberechtigten Bezüge bei entsprechenden Notfällen in Kooperation mit dem Berliner Fintechunternehmen Barzahlen schnell und einfach per Barcode an der Supermarktkasse aus. Der geschaffene Mehrwert stößt bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und auch bei Kunden und Kundinnen auf sehr positive Resonanz. Die Jobcenter werden von manuellen Prozessen und Sicherheitsrisiken entlastet, da das neue Verfahren deutlich schneller geht, keine Bargeldvorhaltung mehr notwendig ist und Leistungsberechtigte die Möglichkeit haben, sich bei ihrem nächstliegenden Einzelhandelspartner z.B. Rewe, dm drogerie markt, Penny und Rossmann, Bargeld auszahlen zu lassen.

Für den Notfall gewappnet Bei Eintreten eines Notfalls, der eine Auszahlung nötig macht, erzeugt das Jobcenter-Team einen sogenannten Auszahlschein, der die auszuzahlende Summe sowie einen Barcode enthält. Mit diesem Schein gehen die Leistungsberechtigten zur nächsten Partnerfiliale, lassen den Barcode an der Kasse scannen und sich das Geld auszahlen. Diskretion steht dabei natürlich an oberster Stelle. Der Auszahlschein enthält weder eine Referenz zum Jobcenter noch den Namen der leistungsberechtigten Person. Ein Mindesteinkauf wird nicht verlangt. Ähnlich lassen sich noch viele weitere behördliche Auszahlungsoder auch Einzahlungsmaßnah-

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Verfügbarkeit von Ermittlungsdaten sowie die Harmonisierung und zentrale Bereitstellung von IT-Komponenten im Verbund. Das als Teil des INPOL-Verbundes im BKA betriebene PIAVZentralsystem soll sukzessive das technisch veraltete INPOLFall und die bestehenden Meldedienste für die Datenübermittlung ablösen. PIAV wird in mehreren Stufen umgesetzt. Die ersten beiden Deliktsbereiche von PIAV (Waffen- und Sprengstoffkriminalität sowie Gewaltdelikte, gemeingefährliche Straftaten und Rauschgiftkriminalität) befinden sich inzwischen im Wirkbetrieb. Bis Ende 2020 soll PIAV weitere Deliktsbereiche operativ abdecken. Dagegen befindet sich die Modernisierung der bestehenden INPOL-Systemlandschaft derzeit noch in der Konzeptphase. Es ist geplant, nach Erhebung, Analyse und Optimierung der Prozesse zunächst zu experimentieren, bevor die Realisierung angegangen wird. Die aktuelle Roadmap der Programmleitung weist Projekt­ arbeiten für die nächsten fünf Jahre aus. Eine verlässliche Einschätzung der Gesamtlaufzeit des

ist die Rede von einem mit 500 Millionen Euro ausgestatteten Fonds. Interessant ist, dass der Zentralstellenteil nicht Gegenstand des Polizei-IT-Fonds ist und durch den Bund alleine finanziert wird. Nach Aussagen der Programmleitung ist die Finanzierung des Zentralstellenteils im nächsten Jahr gesichert.

Alle müssen an einem Strang ziehen Der mit der zitierten Verwaltungsvereinbarung eingerichtete Verwaltungsrat, dem als Mitglieder jeweils ein Vertreter der fachaufsichtsführenden Stelle jedes Teilnehmers von Bund und Länder angehören, regelt nicht nur die Finanzierungsoptionen und -modalitäten des Polizei-ITFonds, sondern ist auch für die Gestaltung der grundsätzlichen Zusammenarbeit und die Behandlung von Fragen von grundsätzlicher Bedeutung bei der Modernisierung des polizeilichen Informationswesens von Bund und Ländern unter Federführung des BKA zuständig. Ein neu eingerichtetes fachliches Gremium bereitet die Entscheidungen des Verwaltungsrates vor und spricht entsprechende Beschlussempfehlungen aus. Zwischen dem fachlichen Gremium und dem Verwaltungsrat ist ein Beratungsgremium unter Vorsitz des IT-Koordinators eingesetzt worden, das sich aus je einem Vertreter eine Landes sowie einem Vertreter des BKA, der Bundespolizei, der Zollverwaltung, der Polizei beim Deutschen Bundestag, dem Gesamtprogrammleiter “Polizei 2020” und der Geschäftsstelle des Verwaltungsrates zusammensetzt. Der Verwaltungsrat hat den zuvor agierenden Bund-LänderLenkungsausschuss abgelöst. Die Programmleitung war und ist weiterhin beim BKA angesiedelt. Ihr steht ein Programmstab zur Seite. Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen des Vorhabens ist jedoch, dass alle zwanzig Partner des Programms – die 16 Bundesländer, die Bundespolizei, der Zoll, die Polizei beim Deutschen Bundestag und das BKA an einem Strang ziehen und auch bereit sind, Kompromisse einzugehen.

“Digitale Kommunen” Leistungsempfänger können die Bargeldauszahlung bequem an der Kasse im Supermarkt um die Ecke abwickeln. Foto: BS/Cash Payment Solutions GmbH

men und Prozesse digitalisieren, beispielsweise die Zahlung von Ordnungswidrigkeiten sowie Mahn- und Vollstreckungsbescheide von Bundesbehörden, Kommunen und Landkreisen. Dabei ersetzt Barzahlen kostspielige eigene Barzahlungsin­ frastruktur wie Personenkassen oder Kassenautomaten.

Barcodes 24/7 verfügbar “Neben dem konventionellen postalischen Versand oder der Zustellung per E-Mail ist die Beschaffung von Barcodes über Zugangsportale auch 24/7 möglich”, so Sebastian Seifert, Geschäftsführer und Co-Founder der 2011 gegründeten Cash Payment Solutions GmbH, die hinter Barzahlen steht. Angefangen mit dem einfachen Ein- und Auszahlen von Bargeld an der Einzelhandels- und Tankstellenkasse bietet Barzahlen mittlerweile diverse zusätzliche Möglichkeiten für die effiziente Abwicklung von Zahlungen insbesondere im Forderungsmanagement an. Für öffentliche Verwaltungen ebnet sich dadurch eine digita-

lisierte, modernisierte und adap­ tive Form von Auszahlungen und Forderungseinzug.

Einfache und sichere Abwicklung Durch die einfache und sichere Abwicklung ermöglicht man beispielsweise weniger einkommensstarken Bürgern und Bürger/-innen, leichter ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, da sie häufig einen Teil Ihres Einkommens bar erhalten (z. B. Kellner/-in, Taxifahrer/-in). Bei nicht ausreichendem Bankendispo oder gar Kontopfändung bleibt Zahlungspflichtigen meist nur der Zugriff auf sogenannte Barreserven. Damit wird ein effizienter, pünktlicher und zudem risikofreier Zahlungseingang gewährt, Behörden werden entlastet und den Bürgern wird eine datenschutzkonforme und komfortable Zahlung ermöglicht. *Frank Weinmann ist Leiter Energieversorger und Öffentliche Verwaltung bei der Cash Payment Solutions GmbH.

Der Digitalisierungsleitfaden von Dr. Ulrich Keilmann

Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet Bund, Länder und auch die Kommunen bis Ende des Jahres 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über vernetzte Portale anzubieten. Für alle Bürger und Unternehmen soll ein einheitliches digitales Nutzerkonto eingerichtet werden. Dies ist nicht nur eine rechtliche Pflicht, sondern auch eine Entwicklungschance für alle Kommunen. Nach unserer Einschätzung hat die Mehrzahl der Kommunen in kurzer Zeit noch einen langen Weg zu bewältigen, um Bürgern und Unternehmen Dienstleistungen auf einem Qualitätsniveau vergleichbar der Privatwirtschaft anzubieten. Vision und Wirklichkeit liegen (noch) weit auseinander. Das war Anlass, auf Basis unserer Erhebungsergebnisse einen Digitalisierungsleitfaden für alle Kommunen zu erarbeiten, der abstrakt in der Grafik dargestellt ist. Schematisch gliedert sich der Digitalisierungsleitfaden in die drei Phasen: kurz-, mittel- und langfristiger Maßnahmen. Das ist nicht neu. Inhaltlich ist der konkrete Digitalisierungsleitfaden – der digital unter rechnungshof.hessen.de abgerufen werden kann – aber deswegen für sämtliche Kommunen interessant, weil

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

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ganz konkrete Maßnahmen - der Organisation, - der E-Administration und - der E-Government-Dienste den drei Phasen strukturiert zugeordnet werden, 2. dafür die individuelle Zuständigkeit vor Ort eindeutig zugewiesen sowie 3. Start, Ende und der aktuelle Umsetzungsstand für alle transparent nachgehalten werden kann. Damit liegt ein praktischer,

einfach handelbarer Digitalisierungsleitfaden vor, an dem sich Kommunen in ihren Digitalisierungsaktivitäten orientieren können. Lesen Sie mehr zum Thema “Digitalisierung” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1309 vom 8. November 2019, S. 230 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

Grafik: eigene Darstellung


IT-Sicherheit

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Behörden Spiegel / Dezember 2019

Datenschutz überfordert Gemeinden

“Achse des Guten bilden”

Umsetzung der DSGVO geht schleppend voran

Mehr Kooperation parallel zur Verbesserung der Regularien

(BS/Benjamin Stiebel) Nur zwei von hundert Kommunen in Baden-Württemberg sagen von sich, die Umsetzung (BS/jf) Das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 befindet sich immer noch in der Ressortabstimmung. Der bisherige der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) abgeschlossen zu haben. In anderen Ländern sieht Zeitplan sieht vor, dass ein Entwurf im Frühjahr 2020 ins Parlament eingebracht wird. Drei Aspekte stehen es nicht besser aus. An der Bereitschaft mangelt es dabei den wenigsten. Viele sind schlichtweg überfordert. im Vordergrund der Diskussion. Doch bei IT-Sicherheitsangriffen spielt Zeit eine wesentliche Rolle. Deshalb sollte ein vierter Punkt bei der Umsetzung nicht außer Acht gelassen werden. Das neue Datenschutzregime ist seit Mai 2018 nach zweijähriger Übergangsfrist anzuwenden. Längst haben sich nicht alle Organisationen den neuen Dokumentationsanforderungen angepasst. Besonders kleine Unternehmen gelten als überfordert. Bei den Kommunen sieht es nicht anders aus, wie exemplarisch Ergebnisse einer Umfrage des baden-württembergischen Landesbeauftragten für den Datenschutz zeigen. Teilgenommen hatten fast 90 Prozent der 1.101 Gemeinden. Demnach hat ein Viertel von ihnen inzwischen alle relevanten Prozesse zur Umsetzung zumindest begonnen. Ein knappes Drittel gibt an, mehr als die Hälfte der Prozesse angestoßen zu haben. Demgegenüber haben fast 40 Prozent gerade erst angefangen. Vollkommen untätig waren aber die wenigsten (1,4 Prozent).

Drei Aspekte stünden beim ITSicherheitsgesetz 2.0 im Mittelpunkt: Die Ausweitung des Anwendungsbereiches auf weitere Kritische Infrastrukturen (KRITIS), die Stärkung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Umsetzung des Cyber Security Acts (CSA), erläuterte Tankred Schipanski, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU), im Rahmen eines politischen Frühstücks des Behörden Spiegel. Beim CSA gehe es vor allem um Erläuterte die drei wesentlichen Regelungsbereiche im IT-Sicherheitsgesetz 2.0: IT-Sicherheitszertifizierungen. Tankred Schipanski, Mitglied im Deutschen Bundestag (CDU). Foto: BS/Fieseler Laut § 109 Telekommunikationsgesetz (TKG) müssten Unterneh- Ereignisse müssten in der BA der Prüfung von Ereignissen sei men schon heute eine Vertrau- überprüft werden. Dabei habe das eine, das andere die Nutzung enswürdigkeitserklärung bei der sich diese Zahl in den letzten drei wichtiger Technologien. TechnoBundesnetzagentur vorlegen. Mit Jahren von 300 Mio. verdoppelt. logische Alleingänge sind aus Blick auf Huawei werde jedoch Durchschnittlich hätten es die seiner Sicht der falsche Ansatz darüber diskutiert, ob das Parla- Mitarbeiter des CERT pro Monat und würden nur zur Isolation ment über die Vertrauenswürdig- mit 2.000 Viren oder Malware- führen. Als Beispiel nannte Baukeit entscheiden solle, berichtet Varianten auf Endgeräten, rund er Cloud-Technologien. Diese Viel Papierarbeit: Nach zwei Jahren Übergangsfrist und knapp anderthalb der Bundestagsabgeordnete. Er 30 Mio. verdächtigen E-Mails, würden schlichtweg genutzt, Nachholbedarf festgestellt Jahren Anwendbarkeit hat kaum eine Gemeinde in Baden-Württemberg die selbst, wie die Mehrheit in seiner etwa 5.000 Erkennungen im Deutschland habe bei der NutFraktion, hält dies jedoch für den Netzwerk und 1.000 Spyware- zung dieser Technologie die Zeit Folge sind Mängel in der Com- Anforderungen der DSGVO voll umsetzen können. verschlafen. Aktuell befänden pliance und teils auch Mängel Foto: BS/stockpics, stock.adobe.com falschen Weg und votiert für die Instanzen zu tun. “Die Angreifer organisieren sich, sich derzeit rund 65 Prozent von jetzige Lösung im TKG. “Wir sind beim Schutz personenbezogener deshalb müssen wir uns auch sensiblen Daten in einer Cloud. Daten. “Besonders im Bereich tungsverzeichnisses und bei der dagegen von sich, den DSB nur gegen eine Lex Huawei.” stark machen”, begründet Karl Sei es in Business-Anwendunder Datensicherheit mussten wir Durchführung von Datenschutz- selten einzubeziehen. Starke Abwehr seine Forderung. Die BA sei des- gen, wie zum Beispiel Office 365, häufig ungenügende Zustände Folgeabschätzungen. Jeweils feststellen – da muss dringend mehr als die Hälfte der befragten Gemeinden fehlen Ressourcen Um aktuellen Bedrohungen Herr halb Mitglied im europäischen oder bei großen Cloud-Anbietern. nachgebessert werden”, rügt der Kommunen in Baden-WürttemInsgesamt würden die Heraus- zu werden und Störungen des CERT-Verbund geworden und Aber: Nur ein Drittel der IT-VerLandesdatenschutzbeauftragte berg meldet hier Probleme. Dabei forderungen in Baden-Württem- behördlichen IT-Betriebes zu ver- habe sich nach dessen Aufla- antwortlichen könne für eine ausDr. Stefan Brink. Gerade in klei- haben drei Viertel das Thema berg aber vielerorts “mit hohem hindern, müsse eine Achse des gen auditieren lassen. Deutliches reichende Sicherheit sorgen, zum neren Gemeinden bestehe häufig Datenschutz-Folgeabschätzung Engagement und teilweise guten Guten gebildet werden, fordert Potenzial gebe es jedoch bei der Beispiel, wenn Mitarbeiter Links der Eindruck, den Anforderungen noch nicht einmal angegangen. Ergebnissen” gemeistert, merkt Walter Karl, Leiter des SOC der Kooperation mit Herstellern. zu Daten in der Cloud generierten und weitergäben. der DSGVO sei schon mit der In Niedersachsen sah auch Thiel der Landesdatenschutzbeauf- Bundesagentur für Arbeit (BA). Hierfür bedürfe es professiBestellung eines Datenschutzbe- hier eine der größten Baustellen. tragte Brink an. Der Verzug sei Die BA habe dazu seit 2015 man- Offenheit und Risikominimierung oneller Data-Loss-Prevention auftragten Genüge getan. “Dem Nach DSGVO muss eine solche zumeist einem Mangel an perso- nigfache Anstrengungen unterist selbstverständlich nicht so”, Folgeabschätzung durchgeführt nellen und zeitlichen Ressourcen nommen, wie Peter Neuhauser, Damit spricht Karl dem Vice (DLP)-Strategien. Mehr noch: werden, wenn ein Prozess der geschuldet, sind er und seine Leiter des CERT der BA, verdeut- President Central and Eastern Wer Daten in eine Cloud gebe, stellt Brink klar. Schon im Sommer hatte die Verarbeitung personenbezogener niedersächsische Amtskollegin lichte. Das Ziel sei und bleibe, Europe bei McAfee, Hans-Peter dürfe die Sicherheit nicht nur niedersächsische Landesda- Daten voraussichtlich ein hohes Thiel sich einig. Das zeige sich die Resilienz zu steigern und die Bauer, aus der Seele. Er fordert: dem Betreiber der Cloud übertenschutzbeauftragte Barbara Risiko für die Betroffenen mit auch am hohen Beratungs- Reaktionsfähigkeit der Behörde “Wir müssen mehr Mut zur Of- lassen, sondern müsse sich gleiThiel Ergebnisse einer eigenen sich bringt. Das kann der Fall und Unterstützungsbedarf, den zu erhöhen. Dazu gehöre auch fenheit und Partnerschaft ha- chermaßen um deren Sicherheit Umfrage unter 150 Kommunen sein, wenn neue Technologien die Kommunen gegenüber den die Forensik. Bis zu 600 Mio. ben.” Die Zusammenarbeit bei kümmern. veröffentlicht und war zu ähn- zum Einsatz kommen, aber auch Datenschutzbehörden geltend lichen Schlüssen gekommen. schon durch Zweck und Umstän- machten. Nachgefragt würden Sie sprach von offensichtlichen de der Verarbeitung oder auf- Schulungsmaßnahmen, HandSchwachstellen und erheblichem grund eines großen Umfangs an reichungen und Mustervorlagen. Handlungsbedarf. Auch der baye- Daten begründet sein. WesentBrink hat jüngst mit einer neurische Landesbeauftragte für den liches Ziel der Abschätzung ist en Broschüre zum Datenschutz Cyber-Sicherheitsbehörde bekommt zweite Außenstelle Datenschutz, Prof. Thomas Petri, die Festlegung geeigneter Abhilfe- speziell für Gemeinden reagiert. stellte bei den öffentlichen Stellen maßnahmen, um die Risiken für Für 2020 sei die Einrichtung (BS/stb) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erhält eine Außenstelle in SaarbrüLicht und Schatten fest. Einige die Betroffenen einzudämmen. eines Schulungs- und Fortbil- cken. Das hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beschlossen. Positiv zu vermerken ist, dass dungszentrums in seiner Behörde hätten die DSGVO nahezu vollständig umgesetzt, andere wiesen die meisten (98 Prozent) der Kom- angedacht. Auch die anderen Am neuen Standort sollen 30 nisterpräsident Tobias Hans, der und Sicherheit der KI sind zwei ein völlig unzureichendes Daten- munen im Ländle einen Daten- Datenschutzaufsichtsbehörden zusätzliche Stellen geschaffen sich zuvor in einem Brief an Bun- der wichtigsten Treiber der zuschutzniveau auf und müssten schutzbeauftragten (DSB) bestellt und die Datenschutzkonferenz werden. Als Schwerpunkte sind desinnenminister Horst Seehofer künftigen Digitalisierung. Daraus zu erheblichen Anstrengungen haben; bei mehr als drei Vierteln (DSK) als Kooperationsplatt- Künstliche Intelligenz und der für den Standort starkgemacht werden entscheidende Bereiche angehalten werden. ist es ein externer. Dabei geben form veröffentlichen regelmäßig Verbraucherschutz im Digitalen hatte. “Das wird nicht nur unsere der Wertschöpfung der Zukunft gut 40 Prozent an, den DSB bei Kurzpapiere und Anwendungs- vorgesehen. Saarbrücken gilt mit Position als IT-Land weiter stär- entstehen.” Die Suche nach einer Neue Pflichten machen allen datenschutzrechtlichen hilfen zu verschiedenen Daten- dem Helmholtz-Zentrum für In- ken, sondern ist gerade auch im geeigneten Liegenschaft für die Probleme formationssicherheit (CISPA) und Hinblick auf den Strukturwandel Zweigstelle steht noch aus, ist Fragen einzubinden, weitere schutzthemen. (Zu Datenpannen im Bereich der dem Deutschen Forschungszen- an der Saar eine große Chance.” aus der saarländischen StaatsSchwierigkeiten haben die knapp 40 Prozent tun dies nur Kommunen offenbar vor allem bei schwierigen Sachverhalten. Gesundheitsversorgung siehe Sei- trum für Künstliche Intelligenz Bisher ist das Bundeszentralamt kanzlei zu hören. Ein Neubau sei (DFKI) am Campus der Universi- für Steuern in Saarlouis die ein- unwahrscheinlich. Naheliegend bei der Erstellung des Verarbei- Fast jede zehnte Kommune sagt te 50 in dieser Ausgabe.) tät des Saarlandes als wichtiger zige Bundesbehörde mit Sitz im sei die Nutzung eines vorhandeStandort für die Forschung im kleinsten Flächenland. nen Gebäudes in unmittelbarer Ammar Alkassar, Bevollmäch- Nähe zum Campus-Gelände. Mit Bereich der KI und der Informationssicherheit. “Für unsere Region tigter des Landes für Innovation dem neuen Standort im Saarland ist es wie ein Sechser im Lotto, und Strategie, betont, dass durch ist die zweite Außenstelle des BSI dass sich die nationale Cyber- die enge Anbindung des BSI an beschlossen. Bereits im Sommer Freistaat institutionalisiert Zusammenarbeit Sicherheitsbehörde mit einer den saarländischen Exzellenz- war der Weg für einen Standort in (BS/stb) Die bayerische Staatsregierung hat die Errichtung der “Cyber-Abwehr Bayern” beschlossen. Das Außenstelle in Saarbrücken an- campus beide Seiten profitieren Freital bei Dresden freigemacht Kooperationsgremium soll die Zusammenarbeit der Landesbehörden mit Cyber-Sicherheitsaufgaben stärken siedelt”, so der saarländische Mi- würden. “KI für Cyber-Sicherheit worden.

