Behörden Spiegel August 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. VI / 36. Jg / 32. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / August 2020

www.behoerdenspiegel.de

Für alle Wege offen

Bereits stark digitalisiert

“Ich mache hier meinen Traumjob”

Dr. Hartmut Schubert zu Identitätsdiensten .... 31

Colette Hercher zur Corona-Krise und zur Digitalisierung beim Zoll ������������������������������������ 37

Dr. Janina Dressler ist Präventionsbeauftragte der Berliner Feuerwehr ...................................... 44

Finanzspritze für Impfstoffentwickler (BS/stb) Die Bundesregierung wird drei Pharmaunternehmen mit insgesamt 750 Millionen Euro aus dem Sonderprogramm Impfstoffentwicklung unterstützen. Bedacht werden BioNTech aus Mainz, CureVac aus Tübingen und IDT Biologika aus Dessau. Als Gegenleistung erwarte die Bundesregierung, dass ein angemessener Teil der Produktion eines zugelassenen CoronaImpfstoffes für die Versorgung in Deutschland zugänglich gemacht werde, stellte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek klar. Gefördert wird der Aufbau von Kapazitäten für Studien und Produktion. Die Wahl der drei Unternehmen geht auf Empfehlungen eines Expertenbeirates zurück.

Drohnen für Berliner Feuerwehr (BS/mfe) Bei der Berliner Feuerwehr hat ein einjähriges Pilotprojekt zum Einsatz unbemannter Flugsysteme begonnen. Es wurden – anders als in Hamburg, wo Mini-Drohnen im Einsatz sind – insgesamt vier marktübliche Standarddrohnen angeschafft. Die Kosten dafür belaufen sich insgesamt auf rund 15.500 Euro. In die Aus- und Fortbildung von 30 Drohnenführern, darunter zehn Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr, wurden zusätzlich etwa 17.000 Euro investiert. Drei der Drohnen sind auf Führungsfahrzeugen verlastet. Eine weitere befindet sich zu Aus- und Fortbildungszwecken an der Berliner Feuerwehr- und RettungsdienstAkademie (BFRA). Die Geräte sollen im Rahmen des Versuchsvorhabens zur Erkundung und Lagebilderstellung bei Großschadenslagen zum Einsatz kommen.

Pflicht statt Kür Notfall- und Krisenmanagement regulieren (BS/Uwe Proll) Die Unterbrechung der Geschäftsprozesse in Verwaltungen, Verteilung oder Produktion durch äußere Einwirkung ist in vielen Bereichen längst Gegenstand staatlicher Regulierung. Die Corona-Krise jedoch hat gezeigt, dass staatliche und kommunale Bereiche wie auch ganze Wirtschaftszweige ein professionelles Buisiness Continuity Management nicht beherrschen. Zwar gab es vielerorts Notfallpläne, doch ihre Umsetzung war ungeübt. Bis heute werden Dienstleistungen für die Bürger durch Kommunen schleppend oder gar nicht erbracht, das gilt selbst für die gesetzlich vorgeschriebenen Ausweisverlängerungen. Weit und breit herrscht noch Stillstand. Vielen Unternehmen ist die eigene Lebenskraft längst abhandengekommen. Diese Zombies sind längst tot, werden durch die Verschiebung der Pflicht zur Insolvenzanmeldung, Kurzarbeit und staatlichen Geldregen künstlich am Leben gehalten. Sobald dieser Tropf abgestellt wird, kommt die Insolvenzwelle. Eins hat sich klar und deutlich gezeigt: Notfall- und Krisenpläne an sich bringen gar nichts. Sie verstauben im Regelfall in der Schublade. So war es auch mit der staatlichen Pandemieplanung. Bereits 2007 wurde in einer länderübergreifenden Katastrophenschutzübung alles Notwendige für den Fall einer pandemischen Virenverbreitung geübt und zu Papier gebracht. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) veröffentlichte 2012 erneut eine umfangreiche Stellungnahme zu den Gefahren und notwendigen Vorbereitungen mit Blick auf eine Pandemie, die im Folgejahr sogar im Bundestag erörtert wurde. Vorbereitet auf dem Papier ja, für den Ernstfall nein. Es fehlte der Zwang zur Umsetzung der Erkenntnisse. Keine ausreichende Bevorratung, nicht genügend Resilienz im Gesundheitssystem, besonders bei den kommunalen Gesundheitsämtern, ungeübte Krisenstabsarbeit, Überreaktionen bei den Notbestellungen (für die nach wie vor aus China eingehenden Millionen von Masken fehlt mittlerweile der Lagerplatz und die gelieferten Beatmungsgeräte werden dutzendweise europaweit verschenkt). Kein gutes

PLANUNG

RECOVERY

MANAGEMENT

LAUFENDER BETRIEB

RISIKO

Bild was Staat und Kommunen trotz geradezu heldenhaften Engagements vieler Tausender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgegeben haben. Eine ganze Generation von Behördenchefs und Politikern stand vor ihrer ersten ernsthaften Krise. Doch besser sah es in vielen Firmen keineswegs aus. Unvorbereitet traf es viele nicht durch das Virus selbst, sondern durch die Unterbrechung globaler Lieferketten. Schlimmer jedoch: Durch den Ausfall der Geschäftstätigkeit ging etlichen Unternehmen nach wenigen Wo-

chen die finanzielle Puste aus, und das, obwohl viele Branchen fette Jahre hinter sich hatten. Doch offensichtlich gehört finanzielle Eigenvorsorge in der Wirtschaft nicht zum guten Ton. Mit allerlei Staatshilfen werden derzeit Tote am Leben erhalten. Eine Triage wäre hier sinnvoll, die Zombies sterben zu lassen, um den kerngesund in die Krise geratenen Unternehmen bei der zukünftigen Wirtschaftsflaute zu helfen. Es gibt Beispiele. So hat man nach der Finanz-, die ja eine Bankenkrise war, den Geld-

häusern strenge Regulierungen auferlegt. Mit der Zweiten Baseler Eigenkapitalverordnung (Basel II) wird Sorge getragen, dass genug Geld im Hause ist, um eine Krise zu überstehen. Wirft man einen Blick auf die Informationssicherheit, stellt man auch hier strenge Regulation fest. So werden insbesondere die Betreiber Kritischer Infrastrukturen zu Vorsorgemaßnahmen für den Stromausfall und Cyber-Angriff gezwungen. Was wird also zukünftig gebraucht: mehr staatliche Regulierung, kurzum Gesetze, um

Der Perso ist tot, es lebe der Perso! (BS) Am 1. November 2010 wurden die ersten neuen Personalausweise (nPA) im Scheckkartenformat ausgegeben. Mit dessen eID-Funktion wollte Deutschland die Tür zum sicheren Identitätsmanagement in der digitalen Welt ganz weit aufstoßen. Nach nunmehr fast zehn Jahren muss man aber ernüchtert konstatieren, dass für komfortable und vielfältige Zugangsmöglichkeiten zum Netz mittels “Perso” nach wie vor kein passender Türöffner montiert ist. Klartext: Das Ding ist gefloppt – doch es besteht Hoffnung. Was im Zuge der Einführung noch als Treiber gefeiert wurde, um auch dem E-Government in Deutschland endlich zum Durchbruch zu verhelfen, erwies sich in der Folge als zu kompliziert. Denn für die Nutzung der eIDFunktion musste ein Kartenlesegerät angeschafft werden. Eine Investition, welche die meisten Bürger auch deshalb scheuten, da es im Netz kaum Anwendungsfälle gab, bei denen sie dieses Gerät einsetzen konnten. Da half es auch nicht, dass 2009/2010 im Zuge des ITInvestitionsprogramms 100.000 Stück dieser Geräte kostenlos unters Volk gebracht wurden. Dieser Makel ist mittlerweile behoben. Heute kann man die auf allen modernen Smartphones

PROZESSE

Staat und Unternehmen müssen die Resilienz gemeinsam erhöhen. Der eine durch Regulierung, die anderen durch ein sinnvolles Business Continuity Management. Foto: BS/ Trueffelpix, stock.adobe.com

Erstmals Sanktionen Kommentar wegen Cyber-Angriffen (BS/stb) Der Europäische Rat hat erstmals Sanktionen im Rahmen des EU-Instrumentariums für die Cyber-Diplomatie verhängt. Eines der Ziele ist eine Einheit des russischen Militärnachrichtendienstes GRU. Das Zentrum für besondere Technologien (GTsST) wird für die Schadsoftware “NotPetya” und für Angriffe auf die Stromversorgung in der Ukraine verantwortlich gemacht. Vier GRUMitarbeitern wirft der Rat außerdem die Beteiligung an einem Angriff auf die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag vor. Von Sanktionen betroffen sind außerdem zwei chinesische Staatsbürger und ein chinesisches Technologie-Unternehmen wegen Industriespionage im Rahmen der “Operation Cloud Hopper”. Ebenfalls wurden gegen eine nordkoreanische Export-Organisation wegen der Beteiligung am Cyber-Angriff “WannaCry” Sanktionen verhängt. Die EUMaßnahmen umfassen Einreiseverbote sowie das Einfrieren von Vermögenswerten.

RESILIENZ

verfügbare NFC-Funktion nutzen, um die Daten des nPA mittels der AusweisApp auszulesen – zweifellos ein großer Sprung mit Blick auf die Usability. Allerdings mangelt es immer noch an Anwendungsfällen, sowohl bei den Verwaltungsservices als insbesondere bei OnlineDienstleistungen der Wirtschaft. Gerade Letzterem ist geschuldet, dass der elektronische Personalausweis bis heute nicht ans Fliegen gekommen ist. Denn die prominenten und viel frequentierten Plattformen setzen für das Identitätsmanagement weiterhin auf Benutzername und Kennwort – weniger sicher, aber auch weniger aufwendig und daher für die Kunden attraktiver. Diesen ungleichen Wettbewerb kann der

physische Personalausweis im Digitalen nicht gewinnen. Doch die eID-Funktion wird absehbar ohnehin keine Rolle mehr spielen. Das Bundesinnenministerium arbeitet unter der Führung von Bundes-CIO Dr. Markus Richter bereits an der Einführung eines OnlinePersos für das Smartphone (mehr zum Thema auf Seite 31). Damit würde der Nutzerkomfort derart gesteigert, dass diese Form der sicheren Authentifizierung auch für die Wirtschaft attraktiv werden könnte. So könnte Deutschland vielleicht endlich den fehlenden Türöffner zum sicheren Identitätsmanagement am Tor zur digitalen Welt montieren. Guido Gehrt

Balance-Akt

die Resilienz der Wirtschaft zu erhöhen. Pflicht zur Vorsorge ist der Garant für die Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit, nicht etwa die Rekommunalisierung oder Verstaatlichung. Der Gesetzgeber sollte, wie schon beim IT-Sicherheitsgesetz, darauf achten, dass auch Behörden unter regulatorische Vorsorgemaßnahmen fallen. Staat, Kommunen und Betriebe sollten künftig besser vorbereitet sein, um ihre Geschäftstätigkeit ohne Unterbrechung fortführen zu können. Denn die nächste Krise kommt bestimmt!


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / August 2020

Nur gemeinsam sind Staat und Wirtschaft stark. Sei es bei Fragen der Luftsicherheit oder bei den Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge. Zugleich ist der Staat als Regulierer und Rahmensetzer gefragt. Nur wenn beides reibungslos ineinander greift, kann das Getriebe Deutschlands funktionieren. Foto: BS/b, stock.adobe.com

Staat und Wirtschaft Unterschiedliche Bewertung

Keine private Aufgabe mehr

ÖPP gegen Ransomware

Der Bürokratieabbau in Deutschland und Kommunen gehen selbst gegen 630 Mio. US-Dollar Lösegeldzahlungen sein grundlegendes Dilemma ...................................... Seite 3 illegale Müllablagerungen vor .................................... Seite 21 durch Europol-Dienst erspart .................................... Seite 33

Bereichsausnahme bei Rettungsdienstleistungen

Datenschutz ohne Schild

Von der Gesundheits- zur Finanzkrise

Zwischen Stärkung örtlicher Rettungsdienste Wie geht es nach dem Scheitern Gefährden Corona-Schulden große Beschaffungsvorhaben der und “closed club”........................................................ Seite 15 des Privacy Shields weiter? ........................................ Seite 30 Bundeswehr?................................................................ Seite 35

Öffentliche Unternehmen in der Corona-Krise

Bequem ausweisen

Verhältnis stark optimierungsbedürftig

Beihilferechtliche Spielräume und Personalausweis soll auf Staat und Wirtschaft müssen Sonderprogramme ...................................................... Seite 18 das Smartphone kommen .......................................... Seite 31 bei Luftsicherheit besser kooperieren ....................... Seite 38 Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

KI als Zukunftsmotor Innovationssymposium als Hybrid-Kongress (BS/Michael Harbeke) Das Innovationssymposium KI stellt die Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) im Öffentlichen Dienst am 29. September in Berlin und im Netz in den Mittelpunkt seines Programms. Staatliche Institutionen, Kommunen und Behörden werden über Trends im Bereich KI und Machine Learning auf den neuesten Stand gebracht. RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler wird sich mit KI bei Vorhersage und Bekämpfung einer Pandemie auseinander setzen. Außerdem wird Bundes-CIO Dr. Markus Richter zur Bedeutung der KI für eine digitale Gesellschaft referieren. Drei Schwerpunkte bilden die Säulen des Programms, die die unterschiedlichen Perspektiven der KI vorstellen. Das Symposium verdeutlicht, dass die Prävention vor Naturkatastrophen und extremen Lagen maßgeblich durch Algorithmen perfektioniert wird. Ob Waldbrände, Erdbeben, Pandemien oder Migrationsströme – die KI lernt aus diesen Ereignissen und entwickelt Handlungsvorschläge, um zukünftige Katastrophen besser zu koordinieren.

KI perfektioniert Mobilität Der zweite Schwerpunkt behandelt die Auswertung von Daten, die für die Erstellung digitaler Geländemodelle herangezogen werden. Mithilfe von Satelliten werden Geodaten erhoben, die realistische Abbilder der Erdoberfläche simulieren. So lassen sich dank KI Mobilitätskonzepte entwickeln, die den Verbund von Verkehrsmitteln sowie die urbane Infrastruktur im öffentlichen Raum optimieren.

(KRITIS) wie zum Beispiel Krankenhäusern und Kernkraftwerken zu sorgen, erkennt die KI feindliche Cyber-Attacken und wehrt sich aktiv mit Gegenschlägen – sogenannten Hackbacks. Ob im Bereich BOS, Verteidigung oder KRITIS – KI schützt die Achillesferse einer modernen, auf digitalen Technologien beruhenden Gesellschaft.

Safety First Now Aufgrund der Corona-Pandemie wird das Innovationssymposium KI als Hybrid-Kongress ausgetragen. Sowohl live vor Ort in Berlin, mit begrenzter Teilnehmerzahl, als auch exklusiv im Netz am 29. September. Ein umfangreiches HygieneKonzept wurde in Absprache mit den lokalen Gesundheitsbehörden für die Gewährleistung der Gesundheit der Besucher/innen aufgestellt. Anmeldung und Informationen via www.innovationssymposiumki.de

KI schafft Sicherheit Der dritte Themenstrang fokussiert KI-Lösungen im Bereich Cyber Awareness und CyberAbwehr. Um für besseren Schutz bei Kritischen Infrastrukturen

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Thüringer Finanzministerium, Delf Zeh Foto 2: BS/Zoll Foto 3: BS/Feldmann


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Berlin und Bonn / August 2020

KNAPP

Unterschiedliche Bewertung

Personalabbau stoppen

Der Bürokratieabbau in Deutschland und sein grundlegendes Dilemma (BS/Jörn Fieseler) Im letzten Jahr hat der Staatssekretärsausschuss “Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau” ein Konzept zur Begrenzung des sogenannten Umstellungsaufwands verabschiedet. Damit soll vor allem eruiert werden, wie einmalige Bürokratiekosten für Unternehmen vermieden oder verringert werden können. Doch in der Breite ist das Konzept noch nicht angekommen – auch wegen Covid-19. Trotzdem zeichnet sich beim Bürokratieabbau für die laufende Legislaturperiode ein positives Bild ab. Ein Grund zum Ausruhen ist das jedoch noch lange nicht. Seit mehr als 15 Jahren wird in Deutschland auf den Bürokratieabbau besonders geachtet. Angefangen mit dem StandardKosten-Modell zur Berechnung von Informationspflichten für Unternehmen bis zum Erfüllungsaufwand von gesetzlichen Regelungen für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung. Gesetzliche Regelungen führen aber nicht nur zu laufenden Bürokratiekosten, sondern auch zu einem einmaligen Erfüllungsaufwand, dem sogenannten Umstellungsaufwand. Dieser belief sich in der 18. Legislaturperiode auf insgesamt 4,9 Mrd. Euro, weshalb dieser Aspekt stärker in den Fokus gerückt ist. In der aktuellen Legislaturperiode liegt er bei 1,9 Mrd. Euro, wovon allein 1,1 Mrd. Euro auf die Änderung der Tierschutz-Nutztier-Verordnung zurückgehen.

Ausbaufähiges Konzept “Das vereinbarte Konzept zur Begrenzung des Umstellungsaufwands bündelt erstmalig Ansatzpunkte zu dessen Reduzierung für Unternehmen. Als Handreichung gibt es den Ministerien nach Fallgruppen differenzierte qualitative Hebel an die Hand, mit denen bei der Vorbereitung von Regelungsvorhaben geprüft wird, wie der Umstellungsaufwand möglichst niedrig gehalten werden kann”, erläutert ein Regierungssprecher. Es gibt 14 fallgruppenübergreifende und 31 fallgruppenspezifische Hebel, wie zum Beispiel lange Umsetzungsfristen oder Bestandsregelungen und die Beteiligung unmittelbar Betroffener. Das ist eigentlich nichts Neues. So teilte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Anfrage mit, diese Hebel bereits vor der Einführung des Konzepts schon

Je länger der Bürokratieabbau dauert, desto größer das Einsparvolumen. Doch wo der Zeiger steht, wird unterschiedlich bewertet. Je nachdem, aus welcher Perspektive der Urteilende das Thema betrachtet. F oto: BS/fotomek, stock.adobe.com

eingesetzt zu haben. “Neu ist allerdings, dass die Ressorts darstellen können, was sie unternommen haben, um den Umstellungsaufwand für die Wirtschaft darstellen können”, erläutert Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates (NKR). Bei Vorhaben mit hohem Umstellungsaufwand seien sie sogar dazu verpflichtet. “Trotzdem bleibt das Konzept alles in allem sehr unverbindlich – leider”, so das Fazit des NKR-Vorsitzenden. Der NKR wünsche sich deshalb ein Modell, bei dem der einmalige Erfüllungsaufwand in den Index des laufenden Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft integriert werde. Denkbar wäre ein Verfahren ähnlich den betriebswirtschaftlichen Abschreibungsregeln. “Dies entspräche der in Unternehmen gängigen Bilanzierungspraxis. Damit wäre der einmalige Erfüllungsaufwand von der “one

in, one out”-Regel erfasst und könnte wirksamer begrenzt werden”, sagt Ludewig. “Berechnungen zum einmaligen Umstellungsaufwand finden sich leider bisher kaum in den Gesetzesentwürfen”, kritisiert Ilja Nothnagel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Dabei wachse dessen Bedeutung im Zuge der Digitalisierung immer mehr. Nothnagel verwies beispielhaft auf die nachzurüstenden elektronischen Registrierkassen in Gastronomie und Einzelhandel mit technischen Sicherheitseinrichtungen. Aber auch die temporäre Reduzierung der Mehrwertsteuer ziehe einen erheblichen Umstellungsaufwand nach sich. “Wir haben erst ein Vorhaben gesehen, in dem das Konzept angewandt und das Prüfergebnis dargestellt wurde”, bestä-

tigt Ludewig. Aufgrund des eher freiwilligen Charakters des Konzeptes verwundere das jedoch nicht. “Viele Vorhaben der letzten Monate standen außerdem im Zeichen der Corona-Krise. Sie mussten sehr schnell gehen. Da war wenig Raum für zusätzliche Abwägungsfragen zum Umstellungsaufwand”, so der NKRVorsitzende weiter. Er erwarte jedoch, dass sich die Ressorts in Zukunft stärker mit dem Konzept auseinandersetzten und dessen Prüfpunkte berücksichtigten. “Wir werden unsererseits jedenfalls verstärkt darauf achten, ob die Ressorts das Konzept anwenden.”

One in, one out wirkt (nicht) Insgesamt zieht die Bundesregierung in ihrem Bericht zum Stand des Bürokratieabbaus und zur Fortentwicklung auf dem Gebiet der besseren Rechtsetzung für das Jahr 2019 (Bundestagsdrucksache 19/20975)

eine positive Zwischenbilanz. Die Bürokratiebremse funktioniere: Der Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft konnte in der laufenden Legislatur um rund 1,3 Mrd. Euro gesenkt werden können. Davon entfielen allein mehr als 1,1 Mrd. Euro auf das Bürokratieentlastungsgesetz (BEG III). Dieses sehe außerdem für den Bürger Entlastungen in Höhe von 78 Mio. Euro und rund 20 Mio. Stunden vor. Entsprechend kommt die Bundesregierung zu dem Ergebnis: Die Bürokratiebremse funktioniert. Ganz so euphorisch ist Nothnagel nicht: “Die Bürokratiebremse “one in, one out” ist zwar ein guter Ansatz, greift aber nicht konsequent.” Jedenfalls verhindere sie nicht, dass in verbrauchernahen und durch mittelständische Betriebe geprägten Branchen die Belastungen sogar eher zunähmen, sagt er mit Verweis auf eine aktuelle DIHK-Studie. Danach beträgt die Belastung durch Bürokratie im Gastgewerbe mittlerweile 2,5 Prozent des Umsatzes. “Immerhin etwa 14 Stunden müssen Woche für Woche von Eigentümern oder Mitarbeitern allein für die Erfüllung bürokratischer Pflichten eingesetzt werden”, so Nothnagel. Dadurch wird das Dilemma beim Bürokratieabbau mehr als deutlich. Auf der einen Seite stehen enorme Summen, die auf die gesamte Wirtschaft hochgerechnet werden, auf der anderen Seite die Belastungen in einem Betrieb. Was auf der Makroebene nach einem großen Schritt zur Reduzierung unnötiger Kosten für die Wirtschaft aussieht, wirkt sich auf der Mikroebene kaum aus, wodurch das Gefühl, die Belastungen würden zunehmen, bestehen bleibt. Deshalb ist und bleibt Bürokratieabbau eine Daueraufgabe.

(BS/jf) 16 Prozent aller Landesbeamten in Thüringen sind 60 Jahre oder älter und werden in den nächsten sieben Jahren in den Ruhestand gehen. Angesichts dieses Ausmaßes des demografischen Wandels fordert der stellvertretende Landesvorsitzende des TBB Beamtenbunds und Tarifunion Thüringen, Andreas Schiene, einen sofortigen und generellen Stopp des Personalabbaus in Thüringen. Wenn wie bisher nur bei Lehrern und Polizisten eine Ausnahme vom Personalabbau gemacht werde, sei die logische Konsequenz, dass beim übrigen Öffentlichen Dienst dessen Funktionsfähigkeit komplett abgeschafft werde, mahnt Schiene. Zugleich fordert er eine Bestandsanalyse unter Anschaffung einer einheitlichen Personalverwaltungssoftware, ein zentrales Personalrecruiting sowie “Generationenbrücken”. Bei Letzteren sollen Stellen doppelt besetzt werden, um eine Einarbeitung des neuen Personals durch die ausscheidenden Kräfte zu ermöglichen.

Kein genauer Stand (BS/jf) Seit drei Jahren läuft die Reform der Familienkassen in einem mehrstufigen Verfahren. In einem ersten Schritt sollen die Zuständigkeiten der Kassen, die mit der Auszahlung des Kindergeldes betraut sind, verpflichtend auf die Bundesagentur für Arbeit (BA) übergehen, wenn nicht alternativ das Bundesverwaltungsamt beauftragt wird. Länder und Kommunen haben die Möglichkeit, freiwillig diese Aufgaben an die BA abzugeben. Nach Auskunft der Bundesregierung haben zahlreiche der über 17.000 Familienkassen auf allen drei Staatsebenen davon Gebrauch gemacht. Aber erst mit Ablauf der ersten Reformstufe Ende 2021 wird sie sich ein umfassendes Bild über den bisherigen Reformverlauf machen und weitere Schritte festlegen.

Leipziger Vergabetag 5.–6. Oktober 2020, Leipzig » Der Treffpunkt für öffentliche Einkäufer, Vergaberechtler und -berater sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verbänden. » Diskutieren Sie aktuelle Rechtsfragen und einschlägige Spruchpraxis und erfahren Sie, wie Einkaufsstrategien wirksam und zugleich rechtskonform umgesetzt werden können. » Gestalten Sie Ihr persönliches Programm in den vergaberechtlichen Sprechstunden: hier erhalten Sie in kleiner Runde Antworten auf Ihre individuellen Fragen und Lösungsansätze für Ihre vergaberechtlichen Probleme. » Der Abendempfang zum Erfahrungsaustausch und Networking zwischen Beschaffungsexperten runden den Leipziger Vergabetag weiter ab. » Weitere Informationen zum Programm und Anmeldung unter: www.leipziger-vergabetag.de

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Eine Veranstaltung des

Mit fachlicher Unterstützung von


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Behörden Spiegel / August 2020

Überblick gewinnen, behalten und vor die Lage kommen

Frage des Aufwandes

Plädoyer für eine wohltemperierte Disziplin im pandemischen Zeitalter

Über 30.000 Praktika in drei Jahren

(BS/ Prof. Dr. Gottfried Richenhagen/Prof. Dr. Stefan Heinemann) Niemand hat SARS-CoV-2 bestellt: die immer noch in weiten Teilen medizinisch mysteriöse Multiorgankrankheit mit schwacher Therapie- und noch keiner validen und sicheren finalen Immunitätsperspektive. Und letztlich unerträglich vielen Toten und gesellschaftlich wie wirtschaftlich bis an die Grenze und darüber hinaus belastetem Leben. Am Ende geht es um alles – die grundlegende Werteordnung unseres Landes. Wir alle haben damit privat und beruflich jeden Tag neu umzugehen. Und zu entscheiden, wie wir dies tun.

(BS/jf) Behörden und deren Arbeit von innen kennenzulernen, ist ein wichtiges Mittel zur Nachwuchsgewinnung – so lautet das zentrale Ergebnis einer Evaluation der Praktikantenrichtlinie des Bundes. Obwohl das Ergebnis insgesamt sehr positiv ausfällt, gibt es weiteres Verbesserungspotenzial.

Grundsätzlich ist eine kluge Haltung im Dreiklang von “Hygiene leben, Maskenselbstverpflichtung annehmen, Distanz wahren” sinnvoll. Zumindest für alle diejenigen, die dies leisten können – und das sind die allermeisten. Das Ziel ist, eine “Wahl” zwischen “Menschenleben und Insolvenzen” zu vermeiden und damit raus aus der Triagerepublik zu kommen! Dafür müssen wir denjenigen Akteuren in Wissenschaft, Versorgung und den Gesundheitsämtern vor Ort den Spielraum verschaffen, den sie für ihre wichtige Arbeit dringend brauchen. Im Konzert mit verantwortbar eingesetzten digitalen Instrumenten (“CoronaWarn-App”) und einer guten Teststrategie (PCR und Antikörper) besteht eine reale Chance auf Eindämmung und ein gelingendes Leben – auch ohne Impfstoff. Ohne Solidarität untereinander und mit dem Staat und seinen Organen geht es dabei nicht. Die Konstante ist die freiheitliche Selbstverantwortung jedes Einzelnen, zwischen “Lockdown” und “Lockerungen” die richtige Balance zu finden, um sich und alle am besten zu schützen. Dies alles klingt sinnvoll, aber man kann auch ganz anderer Auffassung sein. Vom vielzitierten “Aluhut” bis zum

derung besonders massiv. Vom kommunalen “CoronaKrisenstab” über die Ämter mit Prof. Dr. Gottfried Richenhagen ist wissenschaftlicher Direktor mehr oder wenides Instituts für Public Mager eingedampfnagement (ifpm). tem Leistungsangebot bis zu den strategischen Fragen rund um eine durch die Pandemie sicher nochmals beschleunigte DiProf. Dr. Stefan Heinemann ist gitalisierungsdeWirtschaftethiker an der FOM batte reichen die Hochschule Essen. breit gefächerten Aspekte. Dabei Foto: BS/privat ist eine “CoronaKompetenz” im Sinne von proerstzunehmenden Anzweifeln fessionellen Fähigkeiten zur wissenschaftlicher Forschungs- grundsätzlichen, vernünftigen konsistenz oder politisch ratio- Reflexion des Geschehens mit naler Meinungsbildung reicht dem Ziel, “Überblick zu gewindie Spannbreite. nen, Überblick zu behalten und vor die Lage zu kommen” gerade Corona-Kompetenz jetzt erst auf der Agenda angekomaufbauen men. So stellt die “Corona-Krise” Die private Positionierung fällt insbesondere das Staatswesen dabei auch in der eigenen Fa- in Deutschland in allen seinen milie, im Freundeskreis nicht Ausprägungen auf eine erhebimmer leicht. Im Dienst für Bund, liche Probe. Viele Fragen prasLänder und Kommunen sowie die seln täglich auf die Akteure in vielen weiteren staatlichen Ins- der öffentlichen Verwaltung ein: titutionen wird diese Herausfor- Wie belastbar ist Demokratie?

Funktioniert Föderalismus in pandemischen Zeiten? Welche Leistungen sind von den amtlichen Strukturen (vom Gesundheitsamt bis zum Standesamt) und Bereichen (Bund, Land, Kommunen) noch legitim und legal einzufordern? Welche politische Strömung beherrscht die Debatte? Was erwarten Bürgerinnen und Bürger? Welche Rolle spielen die Mainstream-, SocialMedia- und Spezialmedien? Wie lässt sich erfolgreich mit internen und externen Stakeholdern umgehen?

Webinar zum Thema Für die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht ein Webinar des Behörden Spiegel den Aufbau von systematischen, aktuellen und auch für die Praktikerin und den Praktiker in tätiger Verantwortung anschlussfähigen Verständnisgrundlagen der “Corona-Krise”. Dabei geht um einen konsistent-kritischen Gesamtkontext, der eine jeweilige reflexiv abgesicherte Einordnung in die kommunikative Praxis mit internen und externen Stakeholdern für Akteure im öffentlichen Sektor erleichtert. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Public Management”

Zukunft Personalentwicklung

Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Öffentlichen Dienstes 9. – 10. September 2020, Bonn KEYNOTES, u. a.:

Rund 30.000 Praktika wurden zwischen 2015 und 2017 im Bund durchgeführt. Dabei ist die Anzahl in den einzelnen Jahren kontinuierlich gestiegen. Von 8.270 im Jahr 2015 auf über 10.850 (2017). Neun von zehn dieser Hospitationen waren entweder als praktischer Teil oder als Zulassungs- bzw. Prüfungsvoraussetzung Bestandteil einer Schul-, Berufs- oder Hochschulbildung, sogenannte Pflichtpraktika. Der Rest waren freiwillige Praktika zur Berufsorientierung oder begleitend zur Ausbildung bis zu einer Dauer von drei Monaten. Entsprechend waren rund 73 Prozent der Praktikanten unter 25 Jahre alt. Die Effekte sind eindeutig. Nach durchgeführten Praktika steigen die Bewerberzahlen. Zudem wird das Image der Behörden durch positive Mundpropaganda weiter gefördert, so die Ergebnisse der Evaluation.

Mehr oder weniger Vergütung? “Der Anstieg ist ein gutes Signal und die Zahlen zeigen, das Interesse am Öffentlichen Dienst ist groß”, bewertet Karoline Herrmann, Vorsitzende der DBBJugend im DBB Beamtenbund und Tarifunion. Erfreulich seien auch die Zahlen zur Vergütung dieser Hospitationen. Während 2012/13 bei 84 Prozent keine Vergütung angeboten wurde, ist im jetzigen Evaluationszeitraum dieser Wert auf 61 Prozent gesunken. Zugleich sind die Aufwandsentschädigungen gestiegen. Betrugen die Gesamtaufwendungen 2013 noch 513.000 Euro, sind diese auf rund 2,15 Mio. Euro im Jahr 2017 gestiegen. Von dieser Summe entfällt das meiste auf die Aufwandsentschädigung – rund 2,1 Mio. Euro. Aber: Der Großteil der Aufwandsentschädigungen beträgt bis zu 300 Euro. “Hier wäre es sinnvoller, Pauschbeträge nach Dauer und Vorkenntnissen zu staffeln”, schlägt Herrmann vor. Demgegenüber

wünschen sich die Dienststellen die Möglichkeit, auch freiwillige Praktika ohne Bezahlung anzubieten. Da diese nicht möglich sei, sei die Zahl der Hospitationen in manchen Bundesbehörden gesunken. Aber auch andere Gründe hätten vereinzelt zu einem Rückgang geführt. Zum einen sei der Verwaltungsaufwand so hoch, dass sich der kurzfristige Einsatz von bspw. Studierenden nicht lohne. Außerdem mangele es an Personal und räumlichen Kapazitäten. Für die DBB-Jugend-Vorsitzende ist Letzteres ein Unding, würden damit doch die Nachwuchsgewinnung und die Aufgabenerfüllung der Zukunft gefährdet. Es sei zwar nachvollziehbar, dass Menschen, die am Limit arbeiteten, nicht auch noch Praktikanten betreuen wollten. “Deshalb müssen die Betreuungskapazitäten erhöht werden”, fordert Herrmann.

