Behörden Spiegel April 2020

Page 1

Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. IV / 36. Jg / 15. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / April 2020

www.behoerdenspiegel.de

Technologie umweltverträglich nutzen

Sicherheit stärken – Menschen schützen

Entscheidend ist der Einzelfall

Martin Wimmer zu verschiedenen Perspektiven auf den digitalen Wandel ����������������������������������� 32

Klaus Bouillon zu Technologien und Einsatzmitteln der Polizei im Saarland ............ 41

Philippe Haulitschek ist Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ......... 47

Vorbereitungen gestoppt (BS/mfe) Die Vorbereitungen für die nächste Länder- und Ressortübergreifenden Krisenmanagementübung LÜKEX21 pausieren derzeit. Grund dafür ist die Corona-Pandemie. Das bestätigten sowohl das Bundesinnenministerium (BMI) als auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gegenüber dem Behörden Spiegel. Wann die Vorbereitungen wieder aufgenommen werden könnten, sei von der weiteren Entwicklung der Lage abhängig. Gleiches gelte für den Zeitpunkt der Übungsdurchführung. Bisher war vom Mai kommenden Jahres die Rede. Geübt werden soll das Szenario eines Cyber-Angriffs auf das Regierungshandeln. Es wollen sich alle Bundesländer sowie circa 25 Bundesbehörden beteiligen. Fachlicher Partner des BBK für die Entwicklung des Szenarios ist das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).

Übersicht in Echtzeit (BS/mfe) In Baden-Württemberg ist eine landesweite Übersicht über die Krankenhauskapazitäten für mit dem Corona-Virus infizierte Patienten in Echtzeit möglich. Dies wird mithilfe des sogenannten “Covid-19-Resource-Board” sichergestellt. Dorthin melden die Krankenhäuser online ihre Intensiv- und Beatmungsplätze. Damit lässt sich jedes einzelne dieser Betten erkennen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte: “Das Resource-Board ist ein wichtiges Steuerungsins­ trument.” Gemeinsam mit dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und über eine entsprechende Schnittstelle werde es dazu beitragen, eine optimale Versorgung der Patienten sicherzustellen und im Notfall Leben zu retten, zeigte sich Gesundheitsminister Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) überzeugt.

Verschiebung prüfen (BS/stb) Die kommunalen Spitzenverbände des Landes Nordrhein-Westfalen haben Zweifel, dass die Kommunalwahl wie geplant am 13. September dieses Jahres durchgeführt werden kann. In einem Brief bitten sie das Innenministerium um eine Prüfung der Handlungsoptionen einschließlich einer Verschiebung. Das Problem: Schon bis 16. Juli müssen Parteien und Wählergruppen ihre Wahlvorschläge einreichen. Zu wenig Zeit, heißt es aus den Verbänden, weil Kontakteinschränkungen Aufstellungsveranstaltungen erschweren würden. Bereits verschoben wurden Bürgermeisterwahlen in Hessen und Sachsen (mehr auf Seite 18). In Bayern konnten Bürgerinnen und Bürger nur per Brief an Stichwahlen teilnehmen (mehr auf Seite 6).

“Gemeinsam distanziert” Der Öffentliche Dienst dient der Gemeinschaft (BS/Uwe Proll) Um eine Aufhebung des Lockdowns und eine Revitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft einleiten zu können, werden zahlreiche Maßnahmen getroffen werden, die von der Verlangsamung der Infektionswelle zu einer Viruskontrollphase führen sollen. In dieser Phase wird der Öffentliche Dienst in seiner Gesamtheit gefordert sein – mehr als schon im Augenblick. Die öffentliche Verwaltung, das öffentliche Gesundheitswesen, Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr – sie alle leisten gut organisiert ihren Beitrag im Kampf gegen die Pandemie. Der Öffentliche Dienst erfährt in dieser Krise Respekt, Zuspruch, Anerkennung und Dank.

Die Einschränkungen wurden weitestgehend befolgt. Trotz zwei Metern Abstand ist eine stabile Gemeinschaft gegen das Virus entstanden.

B

isher war es nicht notwendig, Zwang auszuüben, da die Einschränkungen weitestgehend befolgt wurden. Dabei stellt die Politik das Menschenrecht auf Gesundheit vor alle anderen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei Staat und Kommunen sorgen für ein diskriminierungsfreies Vorgehen, der Beitrag der Bürgerschaft selbst muss Solidarität sein. So ist eine stabile Gemeinschaft gegen das Virus entstanden. Ein bundesweites Test- und Meldesystem, die Datenbereitstellung in Echtzeit und die Erhöhung der Testkapazitäten sind jetzt dringend notwendig. Bundeswehr, THW und DRK sollen mobil einsetzbare Teststationen

errichten. Studierende, Soldaten und Beschäftigte in Kurzarbeit werden zur Unterstützung der Gesundheitsämter herangezogen. Nordrhein-Westfalen plant ein Gesetz, wodurch die Landesbehörden von Menschen mit einem Gesundheitsberuf, die nicht mehr in Kranken- oder Pflegeeinrichtungen arbeiten, die Erbringung von Dienst-, Sachund Werkleistungen verlangen können (siehe Seite 4). Eine freiwillig zu nutzende Tracking-App, die Einrichtung von Quarantäne-Hotels und die Trennung der Behandlungszen­ tren für Infizierte von “normalen” Krankenhäusern sind bereits in Vorbereitung. Eine Einführung des Mundschutz- und Masken-

gebotes wird in dem Augenblick kommen, wo genügend vorhanden sind (zur Beschaffung von Hilfs- und Heilmitteln siehe Seiten 10 und 42). Auf kommunaler Ebene sollen Taskforces zur Vorbereitung und Kontrolle der Öffnung bestimmter Lebensbereiche gebildet werden. Durch ein gemeinsames EU-Grenzkontrollregime soll eine bessere Verfolgung bei Verdachtsfällen und damit die Lockerung der unterschiedlichen Grenzschließungen möglich sein. Ein Fachressort-übergreifendes Krisenmanagement ist in der Diskussion, an dessen Spitze ein Bundesminister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt

steht. Die Länder sollten diesem Organisationsbeispiel folgen, heißt es im Krisenstab. Das große Risiko sehen die Experten in einem Wiederaufkeimen der Infektionswelle, daher ist ein dichtes Monitoring obligatorisch. Ein Blick zurück zeigt: Die aktuelle Lage ist nicht unbekannt. In der Drucksache 17/12051 des Deutschen Bundestages unterrichtete die Bundesregierung das Parlament am 3. Januar 2013 über ihre Risikoanalyse: “Pandemie durch Virus Modi-SARS”. Das Szenario kommt der augenblicklichen Lage frappierend nahe, es beschreibt dezidiert die Ausbreitung eines modifizierten SARS-Virus, die Überforderung des Gesundheitssystems und

Kommentar

Zeitenwende in eine Administration 2.0 (BS) Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden das Gesicht der öffentlichen Verwaltung in diesem Lande nachhaltig verändern. Wenn es noch eines zusätzlichen Impulses bedurft hat, der Digitalisierung des Öffentlichen Dienstes “Beine zu machen”. Das ist er definitiv! Nun gilt es, diesen nachhaltig zu nutzen. “Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen ist”, erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer Anfang April. Recht hat er. Die Krise zeigt aber darüber hinaus, wie wichtig es ist, die (Zusammen-)Arbeit in der öffentlichen Verwaltung auf ein tragfähiges digitales Fundament zu stellen, um gerade in Ausnahmesituationen gestiegene Ansprüche an die Handlungs- und Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen erfüllen zu können. Digitalisierung, das zeigt sich dieser Tage in der Wirtschaft, aber auch in der öffentlichen Verwaltung, ist nicht mehr “nice to have” oder unter Effizienz- und Komfortgesichtspunkten wünschenswert. Sie ist existenziell, da nur sie, angesichts der mit der Corona-Pandemie verbundenen

Restriktionen, in der Lage ist, “den Laden am Laufen zu halten”. Ebenso existenziell ist es für den Öffentlichen Dienst, aus dieser Situation die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. “Schnell und unbürokratisch” will Minister Seehofer mit Blick auf die Digitalisierung von derzeit existenzsichernden Verwaltungsleistungen für die Wirtschaft vorgehen. Schnell und bisweilen unbürokratisch wurde nun auch die Arbeitsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung im Homeoffice-Betrieb gewährleitet, indem digitale Strukturen, wo sie bereits vorhanden waren, verstärkt oder mitunter ad hoc auch gänzlich neu geschaffen wurden. Diese entstandenen und offenkundig auch funktionierenden Strukturen nach der Krise wie-

der auf null zurückzuführen, macht keinen Sinn. Vielmehr müssen die Provisorien in eine Administration 2.0 überführt werden, die durch Einbindung von Homeoffice und Video- bzw. Telefon-Konferenzen gleichsam die Resilienz und die Arbeitsplatzattraktivität der Organisation erhöht – von den positiven Auswirkungen reduzierter Reisetätigkeit auf Verkehr und Klima ganz zu schweigen. Nehmen wir die Provisorien also als Basis für die Ausgestaltung einer neuen inneren Verfasstheit des Öffentlichen Dienstes. Das hieraus eine Erfolgsgeschichte entstehen kann, zeigt das Grundgesetz, ein 1949 verabschiedetes Provisorium, dass Staat und Gesellschaft nachhaltig verändert hat und bis heute prägt. Guido Gehrt

Grafik: BS/Dach, unter Verwendung von © Alano Design, stock.adobe.com

Fleißarbeit

den gesellschaftlichen Stillstand. Die Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit fällt in die Klasse C: bedingt wahrscheinlich. Das Beruhigende damals: “Ein Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt”, so die “Risikoanalyse Bevölkerungsschutz 2012”. Der Bericht liest sich wie eine vorweggenommene Situationsbeschreibung von heute. Alles war richtig. Auch die berechnete Eintrittswahrscheinlichkeit, nämlich sehr gering. Doch so gering auch die Eintrittswahrscheinlichkeit weiterer Katas­ trophen – die ja kommen werden – ist, so sehr sollte man sich in jedem Falle vorbereiten.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / April 2020

Während das Corona-Virus SARS-Cov-2 in Deutschland und der Welt wütet, ist der Öffentliche Dienst alles andere als untätig. Von der Gesundheitsversorgung als dringlichster Aufgabe über Herausforderungen für Einsatzkräfte bis hin zur Beschaffung und Finanzierung leisten die Staatsdiener aktuell Großartiges. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

Corona-Zeiten

Reicht die Wahl per Brief?

“Solidarität schafft Liquidität”

Hansestadt wählt anderen Ansatz

Stichwahl in Bayern als demokratischer Drahtseilakt ................................................................. Seite 6

Kommunale Wirtschaftsförderung geht kreative Wege ............................................................ Seite 20

Hamburg schickt Polizeischüler in Kommissariate ...........................................…………….. Seite 38

Öffentliche Haushalte gehen ins Defizit

Hilfe für Einsatzkräfte

Das THW im Kampf gegen das Virus

Krisenprogramme im Eilverfahren ................................... Seite 7

Leitfaden für Feuerwehren herausgegeben ..............Seite 23

Logistiker der Corona-Krise ....................................... Seite 42

An vorderster Front

Innovation in Zeiten von Corona

Gesetz zur Finanzierung der Krankenhäuser im Ausnahmezustand ....................................................Seite 13

Wie COVID-19 dazu beiträgt, digitale Kreativkräfte freizusetzen ............................................................... Seite 25

Schotten dicht

Immunsystem geschwächt

Corona-Maßnahmen in der örtlichen Verwaltung ..................................................................Seite 14

Cyber-Kriminelle nutzen Krise aus / Gesundheitswesen im Fokus ........................................................ Seite 35

Wie hart trifft Corona die Kommunen?

Keine digitalen Abstimmungen

Rettungsschirme statt Sparprogramme notwendig ....................................................................Seite 19

Bundestag bleibt in der Krise weitgehend analog ....................................................................... Seite 36

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Betrieb geht ins Homeoffice Behörden Spiegel informiert jedoch normal weiter (BS/Uwe Proll) Trotz oder eben gerade wegen der Corona-Krise schränkt der Behörden Spiegel sein Informationsangebot nicht ein, nein, es wird erweitert. Soeben ist ein neuer Newsletter mit dem Titel “Rettung.Feuer. Katastrophe” gestartet – der kostenlos bestellt werden kann. Zusätzlich steht eine neue digitale Kommunikationsplattform zur Verfügung: Behoerden.Blog. Hier werden aktuelle Themenschwerpunkte aus dem Öffentlichen Dienst diskutiert. Hier wird informiert, aber die User tauschen sich auch aus, bilden Gruppen und bleiben im Dialog. Präsenz-Veranstaltungen sind im Moment nicht möglich. Das heißt aber nicht Verzicht auf Weiterbildung. Daher ist die Fortführung des Seminarbetriebes bei unseren darauf spezialisierten Anbietern ProSeminaris und Cyber Akademie das wichtigste Thema. Hier sind fast sechzig Webinare in Vorbereitung, die aus Ihrem Home- ein Learnoffice machen. Nutzen Sie die Zeit durch Webinare – es gibt auch hier natürlich qualifizierte Teilnehmerbescheinigungen, um Weiterbildung zu betreiben. Gleichzeitig bietet die Cyber Akademie Phishing-Simulationen als neuen Service an. Dabei werden individualisierte PhishingDummys verschickt, die zu der Eingabe von Zugangsdaten auf einer hierfür angelegten Website bewegen sollen. So können Sie das Awareness-Level Ihrer Angestellten prüfen und verbessern.

Also neue online- und digitalfähige Informations- und Kommunikationsangebote in diesen schwierigen Zeiten. Damit will der Behörden Spiegel als größte unabhängige Zeitung für den Öffentlichen Dienst auch seiner Verantwortung nachkommen, interessenfreie Informationen und Hintergründe zu liefern. Die Redaktion schöpft aus den Erfahrungen vergleichbarer Krisen. Nichtsdestotrotz arbeitet die Behörden Spiegel-Gruppe ab sofort komplett im Homeoffice-Modus. Sowohl die interne Kommunikation als auch die Sekretariatsfunktionen und auch die grafische Produktion werden aufrechterhalten. Sie erreichen alle Kontakte wie gewohnt.

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/BMU Foto 2: BS/Ministerium für Inneres, Bauen und Sport des Saarlandes Foto 3: BS/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Beilagenhinweis Einer Teilauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage der Technischen Akademie Wuppertal bei.

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / April 2020

KNAPP

Nicht nachhaltig Gedanken zur Überführung von Beamten in die Rentenversicherung nicht weiterführen (BS/Jörn Fieseler) Die Kommission “Verlässlicher Generationenvertrag” hat sich intensiv mit der Weiterentwicklung des Rentensystems befasst und Überlegungen zuz Einbeziehung von Beamtinnen und Beamten angestellt. Das Ergebnis ist eindeutig: Zur Stärkung der Rentenfinanzierung taugt die Abschaffung der Pensionen nicht. Aus unterschiedlichen Gründen. Die Alternativen sind jedoch auch nicht überzeugend. Pensionen sind ein Teil der lebenslangen Alimentation, die wiederum zu den althergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums in Artikel 33 Grundgesetz gehört. Diese Grundsätze verpflichten Beamte und Dienstherren gleichermaßen. So steht beispielsweise der Treuepflicht des Beamten die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber. Dabei erstreckt sich das Alimentationsprinzip nicht nur auf die aktive Zeit, in der Beamte seinen Dienst versieht, sondern auch darüber hinaus auf die Zeit nach der Pensionierung. Und es umfasst bei der Beamtenversorgung zwei Säulen – die Regelversorgung und eine Zusatzversorgung, so die Autoren des Kommissionsberichts. An dieses austarierte System die Hand anzulegen, bedeutet letztlich, den Beamtenstatus insgesamt infrage zu stellen. Das gesamte Konstrukt würde zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

Finanzielle Mehrbelastung Sollten neue Beamte statt einer Pension eine Rente bekommen und in das beitragsfinanzierte System überführt werden, müssten beide Säulen übertragen werden. “Die Dienstherren müssten parallel zu Zahlungen der Beamtenpensionen sowohl die Beiträge in die Rentenversicherung zahlen als auch hohe Beiträge für die betriebliche Altersversorgung aufwenden. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bei den Beamten das Ziel einer angemessenen Alterssicherung auch ohne eine kapitalgedeckte Zusatzversorgung erreicht wird”, wie Prof. Dr. em. Heinz-Dietrich Steinmeyer von der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster in seinem Rechtsgutachten zum Kommissionsbericht schreibt.

prinzip, dass niemand finanziell schlechter gestellt sein darf. Der Dienstherr müsste nicht nur den Arbeitgeberanteil an den Beiträgen für die Rentenversicherung zahlen, sondern zusätzlich den Beamten ein höheres BruttoGehalt überweisen, damit diese ihren Beitrag zahlen könnten, ohne am Ende netto weniger zu verdienen.

Unpopuläre Maßnahmen

Mit der Überführung der Beamten aus dem Pensions- in das Rentensystem wären immense Mehrkosten verbunden, ohne die Finanzierung nachhaltig zu verbessern – so die Ergebnisse der Kommission “Verlässlicher Generationenvertrag”. Wichtige Gelder würden so verbrannt werden, ohne eine Wirkung zu erzielen. Foto: BS/lucid dream, stock.adobe.com

Zudem müssten die gesetzlichen Grundlagen geändert werden. Der Bund hat zwar die Gesetzgebungskompetenz über die Statusrechte und -pflichten, Laufbahnen, Besoldung und Versorgung würden aber zur konkurrierenden Gesetzgebung zählen und damit in den Bereich der Länder fallen, schreibt Steinmeyer weiter.

Es lohnt sich nicht Es dürfte also höchst unwahrscheinlich sein, dass in dieser Frage eine einheitliche Lösung in allen 17 Bundesländern getroffen wird. Steinmeyer kommt daher zu dem Schluss, dass “vieles dafür spricht, die Einbeziehung von Beamten nicht weiter zu verfolgen”. Ähnlich äußert sich auch der Bundesvorsitzende des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, Ulrich Silberbach: “Die Alterssicherung der Beamten künftig über die Rente abzuwickeln, wäre das Gegenteil von nachhaltig und würde jeder Vernunft und dem Auftrag der Kommission, einen

verlässlichen Generationenvertrag zu entwickeln, Hohn sprechen. Damit würden die finanziellen Belastungen aller Rentner und Beitragszahler mittel- und langfristig sogar deutlich steigen. Denn immer stehen heutigen Beiträgen künftige Anwartschaften und Ansprüche gegenüber.” Darüber hinaus seien aber auch andere Gründe relevant: Zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben bräuchten wir Beamtinnen und Beamte mit genau festgelegten Rechten und Befugnissen. Mehr noch: “Kein starker Sozialstaat ohne eine starke Wirtschaft, keine starke Wirtschaft ohne einen leistungsfähigen Staat”, schreibt Prof. Dr. Georg Cremer, außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre, Universität Freiburg, in seinem Gutachten für die Kommission. Gerade in Zeiten der Krise wird diese Aussage mehr als nur belegt (siehe auch Seite 4 in dieser Ausgabe). Und nicht nur das. Der Beamtenstatus ist ein wichtiges Attrak-

tivitätsmerkmal, um überhaupt noch genügend Personal für den Öffentlichen Dienst rekrutieren zu können. Warum wohl werden in allen Flächenländern Lehrkräfte inzwischen verbeamtet?

Wichtiger Attraktivitätsaspekt Zur Attraktivität gehört eben auch die Pension. Die Gehälter im aktiven Dienst hinken weit hinter den Verdienstmöglichkeiten in der Privatwirtschaft hinterher. Erst wenn Gehälter und Pensionen addiert werden, kommt eine annähernd gleiche Summe heraus wie bei der Addition von Gehältern und Renten von vergleichbaren Berufsgruppen in der Wirtschaft. Infolge dessen müssten bei einem Wegfall der Pensionen Bund und Länder die aktiven Bezüge deutlich anheben. Denn im jetzigen Gehalt sind wegen der Pensionen kaum Sozialabgaben berücksichtigt. Gleichzeitig beinhaltet das Alimentations-

Um das Rentensystem weiter finanzieren zu können, sind im Wesentlichen vier Varianten möglich. Erstens die Anhebung des Renteneintrittsalters. Der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat das beitragsfinanzierte Umlagesystem der Rentenkassen einmal wie folgt erläutert: “Das Eintrittsalter lag bei 65 Jahren, während die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung bei 64 Jahren lag. Die Zahl derer, die das System finanziert haben, war größer als die Zahl derjenigen, die Rente bezogen haben. So hat das System funktioniert. Heute beläuft sich die durchschnittliche Lebenserwartung laut Statistiken bei Männern auf 79,1 Jahre und bei Frauen auf 84,1 Jahre. Sollte der alte Mechanismus wieder greifen, müsste das Renteneintrittsalter deutlich angehoben werden.” Die zweite Variante bestünde darin, die Beiträge entsprechend hochzusetzen. Beides ist nicht populär und auch nicht durchsetzbar. Damit bleibt nur, wie die Kommission es vorsieht, die Säule der staatlichen Rente zu stabilisieren und die zweite Säule der Zusatzversorgung weiter auszubauen. Oder das gesamte System von einer Beitragsfinanzierung in eine Steuerfinanzierung zu überführen. Doch das ist eine andere Diskussion.

Stufenweiser Aufbau (BS/jf) Rund 2.000 einzelne Baumaßnahmen mit Gesamtkosten von jeweils mehr als zwei Millionen Euro führt der Bund derzeit durch. Für einen besseren Überblick soll im Bundeshochbau ein einheitliches IT-System aufgebaut werden. In diesem sollen sämtliche relevanten Informationen zu Flächen, Beteiligten, Kosten, Terminen, Vergabeverfahren, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz oder Kunst am Bau bis hin zu erteilten Aufträgen, Planungsund Bautenständen in einer Datenbank enthalten sein. “Um möglichst schnell über die benötigte zentrale Datenbank zumindest in wichtigen Teilen zu verfügen, wird nun der Ansatz eines stufenweisen Aufbaus verfolgt, bei dem zunächst verfügbare Hauptdaten zusammengeführt und IT-gestützt bereitgestellt werden, um dann in weiteren Stufen die Datenbank zu verbreitern und zu vertiefen”, teilt das BMI nun in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage im Bundestag (Drucksache 19/17960) mit. In einem ersten Schritt soll bis Anfang 2021 eine zentrale Projektdatenbank für zivile Baumaßnahmen aufgebaut werden.

VBL neu organisiert (BS/jf) Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) stellt sich neu auf. Die Kapitalanlagetätigkeiten werden in einer Tochtergesellschaft gebündelt. Dies hat auch personelle Konsequenzen. Seit dem ersten April sind alle Kapitalanlagetätigkeiten in der KaServ GmbH zusammengefasst worden. Die Gesellschaft berät seit 2015 laut Änderung des Gesellschaftervertrages ausschließlich die VBL im Zusammenhang mit Kapitalanlagen. Beide Institutionen haben ihren Sitz in Karlsruhe. Im Zuge der Aufgabenübertragung wechselt auch das Vorstandsmitglied der VBL für den Bereich “Kapitalanlage”, Georg Geenen, und wird neuer Geschäftsführer.

Zukunft Führung Themen und Referenten,, u. a.:

Neue (Führungs-)Kraft in der Behörde entfalten

► Wirksam führen – Hirnforschungsergebnisse für den Führungsalltag Jochen Ludwig, Heidelberger Druckmaschinen ► Zukunft der Arbeit und Auswirkungen auf Führung – ein Ausblick ins Jahr 2030+ Christian Schoon, Zukunftswissenschaftler, Stadt Köln, FOM Hochschule und Future Impacts ► Führen auf Distanz im digitalen Zeitalter Dr. Joey-David Ovey, Berater und Coach mit dem Schwerpunkt öffentliche Verwaltung

18.-19. Juni 2020

Höhr-Grenzhausen

► Bühne frei – was Führung mit Präsenz zu tun hat Edith Börner, Schauspielerin, Spezialistin für professionelle Auftrittspräsenz und Inszenierung ► Führung 4.0 – verloren in der Matrix-Organisation Dirk Nebel, Ministerialdirigent, Abteilungsleiter Zentrale Dienste, Digitale Strategie und Breitbandversorgung im Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt ► Warum Führungskräfte sich mit Mediation befassen sollten? Edmund Schaaf, Bürgermeister a. D., langjähriger Büroleitender Beamter und Mediator WEITERE HIGHLIGHTS: ► Interaktive Workshops und Kommunikationspausen zum kollegialen Austausch ► Kreativspaziergang und gemeinsames Abendessen ► Teilnahme zum attraktiven Preis inkl. Übernachtung im modernen Tagungshotel mitten in herrlicher Natur Eine Veranstaltungsreihe des

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de ► Suchwort „Zukunft Führung“


Aktuelles Öffentlicher Dienst

Seite 4

Die Zukunft der Arbeit ist jetzt

S

eit über einem Jahr sammelt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Erfahrungen mit orts- und zeitflexiblem Arbeiten. Mit einer neuen Dienstvereinbarung konnten rund 350 Mitarbeitende an einer Pilotierung teilnehmen. Mit den neuen Anforderungen in einer digitalen Arbeitswelt, wie zum Beispiel Führen auf Distanz oder der Entgrenzung von Beruf und Privatleben, haben sich die Beschäftigten in Workshops auseinandergesetzt. Eine anschließende Evaluation zeigt: 85 Prozent der Befragten sind mit dem Modell zufrieden. Den gesamten Pro-

Behörden Spiegel / April 2020

Wie das BMBF und der Landkreis Nordsachsen Wandel gestalten (BS/Henning Werner/Julia Tauß/Jacqueline Radtke*) Es gibt Zeiten, in denen stellt sich nicht länger die Frage, ob es Veränderungen braucht. Vielmehr geht es darum, Notwendiges umzusetzen. Sei es das Corona-Virus, das uns im Bereich mobiles Arbeiten spontan in den Prüfstand der digitalen Transformation und einer zeitgemäßen Organisationskultur hebt. Oder seien es demografische Entwicklungen, durch die im Öffentlichen Dienst etwa ein Drittel der Beschäftigten bis zum Jahr 2030 in Rente geht. zess begleitete die Ingenieur- und Managementberatung Ramboll. Winfred Bernhard, Leiter der Abteilung Z, betont die Bedeutung moderner Arbeit: “Wir haben erfahren, was es bedeutet, über Veränderungen nicht nur zu

reden, sondern Taten folgen zu lassen. Durch Beteiligung über alle Ebenen hinweg ist das Haus in Bewegung gekommen: Wir haben etwas Neues ausprobiert, was zu uns passt, daraus gelernt und können es nun in die Breite

tragen. In der aktuellen KrisenSituation, in der wir überwiegend mobil arbeiten, profitieren wir sehr von diesen Erfahrungen.”

Digitale Bürgerservices im Landkreis Nordsachsen Die Bürgerinnen und Bürger des Flächenlandkreises Nordsachsen erwarten digitale Leistungen, um ihre Anliegen auch von zu Hause aus zu erledigen. Neue Arbeitsformen in der Verwaltung sind notwendig, um solche ortsunabhängigen und digitalen Bürgerservices zu verwirklichen. Außerdem gilt es, mit der Nähe zu Leipzig eine attraktive Arbeitgeberin zu bleiben. “Für den Landkreis bedeutet dies Veränderungen auf verschiedenen Ebenen der Verwaltungsorganisation”, beschreibt Jens Kabisch, Zweiter Beigeordneter und verantwortlich für

Digitalisierung/E-Government in Nordsachsen. “Wir haben hierfür eine gemeinsame Zukunftsstrategie mit Verantwortlichen, Führungskräften und Mitarbeitenden aufgestellt. Jetzt heißt es, diese Strategie mit allen Beteiligten in den Wandel zu überführen.”

Den Wandel aktiv gestalten Die beiden Beispiele zeigen: Die Zukunft der Arbeit ist im Heute angekommen. Orts- und zeitflexibles, agiles oder vernetztes Arbeiten sind kein Selbstzweck einer neuen Generation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es sind die Reaktionen auf aktuelle Herausforderungen. Diese gilt es gewinnbringend für die Mitarbeitenden und damit auch im Sinne einer leistungsfähigen Verwaltung zu gestalten. Doch wie gelingt der Wandel von Strukturen und Kulturen? Wie löst man Veränderung aus, ohne eine ganze Organisation zu überfordern? Dabei helfen einige

Orientierungspunkte: Interventionen mit Ausstrahlung: Für die Verwirklichung einer innovativen Arbeitskultur gibt es nicht die fünf Schritte zum Erfolg. Oft sind es kleinere Einheiten, die etwas Neues ausprobieren und so den Wandel in Gang setzen. Eine planvoll angelegte Intervention mit zunächst begrenztem Wirkungsraum kann sich nachhaltig in der ganzen Organisation entfalten. Veränderung durch Einbindung: Veränderung muss ergebnisoffen sein. Ein echtes Interesse an vielfältigen Perspektiven und guten Dialogen bringt die wesentlichen Themen für den Wandel zutage. Auch die Digitalisierung bewirkt den Wandel von Zusammenarbeit. Um dies zu gestalten, braucht es die Einbindung aller Beteiligten. Wie anfangen: Die Entscheidung über eine Zielrichtung gibt Orientierung. Ein gut vorgedachtes Change Management verringert Risiken. Und dann heißt es anfangen und ausprobieren. Dann gelingt Veränderung schrittweise. *Henning Werner ist Direktor, Julia Tauß und Jacqueline Radtke sind Beraterinnen für Organisationsentwicklung im öffentlichen Sektor, bei der Ingenieur- und Managementberatung Ramboll

Vieles ist möglich Personal zwischen Einsatz und Regularien

Zukunft Personalentwicklung

Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Öffentlichen Dienstes 9. – 10. September 2020, Bonn

KEYNOTES, u. a.:

Personalentwicklung im Öffentlichen Dienst – aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven Dr. Helmut Teichmann Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

Der Öffentliche Dienst ist kein attraktiver Arbeitgeber? Ändern Sie das!

Personalwesen in der Praxis einer Bundesoberbehörde

Dominic Multerer, Autor, Marketing- und Management-Experte

Dr. Markus Richter Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Die Verwaltung wird „agil“ – Was ist das und welche Auswirkungen hat das auf die Personalentwicklung? Christine Gebler Stadt Heidelberg

ZUKUNFTSWEISENDE THEMEN, u. a.: ► Prozessmanagement: Grundlage für erfolgreiches Personalmanagement?

Prof. Dr. Rolf Ritsert, Deutsche Hochschule der Polizei

► Public Service Motivation: Auswahlkriterium bei der Personalrekrutierung?

Michael Evers, M.A., Deutsche Hochschule der Polizei

► Arbeit 4.0: Führungsinstrumente für die öffentliche Verwaltung

Werner Achtert, Geschäftsleitung Public Sector,

msg systems ag

► Personalarbeit im Zeichen von Digitalisierung und New Work

Prof. Dr. Jürgen Weibler, Lehrstuhl für Betriebswirtschafts-

lehre, insbes. Personalführung und Organisation, Fernuniversität Hagen

► Immer mehr Aufgaben und immer weniger Leute – Digitalisierung als Lösung?

Dominic Multerer, Autor, Marketing- und Management-Experte

► Gesunde Führung – die Wirkungen auf mich und andere Prof. Dr. Bernhard Badura, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld

► Gesundheitsmanagement in der Praxis

Polizeioberrat Christoph Badenhop, Polizeikommissariat Ronnenberg/Niedersachsen

► Wirkungsvolles Personalmarketing für einen zukunftsfähigen Öffentlichen Dienst

Frank Beck, Berater für strategische Markenentwicklung

und -positionierung mit Fokus auf den öffentlichen Sektor

Eine Veranstaltungsreihe des

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de / Suchwort „Zukunft Personalentwicklung“

(BS/jf) In Nordrhein-Westfalen sollen Behörden Personen, die über eine Ausbildung zum Gesundheitsberuf verfügen, zur Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verpflichten können. So sieht es ein neues Gesetz zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vor. Für den Öffentlichen Dienst ist so eine Regelung nicht nötig: Beamtenrecht und Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst enthalten schon jetzt zahlreiche Möglichkeiten, Personalengpässe in der Krise zu beseitigen. Ob Corona, Sars oder die Flüchtlingswelle – die Krisen der letzten Jahre haben eines gemeinsam: Sie betreffen besonders das Personal im Öffentlichen Dienst. Dieses zeigt in solchen Zeiten seinen wahren Wert. “Zusammen” laute das Gebot der Stunde, Tage, Wochen und Monate. “Für die Menschen im Öffentlichen Dienst ist dieser Zusammenhalt, dieses “Einer für alle und alle für einen” nicht fremd”, betont Karoline Herrmann, Chefin der DBB-Jugend. Es sei sozusagen in der DNA verankert. Der Öffentliche Dienst, er funktioniere – und das sei der Verdienst der Menschen, die in ihm arbeiteten.

Kaskadenförmige Steigerungen Wenn schnelles und entschlossenes Handeln zur Krisenbewältigung notwendig ist, gehen Beamte und Tarifbeschäftigte oft mit bestem Beispiel voran. Freiwillig leisten sie Mehrarbeit in Form von Überstunden, verschieben sogar Urlaube oder melden sich für neue Aufgaben, wie zuletzt bei der Flüchtlingskrise. Auch Dienstherren bzw. Arbeitgeber haben verschiedene Möglichkeiten. Überstunden können auch angeordnet werden. Darüber hinaus kann der Arbeitgeber auch vorher genehmigte Nebentätigkeiten untersagen, wenn diese in Art und Umfang die Arbeitskraft so stark in Anspruch nehmen, dass eine ordnungsgemäße Erfüllung dienstlicher Pflichten behindert wird, wie es im Bundesbeamtengesetz heißt. Reichen diese Maßnahmen trotzdem nicht, um eine Krisensituation zu überstehen, kennen sowohl das Beamtenrecht als auch die Tarifverträge für Bund und Kommunen (TVöD) sowie für die Länder (TV-L) die “Abordnung”, die kurzfristige Übertragung eines Amtes oder einer Tätigkeit auf eine andere Dienststelle oder einen anderen Betrieb. Dabei bleiben die Betroffenen ihrer bisherigen Dienststelle weiter

zugehörig. So könnten in Krisen wie der jetzigen Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehren zu anderen Dienststellen, sogar in anderen Bundesländern, abgeordnet werden, um dort personelle Engpässe zu beseitigen. Vorausgesetzt natürlich, dass der eigene Dienstherr keinen Engpass hat. Oder Verwaltungsmitarbeiter können entsprechend ihren bisherigen Tätigkeiten und Fähigkeiten andernorts eingesetzt werden.

Rückkehr in den aktiven Dienst Sollten damit immer noch personelle Kapazitäten fehlen, bliebe als vorletzter Schritt ein Aufruf an Pensionäre und Rentner, freiwillig in den Dienst zurückzukehren. Und als letzte Maßnahme wäre es Dienstherren möglich, Pensionäre wieder in den aktiven Dienst zurückzuversetzen. Bis zum vorletzten Schritt sind bei der Bewältigung der Flüchtlingswelle alle Maßnahmen angewendet worden. In der aktuellen Situation sind Überstunden und verlängerte Schichten schon ausgesprochen und Nebentätigkeiten versagt worden.

Entscheidung vor Ostern Und der nordrhein-westfälische Gesetzentwurf? Der verdeutlicht ein Problem, bei dem weder die Tarifverträge noch das Beamtenrecht helfen können. Diejenigen, die einen Gesundheitsberuf erlernt haben, nach der Ausbildung oder einigen Jahren im Beruf diesen aber verlassen haben, sind von den genannten Regelungen nicht erfasst. Dazu müsste man jedoch erfassen können, wer über eine solche Berufsausbildung verfügt. Vor Ostern will sich der Landtag erneut mit dem Entwurf “eines Regelwerks zur Bestimmung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite” befassen.


Zahlen & Daten

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 5

Hochschulen des Öffentlichen Dienstes (HöD) (BS) Mit mehr als 55.000 Studierenden sind die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst ein wichtiger Baustein in der Aus- und Weiterbildung in Deutschland. Die Hochschulen haben jedoch nur eine Durchschnittsgröße von wenig über 1.500 Studierenden und sind sehr kleinteilig organisiert. Die Spanne reicht von fast 12.000 Studierenden an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen bis hin zur Archivschule in Marburg mit etwas über 90 Studierenden. Derzeit sind bundesweit 38 Hochschulen für den Öffentlichen Dienst, die sich auf fünf wesentliche Fachbereiche sowie weitere Schwerpunkte verteilen, in der seit Ende der siebziger Jahre bestehenden Rektorenkonferenz der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst organisiert. Das Praxis- und Forschungsnetzwerk wurde als Ergänzung zur Rektorenkonferenz 2016 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, die inhaltlich-fachlichen Brücken zwischen den Hochschulen untereinander und der Praxis zu schlagen. Mehr Infos auch unter www.rkhoed.de

Studiengänge an den HöD

Ausrichtung der Studiengänge

92 36 55

Allgemeine Verwaltung

32

Polizei

17

15

Finanzen/Steuern

Rechtspflege

8

Sozialversicherung

20

Sonstige

0

20 dual

40

60

80

100

berufsbegleitend

Abschlüsse Fort- und Weiterbildungsaktivitäten der HöD

30 79 35 21 0

20

40

60

80

100

aktive Hochschulen

Fort- und Weiterbildungsprogramme

Weiterbildungsstudiengänge

Fort- und Weiterbildungsinstitute

61

Bachelor

40

44

Master

Diplom

11

Staatsexamen

Lehrende

1.204

Studentenzahl 2020 12.000

10.000

759

2/3 der HöD haben unter 1.000 Studierende

8.000

Gesamt

7.220

5.257

6.000

4.000

Durchschnitt = 1.532

2.000

Lehrbeauftragte*

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Rangplatz

Quelle: BS/Prof. Dr. Jürgen Stember, Präsident der Rektorenkonferenz der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst (RKHöD; 2018) – jstember@hs-harz.de

hauptamtlich Lehrende

Professoren

*Hier sind alle an den Hochschulen tätigen Lehrbeauftragten aus der Praxis aufgenommen.

Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von stock.adobe, sidop

120


Länder

Seite 6

S

o sieht der Kommunalpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion im Bundestag, Christian Haase, die bayerische Corona-Lösung in Form einer reinen Briefwahl als durchweg positiven Erfolg an. Er freut sich nicht nur über die neu gewählten CSU-Bürgermeister in der bisherigen SPD-Hochburg Nürnberg und in einigen anderen Rat- und Kreishäusern, sondern vor allem auch über die gesteigerte Wahlbeteiligung – “nicht trotz, sondern gerade weil es eine reine Briefwahl war. Das zeigt uns, dass die Briefwahl ein geeignetes Instrument ist, um die leider niedrige Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen anzukurbeln.” Haase sieht den Erfolg der Wahl als ersten Schritt hin zu einer voll digitalen Wahl und fordert in seinem Statement daher “das Bundesinnenministerium auf, zu prüfen, wie mit der OnlineFunktion des neuen Personalausweises eine rechtssichere Wahl ermöglicht werden kann”. Digitale Wahlen mit dem Personalausweis könnten, wenn es nach Haase geht, schon bei den Kommunalwahlen in NordrheinWestfalen (2020) und Hessen (2021) erstmals realisiert werden.

Reine Briefwahl hat nicht nur Fans Während man die Wahl in den Reihen der politischen Sieger also als Erfolg verbucht, sind viele Juristen etwas nüchterner in ihrem Urteil. So zweifeln Dr. Andreas Gietl, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Universität Regensburg, sowie Dr. Fabian Michl, Akademischer Rat a. Z. an der Universität Münster, in einem gemeinsamen Gastbeitrag auf dem juristischen Fachportal “Legal Tribune Online” an der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der bayerischen Methode. Die beiden Juristen sehen unter anderem die “latente Beeinträchtigung des Wahlgeheimnisses und der Öffentlichkeit der Wahl” durch die Briefwahl als Problem. Die Briefwahl werde nämlich verfassungsmäßig überhaupt nur deswegen akzeptiert, da sie “das Prinzip der allgemeinen Wahl befördert”. Somit müsse sie aber gleichzeitig immer als Ausnahme von der Regel gesehen werden. Das gilt auch, und im aktuellen Fall nun ganz besonders, da der Bürger per Gesetz selbst die Entscheidung darüber in der Hand haben müsse, Briefwahl zu beantragen oder nicht; eine Entscheidungsgewalt, die in Bayern nun außer Kraft gesetzt worden war. Zwar sei die Pandemie um den Corona-Virus als triftiger Grund für eine Ausnahme anzusehen, eine Allgemeinverfügung könne ein Gesetz aber dennoch nicht einfach so übertrumpfen, sind sich die beiden Juristen einig.

Reicht die Wahl per Brief? Stichwahl in Bayern als demokratischer Drahtseilakt (BS/Wim Orth) Die erste Runde der Kommunalwahlen im Freistaat Bayern konnte Anfang März noch in verhältnismäßiger Normalität durchgeführt werden. Menschen aus Risikogruppen wurde zwar die Stimmabgabe per Brief empfohlen, die reguläre Präsenzwahl war aber – abgesehen von Mindestabständen und Plastikhandschuhen – verhältnismäßig uneingeschränkt möglich. In einigen Kommunen kam es einige Wochen später zur Stichwahl um die Bürgermeisterschaft, bei der die Stimmabgabe dann aber per Order aus der Staatsregierung nur noch auf postalischem Weg möglich war. Ob eine solch eingeschränkte Wahl trotz der ungekannten Krisensituation die nötige juristische Verfassungsmäßigkeit mit sich bringt, darüber streiten sich bislang noch die Gelehrten. war, um die Allgemeinheit der Wahl auch für jene zu gewährleisten, die an der Präsenzwahl aus welchem Grund auch immer nicht teilnehmen können. Ebenso ist Pestalozza der Ansicht, dass man von Anfang an hierfür habe in Kauf nehmen müssen, dass die Briefwahl eine potenzielle Einschränkung des Grundrechtes auf geheime Wahl mit sich bringe, weswegen sie bis heute staatsrechtlich als eine Art Wahl zweiter Klasse gelte: “Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedenken gegen eine (zusätzliche) Briefwahl gesehen und gewürdigt, aber letztlich gemeint, die Vorteile überwögen, auch weil die Mehrheit die Urnenwahl vorzieht”, schließt daher auch der Berliner Jurist. Trotz dieser juristisch schwierigen Situation sieht er in Anbetracht der beispiellosen Krise, durch die die bayerischen Staatslenker die Kommunalwahl hindurch manövrieren mussten, ein gewisses juristisches Verständnis als angebracht. Zwar könnten einer exklusiven Briefwahl nicht die gleichen Vorzüge wie einer Nach der reinen Briefwahl in der zweiten Runde der bayerischen Kommunalwahlen bleiben verfassungsrechtliche Präsenzwahl zugutekommen, Fragen, auf die das Bundesverfassungsgericht jedoch aller Voraussicht nach mit einer gewissen Kulanz gegenüber der sodass das Bundesverfassungsaußerordentlichen Situation reagieren wird. Foto: BS/Tim Reckmann,cc by 2.0,flickr.com gericht die nun erfolgte Wahl im Fall einer Klage “zweifellos So könne auch die Landesregie- exekutive Alleingänge mittragen für unser Wahlsystem sinnvoll strenger beurteilen” würde. “Es rung durch die bestehende Geset- würde, sollte die legitimierende und sicher einsetzen. Im Übrigen ist aber nicht auszuschließen, zeslage den Kommunen nicht als Kraft der Wahl gegenüber der werden junge Menschen fragen, dass es sie angesichts der panministerielle Weisung “von oben” skeptischen Minderheit sicher- warum wir uns bei den neuen demischen Ausnahmelage für oktroyieren, wie sie ihre Wahlen gestellt werden”. technischen Möglichkeiten nicht “noch verfassungsgemäß” halten Gegenüber dem Behörden Spie- weiterentwickelt haben. Demo- würde. Dies aber nur, wenn es zu durchzuführen hätten. Stattdessen habe ausschließlich gel bleibt Haase im Hinblick auf kratie darf nicht stillstehen und der Auffassung gelangte, eine Urder Landtag die rechtliche Kom- die Kritik aus Juristenkreisen zu autokratischen Strukturen nenwahl sei wirklich nicht gleichpetenz, das Wahlgesetz dergestalt bei seiner grundsätzlichen Posi- führen, wenn der nächste Virus zeitig durchführbar”, so Pestazu ändern, dass “krisenadäquate tion, “dass die Durchführung der im Umlauf ist.” lozza. Heißt im Umkehrschluss: Käme das Gericht zum Ergebnis, Lösungen” in die Vorgaben des Stichwahl in Bayern mithilfe der dass auch unter pandemischen Gesetzes eingepasst werden könn- Briefwahl ein Erfolg war. Auch Mittelweg als Chance ten. Die Verfasser schließen daher die Menschen in Quarantäne hatEine vermittelnde Position in der Umständen eine “gesundheitliauch mit ihrem Unverständnis da- ten die gleichen Bedingungen wie Diskussion um die Rangfolge von che Gefährdung durch den Berüber, warum “die Staatsregierung alle anderen Wählerinnen und Handlungsfähigkeit in der Krise such der Wahllokale praktisch die Gelegenheit nicht genutzt hat, Wähler und wurden nicht be- und der Verfassungsmäßigkeit ausgeschlossen werden könneine der Pandemie angemessene nachteiligt. Die demokratischen der Wahl nimmt Dr. Christian te”, so müssten die regulären Änderung des Kommunalwahlge- Prozesse müssen auch in Aus- Pestalozza, emeritierter Professor Wahlbüros ihre Türen definitiv setzes zu initiieren”. So, wie die nahmesituationen praktikabel für Staats- und Verwaltungs- für die Präsenzwahl öffnen. Die Wahlen nun durchgeführt worden und krisenfest gestaltet werden”, recht an der Freien Universität Chancen stünden angesichts der seien, habe man Fakten auf einer so der kommunalpolitische Spre- Berlin, ein. Auch für ihn ist es gegebenen Lage aber recht gut wackligen Grundlage geschaffen, cher der Unionsfraktionen. Um zunächst ein verfassungsrecht- für die Staatsregierung, denn die deshalb vor Gericht mögli- für potenziell erneut auftreten- licher Fakt, dass die Briefwahl man habe in der Begründung für cherweise mit Erfolg anfechtbar de Ausnahmesituationen dieser von den Müttern und Vätern der die außerordentliche Anordnung seien. Auf diese Weise könne die oder ähnlicher Art gerüstet zu Bundesrepublik ursprünglich als durchaus gezeigt, dass man sich Zwangs-Briefwahl dazu führen, sein, hält er es daher “für wichtig, alternative Notlösung gedacht der Ernsthaftigkeit der Sache die demokratische Legitimation dass wir unser Wahlsystem für der Amtsträger zu untergraben, die Zukunft weiterentwickeln und denn obgleich “die Mehrheit der die neuen Möglichkeiten einer Wähler im Angesicht des Infek- eindeutigen persönlichen Identionsrisikos derzeit wohl auch tifizierung in Online-Verfahren

bewusst gewesen sei: “Die Begründung der Anordnung vom 19. März hat sich ersichtlich bemüht, maßgebliche Argumente pro und contra zu skizzieren und gegeneinander abzuwägen. Sie ist nicht vollständig, aber die Gerichte würden dem Ministerium wohl – auch wegen der zeitlichen Bedrängnis und der Außergewöhnlichkeit der Situation – einen erheblichen Spielraum zubilligen”, fasst der Jurist daher zusammen.

Zügige Stichwahl im Sinne der Demokratie Abschließend betrachtet Pestalozza mit Wohlwollen gegenüber der Regierung auch das grundsätzliche rechtliche Dilemma, dem man habe begegnen müssen. Denn sowohl eine reine Briefwahl als auch eine Verschiebung des Wahltermins seien vom Gesetz nicht gedeckt gewesen. So müsste das Verfassungsgericht in seine Erwägungen mit einbeziehen, “ob es nicht beim Nebeneinander von Brief- und Urnenwahl dadurch hätte bleiben können, dass die Stichwahl – unter Abweichung von den geltenden zwingenden wahlrechtlichen Vorschriften – auf einen weniger Pandemiegefährdeten Termin hinausgeschoben worden wäre (den zurzeit allerdings niemand hätte nennen können). Dass das Wahlrecht etwas anderes vorsieht, wäre nicht entscheidend, denn auch eine exklusive Briefwahl verstößt gegen geltendes Wahlrecht. Es gibt allerdings gute Sachgründe, die dafür sprechen, eine Stichwahl möglichst zügig nach dem ersten Wahlgang durchzuführen”, so der Staatsrechtler. Es gibt also gute Argumente für und gegen die reine Briefwahl, die das Bundesverfassungsgericht im Fall des Falles genau gegeneinander abwägen müsste, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen, das der Außergewöhnlichkeit der Situation Rechnung tragen würde. Als sehr wahrscheinlich ist ein potenzielles Kippen der Wahlergebnisse allerdings zum aktuellen Zeitpunkt nicht zu betrachten. Das gilt wohl auch deswegen, weil die Annullierung der Ergebnisse und die sich daran anschließenden Neuwahlen wiederum ihrerseits einen Rattenschwanz mit sich brächten, der möglicherweise zu einer weit größeren verfassungsrechtlichen Diskussion führen könnte, als das – in Anbetracht der Situation durchaus verständliche – nun durchgeführte Verfahren in Bayern selbst für sich in Anspruch nehmen kann.

Digitale Führungskompetenzen

Basel-III-Standards um ein Jahr verlängert Finanzaufseher schaffen Erleichterungen für Banken (BS/lkm) Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht hat Ende März verkündet, die Umsetzung der Basel-III-Standards um ein Jahr zu verschieben. Anstatt zum 1. Januar 2022 sollen die Standards nun zum 1. Januar 2023 eingehalten werden müssen. Die Übergangsfristen für den Output-Floor, der den Banken eine Mindestkapitalunterlegung für Risikoaktiva vorschreibt, gelten nun bis zum 1. Januar 2028 anstatt bis zum 1. Januar 2027. Den Banken sollen damit operationelle Zusatzkapazitäten in der Corona-Krise gegeben werden. Es sei wichtig, dass Banken und Aufseher ihre Ressourcen darauf fokussierten, der Realwirtschaft die kritischen Bankdienstleistungen bereitzustellen und das Finanzsystem zu stabilisieren, hieß es in einer Mitteilung der Bafin. Die Pfandbriefbanken begrüßten den Beschluss der Finanzaufseher. “Die Corona-Krise stellt Gesellschaft und Wirtschaft vor gewaltige Herausforderungen, die wir nur gemeinschaftlich bewältigen können. Jetzt muss zunächst der Finanzierung der Realwirtschaft der Vorrang gegeben werden”, betonte Jens

Behörden Spiegel / April 2020

Tolckmitt, Hauptgeschäftsführer des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp). Diesen Sommer wollte die EUKommission einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, wie die Baseler Beschlüsse in europäisches Recht hätten umgesetzt werden sollen. Noch ist offen, ob die EUKommission einer Verschiebung der Basel-III-Standards zustimmen wird. Da die Entscheidungsgremien in Brüssel eine Verschiebung aufgrund der Corona-Krise jedoch bereits selbst in Erwägung gezogen haben, kann davon ausgegangen werden, dass sie dem Beschluss der Bankenaufseher folgen werden. 2010 beschlossen die Notenbanken und Aufsichtsbehörden

von 27 Staaten neue Kapitalund Liquiditätsvorschriften für Bankeninstitute. Mit den neuen Eigenkapitalregeln, auch Basel III genannt, reagierte man auf die Erfahrungen, die man in der Finanzmarktkrise gemacht hatte. Banken sollen sich im Krisenfall aus eigener Kraft stabilisieren und retten können. Sie sollten künftig besser selbst vorsorgen müssen, um ihre Risiken abzupuffern. So müssen die Finanzinstitute in Zukunft mehr Eigenkapital vorhalten, als dies noch vor der Finanzkrise der Fall war. Durch weitere Puffer sollen Banken ihre Risiken zudem besser auffangen können – aus eigener Kraft und ohne staatliche Hilfe.

Arbeiten mit digitalen Medien hält immer mehr Einzug in den Dienstalltag und kehrt auch auf der Führungsetage ein.

Digitale Führungskompetenzen zu erwerben und bewusst einzusetzen, wird im modernen Führungsalltag mehr und mehr in den Fokus rücken. Zum einen werden kollaborative Arbeitstechniken vermehrt eingesetzt und sind gleichzeitig Basis vernetzten Arbeitens. Darüber hinaus erwarten die Mitarbeitenden auch eine aktive Beteiligung und Sichtbarkeit von Vorgesetzten in der medialen Aktionswelt. Doch bloggen, liken, abonnieren und Kommentare in Intranets zu hinterlassen, wird in keinem Führungsseminar gelehrt. Hier agieren jedoch die Mitarbeitenden und kämpfen ebenfalls damit, sich dieser neuen Kommunikationsform anzunähern. Hier greift der Vorbildcharakter des eigenen Handelns extrem. Nur so können Bedenken und Hindernisse gemeinsam überwunden werden.

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom.

Foto BS/privat

Gleichzeitig stellt die damit verbundene Transparenz ganz neue Anforderungen an das Führungshandeln. Vergebe ich bspw. ein Like zu einem Artikel, so wirkt dies unmittelbar auf alle Autoren und Leser dieses Mediums. Warum gerade dieser Artikel und nicht ein anderer? Auch Kommentare zu einem Artikel sind u. U. in der gesamten Organisation sichtbar.

Das gezielte Adressieren eines Autors kann hier ggf. die bessere Wahl sein. Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung, dass überraschende Aspekte als Reaktion auf einen Kommentar aus Ecken kommen, aus denen sie nicht zu erwarten sind. Auch stelle ich immer wieder fest, wie weit verzweigt Themen in der gesamten Organisation Auswirkungen haben und an unterschiedlichen Stellen bearbeitet werden. Dieses offene Kommunizieren ist ein wichtiger Bestandteil, um früh übergreifend Informationen und Überlegungen bekannt zu machen. Die richtige Balance und den passenden Umgang zu finden, ist sicher nicht leicht; aber kollaboratives Arbeiten ist Basis des vernetzten Handelns und damit Führungsarbeit über den eigenen Bereich hinaus in die gesamte Organisation hinein.


Finanzen

Behörden Spiegel / April 2020

Öffentliche Haushalte gehen ins Defizit

D

irekt einen Tag nach dem Bund legten auch Hessen und Nordrhein-Westfalen einen Nachtragshaushalt vor und gingen damit in die Miesen. Kurz darauf verabschiedeten auch Niedersachsen und RheinlandPfalz einen Nachtragshaushalt. Am schnellsten reagierte man aber in Baden-Württemberg, dort hatte der Landtag bereits einige Tage vor dem Bund einen Nachtragshaushalt in die Wege geleitet. Anfang April legte auch das Finanzministerium in Sachsen einen Nachtragshaushalt vor und plant damit die Aufnahme neuer Schulden. “Aus heutiger Sicht ist für die Handlungsfähigkeit des Staatshaushalts eine Neuverschuldung in Höhe von bis zu sechs Milliarden Euro bis spätestens Ende 2022 erforderlich”, bezifferte Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann den notwendigen Kapitalbedarf. In Bayern schnürt man derweil ein 60 Milliarden Euro schweres Rettungspaket. Diese Summe entspricht laut Landesfinanzminister Markus Söder einem kompletten Haushaltsjahr des Freistaates. Auch in Hamburg aktivierte man den Ausnahmetatbestand von der Schuldenbremse. Die Hansestadt plant eine Kreditaufnahme von bis zu 1,5 Mrd. Euro für 2020 und 2021. Das sind etwa zehn Prozent des jährlichen Haushaltsvolumens des Stadtstaates. Tilgen will man in Hamburg – wie auch der Bund – innerhalb von 20 Jahren. Für Hamburg bedeutet das Jahresraten von 75 Millionen Euro. “Wir müssen schon jetzt davon ausgehen, dass die Folgen schwerwiegender sein können als nach der Finanzkrise 2008/2009. Angesichts der Entwicklung werden wir mit erheblichen Einnahmeausfällen und Mehrbelastungen in den Behördenbudgets und

Seite 7

Krisenprogramme im Eilverfahren (BS/lkm) Nachdem sich der Bund Ende März mit einer Nettokreditaufnahme in Höhe von 156 Milliarden Euro von der schwarzen Null verabschiedet hat, zogen nur wenige Tage später auch mehrere Bundesländer nach. Die Schuldenbremse erlaubt in Notsituationen die Neuverschuldung, sie ist damit nicht abgeschafft, aber vorübergehend außer Kraft gesetzt. In den kommenden Jahren stehen Bund und Länder vor massiven Herausforderungen, auch weil jegliche Neuverschuldung auch mit einem Tilgungsplan verbunden werden muss. bei unseren öffentlichen Unternehmen rechnen müssen”, so Hamburgs ­F inanzsenator Dr. Andreas ­Dressel.

Grenze des Leistbaren erreicht In Brandenburg rechnet man aufgrund der Corona-Pandemie mit Mehrausgaben von rund zwei Milliarden Euro und Mindereinnahmen von rund einer Milliarde Euro. “Wir dürfen nicht an der falschen Stelle sparen, weil die Folgen der Krise ansonsten noch schwerwiegender wären als ohnehin schon zu befürchten”, betonte Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange. Da man aktuell noch nicht einschätzen könne, wie sich die Wirtschaft und das Land von der CoronaKrise erholen werden, sei auch ein weiterer Nachtragshaushalt nicht ausgeschlossen. Die Finanzministerin machte zudem deutlich, dass man sich aus ihrer Sicht der Grenze dessen nähere, was das Land Brandenburg leisten könne. “Die finanziellen Möglichkeiten eines Bundeslandes sind nicht unbegrenzt”, mahnte Lange. Man sei auch verpflichtet, diese Kredite wieder zu tilgen. Der Tilgungsplan sehe eine Tilgung über 30 Jahre vor. Werde der Schutzschirm vollständig in Anspruch genommen, beliefen sich die Tilgungsleistungen der nächsten 30 Jahre auf rund 67 Mio. Euro jährlich – ohne Zinsen. “Finanziell ist das eine schwere Bürde, die das Land zu tragen hat”, so Lange.

Das Saarland kündigte auch einen Nachtragshaushalt an, jedoch erst für Juni 2020. Aus heutiger Sicht, so Saarlands Finanzminister Peter Strobel, müsse man nicht nur mit überplanmäßigen Ausgaben rechnen, sondern vor allen Dingen mit hohen Steuerausfällen, die derzeit allerdings noch nicht abschätzbar seien.

belasten. Auch die Wirtschaftsweisen gehen für die öffentlichen Haushalte von schweren Zeiten aus. Für das Jahr 2020 erwartet der Sachverständigenrat ein Defizit von 27,2 Mrd. Euro und für das Jahr 2021 ein Defizit in Höhe von 37,4 Mrd. Euro. Diese Zahlen seien jedoch mit großen Unsicher-

heiten behaftet und könnten sich noch weiter verschlechtern, warnen die Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Sondergutachten. 2019 lag der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo im Vergleich dazu noch bei 49,8 Mrd. Euro. Die öffentliche Hand geht mit gut gefüllten Kassen in die Krise.

Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, erzielten die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung 2019 einen Überschuss von 45,2 Milliarden Euro. Damit war der Finanzierungssaldo im sechsten Jahr in Folge positiv. Das Plus fiel aber um 8,5 Milliarden Euro geringer aus als 2018. Die Erfahrung früherer Wirtschaftsund Finanzkrisen hatte gezeigt, dass die Haushalte auch noch nach den Krisen mehrere Jahre vor erheblichen zusätzlichen Herausforderungen standen, bis sich die Lage wieder normalisiert hat. Der 2019-Überschuss dürfte daher kaum Anlass zum Zurücklehnen geben.

Saarland setzt vorerst auf vorhandene Mittel Die finanzielle Handlungsfähigkeit der Landesregierung sei bis auf Weiteres aber gewährleistet. Im aktuellen Haushalt plane man zunächst, alle Möglichkeiten des bestehenden Haushaltsgesetzes zu nutzen, um schnell handeln zu können. “Im Augenblick können wir mit unserem Haushalt noch flexibel auf finanzielle Herausforderungen reagieren – das wird sich aber im Laufe des Jahres ändern”, so Strobel.

Corona kostet deutlich mehr Für dieses und die folgenden Jahre muss aufgrund der Pandemie von einem deutlichen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes ausgegangen werden. Die Bundesregierung rechnet mit geringeren Steuereinnahmen. Es wird davon ausgegangen, dass 33,5 Mrd. Euro weniger eingenommen werden als ursprünglich im Haushalt 2020 eingeplant. Nach Einschätzung des Münchner ifo Institutes wird die Corona-Krise den Staatshaushalt mit Kosten zwischen 255 und 729 Mrd. Euro

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Petersberger Finanzgipfel

16.–17. Juni 2020, Steigenberger Grandhotel Petersberg

12 Praxis-Workshops zu den Themen: • • • • • •

Haushalt 4.0 – Digitale Instrumente für mehr Transparenz und bessere Steuerung Das versteckte Risiko: Die finanzielle Unterdeckung der Zusatzversorgungskassen Tax Compliance Management System (TCMS): ein Muss für alle Kommunen EPSAS – Europäische Rechnungslegungsstandards für den öffentlichen Sektor Fachkräftemangel steigt auf allen Ebenen – Analyse und Lösungen Wie reicht der Schutz aus sogenannten D&O-Versicherungen?

• • • • • •

E-Payment und elektronische Rechnungen Darlehenswettbewerbe Compliance- und Risikomanagement-Systeme in der kommunalen Praxis Kostenstabiles Bauen und Bauinvestitionscontrolling ÖPNV-Finanzierung Beamtenversorgung und Pensionsrückstellungen – Studie zur aktuellen Entwicklung

Referenten, u. a.: Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen

Dirk Käsbach, Erster Beigeordneter und Kämmerer, Stadt Königswinter

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Isabell NehmeyerSrocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. (Zweiter Senat)

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 8

Viel besser als ihr Ruf

Behörden Spiegel / April 2020

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Generalunternehmervergabe unter der Lupe (BS/Kristina Tyufekchieva/Dr. Oliver Rottmann/Dr. Moritz Püstow*) Nur jeder fünfte Bauauftrag wurde zwischen 2015 und 2017 im Wege einer Generalunternehmervergabe (GU-Vergabe) realisiert, so das Ergebnis einer aktuellen deutschlandweiten Umfrage des Kompetenzzentrums für Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge an der Universität Leipzig (KOWID). Skepsis und Begeisterung zu dieser Art der Auftragsvergabe wechseln sich ab. Ein neuer Leitfaden zeigt die Möglichkeiten zu GU-Vergaben auf und weist auf Besonderheiten hin, die es zu beachten gilt.

Gerade bei großen Bauvorhaben kann es sinnvoll sein, einen Generalunternehmer oder -übernehmer mit der Auftragsausführung zu betrauen. Foto: BS/Michael Gaida, Pixabay

GU-Vergaben, bei denen ein einziger Vertragspartner der öffentlichen Hand entweder die wesentlichen Leistungen selbst erbringt (Generalunternehmer) oder deren Ausführung durch Dritte koordiniert (Generalübernehmer), erfolgen meistens dann, wenn Leistungen gebündelt werden, um eine zügige und effiziente Projektrealisierung zu ermöglichen. Aus den sich da­ raus ergeben Vorteilen einerseits und andererseits aus positiven Erfahrungen, die kommunale Auftraggeber auf dem Gebiet bereits gemacht haben, erfreut sich diese Form der Bauauftragsvergabe eines grundsätzlichen Zuspruchs. Demgegenüber scheuen sich viele öffentliche Auftraggeber vor der GU-Vergabe. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind die komplexe Rechtslage, die Sorge vor Rüge- und Nachprüfungsverfahren sowie vor einem Vorwurf von Vergabeverstößen durch eventuelle Fördermittelgeber. Des Weiteren wurde in der KOWID-Umfrage der Verzicht auf die GU-Vergabe mit der Förderung des Mittelstands und der regionalen Unternehmen begründet. Doch gerade die Nutzung

von Fördergeldern kann die GUVergabe beflügeln. Diese stehen den deutschen Kommunen zur Behebung des Investitionsrückstandes in großem Umfang seitens der EU, des Bundes und der Länder zur Verfügung. Allein der Kommunalinvestitionsfonds des Bundes weist ein Volumen von insgesamt sieben Milliarden Euro auf. Es kann erwartet werden, dass nach der Corona-Krise über ein neues Konjunkturpaket weitere Fördermittel bereitgestellt werden. Beim Abruf dieser Gelder trifft die Komplexität des Fördermittel-, Bau- und Vergaberechts häufig auf Personalengpässe in der Verwaltung, sodass Kompetenzen für die Investitionsprojekte nicht in erforderlichem Maße bereitstehen.

Vor- und Nachteile thematisiert Welche Wege es gibt, um trotz vorhandener Unsicherheiten die Potenziale der gebündelten Vergaben im Interesse des öffentlichen Auftraggebers nutzbar zu machen, zeigt ein Kommunalleitfaden GU-Vergabe von KPMG Law, dem Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) an der Uni-

qanuun-aktuell Lernen vor und in Krisen von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune In Zeiten wie diesen wagt man es kaum, Themen wie Compliance/ Korruptionsprävention als Gesprächsthema anzubieten. Man weiß, dass gegenwärtig alle staatlichen wie gesellschaftlichen Energien für die Bekämpfung der Pandemie gebündelt werden, was erforderlich – und dieses Mal – tatsächlich alternativlos ist. Gleichwohl gibt es zwischen dem Umgang mit einer Pandemie und einem hand­ festen (Korruptions-)Skandal in einer Behörde oder einem Unternehmen durchaus methodische Parallelen. In beiden Fällen hat sich ein Risiko verwirklicht. Ein Sachverhalt, der zuvor als möglicherweise abstrakt bedenklich eingestuft wurde, hat sich derart entwickelt, dass daraus ein Schaden entstanden ist, im Falle der Pandemie natürlich zu einem bedeutend größeren als bei einem örtlich, finanziell und persönlich begrenzten Skandal. Es stellen sich jedoch in beiden Fällen Fragen: War diese Entwicklung vorhersehbar? Was kann man künftig tun, um das Risiko früher zu erkennen und zu reduzieren? Wie ist der Schaden zu vermeiden bzw. zu begrenzen? Für Pandemien gibt es auf den unterschiedlichen staatli-

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

chen Ebenen Pandemiepläne, die versuchen auf diese Fragen Antworten zu antizipieren, um Kopf- und Orientierungslosigkeit in einer schwierigen und gefährlichen Lage zu vermeiden. Auch wenn solche Pandemiepläne nicht wirklich den Verlauf einer Pandemie konkret vorhersagen können, so geben sie doch im Rahmen des Katastrophenschutzes wichtige Handlungsanleitungen. Sinnvollerweise wird der Katastrophenschutz dann strukturiert und durchdacht, wenn keine Katastrophe bevorsteht. Für eine Risikoanalyse im Bereich Compliance und Korruptionsprävention würde ich mir das auch in “friedlichen” Zeiten wünschen. Bleiben Sie gesund!

versität Leipzig und KOWID. Die Handreichung “Vergabe an Generalunternehmer” richtet sich an öffentliche Auftraggeber und beleuchtet ausgewählte Fragen auf dem Gebiet unter Einbeziehung praxisnaher Umsetzungsbeispiele. Behandelt wird unter anderem die Frage, welche Infrastrukturprojekte sich für eine gebündelte Vergabe eignen und welche Besonderheiten man bei der Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit zu beachten hat. Hier werden die unterschiedliche Vor- und Nachteile vorgestellt und diskutiert. Über die Entscheidungsfindung hinaus illustriert die Handreichung auch weitere Aspekte, die für einen erfolgreichen Projektabschluss entscheidend sind. Die Vorteile der GU-Vergabe können in diesem Sinne nur genutzt werden, wenn das Projekt partnerschaftlich ausgestaltet ist und ein hoher Wettbewerb durch eine starke Marktattraktivität erreicht wird. Hier zeigt die Publikation verschiedene Lösungsmöglichkeiten, um Konflikte in Bauprojekten zu minimieren und zu lösen und zeigt zudem auf, mit welchen Mitteln ein ausreichender Wettbewerb für eine GU-Vergabe sichergestellt werden kann.