BSI geht ins Saarland

Bayern erhält zentrales Cyber-Lagezentrum

und verstetigen. Ein zentrales Cyber-Lagezentrum im Landesamt für Verfassungsschutz soll schon im Januar 2020 die Arbeit aufnehmen. Das Lagezentrum dient der Umsetzung der vorrangigen Aufgabe der Cyber-Abwehr Bayern. Innenminister Joachim Herrmann erklärt: “Uns geht es im Interesse einer bestmöglichen Abwehr von Cyber-Angriffen um eine zeitnahe Erfassung, Bewertung und Weitergabe von Informationen zu Angriffen auf IT-Systeme, Ausnutzung von Sicherheitslücken, neue Kriminalitätsphänomene oder unerlaubte Veröffentlichungen von Daten.” Die Informationen aller Behörden mit Cyber-Sicherheitsaufgaben sollen zu einem landesweiten Cyber-Lagebild gebündelt werden, um den Überblick über die Gefährdungslage zu verbessern. Das Cyber-Lagezentrum wird

beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz eingerichtet. Dort ist bereits das Cyber-Allianz-Zentrum Bayern verortet, das als Ansprechpartner und Unterstützer für Unternehmen, Hochschulen und Betreiber Kritischer Infrastrukturen insbesondere für Fälle von Cyber-Spionage und -Sabotage fungiert. Weitere Teilnehmer der CyberAbwehr Bayern sind das für den Schutz der Landes-IT zuständige Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das Landeskriminalamt, die Zentralstelle Cyber Crime bei der Generalstaatsanwaltschaft Bayern, das Landesamt für Datenschutzaufsicht und der Landesbeauf-

tragte für den Datenschutz. Das Kompetenzgefüge zwischen den Behörden wird nach Angaben des bayerischen Staatsministeriums des Innern nicht verändert. Vielmehr sei eine Institutionalisierung der bestehenden Zusammenarbeit Ziel. Dazu soll eine sichere Kommunikationsstruktur aufgebaut werden. Neben der Lagebilderstellung soll es regelmäßig Lagebesprechungen der Cyber-Abwehr geben. Im Bedarfsfall soll das Gremium auch anlassbezogen einberufen werden. Derzeit verständigen sich die teilnehmenden Behörden über die konkrete Ausgestaltung, die noch in einer Kooperationsvereinbarung festgehalten wird.

Thüringer Landesdatennetz zertifiziert Sichere Behörden-Kommunikation auf IT-Grundschutzbasis (BS/bk) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifizierte das Landesdatennetz des Landes Thüringen nach dem neuen BSI-Standard 200-2. Damit ist Thüringen das erste Bundesland mit diesem Standard. Das konvergente Sprach- und Datennetz des Freistaats bekommt das Zertifikat nach der internationalen Norm ISO/IEC 27001 auf Basis des IT-Grundschutzes. Das BSI nahm bei der Zertifizierung die zentralen Server-, Speicher-, und Netzwerkkomponenten als auch die Gebäude und die Administrationsumgebung ab. Der Zertifizierungsprozess konnte nach rund neun Monaten abgeschlossen werden. Dabei

wurden Verfahren überarbeitet und neu modelliert. Dies umfasste über 50 Bausteine des Grundschutzkompendiums sowie 120 Konzeptionen und Dokumente. Das neue BSI-Zertifikat behält seine Gültigkeit bis zum Jahr 2022 und muss jährlich überprüft und bestätigt werden. Das Landesdatennetz (Corporate Network Freistaat Thüringen – CNFT) ist ein verschlüsseltes Weitverkehrsnetz mit dem inte­

grierten Dienst für Telefonie über Internet (VoIP). Es wird von rund 150 Behörden und Einrichtungen des Landes Thüringen genutzt, bei denen 21.500 Mailanschlüsse eingebunden sind. Dass ein effizienter Schutz nötig ist, zeigt schon allein die Statistik des Mail Gateways im November. Über 74.000 Mails wurden als Spam erkannt sowie über 6.200 Mails mit Schadsoftware identifiziert und abgewiesen.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Den Rahmen setzen

“J

ede Schadsoftware, sei es Virus oder Ransomware, nutzt letztlich eine Schwachstelle in einer Software aus”, stellt Hannes Steiner, Senior Director Sales Germany bei Trend Micro, klar. Das Problem: “Einen alle Systeme einer Organisation umfassenden effizienten Patch-Prozess, durch den alle Lücken rechtzeitig geschlossen würden, gibt es nicht.”

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Voraussetzungen für mehr Cyber-Sicherheit schaffen (BS/Benjamin Stiebel) Mehr Cyber-Sicherheit ist das Ziel. Dafür braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Das gilt im Kleinen, wenn es um die effektive Bewältigung des tagtäglichen Aufkommens an Schadsoftware in allen Organisationen geht. Das gilt auch im Großen, wenn es um die Befähigung des Staates geht, sich gegen gezielte Angriffe auf die Daseinsvorsorge zu wehren.

Die Krux mit den ­Schwachstellen Das liege daran, dass schon wenige Stunden nach der Veröffentlichung eines neuen Patches die erste Schadsoftware auftaucht, die die entsprechende Lücke ausnutzt. “So schnell können Sie nicht patchen”, sagt Steiner auf einem Parlamentarischen Abend des Behörden Spiegel in Berlin. Viele Systeme seien von Hause aus nicht integrierbar. Bei kritischen Anwendungen und Verfahren bedeute jeder Update-Vorgang zudem eine Betriebsunterbrechung. Dazu käme in komplexen ITArchitekturen die Gefahr, dass dabei etwas schiefgeht. Steiner: “Viele IT-Verantwortliche nehmen lieber die vorübergehende Angreifbarkeit in Kauf, als Ausfälle durch Probleme beim ständigen Patchen zu riskieren.” Verstärkt würde die Gefahr, wenn entdeckte Schwachstellen nicht schnellstmöglich den Herstellern gemeldet würden, ergänzt Manuel Höferlin, Mitglied des Deutschen Bundestages (FDP). Dafür gebe es etablierte und gut funktionierende Verfahren. Kritisch sieht Höferlin, dass Sicherheitsbehörden sich die Option offenhalten, Schwachstellen für Ermittlungszwecke zurückzuhalten. “Wir brauchen unbedingt eine Meldepflicht für alle staatlichen Stellen”, fordert er. Eine Güterabwägung würde hier unweigerlich zulasten der Sicherheit gehen, “denn Lücken werden auch von den bösen Buben und Mädels genutzt und

Hannes Steiner (Trend Micro) sprach über Hindernisse beim schnellen Schließen von IT-Schwachstellen.

können zu enormen Schäden führen”, so der Abgeordnete. Etwaige Ermittlungserfolge durch OnlineDurchsuchungen oder ähnliche Maßnahmen stünden in keinem Verhältnis zu den Risiken. Um die Cyber-Sicherheit im Ganzen voranzubringen, müsse mehr grenzübergreifend gedacht werden. So sollten internationale Mindeststandards für sichere ITProdukte und deren Einsatz in Organisationen formuliert werden. “Wo immer es möglich ist, sollte verschlüsselt werden”, so Höferlin, “warum sollte es anders sein?”

Aktiv werden dürfen Mit Schwachstellenmanagement, Verschlüsselung und einer robust aufgestellten IT lässt

sich das Gros der cyber-kriminellen Bedrohungen in den Griff kriegen. Gegen groß angelegte Kampagnen und staatlich unterstützte Spionage oder Sabotage reicht das jedoch nicht. Die Bundesregierung denkt daher schon lange über Befugnisse zur aktiven Cyber-Abwehr nach, wenn zum Beispiel Angriffe auf Kritische Infrastrukturen die Versorgung der Bevölkerung bedrohen. Das Thema sorgte auf dem Parlamentarischen Abend für lebhafte Diskussionen. So setzte Höferlin aktive Cyber-Abwehr mit dem Einsatz von Waffen gleich. Seine Partei denke über eine Art Digitalwaffensperrvertrag nach. “Wir haben Zweifel daran, dass die geltenden internationalen Regeln

Souverän mit Life-Chain? Thüringer Alternative zum Datenschutzcockpit (BS/Benjamin Stiebel) Das wiederholte Angeben persönlicher Daten gegenüber öffentlichen Stellen ist für viele ein Ärgernis. Dennoch spricht sich die Mehrheit der Bürger in Umfragen per se gegen den Austausch von Daten zwischen Behörden aus. Den Knoten will die öffentliche Verwaltung mit einem Datenschutzcockpit zum Platzen bringen. Ein digitales Tool, das mehr Transparenz und Kontrolle bei der Datenverarbeitung öffentlicher Stellen bringen soll (siehe Behörden Spiegel November 2019, Seite 34). Die Thüringer “Life-Chain” ist mit derselben Zielsetzung angetreten. Das alternative Konzept sieht eine aktivere Rolle des Bürgers vor, soll dafür aber ohne einen zentral geführten Identifier funktionieren. Das käme den Datenschutzbehörden entgegen. “Im Mittelpunkt stehen für uns die Bürgerinnen und Bürger”, sagt der Finanzstaatssekretär im Thüringer Finanzministerium und CIO des Freistaats, Dr. Hartmut Schubert (SPD). “Er bestimmt insbesondere den Datenzugriff, die Behörde bestimmt nur den Ablauf des Verfahrens.” Anders als beim Datenschutzcockpit, wie es sich die Bundesregierung vorstellt, bleibt der Bürger bei der LifeChain die zentrale Schnittstelle bei der elektronischen Kommunikation. Er erteilt nicht einfach nur die Einwilligung in die Datenübertragung zwischen Behörden. Er steuert den Vorgang selbst, indem er Übertragungen anstößt und autorisiert. Beispiel Geburtsanzeige: Aus dem Dashboard der Anwendung heraus startet der Nutzer den Prozess. Er sieht eine Auflistung der erforderlichen Berechtigungen. Dort kann er sich entscheiden, den Zugriff auf seine elektronisch hinterlegte Geburtsurkunde und seinen Personalausweis sowie auf die Geburtsbescheinigung der Klinik freizugeben. Außerdem kann er die Freigabe der Geburtsurkunde des anderen Elternteils anfordern. Dieser erhält eine entsprechende Push-Nachricht auf sein Smartphone und kann den Zugriff autorisieren. Sobald alle Berechtigungen erteilt sind, stellt das Standesamt die Geburtsurkunde des Kindes aus und der Nutzer kann sie online abrufen – oder in weiteren Verfahren anderen

Stellen Zugriff erlauben. Wie beim Datenschutzcockpit sollen Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen, Datensätzen und Datenübertragungen grafisch dargestellt werden. Die Informationen über Berechtigungen und Datenzugriffe werden beim Life-Chain-Konzept in einer Blockchain-artigen Datenstruktur gesichert. Damit soll eine manipulationssichere Dokumentation gewährleistet werden. Anders als bei klassischen Blockchain-Anwendungen, wie zum Beispiel Kryptowährungen, handelt es sich bei dem Konzept um ein geschlossenes System mit bidirektionalen Verknüpfungen, heißt es aus der zuständigen Abteilung im Thüringer Finanzministerium. Das heißt, anders als bei der Blockchain enthält jeder Speicherblock nicht nur Informationen über seinen Vorgänger, sondern auch über seine Nachfolger. Im Ergebnis ist einer Kompromittierung schon während der Blockgenerierung ein Riegel vorgeschoben.

Datensouveränität ohne Identifier Der entscheidende Unterschied zum derzeit bei der Bundesregierung verfolgten Konzept ist aber kein technischer. Er liegt vielmehr darin, dass bei der Life-Chain grundsätzliche Abläufe bei der Leistungserbringung unverändert bleiben. Wenn der Bürger bisher für eine bestimmte Leistung einen Strauß an Dokumenten

und Nachweisen eingeholt und eingereicht hat, so muss er auf Basis der Life-Chain ebenfalls den Abruf und die Weitergabe der entsprechenden Daten selbstständig steuern und autorisieren. Analog und beschwerlich oder digital und bequem – der Bürger bleibt die Schnittstelle der Kommunikation. Beim Datenschutzcockpit wird es wohl darauf hinauslaufen, dass der Bürger einwilligt und die Behörden anschließend die Daten direkt übertragen. Damit das ohne Mittelsmann funktioniert, braucht es nicht nur eine intelligente Registerverknüpfung, sondern nach Plänen der Bundesregierung auch einen zentral geführten Identifier. Dieser wird als eine Art Personenkennziffer von den deutschen Datenschutzbehörden abgelehnt. Das Life-Chain-Konzept kommt nach Einschätzung des Thüringer Finanzministeriums dagegen ohne einen Identifier aus. Von dort heißt es, es habe intensive Gespräche mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskanzleramt über die Life-Chain gegeben. Im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ist das Konzept aber zunächst aus dem Rennen. Thüringen bringt sich nun im federführend von Berlin organisierten Digitalisierungslabor zum Datenschutzcockpit ein. Eine separate Lösung für den Freistaat auf Life-Chain-Basis soll es nicht geben. Einen Flickenteppich will man gerade bei Querschnittsleistungen vermeiden.

Stellte das neue IT-Lagezentrum des Auswärtigen Amtes vor: CTO Dr. Sven Egyedy.

bezüglich bewaffneter Konflikte immer bedacht werden, wenn es um den digitalen Bereich geht.” Der Leiter der Abteilung Cyberund IT-Sicherheit im Bundes­ innenministerium, Andreas Könen, erteilte dem Einsatz von digitalen Waffen eine Absage. Er stellte dagegen klar, dass es bei der aktiven Cyber-Abwehr keineswegs um Vergeltungsschläge gehe, sondern nur um Gefahrenabwehr. Doch die sei Ländersache und ohne eine Befugnis seien dem Bund die Hände gebunden. “Wir müssen dringend diskutieren, welche Stelle Kompetenzen vorhalten soll und wie die Umsetzung von Maßnahmen rechtlich zu gestalten ist”, so Könen. Dabei gehe es nicht immer gleich um

Fotos: BS/Stiebel

das Ausschalten eines Systems, von dem ein Angriff ausgehe. Schon das Stoppen eines Schadprogramms auf einem fremden Computer sei derzeit rechtlich nicht möglich. So habe sich das Bundeskriminalamt vor wenigen Jahren nicht an einer international orchestrierten Aktion zur Abschaltung eines großen Botnetzes beteiligen können. Letztlich sollten aktive Maßnahmen die Ultima Ratio im Krisenfall bleiben, am wichtigsten seien Prävention und passive Abwehr, stellte der Abteilungsleiter fest.

AA weiht IT-Lagezentrum ein Maßgeblich für den Erfolg ist die frühzeitige Erkennung von neuartigen Methoden oder groß-

angelegten Angriffskampagnen. Dafür spielt das Nationale CyberAbwehrzentrum (NCAZ) unter Federführung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik eine entscheidende Rolle. Am NCAZ soll sich demnächst auch das Auswärtige Amt (AA) beteiligen. Dieses hat im Laufe nur eines Jahres ein neues ITLagezentrum für die Auslands-IT eingerichtet. Noch im Dezember soll die Operationsfähigkeit erreicht werden, berichtete Dr. Sven Egyedy, Chief Technology Officer (CTO) im AA. Das Lagezentrum bestünde aus einer 24/7-Leitwarte, einem Computer Emergency Response Team (CERT), sowie einem Security Operations Center (SOC). Darin seien auch die Service-Hubs in New York und Singapur eingebunden. Egyedy: “Die Angreifer kommen aus ganz verschiedenen Regionen der Erde und arbeiten teils im Schichtbetrieb. Mit der Verteilung des Lagezentrumsbetriebs haben wir stets frisch erholtes Personal im Einsatz. Das funktioniert gut.” Nicht bewährt hat sich das Redundanzmodell jedoch offenbar in Bezug auf die Datenhaltung: “Aus gegebenem Anlass verfolgen wir nicht mehr die Strategie, Daten an verschiedenen Standorten weltweit zu lagern”, so Egyedy. Zusätzliche Sicherheit schafft das AA im IT-Betrieb dadurch, dass die Inlands- und die Auslands-IT unabhängig voneinander betrieben werden können. Bei erheblichen Vorfällen können die Netze getrennt und so die Ausweitung von Schäden eingedämmt werden. Dies sei bereits einmal durchgeführt worden. “Im Schadensfall kommt es auf Minuten an. Dank unserer etablierten Standardoperationsprozeduren konnten wir den Vorfall schnell bearbeiten”, erinnert sich der CTO.


IT-Sicherheit

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Um Distanz bemüht

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er Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V. verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, Unternehmen, Behörden und politische Entscheidungsträger im Bereich Cyber-Sicherheit – politisch neutral – zu beraten und durch Intensivierung der Zusammenarbeit zur Verbesserung des IT-Schutzes beizutragen. Zu den Mitgliedern gehören Unternehmen aus der Pharma- und der Automobilindustrie, aus dem Finanzsektor genauso wie ITDienstleister und Energieversorger. Auch öffentliche Stellen von Bund, Ländern und Kommunen sowie dem öffentlichen Sektor nahestehende Organisationen sind Mitglieder. Seit Monaten steht der Verdacht im Raum, Aktivitäten des Vereins könnten ein Risiko für Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik sein. Im April dieses Jahres hatte CSRD-Präsident HansWilhelm Dünn an einem internationalen Forum zur Cyber-Sicherheit in Garmisch-Partenkirchen teilgenommen. Veranstalter war der russische Verein “National Association for International Information Security” (NAIIS). Im Nachgang wurde im Namen der beiden Organisationen ein Memorandum of Understanding (dt. Absichtserklärung) zum stärkeren Austausch und zur Zusammenarbeit im Bereich der Cyber-Sicherheit abgeschlossen. Unterzeichner auf russischer Seite war der NAIIS-Präsident Generaloberst a. D. Vladislaw Sherstyuk, ehemaliger Direktor der Föderalen Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information (FAPSI), des Nachfolgers des russischen Dienstes für Fernmeldeaufklärung (SIGINT). Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, hatte zu be-

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Bundesregierung kappt Verbindungen zum CSRD e. V. (BS/Benjamin Stiebel) Im Sommer berichteten Medien über Aktivitäten des “Cyber-Sicherheitsrats Deutschland e. V.” (CSRD), die eine riskante Nähe zu russischen Nachrichtendiensten nahelegen würden. Nun distanziert sich die Bundesregierung, die selbst einige Anknüpfungspunkte zum CSRD e. V. hat, ausdrücklich von dem Verein. Sie habe Zweifel, dass die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit noch gegeben sei. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervor, die dem Behörden Spiegel vorliegt. Darin wird jeder Unterstützung des CSRD e. V. eine Absage erteilt. Auch einige Vereinsmitglieder aus dem öffentlichen Bereich kehren dem Verein inzwischen den Rücken.