Keine Schnupperpraktika Zudem wurde im Rahmen der Evaluation seitens der Behörden bemängelt, dass sogenannte Schnupperpraktika weggefallen seien. Diese finden freiwillig über einen sehr kurzen Zeitraum von einem Tag bis maximal vier Wochen statt. Dadurch habe sich die Zahl der freiwilligen Praktika deutlich reduziert. Aber: Diese Praktika sind von der Richtlinie ausgenommen. Folglich können die Dienststellen sie selbst organisieren, damit entfällt auch der erhebliche Verwaltungsaufwand. “Insgesamt ist die Evaluation gut und ich bin froh, dass sie weitergeführt wird”, zieht Herrmann ihr Fazit. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn nicht nur die Sicht der Behörden erfragt werden würde, sondern auch die Praktikanten selbst einbezogen würden. Außerdem sollte nach weiteren Verbesserungsvorschlägen gefragt und somit Ideen von den Beschäftigten gesammelt werden. Auch ein Vergleich von Best-Practice-Beispielen wäre förderlich.

Länder müssen nachzahlen Landesbesoldung teilweise verfassungswidrig

Personalentwicklung im Öffentlichen Dienst – aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven Dr. Helmut Teichmann Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

Der Öffentliche Dienst ist kein attraktiver Arbeitgeber? Ändern Sie das!

Personalwesen in der Praxis einer Bundesoberbehörde

Dominic Multerer, Autor, Marketing- und Management-Experte

Ursula Gräfin Praschma, Vizepräsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Die Verwaltung wird „agil“ – was ist das und welche Auswirkungen hat das auf die Personalentwicklung? Christine Gebler Stadt Heidelberg

ZUKUNFTSWEISENDE THEMEN, u. a.: ► Prozessmanagement: Grundlage für erfolgreiches Personalmanagement?

Prof. Dr. Rolf Ritsert, Deutsche Hochschule der Polizei

► Public Service Motivation: Auswahlkriterium bei der Personalrekrutierung?

Michael Evers, M.A., Deutsche Hochschule der Polizei

► Arbeit 4.0: Führungsinstrumente für die öffentliche Verwaltung

Werner Achtert, Geschäftsleitung Public Sector, msg systems ag

► Auswahlverfahren im Lichte der aktuellen Rechtsprechung Sven Ollmann, Rechtsanwalt, bn Rechtsanwälte

► Personalarbeit im Zeichen von Digitalisierung und New Work

Prof. Dr. Jürgen Weibler, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre,

insbes. Personalführung und Organisation, Fernuniversität Hagen

► Immer mehr Aufgaben und immer weniger Leute – Digitalisierung als Lösung?

Dominic Multerer, Autor, Marketing- und Management-Experte

► Gesunde Führung – die Wirkungen auf mich und andere Prof. Dr. Bernhard Badura, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld

► Gesundheitsmanagement in der Praxis

Polizeioberrat Christoph Badenhop, Polizeikommissariat Ronnenberg/Niedersachsen

► Wirkungsvolles Personalmarketing für einen zukunftsfähigen Öffentlichen Dienst

Frank Beck, Berater für strategische Markenentwicklung

und -positionierung mit Fokus auf den öffentlichen Sektor Eine Veranstaltungsreihe des

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de / Suchwort „Zukunft Personalentwicklung“

(BS/jf) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat Teile der Besoldungen in Berlin und Nordrhein-Westfalen für verfassungswidrig erklärt. Nun müssen die Länder nachbessern. In der Bundeshauptstadt war die Besoldung der Richter und Staatsanwälte für die Gruppen R 1 und R 2 in den Jahren 2009 bis 2015 sowie in der Gruppe R 3 für das Jahr 2015 unvereinbar mit dem Alimentationsprinzip nach Art. 33 Abs. 5 GG. Die Richter des Zweiten Senats identifizierten anhand ihres 2015 entwickelten Prüfschemas, das die Besoldungsentwicklung unter anderem gegenüber der Entwicklung der Tariflöhne in den Jahren 2010 bis 2014 um mehr als zehn Prozent zurückgeblieben war. Zudem wurde das Mindestabstandsgebot in den unteren Besoldungsgruppen durchgehend deutlich verletzt. Zudem habe das Land Berlin die formalen Einstellungsvoraussetzungen herabgesenkt und “in erheblichem Umfang Bewerber eingestellt, die nicht in beiden Examina ein Prädikat erreicht haben”. Dies zeige, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion, durchgehend überdurchschnittliche Kräfte zum Eintritt in den höheren Justizdienst in Berlin zu bewegen, nicht mehr erfüllt habe. Auch

konnten die Richter nicht erkennen, dass die teilweise drastische Abkoppelung der Besoldung für Richter und Staatsanwälte Teil eines schlüssigen und umfassendes Konzepts der Haushaltskonsolidierung gewesen wäre. Deshalb muss das Land bis zum 1. Juli 2021 nachbessern. In NRW war die Alimentation kinderreicher Beamtenfamilien ebenfalls teilweise zu niedrig. Geklagt hatten zwei Richter, die nach der Besoldungsgruppe R 2 alimentiert wurden. Der eine erhielt 2013 für drei Kinder, der andere in den Jahren 2014/15 für vier Kinder zu wenig Kindergeld. Die Richter unterstrichen, dass die Grundbesoldung so zu bemessen sei, dass sie zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder für eine ZweiKinder-Familie amtsangemessen sei. Für jedes weitere Kind müssten mindestens 115 Prozent des grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarfes nach dem SGB II zu Verfügung stehen. Das war nicht der Fall. NRW muss nun bis spätestens 31. Juli 2021 eine Lösung finden und umsetzen.


Bund

Behörden Spiegel / August 2020

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Schneller, größer, effizienter

Mehr Fairness im Wahlkampf

Bund und EU intensivieren Batterieförderung

SNV fordert Anpassungen für das digitale Zeitalter

(BS/Wim Orth) Um die Erforschung von Batterietechnologien in Deutschland weiter voranzutreiben, investiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) weitere 100 Millionen Euro. Gleichzeitig soll die Erforschung neuer Batterietypen durch ein neues, von der Europäischen Union gefördertes Projekt unter dem Titel BIG-MAP erheblich beschleunigt werden. An beiden Förderprojekten, von wissenschaftlicher Seite als zentraler Akteur, ist das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beteiligt. Das vom BMBF zur Verfügung gestellte Geld soll in die Arbeit an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen fließen und unter dem übergreifenden Dachkonzept “Forschungsfabrik Batterie” insgesamt vier neu geschaffene Batterie-Kompetenzcluster bei der Erforschung von innovativen Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette unterstützen, erklärt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek: “Die Batterietechnologie ist eine entscheidende Schlüsseltechnologie der Zukunft. Das beginnt bei der Mobilität, geht über die Energiespeicherung in Stromnetzen und Haushalten und endet noch lange nicht bei industriellen Anwendungen, Medizingeräten oder Powertools.” Da die Batterie für den Wirtschaftsstandort Deutschland von zentraler Bedeutung sei, habe man “die Batterieforschungslandschaft in Deutschland neu aufgestellt. Diese Arbeit trägt Früchte: Deutschland ist mittlerweile wieder im besten Sinne ein “Hotspot” in der Batterieforschung.” Die vier neuen Kompetenzcluster sollen sich dabei “wichtigen Zukunftsthemen der Batterieforschung” widmen, wie Karliczek es formuliert. Diese Themen reichen von der Produktion der Batterien über sinnvolle und effiziente Nutzungskonzepte bis hin zu Entsorgung bzw. Recycling. Die Cluster wurden zu den zentralen Themenbereichen “Intelligente Batteriezellproduktion” (InZePro), “Kompetenzcluster Analytik/Qualitätssicherung” (AQua),

(BS/wim) Nicht erst seit Corona bewegt sich der Kampf der Parteien um Wählerstimmen in den digitalen Raum. Ohne ansprechende Digitalangebote gewinnt heute niemand mehr ein politisches Mandat. Da der digitale Raum aber gerne auch für polarisierende und irreführende Inhalte genutzt wird, werden die Rufe nach einem klaren Regelwerk für Batte­rie viel schneller entwickeln digitale Wahlkämpfe lauter. In einer neuen Studie hat die Stiftung Neue zu können, sondern auch sicher- Verantwortung (SNV) analysiert, welche Regeln nötig wären, um das zustellen, dass sie Energie effizi- digitale Buhlen um Wähler in einem fairen Rahmen stattfinden zu lassen.

Bislang ist die Produktion der Batterien für Elektroautos eine Angelegenheit aus Übersee und kommt in Europa erst langsam ins Rollen. Dies soll sich durch neue Förder- und Forschungsprogramme möglichst bald ändern. Foto: Sergii, stock.adobe.de

“Recycling / Grüne Batterie” (greenBatt) sowie “Batterienutzungskonzepte” (BattNutzung) aufgestellt und sollen die deutsche Batterieforschung in die Zukunft tragen. Insgesamt sind laut BMBF über 40 Einrichtungen aus Forschung und Wirtschaft an dem Dachkonzept “Forschungsfabrik Batterie beteiligt”, die die Projekte gemeinsam möglichst fließend in die Praxis übertragen sollen und wollen.

EU will zehnfaches Tempo Auch die Europäische Union will bei der Erforschung von Batteriekonzepten vorankommen. Im Rahmen des von der EU geförderten Projektes BIG-MAP (kurz für “Battery Interface Genome – Materials Acceleration Platform”) soll das Entwicklungstempo neuer Batterietypen mit einem besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit spürbar erhöht werden. Auf diese

Weise soll der Umstieg von althergebrachten Verbrennerantrieben auf moderne, elektronisch angetriebene Fahrzeuge effizienter gestaltet werden. Da die aktuellen Batterietechnologien weder nachhaltig noch kostengünstig seien, müsse man dringend neue Wege der Erforschung neuer Batterietechnologien finden, um die Nachhaltigkeitsziele in Deutschland und EU noch erreichen zu können. Um die bislang extrem umständlich und lange dauernde Entwicklung neuer Batteriekonzepte schneller zu machen, sei vor allem eine konsequente Umstellung auf automatisierte Systeme sowie die Einbindung von Künstlicher Intelligenz notwendig, erklärt das beteiligte Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in einem Statement zu dem neuen Forschungsprojekt. Dennoch bestehe die Vision “aber nicht nur darin, neue

Bundeskongress

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ent speichern können, dass sie nachhaltig und zu so niedrigen Kosten hergestellt werden können, damit es in Zukunft noch attraktiver sein wird, Strom zum Beispiel aus Sonne und Wind in Batterien zu speichern“, erklärt dazu Prof. Maximilian Fichtner, wissenschaftlicher Sprecher der Forschungsplattform CELEST sowie des Exzellenzclusters PostLithium-Speicherung (POLiS) sowie stv. Direktor am HelmholtzInstitut Ulm (HIU), welches das KIT gemeinsam mit der Universität Ulm gegründet hat. Die Motivation für das länder­ übergreifende Projekt ziehen die beteiligten Akteure aus der letztjährigen Nobelpreisverleihung: “Im vergangenen Jahr ging der Nobelpreis für Chemie an die Erfinder der Lithium-Ionen-Batterie. Eine fantastische Erfindung, aber es dauerte 20 Jahre von der Idee bis zum Produkt – wir müssen in der Lage sein, es in einem Zehntel dieser Zeit zu schaffen, wenn wir nachhaltige Batterien für die Energiewende bereitstellen wollen“, so Tejs Vegge, Professor an der federführenden Technical University of Denmark (DTU) sowie Leiter des BIG-MAPProjektes. Das Budget für das BIG-MAP-Projekt beläuft sich dabei auf 16 Millionen Euro, die auf die insgesamt 34 Institutionen aus 15 Ländern verteilt werden. Als Laufzeit sind zunächst drei Jahre angesetzt, mit der Option auf eine Verlängerung um weitere sieben Jahre.

Grundsätzlich sei es eine “positive Entwicklung und dringend notwendig, dass deutsche Parteien und Kampagnen versuchen”, ihre potentiellen Wähler und Unterstützer “im Internet zu erreichen”. Allerdings gebe es einige Fallstricke zu beachten. So sei vor allem die extreme Zuschneidung von Inhalten durch die automatisierte Analyse von persönlichen digitalen Verhaltensdaten ein Faktor, der die gesellschaftliche Spaltung verschärfe und dem Bürger jegliche breitgefächerte Meinungsbildung vorab unmöglich mache: “Die eng auf homogene Zielgruppen zugeschnittene Werbung kann dazu führen, dass Menschen nur solche Botschaften erhalten, die ihre eigenen Ansichten verstärken und Ängste gegenüber der Gegenseite schüren. Denn dies sind wahrscheinlich die Anzeigen, die Nutzende “liken” und teilen. Zweitens können finanzkräftige Werbetreibende mit ihren Anzeigen Nutzerfeeds überfluten und so andere politische Meinungen ertränken. Drittens bleibt politische Online-Werbung trotz Transparenzmaßnahmen undurchschaubar”, geben die Autoren der Studie zu bedenken. Um dieser Entwicklung zu begegnen und für eine neue Fairness zu sorgen, fordert die Stiftung eine dringende Überarbeitung der Vorgaben, um die “freie, offene, pluralistische politische Willensbildung” nicht zu

gefährden und somit Verhältnisse heraufzubeschwören, wie sie unter anderem in Großbritannien (Stichwort Brexit) und den Vereinigten Staaten (Stichwort Trump) für tiefgreifende politische Umwälzungen gesorgt und dabei die Demokratie dieser Länder nicht gerade gestärkt haben. Obgleich in Deutschland eine andere, im Regelfall faktenorientierte politische Auseinandersetzung herrscht, fordert die SNV einen klaren Regelkatalog, der über eine reine Selbstregulierung von Parteien und finanziellen Unterstützern hinausgeht. Dabei liefert die Stiftung in ihrer Studie vier Aspekte, die besonders zu berücksichtigen seien. Dabei geht es um die “Drosselung für verhaltensbasiertes Targeting”, um die Ängste der Bürger nicht durch einseitige Bewerbung immer mehr zu verstärken. Zudem müsse eine “Erweiterte Aufsicht zur Kampagnenfinanzierung”, eine unabhängig aufgehängte “Stelle zur Prüfung der Transparenzpflichten”, aufgebaut werden, um nachhaltig kon­trollieren und sanktionieren zu können, dass sich alle an die Regeln halten. Abschließend müsse es auch verpflichtende “Transparenzpflichten für Plattformen” in den Sozialen Medien geben, um hier “eine Beobachtung und Analyse von OnlineWerbung im öffentlichen Interesse zu ermöglichen”, so die Studie abschließend.


Länder

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W

ährend bundesweit die Zahlen der Corona-Neuerkrankungen erneut ansteigen, heißt es für viele Jugendliche und Kinder derzeit wieder: zurück zur schulischen Normalität. Ein denkbar ungünstiger Moment, möchte man meinen. Die Entscheidung zur Wiederaufnahme des pädagogischen Regelbetriebs nach den Sommerferien hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) Mitte Juni einstimmig gefasst. Zwar ließ sich zum damaligen Zeitpunkt nicht absehen, wie sich das weitere Infektionsgeschehen entwickeln würde, doch erntete der Beschluss seinerzeit schon reichlich Kritik. Noch vor Bekanntgabe monierte der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann: “Je mehr die Kultusministerien öffentlich die Rückkehr zum Normalbetrieb proklamieren und eine flächendeckende Realisierbarkeit suggerieren, zieht die einzelne Schule, an der das nicht umgesetzt werden kann, und schlussendlich die einzelne Lehrkraft den daraus entstehenden Unmut der Eltern auf sich.” Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft warf den Kultusministerien u. a. undurchsichtige Kommunikation vor und forderte die gemeinsame Erarbeitung eines Rahmenwerks. Dieses solle konkrete Anforderungen beinhalten, wie und unter welchen Voraussetzungen eine Rückkehr zum Regelbetrieb anzugehen sei.

Kohorten statt Mindest­ abstand Ein solches Konzept lieferte die KMK rund einen Monat später. Von den geforderten konkreten Anforderungen hingegen keine Spur. Stattdessen jede Menge allgemeine Verfügungen zum Infektionsschutz – darunter regelmäßiges Händewaschen, Verzicht auf Körperkontakt und Einhalten der Husten- und Niesetikette. Um die Aerosolbildung auf einem möglichst niedrigen Niveau zu halten, empfiehlt die KMK die intensive Belüftung aller Räumlichkeiten. Mindestens im 45-Minutentakt. Von einer

Behörden Spiegel / August 2020

Am Ende ein Drahtseilakt Trotz steigender Infektionszahlen startet diesen Monat der schulische Regelbetrieb (BS/Thomas Petersdorff) Obschon die Corona-Krise noch längst nicht ausgestanden ist, öffnen diesen Monat die Schulen in 14 von 16 Bundesländern erneut ihre Tore. Mit Rahmenkonzepten zum Hygieneschutz wollen die Kultusministerien verhindern, dass mit der Rückkehr zum Präsenzbetrieb auch die Zahl der Neuinfektionen erneut nach oben schnellt. Doch fällt die Resonanz in den Kommunen, die mit der Umsetzung der Landesvorga­ ben betraut sind, gespalten aus. Loben die einen Flexibilität und Orientierung, bezweifeln andere, dass die Anweisungen einen effektiven Beitrag zur Infektionsprävention leisten können. So auch in Mecklenburg-Vorpommern, in dem als erstem Bundesland das neue Schuljahr 2020/21 schon gestartet ist.

Um zu verhindern, dass Deutschlands Schulen zu neuen Hotspots werden, haben die Kultusministerien der Länder Hygienepläne verabschiedet, die einer Ausbreitung des Corona-Virus vor Ort vorbeugen sollen. Doch sind die Vorgaben nicht überall umzusetzen, auch haben manche kommunale Schulträger Zweifel, ob mit den Konzepten nicht neue Probleme heraufbeschworen werden. Foto: BS/Papafox, pixabay.com

routinemäßigen Flächendesinfektion wird unter Berufung auf das Robert Koch-Institut (RKI) abgeraten. Ausgenommen sind Sanitäranlagen sowie Lichtschalter, Treppengeländer und Türklinken in stark frequentierten Bereichen. So weit, so erwartbar. Deutlich überraschender dürfte demgegenüber die Tatsache zu Buche schlagen, dass die Vorgabe eines einzuhaltenden Mindestabstands von 1,50 Meter auf die Stufe einer Empfehlung zurückfällt. An seine Stelle setzt die KMK den Unterricht in Kohorten. Einmal defi-

nierte Gruppen in fester Zusammensetzung sollen sicherstellen, dass sich die Kontakte untereinander auf ein Minimum belaufen. Für den Fall sich häufender positiver Testungen verlangt das Papier eine Strategie zur Nachverfolgung der Infektionsketten sowie eine Dokumentation der anwesenden Personen. Darüber hinausgehende Detailregelungen im engeren Sinne enthält der Rahmenplan nicht. Auf diese habe man vor dem Hintergrund spezifischer Gegebenheiten vor Ort bewusst verzichtet, so die KMK in ihrer Erklärung. Einschlä-

gig für das weitere Vorgehen seien jeweils die Einzelregelungen der Bundesländer.

Echo bleibt gespalten Für die Schulen der norddeutschen Bundesländer dürfte dieser Umstand besonders ins Gewicht fallen. Denn sie öffnen als erste wieder ihre Tore nach der Sommerpause. Den Auftakt machte jüngst Mecklenburg-Vorpommern am 3. August. Einen aktualisierten Hygieneplan legte das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur vor einigen Wochen vor, seit dem 27. Juli ist er in Kraft.

Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) spricht von einer “verlässlichen Planungsgrundlage, um den Schulbetrieb vorbereiten zu können”. Positive Resonanz gab es bisher aus dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, der seine 30 Schulen “bestmöglich” gerüstet sieht. Auf Basis der Landesvorgaben habe jede Schule einen eigenen Hygieneplan erarbeiten können, der Anweisungen unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien abbilde, heißt es aus der dortigen Kreisverwaltung. Und doch bleibt das Echo gespalten. In Vorpommern-Greifswald kritisieren Schulen in kreislicher Trägerschaft, weshalb für das aktuelle Schuljahr auf das verpflichtende Tragen eines MundNasen-Schutzes auf Fluren verzichtet werde, obschon sich die Mehrheit der Schüler inzwischen daran gewöhnt habe. Stein des Anstoßes ist aber in erster Linie das von der KMK erlassene KohortenPrinzip, das in Mecklenburg-Vorpommern, die Grundschulklassen eins bis vier ausgenommen, jeweils zwei Jahrgänge umfasst. In einem öffentlichen Brief bezweifelt der Landesvorsitzende des VBE Mecklenburg-Vorpommern, Michael Blanck, dass die Einteilung in Gruppen über die Grenzen des Schulgebäudes hinaus wirksam sein könne. Es stelle sich die Frage, so Blanck, weshalb man die Jahrgänge in Kohorten aufteile – die zum Teil aus mehreren hundert Schülern beständen –, wenn diese nach Schulschluss ohnehin wieder aufeinanderträfen. Zwar räumt das Landeskonzept MecklenburgVorpommerns seinen Schulen die Möglichkeit ein, von festgelegten Öffnungszeiten im Bedarfsfall

abzuweichen, doch gehen damit Probleme eigener Art einher. Denn nicht alle Schulen in kommunaler Trägerschaft verfügen auch über die räumlichen Vo­raussetzungen, die für einen zeitlich gestaffelten Betrieb nötig wären. “Viele Schulen sind in einem baulichen Zustand, der mit Blick auf Raumgröße und Belüftung einen Unterricht unter CoronaBedingungen nur schwer zulässt. Ein zeitversetzter Unterricht ist nur bei ausreichenden Raumkapazitäten möglich”, erklärt der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB). Das aber geht vielerorts an der Realität vorbei, so etwa im Landkreis Nordwestmecklenburg, wo zusätzliche Räume organisiert werden müssen. Besondere Risiken sieht der Spitzenverband überdies für die Kommunen des ländlichen Raumes, wo es bei der Aufrechterhaltung des Schulbusverkehrs zu Problemen kommen könnte. Es ergebe wenig Sinn, wenn aufgrund von Engpässen beim Transport neue Infektionsherde entstünden, so der DStGB.

Kollision der Grundrechte Die Liste potenzieller Fallstricke ist lang. So lang, dass ein Festhalten am Distanzunterricht eindeutig die sicherere Variante gewesen wäre. Doch so weit ist die Digitalisierung an Deutschlands Schulen bekanntlich noch nicht. Das macht ein Abwägen in der Causa Präsenzunterricht freilich nicht einfacher, zumal im Hintergrund zwei bürgerliche Grundrechte miteinander ringen, die beide überzeugende Argumente auf ihrer Seite wissen. Die Kunst wird nun darin bestehen, das Recht auf Leben bzw. körperliche Unversehrtheit auf der einen und das Recht auf Bildung auf der anderen Seite so weit auszutarieren, dass eines nicht auf Kosten des anderen geht. Das bedeutet schließlich auch, im Fall sich abzeichnender Verschlimmerung die Notbremse zu ziehen. Am Ende ein Drahtseilakt, der die Schulen auf vorerst unabsehbare Zeit begleiten wird. Mecklenburg-Vorpommern mit seinen 563 Schulen kann nun demonstrieren, inwiefern eine Vermittlung gelingen kann.

Hohe Mindereinnahmen fürs Land

Bloß kein zweites Bayern

Brandenburg hebt Bußgeldbescheide auf

NRW will Präsenzbetrieb bei Kommunalwahl im Herbst

(BS/Marco Feldmann) Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hat per Gnadenerlass alle rechtskräftigen Bußgeldbescheide aufge­ (BS/wim) Bislang sind Bund, Länder und Kommunen mit einer Ausnahme hoben, soweit die dort verhängten Sanktionen über dem Niveau des alten Bußgeldkataloges lagen. Grund dafür ist ein rechtlicher Fehler in der gut durch die Corona-Zeit gekommen, wenn es um das Thema Wahlen überarbeiteten, geänderten Fassung, der zur Nichtigkeit führte. Die Entscheidung hat erhebliche finanzielle Auswirkungen. geht. Doch im Herbst stehen neue Wahlen an, die auf eine dauerhafte neue Normalität hin ausgerichtet werden müssen. Denn nun gilt wieder der alte Bußgeldkatalog mit den deutlich niedrigeren Sätzen. Dieser wird auch rückwirkend angewandt. Für die Mark, wo zudem die Vollstreckung rechtskräftiger Bußgeldbescheide gestoppt wurde, rechnet man mit Mindereinnahmen von vier Millionen Euro. Das erfuhr Behörden Spiegel aus gut informierten Kreisen. Zu viel bezahlte Bußgelder werden zurückerstattet und noch nicht bezahlte Bußgelder neu berechnet. Fahrverbote, die nach altem Bußgeldkatalog nicht verhängt worden wären, werden nicht vollstreckt. Rechtskräftige Bußgeldbescheide sind durch den ministeriellen Gnadenerlass aufgehoben und werden automatisch korrigiert und neu zugestellt. Bei bereits bezahlten Bescheiden wird ermittelt, welcher Betrag nach altem Bußgeldkatalog gegolten hätte. Ein eventueller Differenzbetrag wird dann zurückerstattet. Abgeschlossene Verwarnungsgeldverfahren werden ebenfalls neu berechnet und, falls erforderlich, erstattet. Aus datenschutzrechtlichen Gründen muss hierfür jedoch ein Antrag gestellt werden. Denn: Die personenbezogenen Daten werden bei Verwarnungsgeldverfahren schneller gelöscht als bei Bußgeldsachen.

Kein Gnadenerlass in Hamburg Das Land Berlin will dem Brandenburger Vorgehen nicht folgen.

In Hamburg wiederum kommt vorerst ebenfalls wieder der frühere Bußgeldkatalog zur Anwendung. Sofern die Vorgänge noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, wird die Bußgeldstelle die Verfahren nach entsprechenden Einsprüchen prüfen und in den Fällen, in denen das Bußgeld nur nach den neuen Regelungen erhoben wurde beziehungsweise ein höheres Bußgeld vorgesehen war, neu bescheiden. Bereits rechtskräftig abgeschlossene Bußgeldverfahren werden in der Hansestadt nicht aufgehoben. Ein Gnadenerlass wie in der Mark existiert dort bislang nicht. Allerdings kann bei Fahrverboten, die bereits rechtskräftig verfügt, aber noch nicht vollständig abgeleistet oder noch überhaupt nicht angetreten wurden, ein formloser Antrag bei der Bußgeldstelle gestellt werden. Darin wird durch die Betroffenen darum gebeten, das Fahrverbot nicht weiter oder gar nicht erst zu vollstrecken. Bedingung dafür ist, dass das Fahrverbot ausschließlich nach dem neuen Bußgeldkatalog erteilt worden wäre. Außerdem müssen besondere Gründe für den Betroffenen vorliegen, die ein Fahrverbot als Härte darstellen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn jemand aus beruflichen Gründen zwingend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist. Angaben zu eventuellen Mindereinahmen wa-

ren für Hamburg aber nicht in Erfahrung zu bringen. Gleiches gilt für Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Aus dem Magdeburger Innenministerium hieß es dazu, dass solche Daten nicht automatisiert erfasst würden. Auch aus Bremen gab es keine konkreten Zahlen. Aus der Hansestadt war aber immerhin zu vernehmen, dass von den Mitarbeitern der Bußgeldstellen bislang rund 42.000 Vorgänge identifiziert worden seien, die gegebenenfalls abgeändert werden müssten. Lege man in diesen Fällen zum Beispiel für das Parken auf dem Gehweg jeweils ein Verwarnungsgeld von 15 Euro zugrunde, ergebe das bereits 630.000 Euro, die etwa aufgrund drohender Verjährung wegfallen könnten. Da die alte Rechtslage niedrigere Bußgeldhöhen vorsehe, seien definitiv Mindereinnahmen zu erwarten. Diese könnten jedoch noch nicht genauer quantifiziert werden. Aber zur Einordnung: Das Parken auf dem Gehweg kann derzeit nur mit 15 statt wie im nunmehr nichtigen, neuen Bußgeldkatalog vorgesehen mit 55 Euro geahndet werden.

Unter Umständen keine Voll­ streckung In Rheinland-Pfalz sehen die politisch Verantwortlichen derzeit keine rechtliche Grundlage für

eine Rücknahme bereits rechtskräftig gewordener Fahrverbote, Bußgeldbescheide und Verwarnungen. Eine Rücknahme dieser Bescheide sowie eine Rückerstattung schon gezahlter Bußund Verwarnungsgelder erfolgt deshalb nicht. Aktuelle Bußgeldverfahren werden nach der alten Rechtslage abgewickelt. Es werde jedoch von der Vollstreckung eines Fahrverbotes abgesehen, sofern dieses nach alter Rechtslage nicht angeordnet worden wäre, so Nicole Steingaß, Staatssekretärin im Mainzer Innenministerium. “Bereits in Verwahrung genommene Führerscheine werden in diesen Fällen zurückgegeben”, so die Staatssekretärin weiter. Dies erfolge von Amts wegen. In Niedersachsen schließlich werden Fahrverbote, die auf Basis der nichtigen Vorschriften angeordnet wurden, aufgehoben. Dies gilt selbst dann, wenn die Einspruchsfrist gegen die Bescheide bereits abgelaufen ist. Dann erfolgt die Aufhebung der Fahrverbote auf dem Gnadenwege. Rechtskräftig verhängte Buß- und Verwarngelder bleiben bestehen und werden nicht erstattet. Auch Eintragungen im Flensburger Fahreignungsregister werden nicht gelöscht. Dort sind laut Kraftfahrtbundesamt rund 1.200 Fahrverbote auf Grundlage des neuen Bußgeldkataloges eingetragen.

Zu Beginn der Hochphase hatte die bayerische Landesregierung ihre Kommunalwahlen noch gerade so in gewohnter Manier abhalten können, die Stichwahl wenige Wochen später wurde dann als reine Briefwahl durchgeführt. Dies wurde zwar als demokratietechnischer Balanceakt gesehen, aber von Staatsrechtlern in der damaligen Situation als angemessene Lösung bewertet.

NRW will relative Normalität im Wahlprozedere Der nächste Test für das inzwischen etwas normalisierte Corona-Zeitalter steht nun in Nordrhein-Westfalen an. Ausgerechnet in NRW, wo im Landkreis Heinsberg einer der ersten großen Superspreader-Momente deutschlandweit auftrat und wo einige Monate später, bedingt durch die inzwischen berüchtigten Lebens- und Arbeitsumstände rund um die Großfleischerei Tönnies, die ersten lokalen Lockdown-Verfügungen ausgelöst wurden. Nachdem man anfänglich auch im Westen der Republik mit dem Gedanken gespielt hatte, ebenfalls auf eine reine Briefwahl auszuweichen, zeichnet sich inzwischen ein Umdenken ab, das in Richtung einer eher regulären Wahl mit Sonderregeln geht.

In einem Statement erklärt der Landeswahlleiter von NRW, Wolfgang Schellen, dass “das Risiko für eine Infektion im Wahlraum gering“ sei, “sofern auch bei einem fortbestehenden Infektionsrisiko die notwendigenHygienemaßnahmen eingehalten werden”. Daher sei auch eine besondere Bewerbung der Briefwahl “durch Wahlorgane nicht zu begründen “, so Schellen, denn eine “Briefwahl ist nach vorherrschenderRechtsauffassung lediglich als Ergänzung zur Urnenwahl“ vorgesehen. Neben den vom Landeswahlleiter angesprochenen Hygieneregeln soll zudem der Zugang zu den Wahlräumen durch die Wahlhelfer gesteuert werden. Außerdem sollen die Räumlichkeiten oft gelüftet werden und das Innenministerium bittet die Wählerschaft ausdrücklich darum, eigene Stifte zum Ankreuzen mitzubringen, um keine Ansteckung durch massenhaft genutzte Kugelschreiber möglich werden zu lassen. Die dennoch mehrfach genutzten Stifte – und auch die Wahlkabinen – sollen regelmäßig desinfiziert werden, um auch hier für Sicherheit zu sorgen. Mit dem Virus infizierte Menschen werden dagegen aufgefordert, zu Hause zu bleiben und per Briefwahl an der Abstimmung teilzunehmen.


Zahlen & Daten

Behörden Spiegel / August 2020

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Subventionsland Deutschland? (BS/kr) Mit Subventionen in Milliardenhöhe unterstützt der Staat nicht nur in Pandemiezeiten. Doch über die eigentliche Höhe gibt es unterschiedliche Auffassungen. Der Bund fasst verhältnismäßig wenig Mittel unter dem Subventionsbegriff zusammen, sodass Deutschland auch im EU-Vergleich gut abschneidet. Dagegen hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft (ifW Kiel) eine deutlich weiter gefasste Definition: Rund 118 Mrd. Euro, bei denen es erhebliche Einsparpotenziale gebe, bilanzieren die Wissenschaftler.