Vorhandene Möglichkeiten nutzen In Zeiten von Kapazitätsengpässen, sinkenden Bieterzahlen und steigenden Anforderungen an Infrastrukturvorhaben sind öffentliche Auftraggeber gut beraten, die Möglichkeiten, die ihnen das Vergaberecht bietet, auszunutzen. Das bedeutet unter anderem die Einbeziehung alternativer Beschaffungsmethoden in ihre Entscheidungsvorgänge. Gerade bei komplexen Bauvorhaben und knappen Personalkapazitäten der öffentlichen Verwaltung kann die GU-Vergabe entscheidende Vorteile bei deren Realisierung schaffen. In diesem Sinne bietet die Handreichung ein unterstützendes Werkzeug bei der Entscheidungsfindung und der weiteren Gestaltung von Infrastrukturprojekten. Sie verhilft öffentlichen Auftraggebern, die damit verbundenen Risiken zu minimieren und trägt damit zu mehr Rechtssicherheit bei. Die Handreichung für Kommunen ist kostenfrei abrufbar unter www.kowid.de unter dem Menüpunkt: Studien/Projekte. * Kristina Tyufekchieva, LL.M., ist Wiss. Mitarbeiterin am KOMKIS der Universität Leipzig. Dr. Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand des KOWID an der Universität Leipzig. Dr. Moritz Püstow ist Partner bei der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

► E-BAUSTOFFE

Einkauf nach VgV Ohne Bauleistung kein Bauauftrag Die Kommune saniert einen längeren Straßenzug. Dazu hat sie mehrere Bauabschnitte gebildet, die über viele Jahre verteilt realisiert werden sollen, immer dann, wenn wieder Fördergelder für einen weiteren Bauabschnitt beantragt werden können. Um ein einheitliches Straßenbild über die ganze Länge sicherzustellen, will sie die dafür zu verwendenden Granit-Pflastersteine und -gehwegplatten selbst beschaffen. Im fünften Bauabschnitt gibt sie vor, dass die zu liefernden Steine sich optisch an den bereits verbauten orientieren müssten. Dieses optische Kriterium überwiegt alle anderen Wertungskriterien (auch den Preis) bei Weitem. Aber genau über die optische Angleichung des Materials gibt es Streit zwischen einem Lieferanten aus einem früheren Bauabschnitt und der Vergabestelle. Die Vergabestelle widerspricht dem Nachprüfungsbegehren dieses Bieters mit dem Argument, es handele sich um einen Bauauftrag, der im fünften Abschnitt einen Wert von 1,3 Mio. Euro habe und damit nicht dem GWB-Vergaberecht unterliege. Das aber sieht die Vergabekammer ganz anders. Sie hält die Nachprüfung für zulässig, weil es sich um einen Lieferauftrag handele, der den dafür geltenden, wesentlich niedrigeren Schwellenwert überschreitet. Das liege daran, dass der Auftrag, neben der Lieferung, gerade nicht das Verbauen der Steine zum Inhalt habe. Ohne Bauleistung sei der Auftrag isoliert zu betrachten und nicht als Teil der Gesamtbaumaßnahme. So konnte sie die Wiederholung der Wertung verfügen. VK Nordbayern (Beschl. v. 19.08.2019, Az.: RMFSG21-3194-4-40)

► PREISFEHLER

Auslegung möglich Fehlende Kommas und falsche Einheiten Für den Neubau von Unterkünften einer Kaserne interessierten sich acht Unternehmen. Aber nur ein einziges gab schließlich ein Angebot ab. Doch dieses Angebot war nachlässig bearbeitet worden. So waren in allen vergleichbaren Positionen die zu verlegenden Kabel mit 1,35 Euro/m bepreist worden – mit Ausnahme einer Stelle, an der 135 Euro/m gefordert wurden. Der Preis für Ortbeton wurde mit rund 130 Euro pro Quadratmeter angegeben. Der Wert entspricht aber dem üblichen Kubikmeterpreis, der anzugeben gewesen wäre. Der Auftraggeber hielt dieses einzige Angebot nicht für wertbar und hob die Ausschreibung auf. Der Streit um die Zulässigkeit der Aufhebung geht bis vor das Oberlandesgericht, das zuletzt dem Auftraggeber Recht gab. Der Preis für die Kabel ist dabei unschädlich. Durch Auslegung ist erkennbar, dass auch an dieser einen fraglichen Stelle kein anderer Preis gemeint sein kann, denn es ist nicht ersichtlich, dass dort andere Leistungen als an allen anderen Positionen erbracht werden sollten. Der Versuch des Bieters, seine Nachlässigkeiten in Absicht umzudeuten, um sein Angebot von vermeintlichen Fehlern zu be-

freien, war deswegen überflüssig, in anderem Zusammenhang sogar schädlich: Diese Taktik hat seinen Ausschluss wegen des Beton-Preises schließlich gerechtfertigt. Denn wenn hier absichtlich m² statt m³ eingetragen waren, wäre das Angebot spekulativ: Dann hätte man ihm unterstellen können, dass er darauf spekuliert hätte, dass der Fehler nicht auffiele und ihm eine doppelt überhöhte Abrechnung ermöglichte. OLG Düsseldorf (Beschl. v. 13.03.2019, Az.: Verg 42/18)

► SIGNATUR

Unterschrift entbehrlich Textform ist die Regel Die Umstellung von der Papierform auf die elektronische Kommunikation macht auch weiterhin einigen Auftraggebern Schwierigkeiten – vor allem, wenn man noch alte Formulare aus der analogen Zeit verwendet. So ist es einer Behörde ergangen, die in einer Gebäudereinigungs-Ausschreibung für die Aufforderung zur Angebotsabgabe ein Formblatt des Jahregangs 2017 verwendet hat, in dem sie lediglich die Kommunikationswege “elek­ tronisch mit fortgeschrittener/ qualifizierter Signatur” und den Weg “schriftlich” angekreuzt hat – obwohl die VgV als Regelfall die Kommunikation elektronisch in Textform vorsieht. Im Fließtext jedoch war von der Angebotsübermittlung in Textform die Rede. Als Angebotsformulare waren aber solche des Jahrgangs 2009 verwendet, die eine händische Unterschrift vorsahen und für die Abgabe in Textform nicht vorbereitet waren. Ein Angebot in Textform wollte der Auftraggeber ausschließen. Er glaubte, die einzig zulässige Weise, in diesem Verfahren ein Angebot ohne elektronische Signatur einzureichen, sei es, das Formblatt für die schriftliche Einreichung auszudrucken, zu unterschreiben, einzuscannen und dann elektronisch zu senden. Das allerdings sieht das OLG Naumburg anders. Der Auftraggeber hätte schon die schriftliche Einreichung gar nicht zulassen dürfen. Hätte er ausschließlich signierte Angebote zulassen wollen, so hätte er die Textform zweifelsfrei ausschließen müssen. Andernfalls ist die Textform immer zulässig und eine Unterschrift auf den veralteten Formularen entbehrlich. OLG Naumburg (Beschl. v. 04.10.2019, Az.: 7 Verg 3/190) )

► PREISPRÜFUNG

Auch Mengengerüst beachten Einheitspreis allein nicht aussagekräftig Im Zuge des Neubaus eines Autobahnkreuzes ist es erforderlich, den Baugrund kampfmittelfrei herzurichten. Da sich die Anlage in einem Bereich befindet, der im Zweiten Weltkrieg sehr stark von Bombenangriffen betroffen war, ist mit einer erheblichen Zahl von Kampfmittelfunden zu rechnen. Der Auftraggeber schreibt die Kampfmittelräumung funktional aus. Ziel des Auftrages ist es demnach, die uneingeschränkte Aufhebung des Kampfmittelverdachtes nach § 8 KampfmittelVO zu erlangen. Der ortsansässige, aus Voraufträgen bestens bekannte Bestbieter verspricht

diese Leistung zu einem Drittel des Preises des Zweitplatzierten. Der Auftraggeber prüft den Preis nur oberflächlich, weil er sich mit demjenigen früherer erfolgreicher Auftragsausführungen ähnelt. Ein unterlegener Bieter bemängelt dies und bekommt vor der Vergabekammer Recht. Der Auftraggeber habe es versäumt, nicht nur den Gesamtpreis zu betrachten, sondern auch zu prüfen, ob die Mengenansätze realistisch gewählt sind. Die Einheitspreise allein seien bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung nicht aussagekräftig im Hinblick auf die Auskömmlichkeit. Allein durch ortsbezogene Synergieeffekte sei eine derartig große Preisdifferenz nicht zu begründen. Vielmehr ist zu vermuten, dass sie sich daraus ergibt, dass der Bestbieter zwei unterschiedlich aufwendige Sondierungsmethoden einsetzen will. Aber weder das Angebot noch die Urkalkulation geben darüber Aufschluss, welche Flächenanteile mit welcher Methode sondiert werden sollen. Dies hätte der Auftraggeber im Zuge der Preisprüfung hinterfragen müssen. OLG Hamburg (Beschl. v. 06.09.2019, Az.: 1 Verg 3/19)

► TESTSTELLUNG

Wiederholung möglich Die Frist war zu kurz Der Auftraggeber wollte über 1.000 Netzwerkdrucker anmieten. Von den drei aussichtsreichsten Bietern verlangt er, sie sollten die angebotenen Geräte für eine Teststellung bereitstellen. Dies sollte rechtzeitig vor dem geplanten Zuschlagstermin erfolgen. Die Teststellung war für Mitte März bis Mitte April angekündigt. Nachdem die ersten beiden Bieter eine Verlängerung der Frist zur Vorbereitung erbeten hatten, wurde die Zeit für den Dritten knapp. Er bekam gerade einmal 45 Stunden Vorlauf zwischen Mitteilung und frühestem Testtermin. Bei der Vorstellung der Geräte des Dritten wies dieser auf die kurze Frist hin. Er habe keine exakt identischen Geräte stellen können. Das WLANModul war nicht intern verbaut, sondern von außen anmontiert. Diese Abweichung rief die ITAbteilung des Auftraggebers auf den Plan: Wenn nicht exakt das WLAN-Modul verbaut sei, das später geliefert werde, sei der Test wertlos, denn gerade die problemlose Einbindung der Geräte ins Netzwerk sei der Zweck der Teststellung gewesen. Der Auftraggeber wiederholt deswegen den letzten Test, wovon ein Konkurrent durch Zufall erfährt. Die Vergabekammer billigt aber die Wiederholung. Sie sei schon allein wegen der Ungleichbehandlung bei der Frist zur Stellung der Testgeräte erforderlich gewesen, zumal die Frist auch objektiv zu kurz gewesen sei. Ein Nachteil für die anderen beiden Bieter trete dadurch nicht ein, denn sie hatten die nur verifizierende Teststellung ohne vergleichende Wertung bestanden. Deswegen war allein die Wiederholung für den Dritten zulässig. VK Südbayern (Beschl. v. 09.09.2019, Az.: Z3-3-3194-120-06/19)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 9

Erst verhandeln, dann anordnen

Vorbereitung bleibt das A und O

Änderung der VOB/B zwingend notwendig

IKT-Beschaffertage zu Verwaltungsorganisation und Vergabevorbereitung

(BS) Vor zwei Jahren hat der Gesetzgeber das Bauvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch verändert. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erläutert Reinhard Janssen, Leiter des Referats “Recht des Bauwesens; Öffentliches Auftragswesen” (BW I 7) im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), welche Überlegungen zur Änderung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B (VOB/B) – angedacht sind und bis wann diese umgesetzt sein könnten. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

(BS/Jörn Fieseler) Rund 500 Mio. Euro beträgt das Beschaffungsvolumen der bayerischen Landeshauptstadt. Rund 165 Mio. Euro dieses Budgets wird für IT-Beschaffungen aufgewendet. Um dieses Volumen und die dazugehörigen Vergabeverfahren zeitnah abwickeln zu können, hat die Münchener Stadtverwaltung den kompletten Prozess von der Bedarfsermittlung über die Beschaffung bis zur Nutzung neu organisiert. Entscheidend sind die frühzeitige Einbindung der Vergabestelle und die richtige Erstellung des Leistungsverzeichnisses. In einer Hinsicht können Bieter aufatmen.

Behörden Spiegel: Herr Janssen, Anfang 2018 ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) geändert worden. Was bedeuten die neuen Regelungen für die VOB/B? Janssen: In das BGB sind ausführliche Bestimmungen zum Bauvertragsrecht aufgenommen worden. Diese Neuregelungen orientieren sich zwar in vielen Punkten an der VOB/B, setzen an anderen Stellen aber auch bewusst andere Schwerpunkte. Da die VOB/B eine allgemeine Geschäftsbedingung ist, muss sie sich an den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Vorgaben messen lassen. Ob und inwieweit das der Fall ist, wird seit zwei Jahren rechtswissenschaftlich heiß diskutiert. Im Wesentlichen geht es um zwei Bereiche. Erstens, das Anordnungsrecht des Bauherrn. Das war schon immer in der VOB/B geregelt. In gewissen Grenzen kann der Bauherr dem Unternehmen während des Bauablaufs einseitig Anordnungen erteilen, um weiterhin einen zügigen Bauablauf zu ermöglichen oder diesen zu ändern. Damit ist es dem Bauherrn erlaubt, vom Grundsatz des Änderungsverbots nach Vertragsschluss abzuweichen. Das ist im BGB im Grundzug übernommen, aber um einen Verhandlungsvorbehalt ergänzt worden. Vor der Anordnung muss das Begehren gegenüber dem Unternehmer geäußert und anschließend bis zu 30 Tage darüber verhandelt werden. Nur wenn innerhalb dieser Frist kein Ergebnis erzielt wird, hat der Bauherr ein Anordnungsrecht. Vom Ansatz ist dieser Gedanke zwar nachvollziehbar, in der Praxis ist dies aber untauglich. Das Bauen ist ein dynamischer Prozess, das flexible Instrumente benötigt. Bei Baustellen mit 30, 40 und mehr Gewerken, die aufeinanderfolgend getaktet sind, kann nicht jedes Mal bis zu 30 Tage verhandelt werden. Damit zusammen hängt zweitens die Frage nach der Vergütung von Mehrleistungen aufgrund dieser Anordnungen. Bislang gilt in der VOB/B der Grundsatz des Vertragspreisniveaus. Die Preise, die bei der Ausschreibung im Wettbewerb erzielt worden sind, werden auf solche geänderten Leistungen fortgeschrieben. Diese Nachträge und die Art der Vergütungsberechnung können einerseits Einfallstor für Spekulationen sein, andererseits den Unternehmer aber auch an unauskömmlichen Preisen festhalten. Deshalb löst sich das BGB von der Fortschreibung des Vertragspreisniveaus und sagt, es sind die tatsächlich erforderlichen Kosten zu ermitteln. Unklar ist aber, was mit tatsächlich erforderlichen Kosten gemeint ist und wie diese

(sogenannte GUVergabe) Gebrauch machen oder Modelle des partnerschaftlichen Bauens nutzen. Andere Länder wenden solche Modelle schon an, bspw. Finnland. Wir haben im letzten Jahr dazu ein Forschungsvorhaben beauftragt. Wir wollen zuerst “Vom Ansatz ist dieser Gedanke die Übertragbarkeit zwar nachvollziehbar, in der dieser Modelle auf den öffentlichen BePraxis ist dies aber untauglich”, reich prüfen. Denn bisher sind sie in sagt Reinhard Janssen, Leiter des Referats “Recht des Bauwesens; Öffentliches Auftragswesen” im Deutschland nur im BMI, über einen Verhandlungsvorbehalt beim privatwirtschaftliAnordnungsrecht des Bauherren. Foto: BS/privat chen Bereich erprobt worden. Beides widerspräche berechnet werden sollen. Und ob aber der losweisen Vergabe zur sich das lobenswerte Ziel in der Förderung des Mittelstandes. konkreten Ausgestaltung des Ge- Außerdem wird damit der Kritik setzes erreichen lässt, erscheint Vorschub geleistet, dass öffentliche Auftraggeber nicht kostenmir zweifelhaft. stabil bauen können. Außerdem Behörden Spiegel: Warum wird ist noch unklar, inwieweit diese erst jetzt über eine Novellierung Modelle auch auf das Bauen im der VOB/B nachgedacht? Bestand übertragbar sind, das jedenfalls im Bundeshochbau Janssen: Wir haben uns im einen großen Anteil ausmacht. Deutschen Vergabe- und VerWas die Vergütungsregeln betragsausschuss für Bauleis- trifft, müssen wir ebenfalls das tungen (DVA) unmittelbar nach Zusammenspiel mit dem VerInkrafttreten der BGB-Novelle gaberecht betrachten. Vergabedarauf verständigt, nicht vor- rechtlich müssen wesentliche schnell an der VOB/B herumzu- Auftragsänderungen im Rahmen schrauben, sondern praktische eine bestehenden Vertrages neu Erfahrungen und Rechtspre- ausgeschrieben werden. chung abzuwarten. Auch wenn es noch keine Entscheidungen dazu Behörden Spiegel: Wie ist der gibt, ist es nun gleichwohl an der weitere Fahrplan? Zeit, die VOB/B einer kritischen Janssen: Mein persönliches Überprüfung zu unterziehen. Allerdings haben wir noch keine Wunschddatum wäre spätestens konkreten Vorschläge im DVA. Ende 2021.Diese Zeit werden wir Dazu ist das Meinungsbild nicht im DVA wohl brauchen. Ende 2021 hat auch einen praknur zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern, sondern auch tischen Grund. In der VOB/A untereinander noch zu unter- gelten noch besondere Wertschiedlich. grenzen für Bauleistungen zu Das Ziel des BMI ist es, die Wohnzwecken. Die sind bis Ende VOB/B AGB-fest auszugestalten. 2021 befristet. Wenn sie nicht Das bedeutet sicher ein Zugehen einfach auslaufen sollen, müsste auf das BGB, aber nicht zwingend die VOB/A ebenfalls noch mal geeine Eins-zu-eins-Übernahme. ändert werden. Das könnte dann Ich sehe noch einiges Verbes- in einem Zug passieren. Vielleicht serungspotenzial, mit dem sich hat man bis dahin auch überlegt, der DVA wieder an die Spitze der was von den Arbeitsaufträgen rechtspolitischen Entwicklung aus der Arbeitsgruppe (AG) zur setzen könnte. Ob das gelingt, Prüfung der Vereinheitlichung ist momentan aber noch offen. der VOB/A und der VgV umgesetzt werden kann. Behörden Spiegel: Welche AusBehörden Spiegel: Welche zenwirkungen auf die Praxis könnten durch die Angleichung der VOB/B tralen Ergebnisse sind denn in entstehen? der AG erzielt worden? Janssen: Es ist zum jetzigen Zeitpunkt eine Spekulation. Eine zwingende Verhandlungszeit bei Anordnungen während der Bauphase könnte dazu führen, dass Auftraggeber weniger gewerkeweise ausschreiben, sondern vermehrt von der Vergabe an ein Generalunternehmen

Bislang konnte der Bauherr Anordnungen erlassen, mit denen der Bauablauf beschleunigt werden soll. Aber nach dem BGB muss er mit den Bauausführenden erst verhandeln. Foto: BS/RAEng Publications, pixabay.com

Janssen: Die Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht worden, ich kann aber so viel sagen: Die VOB/A bleibt erhalten. Aber Inhalte der beiden Rechtsregime sollen möglichst angeglichen werden, wo keine Besonderheiten dem entgegenstehen. Das ist aber nicht als Einbahnstraße gedacht im Sinne einer Angleichung der VOB/A an die VgV und die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO), sondern könnte auch umgekehrt erfolgen. Die Arbeitsgruppe hat einige Themen benannt, die angegangen werden sollten. Das sind z. B. das Nachfordern von Unterlagen und die Regelungen zur E-Vergabe im Unterschwellenbereich. Darüber hinaus sollen die Zusammensetzung und Verfahren des DVA überprüft werden. Beispielsweise die Entscheidungsfindung. Bislang gilt hier ein Quorum von 75 Prozent für Änderungen der VOB. Wir werden das im DVA-Vorstand während der nächsten Sitzung im Mai besprechen.

98 Prozent des Volumens würde inzwischen über Rahmenverträge abgewickelt, so der stellvertretende Abteilungsleiter der IT-Vergabestelle in München, Markus Reif, auf den diesjährigen IKTBeschaffertagen des Behörden Spiegel in Kooperation mit der Mayburg Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Derzeit würden über 125 Rahmenverträge gemanagt. Aber: Lange Planungszeiten mit verschiedenen Ansprechpartnern in unterschiedlichen Bereichen deren Termindichte gleichermaßen hoch sei, kennzeichneten die notwendigen Ausschreibungen. Deshalb sei in München ein Prozessmodell IT-Services eta­ bliert worden. Dieses umfasse den gesamten Kreislauf, “von der Wiege bis zur Bahre, von der Entstehung eines IT-Bedarfs bis hin zu einem Lebenszyklus und zur Entsorgung”, erläutert Reif. Begonnen werde mit einer IT-Vorhabenplanung, in der sämtliche Projekte priorisiert würden. Jedes Projekt mit einem Umfang von 2,5 Mio. Euro oder mehr müsse vom Stadtrat bewilligt werden. Bereits bei der Anforderungsqualifikation und deren Bearbeitung werde ein Vergabeberater einbezogen, der seine Expertise in die Erstellung der Leistungsbeschreibung einfließen lasse. “Diese sorgt in den IT-Fachabteilungen immer für Unmut”, berichtet der Leiter der IT-Vergabestelle. Besonders bei der Definition der Zuschlagskriterien gebe es immer wieder Diskussionen. Die Beratung diene daher auch dem Ziel, “frühzeitig auf das richtige Pferd zu setzen”. Zum anderen soll damit der eigentliche Ausschreibungsprozess verkürzt werden. Ohne diese Vorbereitung würden es viel länger dauern, ein Vergabeverfahren abzuwickeln. Auf diese Weise könnte die Vergabestelle mehr Ausschreibungen durchführen. Und auch in den IT-Stellen würden die Fachkapazitäten schneller frei.

Datenschutz mitdenken “Zugleich muss auch der Datenschutz frühzeitig bei der Beschaffung mitgedacht werden”, mahnt Prof. Dr. Thomas Petri, Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz. Zu den materiellen Aspekten des Datenschutzes gehöre der Grundsatz der Transparenz. Den Bietern müsse einerseits kommuniziert werden, was mit ihren Daten gemacht werde, zum anderen sei dieser Grundsatz in Ausschreibungen zu integrieren. “Dies vor allem dann, wenn zum Beispiel Softwarelösungen beschafft werden sollen, die personenbezogene Daten verarbeiten sollen. Der öffentliche Auftraggeber kann sich nicht herausreden, indem er auf den Markt abstellt und sagt, eine solche Lösung hätte es nicht gegeben”, so Petri. Stattdessen müsse dieser Aspekt in der Leistungsbeschreibung enthalten sein.

Herzstück der Vergabe Wie entscheidend die Leistungsbeschreibung (LB) für das gesamte Vergabeverfahren sei unterstreicht Christian Stetter, Rechtsanwalt bei Mayburg: “Es ist das Herzstück der gesamten Beschaffung.” Die Qualität könne an der Anzahl der Bieterfragen abgelesen werden, je mehr es gebe, desto schlechter sei die LB. IT-Hardware sei meistens leicht und schnell beschreibbar, da sie zu den Handelswaren zähle, die man zählen, messen oder

Dr. Günther Pinkenburg, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Mayburg GmbH und fachlicher Leiter der Veranstaltung, erläuterte den Teilnehmern der IKT-Beschaffertage aktuelle Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen. Foto: BS/Fieseler

wiegen könne und die häufig standardisiert sei. Anders sei es, wenn es um individuelle IT-Leistungen gehe, wie zum Beispiel Softwarelösungen. Letztere sollten funktional ausgeschrieben werden, rät der Vergabejurist. “Beschreiben Sie die aktuelle Lage und was am Ende die Lösung können muss, überlassen Sie das dem Programmierer.” Sollten für diesen doch Vorgaben gemacht werden, könnten diese auch in den Ausführungsbestimmungen genannt werden.

“Invitatio ad offerendum” Entscheidend sei, keine unbestimmten Begriffe zu verwenden, so Stetter, um Auslegungsmöglichkeiten zu vermeiden. Diese würden nur zu Unwägbarkeiten und Kalkulationsaufschlägen führen. Der Rechtsanwalt verdeutlichte dies anhand der Qualifikationsanforderungen an das ausführende Personal. Wenn von diesem eine hohe Kommunikationsfähigkeit verlangt werde, müsse ausdefiniert werden, ob damit ein regelmäßiges Reporting gemeint sei oder ob sich der Auftragnehmer bei jedem Problem beim Auftraggeber melden solle. Ebenso verhalte es sich, wenn der Auftraggeber bestimmte Programmiersprachen voraussetze. Auch diese müssten klar benannt werden. Es sollte immer bedacht werden, dass die Leistungsbeschreibung

als “Invitatio ad offerendum” gelte – als Einladung an den Bieter, ein Angebot abzugeben. Dies sei auch bei der Ausschreibung individueller oder komplexer ITLeistungen zu beachten, ebenso wie für die Forderung von Teststellungen. Beides sei für Bieter herausfordernder, für die Angebotsabgabe müsse die Fachabteilung einbezogen werden. “Deshalb sollten öffentliche Auftraggeber auch über finanzielle Entschädigungen nachdenken”, so Stetter. Das alles mache die Ausschreibungsvorbereitung zwar komplizierter, befördere aber die Akzeptanz des Systems.

Erleichterung für Bieter Zur Akzeptanzsteigerung habe auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) beigetragen. Die Kardinalsünde, Angebote abzugeben, bei denen auf der Rückseite die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Unternehmens abgedruckt seien, sei kein Ausschlussgrund mehr, betont Günther Pinkenburg, Geschäftsführer der Mayburg Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Die AGBs würden keine rechtliche Wirkung entfalten, da sie vorher ausgeschlossen seien, bringt Pinkenburg die Entscheidung unter dem Aktenzeichen BGH 18.06.2019 – XZR 86/17 auf den Punkt. Dies sei auch in den EVB-IT-Verträgen so festgeschrieben.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 10

Ö

ffentliche Auftraggeber können bei europaweiten Ausschreibungen das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb anwenden, teilt das BMWI in seinem Rundschreiben mit. Die dafür aufgeführten Voraussetzungen aus § 14 Abs. 4 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) seien mit den kurzfristigen Bedarfen infolge der Pandemie gegeben, insbesondere bei medizinischen Verbrauchsgütern wie Heil- und Hilfsmitteln sowie bei notwendigen Produkten, um den Beschäftigten das Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen, wie Laptops oder Videokonferenztechnik. “Angebote können im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb formlos und ohne die Beachtung konkreter Fristvorgaben eingeholt werden”, heißt es in dem Rundschreiben. Danach sei es sogar denkbar, oberhalb der Schwelle die Fristen für die Erstellung von Angeboten auf bis zu null Tage

So flexibel wie möglich Bund und Länder erleichtern Beschaffung (BS/Jörn Fieseler) Für Zeiten wie diese sieht das Vergaberecht Verfahrenserleichterungen vor. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und die Europäische Union haben mittels Rundschreiben und Leitfaden darüber informiert, welche Voraussetzungen nun als gegeben angenommen werden können und welche Varianten für eine schnellere Beschaffung bestehen. Auch für Bauaufträge gibt es Vereinfachungen. Inzwischen haben auch einige Länder reagiert. zur reduzieren. Dies sei auch durch die Auslegung der europäischen Regelungen durch die EU-Kommission gedeckt, heißt es seitens des BMWi unter Verweis auf eine Mitteilung der Kommission vom 9. September 2015. Die EU-Kommission hat ihrerseits einige Tage später einen Leitfaden herausgegeben, in dem sie die Ausführungen des Wirtschaftsministeriums bestätigt hat. Im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots zur effizienten Verwendung von Haushaltsmitteln sollen möglichst mehrere Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Es sei jedoch

Um dringend benötigte Güter wie medizinische Hilfs- und Heilmittel schneller beschaffen zu können, haben die Länder das Vergaberecht erleichtert. Foto; BS/pasja 1000, pixabay.com

Ein ausgereiftes Angebot braucht Zeit Vier Aspekte für erfolgreiche Angebote (BS/Patrick Hofstadt*) Immer wieder fühlen sich Unternehmen nach Wertung einer Vergabe benachteiligt. Sie sind überzeugt, eine den Erfordernissen des Auftraggebers optimal entsprechende Lösung konzipiert und zu einem attraktiven Preis angeboten zu haben. Tatsächlich mag die Lösung sogar gut gepasst haben, die Beschreibung der Lösung im Angebot oder die Darstellung des Angebots innerhalb der Vergabe-Rahmenbedingungen hat dies aber nicht widergespiegelt. In der Folge erhielt das Angebot nicht die Anzahl von Punkten, die gegebenenfalls möglich gewesen wäre. Es obliegt an dieser Stelle aber grundsätzlich dem Bieter, einen bestehenden Wissensvorsprung zum Auftraggeber zu überbrücken. In öffentlichen Ausschreibungen darf der Anteil qualitativer Wertungskriterien bis zu 70 Prozent betragen. Die Erfahrung zeigt, dass es eine große qualitative Bandbreite abgegebener Angebote gibt. Die Gründe sind vielfältig, drei Muster tauchen jedoch immer wieder auf: Zum einen besitzen fachliche und technische Mitarbeiter nicht oft das nötige Wissen, um mehrwert- und kundenorientiert zu argumentieren. Zum Zweiten stammen Vertriebsmitarbeiter oft selbst aus der Technik und haben es nicht gelernt, für fachfremde Zielgruppen professionell Texte zu verfassen. Und drittens existiert eine Bruchstelle zwischen der vertrieblichen und der fachlich-technischen Kommunikationswelt. Wichtige Informationen werden auf der inhaltlichen Ebene nicht von allen Beteiligten gleich verstanden. Bieter können zur Verbesserung an folgenden vier Punkten ansetzen: • Grundwissen zu öffentlichen Vergaben verbessern, • Informationslücke zwischen Vertrieb und Technik schließen, • Grundkenntnisse kunden­ orientierter Kommunikation beherrschen und • erkennen, dass ein ausgereiftes Angebot Zeit zur Erstellung benötigt.

Grundwissen zu öffentlichen Vergaben Unternehmen sollten ein solides Grundwissen in Bezug auf Sprache und Kultur öffentlicher Vergaben aufbauen oder sich vermitteln lassen. Manchmal scheitert es schon am Verständnis, dass “maximal vier Seiten” auch “maximal vier Seiten” heißt. Wenn sich wichtige Informationen aus einer falsch verstandenen Dramaturgie heraus auf der abschließenden fünften Seite befinden, werden sie gegebenenfalls nicht mehr gewertet.

Schließen der Informationslücke An den Schnittstellen zwischen Abteilungen gehen wichtige Informationen verloren. Nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Kommunikations- und Sprachwelten, sondern auch wegen unterschiedlicher Grundmotive. Der Vertrieb möchte das Geschäft abschließen, Fachabteilungen

Behörden Spiegel / April 2020

Dabei müssen sie verständlich und präzise formuliert sein. Vertriebliche Botschaften sollten mit professiPatrick Hofstadt ist Geschäftsführer der QBC Anonellen Grafiken gebotsberatung. und journalistisch-redaktioFoto: BS/privat nellen Stilmitteln untermalt werden. Des WeiteRisiken und Kosten begrenzen. ren sollten Leistungsmerkmale Ansatzpunkte für Verbesserun- erkennbar mit dem entstehenden Nutzen für den Auftraggeber vergen können sein: • Sensibilisierung für eine aktive knüpft sein. Für alle Punkte existieren handModeration, die Missverständnisse und Informationsverluste werkliche Best Practices, die erreduziert und im weiteren Pro- lernbar, objektiv nachvollziehbar zess die Brücke zur Sprache und vielfach durch Kennzahlen und Kultur des öffentlichen messbar sind. Der Maßstab der Auftraggebers schlägt, damit Verständlichkeit ist darüber ein qualitativ hochwertiges An- hinaus immer die individuelle gebot abgegeben werden kann. Sicht des Auftraggebers auf die • Durchführung des Kick-offs Leistung. Dazu gehört auch die als gut vorbereiteter Präsenz- erwartete technische oder fachtermin oder professionelles liche Tiefe der Darstellung. Web Meeting (keine “reine” Ressourcenfrage Telefonkonferenz). • Erstellen von Bieter-EntscheiAbschließend müssen Fühdungsvorlagen mit detaillierten rungskräfte in bietenden Unkundenbezogenen Fragen. ternehmen verstehen, dass die • Intensivere Nutzung vorhan- Ausarbeitung überzeugender dener Dialogmöglichkeiten Angebote nicht en passant geinnerhalb der Ausschreibung. schehen kann. Manchmal ist es sinnvoller, auf die Beteiligung Kundenorientierte an einer Vergabe zu verzichten Kommunikation und frei werdende Ressourcen Angebotstexte sollten kun- an anderer Stelle einzusetzen, denorientiert geschrieben und um dort ein Top-Angebot absprachlich sowie stilistisch aus zugeben. Ein im Vorbeigehen einem Guss sein. Um ein tat- erstelltes Angebot gewinnt hingesächliches “Verkaufsdokument” gen fast nie. Es führt im besten – denn ein solches ist das An- Fall zu einem Nicht-Zuschlag, gebot nun einmal – zu schaffen, im schlimmsten Fall sorgt es müssen gute Angebotstexte ei- mit schlechter Qualität für einen ne kundenorientierte Struktur Imageschaden. Denn jedes Anbesitzen, die aus Auftraggeber- gebot ist auch eine Visitenkarte sicht das Wichtige voranstellt, des abgebenden Unternehmens schlüssig aufgebaut und auf und ein Ausblick auf die künftige das Wesentliche begrenzt ist. Zusammenarbeit.

Inhouse-Schulungen zum Thema Da die Bewerbung um öffentliche Aufträge für die Bieterseite vielfach eine besondere Herausforderung darstellt, bietet der Behörden Spiegel Inhouse-Schulungen zum professionellen Angebotsmanagement und zur überzeugenden Angebotsgestaltung an. Die Schulungen vermitteln an zweimal zwei Schulungstagen geballtes Wissen rund um die Konzeption, die Gestaltung und das Management von Vergaben auf der Bieterseite. Die Teilnehmenden erlernen Techniken und Werkzeuge zur besseren Mehrwertdarstellung, Handlungs-BestPractices für die erfolgreiche Umsetzung von Antworten auf komplexe Ausschreibungen und erhalten zahlreiche wertvolle Anregungen für die Optimierung der unternehmensinternen Angebotsprozesse. Wir freuen uns auf Ihre Anfrage an: praxisseminare@behoerdenspiegel.de

zulässig, in der aktuellen Phase auch nur ein Unternehmen anzusprechen. Die Norm, mindestens drei Unternehmen bei diesem Verfahren anzusprechen, sei in diesem Kontext nicht anwendbar. Ähnliches gelte im Regelungsbereich der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) zur Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb, so das BMWi. Hier seien jedoch die Länder gefordert, entweder Wertgrenzen zu definieren, bis zu welcher Auftragshöhe dieses Verfahren angewendet werden darf, oder festzulegen, ob einzelne Regelungen der UVgO ausgesetzt würden. Davon haben die ersten nach Informationen des Behörden

Spiegel und des forum vergabe e. V. bereits Gebrauch gemacht. In Thüringen hat das Wirtschaftsministerium die Regelungen aus dem Erlass des BMWi quasi weitergeleitet an die Landesbehörden und Kommunen. Im Unterschwellenbereich ist es bei der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb ausreichend, nur ein Angebot einzufordern. Demgegenüber hat das Land Niedersachsen sehr detaillierte Vorgaben erlassen. Sämtliche Vergaben, die vor dem 31. Mai 2020 beginnen, dürfen im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Zudem ist der Direktauftrag bis zu diesem Datum bis zu einer geschätzten Auftragssumme von 20.000 Euro möglich. Noch mehr Freiheiten genießen die niedersächsischen Kommunen. Ihnen ist erlaubt, die Wertgrenzen für den Direkteinkauf in eigener Zuständigkeit festzulegen.

Außer Kraft gesetzt Einen Schritt weiter gegangen sind Bayern und Hamburg. Im Freistaat ist der Direktauftrag bis zum 30. Juni 2020 bis zu 25.000 Euro möglich, Verhandlungsvergaben und beschränkte Ausschreibungen mit und ohne Teilnahmewettbewerb bis zur Höhe der EU-Schwellenwerte für

Liefer- und Dienstleistungen von 214.000 Euro. Letzteres ist auch in Hamburg der Fall. Darüber hinaus hat die Freie und Hansestadt die Pflicht zur E-Vergabe bis Ende des Jahres 2020 ausgesetzt. Außerdem hält es die Finanzbehörde für vertretbar, auf die Abfragen aus dem Register zum Schutz des fairen Wettbewerbs zu verzichten. Momentan gebe es dort keine Eintragungen und es sei unwahrscheinlich, dass in den nächsten Monaten welche hinzukämen. “Liefer-, Dienst- und Bauleistungen, die unmittelbar oder mittelbar zur Eindämmung der Corona-Pandemie beitragen, können unter Berücksichtigung der Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens beschafft werden (Direktauftrag)”, heißt es hingegen im Rundschreiben des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Mainz. Noch deutlicher hat es die Düsseldorfer Landesregierung formuliert: “Unterhalb des EU-Schwellenwertes wird die Wertgrenze für den Direktauftrag auf 3.000 Euro angehoben und für den Einkauf von Waren und Dienstleistungen, die der Eindämmung und kurzfristigen Bewältigung der Corona-Epidemie und/oder der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs dienen, wird die Unterschwellenvergabeordnung bis zum 30. Juni 2020 ausgesetzt.” Im Baubereich beziehen sich die Erleichterungen vor allem auf die Vertragsausführung. Grundsätzlich sei der Tatbestand der höheren Gewalt erfüllt, er müsse jedoch in jedem Einzelfall geprüft werden. (siehe auch Seite 42, Zentrale Beschaffung angelaufen)

Fehler vermeiden, Chancen nutzen Zuwendungsrecht als Instrument der Gestaltung (BS/Sven Gumpert) Jedes Jahr werden in der Bundesrepublik Deutschland etwa 100 Milliarden Euro an Fördermitteln zur Verfügung gestellt. Allein im Rahmen der aktuellen Debatte um den Ausstieg aus der Braunkohle hat die Bundesregierung beschlossen, den betroffenen Regionen bis zum Jahr 2038 rund 40 Milliarden Euro an Fördermitteln für den strukturellen Umbau bereitzustellen. Allein die vorgenannten Summen machen deutlich, welche zentrale Verantwortung die Stellen tragen, die sich mit der Bewilligung, Abwicklung und Prüfung dieser Fördergelder befassen. Fördermittel werden eingesetzt, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen zu bewahren und zu gestalten. Hinzu kommen große Fördergebiete wie Landwirtschaft, Straßenbau oder Mittelstand. Ein besonderes Augenmerk liegt zudem auf den sozialen Bereichen sowie auf der Förderung von Kultur und Sport. Diese Vielzahl an Fördermöglichkeiten zeigt auf, welche ordnungs- und wirtschaftspolitische Bedeutung dieses politische Instrument im Alltag hat.

Schutz durch Rechtssicherheit und Fehlerfreiheit Dabei treffen nicht selten die unterschiedlichsten Interessenlagen der beteiligten politischen Gremien, der Verwaltung sowie der Empfängerinnen und Empfänger der Fördergelder aufeinander. Unterschiedliche Interessen und Anforderungen führen in der Praxis häufig zu Spannungen zwischen den einzelnen Beteiligten. Optimalerweise sollen zum Beispiel erhebliche Geldsummen möglichst zeitnah und “unbürokratisch” bewilligt und ausgezahlt werden. Unter Beachtung der komplexen haushalts- und verwaltungsrechtlichen Regularien ist dies jedoch nicht immer einfach zu realisieren. In der Praxis führen die komplexen Anforderungen dann oft zu Beanstandungen, welche in der Rückforderung von Fördermitteln enden können. Nur eine rechtssichere und möglichst fehlerfreie Vergabe und Abrechnung von Fördermitteln nach klaren und rechtsstaatlichen Grundsätzen können sicherstellen, die zuständigen Mitarbeiter vor Beanstan-

stehen zahlreiche Möglichkeiten, Projekte und FörSven Gumpert ist Beauftragter für den Haushalt und Leiderprogramme so ter des Bereiches “Haushalt, zu gestalten, dass Controlling und Beteiligungsdiese praxisnah, management” beim Landeserfolgreich und beamt für Natur, Umwelt und anstandungsfrei Verbraucherschutz NRW. zum Ziel geführt werden können. Foto: BS/privat Eine grundlegende und vor allem dungen, Rückforderungen und vertiefende Befassung mit dem auch persönlichen Konsequenzen Zuwendungsrecht stellt daher eine zielgerichtete Investition dar, zu schützen. welche sich nicht nur in einem Fehlerquelle “Wurf ins kalte erfolgreichen Projektverlauf wiWasser” derspiegelt, sondern sich auch in Die zentrale Herausforderung Euro und Cent auszahlt. im Bereich Förderung ist, dass das zugrunde liegende Zuwen- Seminarreihe zum Thema dungsrecht zumeist sehr komplex und vielschichtig ist. Keinesfalls Mit der Seminarreihe “Einfühaber selbsterklärend. Dennoch rung in die Grundlagen des Zuentstehen in der Praxis immer wendungsrechts” und “Vertiefung wieder Situationen, in denen Mit- im Zuwendungsrecht” werden arbeitende unzureichend oder praxisorientiert und anhand von sogar ohne fachliche Einarbei- Fallbeispielen die grundlegenden tung mit der Abwicklung oder Rechtsvorschriften und StruktuAbrechnung von Fördergeldern ren des Zuwendungsrechts erläubetraut werden. Entsprechende tert und auch das zunehmend Fortbildungen werden entweder wichtiger werdende Thema der überhaupt nicht oder erst viele Erfolgskontrolle behandelt. So Monate später besucht. Gerade werden die Teilnehmer in die Lage dieser “Wurf ins kalte Wasser” versetzt, die Gestaltungsspielführt oft dazu, dass zeit- und kos- räume des Zuwendungsrechts tenintensive Fehler entstehen, ergebnisorientiert zu nutzen und welche im schlimmsten Fall zu Fehler zu vermeiden, bevor sie Widerrufen und Rückforderun- entstehen. Die nächsten Termine, das Progen führen können. Mit einem fundierten Wissen könnten diese gramm und die Anmeldung finden Fehler vermieden werden. Eine Sie unter www.fuehrungskraef ausreichende Fortbildung führt te-forum.de, Suchwort: “Zuwenaußerdem dazu, die zahlreichen dung”. Gestaltungsspielräume des ZuWeitere Informationen des Autors wendungsrechts ergebnis- und zielorientiert nutzen zu können. auch unter www.zuwendungs Gerade im Zuwendungsrecht be- recht.biz


Organigramm

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 11

Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg ANSCHRIFT Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg Henning-von-Tresckow-Str. 9–13 14467 Potsdam Postfach 60 11 65 14411 Potsdam Tel.: (0331) 866-0 Fax: (0331) 293788 E-Mail: poststelle@mik.brandenburg.de Internet: mik.brandenburg.de

Leitungsbüro, Kabinett-, Landtags- und Bundesratsangelegenheiten, IMK Fr. Bobertag -2015

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: MIK des Landes Brandenburg Stand: März 2020

Pressestelle und Öffentlichkeitsarbeit Leitung: Hr. Burmeister -2060

Minister Michael Stübgen Foto: BS/© MIK Brandenburg

Staatssekretär Uwe Schüler -2020

Staatssekretär Klaus Kandt -2010

Abteilung 1

Abteilung 2

Abteilung 3

Abteilung 4

Abteilung 5

Abteilung 6

Zentrale Querschnittsaufgaben, Landesaufgaben für Organisation, Vermessungsangelegenheiten, Aus- und Fortbildung in der Landesverwaltung

Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Ausländerangelegenheiten, Justiziariat, Wahlen, Rehabilitierung SED-Unrecht, Glücksspielrecht, Datenschutz, Korruptionsprävention, Statistik, Stiftungen bürgerlichen Rechts, Enteignungsangelegenheiten Hr. Dr. Trimbach -2200

Kommunalangelegenheiten, Öffentliches Dienstrecht, Brand- und Katastrophenschutz

Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Polizei und Ordnungsrecht, Kriminalprävention

Verfassungsschutz

Digitalisierung, E-Government und IT-Leitstelle

Hr. Pawlitzky (m.d.W.d.G.b.) -2100

Stabsstelle Korruptionsprävention in der Landesverwaltung Brandenburg

Fr. Behrend Referat 11 (nicht belegt) Referat 12 Leitstelle Bürokratieabbau, Zentrale Normprüfstelle, Landesorganisation, Zentrale Stelle für Gesundheitsmanagement Hr. Dr. Plückelmann -2120 Referat 13 Amtliches Vermessungswesen, Geoinformationswesen, Gutachterausschüsse für Grundstückswerte, Berufsrecht der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure, Laufbahnordnungsbehörde vermessungstech­nischer Verwaltungsdienst, Zuständige Stelle nach Berufsbildungsgesetz, Fachaufsicht LGB, GDI-Förderung durch EFRE Hr. Schönitz -2130 Referat 14 Personalangelegenheiten des MIK und des nachgeordneten Bereichs (ohne Polizei, LSTE), Personalentwicklung und -bedarfsplanung, Stellenplan, Fortbildung im MIK und in der Landesverwaltung, Laufbahnordnungsbehörde Allgemeiner Verwaltungsdienst, Laufbahnausbildungen, Fachaufsicht LAköV, Zuständige Stelle nach dem Berufsbildungsgesetz Fr. Rinne -2140 Geschäftsstelle des Berufsbildungsausschusses Fr. Gensch -2933 Referat 15 Beauftragter für den Haushalt, Haushalts-, Kassen- und Rechnungsprüfungswesen, Vermögensangelegenheiten des MIK Fr. Pohlmann (m.d.W.d.G.b.) -2150 Referat 16 (nicht belegt) Referat 17 Innerer Dienst, Organisation, Arbeitsschutz, Informationstechnik, RIO N.N.

-2910

Referat 21 Ausländerrecht, Staatsangehörigkeitsrecht, Fachaufsicht ZABH Geschäftsstelle der Härtefallkommission Hr. Keinath (Vorsitzender) -2210 Referat 22 Staats- und Verfassungsrecht, EURecht mit landesverfassungsrechtlichem Bezug, Staatshoheitsangelegenheiten, Grenzfragen, Justiziariat, Prozessführung, Glücksspielwesen Hr. Dr. Robbel -2220 Referat 23 Wahlrecht, Datenschutz- sowie Akteneinsichts- u. Informationszugangsrecht, Melde-, Pass- u. Ausweiswesen, Personenstandsrecht, Namensänderungsrecht, Statistik, Aufsicht über das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (AdöR) Hr. Dr. Nobbe (m.d.W.d.G.b.) -2231 Geschäftsstelle des Landeswahlleiters Hr. Küpper, Landeswahlleiter -2900 Referat 24 Allgemeines Verwaltungsrecht, Ver­waltungskosten- und -vollstreckungsrecht, Stiftungsgesetz, Aufsicht über Stiftungen bürgerlichen Rechts, Friedhofswesen, Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft Fr. Scheiper -2240 Referat 25 (nicht belegt) Referat 26 Enteignungsangelegenheiten, Innenrevision, vergaberechtliche Beratungsstelle des MIK Fr. Lübke -2260 Referat 27 Rehabilitierungsangelegenheiten nach dem 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, Stasi-UnterlagenGesetz (StUG), Feiertagsrecht Fr. Penzenstadler-Hennig -2270

N.N. -2300 Stabsstelle Weiterentwicklung der LSTE

Hr. Koch

-2812

Referat 31 Grundsatzfragen des Kommunalverfassungsrechts, allgemeine Kommunalaufsicht einschließlich Aufsicht über das kommunale Auftragswesen, kommunales Dienstund Disziplinarrecht, Aufgaben- und Gebietsstrukturen der Kommunen, kommunales Statusrecht, Weiterentwicklung der gemeindlichen Ebene und Kommunale Beratungsstelle Hr. Dr. Grünewald -2310 Referat 32 Kommunales Haushaltsrecht, Finanzaufsicht, Prüfungswesen, Bewirtschaftung des Ausgleichsfonds Fr. Grabow -2320 Referat 33 Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen und Eigenbetriebsrecht, Kommunalabgabenrecht, Kommunal­aufsicht im Zusammenhang mit offenen Vermögensfragen, Kommunale Gemeinschaftsarbeit, Hilfsprogramm Abwasser Hr. Stevener (m.d.W.d.G.b.) -2330 Referat 34 Brand- und Katastrophenschutz, Förderung des Ehrenamtes mit Bezug zum Brand- und Katastrophen­ schutz, Koordinierungszentrum Krisenmanagement, Zivile Verteidi­ gung, Militärangelegenheiten, Fachaufsicht LSTE, Laufbahnordnungsbehörde feuerwehrtechnischer Dienst Hr. Dr. Dietel (m.d.W.d.G.b.) -2420

Hr. Müller (m.d.W.d.G.b.) Stabsstelle Präventionsbe­ auftragter des Landes Bran­den­ burg /Geschäftsstelle Landespräventionsrat Hr. Kasüschke -2745

-2400

Hr. Müller

Stabsstelle Erneuerung Kommunikations- und Ein­ satzleitsysteme der BOS-Leitstellen Hr. Tietz -2750

Referat 41 (nicht belegt) Referat 42 (nicht belegt) Referat 43 Personalhaushalt, Personalangelegenheiten und Personalentwicklung in der Polizei und an der LSTE, Dienst- und Fachaufsicht über die HPol, Sonderversorgungssystem der ehemaligen DDR, Polizeiärztlicher Dienst, Dienstrecht Polizei, Gremienarbeit und internationale polizeiliche Zusammenarbeit, Laufbahnordnungsbehörde Polizeivollzugsdienst Hr. Küppers -2430 Referat 44 Polizeiliche Führung und Steue­ rung, Einsatzangelegenheiten, Verkehrssicherheitsarbeit, Waffen-, Vereins- und Versammlungsrecht N.N. -2440

-2500

Hr. Wollny

-2600

Stabsstelle Führungsunterstützung Verfassungsschutz

Referat 51 Grundsatz, G 10, zentrale Dienste, Kopfstelle Informationstechnik, Geheimschutzbeauftragter im Ministerium des Innern und für Kommunales Referat 52 Prävention, Öffentlichkeitsarbeit, Verfassungsschutz durch Aufklärung Referat 53 Ermittlung, Observation, ND-Technik Referat 54 Beschaffung Politischer Extremismus Referat 55 Auswertung Politischer Extremismus Referat 56 Sicherheit und Recht

Referat 45 Kriminalitätsbekämpfung/Polizeiliche Kriminalprävention, Polizeiund Ordnungsrecht Hr. Scharf -2480

Referat 61 Recht, E-Government-Strategie des Landes Brandenburg, Zentrale Gremien, Strategische Zusammenarbeit mit den Kommunen sowie mit Wissenschaft und Forschung, Laufbahnordnungsbehörde Dienst als Informatiker, Open Data Hr. Everding -2610 Referat 62 Landesweites Monitoring gemäß Onlinezugangsgesetz, Föderales Informationsmanagement (FIM), Ausgestaltung der Basiskomponenten Portalverbund und Servicekonten, Zusammenarbeit mit den Modellkommunen Hr. Seidenkranz (m.d.W.d.G.b.) -2620 Referat 63 E-Querschnittsverfahren des Landes (PerIS, EL.DOK, LIS), Fachaufsicht ZIT-BB Fr. Kubath -2630 Referat 64 IT-Leitstelle, IT-Sicherheit und CERT sowie IT-Infrastruktur des Landes Brandenburg, Koordinie­rungs­stelle für ITund Cyber-Sicher­heit im MIK, Verfahrens­verantwortung für die IT-Basiskomponenten gemäß Bbg E-Gov-G für Land und Kommunen Hr. Basalla-Jhaveri -2640

Referat 46 Haushalt im nachgeordneten Polizei­bereich, Informations- und Kommunikationstechnik, Koordinierende Stelle Digitalfunk, Führungsund Einsatzmittel, Ressortimmobilien, Kampfmittelbeseitigung Fr. Habig -2450

Referat 35 Recht des Öffentlichen Dienstes inkl. der Mitwirkung an der Rechts­setzung des finanziellen Dienstrechts, Grundsatzfragen der Fürsorge und der Wahrung der Einheitlichkeit des Rechts des Öffentlichen Dienstes, Ministerrecht, Personalvertretungsrecht Geschäftsstelle des Landespersonalausschusses (LPA) Hr. Dr. Förster -2350 Referat 36 Zentrales Personalmanagement Fr. Bogner -2360 Referat 37 Arbeits-, Tarif-, Zusatzversorgungsund Sozialversicherungsrecht, Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) Fr. Salomon-Hengst -2370 Kommunales Prüfungsamt Allgemeine Haushalts- und Finanzprüfung und Querschnittsprüfung zu ausgewählten Schwerpunkten des HKR-Wesens der LK und kreisfreien Städte; Jahresabschlussprüfung von Eigenbetrieben und Zweckverbänden Hr. Schlinkert -2760

Personalrat Vorsitz: Hr. Weckwerth

-2050

Schwerbehindertenvertretung Fr. Zurek

-2795

Hauptpersonalrat Vorsitz: Fr. Schiersner

-2030

Hauptschwerbehindertenvertretung Fr. Zurek

-2035

Polizei-Hauptpersonalrat Vorsitz: Hr. Göhring

-2040

Polizei-Hauptschwerbehindertenvertretung Vorsitz: Fr. Schmidt

-2047

Gleichstellungsbeauftragte Fr. Bernig

-2090

Behördliche/r Datenschutzbeauftragte/r N.N. Datenschutzbeauftragter@mik.brandenburg.de Antikorruptionsbeauftragte des MIK Fr. Behrend

Jugend- und Auszubildendenvertretung Vorsitz: Hr. Hellwig E-Mail: JAV@mik.brandenburg.de Jugend- u. Auszubildendenstufenvertretung Vorsitz: Hr. Westphal E-Mail: jasv@mik.brandenburg.de

-2910


Diplomaten Spiegel

Seite 12

1

993 ist das Land in der UN, sein Beitritt zur NATO und EU verzögert sich, solange “Mazedonien” als Staat so heißt, weiter. Unter der Regierung Zoran Zeavs kommt im Sommer 2017 Bewegung in den Namensstreit und er wird nach 30 Jahren Anfang letzten Jahres endlich beigelegt. Als Ramadan Nazifi im August 2019 Botschafter in Deutschland wird, heißt sein Mazedonien seit Februar ganz offiziell “Repu­ blik Nordmazedonien”. Für den 58-jährigen Philologen (Französisch und Literatur), der seit über 25 Jahren im diplomatischen Dienst arbeitet, ist das ebenso erfreulich wie gewöhnungsbedürftig: “Es war nicht einfach, aber wir gewöhnen uns langsam an den neuen Namen, obwohl unbeabsichtigt noch manchmal der alte verwendet wird. Es handelt sich um ein sehr sensibles Thema, dessen Lösung drei Jahrzehnte lang mühsame Verhandlungen in Anspruch genommen hat und nun nicht über Nacht gelöst werden kann.” Die “Namens-Händel” sind vorerst beigelegt, die Nachbarn können in Frieden leben, freundlich umweht vom “Mantel der Geschichte”, der Zukunft und den wirklich wichtigen Fragen zugewandt. Namen sind eben mitunter wirklich Schall und Rauch, heißt es schon in Goethes Faust. Aber das ist eine andere Geschichte…

Behörden Spiegel / April 2020

Ziel NATO- und EU-Mitgliedschaft Ein Gespräch mit Ramadan Nazifi, Botschafter von Nordmazedonien in Berlin

(BS/ps) Nordmazedonien gehört einst zu Jugoslawien, ist etwa so groß wie Thüringen und hat rund zwei Millionen Einwohner. Im Süden grenzt es an Griechenland, wo es auch ein “Mazedonien” gibt. Die gleichnamige Provinz ist den Griechen mächtig wichtig, schließlich stammt Alexander der Große (359 – 323 v. Chr.) von dort. Als aus der früheren Teilrepublik nach dem Zerfall Jugoslawiens die “Republik Mazedonien” wird, geht Gute Aussichten das aus griechischer Sicht überhaupt nicht. Wer diesen Staatsnamen verwende, so die Sorge, erhebe damit implizit auch territoriale Ansprüche “In den letzten zwei Jahren ist auf das griechische Mazedonien. Nach langem diplomatischen Hin und Her einigen sich die zerstrittenen Namensvettern auf “FYROM” – Former die Industrieproduktion über fünf Yugoslav Republik of Macedonia. Ein Name wie aus dem IKEA-Katalog, ein matter Kompromiss – kein durchgeschlagener “Gordischer Knoten”. und der Außenhandel im Jahr

2019 um zehn Prozent gestiegen. Der Export lag 2019 auf einem Rekordwert von 6,4 Milliarden Euro. Nach 4,3 Milliarden, 2016, ist das eine Zunahme von 48 Prozent. Gerade deshalb dürfen wir jetzt unsere Partner auf dem westlichen Balkan nicht vergessen, weil dies das Geschäftsklima in der Region erheblich verbessert. Zudem ist die regionale Zusammenarbeit für ausländische Investoren interessant, da sie, ohne starke lokale Partner, nicht ausreichend motiviert und genutzt werden können”, betont der Botschafter. Derzeit hat Nordmazedonien eine technische Regierung, die neben dem täglichen Tagesgeschäft auch die übrige politische Verantwortung hat, z. B. für die Vorbereitung der für den 12. April dieses Jahres geplanten vorgezogenen Parlamentswahlen.

Frage der Präsenz

Keine Verlierer “Mit der Unterzeichnung des Prespa-Abkommens (Ort, wo 2018 der Namensstreit beigelegt wird, d. Red.), hat sich die Zusammenarbeit mit Griechenland in allen Bereichen sowohl bilateral als auch im Hinblick auf seine Unterstützung für die Erreichung unserer außenpolitischen Prioritäten einer NATOund EU-Integration erheblich verbessert”, so der Botschafter. Durch die Beilegung des langjährigen Streits sei eine rationale Lösung erreicht worden, bei der es keine Verlierer gebe und die nationale Identität und Sprache nicht beeinträchtigt werde. “Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Griechenland ist seit unserer Souveränität zufriedenstellend, insbesondere durch die zahlreichen griechischen Investoren in Nordmazedonien und die gute Zusammenarbeit im Tourismusbereich. Griechenland ist wiederum bevorzugtes Ziel unserer Urlaube”, berichtet der 58-Jährige.

Lobbyarbeit für sein Land Nazifis Ziele als Botschafter in Berlin richten sich derweil auf die Verbesserungen der Beziehungen zu Deutschland als führendem Kooperationspartner, zu den rund 120.000 hier lebenden makedonischen Staatsbürgern sowie der Lobbyarbeit bei den deutschen Behörden für sein Land, insbesondere zur Unterstützung schneller EU-Beitrittsverhandlungen. “Dazu gehören natürlich

Kreditwürdigkeit und dürfte die in- und ausländischen Investitionen begünstigen, da Nordmazedonien dann in einen großen und entwickelten Markt eintritt, was die Aussichten für unser Wirtschaftswachstum erhöht.”

Seit gut einem halben Jahr in Deutschland: Seine Exzellenz Ramadan Nazifi, Botschafter der Republik Nordmazedonien

zu einem zeitnahen Beginn der Beitrittsverhandlungen beiträgt”, erläutert der nordmazedonische Chefdiplomat. Und weiter: “Ermutigende Signale kamen dieses Jahr. Hier beziehe ich mich auf die Erklärung des französischen Präsidenten Macron, dass er bereit sei, uns bei den Beitrittsverhandlungen zu unterstützen.”

Botschafters Rezept Grawtsche-Tawtsche (Bohnenauflauf)

Zutaten: 500 gr. weiße Bohnen, 3 Zwiebeln, gehackt, 15 gr. Knoblauch, 2 EL Mehl, 1 TL Paprikagewürz rosenscharf, geräuchertes Fleisch, 1 Stück rote Chili, 6 EL Olivenöl oder Butter, Salz Zubereitung: Die Bohnen am besten über Nacht einweichen ­lassen. Die Bohnen salzen und pfeffern und im Wasser weich kochen lassen. Das geräucherte Fleisch dazugeben, Chilischote entkernen und kleinschneiden.

auch Aktivitäten im Bereich der Wirtschaftsdiplomatie, d.h. die Förderung des Geschäftsklimas und der Investitionsbedingungen in Nordmazedonien, um mehr deutsche Investoren anzuziehen. Ein Schwerpunkt wird auch auf der aktiven Teilnahme an NGOVeranstaltungen liegen und bei solchen, die ganz allgemein einer Verbesserung der Wahrnehmung meiner Heimat hierzulande dienen.”

Beitrittsverhandlungen schleppend Für einen raschen EU- und NATO-Beitritt sprachen sich rund 70 Prozent seiner Landsleute aus. “Wir haben alle technischen

Zwiebeln und Knoblauch kleinhacken. Das Öl in einer Pfanne erhitzen und Chili, Knoblauch und Zwiebeln anschwitzen, bis sie weich sind. 2 EL Mehl verrühren und mit dem Paprika würzen. Das ganze unter die gekochten Bohnen mischen. Den Backofen auf 200 Grad vorheizen und ca. 40 Minuten backen. Die Bohnen sollten noch saftig sein.

Vorbereitungen für die NATOMitgliedschaft getroffen und das Parlament in Skopje hat das Protokoll, wie die NATO-Partner auch, ratifiziert.” Nordmazedonien ist offiziell dem Militärbündnis beigetreten (siehe Seite 37 in dieser Ausgabe). “In Bezug auf die EU-Integration sind wir seit 2005 Beitrittskandidat, wofür es zehn positive Empfehlungen der Europäischen Kommission für die Aufnahme von Verhandlungen gibt. Leider haben diese noch nicht begonnen, vor allem wegen des langjährigen Namensstreits”, bedauert Nazifi. Trotz der Überwindung dieses Konflikts habe sein Land im vergangenen Oktober keinen

Fotos: BS/Dombrowsky

Mehr Sicherheit und Stabilität

Verhandlungstermin erhalten, da im EU-Rat kein Konsens bestehe. “Unabhängig davon haben wir bei der Erfüllung der Aufnahmekriterien für die EU-Mitgliedschaft greifbare Ergebnisse erzielt. So wurde beispielsweise unsere Gesetzgebung mit dem EURechtssystem harmonisiert und die notwendigen Reformen in den Bereichen Justiz, Grundrechte, Medienfreiheit, funktionelle demokratische Institutionen, Verwaltung, transparente Vergabevorschriften und Finanzkontrollen eingeleitet. Wir hoffen, dass die Umsetzung der oben genannten Reformen positive Auswirkungen in Brüssel und den EU-Mitgliedsstaaten hat und

Vor diesem Hintergrund trifft es sich gut, dass die mazedonische Wirtschaft sowohl in der Produktion als auch im Arbeitsmarkt wächst, weil sie in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine große Wende vollzogen hat. Das BIP stieg in den letzten vier Quartalen auf 3,6 Prozent. “Es werden 60.000 Arbeitsplätze geschaffen und die Arbeitslosigkeit von 17 Prozent dürfte bis 2024 voraussichtlich unter zehn Prozent sinken”, nennt Nazifi die aktuellen Prognosen. Die NATO-Mitgliedschaft und die Aufnahme von Verhandlungen mit der EU würden die Sicherheit und Stabilität des Landes erheblich erhöhen und so eine solide Grundlage für das Wirtschaftswachstum und weitere positive Entwicklungen schaffen. “Die Integration in die europäisch-atlantischen Strukturen verbessert auch unsere

Das Image Nordmazedoniens hierzulande hat sich ebenfalls gegenüber den Vorjahren verbessert, ist aber immer noch nicht überall so ganz präsent, was Botschafter Nazifi auf den Mangel an Wissen und Informationen über das Land zurückführt. “Für uns Diplomaten und andere “informelle Botschafter”, wie z. B. Vertreter unserer Diaspora, ist es daher ein “Muss”, unsere Kultur, Geschichte, Sport, traditionelle Werte, touristische Kapazitäten und kulinarische Spezialitäten vor der deutschen Öffentlichkeit engagiert zu zeigen, um die Wahrnehmung meiner Heimat in der deutschen Öffentlichkeit zu verbessern.” Dagegen ist Deutschland dortselbst sehr gegenwärtig, was allein schon die große Zahl an Einwanderern hierzulande zeigt und in den letzten Jahren “leider zu einem besorgniserregenden Trend wird. Derzeit leiden alle Balkanstaaten unter einem großen “Brain-Drain”, wobei Deutschland und andere westliche Länder Hauptziel der Abwanderung von Wissenschaftlern und anderen hochqualifizierten Arbeitnehmern sind. Natürlich ist ein derartiger Wegzug angesichts des rückläufigen demografischen Bevölkerungswachstums bei uns allenthalben ein großer Verlust, besonders für die wirtschaftliche Entwicklung”, beklagt der Philologe die Situation.

Letzte Frage Mit wem würde Botschafter Ramadan Nazifi gerne für einen Tag tauschen? “Mit einer Person”, sagt er lächelnd, “die ich am besten kenne – meine Frau.”

Hilfspaket geschnürt Flüchtlingsunterstützung in Zeiten von Corona (BS/jf) Die Europäische Union stellt weitere rund 240 Mio. Euro für Irak, Jordanien und Libanon bereit, die zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge angesichts der Corona-Pandemie vorgesehen sind. Die Finanzmittel verteilen sich auf insgesamt sieben Bereiche in den drei Ländern.

Das Botschaftsgebäude in der Hubertusallee 5 in Berlin beherbergt eine der insgesamt 102 diplomatischen Vertretungen Nordmazedoniens in der Welt. Die Flagge des Landes basiert auf einem Entwurf des Architekturprofessors Miroslav Grc̆ev und wurde am 5. Oktober 1995 offiziell angenommen. Die vorherige Fahne mit dem 16-zackigen Stern von Vergina wurde damit nach Protesten Griechenlands abgelöst.

Mit den Geldern sollen die bedürftigsten Gruppen in der Region zusätzliche Hilfe erhalten und die Aufnahmeländer der Geflüchteten unter anderem bei der Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit unterstützen, teilte die EU-Kommission mit. Entsprechend ist der Großteil des Geldes für die Stärkung der Resilienz bedürftiger syrischer Haushalte im Libanon (100 Mio. Euro) und zur Verbesserung des öffentlichen Gesundheitssystems

des jordanischen Königreiches (22 Mio. Euro) vorgesehen. Mit rund 85 Mio. Euro sollen hochwertige Bildungsangebote in der Libanesischen Republik (57,5 Mio. Euro) und in Jordanien (27,5 Mio. Euro) gefördert werden. Darüber hinaus sind weitere 21,5 Mio. Euro vorgesehen, mit denen in den beiden Ländern einerseits der Kinder-, Jugend- und Frauenschutz (10,5 Mio. Euro) und andererseits die Position jordanischer und syrischer Frauen (elf Mio. Euro) gestärkt werden

sollen. Weitere zehn Mio. Euro sind für den Westen der irakischen Provinz Ninawa gedacht. Mit ihnen sollen die Lebens- und Wohnbedingungen bedürftiger Rückkehrer verbessert und die Friedenskonsolidierung unterstützt werden. Damit belaufen sich die Hilfen für die seit zehn Jahren dauernde Syrienkrise auf insgesamt mehr als zwei Mrd. Euro. Die Gelder werden über den Regionalen Treuhandfonds der EU bereitgestellt.


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / April 2020

An vorderster Front

KNAPP Bürgereinkaufsdienst

Gesetz zur Finanzierung der Krankenhäuser im Ausnahmezustand (BS/Katarina Heidrich) Die aktuelle Situation wird vielfach mit Kriegs-Metaphern beschrieben. Auch das medizinische Klinikpersonal bundesweit meldet sich zu Wort und kritisiert, in der Krise als “Kanonenfutter” herhalten zu müssen. Zwar gibt es mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz einen Rettungsschirm für die Kliniken, aber das aktuell größte Problem löst auch dieser nicht: Die Kliniken waren schon vor Corona in einer Krisensituation. Nachdem es einen vorübergehenden Aufnahmestopp gab, nimmt das Klinikum Wolfsburg wieder Patienten auf. Der Stopp wurde verhangen, da es zu Corona-Infektionen in der Belegschaft kam. Nach Angaben von Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD) wurden 32 Beschäftigte der Klinik sowie zwei Patienten positiv auf das Virus getestet. Angesichts dieser Ergebnisse sei es “gut verantwortbar”, das Krankenhaus wieder in den Normalbetrieb zu versetzen, so Mohrs. Ob er bei dieser Einschätzung bleibt, ist abzuwarten. Denn es wurden von insgesamt 2.000 Beschäftigten lediglich 200 getestet, da diese als direkte Kontaktpersonen zweier Infizierter galten. Es ist ein Abwägen zwischen Schutz und Wirtschaftlichkeit, denn ohne Patienten auch keine finanzielle Unterstützung. Mit dem beschlossenen COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz sollen die finanziellen Ausfälle refinanziert werden, die die Kliniken durch die Verschiebung planbarer Eingriffe erleiden. Für jedes Bett, das dadurch frei wird beziehungsweise bleibt, erhalten sie 560 Euro pro Tag. Für jedes zusätzlich zur Verfügung gestellte Intensivbett mit Beatmungskapazitäten erhalten sie 50.000 Euro. Zusätzlich gibt es für jeden zwischen dem 1. April und dem 30. Juni 2020 aufgenommenen Patienten einen Zuschlag von 50 Euro. Warum ein finanzieller Rettungsschirm nötig wurde, wird klar beim Blick in das Krankenhaus Barometer 2019 der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Danach haben 40 Prozent der deutschen Allgemeinkrankenhäuser ab 100 Betten im Jahr 2018 Verluste geschrieben. “Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die wirtschaftliche Situation

Das medizinische Personal führt den “Kampf” gegen das Virus in erster Reihe. Was allerdings fehlt: die passende Schutzausrüstung. Foto: BS/Bluesnap, pixabay.com

merklich verschlechtert”, heißt es von der DKG. Schon vor der Krise erwartete nur rund ein Sechstel der Häuser (17 Prozent) eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage im Jahr 2020, während 44 Prozent eine Verschlechterung prognostizierten und die übrigen in dieser Hinsicht unentschieden waren. Und: Nur eine Minderheit der Krankenhäuser erfüllt durchgängig die Personaluntergrenzen.

Schutzausrüstung fehlt Das heißt, selbst wenn Intensivbetten ausreichend vorhanden sind, fehlt es zurzeit vielerorts am Grundlegenden: der Schutzausrüstung für das medizinische Personal und dem medizinischen Personal selbst. Ohne ausreichende Schutzkleidung steigt aber die Infektionsgefahr für das Personal und damit die Gefahr für dessen Ausfall. Das

Robert Koch-Institut teilt mit, dass es von mindestens 2.300 Infizierten in den Reihen des medizinischen Personals ausgeht. Die tatsächliche Zahl liege aber weit höher. “Arbeiten bis zum Umfallen” bekommt derzeit eine völlig neue Bedeutung, denn vielerorts ist das medizinische Personal angehalten, so lange zu arbeiten, bis man selbst zum Krankheitsfall wird. Auch über die bloße Infektion hinaus. Die nicht unwahrscheinlich ist, vor dem Hintergrund dass etwa Schutzmasken mehrmals bei verschiedenen Patienten getragen werden müssen, da sie rar sind. Hinzu kommt: Auch in Krisenzeiten herrschen Marktzwänge und die Nachfrage formt den Preis. Die Preise etwa für FFP2Masken lagen bis Mitte Februar stabil bei 45 Cent pro Maske. Innerhalb von drei Tagen stiegen

sie um 3.000 Prozent. Viele der Masken sind dazu minderwertig verarbeitet und entsprechen nicht den Qualitätsstandards. So mussten etwa die Niederlande die Auslieferung von 1,3 Millionen FFP2-Schutzmasken aus China stoppen, da sie mangelhaft waren. Ob das “OpenHouse-Verfahren”, welches das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gestartet hat, vor diesem Hintergrund sinnvoll ist, bleibt zu hoffen. Es soll dabei helfen, die Auslieferung von je 25.000 Schutzmasken und -kitteln ohne Preis-Verhandlungen schneller abzuwickeln.

Weiter wie bisher? Ob die Mittel aus dem Entlastungsgesetz ausreichen, um der Situation in den kommenden Wochen Herr zu werden, kann auch die DKG nicht beantworten.

Das müsse beobachtet werden, heißt es von dort. Einen erste Prognose liefert aber der Hinweis auf die tatsächlichen Kosten etwa für ein Intensivbett in Höhe von rund 85.000 Euro. Im Zweifelsfall müssten die Länder zusätzlich unter die Arme greifen. “Es ist wichtig, den Investitionszuschuss für zusätzliche Intensivbetten zu erhöhen. In Notfällen setzen wir auf weitergehende Hilfen der Länder, damit finanzielle Schieflagen von Kliniken in jedem Falle ausgeschlossen sind”, meint Dr. Martin Klein, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages NRW. Doch wie geht es weiter mit den Krankenhäusern, wenn die Normalität wieder Einzug hält? Bundesarbeitsminister Hubertus Heil fordert eine Überprüfung des gesamten deutschen Gesundheitssystems: “Wir müssen darauf reagieren, dass Gesundheit kein rein marktwirtschaftliches Gut sein kann. Einige Krankenhäuser sind kaputtgespart worden.” Es sei zwar Aufgabe der Kommunen, über die Trägerstruktur von Krankenhäusern zu entscheiden, aber grundsätzlich gebe es eine staatliche Gewährleistungsverantwortung. Wie noch mitten in der Krise die Zukunft von Kliniken gesichert werden kann, macht indes der Landkreis Kassel vor. Dieser hat beschlossen, die Kliniken Wolfhagen und Hofgeismar zum 1. Juli zu übernehmen, wie Landrat Uwe Schmidt (SPD) erklärt. Die bisherige Eigentümerin, die Gesundheit Nordhessen AG (GNH), hatte im vergangenen Herbst angekündigt, die defizitäre Klinik Wolfhagen zu schließen, Mitte Februar wurde dort der stationäre Betrieb ausgesetzt. Alle sachlichen und personellen Ressourcen sollen nun auf den neuen Eigentümer übergehen, betont Schmidt.