Seit gegen den Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V. Vorwürfe einer zu großen Nähe zu russischen Geheimdiensten im Raum stehen, bemühen sich viele Mitglieder aus dem öffentlichen Sektor um klare Abgrenzung. Foto: BS/mixedreality, stock.adobe.com

auch schon aus dem Bundesinnenministerium (BMI) zu hören gewesen, dass Mitarbeiter keine Veranstaltungen des Vereins besuchen sollen. Welche Fakten und Hinweise ihr selbst vorliegen, dazu äußert sich die Bundesregierung jedoch nicht. Ob sie Erkenntnisse über Kontakte des CSRD e. V. zu russischen oder sonstigen ausländischen Geheimdiensten habe, könne nicht beantwortet werden, heißt es in der Reaktion auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, da jedwede Stellungnahme Rückschlüsse auf die eigene nachrichtendienstliche Methodik erlauErwartet die schnellstmögliche Beendigung aller Mitb e un d damit gliedschaften öffentlicher das Staatswohl Stellen im Cyber-Sicherheitsbeeinträchtigt rat Deutschland e. V.: Benwürde. Ihre Erjamin Strasser (MdB, FDP). kenntnisse zum NAIIS und ihrem Foto: BS/Tanja Ruetz Präsidenten hat die Bundesregierung als geheime denken gegeben: “Das sieht doch Verschlusssache eingestuft. Die sehr nach einer Einflussnahme, Bundestagsabgeordneten können nach einer Beeinflussungsstra- nur in der Geheimschutzsteltegie der russischen Seite aus.” le des Deutschen Bundestages Und weitere Vorwürfe stehen Einsicht nehmen. im Raum: Präsident Dünn war im Rahmen des Formel 1 Grand Bundesregierung auf Distanz Prix von Monaco im Gefolge des Klar ist aber, dass die BundesTeams von Ferrari zu sehen. regierung sich um Distanz zum Sponsor des Sportereignis- Cyber-Sicherheitsrat Deutschses und der Scuderia ist u. a. land e. V. bemüht. So erklärt Kaspersky. Produkte des Unter- sie, ihn weder jetzt noch in der nehmens dürfen auf Anweisung Vergangenheit bei der Verfolgung des Bundesamts für Sicherheit seiner Vereinsziele unterstützt in der Informationstechnik (BSI) zu haben. Zwischen einzelnen nicht mehr für die Bundesverwal- Mitgliedern der Bundesregierung und dem CSRD e. V. würden keitung angeschafft werden. Das Memorandum of Under- ne formellen Kontakte bestehen. standing ist inzwischen seitens Dennoch gibt es Anknüpfungsdes CSRD e. V. offiziell gekündigt punkte: Das Bundesministerium worden. Der Imageschaden ist für Gesundheit (BMG), die Bunaber nicht mehr abzuwenden. desanstalt Technisches HilfsEinige Mitglieder haben gekün- werk (THW), die Deutsche Flugdigt. Die Bundesverwaltung steht sicherung (DFS) sowie das durch dem Verein kritisch gegenüber. Bund und Länder getragene Im Sommer hatte das BSI die Deutsche Zentrum für Luft und Fäden zum Cyber-Sicherheitsrat Raumfahrt e. V. (DLR) sind MitDeutschland e. V. gekappt. Die glieder im CSRD e. V. Während letzteres als ordentbeim BSI angesiedelte Allianz für Cyber-Sicherheit stellte die liches Mitglied mit Beiträgen in Zusammenarbeit ein, da – so die Höhe von 2.500 Euro beteiligt ist, Bundesregierung – “die Grund- habe das BMG nur im Rahmen lage für eine vertrauensvolle einer assoziierten, also kostenZusammenarbeit nicht mehr freien Mitgliedschaft an wenigen ausreichend gegeben war”. BSI- Informationsveranstaltungen Präsident Arne Schönbohm hatte teilgenommen. Derzeit ruhe die seine Mitarbeiter außerdem an- Mitgliedschaft, heißt es aus dem gewiesen, an keiner Veranstal- Ministerium. Die DFS hatte ihre tung teilzunehmen, die durch Mitgliedschaft vor Monaten zum den CSRD e. V. organisiert oder Jahresende gekündigt, so die moderiert wird, bis die in den Bundesregierung. Den Austritt Medien erhobenen Vorwürfe aus begründet die Organisation geder Welt sind. Vor dem Hinter- genüber dem Behörden Spiegel grund der nicht abschließend damit, dass der etwaige Nutzen geklärten Faktenlage sei dieser in keinem Verhältnis zu den KosSchritt nachvollziehbar, erklärt ten stehe. Auch das THW hat die Bundesregierung. Zuvor war seinen Austritt eingereicht. Das

DLR kündigt eine Neubewertung seiner Mitgliedschaft an. Vorbehalte hatte der Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V. schon vor den aktuellen Vorwürfen durch seine Namensgebung provoziert. Die Gefahr der Verwechslung mit dem Nationalen Cyber-Sicherheitsrat, einem von der Bundesregierung gegründeten Gremium, liegt auf der Hand. Insbesondere, wenn das Kürzel “e. V.” weggelassen wird. Beim Memorandum of Understanding mit dem russischen NAIIS war das der Fall. Die Bundesregierung spricht hier von der “missverständlichen englischen Bezeichnung “Council on Cyber Security of Germany””. So konnte der Eindruck entstehen, der Verein vertrete den deutschen Staat. Im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten beabsichtigt die Bundesregierung bereits dagegen vorzugehen. Sie lege größten Wert da­rauf, dass der Verein nicht mit deutschen staatlichen Akteuren verwechselt wird. Und weiter: “Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat deshalb den Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V. zuletzt mit Schreiben vom 27. Juni 2019 darauf hingewiesen, dass in seiner Namensführung immer das

e. V. zu verwenden ist und im Falle von Zuwiderhandlungen rechtliche Schritte angekündigt.” Dem FDP-Abgeordneten Benjamin Strasser geht all das allerdings noch nicht weit genug: “Die Bundesregierung und alle staatlichen Organisationen sollten im Fall des Cyber-Sicherheitsrats Deutschland e. V. auf größtmögliche Distanz gehen. Selbst eine assoziierte Mitgliedschaft des Bundesministeriums für Gesundheit stärkt die Referenzen eines Vereins, dem Kontakte zu russischen Nachrichtendiensten nachgesagt werden. Das darf nicht sein. Ich erwarte, dass alle Mitgliedschaften öffentlicher Stellen so schnell wie möglich beendet werden.”

Mitglieder schwinden Aber nicht nur in der Bundesregierung, sondern auch im Landes- und Kommunalbereich sowie bei der öffentlichen Verwaltung nahestehenden Stellen hat der CSRD e. V. Mitglieder. Viele haben Ihre Kündigung aber bereits eingereicht. So der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Dessen Bundesvorsitzender Sebastian Fiedler hatte schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe

den Austritt angekündigt. Auch die Länder gehen zunehmend auf Distanz. So kündigt die niedersächsische Landesregierung ihren Austritt an. Die Erwartungen an die Mitgliedschaft seien nicht erfüllt worden, heißt es zur Begründung. Das Land Sachsen hat seine Mitgliedschaft bereits Ende August zum Jahresende gekündigt. Als Mitglied geführt wird auch das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern. Seit 2015 fänden aber keine Aktivitäten mehr im Zusammenhang mit dem Verein statt, heißt es aus dem Innenministerium. Nordrhein-Westfalen wird ebenfalls vom CSRD e. V. als Mitglied geführt. Das geht auf eine persönliche, beitragsfreie Mitgliedschaft des Chief Information Officers der Landesregierung, Hartmut Beuß zurück. Diese ruhe seit 2017, der Austritt soll zum nächstmöglichen Zeitpunkt erfolgen. Aus der Stadtverwaltung Frankfurt am Main war zu hören, dass es im Rahmen der Mitgliedschaft außer der Teilnahme an Veranstaltungen des CSRD e. V. keine Zusammenarbeit gegeben habe. Es finde eine Auseinandersetzung mit den Vorwürfen gegen den Verein statt. Ob ein Austritt erwogen wird, dazu gab es keine Auskunft.

Und der Verein selbst? Der betrachtet den Vorwurf, sich vor den nachrichtdienstlichen Karren spannen zu lassen, als haltlos. In diesem Sinne habe der Vereinspräsident Dünn zu den Medienberichten gegenüber den Mitgliedern Stellung bezogen. Auf der letzten Mitgliederversammlung wurde die Berichterstattung dieser Zeitung kritisiert. Die Rückgewinnung der ausgetretenen Mitglieder der Behörden habe begonnen. Es ist zweifelhaft, ob das gelingen wird.

Mit allen Akteuren sprechen Absichtserklärungen gebe es mit Organisationen aus vielen Ländern, etwa USA, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Estland, Israel oder Japan, heißt es vom Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V. Die Vereinbarung mit der NAIIS habe man angesichts der aktuellen Diskussion jedoch am 17. Oktober gekündigt, noch bevor es in deren Rahmen zu einer konkreten Zusammenarbeit gekommen sei. Die Beteiligung von ehemaligen oder aktiven Mitarbeitern aus Sicherheits- und Nachrichtendiensten an solchen Netzwerkaktivitäten sei im Umfeld der Cyber-Sicherheit selbstverständlich. “Cyber-Sicherheit ist eine internationale Großaufgabe”, teilt der CSRD e. V. dem Behörden Spiegel mit. “Es ist daher besonders in politisch angespannten Zeiten unerlässlich, auch den Kontakt zu schwierigen Partnern nicht abreißen zu lassen.” Dazu gehöre Russland. Genauso sei man aber auch mit ehemaligen Vertretern der westlichen Intelligence Community und sonstigen relevanten Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung im Austausch.

Die Mitglieder des CSRD e. V. (BS) Folgende öffentliche Stellen und der öffentlichen Verwaltung nahestehende Organisationen sind derzeit Mitglied im CSRD e. V.: • Bundesministerium für Gesundheit • Deutsche Flugsicherung (Austritt zum Jahresende) • Deutsche Post • Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt • Deutscher Feuerwehrverband (Präsident ist Beisitzer im Präsidium) • KfW Bankengruppe (Austritt zum Jahresende) • Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern • Land Niedersachsen (Austritt angekündigt) • CIO des Landes Nordrhein-Westfalen (Austritt angekündigt) • Land Sachsen (Austritt zum Jahresende) • Stadt Frankfurt am Main • Technisches Hilfswerk (Austritt zum Jahresende) • Universität Lübeck Quelle: BS/www.cybersicherheitsrat.de; eigene Recherche

Strukturelle Defizite Patientendaten gelangen häufig in falsche Hände (BS/stb) Die Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz hat ein Bußgeld über 105.000 Euro wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gezahlt. Damit wurde erstmalig eine Geldbuße aufgrund des neuen EU-Rechts gegen eine Organisation in öffentlicher Trägerschaft rechtskräftig. Grund für die Strafe sind strukturelle Probleme beim Patientenmanagement der Klinik. Kein Einzelfall, denn bundesweit mehren sich Fälle von fehlerhaft durch Krankenhäuser, Praxen und Abrechnungsstellen versandte Patientendaten. Das Bußgeld gegen das Mainzer Universitäts-Klinikum verhängte der rheinland-pfälzische Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Prof. Dieter Kugelmann, wegen mehrerer DSGVO-Verstöße. Bei der Aufnahme eines Patienten war es zu einer Verwechslung gekommen. Das hatte auch eine falsche Rechnungsstellung zur Folge. Damit waren für den Landesbeauftragten strukturelle technische und organisatorische Defizite im Patientenmanagement offenbar. Kugelmann begrüßte aber die belastbar vorgetragenen Bemühungen des Krankenhauses, das Datenschutzmanagement zu verbessern. Die Maßnahme wolle der Landesbeauftragte auch als Signal verstanden wissen, “dass die Datenschutzaufsichtsbehörden auf dem Feld des Umgangs mit Daten im Gesundheitswesen besondere Wachsamkeit an den Tag legen.” Neben der Sanktionswir-

Defizite im Patientenmanagement sind offenbar weit verbreitet. Hunderte Fälle fehlerhaft versendeter Briefe mit sensiblen Gesundheitsdaten sind den deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden schon gemeldet worden. Foto: valelopardo, www.pixabay.com

kung sieht er in Geldbußen auch ein präventives Element, indem deutlich werde, dass Missständen konsequent nachgegangen wird. Kugelmann: “Mir kommt es darauf an, dass mit Blick auf die

besondere Sensibilität der Daten beim Gesundheitsdatenschutz substanzielle Fortschritte erzielt werden.” Beim Hamburgischen Landesdatenschutzbeauftragten wird derzeit ebenfalls ein Verwechslungsfall untersucht. Die As klepios-Klinik Altona hatte einer Patientin im Laufe mehrerer Jahre insgesamt elf Briefe mit Informationen über Behandlungen anderer Patienten zugeschickt, trotz wiederholter Hinweise auf den fehlerhaften Versand. Aufgrund der Häufung liege auch in diesem Fall die Vermutung nahe, es liege ein strukturelles Problem im Datenmanagement des privaten Klinikbetreibers vor, ist aus der Datenschutzbehörde zu hören. Das sind keine Einzelfälle. Seit Anwendbarkeit der DSGVO im Mai 2018 sind bereits in hoher dreistelliger Zahl Fälle falsch versendeter Patientendaten bei den deutschen Datenschutzauf-

sichtsbehörden gemeldet worden. Die Einrichtungen müssen solche sogenannten “Datenpannen” innerhalb von 72 Stunden melden. Die Datenschützer befürchten jedoch, dass längst nicht alle Fälle von den Kliniken und Arztpraxen bemerkt, geschweige denn gemeldet werden. Der rheinland-pfälzische Landesdatenschutzbeauftragte Kugelmann spricht von besorgniserregenden Missständen. Zwar könne man einzelne Vorkommnisse aufgrund menschlichen Versagens nicht völlig ausschließen, er erwarte jedoch, dass alle an der Behandlung von Patienten beteiligten Einrichtungen alle Anstrengungen für effektiven Schutz der sensiblen Daten unternehmen. “Fehlt es hier an der notwendigen Sorgfalt und Aufmerksamkeit, werde ich angemessene Maßnahmen ergreifen und auch vor der Verhängung von Bußgeldern nicht zurückschrecken”, so Kugelmann.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2019

Schändlichkeit nicht ausreichend berücksichtigt Vorgehen gegen Kinderpornografie muss intensiviert werden

KNAPP Erfassung wird angepasst

(BS/Marco Feldmann/Uwe Proll) Er gehört wohl unbestritten zu den sozial und gesellschaftlich verwerflichsten Taten überhaupt: der sexuelle Missbrauch von Kindern, teilweise so- (BS/mfe) In Bayern ist ein mogar noch im Säuglingsalter. Zumal, wenn er auch noch gefilmt und im digitalen Raum verbreitet wird. Doch die Strafverfolgungsbehörden hinken den Pädophilen hinterher. Und die difizierter Gesetzentwurf zur Schändlichkeit solcher Delikte spiegelt sich bisher unzureichend wider. automatisierten KennzeichenSo sind strafrechtlich noch nicht alle Formen des sexuellen Kindesmissbrauchs als Verbrechen eingestuft. Eine solche Kategorisierung ginge mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr einher. Bisher handelt es sich bei manchen Delikten noch “nur” um Vergehen. Für die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornografischer Schriften gilt diese Einstufung laut Strafgesetzbuch (StGB) derzeit selbst dann, wenn die Tat gewerbs- oder bandenmäßig begangen wird. Selbst hier beträgt die Mindeststrafe nur sechs Monate Freiheitsentzug. Liegen diese strikteren Bedingungen nicht vor, wird die Tat also zum Beispiel allein begangen, liegt die Untergrenze sogar nur bei drei Monaten Haft. Diese kann – rein rechtlich – dann auch noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Beschuldigte Ersttäter ist und liegt im Ermessen des jeweils entscheidenden Gerichts. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat jüngst jedoch einen Vorschlag zur grundsätzlichen Einstufung derartiger Taten als Verbrechens­ tatbestand in die Innenministerkonferenz (IMK) eingebracht. Außerdem verlangt er Erhöhungen hinsichtlich der möglichen maximalen Haftdauer. Schließlich handele es sich um schwerste Straftaten, die massivste, teilweise lebenslange Folgen für die missbrauchten Kinder hätten. Reul sagte im Deutschlandfunk: “Mich stört schon sehr, dass wir im Bereich der Strafbarkeit hier Maßnahmen haben, die überhaupt nicht mehr der Dramatik dieser Vorgänge entsprechen. Es kann nicht sein, dass man das so leicht abtut.” Er tritt für eine künftige Höchstfreiheitsstrafe von fünf Jahren im Falle des Besitzes kinderpornografischen Materials ein. Bisher liegt sie bei 36 Monaten. Zudem plädiert Reul für eine Verdoppelung der möglichen Höchststrafe in Fällen der Verbreitung solcher Bilder und Videos. Hier sollten aus seiner Sicht in Zukunft bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug möglich sein. Momentan sind es maximal fünf Jahre. Nur beim sexuellen Missbrauch von Kindern, also Personen unter 14 Jahren, sind schon jetzt höchstens zehn Jahre Haft zulässig.

IMK hat Problem erkannt Der Düsseldorfer Ressortchef will darüber hinaus erreichen, dass Eintragungen im Bundeszentralregister aufgrund derartiger Taten später als andere gelöscht werden. So begrüßenswert dieser Vorschlag auch ist, darf eines nicht vergessen werden: Reul steht nach den Missbrauchsfällen von Lügde und Bergisch Gladbach sowie den dortigen – zum Teil massiven – Ermittlungspannen erheblich unter Handlungsdruck. Er darf nun aber einen Erfolg für sich verbuchen. Die IMK sprach sich jüngst nachdrücklich für die Erhöhung der Strafrahmen aus. In den Beschlüssen zur vergangenen Sitzung in Lübeck heißt es wörtlich: “Sie (die IMK, Anm.

d. Red.) ist darüber hi­naus der Auffassung, dass die Tilgungsfristen von Einträgen in das Bundeszentralregister und die Fristen für Nichtaufnahmen in das (erweiterte) Führungszeugnis in Fällen von Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern oder Verurteilungen im Zusammenhang mit Kinderpornografie deutlich verlängert werden müssen.” Die Ressortchefs baten den Konferenzvorsitzenden, Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU), “die Justizministerkonferenz über diesen Beschluss zu informieren und sie nachdrücklich um die entsprechenden Anpassungen zu ersuchen”. Ob und, wenn ja, wann diese erfolgen, bleibt vorerst offen. Die Forderung nach Strafverschärfungen ist im Übrigen kein rein deutsches Phänomen: auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte gesetzliche Verschärfungen gegenüber Pädophilen und Kinderschändern an. Die Täter hier mit aller Härte des Gesetzes zu verfolgen und zur Rechenschaft zu ziehen, erscheint geboten. Denn beim sexuellen Missbrauch von Kindern werden deren Persönlichkeitsrechte massiv verletzt. Hinzu kommt, dass die Unfähigkeit der Minderjährigen, sich zu wehren, ausgenutzt wird. Auch die zuständigen Ermittler bei den Polizeien werden in Kinderpornografie- und -missbrauchsverfahren massiv belastet. Sie müssen sich teilweise stundenlang Tausende Bilder und Videos von Vergewaltigungen und Folterungen anschauen. Es gibt sogar Aufnahmen von Morden an (Klein-)Kindern, die ausgewertet werden müssen. Ein hartes Los, nicht nur, wenn man selbst Kinder hat. Eine entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Supervision zu. Nur, wenn die Polizisten engmaschig betreut werden und nicht zu lange in diesem Deliktsbereich arbeiten, hilft ihnen die Maßnahme tatsächlich.

Möglichkeiten ungenutzt Hilfreich und entlastend wäre sicherlich auch, wenn eine maschinelle Auswertung der inkriminierten Datenträger statthaft wäre. Dies ist hierzulande jedoch noch nicht erlaubt. Auf solche Art und Weise analysierte Daten sind – Stand heute – vor Gericht nicht verwertbar. Personen, die mit der Materie vertraut sind, namentlich jedoch ungenannt bleiben möchten, kritisieren das massiv. Ebenso bemängeln sie, dass das künstliche Erzeugen kinderpornografischen Materials und dessen anschließende technische Verfremdung in Deutschland verboten ist. Die so hergestellten Avatare würden als zu menschenähnlich und als zu wenig animiert gelten, heißt es. Dadurch wird den Beamten das Eindringen in Kinderpornografieringe unmöglich gemacht. Denn dort wird im Rahmen einer sogenannten “Keuschheitsprobe” das Hochladen selbstproduzierten Missbrauchsmateri-

als verlangt. Dieser Forderung können die Ermittler aber nicht nachkommen, da sie sich anderenfalls selbst strafbar machen würden. Dürften sie auf das verfremdete Material zurückgreifen, würde diese Barriere beseitigt. Keinesfalls der Einheitlichkeit der Strafverfolgung förderlich dürfte auch der Umstand sein, dass hierzulande Unterschiede zwischen den nördlichen und den südlichen Bundesländern in der Frage existiert, wann eigentlich exakt ein Fall von sexuellem Missbrauch von Kindern vorliegt. Fachleute berichten, dass in den einzelnen Bundesländern zum Beispiel unterschiedlich definiert werde, was eine Penetration sei. Sie sprechen sich deshalb – neben generell mehr Eingriffsbefugnissen für Ermittler – dringend für eine begriffliche Harmonisierung aus. Und das nicht nur zwischen den jeweiligen Bundesländern in Deutschland, sondern möglichst europaweit. Dies sei umso wichtiger, sofern die Auswertung verdächtiger Datenträger perspektivisch tatsächlich automatisiert erfolgen sollte.

Zu stark in Silos Bisher, so ist aus gut informierten Kreisen zu vernehmen, arbeiteten die einzelnen Polizeien jedoch noch zu häufig in ihren jeweiligen Silos. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit, selbst zwischen unterschiedlichen Dienststellen innerhalb eines Bundeslandes, seien gering. Der Informationsfluss erfolge derzeit nahezu ausschließlich von der örtlich zuständigen Polizeibehörde hin zum jeweiligen Landeskriminalamt (LKA) und von dort weiter zum Bundeskriminalamt (BKA). Dort existiert eine Datenbank für kinderpornografisches Material. In diese würden allerdings nur die Hashwerte der Aufnahmen eingegeben. Außerdem gebe es noch zahlreiche Fälle, die seit Längerem der Eingabe harrten. Informationen zu Ermittlungstaktiken, -ansätzen und -wegen enthalte die Datenbank aber nicht. Gleiches gelte für eventuelle georeferenzierte Daten oder Modi Operandi der Täter, so ein Insider gegenüber dem Behörden Spiegel. Probleme soll es zudem in der Zusammenarbeit zwischen

Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichten geben. Ein Schritt in die richtige Richtung dürfte da die kürzlich eingerichtete Besondere Aufbauorganisation (BAO) beim Polizeipräsidium Köln sein. Dort bearbeiten zahlreiche Polizisten und Staatsanwälte rund um die Uhr Missbrauchsfälle. Und das nicht nur für den Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Köln, sondern landesweit. Zur Einordnung: BAOs werden eigentlich nur bei Großlagen eingerichtet. Dazu gehören unter anderem Terroranschläge oder der G20-Gipfel in Hamburg.