Gesamtvolumen der Subventionen, die Bund, Länder und Gemeinden zur Verfügung stellen (2019, in Mrd. Euro) 3,1

Corona-bedingte Maßnahmen* und Garantien**

455,6

Bund

Finanzhilfen

11,7

Mrd. Euro

*haushaltswirksame Auswirkungen der Maßnahmen von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen für das Jahr 2020

**Garantien von Bund, Ländern und Wirtschaftsstabilisierungsfonds

Länder, Gemeinden

Mrd. Euro

Steuervergünstigungen

32,1

Mrd. Euro

Quelle: BS/BMF

Quelle: BS/BMF

Subventionsampel* 2018 (in Mrd. Euro) 1,7

7,3 % Finanzhilfen

Steuervergünstigungen

unvermeidlich

17,3 %

6,0

begründbar, mit Sparpotenzial

11,7

widersprüchlich

16,9

17,2 17,5

6,7

16,4

18,6 15,4

15,4

15,6

zu streichen

70 %

16,0

Finanzhilfen Steuervergünstigungen

38,2 36,7

14,4

12,2

10,5 7,0

5,9 2009

15,7

25,3

Länder

Gesamtvolumen der Subventionen des Bundes im Zeitverlauf über Jahre (in Mrd. Euro)

2008

Bund

10,5

829,2

Mrd. Euro

16,4

Gemeinden

2010

5,5

5,9

6,3

6,7

2015

2016

2017

2018

5,8 2019

5,4 %

2020*

*nach Regierungsentwurf des Bundeshaushalts

*In der Ampel sind lediglich Finanzhilfen mit einem Volumen größer als 100 Mio. Euro und die 25 größten Steuervergünstigungen berücksichtigt. Quelle: BS/IfW Kiel

In den letzten Jahren stiegen die Subventionen durch die Förderung klimafreundlicher Maßnahmen und die Energiewende. Quelle: BS/BMF

Subventionsquoten im EU-Vergleich (prozentualer Anteil am BiP) 6

5,4

EU-27

4,5

Deutschland

3,5

Litauen

2,8

Dänemark

5 4

3,7

3 2

1,6 1,4

1

Belgien

1,2

0,9 0,3

0

2012

Quelle: BS/WKO, EU-Kommission

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019*

2020*

2021*

*Prognose bzw. vorläufige Werte

Illustrationen: BS/B. Dach, unter Verwendung von Iconimage, stock.adobe.com

Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.


Finanzen

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Behörden Spiegel / August 2020

Lernen von unseren Nachbarn

Sondervermögen angezapft

Kommunalaufsicht im europäischen Vergleich

Länder gleichen Verluste bei Gewerbesteuer aus

(BS/Dr. René Geißler/Dr. Christian Person*) In Deutschland steht die Kommunalaufsicht oft im Fokus der Kritik. Manchen ist sie zu streng, anderen zu lasch. Unstrittig ist aber, dass es solcher Aufsichtsbehörden bedarf, um die Kommunen vor finanziellen Turbulenzen zu schützen und ihre Funktionsfähigkeit zu sichern. Dies ist ein Problem, vor dem alle Länder Europas stehen. Interessanterweise gab es jedoch bis dato keinerlei vergleichende Studien zu den kommunalen Aufsichtssystemen unserer Nachbarn. Vor diesem Hintergrund hat die Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Hertie School ein Forschungsprojekt umgesetzt, um zu analysieren, ob und wie Kommunalaufsicht zwischen Portugal und Estland, Finnland und Griechenland existiert.

(BS/Kilian Recht) Die Corona-Krise trifft die wichtigste Einnahmequelle von Kommunen besonders hart: die Gewerbesteuer. Der Bund beschloss im jüngst verabschiedeten Konjunkturpaket die finanzielle Entlastung der Kommunen durch einen Ausgleich der Gewerbesteuermindereinnahmen. Sechs Milliarden Euro werden dafür bereitgestellt. Die Länder müssen sich an der Ersatzleistung beteiligen und die Verteilung organisieren. Die ersten Pläne sind bereits bekannt.

Ein solcher Vergleich bietet für die deutschen Behörden die Möglichkeit, das eigene System kritisch zu hinterfragen und aus der Vielfalt europäischer Lösungen Reformoptionen abzuleiten. Für die Analyse haben wir die Kommunalaufsicht in ihre vier zentralen Bestandteile zerlegt: Haushaltsregeln, Verwaltungsstrukturen, Monitoringverfahren, Sanktionsmöglichkeiten. Erste Erkenntnis: In 19 der 20 untersuchten Länder existiert eine Form von Kommunalaufsicht. Schweden ist der einzige Ausreißer. Diese Systeme haben in vielen Ländern in der vergangenen Dekade eine Entwicklung durchlaufen, ausgelöst durch die Erfahrungen der Finanzkrise. Die Ansatzpunkte der Reform waren verschieden; Ziel, Richtung und Wirkungen jedoch gleich: Die Kommunalaufsicht wurde gestärkt. Die politische und praktische Relevanz ist gestiegen. Haushaltsregeln sind der Kern der Aufsicht. Sie haben das Ziel, die Überschuldung der Kommunen zu verhindern. In allen Ländern gilt der Grundsatz des Haushaltsausgleichs. Kredite sind nur zulässig für Investitionen. In der Mehrheit der Länder

unterliegt auch der Schuldenstand einer Grenze: meist in Relation zu den Einnahmen. Der Verwaltungsaufbau der Kommunalaufsicht hat Auswirkungen auf die Stärke der Behörden und die Interaktion mit den Kommunen. Mehrheitlich liegt die Zuständigkeit bei den Finanzministerien. Oft sind diese auch direkt selbst Aufsichtsbehörde. Lediglich in Tschechien und den Niederlanden sind kommunale Verbände als Aufsichtsbehörde involviert. In keinem Land ist die Aufsicht aber so dezentral aufgebaut wie in Deutschland. Wenige Differenzen bestehen im Monitoring der Haushalte. Meist basiert dieses darauf, dass die Kommunen Haushaltspläne oder Jahresabschlüsse vorlegen. Interessant ist die risikoorientierte Praxis in Dänemark und Tschechien, wo Haushalte nur vorgelegt werden, wenn die Kommunen Kredite aufnehmen wollen. Jede Aufsicht läuft leer, wenn die Behörden über keine wirksamen Sanktionen verfügen. Dementsprechend findet sich in allen Ländern ein Spektrum von Instrumenten, welches der Idee der “Eskalationspyramide” folgt und den Behörden flexibles Er-

messen einräumt. Das häufigste Instrument sind konditionierte Schuldenhilfen. Aber auch die Versagung von Krediten, Beanstandungen oder Zwangsverwaltung sind gebräuchlich. In allen vier Bestandteilen der Kommunalaufsicht tritt eine hohe Varianz auf. Wichtig ist jedoch das Bewusstsein dafür, dass diese vier Bestandteile interagieren. Wirksamkeit ist kein Automatismus. Sie lässt sich aber über die kluge Ausgestaltung der Systemkomponenten erhöhen. Dafür liefert diese Studie wertvolle Anregungen. Ein kritischer Faktor ist letztlich die Verwaltungskapazität der Behörden. Ohne ausreichende Kapazitäten findet Monitoring nicht statt und können Sanktionen nicht umgesetzt werden. Diese Erkenntnis spricht für eine zentrale bzw. regionale Bündelung der Aufsichtsbefugnisse. *Dr. René Geißler ist Senior Experte für kommunale Finanzen bei der Bertelsmann Stiftung. Dr. Christian Person ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich “Öffentliche Verwaltung, Public Policy” der TU Darmstadt.

MELDUNG

Ende Juli stellte das hessische Finanzministerium ein über 30 Maßnahmen beinhaltendes Corona-Hilfspaket vor. 1,2 Milliarden Euro schwer soll es sein. Den größten Posten macht dabei der Ausgleich der Steuerausfälle für hessische Kommunen mit rund 660 Millionen Euro aus. Darüber hinaus werden jeweils 150 Millionen Euro für Vertretungslehrkräfte sowie für die Weiterführung des Darlehensprogramms zur Unternehmenshilfe aufgebracht. Das Hilfspaket soll aus dem Sondervermögen “Hessens gute Zukunft sichern” finanziert werden. Im Gespräch mit kommunalen Spitzenverbänden habe man bereits ein Verteilungsmodell erarbeitet, so Hessens Finanzminister Michael Boddenberg. Dieses soll sowohl vergangenheitsbezogene Faktoren als auch die tatsächlichen Mindereinnahmen im laufenden Jahr einbeziehen.

Sachsen zahlt ab August Mitte Juli verabschiedete dann auch der Sächsische Landtag ein Gesetz zur Unterstützung der Kommunen. 750 Millionen Euro umfasst der Schutzschirm zur Bewältigung der Pandemieauswirkungen. Bereits Mitte August sollen 226 Millionen Euro zur Bewältigung der Steuerausfälle der Gemeinden zusammen mit 147 Millionen Euro für pandemiebedingte Mehrausgaben

Damit die Gelder aus den CoronaHilfspaketen wie das Bier aus diesem Zapfhahn fließen können, muss erst klar sein, wie viel in jedes Glas oder in jeden Finanztopf einer Kommune kommt. Foto: BS/Vigan Hajdari, pixabay.com

erausfälle in Höhe von 2,4 Milliarden Euro. 1,3 Milliarden Euro werden aus Landesmitteln beigesteuert. Im Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden konnte man sich ebenso wie in Hessen auf Verteilungskriterien festlegen. Maßgeblich ist hier der Vergleich der Gewerbesteuereinnahmen von Januar bis November 2020 mit den Einnahmen der Jahre 2017 bis 2019. Die Gelder werden vorrausichtlich im Dezember ausgezahlt. Um die Kommunen weiter zu entlasten, erstattet der Freistaat zudem nicht erhobene Elternbeiträge für Kinderbetreuung mit 200 Millionen Euro und verdoppelt die ÖPNV-Bundesmittel auf 760 Millionen Euro.

Verteilungsschlüssel ist essenziell

Bayern verdoppelt derweil das Konjunkturpaket des Bundes zur Unterstützung der Kommunen auf insgesamt vier Milliarden Euro. Gemeinden im Freistaat erhalten demnach einen pauschalen Ausgleich der Steu-

Laut dem Deutschen Städtetag entwickeln sich die Gewerbesteuereinnahmen von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Mancherorts seien Rückgänge von 70-80 Prozent zu verzeichnen, während andere Städte kaum Einbußen verspüren. Verena Göppert, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, meint: “Daher ist bei der Verteilung der Mittel darauf zu achten, dass die tatsächlichen Gewerbesteuerausfälle ausgeglichen werden. Durchschnittsbeträge helfen nicht, um die Kommunalhaushalte sicher zu planen.

lungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) und die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 zu erreichen. Entwickelt wurden die Prinzipien von der Finanzinitiative des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Banken. Um die Thematik auch intern aufzuwerten und in ihrer Organisationsstruktur abzubilden, hat der VÖB zudem eine neue Kommission eingerichtet, die die Arbeit des Verbandes in Nachhaltigkeitsfragen koordinieren

wird. “Die öffentlichen Banken haben beim Thema Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle. Unsere Unterstützung der Prinzipien für verantwortungsbewusstes Bankgeschäft unterstreicht unsere Ambition, dieses Engagement noch auszuweiten und mit Best-Practice-Beispielen voranzugehen. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsinstituten wollen wir zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland und Europa beitragen”, so Iris Bethge-Krauß, Hauptgeschäftsführerin des VÖB.

der Landkreise und kreisfreien Städte ausgezahlt werden. Der zweite Auszahlungsschritt ist abhängig von der Steuerschätzung im Herbst.

Bayern verdoppelt Bundespaket

Subventionen konterkarieren Umweltschutz (BS/kr) Bei staatlichen Finanzhilfen lohnt sich ein zweiter Blick. Der jüngste Subventionsbericht der Bundesregierung listet 53 Finanzhilfen mit einem Volumen von insgesamt 8,4 Milliarden Euro mit Bezug zu den deutschen Klimaschutzzielen auf. Im Verhältnis bedeutet dies: 58 Prozent der Finanzhilfen würden für umweltfreundliche Maßnahmen bereitgestellt. Dagegen stehen Berechnungen von Umweltverbänden. Aktuellstes Beispiel ist eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). Demnach wird allein im Energiesektor der Einsatz fossiler Energieträger mit 17 Milliarden Euro subven-

tioniert. Der Subventionsbericht des Bundes führt davon lediglich sieben Milliarden Euro auf. Der Studie zufolge wirkt fast die Hälfte der Subventionen für fossile Energieträger als Preis­ entlastung beim Strom- und Energieverbrauch. Mit fast 9,3 Milliarden Euro begünstigt der Staat den Endverbrauch, beispielsweise durch die Befreiung stromintensiver Unternehmen von der EEG-Umlage. Subventionen im Bereich der Strom- und Wärmeerzeugung haben einen Umfang von 4,1 Milliarden Euro. 2,3 Milliarden Euro kommen Preisnachlässen beim Energieverbrauch zugute. 1,7 Milliarden Euro fließen in die Gewinnung

fossiler Energieträger. In der Auflistung sind lediglich Zuschüsse für den Energiebereich enthalten. Fossile Subventionen in die Bereiche Landwirtschaft und Verkehr sind hier nicht berücksichtigt. Zur Veranschaulichung: Eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2017 beziffert die quantifizierbaren Subventionen für fossile Energieträger über alle Bereiche hinweg auf 46,2 Milliarden Euro pro Jahr. Die Subvention fossiler Energieträger konterkariere die Bemühungen des Bundes für den Klimaschutz, so die Autoren der Studie. Auf grüne Produkte und Unternehmen wirke die Finanzierung investitions- und innovationshemmend.

MELDUNG

Mehr Nachhaltigkeit (BS/lkm) Die öffentlichen Banken stärken ihr Engagement für eine nachhaltige Finanzwirtschaft. Der Bundesverband Öffentlicher Banken (VÖB) unterstützt dazu Prinzipien der Vereinten Nationen für ein verantwortungsbewusstes Bankgeschäft (“Endorser”). Diese zielen darauf ab, Nachhaltigkeit systematisch in allen Geschäftsbereichen – und über reine Klimafragen hinaus – zu integrieren. Sie dienen als Rahmen für die Kreditwirtschaft weltweit, um die Weltentwick-

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Kommunaler Finanzgipfel 26. – 27. Oktober 2020, Rheinhotel Dreesen

Referenten, u. a.: Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen

Dirk Käsbach, Erster Beigeordneter und Kämmerer, Stadt Königswinter

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. (Zweiter Senat)

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch


Behörden Spiegel / August 2020

Beschaffung / Vergaberecht

Anpassung dringend notwendig

MELDUNG

Vorgaben zum Energieverbrauch bei Einsatzfahrzeugbeschaffung widersprüchlich (BS/Günther Pinkenburg) Die Saubere-Straßenfahrzeuge-Richtlinie (Richtlinie 2009/33/EG, sog. “Clean-Vehicles-Directive – CVD”) ergänzt das EU-Vergaberecht durch Umweltkriterien für die Beschaffung von Straßenfahrzeugen durch öffentliche Auftraggeber und Betreiber von Personenverkehrsdiensten auf der Straße. Ziel ist die Förderung des Absatzes energieeffizienter Produkte. Allerdings lässt es die Richtlinie 2009/33/EG zu, bestimmte Einsatzfahrzeuge von den normierten Anforderungen auszunehmen. Doch die bestehenden Regelungen sind nicht praktikabel. Von der Möglichkeit, Einsatzfahrzeuge von der Richtlinie auszunehmen, hat der Bundesgesetzgeber in § 68 Abs. 4 S. 1 VgV und § 59 SektVO Gebrauch gemacht. Aktuell lautet etwa § 68 Abs. 4 VgV: “1Von der Anwendung der Absätze 1 bis 3 sind Straßenfahrzeuge ausgenommen, die für den Einsatz im Rahmen des hoheitlichen Auftrags der Streitkräfte, des Katastrophenschutzes, der Feuerwehren und der Polizeien des Bundes und der Länder konstruiert und gebaut sind (Einsatzfahrzeuge). 2Bei der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen werden die Anforderungen nach den Absätzen 1 bis 3 berücksichtigt, soweit es der Stand der Technik zulässt und hierdurch die Einsatzfähigkeit der Einsatzfahrzeuge zur Erfüllung des in Satz 1 genannten hoheitlichen Auftrags nicht beeinträchtigt wird.” Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nicht beide Sätze durch das EU-Sekundärrecht geboten sind. So enthält Satz 2 des § 68 Abs. 4 VgV nämlich eine fakultative Rückausnahme von dessen Satz 1. Demnach sind Einsatzfahrzeuge von der Anwendung der Absätze 1 bis 3 nur dann befreit, wenn dies für die Erfüllung der besonderen hoheitlichen Aufgaben unabdingbar ist. Hierbei lassen sich die Fahrzeuge in zwei unterschiedliche

Auch bei der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen sollen Aspekte des Umweltschutzes wie der Energieverbrauch berücksichtigt werden. Die bestehenden Regularien sehen zwar eine Ausnahme vor, diese ist jedoch nicht anwendbar.

oder dafür angepasst […]” statt wie bisher nur “[…] für den Einsatz […] konstruiert und gebaut […]”. Von der Ausnahme waren bisher also nur Fahrzeuge erfasst, die speziell für den Einsatz konstruiert und gebaut sind, z. B. gepanzerte Pkws oder Wasserwerfer. Die Ausnahme ist daher nicht einschlägig, sofern Fahrzeuge mit handelsüblichen Spezifikationen beschafft werden, selbst wenn diese Fahrzeuge für Einsätze genutzt werden sollen. Dies ist z. B. bei Streifenwagen der Polizei oder KommandofahrGünther Pinkenburg ist Fachanwalt für IT-Recht und zeugen der übriVergaberecht und Geschäftsgen Behörden und führender Gesellschafter Organisationen MAYBURG Rechtsanwaltsmit Sicherheitsgesellschaft mbH. aufgaben (kurz: BOS) regelmäßig Foto: BS/privat nicht der Fall, da es sich um SeriKategorien einteilen, was am Bei- enfahrzeuge handelt, die für die spiel von Einsatzfahrzeugen der infrage stehende hoheitliche AufBundeswehr verdeutlicht wer- gabe lediglich mit zusätzlichen den kann (vergleiche Bundesrat, Elementen wie einem Martinshorn, Sondersignal, funktechniDrucksache 70/11, Seite 25). • Fahrzeuge für den Grundbe- scher Ausstattung oder Kenntrieb der Bundeswehr haben zeichnung als BOS-Fahrzeug grundsätzlich die aktuellen versehen werden. Zulassungsvorschriften wie Anpassung der nationalen Abgasnormen einzuhalten. Vergabevorschriften • Einsatzrelevante Fahrzeuge hingegen erfordern eine weltAufgrund der oben dargestellweite Einsetzbarkeit. Sie müs- ten Änderung der Definition von sen robust sein, um die Krite- “Einsatzfahrzeugen” im Sinne der rien der Zuverlässigkeit und Ausnahmeregelung ist § 68 Abs. Haltbarkeit zu erfüllen. Euro 4 S. 1 VgV zwingend anzupassen. 4-bis-6-Motoren sind bspw. da- Eine mögliche neue Formulierung her grundsätzlich nicht einsatz- könnte lauten wie folgt: “1Von der tauglich. Für einsatzrelevante Anwendung der Absätze 1 bis 3 Fahrzeuge gelten daher in der sind Straßenfahrzeuge ausgeRegel verminderte umweltbe- nommen, die ausschließlich für den Einsatz durch die Streitkräfzogene Anforderungen. te, den Katastrophenschutz, die Neuerungen der CVD in Feuerwehr, den Rettungsdienst Bezug auf Einsatzfahrzeuge und die für die AufrechterhalAm 20.06.2019 unterzeichne- tung der öffentlichen Ordnung ten die Präsidenten des Europäi- zuständigen Kräfte konstruiert schen Parlaments und des Rates und gebaut oder dafür angepasst die Richtlinie zur Änderung der wurden (Einsatzfahrzeuge).” Richtlinie 2009/33/EG über die Problematischer in ihrer prakFörderung sauberer und ener- tischen Anwendung und mithin gieeffizienter Straßenfahrzeuge. in der Definition des maßgebliDie nunmehrige Umsetzung der chen Anwendungsbereichs ist geänderten CVD zwingt den Bun- die bisherige Rückausnahme desgesetzgeber, gibt ihm damit des § 68 Abs. 4 S. 2 VgV: Nach aber auch die Möglichkeit, die dem Wortlaut der Norm werden betreffenden Normen in diesem die Anforderungen an die EnerZuge anzupassen und sinnvoll(er) gieeffizienz bei der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen nämlich auszugestalten. Auch nach der Änderung der (doch) berücksichtigt, soweit es CVD ist es den Mitgliedsstaaten 1. der Stand der Technik zulässt nach wie vor gestattet ist, beund stimmte “Einsatzfahrzeuge” von 2. hierdurch die Einsatzfähigkeit der Berücksichtigung von Enerder Einsatzfahrzeuge zur Ergieverbrauch und Umweltausfüllung des in § 68 Abs. 4 S. wirkungen bei ihrer Beschaffung 1 VgV genannten hoheitlichen auszunehmen. Neu ist jedoch, Auftrags nicht beeinträchtigt wird. dass die Formulierung nunmehr Damit sind Einsatzfahrzeuge lautet “[…] für den Einsatz […] konstruiert und gebaut wurden von der Ausnahme nur dann

Foto: BS/Capri23auto, pixabay.com

erfasst, wenn dies für die Erfüllung der besonderen hoheitlichen Aufgaben unabdingbar ist. Für den Bereich der Einsatzfahrzeuge der Bundeswehr erscheint es vergleichsweise einfach, eine klare Trennung vorzunehmen (s. o.).

Regelung problematisch Für den Bereich der BOS und insbesondere solche, die auch für den Einsatz im Katastrophenschutz vorgesehen sind, ist die Regelung ungleich problematischer – etwa beim Technischen Hilfswerk (THW) und den Feuerwehren. Denn wann oder durch was die Einsatzfähigkeit in solchen Fällen beeinträchtigt wird, ist vollkommen unklar. So kann ein Einsatzfahrzeug bei “normaler” Lage den Großteil oder gar alle seine Einsätze beispielsweise auch mit einem Euro-5- oder Euro-6-Motor ableisten. Bei überregionalen Katastrophenlagen mit einem massivem Ausfall von Infrastruktur, insbesondere Kritischer Infrastruktur wie Tankstellen, kann ein solches Fahrzeug gleichwohl schnell seinen Einsatzwert verlieren. Hier führen für den Bereich der Feuerwehren z. B. die Normen DIN EN 1846, Teil 2: Allgemeine Anforderungen – Sicherheit und Leistung unter Punkt 5.2.1.9 Kraftstofftank und Fahrbetrieb aus: “Das Fassungsvermögen des Kraftstofftanks muss so groß sein, dass jeweils die strengere der beiden folgenden Bedingungen erfüllt wird: • Fahrstrecke von 300 km auf der Straße; • Betrieb von Ausrüstungen unter üblichen Betriebsbedingungen für eine Dauer von 4 h, wenn das Fahrzeug mit Ausrüstungen ausgestattet ist, die vom Fahrzeugmotor angetrieben werden. Die Einfüllöffnung des Kraftstofftanks des Fahrzeugs muss für das Befüllen mit üblichen dafür vorgesehenen Einrichtungen (z. B. Kanister) leicht zugänglich sein.” Insbesondere der letzte Satz weist drauf hin, dass es für Fahrzeuge dieser Art unabdingbar ist, dass diese auch an Einsatzstellen (z. B. bei langem Pumpenbetrieb oder Betrieb eines Stromerzeugers) nachgetankt werden können müssen und dies auch unter extremen bzw. “feldmäßigen” Verhältnissen. Wenngleich vom Ergebnis unbefriedigend, wird man aktuell akzeptieren müssen, dass das Gros der Einsatzfahrzeuge der BOS in Deutschland unter die aktuelle Rückausnahme des § 68 Abs. 4 S. 2 VgV fällt.

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Aufgrund der hier dargestellten Gründe ist dies jedoch für die praktische Umsetzung der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen ein unbefriedigendes Ergebnis: Es existiert zunächst eine relevante Rechtsunsicherheit für die korrekte Anwendung des EU-Vergaberechts. Dies umso mehr, als bei der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen – etwa durch kommunale Auftraggeber – Fördermittel in die Finanzierung einbezogen werden. Des Weiteren besteht bei “sicherheitshalber” Annahme der Rückausnahme die Gefahr, für kritische Einsatzlagen – etwa Katastrophenfälle – nicht oder nur bedingt geeignete Einsatzfahrzeuge zu beschaffen. Es wird daher dringend angeregt, die fakultative Rückausnahme des § 68 Abs. 4 S. 2 VgV entfallen zu lassen. Sollte ein Entfall der fakultativen Rückausnahme nicht darstellbar bzw. – etwa aus politischen Gründen – nicht durchsetzbar sein, so bedarf es in jedem Fall einer einschränkenden Formulierung der Rückausnahme. Eine mögliche neue Formulierung könnte wie folgt lauten: “2 Bei der Beschaffung von Einsatzfahrzeugen werden die Anforderungen nach den Absätzen 1 bis 3 berücksichtigt, soweit es der Stand der Technik zulässt und hierdurch die Einsatzfähigkeit der Einsatzfahrzeuge zur Erfüllung des in Satz 1 genannten hoheitlichen Auftrags nicht beeinträchtigt wird. 3Für den Bereich der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr gilt Satz 2 nur für Einsatzfahrzeuge für den Grundbetrieb.” Durch den neuen Satz 3 wird das bereits genannte Beispiel für die Einsatzfahrzeuge der Bundeswehr auf weitere Einsatzfahrzeuge übertragen. Auf diese Weise bleiben einerseits solche Einsatzfahrzeuge im Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung, die für den Einsatz in insbesondere auch kritischen Situationen (Katastrophenlagen, Waldbrandlagen, Überschwemmungen, Verteidigungsfall u. Ä.) vorgesehen und unentbehrlich sind; die abstrakte Möglichkeit eines solchen Einsatzes muss hier genügen. Gerade diese Fahrzeuge werden in der Regel einen diametralen Unterschied zwischen Nutzungsdauer (in Jahren) und Kilometerlaufleistung über die Nutzungsdauer aufweisen und sind aus Umweltschutzgesichtspunkten daher kaum relevant. Andererseits bleiben auf diese Weise sowohl solche Fahrzeuge von der fakultativen Rückausnahme erfasst, die im Schwerpunkt im sog. Tagesgeschäft eingesetzt werden, also für die vorgenannten Einsatzszenarien weniger relevant sind, aber in der Regel eine deutliche höhere Kilometerlaufleistung über die Nutzungsdauer aufweisen. Zudem bleiben Fahrzeuge erfasst, bei denen der Stand der Technik die Einsatztauglichkeit tatsächlich nicht beeinträchtigt, wie etwa Streifenwagen der Polizei. Daneben bedarf es in der neuen Verordnungsbegründung einer erläuternden, idealerweise mit Beispielen angereicherten Klarstellung dahingehend, was unter den Tatbestandsmerkmalen “soweit es der Stand der Technik zulässt” und “hierdurch die Einsatzfähigkeit der Einsatzfahrzeuge zur Erfüllung in des Satz 1 genannten hoheitlichen Auftrags nicht beeinträchtigt wird.” zu verstehen ist. Eine entsprechende Eingabe des Autors an die Fachministerien ist bereits erfolgt.

Kommt im Bund eine Tariftreueregelung? (BS/jf) Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) fehle an vielen Stellen eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Kernarbeitsnormen der International Labour Organization (ILO) und an einer zwingenden Tariftreueregelung, kritisieren die Abgeordneten der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Deshalb soll die Bundesregierung aufklären, ob eine Tariftreueregelung für den Bund vorgesehen ist, zumal es entsprechende Gedankenspiele gegeben habe. Im Rahmen des Zukunftsdialoges “Neue Arbeit. Mehr Sicherheit” hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit der Frage auseinandergesetzt, durch welche Maßnahmen insbesondere die mitgliedschaftliche Tarifbindung gestärkt werden könne. Als Teilantwort wurde die Ein-

führung einer Bundestariftreueregelung identifiziert. Derzeit prüfen vornehmlich das BMAS und das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), ob und wie eine solche Norm auch unter der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (unions-) rechtskonform umgesetzt werden kann. Allerdings scheint das BMWi keinen Regelungsbedarf zu sehen. Das GWB sehe schon vor, dass Unternehmen bei der Ausführung von öffentlichen Aufträgen verpflichtet seien, alle in Deutschland geltenden arbeitsrechtlichen Pflichten einzuhalten. Dazu zähle auch die Gewährung eines Mindestentgeltes, das nach dem Mindestlohngesetz, einem Tarifvertrag, dem ArbeitnehmerEntsendegesetz oder dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgegeben sei.

qanuun-aktuell Summertime everywhere von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Ein azurblauer Himmel, weizengelbe Felder und üppiges Grün soweit das Auge reicht lassen die Aufregungen und Ängste der vergangenen Wochen leicht vergessen. Covid-19 ist und bleibt ein Thema, aber nicht hier und jetzt. Jeder, der sich zu einem Urlaub in heimischen Gefilden aufgemacht hat, möchte die Idylle erleben, die er sich aus dem Homeoffice sehnlichst erträumt hat. Und so wie Mensch sich durch Raum und Zeit träumt, würde er sich gerne in der Gewissheit wiegen, dass ein jedes Problem, ob Klimawandel oder Covid-19, eine gute, für ihn möglichst wenig einschneidende Lösung findet. In der Erkenntnis, dass es wenig einschneidende Lösungen kaum geben dürfte, entwickeln sich verschiedene Reaktionsmuster: Verschwörungstheorien negieren bereits das Problem an sich. Moral sucht das Heil im ständigen Verzicht. Kreativität paart sich mit Idealismus, Geschäftssinn oder Kriminalität. Letzteres blenden wir gerne aus. In Krisenzeiten sind leider diejenigen besonders aktiv, welche die Gutgläubigkeit und Hilflosigkeit anderer ausnutzen. Wenn Dinge oder Leistungen schnell

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

beschafft werden müssen, die üblichen Kontrollen und Verfahren aus der Not heraus unterlaufen werden und die Politik auf eine schnelle Lösung drängt, kann man sicher sein: Es gibt diejenigen, die das als Vorteil erkennen und ohne jeden Skrupel nutzen. Covid-19 wird in vielfacher Hinsicht im kollektiven Gedächtnis bleiben. Ich wage die Prognose, dass das Virus ebenso für eine deutliche Zunahme bei Unterschlagung, Betrug und Korruption stehen dürfte. Sollte der Wirtschaftsmotor weiterhin kräftigt stottern, wird das noch deutlicher zutage treten. Aufmerksamkeit und Prävention verlangen sowohl das Virus als auch die Rechtstreue.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Vergaberecht

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Nicht nachhaltig, aber rechtlich nicht zu beanstanden (BS) Für die Instandsetzung der Gorch Fock wurde natürliches Teakholz aus Myanmar als Oberdeckmaterial verwendet. Dagegen hagelte es Kritik, weil die Auflagen der Holzhandelsverordnung der EU (EUTR) und des HolzhandelsSicherungs-Gesetzes nicht beachtet worden seien. Nun bestätigte das Bundesverteidigungsministerium, dass der interministerielle “Gemeinsame Erlass zur Beschaffung von Holzprodukten” nicht beachtet und der Nachweis einer nachhaltigen Holzwirtschaft nicht eingeholt wurde. Trotzdem sei die Beschaffung rechtlich nicht zu beanstanden. Denn das in Rede stehende Holz sei in den Jahren bis 2017 importiert worden, die Sorgfaltspflichten aus der EUTR seien jedoch sukzessive erhöht worden und erst im Juni 2018 sei es zu der EU-weit einheitlichen Auffassung gekommen, dass ein EUTR-konformer Import von Teakholz nicht möglich sei. Langfristig suche das Johann Heinrich von Thünen-Institut nach Alternativen für die Oberdeckmaterialen der Gorch Fock. Foto: BS/Detlev Müller, pixelio.de

Zusätzlicher Schwung Bund: Handlungsleitlinien sollen Vergabe erleichtern (BS/jf) Der Bund hat die Vergabe öffentlicher Aufträge weiter erleichtert. Bis Ende 2021 können für Bau-, Lieferund Dienstleistungen bis zu einer definierten Wertgrenze vereinfachte und schnellere Verfahren durchgeführt werden. Auch die Werte für den Direktauftrag sind angehoben worden. Auch in den Ländern gibt es Diskussionen, die Verfahrenserleichterungen beizubehalten, wie das Beispiel Niedersachsen zeigt. Bis zu 100.000 Euro Auftragswert ohne Umsatzsteuer können öffentliche Auftraggeber des Bundes bei Liefer- und Dienstleistungen ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchführen. Bei Bauleistungen liegt diese Schwelle bei einer Mio. Euro. “Damit geben wir zusätzlichen Schwung für die Wiederbelebung unserer Wirtschaft”, begründet Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die neuen Handlungsleitlinien. Zusätzlich wird auch der Wert für den Direktauftrag angehoben. Für Aufträge im Bereich der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) liegt die Schwelle bei 3.000 Euro anstelle von vorher 1.000 Euro, im Bereich der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) bei 5.000 Euro statt 3.000 Euro. Diese Regelungen würden auch für Zuwendungsempfänger gelten, die die UVgO oder die VOB/A bei der Vergabe von Fördermitteln anwenden müssten. Damit würde der Bundesverwaltung geholfen, Vorhaben und Investitionen schneller umzusetzen.

Dringlichkeit gilt weiter Oberhalb der EU-Schwellenwerte könne angesichts der konjunkturellen Lage weiterhin von der Dringlichkeit investiver Maß-

nahmen ausgegangen werden. Damit können die vorgesehenen Verkürzungsmöglichkeiten bei Teilnahme- und Angebotsfristen weiter genutzt werden. Die Vergabestellen müssen die Dringlichkeit jedoch hinreichend begründen. Allerdings bleiben die Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und Gleichbehandlung sowie der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit von diesen Änderungen unberührt. Zudem werden die Handlungsleitlinien automatisch am 31. Dezember 2021 außer Kraft gesetzt, wenn die Exekutive diese nicht vorher verlängert.