(BS/jf) Im Zuge der Kontaktverbote dürfen Bürgerbusse ältere Menschen nicht mehr zum Arzt, zur Apotheke oder zum Einkaufen bringen. In der nordhessischen Kommune Diemelstadt hat man deshalb den Spieß umgedreht: Die Stadt organisiert einen Einkaufsdienst. Die Einwohner können telefonisch ihre einzukaufenden Lebensmittel bestellen und den Markt, Bäcker, Metzger oder Apotheker benennen. Der Einkauf erfolgt durch die Mitglieder des intern als “Special Forces – Corona Strike” bezeichneten, neugegründeten Fachdienstes, die die Waren vor der Haustür abliefern und anschließend telefonisch über die Lieferung informieren. Sämtliche Rechnungen an die Läden werden von der Stadt übernommen. “Sonst liefern wir Trinkwasser und rechnen es mit unseren Bürgern ab – und nun halt Lebensmittel”, sagt Bürgermeister Elmar Schröder. Mehr über Unterstützungsmaßnahmen für Bürger und ortansässige Unternehmen auf Seite 20.

Wettbewerb abgesagt (BS/kh) Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz hat den Dorferneuerungswettbewerb “Unser Dorf hat Zukunft” aufgrund der Corona-Krise für dieses Jahr abgesagt. “Gerade der Dorferneuerungswettbewerb lebt von Veranstaltungen, bei denen viele Bürgerinnen und Bürger tatkräftig anpacken, gemeinsam neue Ideen entwickeln und in Gruppen Begehungen mit der Jury durchführen”, so Lewentz. Zum Schutz aller Teilnehmenden und mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung habe er sich zu diesem Schritt entschlossen. Zudem sei die Absage des Wettbewerbs eine Entlastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kommunalen Bereich, deren Arbeitskraft aktuell anderweitig benötigt werde, argumentiert der Innenminister von Rheinland-Pfalz.


Kommunalpolitik

Seite 14

M

it Abschluss der Gebietsreform 1975 erschien die kommunale Landschaft in NRW klar strukturiert. Auf der einen Seite stehen die Landkreise, die für ihre Kommunen Aufgaben in den Bereichen Bildung, Soziales, Umwelt, Sicherheit und Ordnung wahrnehmen. Auf der anderen Seite gibt es die kreisfreien Städte, die alles selbst erledigen. Mit der Gründung der Städteregion Aachen im Oktober 2009 kam Abwechslung in diese Strukturen. Es war der Versuch, die starren Grenzen zwischen “kreisfrei” und “kreisangehörig” aufzuweichen und gleiche Aufgaben im überörtlichen Bereich gemeinsam zu erledigen. Die räumlichen Voraussetzungen dafür waren günstig. So hatte die Verwaltung des Kreises Aachen ihren Sitz bereits in der Stadt Aachen. Diese war an drei Seiten vom Kreis Aachen umschlossen. Das Modell einer Region, bei der vom bewährten Nebeneinander Kreis – Großstadt abgewichen wird, gibt es aber nur vereinzelt in Deutschland. Drei Landeshauptstädte – Hannover, Saarbrücken und Stuttgart – haben sich durch dieses Konstrukt enger mit ihrem Umland vernetzt. Die Absicht war stets dieselbe: vergleichbare Aufgaben gemeinsam erledigen, Doppelarbeit vermeiden, Geld sparen. Dieser Auftrag wurde auch der Städteregion Aachen mit dem “Aachen-Gesetz” erteilt. So sollten noch im Jahr der Gründung drei Prozent der Personal- und Sachkosten bei den gemeinsamen Aufgaben eingespart werden, bis Ende 2015 insgesamt zehn Prozent. Diese Zielmarke erreichte man sogar ein Jahr früher. Gleichwohl gab es ständig Streit über den Beitrag der Stadt Aa-

Erfolgreiche Einzellösung Reformbedarf bei der Städteregion Aachen?! (BS/Martin Lehrer) Während die vor gut zehn Jahren gegründete Städteregion Aachen weiter optimiert wird, ist von einer Reform oder Übertragung auf andere Städte und Kreise in NRW nicht mehr die Rede.

Gruppenbild der zehn Städte und Gemeinden, die sich zur Städteregion Aachen zusammengeschlossen haben. Foto: BS/adobe stock, hkama

chen zum Haushalt der Städteregion. 2016 beschlossen beide eine Ergänzung zum bisherigen Regelwerk. Danach sollte die Stadt Aachen zunächst einen Abschlag an die Städteregion zahlen. Dieser würde dann im Jahr darauf exakt abgerechnet. Die Umsetzung dieses von der NRW-Kommunalaufsicht gebilligten Vorschlags dauert noch an. Auch protokollarisch musste zwischen Stadt und Städteregion einiges klargestellt werden. So galt zunächst die “Bearbeitung von Ordensangelegenheiten sowie von Ehe- und Altersjubiläen” als übertragen auf die Städteregion. Doch ein Oberbürgermeister muss auch Bundesverdienstkreu-

ze verleihen können, so die Auffassung in Aachen. Also einigte man sich, dass die verwaltungstechnische Vorbereitung von Jubiläen und Ordensverleihungen bei der Städteregion bleiben sollte, der eigentliche Vollzug in der Stadt Aachen aber der Stadtspitze zustehe. Fünf Jahre nach Inkrafttreten sollten das Aachen-Gesetz und die Entwicklung der Städteregion evaluiert werden. Dies geschah Ende 2014 – und die Bilanz war positiv. “Die Städteregion Aachen hat sich bewährt. Insbesondere sind die erhofften Synergieeffekte eingetreten”, so das NRW-Innenministerium. Freilich äußerte die Städteregion auch Wünsche nach

Weiterentwicklung: zum einen mehr Befugnisse von oben, zum anderen wiederum mehr Möglichkeiten für die Stadt Aachen, Aufgaben an sich zu ziehen. Konkret betraf dies neue Aufgaben, die per bloßer Rechtsverordnung den Städten und Kreisen übertragen werden. Bereits 2015 setzte die damalige rot-grüne Landesregierung diesen Reformschritt um. Einem anderen Ansinnen gab sie nicht statt. So wollte die Stadt Aachen weiterhin in der bundesweiten amtlichen Gemeindestatistik eine separate Schlüsselnummer, um anderen Großstädten vergleichbar zu sein. Zugestanden wurde aber nur ein ergänzender Eintrag unter der

Schotten dicht Corona-Maßnahmen in der örtlichen Verwaltung (BS/Katarina Heidrich) Während die Straßen leer sind, verlagert sich auch in den Kommunalbehörden die Kommunikation auf Telefon und Internet. Alle Städte und Gemeinden stehen zurzeit vor der Herkulesaufgabe, sich nach innen und nach außen neu zu organisieren. Die Digitalisierung hilft, aber auch sie löst nicht alle Probleme. Die Stadt Detmold ist seit dem 18. März für Publikumsverkehr nur eingeschränkt erreichbar. Um den Dienstleistungsbetrieb der Stadtverwaltung aufrechtzuerhalten, arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung im Schichtbetrieb sowie im Homeoffice. Jubilarbesuche seitens des Stadtoberhauptes sind bis auf Weiteres eingestellt. Bürgermeister Rainer Heller betont: “Durch die Corona-Krise sind wir alle gefordert. Der Schutz besonders der Risikogruppen hat oberste Priorität. Gleichwohl ist die Funktionsfähigkeit vieler Bereiche sicherzustellen. Für Fragen der Bürgerinnen und Bürger hat die Stadt ein Bürgertelefon eingerichtet. Bundesweit hat laut einer Umfrage nur jede fünfte Kommune einen Notfallplan. Vor allem in den kleineren mit unter 5.000 Einwohnern fehlten solche Konzepte. Als größte Herausforderung nennen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bundesweit, den Verwaltungsbetrieb aufrechtzuerhalten. 40 Prozent der Kommunen haben nach eigenen Angaben für den Publikumsverkehr gar nicht mehr geöffnet, fast 60 Prozent bieten einen eingeschränkten Service an. Dadurch kommt es zu längeren Bearbeitungszeiten der Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. So etwa auch bei den Arbeitsagenturen und kommunalen Jobcentern, die aufgrund der wirtschaftlichen Lage vieler derzeit Hochkonjunktur haben. Außerdem gibt es seit dem 18. März keinen offenen Kundenzugang in die Gebäude mehr. Beides zusammengenommen führte zur

Behörden Spiegel / April 2020

Überlastung des Telefonnetzes und des Providers. Weil das Anrufaufkommen innerhalb von ein paar Tagen auf das Zehnfache des üblichen Niveaus gestiegen war, wurden lokale Rufnummern geschaltet. Viele Städte und Gemeinden haben auf ihren Internetseiten spezielle Seiten eingerichtet, um über Entwicklungen in ihrem ¬Gebiet zu informieren. Oft gibt es, wie im Fall von Baden-Württemberg, auch auf der Landesseite eine Zusammenstellung der Informationsangebote aller größeren Städte und Kreise. Für die Akzeptanz der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus, die die Bürgermeister vor Ort beschließen müssen, ist Informationsmanagement das A und O. Florian Kling, Oberbürgermeister von Calw, betont: “Ich als Bürgermeister muss da auch Aufklärungsarbeit leisten, nicht jeder Bürger liest eine Landesverordnung und kann die neusten Gesetze vollumfänglich deuten.”

Interkommunaler Austausch Damit die Kommunen sich auch gegenseitig kontaktieren und informieren können, hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) auf der Austauschplattform “Netzwerk Kommunen” einen eigenen Bereich zum Corona-Virus eingerichtet. Dort können Dokumente hochgeladen, wichtige Links geteilt, aber auch Fragen und Umfragen gestellt werden. Experten zu verschiedenen Bereichen können zudem über das integrierte Nachrichtenmodul persönlich angeschrieben werden. Die Kommunen hätten zurzeit zahlreiche offene Fragen, wie etwa zu den Hilfen für Kulturschaffende, zum

Wie auf europäischer Ebene, so auch im kommunalen Bereich: Der Trend heißt Isolation. Foto: BS/tillburmann, pixabay.com

Personal, dem Umgang mit der Gewerbesteuer, dem Vergaberecht, dem Bauordnungs- und dem Bauplanungsrecht, heißt es vom DStGB zur Begründung. Der Behörden Spiegel hat unter “behoerden.blog” ebenfalls eine Austauschplattform ins Leben gerufen. Der Diskussionsraum dient dem Austausch des kommunalen Personal- und Organisationsmanagements zum Umgang mit COVID-19. Beides kann gerade den kleineren Kommunen ohne Notfallplanung helfen. Aber nicht nur der nationale Austausch hat es zurzeit schwer. Am Beispiel von Frankfurt/Oder und dem polnischen Słubice wird deutlich, dass auch grenzübergreifende interkommunale Kooperationen betroffen sind. Die “Doppelstadt” verfolgt bereits seit 2010 einen gemeinsamen Handlungsplan, der Grundlage für die Arbeit des Frankfurt-

Słubicer Kooperationszentrums ist. Unter anderem werden Stadtverordnetenversammlungen gemeinsam abgehalten und es gibt eine teilweise grenzüberschreitende Innenstadtentwicklung. Allein die Viadrina-Universität hat Gebäude auf beiden Seiten der Grenzen. Momentan weiß niemand sicher, wann Uni oder Grenze wieder öffnen. Frankfurts Oberbürgermeister, René Wilke, kritisiert die kommunale Abschottungspraxis mit Blick auf den Landkreis OstprignitzRuppin, der per Allgemeinverfügung die “Landkreis-Grenzen” geschlossen hat. “Unverständlich ist für mich dabei vor allem die Annahme, dass das Virus vor Grenzen haltmachen würde. Wenn wir so anfangen, kann sich bald jede Stadt einmauern. Diese Logik funktioniert selbst in der Theorie nur, wenn man es auf ewig macht.”

Position “Städteregion Aachen” in den Tabellen der Landkreise. Problematischer waren die Forderungen nach Ausweitung der Kompetenzen. So verlangte die Städteregion die Schulaufsicht über sämtliche Schultypen – nicht nur für Grund-, Haupt- und Förderschulen. Denn für Realschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und Berufskollegs ist die Bezirksregierung zuständig. “Regionale Bildungspolitik hat einen hohen Stellenwert bei uns und mit einer einheitlichen Schulaufsicht könnten wir diese effektiver gestalten”, so die Begründung von Markus Terodde, Bildungs- und Jugenddezernent bei der Städteregion. Einen größeren Aktionsradius möchte man bei der Regionalplanung – in NRW Sache der Regierungsbezirke. Dahinter steckt der Wunsch, gemeinsam mit den östlichen Nachbarkreisen Heinsberg, Düren und Euskirchen planen zu können – just dem alten Regierungsbezirk Aachen, der 1975 im größeren Bezirk Köln aufging. Doch ein Problem würde selbst diese Kompetenzausweitung nicht lösen: die mangelnde Koordination mit den Nachbarstaaten Belgien und Niederlande. “Hier fehlen uns schlichtweg die Instrumente”, stellt Terodde, der auch für Strukturentwicklung zuständig ist, fest. Beiden Forderungen – Erweiterung der Schulaufsicht und Übertragung der Regionalplanung – erteilte bereits die frühere Landesregierung unter Hannelore Kraft eine Absage – mit Hinweis auf geltendes Landesorganisationsrecht und den Effizienzvorteil größerer Planungs- und Aufsichtsbezirke. Auch die jetzige schwarz-gelbe Landesregierung schloss sich dieser Auffassung an. Auf zwei Landtagsanfragen 2017 und 2018 seitens mehrerer SPD-Abgeordneter, in denen konkret nach einem Reformentwurf für das Aachen-Gesetz gefragt wurde, antwortete sie beide Male in dem Tenor, dass daran kein Bedarf bestehe. Auch die kommunalen Spitzenverbände Städtetag, Land-kreistag sowie Städte- und Gemeindebund NRW haben sich in den vergangenen Jahren nicht mit der Städteregion und einer möglichen Reform beschäftigt. “Wenn solche Initiativen aus einer Region kommen, tragen wir das grund-

sätzlich mit”, erklärt Dr. Marco Kuhn, Erster Beigeordneter des Landkreistages NRW. Es dürfe aber durch solche Modelle nicht zu Verwerfungen im kommunalen Finanzausgleich kommen. Bei der Städteregion Aachen sei dies nicht der Fall gewesen. Differenziert beurteilt Rudi Bertram, seit 1999 Bürgermeister der regionsangehörigen Stadt Eschweiler, den Nutzen des Zusammenschlusses: “Vieles wäre auch im alten Kreis Aachen nicht anders gelaufen”. Von Vorteil sei, dass bei jeder übergemeindlichen Aufgabe überlegt werde “Was können wir bündeln?” Jedoch hätten es die zehn Städteregion Mitglieder beispielsweise nicht geschafft, sich auf einheitliche Gewerbesteuerhebesätze zu einigen. Zu divergierend seien offensichtlich die Interessen der Kaiserstadt Aachen und einer 8.600-Einwohner-Gemeinde wie Roetgen. Hätte das Aachen-Modell Schule gemacht, wären Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis die nächsten gewesen. Denn der Kreis umschließt die Bundesstadt – ähnlich wie Aachen – an drei Seiten. Seit der Gebietsreform 1975 gibt es aber keine weiteren Konstellationen dieser Art mehr in NRW. Doch eine Städteregion war in und um Bonn niemals Thema. Der Grund – so vermutet Pressereferent Antonius Nolden vom RheinSieg-Kreis – lag wohl im BonnBerlin-Vertrag von 1994. Dieser verpflichtete Stadt und Region zu enger Zusammenarbeit, um in den Genuss der “Ausgleichsmilliarde” zu kommen. Möglicherweise hat das Regionsmodell auch deshalb keine Nachahmer gefunden, weil die Bedingungen für interkommunale Zusammenarbeit kontinuierlich verbessert worden sind. “Man hätte eine engere Kooperation auch mit Zweckverbänden realisieren können”, urteilt Bürgermeister Bertram in der Rückschau. Dennoch steht der Kommunalpolitiker, der die Gründung der Städteregion Aachen aktiv begleitet hat, voll hinter dem Konzept: “Die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen und deren Chefs hat sich deutlich zum Positiven entwickelt.” Und wo das Gesetz noch getrennte Gremien vorschreibe – etwa Krisenstäbe bei Stadt und Städteregion zur Bekämpfung des Corona-Virus –, tage man gemeinsam.

Martin Lehrer M.A. ist freier Journalist in Köln mit den Schwerpunkten öffentliche Verwaltung und Informationstechnologie. Bis 2019 leitete er die Öffentlichkeitsarbeit beim Städte- und Gemeindebund NRW. Foto: BS/privat

Stärkung lebendiger Ortskerne BBSR-Studie für kleine Kommunen (BS/Katarina Heidrich) Auch wenn sie momentan verwaist sind: Ortskerne sind das Aushängeschild und ein Attraktivitätsindikator kleinerer Städte und Gemeinden. Wie diese ihre Zentren als lebendige und nutzungsdurchmischte Wohn- und Versorgungsstandorte stärken können, zeigt eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). “In den Ortskernen bündeln sich idealerweise Funktionen wie Wohnen, Handel und Gewerbe, Kultur und Bildung. Sie schaffen Raum für Kommunikation und Begegnung und tragen dazu bei, dass sich Menschen mit ihrem Ort verbunden fühlen. Gleichzeitig werden vielerorts Herausforderungen sichtbar: Dazu zählen leerstehende Wohnungen, Läden und Gewerbebauten, sanierungsbedürftige Gebäude und öffentliche Räume, in die investiert werden muss”, betont Institutsleiter Markus Eltges.

Um den verschiedenen Nutzungsansprüchen gerecht zu werden, sind Kooperationen zwischen Stadtverwaltung, Kommunalpolitik, Eigentümern und Investoren sinnvoll, wie die Studie “Strategien der Innenentwicklung” zeigt. Die Arbeitshilfe benennt zehn Strategien zur positiven Innenstadtentwicklung. Etwa von der kritischen Bestandsaufnahme über die Partnersuche für Innenstadtentwicklung bis hin zur Schaffung von Grün- und Freizeiträumen.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 15

Fot o

g rer kseb : BSB/SS/tFaodtto AHbaecn

Vier Fragen – vier Antworten mit Wolfram Bernhardt

B

ehörden Spiegel: Sie sind Mitglied im Netzwerk “Junge Bürgermeister/-innen”. Wie kam es dazu und was ist das Anliegen des Netzwerks?

Die Politische Kultur des Streitens Durch Dialog die Demokratie stärken

(BS) Er ist 37 Jahre alt und hat 2019 im Rennen um den Bürgermeister-Posten von Adelsheim seinen Gegenkandidaten geschlagen, der 16 Jahre lang im Amt war. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erklärt Wolfram Bernhardt (parteilos), was junge Menschen trotz Widerständen motiBernhardt: Ich bin durch meine viert, sich politisch zu engagieren, wie mit der gesellschaftlichen Spaltung umgegangen werden sollte und warum wir das Streiten wieder lernen Kandidatur zum Bürgermeister müssen. Die Fragen stellte Katarina Heidrich.

von Adelsheim dazu gekommen. Während des Wahlkampfes sagte man mir, ich sei noch sehr jung. Da schwang unterschwellig der Vorwurf mit: Naja, Sie sind vielleicht zu jung für dieses Amt. Aber es kann doch nicht sein, dass das Alter ein Hinderungsgrund ist. Also wollte ich mich mit anderen jungen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern dazu austauschen, wie man mit diesem Argument umgehen kann und habe nach ihnen im Internet gesucht. So bin ich auf das Netzwerk gestoßen, das gerade dabei war, sich zu gründen. Am 5. September 2019 fand das offizielle Gründungstreffen statt, bei dem die Zielsetzung und Agenda definiert wurden. Im Vordergrund steht bis heute der unkomplizierte Austausch mit anderen jungen Kolleginnen und Kollegen. Daneben gibt es natürlich auch ein paar Themen, die das Netzwerk gemeinsam vorantreiben will: Digitalisierung, Nachwuchsgewinnung und letztlich Menschen darin zu bestärken, sich kommunalpolitisch zu engagieren. Im April war das nächste zweitägige Treffen geplant, das wir jetzt leider verschieben mussten. Behörden Spiegel: Kriterium zur Mitgliedschaft ist, im wei-

I

mmer mehr Städte, Landkreise und Gemeinden engagieren sich für Vielfalt, für Chancengleichheit und dafür, lokal globale Zukunft zu gestalten. Ob bei Initiativen zu Nachhaltigkeit, zu fairem Handel oder in Städtepartnerschaften mit Schwellen- und Entwicklungsländern – dort, wo Kommunen und Menschen mit Migrationsgeschichte ihre Expertise bündeln, bilden sich nachhaltigere Strukturen und die Wirkung der Aktivitäten steigt. Migrantinnen und Mi­granten sensibilisieren für globale Themen und ihre Herkunftsländer, fungieren als Beratende in Nord-Süd-Partnerschaften und gestalten aktiv kommunale Entwicklungspolitik mit. Kommunen planen gemeinsam mit migrantischen Vereinen oder Initiativen internationale Projekte, organisieren Veranstaltungen zu globalen Themen, gestalten migrantische Viertel in Lern- und Erinnerungsorte um oder entwickeln Strategien und Leitbilder: Migration und Entwicklung werden auf kommunaler Ebene immer häufiger zusammengedacht. Hier setzt die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global an und gibt den guten Ideen eine Bühne: Der bundesweit einzigartige Wettbewerb “Kommune bewegt Welt” zeichnet 2020 in einer feierlichen Preisverleihung erneut Kommunen aus, die sich gemeinsam mit migrantischen Organisationen entwicklungspolitisch engagieren. Ziel und Anliegen des Wettbewerbs ist es, das gemeinsame entwicklungspolitische Engagement von Kommunen, mi­ grantischen Organisationen und Eine-Welt-Initiativen sichtbarer zu machen, auf diese Weise die Bedeutung des Themas Migration und Entwicklung in unserer

testen Sinne, jung zu sein. Wie sieht es mit den politischen Absichten aus? Können auch AfDBürgermeister/-innen Mitglied im Netzwerk werden? Bernhardt: Da wir, wie gesagt, noch am Anfang stehen, kam das noch nicht zur Sprache. Ich persönlich bin aber der Auffassung, dass man offen sein muss für den Dialog, solange das Bundesverfassungsgericht eine politische Partei nicht verboten hat. Auch die Bundespolitiker sprechen mit Personen, deren System- und Herrschaftsverständnis weit von dem entfernt ist, was wir in Deutschland praktizieren – sei es in Russland, den USA, in China oder in einigen afrikanischen Ländern. Auf dieser Ebene wird immer gesagt, man muss im Dialog bleiben. Warum tun wir uns dann damit auf lokaler Ebene so schwer? Das bedeutet natürlich nicht, dass man sich jeden Blödsinn gefallen lassen muss und diesen nicht auch als solchen benennen sollte. Aber was spricht dagegen, sich im politischen Diskurs wieder kontrovers zu streiten? Stattdessen wird gleich die Moralkeule hervorgeholt und gesagt: Darüber dürfen wir nicht mal diskutieren.

Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass die freie Rede ein schmaler Grat ist, der zwischen Meinungsfreiheit und geistiger Brandstiftung verläuft. Meinungsfreiheit ist Zumutung, und das muss sie in einem freiheitlichen Staat auch sein. Der Spagat besteht nun darin, die freie Rede zu fördern und zu schützen und gleichzeitig diskriminierende Meinungsäußerungen zu ächten. Behörden Spiegel: Was tun Sie ganz konkret als Bürgermeister für diesen übergreifenden Dialog? Und wie soll man es – schon rein technisch – schaffen, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene alle an einen Tisch zu holen? Bernhardt: Während meines Wahlkampfs habe ich an jeder Haustür geklingelt, weil es mir wichtig war, mit allen Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch weil ich vorher als Herausgeber des philosophischen Wirtschaftsmagazins “agora42” zehn Jahre in meiner, ich möchte mal sagen, links-intellektuellen Blase gelebt habe. Deswegen war es mir wichtig, auch mit denen zu reden, über die man normalerweise nur spricht. So habe ich anhand meiner “Haustürgespräche” in-

nerhalb von acht Wochen einen absoluten Querschnitt durch die Bevölkerung erlebt. In den Gesprächen haben mir auch einige kundgetan, dass sie AfD-Wähler sind – nicht, weil sie, salopp gesagt, rechte Spinner sind, sondern weil bei vielen einfach ein großer Frust darüber herrscht, wie Politik betrieben wird. Diese Personen – wie landläufig getan wird – als ignorant abzutun, führt nun nicht dazu, dass sie ihre Meinung revidieren, sondern dazu, dass sie sich noch mehr abkapseln. Ich habe seit Amtsantritt immer wieder betont, dass ich es willkommen heiße, wenn man mir gegenüber Kritik offen äußert. Auch dafür habe ich eine Bürgersprechstunde eingerichtet. Einmal im Monat kann man ohne Termin mit allen Anliegen zu mir kommen und durch den direkten Austausch lässt sich vieles gleich beheben. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder alles sagen und machen können soll. Ich bin ein Fan der repräsentativen Demokratie, aber es geht ja darum, den Umgang miteinander und Menschen auch als das zu behandeln, was sie staatsrechtlich sind: der Souverän. Ein sinnvoller Weg für mich wären themenspezifische

Abstimmungen nach dem Vorbild der Schweiz. Dadurch wird die Akzeptanz für politische Entscheidungen in der Bevölkerung gestärkt. Behörden Spiegel: Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffe gegen Mandatsträger nehmen zu. Ist es da nicht auch riskant, in den direkten Dialog zu treten? Und was braucht es, um junge Menschen weiter für Politik zu begeistern? Bernhardt: Ich sehe das Angebot zum Dialog nicht als riskante, sondern als präventive Maßnahme. Ich kann mit Kritik, die mir ins Gesicht gesagt wird, besser umgehen als mit Gemurmel, das sich hinter dem Rücken auftürmt. Und auch wenn es im persönlichen Gespräch mal mit jemandem durchgeht, empfiehlt es sich, nicht gleich zurückzuschießen und alles persönlich zu nehmen. Manchmal muss sich der Ärger seinen Weg bahnen, bevor man über das wirkliche Problem reden kann. Das sollte man schon aushalten können – gerade wenn man in der Öffentlichkeit steht. Was anderes sind Tätlichkeiten und Drohungen, die auf das

Wettbewerbsstart “Kommune bewegt Welt” 2020 Der Preis für herausragende kommunale Beispiele zu Migration und Entwicklung (BS/ Marianne Kreuzig*) Im Rahmen einer global nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 der Vereinten Nationen rückt die Zusammenarbeit von Kommunen mit migrantischen Organisationen immer mehr in den Vordergrund. Der Wettbewerb würdigt diese vorbildlichen Kooperationen: Seit dem 2. März 2020 können sich Kommunen zusammen mit Migrantinnen und Migranten bewerben. Bewerbungsschluss ist der 28. Juni 2020.

Globale Themen gemeinsam vor Ort anpacken!

Gesellschaft hervorzuheben und zum Nachahmen zu motivieren. Der seit 2014 alle zwei Jahre stattfindende Wettbewerb steht unter der Schirmherrschaft von Dr. Gerd Müller, dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der betont: “Eine Welt beginnt vor Ort. Voneinander lernen und miteinander Lösungen suchen – das sind die Erfordernisse unserer Zeit, um global nachhaltige Entwicklung zu fördern.” Eine Jury mit Expertinnen und Experten aus Politik, Kommunen und entwicklungspolitischen Organisationen wählt die preiswürdigsten Ideen aus. Dabei soll vor allem solchen Initiativen eine Bühne gegeben werden, bei denen aus Ideen eine kontinuierliche Zusammenarbeit oder Zukunftsstrategien und Leitbilder für eine global-denkende Kommune erwachsen sind. Die Teilnehmenden sind explizit aufgerufen, über das

Foto: BS/Christian Lademann

Thema Integration hinaus- und die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustain­ able Development Goals – SDGs) mitzudenken.

Sichtbarkeit und Vernetzung – warum sich das Mitmachen auf jeden Fall lohnt! Mit einem Preisgeld von insgesamt 135.000 Euro wird dieses Jahr zum vierten Mal die herausragende Zusammenarbeit von Kommunen und migrantischen Organisationen prämiert. Eine Teilnahme lohnt sich für große und kleine Kommunen: in drei Größen-Kategorien (bis 20.000; 20.0000 bis 100.0000; über 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner) werden jeweils ein erster und ein zweiter Platz ausgezeichnet. Dabei wird das Preisgeld zu gleichen Anteilen auf die drei Kategorien verteilt. Auch Sonderpreise wurden in der Vergangenheit verliehen. Die

platzierten Kommunen können ihren Gewinn gemeinsam mit ihren zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen für die Weiterentwicklung gemeinsamer Maßnahmen der kommunalen Entwicklungspolitik verwenden. Darüber hinaus unterstützt die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt neben der zentralen Preisverleihung lokale Feiern, mit denen die Beteiligten auch vor Ort gebührend gewürdigt werden. Für die ersten Preisträger aller Kategorien werden zudem Image-Filme gedreht. Henriette Reker, Oberbürgermeisterin der Gewinnerkommune Köln in der ersten Wettbewerbsrunde 2014, beschreibt die Wirkung der Auszeichnung so: “Die beteiligten engagierten Initiativen und Vereine erhielten dadurch die Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt. Der Preis ist uns Ansporn und Verpflichtung, die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Zivilgesellschaft, insbesondere Migrantenorganisationen, in der entwicklungspolitischen Arbeit in Köln weiter zu vertiefen.” Aber auch alle anderen teilnehmenden Städte, Gemeinden und Landkreise gehen nicht leer aus! Alle Bewerbenden profitieren vom Erfahrungsaustausch und der Netzwerkbildung, die im Rahmen des Wettbewerbs und auch darüber hinaus im Jahr 2021 stattfinden: “Der Preis Kommune bewegt Welt hat uns viel Motivation und neue Impulse gegeben. Er überzeugt uns Migrant/-innen, in der kom-

munalen Entwicklungspolitik Verantwortung zu übernehmen und eine nachhaltige Geschichte zu schreiben. Eine Geschichte mit gutem Geschmack”, Cecilia Laca Sanchéz, Initiatorin und Leiterin des Projektes “Integration mit Geschmack”, Partnerin der Gewinnerkommune Ingelheim am Rhein. Es winken also auch neue Kontakte und Ideen, die der eigenen Kommune und der eigenen Organisation weiterhelfen. Dabei steht die Servicestelle allen Kommunen zur Seite und berät zu weiteren Möglichkeiten des entwicklungspolitischen Handelns. Sichtbar gemacht wird das Engagement der Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmer außerdem über die verschiedenen Kanäle der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, auf Veranstaltungen und in Dokumentationen.

Wettbewerbssieger 2018: “Unser buntes Engen” Alle Preisträger-Kommunen der vergangenen Wettbewerbsjahrgänge zeichneten sich durch außergewöhnliche und kreative Ideen aus, unter ihnen beispielsweise das baden-württembergische Engen. In der kleinen 10.000-Einwohner-Kommune leben Menschen aus 70 Nationen. Im Mittelpunkt des kommunalen Engagements steht das Programm “Unser buntes Engen”. Die Veranstaltungsreihe will das globale Verständnis in der Kleinstadt fördern und Begegnungsmöglichkeiten schaffen. Idee der Reihe

leibliche Wohl abzielen. Alle Mandatsträger zu schützen, halte ich nicht für umsetzbar. Allerdings habe ich die Hoffnung, dass man mit einer anderen Kommunikationskultur, mit einem anderen Politikstil, mit einer Kultivierung des politischen Streits zu einem anderen Umgang miteinander findet. Als Politiker, das merke ich gerade selber, steckt man in einem Mechanismus, der sich über Jahrzehnte aufgebaut hat und irgendwie funktioniert. Wir müssen aber zumindest die Fragen zulassen, welche anderen Formen des Gesellschafts- oder auch Wirtschaftssystems möglich wären. Die Tatsache, dass wir solche Debatten noch immer nicht ernsthaft führen, hat zur Folge, dass gerade jüngere Menschen sich nicht ernst genommen fühlen. Sie hören immer nur, dass sie noch nicht verstehen können, warum dieses oder jenes nicht geht. Man wird abgewiegelt mit Systemzwängen und Alternativlosigkeit. Wer so vorgeht, darf sich nicht wundern, wenn einerseits engagierte Leute verschreckt werden und andererseits der Boden für radikale Bewegungen bereitet wird. Auch hier kann ich nur eine ganz banale Lösung anbieten: Mit Jugendlichen reden, ihre Ideen ernsthaft in Betracht ziehen und nicht gleich dagegen argumentieren; eben ein Austausch auf Augenhöhe. Das kann auf kommunaler Ebene ganz unkompliziert und barrierefrei passieren. Wenn Corona um ist, auch gerne mal mit einem Kasten Bier im Stadtpark.

sind Länderabende zu den Herkunftsländern von Zugewanderten in Engen. Diese werden von den unterschiedlichen Migrantinnen- und Migrantengruppen mit Geschichten, Musik und Essen gestaltet und moderiert. Bis zu 300 Gäste konnten so Unbekanntes und Überraschendes über die Herkunftsländer ihrer neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger erfahren. Bürgermeister Johannes Moser ist überzeugt: “Durch diese vielfältigen Informationen haben wir die kulturelle Vielfalt unserer Stadt hervorgehoben, aber ebenso über Hintergründe der Migration informiert sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl unserer Bürger gefördert.” In den Wettbewerbsrunden 2014, 2016 und 2018 stellten die Kommunen ihre nachhaltigen Initiativen zu Recht mit Stolz vor und nutzten gleichzeitig die Möglichkeit des Austauschs in den Folgejahren. Aus den Vernetzungsprozessen sind viele neue Kontakte, Kooperationen und Projekte entstanden und vertieft worden. Dieses Engagement wirkt global, wobei Vielfalt, Offenheit und ein Miteinander auf Augenhöhe vor allem auf lokaler Ebene gelebt wird! Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt freut sich auf viele neue Kooperationsbeispiele zu den Themen Migration und Entwicklung in der Wettbewerbsrunde 2020 ab Montag, den 2. März 2020 bis 28. Juni 2020. Die feierliche Preisverleihung findet am 23. September 2020 in der Gewinner-Kommune Saarbrücken statt. * Marianne Kreuzig ist Projektleiterin Migration und Entwicklung auf kommunaler Ebene bei der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt der ENGAGEMENT GLOBAL gGmbH.


Seite 16

Personelles

Behรถrden Spiegel / April 2020


Behรถrden Spiegel / April 2020

Personelles

Seite 17


Personelles/ Kommunalpolitik

Seite 18

Behörden Spiegel / April 2020

SPD löst CSU ab

ZEHN GEBOTE FÜR KOMMUNEN Der öffentliche Sektor ist zu einem freien Markt geworden. Altes Denken ist da wenig hilfreich. Die Kommunen haben es inzwischen mit Kunden und nicht mehr mit Einwohnern zu tun. Es geht um Zielgruppen und Erlöse. Schrumpfen diese, hat das weitreichende Folgen, und das vor dem Hintergrund angespannter Haushalte, steigender Verwaltungsaufgaben und voranschreitender Digitalisierung. Zehn Gebote liefern Lösungsansätze für Kommunen. Gebot 1: Kommunen stehen im Wettbewerb Globalisierung und Digitalisierung haben die Welt zusammenwachsen lassen und zusammengerückt. Wenn man so will, ist mein Büro nur einen Mausklick von Sydney, Phuket oder Los Angeles entfernt. Was für den großen Maßstab funktioniert, gilt erst recht für den kleinen – sprich: Hamburg ist genauso weit von mir “entfernt” wie Berlin oder München, aber auch Meißen, Kempten oder Nordenham. Städte mit unzähligen Nachbargemeinden im unmittelbaren Wettbewerb. Entscheidet sich ein Bürger, ein Unternehmen oder ein Investor für einen Standort, wird er dort investieren, gleich in welcher Form. Die Gemeinde profitiert durch diverse steuerliche Abgaben und sonstige Einnahmen davon. Umliegende Gemeinden gehen dann leer aus. Je attraktiver eine Gemeinde für einen solchen potenziellen Stakeholder ist, desto mehr Zuspruch bekommt sie. Um-

Dominic Multerer ist Marketingexperte und Gründer des Instituts für Wachstumschancen und Innovation (IWCI).

Foto: BS/privat

gekehrt gesehen: Je unattraktiver eine Kommune wirkt, desto weniger Menschen oder Betriebe wollen dort hin oder wollen dortbleiben. Und wenn sie gehen oder wegbleiben, fehlen auch Einnahmen, um den laufenden “Betrieb” aufrechtzuhalten und damit letztendlich, um Zukunft gestalten zu können. In der Privatwirtschaft verschwinden Produkte, die sich schlecht verkaufen. Nun können sich Kommunen nicht in Luft auflösen, aber so hart es für viele Verantwortliche in Städten und Gemeinden klingen mag – sie können in große Schwierigkeiten geraten und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Wie bei einem Produkt informieren sich potenzielle Stakeholder vorab, ob sich die örtlichen Gegebenheiten mit ihren Bedürfnissen decken, bevor sie sich niederlassen. Weiche Faktoren wie Lebensqualität oder Image spielen dabei genauso eine Rolle wie harte. Als Beispiel seien gute Infrastruktur oder steuerliche Anreize genannt. Daher stehen Kommunen

schon seit Jahren miteinander im Wettbewerb, ob sie wollen oder nicht. Derjenige, der das beste Angebot macht, bekommt den Zuschlag! Für Kommunen muss deshalb die erste Regel lauten, das zu erkennen und zu akzeptieren. Sie stehen in Konkurrenz – auch wenn das etwas anders aussieht als in der freien Wirtschaft. Das Prinzip ist aber das gleiche. Daher ist Städten und Gemeinden zu raten, sich an der Wirtschaft zu orientieren, um marktorientiertes Denken zu entwickeln. Dafür muss man neue Wege gehen, alte Muster durchbrechen und sich mit strategischen Fragen befassen. Querdenken und Benchmarking sind gefragt. Dazu sollten unbedingt Menschen eingebunden werden, die nicht aus dem Verwaltungsbereich kommen, die beraten und bei Planungen und Umsetzung helfen. Wer das verinnerlicht, kann sich im Wettbewerb behaupten. Alle anderen werden auf der Stelle treten und die Herausforderungen des kontinuierlichen Wandels nicht packen. Es geht darum, dass mit einem Investor, Unternehmen und letztlich auch dem Bürger Umsatz gemacht wird. Das ist Geld für die kommunale Kasse. Also: Machen Sie die Augen auf! Mehr zu den zehn Geboten für Kommunen, mit denen Städte und Gemeinden die Zukunft als Chance nutzen können, unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “10 Gebote”.

Neuer SPD-Oberbürgermeister in Ingolstadt (BS/Katarina Heidrich) Christian Scharpf hat die Wahl zum Ingolstädter Oberbürgermeister für sich entschieden und gegen Amtsinhaber Christian Lösel gewonnen. Nach 48 Jahren hat somit die SPD der CSU den Posten in der zweitgrößten Stadt Oberbayerns wieder abgenommen. Bei der Stichwahl kam Scharpf auf 59,3 Prozent der Stimmen, sein Kontrahent Lösel auf 40,7 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Stadt bei 57,6 Prozent. Im ersten Wahlgang erhielt Scharpf noch 33,6 Prozent der Stimmen, Amtsinhaber Lösel 33,8 Prozent. Der 48-jährige Scharpf, der sein neues Amt voraussichtlich am 1. Mai antreten wird, war bisher Stadtdirektor in München. Nach

einer Ausbildung zum Bankkaufmann folgte ein Studium der Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Verwaltung in Augsburg und München. Nachdem er seit 2002 als angestellter Rechtsanwalt tätig war, trat er 2004 in den Dienst der Landeshauptstadt. Seit 2012 war Scharpf im Rang eines Stadtdirektors der stellvertretende Leiter des Direktoriums. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Christian Scharpf (SPD) hat die Wahl zum Oberbürgermeister von Ingolstadt gewonnen und damit die CSU nach 48 Jahren vom Thron gestoßen.

Foto: BS/SPD Ingolstadt

CSU löst SPD ab Nürnbergs neuer Oberbürgermeister gewählt (BS/Katarina Heidrich) Marcus König (CSU) tritt das Erbe von Ulrich Maly (SPD) als neuer Oberbürgermeister von Nürnberg an. Maly war zuvor seit 18 Jahren im Amt. Die CSU löst die SPD nun auch als stärkste Fraktion im Stadtrat ab. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen im ersten Wahlgang holte König in der Stichwahl 8.750 Stimmen mehr als sein SPDKontrahent Thorsten Brehm und setzte sich mit knapp 52 Prozent durch. Auch die Wahlbeteiligung lag bei rund 52 Prozent, wobei die Abstimmung ausschließlich per Briefwahl stattfand. Der 39-jährige König ist seit 1998 in der CSU aktiv. Seit 2017 ist er CSU-Fraktionsvorsitzender im Nürnberger Stadtrat, in dem er seit 2018 Mitglied

ist. Der gebürtige Nürnberger absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann und war dann als Finanzberater bei der Dresdner Bank tätig. Anschließend war König Filialund Abteilungsdirektor bei der Commerzbank. Einer seiner Vorschläge für Nürnberg: ein Nachhaltigkeitsbeirat für die städtische Politik, in den sich auch Bürgerinnen und Bürger, Umweltaktivisten oder Wirtschaftsfachleute einbringen können.

Marcus König (CSU) ist der neue Oberbürgermeister von Nürnberg.

Foto: BS/CSU-Stadtratsfraktion Nürnberg

Wahlen verschoben Kommunalwahlen in Corona-Zeiten

Bolz folgt auf Polta

(BS/Marco Feldmann) In Sachsen und Hessen sind aufgrund der Corona-Pandemie anstehende Bürgermeisterwahlen verschoben worden. Im Freistaat wurden 28 der 30 vorgesehenen Urnengänge in den Herbst verschoben. Betroffen sind unter anderem die Wahlen in Chemnitz und im Vogtlandkreis.

Wechsel beim Landratsamt Heidenheim (BS/Marco Feldmann) Marlene Bolz ist neue Erste Landesbeamtin und stellvertretende Landrätin beim Landratsamt Heidenheim. Sie tritt die Nachfolge Peter Poltas an, der dort zum Landrat gewählt worden war. Zuletzt war die 36-jährige Bolz Referentin für Personalrecht und Ausbildung im badenwürttembergischen Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration. Sie studierte Rechtswissenschaften in Bielefeld. 2012 begann sie ihre berufliche Laufbahn in der baden-württembergischen Landesverwaltung im Dezernat Bau und Umwelt des Landratsamts Heidenheim. Im November 2013 übernahm sie die Stabsbereichsleitung Zentralstelle. 2016 wechselte Bolz als Referentin an das Regierungs-

präsidium Stuttgart, wo sie Ausweisungs- und Koordinierungsbeauftragte für Massenstraftaten war. Bolz ist verheiratet und hat zwei Kinder. Neben der ständigen allgemeinen Stellvertretung des Landrats wird die designierte Erste Landesbeamtin Bolz beim Landratsamt die Leitung des Dezernates Verwaltung und Digitalisierung übernehmen sowie an für den Landkreis wichtigen Projekten mitwirken. Landrat Peter Polta begrüßt die Berufung ausdrücklich.

In Sachsen und Hessen wird der Gang zur Wahlurne aufgrund Corona verschoben. BU: Marlene Bolz (36) ist neue Erste Landesbeamtin und stellvertretende Landrätin beim Landratsamt Heidenheim. Foto: BS/Innenministerium Baden-Württemberg

Schenk folgt auf Höhn Wechsel im Thüringer Innenministerium (BS/Marco Feldmann) Katharina Schenk ist neue Staatssekretärin für Kommunales im Thüringer Innenministerium. Sie tritt die Nachfolge Uwe Höhns an, der in den Ruhestand verabschiedet wurde. Schenk war bisher unter anderem Stadträtin in Leipzig. Die 32-jährige gebürtige Sächsin studierte in Leipzig und Athen Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften und Philosophie. Ab 2017 war sie persönliche Referentin des Altenburger Oberbürgermeisters. Anschließend wechselte Schenk als City-Managerin in die Wirtschaftsförderung. Zuvor war sie nicht nur Stadträtin in Leipzig, sondern auch Mitglied im Kreistag des Altenburger Landes. Schenk ist verheiratet und hat eine Tochter. Zu ihrem neuen

Amt sagte sie: “Ich will dazu beitragen, die Lebensqualität überall in Thüringen hoch zu halten. Mit innovativen Ansätzen können wir den Folgen des demografischen Wandels entgegenwirken.” Schenk möchte die Handlungsfähigkeit der Kommunen nicht nur durch strukturelle Modernisierung und eine angemessene Finanzierung steigern, sondern insbesondere die Herausforderungen der Städte und Gemeinden im ländlichen Raum angehen.

Ebenfalls verschoben auf die Zeit nach dem 20. September sind etwa Urnengänge in den Landkreisen Bautzen, Görlitz, Meißen, Leipzig, Mittelsachsen, Nordsachsen, Zwickau sowie im Erzgebirgskreis und im Landkreis Sächsische Schweiz-Ost­ erzgebirge. Begründet wird die Maßnahme mit dem allgemeinen Infektionsschutz, der Möglichkeit

zur Entlastung der Gemeindeverwaltungen von personal- und kostenintensiven Wahlvorbereitungen sowie dem derzeitigen Verbot von Wahlveranstaltungen. In Hessen wurden 36 Bürgermeisterwahlen, die ursprünglich in der Zeit von April bis Oktober durchgeführt werden sollten, auf frühestens 1. November verschoben. Aufgrund der dann vorhan-

Foto: BS/pics_kartub, pixabay.com

denen terminlichen Nähe zu den Kommunalwahlen können die zuständigen kommunalen Vertretungskörperschaften eigenständig beschließen, die Wahl des Bürgermeisters ausnahmsweise erst gemeinsam mit den Kommunalwahlen 2021 durchzuführen. Ob die Kommunalwahl in NordrheinWestfalen am 13. September 2020 verschoben wird, ist noch unklar.

Mundschutz selbst nähen Nähanleitung durch die Kommune (BS/Tanja Klement) Die Feuerwehr Essen, die Malteser Fulda und diverse Fernseh- und Radiosender stellen mittlerweile Schnittmuster und Nähanleitungen für einen sogenannten Behelfs-Mund-Nasen-Schutz (BMNS) zur Verfügung. Die Idee dahinter ist simpel: Wenn Schutzmasken nicht gekauft werden können, muss man eben selbst Hand anlegen.

In Essen sind nach Angaben der Stadt gerade 15.000 Masken in Arbeit. Was die Wirksamkeit angeht, schützt ein BMNS zwar nicht davor, sich anzustecken, Katharina Schenk (32) ist neue Staats- reduziert aber das Risiko, ansekretärin für Kommunales im Erfurter dere zu infizieren. Ergo: Je mehr Innenministerium. Foto: BS/TMIK Menschen einen BMNS tragen, umso effektiver sind sie. Eine

Garantie für die Wirksamkeit übernehmen die SchnittmusterQuellen jedoch nicht. Die Anleitungen sind einfach: Ein Stück kochfester Baumwollstoff, ein Stück Draht und voila, ein BMNS. Nur bei den Stoffempfehlungen gehen die Meinungen auseinander. Schnittmuster-Hersteller Burda empfiehlt dicht gewebten Baumwollstoff, die Stadt Essen hingegen Stoffwindeln und T-Shirts. Da ich in meiner Freizeit viel und gerne Nähe, meine persönliche Empfehlung: Verwenden Sie nach Möglichkeit keine

T-Shirts. Der Infektionsschutz wäre zwar genauso hoch wie bei anderem Stoff, aber Maske und Bänder aus T-Shirt-Stoff leiern schnell aus und sitzen dann nicht mehr richtig. Mit einem gewebten Stoff, wie einem Hemd oder Patchworkstoff, ist der BMNS aber schnell genäht. Wenn Sie einen BMNS nähen und verwenden, beachten Sie bitte unbedingt die Pflegeund Hygienehinweise aus den Schnittmustern. Lesen Sie Details, wie es geht auf: behoerden.blog


Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / April 2020

Wie hart trifft Corona die Kommunen?

D

er Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert einen finanziellen Schutzschirm für die Kommunen. Die Länder sollen, unabhängig von der teilweise desolaten Finanzlage einzelner Kommunen, den finanziellen Spielraum über zusätzliche Mittel des kommunalen Finanzausgleiches sofort mit deutlichen Erhöhungen vergrößern. “Da es sich um eine schwere Krise handelt, die alle trifft, muss sich auch der Bund hier engagieren”, betont DStGB-Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg. Nichts wäre dramatischer, als die Funktionsfähigkeit der Kommunen in diesen schweren Zeiten wegen mangelnder Finanzausstattung zu gefährden. In der großen Finanzkrise habe man gesagt, dass die Banken systemrelevant seien und gerettet werden müssten. “In der jetzigen Situation sind gerade die Kommunen als zentrale Ansprechpartner der Bürgerinnen und Bürger mit den damit verbundenen Aufgaben zur Organisation und Beherrschung der Situation systemrelevant”, so Landsberg. Einige Medien sehen die Kommunen schon vor einem finanziellen Kollaps. “Die Kommunen stehen aber nicht vor einer Pleite, das ist sachlich falsch. Viel wichtiger ist die Frage nach

Rettungsschirme statt Sparprogramme notwendig (BS/lkm) Die Corona-Krise macht sich wirtschaftlich nicht nur bei den Unternehmen deutlich bemerkbar, sondern auch bei Kommunen. Denn die Gewerbesteuer dürfte aufgrund der vielen Geschäftsschließungen spürbar einknicken. Auch die Anteile an der Einkommenssteuer werden rapide sinken. Um chaotische Zustände zu vermeiden, sind neben Rettungsschirmen auch Anpassungen im Haushaltsrecht notwendig. ihrer Handlungsfähigkeit”, betont Ronny Freier, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft an der Technischen Hochschule Wildau. In den Ländern scheint man das genauso zu sehen. Aktuell gibt es kein Bundesland, dass noch keine finanziellen Hilfen zugesagt hat. Viele Bundesländer haben in kürzester Zeit Nachtragshaushalte beschlossen, um Wirtschaft und Kommunen vor Ort zu stützen. Wieviele Hilfen letztendlich notwendig sind, lässt sich den Kommunalverbänden zufolge noch nicht einschätzen. “Wir tappen hier im Dunklen”, so ein Sprecher des Deutschen Landkreistages (DLT) gegenüber unserer Zeitung. Der DLT geht für die Kommunen jedoch von “nicht unerheblichen finanziellen Einbußen” aus. Gewerbesteuer und Einkommensteuer würden zurückgehen, Kurtaxe und Bettensteuer fielen vorübergehend sogar ganz aus, erklärte

DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager. Laut Einschätzung des Münchener ifo Instituts wird die deutsche Wirtschaft dieses Jahr zwischen 7,2 und 20,6 Prozentpunkte infolge der Corona-Krise einbrechen. Das bedeute Kosten zwischen 255 und 729 Milliarden Euro für den Staat. Im Vergleich dazu sank das BIP während der letzten großen Wirtschaftskrise um lediglich sechs Prozent. “Die Gewerbesteuer hat mit einem Minus von 20 Prozent reagiert. Für die Kommunen bedeutete das ein Minus von rund sechs Milliarden Euro”, erklärt Freier. Würde das BIP, wie das ifo Institut schätzt, um 20 Prozent zurückgehen, rechnet der Ökonom mit einem Einbruch von bis zu 50 Prozent bei der Gewerbesteuer. Dennoch dürfe man nicht den Teufel an die Wand malen. Wichtig sei, dass die Länder reagierten und den Kommunen die notwendige Rückendeckung gäben. Sie hätten die notwendigen finanziellen

Zusatzversorgungskassen

§ 2b UStG und kommunale Versorgungskassen von Dr. Ulrich Keilmann Bundesweit gibt es kommunale Beamtenversorgungskassen (BVK) als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie haben die Aufgabe, die Versorgungslasten ihrer Mitglieder auszugleichen. Mitglieder sind insbesondere die Kommunen. Zudem betreiben die Versorgungskassen sog. Zusatzversorgungskassen (ZVK) als Sondervermögen. Deren Aufgaben liegen darin, die Zusatzversorgung der kommunalen Arbeitnehmer des Öffentlichen Dienstes zu gewährleisten. Die ZVKen stehen den Beschäftigten auch für eine freiwillige Versicherung offen. In Hessen ergibt sich daraus untenstehende Organisationsstruktur.

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Als Besonderheit hat die Stadt Frankfurt am Main eine eigene ZVK.

Neuregelung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand Die Einführung des § 2b Umsatzsteuergesetz (UStG) hat Auswirkungen auf die BVK, denn sie bieten ihren Mitgliedern als “sonstige Leistung” die

Hessische kommunale Versorgungskassen Beamtenversorgungskassen Darmstadt

Kassel

Stadt1)

Wiesbaden

Frankfurt am Main

Mitglieder

Sondervermögen

Sondervermögen

● Gemeinden, Gemeindeverbände ● und sonstige kommunale Einrichtungen Pflichtaufgaben Ermittlung und Auszahlung der Versorgungsbezüge freiwillige Aufgaben ● Abrechnung von Bezügen ● Berechnung und Auszahlung von Beihilfen ● Landesfamilienkasse ● Zahlung von Ehrensold ● Verwaltung der Versorgungsrücklage ● Berechnung von Pensions- und Beihilferückstellungen

Zusatzversorgungskassen Darmstadt

Kassel

Seite 19

Wiesbaden

Frankfurt am Main

Mitglieder ● Gemeinden, Gemeindeverbände und die sonstigen Gebietskörperschaften ● Verbände dieser juristischen Personen ● sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ● andere Arbeitgeber, die unter den Geltungsbereich des ATV-K2) fallen ● andere Arbeitgeber, die öffentliche Aufgaben erfüllen oder gemeinnützig anerkannt sind Pflichtversicherung arbeitgeberfinanzierte Betriebsrente für die Beschäftigten Freiwillige Versicherung arbeitnehmerfinanzierte Betriebsrente für die Beschäftigten 1) Die Stadt Frankfurt am Main hatte keine Beamtenversorgungskasse. Hier war die Stadt Trägerin der ZVK als Sondervermögen. 2) Tarifvertrag über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – Altersvorsorge-TV-Kommunal (ATV-K), vom 1. März 2002 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 6 vom 29. April 2016

Abbildung: Hessische Kommunale Versorgungskassen, Quelle: Rechnungshof Hessen, eigene Darstellung

Berechnung und Auszahlung von Beihilfen und Bezügen an. Insbesondere in diesem Bereich der Beistandsleistungen – die nicht zum Kerngeschäft des umlagefinanzierten Ausgleichs des Aufwands der Mitglieder gehören – kann die neue Rechtslage zu unerwünschten umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen und damit zu Mehraufwendungen für die Mitglieder führen. Solche Mehrbelastungen durch Umsatzsteuer ab dem Jahr 2021 könnten verhindert werden, wenn die Mitglieder die Aufgabe der Entgeltfestsetzung in Gänze auf die Versorgungskassen übertrügen. Diese Möglichkeit ist im hessischen Landesrecht nicht vorgesehen. Für Hessen errechneten wir eine voraussichtliche Mehrbelastung in Höhe von über einer halben Millionen Euro pro Jahr. Im Kommunalbericht 2019 hat die Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften zur Behebung dieser Problematik Rechtsänderungen entlang den Änderungsvorschlägen der hessischen kommunalen Spitzenverbände empfohlen. Diese betreffen das Hessische Beamtenversorgungsgesetz, das Hessische Beamtengesetz, die Hessische Beihilfeverordnung und das Hessische Besoldungsgesetz. Erfreulicherweise haben die Regierungsfraktionen die Empfehlungen aufgegriffen und beabsichtigen, sie im Wesentlichen umzusetzen (s. Landtags-Drucksache20/2541 vom 11.03.2020). Lesen Sie mehr zum Thema “Kommunale Versorgungskassen” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1309 vom 8. November 2019, S. 198 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

Spielräume, um die Kommunen handlungsfähig zu halten. Neben finanziellen Rettungsschirmen seien aber auch Anpassungen am Haushaltsrecht notwendig, denn während Bund und Länder die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen könnten, seien die Kommunen

haushaltsrechtlich sehr viel stärker beschränkt. “Nach aktuellem Haushaltsrecht müsste bis Mai ein substanzieller Teil der Kommunen in die Haushaltssicherung gehen. Das darf aber nicht passieren”, so Freier. Das für Normalzeiten konstruierte Haushaltsrecht werde in dieser

Rezession die Kommunen in chaotische Zustände stürzen, warnt der Finanzexperte. “Es muss verhindert werden, dass die Kommunen den schädlichen Weg harter Sparprogramme beschreiten. Die Kreditfinanzierung des kommunalen Haushalts muss in diesen Krisenzeiten möglich sein.” Schleswig-Holstein hat bereits mit Erleichterungen im Haushaltsrecht reagiert und auch in NRW ist ein Erlass in Arbeit, der das Haushaltsrecht für die Kommunen bis auf weiteres aufheben werde. “Das ist der richtige Weg in dieser Krise, man darf hier jetzt nicht so streng sein”, so Freier.

Online-Direktdarlehen für Kommunen Liquiditätskredite schneller vergleichen und abschließen (BS/Jan Eibich*) Die Deutsche Kreditbank AG (DKB) hat zusammen mit der Fremdkapitalmarkt-Plattform Loanboox eine neue Lösung für die Aufnahme und Vergabe von kommunalen Liquiditätskrediten entwickelt: einen Online-Kreditvergleich mit Direktdarlehen. Der Service ist ab sofort für alle Kommunen verfügbar. Aktuell ist die Aufnahme von Krediten für Kommunen ein langwieriger Prozess: Mehrere Angebote müssen eingeholt und verglichen werden. Die Kommunikation mit den Kreditgebern erfolgt in der Regel schriftlich, telefonisch oder per Fax. Mit dem Online-Direktdarlehen wird dieser Prozess umgekehrt, digitalisiert und damit gerade in der aktuellen Situation für die Kommunen erheblich vereinfacht. Über die digitale Kreditplattform Loanboox erhalten kommunale Gebietskörperschaften tagesaktuelle Angebote für kurzfristige Kredite. Kapitalgeber wie die DKB stellen ihre Angebote proaktiv und nicht erst auf Anfrage zur Verfügung. Der Kreditnehmer kann die Angebote direkt online vergleichen. Nach Auswahl der gewünschten Volumina und Laufzeiten wird der Kredit auf der Plattform verbind-

lich abgeschlossen. Somit wandelt sich der Nachfragemarkt zu einem Angebotsmarkt. “Die Online-Kreditvergabe für Kommunen ist ein logischer Schritt in einer digitalisierten Welt und wird zukünftig ein wichtiges Instrument für kommunale Finanzierungen auf dem Weg zum effizienten E-Government”, sagt Thomas Jebsen, Marktvorstand der DKB. Die Direktbank ist für mehr als 4.000 Kommunen, Landkreise und Kommunalverbände Finanzpartner und setzt an 26 bundesweiten Standorten auf Nähe zu ihren Geschäftskunden.

Ausschreibung entfällt zukünftig Für die Zukunft ist die Anbindung weiterer Kreditgeber vorgesehen. Dadurch entfällt perspektivisch eine Ausschreibung, da mit einem Klick meh-

rere Angebote zum Vergleich vorliegen. “Wir führen zurzeit Gespräche mit diversen Finanz­ instituten, die Direktdarlehen in Zukunft nutzen wollen, um Überschussliquidität aktiv zu platzieren. Geplant ist zudem, den Service schrittweise auch in anderen Ländern auszurollen”, erläutert Stefan Mühlemann, Gründer und CEO von Loanboox. Das Direktdarlehen ist ab sofort für alle Kommunen deutschlandweit verfügbar. Zuvor war der Service in einer sechsmonatigen Testphase mit 50 ausgewählten Kommunen getestet und optimiert worden. Während dieser Testphase wurden bereits 40 Darlehen mit einem Gesamtvolumen von rund 400 Millionen Euro vermittelt. *Jan Eibich ist Geschäftsführer der Loanboox GmbH.


Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

Seite 20

Behörden Spiegel / April 2020

“Solidarität schafft Liquidität”

Flexibilität in der EU-Beihilfenkontrolle

Kommunale Wirtschaftsförderung geht kreative Wege

Staatliche Rettung für Unternehmen in der COVID-19-Pandemie

(BS/Katarina Heidrich) Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, besonders die der Ausgangsbeschränkungen, treffen vor allem kleine und mittlere Unternehmen vor Ort. Bis staatliche Hilfe eintrifft, kann es aber noch dauern. Über Stadtgutscheine und Crowdfunding versuchen nun Kommunen vielerorts, das größte Übel abzuwenden.

(BS/Guido Kleve/Dr. Michael Gayger*) Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen – dies gilt auch für das EU-Beihilfenrecht in Zeiten der COVID-19-Krise. Weltweit setzen Staaten, darunter auch Deutschland, milliardenschwere Förderprogramme auf, um die teils existenzgefährdenden Folgen für ihre Wirtschaft und Industrien abzufedern. Angesichts der Kurzfristigkeit dieser Hilfen mag es auf den ersten Blick überraschen, dass die Europäische Kommission die Anwendung des Beihilfenrechts keineswegs suspendiert hat.

“Es sind schwere Zeiten, auch für die lokalen Unternehmer, die mit ihren Cafés, Restaurants und Geschäften unsere Harzer Innenstädte erst lebens- und liebenswert machen”, betont der Geschäftsführer des Regionalverbands Ein Harz GmbH, Frank Uhlenhaut. Da viele von ihnen bereits hätten schließen müssen und keinen Umsatz generierten, habe er sich in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister von Goslar, Dr. Oliver Junk, dazu entschlossen, eine Selbsthilfekampagne zu starten. Diese läuft unter dem Motto “Solidarität schafft Liquidität” und dient der Unterstützung der lokalen Wirtschaft. Die Zmyle GmbH bietet dafür die entsprechende Plattform. Bei Interesse kann das Unternehmen in kurzer Zeit ein regionales Portal schaffen, auf dem sich die kommunalen Unternehmen kostenfrei und unkompliziert anmelden können. Anschließend hat die Bevölkerung die Möglichkeit, mit einem Gutscheinkauf die teilnehmenden Geschäfte vor Ort auch während der Schließphase zu unterstützen. Das Geld ist nach wenigen Tagen auf dem Konto des

Unternehmens, der Gutscheinbesitzer kann diese dann nach der Krise vor Ort einlösen. Der Gutscheinbetrag kann individuell festgelegt werden.

Gutscheine florieren “Natürlich sind wir als Zmyle auch ein Unternehmen. Aber vor dem Hintergrund der dramatischen Lage haben wir unsere Konditionen so weit gesenkt, wie dies für uns möglich war”, betont Zmyle-Geschäftsführer Alexander Arend. Gebühren fallen nur an, wenn Gutscheine gekauft werden. Auch in anderen Kommunen nimmt das Thema Gutscheinplattformen in den letzten Tagen massiv an Fahrt auf. Seit dem 23. März 2020 wurden bereits über 40 Plattformen mit über 120 Städten freigeschaltet. Das Münsterland etwa arbeitet ebenfalls mit Zmyle zusammen. “Die Idee ist ein weiterer Baustein, um der Wirtschaft im Münsterland durch die Krise zu helfen”, so Klaus Ehling, Vorstand der Regionalmanagementorganisation Münsterland e. V. Das System richtet sich ausdrücklich an kommunale Wirtschaftsförderer und kommunale Marketing-

vereine. Haftungsfragen für die Verantwortlichen dieser kommunalen Organisationen sind ausgeschlossen. Auch der Verlag des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) hat sich etwas einfallen lassen, um von der Corona-Krise betroffene Initiativen, Projekte und Unternehmen zu unterstützen. Damit Hilfen schnell und unbürokratisch bei denen ankommen, die sie benötigen, hat der VKU eine Plattform für kommunales Crowdfunding eingerichtet. Diese steht nun allen Projektstartern, den VKU-Mitgliedsunternehmen sowie Städten und Gemeinden offen. Die hilfesuchenden Unternehmen, Vereine und Organisationen können sich dort mit einem konkreten Betrag als Spendenziel und einer bestimmten Laufzeit bewerben. Wenn das Projekt online geht, kann es die Bevölkerung vor Ort unterstützen. Allerdings: Die Summe wird erst ausgezahlt, wenn das Spendenziel im angegebenen Zeitraum erreicht wurde. Vorerst bis Ende Juli 2020 können VKU-Mitgliedsunternehmen und Kommunen das Angebot kostenfrei nutzen.

Weit- und Durchblick beim Lernen Farbakzente mit noraplan Kautschukböden (BS/Doris Janik*) Inspirierende Lernwelten mit Weit- und Durchblick: Ein großzügiges Raumkonzept mit viel Licht und Luft charakterisiert den Erweiterungsbau des Genoveva-Gymnasiums in Köln. Besonderer Blickfang sind die vollverglasten, “schwebenden” Gruppenräume, die in das mit einer lichtdurchlässigen Folienbedachung versehene Atrium hineinragen. Dort nehmen die Kautschuk-Beläge noraplan uni in Grün, Gelb und Orange die Farbgestaltung der einzelnen Etagen auf und schaffen einen reizvollen Kontrast zu der ansonsten puristischen Optik des Gebäudes. Die übrigen Klassenzimmer sowie die Fachräume und Flure wurden mit noraplan sentica in Anthrazit sowie einem sandigen, sehr hellen Grauton, der als Sonderfarbe speziell für das Projekt am Produktionsstandort in Weinheim gefertigt wurde, ausgestattet. Auf den Treppen

Außergewöhnliches erlaubt Vieles Der rechtliche Werkzeugkasten des Vertrags über die Arbeitsweisen der Europäischen Union (AEUV) sieht Möglichkeiten vor, wie nationale Fördermaßnahmen in einer Situation wie der COVID19-Krise gerechtfertigt werden können. Zum einen sind dies Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch “außergewöhnliche Ereignisse” entstanden sind. Die Kommission hat die COVID-19-Pandemie als solch einen seltenen Fall eingeordnet. Davon können insbesondere Unternehmen in besonders stark betroffenen Sektoren (z. B. Verkehr, Tourismus, Kultur, Gastgewerbe oder Einzelhandel) und/ oder Organisatoren abgesagter Veranstaltungen profitieren. Diese können im Hinblick auf Verluste unterstützt werden, die unmittelbar auf den Ausbruch des Virus zurückzuführen sind. Entsprechende Maßnahmen bleiben jedoch bei der Kommission anzumelden.

Keine Freigabe nötig

Der Erweiterungsbau des Genoveva-Gymnasium in Köln mit frischem Raumkonzept Foto: BS/Werner Huthmacher, Berlin

und den Verbindungsbrücken zum Altbau setzt noraplan uni in warmem Rot attraktive Farbakzente und sorgt gleichzeitig durch die besondere Rutsch-

festigkeit für umfassende Sicherheit. *Doris Janik ist Pressereferentin bei der nora systems GmbH.

Beleuchtungslösungen für Smart Cities EuroLighting bietet innovative LED-Lichtlösungen für den Außenbereich (BS/Wolfgang Endrich*) Light as a Service: Wie sich Beleuchtung mithilfe einer smarten Plattform intelligent einsetzen lässt, stellt euroLighting mit dem CitySys®-System für die Smart City vor. CitySys richtet sich an intelligente Städte, die innovative und nachhaltige Lösungen suchen. Um die Infrastruktur für eine intelligente Stadt aufzubauen, nutzt das System das öffentliche Netzwerk der Straßenbeleuchtung. Durch den Austausch der Leuchten im öffentlichen Beleuchtungssystem lässt sich auf eine schnelle und wirtschaftliche Art ein Kommunikationsnetz für die Datenerhebung schaffen. CitySys ist eine offene, modular gestaltete Plattform, die diverse Anwendungen integriert. Diese bilden gemeinsam die intelligente Stadt. Datenerhebung, -übertragung und -auswertung werden vom komplexen Steuersystem CitySys mithilfe der IoT-Plattform im OPC-Standard (Open Plattform Communication) gesteuert. Zwei neue LED-Einschraubmodule des Typs MINI CornBulb für den Einsatz in Straßenlampen: Sie verfügen über die DCOBAC-Technik (Driver Chip On Board) von euroLighting. Diese ermöglicht es, auf die bisher bekannten, störungsanfälligen Stromversorgungen zu verzich-

Im Gegenteil betont die Kommission in der aktuellen Krise, dass eine Fragmentierung des EUBinnenmarkts vermieden werden und weiterhin faire Wettbewerbsbedingungen herrschen sollen. Dazu soll weiterhin auch das Beihilfenrecht beitragen. Andererseits soll dieses die EU-Staaten aber nicht darin behindern, die betroffenen Unternehmen während des COVID-19-Stillstands wirksam und schnell zu unterstützen. Das Schlagwort der Stunde lautet deshalb Flexibilisierung des EU-Beihilfenrechts.

Darüber hinaus hat die Kommission festgestellt, dass als Folge der COVID-19-Pandemie eine beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben der EU-Mitgliedsstaaten vorliegt. Die aktuelle Situation wird damit in eine Linie mit der ersten “Ölkrise” der 70er-Jahre und der Finanzkrise 2008 gestellt. Dadurch wird die Freigabe weiterer Beihilfen möglich, welche die Kommission in einem “befristeten Rahmen” erläutert hat. Festgelegt sind Einzelheiten zu Liquiditätszuschüssen, Garantie- und Bürgschaftsprogrammen, Kreditprogrammen sowie Exportkreditversicherungen. In Deutschland wurden auf dieser Grundlage unter anderem die kurzfristig neu aufgelegten Programme der KfW sowie ein Bürgschaftsprogramm

Brüssel setzt auf kurzfristige Flexibilisierung der Beihilfenkontrolle zur Unterstützung aller Mitgliedsstaaten. Foto: BS/NakNakNak, pixabay.com

freigegeben. Die Kommission bestärkt die Mitgliedsstaaten darüber hinaus darin, allgemeine Maßnahmen zu erlassen, die allen Unternehmen gleichermaßen zugute kommen. Diese unterfallen regelmäßig schon nicht den Beihilfenvorschriften und bedürfen deshalb keiner Freigabe. Dazu gehören etwa allgemeine Regelungen zur Steuerstundung, die unabhängig von einem Einzelfall oder einer bestimmten Branche gewährt werden. Auch andere Rahmen wie die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, zur Gewährung von Deminimis-Beihilfen oder für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen können die Behörden weiter ausschöpfen. Diese bekannten und bewährten Instrumente scheinen angesichts der dynamischen Entwicklungen oftmals in Vergessenheit zu geraten. Erste neue Beihilfenentscheidungen zeigen, dass die Kommission die Ankündigung der maximalen Flexibilisierung tatsächlich umsetzt. Angemeldete Maßnahmen werden im Rekordtempo freigegeben. Zuletzt dauerten Notifizierungsverfahren regelmäßig nur wenige Tage. Dies gilt auch für Großprogramme wie die der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Deutschland. Die Kommission ist sich ihrer Verantwortung insoweit bewusst und steht der Krisenbewältigung nicht im Wege.

Missbrauch trotzdem vermeiden Gleichwohl bleiben Unternehmen und Behörden gut beraten, ungeachtet der außergewöhnlichen Situation die beihilfenrechtliche Zulässigkeit staatlicher Förderung sorgfältig zu prüfen. Beihilfen dürfen weiter nicht bedingungslos gewährt werden. Insbesondere bleiben sie regelmäßig

weiterhin unzulässig, wenn sie der Stützung von Unternehmen dienen, die schon unabhängig von der COVID-19-Situation zuvor in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren. Auch wenn die Hilfsprogramme derzeit im Rekordtempo erstellt und an Antragsteller ausgekehrt werden, wird eine Aufarbeitung nach der Krise unumgänglich sein. Dann sind auch Mahnungen an ein Level-Playing-Field zu erwarten und aus der großen Solidarität können wieder wirtschaftliche Konkurrenzsituationen entstehen. Einer unzutreffenden Anwendung von Hilfsprogrammen oder gar einem Missbrauch muss daher bereits heute entgegengewirkt werden. Bei Nichtbeachtung der beihilfenrechtlichen Vorgaben droht das Risiko der Rückforderung, die von der Kommission grundsätzlich noch bis zu zehn Jahre nach Durchführung angeordnet werden kann. *Guido Kleve ist Rechtsanwalt und Partner, Dr. Michael Gayger ist Rechtsanwalt und zugleich Lehrbeauftragter an der Bucerius Law School in Hamburg. Beide arbeiten im Kölner Büro der Kanzlei DLA Piper.