Beschränkung auf Sichtprüfungen? Unter Kritikern der bisherigen Verfolgungspraxis ist des Weiteren die Rede davon, dass in einigen Bundesländern die Auswertung verdächtiger Datenträger nicht durch die Polizei selbst, sondern durch externe Dienstleister erfolge. Die Ermittler selbst würden dann nur noch eine Sichtprüfung der vom Dienstleister generierten Trefferliste vornehmen und einen gerichtsfesten Bildbericht anfertigen. Das habe zwei Nachteile, heißt es. Zum einen würden die Beamten nicht entlastet, da sie die Dateien selbst nochmal betrachten müssten. Zum anderen würden die Hashwerte der Aufnahmen nicht in die BKA-Datenbank einfließen. Dieses Vorgehen soll unter anderem in Bayern gängige Praxis sein. Vom dortigen LKA heißt es, dass die Beauftragung externer Gutachter durch die sachleitende Staatsanwaltschaft oder in deren Auftrag durch die sachbearbeitende, örtliche Polizeidienststelle erfolge. Bei Letzterer – und nicht in der eigenen Dienststelle – finde deshalb auch die Sachbearbeitung der einzelnen Fälle statt. Sexualdelikte seien nicht von den originären LKA-Zuständigkeiten umfasst. Von der bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg angesiedelten “Zentralstelle Cybercrime Bayern” hieß es, dass IT-forensische Gutachten je nach Einzelfall entweder von eigenen IT-Referenten, Polizeidienststellen oder von externen Sachverständigen erstellt würden. Hinsichtlich eines eventuellen Ermittlungshan-

delns der Behörden in Hamburg gehen die dem Behörden Spiegel vorliegenden Informationen unterdessen auseinander. Während es von einem Insider, der anonym bleiben möchte, hieß, dass inkriminierte Datenträger in der Hansestadt nur bis zu einem bestimmten Grenzwert ausgewertet würden, der nach den Erfahrungen der Staatsanwaltschaft aller Voraussicht nach für eine Verurteilung ausreiche, bestritten die zuständigen Behörden das. Von der Generalstaatsanwaltschaft verlautete dazu, dass es keinen wie auch immer gearteten Grenzwert an festgestellten verdächtigen Dateien gebe, bei dessen Erreichen die Auswertung sichergestellter Datenträger abgebrochen werde. Es wurde allerdings eingeräumt, dass in wenigen Einzelfällen der auswertende Gutachter beziehungsweise der analysierende LKA-Mitarbeiter Kontakt mit dem zuständigen Dezernenten bei der Staatsanwaltschaft aufnehme und nachfrage, ob eine Vollauswertung der Datenträger angesichts der erheblichen Menge bereits gefundener strafbarer Dateien noch erforderlich sei. Dies könne theoretisch der Fall sein, wenn bereits 50.000 kinderpornografische Dateien gefunden worden seien, mit einem gewissen Aufwand aber noch eine begrenzte Anzahl gelöschter Dateien wiederhergestellt werden könnte. Hier wäre aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft für das Strafmaß nicht von Relevanz, wenn sich die Anzahl kinderpornografischer Dateien leicht erhöhen würde.

Strafen erhöhen Aber egal, ob die Analyse nun durch Externe erfolgt oder es wirklich Grenzwerte gibt: entscheidend ist etwas anderes. Die Strafen für kinderpornografische Delikte müssen rasch und deutlich erhöht werden. Zudem müssen die Ermittler stärker grenzüberschreitend kooperieren und technisch wie rechtlich in die Lage versetzt werden, mit den Straftätern Schritt zu halten. Und nicht zuletzt dürfen derart verwerfliche Taten gesellschaftlich wie juristisch nicht länger unterschätzt und bagatellisiert werden.

erfassung (AKE) beschlossen worden. Die Technik ist künftig nur noch zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts sowie zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität statthaft.

Verpflichtungsermächtigung gestrichen (BS/por) Die Bundeswehr benötigt einen modernen Schweren Transporthubschrauber (STH). Für dessen Beschaffung sind im Haushaltsentwurf 2020, verteilt auf die Jahre bis 2032, insgesamt 5,6 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Überraschenderweise wurde nun bekannt, dass der Haushaltsentwurf komplett um die Gesamtsumme bereinigt, d. h. gestrichen, wird. Damit verzichtet das BMVg auf die parlamentarische Verpflichtungsermächtigung mit der Begründung, dass im kommenden Jahr kein entsprechender Vertragsabschluss geplant sei. Airbus Helicopters hat keinen eigenen STH im Portfolio. Deshalb kommen eigentlich nur Boeing und Sikorsky als Hersteller infrage. Dafür soll Airbus aber bei Wartung und Weiterentwicklung zum Zuge kommen.

Angebliche Verkaufspläne bei H&K

(BS/por) Beim größten deutschen Handfeuerwaffen-Hersteller Heckler&Koch (H&K) scheint ein Machtkampf um den Aufsichtsrat zu toben. Demnach strebe der bisherige Mehrheitsaktionär Andreas Heeschen einen zusätzlichen Aufsichtsratsposten für sich an. Dies lehnt offenbar der Luxemburger Aktionär, die Beteiligungsfirma “Compagnie de Développement de L‘Eau S.A.” (CDE), ab. Einer der fünf CDE-Verwaltungsräte ist der französischen Investor Nicolas Walewski. Unterdessen ist ein Antrag der CDE auf Abberufung des bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden General a. D. Harald Kujat und eines anderen Ratsmitglieds bekannt geworden. Hintergrund sollen aber in Wirklichkeit Kaufpläne eines Firmenkonglomerats (inkl. CDE) sein, das über mehrere Erdteile verteilt ist – was sicherheitsrelevant werden könnte.


Innere Sicherheit

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as unterstreicht auch Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). Er sagt: “Ressortübergreifende und ganzheitliche Ansätze sind der Schlüssel zur Bekämpfung von Clan-Kriminalität.” Neben polizeilichem Handeln brauche es aus diesem Grunde zudem Wirtschafts- und Finanzkontrollen sowie Überprüfungen durch den Zoll und die Gewerbeämter. Des Weiteren müssten Elemente der Repression und der Prävention miteinander kombiniert werden. Zudem komme es darauf an, entsprechenden kriminellen Aktivitäten länderübergreifend und europaweit zu begegnen. Hierfür brauche es die Unterstützung durch die europäische Polizeibehörde Europol, so Geisel. Aber auch Ausländerbehörden sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) müssen mitwirken, damit solche Fälle wie kürzlich jener des Chefs des Miri-Clans nicht erneut vorkommen

Europol kann unterstützen Seine Behörde verschließe sich dem Kampf gegen Straftaten Angehöriger krimineller Großfamilien keineswegs, unterstreicht Jari Liukku, Head of Serious and Organised Crime Centre bei Europol. Auch er betont die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit und des wirksamen Informationsaustausches im Kampf gegen Organisierte Kriminalität (OK) und Clan-Kriminalität. Europol könne die Nationalstaaten in diesem Bereich effektiv unterstützen. So biete man unter anderem eine sichere Plattform für den Daten- und Informationsaustausch, könne operative und strategische Analysen anbieten, Treffen organisieren und die Staaten technisch unterstützen, erläutert Liukku. Auf die Bedeutsamkeit guter Lagebilder für den Bereich der Clan-Kriminalität verweist die Bundestagsabgeordnete

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Ganzheitlicher Ansatz erforderlich

noch keine bundesweit einheitliche Definition des Phänomens existiert. Seine Behörde habe sich mit den Landeskriminalämtern zwar darauf verständigt, welche Kriterien bei OK-Verfahren erfüllt sein müssten, um sie auch der Clan-Kriminalität zuzuordnen. Was genau Clan-Kriminalität sei, sei allerdings noch nicht einheitlich begrifflich abgegrenzt, muss Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), einräumen. Bekannt sei nur, dass im vergangenen Jahr 45 OK-Verfahren von seiner Behörde auch dem Bereich der ClanKriminalität zugeordnet wurden. Bei 27 dieser Verfahren ging es um arabische Großfamilien. Der Anteil der OK-Verfahren, die ganz offiziell auch Bezüge zur ClanKriminalität aufweisen, ist jedoch noch sehr gering. Er beträgt laut Münch nur 8,5 Prozent. In diesem Phänomenbereich brauche es deshalb noch mehr einheitliches Verständnis, fordert der Chef des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes, Frank Hoever. Auch müsse dort die Expertise der verschiedenen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) noch besser zusammengetragen werden, meint sein Kollege aus Hannover Friedo de Vries.

Clan-Kriminalität muss gemeinsam bekämpft werden (BS/Marco Feldmann) Soll der Rechtsstaat auch gegenüber Angehörigen krimineller Großfamilien, sogenannter Clans, effektiv durchgesetzt werden, müssen zahlreiche Behörden zusammenarbeiten. Ansonsten kann die Gefahr von No-go-Areas und Parallelstrukturen nicht wirksam eingedämmt werden. Alle staatlichen Akteure müssen zwingend an einem Strang ziehen.

Im Kampf gegen kriminelle Großfamilien müssen zahlreiche Puzzleteile ineinandergreifen. Es braucht das gemeinsame, koordinierte Vorgehen mehrerer ­Behörden auf den unterschiedlichsten Ebenen. Hierfür ist jedoch auch ein gemeinsames Problemverständnis erforderlich. Foto: BS/ Khunatorn , stock.adobe.com

Susanne Mittag (ebenfalls SPD). Hier gebe es noch Nachholbedarf, da Clan-Kriminalität als Phänomen lange Zeit unterschätzt worden sei, meint die Polizeibeamtin. Neben der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) brauche es auch einen Periodischen Sicherheitsbericht, der alle zwei Jahre erscheinen sollte, fordert die Sozialdemokratin. Auch sie verlangt eine ganzheitliche und systematische Bekämpfung von Clan-Kriminalität.

Befugnisse ausweiten Dieser Ansatz werde in der Bundeshauptstadt bereits verfolgt, meint die dortige Polizeipräsidentin. Es werde schon mit gebündelten Kompetenzen und ressortübergreifend vorgegangen, verdeutlicht Dr. Barbara Slowik. Ähnliches ist vom Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln,

Martin Hikel (ebenfalls SPD), zu hören. Dennoch gestalteten sich Ermittlungsverfahren gegen ClanKriminelle oftmals sehr schwierig, erläutert der Berliner Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra. So würden oftmals Zeugen massiv beeinflusst und eingeschüchtert. Es habe inzwischen sogar Fälle gegeben, in denen Rechtsanwälte die Vertretung von Opfern von Clan-Kriminalität abgelehnt hätten, nachdem ihnen der Name der jeweiligen Großfamilie genannt worden sei. Auch sei das Einschleusen verdeckter Ermittler unmöglich, da die Großfamilien in ihren Strukturen absolut abgeschottet seien. Kamstra fordert deshalb einen besseren Zeugenschutz und mehr Kompetenzen für die Ermittlungsbehörden. So sollten Observationen und Maßnahmen

4 . – 5 . Februar 2020

der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) deutlich erleichtert werden. Es brauche unter anderem eine Ausweitung der akustischen Wohnraumüberwachung und eine komplette Beweislast­ umkehr bei der Vermögensabschöpfung. In Italien sei das bei Mafiaverfahren bereits der Fall, so Kamstra. In Deutschland existiere bisher nur eine Beweislasterleichterung, heißt es aus dem polizeilichen Bereich. Demnach kann gemäß § 76a Absatz 4 Strafgesetzbuch (StGB) ein “aus einer rechtswidrigen Tat herrührender Gegenstand […] auch dann selbständig eingezogen werden, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann”. Dies ist unter anderem bei der Bildung krimineller Vereinigungen, bestimmten Fällen der

Steuerhinterziehung sowie bei gewissen betäubungsrechtlichen Delikten der Fall.

Oft noch ein Hindernis Oberstaatsanwalt Kamstra findet: “Wir müssen uns im repressiven Bereich weiterentwickeln. Die Kriminalität bleibt nicht stehen.” Problematisch sei allerdings, dass das Steuergeheimnis momentan noch in zahlreichen Fällen einen effektiven Datenaustausch zwischen den einzelnen Behörden erschwere. Das kann auch André Brakrock von der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen nicht gänzlich abstreiten. Er macht jedoch darauf aufmerksam, dass die Abgabenordnung einen Informationsaustausch nicht gänzlich verbiete. Ebenfalls problematisch im Kampf gegen Clan-Kriminalität ist der Umstand, dass bisher

Nicht immer ö ­ ffentlich Es bleibt folglich noch einiges zu tun, auch wenn Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bereits Lagebilder zur Clan-Kriminalität erstellt haben. Aber auch hier ist das Vorgehen nicht einheitlich. Während das Lagebild im bevölkerungsreichsten Bundesland öffentlich gemacht wurde, ist es in Niedersachsen weiterhin als Verschlusssache gekennzeichnet. Und in Berlin halten Teile einer die Landesregierung tragenden Partei – die Linken – den Begriff Clan-Kriminalität für perse diskriminierend.

Europa: Rechtsstaat durchsetzen

Referenten 2020, u. a.

Horst Seehofer Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat Quelle: Henning Schacht

Michael O’Flaherty Direktor der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte

Fabrice Leggeri, Exekutivdirektor Frontex Quelle: Tomek Pikula

Quelle: Vogus

Holger Münch Präsident Bundeskriminalamt Quelle: BS/Dombrowsky

www.europaeischer-polizeikongress.de


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Dezember 2019

Z

ugleich forderte der Vorsitzende des Arbeitskreises IV der Innenministerkonferenz (IMK), dessen Mitglieder sich mit Verfassungsschutzangelegenheiten befassen, mit Blick auf seine Behörde und die übrigen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern: “Wir, das Frühwarnsystem, müssen in allen materiellen, technischen und personellen Bereichen mit den Gegnern unserer Demokratie mithalten können.” Dies gelte unabhängig vom Phänomenbereich, also für Linksund Rechtsextremismus sowie Islamismus gleichermaßen. Folglich müssten die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), und speziell die Dienste, in der Lage sein, sich auf unterschiedlichste Motivationen, Radikalisierungen, Netzwerke sowie einzelne radikale Täter in der realen und der virtuellen Welt einzustellen.

Entgrenzung nimmt immer weiter zu Voß warnte auf der Nachrichtendienstkonferenz des Behörden Spiegel in Berlin zudem vor einer zunehmenden Entgrenzung in allen vom Verfassungsschutz beobachteten Phänomenbereichen. Vor allem, aber nicht nur, im Linksextremismus sei eine immer stärkere, gezielte Auflösung der Grenzen zwischen dem extremistischen und dem nicht-extremistischen Spek­ trum zu konstatieren. Das berge die Gefahr des Einsickerns extremistischer Auffassungen in Demokratie, Debatten und Diskurse. Umso wichtiger sei die Frühwarnfunktion des Verfassungsschutzes, so Voß. Von erheblicher Bedeutung sei zudem die Harmonisierung der Rechtsgrundlagen und -rahmen der einzelnen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. Hier komme es unter anderem auf eine Vereinheitlichung der Bestimmungen zum Einsatz

Frühwarnsystem muss mithalten können Verfassungsschutz mit zeitgemäßen Befugnissen ausstatten (BS/Marco Feldmann) Das Agieren als Frühwarnsystem ist die vornehmste Aufgabe des Verfassungsschutzes. Auf diese Funktion könne und dürfe nicht verzichtet werden. Das macht der Chef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Torsten Voß, deutlich. menschlicher Quellen an, meinte der Chef des LfV Hamburg. Bisher existierten noch sehr unterschiedliche Regelungen zur Speicherung von Erkenntnissen und Berichtsmöglichkeiten für

Der Leiter des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Torsten Voß, unterstrich die Wichtigkeit des Inlandsnachrichtendienstes als Frühwarnsystem. Zudem warnte er vor einem zunehmenden Entgrenzungsprozess.

die Verfassungsschutzbehörden. Voß erachtet ein Musterverfassungsschutzgesetz zwar für wünschenswert, hält es derzeit aber für politisch kaum umsetzbar.

Polizei und Nachrichtendienste notwendig Der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) im Deutschen Bundestag, Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), plädierte für mehr wissenschaftliches Personal bei den Verfassungsschutzbehörden. Außerdem machte er klar, dass ein wehrhafter Rechtsstaat Polizei und Nachrichtendienste benötige. Jürgen Storbeck, ehemaliger Direktor des europäischen Polizeiamtes Europol, verlangte von der Politik, mehr in die Zukunft zu schauen und sich weniger mit der Vergangenheitsbewältigung aufzuhalten.

Kritischer als von Notz zeigte sich Dr. André Hahn, Bundestagsabgeordneter der Linken und PKGr-Mitglied. Er vertrat die Auffassung, dass es nicht mehr staatliche Überwachung brauche, sofern damit eine weitere Einschränkung von Freiheitsrechten einhergehe. Wichtiger ist es aus seiner Sicht, zu prüfen, wie effektiv einzelne nachrichtendienstliche Instrumente sind. Das gelte insbesondere für den Einsatz von Vertrauensleuten und die Nutzung sogenannter “Staatstrojaner”.

Detektion teilweise problematisch Nachrichtendienste agierten teilweise als Seismografen, unterstrich Dr. Maik Pawlowsky, Abteilungsleiter für Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Dies gelte insbesondere in Hinblick auf die Detektion hybrider Bedrohungen. Deren Zahl nehme kontinuierlich zu und sie kämen für die Bundesrepublik vor allem aus Russland, der Volksrepublik China und der Türkei. Problematisch an solchen Aktivitäten sei, dass sie oftmals unterhalb der Schwelle der Wahrnehmbarkeit und Zuordenbarkeit stattfänden. Dies gelte speziell für Attacken aus dem digitalen Raum sowie Desinformationskampagnen. Hier sei es für die Nachrichtendienste nicht immer einfach, die Urheber eindeutig zu detektieren und zu attribuieren, räumte Pawlowsky ein. Denn: “Es gibt viele Instrumente der hybriden Einflussnahme, die kontinuierlich weiterentwickelt

Neue Wege gehen Nachrichtendienstliches Zentrum eingeweiht (BS/mfe) In Berlin bilden der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) künftig gemeinsam und unter einem Dach aus. Dafür ist das neue Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung (ZNAF) offiziell eingeweiht worden. Seinen Betrieb aufgenommen hatte es bereits im Oktober vergangenen Jahres. Gemeinsam durchgeführt werden sowohl die Laufbahnausbildungen für den mittleren als auch für den gehobenen und den höheren Dienst. Das ZNAF gilt als Herzstück der Personalentwicklung beider Dienste. D ­ ort soll das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen dienste­spezifischen Aufgaben und Arbeitsweisen gefördert werden. Der Unterricht der Auszubildenden und Studierenden erfolgt sowohl getrennt nach der Zugehörigkeit zu BND oder BfV als auch gemeinsam. Dies ermöglicht – je nach geplanter späterer Verwendung – unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. So weisen etwa die Ausbildung oder das Studium für eine künftige Arbeit im BND einen stärkeren Sprachbezug auf als jene für eine spätere Verwendung im BfV.

Vorbehalte abbauen Zugleich ermöglicht es dieser Ansatz, dass die Auszubildenden und Studierenden am Ende ihrer Zeit am ZNAF auch die Aufgaben und Arbeitsweisen des jeweils anderen Dienstes kennen. Dies solle auch zu einem Mentalitätswechsel beitragen, hieß es. Schließlich gebe es in Teilen beider Nachrichtendienste immer noch Vorbehalte gegen eine gemeinsame operative Ausbildung. Weitere Ziele, die mit der Einrichtung des ZNAF einhergehen, sind die Verschränkung von Theorie und Praxis durch eine praxisorientiere und the-

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oretisch fundierte Ausbildung, die Schaffung einer Plattform für den Austausch des nachrichtendienstlichen Nachwuchses und das Leisten eines Beitrages zur konzeptionellen Weiterentwicklung von BND und BfV.

2007 vom Vertrauensgremium des Deutschen Bundestages gefordert wurde, soll in Zukunft über 20 Professuren und rund 50 Fachlehrer verfügen. Noch sind aufgrund langwieriger ­Berufungsverfahren allerdings nicht alle Lehrstühle besetzt. Am ­ZNAF finden auch die Berliner Anteile des Master-Studiengangs “Intelligence and Security Studies” statt.

Ausbildung stärker integriert

Im ZNAF in Berlin bilden BND und BfV gemeinsam aus. Foto: BS/Bundesnachrichtendienst

Das ZNAF versteht sich dabei selbst als Dienstleister für die beiden Nachrichtendienste. Ähnliche Einrichtungen gibt es im Ausland kaum.

Noch nicht alle Professuren besetzt Die Einrichtung, deren Fachund Rechtsaufsicht von Bundesinnenministerium (BMI) und Bundeskanzleramt gemeinsam wahrgenommen wird, wird durch einen Mitarbeiter des BND geleitet. Den Stellvertreterposten besetzt immer das BfV. Da zwei Referate des ZNAF nur für BNDspezifische Aus- und Fortbildung zuständig sind, werden drei der vier ZNAF-Referate vom Auslandsnachrichtendienst geleitet und nur eines vom BfV. Das ZNAF, dessen Schaffung bereits

BND-Präsident Dr. Bruno Kahl sagte bei der Einweihung: “Das ZNAF liefert den Nachrichtendiensten ihre wichtigste Ressource: Hervorragend ausgebildetes und hochmotiviertes Personal, das optimal auf seine künftigen Aufgaben vorbereitet ist.” Gute und innovative Ideen für die nachrichtendienstliche Arbeit entstünden vor allem durch eine Verschränkung von Theorie und Praxis. Über die Aus- und Fortbildung hinaus trage das ZNAF auch zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Praxis bei. Und BfV-Präsident Thomas Haldenwang ergänzte: “Mit dem ZNAF leisten BfV und BND einen wesentlichen Beitrag zu einer stärker integrierten Ausbildung der Nachrichtendienste in Deutschland. Eine gemeinsame und moderne Ausbildung, die sich an den Erfordernissen der digitalisierten Welt orientiert, ist gerade angesichts immer weiter vernetzter Bedrohungen wichtiger als je zuvor.”

werden.” Ähnlich äußerte sich Dr. Andreas Fahrner, Abteilungsleiter im Bundesnachrichtendienst (BND). Hybride Maßnahmen seien dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl durch staatliche als auch durch nicht-staatliche Akteure nicht offen erfolgten, langfristig angelegt seien und zentral koordiniert würden. Dabei hätten Desinformationskampagnen die Durchsetzung eigener Ziele bei einem gleichzeitig sehr geringen betriebswirtschaftlichen Aufwand zum Ziel.

österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Sein Amt sei Sicherheitspolizei – teilweise auch mit nachrichtendienstlichem Charakter – und Kriminalpolizei in einem, so BVT-Direktor Mag. Peter Gridling. Er legte aber Wert auf die Feststellung, dass das BVT, welches der Kontrolle verschiedener Institutionen unterliegt, rechtlich kein Nach-

chen eingesetzt werden könnten, die Professionalisierung der Intelligence-Ausbildung und die Standardisierung sowie die Vernetzung mit der Praxis. Das erläuterte Prof. Dr. JanHendrik Dietrich. Der Direktor des Centers for Intelligence and Security Studies an der Universität der Bundeswehr München und Leiter des Fachbereichs Nachrichtendienste an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung erklärte, dass es zudem darum gehe, die Studierenden mit einem kritischen Reflexionsvermögen auszustatten. Sein Kollege Prof. Dr. Uwe M. Borghoff ergänzte, dass es beim Studiengang bewusst keine Altersbeschränkung gebe und

Deutschland in einem “neuen Informationskrieg” Angesichts eines “neuen Informationskrieges”, bei dem es sich um eine Waffe handele, “der sich unsere Gegner regelmäßig bedienen”, sei die Reaktionsgeschwindigkeit des Staates von entscheidender Bedeutung. Fahrner unterstrich: “Man muss sehr zeitnah dagegenhalten können.” Wichtig seien in diesem Zusammenhang unter anderem eine ausreichende Sensibilisierung der Bevölkerung für die Gefahren hybrider Bedrohungen, die rasche Attribution und Detektion von Desinformationskampagnen sowie die noch intensivere Vernetzung aller Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Attacken auf Netze und Informationssysteme würden aber immer noch sehr oft erst nach mehreren Monaten entdeckt, warnte der Leiter der Spionageabwehr im Land Berlin, Prof. Dr. Helmut Müller-Enbergs. Die Spionageabwehr in Deutschland sei momentan zu schwach, weshalb die latente Gefahr von Know-howVerlust bestehe.

Auf die Vernetzung kommt es an Ebenso wie Fahrner unterstrich auch der Präsident des Bundesamtes für Ausfuhr und Wirtschaftskontrolle (BAFA), Torsten Safarik, die Bedeutsamkeit einer engen Zusammenarbeit der BOS. Und das nicht mehr nur im Bereich der Exportkontrolle, sondern etwa auch bei der Vergabe von Visa an ausländische (Nachwuchs-)Wissenschaftler. Nur mit Vernetzung ließe sich der unberechtigte Abfluss von Know-how aus Deutschland verhindern. Oder mit dem Ansatz einer Hybridorganisation wie dem

Debattierten über die zukünftige Arbeit von Nachrichtendiensten (v.l.n.r.): Jürgen Storbeck, Dr. André Hahn, Dr. August Hanning (Moderator) und Dr. Konstantin von Notz. Fotos: BS/Feldmann

richtendienst sei. Vielmehr ist das Bundesamt Teil der österreichischen Polizei.

Eigenen Studiengang eingerichtet Neben der Kooperation der unterschiedlichen Behörden kommt es entscheidend auf deren Befugnisse an. Diese müssten ständig fortentwickelt und angepasst werden, findet Andreas Könen, Abteilungsleiter für IT und CyberSicherheit im Bundesinnenministerium (BMI). In der digitalen Welt müsse das gleiche Recht gelten wie im analogen Raum. Dies sei jedoch noch nicht der Fall. Mit Blick auf das Digitale meinte Könen: “Wir brauchen hier mehr Fähigkeiten.” Dies gelte speziell für die IT-Forensik und den Bereich der Dekodierung. Abhilfe könnten diesbezüglich möglicherweise die Absolventen des Masterstudienganges “Intelligence and Security Studies” an der Universität der Bundeswehr in München und der Hochschule des Bundes schaffen. Ziele des Studienganges seien die Ausbildung von IntelligenceGeneralisten, die später in allen nachrichtendienstlichen Berei-

die Studierendenschaft sehr heterogen sei. Es handele sich um einen klassischen, viersemestrigen Master-Studiengang mit 120 Leistungspunkten. Bis 2021 solle die Zahl der Studierenden kontinuierlich erhöht werden. Mittelfristig sei möglicherweise sogar eine Öffnung für Angehörige ausländischer Nachrichtendienste denkbar. Entscheidungen hierzu seien aber noch nicht gefallen, so Borghoff.

Ohne operative Befugnisse Von der Europäischen Union hingegen dürfte keine Unterstützung zu erwarten sein. Denn diese spiele im nachrichtendienstlichen Bereich bisher nur eine untergeordnete Rolle. So nähmen die entsprechenden Zusammenschlüsse in der Staatengemeinschaft nur eine strategisch-auswertende Rolle ein. Sie würden weder selbst operativ tätig noch verfügten sie über eine eigenständige Kompetenz zum Sammeln von Informationen, erläuterte Dr. Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dieses Themenfeld sei den Mitgliedsstaaten vorbehalten.


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

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Nützliche Hilfe für die Polizei

Foto: BS/GdP-Bezirk Bundespolizei

Kommentar

Moderne Technik erfordert jedoch kontinuierliche Weiterbildung

Aus- und Fortbildung stärken Jörg Radek ist Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei innerhalb der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und stellvertretender GdP-Bundesvorsitzender.

(BS) Die Bundespolizeiakademie in Lübeck ist, mit ihren inzwischen in ganz Deutschland dislozierten Einrichtungen, verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in der Bundespolizei. Mit ihrem breiten Aufgabenspektrum, mit ausgeprägten Spezialisierungen bis hin zur Bewältigung von terroristischen Lagen, ist sie ein wichtiger Baustein in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands. Diese Vielfalt macht die ohnehin schon großen Herausforderungen für das eingesetzte Personal in der Aus- und Fortbildung deutlich.

Organisation nicht genügend mitgewachsen Dazu kommt: Der Demografie und den nicht unerheblichen Ruhestandsdaten trotzend hat die Politik seit 2015 einen enormen Zuwachs von 9.200 Stellen für die Bundespolizei geschaffen – bis 2021 sind weitere 3.500 Stellen vereinbart. Und erst kürzlich hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) noch einmal zusätzliche 11.300 Stellen bis 2025 angekündigt. Mit dieser eingeleiteten Einstellungsoffensive wird eine zentrale Forderung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zur Entlastung des eingesetzten Personals umgesetzt. Der damit verbundene geplante Stellenaufbau ist das einzig richtige Signal an die Kolleginnen und Kollegen. Doch so wichtig und richtig diese Entwicklung für die Bundespolizei auch ist – sie bringt die gesamte Aus- und Fortbildungsorganisation immer mehr an den Rand

des Möglichen. Im Klartext: Das Ausbildungsvolumen hat sich in den vergangenen zehn Jahren, bei stagnierender Fortbildung, verfünffacht. Aus einer kurzfristigen Einstellungsoffensive hat sich ein nachhaltiger Bedarf bis mindestens zum Jahr 2030 entwickelt. Die Organisation ist, gemessen an der Aufgabenstellung, jedoch nicht ausreichend mitgewachsen. Für die GdP ist klar: Zur Fortführung dieser wichtigen Einstellungsoffensive müssen jetzt dringend nachhaltige Maßnahmen zur Konsolidierung eingeleitet werden. So muss der “Übergangs”-Orga­ni­ sations- und Dienstpostenplan (ODP) der Lebenswirklichkeit angepasst werden. Eine Auf­ stockung von qualifiziertem Lehr- und Rahmenpersonal ist dringend erforderlich. Die zunehmende personelle Unterdeckung betrifft inzwischen alle Bereiche der Bundespolizeiakademie, die Hochschule des Bundes mit seinem Fachbereich Bundespolizei sowie alle Aus- und Fortbildungszentren. Wir sprechen inzwischen von bis zu 1.600 Lehrpersonen und begleitendem Rahmenpersonal. Der Engpass führt dazu, dass bundesweit Personal aus den Dienststellen zur Unterstützung freigegeben wird, das dort eigentlich dringend benötigt wird.

Dienstposten und Stellen neu bewerten Dringend muss zudem die Attraktivität durch Neubewertung von Dienstposten und Stellen gesteigert werden. Dazu ge-

hören eine leistungsgerechte Besoldung / Vergütung für die Kolleginnen und Kollegen in der Aus- und Fortbildungsorganisation. Das Lehrpersonal wird zunehmend bei den Beförderungen gegenüber den Einsatzdirektionen abgekoppelt. Im Verwaltungsbereich ist eine Bezahlung auf dem Niveau heutiger Bildungsabschlüsse erforderlich. Der Tarifbereich ist durch zu niedrige Löhne nicht mehr wettbewerbsfähig. In diesem Zusammenhang ist es ein wichtiges Anliegen: Die Zeit von befristeten Beschäftigungsverhältnissen muss endlich beendet werden.

Liegenschaften nicht auf Verschleiß fahren Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Modernisierung und Anpassung der Bausubstanz der Liegenschaften. Hier besteht ein massiver Modernisierungsstau bei den Bestandsbauten, zum Beispiel im Bereich der Unterkunftswohnplätze, Büroarbeitsplätze, Trainingsstätten und Sozialräume. Diese bedürfen der Sanierung oder müssen neu errichtet werden. Der Aufbau nicht vorhandener Fortbildungsstätten, zum Beispiel für das Training bei lebensbedrohlichen Einsatzlagen, ist endlich anzugehen. Die Liegenschaften dürfen nicht weiterhin auf Verschleiß gefahren werden. Hier fordern wir als GdP-Bezirk Bundespolizei zeitnahe politische Entscheidungen, Verbindlichkeiten und gestraffte Bauverfahren.

Wichtiges Element Seecontainer hilfreich für den Katastrophenschutz (BS/Marisa Lutter*) Seecontainer erfüllen im Ernstfall diverse Schutzfunktionen. So lassen sie sich zum Splitterschutz bei Bombenfunden und Entschärfungen einsetzen, um den Evakuierungsradius signifikant zu verkleinern. Auch als Lärmschutzwände bei Großveranstaltungen eignen sie sich. Dabei haben sie viele Vorteile und sind eine sichere wie günstige Lösung. Das zeigte sich am

27. und 28. August auf dem Europäischen Katastrophenschutzkongress in Berlin, bei

dem sich jährlich rund 500 Experten und Behörden aus mehr als 40 Nationen über den Schutz der Bevölkerung austauschen. Es wird eine enge und erfolgreiche Zusammenarbeit gefördert. Ein von Bloedorn Container Dortmund speziell ausgestatteter Rüstcontainer offenbarte dort, welchen Beitrag er zum Bevölkerungsschutz leistet und wie die Feuerwehr vor Ort mit dem nötigen Werkzeug beim Befüllen der Container mit je 24.000 Litern Wasser unterstützt wird. So sind Container flexibel und unkompliziert nutzbar. Weitere Informationen unter: www.bloedorn-container.de

Bloedorn stellte seine Containerlösungen auch auf dem diesjährigen Europäischen Katastrophenschutzkongress des Behörden Spiegel in Berlin vor (Foto). Foto: BS/Bloedorn

Behörden Spiegel / Dezember 2019

*Marisa Lutter ist für Bloedorn im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

Seecontainer als Lärmschutz Finden Großveranstaltungen statt, bedeutet dies für Anwohner eine hohe Geräuschkulisse und für die Stadt Beschwerden. Die Bloedorn Container GmbH liefert deutschlandweit Seecontainer, die als effektiver Lärmschutz eingesetzt werden. Der Aufbau erfolgt schnell und unkompliziert. Auch die Kosten sind gering. Geeignet sind die Container für Veranstaltungen, aber ebenso als Lärmschutz auf Baustellen. Informationen zu den Seecontainern gibt es auf www.bloedorn-container.de

(BS/Marco Feldmann) Beim Einsatz von Technik braucht es – auch bei der Polizei – ein lebenslanges Lernen der Beamten. Außerdem gehe mit Modernisierungsvorhaben immer auch ein erheblicher Aus- und Fortbildungsbedarf einher. Das betonte Peter Schall, bayerischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Dies habe sich im Freistaat unter anderem bei der Umrüstung der Landespolizei auf eine neue Dienstpistole in diesem Jahr gezeigt. Auch die neuartige ballistische Schutzausstattung sowie der Einsatz von Bodycams und eines neuen Reizstoffsprühgeräts hätten 2019 beübt werden müssen. Dieser hohe Aufwand habe zwei Folgen, warnte Schall. Zum einen stünden die Vollzugsbeamten, die sich gerade in der Fortbildung befänden, auf der Straße nicht zur Verfügung. Zum anderen erreichten die Fortbildungseinrichtungen der bayerischen Polizei inzwischen ihre Kapazitätsgrenzen. Schall findet: “Nicht immer ist alles Neue unbedingt besser.”

Datenschutz setzt Grenzen

Der Staatsekretär im bayerischen ­Innenministerium, Gerhard Eck, lobte die Vorzüge moderner Technik. Fotos: BS/Feldmann

bewährt hätten. Ihr Einsatz trage objektiv zum Schutz der Beamten bei und erleichtere die Ahndung und Aufklärung von Straftaten. Gleiches gelte für die Bilder aus der biometrischen Gesichtserkennung.

Hinzu kommt, dass nicht alles, was technisch derzeit möglich ist, juristisch auch erlaubt ist. Das unterstrich der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte, Prof. Dr. Thomas Petri, auf dem Polizeitag von Behörden Spiegel und GdP in München. Schließlich dürften Daten nur zweckgebunden erhoben und verarbeitet werden. Dies werde bei der Auswertung von Datenbanken mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) noch zu Streit und Schwierigkeiten führen, zeigte er sich überzeugt. Bereits jetzt gelte mit Blick auf die Polizei: “Wir erzeugen in riesigem Maße Datenfriedhöfe.” Diese würden für die polizeiliche Arbeit in aller Regel jedoch überhaupt nicht in diesem Ausmaß und der existierenden Tiefe benötigt, findet Petri. Als einen weiteren Trend identifizierte Petri die Verarbeitung von Massendaten, etwa im Rahmen der automatisierten Kennzeichenerfassung, der smarten Videoüberwachung oder der Vorratsdatenspeicherung. Darüber hinaus gebe es bei der Polizei eine zunehmende Analysetiefe. Das werde vor allem bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und der OnlineDurchsuchung erkennbar. Dabei bietet moderne Technik bei der bayerischen Polizei ein gewaltiges Potenzial. Dies gelte insbesondere für Mobile Police, so Georg Ringmayr. Er ist im Münchner Innenministerium als Sachgebietsleitung IuK der bayerischen Polizei tätig.

tioniere, seien die Einheitlichkeit und die Verlässlichkeit beim Einsatzmanagement von entscheidender Bedeutung. Ein integraler Bestandteil des Konzeptes sei zudem der BOS-Digitalfunk, unterstrich Ringmayr. Bayern sei hinsichtlich Mobile Police “Marktführer” in Deutschland. Die Landespolizei verfüge derzeit bereits über 30.000 Endgeräte für den BOS-Digitalfunk, 10.000 iPhones, die mit speziellen polizeilichen Applikationen ausgestattet seien, sowie 3.500 Notebooks und 2.000 Convertibles. Hinzu kämen die Verfügbarkeit von WLAN in allen Polizeidienststellen und eine eigene App-Entwicklungsgemeinschaft der Polizei, erläuterte Ringmayr.

Potenzial vorhanden

Beobachtung intensiviert

Aufgrund der möglichen Synergien dieses Ansatzes sei im Freistaat ein einschlägiges Konzept entwickelt worden. Es umfasse verschiedene Elemente. Dazu gehörten unter anderem @ communication (Kommunikation mithilfe des BOS-Digitalfunks), @car (Ausstattung von Polizeifahrzeugen mit Tablets und Convertibles), @work (mobile Sachverhaltserfassung) und @ information (Öffentlichkeitsarbeit). Damit Mobile Police funk-

Ein noch intensiveres Zurückgreifen auf Technik kündigte der Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, Gerhard Eck, an. So werde die Polizei die Videoüberwachung im Freistaat ausbauen. Dies werde allerdings nur dort erfolgen, wo es für die Sicherheit der Bürger erforderlich sei. Mit Blick auf Bodycams, die künftig landesweit im Einsatz sein werden, meinte Eck, dass sie sich aufgrund ihrer eindeutig deeskalierenden Wirkungen

Nicht nur für deren effektive Analyse brauche es IT-Fachkräfte. Doch diese seien für den Öffentlichen Dienst nicht leicht zu gewinnen. Um bei der Anwerbung dennoch erfolgreich zu sein, müssten Polizeibehörden zwingend auch auf proaktive Werbung setzen. Ein solcher Ansatz erhöhe die Interessenten- und Bewerberzahlen bis um das Vierfache. Darauf wies Rainer Kasecker, Leiter des Projektes “Werbeoffensive IuK” der Bayerischen Polizei, hin.Denn die Art des Rekrutierungsverfahrens beeinflusse die Entscheidung für einen IT-Arbeitgeber mindestens genauso stark wie dessen Bekanntheit und Attraktivität. Kasecker plädierte für die Einrichtung einer zentralen Marketingverantwortung bei der Bayerischen Polizei. Denn ohne eine solche beginne jedes Werbeprojekt von vorne und verursache sich stets wiederholende Aufwände und Kosten. Was technisch alles bereits möglich ist, erläuterten zahlreiche Industrievertreter. So sprach Christian Scherf von Axon Public Safety über die Potenziale von Körperkameras und Distanzelektroimpulsgeräten. Julian Schwerdtfeger von der secunet AG widmete sich der Fortentwicklung mobiler Polizei-Applikationen, während Christian Nentwig von Ulbrichts auf Möglichkeiten des Kopfschutzes einging. Adrian Jochum von KRD sprach über Fahrzeugschutz im europäischen Vergleich und Ramon Mörl über digitale Datenwäsche. Peter Zontek von Cellebrite erläuterte Massendatenanalyemöglichkeiten. Michael Hohensee und Leendert Kollmer von SAS erklärten Tools zur verfahrensübergreifenden Analyse und Recherche.

schwimmen würden. Dies sei insbesondere im Rahmen der Bearbeitung von Gefährdersachverhalten festzustellen. Mihalic hält die Einrichtung für ein “Provisorium”. Dessen Hauptproblem sei, dass dort jede der beteiligten Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) auf ihrer eigenen rechtlichen Grundlage arbeite. Dadurch bleibe oftmals allerdings unklar, wer in einem konkreten Fall “den Hut aufhat”. Aus diesem Grunde brauche es dringend eine Verrechtlichung der GTAZArbeit. Mayer hält einen solchen Schritt nicht für notwendig. Aus

seiner Sicht reiche das vorhandene Trennungsgebot zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten aus. Ebenfalls unterschiedliche Meinungen gibt es mit Blick auf den Begriff der “drohenden Gefahr”, wie er im bayerischen Polizeiaufgabengesetz zu finden ist. Während Mayer diesen Terminus verteidigt, hält Prof. Dr. Thorsten Kingreen ihn für nicht haltbar. Der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Regensburg bemängelt, dass die “drohende Gefahr” nicht nur auf die Abwehr terroristischer Straftaten begrenzt sei.

Proaktiv herangehen

Präsentierte das Konzept “Mobile Police”: Georg Ringmayr. Dieses umfasst verschiedene Elemente, darunter unter anderem @communication (Kommunikation mithilfe des BOS-Digitalfunks).

MELDUNG

Dissonanz über GTAZ (BS/mfe) Über die Frage, ob es einer Verrechtlichung der Arbeit im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) bedarf, herrscht Streit zwischen Bundesregierung und Opposition. Während die Innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Dr. Irene Mihalic, genau dies fordert, sieht der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, Stephan Mayer (CSU), dafür keine Notwendigkeit. Mihalic kritisiert, dass insbesondere im GTAZ die Grenzen zwischen polizeilicher und nachrichtendienstlicher Arbeit ver-


Behörden Spiegel / Dezember 2019

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Berliner Sicherheitskonferenz U

m die größere Verantwortung auch tatsächlich wahrnehmen zu können, müssten vorhandene Kapazitäten und Ressourcen erhöht und ausgebaut werden. Zudem fordert Minister Guerini: “Wir müssen unsere Kräfte bündeln und gemeinsam Lösungen entwickeln.” Dafür sei es vonnöten, Ressourcen stärker als bisher zu konzentrieren. Des Weiteren müssten politische Entscheidungen rascher gefällt werden als bisher. Und, so der Ressortchef aus Rom: “Wir müssen synergetisch und gemeinsam handeln.” Dafür brauche es einen partnerschaftlichen, kooperativen Ansatz. Insbesondere angesichts des zunehmenden Zusammenwirkens zwischen herkömmlichen, traditionellen Gefahren einerseits und neuen asymmetrischen und hybriden Bedrohungen andererseits. Eine derartige gemeinschaftliche Herangehensweise sei auch für die Arbeit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erforderlich, ergänzt der slowakische Außenminister und derzeitige OSZE-Vorsitzende, Miroslav Lajčák. Denn: “Die OSZE bildet eine Plattform für Deeskalationsgespräche.” Und dies nicht nur im weiter schwelenden Ukraine-Konflikt auf der Halbinsel Krim, sondern auch in zahlreichen anderen Regionen Europas. Damit die Organisation allerdings wirksam werden könne, sei sie entscheidend auf die Regeleinhaltung all ihrer Mitgliedsnationen angewiesen. In diesem Zusammenhang zeigt sich Minister Lajčák überzeugt: “Niemand schafft es allein, die Sicherheit aller zu gewährleisten.” Die OSZE sei – ungeachtet des Übergangs von einer bi- in eine multipolare Welt – weiterhin von großer Bedeutung.

Übers Militärische hinaus Diese Aussage ihres slowakischen Amtskollegen unterstreicht die norwegische Außenministerin Ine Marie Eriksen Søreide mit Blick auf die Atlantische Allianz ebenfalls. Die Ressortchefin aus Oslo macht deutlich, dass das Bündnis ohne Unterstützung durch die Vereinigten Staaten nicht vorstellbar sei. Die europäische Sicherheit sei weiterhin untrennbar mit der transatlantischen Partnerschaft verbunden. Zumal, so Ministerin Søreide: “Die NATO ist mehr als nur ein militärisches Bündnis.” Grundlage des Bündnisses sei vielmehr die politische Einheit. Die Politikerin verlangte: “Die Einheit und Kohäsion der ­NATO müssen erhalten werden.” Ein starkes transatlantisches Bündnis sei aus militärischen und politischen Gründen unbedingt erforderlich. Von einer fragmentierten Sicherheitslandschaft profitiere niemand, betont die Ministerin.