Niedersachsen: Orientierung scheint möglich Entsprechend den neuen Hand­lungsleitlinien des Bundes fordert der Präsident des Niedersächsischen Städtetages, Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge, die Landesregierung in Hannover auf, niedersächsische Regelungen ebenfalls zu verlängern. “Wir fordern die Landesregierung und insbesondere Wirtschaftsminister Bernd Althusmann auf, die Geltungsdauer der Erleichterungen um mindestens drei Jahre zu verlängern und sich hinsichtlich der europaweiten Regelungen beim

Bund für eine entsprechende Verlängerung einzusetzen.” Demgegenüber unterstrich das Wirtschaftsministerium, das für die niedersächsischen öffentlichen Auftraggeber weiterhin die landeseigene Wertgrenzenverordnung gelte. Diese gilt bis zum 30. September 2020. Danach können Bauaufträge bis zu einer Mio. Euro im Wege einer freihändigen Vergabe und bis zu drei Mio. Euro mittels einer beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der Schwellenwerte haben die Auftraggeber freie Wahl bei der Verfahrensart. Bei besonders dringlichen Vergaben aufgrund von Umständen im Zusammenhang mit der Pandemie können sie sogar bis zum EU-Schwellenwert von 214.000 Euro einen Auftrag direkt vergeben. Für Vergaben oberhalb der EUSchwellenwerte hatte die Landesregierung bereits angekündigt, dass die Konjunkturdaten des Landesamtes für Statistik für die Monate April und Mai “in vielen Bereichen mit der gesamten Bundesrepublik vergleichbare negative Veränderungsraten zeigen”. Deshalb erscheine eine Orientierung an der Auslegung des Bundes möglich.

Honorarverhandlungen werden möglich Regelungen für Architekten- und Ingenieurleistungen angepasst (BS/jf) Über zwei Jahre sind vergangen, seit der Europäische Gerichtshof (EuGH) die verbindlichen Mindestund Höchstsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) für unionsrechtswidrig erklärt hat. Mitte Juli hat die Bundesregierung nun ein Änderungsgesetz beschlossen. Die HOAI wird damit aber noch nicht angepasst. Bevor die HOAI angepasst werden kann, muss die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage angepasst werden. Die Festsetzung der Mindest- und Höchstsätze ist im Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (ArchLG) normiert. Erst wenn dies geändert ist, kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) auch die HOAI neu erlassen. Deshalb soll im ArchLG die Bundesregierung ermächtigt werden, sowohl Grundlagen und Maßstäbe zur Berechnung von Honoraren festzulegen als auch Honorartafeln zur Orientierung für Grundleistungen zu erlassen. Letzteres auch in Abgrenzung von besonderen Leistungen. Damit können öffentliche Auftraggeber mit Architekten und Ingenieu-

ren die von der HOAI erfassten Leistungen frei vereinbaren. In den Honorartafeln werden für jedes Leistungsbild, abgestuft nach der Schwere der Aufgabe für den Planer, zur unverbindlichen Orientierung Spannen für die Leistungserbringungen aufgezeigt. Damit sollen auch die Transparenz der Honorarkalkulation und die Vergleichbarkeit verschiedener Angebote erhöht werden. Mit der Preisorientierung könne zudem, wie der EuGH es in seinem Urteil festgestellt hat, ein Beitrag zum Verbraucherschutz geleistet werden. Allerdings gebe es auch die Möglichkeit, oberoder unterhalb der genannten Werte Honorare zu vereinbaren, solange die Regelungen zu ungewöhnlich niedrigen Angeboten aus § 60 Vergabeverordnung oder

der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, ausgedrückt im besten Preis-Leistungsverhältnis, nicht verletzt werden. Für den Fall, dass die Vertragsparteien keine wirksame Vertragsvereinbarung treffen, sollen bestimmte, in den Honorartafeln angegebene Sätze für Grundleistungen als vereinbart gelten. Damit sind regelmäßig auftretende Leistungen im Rahmen von Flächen-, Objekt- und Fachplanungen gemeint, insbesondere auch Beratungs- und Planungsleistungen sowie Leistungen im Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren. Das Gesetz soll im Herbst in den Deutschen Bundestag eingebracht werden. Parallel werden die Änderungen der HOAI durch das BMWi erarbeitet.

Behörden Spiegel / August 2020

► Entscheidungen zum Vergaberecht ► ANTWORT

Abwiegeln unzulässig Bezug zur Frage ist Pflicht Zu berichten ist hier nicht etwa vom Streit zwischen Bieter und Auftraggeber, sondern zwischen Vergabekammer (VK) und Kammergericht (KG) in Berlin. Der aber gibt wichtige Hinweise für den Umgang des Auftraggebers mit Bieterfragen. Die VK hatte einen Nachprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen. Diesen Beschluss hebt das KG auf und weist das Verfahren an die VK mit einer ganzen Reihe von zu behebenden Kritikpunkten zurück. So sei die VK unzulässigerweise davon ausgegangen, dass der Antrag unsubstantiiert sei. Der Antragsteller hätte sich namentlich darauf berufen, dass er die Antwort auf eine Bieterfrage so verstanden hatte, dass er die für die Erbringung seiner Leistung erforderlichen Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich des Datenschutzes selbst ermitteln und erbringen müsse. Der Auftraggeber aber schob nach, dass schon seinerseits alle erforderlichen Maßnahmen eingehalten würden, der Bieter hier also gar nichts zu leisten habe. Dem KG missfällt vor allem die Einlassung des Auftraggebers, seine Antwort sei “nichtssagend” gewesen, weswegen sich der Bieter auf deren Inhalt nicht berufen könne. So gehe es nicht: Auf eine sachorientierte Bieterfrage habe der Bieter ein Recht auf eine Antwort, andernfalls verletze der Auftraggeber das Transparenzgebot. Da der staatliche Auftraggeber aber an das Gesetz gebunden sei, müsse der Bieter nicht einen absichtlichen Transparenzverstoß erwarten und dürfe demnach versuchen, der Antwort einen Sinn zu entlocken. Wenn dieser vermutete Sinn der Antwort dann nicht mit dem Gemeinten des Auftraggebers übereinstimmt, genügt dies, um einem Nachprüfungsantrag zur Zulässigkeit zu verhelfen. KG (Beschl. v. 10.02.2020, Az.: Verg 6/19)

► ZUSCHLAG

100 Prozent Preiswertung Einfachheit genügt nicht als Grund Für die Entsorgung von Klärschlamm aus mehreren Kläranlagen hat es der Auftraggeber in seiner Ausschreibung den Bietern freigestellt, ob sie den Schlamm deponieren oder verbrennen wollen. Ihm kam es allein darauf an, möglichst wenig Geld für die Entsorgung auszugeben. Das scheint auch zu gelingen, denn es gehen zwei Angebote ein, die beide weit unter dem Schätzpreis liegen, das eine 20 Prozent, das andere 40 Prozent niedriger. Der schon sehr günstige Zweitplatzierte kann es sich gar nicht vorstellen, dass er noch weiter unterboten worden sein könnte und verlangt die Nachprüfung der Zuschlagsabsicht. Die Höhe des Preises spielt dann keine entscheidende Rolle mehr. Die Vergabekammer hält das Preiskriterium an sich schon für ermessensfehlerhaft. Denn durch die freie Wahl des Entsorgungsweges handele es sich hier um eine teilfunktionale Ausschreibung. In einem solchen Falle sei die Wertung allein aufgrund des Preises nicht möglich. Schließlich müssten die großen verfahrenstechni-

schen Unterschiede in irgendeiner Weise in die Wertung einfließen, um die Angebote vergleichbar zu machen. Ansonsten finde kein fairer Wettbewerb zwischen den Bietern unterschiedlicher Entsorgungsmethoden statt. Insbesondere die Begründung des Auftraggebers, dass die alleinige Preiswertung praktikabler sei und weniger Angriffsfläche böte als eine qualitative Wertungsmatrix, sei unzulässig. Damit lasse sich der Auftraggeber an Stelle des fairen Wettbewerbs von einer reinen Risikovermeidungsstrategie leiten. VK Thüringen (Beschl. v. 31.01.2020, Az.: 250-4003-15476/2019-E-010-EA)

► LOSVERFAHREN

Seltene Ausnahme Identisches Wertungsergebnis Der Auftraggeber hatte die Lieferung von Streusalz ausgeschrieben. Dazu hatte er nicht nur den Preis werten wollen, sondern auch einen kleinen Satz an Qualitätskriterien. Zu seiner Überraschung endete das Verfahren damit, dass die beiden führenden Angebote das exakt gleiche Wertungsergebnis erzielten. Ohne damit wirklich zu rechnen, hatte der Auftraggeber aber für diesen Fall vorgesorgt. Schon in den Vergabeunterlagen behielt er sich für den Fall der Wertungsgleichheit die Entscheidung durch Los vor. Dieses Vorgehen findet die Billigung des OLG Hamburg. Dem Verlierer des Losverfahrens wird bescheinigt, dass seine Nachprüfung schon deswegen ausgeschlossen sei, weil er bereits den Losvorbehalt hätte vor Angebotsschluss rügen müssen. Überdies spreche auch nichts gegen das Los. Keineswegs müsse der Auftraggeber eine Vielzahl von Wertungskriterien erfinden, nur um die Wahrscheinlichkeit der Wertungsgleichheit zu verringern, denn die Erfahrung zeige, dass identische Wertungsergebnisse extrem selten seien. Auch bestehe nicht die Verpflichtung, bereits mit den Vergabeunterlagen mitzuteilen, auf welche Weise gegebenenfalls das Losverfahren ausgestaltet werden solle. Wichtig sei nur, dass es frei von jeder Manipulationsgefahr durchgeführt werde. In der Dokumentation sollte optimalerweise das Verfahren vor der Ausführung beschrieben und im Nachgang dessen Einhaltung bestätigt werden. OLG Hamburg (Beschl. v. 20.03.2019, Az.: 1 Verg 1/19)

► WETTBEWERBSREGISTER

Eintrag gleich Ausschluss? Auftraggeber muss prüfen Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, ab einem Auftragswert von 30.000 Euro beim nationalen Wettbewerbsregister abzufragen, ob der zum Zuschlag vorgesehene Bieter dort verzeichnet ist. Das Bundeswirtschaftsministerium schreibt dazu auf der erläuternden Website: “In der Regel wird jedoch die Eintragung wegen eines zwingenden Ausschlussgrundes zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen,” auch wenn der Auftraggeber die Zuverlässigkeitsprüfung selbst durchführen muss. Dass diese Prüfungspflicht keine unwesentliche Formalie ist, hat der

EuGH in einem Verfahren jetzt klargestellt. Ein Unternehmen war im rumänischen Wettbewerbsregister eingetragen, weil es einen ungenehmigten Subunternehmer beschäftigt hatte. Dies stelle zwar einen fakultativen Ausschlussgrund dar und sei keineswegs ein unwesentlicher Verstoß. Doch der Eintrag allein genüge nicht zum Ausschluss, denn damit würde die Zuverlässigkeitsprüfung faktisch vom aktuellen auf den früheren Auftraggeber verlagert. Das aber ist unzulässig. Der aktuelle Auftraggeber muss beurteilen, ob der jeweilige Verstoß tatsächlich vorlag (was hier unstrittig war) und ob er für den konkreten aktuellen Auftrag maßgeblich ist. Und er muss dem Bieter die Möglichkeit einräumen, dazu Stellung zu nehmen und möglicherweise bereits eingeleitete Maßnahmen zur Vermeidung einer Wiederholung darzulegen, wozu der Bieter in Abschnitt III C der Einheitlichen Europäischen Eignungserklärung regelmäßig die Gelegenheit hat. EuGH (Urt. v. 03.10.2019, Rs. C-267/18)

► UNTERKOSTENANGEBOT

Fehler im Ansatz Ausführung nicht gewährleistet Für die Sondierung von Kampfmittelresten liegen zwei Angebote vor, die preislich weit auseinander liegen. Das niedrigere stammt von einem in der Vergabestelle bereits bekannten Bieter, der zu ähnlichen Preisen bisher untadelige Arbeit geleistet hat. Der Konkurrent beharrt aber darauf, dass nicht sein Angebot überteuert sei, sondern das niedrigere wegen Unauskömmlichkeit ausgeschlossen werden müsse. Er verweist auf die besonderen Bodenverhältnisse, die in diesem Falle einen höheren Aufwand erforderten. Der Auftraggeber müsse deswegen in eine vertiefte Preisprüfung einsteigen. Die Prüfung der Urkalkulation ergibt, dass tatsächlich der Materialansatz an einer Stelle unterkalkuliert war. Diese Position wirkt sich aber auf fast die gesamte Leistung aus, woraus sich der große Preisabstand erklären lässt. Der Auftraggeber hat aufgrund der Erfahrungen mit dem Bieter jedoch keine Zweifel an der Leistungserbringung. Die Vergabekammer aber verfügt den Ausschluss des niedrigen Angebotes. Zwar sei es einem Bieter freigestellt, z. B. zum Zwecke des Marktzuganges auch Unterkostenangebote abzugeben. Hier liege der Fall aber anders. Als Bestandsdienstleister sei der Marktzugang bereits erfolgreich gewesen. Zudem habe er bis zuletzt darauf beharrt, dass das Angebot kostendeckend sei. Dass der Bieter ein offensichtlich unterkalkuliertes Angebot als auskömmlich einschätze, lasse berechtigte Zweifel aufkommen, ob er die Leistung werde ordnungsgemäß erbringen können. VK Hamburg (Beschl. v. 04.12.2019, Az.: 60.29319/2019.004)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄


-2094

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-2462

-2482

RL: Dr. Andreas Meissauer

 -2902

I6 Energiepolitik, Erneuerbare Energien, Energietechnologien

RL: Frank Limberg

I5 Energiemärkte, Energieaufsicht, Netzausbau

RL: Silvia Uplegger 

I4 Energieeffizienz, Energieberatung

RL: Rainer Keller (m.d.W.d.G.b.)

I3 Planungsinformationen, Prognosen, Statistik, Hessische Landgesellschaft

RL: Florian Ismaier

I2 Raumordnung und Regionalplanung

RL: Matthias Bergmeier

I1 Landesentwicklungsplan, Landesplanung Infrastruktur, Umwelt und Freiraum, Europäische Raumentwicklung

AL: Dr. Michael Bruder  (m.d.W.d.G.b.)

-2350

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RL: Holger Haubfleisch  -2470

II 6 EFRE-Verwaltungsbehörde Hessen, Europäische Regionalförderung

RL: Ulrike Franz-Stöcker 

II 5 Tourismus und Freizeitwirtschaft

RL: Hans Weigandt 

II 4 Industrie, Umweltschutz in der gewerblichen Wirtschaft

RL: Rüdiger Bollweg

II 3 Förderung der gewerblichen Wirtschaft, öffentliche Finanzierungshilfen, wirtschaftsnahe Infrastruktur

RL: Susanne Ruth

II 2 Wirtschaftsförderungseinrichtungen, Koordinierungsstelle Zuwendungen

RL: Dr. Carsten Schreiter 

II 1 Wirtschaftspolitik und EU-Beihilfenkontrollpolitik

AL: Klaus-Dieter Jäger 

 -2301

-2309

Vorsitzender: Stefan Lamberti

RegKH Regulierungskammer Hessen

RL: Armin Winterhoff

III 7 Börsenaufsicht

RL: Dr. Wolfram Bietau 

III 6 Kreditwesen, Versicherungen

RL: Holger Daum

III 5 Finanzplatz Frankfurt

RL: Dr. Irene Lausen 

-2304

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-2066

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-2250

-2617

- 2250

III 4 Vergabewesen, Gewerberecht, Eich- und Messwesen

RL: Stefan Lamberti 

III 3 Energieregulierung

RL: Angelika Schwarz-Härtter 

III 2 Kammeraufsicht, EU-Binnenmarkt, Schornsteinfegerwesen

RL: (III 1b) Rüdiger Meixner

RL: (III 1a) Karsten Hiestermann 

III 1 Landeskartellbehörde, Wettbewerbsrecht

-2052

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 -2933

 -2242

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RL: Rolf Krämer

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-2370

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-2501

-2450

-2420

*) unmittelbares Vortragsrecht StS

Fluglärmschutzbeauftragte *)

RL: Regine Barth

-2050

V7 Stabsstelle Fluglärmschutz und nachhaltige Luftverkehrswirtschaft

RL: Bernhard Maßberg (m.d.W.d.G.b.)

V6 Öffentlicher Personennahverkehr

RL: Dr. Karsten Baumann

V5 Luftverkehr – Genehmigung und Planfeststellung

RL: Jörg Egerter

V4 Sicherheit im Luftverkehr

RL: Dr. Klaus Dapp

V 3 Nahmobilität

RL: Anke Münker-Tiedge 

V2 Eisenbahn, Schieneninfrastruktur

RL: Dr. Christian Langenhagen-Rohrbach -2376

V1 Mobilität, Logistik, Binnenschiffahrt

AL: Bernhard Maßberg  

-2800

-2405

-2432

-2399

-2398

RL: Iris Otto

VI 5 Integrierte Umweltplanung

RL: Kirsten Happe (m.d.W.d.G.b.)

-2030

-2400

-2946

RL: Dr. Christian Hermann

-2860

VII 7 Wohnungsbau und Wohnungsrecht

RL: N.N.

VII 6 Städtebau und Städtebauförderung

VII 5 Geoinformation, Vermessung, Flurneuordnung RL: Udo Biefang  -2421

VII 4 Bautechnik RL: Susanne Vogt

RL: N.N.

VII 3 Baurecht

VII 2 Planung und Bau Bundesfernstraßenprojekte (DEGES-Projekte und Riederwald) RL: Dr. Lars-Henning Fischer -2498 (m.d.W.d.G.b.)

RL: N.N.

VII 1 Planfeststellung Bundesfernstraßenprojekte (DEGES-Projekte und Riederwald)

AL: Günther Hermann

VII Bauen, Wohnen, Städtebau, Bundesfernstraßenprojekte (DEGES-Projekte und Riederwald)

RL: Petra Manahl

M5 Grundsatz und Planung

|  Leitung der Projektgruppe “Nachhaltige Urbane Mobilität”:

-2410

-2413

VI 4 Zulassung von Personen und Fahrzeugen, Großraum- und Schwerverkehr, Straßenbetrieb, Nebenanlagen, Gefahrgut

RL: Dr. Hendrik Schüler 

VI 3 Lärmschutz, Straße, Verkehrssicherheit

RL: Jürgen Richter 

VI 2 Straßenbau

RL: Dr. Jutta Geiger

VI 1b Straßenrecht

RL: Kirsten Preetz 

VI 1a Planfeststellung

VI 1 Planfeststellung und Straßenrecht

AL: Martin Weber

| Digitalisierungsbeauftragte Ressort: Katja Kümmel -2251 | IT-Sicherheitsbeauftragter: Olaf Hoßfeld -2414 Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen: Wolfgang Langer -2387

IV 5 Start-ups, Kultur- und Kreativwirtschaft

RL: (IV 4b) Nicole Hannemann

RL: (IV 4a) Hilke Smit-Schädla

IV 4 Berufliche Bildung

RL: Jens Krüger 

IV 3 Technologische Innovation, Ressourceneffiziente Produktion

RL: Carolin Friedländer 

IV 2 Handwerk, Mittelstand, Handel, Wirtschaftsrecht

RL: Gilbert Blumenstiel 

IV 1b Entwicklungspolitische Zusammenarbeit

RL: Bernd Kistner 

IV 1a Außenwirtschaft, Standortmarketing, Messen

IV 1 Außenwirtschaft, Standortmarketing, Messen und entwicklungspolitische Zusammenarbeit

AL: Axel Henkel

V Mobilität, Luftverkehr, Eisenbahnwesen

RL: Zorica Hohmann -2010

M4 Parlament, Kabinett

VI Straßen und Verkehrswesen

RL: Dr. Jörg Ruppert -2015

M3 Bundesrat*), EU-Koordination

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen Stand: August 2020

Personelles

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.

Abkürzungen: AL = Abteilungsleiter/in, RL = Referatsleiter/in

RL: Franziska Richter -2020

M2 Presse, Öffentlichkeitsarbeit

*) Ansprechpartner für das Ressort HMWEVW bei der Hess. Landesvertretung in Berlin: Stefan Schweers -030/726200-860 Ansprechpartner für das Ressort HMWEVW bei der Europäischen Union in Brüssel: Felix Holefleisch -00322/739-5948

RL: Christopher Kuhlmann -2025 (m.d.W.d.G.b.)

M1 Persönliches Referat

IV Außenwirtschaft, Mittelstand, Berufliche Bildung, Technologische Innovation

LMB: Dr. Holger Zoubek -2007

Ministerbüro Aufgaben übergeordneter Art, Ressortkoordination

III Wirtschaftsordnung, Finanzdienstleistungen, Börsen AL: Dr. Stephan Bredt 

zuständig für Abt. I, V, VI und VII

zuständig für Abt. Z, II, III und IV

II Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsförderung

Jens Deutschendorf

Dr. Philipp Nimmermann

I Landesentwicklung, Energie

Staatssekretär

Staatssekretär

Foto: BS/HMWEVW, Oliver Rüther

Tarek Al-Wazir

Minister

Sonderbeauftragter zur Koordinierung Hessen Agentur und WIBank: Klaus-Dieter Jäger -2280  | Konversionsbeauftragte der Landesregierung: Heike Basse -2276 | Datenschutzbeauftragter: Willibald Becher -2080 Dr. Bernd Schuster -2374 | Arbeitsschutz-Sicherheitsbeauftragte: Katrin Marko -2124 | Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte: Monika Wenzel -2328 | Vorsitzende des Personalrats: Friederike Berns -2126 |

RL: Kai Peters

Z6 EFRE-Prüfbehörde, Innenrevision

RL: Katja Kümmel

-2251

-2070

RL: (Z 4b) Hermann Daiber

Z5 Digitalisierung, IKT

-2080

-2168

-2106

RL: (Z 4a) Willibald Becher

Z4 Justiziariat

RL: Sven-Gerritt Schellberg

Z3 Personal

RL: Walter Stern

Z2 Haushalt, Controlling, Bilanzierung

RL: Roland Wembacher (m.d.W.d.G.b.)

Z1 Organisation, Zentrale Dienste

AL: Dr. Michael Bruder

-2350

65185 Wiesbaden 65021 Wiesbaden 0611-815-0 0611-815-2225 0611-815-2227 4186817 poststelle@wirtschaft.hessen.de http://www.wirtschaft.hessen.de

Z Zentralabteilung

Kaiser-Friedrich-Ring 75 Postfach 3129 Telefon: Telefax: Telefax Pressestelle: Telex: E-Mail: Internet:

Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen

Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen

Behörden Spiegel / August 2020 Seite 11


Diplomaten Spiegel

Seite 12

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eitgeschichte macht im April 2018 der äthiopische Pre­ mierminister Dr. Abiy Ahmed mit seiner Politik weitreichender politischer und wirtschaftlicher Reformen. Tausende politische Gefangene kommen frei, Aus­ nahmezustand, Antiterroris­ mus-Gesetze, Internetsperren werden aufgehoben und ExilOppositionspolitiker gebeten, zu­ rückzukehren und sich friedlich politisch zu betätigen. “Die Hälfte seiner Kabinettsmitglieder sind Frauen, eine ehemalige Oppo­ sitionsführerin Vorsitzende des Nationalen Wahlausschusses und die Naturwissenschaftlerin und erfahrene Diplomatin SahleWork Zewde Staatspräsidentin”, so Botschafterin Bezuneh.

Behörden Spiegel / August 2020

Äthiopien – ideal für Investoren Ein Gespräch mit Botschafterin Mulu Solomon Bezuneh in Berlin. (BS/ps) Seit Juli letzten Jahres vertritt die 58-jährige Botschafterin den mit 1.104.300 Quadratkilometern größten Binnenstaat der Welt bei uns. Er hat 112 Millionen Einwohner bzw. oder 95 pro Quadratkilometer. Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 18 Jahren (unseres bei 43, mit steigender Tendenz), was die Sitten und Bräuche des Landes stilistisch nicht so heftig beeinflusst wie die “Jugendkultur” hierzulande. Die äthiopische Zivilisation schätzt nämlich ältere Menschen sehr. Von Kindern wird erwartet, dass sie diese respektieren, indem sie aufstehen und ihren Kopf als Zeichen des Respekts leicht neigen. Was bei uns allenfalls mit Blick auf das Smartphone passiert – aber das ist eine andere Geschichte.

“Wandel durch Handel” Die staatlichen Telekommuni­ kations-, Energie- und Luftver­ kehrsmonopole, andere Schlüs­ selindustrien sowie Service- und Transportunternehmen priva­ tisiert man behutsam. Reform­ orientierte Führungskräfte sollen es richten und ein Beirat die Ent­ flechtung der ehemaligen Staats­ unternehmen überwachen. In der Justiz werden strukturelle Änderungen der Institutionen und rechtlichen Rahmenbedin­ gungen eingeleitet, die in der Ver­ gangenheit der Unterdrückung dienten. Es gilt ein neues, libe­ rales Wahlgesetz – “Äthiopische Wahl, Registrierung politischer Parteien und Wahlethik” – und es gibt umfassende Maßnahmen zur Behebung des Devisenmangels. “Durch die Reformen verzeich­ net Äthiopien ein durchschnittli­ ches Wirtschaftswachstum, das mehr als zehn Prozent über dem von Afrika liegt. Gute Möglichkei­ ten für ausländische Investoren, sich im Immobilien-, Dienstleis­ tungs- und Bausektor zu en­ gagieren und Arbeitsplätze zu schaffen”, unterstreicht Bezuneh. Mit diesem “Wandel durch Han­ del” ist Äthiopien auf dem Weg zu einem Land mit niedrigem mittlerem Einkommen, das süd­ lich der Sahara als erstes die UN-Ziele für nachhaltige Ent­ wicklung und Beseitigung der Armut bis 2030 erreichen dürfte. Die Armutsrate sinkt seit dem Jahr 2000 von 44 auf 21 Prozent im Jahr 2018. “Schätzungsweise entkommen vier Äthiopier je­ de Minute der Armut. Gründe hierfür sind u. a. anhaltendes Wachstum und höhere Wert­ schöpfung in der Landwirtschaft sowie beim Dienstleistungs- und Baugewerbe. Gegenwärtig trägt der Dienstleistungssektor 43,6 Prozent zum BIP bei, die Land­ wirtschaft 34,8 und die Industrie rund 23 Prozent. Die Infrastruk­ turen bei Straßen, Eisenbahnen, Flughäfen, Telekommunikation, Strom- und Trinkwasserversor­ gung haben sich deutlich ver­ bessert, alle Kinder können die Grundschule besuchen und 98 Prozent meiner Landsleute im Krankheitsfall versorgt werden”, berichtet die Botschafterin stolz. Entscheidend für den Auf­ schwung ist, dass Premier Ah-

Zugänge zum Weltmarkt und Arbeitsplätze. Die Ägypter selbst wissen, dass der Damm mehr denn je auch vorteilhaft für sie ist”, fasst Bezuneh die Argumente zusammen. Was in Kairo anders gesehen wird. Dort schürt das Stauwerk die Angst, vom Wasser abge­ schnitten am Ende auf dem Tro­ ckenen zu sitzen, wenn es Addis Abeba so gefällt. Südafrika, das derzeit den Vorsitz der Afrikani­ schen Union innehat, will vermit­ teln – doch derzeit regnet es in Äthiopien und die Stauung hat begonnen: Wasser halt, auch wenn Ägypten schäumt! “Das Wasser des Nils ist eine grenzüberschreitende Ressour­ ce und wir glauben fest an ei­ ne gerechte und angemessene Nutzung, ohne nennenswerten Schaden zu verursachen, an die Zusammenarbeit mit unseren Anrainern Ägypten und Sudan. So könnte eine Win-win-Situ­ ation daraus werden”, so die Chefdiplomatin.

Eigener Anspruch Als Mulu Solomon Bezuneh Ende April nach Berlin kommt, will sie die diplomatische Mission, kre­ ativer und besser zu repräsen­ tieren, Abläufe zu überprüfen, Teamarbeit in der Botschaft wei­ ter aufzubauen, gestalten und die Mitarbeiter motivieren. Da fügte es sich ganz gut, dass das staat­ liche äthiopische Haushaltsjahr Anfang Juli endete und es ihr so leichter möglich war, neue Ak­ tivitäten, Pläne und Programme genehmigt zu bekommen und umzusetzen – allen Beteiligten war geholfen. “Schwieriger war es für mich Vertritt seit über einem Jahr die Interessen der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien in Deutschland: Ihre Exzellenz, Botschafterin Mulu Solomon Bezuneh. Fotos: BS/Dombrowsky zunächst, in Berlin die richti­ gen Leute im Bund und in den Der “Great-Ethiopian-Renais­ Ländern zu finden, da es nicht sance-Dam” ist ein Staudamm üblich ist, höhere Regierungs­ der Superlative, ein Jahrhun­ beamte vor der Akkreditierung Buticha – Kichererbsen-Spezialität, ähnlich Hummus dertbauwerk: nicht gekleckert, “offiziell” zu treffen”, berichtet Salz in einer Schüssel zu einer Paste verrühren. sondern geklotzt! Bis zu 155 sie. “Nach meiner diplomatischen Zutaten: Paste in den Topf geben und einige Minuten 3 EL Kichererbsen-Mehl, 1/2 Zwiebel, 1/2 TL KurMeter hoch durchschneidet sei­ Beglaubigung am 11. Juni 2019 kuma, 1 Prise Salz, 1/2 TL gemahlener Kardamom, unterrühren, dann Kardamom hinzugeben, und anne Mauer kilometerweit das Tal ging alles wie von selbst und ich 1/12 l Wasser, 1/8 l Wasser, 1 frische, scharfe Pepe- dicken lassen. Einen flachen Teller “einölen” und des Blauen Nils. Sein Reservoir konnte dabei mein Bestes geben, Buticha darauf stürzen und flach wie einen dicken roni (rot oder grün), 1/2 EL Oliven- oder Sonnensoll dreimal so groß werden wie was von einer Botschafterin oder Pizzaboden drücken. Die Paste für ca. 5 Minuten blumenöl. der Bodensee. Und die Kraft des einem Botschafter auch erwartet in den Kühlschrank stellen, bis sie fest ist, herausWassers dann sogar Ägypten werden darf. Im Übrigen ist mei­ nehmen, in Stücke schneiden, mit Öl vermengen Zubereitung: und Sudan mit “grünem” Strom ne neue Arbeit meiner früheren und mit gehackter Peperoni garnieren. Zwiebel schälen und fein hacken. 1/8 l Wasser, nicht unähnlich. Denn es geht versorgen. Buticha kann mit “Injera” (Fladenbrot) oder als gehackte Zwiebel und Kurkuma in einen erhitzten “GERD hat allererste Priori­ dabei auch um politische, wirt­ Sandwich serviert werden und schmeckt auch Topf geben hinzufügen und anbraten. Inzwischen tät zur Sicherung der eigenen schaftliche und geschäftliche zwischendurch als Snack hervorragend. 3 EL Kichererbsen-Mehl, 1/12 l kaltes Wasser und Energie-, Wasser- und Exis­ Diplomatie, an der ich als frü­ tenzbedürfnisse unserer Men­ here Leiterin der äthiopischen schen, um aus der extremen Wirtschaftsgemeinschaft durch med im Juli vor zwei Jahren mit nen attraktiven Markt mit weit Landwirtschaft und Wasserkraf­ Armut he­rauszukommen. 65 den Dialog zwischen Regierung dem “Erzfeind” Eritrea, mit dem über 100 Millionen Menschen terzeugung tätig. Daneben bieten Millionen von ihnen haben kei­ und Privatsektor für Wahlent­ man sich von 1998 bis 2000 für alle, die in Lederprodukte, wir weitere Investitionsanreize nen Zugang zu Elektrizität und scheidungen sehr stark beteiligt bekriegt hat, Frieden schließt. Textilien, Bekleidung, Garten­ wie niedrige Einkommenssteu­ holen ihr Feuerholz oft von weit war. Als erste Präsidentin der Seit September 2018 sind die bau, Landwirtschaft, Bauwesen, ern, Steuerbefreiungen und zoll­ her, was Gesundheits- und Um­ äthiopischen Handelskammer Grenzen wieder offen. Menschen, Pharmazeutika, Tourismus oder freie Privilegien für den Import weltprobleme zeitigt. Wir haben und Branchenverbände sowie die sich seit Jahrzehnten nicht Energie investieren möchten. von Maschinen und Geräten”, kaum Grund- oder Meerwasser Vizepräsidentin der pan-afrika­ gesehen haben und Familien, die Die im ganzen Land mit ver­ erläutert Bezuneh. wie Ägypten und wegen des Kli­ nischen Industrie- und Handels­ getrennt waren, weil zehntausen­ schiedenen Spezialisierungen mawandels bleibt der Regen oft kammer nahm ich an verschie­ de junge Frauen und Männer aus errichteten Industrieparks bieten GERD: Projekt der aus. Infolge dessen sind etwa denen hochrangigen Konferenzen Superlative dem “Nordkorea Afrikas” nach “One-Stop-Service” und “Plugacht Millionen Menschen ständig teil und organisierte Ausstellun­ Äthiopien fliehen, sind wieder and-Play-Optionen” an. Äthiopiens Weg geht insbeson­ von Hunger bedroht und auf gen und Veranstaltungen für “Zudem gibt es Kooperationen dere in Richtung Erneuerbare humanitäre Nothilfe angewiesen. Investoren und Geschäftsleute vereint. Wie nach dem Mauerfall am 9. November 1989 bei uns ist in der IT-Branche, bei Start-ups Energien aus Wasser, Geother­ Die Nutzung des Staudamms aus aller Welt. Darüber hinaus etwas gleichsam Unvorstellbares und in kleinen und mittleren mie und Sonne mit dem Ziel, ist für die Artmutsbekämpfung, ist mir mein derzeitiger Job von Unternehmen (KMU). Die meis­ bis 2025 ein Leichtindustrie- die regionale Integration, den meinen Tätigkeiten an Universi­ geschehen. Das “Wunder von Addis” bringt ten deutschen Investoren sind Zentrum zu errichten und diese Frieden und die wirtschaftliche täten her und bei internationalen Ahmed den Friedensnobelpreis im Moment in den Bereichen Stromerzeugung entsprechend und industrielle Entwicklung des und nationalen Verbänden und Landes unabdingbar. Er schafft Organisationen vertraut.” 2019 ein und für Europa ei­ Textil, Bekleidung, Pharmazie, auszubauen – mit GERD. Botschafterin Mulu Solomon Bezuneh ist “angekommen” in diesem unserem Lande und möchte, wenn das möglich wä­ re, allenfalls mit Gott für einen Tag tauschen. Und weil diese Möglichkeit wohl nicht besteht, “bleibe ich – ich selbst, weil mit niemandem sonst als mit Gott möchte ich tauschen.”