Mehr zum Thema Die Handlungsspielräume und -grenzen des Europäischen Beihilfenrechts stehen im Mittelpunkt zweier Behörden Spiegel-Veranstaltungen. Einerseits im Rahmen eines Webinars, das am 13. Mai 2020 stattfindet, andererseits bei den Beihilfenrechtstagen am 22./23. Juni 2020 in Bonn. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum.de , Suchwort “Beihilfen”

Umfassend absichern Kurzarbeit im ÖD (BS/jf/kh) Kommunale Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich geeinigt: Es wird einen Tarifvertrag zur Kurzarbeit geben. Auf beiden Seiten müssen nun die jeweils höchsten Tarifgremien der Einigung in mehreren Eckpunkten noch zustimmen. Indes haben mehrere Stadtwerke bereits Kurzarbeit angemeldet.

Die LED MINI CornBulb von euroLighting mit DCOB-AC-Technik und DIP-Schaltern Foto: BS/euroLighting

ten. Bei der MULTI Power MINI CornBulb lassen sich mittels eines kleinen DIP-Schalters vier Leistungsstufen (20 W, 25 W, 30 W, 35 W) einstellen und damit der Verbrauch und die Helligkeit individuell und effektiv vor Ort regulieren. Bei der SMART MINI CornBulb lässt sich mittels zweier kleiner DIP-Schalter ein

nutzungsabhängiges Dimmprofil (Halbnachtschaltung) einstellen und so der Energieverbrauch in der Nacht noch weiter reduzieren. Die dafür notwendige Schaltung befindet sich direkt in der CornBulb. *Wolfgang Endrich ist Geschäftsführer der euroLighting GmbH.

Für die meisten Bereiche des Öffentlichen Dienstes, etwa bei Krankenhäusern, Pflegediensten oder in den Jobcentern, ist Kurzarbeit überhaupt kein Thema. Anders kann es bei eigenwirtschaftlichen Betrieben aussehen, wie Museen, Schwimmbädern, Theatern oder im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). In diesen Bereichen seien die Beschäftigten nun durch den “Covid-19-Tarifvertrag” für den Öffentlichen Dienst umfassend abgesichert, betont der VerdiBundesvorsitzende Frank Werneke. “Es geht darum, einerseits den Belastungen der Kommunen Rechnung zu tragen und ande-

rerseits betroffene Beschäftigte im Öffentlichen Dienst abzusichern. Dieser Abschluss setzt auch für andere Bereiche der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens Maßstäbe”, so Werneke. Gewerkschaften und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA) haben sich auf Eckpunkte für den Tarifvertrag geeinigt. Nun läuft eine 15-tägige Erklärfrist. Auch die Gremien auf beiden Seiten, die Mitgliederversammlung bei der VKA sowie die Bundestarifkommissionen bei Verdi und dem DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB), müssen noch zustimmen. Verschiedene Stadtwerke haben nun schon

für einen Teil ihrer Belegschaft Kurzarbeit angemeldet. Dies gilt etwa für die Stadtwerke in Pforzheim, Goch und Hannover. Betroffen sind vor allem Bereiche, in denen aufgrund der Ausgangsbeschränkungen aktuell keine oder wenig Arbeit anfällt. Beim Hannoveraner Kommunalversorger Enercity betrifft dies 200 bis 300 Mitarbeiter, deren Jobs zeitweilig wegfallen, weil Enercity den direkten Kundenkontakt weitestgehend eingestellt habe, teilt die Vorstandsvorsitzende Susanna Zapreva mit. In der Daseinsvorsorge hingegen, also der Energieversorgung, habe Enercity eine Urlaubssperre verhängt.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / April 2020

Nicht nur die Großen

A

ngetrieben von Bürgermeister Daniel Zimmermann arbeitet die Stadt seit 2016 konsequent an ihrem Weg in Richtung smarter Kommune. Die Basis dafür liefert die städtische Tochtergesellschaft Monheimer Elektrizitäts- und Gasversorgung GmbH, kurz MEGA. Das Unternehmen rühmt sich unter anderem damit, als einziger Anbieter im Stadtgebiet Glasfaser bis in die Haushalte der Kunden zu verlegen, also die berühmte “letzte Meile” mit zu versorgen. Der erste Spatenstich für den flächendeckenden Ausbau der Glasfaserinfrastruktur wurde bereits im Frühjahr 2015 getätigt. Inzwischen liegt in der Stadt überall Glasfaser in den Böden, verlegt durch MEGA und genutzt für TV, Internet und Telefondienste. Das Netz wird aber nicht nur für Haushalte und Wirtschaft genutzt: In Zusammenarbeit mit der Tochterfirma bietet die Stadt ein stetig wachsendes Onlineportal, das im Stadtgebiet über WLAN-Hotspots gestreut wird. Im Netzwerk “StadtMonheimamRhein” steht Bürgern und Gästen einerseits ein breites kommunales und mit nicht-städtischen Inhalten aufbereitetes Portal zur Verfügung, das die Surfer ebenso ins reguläre Internet bringt – vorausgesetzt, die Nutzungsbedingungen werden akzeptiert. Stadtkämmerin Sabine Noll beschreibt die Vorgehensweise bei diesen und allen anderen Digitalisierungsprojekten als “sehr hemdsärmelig. Wir verwenden nicht viel Energie in das Erstellen von Konzepten und Vorplanungen. Wir haben eine Idee, die wir kurz darauf dem Rat vorschlagen und genehmigen lassen, und beginnen dann mit großer Energie und Begeisterung sofort und schnell mit der Umsetzung.”

Gratis-ÖPNV und autonome Busse Auf Basis der modernen In­ frastruktur setzt die Stadt ein weitreichendes Portfolio digitaler Dienste auf, die auch in die analoge Welt hineinreichen. Das weitreichendste Projekt ist dabei wohl die Einführung des sogenannten “Monheim-Passes”. Dieser Pass im Scheckkartenformat und mit intelligentem Chip soll im Laufe des Frühjahrs an die Bürger der Stadt ausgegeben werden. Gemeinsam mit einer

Stadt Monheim zeigt: Auch kleinere Städte können vorweg gehen (BS/Wim Orth) Die großen Mobilitätsprojekte werden auch heute noch in den Metropolen und Zentren pilotiert. So rollen autonome Kleinbusse im Testbetrieb an der Berliner Charité und durch die Hamburger HafenCity, für einen ersten Versuch des kostenlosen Nahverkehrs braucht es mit Luxemburg gleich ein ganzes Großherzogtum und selbst Flächentests auf Autobahnen finden natürlich im deutschen Autoland Baden-Württemberg statt. Dass es diese große Bühne aber gar nicht unbedingt braucht, sondern ein entsprechender Mindset mit hochgekrempelten Ärmeln genauso zum Erfolg führen kann, zeigt seit einer Weile schon die Stadt Monheim am Rhein. Ob Gratis-ÖPNV, autonome Busse oder WLAN für alle: Mit rund 40.000 Einwohnern als Testpersonal werden in der Mittelstadt zwischen Köln und Düsseldorf die innovativsten Ideen zentral pilotiert. Dabei sind nach dem Motto “Learning by Doing” auch Fehl- und Rückschläge ganz offen mit einkalkuliert.

Hinten großer Bruder, vorne kleiner Bruder – und beide sind gratis. In Monheim ist der ÖPNV seit diesem Frühjahr für alle Bewohner der Stadt kostenlos. Die neuen Kleinbusse fungieren seit Aschermittwoch als autonome Zubringer aus der Altstadt zu den klassischen Buslinien. Foto: BS/Stadt Monheim am Rhein

dazugehörigen App soll das den Menschen ermöglichen, zahlreiche Dienstleistungen der Stadt und ihrer Beteiligungsgesellschaften auf digitalem Weg in Anspruch zu nehmen. Mit der neuen Karte, die der Einfachheit halber mit einer Bezahlfunktion ausgestattet ist, geht zugleich auch die Einführung eines digitalen Bürgerschaftskontos einher. Der wohl wichtigste Aspekt der neuen Karte ist aber das integrierte Ticket für den lokalen Personennahverkehr, das die Stadt ihren Bewohnern mit dem Pass vollkommen gratis zur Verfügung stellt. Der kostenlose ÖPNV war im vergangenen Jahr vom Rat beschlossen worden und wird nun über die Karte, die mit einem elektronischen Bus- und Bahnticket für die Tarifstufe A1 (Langenfeld/Monheim) ausgestattet ist, realisiert. Neben dem Gratis-Nahverkehr steigt die Stadt in diesem Frühjahr zusätzlich auch in die autonome Mobilität ein. Insgesamt fünf E-Busse – betankt mit reinem Ökostrom – bilden seit

Aschermittwoch die fast autonom fahrende Linie A01 zwischen Busbahnhof und Altstadt. Die Fahrten, derzeit noch begleitet von sogenannten “Operators”, d. h. regulären Busfahrern der Stadt, die zur Sicherheit in den Bussen mitfahren, verlaufen dabei ganz normal im fließenden Verkehr. Täglich zwischen 7 und 24 Uhr rollen die Busse – aus Sicherheitsgründen allerdings lediglich mit Tempo 17 – durch Monheim und sind ebenfalls mit den üblichen ÖPNV-Tickets nutzbar. Stadtbewohner fahren also auch autonom kostenlos. Der Busbetrieb wird zudem wissenschaftlich durch eine Studie begleitet, die sich mit der Akzeptanz des Angebots sowie den Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten der Bürger befasst. Zudem sollen Betriebs- und Planungsdaten aus verschiedenen Quellen analysiert werden. Zwar ist Monheim bekannt dafür, durch eine Absenkung des Gewerbesteuer-Hebesatzes und begünstigt durch die attraktive Lage zwischen Düsseldorf und

Köln viele Unternehmen angelockt und so viele Steuereinnahmen generiert zu haben. Die Digitalisierung sieht Kämmerin Noll aber nicht als Luxusprojekt reicher Kommunen: “Die Digitalisierung ist Bestandteil der Daseinsvorsorge und vergleichbar mit der Elektrifizierung vor rd. 140 Jahren. Insofern stellt sich die Frage nach Investitionen in die Infrastruktur und in Projekte eigentlich gar nicht mehr. Sie sind notwendig. Dies haben aber auch Bund und Land erkannt und stellen verschiedene Fördermittel zur Verfügung.” Auch Monheim versucht, so gut wie möglich an Fördermittel zu kommen, oft dauern die Ausschreibungen aber länger als die potenzielle Umsetzung selbst, sodass man in solchen Fällen oftmals selbst Geld in die Hand nimmt. Die Philosophie der Hemdsärmeligkeit und des Etwas-bewegen-Wollens zeigt sich unter anderem auch darin, dass nicht nur die ganz großen Leuchtturmprojekte mit viel Aufmerksamkeitspotenzial von

der Stadt verfolgt werden. Daneben gibt es eine ganze Reihe unscheinbarerer Innovationen, die im Alltag helfen sollen. Mit die simpelste, aber für Bürger wie Besucher gleichermaßen hilfreiche Innovation stellen dabei die digitalen Stadtdisplays dar, die im Stadtgebiet verteilt aufgestellt sind und auf der die Stadt und ihre Gesellschaften aktuelle Informationen publizieren können. Im Grunde sind die Displays also gewissermaßen ein stehendes Gegenstück zum WLAN-Portal für das private Smartphone, denn auch hier können Vereine und sonstige Institutionen beispielsweise auf eigene, gemeinnützige und öffentliche Veranstaltungen von öffentlichem Interesse hinweisen. Zudem sind die Displays mit dem Smart-Parking-System der Stadt gekoppelt, das aktuell an zwei Standorten mithilfe von Magnetfeldsensoren messen kann, wie viele Parkplätze aktuell frei sind. Diese Info wird in Echtzeit auf den Displays angezeigt. Es zeigt sich also, dass die Projekte

Breitbandausbau in und für Krisenzeiten

I

n einem Haushalt mit online lernenden und spielenden Schulkindern sowie zwei Elternteilen, die online arbeiten, sind selbst Bandbreiten von 30 Mbit/s bis 50 Mbit/s im Download, die heute in Deutschland rund 75 bis 80 Prozent der Haushalte zur Verfügung stehen, zu knapp bemessen. Haushalte, die mit weniger versorgt sind, haben ein noch ernsteres Problem. Auch die Corona-Krise macht deutlich, dass wir breitbandige, möglichst glasfaserbasierte Infrastrukturen bis zu den Häusern (“Fiber to the Building” (FttB)) brauchen, die den Nutzern Download-Geschwindigkeiten von mindestens einem Gbit/s ermöglichen. Heute steht eine hochleistungsfähige, festnetzbasierte Infrastruktur für rund 15 Millionen von ca. 39 Millionen Haushalten in Deutschland zur Verfügung – vorwiegend in Ballungsräumen. Allerdings sind von den 15 Millionen Anschlüssen elf Millionen über das Breitbandkabel der Fernseh-Kabelanbieter angeschlossen, das im Downund Upload ein divergierendes Potenzial hat. Nur rund vier Millionen der Anschlüsse sind über Glasfaserkabel erreichbar, in dem Sinne, dass ein Glasfaserkabel in der Straße am Haus vorbeiläuft (“Homes passed”). Tatsächlich angeschlossen (“Homes connected”) sind nur rund 1,3 Millionen Häuser.

Seite 21

Was Kommunen tun können (BS/Christine Grau, Markus Lennartz) In der Krise wird deutlich, welche Bedeutung eine leistungsfähige Telekommunikationsinfrastruktur hat. Von zu Hause aus arbeiten funktioniert nur, wenn die Anbindung an das Netzwerk des Unternehmens funktioniert und ein PC zur Verfügung steht. Schon die erforderlichen Sicherheitseinrichtungen der Unternehmen sind eine Herausforderung, weil sie meist nicht für eine große Zahl von Remote-Zugriffen ausgelegt sind. Für viele ist es jedoch das größere Problem, dass sie keinen hinreichend leistungsfähigen breitbandigen Netzzugang haben. Der Handlungsdruck, den wachsenden Bandbreitenbedarf zu decken, ist überdeutlich. Allein 2019 haben die privaten Haushalte in Deutschland 57 Billionen GB heruntergeladen. Eine Wachstumsrate gegenüber dem Vorjahr von 30 Prozent – ohne Corona. Die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte ist zu erhalten, ebenso wie die Daseinsvorsorge, wenn ein privatwirtschaftlicher Ausbau nicht greifbar ist.

Infrastrukturausbau ­beschleunigen Der Bund und die Länder fördern den Ausbau breitbandiger Infrastrukturen, wo der Markt versagt. Aber: In den

Christine Grau, LL.M., ist ­Salaried Partnerin

Markus Lennartz ist Partner bei der Rechtsanwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Fotos: BS/Heuking

vergangenen Jahren zielten die förderrechtlichen Rahmenbedingungen nicht auf einen FTTBAusbau. Oft wurden oder werden nur Bandbreiten von bis zu 50 Mbit/s erreicht. Bei neuen Förderprojekten sollen Bandbreiten von einem GBit/s erreicht werden. Diese

betreffen in der Regel jedoch nur die Bereiche, die bei bisherigen Ausbauprojekten nicht berücksichtigt wurden. Wo es z. B. bereits eine bestehende Kooperation für einen Ausbau mit einem Telekommunikationsunternehmen gibt, sollte man nicht ohne Weiteres während der Vertragslaufzeit ein neues Projekt für einen FTTB-Ausbau beginnen. Selbst wenn eine geringere durch den Netzausbau zu erreichende Bandbreite an den Hausanschlüssen erreicht wird. Der Bund ist zwar dabei, neue Förderrichtlinien vorzubereiten, ist hierbei aber auf die Zustimmung der EU-Kommission angewiesen. Die wiederum hat noch keinen an die aktuellen Erfordernisse angepassten Rechtsrahmen geschaffen. Insofern gilt es für die Kommunen abzuwägen, ob und in welchem Umfang man gegenwärtig ein Förderprojekt für den Breitbandausbau auf den Weg bringen sollte. Sei es als Eigentümer der zu errichtenden Infrastruktur im sogenannten Betreibermodell oder in Kooperation mit einem Unternehmen

im Wirtschaftlichkeitslückenmodell.

Eigeninitiativ tätig werden Der geförderte Ausbau ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, eine Glasfaserinfrastruktur in der Kommune zu bekommen. Es gibt im Moment viele Investoren, die mit Telekommunikationsunternehmen kooperieren bzw. hier investieren, um die sich aus der Marktsituation ergebenden Chancen zu nutzen und an der zu erwartenden Wertentwicklung zu partizipieren. Das führt dazu, dass die Vernetzung mit potenziellen Unternehmen und die Darstellung des Potenzials in der Kommune dazu führen können, dass sich Unternehmen finden, die einen eigenwirtschaftlichen Netzausbau vornehmen. Es kann sich auch lohnen, eigenständig auf vorhandene kommunale Infrastrukturen zurückzugreifen. Diese sind oft bereits in kommunalen Unternehmen vorhanden, etwa in Form von Stadtwerke-Gesellschaften. Sie können selbst das Geschäftsfeld Telekommunikation erschließen

immer einen konkreten Nutzen haben sollen: “Digitalisierung geschieht in Monheim nicht um der Digitalisierung willen, sondern immer mit dem Ziel, einen Nutzen bzw. Vorteil für die Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen zu erzielen und Digitalisierung erlebbar zu machen. Deshalb haben wir uns auch nicht auf die Digitalisierung von Prozessen konzentriert, die für einen Bürger nur selten vorkommen, wie bspw. die Verlängerung eines Personalausweises. Es stehen vielmehr Prozesse im Vordergrund, die zum Alltag der Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen gehören”, so Noll. Und das gilt laut der Kämmerin im Rathaus, Stichwort Onlinezugangsgesetz, genauso wie im Stadtbild, seien es die digitalen Displays oder digital gestützte Mobilitätssysteme. In diesem Bereich hat die Stadt seit vergangenem Jahr noch ein weiteres Projekt in der Umsetzung, das über Bus und Bahn hinausgeht. An drei Standorten gibt es seitdem die sogenannten “Stadtautos”, die gleichzeitig als Pool für die kommunalen Mitarbeiter dienen und von den Bürgern nach dem bekannten Car-Sharing-Prinzip angemietet werden können. Die insgesamt elf Fahrzeuge sind ebenfalls elektrisch betrieben und werden mit Ökostrom betankt. Vor allem tagsüber und werktags dienen sie teilweise als Dienstfahrzeuge der Stadt; ansonsten stehen sie der Bürgerschaft rund um die Uhr zur Nutzung zur Verfügung.

Klimaschutz als Nebeneffekt Ein Großteil der beschriebenen Projekte steht dabei in unterstützender Wechselwirkung zum Klimaschutz. Dieser und die beschriebenen innovativen Projekte laufen in der Stadt am Rhein Hand in Hand. Seit Anfang des Jahres 2014 verfügt die Stadt bereits über eine Klimaschutzstrategie, in der gleichzeitig die Einstellung eines Klimaschutzmanagers beschlossen wurde. Seit Frühjahr 2015 ist die Stelle durch Georg Kruhl besetzt, der sich neben der Fortschreibung der kommunalen CO2-Bilanz vor allem um die Initiierung, Umsetzung und Koordination der Maßnahmen aus dem integrierten Klimaschutzkonzept der Stadt kümmert.

und einen Glasfasernetzausbau finanzieren. Sollten im Bereich der Telekommunikation bislang keine Erfahrungen bestehen, kann man diese entweder durch Kooperation mit anderen Stadtwerken oder durch externe Unterstützung sowie Zusammenarbeit mit Diensteanbietern, welche Endkundendienste und -services bereitstellen, zu einem vollständigen Angebot zusammenführen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Kreativität, Beharrlichkeit und Vernetzung sind gefragt, in und auch für Krisenzeiten. Wichtig ist es, den richtigen Weg und die richtigen Kontakte zu finden, um ein solches Projekt anzugehen. Abzuwarten ist potenziell nicht der geeignete Weg.

Webinar zum Thema Die Möglichkeiten, den Breitbandausbau voranzutreiben, die verschiedenen Modelle mit ihren Vor- und Nachteilen stehen im Mittelpunkt eines Webinars des Behörden Spiegel am 29. April 2020 in der Zeit von 10 bis 13 Uhr. Weitere Informationen und ­Anmeldung unter www. fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Breitband”


Kommunale Infrastruktur

Seite 22

D

as Konzept wurde gemeinsam mit der enercity Contracting GmbH und dem Verein Kommunen in der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg e. V. und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur erarbeitet. Darauf basierend liegt zur Zeit der Fokus der Landeshauptstadt Hannover auf der Umsetzung dieser drei großen Bausteine:

1. Aufbau der Ladeinfrastruktur Am 19.12.2018 wurde die Konzession für die öffentliche Ladeinfrastruktur an die Stadtwerke, die enercity AG, vergeben. Die Konzession umfasst Ladeeinrichtungen, die vor allem im öffentlichen Straßenraum installiert und betrieben werden und die rund um die Uhr für alle Elektrofahrzeuge verfügbar sind. Ziel ist es, bis Ende dieses Jahres 480 öffentlich zugängliche Ladepunkte in Hannover vorweisen zu können. Dazu werden zunächst die sogenannten “Points of Interest” bedient. Aber auch Stadtteilmärkte, viele Sport- und Eventstätten, wichtige Wirtschaftsstandorte und touristische Ziele, die gerne mit dem Auto angefahren werden und wo länger geparkt wird, werden mit Ladeinfrastruktur ausgerüstet. Daneben werden bereits bekannte Standorte für den Bedarf der Bevölkerung bedient. 30 Prozent der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur wurden hierfür reserviert. Um die ersten Ladesäulen in Wohngebieten richtig zu platzieren, gibt es die “DreiNachbar/-innen-Regel”: Für drei Elektro-Autos ohne eigene Steckdose in enger Nachbarschaft wird eine öffentliche Ladesäule aufgebaut. Das Besondere bei diesem Vorgehen ist, dass die Einwohner/-innen Hannovers in die Standortfestlegung für die Ladesäulen involviert werden. Im Zuge des Projektes “H-stromert – E-Laden für kommunale, gewerbliche und private Mobilität in Hannover” werden bis 2022 1.300 private und halb öffentliche Ladepunkte aufgebaut, um

Mit Strom gegen Lärm und Schadstoffe Elektromobilität in der Landeshauptstadt Hannover (BS/Andrea Eifler*) Im Mai 2018 hat der Rat der Landeshauptstadt Hannover ein Umsetzungskonzept für Elektromobilität unter dem Motto “Hannover stromert” beschlossen, um die lokale Schadstoff- und Lärmbelastung zu reduzieren und damit zu einer Verbesserung der Luftqualität in Hannover beizutragen. Entstanden ist ein gesamtstädtisches Konzept mit 37 Maßnahmen, das unter anderem den Aufbau der Ladeinfrastruktur für alle Arten von Elektrofahrzeugen beinhaltet. Es beschreibt die Handlungsfelder Fahren und Laden, die Stadtverwaltung als Vorbild sowie Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. die Elektromobilität in Hannover voranzutreiben und die Vorbildfunktion der Landeshauptstadt sichtbar zu machen. Der Klimaschutzleitstelle der Landeshauptstadt Hannover ist es gelungen, dafür Fördermittel vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen des Sonderprogramms “Saubere Luft” in Höhe von rund 8,3 Mio. Euro einzuwerben. Ziel ist es, Ladepunkte für den kommunalen Fuhrpark sowie auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen von städtischen Verwaltungsgebäuden, Sporthallen, Schwimmbädern und an Vereinsstandorten zu installieren. So bekommen Besucher/-innen und Mitarbeiter/-innen die Möglichkeit, ihr Elektrofahrzeug während der Besuchs- bzw. Arbeitszeit zu laden. Für Carsharing-Nutzer/innen werden im Stadtgebiet bis zu 30 E-Ladepunkte aufgebaut und für die Wohnungswirtschaft werden auf den Parkplätzen ausgewählter Mietobjekte insgesamt 48 Ladepunkte für deren Mieter/innen installiert. Außerdem ist auf Firmengeländen dreier privater Unternehmen geplant, ETankstellen mit netzentlastender Stromversorgung zu errichten. Neben der Landeshauptstadt Hannover, die auch die Projektleitung innehat, nehmen zwölf hannoversche Institutionen und Unternehmen an diesem Projekt teil. Projektpartner/-innen sind die Leibniz Universität und die Hochschule Hannover, die Region Hannover und die Abfallwirtschaft Region Hannover, der Energieversorger – die enercity AG mit ihrer Tochter, der enercity Netz GmbH – und die städtische Wohnungsbaugesellschaft hanova. Hinzu kommen vier hannoversche Un-

Begonnen hatte man in Hannover mit 26 Elektroautos. Durch neue Fördermittel plant die Landeshauptstadt nun, den E-Fuhrpark auf über 100 Fahrzeuge zu erweitern. Foto: BS/Landeshauptstadt Hannover

ternehmen: die Energiewerkstatt GmbH & Co. KG, der CarsharingAnbieter Stadtmobil Hannover GmbH und die Architekturbüros Carsten Grobe und Thomas Rauck. Die Projektpartner/-innen planen, für den eigenen Fuhrpark, für den Fuhrpark von Unternehmen und für Wohnanlagen Ladeinfrastruktur aufzubauen. Die Hochschulen unterstützen das Projekt mit Begleitforschung. Die Auswirkungen der Ladeinfrastruktur auf das Netz werden durch das Institut für elektrische Energiesysteme der Leibniz Universität Hannover mit der lokalen Netzbetreiberin vorab untersucht. So können mögliche Netzhemmnisse durch eine entsprechend optimierte Netzfahrweise und einen optimierten Netzausbau vermieden werden. Die Prognose für künftige Fuhrparkbedarfe und Nutzer/-inneninteressen sowie Konzepte zur Steigerung der Akzeptanz der aufzubauenden Ladeinfrastruktur übernimmt die Hochschule Hannover. Ende letzten Jahres erhielt die Landeshauptstadt die Zusagen für eine Projektverlängerung und -aufstockung. Ein Schwerpunkt dabei ist, eine adäquate Ladeinfrastruktur an allen städtischen Feuerwehrstandorten aufzubauen.

Damit eine ununterbrochene Einsatzbereitschaft rund um die Uhr gewährleistet ist, ist bei kurzen Stand- und Ladezeiten von Feuerwehreinsatzfahrzeugen eine hohe Ladeleistung erforderlich. Fünf Feuerwachen sollen daher mit 21 ACLadepunkten (22 kW) und mit zehn DC-Schnellladepunkten (50 kW) ausgerüstet werden. Zudem wird für alle Standorte ein dynamisches Lastmanagement installiert, welches ermöglicht, dass die verfügbare Ladeleistung optimal unter Berücksichtigung der Einsatztaktik auf alle zu ladenden E-Fahrzeuge verteilt werden kann. Insgesamt stehen dem Verbundprojekt “H-stromert” für die gesamte Projektlaufzeit bis Ende September 2022 zur Umsetzung aller Teilvorhaben knapp 16 Mio. Euro Fördermittel zur Verfügung.

2. Umrüstung des kommunalen Fuhrparks Die Initiative der Bundesregierung “Schaufenster Elektromobilität” ermöglichte von 2012 bis 2016 die Realisierung von insgesamt 30 Forschungs- und Entwicklungsprojekten zur gesamten Wertschöpfungskette der Elektromobilität im Gebiet der Metropolregion Hannover-Braunschweig-

Göttingen-Wolfsburg. Beteiligt waren ca. 200 Partner/-innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Land und Kommunen. Im Zuge des Projektes “Flotte electric” wurden alleine 26 Fahrzeuge für den Fuhrpark der Landeshauptstadt Hannover beschafft. 2018 konnte die Landeshauptstadt Hannover mithilfe von Bundesmitteln den städtischen Fuhrpark mit weiteren acht Elektrofahrzeugen umrüsten. Letztes Jahr konnte die Klimaschutzleitstelle weitere Fördermittel vom Bundesverkehrsministerium akquirieren, sodass jetzt rund drei Mio. Euro zu Verfügung stehen, um 107 zusätzliche Elektro-Fahrzeuge zu beschaffen. Geplant ist die Anschaffung diverser Personenfahrzeuge, kleiner und mittlerer Nutzfahrzeuge, aber auch von Sonderfahrzeugen für die Feuerwehr, wie z. B. ein NotarztEinsatzfahrzeug.

3. Beratungen und Öffentlichkeitsarbeit Die Landeshauptstadt Hannover bietet kostenlose Elektromobilitätsberatungen durch einen Energieberater an. Diese individuellen und unabhängigen Beratungen können Wohngebäudebesitzer/innen und Wohnungsbaugesel lschaften,Eigentümer/-innengemeinschaften mit KFZ-Stellplätzen und Besitzer/-innen von Nicht-Wohngebäuden bei der Klimaschutzleitstelle der Stadt

Die saubere Alternative zum E-Auto

D

ie Studie, die das Beratungsinstitut Roland Berger im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums erarbeitet hat, soll aufzeigen, wie die Wasserstoff- und Brennstoffzellenindustrie im Land aufgestellt sei und was getan werden könne und getan werden müsse, um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu stärken, erklärt der Ministerialdirektor im Umweltministerium, Helmfried Meinel: “Bemerkenswert für mich ist der weit über die Fragen der E-Mobilität hinausgehende Charakter der Studie. Wir diskutieren die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt einer künftigen emissionsfreien Mobilität. Aber sie ist viel mehr und kann in allen Energieverbrauchssektoren und in der industriellen Produktion eine zentrale Rolle einnehmen.” Laut der Studie befassen sich bereits heute mehr als 90 Unternehmen und 18 Forschungseinrichtungen in dem Bundesland mit der Wasserstoff- und Brennstoffzellenthematik. Langjährige Erfahrung in Forschung und Entwicklung sowie hohe technologische Kompetenz und Innovationskraft zeichneten den Standort aus, so die Situationsanalyse der Studie. Für den Autor der Studie, Uwe Weichenhain, verfügt das Land Baden-Württemberg damit über eine gute Basis, auf die sich für die Zukunft aufbauen lasse. “Allerdings sind kurzfristig weitere Investitionen der heimischen Wirtschaft notwendig, um im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu

Behörden Spiegel / April 2020

Baden-Württemberg erforscht Potenzial von Wasserstoff (BS/Wim Orth) Lange Zeit galt der elektrifizierte Antrieb bei Fahrzeugen als das Mittel der Zukunft. Die Autos können direkt aus der heimischen Steckdose geladen werden, sie sind – abgesehen vom Abrollgeräusch der Reifen – absolut leise und durch den Verzicht auf Benzin wird natürlich das Klima geschont. Die Traumblase von einst ist inzwischen geplatzt. Die zweifelhafte Herkunft Seltener Erden mit Ausbeutung und Kinderarbeit, die bislang ungeklärte Belastungssituation der Stromnetze und die generelle Problematik rund um Batterien und deren Kapazitäten bringen Gedankenspiele rund um weitere Antriebsmöglichkeiten ins Spiel. Um die Klimaziele zu erreichen und bei der automobilen Technik vorne mitspielen zu können, hat das Land Baden-Württemberg nun eine Studie zum Potenzial von Wasserstofflösungen vorgestellt. bleiben. Durch den zügigen Ausbau von Technologiekompetenz und Produktionskapazitäten wird Baden-Württemberg vom zukünftigen Marktwachstum profitieren.”

Kommunen werden ausgebremst Die Entwicklung von Wasserstofflösungen für den Verkehr der Zukunft sei im Bereich der konkreten Umsetzung aber kein zentrales Landesthema, denn mit einem Anteil von rund 60 Prozent laufe der Großteil der Beschaffungen bundesweit über die Kommunen. Hier führen Busse, hier würden Fahrzeugpools aufgebaut und hier könnten auch die Bürgerinnen und Bürger direkt von den Vorteilen neuer Technologien überzeugt werden. Dafür bräuchte es allerdings Projekte mit hoher Sichtbarkeit und langfristig angelegtem Zeitplan, so die Studie: “Dennoch beschränkt sich die Vergabe von öffentlichen Geldern im Bereich Wasserstoff und Brennstoffzelle derzeit mehrheitlich auf Pilot- und Demonstrationsprojekte, deren Förderrichtlinien derzeit meist noch für Einzelbeschaffungen mit begrenzter Betriebsdauer und direktem Forschungsbezug ausgelegt sind und mit zuneh-

Nachdem Elektroantriebe in den letzten Jahren die dominante Alternative für neue Mobilitätsformen waren, bekommen neuerdings auch Wasserstofffahrzeuge mehr Gewicht in der Diskussion. Foto: EnergieAgentur.NRW/cc by 2.0, flickr.com

mender Reife der Technologie nicht mehr ausreichen.” Diese Problematik hat laut der Studie aber nicht nur die Verwaltung zu verantworten, denn für die Umsetzung großflächiger und vor allem langfristiger Projekte rund um den Wasserstoff fehle es häufig auch an der Verfügbarkeit durch die Wirtschaft. Dies könne dazu führen, “dass die Anschaffung von Brennstoffzellen-Pkws durch die geringe Abdeckung mit Wasserstoff-Tankstellen und die geringe kommerzielle Verfügbarkeit von Brennstoffzellen-Pkws in Deutschland für viele Unternehmen und Kommunen gar nicht infrage kommt”. Dabei brauche es die Kommunen und Behördenlandschaft generell, um vorwegzugehen und die Technologie ins Land zu bringen, vor allem auch in Zeiten, in denen die Anschaffung

aufgrund niedriger Produktionszahlen noch nicht so günstig sei wie bei herkömmlichen Verbrennermotoren oder inzwischen teils auch im Elektrosegment. Vor allem eine “großflächigere und standardisierte Förderung der öffentlichen Beschaffung speziell von Brennstoffzellen-Nutzfahrzeugen, z. B. im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs, könnte aber einen erheblichen Beitrag zum Markthochlauf leisten”. Das Land Baden-Württemberg biete zu diesem Zweck bereits heute eine “technologieoffene Förderung der Investitions- und Betriebskosten emissionsfreier Busse an”, so die Studie abschließend hierzu.

Große Potenziale für die Zukunft Bei der Förderung soll es aber nicht nur darum gehen, unbe-

dingt eine weitere technologische Alternative zu schaffen. Diese bietet laut der Studie auch realistisch gesehen große Potenziale. So sei im Jahr 2030 eine Bruttowertschöpfung von bis zu zwei Milliarden Euro in der Wasserstoffund Brennstoffzellenindustrie möglich, die gleichzeitig für eine Beschäftigung von rund 13.000 Menschen in der Branche sorgen würde. Langfristiger gesehen bestünden noch weitaus größere Potenziale, aber auch an dieser Stelle wieder unter der klaren Voraussetzung, dass es weitere Investitionen geben müsse. “Nur, wenn bereits heute weiter in Forschung und Entwicklung, Ausbau des Produktportfolios der lokalen Unternehmen sowie den Ausbau von Produktionskapazitäten investiert wird, kann die weltweit steigende Nachfrage an Wasserstoff und Brennstoffzellen auch aus Baden-Württemberg befriedigt werden”, heißt es dazu in der Studie. Um beim Wasserstoff weiter vorne dran zu bleiben und möglichst sogar Beispielcharakter für andere Länder und Regionen entwickeln zu können, gibt die Studie dem Land drei explizite Empfehlungen mit auf den Weg. So solle zum einen eine Wasserstoff-Roadmap für Baden-

buchen. Sie informieren über Fördermöglichkeiten, Fahrzeugtypen, Lademöglichkeiten – in Kombination mit Erneuerbaren Energien – und bieten Hilfe für nächste Umsetzungs schritte. Die Beratung für Ein- und Zweifamilienhausbesitzer/-innen kann bis zu einer Stunde und für Mehrfamilienhausbesitzer/-innen bis zu zwei Stunden dauern. Auch Gewerbetreibende und Besitzer/innen von Nicht-Wohngebäuden können sich beraten lassen. In den letzten zwei Jahren haben bereits 130 dieser Beratungen stattgefunden. Gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Umsetzungskonzepts hat die Landeshauptstadt Hannover die sympathische Marke “Hannover stromert” vorgestellt. Vier Logos zeigen ein ElektroAuto, ein Elektro-Fahrrad, einen Elektro-Bus bzw. -Lkw sowie ein Elektro-Einsatzfahrzeug. Mit diesen Marken wird für die Elektromobilität im Rahmen einer Kommunikationskampagne geworben werden. Neben der Umsetzung dieser drei großen Vorhaben tut die Landeshauptstadt Hannover natürlich noch mehr, um ihre Bürger/innen für Elektromobilität zu begeistern – um hier nur einige zu nennen: Die Landeshauptstadt ist an dem Pedelec- und E-Lastenfahrradverleih PedsBlitz beteiligt. Zugleich unterstützt die Stadt über das Projekt “Urbane Logistik” die Elektrifizierung des Lieferverkehrs und den Einsatz von E-Lastenrädern. Außerdem werden Schulungen für Politiker/innen, Führungskräfte und Mitarbeiter/-innen, angeboten, wobei die Anzahl der Anmeldungen alle Erwartungen bereits weit übertroffen hat. Diese Vielzahl an unterschiedlichen Maßnahmen zeigt auf, wie die Landeshauptstadt Hannover mit Partner/-innen aus der Stadtgesellschaft und in der Stadtverwaltung Elektromobilität in Hannover nach vorne bringen wird. *Andrea Eifler arbeitet in der Klimaschutzleitstelle der Landeshauptstadt Hannover.

Württemberg entwickelt werden, die als Strategie den weiteren Weg für die Forschung und Entwicklung der Technologie vorgeben soll. Dieser Punkt befindet sich aktuell bereits in der Umsetzung und wird im Umweltministerium vorbereitet, inklusive einer entsprechenden Kabinettsvorlage. Zusätzlich zu der Roadmap empfiehlt die Studie dem Land, lokale Wasserstoff-Champions für den Weltmarkt und gleichzeitig lokale Leuchtturmprojekte als “Schaufenster für die Welt” besonders zu fördern.

BaWü aktiv beim Wasserstoff Die Studie, wurde mit Mitteln aus dem Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg finanziert und im Rahmen des Clusters Brennstoffzelle BadenWürttemberg vorgestellt, der von der Landesagentur e-mobil BW geleitet wird. Das Netzwerk, das bereits seit 2013 Projekte entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette vorantreibt, will sichtbare Beispiele geben, wie die großen Potenziale der Wasserstofftechnologie konkret umgesetzt werden können. So werden beispielsweise im Projekt “HyFab”, das ebenfalls vom Umweltministerium BaWü gefördert wird, automatisierte Fertigungs- und Qualitätssicherungsverfahren für Brennstoffzellen erforscht. Ein weiteres Beispiel ist “H2Rivers”, das in einem Großprojekt zwischen Rhein und Neckar mit Bundesförderung demonstriert, wie eine lokale Kette aus regenerativer Wasserstoff-Erzeugung, -Distribution und -Verbrauch nachhaltig aufgebaut werden kann.


Kommunale Sicherheit

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 23

Handlungshilfe veröffentlicht

Hilfe für Einsatzkräfte

Übergriffe auf Amtsträger nicht hinnehmbar

Leitfaden für Feuerwehren herausgegeben

(BS/Marco Feldmann) Kommunalpolitiker sind immer öfter Bedrohungen und Beschimpfungen, nicht nur im digitalen Raum, ausgesetzt. Es kommt sogar zu tätlichen Übergriffen. Hier muss gehandelt und den Betroffenen geholfen werden. Dieses Ziel verfolgt eine Broschüre, die das Nationale Zentrum für Kriminalprävention mit Unterstützung der kommunalen Spitzenverbände erarbeitet und nun veröffentlicht hat.

(BS/Bennet Klawon) Die Hanseatische Feuerwehr-Unfallkasse Nord (HFUK Nord) veröffentlichte einen Leitfaden für den Feuerwehrdienstbetrieb während der Corona-Krise. Er gibt Antworten auf die Fragen zum Vorgehen bei Einsätzen mit Corona-Virus-Kontakt, der Tauglichkeit von Atemschutzgeräteträgern sowie dem Quarantänefall und der Erstattung der Entgeltfortzahlung.

Darin wird unter anderem erläutert, was kommunale Amts- und Mandatsträger tun können, wenn sie sich in Sozialen Netzwerken Hassbotschaften ausgesetzt sehen, oder wer ihnen bei Bedrohungen hilft. Außerdem wird erklärt, was vor körperlichen Angriffen schützt und welche Sicherheitsvorkehrungen sinnvoll sind – sowohl zu Hause als auch unterwegs. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, sagt dazu: “Immer mehr Menschen, die sich kommunalpolitisch engagieren oder in den Stadtverwaltungen arbeiten, werden bedroht, mit Hass überzogen oder sogar tätlich angegriffen. Das ist nicht hinnehmbar.” Politischer Streit, auch hart in der Sache, sei in einer Demokratie notwendig. Es brauche aber einen respektvollen Umgang miteinander. “Wer Menschen angreift, die sich für unser Gemeinwesen einsetzen, greift immer auch unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft an”, so Jung.

Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages, ergänzt: “Landrätinnen und Landräte, ehrenamtliche Mitglieder der Kreistage, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sozialund Jugendämtern, den Ausländerbehörden, den Veterinärämtern und anderen Stellen in der Verwaltung werden immer öfter Opfer von Beleidigungen, Drohungen und auch tätlicher Gewalt. Derartige Attacken sind unerträglich und müssen mit rechtsstaatlichem Instrumentarium konsequent geahndet werden.” Auch müsse im täglichen Miteinander immer wieder deutlich gemacht werden, dass so etwas in der Gesellschaft nicht geduldet werde. “Wir alle müssen uns in solchen Fällen schützend vor die Amtsträger und ihre Familien stellen”, verlangt Sager.

Bewerber werden abgeschreckt Und der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Uwe Brandl, erklärt: “Die zunehmenden Beleidigungen,

Bedrohungen und Angriffe auf kommunale Amts- und Mandatsträger führen zu immer mehr Rücktritten oder Rückzugsentscheidungen.” Die aktuelle Situation schrecke schon Bewerber ab, die sich eigentlich für ihre Kommunen engagieren wollten. Die Broschüre kann unter www. staedtetag.de heruntergeladen werden.

Kommunalpolitiker werden in Deutschland immer öfter auch physisch angegriffen. Wie ein Schutz dagegen aussehen kann, ist nun in einer neuen Broschüre nachzulesen. Foto: BS/Uta Herbert, pixelio.de

Verkehrssicherheit wird gestärkt Berlin fördert Einbau von Abbiegeassistenten (BS/mfe) In Berlin hat der Senat ein Förderprogramm für Abbiegeassistenzsysteme von Lastkraftwagen beschlossen. Dadurch soll die Verkehrssicherheit in der Bundeshauptstadt verbessert werden. Denn nicht nur dort kommt es immer wieder zu schweren Lkw-Unfällen. Unterstützt werden in Berlin aktive Unternehmen sowie freiberuflich oder gemeinnützig Tätige dabei, durch eine freiwillige Nachrüstung ihrer Bestandsfahrzeuge mit Abbiegeassistenzsystemen Unfällen vorzubeugen. Gefördert werden die Anschaffung und der Einbau von Abbiegeassistenzsystemen in Lastkraftwagen ab einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 Tonnen. Förderfähig ist nur Technik, die über ein Kamera-Monitor-System inklusive eines optischen oder akustischen Warnsignals verfügt. Dabei handelt es sich um das sicherste aktuell am Markt verfügbare System. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen) sagt: “Immer wieder

kommt es zu schweren Unfällen beim Abbiegen von Lastkraftwagen. Abbiegeassistenten sind eine wirksame Maßnahme, um sol-

Beim Abbiegen von Lastkraftwagen (Foto) kommt es – vor allem in Städten – immer wieder zu schweren, teilweise sogar tödlichen Unfällen. Foto: BS/Erika Hartmann, pixelio.de

Sirenen haben nicht an Bedeutung verloren. Sie sind weiterhin ein wichtiges Warnmittel für die Bevölkerung. Foto: BS/Hans Braxmeier, pixabay.com

Unfallvermeidung ist auch Thema auf dem “Bundeskongress Kommunale Verkehrssicherheit” des Behörden Spiegel am 26. und 27. Mai in Bonn. Weitere Informationen unter: www.kommunaleverkehrssicherheit.de

Dekontamination durchführen Nach dem Einsatz gilt es, nach der Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 (FwDV) eine Dekontamination des Geräts und der Einsatzkräfte sowie eine Entkleidung letzterer durchzuführen. Die persönliche Schutzausrüstung ist zu entsorgen oder einer fachgerechten Reinigung zu übergeben. Gerade bei der Klärung von Verdachtsfällen ist eine genaue Dokumentation unumgänglich. Es müssen alle Kräfte namentlich festgehalten werden und die Dokumentation ist aufzubewahren. Eine Unfallanzeige an die zuständige Unfallkasse ist dann noch nicht erforderlich.

Sollte sich jedoch trotz Schutzmaßnahmen ein Feuerwehrangehöriger infizieren und ein Zusammenhang zum Feuerwehrdienst bestehen, ist nach der Krankschreibung eine Unfallanzeige bei der zuständigen Unfallkasse zu stellen. In diesem Fall ist eine Vorstellung beim Dienstarzt nicht wie sonst erforderlich (mehr zum Umgang von Polizei und Kommunalen Ordnungsdiensten mit der Corona-Krise auf Seite 38). Es dürfen Angehörigen von Freiwilligen Feuerwehren keine Nachteile durch ihren ehrenamtlichen Dienst entstehen. So steht es in den Brandschutzgesetzen der Länder. Das heißt, sollte eine Kraft aufgrund einer Infektion in der Folge eines Einsatzes arbeitsunfähig sein, hat sie die ersten sechs Wochen einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Voraussetzung für eine Fortzahlung ist jedoch eine bescheinigte Arbeitsunfähigkeit durch die Unfallkasse. Eine Fortzahlung wird nicht gestat-

MELDUNG

Probleme in Berlin

(BS/mfe) In Berlin hat aufgrund der Corona- Krise die Brand- und Rettungsdienstakademie (BFRA) ihren Betrieb eingestellt. Zudem gab es bereits erste Infektionsund zahlreiche Quarantänefälle bei der Berliner Feuerwehr. Die BFRA-Schließung führt zu Pro­blemen. Denn dadurch verlängert sich die Ausbildung der Anwärter. Sie stehen der

Feuerwehr, der von der Landespolitik zuletzt massiv neue Stellen zugestanden wurden, nicht zum geplanten Zeitpunkt als voll ausgebildete Einsatzkräfte zur Verfügung. Eine Verlängerung der Ausbildungsdauer wird auch von der Berliner Feuerwehr selbst eingeräumt. Die derzeitigen Anwärter, die momentan nicht an der BFRA ausgebildet

2020 findet erstmals wieder bundesweiter Warntag statt (BS/Florian Mikschy) Pünktlich um 11 Uhr wird am 10. September 2020 erstmals wieder ein bundesweiter Probealarm unter Einbindung aller vorhandenen Warnmittel durchgeführt. Viele dachten bei dieser Meldung zunächst an eine Falschmeldung oder eine Verwechslung. Dem ist aber nicht so. en, wie etwa Radio, Fernsehen, Internet und Warn-Apps, in den Prozess einbezogen werden. Mit dem Modularen Warnsystem (MoWaS) wurde im Jahr 2001 ein bundeseinheitliches, satellitengestütztes Warnsystem entwickelt und den Ländern für den Zweck der Warnung im Katastrophenschutz zur Verfügung gestellt. Die technische Basis soll das System unempfindlich gegen Stromausfälle und Ausfälle der terrestrischen Infrastruktur machen.

Mehrere Funktionen Die Bevölkerungswarnung muss zwei wesentliche Funktionen erfüllen. Zum einen die Weckfunktion: Das Warnmittel muss 24 Stunden am Tag einsatzbereit sein und den Bürger auf das Vorhandensein einer Gefahr deutlich hinweisen können. Der Bürger muss dazu animiert werden, sich auf die Informationssuche in anderen Medien zu begeben. Und zum anderen geht es um Infor-

mation: Nach der Alarmierung des Bürgers muss dieser über die Art und den Umfang der Gefahr informiert werden und überdies genaue Verhaltensanweisungen erhalten. Nur durch das Zusammenspiel dieser beiden Funktionen kann die Bevölkerung erfolgreich gewarnt werden. Es ist nicht zwangsläufig notwendig, dass ein Warnmittel beide Funktionen erfüllt. Am Beispiel der Radio-/ Fernsehwarnung lässt sich dies sehr gut demonstrieren. Hat der Bürger sein Rundfunk- beziehungsweise Fernsehgerät nicht eingeschaltet, erfährt er nichts von der drohenden Gefahr. Es muss daher erst ein weiterer Faktor hinzutreten, der ihn dazu bringt, diese Geräte einzuschalten. Dies kann zum Beispiel das Alarmsignal einer Sirene sein.

Möglichst alle erreichen Ein Warnsystem kann nur dann ein wirksames und kalkulierbares Instrument der Gefah-

tet, wenn sich die Einsatzkraft freiwillig oder auf Anordnung in Quarantäne begibt, aber keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Um die Einsatzbereitschaft weiterhin zu gewährleisten, dürfen übrigens die Fristen für die jährlichen Wiederholungsübungen in anerkannten Atemschutzübungsanlagen zum Erhalt der Atemschutztauglichkeit und die Eignungsuntersuchungen bis zum 31. Mai überschritten werden. Sowohl die Untersuchung als auch die Wiederholungsübung sind so schnell wie möglich nachzuholen. Laut Verordnungen aus Nordrhein-Westfalen sollen auch die Ausbildung im feuerwehrtechnischen Dienst online stattfinden und Prüfungen Rahmen einer Videokonferenz abgenommen werden. Eine umfangreiche Dokumentensammlung mit diesem Leitfaden und weiteren Dokumenten findet sich unter www.behoerden.blog/ dokumente/

Feuerwehrleute brauchen Sicherheit im Einsatz. Das gilt angesichts der CoronaPandemie derzeit ganz besonders. Foto: BS/Rico Löb, pixabay.com

Das stille Comeback der Sirenen

D

enn die Innenministerkonferenz (IMK) hat zuletzt einen entsprechenden Beschluss gefasst. Mit dem nun regelmäßig stattfindenden bundesweiten Warntag möchten die Politiker die Akzeptanz und das Wissen um die Warnung der Bevölkerung in Not- und Gefahrenlagen wieder erhöhen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die Bedeutung der Warnsignale verinnerlichen. Im Rahmen weiterer Aufklärungskampagnen und Aktionen sollen auch Verhaltenshinweise für den Gefahrenfall gegeben werden. Neben der Bedeutung für die Bürger selbst sollen auch die Warnkonzepte und Verfahren der involvierten Behörden auf den Prüfstand gestellt werden. Im Rahmen eines Warnmittelmixes sollen verschiedene Medi-

chen Unfällen vorzubeugen und damit insbesondere Radfahrende und zu Fuß Gehende besser zu schützen.” Bisher scheuten die Betreiber von Lastkraftwagen oft noch die Kosten für den Einbau von Abbiegeassistenten. Das Förderprogramm schaffe diesbezüglich einen starken finanziellen Anreiz, so die Ressortchefin. Die Abwicklung des Förderprogramms erfolgt durch ein Tochterunternehmen der Investitionsbank Berlin.

Als Verhaltenshinweise und Tipps für die praktische Umsetzung von Schutzmaßnahmen verweist die HFUK Nord auf die “Hinweise für Einsatzkräfte zum Umgang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2” der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und präzisierte diese. Grundsätzlich darf eine Einsatzkraft nur im Einsatz sein, die keine Krankheitssymptome aufweist oder zur Risikogruppe gehört. Jeder Einsatz ist hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen separat zu bewerten. Sollten die Kräfte zur Abklärung eines Verdachtsfalls entsendet werden, gilt Folgendes: Der Einsatz soll mit so wenigen Einsatzkräften wie möglich bestritten werden. Die Ausstattung mit entsprechender persönlicher Schutzausrüstung muss gewährleistet sein. Zur Anfahrt sollte je nach Fuhrpark ein Fahrzeug gewählt werden, das am besten zu reinigen und zu desinfizieren ist.

renabwehr sein, wenn es gelingt, möglichst die gesamte betroffene Bevölkerung zu erreichen. Und hier kommen wieder die Sirenen ins Spiel. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden sie vielerorts abgebaut oder stillgelegt. Seit einigen Jahren hat hier bei vielen Kommunen und Städten ein Umdenken stattgefunden. Nahezu wöchentlich ist von Neuerrichtungen ganzer Sirenenwarnnetze in Städten und Kommunen zu lesen. Die Aufgabenträger haben erkannt, dass der elementar wichtige Weckeffekt in der Regel nur durch die laute Warnung mittels Sirene möglich ist. Besonders nachts kommt der Weckeffekt zum Tragen. Nicht jeder Bürger nutzt Warn-Apps oder besitzt gar ein

Florian Mikschy ist langjähriges Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr und Mitbegründer der Interessengemeinschaft Sirenenfreunde. Er beschäftigt sich schon mehrere Jahre mit dem Thema Bevölkerungswarnung. Foto: BS/privat

Smartphone oder trägt es immer bei sich.

Elektronische Sirenen auf dem Vormarsch Neben der klassischen Motorsirene vom Typ E57, wie sie noch vielerorts im Einsatz ist, halten zunehmend auch elektronische Sirenen Einzug. Diese bieten gegenüber den klassischen Motorsirenen mehrere Vorteile. Durch Akkupufferung sind sie bis zu einem Monat netzunabhängig und autark einsetzbar. Die gängigen am Markt verfügbaren Modelle

und geprüft werden können, und ihre Lehrer unterstützen derweil die Kollegen im Einsatzbetrieb: entweder auf den Rettungswagen oder bei der Stabsarbeit. Auch jüngst erst eingestellte Nachwuchskräfte für den gehobenen und höheren feuerwehrtechnischen Dienst unterstützen nach der BFRA-Schließung den Stab oder im rückwärtigen Bereich.

gibt es in den Leistungsstärken von 600 bis 2.400 Watt. Die Anlagen sind komplett aus Aluminium gefertigt und daher sehr leicht. Es sind Lautsprecheransagen mit vordefinierten Texten und auch optional Liveansagen neben den klassischen Sirenentönen möglich. Die Anlagen sind weitestgehend wartungsfrei und benötigen kaum Strom, auch der Betrieb über ein Solarpanel ist möglich. Somit kann der Aufstellort der Anlagen recht frei gewählt werden.

Als Chance begreifen Insbesondere gilt es auch am Warntag zu testen, ob die Sirenen, die vielerorts jahrelang nicht getestet oder benutzt wurden (außer zur Feuerwehralarmierung im kommunalen Bereich), noch einwandfrei funktionieren. Außerdem muss geprüft werden, ob die entsprechenden Warntöne funkausgelöst werden können. Aufgabenträger sollten den Warntag nicht als notwendiges Übel, sondern als Chance zur Sensibilisierung der Bevölkerung ansehen. Mittelfristig werden hier aber auch Investitionsbedarfe entstehen. Hier gilt es von Bund und Ländern, wieder neue Förderprogramme aufzulegen.


Webinar-Highlights im April 2020 Kurz und knackig auf den Punkt gebracht

Das Homeoffice zum Lernen nutzen und Wissensvorsprung sichern! Führen im Homeoffice 15.04.2020, 09:00-12:00 Uhr Vergaberecht in der Corona-Krise – welche Erleichterungen bestehen? 15.04.2020, 10:00-13:00 Uhr Führen in der Digitalisierung 21.04.2020, 10:00-13:00 Uhr E-Akte – von der Technikeinführung zum nutzerzentrierten Akzeptanzmanagement 21.04.2020, 10:00-12:00 Uhr Personalauswahl nach neuesten Erkenntnissen durchführen 23.04.2020, 09:00-12:00 Uhr Prozessmanagement – einfach und begreifbar 23.04.2020, 10:00-12:00 Uhr Onlinezugangsgesetz – was ist bis 2023 möglich? 23.04.2020, 10:00-13:00 Uhr IKT-Beschaffung im Lichte des DigitalPakts Schule 23.04.2020, 10:00-13:00 Uhr E-Rechnung – Rechnungsportale, revisionssichere Ablagen und optimierte Workflows 27.04.2020, 10:00-13:00 Uhr Digitalisierungsstrategien für Behörden 28.04.2020, 10:00-13:00 Uhr

Detaillierte Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort „Webinar“


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / April 2020

Innovation in Zeiten von Corona

KNAPP Digitalisierung per Express-Labor

Wie COVID-19 dazu beiträgt, digitale Kreativkräfte freizusetzen (BS/Thomas Petersdorff) Das Gesundheitssystem im Ausnahmezustand, beschränkte Bewegungsfreiheiten, zum Erliegen gekommene Produktions- und Lieferketten: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie machen sich derzeit allerorten bemerkbar. Aufgrund der Brachialität, mit der SARS-CoV-2 nicht nur einzelne Bereiche, sondern gleich das ganze System in Geiselhaft genommen hat, hebt sich die aktuelle Situation von Erschütterungen der jüngeren Vergangenheit ab. Doch wenn der Blick in die Geschichtsbücher eines lehrt, dann, dass Krisen stets auch eine produktive Seite haben. In Zeiten der Digitalisierung, da alles und jeder vernetzt ist, gilt das vielleicht umso mehr. Dies hat man auch beim Bundeskanzleramt erkannt und durch Übernahme der Schirmherrschaft des Hackathons #WirVsVirus bewiesen, dass das Internet nun auch im politischen Berlin kein Neuland mehr ist. Dabei ist der Hackathon ein gutes Beispiel dafür, dass der technische Wandel nicht nur Einfluss auf die Ergebnisse der Innovation hat, sondern selbst die Art und Weise verändert, wie innoviert wird. Konkret handelt es sich um ein Komplementärmodul der vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) herausgegebenen App “NINA”. Ziel von “DEalog” ist die Öffnung eines kommunikativen Kanals zwischen (Lokal-)Politik und Bevölkerung, um Informationen gezielt in betroffene Regionen bzw. Kommunen zu tragen und so der Ausbreitung von Fake News entgegenzuwirken.

Krise und Innovation stehen in einem eigentümlichen Verhältnis: Ist der erste Schock erst einmal verdaut, melden sich Kreativkraft und Erfindergeist. Die stimulierende Wirkung, die zuweilen von Extremsituationen auszugehen pflegt, mag sicher der Not zur Improvisation geschuldet sein. Doch ist das nur die eine Seite. Krisen erhöhen nicht nur den Innovationsdruck, sie decken Bedarfe auf, die sonst latent geblieben wären. Zwar wird man sich von Corona keine bahnbrechenden Neuerungen erwarten dürfen wie in Zeiten der krisengeschüttelten Siebzigerjahre, doch braucht es nicht einer neuen technologischen Revolution wie des PCs oder der E-Mail, um die Folgen der Pandemie abzuschwächen. Kleine Lösungen sind gefragt, Lösungen, die sich zeitnah implementieren lassen.

“Woodstock 4.0”: Innovation wird Event Nicht weniger hat sich die Online-Community hierzulande vorgenommen. Unter digitalen Parolen wie #WirVsVirus oder Hack the Crisis tummeln sich derzeit Kreative und Technikaffine aller Berufe im Netz oder auf Kanälen wie YouTube oder Slack. Statt sich in die heimische Garage zurückzuziehen, sucht man die virtuelle Bühne: Per Videoschalte werden Ansätze präsentiert, die zur Lösung der von Corona aufgeworfenen Probleme beitragen sollen. Aus Innovation wird Event. Das weckt nicht nur die Neugierde, es zieht die Massen regelrecht an. Bestes Beispiel: #WirVsVirus. So schloss der von der Regierung mitinitiierte Hackathon mit Teilnehmerzahlen von rund 28.000

Sternstunde der Demokratie?

In Zeiten von Social Distancing findet Innovation, digitaler Kanäle sei Dank, inzwischen exklusiv am heimischen Schreibtisch statt. Foto: BS/Pexels, pixabay.com

aktiven Usern verteilt über zwei Tage. Nimmt man darüber die Menge der passiven Zuschauer hinzu, landet man in summa bei über 40.000. Wie bei Veranstaltungen dieser Größenordnung nicht unüblich, entwickelt das Miteinander eine eigene Dynamik. Gedränge stimmt euphorisch. Das gilt nicht nur analog, sondern auch virtuell und so wurden unter den Teilnehmern bald Parallelen zum Festival Woodstock gezogen.

20 Siegerprojekte gekürt Doch was ist – jenseits klangvoller Vergleiche – unter dem Strich herausgekommen? Beachtliche 1.500 Projektideen in acht Kategorien. Darunter: Schutz von Risikogruppen, me-

dizinische Versorgung sowie Solidarität und Zusammenhalt. Von den insgesamt 1.500 Einreichungen haben rund zehn Prozent ihren Weg bis hin zur Jury, bestehend aus Fachkundigen der IT-Branche und den Mentoren des Programms, gefunden. Inzwischen haben die Juroren entschieden und anhand von Kriterien wie Fortschritt oder Verständlichkeit die in ihren Augen besten 20 Projekte gekürt. So breit das Feld der Sieger, so divers die vorgelegten Ideen. Vieles habe man gar nicht “auf dem Schirm gehabt”, erklärt Dorothee Bär, die als Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte für Digitalisierung am Auswahlprozess beteiligt war. Manche der eingebrachten Pro-

jekte sind direkt krisenbezogen. So das “Digitale Wartezimmer” oder “Sicher-Test”, beides digitale Lösungen, die per Fernanam­ nese samt anschließender Terminfindung eine Entlastung des Personals in den Testzentren versprechen; für die Qualität der Diagnose sorgt laut Entwicklern der ständige Abgleich mit Daten des Robert Koch-Instituts oder der Berliner Charité. In dieselbe Kategorie fällt auch “Print4Life”, eine Plattform zur Distribution von 3D-Druck-Erzeugnissen, die in Zeiten der Krise für die schnelle Verteilung selbstgedruckter medizinischer Produkte wie etwa Beatmungsgeräte sorgen soll. Andere Ideen weisen bereits über die Tage von Corona hinaus, die App “DEalog” zum Beispiel.

Ob und wann es den Projekten beschieden sein wird, ihren Weg in die Praxis anzutreten, sei fürs Erste dahingestellt. Einige halten gute Ansätze bereit und hätten es ohne Zweifel verdient. Doch das wird die Zukunft zeigen. Einstweilen ist das Fazit des Hackathons ein anderes: Mit Aktionen wie #WirVsVirus zeigt die Corona-Krise ihr produktives Gesicht. Infolge der Digitalisierung hat sich indessen etwas Grundlegendes geändert: Digitale Technologien verändern nicht nur die Produkte, die wir erfinden, sondern auch die Art und Weise, wie wir sie erfinden: nämlich partizipativ oder – in Begriffen der Politik – demokratisch. Die Tatsache, dass die Regierung diesen Trend erkannt und sich als Schirmherrin der Veranstaltung in Position gebracht hat, wird darum nicht wenigen als Signal erscheinen, dass man im politischen Berlin bereit ist, mehr Demokratie zu wagen. Dieser Eindruck bestätigt sich bei 55 Prozent der Teilnehmer, die im Nachgang des Events bekanntgaben, dass die Partizipationsmöglichkeiten des Hackathons ihr Vertrauen in die Regierung gestärkt hätten.

(BS/gg) Aufgrund der CoronaKrise werden bestimmte Leistungen der Verwaltung derzeit besonders stark nachgefragt, so auch der Entschädigungsantrag von Arbeitgebern mit Mitarbeitern in Quarantäne (§ 56 IfSG). Bis Ende April soll daher ein nutzerfreundlicher Online-Antrag möglich sein, damit Betriebe und Selbstständige die Anträge nicht länger per Post stellen müssen. Ein in enger Kooperation des Bundesinnenministeriums (BMI) mit dem Land NRW ins Leben gerufene Express-Labor wurde mit der Umsetzung betraut. Bis zum Monatsende soll so zunächst eine Minimalvariante erarbeitet werden, die in allen Ländern eingesetzt werden kann. Derzeit prüft das BMI, welche Leistungen darüber hinaus ebenfalls in Betracht kommen.

Zeitweise kein Zugriff aufs Netz (BS/mfe) Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums (BMI), die im Homeoffice tätig sind, sollen nach Informationen des Behörden Spiegel temporär keinen Zugriff mehr auf ihre Dokumente gehabt haben. Beschäftigte, die noch in ihren Büros arbeiten, sollen nicht betroffen gewesen sein. Gleiches galt für nachgeordnete Behörden. Von dort hieß es nur, dass die technischen Komponenten der Netze des Bundes (NdB) ausbaufähig seien und mit Hochdruck ausgebaut würden. Die Kapazitäten für die verschiedenen Varianten an mobilen Zugängen und für gleichzeitige Telefonate seien bereits massiv erweitert worden. Sie würden auch weiter ausgebaut und optimiert, damit eine durchgehende Arbeitsfähigkeit der gesamten Bundesverwaltung sichergestellt werden könne. Kurzzeitig auftretende Engpässe bzw. technische Störungen hätten bisher immer innerhalb kurzer Zeit behoben werden können.


Informationstechnologie

Seite 26

B

ehörden Spiegel: Herr ­Kammer, seit Ende letzten Jahres sind Sie Geschäftsführer der Genossenschaft “govdigital”, die insgesamt zehn IT-Dienstleister gemeinsam gegründet haben. Was sind die Ziele der Genossenschaft?

Behörden Spiegel / April 2020

“Wenn nicht jetzt, wann dann?” Gemeinsam die Basis für den Einsatz innovativer Technologien schaffen

(BS) Die Blockchain als erstes Großprojekt, aber auch Künstliche Intelligenz und sonstige innovative Schlüsseltechnologien auf dem Schirm: Zur Erforschung dieser Themen und zur gemeinsamen Schaffung sicherer Infrastruktursysteme haben sich Ende vergangenen Jahres insgesamt zehn kommunale IT-Dienstleister zusammengeschlossen, um die Genossenschaft “govdigital” ins Leben zu rufen. Die neue Einrichtung läuft unter dem Kammer: Die öffentlichen IT- Dach der Bundes-Arbeitsgemeinschaft Vitako und hat im Februar ihren ersten Workshop durchgeführt. Über die Ziele und Herausforderungen von Dienstleister möchten mit die- govdigital, aber auch in den Kommunen, spricht Wim Orth mit dem Gründungsgeschäftsführer der Genossenschaft, Matthias Kammer. sem Schritt neue Technologien wie Blockchain oder KI für die öffentliche Hand vorantreiben und eine sichere und vertrauenswürdige Netzwerkinfrastruktur für Anwendungen schaffen. Ziel ist es, notwendige Infrastruktur wie Server und Datenbanken in zertifizierten Rechenzentren zur Verfügung zu stellen und zu betreiben. Auf Basis dieser In­ frastruktur können kommunale genauso wie Landes- und Bundesbehörden Anwendungen für die öffentliche Hand entwickeln und anbieten. Die Genossenschaft nutzt dazu das Wissen und die Fähigkeiten ihrer Mitglieder, um diese gemeinsame Betriebsplattform zu entwickeln. Behörden Spiegel: Neben der Künstlichen Intelligenz ist die Blockchain aktuell eines der Schlüsselthemen bei der Digitalisierung von Staat und Verwaltung – ein guter Zeitpunkt, eine solche Genossenschaft zu gründen? Kammer: Wenn nicht jetzt, wann dann? Insbesondere bei Blockchain stellt sich doch ein Henne-EiProblem: Wer fängt an? Die Mitglieder unserer Genossenschaft wollen als erstes eine wichtige Voraussetzung schaffen, nämlich eine sichere, vertrauenswürdige und verlässliche Infrastruktur. Wenn man keine Infrastruktur hat, wird es auch keine Anwendungen geben. Dass die neue Genossenschaft zur richtigen Zeit kommt, zeigen nicht nur erste Förderprogram-

Matthias Kammer hat schon einige wichtige Institutionen in der digitalen Verwaltungslandschaft geleitet. Seit wenigen Monaten ist er nun als Gründungsgeschäftsführer der Forschungsgenossenschaft govdigital aktiv. Foto: BS/Dirk Hasskarl

me in Ländern wie NordrheinWestfalen. Neben der Bundesregierung mit ihrer beschlossenen “Blockchain-Strategie” will auch die EU mit ihrer KI-Strategie digitalisierte Verwaltungsdienstleistungen auf Blockchain- und KI-Basis explizit vorantreiben. Behörden Spiegel: Der Großteil der Kontakte zwischen Bürgern bzw. Unternehmen und Behörden spielt sich in den Kommunen ab. Wie kann die Blockchain gerade diesen dabei helfen, die Verwaltung serviceorientierter aufzustellen? Kammer: Da gibt es verschiedene Beispiele. Der direkte Kontakt mit der Kommune erfolgt ja häufig über Genehmigungen und Bescheinigungen in Schriftform. Dieses Problem adressiert das OZG und will digitale Alternativen schaffen. Dafür kommt die Blockchain z. B. als Basistechnologie in Betracht, auf der Informationen sicher und unveränderbar

Veränderung Die Position Deutschlands in den Digitalisierungsranglisten ist nicht berauschend: Sowohl insgesamt als auch bezogen auf die öffentliche Verwaltung belegt Deutschland regelmäßig einen der hinteren Plätze. Das OZG soll dies ändern – zumindest für den Bereich der öffentlichen Verwaltung. Doch die Ausgangslage für eine deutschlandweite Digitalisierung der Verwaltung ist kompliziert. Es fehlt an einer gemeinsamen Ausgangsbasis, an Standardisierung. Gleiches gilt für gemeinsame Ziele und Strategien. Diese heterogene Ausgangslage erschwert den Aufbau einer zielführenden und effizienten Projekt- bzw. Programmstruktur. Schnell setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Aufgabe nur gemeinsam erledigt werden kann. Der IT-Planungsrat beschloss in seiner 26. Sitzung folgerichtig eine arbeitsteilige Umsetzung der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen. Er beauftragte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sowie den Aufbaustab der FITKO mit der Wahrnehmung des ebenenübergreifenden Programmmanagements für das Digitalisierungsprogramm. Der Beschluss zur arbeitsteiligen Umsetzung ist richtig, setzt aber auch ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft voraus. Es wird ein anderes “Mindset” benötigt. Bislang erfolgreiche Verhaltensweisen passen nicht mehr zu der Mammutaufgabe.