Mehr Verantwortung übernehmen Europa muss sich noch stärker einbringen und beteiligen (BS/Marco Feldmann, Dr. Gerd Portugall) Europas Engagement in der Welt, unter anderem in internationalen Friedensmissionen, reiche noch nicht aus. Hier sei noch Luft nach oben. Das meint der italienische Verteidigungsminister Lorenzo Guerini bei der Eröffnung der diesjährigen Berliner Sicherheitskonferenz (engl. BSC). Als Vertreter des diesjährigen Partnerlandes Italien fordert er die Regierungen des Kontinents auf, selbst noch mehr sicherheitspolitische Verantwortung zu tragen. “Wir müssen omnipräsent sein”, verlangt der Ressortchef.

Vereinten Nationen im Einsatz gewesen sei. Im kommenden Jahr werde sie im Irak stationiert. Als besonders hilfreich betrachtet General Vezzoli die hochflexible Struktur seiner Brigade, an der neben Italien auch Slowenien und Ungarn im Rahmen der “Multinational Land Force” (MLF) beteiligt sind. Sie erleichtere die Integration unterschiedlichster Truppenteile aus verschiedenen Nationen erheblich. Brigadegeneral Attila Takács, Oberbefehlshaber der ungarischen Landstreitkräfte, wiederum lobt das multinationale Divisionszentrum in seinem Land.

Vorabendempfang in der italienischen Botschaft

Blick in die Runde des High-Level Interviews zum Thema “Frauen, Frieden und Sicherheit”

Auch Angus Lapsley, Generaldirektor für Strategie und Internationales im britischen Verteidigungsministerium, unterstreicht die Bedeutsamkeit eines geeinten Nordatlantischen Bündnisses – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des anstehenden Brexits.

Europäische Säule ausbauen Für eine Stärkung der europäischen Säule innerhalb des Bündnisses plädiert Dr. HansGert Pöttering. Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlamentes fordert dazu eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auch in Deutschland. Die Bundesrepublik müsse den vereinbarten Anteil dieser Ausgaben von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) schnellstmöglich erreichen. Als derzeit größte außenpolitische Herausforderungen identifizierte er die deutschen Beziehungen zu China und Russland, die Erosion der Staatlichkeit in Subsahara-Afrika, die Destabilisierung der Lage im Nahen und Mittleren Osten sowie das Verhältnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika innerhalb der NATO. Um diese bewältigen zu können, sei ein umfänglicher Sicherheitsansatz notwendig. Der Rückzug auf die eigene Nation hingegen sei keine Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, so Dr. Pöttering. “Nationalismus führt in der Regel zu Krieg”, warnt er. Wichtig sei das Bedienen dreier Identitäten durch die politisch Verantwortlichen: Heimat, Vaterland und Europa.

Unbestritten eine weitere globale Herausforderung und Bedrohung ist der internationale Terrorismus. Die Gefahr durch Dschihadisten sei keineswegs gebannt, unterstreicht Prof. Seth G. Jones, Berater des Centers for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington/D.C. Sowohl Al-Qaida als auch der sogenannte “Islamische Staat” (IS) seien inzwischen global aktive Netzwerke. In manchen Regionen der Welt seien die Organisationen – trotz weiterhin vorhandener ideologischer Differenzen – sogar parallel tätig, ergänzte Dr. Hans-Jacob Schindler, Leitender Direktor bei der gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation “Counter Extremism Project”. Der IS weise im Vergleich zu Al-Qaida jedoch ein professionelleres Auftreten in Sozialen Medien auf. Da diese insbesondere über mobile Endgeräte aufgerufen würden, werde die “Mobile Information Intelligence” durch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) immer wichtiger, betont der CEO des Unternehmens Micro Systemation (MSAB), Joel Bollö. Diese Aufgabe falle allerdings – ebenso wie die Strafverfolgung und das nachrichtendienstliche Agieren – vorrangig in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Nationalstaaten. Der Europäischen Union komme hier nur eine koordinierende Funktion zu, gibt der frühere Direktor von EU INTCEN, Dr. Gerhard Conrad, zu bedenken. An einer stärkeren Multinationalität und gegenseitiger Integration von Streitkräften führt

in der Zukunft jedoch kein Weg mehr vorbei. Dann könnte jeder Staat bestimmte Fähigkeiten einbringen, von denen anschließend alle beteiligten Nationen profitieren könnten.

Multinationalität innerhalb der NATO stärken Italien beteilige sich bereits heute umfänglich an multinationalen Verbänden, berichtet Generalleutnant Salvatore Farina. Der Oberbefehlshaber der italienischen Landstreitkräfte fordert von den NATO-Alliierten: “Wir sollten die Multinationalität weiter ausbauen.” Ebenso sollten die Interoperabilität der Streitkräfte sowie multinationale Übungen intensiviert werden. Darin ist er sich mit dem Briten Lapsley sowie mit Marc-Olivier Sabourin, Vizepräsident des Unternehmens CAE, einig. Der deutsche Inspekteur Heer, Generalleutnant Jörg Vollmer, plädiert dafür, dass sich mehr Mitgliedsnationen der Atlantischen Allianz an multinationalen Streitkräften beteiligen sollten. Dafür seien allerdings entsprechende Vorbereitungen innerhalb der nationalen Armeen erforderlich. Außerdem brauche es ein einheitliches Sicherheits- und Strategieverständnis sowie eine gemeinsame Agenda für eine nachhaltige Verteidigungspolitik, meint Christoph Müller, Senior Vice President von Rheinmetall. Ähnlich äußert sich Generalleutnant Martin Wijnen, Oberbefehlshaber des niederländischen Heeres. Er unterstreicht zudem die Erforderlichkeit von Flexibilität im Bereich

Foto: BS/Dombrowsky

der Multinationalität und Inter­ operabilität. Beides sei zwar wichtig, dürfe aber keinesfalls die nationale Einsatzfähigkeit beeinträchtigen.

Technik ist große Baustelle Interoperabilität habe verschiedene Dimensionen, erläutert Generalleutnant Christopher Cavoli, Kommandierender General der US-Landstreitkräfte in Europa (COM USAREUR). Dazu zählten unter anderem die menschliche, prozedurale und die technische Ebene. Insbesondere auf Letzterer seien Interoperabilität und Konvergenz besonders schwer zu erreichen, unterstreicht der US-Oberbefehlshaber. Helfen könnte hier ein gemeinsamer Rahmen aller beteiligten Nationen, findet Dr. Jörg Hennemann von Schmidt & Bender, Optikhersteller für Zielfernrohre. Ebenso bedeutsam sei ein weiterer Ausbau der militärischen Infrastruktur. Denn grundsätzlich gilt laut Dr. Hennemann: “Wir sitzen alle im gleichen Boot.” Derzeit seien die militärischen Fähigkeiten jedoch oftmals noch zu stark zersplittert, ergänzt Botschafter Giampiero Massolo, Vorstandsvorsitzender der Fincantieri SpA, des größten europäischen Schiffbauunternehmens. Von praktischen Erfahrungen mit der Interoperabilität und multinationalen Streitkräften berichtet Brigadegeneral Alberto Vezzoli. Der Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade “Julia” (Alpini) erläuterte, dass seine Einheit bereits mehrfach unter Mandaten der NATO sowie der

Es ist mittlerweile gute Tradition geworden, dass vor der offiziellen Eröffnung der Berliner Sicherheitskonferenz am ersten Kongresstag ein Vorabendempfang in der Botschaft des jeweiligen Partnerlandes stattfindet. In diesem Jahr war folglich der Botschafter der Italienischen Republik, Luigi Mattiolo, Gastgeber für dieses Event. In seiner kurzen Begrüßungsansprache wies der Diplomat der Regierung in Rom besonders auf die zahlreichen Auslandseinsätze hin, welche die italienischen Streitkräfte aktuell durchführten. Teils würden diese Operationen unter dem Dach der NATO gefahren, teils unter dem Dach der Europäischen Union (EU). Einen besonderen Fokus für die Außen- und Sicherheitspolitik Italiens stelle das Mittelmeer dar. Deshalb betonte Botschafter Mattiolo den strategischen Blick nach Süden, auch wenn das Thema der diesjährigen BSC einen 360°-Rundblick postuliert. Dieser Kongress bereichere die zahlreich angemeldeten Teilnehmer nicht nur durch die Vorträge im Hauptprogramm und in den Panels, sondern biete auch einen perfekten Rahmen für den persönlichen Meinungsaustausch am Rande der Veranstaltung. Stolz zeigte sich Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber des Veranstalters Behörden Spiegel, dass die BSC gleich durch drei Minister eröffnet werde. Während sich die Problemlagen Afrikas und des Nahen Ostens früher noch weit weg von Europa auswirkten, stünden diese jetzt vor der eigenen Haustüre. Der diesjährige Kongresspräsident, Dr. Hans-Gert Pöttering, ehemaliger Präsident des EUParlaments und Vorsitzender der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, stellte zufrieden fest, dass die BSC jedes Jahr immer noch größer und besser werde. Dies sei auch wichtig, da die Konferenz dazu beitrage, das nötige Kooperationsbewusstsein der Entscheider zu schärfen, “wenn wir unsere Sicherheit schützen wollen”.


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Deshalb zog sich – gleichsam wie ein roter Faden – durch die meisten Vorträge die Forderung nach mehr Multinationalität und Interoperabilität zwischen den Staaten Europas. Hervorgehoben wurde aber auch, dass die angemahnte sicherheits- und verteidigungspolitische Stärkung der EU nicht als “Konkurrenz” zur Atlantischen Allianz verstanden werden dürfe. Redner der beiden Seemächte USA und Großbritannien wurden nicht müde, zu betonen, dass ihre Länder auch weiterhin an engen militärpolitischen Beziehungen zu Kontinentaleuropa interessiert seien.

Stellungnahme von Verteidigungsminister Guerini Die Erschütterungen innerhalb der NATO lassen auch die Regierung in Rom nicht unbeeindruckt. Deren Verteidigungsminister Lorenzo Guerini schrieb in einem exklusiven Beitrag für den Behörden Spiegel, dass die Südflanke der Europäischen Union und der NATO “von gefährlichen Instabilitätsfaktoren betroffen” sei. In diesem Zusammenhang sei die Sicherheit Europas “untrennbar mit der Stabilität des Mittelmeerraumes verbunden”, so der Sozialdemokrat (“Partito Democratico”). In gewisser Weise betrachtet Italien dessen Gewässer immer noch als “Mare Nostrum”. All dies erfordere “integrierte und synergetische Initiativen auf europäischer Ebene”, und zwar nicht nur in der physischanalogen Dimension, sondern auch in der digitalen Wirklichkeit, “in der unsere potenziel-

Sicherheitspartner Italien Wichtiger Pfeiler europäischer Seemacht (BS/Dr. Gerd Portugall) Italien bringt sich als Partner in zahlreichen multinationalen Auslandseinsätzen ein. Dazu zählen unter anderem Missionen der UNO, der Europäischen Union (EU) und der NATO. Schon vor dem Londoner Jubiläumsgipfel der Atlantischen Allianz Anfang Dezember war auf der BSC von zahlreichen Sprechern deutlich zu vernehmen, dass der europäische Pfeiler des westlichen Bündnisses deutlich gestärkt werden müsse. len Gegner bereits tätig sind”. In diesem Sinne werde Italien weiterhin die “Stärkung der Gemeinsamen Sicherheitspolitik gemäß dem Bestreben der Europäischen Union unterstützen”. Ziel sei es letztlich, “eine größere strategische Autonomie zu erreichen” – sowohl in technologischer und industrieller Hinsicht als auch in Bezug auf Interventionskapazitäten. Zwar betonte Minister Guerini dabei das fortgesetzte “Zusammenwirken mit der NATO”, doch die Forderung nach “größerer strategischer Autonomie” kann sich nur auf die Atlantischen Allianz beziehen.

Kommt die Europa-Armee? Die Frage nach einer künftigen Europa-Armee als Endziel fortschreitender militärischer Integration warf Dr. Peter Tauber, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, im “Future Forces Forum” auf. Generalleutnant Alberto Rosso, Stabschef der italienischen Luftwaffe, erwiderte, solange die EU-Staaten an ihren nationalen Souveränitäten festhielten, gestalte sich das Andenken einer gemeinsamen europäischen Armee ausgesprochen schwierig – bis unmöglich. Der Stellvertreter des Generalin-

spekteurs der Bundeswehr, Vizeadmiral Joachim Rühle, ergänzte, dass “Armee der Europäer” für ihn eine bessere Formulierung und realistischere Erwartung darstelle als “Europäische Armee”. Zu diesem Thema ist in diesem Jahr ein Buch mit dem Titel “Die Bundeswehr als Teil einer Europäischen Armee” von Generalleutnant a. D. Dr. Ulf von Krause erschienen, der selbst an der BSC teilgenommen hat.

Unterschiedliche Initiativen General Claudio Graziano, Vorsitzender des EU-Militärausschusses – und damit höchster italienischer Offizier in der Union – stellte die Bedeutung der sog. “Europäischen Friedensfazilität” (EPF) heraus, deren Einrichtung Ende März in Straßburg das EU-Parlament beschlossen hat. Ausgerichtet ist das Vorhaben an der Absicht, Synergien und Effizienzsteigerungen zu erzielen, indem ein Paketkonzept zur operativen Finanzierung bereits bestehender außenpolitischer Maßnahmen, die nicht aus dem Unionshaushalt finanziert werden können, bereitgestellt wird. Dass es in der EU nicht nur um finanzielle Werte gehe, sondern auch um ideelle Werte, darauf wies General Enzo Vecciarelli, Generalstabschef der italienischen

Streitkräfte, hin. Schließlich sei die Europäische Union nicht nur eine Interessen-, sondern auch eine Wertegemeinschaft. “Diese Werte könnten wir exportieren und damit auch unsere Peripherie stabilisieren, doch wir tun das zu wenig”, so der Vier-SterneGeneral. Wenn sich daran nichts ändere, nehme auch in Europa die Unsicherheit zu. Zu Beginn seiner Ausführungen hatte General Graziano den französischen “Waffenbrüdern” im Saal kondoliert, weil am Tag zuvor in Mali von ihnen ein “Cougar”-Transporthelikopter und ein “Tiger”-Kampfhubschrauber in der Luft zusammengestoßen und alle 13 Soldaten an Bord ums Leben gekommen waren. Dieser tragische Vorfall zeigt, wie gefährlich Auslandseinsätze sein können.

Multinationale Auslandseinsätze Italiens aktuell größtes Kontingent mit rund 1.000 Soldaten ist Bestandteil der UN-Friedensmission im Libanon (UNIFIL). Rund 850 italienische Soldaten beteiligen sich an der US-Operation “Inherent Resolve” im Irak im Kampf gegen die sunnitische Terrormiliz des sogenannten “Islamischen Staates” (IS). Es folgt ein Kontingent von rund 550 Italienern im

Rahmen der KFOR-Mission der Atlantischen Allianz im Kosovo. Außerdem beteiligt sich die italienische Marine mit einem Zerstörer an der EU-Operation “Atalanta” zum Schutz von humanitären Hilfslieferungen nach Somalia und der freien Seefahrt am Horn von Afrika. Auf die technische Seite von multinationalen Einsätzen hob General Rosso ab. Jedes europäische Land sei mit Problemen bei Interoperabilität und Interkonnektivität konfrontiert. Wenn es schon Schwierigkeiten bei der Integration von verschiedenen Kampfflugzeugtypen der Generation 4+ (unter anderem der Eurofighter) gebe, was komme da erst auf die Betreiber der deutlich komplexeren 5. Generation (zum Beispiel die F-35 “Lightning II”) zu, fragte der Luftwaffenchef aus Rom in die Runde. Dominiert wird die geostrategische Lage Italiens als Anrainer des Mittelmeeres mit einer Küstenlinie von 7.460 Kilometern und den Gegenküsten Westbalkan und Nordafrika. Deshalb musste die “Marina Militare” bei der “Friedensdividende” nach dem Ende des Kalten Krieges weniger “Federn” lassen als Heer und Luftwaffe. Sie verfügt heute noch über starke Seestreitkräfte.

Keine Isolation

W

eltweit führt ein immer selbstbewussteres Russland hybride Operationen gegen seine Gegner durch. Chinas Reichweite und Ehrgeiz werden größer. “Schurkenstaaten” und nicht-staatliche Akteure erhalten immer besseren Zugang zu neuen Gefährdungsmöglichkeiten – wie Cyber-Angriffen, Drohnen oder Langstreckenraketen – und sind in der Lage, Europas strategische Netzwerke zu bedrohen. Das Bündnis, seine Mitgliedsstaaten und die Partner in der Verteidigungsindustrie haben bei den Themen Überschall, Weltraum und Künstliche Intelligenz noch einen weiten Weg vor sich. Dabei bleibt eines gewiss: Wir müssen unseren Wettbewerbsvorteil erhalten. Sei es durch koordinierte Investitionen, durch das Teilen von Best-Practice-Ansätzen – von Erfolgen wie Fehlschlägen – und durch die Mitgestaltung von politischen Verfahrensweisen, die kosteneffiziente Investitionen in kurzer Zeit optimal ermöglichen. Jetzt ist nicht die Zeit für stärkere Isolation zwischen den Bündnis- und Industriepartnern, sondern für mehr Zusammenarbeit.

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Die NATO braucht mehr Zusammenarbeit (BS/Chris Lombardi) Anfang Dezember trafen sich die Verbündeten der 29 NATO-Mitgliedsstaaten in London zum 70. Jahrestag des Bündnisses und besprachen die Sicherheitsherausforderungen der Zukunft. Wettbewerb und Zusammenarbeit in der gesamten transatlantischen Lieferkette sind entscheidend, um ein innovationsfreundliches Umfeld aufrechtzuerhalten und unseren Vorsprung gegenüber all jenen zu bewahren, die unsere kollektive Sicherheit herausfordern. Es ist daher notwendig, dass die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit gewährleistet bleiben. Dies gilt nicht nur für größere Verteidigungsunternehmen wie Raytheon, sondern auch für unsere kleinen und mittelgroßen Indus­ triepartner in Europa. Es ist nicht im Interesse der NATO und ihrer Mitgliedsstaaten, Länder mit einer hoch entwickelten Industriebasis auszuschließen, die bei der Entwicklung fortschrittlichster Technologien helfen könnten. Raytheon hat die Notwendigkeit von Komplementär- und Nischenfähigkeiten erkannt,

um dem sich wandelnden Gefechtsfeld zu begegnen, und arbeitet weiterhin proaktiv mit Unternehmen aus ganz Europa zusammen. So haben wir beispielsweise gemeinsam mit Saab eine neuartige, schultergetragene und lasergesteuerte Munition für Infanteristen entwickelt. Die Munition fliegt nahezu in Überschallgeschwindigkeit und kann verschiedene Ziele durchdringen, darunter Befestigungen, Bunker und leicht gepanzerte Fahrzeuge. Ihre verbesserte Präzision ermöglicht Soldaten, die Munition in komplexen Kampfsituationen einzusetzen und das Risiko von Kollateralschäden zu minimieren. Die US-Armee und Bodentruppen von mehr als 40 weiteren Ländern verwenden dieses “CarlGustaf”-Waffensystem. Das Raketenabwehrsystem “Patriot” ist ein weiteres Beispiel für den Erfolg industrieller und

Chris Lombardi ist Vice President Business Development Europe von Raytheon. Foto: BS/Raytheon International

militärischer Zusammenarbeit mit transatlantischen Lieferketten und bildet das Rückgrat der NATO-Luftverteidigung. Partner

aus Deutschland, Polen und weiteren Staaten tragen zur Weiterentwicklung des Systems bei. Darüber hinaus arbeitet die norwegische Firma Kongsberg Defense & Aerospace seit 50 Jahren mit uns zusammen, vor allem bei dem NASAMS-Raketenabwehrsystem, das die US-Hauptstadt Washington, D.C., und fünf europäische Nationen (Norwegen, Spanien, Finnland, die Niederlande und Litauen) schützt. NASAMS ist nur ein Beispiel dafür, wie europäische Schlüsseltechnologien in die USA importiert werden und wie unsere Partnerschaft auf beiden Seiten des Atlantiks von wirtschaftlichem Vorteil ist. Es gibt noch viele weitere Beispiele. Das Programm “Evolved SeaSparrow Missile” (ESSM) wird von zwölf Verbündeten – neun aus Europa – und ihren jeweiligen Verteidigungsindustrien getragen. Gemeinsam pflegen und

CiDAN/ESDA-Preis (BS/kh) Auch auf der diesjährigen BSC wurde wieder der “European Award for Citizenship, Security and Defence” verliehen. Ausgezeichnet werden mit diesem Preis außergewöhnliche Leistungen u. a. zur Förderung des europäischen Bürgersinns und des Verteidigungsbewusstseins. Der internationale Preis wird seit 2011 von der Französischen Vereinigung “Civisme, Défense, Armée, Nation” (CiDAN) zusammen mit der interparlamentarischen “European Security and Defence Association” (ESDA) unter der Schirmherrschaft des Präsidenten des Europäischen Rates vergeben. Diesmal konnten sich vier Preisträger über die Auszeichnung freuen. Der Hauptpreis ging an die De Gasperi Foundation, die 1982 von Maria Romana, Tochter des ehemaligen italienischen Politikers und Premierministers Alcide De Gasperi, gegründet wurde. Der Sonderpreis “European Awareness of Security and Defence” ging an die Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Complutense Madrid für den Masterstudiengang “The EU and the Mediterranean”. Den Sonderpreis “Remembrance” konnte das Albert Schweitzer International Center mit Sitz in Niederbronn-lesBains in Frankreich entgegennehmen. Über den Jury-Sonderpreis freute sich das Team des Magazins “The European – Security and Defence Union”, eine wichtige Publikation für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft.

entwickeln die Partner die modernste Schiffsabwehrrakete ihrer Klasse weiter. ESSM bleibt bis dato größtes und erfolgreichstes NATO-Waffenprogramm der internationalen Zusammenarbeit. Die NATO und die Staats- und Regierungschefs der Bündnispartner werden auch weiterhin modernen und sich wandelnden Bedrohungen begegnen müssen. Die Verteidigungsindustrie muss diesen Anforderungen gerecht werden, indem sie technologische Innovationen bereitstellt und dabei gleichzeitig eine qualitativ hochwertige Fertigung sichert und bewährte Fähigkeiten aufrechterhält. Der Zugang zu einem offenen und fairen transatlantischen Markt für Rüstungsgüter ist notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Die Absicht der europäischen Bündnispartner, ihre Verteidigungsausgaben entweder einzeln oder durch die EU zu erhöhen, ist durchaus zu begrüßen. Dies darf jedoch nicht auf Kosten des fairen Wettbewerbs und der Zusammenarbeit geschehen, welche die Grundlage für den Erfolg der Atlantischen Allianz seit ihrer Gründung vor 70 Jahren darstellen.