Rezept der Botschafterin

Dank an Deutschland

Ziert das Treppenhaus der Botschaft: ein Gemälde des Künstlers Afework Mekin mit dem Titel: “Vielfalt der Natur und kultureller Reichtum Äthiopisches Kunsthandwerk: ein Stuhl von einem unÄthiopiens”. bekannten Künstler

“Als letztes bedanke ich mich bei der deutschen Regierung für die wertvolle Unterstützung der äthiopischen Reform- und Covid19-Präventionsbemühungen. Ich wünsche mir, dass die Welt bald aus dieser “Bewährungszeit” he­ rausfindet und als Mensch “eins” ist und dass das Virus uns als gleich behandelt. Das Universum ist für uns alle genug, lassen sie uns für das Universum genug sein. Bleiben sie gesund.”


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2020

In festen Händen

KNAPP Einbrüche bei Gewerbesteuer

Rekommunalisierungen im Trend

(BS/kh) Die Corona-Krise führt

(BS/Katarina Heidrich) Nach dem jahrelangen Trend zur Privatisierung im Öffentlichen Dienst geht die Tendenz wieder zurück in kommunale Hände. Zwischen 2000 und 2019 wurden in zu einem historischen Einbruch 58 Ländern weltweit mehr als 1.400 erfolgreiche Fälle von Rekommunalisierungen gezählt. Besonders Deutschland mit 411 Fällen führt dabei die Spitze an. Die Gründe sind vielfältig, bei der Gewerbesteuer – der laufen am Ende aber alle auf die Resilienz und damit die Zukunftsfähigkeit des Staates hinaus. Die Aufgabenübertragung auf Private ist aber nicht per se von Nachteil. wichtigsten Einnahmequelle der In Ostholstein lief seit anderthalb Jahren ein Verkaufsprozess der dortigen Sana Kliniken Ostholstein an den Schweizer Krankenhauskonzern Ameos. Den Plänen hatte das Bundeskartellamt im April 2019 aus wettbewerbsrechtlichen Gründen widersprochen. Daraufhin wurden die Planungen immer wieder angepasst. Ohne Erfolg, die Sana Kliniken AG ist nun vom Verkauf zurückgetreten. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) Nord begrüßt die Entscheidung.“Das ist eine gute Nachricht für die Beschäftigten von Sana in Ostholstein”, so Christian Wölm vom Verdi-Landesfachbereich Gesundheit und Soziales. “Alle haben in diesen besonderen Zeiten nun wieder eine gewisse Sicherheit.” Aber wie geht es jetzt weiter mit den Kliniken? Nach dem Willen von Verdi Nord und der SPD Ostholstein in öffentlicher Hand. Sie fordern von Anfang an umfangreiche Sicherungsvereinbarungen für die Beschäftigten und die Rekommunalisierung der Krankenhäuser. “Es gilt nach wie vor: Beschäftigte in Krankenhäusern, wie alle Beschäftigen in der Daseinsvorsorge, dürfen nicht zum Spielball von Konzerninteressen sowie Markt und Rendite werden”, fordert Wölm. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich die Wichtigkeit eines starken öffentlichen Sektors. Die Corona-Krise führt wie kaum eine andere vor Augen, was umfangreiche Privatisierungen zur Folge haben können. Der Sparkurs, der in vielen europäischen Ländern nach der Finanzkrise 2008 etwa im Gesundheitssystem gefahren wurde, hat sich in den letzten paar Monaten gerade in Italien, Spanien und Griechenland negativ entladen. Vice versa stehen Länder wie

Lange Zeit wurden viele staatliche Dienstleistungen privatisiert, nun taucht die öffentliche Hand wieder auf, um diese zurückzugewinnen. Foto: BS/Momentmal, pixabay.com

Deutschland oder Österreich im Vergleich gut da. Aber auch hierzulande wurde und wird gerade im Gesundheitswesen viel privatisiert, Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft werden weniger. In der jetzigen Krise konnten aber kurzfristig Gelder bereitgestellt werden, um die notwendige Ausrüstung aufzustocken. Wie vorausschauend das ist, wird sich erst in Zukunft zeigen.

Deutschland rekommunalisiert Die Studie “The future is public” vom Transnational Institute (TNI) untersucht weltweit Rekommunalisierungen der letzten 20 Jahre. Mehr als 2.400 Städte haben in diesem Zeitraum Dienstleistungen zurück in die öffentliche Hand geholt. In Europa konnten dabei mehr als 900 Rekommunalisierungen in über 20 Ländern aufgezeigt

werden. Besonders viele Fälle sind dabei in Deutschland (411) verzeichnet. Gefolgt von Frankreich (156), Spanien (119) und Großbritannien (110). Außerhalb Europas führen die USA mit 230 Fällen. Analysiert wurden auch die Bereiche, in denen rekommunalisiert wurde. An erster Stelle standen dabei die Energieversorgung (374 Fälle) und der Wassersektor (311 Fälle). Darüber hinaus der Bereich der Telekommunikation (192 Fälle), der Gesundheitsversorgung und sozialen Dienstleistungen (138 Fälle), der Müllentsorgung (85), des öffentlichen Verkehrs (47 Fälle) und des Bildungswesens (38). Weitere 223 Rekommunalisierungen fielen auf Dienste, die im allgemeinen Aufgabenbereich der Gemeinden stehen, wie zum Beispiel Essensversorgung in Kindergarten und Schule, Wohnprojekte, Sicherheitsdienste oder

auch kulturelle Leistungen. Die Gründe dafür, privatisierte Unternehmen zurück in Gemeindebesitz und -verwaltung zu überführen, waren sehr vielfältig. Vor allem negative Erfahrungen mit Privatisierungen wurden aber als ausschlaggebend angegeben. Geringere Investitionen in die Infrastruktur, schlechtere Arbeitsbedingungen, höhere Kosten für die Verbraucher, aber auch Kontrollverlust waren demnach häufige Begleiterscheinungen. Mit den Rekommunalisierungen öffentlicher Dienstleistungen sollen die politische Handlungsfähigkeit sowie die demokratische Kontrolle und die Einflussmöglichkeiten der Städte und Gemeinden zurückgewonnen werden, heißt es in der Studie. Bei der Stadtwerke Frankfurt Holding (SWFH) spricht man vom “Servicegedanken”. Obwohl mit einem deutlich eingetrübtem Bilanz-Ergebnis 2020 durch die

Corona-Krise gerechnet werde, werde der Konzern ohne Entlassungen auskommen, berichtet Thomas Wissgott, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor des SWFH. Außerdem werde sein Unternehmen Wert auf weitere Rekommunalisierungen legen, um so zu weiteren Einsparungen zu kommen. Gerade im Bereich der Energieversorgung sticht Deutschland heraus. Von den 374 Rekommunalisierungen weltweit in diesem Sektor gingen insgesamt 305 auf das hiesige Konto. Im Vergleich: In der Abfallwirtschaft gab es lediglich 13 Fälle (mehr zum Wettbewerb in der Entsorgungswirtschaft auf Seite 15). Die Daseinsvorsorge als Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung ist auf den ersten Blick am besten in der öffentlichen Hand aufgehoben. Andererseits gibt es genügend Beispiele, in denen sich finanziell angeschlagene Städte und Gemeinden aus Kostengründen daraus zurückziehen und das Feld den Privaten überlassen. Was Vorteile bietet, denn diese sind per se zum wirtschaftlichen Handeln “gezwungen” und verfügen als spezialisierte Unternehmen über mehr Know-how und Personal als jede Kommunalverwaltung für eine bestimmte Aufgabe aufbringen könnte. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Verantwortung für die Erbringung der Daseisnvorsorge trotzdem weiterhin in der Kommune liegt. Bei jeder Privatisierung muss also die Verantwortungsverteilung auch im Sinne des wirtschaftlichen Risikos genaustens geregelt werden. Das geht problemlos über Verträge - etwas, das in der Vergangenheit zu kurz kam. Lieber privatisierte Dienstleistungen als den kommunalen Bankrott wie einst in Detroit.

Kommunen. Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, Verena Göppert, spricht von einem “katas­t rophalen Einbruch”. Während im ersten Halbjahr das Gewerbesteueraufkommen insgesamt um etwa 28 Prozent gesunken sei, sei es im zweiten Quartal auf die Hälfte des Vorjahresniveaus zusammengeschrumpft. Sie mahnt an, dass die Kommunen auch über das Jahr 2020 hinaus Unterstützung von Bund und Ländern brauchen werden. Zudem müsste bei der Verteilung der Mittel darauf geachtet werden, dass die tatsächlichen Gewerbesteuerausfälle ausgeglichen würden. “Durchschnittsbeträge helfen nicht, um die Kommunalhaushalte sicher zu planen”, so Göppert.

KlimaschutzKonjunkturpaket

(BS/kh) Im Zuge des CoronaKonjunkturpakets der Bundesregierung stellt das Bundesumweltministerium (BMU) den Kommunen zusätzlich 100 Millionen Euro für Klimaschutz zur Verfügung. Die zusätzlichen Fördergelder können seit dem 1. August 2020 abgerufen werden. Finanzschwache Kommunen können unter bestimmten Voraussetzungen eine Vollfinanzierung ihrer Klimaschutzmaßnahmen erhalten. Zudem wird der Kreis der Kommunen, die Gelder beantragen können, erweitert. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth betont: “Die CoronaKrise darf den Klimaschutz nicht ausbremsen. Wir wollen verhindern, dass notwendige Zukunftsinvestitionen vor Ort aufgrund knapper Kassen nicht getätigt werden. Jetzt gilt es, die Zukunft sozial und ökologisch zu gestalten.”

Fotos: Toby Giessen, Behörden Spiegel;

Neue Mobilität

Strategien für Kommunen und öffentliche Fuhrparks 7. Oktober 2020, Stuttgart

Top-Referenten:

THEMEN DER KONFERENZ, u. a.:

► Moderne Mobilitätskonzepte für die Kommunen ► Elektromobilität in BaWü

► Nachhaltige Mobilitätsstrategien und klimafreundliche Verkehrsentwicklung Michael Schramek Vorstandsmitglied Netzwerk intelligente Mobilität e. V., Fachlicher Leiter der Tagung Eine Veranstaltung des

Michael Hagel Koordinierungsstelle Elektromobilität, Landeshauptstadt Stuttgart

Christoph Erdmenger Abteilungsleiter Nachhaltige Mobilität, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg

► Flächendeckende Infrastrukturen für Elektromobilität ► E-Busse: viel Potenzial für deutsche Innenstädte

► Intermodalität: ÖPNV und Individualverkehr integrieren

www.kommunale-mobilitaet.de


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / August 2020

Sosnowski

Seite 14

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Vier Fragen – vier Antworten mit Octavian Ursu, Oberbürgermeister von Görlitz

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Stadt der Zukunft

ehörden Spiegel: Görlitz hat das Projekt “Stadt auf Probe – Wohnen und Arbeiten in Görlitz” ins Leben gerufen, das Zuzüglern in spe die Stadt schmackhaft machen soll. Worum geht es dabei genau?

Wie sich Görlitz attraktiv für Zuzügler und Investoren aufstellt

(BS) Görlitz war lange Zeit eine schrumpfende Stadt an der Grenze zu Polen. Seit einigen Jahren ist die Entwicklung aber stabil und somit entgegengesetzt dem Trend in der umliegenden Region – und entgegen allen früheren Prognosen. Wie das die sächsische Europastadt schafft, erklärt Ursu: Generell geht es darum, Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellte Katarina Heidrich.

durch ein Probewohnen unsere Stadt als Lebensstandort mit den hohen Wohnqualitäten sowie die Stadt als Arbeits- und Wirtschaftsstandort besser kennenzulernen. Wir möchten natürlich neue Bürgerinnen und Bürger für die Stadt gewinnen und zeigen, dass auch wir als etwas kleinere Stadt durchaus attraktiv sind. Mit unserer Infrastruktur und der hohen Lebensqualität bieten wir eine schöne Alternative auch für diejenigen, die aus den Großstädten kommen. Elemente der Digitalisierung mit ihren standortungebundenen Arbeitsmöglichkeiten sowie Elemente der Kreativwirtschaft kommen uns zugute. Entgegen den Prognosen noch vor zehn Jahren konnten wir das Schrumpfen der Bevölkerungszahlen aufhalten. Wir verzeichnen selbst aus dem benachbarten Polen Zuzug. Mittlerweile wohnen 4.000 polnische Bürger in Görlitz. Das Projekt soll weiter zu dieser Entwicklung beitragen. Dazu hat die Stadt drei

Probewohnungen kostenfrei zur Verfügung gestellt, für Aufenthalte von jeweils vier Wochen. Die aktive Projektphase lief von Januar 2019 bis März 2020. Eigentlich war es bis Juni angedacht, aber aufgrund von Corona musste es vorzeitig beendet werden. Die Zielgruppe waren junge Erwerbstätige und Standortgebundene, auch mit Familie. Also diejenigen, die am Ende auch hier in der Stadt arbeiten wollen. Insgesamt haben 62 Personen aus 41 Haushalten teilgenommen, darunter fünf Familien mit insgesamt sieben Kindern. Behörden Spiegel: Hat die Kommune das Projekt komplett selbstständig realisiert oder gab es begleitende Unterstützung? Ursu: Gefördert wurde es im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik des Bundesinnenministeriums. Die Umsetzung wurde vom Leibniz-Institut für

ZEHN GEBOTE FÜR KOMMUNEN Der öffentliche Sektor ist zu einem freien Markt geworden. Altes Denken ist da wenig hilfreich. Die Kommunen haben es inzwischen mit Kunden und nicht mehr mit Einwohnern zu tun. Es geht um Zielgruppen und Erlöse. Schrumpfen diese, hat das weitreichende Folgen – und das vor dem Hintergrund angespannter Haushalte, steigender Verwaltungsaufgaben und vo­ ranschreitender Digitalisierung. Zehn Gebote liefern Lösungsansätze für Kommunen. Gebot 5: Wir müssen über Kunden sprechen – denn die Kommune hat Kunden Eine Kommune hat nur Kunden und keine Bittsteller! Bürger, Unternehmen, Investoren und Touristen sind keine “Antragsnummern”, die nur Arbeit machen. Sie sind lebendiger Teil von Kommunen und machen das Leben in Städten und Gemeinden aus. Ohne sie gäbe es keine Kommune. Darüber hinaus sind sie Steuerzahler – also Ihr Gehaltsgeber – und der Bürger ist der Souverän, der am Wahltag seine Stimme abgibt. Ohne Kunden hätte kein Unternehmen eine Marktberechtigung. Daher bemüht sich die Wirtschaft um ihre Kundschaft durch Services und Leistungen, die sie schnell, zuverlässig und qualitätsbewusst erbringt. Warum sollte also ein Kunde das nicht ebenfalls von seiner Stadt oder Gemeinde erwarten können? Dabei ist hier zunächst genauso zu klären, wie “mein” Kunde aussieht. Die Bandbreite reicht von Hundebesitzern über Bauherren eines Eigenheims, Autofahrer, den Schützenverein, die Musikkapelle, Handwerker, Lebensmittelhändler und Investmentfonds bis hin zu einem Konzern wie einer Handelskette oder einem Energieversorger. Ihnen allen stehen die vom Gesetz garantierten Leistungen zu. Darüber hinaus haben alle un-

ökologische Raumentwicklung übernommen, vertreten durch das Interdisziplinäre Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS) in Görlitz, welches auch die wissenschaftliche Begleitforschung durchgeführt hat. Die Erkenntnisse aus dem Projekt befinden sich jetzt in der Auswertung und erste Ergebnisse sind im Herbst 2020 zu erwarten. Aber ich kann schon verraten, dass sich knapp die Hälfte der Teilnehmenden vorstellen kann, nach Görlitz zu ziehen und einige planen, ihren Zweitwohnsitz hierher zu verlegen. Vier Haushalte sind zwischenzeitlich bereits in die Stadt gezogen. Die Erkenntnisse aus Befragungen der Teilnehmenden werden auch in die zukünftige Stadtplanung einfließen. Weitere Projektpartner waren die städtische Wirtschaftsförderung und unsere kommunale Wohnungsbaugesellschaft, KommWohnen GmbH. Behörden Spiegel: Hat die Stadt noch weitere Angebote in petto, um sich gegenüber potenziellen Bewohnern attraktiv zu präsentieren? Oder auch als Arbeitgeber? Ursu: Wir wollen insgesamt dem demografischen Wandel hier in der

Region etwas entgegensetzen. In den letzten Jahrzehnten hat Görlitz vor allem um ältere Bewohner geworben. Nun wollen wir auch für junge Leute und junge Familien etwas anbieten und Arbeitsplätze schaffen, die zukunftsgerichtet sind. In diese Richtung tun wir viel, um die Stadt zu verjüngen. Seit acht Jahren haben wir ein breites Konzept zur Bürgerbeteiligung, mit dem wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben. So gibt es etwa Bürgerräte in jedem Stadtteil. Außerdem überlegen sich unsere städtischen Gesellschaften immer wieder neue Angebote, um neue Einwohner zu gewinnen. Die KommWohnen überlässt zum Beispiel im Rahmen eines Willkommenspakets allen Neuzugezogenen in Görlitz bei Abschluss eines Mietvertrags über mindestens 18 Monate zwei Kaltmieten und sponsert darüber hinaus in der Umzugsphase zwei Übernachtungen für zwei Personen in der “Villa Ephraim”. Die Stadtwerke Görlitz geben eine Gutschrift über einen durchschnittlichen Monatsverbrauch für Strom und dazu einen 20-Euro-Gutschein für das Restaurant “Vierradenmühle”. Und die Görlitzer Verkehrsbetriebe gewähren drei Monate freie Fahrt mit Bus und Bahn, wenn man ein

Jahresabo abschließt. Im vergangenen Durchgang haben allein unter den KommWohnen-Mietern 138 Zugezogene das Paket genutzt. Und auch als Arbeitgeber zeigen wir als Stadt immer unsere Vorteile auf. Etwa dass wir tarifgebunden sind und eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen wollen. Das Thema Homeoffice heben wir hervor. Da sind wir gerade dabei, eine Dienstvereinbarung vorzubereiten. Denn wir denken, dass wir dadurch gerade auch für junge Frauen noch attraktiver sind als Arbeitgeber. Zudem haben wir viele Fortbildungsmöglichkeiten und Angebote zur Gesundheitsförderung. Behörden Spiegel: Die Einwohner sind das eine. Wie sieht es mit der Gewinnung von Investoren und der Gewerbeansiedlung aus? Ursu: Görlitz setzt auf Zukunftstechnologien und auf den generellen Ausbau der Forschungslandschaft. Beispielsweise soll die Wasserstoffforschung hier angesiedelt werden. Unsere Wirtschaftsförderung unterstützt Investoren dabei, sich zurechtzufinden bei allen Behörden und mit den entsprechenden Unterlagen. Branchennetzwerke werden intensiv

gepflegt und in Zukunftsprojekte investiert. Ich habe zum Beispiel das Projekt “Europastadt Görlitz/Zgorzelec 2030 – Stadt der Zukunft” ins Leben gerufen, bei dem moderne Technologien zur Energieeinsparung und Digitalisierung zum Einsatz kommen sollen. Unter dem Titel sind viele verschiedene Themen wie etwa die klimaneutrale Stadt zusammengefasst, aber auch ganz konkrete Wirtschaftsprojekte. Gemeinsam mit der polnischen Seite werden wir etwa eine klimaneutrale Wärmeversorgung installieren. Gerade die grenzüberschreitenden Projekte machen uns auch wieder attraktiv. Wir haben zudem eine sogenannte “Brexit-Kampagne” gestartet, um polnische Arbeitnehmer aus Großbritannien, die sich wieder in Richtung Festland begeben, zu gewinnen. Sie können entweder in Görlitz arbeiten und in Polen wohnen oder andersherum. Seit mittlerweile 20 Jahren haben wir einen Kooperationsvertrag mit der polnischen Seite. Mehrmals im Jahr halten wir zum Beispiel gemeinsame Stadtratssitzungen ab, wir erstellen gemeinsame Stadtentwicklungspläne und beantragen gemeinsam EU-Fördermittel. Damit bauen wir auf beiden Seiten der Neiße. All diese Vorteile versuchen wir auszuspielen. Mein allgemeiner Rat: Man muss als Kommune seine Alleinstellungsmerkmale hervorheben. Und, davon bin ich überzeugt, wichtige Zukunftsideen entwickeln. Anstatt weiter an alten Industriezweigen zu hängen, sollte man sich auf Zukunftsthemen- und technologien fokussieren.

Menschen, Themen, Argumente Dominic Multerer ist Marketingexperte und Gründer des Instituts für Wachstumschancen und Innovation (IWCI). Foto: BS/privat

terschiedliche Wünsche und Bedürfnisse. Die Kommune muss lernen, eine Kundenbrille aufzusetzen, um ihre Kundschaft entsprechend bedienen zu können. Ein Blick auf das eigene Konsumverhalten hilft. Auch hier spielt die Digitalisierung eine Rolle. Welche Dienstleistungen bieten z. B. der Online-Handel oder das Online-Banking? Es gibt einen 24-Stunden-Service, man kann durch Chat oder Video Fragen stellen, die wichtigsten Informationen werden anhand eines benutzerfreundlichen Katalogs zusammengestellt, computergestützte Hotlines navigieren zur Informationsquelle, die man braucht, und es gibt Apps, die Buchungen ermöglichen. Das alles wird im privaten Bereich wie selbstverständlich genutzt. Kommunen können sich daran orientieren und ebenfalls viele Dienstleistungen so anbieten. Neben dem Verständnis, was ein Kunde ist, sind aber kommunalintern die politischen, finanziellen, rechtlichen und technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Eine Aufgabe, die alle am Verwaltungsprozess beteiligten Personen betrifft – ohne Ausnahme! Mehr zu den zehn Geboten für Kommunen, mit denen Städte und Gemeinden die Zukunft als Chance nutzen können, unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “10 Gebote”.

Worauf es bei einem erfolgreichen Wahlkampf ankommt (BS/Philipp Wesemann) Der Wahlkampf ist in unserer Gesellschaft der fokussierte Gipfel der Demokratie. Parteien werben mit Themen, Konzepten und Personen um Mehrheiten. Bürgerinnen und Bürger sollen die Zeit für die Meinungsbildung nutzen und mitbestimmen, wie sich ihre Stadt, ihr Bundesland oder die Bundesrepublik entwickeln sollen. Für die zu wählenden Akteure sind vier Punkte für den Erfolg entscheidend. Bei jeder Wahl geht es um Personen. Sie stellen sich dem Wahlkampf direkt und vertreten ihre Parteien oder eine politische Richtung. Sie engagieren sich für ihre Themen und möchten die Stimme der Bürgerinnen und Bürger im Parlament, Gemeinderat oder in einem Rathaus werden. Daher kommt die Aussage: “Seine Stimme abgeben”. Personen, die sich zur Wahl stellen, müssen sich gut vorbereiten, thematische Schwerpunkte setzen und einen langen Atem haben. Aber: Immer mehr achten Bürger auf die Personen selbst als auf deren politische Inhalte. Besonders ausgeprägt ist dies bei Wahlen auf der kommunalen Ebene. Hier werden Köpfe gewählt – und weniger die Themen. Die kandidierende Person ist somit der Dreh- und Angelpunkt in einem Wahlkampf – erster Punkt. Sie muss sich auf die Wahlkampfzeit und die Zeit danach vorbereiten und sich auch selbst sehr gut kennen. Dafür sollte zu Beginn eine Stärken-Schwächen-Analyse durchgeführt werden. Schon die Familie oder andere Nahestehende können dies mit einfachen Mitteln durchführen, auch die Begleitung von professionellen Wahlkampfberatungen ist hilfreich. Die Wahlkampfstrategie und die Kampagne sollten so geschmiedet werden, dass die Themen zur Persönlichkeit der oder des Kandidierenden passen. Aus der Analyse kann man wichtige Hinweise für Slogan, Themen und Aktionen entwickeln. Da ein Wahlkampf auch “dreckig” werden kann, sollten

Das Team

auch “schwierige Fragen” bereits vor dem aktiven Wahlkampf beleuchtet und eine Strategie für die Abmilderung von Angriffen entwickelt werden.

Zielgruppen Müssen Kandidierende alle Bürgerinnen und Bürger ansprechen? Nein. Das ist kaum machbar. Gerade im Wahlkampf können sie sich nicht auf alle konzentrieren. Stattdessen müssen, zweiter Punkt, Zielgruppen gefunden und verstanden werden. Dazu können etwa Methoden aus der Unternehmensgründung angewendet werden, wie ein “Business Model Canvas”, entwickelt vom Schweizer Unternehmer Alexander Osterwalder. Das wirkt auf den ersten Blick skurril, ist es aber nicht. Wahlkampf ist in diesem Fall Marketing. Auf einem Blatt können komplexe Zusammenhänge, Unterstützungen und Ressourcen aufgelistet werden. Im Grunde ist dies die beste Vorbereitung für eine komplette Wahlkampfstrategie. Eine weitere Methode ist die “Persona”. Hierbei stellen sich Kandidierende eine Person ihrer Zielgruppe genau vor und lernen, sie zu verstehen. Gestellt werden Frage wie: “Welchen Beruf hat diese Person meiner Zielgruppe?” oder “Welcher Fernsehsender wird geschaut?” Natürlich können mehrere Personas anfertigt werden, damit die Zielgruppe greifbar wird.

Politische Mitbewerber Oft beobachten Kandidierende den politischen Gegner oder die

Philipp Wesemann ist Politik- und Verwaltungsberater. Foto: BS/privat

Gegnerin. Viel Zeit wird damit verbracht, zu analysieren, was er oder sie macht. Natürlich sollten die Mitbewerbenden im Auge behalten werden, das ist der dritte Punkt. Aber eine reine Ausrichtung auf deren Tätigkeiten ist nicht durchhaltbar. Auch sollte von Schlammschlachten abgesehen werden, diese kosten wertvolle Kraft und Zeit und können schnell in die eigene Richtung ausschlagen. Sollte ein Gegenkandidat oder eine Gegenkandidatin gerade das anvisierte Amt bekleiden, sollte erst eine Bilanz der Amtszeit angefertigt werden, um zu verdeutlichen, was man besser machen wird. Eine kandidierende Person, die bereits ein Mandat hat und für eine neue Amtszeit antritt, sollte bei Angriffen der Gegenseite sachlich bleiben. Wenn man mit Schlamm beworfen wird, ist es angebracht, Rückgrat zu zeigen und den Bürgerinnen und Bürgern vor Augen zu führen, wer sich zur Wahl stellt.

Und als vierter Punkt: Wahlkampf ist keine One-WoManShow. Es ist Teamarbeit. Daher sollten sich Kandidierende genau überlegen, wen sie in das Wahkampfteam nehmen. Oft sieht man, dass die Teams aus Personen der örtlichen Parteien bestehen und dabei unnötig Rücksicht auf Personen genommen wird, die vielleicht viel reden, aber kaum etwas umsetzen. Mitglieder eines Wahlkampfteams müssen nach ihren Kompetenzen und Stärken ausgesucht und eingesetzt werden. Beispielsweise eine Person, die gut organisieren kann, eine Person, die gut texten kann und eine Person, die den finanziellen Überblick behält. Die Mitglieder des Teams sollten einen großen Willen zum Gewinnen und natürlich Spaß am Wahlkampf haben. Mit einem begeisterten, stärkenorientierten und kompetenten Team wird der kandidierenden Person der Rücken gestärkt. Mehr zum Thema Wahlen auf Seite 5. Worauf es bei einem erfolgreichen Wahlkampf ankommt, thematisiert der Autor in einer sechsteiligen Webinar-Reihe des Behörden Spiegel in der Zeit vom 02.10. – 20.11.2020. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Wahlkampf”.


Behörden Spiegel / August 2020

Personelles/ Kommunalpolitik

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Bereichsausnahme bei Rettungsdienstleistungen

Wettbewerb nutzt jedem

Zwischen Stärkung örtlicher Rettungsdienste und “closed club”

Kommunale und private Anbieter in der Entsorgungswirtschaft

(BS/Bennet Klawon) Die Rettungsdienstleistungen übernehmen in Deutschland häufig Hilfsorganisationen. Aber auch private Anbieter fassen in diesem Bereich Fuß. Doch versuchen einige Kommunen, durch Bereichs­ ausnahmen bei dem Vergabeverfahren diese auszuschließen. Dies birgt jedoch einiges Konfliktpotenzial.

(BS/Peter Kurth*) Die Abfallwirtschaft gehört zu den Branchen, in denen der Wettbewerb zwischen priva­ ten und staatlichen Unternehmen in den letzten Jahren mit besonderer Intensität ausgetragen und medial begleitet wurde. Dabei geht es weniger um die Fälle, in denen Unternehmen der beiden Lager im direkten Wettbewerb um Kunden werben, als vielmehr um den indirekten Wettbewerb, also um die Frage, ob Kommu­ nalparlamente und Kreistage sich für den einen oder den anderen Weg entscheiden.

Bereichsausnahmen bei Vergabeverfahren von Rettungsdienstleistungen waren vor Gericht schon häufig ein Thema. Foto: BS/Ingo Kramarek, pixabay.com

In der Bundesstadt Bonn gewann das Unternehmen Falck, welches in Deutschland momentan mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an über 60 Standorten tätig ist, 2018 eine europaweite Ausschreibung für Rettungsdienstleistungen. Zu diesem Zeitpunkt war unklar, ob Kommunen Rettungsdienstleistungen direkt und ohne Ausschreibung vergeben dürfen. So erhielt das Unternehmen neben anderen Hilfsorganisationen einen Zuschlag für die Bereitstellung eines Rettungsdienstes an einer städtischen Feuerwache. Der Auftrag für die Rettungsdienstleistungen läuft bis Ende 2022. Die Stadt Bonn sei mit Falck als Leistungserbringer zufrieden und würde in guter Partnerschaft arbeiten, heißt es von Unternehmensseite. Doch schon jetzt kündigte die Stadt Bonn an, bei der nächsten Vergabe eine Bereichsausnahme durchsetzen zu wollen. Die Gründe dafür wurden nicht genannt.

Bereichsausnahme nur für gemeinnützige Orga­ nisationen Der Gesetzgeber in Deutschland sieht bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ein transparentes Vergabeverfahren im Wettbewerb vor. In diesen Verfahren sollen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Doch sieht das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auch Ausnahmen vor. Durch Paragraf 107 Absatz eins Nr. vier können bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen sogenannte Bereichsausnahmen vorgenommen werden. Das Vergaberecht findet keine Anwendung bei “Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden.” Unter gemeinnützige Organisation fallen Hilfsorganisationen, die durch Bundes- oder Landesrecht anerkannt sind. Diese Regelung war schon häufiger Gegenstand von Streitigkeiten vor Gericht. Selbst der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste sich dieses Streitthemas annehmen. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf rief den EuGH in einem Rechtstreit zwischen der Stadt Solingen und dem Unternehmen Falck Rettungsdienste GmbH um Klärung an. Der Gerichtshof in Luxemburg entschied, dass eine Bereichsausnahme für Rettungsdienste möglich ist. Jedoch sieht der EuGH die deutsche Definition von Gemeinnützigkeit bei Hilfsorganisationen kritisch. Eine einfache Anerkennung reiche nicht aus. Zudem dürften diese keine Ge-

winnerzielungsabsicht haben. Als Abgrenzung zur Beförderung von Notfallpatienten fällt unter diese Bereichsausnahme nicht der qualifizierte Krankentransport.