Behörden Spiegel: Die Blockchain ist eine relativ neue Technologie, deren Risiken noch nicht vollends analysiert sind; zudem ist sie enorm energieintensiv. Wie wollen Sie die Unwägbarkeiten der Blockchain wie z. B. das Thema Energieverbrauch angehen? Kammer: Zuallererst ist die “Chain” als solche nicht neu. Bitcoin läuft seit über zehn Jahren und hat viele Erfahrungen mit sich gebracht: Die Blockchain ist eine neue Kombination längst bekannter und bewährter Konzepte und Technologien. Der Energieverbrauch hängt nun maßgeblich vom BlockchainKonzept und dem ausgewählten Konsensverfahren ab. Der hohe Stromverbrauch vieler öffentli-

cher Blockchains entsteht vor allem deshalb, weil ihnen der Konsensmechanismus “Proof of Work” (PoW) zugrunde liegt. Damit wird eine zentrale Vertrauensinstanz ersetzt und auf eine größere Menge von Akteuren verteilt, die sich untereinander aber nicht “kennen”. Die daher notwendigen “Vertrauensnachweise” erfordern jedes Mal immense Rechenleistungen, wenn die Blockchain verlängert werden soll (bekannt als “Schürfen”) – das ist aus unserer Sicht klimatechnisch nicht tragbar. Es gibt allerdings andere, sichere Verfahren wie “Proof of Stake” oder “Proof of Authority”, in denen ein Knoten nicht mehr Energie in Anspruch nimmt als ein herkömmlicher kleiner Webserver. So lässt sich der Verbrauch laut der “Stiftung Neue Verantwortung” um bis zu 99 Prozent reduzieren. Dem govdigital-Netzwerk kommt zudem die Vertrauenswürdigkeit der beteiligten Akteure zugute: In einer von öffentlichen ITDienstleistern betriebenen (nicht öffentlichen) Infrastruktur muss ohnehin kaum Energie aufgewandt werden, um innerhalb des Systems Vertrauen zu erlangen. Behörden Spiegel: Eine Frage noch zu govdigital selbst: Für die neue Einrichtung wurde bewusst das Modell einer Genossenschaft gewählt. Welche Gründe haben hierfür den Ausschlag gegeben? Kammer: Das Modell der Genossenschaft ist für das Ziel unserer Unternehmung maß-

Halbzeit bei der OZG-Umsetzung

D

ie Frage kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Daher liegt der Schwerpunkt auf zwei Aspekten, die zu diskutieren sich lohnen kann.

ausgetauscht werden können, um Genehmigungen und Bescheinigung zu erteilen. Die Kommunen speichern Informationen über Bürger und Unternehmen in Form von Registern, die einem BlockchainLedger oder digitalen Hauptbuch grundsätzlich sehr ähnlich sind. Deshalb bietet sich Blockchain als technische Alternative auch zur oft diskutierten Registermodernisierung an. Weiterhin existieren in den Registern zahlreiche personenbezogene Bürgerdaten, die im erweiterten Sinn zur digitalen Identität zählen. Über die Blockchain und Konzepte der Self Sovereign ID könnten diese Informationen Bürgern zugänglich gemacht werden und so zur Digitalisierung letztendlich entscheidend beitragen. Viele kommunale Verwaltungsprozesse laufen schrittweise ab, bis sie vollkommen erledigt sind. Zwischenstände können für die Bürger hilfreich sein, wenn sie

darüber informiert sind und darauf reagieren können. Die Blockchain würde in diesem Fall den Status und zusätzliche Statusinformationen speichern und damit als sichere Vermittlungsschicht dienen. Eine weitere Idee ist es, Blockchains zu nutzen, um das gemeinschaftliche Zusammenleben zu fördern. So stellen sich Kommunen schon länger die Frage, wie ehrenamtliche Tätigkeiten möglichst unbürokratisch anzuerkennen und zu vergelten sind. Beseitigt jemand Graffitis oder reinigt Grünstreifen, können “Gemeinde-Coins” etwa auf Grundlage von Blockchain ausgegeben und später gegen Vergünstigungen eingetauscht werden.

Ein kurzer Rück- und Ausblick aus Perspektive der FITKO (BS/Jörg Kremer) Am 18. August 2017 ist das Onlinezugangsgesetz (OZG) in Kraft getreten. Direkt in § 1 Abs. 1 wird festgelegt, dass alle Verwaltungsleistungen bis spätestens 31.12.2022 seitens des Bundes und der Länder auch digital angeboten werden müssen. Die Umsetzung des OZG ist also eine Mammutaufgabe. Wie in jedem Projekt ist es spätestens jetzt an der Zeit, die Strategie kritisch zu hinterfragen. Tun wir noch die richtigen Dinge? Ein Denken in Lösungen statt in Zuständigkeiten ist gefordert. Dass Veränderungen immer schwer sind und nur dann tatsächlich stattfinden, wenn der Druck zur Veränderung hoch genug ist, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Corona-Krise. Die Veränderungsbereitschaft bei der OZG-Umsetzung hat eingesetzt, das ist spürbar. Sie muss jedoch weiter Fahrt aufnehmen. Hier sind insbesondere die (Spitzen-)Führungskräfte auf allen Ebenen gefragt. Sie müssen die Veränderungen managen und sich am eigenen Verhalten messen lassen. Ein übergreifendes Change-Management-Konzept ist schwierig zu entwickeln – aber auch nicht unmöglich. Es sollte unbedingt begonnen werden.

Projektmanagement Es gibt unzählige Aufsätze und Untersuchungen zu der Frage, warum so viele Projekte in der öffentlichen Verwaltung scheitern. Letztlich lassen sich alle Publikationen mit einem Satz zusammenfassen: Projekte sind keine Gesetzesvorhaben! Gesetzesvorhaben folgen einem festgelegten Prozedere, das Qualität, Informationsfluss und Abstimmung sichert. Projekte folgen anderen Gesetzmäßigkeiten. Sie sichern schnelle Entscheidungen und Fokussierung auf ein Ziel innerhalb eines definierten Rahmens. Beides kann man als Werkzeuge zur Bearbeitung unterschiedlicher Aufgaben betrachten. Die Wahl des richtigen

Werkzeugs bestimmt den Erfolg oder Misserfolg eines Vorhabens. Wenn die Umsetzung des OZG eine Erfolgsgeschichte werden soll, dann ist Projektmanagement ein kritischer Erfolgsfaktor. Die Steuerungsebenen müssen jetzt beginnen und einfordern, im Sinne eines Projekt- oder Programmmanagements zu steuern. Auf den operativen Ebenen scheinen die erforderlichen Projektmanagementkompetenzen nicht in der Anzahl vorhanden zu sein, wie sie aktuell benötigt werden. Es muss zu Beginn der zweiten Halbzeit der OZG-Umsetzung besonders um zwei Maßnahmen gehen:

Qualifikationsoffensive Es muss jetzt ein Angebot für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung geben, schnell Projektmanagementkompetenzen zu erwerben.

Strategische Steuerung Die Steuerungsebenen müssen die Art und Weise der strategischen Steuerung der OZG-Umsetzung verändern. Warum ist das so wichtig? Die aktuellen Problemlagen und Aufgaben haben einen Kompliziertheits- bzw. Komplexitätsgrad erreicht, der mit den herkömmlichen Mitteln der bürokratisch

Jörg Kremer ist seit Gründung der FITKO als Anstalt des öffentlichen Rechts im Januar 2020 Leiter des Föderalen IT-Architekturmanagements, der Projekte und Standards sowie kommissarischer Leiter des Produktmanagements. Foto: BS/FITKO, Salome Roessler

organisierten Verwaltung nicht mehr sinnvoll bewältigt werden kann. Das Denken in Hierarchien und Zuständigkeiten muss dem Denken in Netzwerken und guten Lösungen weichen. Das Arbeiten in interdisziplinären Teams mit der Fähigkeit, einen übergreifenden Blick im Sinne der Bildung von dynamischen Netzwerken einzunehmen, wurde zumindest ansatzweise erfolgreich in den Digitalisierungslaboren erprobt. Es zeigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu neuen Arbeitsweisen in der Lage sind – wenn man sie denn lässt und es einfordert. Viel diskutiert wurde zuletzt die Reduzierung der Funktionalitäten des Online-Gateways. Überwiegend gab es negative Stimmen, was nicht nachvollziehbar ist. Lesen wir nicht ständig, wir sollten agil vorgehen? Fail often, learn fast? Und wenn es dann getan wird, bleibt nur Kritik? Wir müssen lernen, dass auch das zu einem Projekt gehört: Mutige Entscheidungen zu treffen und Strategien zu wechseln – wenn es nötig ist.

Es bedarf eines kaskadierenden Managementkonzeptes für die wichtigen Digitalisierungsprojekte. Die OZG-Umsetzung mit dem Digitalisierungsprogramm, dem Portalverbund und Nutzerund Unternehmenskonten haben vielfältige Abhängigkeiten. Hinzu kommen weitere enorm wichtige Vorhaben, etwa die Modernisierung der Registerlandschaft. Aufgrund der vielfältigen Beziehungen der Vorhaben bedarf es einer übergeordneten Steuerung. Die FITKO hat für die Umsetzung der Maßnahmen des Digitalisierungsbudgets ein Konzept vorgelegt, welches der IT-Planungsrat in seiner 30. Sitzung beschlossen hat. Es gilt, dieses nun mit Leben zu füllen.

Was gibt es noch zu tun? Strategischer Schwerpunkt für 2020 ist es, viele Verwaltungsleistungen online zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund ist momentan die wichtigste Aufgabe, eine technische Lösung für die schnelle Nachnutzung realisierter Lösungen zu entwickeln. Die FITKO hat die Idee einer föderalen Integrations- und Entwicklungsplattform entwickelt. Ziel ist es, Bund und Ländern Möglichkeiten der Nachnutzung zu eröffnen, die einerseits schnell umsetzbar sind und andererseits nur wenige Änderungen an den bestehenden (technischen) Infrastrukturen erforderlich machen. Stichwort Ideen: Es mangelt nicht an guten Ideen! Auch die rein technischen Umsetzungen

geschneidert, es ist öffentlich und kommunal geprägt. Die Mitglieder begegnen sich auf Augenhöhe, gleichzeitig können – bei relativ geringem bürokratischen und finanziellen Aufwand – jederzeit Interessenten hinzustoßen. Um bundesweit auf allen Ebenen der öffentlichen Hand zu agieren, ist es wichtig, keine Zutrittsbarrieren für kleinere Akteure aufzubauen. Daher die Wahl der Rechtsform Genossenschaft. Behörden Spiegel: Neben der Blockchain-Forschung beschreiben Sie sich selbst als technologieoffenes Haus. Das heißt, es wird auch an anderen Schlüsseltechnologien geforscht? Kammer: Als govdigital werden wir unser Interesse und unsere Aktivitäten auf verschiedene Technologien richten. Einige Mitglieder forschen bereits selbst im Blockchain-Bereich. Daneben sehen wir vor allem auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) Potenzial, um vor allem einfache öffentliche Leistungen und Services zu automatisieren, zu verbessern und damit fortzuentwickeln. Ein Beispiel dafür sind sicherlich Chatbots, an deren Entwicklung eines unserer Mitglieder rund um den Bürgerservice beteiligt ist. Hier geht es darum, Verwaltungen zu entlasten und Kapazitäten ggf. erweitern zu können. Mehrere unserer Mitglieder befassen sich zudem mit den spezifischen Belangen des KI-Einsatzes im öffentlichen Sektor. Es gilt weiterhin, Fragen zu Datenhoheit und -souveränität, Transparenz, Normen und Standards und zur Kontrolle von Algorithmen zu beantworten. Diese Aktivitäten sollen natürlich auch für die Arbeit der govdigital genutzt werden. Das vollständige Interview zu govdigital mit Geschäftsführer Matthias Kammer findet sich auf: www.behoerden-spiegel.de .

stellen grundsätzlich kein unüberwindliches Problem dar. Diese Punkte, das haben wir des Öfteren bewiesen, können wir. Vertrauensvolle und neue Formen der Zusammenarbeit über alle Ebenen hinweg – das müssen wir lernen und besser machen. Vor allem geht es um Geschwindigkeit: Verhaltensänderungen dauern länger als die Umsetzung rein technischer Maßnahmen. Gerade deshalb ist Geschwindigkeit ein kritischer Faktor. Zum Schluss möchte ich noch auf eine Frage eingehen, die in letzter Zeit zunehmend diskutiert wird: Ist die Umsetzung des OZG bis Ende 2022 noch realistisch? Meine Antwort: Die OZG-Umsetzung ist vergleichbar mit einem Marathonlauf und wir befinden uns etwa bei Kilometer 20. Jetzt zwickt die Wade, aber hört ein Marathonläufer deswegen auf, zu laufen? Nein! Er wird erst aufhören, wenn ihn eine ernste Verletzung dazu zwingt. Er ist fokussiert – und weiß: Die wirklich schwierige Phase, wenn dein Körper schmerzt, wenn alles in dir nach einer Pause schreit, wenn es so einfach scheint, einfach stehenzubleiben, diese Phase, die kommt erst irgendwann ab Kilometer 30 oder 35. Wir sollten diese Diskussion also nicht führen, weil uns bei Kilometer 20 die Wade zwickt. Die wirklich schwierige Phase kommt noch. Um für diese Phase gewappnet zu sein, müssen wir jetzt anfangen, mehr in Projekten und Netzwerken zu denken als in Zuständigkeiten und Hierarchien. Oder um es mit einem Zitat von Leonardo da Vinci zu sagen: “Wer sich im Streit der Meinungen auf Autorität beruft, der arbeitet mit seinem Gedächtnis statt mit seinem Verstand.”



Informationstechnologie

Seite 28

B

ereits vor rund drei Jahren initiierte Baden-Württemberg die landeseigene, ressortübergreifende Digitalisierungsstrategie “digital@bw”. Für die Umsetzung verschiedenster Projekte stünden bis 2021 323 Millionen Euro zur Verfügung.

Fortschritte in digitaler Verwaltung und Weiterbildung Das Ziel der Verwaltung müsse sein, dass das Amt zum Bürger komme, nicht der Bürger zum Amt, so Digitalisierungsminister Thomas Strobl. Fünf digitale Verwaltungsleistungen, darunter die Meldebescheinigung und der Bewohnerparkausweis, wurden dafür als Testversionen bereits entwickelt. 16 weitere Verwaltungsprozesse befinden sich derzeit noch in der Umsetzung. Beschäftigte von Landes- und Kommunalverwaltungen werden im Zuge einer Qualifizierungsoffensive dazu befähigt, selbst innovative Projekte voranzutreiben. 523 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden bereits als Digitallotsen qualifiziert, um ihr Wissen weiterzutragen. 1.600 sollen es werden. Digitale Anwendungen kommen bereits in Steuerämtern und der Justiz zum Einsatz. Seit Ende 2018 steht Bürgerinnen und Bür-

“M

it dem neuen LOB-System haben wir ein Instrument geschaffen, das einen Dialog über unsere Organisationswerte anregt und diese damit nachhaltig verankern kann”, so der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf Thomas Geisel. Aktuell führt die Verwaltung ein neues Führungs- und Feedbacksystem ein, das auf dem Düsseldorfer Werte- und Kompetenzmodell basiert. Damit ist Düsseldorf Vorreiter unter den deutschen Großstädten. Die Werte und Kompetenzen werden in dem neuen Feedbacksystem verbindlich gemacht. Alle Mitarbeiter/-innen und Führungskräfte – sowohl Angestellte wie auch Beamte – erhalten ein Feedback und eine Leistungseinschätzung in zentralen wertebasierten Kompetenzen der Landeshauptstadt Düsseldorf. Hierzu zählen z. B. Motivation und Leistungsbereitschaft, Entwicklungs- und Lernbereitschaft sowie Kontaktfähigkeit. Von Führungskräften werden außerdem z. B. Unterstützungskompetenz, Innovationskompetenz und Zielorientierung erwartet.

Behörden Spiegel / April 2020

Ein gutes Stück vorangekommen Digitalisierungsvorreiter Baden-Württemberg berichtet (BS/Killian Recht) Baden-Württemberg wertet zum zweiten Mal den Stand der landeseigenen Digitalisierungsstrategie “digital@bw” aus. Über 80 Projekte werden unter der Leitung des Digitalisierungsministeriums ressortübergreifend realisiert. Etliche Vorhaben sind laut Minister Thomas Strobl weit fortgeschritten oder bereits abgeschlossen. Fortschritte gibt es auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu verzeichnen. nen mittlerweile maschinell aus allen europäischen und einigen weiteren Sprachen ins Deutsche übersetzt werden. Sprachbarrieren in den Gerichtssälen werden somit schnell und effizient überwunden. In Entwicklung befinden sich weitere Verfahren, durch die Akten umfangreicherer Verfahren automatisiert aufgearbeitet werden können.

Schnelles Internet bis zum letzten Schwarzwaldhof

Im Cyber Valley wird in Baden-Württemberg an Künstlicher Intelligenz und Robotik geforscht. Foto: BS/Computerizer, pixabay.com

gern mit dem “Steuerchatbot BW” online ein digitaler Assistent in Steuerfragen zur Seite. Täglich und rund um die Uhr liefert er stets aktuell gültige Antworten, im Gegensatz zu klassischen Suchma-

schinen. Nach und nach werden neue Inhalte aufgespielt und das Verständnis der KI geschult. Auch in der Justiz finden intelligente Assistenzsysteme Anwendung. Fremdsprachige Dokumente kön-

Für das passende infrastrukturelle Grundgerüst sorgen in der laufenden Legislaturperiode Netzprojekte in Milliardenhöhe. Allein im Doppelhaushalt 2020/21 werden über 600 Millionen Euro für den Breitbandausbau aufgewendet. Zwar verfügten Mitte 2019 bereits rund 90 Prozent aller Haushalte über einen 50 Mbit/s-Anschluss, der aktuelle Fokus liege nun aber darauf, auch unterversorgte Gemeinden

ans Gigabitnetz anzuschließen. Langfristig erklärtes Ziel ist es, bis 2025 flächendeckend über gigabitfähige Netze zu verfügen.

rund um die Uhr in den Stadt- und Landkreisen Karlsruhe, Rastatt und Baden-Baden. Um dem Ernstfall möglichst vorzugreifen, will das Wirtschaftsministerium KMUs mit dem Modellvorhaben “Cyberprotect” unterstützten. Das Wissenstransferprojekt soll Standards für Sicherheitsprüfungen und ein Gütesiegel für sichere Systeme schaffen.

Vorreiter in Forschung und Innovation sein Das allumfassende Ziel der Di-

Umfassender Schutz im digita- gitalisierungsstrategie ist es, in len Raum Forschung, Entwicklung und

Damit Bürgerinnen und Bürger im digitalen Raum besser geschützt sind, hat die Verbraucherzentrale BW ihr Online-Beratungsangebot ausgebaut. Webinare, Podcasts und Youtube-Videos ergänzen das klassische Informationsportfolio. Unternehmen werden im Falle eines Cyber-Angriffs von der “Cyberabwehr BadenWürttemberg” unterstützt. Die Behörde fungiert einerseits als Anlaufstelle für Betroffene und ist in der Lage, umgehend Soforthilfemaßnahmen einzuleiten. Andererseits koordiniert sie weitere Stellen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Sicherheitsbehörden. Derzeit befindet sich das Projekt in der Pilotphase. Anwendung findet es

Führung, Feedback und Motivation voranbringen Die Landeshauptstadt Düsseldorf zeigt, wie es gelingen kann

Innovation international an der Spitze zu sein. Grundstein dafür ist die Gründung des Verbundforschungszentrums “Cyber Valley” im Raum Tübingen/Stuttgart. Als eine der größten Forschungskooperationen Europas im Bereich Künstliche Intelligenz werden Grundlagenforschung und Nachwuchsförderung in Maschinellem Lernen, Computer Vision und Robotik vorangetrieben. Eingebettet wird die Forschung in die Universitätslehre. Vier KI-Professuren wurden an den Universitäten Stuttgart und Tübingen eingerichtet. Berufungsverfahren für zehn weitere Juniorprofessuren an baden-württembergischen Universitäten laufen.

nen-Modells wird zusätzlich durch ein effizientes, nutzerfreundliches IT-Tool unterstützt, das in hohem Maße zur Akzeptanz und einer erfolgreichen Umsetzung beiträgt.

(BS/Dr. Felix Kratz/Stefan Ferber) Die Megatrends Digitalisierung, Wertewandel und demografischer Wandel prägen unsere Gesellschaft. Auch öffentliche Verwaltungen sind aufgefordert, ihr Fundament und Selbstverständnis für Kultur und Werte sowie Führung und Leistung fortzuentwickeln und konsequent anzuwenden. Denn dies wird künftig notwendig sein, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Die Das LOB-3-Zonen-Modell Landeshauptstadt Düsseldorf hat dies für sich erkannt und geht daher neue Wege in Sachen Feedback- und Führungskultur. Das 3-Zonen-Modell von BaumGetreu dem Motto “gemeinsame Lösungen sind die besten Lösungen” spielte die Belegschaft bei der Entwicklung des neuen Feedbacksystems eine aktive Rolle.

Partizipative Entwicklung In einer Projektgruppe mit Mitarbeiter/-innen und Führungskräften aus verschiedenen Fachbereichen sowie Personalräten wurde das neue System konzipiert. Zwischenzeitlich wurde das System in Test-Workshops von verschiedenen Teams auf Herz und Nieren geprüft und das Feedback der Teilnehmer/-innen bei der Entwicklung des Systems berücksichtigt. Die Beschäftigten der Landeshauptstadt Düsseldorf erhalten künftig ein Feedback in drei Farben nach dem “3-Zonen Modell” von Baumgartner & Co.

Die grüne Zone wird vergeben, wenn die Leistungen gut sind und den Anforderungen entsprechen. Die blaue Zone wird genutzt, wenn die Leistungen die Erwartungen deutlich übertreffen und die gelbe Zone wird vergeben, wenn die Leistungen deutliche Defizite zeigen. Eine solche Beurteilung ist einfach, intuitiv und nachvollziehbar. Sie führt auch ohne Quote in Richtung eines normal verteilten Leistungsfeedbacks. Auch Leistung lohnt sich künftig noch stärker: Für gute und

Erfolgsfaktor Feedback Dr. Felix Kratz ist Geschäftsführender Partner bei der Baumgartner & Co. Business Consultants GmbH. Foto: BS/Baumgartner & Co.

Stefan Ferber ist Leiter des Hauptamtes – Amt für Personal, Organisation und IT – bei der Landeshauptstadt Düsseldorf. Foto: BS/Landeshauptstadt Düsseldorf

Top-Leistungen erhalten die Beschäftigten eine Prämie. Für herausragende Leistungen wird es darüber hinaus eine Top-Leistungsprämie nach dem EqualPay-Prinzip geben.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor des neuen Feedbacksystems werden künftig die Bewertungskonferenzen sein. Diese geben den Führungskräften Sicherheit in der Beurteilung und reduzieren damit den oft in klassischen Beurteilungssystemen kritisierten “Nasenfaktor”. Gemeinsame Leistungsmaßstäbe können auf diese Weise entstehen. In den Konferenzen kommen Führungskräfte bereichsübergreifend zusammen und tauschen sich strukturiert über die Entwicklungen und Leistungen ihrer Mitarbeiter/-innen aus. Durch die Gespräche und Übungen harmonisieren sich die Maßstäbe und die Führungskräfte erhalten Einblicke in die anderen Teams. Es entsteht eine wertvolle kollegiale Beratung. Die Einfachheit des LOB-3-Zo-

gartner & Co. wurde bereits in über 70 Organisationen erfolgreich eingeführt und hat sich mittlerweile zu einem Standard in öffentlichen Verwaltungen entwickelt.

Das LOB-3-Zonen-Modell Grafik: BS/Baumgartner & Co

Mehr Informationen hierzu unter: https://neu.baumgartnerco.de


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / April 2020

Seidl: Welche Herausforderungen bestehen für Städte, Gemeinden, öffentliche Auftraggeber und deren Lieferanten kurz vor der Umsetzung der E-Rechnung in Deutschland? Moszynski: Ein Gesichtspunkt der Herausforderungen für Lieferanten öffentlicher Auftraggeber ist neben der technischen Einbindung der E-Rechnung die Erschließung aller Umsetzungsstände innerhalb der jeweiligen Bundesländer. Viele Lieferanten stellen Rechnungen an öffentliche Auftraggeber nicht nur in einem Bundesland, sondern haben Vertragspartner in verschiedensten Regionen Deutschlands. Nicht in allen Bundesländern sind bereits Gesetz und Rechtsverordnung zur Umsetzung der E-Rechnungsstellung im öffentlichen Auftragswesen veröffentlicht. Städte, Gemeinden bzw. allgemein öffentliche Auftraggeber stellen sich verschiedenste Fragen, z. B.: Über welche Kanäle dürfen Lieferanten die E-Rechnung einliefern? Welche Datenformate muss ich als Verwaltung akzeptieren? Stellt mir mein Bundesland eine zentrale Plattform für den Empfang zur Verfügung oder kann / muss ich mich mit meinem Softwaredienstleister abstimmen? Wie gelingt uns eine medienbruchfreie Weiterverarbeitung der eingehenden E-Rechnungen? Benötige ich ein elektronisches Archiv? Und das sind nur ein Bruchteil der Fragen, die bei der Umsetzung von Projekten zur E-Rechnung auftauchen. Im Grunde ist die Umstellung auf die E-Rechnung ein Digitalisierungsprojekt, das i. d. R. alle Fachabteilungen einer Verwaltung / eines Unternehmens tangiert. Seidl: Wie bereit sind Gemein-

Seite 29

Deadline vor der Tür

aus Wirtschaft und Verwaltung umsetzungsnahe Hinweise zur E-Rechnung vermittelt. Zudem ist ein grenzüberschreitendes Best Practice (Deutschland – Frankreich) geplant, welches Die Deadline 18. April 2020 für die E-Rechnung steht vor der Tür. Der Lösungsanbieter TIE Kinetix GmbH beschäftigt sich stark mit der Entwicklung den Leitfaden ergänzen oder in in Deutschland und ist bemüht, für das Thema E-Rechnung zu sensibilisieren. Christian Seidl, Geschäftsführer der TIE Kinetix GmbH, sprach mit einer gesonderten Broschüre Ivo Moszynski, dem Leiter des Forums Elektronische Rechnung Deutschland (FeRD), über die Herausforderungen kurz vor der Umsetzung, den herausgegeben wird. Stand heute und die Ziele aus Sicht eines E-Invoicing-Experten. Das Competence Center Standards, Formate & Integration seine bestehenden Kontakte widmet sich der Erstellung von den und öffentliche Auftraggeber zum Bundesministerium des ZUGFeRD 2.1. Die Veröffentlimit der Umsetzung des E-Rechintensiviert. Ziel einer gestei- chung des Formats ist in deutnungsempfangs Stand heute? gerten Zusammenarbeit ist die scher und englischer Fassung Moszynski: Das lässt sich Förderung und Verbreitung der erfolgt, synchron zur französiE-Rechnung. Im Fokus dieser schen Fassung von Factur-X nicht pauschal beantworten. Einige öffentliche Auftraggeber Kooperation stehen 2020 kom- 1.0.05. Die Zusammenarbeit sind teils schon gut aufgestellt, munikative sowie technische mit den französischen Kollegen ein Großteil ist momentan erst Aspekte. In diesem Zuge gelingt des Forum National de la Facdabei, die nötigen Anpassungen es den beteiligten Parteien, den ture Electronique et des Marin den Prozessen und SysteE-Rechnungs-Gipfel inhaltlich chés Publics Electroniques wird men vorzunehmen. Neben dem gemeinsam zu gestalten und als derzeit nicht nur auf Ebene der Empfang der E-Rechnungen ist starke Partner in Sachen elekt- E-Rechnung ausgebaut und ronische Rechnung aufzutreten. intensiviert. Im April 2020 wervor allem die medienbruchfreie den die Mitglieder des Forums Weiterverarbeitung eingehender Seidl: Welche Themen werden E-Rechnung Deutschland über E-Rechnungen eine Hürde, die umfangreicher Anpassungen wir vom FeRD im Jahr 2020 die Etablierung eines elektronider internen Prozesse bedarf. Christian Seidl (links), Geschäftsführer der TIE Kinetix GmbH, sprach mit dem zum Thema E-Rechnung, E- schen Bestellsystems (OrderE-Rechnungs-Experten Ivo Moszynski über nationalen aber auch internationale Rechnungs-Formate erwarten X) diskutieren und die hierzu Seidl: Sind in den 16 Bun- Entwicklungen. bereits geführten initialen GeFoto Seidl: BS/Tie Kinetix, Foto Moszynski: BS/privat können? desländern Unterschiede in der spräche fortführen. Entwicklung der E-Rechnung möglichst weit zu fassen, um Moszynski: Das Competence Das Competence Center Moszynski: Das FeRD ist die ihren Lieferanten einen er- zentrale Anlaufstelle für sämt- Center Marketing & Kom- Schnittstelle Wirtschaft & Verfestzustellen? leichterten Zugang zur E-Rech- liche Akteure des Marktes und munikation gestaltet derzeit waltung erarbeitet eine ÜberMoszynski: Ja, einige Bundes- nungsstellung zu ermöglichen. behandelt strategische Frage- den Aufbau und die Inhalte sicht, die u. a. die rechtlichen länder haben ihre Regelungen Dazu gehört sicher auch eine stellungen rund um die elektro- der Homepage www.ferd-net. und technischen Regelungen rund um die E-Rechnungsstel- Verpflichtung der Lieferanten, nische Rechnung als Teilprozess de neu. Unter anderem wer- zur Umsetzung der elektronilung im öffentlichen Auftrags- man darf ja nicht vergessen, der Supply Chain. den umfassende allgemeine schen Rechnung in den einzelwesen bereits in länderspezifi- dass die EU-Richtlinie die VerÜbergeordnetes Ziel ist es, die und technische FAQs auf der nen Bundesländern gegenüberschen E-Government-Gesetzen waltung lediglich verpflichtet, E-Rechnung in Deutschland Homepage aufgenommen, die stellt. Die Länder-Steckbriefe und nachgelagerten Umset- E-Rechnungen zu empfangen. und auch grenzüberschreitend die ersten Fragen von Interes- sollen in der ersten Jahreshälfte zungsverordnungen verankert Wenn niemand E-Rechnungen zu fördern. Die E-Rechnung sierten kompetent beantworten. 2020 veröffentlicht werden. Daund veröffentlicht. Andere schickt, dann passiert auch wird in diesem Zuge aus tech- Weiter sind Workshops mit ver- neben ist ein InformationsdoBundesländer arbeiten derzeit nichts. Eine Verpflichtung der nischen, rechtlichen und wirt- schiedenen Adressatengruppen kument zur Leitweg-ID geplant, welches die häufigsten Fragen noch an den Verordnungen.In Lieferanten sorgt dafür, dass die schaftlichen Gesichtspunkten geplant. Bezug auf die Umsetzung der E- Systeme der Verwaltung auch betrachtet. Gemeinsam mit Das Competence Center Ge- zur Leitweg-ID verständlich Rechnung lässt sich feststellen, genutzt werden. den Mitgliedern des Forums schäftsprozesse & Compliance aufbereitet. dass einige Bundesländer ihre ­E -Rechnung Deutschland erarbeitet derzeit einen LeitSeidl: Was sind die aktuellen werden Informationen zur E- faden, der die technischen, Regelungen enger fassen und somit weniger Umsetzungsspiel- Ziele des FeRD und welche Ziele Rechnung neutral aufbereitet rechtlichen und organisatoriWeitere Informationen zur raum für Lieferanten schaffen. setzten Sie sich im Jahr 2020, und über die Netzwerke des schen Anforderungen der E- elektronischen RechnungsstelAndere Bundesländer hingegen um die E-Rechnung voranzu- FeRD zur Verfügung gestellt. Rechnung aufschlüsselt und lung unter www.tiekinetix.com/ Bereits 2019 hat das FeRD anhand von Praxisbeispielen erechnung sind bestrebt, die Regelungen treiben?

Gegenwart und Zukunft der E-Rechnungsstellung in Deutschland

Kommunen werden smarter

Durchbruch bei E-Rechnungsstandards

Weiterhin jedoch Defizite bei kleineren Städten und Gemeinden

Deutsch-französischer Rechnungsverkehr wird erleichtert

(BS/Thomas Petersdorff) Langsam, aber stetig nimmt die digitale Transformation deutscher Städte und Gemeinden Tempo auf: Fast acht von zehn Kommunen befinden sich derzeit entweder in der Strategiekonzeption oder bereits in der -umsetzung, so die Bilanz der aktuellen Kommunalstudie 2019. Die Untersuchung der Initiative Stadt.Land.Digital und der kommunalen Spitzenverbände zeichnet ein detailliertes Bild des aktuellen Stands der digitalen Entwicklung in deutschen Kommunen. Trotz der insgesamt positiven Zahlen sehen die Studienmacher nach wie vor Defizite, zumal bei kleineren Kommunen. Um auch Nachzügler abzuholen, raten sie zur Einführung eines am digitalen Reifegrad orientierten Fünf-Punkte-Plans.

(BS/pet) Deutschland und Frankreich rücken wirtschaftlich und digital noch enger zusammen: Mit der Veröffentlichung von ZUGFeRD 2.1 und Factur-X 1.0 stehen fortan vollständig kompatible und technisch identische Formate für den elektronischen Rechnungsaustausch zur Verfügung. Zugutekommen soll das vor allem der mittelständischen Wirtschaft, der damit der grenzüberschreitende Rechnungsverkehr signifikant erleichtert werden soll.

Zunächst das Positive vorweg: Deutschlands Städte und Gemeinden werden smarter. Im Vergleich zum Jahr 2015 hat sich der Anteil derjenigen Kommunen, die eine Digitalisierungsstrategie beschlossen haben oder sich bereits in der Umsetzungsphase befinden, nahezu verdoppelt. Insbesondere größere Kommunen mit über 20.000 Einwohnern schreiten mit gutem Beispiel voran. Unter ihnen hat bereits fast jede zweite Stadt eine fertige Strategie. Am stärksten ist der Zuwachs in westdeutschen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, BadenWürttemberg und Bayern, die mit umfangreichen Maßnahmen flächendeckende Fortschritte erzielen konnten. Insgesamt klettert der Indexwert deutscher Kommunen im Studien-Ranking seit 2015 um satte 38 Prozent nach oben.

Ein gutes Zeichen für den Standort Deutschland Im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), das die Studie in Auftrag gegeben hatte, stimmen die Ergebnisse positiv. Dessen Beauftragter für die digitale Wirtschaft und Startups, Thomas Jarzombek, sieht Deutschland auf einem guten Weg: “Der Anteil der Kommunen, die an der Konzeption oder Umsetzung von Digitalstrategien arbeiten, ist auf beinahe 80 Prozent gestiegen. Erste Kommunen

bauen bereits Daten-Plattformen auf. Das zeigt: Unsere Kommunen werden smart, viele sind auf dem Weg zur smarten Stadt oder zur smarten Region.” Die Impulse, die von der aktuellen Entwicklung ausgingen, seien ein gutes Zeichen für den Standort Deutschland wie auch für seine wirtschaftliche Schlagkraft. Denn gerade in der aktuellen Situation beweise sich, wie wichtig ausgereifte Digitalportfolios in Kommunen geworden seien. An der Ausweitung des Angebots müsse indes noch weiter gearbeitet werden, so Jarzombek.

Kleinere Kommunen bleiben hinterher Das trifft wohl zumal für kleinere Kommunen zu, die im internen Vergleich nach hinten fallen. In der Kategorie Städte unter 20.000 Einwohnern besitzt laut Studie nicht einmal jede fünfte Kommune eine fertige Digitalisierungsstrategie, nur 14 Prozent sind in der Umsetzungsphase angekommen. Als Ursache geben die Studienmacher mangelnde finanzielle Ressourcen und fehlende Expertise an, nicht aber ausbleibende Einsicht in die Notwendigkeit der Digitalisierung überhaupt. Abhilfe könnten externe Mittel vom Bund oder der EU schaffen, doch fällt der Beantragungsprozess in den Augen vieler Kommunen zu bürokratisch aus, um schnell

die nötigen Gelder zu akquirieren. Für mittelgroße Kommunen legt die Studie allerdings eine Trendwende nahe, wenn man die Ergebnisse um diejenigen Städte und Gemeinden erweitert, die sich derzeit in der Konzeption befinden. Hier liegt der aktuelle Wert bei drei Vierteln aller Kommunen mit einer Größe von maximal 20.000 Einwohnern.

Nachzügler aktivieren – konkrete Mehrwerte aufzeigen Um die Digitalisierung deutscher Kommunen künftig noch zu beschleunigen, raten die Studienmacher zur Einführung eines Fünf-Punkte-Plans. Dieser sieht Bund und Länder in der Pflicht, Nachzügler zu aktivieren, indem konkrete Mehrwerte neuer Technologien aufgezeigt werden, um digitale Champions durch die Umsetzungsphase zu begleiten und Kommunen, die sich noch in der Konzeption befinden, durch Leitfäden oder Online-Baukästen beim initialen Prozess der Strategieentwicklung zu unterstützen. Die größten Potenziale sieht man bei der digitalen Infrastruktur in Form von GAIA-X. Eine erfolgreiche Transformation hänge im Wesentlichen davon ab, inwiefern es gelinge, eine zentrale und sichere Struktur bereitzustellen, auf der Kommunen ihre Daten speichern und verwalten könnten, so das Fazit der Studie.

Ab sofort stehen mit ZUGFeRD 2.1 und Factur-X 1.0 elektronische Lösungen für den grenzüberschreitenden Rechnungsverkehr zwischen Deutschland und Frankreich zu Verfügung. In beiden Fällen handelt es sich um hybride Rechnungsformate, die sich sowohl als PDF- wie auch als XML-Datei auslesen lassen.

Interoperabel und ­rechtskonform Technisch basieren sie auf dem UN/CEFACT Standard “Cross Industry Invoice (CII)” bzw. dem

ISO-Standard PDF/A-3 und entsprechen damit der europäischen Norm zur Gewährleistung von Interoperabilität und Rechtskonformität (EN 16931). Zum Einsatz kommen sollen die neuen Versionen der E-Formate beim Rechnungsaustausch zwischen Unternehmen (B2B) wie auch zwischen Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung (B2G).

Schluss mit der Zettelwirtschaft “Diese erfolgreiche deutschfranzösische Zusammenarbeit

bringt die Digitalisierung in der Wirtschaft weiter voran und macht Schluss mit der Zettelwirtschaft in diesem Bereich. Der neue gemeinsame Standard orientiert sich eng an den Bedürfnissen insbesondere der mittelständischen Wirtschaft und wird den grenzüberschreitenden elektronischen Rechnungsaustausch mit Frankreich stark vereinfachen”, begrüßt Dr. Ulrich Nussbaum, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), den jetzt erzielten Durchbruch.

Neuer CIO in Sachsen-Anhalt Rüdiger Malter folgt auf Michael Richter (BS/pet) Seit Monatsbeginn ist Rüdiger Malter neuer Beauftragter der Landesregierung Sachsen-Anhalts für Informations- und Kommunikationstechnik (CIO). Der Staatssekretär im Ministerium der Finanzen folgt auf Michael Richter, der das Amt des CIOs seit November 2012 innehatte. Seit Juli 2019 ist Rüdiger Malter als Staatssekretär im Ministerium für Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt tätig. Zuvor hatte der studierte Jurist Positionen als Geschäftsführer des Nahverkehrsservices Sachsen-Anhalt sowie als Geschäftsbereichsleiter für Personal, Finanzen, Organisation und Justiziariat im Landesbetrieb Bau inne. Malter übernimmt seine neue Funktion inmitten der CoronaKrise, für digitale Technologien eine Bewährungsprobe. “Jetzt erkennen wir, wie wichtig die Digitalisierung der Verwaltung

– auch digital”, so der neue CIO. Mit dem neuen Amt übernimmt Malter auch die Funktion als Rüdiger Malter ist neuer CIO Vorsitzender des des Landes Sachsen-Anhalt. IT-KooperationsFoto: BS/Ministerium der Finanzen rats in SachsenSachsen-Anhalt Anhalt, in dem die Landesverwaltung gemeinsam mit – und überhaupt in unserer Ge- der kommunalen Familie digisellschaft – ist. Alle müssen sich talen Projekten zum Erfolg verdarauf verlassen können, dass helfen will. Nach außen wird er staatliche Leistungen auch in u. a. das Land im IT-Planungsrat Ausnahmezeiten funktionieren vertreten.


Informationstechnologie

Seite 30

I

nsgesamt 750 Millionen Euro will die Bundesregierung im Rahmen des Förderprogramms “Modellprojekte Smart Cities” für den Ausbau der intelligenten Stadt bereitstellen. Über vier Staffeln verteilt sollen derart rund 50 Projekte zur digitalen Transformation deutscher Kommunen beitragen. Strategischer Hebel des Programms ist die Replizierbarkeit des gewonnenen Wissens, mit anderen Worten der Transfer in die Breite. Es ginge ausdrücklich nicht darum, isoliert zu fördern, bekräftigte das BMI nun noch einmal anlässlich der in Kürze ablaufenden Bewerbungsphase für Staffel zwei, die unter dem Motto “Gemeinwohl und Netzwerkstadt/Stadtnetzwerk” stehen wird. Schon in der Auftaktphase des Programms im vergangenen Jahr wurde daher in insgesamt vier Kategorien gefördert. Um die kommunalen Größenverhältnisse in der Republik abzubilden, wurden neben Groß- und mittleren Städten auch interkommunale Kooperationen sowie Kleinstädte und Landkreise ins Förderregister mit aufgenommen. Zu letzteren zählt auch das mecklenburgische Grevesmühlen.

Vom Leuchtturm in die Fläche? Digitale Förderprogramme zwischen Anspruch und Wirklichkeit (BS/pet) Es mehren sich die Indikatoren, dass Deutschland im digitalen Wettrennen auf die hinteren Ränge zurückzufallen droht. Dass der Ruf nach mehr politischer Rückendeckung bis zu den verantwortlichen Akteuren von Bund und Ländern mittlerweile durchgedrungen ist, lässt sich an den zahlreichen Förderprogrammen ablesen, die in der Zwischenzeit verabschiedet wurden. Eines von ihnen: das gemeinsam vom Bundesinnenministerium (BMI) und der KfW ausgerollte “Modellprojekte Smart Cities”. Noch bis zum 20. April läuft die Bewerbungsphase für die zweite Förderstaffel. Doch ist das Programm nicht unumstritten. Schon 2019, nach Bekanntgabe der Auftaktprojekte, meldete sich Kritik. Neben mangelnder Transparenz wurde beklagt, dass unter den designierten 13 Kommunen keine einzige Metropole vertreten sei. Dabei ist das erklärte Ziel der Wissenstransfer in die Breite. Auch ein Blick in die Projektskizzen weckt Zweifel, ob nicht gar am eigentlichen Ziel vorbeigefördert wird.

Förderung fernab der Ballungszentren Unweit der Ostsee gelegen, hat die Kleinstadt Grevesmühlen mit rund 10.000 Einwohnern ähnlich gelagerte Probleme wie viele andere Kommunen des ländlichen Raums auch: Demografische Verschiebungen treffen auf einen im Abschwung befindlichen Facheinzelhandel, der nicht mehr mit den Online-Riesen des Internetzeitalters mithalten kann; bessere Bildungs- und Arbeitsbedingungen ziehen die junge Generation vermehrt in die Großstädte, wo letztlich günstigere Zukunftsaussichten winken. Dahingehend steht hinter der Finanzspritze, die Grevesmühlen nun durch das BMI erhält, sicherlich auch ein strukturpolitisches Kalkül. An digitaler Front konnte die nord-

D

er Großteil der 11.000 Kommunen versucht sich daran, das digitale Rad neu zu erfinden, jede Stadt werkelt an eigenen Digitalisierungsstrategien und Smart-City-Konzepten – Abstimmung: Fehlanzeige. Das föderale Klein-Klein ist bei Digitalprojekten zum Scheitern verurteilt. Eine Lösung liegt auf der Hand: Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ). Kommunen sollten insbesondere bei Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Klimaschutz und demografischem Wandel mit ihren Nachbarkommunen zusammenarbeiten. Das stärkt die Leistungsfähigkeit, macht sie fit für den Wettbewerb und spart Kosten und Personal. Zuletzt hat das Onlinezugangsgesetz die föderalen Kooperationen in Schwung gebracht. Jetzt in Krisenzeiten sollten wir alles da­ ransetzen, die Zusammenarbeit der Kommunen weiter zu fördern und langfristig einen schnellen Austausch von Best Practices zu ermöglichen.

Hauptrolle bei kommunaler Daseinsvorsorge In diesen Zeiten werden wir Zeuge, wie unabdingbar die kommunale Daseinsvorsorge ist und welche Hauptrolle die Digitalisierung dabei spielt. Verwaltungen können sich mit Stadtwerken, Unternehmen aus der Region sowie bürgernahen Organisationen zusammentun und gemeinsam an digitalen Lösungen für reale Probleme arbeiten. Um die Zusammenarbeit zu fördern, müssen klare Anreizstrukturen geschaffen werden: neue digitale Services, Kosteneinsparungen, kein Streit mehr um Fachkräfte. Ja, der Organisationsaufwand mag zunächst höher sein, hier

Behörden Spiegel / April 2020

Die Modellprojekte sollen replizierbares Wissen für die Entwicklung der smarten Stadt gewinnen, doch ist der Weg vom Leuchtturm zurück in die Fläche nicht immer gegeben. Foto: BS/MemoryCatcher, pixabay.com

deutsche Kleinstadt durch eine im Mai letzten Jahres beschlossene Roadmap überzeugen. Diese setzt ihre Schwerpunkte an denkbar unterschiedlichen Stellen. So findet man neben der Installation eines flächendeckenden WLAN-Netzwerks oder der Einführung einer Parkplatz-App auch den Ausbau des stadteigenen Online-Portals “Grevesmühlen erleben”. Auf dem Weg in Richtung Smart City fährt Grevesmühlen eine integrative Strategie, die sich zum Ziel genommen hat, die Potenziale

des digitalen Wandels bürgerfreundlich und wirtschaftsnah nutzbar zu machen.

Sind Leuchttürme der richtige Ansatz? Die Wahl Grevesmühlens macht deutlich, dass auch bei der Smart-City-Förderung die digitale Daseinsvorsorge ganz oben auf der Agenda steht. Verwunderlich ist das nicht, immerhin lässt sich die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse auf dem Land wie auch in der Stadt “ohne digital” nur schwerlich realisieren.

Aktuelle Zahlen zeigen indessen, dass in Grevesmühlen gerade einmal 53 Prozent aller Haushalte über einen Netzanschluss mit einer Geschwindigkeit von 30 Mbit/s verfügen. Auch die Entwicklung einer Parkplatz-App mag sich auf dem Papier “smart” ausnehmen, scheint aber für eine Kommune, die seit über zehn Jahren mit einem schleichenden Bevölkerungsrückgang zu kämpfen hat, wohl eher zweitrangig zu sein. Zwar wurde die Entwicklung laut Roadmap inzwischen zugunsten anderer Projekte zu-

rückgestellt, doch zeigt sich hier etwas Grundlegenderes: Für sich genommen mag die Idee einer digitalen Lösung zur Steuerung des örtlichen Nahverkehrs ein vielversprechender Ansatz sein. Falsch gesetzt ist demgegenüber der Rahmen für seine Implementierung. Denn: So vielen Problemen der ländliche Raum aktuell auch gegenübersteht – Mobilität ist eher eine Herausforderung für größere Städte. Doch von diesen ist unter den 13 designierten Modellprojekten nicht eine einzige vertreten. Das provoziert die Frage, ob der bisherige Weg, über Leuchtturmprojekte zu fördern, überhaupt dem geforderten Wissens- und Erfahrungsaustausch in der Breite gerecht werden kann, zumal nicht einmal die gesamte Breite der kommunalen Landschaft Deutschlands in den Modellprojekten abgebildet wird. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen (Drucksache 19/15970), in der vor allem die Transparenz der Auswahlkriterien und Standards bei der Auszeichnung der Modellprojekte als “ausbaufähig” bezeichnet wird, äußert sich die Bundesregierung wie folgt: “Ziel des Verfahrens war, ein Bündel von Modellprojekten auszuwählen, das vielfältige Lernbeispiele ermöglicht, um möglichst schnell Erkenntnisse für Vergleichsgruppen zu generieren. Wesentlich dafür war ein Beitrag zu einer repräsentativen stadtentwicklungspolitischen Herausforderung der gesamten Breite der kommunalen Landschaft Deutschlands.”

Lehren aus der Corona-Pandemie Interkommunale Zusammenarbeit kann langfristig helfen (BS/Michael Pfefferle) In der Prioritätenliste der Rathäuser ist die Digitalisierung langsam vorgerückt, bis die Zeichen in fast allen Kommunen auf digital standen. Immer mehr deutsche Städte und Gemeinden entwickelten Strategien, etablierten Stabsstellen oder gründeten kommunale Agenturen, um die Digitalisierung aktiv zu gestalten. In Zeiten der Corona-Pandemie merken wir aber, dass wir sehr spät und zu langsam ins digitale Zeitalter gestartet sind. Das öffentliche Leben wurde in den vergangenen Wochen in kürzester Zeit heruntergefahren und so manche Kommune scheint in eine Schockstarre zu verfallen. Das Corona-Virus legt offen, wo es bei der Digitalisierung in Deutschland zwickt und hakt – vor allem im ländlichen Raum, wo sich finanzielle und personelle Sorgen treffen. und da fallen Kosten an – doch die Kommunen und ihre Bürger profitieren auf lange Sicht. Bei allen Kooperationen sollte daher der Nutzen für Kommunen, Wirtschaft und Bürger im Vordergrund stehen: Wissens­ transfer, eine höhere Servicequalität und geteilte Lösungen in der Beschaffung, bei IT und Datenplattformen. Bislang werden Synergieeffekte zu wenig genutzt und es fehlen Kollaborationsräume, um einen Austausch zwischen Bürgermeistern oder Verwaltungsleitungen zu ermöglichen. Die Politik ist gefordert, die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Verwaltungsebenen zu verbessern, etwa was den Austausch und die Kommunikation zwischen den Gesundheitsämtern der Kommunen und der Landkreise betrifft. Es kann nicht sein, dass Gesundheitsdaten aufgrund fehlender Schnittstellen händisch in Excel-Tabellen zusammengeführt werden. Damit geht nicht nur wertvolle Zeit verloren, es passieren auch Fehler. Dem Robert-Koch-Institut fehlten Corona-Infektionsdaten, weil die behördliche Meldekette von den Laboren über die Gesundheitsämter bis zum RKI unregelmäßig und lückenhaft war. In der Regel werden sie per Fax geschickt. Das kann nicht Status

antwortung auf und sich damit potenziell hoLandkreisebene hen Sicherheitsrisiken aussetzt. helfen, die ge- Unternehmen bieten etabliertrennten Geister te Cloud-Anwendungen und zu einen, Vernet- Datenplattformen an, die den zung zu schaffen deutschen und europäischen DaMichael Pfefferle ist SmartCity & Smart-Region-Experte und alle Kommu- tenschutz- und Sicherheitsanforim Bitkom. nen rasch und derungen entsprechen, und uneinfach mitzu- terhalten europaweit dezen­trale Foto: BS/Bitkom nehmen. Neben Zentren zur Cyber-Sicherheit. dem politischen So können gemeinsame PlattWillen braucht es formen die IKZ der Städte und auch aufseiten der Gemeinden ermöglichen – etwa quo sein, wenn es um Daten Digitalbranche einfache Lösun- bei der zeitnahen Umsetzung des geht, die Menschenleben retten gen und geringe Hürden, damit Onlinezugangsgesetzes. Insbekönnen und für die Forschung IT-Projekte rasch umgesetzt wer- sondere in strukturschwachen den können. Räumen ist Kollaboration zuunabdingbar sind. Viele Kommunen und Bun- künftig von großer Bedeutung. Große Überforderung mit der desländer haben bereits gute Kleine Kommunen können sich digitalen Transformation Erfahrungen damit gemacht, so gegenseitig durch Shared SerDer Ruf in den Kommunen nach wenn IT-Strukturen gemeinsam vices entlasten. In BallungszenTechnologieunterstützung wird genutzt werden. Es ist nicht er- tren sind Kommunen wiederum lauter – doch die Überforderung forderlich, dass jede Kommune auf gegenseitige Informationen, mit der digitalen Transformation für sich eigene Server aufbaut etwa im Bereich Mobilität, anist groß. Damit die IKZ gelingt, müssen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um den Organisationsaufwand abzufedern, oder eigens Die interkommunale Zusammenarbeit wird auch eines Organisationen für die Koopeder zentralen Themen der ration gegründet werden. Die “Smart Country Convention” Angst vieler Bürgermeister, zum sein, die der Bitkom und die einen Kontrolle und zum anderen Messe Berlin vom 27.–29. Kompetenzen zu verlieren, muss Oktober 2020 im CityCube ernst genommen, aber kann zuBerlin veranstalten. gleich entkräftet werden, denn Der Behörden Spiegel ist Partner dieser Veranstaltung. die kommunale Selbstverwaltung Weitere Informationen unter: www.smartcountry.berlin wird nicht aufgegeben. Dennoch kann eine klare Führungsver-

Smart Country Convention

Kritiker werden Aussagen wie diese wohl kaum beschwichtigen. Denn letzten Endes bleibt die Regierung eine Antwort schuldig, warum Fördermittel in Projekte fließen, bei denen die digitale Infrastruktur noch im Ausbau ist, wohingegen Städte mit einer Größenordnung von 300.000 Einwohnern und mehr gar nicht berücksichtigt werden, obschon hier die Voraussetzungen für die Smart City – vorsichtig formuliert – weiter gediehen sind.

Anpassung der Förderstrukturen Freilich ist die ökonomische Fallhöhe in Kleinstädten und Landgemeinden weitaus geringer als in der Metropole. Auch wird wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass die digitale Aufwertung des ländlichen Raumes eine strukturpolitische Maßnahme ersten Ranges ist, um kleinere Kommunen und kommunale Verbände auch im Zeitalter des technologischen Wandels lebenswert zu erhalten. Trotzdem muss sich das Programm die Frage gefallen lassen, ob bei den bisherigen Entscheidungen richtig priorisiert wurde. Das gilt umso mehr, da doch die Nachnutzbarkeit der zu entwickelnden Lösungen im Vordergrund steht. Und das funktioniert nun mal nicht ohne Einschluss der Metropolen, zumal dort noch mögliche Synergieeffekte schlummern, die durch eine Kombination mit bereits gestarteten Digitalisierungsinitiativen auf Landes- oder Bundesebene freigesetzt werden könnten. Man denke beispielsweise an die vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) eingerichteten digitalen Hubs in Städten wie Hamburg, München oder Berlin. In jedem Fall bedarf es einer Anpassung der etablierten Förderstrukturen und einer gezielteren Koordination der einzelnen Programme. Doch vielleicht kündigt sich im Motto der zweiten Staffel an, dass entsprechende Kurskorrekturen hinter den Kulissen bereits angestimmt wurden.

gewiesen. Eine Voraussetzung dafür: gemeinsame Smart-CityRegion-Datenplattformen und IT-Strukturen. So können ITProjekte schneller, effizienter und kostensparender umgesetzt werden. Nebenbei kann aber auch dem Fachkräftemangel auf diesem Weg die Stirn geboten werden. Kommunen stehen bei der Anwerbung von wichtigem Fachpersonal nicht mehr in Konkurrenz zueinander, wenn sie zusammenarbeiten.

Digitales Mindset benötigt Wir brauchen ein digitales Mindset. Aktionismus ist ein Teil davon: Liebe Bürgermeister, rufen Sie heute noch ihre Nachbarkommune an und teilen Sie, was Ihre Verwaltung braucht und was Sie bieten. Suchen Sie den Austausch! Noch applaudieren wir bei jedem Wettbewerb um Smart Cities und Smart Regions, aber das große Ganze dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Vielleicht ist es an der Zeit, statt einzelner gelungener Konzepte lieber gelungene Kooperationen auszuzeichnen. Nach der Krise werden wir kritisch evaluieren müssen, wo die föderale Zusammenarbeit bei der Digitalisierung ausgebaut werden muss. Zugegeben: Dieser Ausnahmezustand wird nicht ad hoc und allein durch Digitalisierung und Kooperationen gelöst werden. Aber ich bin überzeugt, dass die Krise für interkommunale Zusammenarbeit langfristig ein Katalysator sein wird. Die ersten Schritte zur intelligenten Vernetzung des öffentlichen Raums sind viele Kommunen allein gegangen, die nächsten Schritte werden sie hoffentlich gemeinsam gehen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / April 2020

ThemenRadar 2020

D

Besonders relevant für den Arbeitsalltag der öffentlichen Verwaltung heute und in fünf Jahren sind aus Verwaltungssicht die Themen IT-Sicherheit, E-Akte, neue Arbeitsformen, Prozessdesign und -optimierung sowie Digitalstrategien, sogenannte Langläufer-Themen. Die Nachhaltigkeit der Digitalisierung, Verfahrensautomatisierung, digitale Verwaltungszugänge, Datenmanagement und -strategien gewinnen derzeit jedoch deutlich an Relevanz (Durchstarter). Künstliche Intelligenz, Cloud, eID, Digitalisierung in der örtlichen Gemeinschaft, E-Zustellung und digitale Souveränität spielen zwar im Arbeitsalltag der Verwaltung noch eine untergeordnete Rolle, werden sich voraussichtlich jedoch sehr schnell weiterentwickeln (Zukunftsoptionen). In der Einschätzung gibt es deutliche Unterschiede zwischen Verwaltungsmitarbeitenden und Verwaltungsexternen. Verwaltungsexterne bewerten die heu-

I

n Deutschland wird aktuell das Für und Wider einer Auswertung von Smartphone-Bewegungsdaten durch die Behörden diskutiert. Dass sich damit die Ausbreitung von Corona eindämmen ließe, hat sich international bereits erwiesen. Dem steht eine sorgfältige Abwägung hinsichtlich des Bürgerrechts auf Datenschutz gegenüber. Generell gilt: Daten können einen in höchstem Maße zielgerichteten und auch effizienteren Einsatz von Ressourcen, Maßnahmen, Produktionsmitteln und Personal ermöglichen. Mit der Entwicklung Künstlicher Intelligenz steigt der Bedarf an Daten und mit der Durchsetzung des Internet of Things nimmt die Fülle vorhandener Daten weiter stark zu. Die EU geht von einem Wachstum weltweit gespeicherter Daten um den Faktor fünf auf rund 175 Zettabyte bis zum Jahr 2025 aus. Schon lange werden Daten erhoben und Handlungen daraus abgeleitet. Neu sind Menge und Präzision der Daten in Verbindung mit massiven Ungleichheiten hinsichtlich Datenbesitz und -zugriff sowie der Möglichkeiten ihrer automatisierten Auswertung. Europa scheint von der Entwicklung abgehängt. Eine von europäischen Werten geleitete Lösung wäre die Besinnung auf das Recht, in Demokratien aus Daten Nutzen für die gesamte Gesellschaft zu erzeugen, also eine Besinnung auf Datendemokratie als gemeinsames Verständnis. Datendemokratie kann ein langfristig erfolgreiches Modell werden, wenn die Gesellschaft eingebunden ist und den Ansatz integrativ und mit Engagement voranbringt. Den Bedarf, Regeln zu setzen (beispielsweise zum Datenschutz)

(BS/Nicole Opiela*) Bei der Digitalisierung verkürzt sich die Dauer von der Entstehung einer neuen Technologie bis zu ihrer Adaption in weiten Teilen der Bevölkerung. Hier nicht den Anschluss zu verlieren und relevante Digitaltrends zu erkennen und sich frühzeitig mit ihnen auseinanderzusetzen, wird daher auch für die öffentliche Verwaltung immer wichtiger. Welche Digitaltrends beeinflussen bereits heute die Arbeit der Verwaltung, welche Veränderungen zeichnen sich für die Zukunft ab? Das ThemenRadar von Behörden Spiegel, Fraunhofer FOKUS und seinem Kompetenzzentrum Öffentliche IT gibt Aufschluss.

Technologietrends treffen auf Skepsis Technologietrends wie dem Internet der Dinge oder Blockchain, aber auch der Zusammenarbeit mit Start-ups werden nur eine sehr geringe Bedeutung für das Verwaltungshandeln heute und in Zukunft beigemessen. In dieser Hinsicht sind sich Verwaltung und Verwaltungsexterne weitgehend einig. Dabei schätzen auch hier Verwaltungsexterne die genannten Trends als wesentlich bedeutsamer ein als die Verwaltung selbst. Die größten Chancen sehen die Beschäftigten aus der Verwaltung bei den Klassikern E-Akte, Prozessdesign und -optimierung sowie Digitalisierungsstrategien.

5

deutlich wichtiger

tige und künftige Bedeutung der Trends für den Arbeitsalltag der öffentlichen Verwaltung zumeist höher. Die größten Unterschiede zeigen sich bei der Bedeutung, die Verwaltungsvertreter/-innen und Verwaltungsexterne der Zusammenarbeit mit Start-ups, der eID, digitaler Souveränität und den Technologietrends Blockchain und Künstliche Intelligenz beimessen. Befragungsteilnehmende, die nicht aus der Verwaltung kommen, halten diese Themen für deutlich wichtiger als Verwaltungsmitarbeitende und sehen hier auch deutlich mehr Chancen. Umgekehrt verhält es sich beim Trendthema neue Arbeitsformen, das von Beschäftigten öffentlicher Einrichtungen als wesentlich bedeutsamer und chancenreicher eingeschätzt wird.

Ve rä nde rung de r Be de utung in den nä chste n 5 Jahren

Automatisierung und Datenmanagement starten durch

Welche Digitaltrends prägen die Verwaltung der Zukunft?

Bewertung der heutigen und künftigen Trendbedeutung durch die Verwaltung IT-Sicherheit Neue Arbeitsformen E-Ak kte E-Akte gien Digitalstrategien Verfahrensautomatisierung Prozessdesign g und -optimierung OZG-Umsetzung

4

Digitale Verwaltungszugänge

3

Nachhaltigkeit der Digitalisierung eID

Künstliche Int telligenz Intelligenz

Cloud E-Zuste ellung E-Zustellung

Digitale Sou Souveränität o ve v

Datenmanagement und -strategien E-Rechnung

IT-Konsolidierung Dienstleistungsinnovationen Ört tliche Gemeinschaft Örtliche

2

Open Data

Internet der Dinge

1

weder noch

ie Debatte um die digitale Transformation von Staat und Gesellschaft wird vielfach von Hype-Themen dominiert, die in ihren langfristigen Auswirkungen überschätzt werden. Ungeachtet dieses Grundrauschens gilt es, die für die öffentliche Verwaltung relevanten digitalen Trendthemen nicht zu übersehen und frühzeitig Kompetenzen aufzubauen. In einer Online-Befragung im Vorfeld des Digitalen Staats 2020 wurden Kongressteilnehmende aus Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung, Wirtschaft, Forschung, Politik und Zivilgesellschaft zur derzeitigen und künftigen Relevanz von 23 Digitaltrends für die Arbeit der öffent­lichen Verwaltung befragt. Die Ergebnisse dieses ThemenRadars leisten einen Beitrag zu einer substanziellen Bestandsaufnahme der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland.

Seite 31

0

Blockchain Zusammenarbeit mit Start-ups

0keine Bedeutung

1

2

Zukunftsoptionen

3

4 5 im Arbeitsalltag6 Aktuelle Bedeutung

7

Durchstarter

8

überragende Bedeutung10 9

Langläufer

Die Themen werden sich voraussichtlich sehr schnell weiterentwickeln.

Diese Themen sind auf dem Sprung zu einer breiteren Relevanz.

Themen, deren enorme Bedeutung bis 2025 fortdauert.

- Künstliche Intelligenz - E-Zustellung - eID - Cloud - Digitalisierung in der - Digitale Souveränität 1 örtlichen | 23.03.2020 | Geschäftsbereich Digital Public Services Gemeinschaft

- Nachhaltigkeit der Digitalisierung - Verfahrensautomatisierung - Digitale Verwaltungszugänge - Datenmanagement und -strategien

- IT-Sicherheit - E-Akte - Neue Arbeitsformen - Digitalstrategien - Prozessdesign und -optimierung

Grafik: BS/Fraunhofer FOKUS

Die geringsten Chancen sehen alle drei Verwaltungsebenen bei den Themen Blockchain, Zusammenarbeit mit Start-ups und – insbesondere Vertreter/innen des Bundes – bei CloudTechnologien. Dies korreliert mit den großen Chancen, die der Bund dem Thema digitale Souveränität beimisst. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Befragten keine Chancen in diesen Bereichen sehen. Es werden jedoch auch Risiken gesehen, die in der Gesamtbewertung die ChancenRisiko-Relation weniger positiv ausfallen lassen als bei anderen Trendthemen. Die Kommunen bewerten das Chancen-RisikoVerhältnis der Trends insgesamt

am positivsten, der Bund bildet das Schlusslicht. Besonders bei den kommunalen Themen Digitalisierung der örtlichen Gemeinschaft, Zusammenarbeit mit Start-ups, Umsetzung des OZG und Internet der Dinge sehen die Kommunen höhere Chancen als Vertreter/-innen von Bund und Ländern.

Der Bund sieht sich gut gerüstet Im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit den Themen ist die Verwaltung durchweg – mit Ausnahme der Zusammenarbeit mit Start-ups – davon überzeugt, dass sie dies bereits intensiver tut, als es von Verwaltungsex-

ternen wahrgenommen wird. Besonders groß ist die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung bei neuen Arbeitsformen, Prozessdesign und -optimierung, IT-Sicherheit, E-Akte und Digitalstrategien. Die Bewertung der Trends unterscheidet sich zudem zwischen den Verwaltungsebenen. So halten Beschäftigte des Bundes das Thema Künstliche Intelligenz aktuell für sehr viel wichtiger als Beschäftigte aus Ländern und Kommunen. Kommunen legen hingegen ein deutlich größeres Gewicht auf die Digitalisierung der örtlichen Gemeinschaft, die Umsetzung des OZG, die Nachhaltigkeit der Digitalisierung,

Datendemokratie macht Lust auf Zukunft Viele Kommunen machen Daten bereits für das Gemeinwesen nutzbar (BS/Jürgen Fritsche) Datendemokratie soll – aufbauend auf europäischen Werten und einem europäischen Demokratieverständnis – die Potenziale vorhandener Daten für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung heben. Eine Datendemokratie zu schaffen und zu fördern, ist daher eine, bisher vernachlässigte, wesentliche und wichtige Aufgabe für Politik und Zivilgesellschaft. in der CoronaKrise – oder vor weniger als einem Jahr bei der Einführung von ERollern: Alle Roller sind zwecks Auffindbarkeit und Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung Public Sector bei msg Abrechnung mit GPS ausgestatFoto: BS/msg tet. Wer sie mietet, akzeptiert mit den und zugleich die Nutzung von Geschäftsbedingungen – in der Daten in und für Europa zu trei- Regel ohne nachzudenken – die ben, hat die Politik erkannt und Verwertung dieser Daten durch adressiert. Kürzlich hat die EU- den Anbieter. Die Kommune, die Kommission ihre Datenstrategie dem Anbieter die Genehmigung veröffentlicht. Nach der Verab- erteilt hat, hat keine Rechte darschiedung der KI-Strategie im an. Um an dieser Situation etwas vergangenen Jahr liegen nun seit zu ändern, müsste der AutomaNovember die Eckpunkte einer tismus, mit dem die Daten dem Datenstrategie der Bundesregie- Unternehmen zufallen, das sie rung vor, die Online-Konsultation erhebt, gebrochen werden. Darülief bis Anfang April. Die Strate- ber hinaus wäre eine gesetzliche gien enthalten eine Reihe von Regelung erforderlich, die dem Ansätzen für den Aufbau einer Staat bzw. seinen Bewohnern Datendemokratie. Die Daten- Nutzungsrechte für die im öffentstrategie der Bundesregierung lichen Raum erhobenen Daten will sogar die Verwaltung zum sichert – und zwar von Beginn Vorreiter machen. Und in der an und in Echtzeit. Tat könnte die Bereitstellung von offenen Daten aus der und Smart Cities gehen voran durch die Verwaltung Impulse Beispiele für Datendemokrasetzen und Geschäftsmodelle tie entstehen bereits auf komentstehen lassen. Zugleich kann munaler Ebene. Smart Cities die Verwaltung selbst von einem sammeln Daten und machen zeitgemäßen Zugang zu und einer sie für das Gemeinwesen nutzneuen Qualität in der Auswer- bar. Die Integration intelligenter tung von Daten profitieren, sie Sensoren kann viele städtische würde effektiver und effizienter. Leistungen verbessern, von der Der Kreativität sind keine Gren- Verkehrssteuerung bis zur Pflege zen gesetzt, vieles wird aber von Grünanlagen. Im besten Falle schlicht versäumt. So wie jetzt bleiben die gesammelten Daten

in öffentlicher Hand und stehen ihre Einwohner entscheiden Bürgerinnen und Bürgern, Insti- über die Nutzungsmodalitäten tutionen und Unternehmen als ­(https://hub.beesmart.city/ci ty-portraits/smart-city-portrait“offene Daten” zur Verfügung. Die Stadt Barcelona, ein Vor- barcelona). Der “Boston City Score” ermitreiter in Sachen Smart City, optimiert die Routen der Müll- telt einen Leistungs-Index der abfuhr an dem Bedarf, also den Stadtgesellschaft und zeigt die vollen Tonnen. Die erforderliche Handlungsbedarfe auf (https:// Infrastruktur und die Daten ge- www.boston.gov/innovationhören der Stadt. Stadt, Bürger, and-technology/cityscore). In Unternehmen und andere kön- Hamburg sind Karten und Geonen sie nutzen, die Stadt und daten Grundlage für das digitale

Cloud-Lösungen und das Internet der Dinge. Auffallend ist, dass die Länder die Trends für ihren Arbeitsalltag grundsätzlich für weniger relevant erachten als Bund und Kommunen. Ausnahmen sind Datenmanagement und -strategien und digitale Souveränität, die auf Landesebene für deutlich wichtiger gehalten werden als auf den anderen Verwaltungsebenen – und das, obwohl die Länder sich nach eigenen Angaben bisher wenig mit diesen Themen beschäftigen. Im Vergleich zur aktuellen Bedeutung setzt sich der Bund bereits sehr intensiv mit vielen der Trends auseinander. Insbesondere im Bereich der Technologietrends Künstliche Intelligenz, Blockchain, Cloud und bei der E-Rechnung wurden bereits Kompetenzen aufgebaut. Die Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz, Verfahrensautomatisierung und ITKonsolidierung ist auf Bundesebene am höchsten. Von allen Verwaltungsebenen setzen sich die Länder am wenigsten intensiv mit den Trendthemen wie bspw. E-Akte, OZG-Umsetzung, eID und Verfahrensautomatisierung auseinander und sehen sich auch am wenigsten gut aufgestellt. Besonders bei den Themen Datenmanagement und -strategien und digitaler Souveränität, die von den Ländern als strategisch wichtig eingeschätzt werden, ist ein deutlicher Nachholbedarf erkennbar. Die Kommunen setzen sich intensiver als Bund und Länder mit der Nachhaltigkeit der Digitalisierung und der Digitalisierung der örtlichen Gemeinschaft auseinander. Die ausführliche Auswertung zum kostenlosen Download: http://daten.behoerdenspiegel.eu/ ThemenRadar_final.pdf *Nicole Opiela ist stellvertretende Leiterin des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer FOKUS.

Partizipationssystem des Stadtstaats, über das Bürgerinnen und Bürger fundierte Aussagen zu Planungsvorhaben beitragen können (https://www.hamburg. de/dipas). Die Politik profitiert von den erhobenen Daten, weil evidenzbasierte, gute Entscheidungen die Akzeptanz verbessern, Transparenz und Beteiligung Vertrauen schaffen. Kurz: Daten können die Demokratie und das Gemeinwesen stärken. Und was bedeutet es für die Wirtschaft, wenn Daten allen zur Verfügung stehen? Dann liegt das Geschäftsmodell nicht mehr in der Datenvermarktung, sondern in dem Wissen, das aus ihnen gewonnen wird.


