Behörden Spiegel September 2019

Page 1

Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. IX / 35. Jg / 37. Woche

Berlin und Bonn / September 2019

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Herausfordernde und reizvolle Aufgabe

Vom Antrag bis zur Archivierung

“Ein Restrisiko ist immer dabei”

Frank Werneke zu seiner Kandidatur für den Verdi-Bundesvorsitz....................................... Seite 4

Klaus Vitt über medienbruchfreies digitales Verwaltungshandeln.................................... Seite 30

Dr. Min-Hi Lee über ihre Arbeit als Leiterin der “Einsatzgruppe Bio”.....................................Seite 51

Erste Digitalisierungsministerkonferenz (BS/gg) Auf Initiative des schleswig-holsteinischen Digitalisierungsministers Jan Philipp Albrecht und mit Unterstützung der hessischen sowie der bayerischen Digitalministerinnen soll Ende September erstmals eine Digitalisierungsministerkonferenz zusammenkommen.

Leichterer Abgleich (BS/mfe) Der Abgleich biometrischer Daten zwischen den Polizeibehörden der EU-Mitgliedsstaaten könnte künftig erleichtert werden. Hierzu soll der EU-Kommission bis November eine Machbarkeitsstudie vorgelegt werden. Außerdem werden in sogenannten Fokusgruppen durch nationale Experten Entwicklungsperspektiven erarbeitet. Es existieren Fokusgruppen zu den Themenkomplexen Fingerabdrücke, DNA und Gesichtsbilder.

Weiterer BGH-Zivilsenat (BS/mfe) Der Bundesgerichtshof (BGH) hat einen neuen Zivilsenat in Karlsruhe. Er wird in Personalunion mit dem dadurch gestärkten und erweiterten Kartellsenat verbunden. Die beiden Senate sind nun für kartellrechtliche, energiewirtschaftsrechtliche und vergaberechtliche Streitfragen zuständig. Gleiches gilt für Rechtsbeschwerden nach dem Freiheitsentziehungsgesetz. Darüber hinaus soll beim BGH ein zusätzlicher Strafsenat in Leipzig eingerichtet werden. Die entsprechenden Haushaltsmittel wurden vom Deutschen Bundestag bereits freigegeben. Die Unterbringung der Richter und des zusätzlichen Personals ist aber noch nicht endgültig geregelt.

Mit Augenmaß vorgehen Bundesbehörden in die neueren Bundesländer zu verlagern, ist notwendig (BS/Jörn Fieseler) Mit dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen stellt der Bund nicht nur Investitionen in Höhe von 40 Mrd. Euro bis 2038 zur Verfügung, er hat sich darüber hinaus verpflichtet, bis 2028 bis zu 5.000 Arbeitsplätze in den Regionen zu erhalten oder neu zu schaffen. Die Einrichtung erster Behörden steht schon fest, die Frage ist, wie verzweigt muss es am Ende sein? Die Neuansiedlung von Behörden ist für sich genommen schon ein sinnvolles Anliegen. Nicht zuletzt, weil Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor noch nicht einmal einem Jahr konstatierte: “Auf vielen Leitungsebenen vieler Behörden, auch in Ostdeutschland, sind immer noch zu wenige Tarifbeschäftigte oder Beamte aus Ostdeutschland tätig.” Es sei Zeit, dass sich dies ändere. Sondern auch, weil die demografische Entwicklung verheerend ist. Brandenburg (-3,5 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (-9,3 Prozent), Sachsen (-7,9 Prozent), Sachsen-Anhalt (-15,6 Prozent) und Thüringen (-11,9 Prozent) verzeichneten 2018 im Vergleich zum Jahr 2000 drastische Bevölkerungseinbußen. Diesen Trend gilt es idealerweise umzukehren. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat deshalb zugesagt, von den 5.000 Stellen allein 1.500 in seinem Geschäftsbereich zu schaffen. “In Freital (Sachsen) entsteht eine Außenstelle des BSI (circa 200 Stellen), in Ostsachsen wird die Bundespolizei verstärkt, bei Görlitz entsteht eine Schulungseinrichtung der Bundespolizei und am Flughafen Halle/Leipzig entsteht die “Cyberagentur”. In der Summe sind das rund 1.000 Arbeitsplätze”, erläutert Staatssekretär Dr. Markus Kerber. Des Weiteren soll das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumfor-

Arbeitsplätze schaffen, Regionen stärken und den Bevölkerungsschwund verringern, wenn nicht gar umkehren. Bei all diesen Zielen darf ein Grundbedürfnis der Verwaltung nicht aus den Augen gelassen werden: Die Standorte müssen funktionieren und die Aufgaben erfüllt werden. Foto: BS/photosaint, stock.adobe.com

schung im Raum Cottbus eine Außenstelle aufbauen. In der Bundesfinanzverwaltung sollen 2019 und 2020 rund 340 zusätzliche Dienstposten in strukturschwachen Regionen eingerichtet werden. Der Großteil, rund 260, bei der Zollverwaltung. Das Bundesverkehrsministerium hat das Fernstraßenbundesamt (FBA) in Leipzig angesiedelt. Allein

an diesem Standort sollen bis 2021 rund 400 Stellen geschaffen werden. Weitere 750 zusätzliche zivile und militärische Dienstposten will das Verteidigungsministerium bis 2025 in den neueren Ländern einrichten. Zudem sei entschieden worden, ursprünglich zur Schließung vorgesehene Liegenschaften in Strausberg (östlich von Berlin) und Trollen-

hagen (nördlich von Neubrandenburg) weiterzubetreiben. Mehrere hundert Arbeitsplätze sollen auch im Geschäftsbereich des Arbeitsministeriums geschaffen werden. So ist beabsichtigt, der Deutschen Rentenversicherung am Standort Cottbus neue Aufgaben zu übertragen und sie mit Personal auszustatten. Das Justizministerium beteiligt sich in etwas kleinerem Maße: Der