Positive Erfahrung mit aner­ kannten Hilfsorganisationen Der Deutsche Städte und Gemeindebund (DStGB) begrüßte die Entscheidung des EuGH. “Die Notfallrettung ist ein hochsensibles Thema und keine normale Ware. Nur hochqualifizierte Organisationen sollten damit beauftragt werden”, sagte Norbert Portz, Beigeordneter des DStGB. Die Kommunen hätten gute Erfahrungen mit den anerkannten Hilfsorganisationen gemacht. Durch die Vergabe an die lokalen Hilfsorganisationen stärke man außerdem den örtlichen Rettungsdienst sowie den Katastrophenschutz vor Ort. Dennoch sei die Wahrnehmung einer Bereichsausnahme durch eine Kommune kein Muss, stellt Portz klar. “Es muss in jedem Einzelfall in der Kommune selbst entschieden werden, ob die Bereichs­ ausnahme angewendet wird. Wir sind jedoch der Auffassung, dass der Bereich der Gefahrenabwehr, des Katastrophenschutzes und des Rettungsdienstes nicht in

dem Sinne dem Markt überlassen werden sollte, dass die Vergabe zu einem Wettbewerb mit DumpingPreisen führt.” Dabei ist fraglich, ob mit der Entscheidung des EuGH und den Gerichtsurteilen in Deutschland Ruhe in diesem umkämpften Bereich einkehrt. Es bleiben noch einige Felder bei der Vergabe offen. So können gewerbliche Anbieter auch eine Gemeinnützigkeit anstreben. Die Folge-Vergaben von Rettungsdienstleistungen könnten ebenso ein Problem darstellen, wenn schon zuvor ein privater Anbieter eine Leistung erbracht hat. Aber auch die Auswahl unter den mehreren Hilfsorganisationen ist nicht vollständig geklärt. Das Unternehmen Falck kündigte schon an, sich an weiteren Ausschreibungen in Bonn beteiligen zu wollen. “Bei Anwendung der Bereichsausnahme müssen Kommunen neben den Hilfsorganisationen auch andere gemeinnützige Anbieter berücksichtigen. Auf dieser Grundlage haben wir uns entsprechend bereits an verschiedenen Bereichsausnahmeverfahren erfolgreich beteiligt. Der von den Hilfsorganisationen gewünschte “closed club” ist dadurch nicht möglich”, heißt es von Falck.

Interessant ist, dass von den gut 80 Städten in Deutschland, die mehr als 100.000 Einwohner haben, sich bei der Hausmüllsammlung fast alle für die kommunale Aufgabenwahrnehmung entschieden haben, während ein großer Teil der Flächenlandkreise auf Privatunternehmen setzt. Je herausfordernder die Sammlung, desto privater. Noch die 90er-Jahre waren – eventuell auch als eine Folge der Situation nach der Wiedervereinigung – von zahlreichen Privatisierungen geprägt. In den letzten zehn Jahren finden sich hingegen fast nur noch Beispiele einer - etwas beschönigend “Rekommunalisierung” genannten - Verdrängung privater Unternehmer und die Übernahme von deren Aufgaben durch den Staat.

Zwei gesellschaftlich in­ teressante Trends laufen gegeneinander: Zum einen ist zweifellos das Vertrauen in die wirtschaftliche Betätigung durch den Staat im letzten Jahrzehnt gewachsen, zu offensichtlich waren einige Fehlentwicklungen im Privatsektor anderer Branchen. Während die öffentliche Stimmung noch vor einigen Jahren kommunale Unternehmen eher als wenig kunden- und serviceorientiert einschätzte, gelten diese heute als regionalverbundener und eher gemeinwohl- statt ergebnis­ orientiert. Aufwendige Imagekampagnen haben hier wirklich einen guten Job gemacht.

Zum anderen wird sich die Entsorgungswirtschaft als Teil der Kreislaufwirtschaft in Zukunft eher in industriellen Zusammenhängen entwickeln. Die Frage der bloßen Sammlung von Abfällen wird in den Hintergrund treten, wenn es um die Frage geht, wie die Behandlung und Aufbereitung dieser Abfälle eine bestmögliche Kreislaufwirtschaft ermöglicht und verbessert.

Privilegierungen prüfen Wenn sich die Einschätzung festigt, dass Circular Economy den hauptsächlichen Teil des europäischen Green Deals ausmachen wird, wird sich auch die Entsorgungswirtschaft ändern: Bleibt es bei der bisherigen Dominanz des Restmülls, wenn dessen Behandlungsform – die thermische Verwertung – eine erhebliche CO 2-Emission bewirkt? Werden wir es endlich schaffen, dem Restmüll die dort noch vorhandenen Wertstoffströme zu entziehen, wodurch der Restmüll möglicherweise um bis zu 60 Prozent der heutigen Menge reduziert wird? Welche Auswirkungen hat das auf die kommunale Infrastruktur – Logistik und Anlagen – von morgen? Bleibt es bei der umsatzsteuerlichen und sonstigen rechtlichen Privilegierung, wenn sich das Wirkungsfeld kommunaler Unternehmen von der eigenen Kommune löst und sich zunehmend auf andere Landkreise, zum Teil Bundesländer, erstreckt? Oder

muss auch europarechtlich die Privilegierung künftig auf die Unternehmen beschränkt bleiben, die sich tatsächlich alleine auf die eigene Kommune beziehen und sich nicht faktisch überregionalem Wettbewerb stellen? Der Begriff der Daseinsvorsorge wird heute anders zu verstehen sein als vor 80 Jahren. Und auch unsere Branche, die Abfall- und Entsorgungswirtschaft, ändert sich rasant und wird dies weiter tun. Es ist zu erwarten, dass sich damit auch die bisherigen politischen Auseinandersetzungen nicht mehr in der Schärfe stellen wie bisher. Wir stehen heute gemeinsam vor ganz anderen Herausforderungen und niemand wird künftig verstehen, wenn sich Verhandlungen, beispielsweise über die Konditionen der Mitbenutzung der Papiertonne, derartig lange, zäh und intensiv hinziehen. Privilegierungen, vor allem steuerlicher Art, müssen auf den Prüfstand. Dass sie vor etlichen Jahrzehnten sinnvoll schienen, bedeutet angesichts völlig geänderter Rahmenbedingungen nicht allzu viel. Es ist gut, dass Europa hier sensibler zu sein scheint als großkoalitionär geprägte Strukturen in Deutschland. Wettbewerb, vor allem fairer Wettbewerb, nutzt jedem. Den Bürgerinnen und Bürgern am allermeisten. *Peter Kurth ist Geschäftsführender Präsident des BDE Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V.

Bei der Stadt Fulda ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Stelle der Leitung des Bauordnungsamtes (m/w/d) neu zu besetzen. Interessiert? Sofern Sie die geforderten Voraussetzungen erfüllen, freuen wir uns auf Ihre Bewerbung. Auf unserer Internetseite www.fulda.de finden Sie unter der Rubrik „Rathaus & Politik – Arbeiten bei der Stadt Fulda – Stellenausschreibungen“ den vollständigen Ausschreibungstext und einen Link, der Sie direkt auf unser Bewerberportal weiterleitet. Bitte bewerben Sie sich möglichst über unser Online-Bewerbungsverfahren. Die Bewerbungsfrist endet am 23.08.2020. Die gespeicherten Daten werden nach Abschluss des Verfahrens unter Wahrung des Datenschutzes vernichtet.

Magistrat der Stadt Fulda Haupt- und Personalamt Personal- und Organisationsabteilung Schlossstr. 1, 36037 Fulda


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Personelles

Behรถrden Spiegel / August 2020


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Kommunaler Haushalt

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Behörden Spiegel / August 2020

Unterhalb des Brüsseler Radars

Vermehrt Vermittlungsplattformen genutzt

Fördermaßnahmen und beihilfenrechtliche Zwischenstaatlichkeitsklausel

Neue Studie zum kommunalen Zins- und Anlagenmanagement

(BS/Prof. Dr. Joachim Erdmann*) Auch wenn gelegentlich auf dem Höhepunkt der Corona-Krise die Außerachtlassung des EU-Beihilferechts als Teil des Wettbewerbsrechts gefordert wurde, so hat die EU-Kommission in bisher 160 Beschlüssen die Bedeutung der Vorgaben des Europäischen Subventionsrechts nach dem Motto “best value for taxpayers money” betont.

(BS/Prof. Dr. Thomas Lenk und Dr. Oliver Rottmann*) Trotz einer verbesserten kommunalen Haushaltslage in den letzten Jahren scheint sich durch die Corona-Krise die Lage wieder zu verschärfen. Negative Effekte für die Kommunen werden insbesondere aus dem Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen und – in moderaterer Weise – durch geringere gemeindliche Einkommensteuereinnahmen resultieren.

Umso höher ist es zur Entlastung der kommunalen Gebietskörperschaften einzuschätzen, dass die EU-Kommission bereits seit 2015 – festgelegt etwa im Verhaltenskodex für die Durchführung von Beihilfeverfahren – nach dem Grundsatz verfährt, dass es eine Reihe von Beschlüssen gibt, die bestätigen, dass die Mitgliedsstaaten viele kleine Vorhaben ohne Beihilfenkontrolle fördern können, wenn es sich um lokale Vorhaben mit sehr geringen Auswirkungen auf den Binnenmarkt handelt. Dies hat sich in den “7-Zwerge”- (IP der KOM vom 29.04. 2015) und “5-Zwerge”Beschlüssen (IP der KOM vom 21.09.2016) manifestiert, in denen mangels grenzüberschreitender Bedeutung bzw. mangels Handelsbeeinträchtigung bereits tatbestandlich keine Beihilfe angenommen wurde. Fünf dieser Beschlüsse betrafen Fälle in Deutschland, in denen Gebietskörperschaften Fördermaßnahmen unterhalb des europäischen Radars getroffen haben und treffen konnten. Hintergrund dieser Spruchpraxis ist das Motto der Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, “in großen Fragen Grö-

ße und Ehrgeiz zu zeigen und sich in kleinen Fragen zurückzuhalten”. Diese Zielsetzung ist schon deshalb begrüßenswert, weil sie dazu dient, die Verwaltungslast namentlich der Kommunen zu verringern, die Umsetzung von Investitionen zu beschleunigen und sie dazu geeignet ist, die Rechtssicherheit der Beteiligten zu bedienen. Hinzu kommen die generell steigenden Fallzahlen. Erfreulich für die kommunalen Gebietskörperschaften sind die Aussagen in der Bekanntmachung der EU-Kommission zum Beihilfebegriff vom 19.07.2016 – ABl. C 262 Rnrn. 197 (sog. notion of aid) einzuordnen, wonach etwa etliche Sport- und Freizeiteinrichtungen, kulturelle Veranstaltungen, singuläre Krankenhäuser, Informations- und Netzwerkplattformen mit sozialen Zwecken sowie kleinere kommunale Infrastrukturmaßnahmen nicht beihilferelevant sind. Dogmatisch lassen sich die bloß lokal wirkenden öffentlichen Fördermaßnahmen danach zuordnen, dass die Leistungen des unterstützten Unternehmens sich auf einen geografisch begrenzten Markt beschränken bzw. nur eine unbedeutende Nutzung von Ein-

richtungen durch EU-Ausländer mit nur vereinzeltem grenzüberschreitendem Leistungsangebot betreffen. Weitere Stichworte sind fehlende potenzielle Abschottungswirkungen der Finanzhilfen sowie geringer Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. geringe Höhe der öffentlichen Unterstützung. Eine gewisse Bestätigung hat diese kommunalfreundliche Entwicklung durch ein Urteil des Europäischen Gerichts vom 14.05.2019 in der slowenischen Rechtssache “Marinvest und Porting / Kommission” gefunden, in der die Beschwerde eines privaten Hafenbetreibers gegen die günstigere Besteuerung eines öffentlich geförderten kommunalen Hafens mit Blick auf die begrenzten Auswirkungen der Förderung zurückgewiesen wurde. Man wird die weitere Entwicklung namentlich auf der Ebene des EuGH, der bisher – beredt – geschwiegen hat, abwarten und beobachten müssen. *Prof. Dr. Joachim Erdmann ist Vizepräsident des Landesjustizprüfungsamtes Celle und Honorarprofessor an der Universität Osnabrück.

Öffentliche Unternehmen in der Corona-Krise Beihilferechtliche Spielräume und Sonderprogramme (BS/lkm) Die finanzwirtschaftlichen Folgen des Coronavirus treffen in ihren Auswirkungen nicht nur die gewerbliche Wirtschaft, sondern auch Institutionen und Unternehmen der öffentlichen Hand. Das gilt unter anderem für den ÖPNV, ganz besonders für den Kulturbetrieb, Veranstaltungshallen und Flughäfen. Dennoch können öffentliche Unternehmen mitunter nicht so einfach wie die freie Wirtschaft auf finanz“ielle Unterstützung hoffen. so Otter. Um auf Corona“Ein öffentliches Unternehbedingte Finanzschäden men hat wahrscheinlich große Schwierigkeiten – der Kommunen zu reagiewenn auch nur unter extren, hat NRW beschlossen, remen Ausnahmesituatioein Kommunalschutzpaket nen – den Wirtschafts- und zu entwickeln. Dies sieht Stabilisierungsfonds in Anunter anderem vor, den Kommunen 343 Mio. Euspruch zu nehmen”, macht ro nicht verplanter HausDr. Tobias Traupel, vom haltsmittel zur Verfügung Wirtschaftsministerium zu stellen. Laut Otter lassen NRW deutlich. Öffentliche Unternehmen seien jedoch sich aus dem Kommunalinsolvenzfest, so der für Öffentliche Unternehmen haben es mitunter schwer, schutzpaket auch UnterBeihilfenfragen zuständige an Finanzspritzen heranzukommen. stützungsmaßnahmen für Beamte: “Unternehmen der Foto: BS/Sascha Bartz, pixelio.de öffentliche Unternehmen öffentlichen Hand stellen ableiten. systemrelevante LeistunGesellschaften, die VerAuch wenn kein Wettbewerb gen zur Verfügung und verlangen vorliege, liege eine nicht-bei- kehrsinfrastrukturen (Flughäfen, in der Krise, dass sie geschützt hilferelevante Tätigkeit vor. Als Häfen, ÖPNV) besitzen oder bewerden, denn die Bürger erwar- Beispiel nannte Traupel hier die treiben und die sich im Eigentum ten, dass diese Kernleistungen Hausmüllentsorgung und die der öffentlichen Hand befinden, auch in der Krise erfüllt werden.” Wasserversorgung. Diese könn- sowie öffentliche Krankenhäuser Alle wirtschaftlichen Tätigkeiten ten grundsätzlich unbegrenzt sollen über den NRW-Rettungsöffentlicher Unternehmen könn- vom Staat oder den Kommunen schirm Zugang zu Bürgschaften ten grundsätzlich dem Beihil- subventioniert werden, da hier und günstigen Darlehenskonditifeverbot unterfallen. Auch das kein Wettbewerb und somit keine onen unter Ausnutzung des euroDaseinsvorsorgeprivileg schützet Wettbewerbsverzerrung vorliege. parechtlichen Beihilferahmens erlaut Traupel nicht davor. Auf der “Die bisherigen Programme zur halten. “Zu diesem Punkt gibt es anderen Seite gebe es im euro- Stützung der Realwirtschaft fo- aktuell umfangreiche Gespräche päischen Recht kein Subsidiari- kussieren stark auf die privaten und Abstimmungen”, so Otter. tätsprinzip. Der Staat sei nach Unternehmen. Die KommunalDie Institutionen der öffentlieuropäischem Recht nicht daran wirtschaft steht bislang hinten chen – insbesondere auch sogehindert, sich am Wirtschafts- an”, findet auch Rechtsanwalt zialen – Infrastruktur sind von leben zu beteiligen. Jan Philipp Otter. Der Jurist Liquiditätsengpässen infolge der Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten leitet die Praxisgruppe EU-Bei- Corona-Krise betroffen. Für diese öffentlicher Unternehmen seien hilferecht der PwC Legal AG. Zielgruppe gibt es durch die Krehingegen nicht beihilferelevant, Öffentliche Unternehmen und ditanstalt für Wiederaufbau des sie dürften damit staatlich sub- Kommunen könnten immerhin Bundes (KfW) gegenwärtig keine ventioniert werden. Dazu zählten die Standardinstrumente wie Unterstützungsangebote, die eine beispielweise hoheitliche Tätigkei- die Allgemeine Gruppenfreistel- Risikoentlastung der durchleitenten wie die Sicherung und Kont- lungsverordnung, den DAWI- den Hausbank vorsehen. Daher rolle von Flug- und Seeverkehr, Freistellungsbeschluss, den wird die NRW.BANK ein neues Erschließung und Revitalisierung Private Investor-Test und die Förderangebot mit Haftungsentvon Flächen durch öffentliche De-minimis-Regelung nutzen. lastung in Höhe von 80 Prozent Finanzielle Hilfen von Bund für die jeweilige Hausbank für Stellen, Schulunterricht und Kinderbetreuung sowie berufliche und Ländern im Rahmen des deren Betriebsmittelkredite etaErstausbildung, wenn Beiträge Temporary Frameworks hätten blieren. höchstens einen Bruchteil der für Kommunen und öffentliche Ende Juni wurde das Programm operativen Kosten abdeckten. Unternehmen jedoch wenig Re- “Infrastruktur Corona” zur UnAuch Hochschulausbildung, levanz, da nur Unternehmen terstützung öffentlicher und Grundlagenforschung und Wis- begünstig würden, die sich sozialer Infrastrukturen operasenstransfer sowie Kultureinrich- vollständig oder mehrheitlich in tiv geschaltet. Hierzu wird eine tungen fielen darunter, wenn ihr privatem Eigentum befänden. Online-Plattform veröffentlicht Betrieb überwiegend öffentlich Das Land NRW habe aber schon werden, über die die Darlehensangefangen, hier nachzubessern, anträge gestellt werden können. finanziert werde.

Des Weiteren sehen sich Städte und Gemeinden mit zahlreichen bestehenden und neuen finanziellen Herausforderungen konfrontiert: Digitalisierung, Demografie, Erhalt und Neubau von Infrastrukturen sowie beim Zins- und Anlagemanagement. Die Kommunen laufen Gefahr, dass sich das Kreditangebot verknappen könnte, wenn sich im Zuge von Basel IV die Angebotsseite weiter konsolidiert. Im Anlagemanagement steht die Herausforderung des Werterhalts der Anlage bei konstant niedrigen Zinsen im Fokus. Einerseits verlangt die übergeordnete Sorgfaltspflicht im Umgang mit (Steuer-)Geldern von Städten und Gemeinden risikoarme Anlageformen. Andererseits müssen Kommunen eingesetztes Kapital zumindest nominal erhalten. Ein aktives Vermögensmanagement wird damit unabdingbar. Eine Möglichkeit, ein breiteres Angebot zu schaffen, bilden Online-Plattformen. Diese können sowohl als “Vermittlungsplattformen” im Zins- und Schuldenmanagement als auch als “Anlageplattformen” im Anlagemanagement genutzt werden. Auf derartigen Portalen könnten verstärkt auch kommunalnahe Unternehmen in Echtzeit mit institutionellen Kapitalgebern und Banken zusammengebracht werden. Entscheidende Vorteile liegen im direkten Zugang zum Kapital-

markt, einer einfachen Handhabe und einer hohen Transparenz der jeweiligen Transaktionen. Das Kompetenzzentrum für öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. (KOWID) hat 2020 in einer Studie untersucht, mit welchen Herausforderungen sich die kommunalen Einheiten im Zins- sowie Anlagemanagement konfrontiert sehen und welche Ansätze diese verfolgen. Demnach wird der Spielraum liquider Mittel nur von einem Fünftel der Kommunen mittelfristig als hinreichend betrachtet. Ein Fünftel der Kommunen gab an, über künftig keinen finanziellen Spielraum zu verfügen. Bezogen auf die von den Kommunen geplante Aufnahme von Investitionskrediten lässt sich ablesen, dass drei Viertel der befragten Kommunen Kredite in einem größeren Ausmaß als in den vergangenen fünf Jahren aufnehmen wollen. Dabei stellt das Niedrigzinsumfeld Kommunen nicht nur vor Entlastungen: Zwar können einerseits Zinsausgaben eingespart werden, andererseits fallen Zinserträge bei Anlage von Finanzvermögen niedrig aus. Die befragten Kommunen sehen die Auswirkungen zu zwei Dritteln positiv, weil sie mittels der Umschuldung ihrer langfristigen Verbindlichkeiten eine Zinsersparnis erreichen können. Lange Zinsbindungen werden von

Kommunen bevorzugt, hierbei besteht allerdings eine Abhängigkeit von der Gesamtverschuldung. Mit wachsendem Schuldenstand steigt das Interesse an längeren Zinsbindungen. Das kommunale Finanzvermögen ist, analog zur Verschuldungssituation, äußerst heterogen verteilt. Aktives Anlagensteuerungsmanagement ist geringer repräsentiert als beim Zins- und Schuldenmanagement. Nachhaltige Investments und ausgewogene Sicherheits-ErtragsVerhältnisse werden noch nicht ausreichend genutzt. Zwar gewinnen nachhaltige Investments im Anlagemanagement an Bedeutung, hier mangelt es aber noch an Erfahrung. Besonders stärker verschuldete Kommunen nutzen vermehrt Online-Vermittlungsplattformen, um so ihren Handlungsspielraum zu verbreitern. Bei deren Nutzung dominieren investive Kommunalkredite. Die Hälfte der Gemeinden plant daher, Plattformen künftig mit einem stärker diversifizierten Fokus zu nutzen. *Prof. Dr. Thomas Lenk ist Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen und Public Management sowie stv. Rektor der Universität Leipzig. Dr. Oliver Rottmann ist geschäftsführender Vorstand des KOWID an der Universität Leipzig.

Kommunalberatung

Kommunalberatung: erste Erfahrungen mit Corona von Dr. Ulrich Keilmann In Hessen besteht seit mehr als fünf Jahren ein Angebot des Landes für eine Konsolidierungsberatung. Hessische Kommunen, die über Haushaltskonsolidierung und den Ausbau der interkommunalen Zusammenarbeit nachdenken, können sich an das kommunale Beratungszentrum - “Partner der Kommunen” wenden. Unter Beteiligung des Landesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung werden kostenfreie Beratungsgespräche durchgeführt. Diese Funktion wurde dem Präsidenten des Hessischen Rechnungshofs übertragen, der mit Mitarbeitern des Rechnungshofs die operative Beratungstätigkeit erbringt. Zum Stand 10. Juli 2020 wurden insgesamt 186 Beratungsgespräche geführt. Darunter fallen auch Zweit- und Drittgespräche, teilweise fanden diese in öffentlichen Bürgerversammlungen mit mehr als 100 Teilnehmern statt. Hauptsächlich wurden Kleinstädte mit 5.000 bis 20.000 Einwohnern beraten. Das liegt vornehmlich an der besonderen quantitativen Bedeutung dieser Gruppe in Hessen. Mehr als die Hälfte der 423 Gemeinden und Städte in Hessen fallen in diese Größenklasse. Die Beratungsprozesse und -inhalte werden kontinuierlich weiterentwickelt. Zu diesem Zweck wurden in den Jahren 2018 und 2019 anonyme Befragungen bei den bis dato beratenen Kommunen durchgeführt. Die Kommunalberatung kommt bei den Kunden sehr gut an. Besonders erfreulich ist die gestiegene Weiterempfehlungsquote von 88 Prozent im Jahr 2018 auf 96 Prozent in 2019. Corona-bedingt zeichnet sich ab, dass die ohnehin schon hohe

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Nachfrage nach der Beratungsdienstleistung weiter steigt. Die Folgen der Pandemie für die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen sind noch nicht vollends bestimmbar. Im Dialog mit den Kommunen nimmt die künftige Entwicklung der Gewerbesteuer einen großen Stellenwert in der Haushaltsberatung ein. Jüngst war eine Kleinstadt in der Beratung, die in der Vergangenheit durch überdurchschnittlich starke Gewerbesteuererträge geprägt war. Infolge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie wurde der Gewerbesteuer-Ansatz gegenüber dem ursprünglichen Haushalt drastisch gekürzt. Das hat in diesem konkreten Fall hohe jahresbezogene Fehlbedarfe bis Ende 2023 zur Folge. Unab-

hängig von der Unterstützung von Bund und Land liegt in dieser Kommune ein struktureller Konsolidierungsbedarf vor. Mit Blick auf die Haushaltspläne 2021 ist die nächste Steuerschätzung besonders interessant. Die Orientierung am Wirtschaftlichkeitsgrundsatz wird künftig in jedem Fall stark an Bedeutung zunehmen. Das ist bereits jetzt bundesweit klar. Lesen Sie mehr zum Thema “Kommunalberatung” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1.309 vom 8. November 2019, S. 37 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rech nungshof.hessen.de abrufbar und voraussichtlich im Herbst dieses Jahres im Kommunalbericht 2020 veröffentlicht.

Weiterempfehlungsquote kommunale Haushaltsberatung

Quelle: BS / Darstellung des Hessischen Rechnungshofs auf Basis der vom Hessischen Innenministerium ausgewerteten Fragebögen (Stand 8/2019)


Behörden Spiegel / August 2020

Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

Seite 19

Netzplanung langfristig gestalten

Kernsanierung mal anders

Investitionen in öffentliche Infrastruktur unzureichend

Serielle Sanierung geht in die Umsetzung

(BS/Katarina Heidrich) In Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten erheblich zu wenig in die öffentliche (BS/Katarina Heidrich) In Köln ist ein Pilotprojekt zum Energiesprong-Verfahren gestartet. Ziel des, ursprüngInfrastruktur investiert, attestiert ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschafts- lich aus den Niederlanden stammenden, Prinzips ist die schnelle und kosteneffiziente Gebäudesanierung hin ministerium (BMWi). Insbesondere im Bereich der Energienetze. Der Trassenbau stockt, eine langfristige zum klimaneutralen NetZero-Standard. Netzplanung fehlt bislang. Dabei bleibt die Energiewende auf der Strecke. Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, möchte nicht, dass sein Bundesland zum “Stromklo Deutschlands” wird. Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Baden-Württemberg fordern von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), eine Gleichstromtrasse zwischen Heide in Holstein und Altbach bei Stuttgart bauen zu lassen, die an den durch West- und Südthüringen führenden Südlink angebunden werden soll. Auch die Netzbetreiber forderten dies, die Bundesnetzagentur hatte allerdings bereits dem südlichen Teil eine Absage erteilt. Nun der erneute Vorstoß der Länder. Dadurch soll das Problem angegangen werden, dass die Erzeugerstandorte und Nutzerstandorte mit dem Zubau erneuerbarer Energien im Norden bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohle immer mehr auseinanderfallen. Denn ein großer Teil der neuen Windkraftwerke liegt im Norden, ein großer Teil der alten Kraftwerke im Süden. Ramelow hält die Planungen für rechtswidrig. Neben solchen politischen Protesten seiem ebenfalls Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung ein Grund dafür, dass zwar neue Übertragungstrassen geplant würden oder bereits im Bau seien, aber sich die Durchführung stark verzögere, heißt es in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des BMWi. “Daher hinkt der Bau der neuen Leitungen deutlich hinter der Erzeugung von Strom durch Erneuerbare Energien hinterher. Die Diskrepanz birgt erhebliche Risiken für die Verlässlichkeit der Stromversorgung”, schreiben die Autoren.

Netzplanung zusammenlegen 90 Prozent des aus Wind- und Solaranlagen produzierten Stroms werden in das Verteilernetz eingespeist und viele Stromkunden sind zugleich Produzenten. Das bedeutet, dass sich auch die Betreiber der Stromverteilernetze zunehmend neuen Aufgaben gegenübersehen, was wiederum mit einem erhöhten Investitionsbedarf einhergeht. Zudem ergeben sich weitere Investitionsbedarfe aus der Digitalisierung – die Verteilernetze sollen

Die Stromnetzplanung muss vorausschauender erfolgen, damit sie sinnvoll zur Energiewende beiträgt. Foto: BS/wilhei, pixabay.com

zu “Smart Grids” weiterentwickelt werden. Gründe für die bisherigen Investitionsmängel sehen die Wissenschaftler darin, dass der politische Prozess anstelle von Investitionen eher Konsumausgaben begünstige. Eine mangelnde Langfristorientierung der Politik sowie unklare föderale Verantwortlichkeiten sieht der Beirat als Problem. Zudem warnt das Gremium davor, die höhere Verschuldung infolge der CoronaPandemie könnte mittelfristig zu einer Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf Kosten der öffentlichen Investitionen führen. Der Beirat schlägt daher verschiedene Reformen vor. Zum einen die Einrichtung von Investitionsfördergesellschaften (IFGs) durch Bund und Länder. Zudem sollte der Bund die Kommunen weiter bei den Sozialkosten entlasten, die Länder Programme zur Sanierung der kommunalen Finanzen fort- oder einführen. Auch die Verschlechterung der kommunalen Haushaltslage durch die Corona-Krise sollten Bund und Länder “angemessen kompensieren”. Ein in regelmäßigen Abständen aktualisierter Bericht über alle Infrastrukturbereiche in Verbindung mit einer Investitionsbedarfsanalyse sei sinnvoll, so der Beirat. Zur Verbesserung des Ausbaus der Energienetze sollte die Anrechenbarkeit von Investitionen in Flexibilisierungsoptionen zur Behebung von Netzengpässen verbessert werden. Dies schaffe mehr Investitionssicherheit. Eine integrierte Infrastrukturplanung

für Strom, Gas und Wasserstoff sollte auf Szenarien von 20 bis 30 Jahren basieren, um die Langfristigkeit von Entscheidungen zu forcieren.

EEG-Umlage senken In einer gemeinsamen Kurzstudie schlagen die Deutsche Energie-Agentur (dena), das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut an der Universität zu Köln (FiFo) sowie die Stiftung Umweltenergierecht einen weiteren Schritt in Richtung beschleunigte Energiewende vor: Die Absenkung der EEG-Umlage auf null. Zur Gegenfinanzierung soll dem Szenario nach die Stromsteuer verdoppelt werden. Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung, erklärt dazu: “Die EEG-Umlage ist eine Innovationsbremse und steht der integrierten Energiewende mit ihren vielfältigen Geschäftsmodellen im Weg. Zudem gilt: Ein wettbewerbsfähiger Strompreis ist die Basis für die integrierte Energiewende. Die direkte und indirekte Nutzung des Stroms in den Sektoren Strom, Wärme, Mobilität und Industrie benötigt dringend eine Verschlankung des Regelwerks.” Nur so ergebe sich ein wirtschaftlicher Einsatz von zunehmend wichtiger werdenden Technologien und Energieträgern in der Energiewende wie zum Beispiel Wasserstoff und Speicher. Weitergehende Reformschritte bei der Abgaben- und Umlagenstruktur würden der integrierten Energiewende weiteren Vorschub leisten, so Kuhlmann.

MELDUNGEN

Lernen nach BIM-Standard (BS/kh) Öffentliche Auftraggebende und Planende lernen zukünftig nach dem einheitlichen “BIM-Standard Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern”. Dazu haben Anne Katrin Bohle, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK), und Wilhelmina Katzschmann von der Bundesingenieur-

kammer (BIngK) eine gemeinsame Absichtserklärung unterzeichnet. Durch die Abstimmung der Schulungsstandards werden für die Methode BIM (Building Information Modeling) in Zukunft die gegenseitige Anerkennung von Schulungsangeboten und gemeinsame Weiterbildungen von Planenden als Auftragnehmenden und Bauverwaltungen als Auftraggebenden in den neuen bundesweiten Lehrgängen der

BAK/BIngK ermöglicht. Die Teilnahmeurkunde soll in Zukunft auch bei der Vergabe öffentlicher Bauprojekte des Bundes als Qualifizierungsnachweis gelten. Bohle betont: “Unsere Perspektive auf diese neue, erweiterte Kooperation ist: Der Erfahrungsaustausch wird hilfreich sein bei der Fortentwicklung von BIM und bei der Erschließung weiterer Themenfelder, etwa bei digitalen Planungswettbewerben.”

dort stammenden Wärmemengen musste mittelfristig Ersatz gefunden werden. Künftig werden pro Jahr rund 170.000 Megawattstunden (MWh) Wärme über eine sechs Kilometer lange Anschlussleitung in die Fernwärmeschiene Saar eingespeist. “Als öffentlicher Zweckverband handeln wir von Hause aus kostenbewusst, denn das sind wir den Gebührenzahlerinnen und -zahlern schuldig”, betont Georg Jungmann, Geschäftsführer des EVS. Die Nutzung der in der AVA

Velsen durch die dortige Abfallverwertung anfallenden Wärme sei aber nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern bringe auch erhebliche Vorteile für Klima und Umwelt.

Wärme aus Abfall (BS/kh) Die Saarbrücker STEAG New Energies GmbH und die Fernwärme Verbund Saar GmbH (FVS) erweitern gemeinsam mit dem kommunalen Entsorgungsverband Saar (EVS) die Abfallverwertungsanlage (AVA) Velsen um eine Wärmeauskopplung. Nötig wurde dies durch das kürzlich verabschiedete Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG), welches die Abschaltung des STEAG-Kraftwerks in Völklingen-Fenne in einigen Jahren vorschreibt. Für die von

Energiesprong ist ein international ausgezeichneter, digitalisierter Bauprozess mit vorgefertigten Fassaden- und Dachelementen (siehe Behörden Spiegel August 2019, Seite 14). Die seriellen Sanierungsarbeiten finden an einem vierstöckigen Haus mit sechzehn Wohnungen statt, welches der Wohnungsbaugenossenschaft am Vorgebirgspark (WgaV) gehört. Es kann während der energetischen Sanierung bewohnt bleiben, diese soll Mitte Dezember 2020 abgeschlossen sein. Durch nachhaltige Heiztechnik und Stromerzeugung wird das Haus dann im Jahr so viel erneuerbare Energie erzeugen, wie die Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom in einem definierten Rahmen verbrauchen. Thomas Meißner, Vorstandsmitglied der WgaV, betont: “Wir wollen es nicht nur den großen Playern überlassen, für Innovationen zu sorgen und dann davon zu profitieren. Wir können auch als kleine Genossenschaft die Zukunft mitgestalten. Köln als Klimametropole soll nicht erst 2050, sondern bereits 2035 klimaneutral sein. Also: wenn nicht jetzt, wann dann? Wir sind stolz,

Energiesprong bietet Modernisierung, ohne tief ins Innere des Gebäudes vordringen zu müssen wie bei der traditionellen Sanierung. Foto: BS/pixel2013, pixabay.com

zum Wandel beizutragen und die erste Energiesprong-Sanierung in Nordrhein-Westfalen umzusetzen. Und das pünktlich zu unserem hundertjährigen Bestehen.” Henriette Reker, Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, ergänzt: “Im Wohnungsbestand liegt ein großes Potenzial zur Energieeinsparung und damit zu wesentlichen Beiträgen für ein besseres Klima. Gerade der hier vorgestellte Ansatz mit intelligenter Vorplanung

und Vorfertigung zum Beipsiel von Fassadenelementen, gepaart mit modernen Energiekonzepten, ebnet den Eigentümern den Entscheidungsweg für eine wirkungsvolle Sanierung.” Das Pilotprojekt in Köln ist in Deutschland bereits das zweite seiner Art. Es wird von der Deutschen Energie-Agentur (dena) koordiniert und vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen unterstützt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) finanziert das Projekt. Die Umsetzung wird zudem über das EU-Programm Interreg NWE “Mustbe0” gefördert. Die dena schätzt allein das Potenzial für kleinere bis mittlere Mehrfamilienhäuser der 50erbis 70er-Jahre in Deutschland auf rund 500.000 Gebäude. Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen: “Der Energiesprong ist eine lobenswerte Ini­ tiative der Wohnungswirtschaft, die zeigen kann, dass Gebäude­ sanierung und Bezahlbarkeit von Wohnraum gleichzeitig erreicht werden kann.”