Informationstechnologie

Seite 32

B

ehörden Spiegel: Wie können Umweltdaten zukünftig noch besser genutzt werden? Wimmer: Umweltdaten können nicht nur der Bundesregierung als Entscheidungsgrundlage für eigene Vorhaben dienen, sondern auch Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern. Die Daten können dabei im Sinne eines Monitorings genutzt werden, um einen Überblick zu erhalten, was gerade in dem jeweiligen Bereich passiert. Sie können andererseits auch als Basis für weitere umweltpolitische Maßnahmen dienen. Auch wenn man an den Einsatz Künstlicher Intelligenz denkt, sind Daten die elementare Grundlage. Wir haben gerade hierzu im vergangenen Jahr ein Förderprogramm in Höhe von 27 Millionen Euro aufgesetzt, um den KI-Einsatz im Umweltbereich weiter voranzutreiben. Behörden Spiegel: Umweltdaten liegen nicht nur beim Bund, sondern insbesondere auch bei Ländern, Kommunen, der Wirtschaft etc. Wie kann man auch diese Daten einbinden? Wimmer: Wir wollen hierzu ein Umwelt- und Naturschutzinformationssystem (Projekttitel: UNIS-D) schaffen. Im Projekt-

Technologie umweltverträglich nutzen Digitalisierung darf nicht zum Brandbeschleuniger des Klimawandels werden (BS) Anfang März stellte Bundesumweltministerin Svenja Schulze die Umweltpolitische Digitalagenda ihres Hauses vor. Deren Ziel ist es, die Digitalisierung einerseits in umweltverträgliche Bahnen zu lenken und andererseits die Chancen der Digitalisierung für den Umweltschutz zu nutzen. Über die bessere Nutzung von Umweltdaten, Green IT und den Einsatz von KI- und Blockchain-Technologie sprach der Behörden Spiegel mit Martin Wimmer, dem IT-Beauftragten und Chief Digital Officer (CDO) im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Das Interview führte Guido Gehrt. beirat, der die Erstellung der Machbarkeitsstudie begleiten wird, sitzen Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen unter der Leitung des Umweltbundesamtes an einem Tisch. Im Rahmen dieser Gespräche zu den fachlichen, rechtlichen, technischen Rahmenbedingungen einer Umweltdaten-Cloud wird es dann auch um die Einbindung der nicht staatlichen Daten gehen. Behörden Spiegel: Ein Thema, welches das BMU schon lange vorantreibt, ist Green IT. Inwieweit haben sich die Rahmenbedingungen hier geändert? Wimmer: Hier muss man zweierlei unterscheiden. Einerseits gibt es die Initiative Green IT des Bundes tatsächlich bereits seit 2008. Hier konnte im Bereich des Bundes der Energieverbrauch gegenüber 2008 um fast 60 Pro-

Rechtliche und technische Hürden Ein Hinderungsgrund für Homeoffice im Öffentlichen Dienst ist der Datenschutz, der es in vielen

zent verringert werden. Im IT-Rat wurden nun neue Ziele definiert und beschlossen, wonach bis 2024 der Energieverbrauch jedes Jahr um weitere zwei Prozent reduziert werden soll. Hier ist die IT des Bundes also bereits gut aufgestellt, mit einem starken Maßnahmenpaket, das auch Wirkung zeigt. Andererseits richtet sich Green IT aber natürlich auch nach außen, an IT-Dienstleister, Betreiber von Rechenzentren usw. Hier wurde bereits in der Vergangenheit der Blaue Engel für Rechenzentren entwickelt. Aktuell arbeitet die Bundesregierung an einem weiteren Blauen Engel speziell für die Rechenzentren, die im Cloud-Betrieb laufen. Wir arbeiten zudem an einem Blauen Engel für Software, denn auch die macht einen Riesenunterschied bei einer effizienteren Energienutzung der Endgeräte.

Martin Wimmer ist seit April 2019 ITBeauftragter und Chief Digital Officer (CDO) im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Foto: BS/BMU

Behörden Spiegel: Inwieweit spielt dies bei Ausschreibungen dann auch eine Rolle? Wimmer: Natürlich ist der Nachhaltigkeitsaspekt bereits heute in der Beschaffung entsprechend geregelt. In den Architektur- oder Beschaffungsrichtlinien sind Nachhaltigkeitsziele längst verankert. Vor diesem Hintergrund

ist die IT-Konsolidierung und die Tatsache, dass es künftig mit dem ITZBund nur noch einen Generalunternehmer für die IT des Bundes geben soll, aus Sicht des BMU natürlich sehr unterstützenswert. Nachhaltigkeitsziele lassen sich im konsolidierten Betrieb, insbesondere auch mit Blick auf die Beschaffung, einfacher umsetzen und besser kontrollieren. Behörden Spiegel: Die IT-Konsolidierung ist also auch unter Nachhaltigkeitsaspekten zu begrüßen? Wimmer: Absolut. Wir haben diesen Beschluss aktiv unterstützt und sehen in der Betriebskonsolidierung große Vorteile. Behörden Spiegel: Wie blickt man im BMU auf den Einsatz innovativer Technologien wie KI- oder Blockchain-Technologie?

Nur ein frommer Wunsch?

N

atürlich gibt es Gruppen im Öffentlichen Dienst, die nie einfach zu Hause arbeiten können – man denke etwa an Polizisten, Feuerwehrleute, Mediziner und viele andere Menschen, deren Arbeit gerade jetzt so wichtig ist. Doch dann gibt es immer noch Bedienstete, die jeden Tag ins Büro gehen, nur um dort am Schreibtisch zu arbeiten und Tätigkeiten zu verrichten, die sie eigentlich auch im Homeoffice erledigen könnten. In der aktuellen Corona-Krise zeigt sich, wie schlecht viele Stellen auf eine derartige Situation vorbereitet sind. Arbeit abseits der Dienststelle ist schlichtweg nicht vorgesehen. Hier sind Unternehmen der Privatwirtschaft schon wesentlich weiter. Gerade innovative Tech-Firmen zeigen, dass auch ohne die physische Anwesenheit im Büro gute Leistungen zu erbringen sind.

Behörden Spiegel / April 2020

New Work im öffentlichen Sektor (BS/Oliver Ebel*) Homeoffice ist das Gebot der Stunde und überall im Netz findet man unzählige Tipps, wie das Arbeiten von Zuhause am besten gelingt. Doch nicht für alle Büroangestellten ist Homeoffice überhaupt möglich, das übersieht man dabei leicht. Während es in der Privatwirtschaft schon recht verbreitet ist, können Mitarbeiter von Ämtern und Behörden vielfach immer noch nicht von zu Hause arbeiten. Woran liegt das und was müsste sich ändern? Fällen verbietet, Akten zu Hause oder unterwegs zu bearbeiten. Zugegeben, niemand möchte sich vorstellen, dass ein Behördenmitarbeiter Akten mit eigenen, sensiblen Daten auf dem Heimweg in der Bahn vergisst. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus sinnvoll, dass bestimmte Papierakten nicht aus der Dienststelle entfernt werden dürfen. Doch im digitalen Zeitalter gäbe es mittlerweile andere Möglichkeiten. Mitarbeiter, die über einen digitalen Arbeitsplatz verfügen, können von überall aus sicher auf Akten zugreifen. Das setzt allerdings eine umfassende Digitalisierung von Akten voraus, und zwar nicht als Insellösung, sondern ämterübergreifend. Aktuell arbeiten einzelne Behörden durchaus mit digitalen Akten,

allerdings in einem geschlossenen System. Das heißt für den Bürger, wenn die eine Behörde Informationen oder Nachweise von einer anderen benötigt, ist er im Zweifelsfall doch wieder auf Formulare in Papierform angewiesen. Auf dem Weg zu einer digitalen Verwaltung gibt es hier noch Nachholbedarf. Vorstellbar wäre hier eine Art staatliche Cloud, in der Daten und Dokumente zentral abgelegt werden und auf die die Mitarbeiter sicher zugreifen können. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, neben der Bereitstellung, auch das richtige Management von mobilen Geräten. IT-Abteilungen benötigen leistungsfähige Plattformen, mit denen sie Laptops, Tablets oder Handys überwachen können.

Eine flächendeckende Digitalisierung des Öffentlichen Dienstes, wie sie von verschiedenen Stellen gefordert wurde, ist bisher leider ausgeblieben. Ein Faktor dabei ist, dass es im öffentlichen Sektor nicht den Konkurrenzdruck der Privatwirtschaft gibt, der förmlich zu Innovationen und Effizienzsteigerungen drängt.

Versäumte Modernisierung rächt sich Doch aktuell zeigt sich, dass moderne Arbeitsmethoden nicht nur ein Faktor der Effizienz und Attraktivität von Arbeitsplätzen sind, sondern auch der Resilienz – im Sinne von Widerstandsfähigkeit gegen äußere Kriseneinflüsse. Unternehmen beschäftigen sich bereits seit längerer Zeit mit dem Thema Business Continuity.

Auch, wenn sie kein “Business” im eigentlichen Sinne betreiben, sollten sich Behörden und öffentliche Einrichtungen ebenfalls fragen, wie sie im Falle von Krisen – seien es nun Epidemien, Naturkatastrophen oder andere unvorhergesehene Ereignisse – ihren Betrieb aufrechterhalten oder schnellstmöglich wieder aufnehmen können. Um den Herausforderungen gewachsen zu sein, benötigt der Öffentliche Dienst zunächst passende Hard- und Software, wo diese noch fehlt. Auch wenn das aktuell nicht immer möglich sein wird, sollte man generell beim Aufbau neuer Infrastrukturen Resilienz und Ausfallsicherheit immer mitdenken. Das ist immer besser, als nachträglich Lösungen für ein plötzlich aufgetrete-

Wimmer: Durchaus sehr positiv. Das KI-Fördermittelprogramm hatte ich bereits angesprochen. Eines von zahlreichen Beispielen in diesem Bereich ist die vom BMU geförderte “Flora Incognita App”, die zur Pflanzenbestimmung Künstliche Intelligenz einsetzt. Natürlich kann man moderne Technologien wie KI oder Blockchain auch für Zwecke der Umwelt, des Naturschutzes und des Strahlenschutzes einsetzen. Keine Frage. Allerdings darf man an der Stelle nicht vergessen, dass diese neuen Technologien auch negative Folgen für die Umwelt haben können. Ein Beispiel: Die Produktion von Bitcoins hat im Jahr 2018 mehr Energie verbraucht als die komplette Volkswirtschaft unseres Nachbarlandes Dänemark. Dies zeigt, dass die Digitalisierung sowohl Klimaretter als auch Brandbeschleuniger für den Klimawandel sein kann, je nachdem wie wir sie nutzen und regulieren. Bei dieser zentralen Herausforderung soll die im März veröffentlichte Umweltpolitische Digitalagenda des BMU den richtigen politischen Rahmen setzen, um Technologie nicht zum Brandbeschleuniger des Klimawandels, sondern zum Problemlöser werden zu lassen.

nes Problem suchen zu müssen. Doch neben der technischen Ebene sollte man auch Strukturen und Prozesse überdenken: Ist persönliche Anwesenheit wirklich nötig? Können Besprechungen nicht auch via Videokonferenz abgehalten werden? In Zukunft wird sich auch der Gesetzgeber Gedanken machen müssen, welche einschränkenden Regularien noch zeitgemäß sind. Die aktuelle Krise zeigt, welche Möglichkeiten die Digitalisierung für modernes, flexibles Arbeiten bietet. Dem wird sich auch der Staat auf lange Sicht nicht entziehen können – nicht nur aus Gründen der Krisenvorsorge, sondern auch im Hinblick auf die Zufriedenheit der eigenen Mitarbeiter und komfortableren Service für die Bürger. Digitalisierung im öffentlichen Sektor bietet der Gesellschaft schließlich viele Vorteile, unnötige Behördengänge werden vermieden und alle Parteien können wertvolle Zeit sparen. *Oliver Ebel ist Area Vice President DACH bei Citrix.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 33

Gleiche Chancen für alle

Digitales Rathaus

Barrierefreiheit jetzt noch wichtiger

Wie Kommunen in herausfordernden Zeiten ein verlässlicher Partner sein können

(BS/Knut Ludwiczak*) Viele Menschen sind auf barrierefreie SoftwareAnwendungen, Internet-Angebote und Dokumente angewiesen. Der IT-Dienstleister Materna hilft Behörden und Organisationen bei der Umsetzung, um so die neuen Meldepflichten der EU erfüllen zu können.

(BS/Volker Müller*) Anfang März trafen sich Innovatoren, Modernisierer und Trendsetter von Staat und Verwaltung in Berlin zum Fachkongress Digitaler Staat. Mit dabei war auch GiroSolution, das Kompetenzcenter für E-Government der Sparkassen-Finanzgruppe, mit einem Vortrag zum Thema E-Rechnung. Nur einen Monat später muss man feststellen, dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung kein Zukunftsthema mehr ist und sein kann, sondern uns heute und im Jetzt fordert.

Die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit soll es allen Menschen ermöglichen, an sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens teilnehmen zu können. Behörden sind nach der EU-Richtlinie 2016/2102 verpflichtet, mobile Applikationen und Webseiten so zu gestalten, dass sie von allen Bürgern nutzbar sind. Dies umfasst das Internet und Extranet, aber auch webbasierte und nicht webbasierte Anwendungen, die von Angestellten im öffentlichen Sektor verwendet werden. Ab Juni 2021 gelten konkrete Nachweispflichten zur Umsetzung, sodass Verantwortliche entsprechende Projekte zeitnah starten sollten. Was aber bedeutet Barrierefreiheit im Kontext der IT überhaupt? Gemeint ist damit die Möglichkeit, dass jeder Mensch, ob mit oder ohne Einschränkung, alle IT-Anwendungen uneingeschränkt nutzen kann. Wichtig ist hierbei, zu wissen, dass eine barrierefreie Software auch für Menschen mit einer leichten Einschränkung nützlich ist, wie eine Beeinträchtigung durch Farbfehlsichtigkeit, Altersweitsichtigkeit oder eine Schreib-Leseschwäche. Ein klassisches Beispiel ist eine IT-Anwendung, die sich nicht vollständig über die Tastatur bedienen lässt. Sie stellt blinde Menschen oft vor unüberwindbare Hürden, da diese auf die Tastatur bzw. auf eine Braillezeile angewiesen sind. Gleiches gilt für Menschen, die aus motorischen Gründen keine Computermaus bedienen können. Ein weiteres Problem ist ein zu niedrig gewählter Kontrast zwischen Schrift- und Hintergrundfarbe. Menschen mit Sehbehinderungen können dann Informationen nur schwer abrufen. Ebenfalls kritisch ist der Einsatz von Farben, um Informationen zu übermitteln, wenn es dafür keine Textadäquate gibt. So kann zum Beispiel die Wahl der Farben rot oder grün dazu führen, dass farbsehbehinderten Nutzern eine Unterscheidung der Farben eventuell nicht möglich ist. Die Rot-Grün-Schwäche ist in der deutschen Gesellschaft recht häufig anzutreffen.

Das Coronavirus ist das be­ stimmende Thema und stellt unseren kompletten Alltag auf den Kopf. Der Öffentliche Dienst ist gleichermaßen von der Krise betroffen wie private Unternehmen. Kommunen stehen dabei vor einer ganz besonderen He­ rausforderung, denn sie müssen gleichzeitig weiterhin verlässlicher Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger sein. Doch wie stellt man Präsenz, Erreichbarkeit und Verlässlichkeit sicher, wenn viele Rathäuser und Bürgerbüros aktuell geschlossen sind, persönliche Termine kaum oder nur noch zu sehr relevanten Themen stattfinden können?

Meldepflichten beachten Bereits seit dem Jahr 2002 regelt die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) die Umsetzung. Bund und Länder müssen jedoch ab Juni 2021 der

Zentralstelle für Barrierefreiheit umfassend über den Stand von Anwendungen berichten. Diese Informationen werden dann ab Dezember 2021 an die EU weitergeleitet. Und wie eine Verwarnung der EU-Kommission an Deutschland im Jahr 2019 gezeigt hat, besteht durchaus noch Handlungsbedarf an der einen oder anderen Stelle. Die EU-Kommission verlangt ein Reporting über die Barrierefreiheit und hat eine Reihe von Richtlinien erlassen. Dies wirkt sich beispielsweise auf den bekannten BITV/WCAG-Test aus, der auf WCAG-Vorgaben (Web Content Accessibility Guidelines) basiert und mit dem seit vielen Jahren erfolgreich die Barrierefreiheit getestet wird. Erreichte früher eine Software dort 100 Punkte, galt sie als barrierefrei. Dieses Punktesystem gilt jetzt nicht mehr, da die EU-Richtlinien jetzt nur noch die zwei Ergebnisse “erfüllt” oder “nicht erfüllt” kennen. Wenn eine Vorgabe nicht erfüllt ist, gilt eine Anwendung somit als nicht konform, obwohl sie vermutlich einen ausreichenden Funktionsumfang für Menschen mit Behinderung bieten würde.

Materna setzt sich aktiv ein Die Experten von Materna haben beispielsweise an dem Projekt BIK (barrierefrei informieren und kommunizieren) mitgearbeitet. Durch die enge Zusammenarbeit mit diesem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Projekt wurde wertvolles Fachwissen für die praktische Umsetzung der BITV-2.0-Verordnung aufgebaut. Aktuell ist Materna als BITV-Test-Prüfstelle Mitglied im BITV-Prüfverbund der BIK vertreten und überprüft in diesem Rahmen Internet-, Extranet- und Intranet-Auftritte auf ihre Barrierefreiheit. Darüber hinaus verwendet Materna für die Umstellung bestehender Lösungen eine Methode, die auch bei historisch gewachsenen und heterogenen Anwendungslandschaften eine schnelle Durchführung ermöglicht. Damit gelingt die Bereitstellung barrierefreier Apps, Dokumente, Webseiten oder ganzer Fachverfahren sicher und risikofrei. *Knut Ludwiczak ist IT Consultant in der Business Line Public Sector bei Materna.

Drei Punkte für erfolgreiche Projekte (BS) Bei der Entwicklung von neuen IT-Projekten sollten generell Experten für Barrierefreiheit und Usability frühzeitig einbezogen werden. Damit werden diese Themen bereits in der Konzeptionsphase und bei der Erstellung des Lasten- bzw. Pflichtenheftes mitgedacht. Weiterhin sollten die Projektbeteiligten zu Beginn in einem Workshop für das Thema generell sensibilisiert werden. Und schließlich sind fortlaufende Tests zur Barrierefreiheit und zur Usability notwendig. Die Testergebnisse sollten nachfolgend mit den Projektverantwortlichen besprochen werden, was wiederum die Sensibilisierung steigert, aber auch schneller zu praxisgerechten Lösungen führt.

MELDUNG

Plattform DorfFunk Bremke früher gestartet (BS/gg) Die Corona-Krise beschleunigt auch das Tempo der Digitalisierung im ländlichen Raum. So wurde Ende März im Rahmen des Projektes “bremke. digital” die App DorfFunk Bremke früher als geplant gestartet. Mit der App können die Menschen in dem niedersächsischen Ort leichter miteinander in Kontakt treten, Nachbarschaftshilfe organisieren und Informationen der Gemeinde teilen.

“Diese App ist so leicht zu bedienen, dass auch unsere älteren Einwohner problemlos an der Kommunikation teilnehmen können”, erklärte Karin Jürgens, Ortsbürgermeisterin in Bremke. Das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte Projekt “bremke.digital” ist eine Kooperation zwischen der Stiftung Digitale Chancen in Berlin und dem Haus kirchlicher Dienste in Hannover.

Vision bereits teilweise Realität In der aktuellen Situation zahlt es sich aus, dass viele Kommunen bei der Digitalisierung ihrer Angebote bereits große Fortschritte erzielt haben und ihren Bürgerinnen und Bürgern auf Bürger-Service-Portalen die Möglichkeit anbieten, Anliegen bequem online von zuhause aus erledigen zu können. Die Vision vom digitalen Rathaus, bei dem vielfältige Verwal­tungs­leis­tun­gen elektro­nisch angeboten werden, hat hier bereits konkret Gestalt angenommen. Und so können viele Bürgeranliegen – von der Urkundenbeantragung, dem Parkausweis bis zur Kfz-Anmeldung

Umfassende und leistungsfähige digitale Angebote der Kommunen für Bürgerinnen und Bürger sind angesichts der aktuellen Lage wichtiger denn je. Foto: BS/GiroSolution

heute bereits digital über zahlreiche Bürgerportale im Internet abgewickelt werden. Bezahlt wird auch direkt online, sodass die Kommune keinerlei manuelle Nacharbeiten in Bezug auf die Bezahlung hat. Diese Entwicklung ist sehr zu begrüßen, denn so werden Bürgerämter vor Ort entlastet, Verwaltungs- und Zahlungsprozesse vereinfacht und gleichzeitig wird Bürgerinnen und Bürgern ein komfortabler Zugang zu Dienstleistungen der Kommune ermöglicht.

Handlungsbedarf bei vielen Kommunen Dennoch: Dass Bürger für ihre Anliegen künftig nicht mehr aufs Amt müssen, ist in vielen

Gemeinden in Deutschland noch eine große Aufgabe, die mitten in der Umsetzung begriffen ist und die durch die aktuelle Krise an besonderer Dringlichkeit gewinnt. Gemeinden benötigen dabei die Unterstützung durch kompetente Partner. GiroSolution unterstützt die Kommunen bei der Digitalisierung mit innovativen Produkten – so im Bereich E-Payment mit der Multi-Bezahllösung GiroCheckout, über die alle gängigen elektronischen Bezahlverfahren zur Integration in Bürgerportale angeboten werden: Von paydirekt und giropay bis hin zu Kreditkarten- oder Lastschriftzahlungen – allesamt Bezahlverfahren, die eine einfache, schnelle und vor allem sichere

Abwicklung unter Einhaltung höchster Sicherheitsstandards ermöglichen. Bei vielen kommunalen Rechenzentren oder Dienstleistern ist GiroCheckout direkt verfügbar und auch in die ePayBL-Schnittstelle ist GiroCheckout mit seinen Bezahlverfahren integriert. Über 1.750 Kommunen und Behörden zählen heute schon zu den Kunden von GiroSolution und wickeln die Online-Zahlungen ihrer Bürgerportale über die Multi-Bezahllösung GiroCheckout ab. Neben Lösungen für das Bezahlen im E-Government bietet GiroSolution auch eine Lösung für die elektronische Rechnung und ein Tool zur Darlehensteuerung an. So erleichtert der SRechnungs-Service Kommunen die Umstellung auf elektronische Rechnungen. Und mit S-Kompass steht Kommunen ein effizientes Tool für die Steuerung und Planung des Portfoliomanagement zur Verfügung. Gemeinsam mit den Sparkassen vor Ort steht GiroSolution den Kommunen zur Seite, um die Herausforderungen der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu meistern. Ganz nach dem Motto: Digitalisierung ist einfach – mit den Lösungen von GiroSolution und der Sparkassen. *Volker Müller ist Geschäftsführer der GiroSolution GmbH.


Seite 34

Informationstechnologie

“W

Kommunale Daten ins Bewusstsein

er an den “richtigen” Stellen der kommunalen IT für tot erklärt wurde, muss einigen Aufwand betreiben, um bei allen Empfängern dieser Daten wiederaufzuerstehen.” Mit diesen Worten beschrieb es Dirk Schumacher, Sicherheitsbeauftragter der Bundesstadt Bonn, in einem Fachartikel Mitte 2018: Die untere staatliche Ebene arbeitet hierzulande mit kritischen Datensätzen aller Bürgerinnen und Bürger.

Zahl und Zufälligkeit suggerieren Sicherheit Kommunale Daten sind – genau wie die Daten des Berliner Kammergerichts oder auch großer Wirtschaftsunternehmen – potenzielles Ziel von zufälligen oder aber gezielten Hacker-Angriffen. Der Unterschied: Die Vorfälle haben es in der Vergangenheit nur ausnahmsweise in die Medien geschafft – zuletzt etwa die Städte Neustadt a. Rbge., Frankfurt/ Main und Potsdam. Mit Blick auf die bundesweit über 11.000 Kommunen mag diese überschaubare Zahl relative Sicherheit suggerieren – Städte, Gemeinden und Landkreise scheinen gut geschützt und geraten nur selten in den Fokus von Angreifern. Der Schein trügt vielerorts. Gerade wenn es um komplexere Fälle geht, kommen engagierte kommunale IT-Verantwortliche und politische Entscheider an ihre Grenzen. Viele von ihnen haben mit verschiedenen Widerständen vor Ort zu kämpfen.

Wahlbeamte in Letztverantwortung Während der operative Teil – die tägliche Sicherstellung des Betriebs – den IT-Abteilungen der jeweiligen Kommunen, einzelnen Ämtern oder dem kommunalen IT-Dienstleister obliegt, stehen die Wahlbeamten vor Ort in der Letztverantwortung. Das sind zumeist Bürgermeister und Landräte. Aber auch die kommunalen Vertretungskörperschaften dürfen bei Überlegungen und Maßnahmen für mehr Informationssicherheit nicht außen vorgelassen werden. In ehrenamtlicher Funktion erfüllen sie eine wichtige und

E

in grundlegendes, in Teilen radikaleres Umdenken ist erforderlich, wenn Deutschland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Situation erhalten möchte. Zielgerichtete Investitionen in die Digitalisierung sind dabei nicht nur ein nachhaltiges sowie wertvolles Investment in die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, sondern für Wirtschaft und eine moderne gesellschaftliche Entwicklung von wachsender Bedeutung. Neben vielen bekannten (Negativ) Beispielen macht Folgendes besonders markant die Problematik in Deutschland deutlich: Die Republik Kosovo führt den digitalen Führerschein ein, der von einem deutschen Unternehmen entwickelt wurde. Hierzulande dagegen ist dieses Thema nicht einmal in der Diskussion, geschweige denn, dass konkrete Maßnahmen geplant wären. Hier wird deutlich erkennbar, wie eine weltweite, innovationsgetriebene Modernisierung von Staat und Gesellschaft an der deutschen Politik vorbeigeht und größtenteils ignoriert wird.

Fehlende digitale Souveränität – fehlende Strategie Nicht nur, dass mit Ausnahme einiger weniger Unternehmen keine leistungsfähige deutsche Software-Industrie mehr existiert. Deutschland kann einen Großteil der erforderlichen ITHardware auch nur noch außerhalb Europas einkaufen. Vor allem bei mobilen HardwareLösungen wie z. B. dem Handy ist das als extreme und folgenreiche

Behörden Spiegel / April 2020

Informationssicherheit erfordert mehr Zusammenarbeit und Meldepflicht für Kommunen

Förderprogramme aufgelegt, um kommunale CERTs auf- und auszubauen und umfassendere Vernetzungsplattformen entstehen zu lassen. Das ist die Grundlage, um Städten und Gemeinden niederschwellige Fortbildungen und Expertise anzubieten.

(BS/Thomas Stasch/Julian Einhaus*) Vom Tag der Geburt über Sozialleistungen, Ausweisdaten, Zwangseinweisungen bis hin zur letzten Ruhestätte auf dem Friedhof: In deutschen Kommunalverwaltungen werden virtuelle Abbilder einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers verwaltet. Für dieses “Datenparadies” braucht es ein stärkeres Bewusstsein, damit der notwendigen Informationssicherheit in Städten, Gemeinden und Landkreisen künftig ein höherer Stellenwert zuteilwerden kann. Mit Blick auf die jüngst bekannt gewordenen Cyber-Attacken auf Kommunen – und deren Mehr Austausch und gesetzlicher Auftrag höhere Dunkelziffer – ist das absolut notwendig. dankenswerte gesellschaftliche Aufgabe: Als Generalisten müssen sie sich in viele Sachverhalte hineinarbeiten. Um sich der großen Komplexität des Themas zu nähern, gibt es die Möglichkeit, Sachverständige zu laden – etwa aus anderen Gebietskörperschaften. Interkommunaler Austausch erfolgt hier bislang leider noch viel zu wenig.

Vorfälle vertraulich teilen Ransomware richtet weiterhin verheerende Schäden an. Das betrifft wohlgemerkt nicht nur Behörden, sondern in großem Maße auch die Wirtschaft. Allerdings wird hier ein weitaus intensiverer Austausch der Verantwortlichen gelebt. Im kommunalen Umfeld herrscht der Gedanke vor, “Was intern ist, muss auch intern bleiben!”. Gerade beim Thema Sicherheit ist diese Denkweise aber alles andere als konstruktiv. Stattdessen müssen Erfahrungen viel mehr noch als bislang geteilt werden – in einem dafür geeigneten Rahmen. Eine seit Jahren geübte Institution stellen Computer Emergency Response Teams (CERTs) dar. Was in einigen Sektoren der Wirtschaft sowie auf Bundes- und Landesebene erfolgreich etabliert ist, sucht man auf kommunaler Ebene meist vergeblich.

Civitec-CERT der regio iT Das kommunale civitec-CERT in Siegburg steht da bislang allein auf weiter Flur. Für Kommunen der Region um Rhein und Sieg dient es seit letztem Jahr als erste organisatorische und technische Anlaufstelle. Zum Repertoire gehören präventive, reaktive und gleichsam nachhaltige Maßnahmen bei Sicherheitsvorfällen: Das

Familie, Wohnen, Arbeiten und vieles mehr: Die Kommunalverwaltung hält etliche Datensätze über Bürgerinnen und Bürger vor. Ein verantwortlicher Umgang damit erfordert auch eine höhere Priorisierung der Informationssicherheit. Foto: BS/adam121, stock.adobe.com

CERT mit Sitz in Siegburg bei Bonn koordiniert und unterstützt Kommunen dabei, mit IT-Sicherheitsvorfällen umzugehen und daraus zunehmend vorbeugende Handlungsempfehlungen zu entwickeln, um Cyber-Angriffe stets besser zu vermeiden. Anonymität versteht sich von selbst. Gerade wenn es um komplexere Fälle geht, sind IT-Verantwortliche und Entscheider vor Ort oftmals überfordert und auf eine externe Hilfe angewiesen – wollen aber gleichermaßen nicht an die Öffentlichkeit gehen.

Bund, Land, Kommune – CERTs sind vernetzt Das jüngste Beispiel eines solchen Sicherheitsvorfalls ereignete sich im Januar 2020 im System einer nordrhein-westfälischen Kommune. Ähnlich wie bei anderen Opfern wurde hier die bekannte Citrix-Schwachstelle ausgenutzt – das System war kompromittiert. Dann musste

es schnell gehen: Der Vor-OrtEinsatz des civitec-CERTs ermöglichte in enger Kooperation mit den IT-Verantwortlichen eine umgehende Sachstandsanalyse und Wiederinbetriebnahme innerhalb von zwei Arbeitstagen. Damit konnte dem Wunsch der Behördenleitung entsprochen werden, sowohl ein nach außen hin sichtbares Ereignis samt Service-Ausfall, als auch mediale Aufmerksamkeit wie in anderen Städten zu vermeiden. In einem anderen Fall, der ebenfalls nicht an die Öffentlichkeit drang, verschlüsselten Hacker ein kommunales System mit einem nicht ganz aktuellen Trojaner. Laut Forensik hatte man in der Gemeinde zwar einen lokalen Virenschutz installiert, aber niemals die Virensignaturen aktualisiert. Auch hinsichtlich des Patch-Managements sah es nicht besser aus. So fand man laufende Produktiv-Server auf Basis von Windows 2000. Unter

Koordination des kommunalen CERTs mussten ein Großteil der IT-Infrastruktur abgeschaltet und rund 40 Prozent aller Client-Systeme neu installiert werden. Beide Vorgänge zeigen exem­ plarisch, wie die enge Zusammenarbeit von Sicherheitsteams in Deutschland funktionieren kann. Neben dem civitec-CERT wurden auch das Landes-CERT und das CERT-Bund hinzugezogen, sodass weitere Experten zusätzlich Informationen zur Analyse beisteuern konnten. Diese Eskalation ist wichtig, denn die Kommunen mit ihren vielen grundlegenden Daten und Funktionen spielen eine maßgebliche Rolle, Staat und Regierungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Im Krisenfall wie im Normalbetrieb – die IT muss laufen. Keine Gebietskörperschaft und keine Staatsebene kann ein Interesse daran haben, dass es “woanders” nicht funktioniert. Auch mit Blick auf die IT-Sicherheit ist die kommunale Landschaft sehr heterogen aufgestellt – vorhandene Verwaltungskraft und Know-how variieren sehr stark.

Kommunale IT-Dienstleister bieten Sachverstand Städten und Gemeinden ist zu empfehlen, sich bei konkreten Zwischenfällen genauso wie bei grundsätzlichen Fragen mit einem kommunalen IT-Dienstleister aus der Region in Verbindung zu setzen. Viele kommunale IT-Dienstleister sind durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert und arbeiten in CERTs vertrauensvoll zusammen. Manchmal braucht es allerdings Hilfestellungen, um selbst diesen ersten Schritt zu machen. Die Bundesländer Bayern und Hessen haben deswegen

München. Digital. Erleben. Warum eine Strategie zur Digitalisierung für Politik und Verwaltung wichtig ist (BS/Thomas Bönig) In den meisten Statistiken zur Digitalisierung in Europa nimmt Deutschland einen Platz auf den hinteren Rängen ein. Eine weltweite Statistik würde sicherlich nicht zu mehr Optimismus führen, wenn der in Deutschland bisher eingeschlagene Weg mit wenig ausgereiften Konzepten und einer halbherzigen Digitalisierung fortgesetzt werden wird. externe Abhängigkeit einzustufen, da diese mobilen “Partner des Menschen” für eine immer mehr digitale Gesellschaft und den Arbeitsplatz der Zukunft schon heute von enormer Bedeutung sind und zukünftig noch wichtiger werden. Digitalisierung bedeutet weitaus mehr, als nur neue Hardoder Software zur Verfügung zu stellen. Dem erforderlichen Kulturwandel in Politik und Verwaltung, welcher bisher eher zaghaft, wenn überhaupt, angegangen wurde, um in Organisation und Wirken von öffentlichen Institutionen neue moderne Wege gehen zu können, fehlt immer noch eine klare Strategie, wie Deutschland und Europa die digitale Zukunft mittel- und langfristig gestalten wollen. Die heute bereits kommunizierten Ideen, Vorschläge und Maßnahmen zur Digitalisierung in Deutschland oder Europa wirken ein Stück weit hilf- und orientierungslos, lediglich als lose Einzelmaßnahmen aufgesetzt. In Zukunft wird eine solche Vorgehensweise nicht wesentlich erfolgreicher sein als bisher. Erforderlich ist eine langfristige, deutschlandweite, zielgerichtete Digitalstrategie, die nahtlos in eine gesamteuropäische Strategie eingebettet ist und die unabdingbar dem

fehlt und man völlig unvorbereitet ist auf das, was da immer schneller kommen wird. Ein solches AgieThomas Bönig ist berufsmäßiger Stadtrat, IT-Referent ren und auch sowie CIO und CDO der Denken wird im Landeshauptstadt München. bereits stattfindenden digitalen Foto: BS/privat Zeitalter deutlich schneller “bestraft” werden, als Bereich einer leistungsfähigen, das früher jemals der Fall war. breit aufgestellten IT-Industrie in Eine langfristig orientierte Deutschland und Europa wieder Strategie hat in einer solchen einen besonderen Schwerpunkt Situation vor allem einen wesentwidmet und zuweist. lichen Vorteil: Eine werthaltige, Zum Digitalisierungsstatus in durchdachte Strategie stellt siDeutschland und in Teilen Eu- cher, dass man zuallererst die ropas ist diese alte chinesische richtigen Dinge tut, bevor man Weisheit mehr als zutreffend: diese Dinge dann richtig tut. In “Wenn der Wind der Veränderung China ergänzt ein sehr innovaweht, bauen die einen Mauern tives Unternehmen dazu: “Stelle und die anderen Windmühlen.” am besten dabei noch sicher, Beim sachlichen Betrachten dass du die Dinge von Anfang der Faktenlage wird klar, dass an richtig tust.” hierzulande noch zu wenige Windmühlen geplant oder ge- Klare strategische Linie – klare Zielsetzungen baut werden und staatliche Stellen bevorzugt mit Verboten in Die Landeshauptstadt München Form von Regulierungen und hat bereits im Juli eine umfasdes Aufsetzens gesetzlicher Re- sende Digitalisierungsstrategie gelungen reagieren, wenn sich im Stadtrat verabschiedet, die eineue Entwicklungen abzeichnen. ne klare strategische Linie für die Bei solchen Verhaltensweisen Stadt vorgibt und auch die damit ist einfach ersichtlich, dass den zu erreichenden Zielsetzungen zuständigen Stellen eine Vision klar benennt. Diese Strategie der Zukunft sowie eine Strategie inkl. der Stadtratsvorlage kann

über das Münchner Portal zur Digitalisierung “muenchen.digital” eingesehen und heruntergeladen werden (https://muenchen.digital/digitalisierungsstrategie). Stadtspitze sowie Stadtrat haben dem IT-Referat sowie dem CDO der Landeshauptstadt München die politischen Vorgaben zur Ausarbeitung der Strategie vorgegeben, die durch die Münchner Digitalisierung zu erreichen sind. Mit den Worten des Oberbürgermeisters Dieter Reiter formuliert: “Die Digitalisierung soll dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.” Ziel ist es, die stadtweite Digitalisierung in München zum Wohle der Stadtgesellschaft einzusetzen und für eine immer mehr digitale Gesellschaft in München nachhaltige Angebote zu offerieren, die das Leben der Menschen in der Stadt erleichtern und verbessern. Mit der eigenen Digitalisierung will München zukünftig neue kommunale Standards setzen, die auch von anderen öffentlichen Institutionen oder Kommunen übernommen werden können. Zielsetzung der Digitalisierungsinitiative ist es dabei nicht, zur bisher etablierten Digitalindustrie in Konkurrenz zu gehen, sondern einer heranwachsenden digitalen Stadtgesellschaft eigene digitale Angebote zugänglich zu

Erforderlich ist detailliertes Know-how, wie eine Kommunalverwaltung und die Politik dahinter funktionieren, um vor Ort akzeptiert zu werden und die besonderen Bedürfnisse zu verstehen. In zahlreichen Kommunen existiert eine Vielzahl an Sonder-Applikationen bzw. Spezialanwendungen, deren Mechanismen teils deutliches Potenzial für mehr Sicherheit bieten. Diese Aufgabe ist nicht ausschließlich mit externen Beratern zu machen – es braucht mehr Kapazitäten vor Ort und in interkommunalen Gremien. Im Zusammenspiel solcher Formate und entsprechender CERTs ist auch ein Austausch technischer Sicherheitsmaßnahmen, Angriffsinformationen und Warnmeldungen zu etablieren, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Ohne Vertrauen in diesem Umfeld sind eine nachhaltige Kommunikation und Verbesserung nicht umsetzbar. Um langfristig Sicherheit und Vertrauen in die öffentliche Verwaltung zu erhalten, ist aber noch mehr nötig – ohne gesetzlichen Druck für eine “Mindestsicherheit” wird es nicht funktionieren. Nahezu allen kommunalen Informationssicherheitsbeauftragten ist schon länger bewusst, dass es eine den Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) gleichlautende Regelung auch für den kommunalen Bereich braucht. Vorfälle wären demnach verpflichtend zu melden. *Thomas Stasch ist Leiter des civitec-CERTs beim kommunalen IT-Dienstleister regio iT in Siegburg und Leiter der Vitako-Facharbeitsgruppe IT-Sicherheit. Julian Einhaus ist Pressesprecher von Vitako – Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister e. V.

machen, die sie sicher und unbedenklich nutzen kann. Wer dem eingeschlagenen Münchner Weg der Digitalisierung folgen möchte, kann das über das Portal muenchen.digital durch einen regelmäßigen Besuch sowie in Kürze durch die Anmeldung zu einem Newsletter oder in den Sozialen Medien wie z. B. Twitter, LinkedIn, XING oder Instagram und YouTube unter dem Hashtag “#MuenchenDigitalErleben” tun. Sofern die Planungen trotz Corona eingehalten werden können wird spätestens im April 2020 der interaktive Digitalradar der Landeshauptstadt München auf muenchen.digital an den Start gehen, mit dem den Themen Partizipation und Transparenz in München eine neue Dimension eröffnet sowie den Münchner Bürger/-innen ein attraktiver Zugang zu den Planungen der Stadt gegeben wird. Für Deutschland und Europa ist es unabdingbar, dass man der Digitalisierung, im eigenen Interesse, zukünftig deutlich mehr Aufmerksamkeit in Politik und Verwaltung entgegenbringt, weniger euphorischer Aktionismus stattfindet und eine klare strategische Linie festgelegt wird, die durch größere und langfristige Investitionen abgesichert ist. Dieser Weg ist für eine angestrebte digitale Souveränität in Europa alternativlos und ermöglicht es zeitgleich, wieder eine leistungsfähige, moderne europäische IT- und Digital-Industrie zu etablieren, sodass die zweifellos risikoreicheren externen Abhängigkeiten wieder deutlich reduziert werden.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 35

Den Umstieg vorbereiten

Immunsystem geschwächt

BSI gibt Empfehlungen zu Post-Quanten-Kryptografie

Cyber-Kriminelle nutzen Krise aus / Gesundheitswesen im Fokus

(BS/stb) Über kurz oder lang werden gängige Verschlüsselungsverfahren nicht mehr sicher sein. Nämlich dann, wenn hinreichend leistungsfähige Quantencomputer verfügbar sind. An resistenten Verfahren wird schon seit Jahren gearbeitet. Gerade dort, wo Informationen mit hohem Schutzbedarf und langer Geheimhaltungsfrist verarbeitet werden, ist ein früher Umstieg notwendig. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat nun Handlungsempfehlungen für die Vorbereitung veröffentlicht.

(BS/Benjamin Stiebel) Cyber-Kriminalität hat gerade Hochkonjunktur. Nach Schätzung von IT-Sicherheits­ experten haben deutlich über 80 Prozent der Spam-, Phishing- und Betrugsaktivitäten zurzeit Corona-Bezug. Sie treffen den Nerv der Menschen. Die gesunde Skepsis ist in Extremsituation schneller überwunden. Zudem sind im oft kurzfristig improvisierten Homeoffice die technischen Hürden für die Angreifer deutlich geringer. Doch nicht alle Täter setzen auf Massenangriffe. Einige greifen gezielt Einrichtungen des Gesundheitswesens an.

Der wichtigste Ratschlag lautet, Systeme flexibel zu halten. Bei Neu- oder Weiterentwicklungen soll darauf geachtet werden, dass Verschlüsselungsmechanismen nicht in Stein gemeißelt sind, sondern Verschlüsselungsalgorithmen ausgetauscht werden können. Das US-amerikanische NIST (National Institute for Standards and Technology) befasst sich seit 2016 mit konkreten Quantencomputer-resistenten Verfahren und will frühestens 2022 eine Auswahl zur Verfügung stellen. Für langfristig schutzbedürftige Geheimnisse könnte das aber bereits zu spät sein. Es besteht die Gefahr, dass Spione

verschlüsselte Daten auf Vorrat sammeln, um sie auszuwerten, sobald entsprechende Quantencomputer verfügbar sind. Das BSI rät in diesen Fällen bereits jetzt zur Anwendung zweier als sicher einzustufender Verfahren: FrodoKEM und Classic McEliece. Die Behörde kündigt dazu eine überarbeitete Technische Richtlinie zu Algorithmen und Schlüssellängen an. Die Verfahren sollen aber nur in Kombination mit klassischen Algorithmen eingesetzt werden. Dabei leitet man aus den ausgehandelten Schlüsseln je eines gängigen und eines Post-Quanten-Verfahrens einen Sitzungsschlüssel ab. Das hybride Vor-

gehen ist in der Übergangsphase notwendig, weil noch wenig Erfahrungen mit den neuen Verfahren gemacht worden sind. Zwar sind die Algorithmen beweisbar sicher, allerdings könnten Fehler in der technischen Umsetzung passieren. Langfristig könnte Quantentechnologie selbst Teil der Lösung sein. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, arbeiten mehrere Deutsche Forschungseinrichtungen an einer quantengesicherten Kommunikationsinfrastruktur. Bis Ende 2020 soll bereits eine gesicherte Videokonferenz zwischen zwei Bundesbehörden demonstriert werden.

Beweiswerterhaltung mit TR-ESOR E-Akte und ersetzendes Scannen sicher einführen (BS/Petra Waldmüller-Schantz*) Die Einführung der E-Akte spielt eine zentrale Rolle in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Hersteller von E-Akten-, DMS- und/oder ECM-Systemen haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass Daten und Dokumente elektronisch abgebildet und bearbeitet sowie rechts- und revisionssicher archiviert werden können. Um den gesetzlichen Aufbewahrungsplichten nachzukommen, reicht diese Art der Archivierung allerdings nicht aus. Dies liegt vor allem an der fehlenden Möglichkeit, auch nach einer “Transformation” von Papierdokumenten in elektronisches Datengut Integrität und Authentizität des Dokumentes nachweisen zu können und der daraus resultierenden Unsicherheit, welche Dokumente denn nun eigentlich doch im Original aufbewahrt werden müssen und welche nicht. Zwar referenziert der Gesetzgeber in den unterschiedlichsten Gesetzen, Verordnungen und Grundsätzen die Aufbewahrung elektronischer Daten und Dokumente, die alle etwas mit der Aufbewahrung elektronischer Daten und Akten zu tun haben und einen regelrechten Dschungel an Vorschriften abbilden. Nicht adressiert ist dabei die Beweissicherheit eines elektronischen Dokumentes, wobei die Aufbewahrungsfristen bei immer kürzer werdenden Innovationszyklen der IT von Dokumenten oft unterschätzt werden. 1. Elektronische Dokumente liefern aus sich heraus keine Anhaltspunkte für ihre Integrität und Authentizität sowie für den Schutz und die Wahrung von Rechtsansprüchen des Ausstellers oder Dritter und den Nachweis der Ordnungsmäßigkeit im elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehr. 2. Über die geforderten langen Aufbewahrungszeiträume hinweg und trotz der immer kürzer werdenden informationstechnischen Innovationszyklen müssen die Lesbarkeit und Verfügbarkeit von Speichermedien und Datenformaten gewährleistet sein – unab-

hängig von einzelnen Produkten und Herstellern. 3. Der Zugriff auf Daten und Dokumente muss auch und gerade in der elektronischen Welt den Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicherheit genügen, auch über lange Zeiträume und den Wechsel von Systemen hinweg.

Technische Richtlinien des BSI Die Technischen Richtlinien des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) TRRESISCAN und TR-ESOR sind hier maßgeblich zu betrachten und räumen sämtliche Unsicherheiten bezüglich der Vernichtung von Papierakten, eingescannten Dokumenten und der Beweiswerterhaltung der Digitalisate bzw. bereits in elektronischer Form übermittelter Daten und Dokumente aus – aus technischem Gesichtspunkt mithilfe elektronischer Signaturen und von Zeitstempeln. Das komplexe Verfahren der Beweiswerterhaltung bzw. -erzeugung durch Anbringung von Signaturen / Zeitstempeln, Prüfung von Signaturen / Zeitstempeln, Erneuerung von Signatu-

ren / Zeitstempeln – sprich die Erzeugung sog. Evidence Records – wird in einer TR-ESOR-konformen Lösung wie Governikus LZA automatisiert vorgenommen. Durch die in der Technischen Richtlinie spezifizierten Standards und Schnittstellen ist die Integration in eine bestehende IT-Infrastruktur und Anbindung an vorhandene Systeme einfach durchzuführen. Gewährleistet wird eine system- und datenträgerunabhängige Langzeitspeicherung, die durch Standardisierung Beweiswerte und Daten erhält und dadurch für Investitionssicherheit sorgt und ECM und DMS optimal ergänzt. Im Zuge der eIDAS-Verordnung der europäischen Kommission werden auch die sog. Bewahrungsdienste referenziert. Deutschland ist mit der TR-ESOR Vorreiter in der technischen Umsetzung und andere europäische Länder beginnen, sich an der deutschen Lösung zu orientieren. Weitere Informationen finden Sie unter www.governikus.de. *Petra Waldmüller-Schantz ist Director Communications bei der Governikus GmbH & Co. KG.

So fuhren Hacker Mitte März eine DDoS-Attacke auf das US Department of Health and Human Services. Sie versuchten, Server der Gesundheitsbehörde mit Millionen automatisierter Aufrufe in die Knie zu zwingen. Unklar ist, ob die Täter bei Erfolg Lösegeld gefordert hätten. Sicherheitsbehörden gehen dem Verdacht nach, ein fremder Staat könne versucht haben, die Bewältigung der Corona-Krise zu sabotieren und das Vertrauen in die USRegierung zu beschädigen. Lohnende Ziele für Cyber-Spione dürften Forschungseinrichtungen und Biotech-Unternehmen sein, die an Impfstoffen gegen Covid-19 arbeiten. Weltweit bekannt wurde die Tübinger Firma CureVac, weil US-Präsident Trump die Rechte an deren Arbeitsergebnissen exklusiv sichern wollte – angeblich soll ihm das eine Milliarde US-Dollar wert gewesen sein. Ausgerechnet CureVac fiel nun aber mit Sicherheitsproblemen auf. IT-Sicherheitsexperten hatten festgestellt, dass Server und Datenbanken der Firma über das Internet sichtbar seien und mit veralteter Software liefen. Ebenso beunruhigend ist ein Angriff auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Hacker hätten schon Anfang März versucht, in interne IT-Systeme einzudringen, räumte der Beauftragte für Informationssicherheit Flavio Aggio ein. Verdächtigt wird eine professionelle Spionage-Gruppierung namens DarkHotel, die es bisher auf Behörden, Finanz-

und Rüstungsunternehmen in Ostasien abgesehen hatte. Die Hacker sollen das interne, webbasierte E-Mail-System der WHO nachgebaut haben, um Passwörter der Mitarbeiter abzuschöpfen. Die Aktion war nur eine von vielen. Aggio geht von einer Verdopplung der gezielten Angriffe gegen die WHO und andere Gesundheitsorganisationen aus.

Ehre unter Erpressern? Zurückhaltung haben dagegen zwei der aktivsten cyber-kriminellen Gruppen versprochen. Die Täter hinter der Ransomware Maze haben eine “Pressemitteilung” veröffentlicht, in der es heißt, Angriffe auf medizinische Einrichtungen würden eingestellt, bis die Pandemie bewältigt sei. Die Macher von DoppelPaymer legten nach und versicherten, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Sicherheitsbehörden generell zu schonen. Würden solche Einrichtungen versehentlich getroffen, erfolge die Entschlüsselung kostenlos. Nicht geäußert hat sich hingegen die derzeit wohl erfolgreichste Gruppe, die mit Emotet als Türöffner und der Ransomware Ryuk agiert. Auch von etlichen kleinen Gruppierungen und Einzeltätern ist keine Einschränkung des kriminellen Geschäftsbetriebs zu erwarten. So hat es die Gesundheitsbehörde der Region Champaign-Urbana im US-Bundestaat Illinois getroffen. Für ein Lösegeld von 350.000 US-Dollar

konnten nach vier Tagen fast alle verschlüsselten Daten zurückerlangt werden. In Tschechien legte ein Angriff eine Universitätsklinik lahm. Operationen mussten abgesagt und Patienten in andere Krankenhäuser verlegt werden. Glücklicherweise nicht betroffen war der Betrieb im angeschlossenen Labor für Tests auf das Corona-Virus. Das Kalkül vieler Akteure zweifelsohne: Die Wahrscheinlichkeit, dass systemkritische Einrichtungen sich erpressen lassen, ist in der Krise besonders hoch. Längst nicht nur Gesundheitseinrichtungen drohen an ihre Grenzen zu stoßen. Auch die Mitarbeiter finden sich in Ausnahmesituationen. Die einen leiden unter Beschäftigungsmangel, während andere täglich Höchstleistungen bringen. Dazu kommen persönliche Ängste und Unsicherheiten sowie ein hoher Bedarf an Informationen zu genau einem Thema. Stichproben haben gezeigt, dass Beschäftigte seit Beginn der Corona-Krise dreimal so häufig auf schadhafte Links in PhishingMails klicken wie im Normalbetrieb. Dazu kommen schnell umgesetzte Homeoffice-Konzepte, in denen es an den sonst üblichen technischen Hürden für Angreifer fehlt. Paradiesische Zustände für Cyber-Kriminelle. Wie die Cyber-Sicherheit im Homeoffice sichergestellt werden kann, ist Thema zweier Webinare der Cyber-Akademie Ende April. Mehr auf Seite 36 dieser Ausgabe.


IT-Sicherheit

Seite 36

Keine digitalen Abstimmungen

B

eim Europäischen Parlament konnte erstmals am 26. März aus der Ferne abgestimmt werden. Nur rund 100 der 705 Abgeordneten waren im Brüsseler Plenarsaal. Der Rest konnte das Geschehen als Videostream verfolgen. Und Stimmzettel per E-Mail einreichen. Es reichte die eigenhändige oder digitale Unterschrift und der Versand vom dienstlichen E-Mail-Konto aus. Auch der Deutsche Bundestag hat vorsorglich seine Geschäftsordnung geändert. Befristet bis Ende September ist das Organ demnach beschlussfähig, wenn mehr als ein Viertel der Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. In den Ausschüssen kann das notwendige Viertel auch über elektronische Kommunikationsmittel, sprich eine Videokonferenz, zusammenkommen. Außerdem können Ausschüsse Dokumente auf elektronischem Wege außerhalb einer Sitzung beschließen. Das Parlament als Ganzes wird aber weiterhin ausschließlich analog abstimmen. Weitere Ideen für digitales Arbeiten seien zwar unter den Abgeordneten besprochen, letztlich aber nicht weiter verfolgt worden, ist aus dem Geschäftsordnungausschuss zu hören. Demnach habe keine Fraktion konkrete Vorschläge zur

G

efälschte E-Mails bedrohen in hohem Maße die Behörden- und Unternehmens-IT. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Phishing-Mails mit gefährlicher Schadsoftware auftauchen. Zuletzt machte etwa die E-Mail-Spam-Kampagne mit dem Onlinebanking-Trojaner Emotet von sich reden. Er infiziert E-Mail-Postfächer und Rechner und kann gesamte Netzwerke lahmlegen. Auch das Social Engineering, das vor allem in Form von SpearPhishing-Mails auftritt, ist weit verbreitet. Darüber hinaus stellen bösartige Downloads, also Downloads mit unbekanntem Schadcode, die IT immer noch vor vermeintlich unlösbare Probleme. Bei Downloads von Dateien aus externen Quellen besteht immer die Gefahr, Opfer von Malware zu werden – sei es durch die Installation von Programmen oder das Starten von FTP-Filetransfers. Die Angriffsvarianten der Hacker sind dabei äußerst vielfältig: Sie reichen von Fake-Updates über URL-Weiterleitungen und DNSManipulationen bis hin zu fin-

Behörden Spiegel / April 2020

Bundestag bleibt in der Krise weitgehend analog (BS/Benjamin Stiebel) Im Krisenmodus boomen digitale Wege der Zusammenarbeit. Es stellt sich die Frage, ob es nicht auch in Parlamenten notfalls aus der Ferne gehen sollte. Das EU-Parlament hat das kurzfristig für namentliche Abstimmungen eingeführt. Der Bundestag sieht dagegen aktuell keinen Bedarf zur Digitalisierung. Zu groß wäre das Risiko eines unsicheren Schnellschusses. Auf dem Spiel steht die Legitimität der Gesetzgebung. Diskussion vorgelegt. Zu fehleranfällig wären digitale Abstimmungsverfahren, fürchten viele. Außerdem seien sie unnötig. Der Bundestag ist arbeitsfähig und mit der jüngsten Änderung der Geschäftsordnung gut auf den weiteren Verlauf der Krise vorbereitet, so der allgemeine Tenor. Dass tatsächlich mehr als drei Viertel der Mitglieder gleichzeitig durch Quarantäne oder andere Widrigkeiten verhindert sein könnten, gilt als unwahrscheinlich. Kein Vergleich also zum EUParlament, das allein schon aufgrund der Reiseeinschränkungen nicht mehr zusammenkommen kann.

Sicher ist sicher Widerstände gegen einen digitaleren Bundestag gab es aber auch schon vor der Krise. Die wenigen Experimente, die bisher zumeist auf Betreiben der Fraktionen Grüne und FDP gewagt

wurden, waren wegen Bedenken der Bundestagsverwaltung häufig mit angezogener Handbremse durchgeführt worden. So, wenn es um öffentliche Videostreams oder digitale Tools zur Bürgerbeteiligung ging. Kritik an der technischen Ausstattung kam jüngst auch von Jürgen Trittin (Grüne). Die Bundestags-IT sei nur begrenzt auf die Arbeit von zu Hause vorbereitet. Insbesondere fehle es an einheitlichen Konferenz-Tools. “Auch scheinen die wenigsten Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung in der Lage zu sein, ihre E-Mail-Postfächer von zu Hause aus abzurufen”, so der Abgeordnete in einem Brief an die für die Parlaments-IT zuständige IuKKommission. In der Krise zeigen sich nun offenbar die Folgen der zögerlichen Digitalisierung. Bei parlamentarischen Abstimmungen ist die Zurückhaltung naturgemäß noch größer. “Hier liegt der Blick auf die Diskussio-

nen um den Einsatz von Wahlcomputern bei Bundestagswahlen nahe”, so der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Bieber vom Center for Advanced Internet Sudies in Bochum. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2009 hohe Hürden gesetzt, damit elektronische Wahlen transparent und überprüfbar wären. Seitdem ist das Thema Digitalisierung der Wahllokale politisch tot. Es ist anzunehmen, dass die Anforderungen an Parlamentswahlen auch für innerparlamentarische Abstimmungen gelten müssten. Entsprechend schlecht sind die Aussichten, die passende Technik zu finden. Die Lösung des EU-Parlaments ist jedenfalls kaum als besonders sicher einzustufen. Der Europaabgeordnete der Piratenpartei, Patrick Breyer, warnt vor Eingriffen. “Ein so manipulationsanfälliges Verfahren setzt das Vertrauen in die Integrität von wichtigen

Abstimmungen aufs Spiel.” Die Unterschrift eines Abgeordneten sei leicht zu bekommen und könne zur Manipulation von Abstimmungen verwendet werden, so Breyer weiter. Zudem: Wenn die Sicherheit des Systems nicht zweifelsfrei feststeht, könnte schon die bloße Behauptung einer Manipulation zu Zweifeln an der demokratischen Ordnung führen. Bei Bundestagbeschlüssen will das niemand riskieren – schon gar nicht in der aktuellen Krise.

Digitales Testfeld nach der Krise? Zu berücksichtigen sei auch die Wirkung auf Bürgerinnen und Bürger, wenn demokratische Akte zum Teil ins Digitale gezogen würden, merkt Politikwissenschaftler Bieber an. “In der aktuellen Ausnahmesituation ist die symbolische Kraft der Versammlung besonders wichtig. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die

Sicher surfen und mailen Micro-Virtualisierung kapselt Risiken (BS/Jochen Koehler*) Die Methoden von Cyber-Angreifern werden immer raffinierter, aber die Hauptangriffswege bleiben gleich: gefälschte E-Mails und bösartige Downloads. Nur eine vollständige Isolierung dieser Gefahrenherde garantiert ein sicheres Surfen und Downloaden von Dokumenten. gierten Treibern und Systemtools. Die durch E-Mails und Downloads bestehenden Gefahren sind mit klassischen Antiviren (AV)Programmen nicht vollständig in den Griff zu bekommen. Das Problem dieser Lösungen besteht darin, dass sie auf die Malware-Erkennung angewiesen sind. Bisher unbekannte Schadsoftware wie einen neuen Virus in einem EMail-Anhang können sie damit kaum aufspüren. Selbst wenn Lösungen wie Next-GenerationAV-Produkte mit einer Erkennungsrate von 99 Prozent werben, bezieht sich auch das nur auf bereits bekannten Schadcode. Was immer bleibt, ist eine

Jochen Koehler ist Regional VP Sales Europe bei Bromium in Heilbronn. Foto: BS/Bromium

gefährliche Lücke nicht detektierbarer Malware.

Wirksamkeit klassischer Lösungen begrenzt Angesichts dieser Gefahrenlage und der Begrenztheit ihrer Abwehrmaßnahmen reagieren Behörden wie Unternehmen mit der noch regelmäßigeren Durchführung von AwarenessKampagnen, in denen die Mitarbeiter dazu aufgerufen werden, genau hinzusehen und nicht auf

Die Bromium-Lösung kapselt alle Anwenderaktivitäten in eigenen Micro-VMs. Grafik: BS/Bromium

alles zu klicken, was in einer E-Mail zu finden ist. Dennoch werden sie immer wieder Opfer

solcher Attacken, die mitunter gravierende Folgen haben. Wenn eine zuverlässige

Abgeordneten zögen sich aus der Verantwortung zurück.” Skeptisch ist auch die digitalaffine FDP-Fraktion, zumindest was namentliche Abstimmungen und Personenwahlen im Bundestag angeht. “Die Verfahren müssen einfach für jeden transparent sein, auch ohne Verständnis der zugrunde liegenden Technik”, sagt der digitalpolitische Sprecher Manuel Höferlin. Die meisten Beschlüsse werden aber durch Handheben oder Aufstehen gefasst. Höferlin: “Diese Verfahren lassen sich gut digitalisieren.” Ebenfalls keine große Hürde sei es, in die Ausschüsse Wortbeiträge per Videokonferenz zu übertragen. “Der Bundestag muss endlich zeitgemäße digitale Arbeitseinweisen einführen. Zum Beispiel wird es Zeit, dass wir uns von der Schriftformerfordernis bei Anträgen an die Parlamentsverwaltung verabschieden.” Die technischen Grundlagen für sichere Verfahren gebe es längst im Bundestag: WLAN, ein internes E-Mail-System, elektronische Signaturen und Verschlüsselung. Der Ausschuss Digitale Agenda könne nach der Krise als Testfeld für neue Instrumente dienen. “Die Mitglieder sind sehr aufgeschlossen für digitale Arbeitsweisen”, so der Vorsitzende Höferlin.

Malware­-Erkennung nicht möglich ist, bleibt – abgesehen von unrealistischen Szenarien wie einer vollständigen Abkoppelung vom Internet – prinzipiell nur noch eine einzige sinnvolle Schutzmaßnahme, eine Lösung, die auf “Applikationsisolation statt Malware-Detektion” setzt. Die beste Möglichkeit für eine solche Isolation bietet der Einsatz der Micro-Virtualisierungstechnologie – wie sie Bromium mit der Lösung Secure Platform erstmals auf den Markt gebracht hat. Dabei wird jede riskante Anwenderaktivität wie das Öffnen eines E-Mail-Anhangs oder das Downloaden eines Dokuments in einer eigenen Micro-VirtualMachine (Micro-VM) gekapselt. Eine mögliche Schädigung durch Malware bleibt dadurch immer auf die jeweilige Micro-VM beschränkt, die zudem nach Beendigung einer Aktivität wieder automatisch gelöscht wird. Eine Kompromittierung des Endgerätes und nachfolgend des Behörden- oder Unternehmensnetzes über die Angriffswege E-Mail oder Download ist damit nahezu ausgeschlossen.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / April 2020

AfD-“Flügel” zwar gesichert rechtsextremistisch...

KNAPP Neuer DFV-Fachbereich

...aber immer Einzelfallprüfungen im Öffentlichen Dienst erforderlich

(BS/Marco Feldmann) Nach der Einstufung des “Flügels” der Alternative für Deutschland (AfD) als “gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische (BS/mfe) Der Deutsche FeuerGrundordnung” durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dürfte auf die Dienstherrn und Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst einiges an Arbeit zukommen. Denn Mitglieder der wehrverband (DFV) hat einen Gruppierung werden nun Probleme mit ihren Vorgesetzten bekommen. Disziplinarverfahren sind absehbar, können aber nur in Einzelfällen stattfinden. neuen Fachbereich eingerichtet. Davon geht auch BfV-Präsident Thomas Haldenwang aus. Diese Verfahren könnten bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen. Dabei handelt es sich um die weitgehendste Maßnahme. Auch niedrigschwelligere Maßnahmen, wie etwa eine Rückstufung in eine niedrigere Besoldungsstufe innerhalb der jeweiligen Laufbahn, ein Beförderungsstopp oder eine Rüge, sind denkbar. Es werde aber jeweils zu Einzelfallprüfungen kommen müssen, meint Haldenwang. Insgesamt rechnet seine Behörde dem “Flügel” rund 7.000 Mitglieder zu. Das sind etwa doppelt so viele Anhänger wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) insgesamt hat. Dabei handelt es sich jedoch um eine Schätzung.

Bisher noch keine Entlassung Spannend zu beobachten sein dürfte, wie es nun mit einer der führenden “Flügel”-Persönlichkeiten weitergeht. Denn Björn Höcke, derzeit Abgeordneter des Thüringer Landtages, ist verbeamteter Gymnasiallehrer in Hessen. Dieses Beamtenverhältnis ruht derzeit. Momentan zeigt die Wiesbadener Landesregierung noch keine Bestrebungen, Höcke möglicherweise aus dem Öffentlichen Dienst zu entfernen. Im politischen Raum wurden derartige Forderungen jedoch bereits erhoben. In der Vergangenheit hatten bereits zwei AfDBundestagsabgeordnete, beides Polizisten, ihren Austritt erklärt und dies mit dem zunehmenden Einfluss des “Flügels” begründet. Das BfV führt die Neueinstufung unter anderem auf die organisatorische Ausdifferenzierung des “Flügels” generell und seine verstärkte Vernetzung im rechtsextremistischen beziehungsweise neu-rechten Spektrum zurück.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat den “Flügel” als “gesichert rechtsextremistische Bestrebung” eingestuft. Für Angehörige dieser Gruppierung, die im Öffentlichen Dienst beschäftigt sind, wird das zu Problemen mit dem Dienstherrn führen. Eine Musterlösung des Konfliktes zwischen dem Anspruch des Staates auf Loyalität des Beamten ihm und seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegenüber einerseits und den berechtigten Interessen des Beschäftigten andererseits kann es aber nicht geben. In jedem einzelnen Fall muss nun abgewogen werden, was für einen Verbleib des “Flügel”-Anhängers im Öffentlichen Dienst spricht – und was dagegen. Foto: BS/liblu, stock.adobe.com

Zudem werden die Verachtung des Parlamentarismus durch “Flügel”-Anhänger und deren teilweise Propagierung eines Systemumsturzes angeführt. Des Weiteren gebe es fortlaufend neue Verstöße von “Flügel”-Funk­ tionären gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung.

Für Extremisten kein Platz in der Verwaltung Darüber hinaus finde eine Verunglimpfung jeder parteiinternen Kritik am “Flügel” mit dem Kampfbegriff “Feindzeuge” und dem Vorwurf der Parteispaltung statt. Außerdem sei eine nochmals gestiegene zentrale Bedeutung der rechtsextremistischen “Flügel”-Führungspersonen Björn Höcke und Andreas Kalbitz fest-

zustellen gewesen. BfV-Präsident Thomas Haldenwang sagte zu der Einstufung: “Die Positionen des “Flügels” sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte haben sich verdichtet. Der “Flügel” ist als rechtsextremistische Bestrebung einzuordnen.” Als Frühwarnsystem dürfe das BfV sein Augenmerk nicht nur auf gewaltorientierte Extremisten legen, sondern müsse auch diejenigen im Blick haben, die verbal zündelten. Geistige Brandstifter schürten gezielt Feindbilder. Aus diesem Nährboden erwüchsen allzu oft auch Gewalttaten. Rechtsextremistische Agitation müsse entschieden bekämpft werden, so Haldenwang. “Es darf

keine Toleranz für Extremisten geben”, findet der BfV-Chef. Ganz besonders nicht im Öffentlichen Dienst. Dort hätten derartige Personen nichts zu suchen.

Zweifel an Verfassungstreue Aus dem Bundesinnenministerium (BMI) hieß es dazu, dass die Mitgliedschaft von Beamten in einer Partei oder einer Organisation, die durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindliches Beobachtungsobjekt eingestuft werde, Zweifel an ihrer Verfassungstreue indiziere. Für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens reiche allein die Mitgliedschaft im “Flügel” aus. Denn schon dadurch ergäben sich Zweifel an der politischen Treuepflicht

gegenüber dem Staat, hieß es. Bei Mitgliedern des “Flügels” in exponierten Stellungen dürften diese Zweifel wohl noch größer sein. Ähnliches ist aus Niedersachsen, Sachsen, RheinlandPfalz und Baden-Württemberg zu hören. In Thüringen wird überlegt, einen Mitarbeiterbrief an alle Beamten zu versenden. Wer dem “Flügel” angehört, soll aufgefordert werden, ein Gespräch mit dem Geheimschutzbeauftragten seiner Dienststelle zu führen. Wird dies abgelehnt, könnten dienstrechtliche Konsequenzen folgen. Aber auch hier gilt: Es kommt auf den Einzelfall an. Leichter, als sie aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, dürfte es übrigens sein, “Flügel”Anhänger erst gar nicht in dieses aufzunehmen. Denn dafür sind die Hürden deutlich niedriger als für eine Entfernung aus dem Dienst. Ebenfalls einfacher, als sie fernzuhalten, ist es bei Stellen innerhalb des Verfassungsschutzes.

Gedankengut verschwindet nicht einfach Abzuwarten bleibt vorerst, wie sich die selbst erklärte und vom AfD-Bundesvorstand zuvor verlangte Auflösung des “Flügels” bis Ende dieses Monats auswirken wird. Denn Gedankengut lässt sich nicht so einfach “auflösen”. Und die exponierten Repräsentanten der Gruppierung verschwinden ebenfalls nicht, worauf bereits mehrere Präsidenten von Landesverfassungsschutzämtern aufmerksam machten. Hinzu kommt, dass es von hochrangigen AfD-Politikern bereits Lob für Anhänger des “Flügels” gab. Zudem gibt es Überlegungen aus dem “Flügel” eine eigene Partei neben der AfD zu machen.

Die Mitglieder des Gremiums beschäftigen sich künftig mit der Brandschutz- und Feuerwehrgeschichte. Geleitet wird der Fachbereich vom Chef des Deutschen Feuerwehrmuseums, Rolf Schamberger. Bislang waren die Themen Brandschutz- und Feuerwehrgeschichte in einem DFV-Arbeitskreis angesiedelt. Dessen Arbeit übernimmt nun der Fachbereich. Dort sind wie im vorherigen Arbeitskreis 14 Landesfeuerwehrverbände und die Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes (vfdb) vertreten. Wann nach dem Rücktritt von Hartmut Ziebs ein neuer DFVPräsident gewählt wird, ist nach der Absage des Delegiertentages hingegen weiterhin unklar. Die Versammlung sollte eigentlich im Rahmen der Messe Interschutz in Hannover stattfinden. Diese wurde jedoch aufgrund der CoronaPandemie auf 2021 verschoben.

Neues NATO-Mitglied (BS/por) Ende März ist Nordmazedonien offiziell der NATO beigetreten. Es ist damit das 30. Mitgliedsland und die vierte ehemalige jugoslawische Teilrepublik , die der Atlantischen Allianz beitrat, nachdem in den vergangenen Monaten die Parlamente aller bisherigen Mitgliedsstaaten die Aufnahme des Aspiranten ratifiziert hatten. Möglich geworden war dieser Schritt erst nach der Beilegung des Namensstreits mit Griechenland im vergangenen Jahr. Nun hofft das westbalkanische Land auch auf eine EUMitgliedschaft. Die wichtigsten Daten zu Nordmazedonien findet man im “Handbuch der Militärattachés in Deutschland”. Bestellt werden kann dieses auf der Homepage des Behörden Spiegel unter “Sonderpublikationen”.