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Gefahr eines neuen Kalten Krieges

Das neue Normal?

Zusammenspiel zwischen NATO und Europäischer Union

Streitkräfte kommen in der digitalen Welt an

(BS/Jörn Fieseler) “Jetzt entwickelt sich eine neue historische Ära”, ist Dr. Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheit im Deutschen Bundestag, von der geopolitischen Lage überzeugt. In dem Zuge sei besonders Europa gefordert. Nicht nur im Umgang mit Russland.

(BS/Benjamin Stiebel) Der Cyber-Raum ist eine gleichrangige Domäne neben anderen, digitale Kommunikationsplattformen werden für die Lagebilderstellung genutzt, autonome Fahrzeuge und gar Waffensysteme halten Einzug in Fuhrparks und Arsenale: Digitale Technologien sind längst im Fokus der Verteidigungs- und Rüstungspolitik. Zum Alltagsgeschäft der Streitkräfte macht sie das aber nicht. Noch weiß keiner zu sagen, wie die Konflikte und militärischen Auseinandersetzungen der nächsten Jahrzehnte aussehen werden und in welche Richtung sich Strategie, Doktrin und Führung verändern werden.

“Wir brauchen einen 360-GradBlick”, betont der Generalin­ spekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn. Nicht nur regional, sondern auch hinsichtlich der Fähigkeiten der Streitkräfte. Dazu bedürfe es einer starken NATO und ei­ ner starken EU, die nicht im Wettbewerb zueinander stün­ den, sondern sich ergänzen würden. “Die Europäer müssen die Kapazitäten zum Handeln verstärken, um selbstständiger handeln zu können”, so General Zorn. “Dazu brauchen wir ein europäisches Hauptquartier in Brüssel.” Deutschlands Aufga­ be sei es, die Stand-by-Phase weiter auszubauen. “Wir sind der Logistik-Hub.” Deshalb müssten die europäischen Staa­ ten die Zusammenarbeit weiter ausbauen. “Das ist schön”, meint Camine America, Beraterin im itali­ enischen Außenministerium, “doch parallel müssen wir auch die Kompetenzen haben, allein losgehen zu können.”

Wichtiges Instrument verloren Demgegenüber hält der russi­ sche stellvertretende Außenmi­ nister die Entwicklungen in der

NATO für “höchst befremdlich”. “Wichtige Strukturen der Zu­ sammenarbeit sind abgeschafft worden, das erhöht die Gefahr eines neuen Kalten Krieges”, sagt Alexander Grushko. In die­ sem Kontext ist auch das Thema Rüstungskontrolle zu nennen. Mit dem Wegfall der internati­ onalen Rüstungskontrolle auf Basis des INF-Vertrages sei ein wichtiges Element verloren ge­ gangen, bilanzierte die Beauf­ tragte der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskon­ trolle und Generaldirektorin für Internationale Ordnung, Ver­ einte Nationen und Rüstungs­ kontrolle im Auswärtigen Amt, Botschafterin Susanne Baumann. Zudem sei durch die Entschei­ dungen der NATO von Wales und Warschau die strategische Debatte abgelöst worden, so ­ Grushko: “Wir wissen, die NATO will die Überlegenheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie im kybernetischen Bereich er­ reichen, doch wo bleiben die eu­ ropäischen Sicherheitsinteres­ sen?” Im Gegenzug würde auch Russland nach neuen Partnern Ausschau halten, wie in Syrien oder der Türkei. Zur Entspan­

nung der Lage lud der stellver­ tretende Außenminister ein, sich die Vorschläge der russi­ schen Seite zum Beispiel für die Grenze der NATO zu Russland anzusehen.

Frage des Dialoges Die Aufforderung oder Ein­ ladung zum Dialog ist an sich nicht schlecht, doch gibt es auch kritische Stimmen. So for­ dert etwa General a. D. Philip M. Breedlove, früherer SACEUR der NATO und Oberbefehlsha­ ber der US-Streitkräfte in Eu­ ropa, einen “aggressiven Dialog mit Russland”. Und auch der Chef des Abba-Eban-Instituts für internationale Diplomatie an der Lauder School of Govern­ ment, Diplomacy and Strategy in Israel, Botschafter Ron Prosor, sagt: ­“Dialog, Dialog, Dialog: Das alleine reicht nicht.” Nötig sei auch eine Position militäri­ scher Stärke. “Ich hoffe, dass die deutsche EURatspräsidentschaft die Entwick­ lung weiter voranbringt”, sagt Alice Guitton, Generaldirektorin für internationale Beziehungen und Strategie im französischen Ver­ teidigungsministerium, abschlie­ ßend.

Besser rüsten Sich gemeinsam den Herausforderungen von morgen stellen (BS/stb) Die sicherheits- und verteidigungspolitische Gemengelange ist angespannt und wird zunehmend komplexer. Gleichzeitig bringen immer schnellere technische Veränderungen und neue Handlungssphären wie Cyber- und Weltraum ganz neue Bedrohungen mit sich. Die Streitkräfte vor diesem Hintergrund bestmöglich und vor allem zeitnah auszustatten, ist für die europäischen Staaten eine enorme Aufgabe. Die italienische Rüstungsindustrie fordert mehr Kooperation und die Besinnung auf gemeinsame Werte und Ziele. “Krisen und Konflikte entwi­ ckeln sich immer unvorher­ sehbarer. Sicherheitsinteressen ge­ hen zunehmend über altbe­ kannte geostrategische Grenzen hinaus”, betont Alessandro Profumo, CEO von Leonardo. Hin­ zu kämen neuartige Wirksphä­ ren und der immer rasantere Wandel von Technologien, wie Pasquale di Bartolomeo, Mana­ ging Director bei MBDA Italia, ergänzt. Und Enzo Benigni, Prä­ sident und CEO von Elettronica, stimmte ein: “China wird immer wettbewerbsfähiger im Bereich der Verteidigungstechnologien.” Eine zunehmende Bipolarität zwischen den USA und China setze Europa zunehmend un­ ter Druck. “Wenn es bei uns sicher bleiben soll, dann müs­ sen wir agieren. Wir brauchen eine neue Generation der Zu­ sammenarbeit.” Dabei gelte es, nationalstaatliche Grenzen zu überwinden und sich auf den gemeinsamen kulturellen Ur­ sprung und gemeinsame Werte zu besinnen, so Benigni.

Insbesondere die verteidigungsund rüstungspolitischen Ant­ worten können die europäischen Nationalstaaten nicht allein geben, sind sich die Vertreter der Rüstungsindustrie einig. Es brauche stärkere Netzwerke in Industrie, Wissenschaft und Verwaltung”, so di Bartolomeo. Für mehr Zusammenarbeit der Streitkräfte in Europäischer Union und NATO plädierte Profumo. Bei der Beschaffung dür­ fe es nicht so weitergehen wie bisher. In Zukunft seien Mittel besser zu nutzen, Doppelungen seien zu vermeiden.

Nachfragerseite sieht ­Handlungsdruck “Das erfordert insbesondere noch mehr Integration auf Nach­ fragerseite”, so Profumo. “Nationa­ le Bedarfe müssen mit der EUEbene abgestimmt werden, um Lü­cken zu schließen und mögliche Synergien bei großen Rüs­ tungsprojekten zu erkennen.” Dem stimmte auch Vizeadmiral Dario Giacomin, Stellvertreter des

Generalsekretärs für Verteidi­ gung und Nationaler Rüstungs­ direktor, zu. Die globale Macht­ balance müsse in unsicheren Zeiten aktiv und mit viel Anstren­ gung aufrechterhalten werden. “Wir müssen gerade im Bereich der Beschaffung und Innovation mit ambitionierten Zielen voran­ gehen und dürfen nicht untätig sein”, forderte Admiral Giacomin. Anforderungen seien zu harmoni­ sieren, Vergabeprozesse zu stan­ dardisieren. Entscheidend sei eine Bünde­ lung der Kompetenzen, welche in den europäischen Ländern un­ terschiedlich ausgeprägt seien. Experten müssten unbedingt gehalten bzw. für die Rüstungs­ industrie gewonnen werden. Das erfordere bessere Arbeitsbedin­ gungen, aber auch stärkere und flexiblere Netzwerke im Bereich der Forschung und Entwicklung, so Giacomin. “Wir haben verstan­ den, dass wir in unsicheren Zeiten leben. Jetzt braucht es politischen Willen und klare Entscheidungen, um gemeinsam stark zu sein.”

Einen Paradigmenwechsel könn­ te – wie in anderen Bereichen auch – Künstliche Intelligenz (KI) mit sich bringen. Maschinen werden Menschen in bestimm­ ten Aufgabenbereichen schon in Kürze überholen, also zum Beispiel schneller, zuverlässi­ ger und vor allem nicht anfällig für Stress-Situationen, besser einschätzen, Ressourcen pla­ nen und Entscheidungen treffen können. Auch wenn die Bundeswehr absehbar keine ­ ­autonomen, bewaffneten Droh­ nen verwenden wird, so muss deren Einsatz durch andere ­ Staaten oder Konfliktparteien etwas entgegengebracht wer­ ­ den. “Die Digitalisierung ist ­ keine ­Bedrohung an sich, sie bringt sowohl Vorteile als auch Risi­ ken”, stellt Generalmajor a. D. Erich Staudacher fest. Alle Technologien müssten genau untersucht werden, um Chancen frühzeitig erkennen und nutzen zu können. Genau­ ­ so müsse man sich aber auch gegen mögliche Bedrohungen wappnen. Der Geschäftsführer von AFCEA Europe warnte aber in diesem Zusammenhang vor einer Verkürzung der Diskussi­ on. “Wir dürfen nicht nur auf das Gefechtsfeld achten. Künstliche Intelligenz wird auch erhebli­ che Veränderungen in internen Prozessen, bei der Logistik, Pla­ nung und Strategieentwicklung mit sich bringen”, so General Staudacher. Im gesamten Ver­

teidigungsbereich stehe ein teures technisches Wettrüsten bevor. Der Einzug von KI werde auch Veränderungen im Umgang mit der OODA-Loop-Entschei­ dungsschleife mit sich bringen, gibt Oberst Claudio Icardi zu bedenken. Dem stellvertreten­ den Direktor des italienischen Zentrums für Innovation in der Verteidigung zufolge muss jetzt die entscheidende Frage gestellt werden: Wie weit können und wollen wir der KI vertrauen? Er glaubt, die klare Unterordnung der Maschine unter Menschen werde über kurz oder lang zugunsten eines Peer-to-Peer­ Modells verschwinden. “Das erfordert dann auch einen ganz neuen Ansatz an unsere Vor­ stellungen von Führung”, sagt Oberst Icardi. ­ berst Frank PieBislang zieht O per, Chief Digital Officer (CDO) des Heeres, aber die Kontrolle vor: “Fürs Heer gilt, dass wir keine Blackbox einkaufen. Wir werden keine KI einsetzen, die wir selbst nicht verstehen.” Oberst Pieper legt deshalb Wert auf “Algorithm Ownership” – zum Einsatz kommen nur selbst entwickelte Systeme oder solche, bei denen der Quellcode offengelegt wird.

Eine Domäne unter vielen? Unterschiedliche Meinungen gibt es zur Bedeutung des Cy­ ber-Raums als neue Domäne. So vergleicht Sven Sakkov,

Direktor des Internationalen Zentrums für Verteidigung und Sicherheit in Estland, die heutige Lage mit der Eroberung der neuen Domäne Luft Anfang des letzten Jahrhunderts. “Die Anpassung ist aus heutiger Sicht schnell vonstattengegan­ gen und zur Abschaffung von Heer und Marine ist es auch nicht gekommen.” Jetzt komme es darauf an, die Rahmenbe­ dingungen des Cyber-Raums auszuloten und entsprechend Fähigkeiten für Angriff und Ver­ teidigung auszubauen. Die Analogie überzeugt nicht jeden. “Der Cyber-Raum erweist sich als Domäne der Domä­ nen, sie wird zukünftig immer im Spiel sein und alle anderen Bereiche durchdringen”, meint Oberst Icardi. Dem schließt sich auch sein Landsmann, Brigadegeneral Giorgio Cipolloni, Kommandeur des italienischen Joint Opera­ tional Command (JOCC), an. “Weil unsere Kommunikations­ systeme auch sektorübergrei­ fend zu­ nehmend verbunden sind, können Angriffe im CyberRaum enorme und kaum kalku­ lierbare Schäden verursachen”, warnt er. Daher müsse es ein deutliches Umdenken über den Einsatz von Wirkmitteln im Ge­ fechtsbereich geben. “Das or­ dentlich zu adressieren, wird aber deutlich stärkeren Willen zur internationalen Zusam­ menarbeit als bisher erfordern”, so General Cipolloni.

Es wurde auch Zeit Beschleunigung der Erkennung und Reaktion auf Bedrohungen (BS/Dr. Volker Strecke*) Die heutigen Cyber-Angriffe sind in ihrer Komplexität und Häufigkeit beispiellos und mit der breiteren digitalen Transformation wachsen auch potenzielle Angriffsvektoren. Es ist erforderlich, einen tieferen, umfassenden Einblick in die Assets und Ressourcen der IT-Infrastrukturen zu erhalten. Die Sichtbarkeit muss mit drei Dingen gepaart werden. Erstens: tiefere Einblicke und vollstän­ digere Informationen für eine schnellere Erkennung und Re­ aktion. Zweitens: ein breiteres Verständnis für den gesamten Umfang einer Angriffskampag­ ne. Drittens: Erhöhter Kontext, der für das eigene Team von unschätzbarem Wert ist, um zu priorisieren, welche Bedrohun­ gen die wichtigsten sind. Diese Fähigkeiten sind für Si­ cherheitsoperationen von ent­ scheidender Bedeutung, um die wahre Natur einer Bedrohung besser zu erkennen, schnell zu entscheiden, wie die Reaktion zu priorisieren ist, und dann auf der Grundlage dieser Entschei­

dung schnell Maßnahmen zu ergreifen.

Integrierte Suite Bei RSA haben wir eine inte­ grierte Suite von Technologien ent­wickelt, die darauf ausgelegt ist, diese Herausforderungen di­ rekt anzugehen – die “RSA NetWitness Threat Detection & Re­ sponse SIEM Plattform”. Diese Plattform bietet eine durchgängige Transparenz in der gesamten Organisation von einer modularen Konsole aus. Einzigartig ist, dass die Lösung die aufgenommenen sicherheitsrelevanten Daten – ob aus eigenen Modulen (Logs, Pa­ ckets, Endpoints, UEBA) oder aus anderen Produkten (Orchestrie­ rung) – mit umfangreichen,

kontextbezogenen Metadaten, Identitäten und Bedrohungsin­ telligenz durch einen patentier­ ten Prozess ergänzt, Reaktionen priorisiert und damit die Erkenn­ barkeit mög­ licher Sicherheits­ vorfälle drastisch verbessert. Letztendlich verbindet die RSANetWitness-Plattform Kontext und Risiken mit ausgefeilten Cyber-Sicherheitsfunktionen, um der gesamten Organisation zu helfen, sichere Entscheidun­ gen zu treffen. *Dr. Volker Strecke ist Senior Business Development Manager IT-Security bei der Arrow ECS AG. Weitere Informationen oder Anfragen an rsa.ecs.de@arrow.com oder unter 089/93099-0.


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eutschland nehme dabei aufgrund seiner geografischen Lage die Position als “Transport-Hub” für militärische Operationen beziehungsweise für die Truppenbewegungen der NATO- oder EU-Staaten ein, so Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis (SKB) und Nationaler Territorialer Befehlshaber. Die Übung “Defender Europe 2020” der USA in Europa werde aufmerksam verfolgt und die multinationale Zusammenarbeit geprüft. Bei diesem Praxistest werden Truppenverlegungen von US-amerikanischen Streitkräften nach Polen und ins Baltikum erprobt. Er stellt die größte transatlantische Verlegeübung dieser Art seit über 20 Jahren dar: 20.000 US-Soldaten kommen über den “großen Teich”, 17.000 weitere aus Standorten in Europa. Auch Generalmajor Christopher O. Mohan, Kommandierender General des 21. Logistikkommandos der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) mit dem Standort Kaiserslautern, hob die Bedeutung von “Defender Europe 2020” hervor und beschrieb, wie vorgegangen werde,

Logistikdrehscheibe Deutschland “Mobilität ist die Achillesferse von militärischen Operationen” (BS/Bennet Klawon) Militärische Mobilität ist ohne zivile Partner nicht möglich. Darin waren sich die Panel-Teilnehmer zum Thema “Military Mobility – Combined Joint Support and Enabling in Europe for larger Formations” einig. Der nächste große Testfall wird im kommenden Jahr die Übung “Defender Europe 2020” (DEF 20). Das hochrangig besetzte Panel aus Streitkräften und Industrie diskutierte auf der BSC 2019 in Berlin Fragen zu Herausforderungen und Problemen militärischer Mobilität in Europa. damit die Übung zum Erfolg führe. So ist Flexibilität von entscheidender Bedeutung, sodass Resi­ lienz aufgebaut werden kann. Die enge Kooperation zwischen den Armeen wird hierbei vereinbart und die Umsetzung durch Verbindungsoffiziere sichergestellt. Schließlich, so General Schell­ eis, sei das Thema “Transparenz” von besonderer Bedeutung. Dies gelte sowohl zwischen den verschiedenen nationalen Streitkräften als auch gegenüber der Zivilbevölkerung in den jeweiligen “Host Nations”. Dazu solle mit lokalen Behörden und Akteuren vor Ort zusammengearbeitet werden, um Medienkampagnen durchzuführen und Informationen bereitzustellen. Außerdem, so der Inspekteur SKB, könnten zivile Dienstleister im rückwärtigen

Bereich Soldaten freisetzen, die im unmittelbaren Operationsgebiet gebraucht würden.

Zusammenarbeit der Industrie Industrievertreter der Unternehmen RUAG Deutschland und Lockheed Martin, Alexander von Erdmannsdorff und Alex Walford, betonten im gleichen Panel, dass die wichtigen Kernkomponenten der militärischen Mobilität – wie Transport, Unterbringung, Logis­tikservice und Kommunikation – auch von ziviler Seite aus übernommen werden könnten. Walford fügte dabei hinzu, dass Mobilität die “Achillesferse von militärischen Operationen” sei. Neben den Erwartungen an die Großübung DEF 20 gesellten sich aber auch Herausforderungen. rischer Seite Es gebe auf militä­ Barrieren legaler und physischer

Art, die nur durch einen ganzheitlichen Ansatz gelöst werden könnten, so einhellig Stimmen aus der Wirtschaft. Hierfür müssten alle militärischen und zivilen Kapazitäten genutzt werden. Der Vertreter von Cisco Deutschland, Dietmar Hilke, machte noch Probleme bei der Zusammenarbeit von Industrie und Militär aus, wie zum Beispiel fehlende Informationsbereitstellung untereinander oder auch Nutzung von unterschiedlichen Strukturen. Dauerhafte Lösung sei eine gemeinsame Infrastruktur, damit flexibel agiert und sich an ein sich ständig veränderndes System angepasst werden könne.

ne Drohnen stoppen, sondern nur Technologie.” So lautete die

Herausforderungen im Süden Europas brauchen multidimensionale Antworten (BS/Wim Orth) Die Bedeutung geografischer Grenzen nimmt in einer zunehmend digitalisierten Welt immer mehr ab und viele Herausforderungen, die eigentlich nicht zum Kernbereich von Streitkräften gehören, benötigen heutzutage dennoch mehr und mehr militärische Unterstützung, um mit ihnen umzugehen. Ein besonders fragiler Raum für Europa und die NATO ist dabei das Mittelmeer. An dieser Nahtstelle zwischen Nahost, Afrika und der “westlichen Welt” muss die globale Balance immer wieder neu ausgehandelt und verteidigt werden. Ansatz der Politik und Diplomatie mit der Nachbarschaft in Süd und Ost zu verfolgen. Gleichzeitig brauche es aber auch einen Austausch auf bilateraler Ebene, um für verschiedene internationale Partner die richtigen, maßgeschneiderten Lösungen zu finden und auf dieser Basis ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, das im besten Fall in gemeinsame Projekte münden kann. Ähnlich sieht es auch Vizeadmiral Guiseppe Cavo Dra­ gone. Der Oberbefehlshaber der italienischen Marine sieht die Entwicklung eines neuen globalen Gleichgewichtes durch regionale Clusterbildung, die durch gemeinsame Interessen vorangetrieben wird. Hier sei es wichtig, einen allumfassenden Ansatz auf militärischer, poli-

tischer, aber auch wirtschaftlicher Ebene zu verfolgen, gerade im Hinblick auf das Mittelmeer, das eine enorme Relevanz für einen dauerhaften Frieden und das globale Miteinander habe. Besonders wichtig ist dem Admiral dabei, den Einfluss neuer Akteure in diesem Raum wahrzunehmen und diesen mit einer gemeinsamen Strategie zu begegnen. So seien derzeit einige Länder dabei, sich im Mittelmeerraum, Nahost und Afrika einzubringen und die neuen Partner zu gewinnen: “Russland z. B. schließt reihenweise Verträge mit Afrika und schafft so Tatsachen. Der Kontinent ist inzwischen ein extrem wichtiger Markt für Russland”, so Admiral Cavo Dragone. Um hier als Westen noch mit Afrika einen sinn-

Quintessenz im Panel “Luftge­ stützte Sicherheit im Raum des Mittelmeeres – technische Lösun­gen aus Israel”. Dort diskutierten ebenfalls hochrangige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und dem Verteidigungssektor

des jüdischen Staates unter Leitung von Amira Ilany, Direktorin für Europa und Nordamerika im Verteidigungsministerium in Tel Aviv. Aufgrund der Bedrohungslage müs­ se sich Israel ständig auf neue Gefahren einstellen. Die Entwicklung von unbemannten Fluggeräten schlage dabei ein neues offensives wie defensives Kapitel auf, auf das ­ Militär und Firmen reagieren müssten. Während Alon Svirsky von Copter-Pix automatisierte Drohnenüberwachung präsentierte, stellte Ilan Freedman von Kineti dazu die Maßnahmen zur Drohnenabwehr vor.