Daseinsvorsorge ohne Wenn und Aber Vor Ort für die Bürgerinnen und Bürger da sein (BS/Michael Ebling) Seit nunmehr sechs Monaten leben wir mit Covid-19. Fast täglich können wir bezeugen, wie die Pandemie unsere Gesellschaft verändert. Immer wieder gibt es neue Fragen, auf die wir Antworten finden müssen. Corona und die daraus resultierenden Folgen werden uns noch über einen langen Zeitraum begleiten. Das betrifft unser soziales Zusammenleben in Familie und Freizeit, die Art und Weise, wie wir unsere Arbeit neu gestalten, aber eben auch, wie die Pandemie sich langfristig auf unsere Volkswirtschaft auswirkt. Die Antworten auf diese Herausforderungen sind vielschichtig. Aber klar ist: Die Auswirkungen der Pandemie treffen die Menschen vor Ort unmittelbar. Die Herausforderungen müssen daher auch im besonderen Maße vor Ort bewältigt werden. So gilt es, Kommunen zu stärken, um für die Bürgerinnen und Bürger da zu sein, verlässlich und ohne Wenn und Aber. Verlässlich da sein – oder wie man es aus kommunalwirtschaftlicher Sicht in einem Wort ausdrücken kann: Daseinsvorsorge. Ein Begriff, der verstaubt anmutet, aber relevanter denn je ist. Die Corona-Pandemie hat unterstrichen, wie wichtig Daseinsvorsorge ist: Es geht darum, heute wie morgen, ob Krise oder nicht, an 365 Tagen im Jahr für die Menschen vor Ort da zu sein und für sie zu sorgen. Daseinsvorsorge hat viele Gesichter, das sind verlässliche Stützen wie die Krankenschwester oder der Erzieher in der Kita, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kommunalen Unternehmen und Stadtwerke als Betreiber Kritischer Infrastrukturen. Corona zeigt, wie sich Systemrelevanz ausdrückt: Von der Betreuung unserer Jüngsten bis zur Pflege der Alten und Kranken, vom öffentlichen Nahverkehr über den kommunalen Wohnungsbau bis zu Strom, Wasser, Wärme und schnellem Internet rund um die Uhr sowie einer sicheren Entsorgung unserer Abfälle und Abwässer. Mängel, Unverlässlichkeiten und letztlich Unzufriedenheit bei Bürgerinnen und Bürgern mehren sich nach Privatisie-

vor einer wichtigen strukturellen Herausforderung: gleichwertige LeMichael Ebling ist Präsident bensverhältnisse des Verbands kommunaler bundesweit zu Unternehmen (VKU) und gewährleisten. Oberbürgermeister der LanDies offenbart deshauptstadt Mainz. sich vor allem im ländlichen Raum. Foto: BS/Landeshauptstadt Mainz Während urbane Ballungszentren rungen von einst kommunaler nach wie vor einen starken Zuzug Leistungserbringung. Unsere Er- erfahren, verwaisen anderswo fahrungen haben gezeigt, dass ganze Landstriche. Heimat und die vielerorts getroffenen Ent- Gemeinschaft gehen verloren. scheidungen zur Privatisierung Rechte Populisten nutzen das kommunaler Strukturen der aus und sorgen für noch mehr Daseinsvorsorge in den 1990er- Verunsicherung bei den MenJahren in eine Sackgasse geführt schen. haben. Daseinsvorsorge braucht Gleichzeitig sehen sich die eine starke Kommunalwirtschaft. Menschen in den Städten etwa Die kommunale Eigentümer- mit Wohnungsknappheit und schaft und ihre regionale Ver- steigenden Mieten konfrontiert, ankerung bestärken, dass sie soziale Schieflagen bieten auch sich zuvorderst dem Gemeinwohl hier Antidemokraten einen verpflichtet fühlen. Es ist daher Nährboden. Die Kluft zwischen eine gute Nachricht, dass es in Stadt und Land darf nicht größer den vergangenen Jahren – auch werden, die Lebensverhältnisse in Städten wie Hamburg – wie- müssen gleichwertig sein. Komder zur Rekommunalisierung munalen Unternehmen kommt wichtiger Daseinsvorsorge(infra)- eine grundlegende gesellschaftsstrukturen wie etwa beim Elek­ politische Bedeutung zu, denn trizitätsnetz oder der Fernwärme ihre konstante und nachhaltigekommen ist. Denn gerade bei ge Leistungserbringung ist die natürlichen Monopolen, wie es notwendige Voraussetzung für viele Bereiche der kommunalen die Entwicklung und WettbeDaseinsvorsorge sind, zeigt sich werbsfähigkeit Deutschlands sodie Notwendigkeit eines Versor- wie für sozialen Zusammenhalt gers, der alle Bürgerinnen und und Teilhabe. Daher gilt es, die Bürger im Blick hat. Wo privat- kommunale Daseinsvorsorge zu wirtschaftliche Unternehmen aus stärken – mit Herz und Verstand Effizienzgründen – etwa beim für die Bürgerinnen und Bürger Breitbandausbau – abwinken, vor Ort, mit klugen politischen geben kommunale Unternehmen Entscheidungen auf Bundes-, im Dienste der Daseinsvorsorge Landes- und Kommunalebene und mit der Rekommunalisienicht auf. Wir stehen in Deutschland rung im Blick.


Kommunale Infrastruktur

Seite 20

Behörden Spiegel / August 2020

Gigabit-Netze für den Bedarf von morgen

Mit dem Bürger zur Smart City

Von Andreas Scheuer, MdB, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

München kürzt innovative Ideen

(BS) Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, wie wichtig eine leistungsstarke digitale Infrastruktur ist – für die Wirtschaft und für die Bürger. Deshalb brauchen wir Gigabitnetze in Stadt und Land. In Zeiten der Digitalisierung sind sie Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und wirtschaftliche Stabilität. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass sich die Investitionen der Telekommunikationsunternehmen und die intensiven Bemühungen von Bund, Ländern und Kommunen ausgezahlt haben: Das Netz hat gehalten – trotz Homeoffice, Homeschooling und stark gestiegener Nachfrage nach Streamingdiensten.

(BS/wim) Beim Thema Smart City lautet das Motto in München schon seit einiger Zeit: Die Projekte müssen mit dem Bürger gemeinsam angegangen werden, um das Gemeinwohl nachhaltig zu stärken. Mitte Juli wurden nun zum dritten Mal die Gewinner des Innovationswettbewerbs zum Themenfeld Smart City gekürt.

Doch unsere Anstrengungen dürfen hier nicht enden. Exponentiell wachsende Datenvolumen erfordern bereits mittelfristig deutlich leistungsfähigere Netze, doch Infrastrukturprojekte dieser Größenordnung haben einen entsprechenden zeitlichen Vorlauf. Darum unterstützt die Bundesregierung bereits heute den Bau von Gigabitnetzen für den Bedarf von morgen. Das Bundesförderprogramm hat den Infrastrukturausbau in ganz Deutschland deutlich vorangetrieben. Insgesamt stellt der Bund in diesem Rahmen elf Milliarden Euro zur Verfügung, um sogenannte „weiße Flecken“ zu schließen. Davon sind 6,5 Milliarden Euro bereits für rund 1550, teilweise sehr große, Ausbauprojekte bewilligt. 2,4 Millionen Anschlüsse werden dadurch neu mit Breitband versorgt. Viele dieser Projekte sind bereits in der Umsetzung und fast täglich werden neue begonnen. Mit der für 2021 geplanten Förderung „grauer Flecken“ sowie den Maßnahmen zur Beseitigung verbleibender Mobilfunklöcher wird dieser Kurs in den kommenden Jahren konsequent fortgesetzt. Entscheidend für den Erfolg der Fördermaßnahmen sind aber insbesondere die Netzbetreiber und deren eigenwirtschaftlicher Netzausbau. Vielfach haben diese, über das Förderprogramm hinaus, in den Regionen investiert und selbständig flächendeckend ausgebaut, sodass das Programm vielerorts auch über die gefördert erschlossenen Haushalte hinaus

chen Verwaltungen bestmöglich zu unterstützen, bereiten wir derAndreas Scheuer, MdB, ist Bundesminister für Verkehr zeit eine Informaund digitale Infrastruktur. tions-Kampagne vor. Foto: BMVI Nutzen von Synergien – Der Gigabitausbau muss bei der kommunalen PlaWirkung entfalten konnte. nung konsequent mitgedacht Und natürlich spielt auch die werden, etwa das Prüfen eines kommunale Ebene beim Gigabi- Mitverlegens von Leerrohren bei tausbau weiterhin eine zentrale Straßenarbeiten oder das Nutzen Rolle. Neben dem Durchführen geeigneter kommunaler Infrader Förderverfahren haben Kom- strukturen. Dabei sollten auch munen und kommunale Unter- die zukünftigen Anforderungen nehmen vielfältige Möglichkeiten, an den Mobilfunk ausreichend den Gigabitausbau voranzutrei- berücksichtigt werden. Wir arbeiten deshalb derzeit an einer ben. Zum Beispiel: Eigenwirtschaftlichen Ausbau Novelle des DigiNetz-Gesetzes, vorantreiben – Erfolgt ein eigen- damit Synergien für den Gigabiwirtschaftlicher Ausbau durch ei- tausbau künftig noch effizienter nen Netzbetreiber, kann sich die genutzt werden können. Kommune den Aufwand sparen, Innovative Verlegemethoden – In der mit einem Förderverfahren den vergangenen Jahren wurden verbunden ist. Es ist daher in die minimalinvasiven Verlegemeder Regel sinnvoll, den Austausch thoden stetig weiterentwickelt. mit ausbauenden Unternehmen Heute kann je nach Situation und zu suchen, um die Attraktivität Rahmenbedingungen auf eine eines Ausbaus für Netzbetrei- Vielzahl unterschiedlicher Techber durch geeignete Maßnahmen nologien zurückgegriffen werden. (siehe nachfolgend) zu steigern. Der Einsatz innovativer VerlegeVereinfachen der Genehmigungs- methoden hat das Potenzial, den verfahren – Schlanke, standardi- Ausbau deutlich zu beschleunisierte und transparente Geneh- gen und Investitionskosten zu migungsverfahren, der Einsatz senken. Deshalb begleitet das digitaler Hilfsmittel für Kommu- Bundesministerium für Verkehr nikation sowie der Austausch und digitale Infrastruktur das von Informationen und Formu- Engagement von Arbeitsgruppen, laren helfen, die Umsetzung von die sich gemeinsam mit der TeProjekten zu beschleunigen. Um lekommunikationsbranche mit hier unter anderem die öffentli- diesen Themen beschäftigen.

Interkommunale Zusammenarbeit – Durch interkommunale Zusammenarbeit lassen sich nicht nur Kosten sparen, beispielsweise für die Gigabitexperten vor Ort, für die Pflege einer Geodatenbank (GIS) oder in der Beschaffung. Größere Einheiten können auch die Attraktivität für einen eigenwirtschaftlichen Ausbau durch Netzbetreiber erhöhen. Informationsangebote nutzen – Zudem weise ich auf das breite Informations- und Schulungsangebot des Gigabitbüros (früher: Breibandbüro) des Bundes sowie der Länderkompetenzzentren hin. Die Angebote sind für Kommunen kostenfrei und dienen dem Aufbau und dem Vertiefen von Expertise in Sachen Gigabitnetze auf der kommunalen Ebene. Letztlich bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten: des Staats, der geeignete Rahmenbedingungen schaffen und passende Instrumente zur Verfügung stellen muss; der Telekommunikationsunternehmen, die den Netzausbau übernehmen; der Kommunen, die den Ausbau in ihrer Region nachhaltig und zukunftsweisend gestalten müssen. Und schließlich sind auch die Bürgerinnen und Bürger gefragt, das neue Angebot am Ende auch tatsächlich zu nutzen. Damit ist und bleibt der Ausbau von flächendeckenden Gigabitnetzen in Deutschland eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam vorantreiben können – für uns, für unsere Wirtschaft, für unsere Zukunft.

Hamburg wird zum Reallabor für Mobilität BMVI und NPM wollen digitale Innovationen im Alltag testen (BS/Wim Orth) "Intelligent, vernetzt, effizient, sauber, bezahlbar und sicher" – so stellt sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer die digitale Zukunft der Mobilität vor. Um diese möglichst bald zu erreichen und die entsprechenden Innovationen sowie Projekte aus deutscher Forschung und Wirtschaft möglichst breit für die hiesigen Bürger erlebbar zu machen, aber auch in die Welt zu tragen, soll die Freie und Hansestadt Hamburg bis zum kommenden Jahr zum breiten Versuchsraum für die Mobilität von morgen werden. Insgesamt zehn parallel umzusetzende Teilprojekte planen die Verantwortlichen aus Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), dem die Bundesregierung beratenden Gremium Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) sowie der für den Hamburger Personennahverkehr zuständigen Hamburger Hochbahn. Das von der NPM als Ideengeber und thematischem Treiber initiierte Projekt soll sich dabei unter anderem mit den Möglichkeiten rund um eine Mobilitätsplattform für die Stadt sowie Projekten des autonomen Verkehrs auseinandersetzen. Für letzteres gibt es in der Hamburger HafenCity bereits seit einiger Zeit ein Projekt, in welchem autonom fahrende Kleinbusse im Realverkehr unterwegs sind. Zusätzlich soll es auch um die Themenbereiche Warentransport, Schienenverkehr und die Einbindung des ländlichen Raumes in die Mobilität der Metropole gehen. Ob das für die Umsetzung aller Projekte angesetzte Gesamtbudget von 33 Millionen Euro, von denen der Bund 21 Millionen Euro beisteuert, ausreichen wird, um wirklich nachhaltig umsetzbare Projekte zu erarbeiten und zu realisieren, die laut Minister Scheuer "weit über die Dimension bestehender Projekte hinausgehen" und das er als "Reise in die Zukunft mit Hamburg als Tor zur digitalen Mobilität" gesehen haben will, wird sich dabei allerdings noch zeigen müssen. Um die Hansestadt zum großen Real-

Nachdem in der HafenCity rund um die Elbphilarmonie bereits seit einigen Jahren autonome Busse im Realbetrieb getestet werden, wollen BMVI und NPM nun die ganze Stadt zum Reallabor aufbauen. Foto: BS/cubicroot/pixabay.com

labor mit Vorbildfunktion für die ganze Republik zu machen, haben die drei federführenden Häuser insgesamt 27 Partner zusammengetrommelt. Gemeinsam will man technologische Erfahrungen machen und konkrete Beispiele schaffen, die nicht nur in Deutschland oder Europa, sondern in der ganzen Welt Nachahmer finden, formuliert Minister Scheuer ehrgeizige Ziele: "Wir wollen besser, schneller und digitaler sein als Amerika oder Asien". Hierfür müsse man dafür sorgen, dass das Reallabor

und seine Innovationen in aller Welt "ein Staunen auslöst – spätestens zum Weltkongress für intelligente Systeme im Oktober 2021", so der Verkehrsminister. Der jährlich ausgerichtete "World Congress on Intelligent Transport Systems", bekannter unter der Kurzform "ITS World Congress" ist im kommenden Jahr zu Gast in Hamburg und einer der Antriebsmomente für die Innovationsoffensive in der Stadt. So sieht der Vorsitzende der NPM, Prof. Dr. Henning Kagermann, den Weltkongress "als

absolute Chance. Da müssen wir uns anstrengen, um zu liefern." Das Prinzip Reallabor sieht er dabei als essenziell wichtige Plattform, um neue Technologien der Mobilität im Alltag auf ihre diesbezügliche Tauglichkeit zu testen: "Aus unserer Sicht hat das Hamburger Reallabor zwei zentrale Aufgaben: Einerseits soll es die innovativen Projekte für die Menschen erlebbar machen und so das Bewusstsein sowie die Akzeptanz für neue Mobilitätslösungen steigern. Gleichzeitig wollen wir das Großexperiment nutzen, um möglichst viele Stolpersteine zu finden und Lösungen zu deren Umgehung zu finden", so der NPM-Vorsitzende. Dabei sei es, wie bei allen Digitalisierungsthemen, gerade auch essenziell, einen Fokus auf den Umgang mit den Daten der Bürger zu legen, um die guten Ideen auch rechtlich sauber praktikabel zu gestalten. Einen weiteren Aspekt für die Akzeptanz der Menschen sieht Verkehrsminister Scheuer in möglichst vielen Informationen für die Bürger: "Wir brauchen eine gute App, die den Menschen verständlich erklärt, wie sie zu nutzen ist. Dabei muss die gesamte Mobilität in Hamburg individuell, aufeinander abgestimmt und vor allem pünktlich gestaltet werden". Sollte all dies gelingen, soll das großstädtische Experiment möglichst zur Blaupause werden, um weitere Reallabore aufzubauen, erklärten Scheuer und NPM-Chef Kagermann zum Abschluss übereinstimmend.

In der diesjährigen Ausgabe gab es vier Themenschwerpunkte: “Blockchain – Lösungstechnologie für die kommunale Verwaltung”, “Präklinische Patientensteuerung durch zuverlässige Ersteinschätzung”, “Gamification – spielerische Motivation der städtischen Beschäftigten zu energiesparendem Verhalten am Arbeitsplatz” sowie “Klimaneutrales München 2030/2035”. Beim Thema Blockchain konnte sich die Lösung “Avaya Happiness Index” den Sieg sichern. Die Anwendung soll helfen, die Zufriedenheit mit den Services entlang der Bearbeitungskette zu verbessern. Vor allem bei bereichsübergreifenden Prozessen werden dazu Nutzungsinformationen und Rückmeldungen anonymisiert erfasst und für Optimierungen genutzt. Bei der Präklinischen Patientensteuerung gewann das

Start-up medSNS mit einem intelligenten Notfall-Screening-Bogen. Im dritten Aufgabenbereich wurde eine Lösung gesucht, die die Beschäftigten der Stadtverwaltung zum Energiesparen am Arbeitsplatz motiviert. Hier gewann die App “Earth Is Sexy”, die sich spielerisch den Themen Energieeffizienz und Klimaschutz nähert. Abschließend siegte beim Klimaschutz die App “TwoStay”, mit der Bars und Restaurants tagsüber in Co-Working-Spaces verwandelt werden können. Insgesamt hatten acht von 35 Teilnehmern die Endrunde erreicht und konnten ihre Ideen vor der Jury präsentieren. Die Gewinner der vier Themenfelder haben nun die Möglichkeit, ihre Lösungsvorschläge umzusetzen, weiterzuentwickeln und in einem realen, städtischen Testfeld zu erproben.

Gemeinsam für Nachhaltigkeit Neue Entsorgungsanstalt für Nord-Niedersachsen (BS/kh) Die Landkreise Cuxhaven, Osterholz und Verden sowie die Stadt Cuxhaven haben eine kommunale Entsorgungsanstalt gegründet mit dem gemeinsamen Ziel, Bioabfälle zukünftig nachhaltiger und somit klimafreundlicher und effektiver zu verwerten. Dazu wird eine Bioabfallvergärungsanlage gebaut. Die Abfallmengen einer einzelnen der Kommunen reichen bislang nicht aus, damit sich eine Bioabfallvergärungsanlage wirtschaftlich rechnet. Die Wirtschaftlichkeitsschwelle wird erst ab einer Jahresmenge von circa 30.000 Tonnen Bioabfall erreicht. Aus diesem Grund bot sich eine Zusammenarbeit an, der die politischen Gremien der Landkreise sowie der Stadt Cuxhaven bereits im vergangenen Jahr zustimmten. Im ersten Schritt wurde zwischen den vier kommunalen Partnern ein Vertrag über die Gründung der Kommunalen Entsorgungsanstalt Nord-Niedersachsen (KENN) als gemeinsame kommunale Anstalt öffentlichen Rechts geschlossen. Im nächsten Schritt wird die Vergärungsanlage gebaut – voraussichtlich ab dem Frühjahr 2022. Das dort gewonnene Gas kann zu Bio-Erdgas aufbereitet und in das Erdgasnetz eingespeist

werden. Aus dem Biogas kann wiederum Bio-Wasserstoff, also grüner Wasserstoff, gewonnen werden. Durch die geplante Bioabfallvergärungsanlage können pro Jahr voraussichtlich 2.000 bis 3.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Die Inbetriebnahme ist für Mitte 2023 geplant, die Investitionskosten liegen bei rund 19 Millionen Euro. “Wir wollten mit dieser Art der Verwertung des Biomülls einen Beitrag zum Klimaschutz liefern: umweltfreundliche Energie durch hochwertiges Biogas und hochwertiger Kompost für den ökologischen Landbau”, so Cuxhavens Landrat Kai-Uwe Bielefeld. Sein Amtskollege aus Verden, Peter Bohlmann, ergänzt: “Durch den kommunalen Betrieb ist eine verlässliche Preisprognose möglich. Zugleich wird dem Mülltourismus, der teilweise durch europaweite Ausschreibungen entsteht, entgegengewirkt.”

250 km Glasfaser für Bonn Bundesstadt bündelt digitale Synergien (BS/pet) Der Breitbandausbau in der Bundesstadt Bonn schreitet voran. Zum Jahreswechsel 2021/2022 soll auch die Bonner Nordstadt mit Glasfaseranschlüssen bis in die Wohnung (FTTH) versorgt werden. Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) und Telekom-Vorstandsvorsitzender Tim Höttges unterschrieben eine entsprechende Absichtserklärung. Der Ausbau, der ausschließlich in Eigenfinanzierung stattfindet, soll im November beginnen. Gegenstand der Erklärung ist ein Gebiet mit mehr als 12.300 Haushalten, die bis zum Jahreswechsel 2021/2022 mit Glasfaseranschlüssen versorgt werden sollen. Nach der Vorvermarktung, die für September dieses Jahres anberaumt ist, soll der Ausbau im November folgen. Insgesamt ist die Rede von rund 250 Kilometern Glasfaser, die verlegt werden sollen. Grundlage ist die FTTH-Technologie, bei der die Glasfaserkabel bis in die Wohnung reichen. Man wolle, dass Bonn in punkto Infrastruktur zu bundesweiten Vorzeigestadt werde, sagt Tim Höttges. Über die

Bundesstadt hinaus müsse das Ziel der Telekommunikationsindustrie sein, bis zum Jahr 2030 jeden Haushalt in Deutschland mit einem direkten Glasfaseranschluss zu versorgen. Gerade die Corona-Krise habe gezeigt, wie wichtig Digitalisierung und eine gute digitale Infrastruktur zur Aufrechterhaltung basaler Ansprüche des täglichen Lebens seien, hebt auch Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan hervor. Der Ausbau sei nicht nur ein Plädoyer der die Verlegung in Eigenfinanzierung betreibenden Telekom für Bonn, sondern zugleich auch ein entscheidender Schritt auf dem Weg in Richtung “Smartest City” in Nordrhein-Westfalen, so der OB weiter. Dazu zählt auch der neue Mobilfunkstandard 5G, den schon ab Ende nächsten Monats 75 Prozent aller Bonnerinnen und Bonner nutzen können sollen.


Behörden Spiegel / August 2020

Kommunale Infrasruktur / Kommunale Sicherheit

Seite 21

Auf- und Ausbau von Ladeinfrastruktur für Elektromobilität

Keine private Aufgabe mehr

Das Beispiel der Landeshauptstadt Stuttgart

Kommunen gehen selbst gegen illegale Müllablagerungen vor

(BS/Dr. Michael Münter) Als 2012 im Rahmen des Bundes-Förderprogrammes “Schaufenster Elektromobilität” in Stuttgart erstmals in großem Stil Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum errichtet wurde, war dies bundesweit Neuland. Zeitgleich zur Errichtung von rund 200 LadesäulenStandorten gingen rund 400 elektrisch betriebene Carsharing-Fahrzeuge von car2go an den Start, die die Ladesäulen im Rahmen des Demonstrationsprojektes nutzten. Stadt, Land, Energieversorger und Automobilhersteller waren Konsortialpartner und haben gezeigt, dass Elektromobilität funktionieren kann. Die Landeshauptstadt Stuttgart wurde bundesweit zu einem der Vorreiter in Sachen E-Mobilität.

(BS/mfe) Im Berliner Bezirk Neukölln waren in der Vergangenheit zeitweise Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes unterwegs, um Müllsünder aufzuspüren. Das ist inzwischen allerdings Geschichte und fand auch keine Nachahmer. Vielmehr greifen Städte und Gemeinden nun ausschließlich auf ihre eigenen Mitarbeiter zurück.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie sehr sich die Welt in den nur acht Jahren seither gewandelt hat: Ladesäulen im öffentlichen Raum sollen nun überall die Regel darstellen. Ihre Zahl soll wachsen, ihre Notwendigkeit ist unbestritten. Energieversorger sind längst nicht mehr die einzigen Betreiber von Ladepunkten. Es gibt neue Akteure, zunehmenden Wettbewerb, bundesweite Regelwerke und vielfältige Fördertöpfe. Der Rückblick zeigt aber auch, welche Rahmenbedingungen noch geklärt werden müssen, um Ladesäulen tatsächlich breit in die Fläche zu kriegen. So ist es offen, wie eine Gebietskörperschaft eigentlich zu einem Betreiber von Ladeinfrastruktur kommen kann. Muss sie die Konzession für den Betrieb öffentlich ausschreiben? Darf der lokale Netzbetreiber den Betrieb von Ladesäulen als Drittgeschäft mit übernehmen? Oder sind die Voraussetzungen erfüllt, um per Inhouse-Vergabe das eigene Stadtwerk zu beauftragen? Hier existiert eine kaum überschaubare Vielzahl an Lösungen, die mittlerweile auch die Aufmerksamkeit von Monopolkommission und Bundeskartellamt auf sich gezogen hat. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat ihrerseits den Weg der Ausschreibung gewählt – und bei mehreren Bietern jeden einzelnen Standort ausgelost. Knapp 350 neue Standorte können bis Ende 2021 von fünf verschiedenen Betreibern errichtet werden. Zudem wurden gut 170 der bisherigen Bestands­standorte ebenfalls ausgeschrieben und für eine neue Laufzeit angeboten. Am Ende werden in Stuttgart rund 1.000 Normalladepunkte verschiedener Betreiber stehen, die untereinander über Roaming-Plattformen

sondern sie muss eigenen Sachverstand einbinden. Gleichzeitig darf die Kommune nicht am Markt vorbeiplanen und sollte die Erfahrung von Netzbetreiber und Investoren in die Standortsuche einbeziehen. In der Praxis können diese unterschiedlichen Interessen nur durch ein Wechselspiel von Vorschlag, Bewer-tung und Gegenvorschlag zusammenlaufen. Dieses Verfahren erfordert viel Zeit und Sorgfalt. Der Roll-out von Ladeinfrastruktur lässt sich zwar in seiner Bedeutung “forcieren”, aber nur Wollen die Kommunen die Planung begrenzt beschleunigen – imder Standorte von Ladesäulen wei- merhin ist in jedem Falle Tiefter mitgestalten, müssen sie proak- bau nötig und der Netzanschluss tiv ihren eigenen Sachverstand und wird auf 25 Jahre oder mehr Bedarfsanalysen mit einbringen. geplant. Und über seine gesamte Foto: BS/Leif Piechowski, Landeshauptstadt Stuttgart Lebenszeit muss die Kommune den Standort auch “betreuen”. verbunden sind. Weitere 20 Die Verkehrsüberwachung muss Standorte für Schnellladesäu- die Standorte kennen und konlen über 50 kW werden in einem trollieren. Bei UmbaumaßnahInteressenbekundungsverfahren men müssen sie versetzt werden, inklusive Kostenregelung nach angeboten. Verursacherprinzip. Bei längeren Straßensperrungen muss der AnDr. Michael Münter ist Leiter des Referats Strategische Plabieter informiert nung und Nachhaltige Mobiliwerden. Und nach tät bei der Landeshauptstadt Ablauf der KonStuttgart. zessionsdauer muss eine NachFoto: BS/Michael Adamski, Landeshauptstadt Stuttgart folgeregelung samt Restwert betrachtung des Netzanschlusses Flächen sind entscheidend – gefunden werden. Alles Aufgaben, im öffentlichen und die Strukturen, Personal und eine halböffentlichen Raum klare langfristige Aufgabenteilung Ob Normal- oder Schnellladen: erfordern. Entscheidend sind am Ende die Flächen, die zur Verfügung ge- Privates Laden muss privat organisiert werden – Musterstellt werden können. Wenn die lösungen gesucht Kommune ihre Gestaltungsmöglichkeiten behalten will, darf sie Ein deutlich schnellerer Ausbau die Standortplanung nicht alleine von Ladeinfrastruktur kann daprivaten Akteuren überlassen, her nur gelingen, wenn ausrei-

chend halböffentliche und auch private Flächen eingebracht werden. Einzelhandel, Parkraumbewirtschafter, große Arbeitgeber, Hotels, Freizeiteinrichtungen: Sie alle verfügen über einen großen Anteil der zugänglichen Stellplätze in einer Stadt. Sie alle könnten bereits heute noch intensiver auf eigenen Flächen Ladeinfrastruktur aufbauen – und dabei den Anbieter freier wählen als die ans Straßenrecht gebundenen Kommunen. Erstaunlicherweise hat bisher der Ausbau öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur die Debatte dominiert. Sie wird aber nach Schätzungen nur 15 Prozent der Bedarfe decken. 85 Prozent der Ladevorgänge werden im privaten Raum stattfinden: zu Hause, am Arbeitsplatz, am angemieteten Stellplatz. Unter den Kürzeln WEMoG und GEIG wird derzeit der bundesrechtliche Rahmen für privates Laden gestaltet. Leider bestehen bei Bestandsimmobilien oft technische Hürden, im Neubau Zurückhaltung aus Furcht vor Zusatzkosten und Fehlinvestitionen. Es braucht daher neben rechtlichen Rahmenbedingungen auch nachahmenswerte Musterlösungen, wie intelligentes Laden, Lastmanagement und Kostenumlage in einer Wohnanlage oder einem Parkhaus gelingen können. Vielversprechende Ansätze gibt es bereits – in Stuttgart unter Projekttiteln wie ChargeBIG, LamA oder KI-LAN. Für eine große Verbreitung intelligenter Ladelösungen im privaten Bestand ist aber noch einiges an Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit nötig. Denn am Ende fallen die Entscheidungen über Wohl und Wehe eines Projektes vor dem Sicherungskasten, an der Stahlbetondecke und beim Tiefbau.

Glasfaser für alle Eichwalde bekommt sein Giganetz “Made in Brandenburg”

Illegale Müllhalden – oft in der Natur (Foto) – sind in vielen Städten ein Problem. Nachdem zwischenzeitlich versucht wurde, des Problems durch den Einsatz privater Sicherheitsleute Herr zu werden, sind mittlerweile wieder städtische Mitarbeiter unterwegs. Foto: BS/Thomas Kohler, CC BY 2.0, flickr.com

In Neukölln ist dies der Fall, seit die Kräfte des bezirklichen Ordnungsamtes nicht mehr nur bis 22 Uhr arbeiten dürfen, sondern bis Mitternacht. Ebenfalls maßgeblich zur Entscheidung über die Aufgabenverschiebung beigetragen hätten die vergleichsweise hohen Kosten für die Dienstleistungen des privaten Unternehmens, heißt es. In Stuttgart gehört die Verfolgung von Müllsündern schon immer zu den Aufgaben der Mitarbeiter des Städtischen Vollzugsdienstes. Beim Amt für öffentliche Ordnung der badenwürttembergischen Landeshauptstadt sind derzeit 60 Beschäftigte angestellt. Derzeit läuft eine Stellenausschreibung, um den Städtischen Vollzugsdienst um zehn Kräfte aufzustocken. Dessen Mitarbeiter sind zwischen sechs und 22 Uhr im gesamten Stadtgebiet unterwegs – zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit dem Auto. Entdecken sie “wilden”, unangemeldeten Sperrmüll, nehmen sie diesen in Augenschein und versuchen, Anhaltspunkte für den Verursacher zu finden. Um die Entsorgung kümmert sich dann die Stuttgarter Abfallwirtschaft.