Innere Sicherheit

Seite 38

D

ie Gewerkschaft der Polizei (GdP) bezeichnet die starke Zunahme der Taten im Bereich der Verbreitung von Kinderpornografie als erschreckend. 2019 waren es insgesamt 12.262 der Polizei bekannt gewordene Straftaten. Und es gibt immer ein Dunkelfeld, auch wenn es je nach Deliktart unterschiedlich groß ist. Die Zahl der Tatverdächtigen ist im Vergleich zum Vorjahr um 80 Prozent gestiegen. Das werfe einerseits Licht auf eine schäbige Ecke unserer Gesellschaft, andererseits offenbarten diese Taten die breiten Online-Möglichkeiten der Täter, betont der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek. “So erschütternd diese Zahlen zwar sind, umso deutlicher wird jedoch auch, dass der Tatraum Internet viel effektiver durch die Polizei aufgeklärt werden muss. Dazu darf es keine Unterschiede mehr zu den Möglichkeiten der Verbrechensbekämpfung im analogen Raum geben”, mahnt Radek. Dabei wurden erst vor zwei Monaten die Möglichkeiten der verdeckten Ermittlung von Staatsanwaltschaften und Polizei (“Keuschheitsprobe” im Zutritt zu Darknet-Foren) verbessert. Die Versuchsstrafbarkeit von Cyber Grooming ist eingeführt, der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen konstituiert und eine Meldepflicht für InternetServiceprovider bei sogenannter Kinderpornografie sei aktuell geplant, wie der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, betont. “All diese Maßnahmen sind richtig und sehr wichtig.” Deren (Miss-)Erfolg wird sich aber erst frühestens im kommenden Jahr zeigen.

Nicht jeder Täter ist pädophil Das Problem könne aber nicht allein durch Strafverfolgung gelöst werden, ist sich Dr. Malgor-

Behörden Spiegel / April 2020

Nicht nur polizeiliche Aufgabe Opferschutz bei Kindesmissbrauch (BS/Katarina Heidrich) Die Zahlen sind ernüchternd: 2019 gab es einen Anstieg des Straftatbestandes “sexueller Missbrauch von Kindern” im Vergleich zum Vorjahr um 10,9 Prozent. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) war beim Tatbestand “Verbreitung, Erwerb, Besitz und Her­ stellung kinderpornografischer Schriften” sogar ein Plus von 64,6 Prozent zu verzeichnen. Im Januar gab es zwei Änderungen im Strafrecht, die den Ermittlern die Verfolgung von Missbrauchstätern erleichtern sollen. Was weiterhin fehlt sind aber Knowhow und ausreichender Opferschutz. zata Okulicz-Kozaryn, Dozentin im Fachbereich Kriminalpolizei an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (HS Bund), sicher. “Wir überschätzen total die präventive Wirkung des Strafmaßes”, bemängelt sie. Gleichzeitig herrschten im Bereich der Kinderpornografie nach wie vor viele Mythen und Missverständnisse – auch bei den Ermittlern. Der allgemeine Fokus liege auf pädophilen Tätern, es gebe aber verschiedene kriminogene und situative Faktoren (wie etwa das Internet), die jemanden zum Täter machten. Da die Nutzung kinderpornografischer Abbildungen nicht pauschal auf eine Bevölkerungsgruppe beschränkt sei, müsse man sich mehr auf die MenschComputer-Interaktion fokussieren. “Man sollte weggehen von den individuellen Täterneigungen und den Fokus auf die situativen Effekte des Internets legen”, so Okulicz-Kozaryn. Diese seien unter anderem: Schnelligkeit, Anonymität, ständige Erreichbarkeit sowie einfache Nutzbarkeit. Online-Communities ermöglichen den Austausch über deviante Handlungen und gleichzeitig das gemeinsame Durchführen dieser. Täter erhielten Bestätigung durch andere in den Netzwerken und erführen somit soziale Akzeptanz. Folglich sei, laut Okulicz-Kozaryn, ein Teil der Lösung: die Erhöhung des Aufwands und des wahrgenommenen Risikos (zum Beispiel durch vermehrte Medienberichte) und die gleichzeitige Reduzierung der wahrgenommenen Belohnung. Letztere sinke aber automatisch,

Die Corona-Krise führt dazu, dass Kinder vermehrt zu Hause “festsitzen”, auch in gewalttätigen Umgebungen. Da sie oft nicht nach draußen, etwa auf einen Spielplatz, können, ist eine Ausweitung der Hilfsangebote vonnöten.

wenn Aufwand und Risiko stiegen. “Es ist auch ein gesellschaftliches Problem, nicht nur eine polizeiliche Aufgabe”, so die BKAMitarbeiterin.

Geschützter Raum für Opfer Des Weiteren müsse der Opferschutz ausgeweitet und weiterentwickelt werden. Auch hier spiele die Digitalisierung eine Rolle. So solle etwa vermehrt auf Video- und Audiotechnik bei Vernehmungen gesetzt werden, erläutert Andreas Stenger, Polizeipräsident Mannheims. Dies vermeide Mehrfachvernehmungen und den Sichtkontakt beziehungsweise die Konfrontation mit dem Täter. Seit September 2019 laufe etwa das Projekt

Foto: BS/Counselling, pixabay.com

“Childhood-Haus” sehr erfolgreich, so Stenger. Das Haus ist wie eine Wohnung aufgebaut; das Wartezimmer etwa wie ein Wohnzimmer gestaltet, damit das Kind sich in einem geschützten Raum befindet. Der Vernehmungsraum ist mit drei Kameras plus Tonaufzeichnung ausgestattet wie ein normaler Vernehmungsraum, aber gestaltet wie ein Kinderzimmer. Darüber hinaus gibt es einen Raum für die medizinisch-therapeutische Untersuchung und forensische Dokumentation. In Baden-Württemberg existieren derzeit zwei solcher Häuser. Zwei sollen noch in diesem Jahr dazukommen und insgesamt sind zehn geplant. “Wünschenswert

wäre mindestens ein Haus in jedem Bundesland”, betont Dr. Astrid Helling-Bakki, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg und Koordinatorin des Childhood-Hauses Heidelberg. Nur maximal ein Fünftel der Fälle, die im Haus untersucht würden, werde strafrechtlich verfolgt, so die Ärztin. Der größere Teil der Fälle werde untersucht, aber ohne polizeiliche Ermittlung. Bei dringendem Verdacht auf Kindesmisshandlung werde ein so genannter Case Manager angerufen. Wobei Prävention bezüglich des Opfers – oder auch “Erfahrungsprävention”, wie der Sprecher für Kriminalprävention und Opferschutz im

Bundesvorstand des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Hermann-Josef Borjans, fordert (siehe Seite 39 in dieser Ausgabe) – in diesem Bereich so gut wie nicht umsetzbar ist. Die meisten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch geschehen im engeren Familienkreis. Gerade in Zeiten bundesweiter Ausgangsbeschränkungen wird dieses Problem verschärft. Rörig hebt die steigende Gefahrenlage durch die CoronaPandemie hervor: “Die starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens können die Gefahr für Gewalt in der Familie insgesamt und auch für sexuellen Kindesmissbrauch erhöhen.” Eine mögliche Gefährdungslage oder Zuspitzung einer familiären Krisensituation werde noch schwerer bemerkt werden. Vor diesem Hintergrund fordert der Betroffenenrat des UBSKM, dass Hilfsangebote für Betroffene sexualisierter Gewalt aufrechterhalten werden: “Wir brauchen Online-Beratungsangebote für sexuell missbrauchte Kinder und ihre Freund/-innen und viel bessere Bedingungen der Fachkräfte in den Jugendämtern”, heißt es von dort. Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt und andere Themen des Kinderschutzes müssten unbürokratisch Sonderzulagen erhalten, Therapien für traumatisch belastete Kinder und Erwachsene ohne Antragstellung während der Krise finanziert werden. “Wir rufen Therapeut/innen und Psycholog/-innen dazu auf, Sitzungen per Video oder Telefon anzubieten”, lautet ein weiterer Appell. Die Kinderschutzallianz, in der der Behörden Spiegel Bündnispartner ist, hat zum erklärten Ziel, sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu bekämpfen. Weitere Infos unter: www.kinderschutzallianz.org

Bekanntheit und Attraktivität entscheidend

Hansestadt wählt anderen Ansatz

Mehrere Schlüsselgrößen für erfolgreiche Personalgewinnung

Hamburg schickt Polizeischüler in Kommissariate

(BS/Sven Sandner*) Die Bayerische Polizei legt viel Wert auf die Gewinnung von gutem und motiviertem (BS/mfe) Die Hamburger Polizei geht angesichts wahrscheinlich steigender Infiziertenzahlen in ihren Reihen Personal. Um angesichts eines erhöhten Einstellungsbedarfs genügend Bewerberinnen und Bewerber für einen anderen Weg als mehrere andere Polizeibehörden. Dort wurden 800 Polizeischüler, deren Lehreinrich­ den Polizeivollzugsdienst und den IT-Bereich gewinnen zu können, ist es wichtig, die Bayerische Polizei als tung derzeit geschlossen ist, auf die einzelnen Kommissariate der Hansestadt verteilt. attraktiven Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren. Die Bayerische Polizei entwickelte daher auf Grundlage externer Marktanalysen und wissenschaftlicher Beratung mit einer professionellen Marketing­ agentur zielgruppenorientierte Werbekampagnen. Für die regelmäßige Bewertung und Optimierung der Werbekampagnen wurden als relevante Schlüsselgrößen die Merkmale Bekanntheit und Attraktivität der Bayerischen Polizei als Arbeitgeber bei den relevanten Zielgruppen identifiziert. Um diese zuverlässig ermitteln zu können, ist ein Marktforschungsinstitut mit einer jährlichen Befragung der Zielgruppen beauftragt.

Sehr hohe Werte im Voll­ zugsdienst Ausgangssituation ist, dass bei der Rekrutierung von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten sowie IT-Fachkräften unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden. Im Vollzugsdienst sind es vorwiegend Schulabgängerinnen und Schulabgänger sowie Berufswechsler, im IT-Bereich hingegen ausgebildete Fachkräfte und Hochschulabsolventen. Die Bayerische Polizei erreicht als Arbeitgeber im Polizeivollzugsdienst einen sehr hohen Bekanntheitsgrad bei der Zielgruppe. Dieser Wert konnte 2020 auf 99,7 Prozent gesteigert werden und erzielt damit den Spitzenwert unter den Arbeitgebern.

Auch die Attraktivität konnte im Vergleich zum Vorjahr erneut gesteigert werden, sodass die Bayerische Polizei mit einem Wert von 20,2 Prozent bei der Bewerbungsabsicht nur knapp auf Platz zwei der beliebtesten bayerischen Arbeitgeber landet.

Strategie entworfen Anders sah die Situation bei der Gewinnung von IT-Fachkräften aus. Bei einer ersten Marktanalyse im Jahr 2018 kannten nur 28,6 Prozent der befragten Studenten und 25,4 Prozent der befragen Young Professionals den “IT - Arbeitgeber” Bayerische Polizei. Die Bewerbungsabsicht lag bei den Young Professionals bei gerade einmal 3,6 Prozent. Um Bekanntheitsgrad und Attraktivität zu steigern, konzipierte das Projekt “Werbeoffensive IuK” mit einer professionellen Marketingagentur eine nachhaltige Werbekampagne. Dabei wurde eine Strategie der Personalisierung und Diversifizierung von IT-Tätigkeiten entworfen. Sie zeigt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bayerischen Polizei mit ihren Aufgaben als ITKriminalist, IT-Forensiker und IT-Professional. Die Berufsbilder und Karrieremöglichkeiten sind auf der Internetseite www.mit-sicherheitanders.de/IT dargestellt. Der Schwerpunkt der Kampagne liegt im Bereich Onlinemarketing. Daneben gibt es ein Pilotprojekt zur

Präsenz an bayerischen Hochschulen mit der Technischen Hochschule Nürnberg, Werbung in Printmedien, sowie die Präsenz auf relevanten Jobmessen. Für interessierte IT-Fachkräfte wurde eine Bewerberkoordination als zentrale Auskunftsstelle eingerichtet. Diese Strategie trägt Früchte. Bei der in diesem Jahr durchgeführten Befragung konnte eine deutliche Steigerung bei Bekanntheit und Bewerbungsabsicht bei den befragten Studenten auf 46,7 Prozent und 9,8 Prozent, bei den Young Professionals sogar auf 59,8 Prozent und 13,4 Prozent festgestellt werden.

Schrittweise zusammen­ führen Aufbauend auf den bisherigen Erfolgen wird die Bayerische Polizei die bislang getrennten Werbekampagnen sukzessive zusammenführen. Thematisch und organisatorisch sollen somit Kompetenzen erhalten und Sy­nergien geschaffen werden. Dabei geht es im Kern um die Darstellung der Bayerischen Polizei als attraktiven Arbeitgeber in allen Bereichen und die nachhaltige Etablierung einer zentralen Recruiting- und Marketingkompetenz. *Sven Sandner ist Polizeirat und Leiter des Projekts “Werbeoffensive” bei der Bayerischen Polizei.

Deutschlandweit sind auch die Polizisten mit den Auswirkungen des Corona-Virus‘ konfrontiert. Foto: BS/Timo Klostermeier, pixelio.de

Hier werden sie im regulären Streifendienst eingesetzt. Der Hamburger Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lenders, übt daran Kritik. Er bemängelt, dass die Dienststellen auf diesen Schritt überhaupt nicht vorbereitet gewesen seien. So würde es nun in den Kommissariaten noch enger als ohnehin schon. Empfohlene Mindestabstände seien dann nur noch sehr schwierig oder gar nicht mehr einzuhalten. Bereits jetzt wurden vereinzelt ganze Gruppen aus dem Dienst genommen, da es dort zu Kontakten mit infizierten Personen kam. Lenders verlangt von der Polizeiführung, nachdem sie die Polizeischüler nicht in Reserve geschickt, sondern auf die Kommissariate verteilt habe, dort nun

auch für arbeitsschutzrechtlich einwandfreie Bedingungen zu sorgen. Im Sinne der Fürsorgepflicht des Dienstherrn müsse hier nachgesteuert werden, so Lenders. Er plädiert für die Einrichtung von Personalreserven, um infektionsbedingte Ausfälle und Vakanzen schnellstmöglich wieder auffüllen zu können. In Niedersachsen und SchleswigHolstein wurde dieser Schritt bereits gegangen. Dort arbeiten viele Polizisten von zu Hause aus und befinden sich für den Einsatzdienst in Reserve. Auch die Bundespolizei folgt diesem Ansatz. Das Corona-Virus hat auch schon Auswirkungen auf den Dienstbetrieb einzelner Polizeien. Überall wurden die Polizeischulen und -akademien geschlossen. Im Saarland sollen darüber hi­ naus einige kleinere Dienststellen geschlossen worden sein. In Thü-

ringen wurden verkehrslenkende Maßnahmen auf ein Minimum reduziert. In Sachsen sind Polizisten angewiesen, einen Mindestabstand von ein bis zwei Metern zu Personen zu halten, die Erkältungssymptome zeigen. Bei der rheinland-pfälzischen Polizei finden Besprechungen vorerst nur noch als Telefon- oder Videokonferenzen statt. In Berlin haben sich schon mindestens 33 Polizisten infiziert. Mindestens 47 befinden sich in Quarantäne und bei 174 wurde eine solche Empfehlung ausgesprochen. Eine allgemeine “Maskenpflicht” besteht bundesweit jedoch nicht, auch nicht bei Kommunalen Ordnungsdiensten. In Nordrhein-Westfalen sollen sich bereits mindestens 150 Polizisten infiziert haben und sich 1.000 in Quarantäne befinden (mehr zu Schutzmaßnahmen der Feuerwehr auf Seite 23).


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / April 2020

S

o kam auch, mitten im medi­ alen Pulverdampf der Coro­ na-Krise, die Entscheidung zu­ stande, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan um ein weiteres Jahr zu verlängern. Nur etwa ein Drittel der Bundestagsabge­ ordneten stimmte gegen den Be­ schluss, enthielt sich der Stimme und hinterfragte die aktuelle Lage kritisch. Das Mandat für den Einsatz von 1.300 deutschen Soldaten als Teil der NATOAusbildungsmission “Resolute Support” wurde damit praktisch unverändert fortgeschrieben, obwohl sich die Bedingungen nach dem “Friedensabkommen” zwischen den USA und den Ta­ liban deutlich, wenn nicht gar dramatisch, verändert haben. Fast 19 Jahre nach dem Ein­ marsch westlicher Kräfte im Rahmen des vom damaligen USPräsidenten George W. Bush un­ widersprochen verkündeten “war on terror” ist in Afghanistan der islamische Terror, insbesondere der von al-Qaida, Daesh und Ta­ liban, immer noch ungebrochen. Auch die anderen Ziele der westlichen Allianz, dem Land De­ mokratie, Menschenrechte, und Rechtsstaat zu bringen, waren, rückblickend betrachtet, nichts anderes als Ausdruck einer fort­ gesetzten westlichen Hybris, die so gut wie alle historischen Kriegserfahrungen ignorierte. Die jüngsten von Russland und die von drei vorangegangenen englisch-afghanischen Kriegen. Auch die Vorbereitungen des

Drei afghanische Regierungen vorhanden Welche will die Bundesrepublik denn unterstützen?

das Ziel ausschließlich, das Land einigermaßen gesichtswahrend verlassen zu können. Dennoch mehr oder weniger schmachvoll, wie einst die Russen.

(BS/Uwe Kranz) Schon Odysseus und seine Gefährten verbargen sich bei ihrer Flucht vor dem Zyklopen Polyphem unter den Bäuchen der auf die Land schutzlos Weide geführten Schafe. Diesen Trick beherrscht auch die Bundesregierung, wenn sie unbequeme oder unbeliebte Beschlüsse dann fasst, wenn Afghanistan aber bleibt schutz­ die öffentliche Aufmerksamkeit gebannt auf andere Geschehnisse blickt. los zurück. Als Erstes werden Deutschen Reichs, Afghanistan als Verbündeten für den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen, zählen zu den missglückten Versuchen. Die langjährige Unterstützung und Beratung in sicherheits­ politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht waren letztlich vergebens. Das klingt irgendwie sehr vertraut.

Taliban verhinderten Demokratie Nach vielen geopolitischen Kon­ flikten und Bürgerkriegen war Ahmad Schah Massoud Mitte der 1990er-Jahre auf dem besten Weg, in Afghanistan eine Demo­ kratie zu errichten. Die Taliban aber wollten ein diktatorisches Emirat errichten. Mit massiver militärischer Unterstützung Pa­ kistans, der al-Qaida und finan­ ziellen Hilfen aus Saudi-Arabien starteten sie einen Terrorkrieg gegen Massoud, besetzten Kabul und riefen sogar das “Islamische Emirat Afghanistan” unter der Führung von Mullah Omar aus. Der international anerkannte “Islamische Staat Afghanistan” jedoch versuchte, aus seinen Rückzugsgebieten im Norden des

Frühzeitig handeln “Kriminalprävention verhindert zahlreiche Straftaten”

7.000 sollen in den nächsten 14 Uwe Kranz, TerrorismusexMonaten unter perte des Behörden Spiegel, der Bedingung warnt vor den Folgen des Ababgezogen wer­ zugs westlicher Soldaten aus den, dass die in­ Afghanistan. Dieser Schritt nerafghanischen werde für das Land massive Verhandlungen und gefährliche Konsequenden Weg zum zen haben, prognostiziert er. Frieden geebnet haben), ist ein Foto: BS/Dembrowsky Blankoscheck für Terroristen. Die afghanische Regierung war Landes die Terrorherrschaft der Taliban zu bekämpfen. Nach ei­ bei den Verhandlungen zwischen ner UN-Untersuchung gingen 15 den USA und den Taliban erst systematisch begangene Massa­ gar nicht zugelassen und muss ker in den Jahren 1996 bis 2001 nun mit dem eigentlichen Sie­ auf die Taliban zurück. Weitere ger von Doha verhandeln. Sie auf die berüchtigte Sondereinheit kontrolliert nur noch wenige der “Brigade 055” der al-Qaida. wichtigsten Städte. Über 70 Pro­ zent des Landes werden, mehr Warnung verhallte oder weniger offen, von Terro­ ungehört risten regiert oder kontrolliert. 2001 rief Massoud im Euro­ päischen Parlament in Brüs­ Konkurrierende Präsidenten sel die internationale Staaten­ Nach dem Scheitern der Präsi­ gemeinschaft um humanitäre dentschaftswahlen im September Hilfe an. Außerdem warnte er 2019 ließen sich kürzlich beide ausdrücklich vor einem unmit­ Kontrahenten zeitgleich, aber an telbar bevorstehenden großen verschiedenen Stellen im afgha­ Anschlag auf amerikanischen nischen Präsidentenpalast, zum Boden. Umsonst, wie man weiß. Präsidenten ausrufen: Aschraf Die westliche Überheblichkeit Ghani und sein langjähriger Kon­ macht blind. Das zeigt sich trahent Abdullah Abdullah, der nun erneut. Der geplante Ab­ die Rechtmäßigkeit des Wahl­ zug von 5.000 US-Soldaten in ergebnisses nicht anerkennt den ersten 135 Tagen nach Ver­ und von Vertretern Russlands, tragsabschluss (die restlichen des Irans und der Türkei geehrt

(BS/bk) Obwohl die Kriminalitätszahlen jährlich zurückgehen, gibt es im Bereich der Kriminalprävention und des Opferschutzes noch viel zu tun. So seien die Betrugsfälle an Senioren immer noch auf hohem Niveau. MELDUNG Deren Zahl würde teilweise sogar noch steigen. Dies geschehe trotz intensiver Strafverfolgung, breiter Berichterstattung in den Medien und Weitere BKA-Abteilung Informationsmaßnahmen der Polizei. Allein in Bonn gebe es pro Tag rund (BS/mfe) Im Bundeskriminalamt 60 Anrufe mit betrügerischen Absichten. (BKA) existiert seit Neuestem die Viele führten zwar nicht zum Erfolg. Doch wenn es Betrügern gelinge, das Vertrauen von Seni­ oren zu gewinnen, entstünden leicht Schäden in fünfstelliger Höhe. Davor warnt HermannJosef Borjans, Sprecher Krimi­ nalprävention und Opferschutz im Bundesvorstand des Bun­ des Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Er sieht die Ursache für diese Entwicklung in der Verän­ derung der Gesellschaft. Viele Senioren seien einsam und ein leichtes Opfer für Betrüger. Hier würden nur weitere Aufklärung und Informationskampagnen helfen. Doch lässt sich die Effektivität von Präventionsmaßnahmen in anderen Bereich durchaus nach­ vollziehen. “Es hat sich gezeigt, dass im Bereich der Einbruchs­ prävention immer mehr Strafta­ ten im Versuchsstadium stecken bleiben”, so Borjans. Die Bürger würden durch Informationsarbeit der Polizei und Beratungsgesprä­ che mit Beamten sensibilisiert und sicherten ihre Wohnungen durch eigene Maßnahmen wie bessere Außenbeleuchtung und Schlösser. Die Vorbeugemaß­ nahmen endeten jedoch nicht beim Schutz des Eigenheims. Sie

Seite 39

umfassten eine große Bandbreite von Verhaltens-, Drogen- und Gewaltpräventionsmaßnahmen bis hin zum Schutz vor sexuellem Missbrauch, meint Borjans.

Opferschutz – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe “Die Präventionsarbeit ist nicht minder wichtig als die Strafverfol­ gung. Straftaten zu verhindern, bedeutet Kriminalität zurückzu­ drängen. Gesetze und eine gute Polizeiarbeit reichen im Rahmen der Prävention nicht aus”, unter­ streicht Borjans. Kriminalprä­ vention und Opferschutz seien gesamtgesellschaftliche Aufga­ ben. Das eigene Verhalten, also der Schutz der Person und des Eigentums, verhindere, dass aus Bürgern Opfer würden. Für einen effektiven Opferschutz brauche es jedoch eine effektive Zusammenarbeit. Dies gelte un­ ter anderem für die Kooperation von Polizei, Jugendämtern, Er­ ziehern, Lehrern und Eltern. Aus eigener Erfahrung, sagt Borjans, wisse er, dass eine “Erfahrungs­ prävention” gerade bei Kindern und Jugendlichen wichtig sei. Prävention heiße in diesem Fall, ihnen Gefahren an ganz prakti­ schen Beispielen aufzuzeigen.

Hermann-Josef Borjans (r.), Sprecher Kriminalprävention und Opferschutz im Bundesvorstand des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sieht bei der Kriminalprävention die gesamte Gesellschaft gefordert. Foto: BS/Dombrowsky

Abteilung Cyber Crime. Darin soll die Bekämpfung von Kri­ minalität im und aus dem digi­ talen Raum gebündelt werden. Außerdem ist dadurch beab­ sichtigt, die Mitarbeiter weiter zu spezialisieren. Das BKA blickt bei der Bekämp­ fung von Cyber-Kriminalität be­ reits auf eine langjährige Erfah­ rung zurück. Ihren Anfang nahm diese unter der Bezeichnung “Informations- und Kommunika­ tionskriminalität” in einem klei­ nen Arbeitsbereich des Referates

für Wirtschaftskriminalität der damaligen Abteilung Organisier­ te und Allgemeine Kriminalität (OA) Mitte der 1990er-Jahre. Nach einem kontinuierlichen Zuwachs an Aufgaben und Per­ sonal entstand im Jahr 2013 die Gruppe Cyber Crime, die mit über 100 Mitarbeitern in der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität (SO) aufgebaut wurde. Diese Gruppe bildet nun die personelle und fachliche Basis der neuen Abteilung, die in den nächsten Jahren schrittweise auf rund 280 Beschäftigte an­

Unvergessen ist auch das un­ endliche Leid, das die Taliban in den vergangenen Jahrzehnten verursachten: Vertreibung von über einer Million Afghanen, rigide Einführung der Scharia, Unterdrückung der Frauen, Drogenanbau, -produktion und -handel oder Folter und Ermor­ dung Andersgläubiger. Und den­ noch verhandelten die USA nur mit diesen Terroristen. Gerade jenen, die einst Mitverursacher des “war on terror” waren. Trotz über 3.500 gefallener Soldaten ist

die Provinzhauptstädte, dann ohne US-Luft- und -Bodenun­ terstützung, von den Taliban eingenommen oder gar kampf­ los übergeben. Die afghanische Armee wird in großen Teilen mitsamt Ausrüstung überlau­ fen und die Machtkämpfe der Warlords brechen wieder aus. Die Zahl der Kriegsflüchtlinge wird drastisch ansteigen. Die Taliban werden das Land erneut mit Scharia, Terror und Folter überziehen. Das gerade aufge­ baute Bildungssystem und seine Einrichtungen werden zerstört. Opium- und Cannabisanbau, Drogenproduktion und -handel werden nie geahnte Ausmaße annehmen. Afghanistan droht, zwischen dem wirtschaftlich robusteren, von Russland unterstützten Norden und dem zerstrittenen Süden zu zerbrechen. Pakis­tan, Russland, der Iran und Indien werden dieses Vakuum nutzen, um ihre geopolitischen Positio­ nen zu festigen. Letztlich wird der Sieg der Taliban alle isla­ mischen Terroristen der Welt in ihrem Kampf gegen den imperi­ alen Westen und seine “Koloni­ alherrschaft” befeuern. Allahu akbar, der Westen ist besiegt, er gibt auf, Doha ist erst der Anfang! Und inmitten dieses Sze­ narios geben Bundesregierung und Bundestag die verstörende Weisung “Weiter so!”.

wachsen soll. In der Abteilung sind Kriminalbeamte, Ana­ lysten und IT-Experten tätig. Abteilungsleiter wird Carsten Meywirth, der nach seiner Ver­ wendung als Stabsleiter der Abteilung Informationstechnik (IT) die Gruppe Cyber Crime von November 2013 bis Mai 2016 leitete, und anschließend die Abteilung Zentrale Verwaltung für Baumaßnahmen, Liegen­ schaftsverwaltung und zen­ trale Services übernahm. Die neue Abteilung wird neben den klassischen Zentralstellenauf­ gaben wie der Koordinierung

des internationalen Informati­ onsaustausches die Analyse­ kompetenz des BKA erweitern. Dies gilt etwa mit Blick auf neue Cyber Crime-Phänomene oder digitale Angriffsmuster. Aber auch Ermittlungen gegen kri­ minelle Akteure, Netzwerke und Strukturen sollen hier verstärkt BKA-Präsident Holger Münch sagte: “Die Abhängigkeit un­ serer Gesellschaft von einer funktionsfähigen technischen Infrastruktur nimmt stetig zu.” Zugleich hätten es Straftäter relativ einfach, sich im Netz kri­ minelle Kompetenz einzukaufen.

wurde. Ghani hat Abdullah in­ zwischen für abgesetzt erklärt. Was wie eine politische Posse klingt, ist bitterer Ernst, denn auch der dritte “Präsident”, Mullah Hibatullah Akhunzada, seit 2016 Anführer der Taliban, spielt in diesem Politpoker mit – mit blutiger Begleitmusik. Um ihre Verhandlungsposition zu stär­ ken, begingen die Taliban in den letzten Monaten, selbst während der “Friedensverhandlungen” und Vereidigungszeremonien, Bombenattentate, die Hunderte Menschenleben und noch mehr Verletzte forderten.

Serie TERRORZIELE (TEIL 40)


Innere Sicherheit

Aufsicht wird übertragen BaFin erhält neue Zuständigkeit / Mehr Einheitlichkeit gewünscht (BS/mfe) Die Aufsicht über die Tätigkeiten von Finanzanlagenvermittlern und Honorar-Finanzanlagenberatern geht auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) über. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das Bundeskabinett beschlossen. Derzeit ist die Kontrolle über diese Berufsgruppen noch zersplittert. Sie wird momentan je nach jeweiligem Sitz entweder durch die Gewerbeämter oder die Industrieund Handelskammern wahrgenommen. Nun soll die Aufsicht ab dem 1. Januar 2021 sukzessive auf die BaFin übertragen werden. Ziele sind eine einheitliche und qualitativ hochwertige Finanzaufsicht sowie eine Stärkung des Anlegerschutzes.

Übergang ins Wertpapier­ handelsgesetz Dafür werden die bisher einschlägigen Vorschriften in der Gewerbeordnung und der Finanzanlagenvermittlungsverordnung aufgehoben und inhaltlich weitgehend unverändert in das Wertpapierhandelsgesetz überführt. Bereits nach der Gewerbeordnung bestehende Erlaubnisse gelten grundsätzlich weiter, allerdings vorbehaltlich eines Überprüfungs- und Nachweisverfahrens durch die BaFin. Die durch die Änderung freiwerdenden Aufsichtskapazitäten bei den Ländern sollen laut Koalitionsvertrag für eine Stärkung der Geldwäscheaufsicht im Nicht-

finanzbereich genutzt werden. Hier ist – nicht nur angesichts der in diesem Jahr anstehenden Prüfung durch die “Financial Action Task Force” (FATF) – noch einiges zu verbessern.

Spezialisierung stärken Der im Bundesfinanzministerium (BMF) für Finanzmarktpolitik zuständige Staatssekretär Dr. Jörg Kukies sagte: “Mit der Übertragung der Aufsicht über die Finanzanlagenvermittler auf die BaFin beseitigen wir die bisherige zersplitterte Aufsichtsstruktur.” Im Einklang mit den Vorgaben

des Koalitionsvertrages werde eine einheitliche, spezialisierte und wirksame Aufsicht geschaffen, die auch der zunehmenden Komplexität des Aufsichtsrechts gerecht werde. Durch die Bündelung bei der BaFin würden Qualität und Effektivität der Aufsicht insgesamt gesteigert. “Dabei wird dem Proportionalitätsgedanken Rechnung getragen und die Aufsicht risikoorientiert unter Nutzung digitaler Verfahren ausgestaltet, sodass im Ergebnis ein kostenschonender Aufsichtsansatz verwirklicht wird”, erklärte Kukies.

Die Wertpapieraufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) hat ihren Sitz in Frankfurt am Main (Foto). Dort wird ab 2021 schrittweise die Aufsicht über Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater gebündelt. Foto: BS/BaFin

Doch inhaltliche Entscheidung? Kennzeichenerfassung könnte gekippt werden

Behörden Spiegel / April 2020

Kommentar

Foto: BS/FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag

Seite 40

Lügde: Vertrauen muss zurück­ gewonnen werden Stefan Birkner ist Landes- und Fraktionsvorsitzender ­ der ­niedersächsischen FDP

Das kaum fassbare Leid der Opfer von Lügde und der lange Zeitraum, in dem die Täter ungehindert Kinder vergewaltigen und sexuell missbrauchen konnten, verlangen nach spürbaren Konsequenzen. Das Landgericht Detmold setzte ein deutliches Zeichen: Es verurteilte die beiden Haupttäter zu 13 und zwölf Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Mitte März stellte die Staatsanwaltschaft Detmold die Verfahren gegen sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes Hameln-Pyrmont sowie gegen dessen Leiter wegen des Verdachts der Verletzung ihrer Fürsorge- und Erziehungspflicht ein. Dabei hatte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) bereits festgestellt, dass ein “Behördenversagen an allen Ecken und Enden” vorlag. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Einstellungen vielfach

auf Unverständnis trafen. Es könnte der Eindruck entstehen, dass der durch die Behörden verursachte Anteil ohne Konsequenzen bleibt. Wesensmerkmal unserer Justiz ist es, ohne Ansehen der Person und strikt nach Recht und Gesetz zu handeln. Dabei kommt der Staatsanwaltschaft die Aufgabe zu, alle be- und entlastenden Umstände zu ermitteln und zu würdigen. Ist eine Verurteilung unwahrscheinlich, muss sie das Verfahren einstellen. Es ist mithin nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, wie von einem Opferanwalt im Lügde-Fall gefordert, das Vertrauen in die Behörden wiederherzustellen. Dies ist vielmehr Aufgabe der Behörden selbst und insbesondere der politisch Verantwortlichen. Deshalb ist es richtig, dass sich die Landtage in NordrheinWestfalen und Niedersachsen intensiv mit der Aufarbeitung

der Geschehnisse befassen und um die richtigen Lehren ringen: Eine bessere Zusammenarbeit der Behörden, klar definierte und hohe Standards in der Kinder- und Jugendhilfe sowie verbesserte personelle Ausstattung sind nur einige wichtige Punkte. Diese müssen zügig umgesetzt werden, um das Vertrauen wieder wachsen zu lassen. Das wird jedoch nicht reichen. Wir müssen als Gesellschaft insgesamt sensibler im Umgang mit sexualisierter Gewalt werden, um Täterstrategien frühzeitig zu erkennen und zu entlarven. Das ändert am Ende nichts daran, dass die betroffenen Mitarbeiter – ungeachtet der straf- und disziplinarrechtlichen Relevanz ihres (Nicht-)Handelns – sich selbstkritisch mit ihrem individuellen Beitrag und ihrer Schuld befassen müssen. Diese Verantwortung kann ihnen niemand nehmen.

Neue Rechtsgrundlage für Polizisten Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern beschlossen

(BS/mfe) Im Schweriner Landtag ist das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz für Mecklenburg-Vorpommern (BS/mfe) Die automatisierte Kennzeichenerfassung in Brandenburg steht möglicherweise doch vor dem Aus. beschlossen worden. Es enthält neue Befugnisse für die polizeiliche Arbeit sowie gesetzliche Klarstellungen. Denn wie der Behörden Spiegel aus gut informierten Kreisen erfuhr, wollen die Richter des märkischen Landesverfassungsgerichts möglicherweise doch materiellrechtlich über eine derzeit anhängige Verfassungsbe- Letztere betreffen unter anderem Festhalterecht für Mitarbeiter bei denen eine besondere Gefahr schwerde gegen das System befinden. Und dann sähe es für das Land wohl nicht gut aus. den “finalen Rettungsschuss”. von Ordnungsbehörden im Rah- entstehen kann. Darüber hinDie Verfahrensbeteiligten sollen ein entsprechendes Schreiben der zuständigen Berichterstatterin des Gerichts Christine Kirbach erhalten haben. Eine Bestätigung dazu war vom Brandenburger Verfassungsgericht nicht zu erhalten. Von dort hieß es nur, dass den Äußerungsberechtigten in dem Verfahren umfassende Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Dazu, ob bereits ein Votum vorliege und welchen Inhalts dieses wäre, könne keine Auskunft erteilt werden. Dabei handele es sich um Vorgänge der internen gerichtlichen Entscheidungsfindung, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Mitgeteilt wurde immerhin, dass das Verfassungsgericht derzeit zwar beabsichtige,

das Verfahren innerhalb dieses Jahres abzuschließen. Aufgrund der Corona-Pandemie könnten diese Planungen jedoch auch hinfällig werden. Im Potsdamer Justizministerium, das das Land Brandenburg in der Angelegenheit vor dem Verfassungsgericht vertritt, wollte sich mit Verweis auf das noch laufende Verfahren niemand äußern.

Grundlage ist Verfassungsbeschwerde Dem Verfahren zugrunde liegt eine Verfassungsbeschwerde eines Mitglieds der Piratenpartei. Der Mann sieht durch das System zur automatisierten Kennzeichenerfassung KESY sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Zuvor

Rund 100 Beteiligungen an Umfrage Um Antworten auf diese Fragen zu finden und ein aktuelles Stimmungsbild einzufangen, hat der Behörden Spiegel zusammen mit der Droniq GmbH – einem Gemeinschaftsunternehmen der DFS Deutsche Flugsicherung und der Deutschen Telekom – eine Umfrage durchgeführt. Beteiligt haben sich knapp über 100 Personen, hauptsächlich aus den Bereichen Feuerwehr, Deutsches

Bislang andere Annahme Bisher waren die Vertreter des Landes Brandenburg davon ausgegangen, dass das Verfassungsgericht die Beschwerde aus formalen Gründen – mit Verweis auf den noch nicht ausgeschöpften Rechtsweg – zurückweisen werde. Dies erfuhr der Behörden Spiegel von Personen, die mit der Angelegenheit vertraut sind, aber namentlich ungenannt bleiben möchten. Diese Zuversicht könnte nun dahin und die Tage von KESY könnten möglicherweise gezählt sein.

Dieser ist zwar bereits nach geltender Rechtslage erlaubt. Allerdings wurden rechtsichere Formulierungen für notwendig erachtet, damit die Beamten etwa bei Amoklagen oder terroristischen Ereignissen korrekt und fehlerfrei handeln können. Ebenso wurde eine klarstellende Formulierung für den Einsatz von Drohnen sowie die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen gefunden. Des Weiteren wird in der neuen Vorschrift die Videoüberwachung in den für die Durchführung der polizeilichen Gewahrsamnahme genutzten Räumlichkeiten geregelt. Deren Einführung soll sowohl den Schutz der in Gewahrsam genommenen Personen als auch der Polizisten verbessern. Außerdem wurde ein neues

men von Identitätsfeststellungen aufgenommen. Demnach dürfen nun auch Vollzugsbeamte der Ordnungsbehörden die von einer Identitätsfeststellung betroffene Personen festhalten, wenn ihre Identität auf andere Art und Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Dieses Festhalterecht, das bisher nur Polizisten zustand, gilt bis zum Eintreffen der Polizei.

Straftatenkatalog deutlich erweitert Sie soll zudem zur Datenübermittlung zum Zwecke einer Zuverlässigkeitsüberprüfung, etwa für Sicherheitspersonal bei Großveranstaltungen, ermächtigt werden. Die Befugnis gilt allerdings nur für Veranstaltungen,

Drohnen bei BOS willkommen

O

b Waldbrand, Vermisstensuche oder polizeilicher Einsatz: Unbemannte Fluggeräte (Unmanned Aircraft Systems, UAS) liefern Informationen, die Einsatzkräften am Boden nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Dabei sind sie schneller einsatzbereit und kostengünstiger als ein Hubschrauber. Aber welche Organisation im Bereich der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) nutzt das Werkzeug Drohnen aktuell? Und für welche Einsatzzwecke? Wie bewerten die Einsatzkräfte Drohnen? Taugen sie für den Regelbetrieb? Was müsste noch passieren, damit Drohnen zum regulären Einsatzgerät werden?

hatte er sich vor dem Amtsgericht Frankfurt an der Oder sowie dem dortigen Landgericht erfolglos gegen die Nutzung des Systems gewehrt.

Unbemannte Fluggeräte bieten zahlreiche Vorteile (BS/Michaela Sankowsky*) Erkundung aus bisher unmöglichen Perspektiven oder schnelle Informationen zur Lagebeurteilung, ohne das eigene Personal zu gefährden – die neue Technologie Drohnen ist auch im täglichen Einsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften angekommen und wird von den Einsatzkräften äußerst positiv bewertet. Dies zeigt eine aktuelle Trendumfrage des Behörden Spiegel zusammen mit der Droniq GmbH. Rotes Kreuz (DRK) und Polizei, die sich mit der Thematik UAS beschäftigen. “Die Umfrage hat uns vor allem gezeigt, dass Drohnen bei den Einsatzkräften angekommen sind – über 60 Prozent nutzen UAS regelmäßig als professionelles Werkzeug im Rahmen ihres Einsatzes”, sagt Thilo Vogt, Leiter Vertrieb und Business Development bei Droniq. Bei der Befragung handle es sich nicht um eine repräsentative Studie. Sie zeige aber einen Trend auf. Genutzt würden Drohnen fast ausschließlich für Video-, Foto- und Wärmebildaufnahmen – der Transport von Material per Drohne sei für Einsatzkräfte noch kaum relevant.

Kaum Flüge in Höhen von mehr als 100 Metern Auch bei der Wahl des Fluggeräts zeigt die Umfrage ein klares Bild: 96 Prozent der Befragten

nutzen Multirotorsysteme wie Quadro- oder Hexacopter. Andere Systeme wie Kipp- oder Starrflügler scheinen ebenfalls bislang noch keine Relevanz zu haben. Über 60 Prozent der Befragten haben bis zu fünf Geräte im Einsatz, die sie monatlich oder sogar wöchentlich nutzen – und das bereits länger als ein Jahr. Die

meisten Drohnen (63 Prozent) fliegen im Einsatz im Bereich von 50 bis 100 Metern oder tiefer (33 Prozent). Flüge über 100 Metern scheinen für den Einsatz nicht nötig zu sein. Zudem fliegt der Großteil (88 Prozent) aktuell innerhalb der Sichtweite – der Steuerer behält das Fluggerät während des Einsatzes immer im

Unbemannte Fluggeräte (Foto) werden von vielen Angehörigen der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sehr geschätzt. Denn sie bieten ihnen zahlreiche neue Möglichkeiten. Foto: BS/Fabian Horst, CC BY 2.0, flickr.com

Auge. Etwa die Hälfte muss den Einsatz mit bemanntem Verkehr wie einem Rettungshubschrauber koordinieren. Dies erfolgt in den meisten Fällen per Funk beziehungsweise Telefon über eine Leitstelle.

Akkus der Geräte oft noch zu schwach So gut wie alle Befragten sind zufrieden mit den Flugeigenschaften ihrer Drohne. Der größte Mangel wird in der zu kurzen Akkulaufzeit gesehen. Bei knapp der Hälfte gab es bereits Ausfälle oder Abstürze des Fluggeräts. Als häufigster Grund wurden Pilotenfehler, schwierige Windverhältnisse oder eine verlorene Verbindung zum Fluggerät genannt. Bei allen Organisationen fliegen mehrere Personen das UAS. Die Hälfte der Befragten nutzt regelmäßige Qualifikationen und Praxistrainings zur Schulung der Piloten, den Kennt-

aus wird der Katalog der Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes um die Delikte Terrorismusfinanzierung, Bildung terroristischer Vereinigungen, Verbreitung sowie Erwerb und Besitz kinder- oder jugendpornografischer Schriften erweitert. Gleiches gilt für besonders schwere Fälle der Computer­ sabotage, Geldwäsche oder das Einschleusen von Ausländern. Des Weiteren werden Rechtsgrundlagen für die Online-Durchsuchung und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung geschaffen. Den in MecklenburgVorpommern eingesetzten Vollzugskräften der Zollverwaltung wird zudem eine Eilzuständigkeit eingeräumt. Diese besaßen sie bislang nicht.

nisnachweis nach Paragraf 21d der Luftverkehrsordnung haben 35 Prozent. Aber wie kommt der UAS-Einsatz in den Organisationen an? Auch hier zeigt sich ein deutliches Bild: Die Mehrheit meint, dass der Drohnen-Einsatz überwiegend positiv aufgenommen wird (85 Prozent). Der Rest schätzt es als neutral ein. Keiner der Befragten gab an, dass dies negativ aufgenommen werde. In den Kategorien “Sicherheit/ Zuverlässigkeit”, “Effizienz des Betriebs”, “Unterstützung der Einsatzkräfte” und “Potenzial für Regelbetrieb” schnitten UAS durchweg gut oder sehr gut ab. Als wichtigste Erkenntnis aus der bisherigen Nutzung gaben die meisten die schnelle Bereitstellung von sonst kaum zugänglichen Informationen an. Auch seien UAS unauffälliger und kostengünstiger als Hubschrauber. Für einen schnellen Überblick über Einsatzstellen seien UAS unschlagbar, sie ermöglichten eine Erkundung aus bisher unmöglichen Perspektiven, ohne das eigene Personal zu gefährden – so die Teilnehmer der Umfrage. *Michaela Sankowsky, Droniq GmbH


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / April 2020

I

m vergangenen Jahr regis­ trierte die Polizei bundesweit insgesamt 5.436.401 Strafta­ ten. Gegenüber 2018 beträgt der Rückgang der Straftaten 2,1 Prozent. Eine vergleichbar “nied­ rige” Anzahl erfasster Straftaten wurde letztmalig 1992 ausgewie­ sen. Rückgänge im Vergleich zu 2018 waren unter anderem bei der Wirtschaftskriminalität (-19,9 Prozent), bei Wohnungseinbruch­ diebstahl (-10,6 Prozent) und bei Tötungsdelikten (-6,3 Prozent) zu verzeichnen. Anstiege im Vergleich zu 2018 gab es unter anderem bei der Verbrei­ tung pornografischer Schriften (Plus 51,6 Prozent), ComputerKriminalität (plus 11,3 Prozent), sexuellem Missbrauch von Kin­ dern (plus 10,9 Prozent), Wider­ stand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewalt (plus 8,2 Prozent) sowie Straftaten nach dem Arzneimittelgesetz (plus 6,3 Prozent). Von den 5.436.401 erfassten Straftaten wurden 57,5 Prozent aufgeklärt. Insgesamt wurden 2.019.211 Tatverdächtige er­ mittelt, davon waren 1.319.950 deutsche Staatsangehörige (65,4 Prozent), 699.261 nichtdeutsche Staatsangehörige (34,6 Prozent) und 269.415 Zuwanderer (13,3 Prozent).

Rückgang in zehn Bundesländern In zehn Bundesländern wurden 2019 weniger Straftaten als im Jahr zuvor registriert. Den stärks­ ten Rückgang verzeichnete Thü­ ringen (minus 9,3 Prozent), gefolgt

2019 insgesamt weniger Straftaten Aber mehr Sexualdelikte und tätliche Angriffe auf Staatsdiener (BS/Gerd Lehmann) Der in den letzten Jahren auf Wanderungsgewinne zurückzuführende erhebliche Bevölkerungsanstieg in Deutschland hat sich nicht negativ auf die Kriminalitätsbelastung ausgewirkt. Zumindest, wenn man der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) Glauben schenkt. Seit 2017 ist die Fallzahl der registrierten Straftaten rückläufig. Aussage von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) auf Vorgänge bei der Außenstelle des Bundes­ amtes für Migration und Flücht­ linge (BAMF) in der Hansestadt zurückzuführen. Nahezu ein Drittel der Steigerung um 3.700 Delikte ist diesem Komplex zu­ zuordnen. Im Übrigen waren in Bremen mehr einfache Körper­ verletzungen und eine höhere Zahl von Diebstählen zu ver­ zeichnen.

Bayern an der Spitze – Berlin Schlusslicht Allgemein wurde zwar ein Rückgang der Straftaten in Deutschland verzeichnet. Dieser Trend gilt jedoch gerade nicht für Angriffe auf Polizisten. Deren Zahl nahm sogar zu. Foto: BS/Thomas Quine, CC BY 2.0, flickr.com

von Bayern (minus 5,0 Prozent), Nordrhein-Westfalen (minus 4,3 Prozent) und Hamburg (minus 3,6 Prozent). Insider bezweifeln aller­ dings, dass der Rückgang der re­ gistrierten Straftaten überall die tatsächliche Kriminalitätsent­ wicklung widerspiegelt. Sie hal­ ten eine Verschiebung von Straf­ taten vom Hell- ins Dunkelfeld für wahrscheinlicher. In der krimi­ nologischen Literatur wird davon ausgegangen, dass der Anteil der Straftaten, der durch polizeiliche Verfolgungsintensität bekannt wird, deliktsabhängig zwischen zwei und zehn Prozent beträgt.

Mit der seit Jahren angespannten Personallage geht eine kontinuier­ liche Abnahme der polizeilichen Verfolgungsintensität einher. Streifenfahrten finden kaum noch statt. Auf frischer Tat wird kaum noch jemand ertappt. In vielen Bereichen beschränkt sich die Tä­ tigkeit der Polizei allein auf die Er­ ledigung von Aufträgen und Ein­ sätzen. Einiges spricht aber auch für eine Veränderung des Anzei­ genverhaltens der Bevölkerung. Die aktuellen organisatorischen und strukturellen Gegebenheiten der Polizei und Justiz wirken nicht gerade förderlich auf die Anzeige­

Sicherheit stärken – Menschen schützen Neue Technologien, Einsatzmittel und Möglichkeiten der Polizei im Saarland (BS/Klaus Bouillon) Tradiertes, bisher bewährtes polizeiliches Handeln und polizeiliche Strukturen sind zunehmend ungeeignet, mit der Digitalisierung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen Schritt zu halten. Der Einsatz neuer Technologien wie beispielsweise eines automatisierten Kennzeichenlesesystems, der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (“elektronische Fußfessel”) oder einer Körperschutzkamera, umgangssprachlich Bodycam, bedarf auch angepasster rechtlicher Grundlagen. Aus diesem Grund werden im Saarland aktuell mit dem saar­ ländischen polizeilichen Daten­ verarbeitungsgesetz (SPOLDVG) die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen im Kontext der Digitalisierung geschaffen. So wird beispielsweise der bereits im öffentlichen Raum zulässige Einsatz der Bodycams für Auf­ nahmen auch in Wohnungen ver­ fassungskonform ermöglicht, um Polizeibeamtinnen und -beamte insbesondere beim Einschreiten in Fällen häuslicher Gewalt besser schützen zu können. Dies war mir persönlich ein großes Anliegen, da diejenigen, die sich tagtäglich für den Schutz der Bevölkerung ein­ setzen, ebenfalls den größtmög­ lichen Schutz erhalten müssen. Der jetzt erweiterte Einsatz der Bodycams muss dabei zur Ab­ wehr einer dringenden Gefahr für Leib und Leben der Polizeibeam­ tinnen und Polizeibeamten erfor­ derlich sein.

Persönliche Ausstattung wird angestrebt Doch neben der Anpassung der rechtlichen Grundlagen bedarf es für ein zeitgemäßes Arbeiten auch neuer, zukunftsorientierter Technik. So streben wir im Laufe des Jahres 2020 eine persönli­ che Ausstattung aller operativen Kräfte mit Smartphones (i-Phone 7+) an. Die technischen Voraussetzun­ gen zum geschützten Betrieb der Endgeräte liegen vor. Eine Viel­ zahl von Apps ermöglicht die Auf­ nahme von Strafanzeigen oder Verkehrsunfällen vor Ort und er­ laubt die Übertragung fotografier­ ter Dokumentendaten wie Füh­ rerscheindaten oder Halterdaten sowie die anschließende automa­ tisierte Übertragung der Daten in das Vorgangsbearbeitungs­ system. Ein polizeilicher Mes­ senger ermöglicht den sicheren

Seite 41

re Strecken und Steigungen bewäl­ tigen. So können Fahrradstreifen Foto: BS/Ministerium für Inneres, auf das gesamte Bauen und Sport des Saarlandes Stadtgebiet so­ wie die Naherho­ lungsgebiete aus­ gedehnt werden. Dieses erfolgreich Austausch von Bildern, Videos, erprobte Konzept Sprachnachrichten und Texten. wird Mitte des Jahres mit 25 Pe­ Dadurch wird eine schnelle und delecs auf alle Polizeiinspektionen effektive Übermittlung einsatzre­ ausgedehnt. levanter Daten sichergestellt. Klaus Bouillon (CDU) ist seit November 2014 Innenminister des Saarlandes.

DEIG praktikabel Als ebenso praktikabel hat sich der Einsatz von Distanzelektroim­ pulsgeräten (DEIG) erwiesen. Ziel einer sechsmonatigen Erpro­ bungsphase war es, die Hand­ lungssicherheit zur Festsetzung von Störern beziehungsweise Tätern aus sicherer Distanz bei größtmöglicher Sicherheit für die Einsatzkräfte und Minimierung von Verletzungsgefahren für das polizeiliche Gegenüber sicherzu­ stellen. Die hohe Akzeptanz in­ nerhalb der Polizei ist auf eine Vielzahl von Einsätzen zurück­ zuführen, die mittels des DEIG erfolgreich durchgeführt werden konnten. Oftmals genügte bereits die An­ drohung des Einsatzes, um den Widerstand des polizeilichen Ge­ genübers zu beenden. Bei den Einsätzen des DEIG ist es – außer der leichten Verletzung durch die pfeilförmigen Elektroden – bis­ lang zu keinen gesundheitlichen Schäden oder Verletzungen ge­ kommen. Das Saarland wird noch in diesem Jahr eine landesweite Ausstattung umsetzen. Seit Mitte Mai 2019 erfolgte bei der saarländischen Polizei weiter­ hin die Erprobung von E-Bikes. Mit den Fahrrädern können die uniformierten Einsatzkräfte durch die Elektromobilität länge­

Ausbau geplant

In Zeiten knappen Personals und eingeschränkter finanzieller Mittel brauchen wir eine flexi­ ble Organisation, die es erlaubt, schnell wechselnde Einsatzlagen mit den zur Verfügung stehen­ den Einsatzkräften zu bewältigen. Dazu wurde die neue “Operative Einheit” (OpE) aus 108 Einsatz­ kräften im Jahr 2018 eingeführt. Sie entlastet den Wach- und Strei­ fendienst von Zusatzbelastungen bei der Bewältigung von Veran­ staltungen aller Art. Sie ist zu­ dem mit robusten Führungs- und Einsatzmitteln zur Bewältigung lebensbedrohlicher Einsatzlagen ausgestattet. Ein Ausbau dieser operativen Einheit zur Erhöhung der Flexibilität ist in diesem Jahr vorgesehen. Daneben trägt der Bau des neu­ en Einsatztrainingszentrums am Standort der Fachhochschule für Verwaltung des Saarlandes in Göttelborn durch die räumlichen und technischen Möglichkeiten zur Professionalisierung der Ausund Fortbildung unserer Polizei bei. Die Sicherheit unserer Bevölke­ rung zu gewährleisten, ist gerade in diesen Zeiten besonders wich­ tig. Mit den zahlreichen vorge­ stellten Maßnahmen schaffen wir es, den Schutz der Menschen in unserem Land weiter zu erhöhen.

motivation und -bereitschaft.

Zuwachs in Bremen um fünf Prozent Ein anderer Trend zeigte sich in sechs Bundesländern. Im Saar­ land (plus 5,4 Prozent) und in den Ländern Bremen (plus 5,0 Pro­ zent), Mecklenburg-Vorpommern (plus 2,5 Prozent), Sachsen-An­ halt (plus 1,3 Prozent) sowie in Baden-Württemberg und Berlin (jeweils plus 0,3 Prozent) wurden 2019 mehr Straftaten von der Po­ lizei erfasst als 2018. Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) führt die höhere Zahl von Straftaten im Wesentlichen auf eine verstärkte Kontrolltätigkeit der Polizei zu­ rück. Dass zugleich die Aufklä­ rungsquote der saarländischen Polizei um 2,1 Prozentpunkte sank, erwähnt er hingegen nicht. Das deutliche Mehr an Straftaten 2019 im Land Bremen ist nach

“In Bayern leben heißt sicherer leben”: diese seit Jahren obliga­

torische Verkündung des bay­ erischen Staatsministers des Innern, für Sport und Integra­ tion, Joachim Herrmann (CSU), gilt mit Fug und Recht auch für das Jahr 2019. Der Frei­ staat nimmt mit 4.616 Straf­ taten je 100.000 Einwohner die geringste Kriminalitätsrate seit 1979 und mit einer Auf­ klärungsquote von 67 Prozent erneut den Spitzplatz bei der Inneren Sicherheit ein. Schlusslicht im Länderran­ king ist wiederum das Land Berlin. Mit 14.086 Straftaten je 100.000 Einwohner und einer Aufklärungsquote von 44,7 Prozent ist die Krimina­ litätsbelastung so hoch wie in keinem anderen Land. Im Städtevergleich weist nur die hessische Metropole Frankfurt am Main mit 15.761 Delikten pro 100.000 Einwohner einen noch schlechteren Häufig­ keitswert als Berlin auf.

Kriminalität 2019 Land

Straftaten

Veränderung gegenüber 2018 (in Prozent)

Straftaten pro 100.000 Einwohner

Aufklärungs­ quote (in Prozent)

BW

573.813

+0,3

5.184

60,8

BY

603.464

-5,0

4.615

67

BE

513.426

+0,3

14.086

44,7

BB

171.828

-0,6

6.841

56,3

HB

78.228

+5,0

11.554

48,7

HH

210.832

-3,6

11.451

46,7

HE

364.833

-2,1

5.823

65,2

MV

111.329

+2,5

6.016

62,8

NI

506.582

-0,1

6.346

63,4

NW

1.227.929

-4,3

6.847

53,3

RP

241.529

-1,2

5.913

64,9

SL

74.720

+5,4

7.543

54

SN

271.796

-2,5

6.665

56,2

ST

173.346

+1,3

7.850

55

SH

183.445

-1,8

6.333

54,7

TH

129.301

-9,3

6.033

61,1

gesamtes Bundesgebiet

5.436.401

-2,1

6.548

57,5

Die Kriminalitätsentwicklung war in den Bundesländern unterschiedlich. Einige verzeichneten eine Zunahme, andere einen Rückgang. Grafik: BS/Hoffmann/eigene Recherche Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes und der Länder


Katastrophenschutz

Seite 42

S

o würde die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre immer noch zunehmen und auch die weltweite Mitteltemperatur steige weiterhin an. Ähnlich sehe es beim mittleren Anstieg des weltweiten Meeresspiegels aus. Adrian zeigt sich alarmiert: “Die Menschheit hat die Sturmglocken bisher noch nicht hören wollen. Unser Wetter und Klima werden extremer – weltweit, in Europa und hierzulande.” Global betrachtet war das Jahr 2019 das zweitwärmste, waren die vergangenen fünf Jahre die wärmsten und war die Dekade zwischen 2010 und 2019 die bisher wärmste seit dem Vorliegen weltweiter Aufzeichnungen. Diese existieren seit 1850.

“Unverändert in die falsche Richtung” Deutscher Wetterdienst bietet neue Produkte gegen Klimawandel (BS/Marco Feldmann) Der globale Klimawandel schreitet kontinuierlich voran. Davor warnt Prof. Dr. Gerhard Adrian, Präsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Er sagt: “Alle wichtigen Stellschrauben drehen sich unverändert in die falsche Richtung.” einstellen. Dazu gehörten unter anderem Hitze und Dürre.

Neue Form der Wettervorhersage

tionale Wetterdienst im Streit um seine WarnWetter-App eine endgültige juristische Niederlage hinnehmen. Er darf deren Vollversion in Zukunft nur noch gegen Bezahlung anbieten. Die kostenfrei nutzbare Fassung muss sich auf aktuelle amtliche Warnungen beschränken. Das entschied der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Aktenzeichen I ZR 126/18).

Niederlage vor dem Bundesgerichtshof

Um die mittelfristigen Folgen des Klimawandels für die Bundesrepublik und die gesamte Welt besser abbilden zu können, setzt der DWD ab sofort auf neue dekadische Wettervorhersagen. Zu diesen sagt der Leiter der Klimatologie des nationalen Wetterdienstes, Tobias Fuchs: “Unsere neuen Klimavorhersagen für die kommenden zehn Jahre füllen die Lücke zwischen bereits genutzten Klimavorhersagen für die nächsten Monate und langfristigen Klimaprojektionen bis zum Ende des Jahrhunderts.” Sie könnten damit zum Beispiel Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft helfen, bereits jetzt Investitionsentscheidungen an den Klimawandel anzupassen. Fuchs meint, dass die neuen Klimavorhersagen auch einen Mehrwert für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) hätten. Einsatzkräfte der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) oder des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), die auch im Ausland tätig seien, könnten sich bei laufenden Einsätzen frühzeitig auf absehbare klimatische Ex­treme

Behörden Spiegel / April 2020

DWD-Präsident Prof. Dr. Gerhard Adrian warnt vor den Folgen des weltweiten Klimawandels. Foto: BS/DWD

Erstmals flächendeckende Erfassung Ebenfalls ein neues DWD-Angebot stellt die Starkregenstatistik dar. Sie erfasst solche Niederschläge erstmals flächendeckend. Dies geschieht vor allem mithilfe des DWDWetterradarverbundes und vorerst für den Zeitraum zwischen 2001 und 2018. Zwar lassen sich aufgrund dieser begrenzten Periode noch keine eindeutigen Trends ableiten. Es habe sich als ein erstes Ergebnis aber bereits gezeigt, dass Starkniederschläge in Deutschland bevorzugt in der warmen Jahreszeit von Mai bis September aufträten. Außerdem habe es 2018 erstmals in diesem Jahrhundert in Deutschland überdurchschnittlich viele Starkniederschlagsereignisse in einem zu warmen und gleichzeitig zu trockenen Sommer gegeben, hieß es vom DWD. Unterdessen musste der na-

Die obersten deutschen Zivilrichter urteilten, dass der DWD mit der kostenlos und werbefrei angebotenen Vollversion die im DWD-Gesetz verankerte Ermächtigungsgrundlage überschritten habe. Er habe damit zwar nicht erwerbswirtschaftlich, sondern allein zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe gehandelt. Gleichwohl sei das Produkt dennoch zu beanstanden, da sich die Inhalte der Vollversion nicht auf Wetterwarnungen beschränkten, sondern darüber hinaus zahlreiche allgemeine Wetterinformationen, wie detaillierte Wetterberichte, abrufbar seien.

Zahlreiche Funktionen Der DWD wird nach der letztinstanzlichen Entscheidung die Vollversion nun nur noch gegen Bezahlung anbieten. Sie kostet einmalig 1,99 Euro. Sie enthält neben amtlichen Warnungen und Informationen zur Warnlageentwicklung unter anderem individuell konfigurierbare Warnelemente und -stufen, zuschaltbare Alarmierungsfunktionen bei Änderung der Warnlage vor Ort, die Möglichkeit zur

frühen Alarmierung durch eine “Vorabinformation Unwetter” als Push-Nachricht und einen Zeitstrahl für den Warn- und Wetterverlauf über insgesamt neun Tage. Des Weiteren besteht in dieser Variante die Möglichkeit der parallelen Einblendung mehrerer Wetterphänomene und es sind ein aktueller Warnmonitor für Gewitter, Glatteis, Starkregen und Schneefall sowie aktuelle Wetterradarbilder mit Anzeige der georteten Blitze verfügbar. Zudem sind Hitze-, UV-, Hochwasser- und Sturmflutwarnungen integriert. Im Vorgriff auf die nun erfolgte Entscheidung hatte der DWD die Vollversion der WarnWetter-App bereits nur gegen Entgelt angeboten. Dies wird nun auch so fortgesetzt. Zudem sei es vorstellbar, noch weitere Angebote in die kostenpflichtige Version aufzunehmen, hieß es. Die Version, auf die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) Zugriff haben, bleibt entgeltfrei.

entsprechende Beratung durch die Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) abheben. Zur meteorologischen Sicherung der Luftfahrt, bei der es sich um eine originäre DWD-Aufgabe handelt, zählen unter anderem die Wetterüberwachung, die Erstellung standardisierter Vorhersagen und nationaler und internationaler Vorgaben, die Flugwetterberatung sowie die Erstellung und Verbreitung von Warnungen vor fluggefährdenden Wettererscheinungen im An- und Abflug der Flughäfen.

Fünf Luftfahrtberatungs­ zentralen im gesamten Bundesgebiet

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe (Foto) hat entschieden, dass der Deutsche Wetterdienst (DWD) seine WarnWetter-App in der Vollversion nicht mehr kostenfrei anbieten darf. Foto: BS/Joe Miletzki

dienst in Europa unter Beweis.” Der DWD wurde erstmals 2007 für die Erbringung von Leistungen im SES zertifiziert.

Der DWD betreibt bundesweit fünf Luftfahrtberatungszentralen. Diese befinden sich an den Flughäfen Hamburg, Berlin-Tegel, Frankfurt am Main und München sowie in der DWD-Niederlassung Essen. Darüber hinaus existieren an 16 internationalen Verkehrsflughäfen Deutschlands DWDFlugwetterwarten. Dort wird das Flughafenwetter beobachtet und erfasst. Mit Blick auf die 23 Regionalflughäfen hierzulande hat der DWD die fachliche Verantwortung

DWD erhält Rezertifizierung Derweil ist der DWD-Flugwetterdienst erneut für die Erbringung flugmeteorologischer Dienstleistungen im einheitlichen europäischen Luftraum (“Initiative Single European Sky”, SES) zertifiziert worden. Dies erfolgte durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF). Der Leiter der DWD-Abteilung Flugmeteorologie, Klaus Sturm, sagte dazu: “Mit der Rezertifizierung wird einerseits die langjährig hohe Qualität der Produkte und Dienstleistungen des DWDFlugwetterdienstes belohnt, andererseits stellt der Deutsche Wetterdienst damit seine Zukunftsfähigkeit als Flugwetter-

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) betreibt noch fünf Luftfahrtberatungszen­ tralen. Eine davon befindet sich am Flughafen Frankfurt am Main (Foto).

Foto: BS/DWD

Die meteorologische Sicherung der zivilen Luftfahrt in der Bundesrepublik gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des DWD. Hierzulande darf kein Flugzeug ohne eine

für die flugmeteorologischen Anlagen, sogenannte “Automated Weather Observing Systems” (AWOS), und die dazugehörenden Sensoren inne.

Zentrale Beschaffung angelaufen

Das THW im Kampf gegen das Virus

Die Einkäufer in der Corona-Krise

Logistiker der Corona-Krise

(BS/bk) Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bat das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstech­ (BS/bk) Um die Versorgung mit medizinischem Material und Schutzausrüstung sicherzustellen, beschaffte nik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) um Unterstützung bei der Beschaffung von dringend benötigten die Bundesregierung in der Corona-Krise die benötigten Produkte und Artikel zentral. Doch wie kommt das Infektionsschutzartikeln. Unter Beteiligung der Generalzolldirektion (GZD) und des Beschaffungsamtes des Material dort hin, wo es gebraucht wird? Bundesinnenministeriums (BeschA) wird nun das medizinische Material weltweit beschafft. Doch welche Aufgaben haben die Beschaffungsämter und für welche Beschaffungen sind die Stellen zuständig? Mit der Aufgabe der Organisati- vorgesehen ist. Die Verteilung der Das BAAINBw untersteht dem Bundesministerium für Verteidigung (BMVg). Es wurde 2012 durch den Zusammenschluss des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) und des Bundesamtes für Informationsmanagement und Informationstechnik der Bundeswehr (IT-AmtBw) geschaffen. Das Bundesamt beschafft Wehrmaterial wie Panzer oder Militärflugzeuge sowie die persönliche Ausrüstung der Soldaten. Es übernimmt jetzt einen Großteil der Beschaffungen des Infektionsschutzmaterials wie Masken, Handschuhe und Zubehör für medizinische Tests. Die GZD ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Finanzen (BMF). Die Hauptaufgaben umfassen die Organisation und Personalangelegenheiten innerhalb des Zolls sowie die Rechtsund Finanzaufsicht über nachgeordnete örtliche Behörden. Sie wurde im Zuge der Neuorganisation der Zollverwaltung 2016 neugründet. Die Beschaffungen für den Zoll regelte bis dahin ein eigenes Amt. Das GZD übernimmt die Beschaffung von Atemschutzmasken des Typs FFP2 und FFP3, von Ganzkörperschutzanzügen sowie von Vollsicht-Schutzbrillen. Das BeschA ist der größte zivile Beschaffer des Bundes und ver-

antwortlich für den Einkauf im gesamten Geschäftsbereich des BMI. Es beschafft Waren und Dienstleistungen für Bundesbehörden, für vom Bund finanzierte Stiftungen und international tätige Organisationen. Zudem betreut das BeschA das Kaufhaus des Bundes (KdB). Im Kontext der Beschaffungsmaßnahmen ist das BeschA für den Einkauf von Handdesinfektionsmitteln zuständig.

Beschaffung ohne Teilnahme­ wettbewerb Damit die benötigten Infektionsschutzartikel schnell bestellt und geliefert werden können, würden derzeit Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach Paragraf 119 Absatz 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Verbindung mit Paragraf 14 Absatz 4 der Vergabeverordnung durchgeführt, da eine besondere Gefahren- und Dringlichkeitslage herrsche. Die Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung (BHO) würden dabei eingehalten. Anschließend soll das BMG die Schutzausrüstung gemäß einem Verteilungsschlüssel, der sich an der Bevölkerungsdichte der Bundesländer orientiert, an die Kassenärztlichen Vereinigungen und Länder verteilen. Diese übernehmen dann die Versorgung der niedergelassenen Ärzte,

“Die deutschen Beschaffungsbehörden stehen hier in einer harten Konkurrenz mit vielen anderen Bedarfsträgern”, so ein Sprecher des BAAINBw. Foto: BS/Klaus Hausmann

Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Innerhalb von wenigen Wochen konnten schon über 67 Verträge mit einem Volumen von etwa 344 Millionen Euro abgeschlossen werden. Die Verträge für die jeweiligen Beschaffungen werden von den jeweiligen Beschaffungsämtern nach den Vorgaben des BMG selbstständig geschlossen. Diese Zahl spiegelt jedoch nur einen Zwischenstand wider, da jeden Tag neue Verträge geschlossen würden.

on und Verteilung der zentral beschafften Infektionsschutzartikel an die verschiedenen Organisationseinheiten der Bundesverwaltung betraute das Bundesinnenministerium (BMI) gemäß eines Beschlusses des Krisenstabes der Bundesregierung das Technische Hilfswerk (THW). Dazu richtete das THW die zentrale Koordinierungsinstanz Logistik (zKiL) ein. Die Instanz ist in der THW-Leitung dem Leiter des Referats “Einsatz” zugeordnet und wird mit Personal aus dem Referat “Logistik” unterstützt. In der zKiL übernehmen mehr als 20 ehren- und hauptamtliche Kräfte des Hilfswerks zusammen mit Speditionen den Transport aus den Zwischenlagern, die Erfassung der Artikel, die Kommissionierung und die Versendung innerhalb der Bundesverwaltung. Das THW weist nur den Teil zu, der für den Bund zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Staates

Schutzausrüstung erfolgt nach einem Schlüssel des Krisenstabs der Bundesregierung. An diesem Krisenstab ist das THW jedoch nicht beteiligt. Aber nicht nur im zKiL wird das THW logistisch tätig. So werden im ganzen Bundesgebiet Proben für die Gesundheitsämter von Corona-Verdachtsfällen und einfache medizinische Ausstattungen, wie Betten, zur Erweiterung der Kapazitäten von Krankenhäusern transportiert. Auch in Bayern verfügte Markus Söder (CSU), Ministerpräsident des Freistaates, dass alle für sein Bundesland vorgesehenen Lieferungen über das vom THW betriebene Zentrallager abgewickelt werden sollen. Dies gelte nicht nur für die Lieferungen des Bundes, sondern auch für die Beschaffungen des Freistaates und der Kassenärztlichen Vereinigung. Nur so könne eine bedarfsgerechte Verteilung

Zur Vorbereitung der logistischen Aufgaben richtete das THW den Stab zentrale Koordinierungsinstanz Logistik (St zKiL) ein. Foto: BS/THW

sichergestellt werden. Diese keinesfalls triviale logistische Aufgabe werde zur vollen Zufriedenheit erledigt, heißt es aus der bayerischen Staatskanzlei. Neben den logistischen Aufgaben übernehmen die aktuell 1.100 tätigen Helfer des THW den Aufbau von Abstrichstellen für CoronaVerdachtsfälle, Behelfsunterkünften sowie provisorischen Diagnosezentren.