UN-Resolution 1325 Frauen, Frieden und Sicherheit

(BS/Katarina Heidrich) Die UN-Resolution 1325 besteht seit nunmehr 19 Jahren. In ihr wurden die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen aufgerufen, die gleichberechtigte Mitwirkung von Frauen in Friedensverhandlungen und Konfliktschlichtungen zu ermöglichen. Vor allem Konfliktparteien sollen zudem die Rechte von Frauen schützen. Obwohl das Anliegen in Form von sogenannten “Nationalen Aktionsplänen” Drohnen-Technologie (NAPs) Gehör fand, sei noch einiges zu tun, lautet der Konsens während “Gesetzliche Regeln werden kei- des High-Level-Interviews zur Resolution.

Nachbarschaftshilfe für die eigene Sicherheit

Die beiden großen Schockmomente des noch jungen Jahrtausends, die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 sowie die Ukrainekrise im Jahr 2014, hätten gezeigt, “dass Prävention immer ein besserer Weg ist als Reaktion”, so Elena Gómez Cas­ tro, Generaldirektorin für Verteidigungspolitik im spanischen Verteidigungsministerium. Um die Sicherheit des europäischen Kontinents nachhaltig zu gestalten, müsse Europa zwingend mehr Verantwortung für seine Nachbarn übernehmen. So habe man dafür zu sorgen, dass in Nahost keine “sicheren Häfen” für Terrororganisationen aufgebaut werden könnten. Um solche Ziele zu erreichen, sei es wichtig, einen gleichermaßen multinationalen und multidimensionalen

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vollen Dialog auf Augenhöhe zu realisieren, brauche es daher dringend einen neuen Ansatz: “Wir als internationale Gemeinschaft müssen Afrika endlich dort helfen, wo die Menschen sind und nicht einfach von hier aus.” Dies sei dringend notwendig, denn aktuell bekämpfe man im Mittelmeerraum im Grunde lediglich die Symptome von Krisen, deren Gründe auf dem Festland lägen – meist in Afrika. Um hier langlebige und möglichst nachhaltige Ergebnisse in den Friedensprozessen zu erreichen, brauche es einen langen Atem bei der Arbeit, so Vizeadmiral Andreas Krause, Inspekteur der deutschen Marine: “Wir steuern gerne unseren Teil dazu bei, für mehr Stabilität im Mare Nostrum zu sorgen – es ist schließlich “unser Meer”. Die Fluchtgründe liegen aber nicht auf dem Meer, die müssen wir vor Ort angehen.” Der Admiral betonte zudem, dass es im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 zwar keine militärisch zwingende Notwendigkeit zur Intervention gegeben habe, dass es grundsätzlich aber in der DNA von Seeleuten liege, Menschen in Seenot zu helfen und Ertrinkende zu retten. Daher sei die Hilfe aus menschlichen Gesichtspunkten mehr oder weniger alternativlos gewesen.

Der Kern der Resolution kann mit den “drei Ps” zusammengefasst werden: Partizipation von Frauen bei Friedensprozessen, Prävention von Kriegen und Protektion vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Dabei komme aber gemäß der Direktorin des Zen­ trums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis), Dr. Veronika Bock, der Punkt der Beteiligung oft zu kurz. Ihrer Ansicht nach sollten Frauen in der internationalen Sicherheitspolitik mehr mitreden können: “Ich würde Frauen dazu ermutigen und aufrufen, sich bei all den Herausforderungen, denen sich die Welt gegenübersieht, zu engagieren.” Auch innerhalb der Streitkräfte wünsche sie sich mehr Frauen, weil diese nochmals einen anderen Blickwinkel einbringen würden. Es gebe eine hohe Dunkelziffer an “Blauhelmsoldaten”, die in Konfliktgebieten selbst vergewaltigt hätten; hier könnten sich Frauen in der Truppe einbringen und für mehr Sicherheit sorgen. Auch Dr. Elisabeth Braw, Leiterin des “Modern-Deterrence”Projektes des unabhängigen britischen “Royal United Services Institute for Defence and Secu­ rity Studies” (RUSI), betont die oft schwierige Beziehung der Streitkräfte zu den einheimischen Frauen in Kriegsgebieten, zum Beispiel in Afghanistan. “Es liegt in der Natur der Sache, schon rein körperlich, dass Frauen keinen Zugang zu den “Special Forces” haben”, aber es sollte nicht nur männliche Streitkräfte geben. Frauen hätten einen anderen Zugang zu anderen Frauen; vor allem solchen, die unter männlich-dominierter Gewalt ge­litten hätten. Sie sollten deshalb “gleichgestellt zusammen mit den Männern dienen”, fordert

Dr. Braw. Als einziger Mann in der Runde (s. Foto Seite 55) moderierte Prof. Ioan Mircea Pasçu, ehemaliger Vizepräsident des EU-Parlaments. Dr. Nicoletta Pi­ rozzi, Leiterin des Programms “EU, Politics and Institutions” am italienischen Institut für internationale Angelegenheiten (IAI) und Vizepräsidentin der Organisation “Women in International Security” (WIIS), verweist auf die Korrelation zwischen der Einbindung von Frauen und dem Friedensaufbau. Verschiedene Studien zeigten demnach, dass die Stärke des Einflusses von Frauen in Friedensverhandlungen positiv mit dem Erreichen und Umsetzen der Friedensverträge zusammenhängt. “Es ist sehr wichtig, dass wir in der internationalen Sicherheitspolitik nicht nur männlich sprechen”, pointiert Dr. Pirozzi auch mit Blick auf die Besetzung von Podien und Panels bei Konferenzen und Kongressen. Hierfür sei eine Datenbank zur Registrierung und Suche von Expertinnen und Journalistinnen sinnvoll – etwa wie sie vom Projekt “Brussels Binder” entwickelt wurde. Die ungarische Ministerin für Justiz und Europäische Angelegenheiten Dr. Judit Varga gibt zu bedenken, dass es für viele Frauen immer noch schwierig sei, politische Arbeit und Familienplanung miteinander zu vereinbaren. “Dies bleibt eine Herausforderung für alle Länder”, so Dr. Varga. Quotenregelungen würden dabei nicht helfen, denn es handele sich um ein strukturelles Problem. Dr. Bock ist in diesem Zusammenhang der Meinung, die Resolution sei auch eine Art Selbstreflektion der UN gewesen. Doch für eine umfassende Umsetzung fehle noch einiges: “Wann sitzt etwa die erste Generalsekretärin an der Spitze der UNO?”


Die letzte Seite

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E

lbe realisiert sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte zu Personal und Organisation der Bundeswehr für das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg). Darüber hinaus hat er sein Themenfeld erweitert um Grundlagen wie “Methoden der empirischen Sozialforschung”, aber auch um Spezialthemen wie “Sport” und “Gesundheit”. Ansonsten bearbeitet Prof. Elbe seine etablierten Forschungsfelder: duale Karrieren ehemaliger Offiziere, Personalmanagement, Führung und Organisation. Dazu sind in diesem Jahr bereits zwei Bücher erschienen: zum einen im September – von ihm herausgegeben – “Duale Karriere als Institution” sowie zum anderen, zwei Wochen später – mit ihm und dem Wissenschaftlichen Direktor Dr. Gregor Richter als Herausgeber – “Personalmanagement in der Bundeswehr”.

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Selbst erlebte duale Karriere Vom Offizier zum Ressortforscher

Professor

(BS/Dr. Gerd Portugall) Der Blick aus dem Büro von Dipl.-Kfm. Dipl.-Soz. Prof. Dr. rer. pol. Martin Elbe geht auf einen idyllischen Park am Ufer der In den folgenden zehn Jahren Havel. Er sitzt – standesgemäß – in der Potsdamer Villa Ingenheim, wo sich seit 2013 das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften war er Professor an privaten der Bundeswehr (ZMSBw) befindet. Die Villa ist ein traditionsreiches Gebäude im Westen der brandenburgischen Landeshauptstadt (Baubeginn Fachhochschulen in Deutsch1825 und benannt nach Graf Gustav von Ingenheim). Prof. Elbe forscht dort als ziviler Sozialwissenschaftler und Projektleiter. land: Ende 2005 hatte er einen

Ruf auf die Professur für Organisation und Personalmanagement an die Fachhochschule für angewandtes Management (heute: Hochschule für angewandtes Management) erhalten. Im Jahr darauf erfolgte dort die Ernennung zum FH-Professor am damaligen Hochschulstandort in Erding bei München. Anschließend war er dann Professor für Organisation und Personalmanagement an der Hochschule für Gesundheit und Sport und schließlich, bis 2016, für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin. Durch diese zehnjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit hatte Elbe die Voraussetzung erfüllt, den Titel “Professor” nicht mehr nur als Berufsbezeichnung führen zu dürfen, sondern fortan als persönlichen akademischen Titel auf Lebenszeit.

Der AMS Darüber hinaus kooperiert er eng mit dem Arbeitskreis Militär und Sozialwissenschaften e. V. (AMS). 2020 wird zu einer Kooperationsveranstaltung zwischen ZMSBw und AMS “Gesundheit des Militärs” von ihm ein Tagungsband herausgegeben. In dieser Form hat sich mit dem Thema hierzulande kaum jemand wissenschaftlich auseinandergesetzt. Natürlich gibt es das Sanitätswesen. Hier geht es aber um eine “umfassende, interdisziplinäre Gesundheitsperspektive” im Sinne von “Public Health des Militärs” – um diesen “Terminus technicus” zu gebrauchen. Die letzte Jahrestagung des AMS beschäftigte sich mit dem Thema “Philosophie des Militärs”, und nun ist dieser Tagungsband vorzubereiten. Seit 2017 ist Prof. Elbe Vorsitzender des AMS. Der 1971 gegründete Verein versteht sich als “überparteiliches und organisatorisch unabhängiges Informations- und Kommunikationsforum für sozialwissenschaftliche Fragestellungen in Bezug auf Militär und Sicherheitspolitik”.

Wissenschaftler mit Leib und Seele Aktuell arbeitet Prof. Elbe mit zwei Kollegen (dem Leitenden Wissenschaftlichen Direktor Dr. Heiko Biehl und dem Wissenschaftlichen Oberrat Dr. Markus Steinbrecher) an einem zweibändigen Kompendium des ZMSBw zur “Empirischen Sozialforschung in den Streitkräften”. Die Kollegen sind beides Beamte, Prof. Elbe arbeitet als wissenschaftlicher Angestellter am Zentrum. Die Verbeamtung verpasste er knapp. Seit September 2016 am Zentrum tätig, hatte er im Mai 2017 einen Antrag zur Übernahme in das Beamtenverhältnis gestellt. Das schien auch problemlos zu funktionieren, die vorgeschriebene medizinische Untersuchung hatte er bereits bestanden. Dann wurde im August 2017 neu geregelt, dass Bundesbeamte, die älter als 50 Jahre sind, nicht mehr verbeamtet werden können. Pech gehabt. Auf seine Arbeit hat dieser berufsrechtliche Unterschied jedoch keine Auswirkung. Prof. Elbes wissenschaftlicher Output kann sich sehen lassen: Er ist Autor beziehungsweise Herausgeber von bisher elf Büchern. Außerdem hat er 89 Artikel beziehungsweise Aufsätze in Fachzeitschriften, Lexika und Readern veröffentlicht. Er hält zahlreiche Vorträge auf nationalen und internationalen wissenschaftlichen Konferenzen. Für Mitte März 2020 plant Elbe am ZMSBw bereits erneut eine Tagung, nun zum Thema “Sport des Militärs” – auch wieder mit anschließendem Tagungsband. Aus wissenschaftlicher Perspektive ebenfalls ein neues Thema in Deutschland.

2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl der Organisationssoziologin Prof. Dr. Andrea Maurer an der UniBwM.

Erfahrungen

Prof. Dr. Martin Elbe in seinem Büro am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam. Im Bücherregal stehen zahlreiche Publikationen mit Beiträgen von ihm. Foto: BS/Portugall

Seit 1997 ist Prof. Elbe in der Wissenschaft tätig. Was ihn am ZMSBw besonders freut: “Hier kann ich mein bisheriges Forschungsprofil, d. h. meine fachlichen Themengebiete, voll umfänglich realisieren.” Ein praktisches Beispiel: Anfang 2017 kam aus dem Ministerbüro des BMVg der Forschungsauftrag für das Potsdamer Zentrum, eine Karriereanalyse zum Thema “Duale Karriere ehemaliger Offiziere” zu erstellen. Genau zu diesem Thema konnte Prof. Elbe auf eine Studie zurückgreifen, an der er bereits in den Jahren 2001/2002 beteiligt war. Veröffentlicht worden war diese unter dem Titel “Kaderschmiede Bundeswehr? Vom Offizier zum Manager. Karriereperspektiven von Absolventen der Universitäten der Bundeswehr in Wirtschaft und Verwaltung”. Die Herausgegeberschaft hatte der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Rainer Marr inne, der bis 2007 an der Bundeswehr-Universität in München (UniBwM) forschte und lehrte. Schon früh in seinem Berufsleben, d. h. lange vor seiner Forscherlaufbahn, kam Martin

Elbe mit der Bundeswehr in Berührung.

Soldat 1988 ging der junge Mann als Offizieranwärter zur Bundeswehr und wurde beim Heer Zeitsoldat für zwölf Jahre (SaZ 12). In dieser Zeit studierte er Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der UniBwM. Im Studium lernte er Dr. Siegfried Schneider im Fach EGA (Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaftliche Anteile) kennen. Dieser kam vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SwInstBw) in München –­ einem Vorläuferinstitut des ZMSBw. Dessen Themen gefielen ­Martin Elbe so sehr, dass er nach dem Studium an das SwInstBw versetzt werden wollte. Nach seinem ersten Abschluss an der UniBwM als DiplomKaufmann im Jahre 1994 wurde seinem Versetzungswunsch ans SOWI (wie das Institut intern hieß) jedoch nicht entsprochen. Stattdessen absolvierte Elbe zwei Jahre im Truppendienst bei der elektronischen Kampfführung (EloKa). In seinem letzten Jahr bei der Bundeswehr wurde er

dann an den Lehrstuhl für Organisationspsychologie von Prof. Sonja Sackmann PhD versetzt. Ende 1997 schied er auf eigenen Wunsch vorzeitig aus der Bundeswehr, im Rang eines Hauptmanns, aus.

war er – nun als Zivilist – von 1999 an wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Marr an der Bundeswehr-Universität in München, wo er 2001 bei Prof.

Weiterqualifizierungen Bereits während seines Wehrdienstes finanzierte der Berufsförderungsdienst der Bundeswehr (BFD) zur Eingliederung in den zivilen Arbeitsmarkt unter anderem eine Weiterbildung zum Qualitätsmanagement-Auditor (QMA). Noch bevor er die Streitkräfte verließ, hatte er an der zivilen Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München ein Zweitstudium der Soziologie und Sozialpsychologie aufgenommen, welches er 1999 als Diplom-Soziologe abschloss. Dieses Studium dauerte nur zwei Jahre, da Teile seines Erststudiums anerkannt worden waren. Seine Bewertung: “Das Zweitstudium hat meinen soziologischen Blick geschärft und mir das Verstehen, als wissenschaftliche Perspektive, nahegebracht.” Mit diesem “geschärften Blick”

Das organisationssoziologische Forschungsobjekt von Prof. Elbe: die Bundeswehr und ihre Angehörigen – unter anderem Soldaten, Zivilbedienstete, Reservisten und Veteranen Foto: BS/Portugall

Sackmann mit der Dissertation “Wissen und Methode. Grundlagen der verstehenden Organisationswissenschaft” zum “Doctor rerum politicarum” (Dr. rer. pol.) promoviert wurde. Das Zweitgutachten übernahm Prof. Marr. Ab

Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (BS/por) Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zählt zu den Ressortforschungseinrichtungen des Bundes im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg). Es versteht sich als dessen Dienstleister für militärhistorische Grundlagenforschung sowie militärsoziologische und sicherheitspolitische Auftragsforschung. Dazu erforscht es einerseits die deutsche Militärgeschichte – mit Schwerpunkt auf dem Zeitalter der Weltkriege sowie der Militärgeschichte der Bundesrepublik und der DDR in ihren Bündnissen – nach den Methoden und Standards der allgemeinen Geschichtswissenschaft unter Berücksichtigung der Wechselbeziehungen zwischen Militär, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Öffentlichkeit. Andererseits leistet es mit seinen sozialwissenschaftlichen Forschungsbereichen einen Beitrag zur Fortentwicklung der Militärsoziologie und der Sicherheitspolitik sowie zur wissenschaftsbasierten Politikberatung. Dabei stehen geschichts- und sozialwissenschaftliche Forschungen in einem wechselseitigen Austausch. Das Zentrum arbeitet auf der Grundlage der grundgesetzlich garantierten

Prof. Elbe hat auch das privatwirtschaftliche Berufsleben kennengelernt. Nach der Realschule absolvierte er zunächst von 1983 bis 1986 bei der Siemens AG in München eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitete in diesem Bereich. 2000 war er kurzzeitig Leiter der Zertifizierungsstelle für Personal der TÜV Süd-Akademie in

Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie der von der Bundesregierung anerkannten Exzellenzkriterien wissenschaftlicher Forschung. Der Doppelcharakter als zentrale Forschungseinrichtung des Bundes und als militärische Dienststelle der Bundeswehr steht hierzu nicht in Widerspruch. Forschungsfelder und Rahmenbedingungen können zwar bedarfs­ orientiert vorgegeben werden, nicht jedoch die Wahl der Methoden sowie die Forschungsergebnisse und deren Darstellung. Die Forschungsarbeit trägt internationalen Standards ihrer jeweiligen Disziplin Rechnung und wird durch adäquate Verfahren zur Qualitätssicherung fortlaufend evaluiert. Damit wirkt das ZMSBw am wissenschaftlichen Diskurs über die Rolle der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft bestimmend mit. Das ZMSBw dient damit sowohl dem BMVg und den Streitkräften als auch der Fachwissenschaft und der Öffentlichkeit. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden dem BMVg als Informationen, Entscheidungshilfen und Beratungsleistungen zur Verfügung gestellt. Das Zentrum begleitet und unterstützt die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die

München und arbeitete mehrere Jahre lang (teilweise haupt-, teilweise nebenberuflich) als Organisationsberater. Auch verbandsmäßig ist Prof. Elbe tätig: Neben dem Arbeitskreis Militär und Sozialwissenschaften war er von 2012 bis 2016 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung (ABWF). Er ist außerdem Mitglied des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV), der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und der “European Research Group on Military and Society” (ERGOMAS). Darüber hinaus ist er auch Initiator der Initiative “Verstehende Organisations- und Persönlichkeitsentwicklung”.

Privates Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in der Potsdamer Villa Ingenheim. Foto: BS/ZMSBw

Arbeitsergebnisse werden von Fachverlagen oder im Zentrum selbst veröffentlicht und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sozialwissenschaftliche Forschungsberichte der letzten 50 Jahre können unter der Rubrik “Veröffentlichungen” von der Internet-Seite (www.zmsbw.de) heruntergeladen werden. Die Nutzung neuer Medien (z. B. OnlineDatenbanken zu relevanten militärhistorischen und sozialwissenschaftlichen Themen) für Forschung und Lehre, die historische Bildung und die Einsatzunterstützung soll weiter verstärkt werden.

Geboren wurde Martin Elbe 1965 in München. Dort ist er mit drei Geschwistern aufgewachsen und hat fast 40 Jahre lang in der bayerischen Landeshauptstadt gelebt. Die Folge: “Ich liebe Berge, Seen und die bayerische Landeshauptstadt”, so der Wissenschaftler. Mittlerweile wohnt er in Berlin, ist verheiratet mit der Ärztin Dr. Katrin Elbe und hat ein Kind. Seine Hobbys sind Skilanglauf und Kunst. Als Ausgleich für Forschung und Lehre in geschlossenen Räumen macht er ausgesprochen gerne Gartenarbeit an der frischen Luft.



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