Kommentar

Neue Laufbahn in Thüringen

Digitaler Imperativ

(BS/stb) Der Freistaat Thüringen hat eine neue technische Laufbahn für Verwaltungsbeamte eingeführt. Die Fachrichtung des informationstechnischen Dienstes ist als zwölfte Fachrichtung ins Thüringer Laufbahngesetz aufgenommen worden. Ziel ist es, Fachkräfte für Aufgaben der digitalen Verwaltung einzustellen und zu verbeamten. In dem Zuge will die Landesregierung die Zusammenarbeit mit der Dualen Hochschule Gera-Eisenach vertiefen. “Studierende, deren Studium neben dem Fachthema einen hohen Informatikanteil aufweist, werden in der digitalen Verwaltung künftig einen festen Platz einnehmen”, sagte dazu Thüringens CIO, der Staatssekretär im Finanzministerium, Dr. Hartmut Schubert. “Mit Fachkompetenz und Enthusiasmus werden die jungen Nachwuchskräfte der Dualen Hochschule für die Thüringer Verwaltungen echte Digitalisierungsmotoren sein.”

(BS) Mit der Stabsstelle “Moderner Staat – Moderne Verwaltung” im Bundesministerium des Inneren wurde 2003 begonnen, die Digitalisierung der Verwaltung zu denken. “BundOnline 2005” brachte Erfolg, nämlich beim Zoll. Über 20 Millionen Zolleinfuhr- und ausfuhrerklärungen konnten ab dann jährlich komplett digital abgewickelt werden. Keine Aktenordner mehr, keine Laufwege, ohne Öffnungszeiten und ohne Stempel. Der Finanzminister kam schneller an die Gebühren, die Im- und Exporteure sparten Geld, Zeit und Personal. Konsequent zu Ende digitalisiert, aber genau dafür fehlt an anderer Stelle offenkundig der Mut. Es gibt zahlreiche Themenfelder, die bei genauerer Betrachtung als Hindernisse missbräuchlich gegen eine konsequente Digitalisierung aufgestellt werden. Dazu gehört ohne Zweifel ein überzogener Datenschutz, der selbst vor kleinen Vereinen und Kindergärten nicht haltmacht. Dazu gehört auch eine Diskussion um größtmögliche Datensicherheit. Auch hier verursacht maximale Sicherheit mehr Frust als Freude bei der Digitalisierung.

Die neuesten Einwände gegen die Digitalisierung kommen nun von ethischer Seite: “Wir dürfen keine KI einführen, bevor wir nicht sicher geklärt haben, dass diese fair und diskriminierungsfrei arbeitet!” Die allerwirkungsvollsten Bremser bei der Digitalisierung der Verwaltungen sind jedoch das Ressortprinzip und der Föderalismus. Beide haben ihr Gutes, doch bis ins Letzte ausgereizt, behindern sie die Digitalisierung. So wird derzeit überlegt, ob eine zentralisierte IT-Konsolidierung des Bundes nicht womöglich dem Ressortprinzip widerspricht, nämlich dem Recht auf Selbstorganisation der Ministerien. Auf kommunaler Ebene wird überlegt, inwieweit das Onlinezugangsgesetz (OZG) gar nicht

die Kommunen erreichen kann, weil eine Beschlusslage zwischen Bund und Ländern die kommunale Selbstverwaltung nicht präjudizieren kann. So sieht es das Grundgesetz. Die Länder müssten das OZG in Landesrecht umsetzen, würden damit aber das Konnexitätsprinzip auslösen und in Folge für die OZGUmsetzung in den Kommunen zahlen. Leben andere Staaten und Gesellschaften nach dem digitalen Imperativ, lassen Experimente, Versuche und auch ein Scheitern zu, wollen wir den befürchteten Schmerz der digitalen Transformation auf alle Fälle umgehen. Es bleibt bei Kommissionen, Piloten, Evaluierung.

R. Uwe Proll

Verfolgungsjagd

Bundesgerichtshof in Leipzig wird einen neuen Senat bekommen. Außerdem ist beabsichtigt, in Leipzig eine Außenstelle des Patent- und Markenamtes einzurichten. Auch das Auswärtige Amt plant, hochspezialisierte administrative Aufgaben mit Auslandsbezug in einer selbstständigen Bundesoberbehörde zu bündeln und auszugründen. “Aktuell erfolgt dazu die erste Ausplanung der Aufgabenbereiche der Behörde. Die Festlegung des Dienstsitzes wird im Rahmen des Errichtungsgesetzes erfolgen”, teilte das Ministerium mit. Dabei würden die Verpflichtungen aus dem Berlin-Bonn-Gesetz weiter erfüllt werden. Bei all diesen Maßnahmen darf aber nicht vergessen werden: die Rahmenbedingungen an den Standorten müssen stimmen. Dazu bedarf es einer entsprechenden Ausstattung. Das ist ein struktureller Spagat. Misslingt er, werden Potenzial verschenkt und Verwaltungsroutinen erschwert. Dafür ist ein gewisses Augenmaß bei der Standortauswahl notwendig. Sinnvoll wäre es, die Orte zu favorisieren, die als Lokomotive in einer Region fungieren, wie es Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), bezeichnet. Dies würde auf die Regionen im Umland ausstrah-


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.