MELDUNG

Weniger Badetote in Deutschland (BS/mfe) Im vergangenen Jahr sind in Deutschland weniger Menschen ertrunken. 2019 gab es 417 Badetote. Das sind 17,3 Prozent weniger als noch 2018. Die meisten Personen ertranken zuletzt in Binnengewässern. Dort starben mindestens 362 Menschen, was einem Gesamtanteil von rund 87 Prozent an allen Badetoten entspricht. In Nord- und Ostsee ertranken 23 Personen. Auf die Ostsee entfielen dabei 18 Todesfälle, auf die Nordsee fünf, wie es von der Deutschen LebensRettungs-Gesellschaft (DLRG) hieß. Elf Opfer

wurden 2019 in Schwimmbändern verzeichnet. 2018 waren hier noch 29 Tote zu beklagen gewesen. In privaten Swimmingpools ertranken zwei Menschen. Besondere Risikogruppen für den Badetod sind Kinder, junge Menschen und Flüchtlinge. Im vergangenen Jahr starben bundesweit 17 Kinder im Vorschul- und acht im Grundschulalter im Wasser. Die meisten Personen ertranken in Bayern (95). Auf Platz zwei folgt Nordrhein-Westfalen (65) und an dritter Stelle steht Niedersachsen (51). Es folgen BadenWürttemberg (37) und Brandenburg (34).


Wehrtechnik / Verteidigung

Behörden Spiegel / April 2020

Seite 43

Neues aus der Wehrtechnik “Tornado”-Nachfolgelösung gefunden?

Sechstes Los für IdZ-ES

Luftwaffe

Hensoldt

(BS) Die Anzeichen mehren sich, dass die Bundeswehr-Führung offenbar eine Lösung für die betagten Kampfflugzeuge vom Typ “Tornado” (Erstflug des Prototyps Mitte der 1970er-Jahre) gefunden hat: nämlich einen Typen-Mix aus Jets der Eurofighter Jagdflugzeug GmbH und einem Modell des US-Luftfahrtriesen Boeing. Die ministerielle Planung sehe demnach die Beschaffung von 90 Eurofightern der modernsten Version vor, von denen allerdings ein Teil ohnehin für den Ersatz der ersten Tranche dieses Typs vorgesehen ist, dessen Prototyp-Erstflug auch schon in den März 1994 zurückreicht. Rüstungspolitisch interessant ist vor allen Dingen das US-Modell – zumal die von der Luftwaffenführung präferierte Lockheed Martin F-35A “Lightning II” sich im BMVg nicht durchsetzen konnte. Demnach sollen nun 30 Mehrzweckkampflugzeuge vom Typ Boeing F/A-18E/F “Super Hornet” und 15 Exemplare von dessen EloKa-Variante (Elektronische Kampfführung) EA-18G “Growler” (dt. Brummbär) beschafft werden. Eine entsprechende logistische Infrastruktur für diese beiden Modelle

(BS) Die Hensoldt Holding GmbH mit Sitz in Taufkirchen bei München liefert das sechste Los für das Projekt “Infanterist der Zukunft – Erweitertes System” (IdZ-ES) an die Bundeswehr. Dieser Auftrag zur Verbesserung der Gefechtsausrüstung hat ein Volumen von etwa einer Million Euro. Dabei handelt es sich um mehr als 100 Infrarotvorsätze vom Typ IRV 600 A1. Der ungekühlte Vorsatz ist geräuschlos und bereits nach fünf Sekunden einsatzbereit. Der IRV 600 A1 wurde speziell für hohe Reichweiten entwickelt. Er zeichnet sich durch sein einfaches Bedienkonzept und sein zentrales Bedienfeld aus. Der Infrarotvorsatz ist mit einem Videoanschluss für einen externen Monitor ausgestattet und bietet durch eine zusätzliche “Picatinny”-Schiene, ein nach NATO-Standard genormtes Teil, Platz für die Montage von optionalem Zubehör auf Schusswaffen. Durch einen Akku-Pack ist der Austausch der Batterie einfach und auch ohne Werkzeug möglich. Für das Modernisierungsprogramm der Bundeswehr “Infanterist der Zukunft – Erweitertes System” liefert Hensoldt neben diesem Infrarotvorsatz IRV

Eine trägergestützte Boeing EA-18G “Growler” der U.S. Navy auf der letzten ILA in Berlin Foto: BS/Portugall

müsste in der deutschen Luftwaffe allerdings erst einmal aufgebaut werden. Wenigstens dürfte es bei den “Super Hornets” kaum Probleme für die Bundeswehr bei der Zertifizierung für US-Atombomben im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO durch das Pentagon geben. Mehr Informationen unter www.bundeswehr.de

Erste LTAMDS-Testphase in den USA abgeschlossen

Mittelkalibermunition für F-35

Raytheon

Rheinmetall

(BS) Die Raytheon Company mit Sitz in Waltham/ Massachusetts hat die erste Testphase des ersten teilweise bestückten Gruppenantennen-Radars, auch “Array”-Antenne genannt, für den “Lower Tier Air and Missile Defense Sensor” (LTAMDS) des US-amerikanischen Heeres abgeschlossen. Dies wurde in weniger als fünf Monaten nach der Auftragsvergabe durch die Streitkräfte erreicht. LTAMDS gilt als Radar der nächsten Generation, das fortgeschrittene Bedrohungen – wie zum Beispiel durch Überschallwaffen – abwehren können soll. “Der Abschluss dieser ersten Testphase bringt Raytheon einen Schritt näher, LTAMDS den Streitkräften für den Dienst zu übergeben”, sagte Tom Laliberty, Vice President Integrated Air and Missile Defense bei Raytheon Integrated Defense Systems. “Raytheon und unsere Zulieferer-Partner tätigen weiterhin die notwendigen Investitionen in Mitarbeiter, Technologie und Fertigungskapazitäten, um sicherzustellen, dass wir die notwendigen Materialausgabenanweisungen der US-Armee einhalten.” Die Tests bestanden aus der Kalibrierung der primären “Array”-Antenne von LTAMDS in einem klimatisierten “Indoor”-Testbereich und in der Bewertung der Leistung anhand simulierter Angriffsziele. Nach Abschluss dieser ersten Testphase wird das “Array” zur Integration und weiteren Leistungsbewertung auf ein präzisionsgefertigtes Gehäuse montiert. Anschließend werden die Tests im Außenbereich gegen wirklichkeitsgetreue Ziele

(BS) Die Rheinmetall NIOA Munitions (RNM) Pty Ltd bereitet als erstes australisches Unternehmen die Produktion und den Export von Mittelkalibermunition für das US-Kampfflugzeug F-35 “Lightning II” von Lockheed Martin vor. Das Gemeinschaftsunternehmen Rheinmetall NIOA Munitions startet mit der Produktion von 25-mm-“Frangible-Armour-Piercing”-Geschossen (FAP) im Werk Benalla in Victoria. Mit diesem Programm erschließt sich das Joint Venture aus NIOA und der Rheinmetall Waffe Munition GmbH (RWM) zusätzlich zum Werk für Artilleriegeschosshüllen in Maryborough/Queensland ein weiteres Geschäftsfeld. Das australische Unternehmen NIOA Pty Ltd ist etabliert als Hersteller und Lieferant von Waffen und Munition für die australischen Streitkräfte. Die neue Fertigungslinie in Benalla wurde konzipiert, um Mittelkalibermunition von 20 bis 35 mm produzieren zu können. Rheinmetall NIOA Munitions ist damit in der Lage, im Hinblick auf die Versorgungssicherheit der US-Regierung eine zweite Bezugsmöglichkeit für 25-mm-Munition der F-35 anbieten zu können. Werner Krämer, Vorsitzender des RNM “Board of Directors”, erklärte dazu, dass es ein konsequenter nächster Schritt war, die Aktivitäten des Joint Ventures in Australien auszuweiten, nachdem das Maryborough-Projekt so erfolgreich gestartet wurde. “Wir bekennen uns klar zu diesem Joint Venture im australischen Markt”, so Krämer weiter. “Mit unserer Absicht, diese Mittelkalibermunition hier

Das Gruppenantennen-Radar für den “Lower Tier Air and Missile Defense Sensor” (LTAMDS) Foto: BS/Raytheon

begonnen. LTAMDS besteht aus einer primären “Array”-Antenne auf der Vorderseite des Radars und zwei sekundären “Arrays” auf dessen Rückseite. Die Radarantennen arbeiten zusammen, um den Nutzern die gleichzeitige Erkennung und Erfassung mehrerer Bedrohungen aus verschiedenen Richtungen zu ermöglichen. Dies soll sicherstellen, dass es auf dem Gefechtsfeld zu keinen toten Winkeln kommt. LTAMDS primäres “Array” ist ungefähr so groß wie die Radarantenne des Luft- und Raketenabwehrsystems “Patriot” – bei mehr als doppelter Leistungsfähigkeit laut Unternehmensangaben. Zwar ist LTAMDS für das “Integrated Air and Missile Defense System” der US-Landstreitkräfte konzipiert, doch kann es auch vorherigen “Patriot”-Investitionen zugutekommen. Mehr Informationen unter www.raytheon.com

Der Infrarotvorsatz IRV 600 A1 ist ein Element von Hensoldts Beitrag zum “Infanteristen der Zukunft – Erweitertes System” der Bundeswehr. Foto: BS/Hensoldt

600 A1 auch den Nachtsichtvorsatz NSV 600, die Zieloptik ZO 4x30 sowie das Reflexvisier RSA-S, das Beobachtungsfernrohr “Spektiv Spotter 60”, das Zielfernrohr ZF 6-24x72 und weiteres Zubehör. Mehr Informationen unter www.hensoldt.net

in Australien zu produzieren, zielen wir nicht nur auf die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort a b , son d ern wollen auch einen leistungsfähigen und nachhaltigen Exportmarkt entwickeln.” N I O A - G e - Die für die F-35 bestimmte 30-mmschäftsführer Munition Foto: BS/Rheinmetall Robert Nioa ergänzte, dass der Aufbau der Fertigung in Benalla eine vollständig private Investition sei und einen weiteren wichtigen Schritt zum Aufbau der wehrtechnischen Industrie in Australien darstelle. “Diese eigenständige Fertigungskapazität von Mittelkalibermunition und der damit verbundene Fähigkeitsaufbau ermöglichen künftig auch die Versorgung der australischen Streitkräfte mit lokal gefertigter Munition”, so Nioa. Die Fertigungslinie soll in der ersten Hälfte des kommenden Jahres aufgebaut werden und dann bereits ab September in den Regelbetrieb gehen. Mehr Informationen unter www.rheinmetall.com


Wehrtechnik

Seite 44

M

it ihrer Unterschrift gaben die Verteidigungsministerinnen Deutschlands und Frankreichs am 6. Februar 2019 den Startschuss für die gemeinsame Konzeption eines Future Combat Air System (FCAS), dem ambitioniertesten europäischen Verteidigungsprojekt der kommenden Jahrzehnte. Es wird weitaus mehr leisten als bisherige Luftkampfsysteme wie Eurofighter oder Rafale. Bemannte Jets neuester Generation sind darin Elemente eines komplexen und umfassend vernetzten “System of Systems”. “Remote Carrier” schützen als “Loyal Wingmen” die Piloten und begleiten sie in Kampfmissionen. Offene Systemarchitekturen erlauben, auch bestehende Plattformen in FCAS zu integrieren. Zentral ist eine “Air Combat Cloud”, die alle relevanten Informationen den Akteuren einer Mission in Echtzeit zur Verfügung stellt. War es bisher notwendig, die Lufthoheit zu erlangen, entscheidet im digitalen Zeitalter die Entscheidungshoheit über Erfolg oder Misserfolg einer Mission. FCAS ist demnach nicht nur ein wichtiges verteidigungspolitisches Projekt, sondern auch ein Meilenstein für die Entwicklung von Hochtechnologie in Europa. Und speziell für Deutschland öffnen sich Chancen, bei wegweisenden Zukunftstechnologien wie Künstlicher Intelligenz (KI), Big

Verteidigung und Verantwortung Nutzung neuer Technologien in einem “Future Combat Air System” (BS/Florian Keisinger, Prof. Dr. Wolfgang Koch) Die Technologien des 21. Jahrhunderts revolutionieren nicht nur Wirtschaft, Gesellschaft und ­privates Leben, sondern auch die Innere und Äußere Sicherheit. Sie prägen das künftige Future Combat Air System (FCAS), das bisher umfassendste Programm zum Schutz der Souveränität und Freiheit der beteiligten Staaten. Aber wie bleiben wir unseren Verteidigungstechnologien gewachsen? Wie gewährleisten wir ihre verantwortbare Nutzung? Die “FCAS-Arbeitsgemeinschaft Technikverantwortung” sucht nach Antworten. Data Analytics, Krypto-Komponenten oder Mensch-MaschineInteraktion eine führende Rolle einzunehmen. In einem Programm wie FCAS verdichten sich aber auch die ethischen und rechtlichen He­ rausforderungen der Digitalisierung wie im Brennglas. Gelingt es uns hier, zu zeigen, dass digitale Technologien verantwortbar bleiben, ist auch für ihre zivile Nutzung viel gewonnen. “Ethisches Minimum” ist selbstverständlich die Einhaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen; aber auch die Frage gesellschaftlicher Akzeptanz spielt eine wichtige Rolle.

Mensch im Fokus

Mit einem neu zu entwickelnden Kampfflugzeug steht auch weiterhin die bemannte Komponente im Zentrum von FCAS. Dies definiert den Ausgangspunkt für alle weiteren technologischen und strategischen Planungen. Grundlegend ist die Prämisse, dass menschliches Entscheiden Dreh- und Angelpunkt aller denkbaren FCASMissionsszenarien bleibt. In anderen Worten, auch für Dr. Wolfgang Koch ist Professor für Informatik an der FCAS gilt, was in Universität Bonn sowie Chief der Militärischen Scientist des Fraunhofer-InLuftfahrtstrategie stituts für Kommunikation, 2016 festgeschrieInformationsverarbeitung und ben wurde: “Ein Ergonomie (FKIE). Waffeneinsatz [erfolgt] ausschließlich unter Kontrolle des Menschen.” Aus der langjährigen ZusamFlorian Keisinger ist Kampa­ menarbeit von gnenmanager für das FCAS Industrie und bei Airbus Defence and F o rs c h u n g b e i Space. der Entwicklung Fotos: BS/privat technologischer Grundlagen für ein FCAS entstand der Gedanke, die

Operationalisierung ethischer und rechtlicher Prinzipien durch entsprechendes informationsund ingenieurwissenschaftliches Design voranzutreiben. Die He­ rausforderung dabei ist eine doppelte: zum einen, die entsprechenden Prinzipien zu definieren; zum anderen, sie technologisch zu implementieren!

FCAS-AG Technikverantwortung Herausgekommen ist ein Format, welches systematisch die Integration grundlegender ethischer und rechtlicher Prinzipien bei der Forschung und Entwicklung eines FCAS sicherstellen sowie technisch umsetzen möchte. Auf technologischer Ebene profitiert die von Airbus und Fraunhofer dafür initiierte “FCAS-Arbeitsgemeinschaft Technikverantwortung” von der Komplementarität zwischen Industrie und Forschung mit ihren jeweils unterschiedlichen Aufgaben und Expertisen. Wichtige Aufgabe ist die Festlegung und technische Umsetzung ethisch und völkerrechtlich fundierter “Leitplanken”. Dazu kann die avisierte Gesamtarchitektur der Air Combat Cloud eines FCAS beitragen, indem sie die Komplexität künftiger Missionen für die Einsatzverantwortlichen reduziert und die menschliche Entscheidungsfindung erleichtert. Technologische Reduktion von Komplexität ist ein wichtiges Entwicklungsziel. Technologie ist aber nur ein Aspekt. An der Arbeitsgemeinschaft beteiligen sich wichtige Stakeholder aus den Ministerien, den Behörden und der Bundeswehr. Naturgemäß besitzt die deutsche Informations- und Ingenieurwissenschaft, vertreten durch Universitäten und Forschungsinstitutionen wie Fraun-

Das von den Verteidigungsministerinnen Deutschlands, Frankreichs und Spaniens im vergangenen Jahr auf der Luftfahrtmesse in Le Bourget enthüllte FCAS-Modell Foto: BS/Portugall

hofer, eine bedeutende Rolle. Die deutsche Industrie ist durch den nationalen FCAS Prime Airbus an Bord. Entscheidend für den Erfolg ist jedoch die Gesellschaft als Ganzes, die sich durch einen breiten Querschnitt politischer Stiftungen, Hochschulen sowie politik- und gesellschaftswissenschaftlicher Think Tanks in der “FCAS-AG Technikverantwortung” engagiert. Deren Mitglieder sind allein ihrem Gewissen verpflichtet. Ihre Standpunkte müssen nicht mit den Interessen der Organisatoren oder der Institutionen zusammenfallen, denen sie angehören. Das Format lebt vielmehr vom kritischen Diskurs. Geplant sind jeweils zwei Zusammenkünfte jährlich. Jedes dieser Treffen widmet sich konkreten Fragestellungen. Die Ergebnisse der Diskussionen werden festgehalten und auf einer eigens dafür vorgesehenen Homepage veröffentlicht. Die entsprechende Internetpräsenz befindet sich derzeit im Aufbau. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass technische Beherrschbar-

keit und persönliche Verantwortbarkeit Schlüsselthemen der Diskussionen sind; denn letztlich handelt es sich bei einem FCAS um ein Gesamtsystem, das in besonderem Maße durch Künstliche Intelligenz und umfassende Automatisierung geprägt sein wird. Wolf von Baudissin, einer der visionären Gestalter der Bundeswehr, der aus Diktatur und “totalem Krieg” konzeptionelle Lehren zog, formuliert diesen Gedanken auf zeitlose Weise: “Das aufs höchste technisierte Gefecht verlangt, dass die Verantwortung an sehr vielen unteren Stellen gesehen und getragen wird. Daher muss alles getan werden, um den Menschen vor Situationen zu stellen, die seine Verantwortung herausfordern und ihn die Folgen von Tun und Unterlassen erleben lassen.” Verantwortung ist als Prinzip fundamentaler als etwa “Humanin-the-loop” oder “Human-onthe-loop”. Denn auch automatisierte Verteidigungstechnologien können verantwortbar sein, wenn zum Beispiel die menschliche

Pest und Cholera

D

amals, d. h. während der Schlussphase des Ersten Weltkrieges, transportierte der als Truppentransporter eingesetzte Passagierdampfer – vormals vom Deutschen Reich unter dem Namen “Vaterland” requiriert – 9.000 zusammengedrängte US-Soldaten von New Jersey an der US-Ostküste nach Westeuropa. Als das Schiff nach einwöchiger Überfahrt Anfang Oktober 1918 im französischen Brest anlegte, waren bereits 2.000 Mann schwer an der Grippe erkrankt und 100 gestorben. In der Folge starben insgesamt mehr Soldaten durch die sich rapide ausbreitende Influenza-Pandemie als auf den Schlachtfeldern der “Grande Guerre”. Was haben in diesem Zusammenhang die Spanische Grippe vor 100 Jahren und die aktuelle Corona-Pandemie gemeinsam? Beide vermitteln eine annähernde Vorstellung davon, wie extrem gefährlich B-Kampfstoffe sein können. Biologische Kampfstoffe sind – neben atomaren und chemischen Wirkmitteln – Massenvernichtungswaffen, bei denen Krankheitserreger oder natürliche Gifte, sogenannte Toxine, eingesetzt werden. Aktuell sind rund 200 Erreger bekannt, die sich als biologische Waffe verwenden ließen. Als besonders geeignet für den Einsatz von organischen Giftstoffen gilt das sogenannte “dreckige Dutzend” von Erregern. Zu den bekanntesten B-Kampfstoffen zählen bakterielle Erreger von Milzbrand (Anthrax), Pest und

Behörden Spiegel / April 2020

Wie gefährlich sind B-Waffen? (BS/Dr. Gerd Portugall) Die US-Marine meldete Anfang April, dass auf dem Flugzeugträger “USS Theodor Roosevelt”, der mittlerweile vor der Pazifikinsel Guam vor Anker liegt, minestens 100 Matrosen an Corona erkrankt seien. Zwar ist dies eine relativ geringe Zahl, wenn man bedenkt, dass der “Super Carrier” der “Nimitz”-Klasse insgesamt 5.000 Besatzungsmitglieder an Bord hat. Gleichwohl erinnert dieser Fall entfernt an die Atlantiküberfahrt der “USS Leviathan” während der zweiten Welle der Spanischen Grippe im Herbst 1918. Cholera. Daneben gibt es virale Krankheitserreger, die z. B. Pocken, Ebola oder Gelbfieber verursachen. Ein bekanntes Beispiel für ein Toxin ist Rizin, das aus dem Samen des Wunderbaums, der zu den Wolfsmilchgewächsen gehört, gewonnen wird. Daran hat sich unlängst ein islamistischer Tunesier aus Köln versucht, der jetzt vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen versuchtem Bioterrorismus zu zehn Jahren Haft verurteilt worden ist. Rizin, Pocken, Pest und Milzbrand werden zu dem oben genannten “dreckigen Dutzend” gerechnet.

Völkerrechtliche Einhegung von B- und C-Waffen Seit der Annahme der Biowaffenkonvention Mitte Dezember 1971 durch die UN-Vollversammlung sind die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und der Einsatz von bakteriologischen beziehungsweise biologischen und Toxinwaffen völkerrechtlich verboten. 1993 folgte gleichsam analog die UN-Chemiewaffenkonvention. Beide Übereinkommen sind Nachfolgeverträge zum internationalen Genfer Protokoll aus dem Jahr 1925, mit dem erstmals der Einsatz von giftigen Gasen und von bakteriologischen

Soldaten des 21. “Weapons of Mass Destruction Civil Support Teams” (21st WMD-CST) der Nationalgarde des US-Bundesstaates New Jersey üben Mitte Februar den Ernstfall. Foto: BS/New Jersey National Guard, Mark C. Olsen

Mitteln im Krieg völkerrechtlich verboten wurde. Das Genfer Protokoll hinderte das Kaiserreich Japan – obwohl Signatarstaat – nicht daran, während des Zweiten Weltkrieges als einziger militärischer Akteur B-Waffen in China wiederholt einzusetzen. Jüngere Beispiele für B-Waffenprogramme sind die Bemühungen der Republik Südafrika in den 1980er-Jahren unter dem Apartheids-Regime sowie des Iraks in den 1980erund 1990er- Jahren unter Langzeitdiktator Saddam Hussein.

Später stellte sich heraus, dass der Irak unter anderem 8.500 Liter Milzbrand-Erreger produziert hatte, die jedoch – anders als chemische Kampfstoffe – nie eingesetzt wurden.

ABC-Abwehrtruppe der ­Bundeswehr In der Bundeswehr ist die ABCAbwehrtruppe als Bestandteil der Streitkräftebasis (SKB) zuständig für den Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Sie umfasst rund 2.250 Dienstposten an sechs Standor-

ten mit rund 1.100 Fahrzeugen. Geführt wird die Truppe vom 2013 aufgestellten ABC-Abwehrkommando in Bruchsal. Dieses ist auch Ansprechpartner für die zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) im Bereich der ABCAbwehr und des militärischen Brandschutzes. Die Spezialisten der Bundeswehr sind dazu in der Lage, ABCKampfstoffe und vergleichbare industrielle Gefahrstoffe aufzuspüren, auch unter Einsatzbedingungen. Sie führen die Dekontamination und Desinfektion von Personal, Material und Infrastruktur mit der dafür notwendigen Wasseraufbereitung durch. Die Auswertung der entsprechenden Lage, die Vorhersage sowie die Abwehrberatung der Kommandeure und Stäbe gehören ebenfalls zu deren Leistungsspektrum. Die ABC-Abwehrkräfte der Bundeswehr sind international gefragte Spezialisten. Neben ausgebildetem Personal stehen dieser Truppengattung modernes Gerät und Ausrüstung zur Verfügung. So kann sie unter anderem auf Spürpanzer “Fuchs” und den Truppenentgiftungsplatz (TEP) 90 als derzeit führende Systeme zur Aufklärung und Dekontamina­

Reaktionszeit zu kurz oder die Datenfülle groß ist. Daher muss Digitalisierung in Verteidigung und Sicherheit gleichermaßen technische Beherrschbarkeit und (!) verantwortungsvollen Einsatz gewährleisten. Auch in automatisierten Systemen muss der Mensch eingebunden sein, nicht nur durch die Entscheidung, das System zu nutzen, sondern es so zu konfigurieren, dass “meaningful human control” umfassend gewährleistet bleibt. Das bedeutet konkret: Basierend auf einem vom Menschen definierten Regelwerk kann es vertretbar sein, automatisierte Entscheidungsfindung zu erlauben. Allerdings muss man in der Lage sein, zu bewerten, ob das zugrunde liegende Regelwerk im jeweiligen Einsatzzweck anwendbar und ethisch vertretbar ist. Ziel ist es, dem nutzenden Personenkreis, im Falle eines FCAS also zum Beispiel dem Piloten oder der Pilotin, Wissen zu vermitteln, auf dessen Grundlage er oder sie einerseits einer automatisierten Entscheidungsunterstützung vertrauen kann und andererseits die Rahmenbedingungen kennt, welche zu dem automatisierten Regelwerk gehören.

Historische Premiere Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird ein verteidigungspolitisches Großprojekt von Beginn an vom gedanklichen Ringen um die technische Umsetzung ethischer und rechtlicher Grundprinzipien begleitet – “ethical and legal compliance by design”! Da FCAS als ein europäisches Projekt konzipiert ist, soll mittelfristig auch die “FCAS-AG Technikverantwortung” transnational ausgeweitet werden. Ziel ist es, die erlangten Erkenntnisse wirksam zu operationalisieren. Unsere Verteidigungsbereitschaft gegenüber hochgerüsteten Gegnern muss nicht nur technologisch glaubwürdig sein, sondern zugleich dem im Grundgesetz festgeschriebenen Ziel entsprechen, “im Bewusstsein [unserer] Verantwortung vor Gott und den Menschen […] in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen”.

tion zurückgreifen. Im Bereich der Wasseraufbereitung beschaffte die Bundeswehr Anlagen, die sogar verseuchtes oder vergiftetes Wasser zur Dekontamination oder bis Trinkwasserqualität reinigen können. Damit alle Partnernationen von den Fähigkeiten der ABC-Abwehr zum Schutz aller Soldaten profitieren, ging Deutschland weitreichende Kooperationen auf diesem Gebiet ein. Insbesondere mit den Niederlanden und Tschechien entwickelt man die Ausbildung und Zusammenarbeit ständig weiter. Die ABC-Abwehrtruppe der Bundeswehr existiert, weil von einem potenziellen gegnerischen Einsatz von atomaren, biologischen oder chemischen Kampfmitteln eine große Gefahr für eigene militärische Operationen ausginge. Diese Kapazitäten können natürlich auch außerhalb des originär militärischen Umfeldes genutzt werden. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang zum einen auf die Gefahr, die von nicht-staatlichen Akteuren ausgeht. Dies können Terroristen sein, wie das oben genannte Rizin-Beispiel zeigt, aber auch Erpresser und andere Kriminelle. Zum anderen zeigt die eingangs erwähnte Corona-Pandemie, dass ABC-Abwehrsoldaten im Wege der Amts- und Katastropenhilfe auch hier von großem gesamtstaatlichen Wert sein können. Mehr zum Einsatz der Bundeswehr im Innern auf Seite 46 dieser Ausgabe


Verteidigung

Behörden Spiegel / April 2020

Atommacht Europa?

A

nfang Mai 2018 hatte US-Präsident Donald J. Trump angekündigt, dass die Vereinigten Staaten sich vollständig aus dem Atomabkommen mit dem Iran (in seinen Worten der “schlechteste Deal aller Zeiten”) zurückziehen und alle Sanktionen wieder in Kraft setzen würden. Gleichzeitig kündigte er an, ein besseres Abkommen mit Teheran aushandeln zu wollen. Erst im Januar 2016 war das Abkommen von Wien in Kraft getreten, das von den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und Deutschland mit der Islamischen Republik ausgehandelt worden war. Europa ist von dieser Entwicklung unmittelbar tangiert, weil es immer mehr in die Reichweiten iranischer Mittelstreckenraketen – teils aus eigenr Produktion, teils von Nordkorea geliefert – gelangt. Am 1. Februar des vergangenen Jahres kündigte die Trump-Administration auch noch den Washingtoner INF-Vertrag (“Intermediate Range Nuclear Forces”) zur Begrenzung von Mittelstreckensystemen von 1987 auf. Begründet wurde dieser Schritt zum einen mit dem Vorwurf, dass Russland das Abkommen mit neuen Waffen verletze, und zum anderen, dass die Volksrepublik China nicht unter die INF-Begrenzungen falle. Bereits einen Tag später erklärte auch die Staatsführung in Moskau, den Vertrag aufkündigen zu wollen. Damit ist zumindest völkerrechtlich der Dislozierung von Mittelstreckenraketen in Europa Tür und Tor geöffnet.

Frankreichs Initiative Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron Anfang Februar an der Pariser Militärakademie (“École de guerre”) eine Grundsatzrede zur nuklearen Abschreckung gehalten: “Unsere Nuklearwaffen spielen eine ureigene abschreckende Rolle, insbesondere in Europa.” Diese Aussage hat das französische Staatsoberhaupt sicherlich in erster Linie auf Putins Russland gemünzt. Zwischen 1962 und 1966, d. h. bis zum Austritt aus der militärischen Integration, beteiligte sich die “Armée de l’air” mit taktischen Kampfflugzeugen am NATO-Konzept der nuklearen Teilhabe. Seit 1964 verfügt die “Force de frappe” über die nukleare Zweitschlag-Fähigkeit und damit ist Frankreich Mitglied im exklusivsten “Club” der internationalen Politik. Mit dem Ende des Kalten Krieges sind die bodengestützten taktischen Systeme außer Dienst gestellt worden. Damit verfügt die Fünfte Republik nur noch über land- und seegestützte Kampfflugzeuge des Typs “Rafale” mit taktischer Nuklearbewaffnung. Atom-U-Boote stellen das strategische Rückgrat der “Force de frappe” dar. Mittlerweile befindet sich mit der “Triomphant”-Klasse die dritte Generation dieser Trägersysteme mit vier Booten im Dienst, wobei immer mindestens eines auf Hoher See kreuzt. Bewaffnet sind diese Boote mit der Interkontinentalrakete (SLBM – “Submarine-Launched Ballistic Missile”) vom Typ M51. Deren geschätzte Reichweite soll 8.000 bis 9.000 Kilometer betragen. Ein Trägersystem mit Mehrfachsprengkopf (MIRV –“Multiple Independently-targetable Reentry Vehicle”) soll über eine Sprengkraft von bis zu einer Megatonne TNT verfügen. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe “Little Boy” besaß eine Sprengkraft von 13,4 Kilotonnen, d. h. die Sprengkraft einer M51 ist 75-mal größer und die französischen Atom-U-Boote haben jeweils 16 dieser Trägersysteme an Bord. Insgesamt verfüge Frankreich über weniger als 300 Atomsprengköpfe, so Macron, wes-

Seite 45

Gretchenfrage der verteidigungspolitischen Integration (BS/Dr. Gerd Portugall) In und um Europa herum ist viel Bewegung in das Thema “Nuklearbewaffnung” gekommen: Mit dem Brexit ist Frankreich die einzig verbliebene Atommacht innerhalb der Europäischen Union (EU) . Deutschland hat Probleme, einen geeigneten Nachfolger für das Kampfflugzeug “Tornado” im Rahmen der “nuklearen Teilhabe” der NATO zu finden. US-Präsident Trump hat sowohl das Atomabkommen mit dem Iran als auch den INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen mit Russland aufgekündigt. Was bedeuten all diese Entwicklungen in einer so zentralen Frage für die Europäer im Einzelnen wie im Ganzen?

Die hier gezeigte “Le Redoutable” war das erste strategische Atom-U-Boot der französischen Marine. Es wurde in den 1990er-Jahren außer Dienst gestellt. Foto BS/Falcon_33, CC BY-SA 2.0, flickr.com

halb dieses Arsenal nie den USSchutzschirm ersetzen könne. Gleichwohl stärke die “Force de frappe” die “Sicherheit Europas durch ihr bloßes Vorhandensein und hat damit eine wahrhaft europäische Dimension”, so der Präsident weiter. Die Führung in Paris schließt zwar aus, dass die Einsatzhoheit über die eigenen Atomwaffen je mit anderen Staaten geteilt werden könnte. Trotzdem wünscht Macron sich, “dass sich ein strategischer Dialog über die Rolle der nuklearen französischen Abschreckung im Rahmen der kollektiven Sicherheit mit denjenigen europäischen Partnern herausbildet, die dafür bereit sind.”

Wäre Deutschland bereit? Erste Stimmen aus Regierungskreisen in Berlin lassen nicht allzu viel erwarten. Viele Deutsche tun sich ohnehin immer noch mit der Existenz nationaler Streitkräfte schwer. Um wieviel schwerer würden Vorstellungen über eine – wie auch immer geartete – Einbindung der Bundesrepublik in die französische Nuklearstrategie wiegen? Immerhin erklärte in einer repräsentativen Umfrage der Körber-Stiftung aus dem vergangenen Jahr eine relative Mehrheit von 40 Prozent, dass Deutschland “sich um nuklearen Schutz durch Frankreich und Großbritannien bemühen” sollte, gefolgt von 31 Prozent, die ganz “auf nuklearen Schutz verzichten” wollten. Nur 22 Prozent erklärten, dass sie “sich auch zukünftig auf den US-Nuklearschirm verlassen” würden. Verschwindend geringe sieben Prozent schließlich meinten, die Bundesrepublik solle “eigene Atomwaffen entwickeln” – übrigens wäre dies nur unter Bruch des oder Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrags möglich. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) vom Frühsommer 2019 erfragte hierzulande u. a. die Einstellungen zur EU-Verteidigungszusammenarbeit. Danach unterstützen 69 Prozent der deutschen Bevölkerung die GSVP (Gemeinsame Sicherheitsund Verteidigungspolitik) der Europäischen Union. Eine absolute Mehrheit von 55 Prozent befürwortet das Auftreten der EU “als eigenständiger verteidigungs- und sicherheitspolitischer Akteur”, während immerhin eine relative Mehrheit von 46 Prozent der Aussage zustimmt, “dass die EU eine gemeinsame europäische Armee haben” sollte. Bezeichnend für die Diskussio-

nen hierzulande ist allerdings der Umstand, dass dabei keine einzige Frage zur einer wie auch

immer gearteten Atombewaffnung innerhalb der EU gestellt worden ist.

In der Dauerkritik insbesondere aus dem linken politischen Spektrum steht ohnehin die Einbindung der Bundeswehr in das Zwei-Schlüssel-Konzept der nuklearen Teilhabe der NATO. Auf dem Fliegerhorst im rheinlandpfälzischen Büchel sollen angeblich zwischen zehn und 20 taktische US-amerikanische Wasserstoffbomben vom Typ B61-3/4 lagern. Im Kriegsfall könnten “Tornado”-Jagdbomber des 33. Taktischen Luftwaffengeschwaders damit bestückt werden. Der “Tornado” stößt jedoch an seine zeitliche Nutzungsgrenze – sein Erstflug fand Mitte der 1970er-Jahre statt. Jedes Nachfolgemodell müsste für die nukleare Rolle durch die Vereinigten Staaten zertifiziert werden. Zwar scheint mit der Boeing F/A-18E/F “Super Hornet” endlich zumindest eine Zwi-

schenlösung gefunden zu sein (mehr dazu auf Seite 43 dieser Ausgabe in der Rubrik “Neues aus der Wehrtechnik”). Die eigentliche Herausforderung für eine künftige US-Zertifizierung dürfte jedoch das europäische FCAS-Projekt (“Future Combat Air System”) darstellen (mehr dazu auf Seite 44). Ab etwa 2040 soll der “New Generation Fighter” als Bestandteil dieses “System of Sytems” unter anderem den deutschen Eurofighter und die französische “Rafale” ersetzen.

Fazit Dieser Beitrag soll erstens verdeutlichen, welch überragende politische, militärstrategische und psychologische Bedeutung der Nuklearbewaffnung in Bezug auf ihre unglaubliche Zerstörungskraft – gleichsam als “Wirkmaß aller Dinge” – immer noch zukommt. Zweitens soll gezeigt werden, wie zahlreich bei diesem sensiblen Thema die Berührungspunkte zwischen Deutschland und Frankreich mittlerweile schon geworden sind. Diese stellen drittens ein solides Fundament für eine weiterzuentwickelnde europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik dar – in letzter Konsequenz bis hin zu einer “Atommacht Europa”.


Verteidigung

Seite 46

V-Fall Virus?

I

Foto: BS/privat

n Deutschland ist die Bundeswehr bisher zum Beispiel zur militärischen Absicherung von Großereignissen, zur Bewachung von Kritischen Infrastrukturen (man denke hier etwa an Atomkraftwerke) oder zur Terrorbekämpfung nicht eingesetzt worden – auch wenn seit Jahren die innenpolitische Debatte darüber läuft, ob und unter welchen Umständen die Bundeswehr, mehr als bisher schon, im Inland eingesetzt werden darf. Artikel 87a Absatz 2 Grundgesetz (GG) gibt dafür den verbindlichen Rechtsrahmen vor: “Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.” Es gibt aber beständig Stimmen derjenigen, die immer wieder darauf pochen, dass in einem demokratischen Rechtsstaat die Sicherheit in bestimmten Ausnahmefällen auch im Inland durch die Streitkräfte gewährleistet werden müsste. Diese Debatte nahm hierzulande vor allem nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 auf die Vereinigten Staaten von Amerika an Fahrt auf. Diese Art terroristischer Angriffe müsse zu einer Neubewertung des Einsatzes von Militär im Inland führen, lautete damals die weitverbreitete Forderung. Schließlich verfügt allein die Bundeswehr zum Beispiel über Abfangjäger, die in der Lage wären, entführte Passagierflugzeuge abzuwehren und notfalls abzuschießen.

Einsatz der Bundeswehr im Innern (BS/Dr. Gerd Portugall) In den Fernsehnachrichten sind Bundeswehr-Soldaten zu sehen, die beispielsweise medizinische Hilfsgüter ausliefern, für ältere Mitbürger einkaufen gehen oder an Grenzen gestrandete Lkw-Fahrer mit Getränken versorgen. Das sind schöne Bilder. Allerdings sind diese Maßnahmen rechtlich unkritisch, weil es sich dabei nicht um die Wahrnehmung originär militärischer Aufgaben handelt. Dem Einsatz des Militärs im Inland setzt das Grundgesetz grundsätzlich enge Grenzen. Angesichts der Bedrohung durch das Corona-Virus wird aktuell darüber diskutiert, ob und unter welchen Umständen die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden darf. Diese Virus-Pandemie setzt jedoch einen bisher einmaligen Präzedenzfall gegenüber früher angedachten Einsatzlagen. Das Luftsicherheitsgesetz vom Januar 2005, mit dem diese Abwehr geregelt werden sollte, erfuhr allerdings recht bald eine Einschränkung durch das Bundesverfassungsgericht: Der Abschuss einer solchen Maschine, in der auch Unbeteiligte sitzen und eben nicht nur Terroristen, so der Erste Senat im Februar 2006, sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das heißt allerdings keineswegs, dass die Bundeswehr – jenseits eines Krieges oder einer kriegerischen Bedrohung im sogenannten “Verteidigungsfall” – im Inland nicht eingesetzt werden dürfte.

Amts- und Katastrophenhilfe Auf der untersten Ebene besteht das Recht von Landesbehörden, die Bundeswehr zur technischen Amtshilfe anzufordern. Das betrifft die bekannten Beispiele von Soldaten, die bei einem Hochwasser Sandsäcke stapeln und von Militär-Hubschraubern, die bei Naturkatastrophen Rettungskräfte einfliegen oder in Not geratene Menschen bergen.

Ebenso weitgehend unstrittig, aber auch eher theoretischer Natur, ist der Einsatz der Bundeswehr beim sogenannten “inneren Notstand” – bis hin zum Einsatz “militärischer Mittel”, d. h. mit Waffengewalt. Artikel 87a GG, der den Einsatz der Streitkräfte begrenzt, legt in Absatz 4 fest: “Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn (…) die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.” Bei der militärischen Unterstützung von Polizisten denkt man zuerst einmal an die FeldjägerTruppe, die zur Streitkräftebasis (SKB) gehört. Es gibt 23 Feldjä-

Kommentar Bundeswehr und Corona – ­ Lage, Ausblick und Chance Karl-Heinz Gimmler ist Fachanwalt für Steuerrecht sowie Spezialanwalt für Kontraktlogistik- und Logistik-Outsourcing-Recht.

(BS) Die Bundeswehr wirkt natürlich im Kampf gegen das Corona-Virus mit. Allerdings sind die Behandlung von Patienten, die Beschaffung von Material durch das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) selbstverständlich und völlig unstrittige Amtshilfe im Sinne von Artikel 35 Absatz 1 Grundgesetz (GG). Beispielweise sei erwähnt die Beschaffung von 400 Feldbetten über eines der am intensivsten eingesetzten Kreisverbindungskommandos (KVK) der Bundeswehr zurzeit, nämlich das KVK Koblenz. Diese Art von Hilfeleistung wird aktuell medial zu Recht in den Vordergrund gestellt. Jedoch sind die Entwicklungen in Europa durchaus beängstigend. In Sizilien kommt es fast zu Plünderungen von Supermärkten. Die Entwicklung von Infektionsraten bei der Polizei ist nicht absehbar, ebenso wie die Entwicklung bei Corona selbst – gelingt der Turnaround? Hier kommen echte Einsatzszenarien ins Spiel: Die veröffentlichte Meinung des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) dürfte schlicht zu restriktiv und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu eng sein. Denn Karlsruhe stellte ausdrücklich fest, dass in den Fällen des Artikel 35 Absatz 3 GG eben auch militärspezifische Mittel unter den dortigen Voraussetzungen angewandt werden dürfen. Artikel 35 Absatz 2, Satz 2 GG lässt ausdrücklich den Einsatz der Bundeswehr auf Anforderung eines Landes zu. Voraussetzung für diese “Landesvariante” ist eine Naturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücksfall. Dass eine Pandemie, wie wir sie jetzt erleben, auch eine bundesweite Katastrophen- oder

Behörden Spiegel / April 2020

Notlage ist, bedarf keiner näheren Diskussion. Insoweit kann die Bundeswehr als “Zusatzpolizei” eingesetzt werden – mit allen landesrechtlichen Befugnissen, also auch Schusswaffeneinsatz. Dies dürfte allerdings auf die Waffen, die in den einzelnen Ländern vorhanden sind, beschränkt sein. Dies sind die InfanterieHandwaffen. Bei der “Bundesvariante” kann im Rahmen einer Katastrophe oder Notlage, die sich auf mehrere Bundesländer oder das Bundesgebiet insgesamt erstreckt, durch Beschluss der Bundesregierung die Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei eingesetzt werden. Kommt es bei den derzeitigen Verdopplungszahlen der Infizierten überregional zu Ausfällen der Versorgung oder auch zu von der Polizei nicht mehr beherrschbaren Lagen, kann die Bundeswehr hier auch polizei-unterstützend mitwirken. Auch militärtypische Einsatzmittel dürfen im nötigsten Falle verwandt werden, so das Bundesverfassungsgericht. So kann zum Beispiel die Bewachung eines versorgungswichtigen Transports durchaus durch einen bewaffneten Radpanzer “Boxer” erfolgen. Es zeigt sich jedoch hinsichtlich der Stärke der Bundeswehr und der möglichen Mittel gerade im Sanitätsdienst eine Spätfolge des Kardinalfehlers der Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011. Die Wehrpflicht ist zwar gemäß Paragraf 2 Wehrpflichtgesetz automatisch wieder eingeführt. Dies gilt jedoch nicht in den Fällen von Artikel 35 Absatz 3 GG, hier einer pandemischen Notlage. Allerdings kann dies jederzeit einfach-gesetzlich durch eine schnelle Entscheidung des Parlaments ergänzt werden. Der anstehende Gesetzesent-

wurf “zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite” wäre hier eine gute Gelegenheit, für solche Fälle die Wehrpflicht in Ergänzung zum Verteidigungsund Spannungsfall ebenfalls wieder einzuführen. Dann stünden eben nicht nur wenige Tausend Reservisten auf freiwilliger Basis (!) aus dem Sanitätsdienst zur Verfügung, sondern man könnte auf ein hohes Potenzial im sechsstelligen Bereich zurückgreifen. Ein Blick über die Grenzen sei erlaubt: Wie anders ist die Lage in Österreich. Dort ist die Rechtslage äußerst einfach und klar: Das österreichische Bundesverfassungsgesetz lässt nach Artikel 79 zivilen Organen und Behörden jederzeit die Möglichkeit, als “Ultima Ratio” das Bundesheer einzusetzen, auch als Polizeiunterstützung und im Grenzpolizeieinsatz. Denn wo ist das Problem bei einer demokratisch legitimierten Entscheidung? Es zeigt sich eindrucksvoll, dass der Wegfall der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes gerade auch für Pflege und Hilfeleistung im medizinischen Bereich ein Tiefschlag war. Die Chance durch Corona könnte sein, dass jedem klar wird, dass ein Dienst an der Gemeinschaft in bestimmten Lagen buchstäblich notwendig ist. Vielleicht kann Corona so langfristig eine weitere positive Folge haben. Die Diskussion über den allgemeinen Pflichtdienst – Wehrdienst oder Ersatzdienst – wird hoffentlich hiermit nicht nur befeuert, sondern in die richtige Richtung gelenkt. Gäbe es eine hohe Anzahl von Pflichtigen für Dienste, wären viele Probleme, die sich jetzt nur andeuten, überwindbar. Hierbei sei ein altes österreichisches Motto zitiert: “Viribus Unitis” – mit vereinten Kräften!

gerdienstkommandos, die über das Bundesgebiet verteilt sind. Allerdings verfügt die Bundeswehr insgesamt nur über rund 2.700 Militärpolizisten. Zum Vergleich: In Bund und Ländern gibt es insgesamt rund 319.400 Polizisten. Ein weiterer Kernpunkt ist Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 GG (Amts- und Katastrophenhilfe): “Zur Hilfe bei einer Naturkatas­ trophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.” Die Befugnisse, welche die Bundeswehr in einem solchen Fall bekommt, werden seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Juli 2012 unter anderen Vorzeichen diskutiert. In einer seiner seltenen Plenarentscheidungen, also einem gemeinsamen Beschluss beider Senate, verkündete das oberste deutsche Gericht – abweichend von früheren Entscheidungen – eine Neuinterpretation: Bei besonders schweren Unglücksfällen sogenannten “katastrophischen” Ausmaßes dürften die Streitkräfte auch im Inland “spezifisch militärische Mittel” einsetzen – und im Unterschied zur technischen Amtshilfe auch hoheitliche Aufgaben übernehmen. (Mehr zur rechtlichen Würdigung des Einsatzes der Bundeswehr im Innern auch im Gastkommentar auf dieser Seite.) Mit dieser Entscheidung aus Karlsruhe wurde in Einzelfällen erlaubt, was der Bundeswehr im Inland bislang verwehrt war: Schon das Sperren einer Straße mussten die Soldaten sonst der Polizei überlassen. Allerdings muss in solchen Katastrophensituationen die vorhandene oder befürchtete Gefährdung weit über eine gewöhnliche Gefahrensituation hinausgehen. Allein die Befürchtung, dass die Polizei überfordert sein könnte, reicht hier nicht aus. Für einen Einsatz der Bundeswehr mit hoheitlichen Befugnissen und notfalls auch mit militärischen Waffen muss eine Großlage so weitgehend sein, dass eine ungewöhnliche Ausnahmesituation anzunehmen ist. Die wird dann allerdings durch die Bundesregierung und die Länder definiert. Entscheidend ist dabei, dass die Bundeswehr in solchen Fällen nicht eigenständig handeln kann – sondern immer nur auf Anforderung und damit auch unter dem Befehl des jeweiligen anfordernden Bundeslandes (oder mehrerer Länder). Was Soldaten konkret tun sollen, entscheidet also nicht ein militärischer Kommandeur, sondern der zivile Einsatzleiter der Polizei oder des Landesinnenministeriums.

Weißbuch 2016 Bei der Erstellung des aktuell geltenden “Weißbuches zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr”, des sicherheitspolitischen Grundlagen­ dokuments der Bundesregierung aus dem Juli 2016, hatte die CDU/CSU diese Bestimmungen ausweiten und den Einsatz der Streitkräfte zur Terrorbekämpfung leichter ermöglichen wollen. Das scheiterte jedoch am Koalitionspartner SPD. Im Weißbuch wurde dann als Kompromissformulierung von

Christ- und Sozialdemokraten folgendes vereinbart: “Ausdrücklich zugelassen in Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes ist der Einsatz der Streitkräfte im Innern zur Hilfe bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen

Damit die Hilfe noch gezielter und noch schneller dort ankommt, wo sie gebraucht wird, “koordiniert und führt der In­ spekteur der Streitkräftebasis in seiner Funktion als Nationaler Territorialer Befehlshaber nun die Unterstützungsleistungen der Bundeswehr für Bund und Länder”, schrieb der Generalinspekteur (GI), General Eberhard Zorn, Ende März in seinem Tagesbefehl zur Corona-Krise. Hierzu stehe dem Inspekteur der SKB, Generalleutnant Martin Schelleis, ein Einsatzkontingent “Hilfeleistung Corona” zur Verfügung, das sich aus Kräften aller Organisationsbereiche zusammensetze und über vier regionale Führungsstäbe geführt werde.

Setzt dem Einsatz der Bundeswehr im Innern enge Grenzen: das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Foto: BS/Portugall

(Katastrophennotstand) auf Anforderung eines Landes oder auf Anordnung der Bundesregierung. Das Vorliegen eines besonders schweren Unglücksfalls kommt auch bei terroristischen Großlagen in Betracht. Durch das Bundesverfassungsgericht wurde dabei bestätigt, dass die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte bei der wirksamen Bekämpfung des Unglücksfalls unter engen Voraussetzungen auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen können.” Soweit das Weißbuch 2016.

Aktuelle Unterstützung Die Corona-Krise stellt die Bundeswehr vor ganz neue Herausforderungen. Deren umfangreiches Personal und Material ermöglichen gleichwohl ein breites Handlungsspektrum. “Schon Wochen bevor die Pandemie in diesem Ausmaß Deutschland erreicht hatte, evakuierte die Luftwaffe mehrere hundert Deutsche aus der komplett abgeriegelten chinesischen Stadt Wuhan und stellte ihre Kaserne in Germersheim für die Quarantäne zur Verfügung”, so Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, im Gastkommentar des aktuellen Newsletters “Verteidigung. Streitkräfte. Wehrtechnik” des Behörden Spiegel. Bei der Bundeswehr seien in den vergangenen Wochen zu Hunderten Amtshilfegesuche eingegangen. Viele davon seien bereits bewilligt worden, so die Abgeordnete der Liberalen.

Einen Tag nach dem GI-Tagesbefehl erläuterte General Schell­ eis in einem Bundeswehr-Video, dass er mit der Aufstellung und Führung des Einsatzkontingentes von bis zu 15.000 Soldaten beauftragt worden sei. Dabei betonte er, dass erstmals in der Geschichte der Bundeswehr überhaupt ein Kontingent schon “im Vorgriff auf mögliche Hilfeleistung in Deutschland aufgestellt wird”, und das “flächendeckend, mit eigener Führungsstruktur, speziell geschnürten Fähigkeiten”. Das größte “Pfund”, mit dem die Bundeswehr im Fall der CoronaPandemie “wuchern” kann, ist sicherlich der Sanitätsdienst, dem rund 20.000 aktive Soldaten und bis zu 13.900 beorderte Reservisten angehören. Davon haben sich zwischenzeitlich schon mehr als 8.000 Reservisten gemeldet, um ihre Hilfe anzubieten. Rückgrat dieses militärischen Organisationsbereiches sind dabei vor allem die fünf Bundeswehr-Krankenhäuser, die im Bundesgebiet verteilt sind. Sie verfügen unter Normalbedingungen zusammen über 1.811 Betten und 1.253 Ärzte. Der Sanitätsdienst, so der Generalinspekteur in seinem Tagesbefehl, “steht dabei an der Seite des zivilen Gesundheitssystems”. Aber, so Dr. StrackZimmermann: Der Sanitätsdienst könne im Vergleich zum zivilen Gesundheitssystem “immer nur ergänzend tätig sein.” Die ergänzende Unterstützung betreffe letztlich “aber auch die Rolle der Bundeswehr in Gänze”, so die FDP-Politikerin gegenüber dem Behörden Spiegel.


Die letzte Seite

Behörden Spiegel / April 2020

Entscheidend ist der Einzelfall

E

in kalter, aber sonniger Novembervormittag im bayerischen Bamberg. Vor einem mit Stacheldraht versehenen Zaun stehen zwei Zeugen Jehovas und versuchen schweigend, den “Wachtturm” an den Mann zu bringen. Auf der anderen Seite des Zauns: die AnkER-Einrichtung Oberfranken. Im “AnkERZentrum”, circa zehn Bus-Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, herrscht ein regeres Treiben als in der Stadt selbst. Wer auf das weitläufige Gelände will, muss zunächst eine Sicherheitsschleuse passieren – egal ob Mitarbeiter, Bewohner oder Besucher. Derzeit leben gut 1.400 Personen in den zwei- bis dreistöckigen ehemaligen Kasernengebäuden. Davon fast die Hälfte Männer und je zu einem Viertel Frauen und Kinder. Die Kapazität ist zwar auf bis zu 3.400 ausgelegt, aber eine tatsächliche Belegung mit 1.500 Bewohnern soll nicht überschritten werden. Die zusätzlichen Plätze gelten als “Notreserve”. Gebraucht werden sie bei den aktuellen Zugangszahlen von Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, nicht. Im Schnitt kommen hier momentan 30 bis 70 Antragstellende pro Woche an, insbesondere aus Syrien, der Russischen Föderation, Georgien oder dem Iran. Zugänge und Abgänge halten sich im Gleichgewicht. Dazu trägt auch eine kurze Asylverfahrensdauer von durchschnittlich 2,3 Monaten bei. In der AEO gibt es eine Dienststelle des BAMF. Hier sind insgesamt 92 Mitarbeiter tätig, davon 31 Entscheider. Einer von ihnen ist Philippe Haulitschek. Der 34-Jährige ist seit dreieinhalb Jahren im BAMF tätig. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann sattelte Haulitschek um und studierte zunächst im Bachelor Europäische Geschichte, danach absolvierte er den Master in Staatswissenschaft. Ein Stellenangebot des BAMF, das in Zeiten großer migrationspolitischer Herausforderungen Asylentscheider suchte, reizte ihn. “Ich fand es schon immer spannend, für mein Land zu arbeiten. Dann kam das Jahr 2016 und die Möglichkeit, im gesellschaftlich so wichtigen Themenfeld Flucht und Migration für eine Bundesbehörde tätig zu sein. Das war reizvoll für mich und passte auch gut zu meinem Profil. In meinem Studium habe ich mich bereits mit Recht und Verwaltung beschäftigt.”

Zeitgemäßes Aus- und Fortbildungskonzept Er habe keinen klassischen Schreibtischjob gewollt, sondern die Arbeit mit Menschen bewusst gesucht, erklärt Haulitschek, der neben Englisch auch Kenntnisse in Spanisch, Französisch und Arabisch hat. Im Bundesamt habe er die Ausgewogenheit, die er sich wünschte. Der junge Entscheider nimmt dabei noch eine spezielle Rolle ein: Er ist Sonderbeauftragter für traumatisierte Personen und Folteropfer. Sonderbeauftragte – die es auch für unbegleitete Minderjährige, geschlechtsspezifisch Verfolgte oder Opfer von Menschenhandel gibt – sind speziell geschulte Entscheider, die in Anhörungsverfahren von diesen äußerst schutzbedürftigen Personengruppen eingesetzt werden, um besonders einfühlsam mit den Betroffenen umzugehen. Über ihre Aufgaben in der Verfahrensbearbeitung hinaus sind sie auch Multiplikatoren sowie Ansprechpartner für Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte. Doch wie wird man eigentlich Entscheider? Diese Frage führt zum zentralen Qualifizierungszentrum des BAMF in Nürnberg, wo ein zeitgemäßes Aus- und Fortbildungskonzept umgesetzt wird. Erfahrene Kräfte bereiten die angehenden Entscheiderinnen und Entscheider hier Schritt für Schritt auf das Asylverfahren

Seite 47

Philippe Haulitschek ist Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (BS/Katarina Heidrich) Umfangreiche Kenntnisse des Asyl- und Ausländerrechts, detailliertes Wissen über die Situation in den Herkunftsländern von Flüchtlingen, Fragetechniken, interkulturelle Kompetenz sowie kultursensibles Einfühlungsvermögen – über das alles muss Philippe Haulitschek als Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verfügen. Seine Aufgabe: die Prüfung von Asylanträgen in der AnkER-Einrichtung Oberfranken (AEO) in Bamberg.

Philippe Haulitschek (34) prüft beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asylanträge.

vor. Sie vermitteln Asylrechtsgrundlagen, die Bescheiderstellung und Anhörungs- bzw. Fragetechniken und schulen anhand von Praxisfällen. Weil das Asylverfahren in Deutschland, unter anderem durch politische Veränderungen, einem ständigen Wandel unterliegt, sind neben den neuen Kolleginnen und Kollegen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch die erfahrenen – verpflichtet, an regelmäßigen Schulungen zur Weiterqualifizierung teilzunehmen, um ein qualitativ hochwertiges Asylverfahren zu gewährleisten.

Für alles gerüstet Haulitscheks Büro liegt im Verwaltungstrakt des BAMF auf dem Gelände der AEO. Vor seinem Schreibtisch befindet sich noch ein zweiter, kleinerer Tisch mit zwei sich gegenüberstehenden Stühlen. Denn die Anhörungen der Antragsteller finden in seinem Büro statt. So auch an diesem Novembertag. Ein junger Mann, geflohen aus Nordsyrien, ist circa zehn Tage vor dem Gespräch im AnkER-Zentrum angekommen. Ihm gegenüber am Tisch sitzt eine Dolmetscherin, zwischen den beiden: ein Taschentuchspender. “Ich möchte den Menschen in den Anhörungen die Möglichkeit geben, sich zu öffnen. Sie sollen ihre ganz persönliche Fluchtgeschichte vortragen können. Das bedeutet manches Mal auch, grausame Erfahrungen zu schildern. Daher gehe ich sensibel vor und versuche, eine möglichst angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen”, erklärt der Entscheider, der sonst ein fröhliches Gemüt hat, ernst. In einigen Fällen sitzt auch ein Rechtsanwalt oder ein Beistand dabei. Zur Vorbereitung auf die jeweilige Anhörung erhält Haulitschek einige Tage vorher die entsprechende Akte der Antragsteller. “Der Umfang von Akten vor der Anhörung ist unterschiedlich. In manchen Fällen sind Dokumente und Beweisstücke schon abgegeben, in anderen Fällen liegen die Voraussetzungen für die Anwendung digitaler Assistenzsysteme vor, die zur besseren Identitätsfeststellung zum Beispiel eine sprachbiometrische Analyse arabischer Dialekte beinhalten. Dann kann ich auf entsprechende Hinweise zur Herkunft zurückgreifen und in der Anhörung gezielt nachfragen. Auf diese Weise bereite ich jede Anhörung vor.” So könne er sich darauf einstellen, in wel-

chem groben Rahmen die Anhörung voraussichtlich stattfinden wird. Das Gespräch selbst ist dreigeteilt. Im ersten Teil werden seitens der Entscheider Fragen gestellt, die allgemeiner Natur sind – nach Reiseweg, letztem Wohnort, Schulbildung, Berufstätigkeit etc. Der zweite Teil ist offener. Die Antragstellenden schildern ihre Fluchtgründe, ihr Verfolgungsschicksal und die Lebensumstände. “Und dann lasse ich sie zuerst reden und unterbreche nicht mit Fragen. Außer bei Verständnisproblemen. Anschließend stelle ich all die Fragen, die zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung notwendig sind”, so der empathische Haulitschek. Parallel wird der Vortrag durch die Dolmetscher übersetzt. Bei alldem sind die Antragstellenden verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen und Beweismittel vorzulegen, sofern sie diese beschaffen können. Viele bringen von sich aus Unterlagen mit, um ihre Angaben zu belegen, erzählt der Entscheider. Zudem stellt er detaillierte Rückfragen, die ihm zeigen, ob die vorgetragene Geschichte in sich plausibel ist. Aufgabe eines Entscheiders ist es nämlich auch, die Glaubhaftigkeit des Gesagten zu bewerten. Haulitschek verfügt über spezifische Länderkenntnisse. Zudem stehen ihm umfassende Informationen zur Situation in den Herkunftsländern von Asylsuchenden in einer Datenbank zur Verfügung, in der u. a. aktuelle Analysen des Auswärtigen Amtes, des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR, des Europäischen Asylunterstützungsbüros EASO sowie Unterlagen europäischer Partnerbehörden und eigene Auswertungen des BAMF für Entscheider zugänglich sind. Im BAMF selbst werden regelmäßig Herkunftsländer-Schulungen für Entscheider durchgeführt. Die Anhörung wird schriftlich protokolliert und, im dritten Schritt, zurückübersetzt, damit der Antragsteller inhaltlich nachvollziehen kann, ob alles richtig verstanden wurde und die Möglichkeit hat, etwas anzumerken oder zu korrigieren.

Was droht bei Rückkehr? Neben der Anhörung ist der zweite wichtige Teil seines “Arbeitsalltags”, wenn es so etwas überhaupt gibt, die Entscheidung. Anhand der Erkenntnisse aus Aktenlage und Anhörung wird

dabei die zentrale Frage geklärt: Welcher Gefahr wäre die Person bei einer Rückkehr in das Herkunftsland potenziell ausgesetzt? Diese Frage, die darüber entscheidet, ob ein Mensch asylrechtlichen Schutz erhält oder nicht, muss er klären. Das ist eine große Verantwortung. Allerdings bleibt seine Entscheidung nicht ungeprüft. “Wir arbeiten nach dem Vier-Augen-Prinzip, also eine hundertprozentige Bescheidkontrolle. Eine Person entscheidet, ein Kollege prüft den Bescheid.” Zusätzlich wird durch einen Qualitätssicherer ein bestimmter Prozentsatz aller am Vortag erfolgten Antragsannahmen, Anhörungen und Abschlussarbeiten mittels Stichprobe kontrolliert. Das erfolgt lokal vor Ort; im Anschluss wird den Entscheiderinnen und Entscheidern ein Feedback gegeben. Darüber hinaus gibt es noch eine zentrale Qualitätssicherung, die monatlich eine repräsentative Anzahl von Stichproben mit dem Ziel prüft, systematische Fehlerquellen zu identifizieren und bei Bedarf geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Diese Vorgehensweise hat sich bewährt: Derzeit herrsche eine sehr gute Bescheidqualität. Es landen zwar rund 50 Prozent der Bescheide vor Gericht, damit bewegt sich die Klagequote prozentual auf dem Niveau der beiden Vorjahre, allerdings liegt die Erfolgsquote der Kläger in den Fällen, die inhaltlich entschieden werden, mittlerweile bei lediglich 14 Prozent. Deutlich häufiger, nämlich in 41,3 Prozent der Fälle, wurden die Entscheidungen des BAMF von den Gerichten bestätigt. Der Rest entfällt auf sogenannte “sonstige Erledigungen”, wozu etwa Einstellungen der Verfahren wegen Nicht-Betreibens durch die Schutzsuchenden oder aufgrund von Ausreisen in das Herkunftsland zählen.

Auslandseinsatz auf Lesbos Auf die Frage, ob Haulitschek bei seinen Entscheidungen völlig frei von persönlichen Empfindungen sein kann, antwortet der BAMF-Mitarbeiter: “Was für mich zählt, ist die Rechtslage und die individuelle Situation für die Antragstellenden im Herkunftsland. Ich kann nicht nach Bauchgefühl entscheiden, sondern muss meine Entscheidung auf vorliegende Fakten stützen. Natürlich erfährt man Schicksale von Menschen, die auf ihrem Weg nach Deutschland furchtbares

Foto: BS/© Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Leid erfahren haben. Das berührt mich natürlich als Mensch, darf die Entscheidung aber nicht beeinflussen.” Vielleicht mehr noch als in anderen Bereichen ist die Trennung von Arbeit und Privatleben im Berufsfeld eines Entscheiders von Wichtigkeit. “Ich kann die Arbeit hier drin lassen”, sagt Haulitschek und deutet auf die Wände seines schlichten Büros. “Wenn ich meine Bürotür schließe, nehme ich den Arbeitstag nicht mit nach Hause. Dann bin ich auf dem Heimweg und denke über anderes nach. Ich habe mir keine spezielle mentale Strategie dafür zurechtgelegt, vielleicht bin ich einfach so gestrickt”, erklärt der lebensfrohe Haulitschek lächelnd.

Er würde wieder Vice versa versucht er, seine private Meinung nicht mit in die Arbeit zu tragen. Ob er politische Forderungen bezüglich seiner Arbeit hat? “Natürlich, aber das ist privat und hier nicht meine Aufgabe. Hier an diesem Platz habe ich einen klaren, gesetzlich definierten Auftrag. Ich entscheide darüber, ob Schutz gewährt oder ein Asylantrag abgelehnt wird. Darauf konzentriere ich mich", so der pflichtbewusste Entscheider. Neben seiner Tätig-

keit in der AEO war Haulitschek vor Kurzem auch international eingebunden. Er hatte einen siebenwöchigen EASO-Einsatz auf der griechischen Insel Lesbos. Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) mit Sitz in Valletta (Malta) ist eine Gemeinschaftsagentur der Europäischen Union. Sie fördert die praktische Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten im Asylbereich und unterstützt insbesondere Mitgliedsstaaten, deren Asyl- und Unterbringungssysteme besonders belastet sind, auch mit Einsatzkräften vor Ort. “Die Aufgabe ist ähnlich wie hier”, erzählt er mit Blick auf seinen Griechenland-Einsatz. Die entsandten Entscheiderinnen und Entscheider führten vor Ort Anhörungen durch. Im Anschluss entschieden sie aber nicht, sondern schrieben eine “Opinion”, eine Entscheidungsempfehlung, die darlege, wie sie den Einzelfall betrachten und auf Grundlage der EU-Richtlinien, der EU-Türkei-Vereinbarung und des griechischen Rechts entscheiden würden. “Wir bereiten die von uns bearbeiteten Fälle für die griechischen Kollegen detailliert auf, damit der Weg zur Entscheidung kürzer ist und die Verfahren beschleunigt werden können. Ob sie dann letztlich auch so entschieden werden, wie von uns vorgeschlagen, bleibt komplett den griechischen Kollegen überlassen.” Die Einsatzdauer bei diesen Entsendungen ist unterschiedlich, sie geht bis zu zwölf Wochen, je nach Verfügbarkeit des Mitarbeitenden. “Da kommen wöchentlich neue Kollegen an und andere gehen.” Auch in Italien und Zypern gibt es EASO-Einsätze. Das Unterstützungsbüro schult auf Malta Trainer, die dann wiederum ein nationales Kontingent an Asylexperten für zukünftige Einsätze in den einzelnen Mitgliedsstaaten ausbilden. EASO-Einsätze sind freiwillig. Um daran teilzunehmen, geben die nationalen Asylexperten bei ihrer Behörde eine Interessensbekundung ab. Haulitscheks Motivation für den Einsatz war, die internationale Zusammenarbeit kennenzulernen. “Ich habe im EASO-Einsatz enorm wertvolle Erfahrungen gemacht – fachlich wie menschlich. Das hat mir ganz neue Einblicke ermöglicht. So ein Einsatz ist herausfordernd, keine Frage, aber in einem internationalen Team zu arbeiten und sich mit Kollegen aus ganz Europa auszutauschen, war sehr spannend. Ich habe viel darüber gelernt, wie in anderen Mitgliedstaaten gearbeitet wird.” Wenn sich die Möglichkeit ergebe, würde er weitere solcher Einsätze machen.

AnkER-Einrichtung Oberfranken (AEO) (BS/kh) Die auf dem früheren US-Gelände in Bamberg entstandene AEO ist die erste Anlaufstelle für Asylbewerber in Oberfranken. Im September 2015 wurde die Aufnahme- und Rückführungseinrichtung II (ARE II) geschaffen, die in die Besondere Aufnahmeeinrichtung nach § 30a AsylG überführt wurde. Im Juli 2016 wur- Spielplatz und Unterkünfte auf dem Gede diese mit der regulären lände der AnkER-Einrichtung Oberfranken Erstaufnahmeeinrichtung, (AEO) in Bamberg. welche von Bayreuth nach Foto: BS/© Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Bamberg verlegt wurde, zur Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) verschmolzen. Die dritte Säule war ab September 2016 ihre Funktion als Ankunftszentrum des BAMF. Seit dem 1. August 2018 fungiert sie als eine der bundesweit mittlerweile insgesamt neun AnkER- und acht funktionsgleichen Einrichtungen, die es in sechs Bundesländern gibt. Durch die Bündelung aller notwendigen Behörden, Funktionen und Zuständigkeiten vor Ort (hier: Regierung von Oberfranken, Landesamt für Asyl und Rückführungen, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Sozialamt, Gesundheitsamt, Verwaltungsgericht, Agentur für Arbeit, Polizei) soll das den Asylsuchenden zustehende rechtsstaatliche Verwaltungsverfahren beschleunigt durchgeführt werden.


Besuchen Sie unsere Top-Events 2020/2021 mit Fokus auf Digitalisierung und E-Government Baden-Württemberg 4.0 2. Juli 2020, Stuttgart

> www.bw-4-0.de

Rheinland-Pfalz 4.0 27. August 2020, Mainz

> www.dv-rlp.de

e-nrw: Zukünftige IT-Strategien in NRW 5. November 2020, Neuss

> www.e-nrw.info

Nordl@nderDIGITAL 3. Dezember 2020, Kiel

> www.nordlaender-digital.de

Zukunftskongress Bayern 25. Februar 2021, München

Zukunftskongress Bayern

Digitaler Staat 23.–24. März 2021, Berlin

Ansprechpartner Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten erteilt: Benjamin Bauer Mitglied der Geschäftsleitung Tel.: 0228/970 97-0 E-Mail: benjamin.bauer@behoerdenspiegel.de

> www.zukunftskongress.bayern

> www.digitaler-staat.org


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.