Nicht nur zu normalen (BS/Hans Güldenpenning*) Glasfaseranschlüsse erhöhen automatisch die Attraktivität eines Standortes als Wohn- und Arbeitsumfeld und sie Bürozeiten sichern den Werterhalt von Immobilien. Beim Breitbandausbau geht es um den Faktor Zeit und Pragmatismus, aber auch Weitsicht für die jeweilige In Pforzheim sind seit JahresRegion. So setzen lokale Telekommunikationsunternehmen mit Wurzeln in der Region, wie die 1998 in Bernau gegründete DNS:NET, bei ihren beginn die sogenannten Waste eigenwirtschaftlichen Ausbauplänen auf Daseinsvorsorge und schaffen Arbeitsplätze. Watcher unterwegs. Dabei hanSchon jetzt nutzen weit mehr als 40.000 Haushalte im Berliner Umland Anschlüsse von DNS:NET und können so mit schnellsten Datenraten arbeiten und kommunizieren. Angebunden an den Glasfaserring des größten alternativen Breitbandversorgers in Brandenburg besteht für viele Städte und Gemeinden die Chance, den Standort zu sichern, den Wert ihrer kommunalen und privaten Immobilien zu steigern und mit Bandbreiten weit über dem Bundesdurchschnitt zu agieren. So auch in Eichwalde. Hier baut die DNS:NET mittlerweile Gigabitanschlüsse für Haushalte und Unternehmen. In den kommenden Wochen starten weitere Tiefbauarbeiten und über 70 Kilometer Leerrohrverlegung in Kooperation mit den örtlichen Firmen, sodass im Anschluss daran die Glasfaser direkt bis ins Haus gelegt wird. In den letzten Jahren konnten weit über 800 Städte und Gemeinden mit schnellem Internet (Internet, Telefonie, TV) durch DNS:NET versorgt werden und es wurden Hunderte von Technikverteilern aufgebaut. Im Falle von Eichwalde hat sich das Berlin-Brandenburger Unternehmen aufgrund seiner langjährigen Bedarfsanalysen, der

Es geht los in Eichwalde: Ein Gigabit für Haushalte und Unternehmen sind der neue Geschwindigkeitsstandard beim Glasfaserausbau. Mit dabei Jörg Jenoch, Bürgermeister von Eichwalde 3.v.l. sowie Vertreter der DNS:NET (v.l.n.r.: Jürgen Wagner, Programm-Manager FTTH, Colin Rauer Leitung Sales DNS:NET) Foto: H. Güldenpenning

Erfahrung bei der Versorgung unterversorgter Regionen und seiner eigenen Glasfasernetzstruktur mit dem Brandenburger Gigabitring für den eigenwirtschaftlichen Ausbau entschieden. Die ersten Technikstandorte zum Anschluss an den Brandenburger DNS:NET -Glasfaserring werden zurzeit aufgebaut. In der Folge können so demnächst die ersten 200 Einwohner von Eichwalde einen Ein-Gigabitanschluss nutzen. Das liegt natürlich weit über dem Bundesdurchschnitt. Mit vierzig Kilometern Tiefbau und 400 Kilometern Glasfaserkabeln wird die Kommune so ein Vorreiter in

puncto Zukunftssicherung. Im nächsten Schritt können bereits über zweitausend Gebäude direkt angebunden werden. Am 3. August 2020 erfolgte der gemeinsame Spatenstich von Gemeinde, regionalen Baufirmen, DNS:NET sowie Einwohnern und Firmen. Colin Rauer, Leiter Sales bei DNS:NET: “Mit dem Ein-Gigabit-Anschluss ergeben sich völlig neue Möglichkeiten für Werterhaltung von Immobilien, für Kommunikation, Bildung, Arbeit und Vernetzung. Zahlreiche Haushalte konnten sich ihren Glasfaser-Anschluss bereits 2019 mit einem Vorvertrag sichern und

sind so beim Glasfaserausbau 2020 dabei. Damit unterstützen sie auch die Gemeinde, da so der Ausbau planungssicher und in kürzester Zeit realisiert werden kann.” Der Bürgermeister von Eichwalde, Jörg Jenoch, freut sich über das bisherige große Interesse an den Vorverträgen und auf den Anschluss an eine zukunftsfähige Infrastruktur “Made in Brandenburg”. “Eichwalde wird als attraktiver Standort zum Leben und Arbeiten noch mehr gewinnen und setzt folgerichtig auf zukunftsfähige Technologien und verlässliche langfristige Partner, wie die DNS:NET, die die regionalen Besonderheiten sehr gut kennen. Ich freue mich, dass sich mittelständische Telekommunikationsunternehmen aus der Region für die Region engagieren, unsere Vereine unterstützen und in Kooperation mit unseren Firmen vor Ort zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Außerdem liegen mir Investitionssicherheit und Daseinsvorsorge ganz besonders am Herzen. Im Zuge des Anschlusses ans Giganetz können so auch kommunale Einrichtungen mit höchsten Bandbreiten ausgestattet werden.” *Hans Güldenpenning arbeitet als freier Journalist.

delt es sich um Mitarbeiter des Besonderen Ordnungsdienstes. Zu ihren Aufgaben gehören das Aufspüren, Kontrollieren und Identifizieren der Verursacher von Umweltdelikten. Dazu identifizieren sie auch Müll-Hotspots und versuchen, Verursacher auf frischer Tat zu ertappen. Rechtliche Grundlage ihres Handelns, das teilweise auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten stattfindet, ist dabei die Abfallwirtschaftssatzung der Stadt. In Pforzheim ist es darüber hinaus für die Bürger möglich, “wilde” Müllab-

lagerungen zu fotografieren und mit wenigen Klicks auf ihrem Smartphone an die in der Stadtverwaltung zuständige Stelle weiterzuleiten. Dazu wurde die städtische Abfall-App um eine Müllmelde-Funktion erweitert.

Bescheide durch Stadtreinigung Auch in Hamburg gibt es sogenannte Waste Watcher. Dort sind 30 Tarifbeschäftigte der Stadtreinigung in Vollzeit in dieser Funktion aktiv. Sie sind grundsätzlich unbewaffnet und als Doppelstreife unterwegs. Ihr Dienstbeginn ist gegen acht Uhr. Im Rahmen von Sondereinsätzen sind die Waste Watcher zudem abends und am Wochenende im Einsatz. Mittlerweile dürfen sie selbst Verwarnungsgelder erheben und Bußgeldverfahren einleiten. Die entsprechenden Bescheide erlässt die Hamburger Stadtreinigung dann auch selbst. Im vergangenen Jahr wurden von ihnen allein wegen der nicht ordnungsgemäßen Entsorgung von Zigarettenkippen über 12.000 Ordnungswidrigkeitenverfahren in der Hansestadt eingeleitet.

Fokus auf Innenstadt Im niedersächsischen Celle sind fünf städtische Mitarbeiter gegen verbotene Müllhalden im Einsatz. Sie sind montags bis samstags ab der Mittagszeit bis in die frühen Abendstunden hinein vor allem im Innenstadtbereich unterwegs. Bei konkreten Hinweisen erstreckt sich ihr Einsatzbereich jedoch auf das komplette Stadtgebiet, einschließlich der Grünanlagen. Dabei verfolgen die Kräfte, die vor ihrer jetzigen Tätigkeit alle bereits für die Stadt tätig waren, einen niedrigschwelligen Ansatz. Präsenz vor Ort und gezielte Verursacheransprachen sollen “wilden” Müll möglichst komplett vermeiden oder dessen Aufkommen zumindest deutlich verringern.

MELDUNG

Bedarfsanalyse für Ladeinfrastruktur in Leipzig (BS/wim) Die kommunale Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig hat vom Leipziger Institut für Energie ein neues Ladeinfrastrukturkonzept für E-Fahrzeuge in der Messestadt erarbeiten lassen. Die nach wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kriterien erstellte Studie soll Auskunft darüber geben, mit wie vielen elektrisch betriebenen Fahrzeugen bis zum Jahr 2025 in der Stadt in etwa zu rechnen ist. Aus diesen Ergebnissen wird die benötigte Anzahl und Verteilung von Ladepunkten im öffentlichen Raum abgeleitet. Um eine möglichst große Bandbreite der Möglichkeiten abzudecken, wurden drei Szenarien für E-Mobilität bis zum Jahr 2025 betrachtet: Minimal-, Trend- und Maximalszenario. Nach der Studie gibt es aktuell rund 370 Ladepunkte für die gut 800 elektrisch betriebenen Fahrzeuge in der Messestadt. Bis zum Jahr 2025 werde sich der Bedarf auf rund 1.400 Ladepunkte für etwa 12.500 E-Fahrzeuge über das Stadtgebiet verteilt steigern. Die Studie soll dabei keinen verbindlichen Ausbauplan der Stadtverwaltung darstellen, sondern vielmehr Investoren als Leitfaden dienen, wo Ladeinfrastruktur wirtschaftlich betrieben werden kann.


Kommunale Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2020

Seite 22

Erweiterte Befugnisse für BVG

Keine schweren Unfälle mehr

Berliner Verkehrsbetriebe dürfen selbst abschleppen

“Section Control” in Niedersachsen erfasst aber viele Raser

(BS/mfe) Dieses Recht ist bisher einmalig in Deutschland: In der Bundeshauptstadt dürfen die Verkehrsbetriebe BVG selbst Falschparker umsetzen. Aber natürlich nur dann, wenn diese auf ihren Busspuren, Tramgleisen oder Haltestellenbereichen stehen. Dafür sind sogar BVG-eigene Abschleppwagen unterwegs. Ganz ohne staatliche Unterstützung geht es dann aber doch (noch) nicht.

(BS/mfe) Das Pilotprojekt zur abschnittsweisen Geschwindigkeitskontrolle auf der Bundesstraße sechs bei Hannover läuft seit über einem halben Jahr. Seither hat es auf der Strecke, auf der die “Section Control” erprobt wird, keine schwerwiegenden Unfälle mehr gegeben. Allerdings wurden bereits mehr als 1.000 Tempoverstöße von der Polizei registriert.

Denn derzeit findet noch ein Mischbetrieb statt. In diesem entfernt nicht nur die BVG selbst Fahrzeuge. Vielmehr lässt auch die Polizei weiterhin Fahrzeuge umsetzen. Dies soll im Laufe der Zeit allerdings immer weniger geschehen. In einem Innenstadtbezirk ist zudem ein Dienstleister im BVG-Auftrag tätig. Neben dessen Wagen und den Fahrzeugen, die im polizeilichen Auftrag Umsetzungen vornehmen, sind derzeit fünf BVG-eigene Abschleppfahrzeuge unterwegs. Hier ist eine Aufstockung auf zehn Wagen geplant. Es sind auch bereits

Fahrzeuge im Zulauf. Auch die Ausbildung von Schleppwagenfahrern läuft weiter. Hier war es aufgrund der Corona-Pandemie aber zu Verzögerungen gekommen. Zahlreiche Fahrer waren zwar fertig ausgebildet, konnten die notwendige Führerscheinprüfung jedoch nicht ablegen. Die neue Befugnis besitzt die BVG seit Jahresbeginn. Eigentlich sollten die Verkehrsbetriebe schon früher selbst abschleppen. Die dafür notwendige Verordnung war allerdings erst später fertig geworden als ursprünglich geplant. In den ersten sechs Mo-

naten dieses Jahres gab es rund 1.650 vollzogene Umsetzungen von Personen- und Lastkraftwagen sowie Transportern durch die BVG-eigenen Abschleppwagen und die Mitarbeiter des Dienstleisters. Hinzu kommen etwa 1.730 Umsetzungen durch die Polizei. Der betriebseigene Schleppdienst wird übrigens auch für andere betriebliche Zwecke genutzt, für die bisher auf externe Dienstleister zurückgegriffen werden musste. Dazu gehören unter anderem das Abschleppen und Überführen defekter Busse.

Freistaat reagiert Neues Schutzkonzept für Kommunalpolitiker in Bayern

Diese waren teilweise derart massiv, dass sie neben den verhängten Bußgeldern sogar mit Fahrverboten geahndet werden mussten. Das Pilotprojekt läuft noch weiter. Sollten die Resultate weiterhin derart positiv sein, wird der Hannoveraner Landtag über die Ergebnisse informiert. Außerdem soll die Anlage dann in den Dauerbetrieb überführt werden. Sie war zwischenzeitlich außer Betrieb genommen worden. Grund dafür war eine entsprechende gerichtliche Entscheidung. Schlussendlich stellte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg dann jedoch fest, dass für den Betrieb der Anlage eine ausreichende Rechtsgrundlage im Niedersächsischen Polizeiund Ordnungsbehördengesetz (NPOG) bestehe.

(BS/mfe) Nicht nur, aber auch in Bayern nehmen die Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger auf kommu- Mehr Verkehrssicherheit naler Ebene seit Jahren kontinuierlich zu. Wurden im Freistaat 2017 noch “nur” 194 Fälle angezeigt, waren es Innenminister Boris Pistorius im vergangenen Jahr bereits 272. Und bis Ende Mai dieses Jahres gab es bereits 158 aktenkundig gewordene (SPD) sagte: “Vor dem Eintritt Taten. in die Messstrecke steht ein gut Um hier für einen Rückgang und einen besseren Schutz der Betroffenen zu sorgen, haben Innenminister Joachim Herrmann und Justizminister Georg Eisenreich (beide CSU) ein neues Konzept präsentiert. Dieses sieht unter anderem vor, dass Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger von besonders geschulten Experten des polizeilichen Staatsschutzes bearbeitet werden. Zudem sollen Cyber-Crime-Spezialisten zur Sicherung digitaler Spuren miteingebunden werden. Des Weiteren wird die Bayerische Polizei Plattformbetreiber sys-

tematisch auffordern, strafbare Inhalte zu löschen. Soweit dies nicht fristgerecht erfolgt, ist eine Meldung an das Bundesamt für Justiz in Bonn vorgesehen. Dieses kann dann Bußgelder verhängen. Darüber hinaus prüft die Polizei bei einer konkreten Gefährdung individuelle Personenund Objektschutzmaßnahmen und bietet Beratungen an, etwa zur Absicherung von Wohn- und Büroräumen. Bei der Justiz sollen laut Eisenreich Online-Meldeverfahren für Online-Straftaten eingeführt werden. Bisher mussten Kom-

munalpolitiker Anzeigen schriftlich formulieren und Datenträger beifügen. Künftig können sie Straftaten oder Prüfbitten digital melden. Die Prüfung erfolgt dann durch Bayerns Hate-SpeechBeauftragten, Oberstaatsanwalt Klaus Dieter Hartleb. Zudem gibt es insbesondere für Straftaten, die nicht im digitalen Raum begangen wurden, bei allen 22 Staatsanwaltschaften des Freistaates feste Ansprechpartner, an die sich Kommunalpolitiker wenden können. Und: Verweisungen auf den Privatklageweg sollen künftig die Ausnahme sein.

sichtbares Schild, das auf die Geschwindigkeitsmessung hinweist. Die bisherigen Ergebnisse und Beobachtungen in Bezug sowohl auf das Fahrverhalten als auch auf das Unfallgeschehen zeigen ein deutliches Plus an Verkehrssicherheit.” Niedersachsen beabsichtigt, die Nutzung der Technik auch an anderen für die Abschnittskontrolle geeigneten Orten zu empfehlen.

Thema auf der kommenden IMK Pistorius zeigte sich zuversichtlich: “Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zum Ende dieses Jahres bestätigen können, dass die Abschnittskontrolle einen wesentlichen Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit leisten wird.” Nur mit weiteren modernen und innovativen Schritten könnte auf den Straßen hierzulande die Anzahl der Verkehrsunfälle mit schweren Folgen und Verunglückten deutlich gesenkt

werden. Pistorius wird seine Amtskollegen aus Bund und Ländern auf der kommenden Innenministerkonferenz (IMK) im Dezember in Weimar über die Resultate des Pilotprojektes informieren. Die Ressortchefs hatten im Dezember 2014 beschlossen, dass die Abschnittskontrolle in Niedersachsen bundesweit als Pilotprojekt für alle Länder angesehen wird. Unter anderem in Österreich und den Niederlanden ist die Technik bereits erfolgreich im Regelbetrieb, etwa zur Kontrolle an Baustellen. In der Alpenrepublik gibt es dabei stationäre und mobile Anlagen, die teilweise auch schon in Tunneln zum Einsatz kommen. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) und der Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik (BVST) begrüßen “Section Control”. Vorteilhaft sei zum Beispiel, dass eine Strecken- und keine Punktmessung stattfinde.

MELDUNG

Übereinkommen geschlossen (BS/mfe) Vertreter der sächsischen Stadt Görlitz haben eine Kooperationsvereinbarung für Prävention mit dem Freistaat unterschrieben. Dies erfolgt im Rahmen der “Allianz Sichere Sächsische Kommunen” (ASSKomm). Auch in Stuttgart wurde eine Sicherheitspartnerschaft geschlossen. Mithilfe von Präventionsangeboten sowie der Vernetzung unterschiedlichster

Akteure – unter anderem aus den Bereichen Kommunalverwaltung, Politik, Polizei, Justiz und Bildung – sollen die objektive und subjektive Sicherheit in der 55.000-Einwohner-Stadt Görlitz gestärkt werden. Eine ähnliche Übereinkunft gibt es nun auch in Stuttgart. Vorgesehen sind dort unter anderem brennpunktorientierte Präsenzstreifen und Kontrollmaßnahmen

sowie Schwerpunktaktionen wie etwa Fahndungstage. Dafür stellt die Stuttgarter Polizei lageorientiert einen hohen Kräfteansatz sicher und setzt zudem lageabhängig auch Kräfte des Polizeipräsidiums Einsatz ein. Zudem kooperiert sie eng mit weiteren Partnern (vor allem der Bundespolizei) und prüft niederschwellig die Möglichkeit gemeinsamer Einsätze.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2020

Plattform für die neue Realität

KNAPP BSI koordiniert ITSicherheitstag der EU

Digitaler Staat Online als weitere Säule des Behörden Spiegel (BS/Guido Gehrt) In den vergangenen Monaten war in dieser Zeitung an vielen Stellen zu lesen, wie sehr die Corona-Pandemie die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung intensiviert und beschleunigt hat. Disruption und Tempo haben vielerorts eine behutsame, evolutionäre Entwicklung abgelöst. Nicht nur in den Behörden, sondern auch beim Behörden Spiegel, der – als Antwort auf die Krise – nach wenigen Wochen der Vorbereitung am 10. Juni 2020 mit seinem neuen Format Digitaler Staat Online (DSO) an den Start ging. Keine zwei Monate später verzeichnen die verschiedenen Aktivitäten dieser neuen Säule des Unternehmens – trotz Urlaubszeit – bereits über 60.000 Besucher. Digitaler Staat Online ist die Dachmarke bzw. die Plattform für ein vielfältiges Angebot an Veranstaltungen und weiteren Informationsangeboten in unterschiedlichsten Formaten. Da sind zum einen die OnlineDiskussionsrunden, bei denen führende Vertreter aus Verwaltung, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu verschiedenen Modernisierungsthemen diskutieren. Für angemeldete Teilnehmer dieser kostenfreien Veranstaltungen besteht dabei die Möglichkeit, sich über die Chat-Funktion des Tools Zoom mit Fragen und Stellungnahmen in die Diskussion einzuschalten. Die Erfahrungen der ersten Veranstaltungen zeigen, dass die Teilnehmer von dieser Möglichkeit intensiv Gebrauch machen. Zudem werden die Online-Diskussionen ebenfalls über YouTube, Twitter, Facebook sowie auf der DSO-Homepage gestreamt und stehen hier auch noch im Nachgang zur Verfügung.

Gemeinsam mit Partnern In das Format der OnlineDiskussion sind verschiedene Webinar-Reihen mit Partnern integriert, so aktuell etwa mit dem Netzwerk NExT und, unter der Überschrift “Der Lernende Staat”, mit den Autoren des Buches “Neustaat – Politik und Staat müssen sich ändern”, den Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann und Nadine Schön. Weitere Reihen sind bereits in Planung und werden in den kommenden Wochen beginnen. Ein zweites Format sind die Partner-Webinare, Diskussionsrunden mit zumeist zwei bis drei Diskutanten, die der Behörden Spiegel gemeinsam mit

Online-Sitzung verzehrt werden kann. Zu den einzelnen Video-Formaten gesellen sich weitere wichtige Bausteine: Interviews, ein neues Podcast-Format namens “Public Sector Insider – Stichwort”, der bereits bewährte Newsletter zur Digitalisierung und zahlreiche Links, die zu Dokumenten der diskutierten Themen führen. Die momentanen CoronaRestriktionen haben auch die Kongresslandschaft hierzulande auf den Kopf gestellt. Präsenzveranstaltungen hat es in den letzten Monaten auch bei den Verwaltungskongressen nicht gegeben. So hat auch der Behörden Spiegel auf die neue Realität reagiert und nach sorgfältiger Prüfung, zumindest für dieses Jahr, einzelne Veranstaltungen in digitale bzw. hybride Formate transformiert.

Digitale und hybride Kongresse

Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll moderiert die Online-Diskussion aus dem DSO-Studio in Berlin an, so auch die prominent besetzte Auftaktveranstaltung von Digitaler Staat Online zur “Digitalisierung in und nach der Krise”. Foto: BS

einem oder mehreren Partnern aus der Wirtschaft durchführt. Für die Teilnehmer ebenfalls gebührenfrei, bietet auch dieses Format den Zuschauerinnen und Zuschauern die Möglichkeit, sich aktiv in die Diskussion einzubringen.

Aus- und Weiterbindungsangebote stark nachgefragt Neben diesen Diskussionsformaten wurde auch eine Vielzahl der früher gebührenpflichtigen Präsenz-Seminare zu Aus- und Fortbildungsthemen der zur Behörden Spiegel-Gruppe gehö-

renden ProSeminaris und Cyber Akademie in kürzester Zeit in Webinare unter den Menüpunkt “Akademie” umgewandelt. Zeiten disruptiver Entwicklungen bieten immer auch kreative Spielräume, die es zu nutzen gilt. So wird in Kürze mit der “Digitalen Brotzeit” ein weiteres neues Format starten, welches das digitale mit einem haptischen Erlebnis zusammenbringt. Dazu erhalten alle Teilnehmer im Vorfeld der “Digitalen Brotzeit” per Post ein Paket mit Brezel, Weißwurst und Senf, welches dann während der

So wird mit der Public IT-Security (PITS) am 11. und 12. November erstmals ein großer Digitalisierungskongress als reines Online-Event durchgeführt. Eine besondere Herausforderung stellen hybride Veranstaltungsformate mit Teilnehmern sowohl am Veranstaltungsort als auch im digitalen Raum dar. Hier reicht es nicht, einfach nur eine Kamera in den Vortragssaal zu stellen, um das Geschehen vor Ort eins zu eins nach draußen zu übertragen. Vielmehr kommt es darauf an, den Teilnehmern an den Bildschirmen durch begleitende Interviews und Video-Einspielungen ein echtes Event-Feeling und einen zusätzlichen Mehrwert zu vermitteln. Dies wird auf dem Innovationssymposium Künstliche Intelligenz am 29. September in

Berlin der Fall sein, der ersten Hybrid-Konferenz des Behörden Spiegel. Weitere Online-Kongresse in Kooperation mit zwei Landesverwaltungen sind derzeit in Planung. Bei all diesen Aktivitäten hat sich gezeigt, dass eine disruptive Entwicklung (mindestens) drei grundlegende Dinge braucht: Professionalität, Mut sowie Innovationsgeist gepaart mit einer gewissen Fehlerkultur. Nur dann kann es in kurzer Zeit und unter durch Corona zusätzlich erschwerten Bedingungen gelingen, eine neue Säule mit Angeboten zu etablieren und in die sonstigen Angebote zu integrieren. Sicherlich wird manch “altes” Format nach der Krise zurückkehren, denn eine vollständige und dauerhafte Ablösung von Präsenz- durch Online-Veranstaltungen kann niemand wirklich wollen. Doch viele digitale Angebote haben sich in den letzten Monaten bereits bewährt und werden die Krise überleben. DSO wird daher auch zukünftig als lebendige Plattform die vielfältigen digitalen Angebote bündeln und als Informationsdrehscheibe wachsen, an manchen Stellen evolutionär, an manchen Stellen auch disruptiv.

Dank für die Unterstützung Abschließend möchten wir uns noch direkt an unsere Leser wenden: Wir freuen uns sehr über den bisherigen Erfolg von Digitaler Staat Online und danken allen Referenten, Teilnehmern und Besuchern, die zu diesem erfolgreichen Start beigetragen haben. Einen Überblick der DSO-Angebote erhält man unter www. digitaler-staat.online.

(BS/wim) Um alle Aspekte einer nachhaltigen und optimal in die Umgebung integrierten IT-Sicherheit geht es im Oktober 2020 wieder im Rahmen des European Cyber Security Month (ECSM). Als nationale Koordinierungsstelle möchte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Partner gewinnen, die sich an dem Aktionsmonat beteiligen und gemeinsam für das Thema Cyber-Sicherheit sensibilisieren. Mitmachen können alle Behörden und Organisationen, die sich mit IT-Sicherheit beschäftigen. Das BSI selbst bereitet für den ECSM ebenfalls einige Aktionen vor, u. a. eine virtuelle Auftaktveranstaltung. Alle Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten hat das BSI auf seiner Webseite unter www. bsi.bund.de/ecsm zusammengefasst.

MV-Serviceportal baut Digitalangebot aus (BS/pet) Knapp ein Jahr in Betrieb, hat das Verwaltungsportal des Landes Mecklenburg-Vorpommern sein Digitalangebot auf 100 Leistungen aufgestockt. Im Vergleich zum Start im Juni 2019 hat sich das Portfolio des MV-Serviceportals damit mehr als verdoppelt. Die teildigitalisierten Lösungen hinzugenommen, können die Bürger des Bundeslandes, von denen mittlerweile rund 2.300 auf der Plattform registriert sind, inzwischen auf rund 300 Leistungen der öffentlichen Verwaltung online zugreifen. Das Digitalangebot der Landesverwaltung zählt insgesamt 33 Kategorien und gilt auch für User ohne eigenes Konto. Mithilfe einer Kontextsuche können Interessierte ihre Anfragen zudem nach Lebenslage oder Problemstellung spezifizieren. Weitere Informationen zu den verfügbaren digitalen Angeboten finden sich auf www.mvserviceportal.de .


Informationssicherheit

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enn in einer zunehmend datengetriebenen Wirtschaft und Gesellschaft muss auch die öffentliche Verwaltung beginnen, in plattformbasierten Organisationsmodellen und digitalen Ökosystemen zu denken. Dazu sollten Bund, Länder und Kommunen im OZG-Umsetzungsprozess im Sinne eines ersten Schritts stärker auf einen “branchenorientierten Ansatz” setzen und sich zudem möglichst gleichzeitig mit der Konzeption und dem Aufbau kooperativer Dateninfrastrukturen beschäftigen. Die Metropolregion Rhein-Neckar beschäftigt sich im Rahmen des länderübergreifenden Modellvorhabens “Kooperatives E-Government in föderalen Strukturen” aktuell intensiv mit beiden Handlungsfeldern.

Behörden Spiegel / August 2020

Pionierarbeit an Rhein und Neckar MRN mit starkem Fokus auf branchenorientiertem E-Government (BS/Stefan Elberth/Mario Altreiter/Marco Brunzel*) Bund und Länder sollten bei der weiteren Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) zwingend einen branchenorientierten Ansatz verfolgen. Nur so lassen sich OZG und digitale Souveränität optimal miteinander verbinden. Im Rahmen der laufenden Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes gilt “Kundenorientierung” als zentrales Paradigma für die Entwicklung und Umsetzung digitaler Angebote. Durch die direkte Einbeziehung von Bürgern oder einzelner Unternehmen in die Konzeption, Entwicklung und Erprobung sollen Leistungen “kundenfreundlicher” werden. Dieser Ansatz ist löblich, greift aber in Bezug auf die anstehende, umfassende Gestaltung des digitalen Wandels in Deutschland und Europa deutlich zu kurz.

Unternehmen brauchen eine vernetzte Verwaltung In unserem bestehenden aufgabenorientierten föderalen Organisationsmodell der öffentlichen Verwaltung kümmern sich ca. 20.000 Verwaltungen auch um die Belange von 3,6 Millionen Unternehmen. Deren gesellschaftliche bzw. volkswirtschaftliche Relevanz für Wohlstand und Beschäftigung aber auch für Versorgungssicherheit, Lieferketten etc., wird in der aktuellen Corona-Krise sehr deutlich. Eingebunden in zunehmend digitalisierte Märkte und Wertschöpfungsketten befinden sich viele Unternehmen und fast alle Branchen in Deutschland längst in einem weitreichenden Prozess der digitalen Transformation. Im Ergebnis werden Prozesse in und zwischen Unternehmen zunehmend digitalisiert und automatisiert. Leider betrifft das bisher jedoch nur unzureichend die Prozesse an den Schnittstellen zur Verwaltung. Hier trifft buchstäblich oft noch Industrie 4.0 auf Verwaltung 1.0.

Branchenorientierung fördert systemische Lösungen Ziel eines branchenorientierten Ansatzes ist es, innovative IT-Lösungen an den Schnittstellen von Wirtschaft und Verwaltung möglichst von Anfang an verwaltungsübergreifend zu konzipieren, zu entwickeln und zu erproben. Dabei kommt Aspekten der Maschine-MaschineKommunikation (M2M) sowie der Standardisierung (aktive Mitwirkung in den entsprechen-

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it neun Schwerpunkten will das BMI die Digitalisierung des Landes vorantreiben. Dabei ruht das Mitte Juli vorgestellte Neun-Punkte-Papier auf drei Säulen, die das Themenfeld in die Bereiche “Digitale Gesellschaft”, “Digitale Verwaltung” sowie “Sicherheit im Cyber- und Informationsraum” clustern. Da die Agenda Ansprüche aus Datenschutz und Transparenz zusammenführe, bilde sie die ideale Grundlage für ein Digitalmodell, das aufgrund seiner Wertebindung im weltweiten Vergleich einzigartig sei, so das BMI. Alle Schwerpunkte des Papiers seien im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern entwickelt worden und sollen gemeinsam mit der Bevölkerung umgesetzt werden, erklärt der Bundes-CIO, Dr. Markus Richter, der das BMI als Treiber und Garant der Digitalisierung in Deutschland sieht.

Schwerpunkt: digitale Verwaltung Mit insgesamt fünf Punkten nimmt die digitale Verwaltung den größten Raum ein. Kernanliegen in diesem Bereich sind die Beschleunigung der Verwaltungsdigitalisierung sowie die Einführung von E-GovernmentDiensten. Dies umschließt zum Beispiel die stärkere Einbindung des Online-Ausweises, dessen

nerell voranzubringen, hat sich die Metropolregion Rhein-Neckar erfolgreich um die Anwendung und spezifische Erweiterung der Standards XBau/XPlanung im Bereich des Breitbandausbaus bemüht. Dies wiederum bildet eine entscheidende Voraussetzung für den Aufbau kooperativer Dateninfrastrukturen sowie der damit im Zusammenhang stehenden Möglichkeiten einer tagesaktuellen und automatisierten Abbildung verkehrlicher Einschränkungen im Straßenraum (u. a. als Beitrag zur Verbesserung des Wirtschaftsverkehrs). Dies wiederum bildet einen regionalen Beitrag zum Aufbau sektorspezifischer bzw. sektorübergreifender nationaler und europäischer Dateninfrastrukturen auf der Grundlage zukunftsweisender Architekturkonzepte (Once-Only, Gaia-X), bereits etablierter Standards und Datenmarktplätze (beispielsweise INSPRE, MDM) sowie sicherer digitaler Identitäten für Personen, Institutionen und Objekte.

Fazit Die Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) ist eine der wirtschaftsstärksten Regionen Europas.

den Gremien etc.) eine große Bedeutung zu. In der Metropolregion Rhein-Neckar stehen dabei aktuell drei besonders wirtschaftsnahe Themenfelder im Fokus: digitales Planen und Bauen, die Optimierung von Prozessen und Datenstrukturen im kommunalen Straßenraum (zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Breitbandausbau) sowie die Digitalisierung und Automatisierung umweltrechtlicher Berichtspflichten.

Beispiel Bauwirtschaft In Deutschland werden jährlich über 370 Milliarden Euro in die Erstellung und Erhaltung von Bauwerken investiert. Zwei Drittel davon entfallen auf den Wohnungsbau. Über 2,6 Millionen Erwerbstätige arbeiten in diesem Bereich. Dennoch reicht diese volkswirtschaftlich bedeutende Dimension und Dynamik der Bauwirtschaft (ca. elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts) vielerorts nicht aus, um die steigende Nachfrage nach Wohnraum und Gewerbeflächen zu decken. Jährlich erteilen Baubehörden über 220.000 Baugenehmigungen auf Basis von öffentlichem Planrecht (ca. 500.000 Bebauungsplänen),

von komplexen Beteiligungsverfahren und Bauanträgen. Vieler dieser Prozesse laufen noch immer analog und papiergebunden ab, nicht nur an der Schnittstelle von Wirtschaft und Verwaltung, sondern auch innerhalb und zwischen beteiligten Verwaltungen und Trägern öffentlicher Belange (TÖB). Dies betrifft die gesamte Wertschöpfungskette – von der Verfügbarkeit digitaler Planwerke und Registerdaten über eine Vielzahl von Genehmigungs- und Berichtspflichten bis zum Zusammenwirken der an einem Bauvorhaben beteiligten Akteure. Im Rahmen der laufenden OZGUmsetzung hat die Metropolregion Rhein-Neckar daher ihre Aktivitäten im Bereich “Digitales Planen und Bauen” neu ausgerichtet. Vor allem überörtlich tätige Unternehmen bzw. Berufsgruppen (Architekten, Ingenieure, Bauträger etc.) erwarten heute von der öffentlichen Verwaltung möglichst verwaltungsübergreifend harmonisierte und standardisierte Angebote auf der Basis digitaler Schnittstellen. Daher arbeitetet die MRN in enger Zusammenarbeit mit einem länderübergreifenden Ar-

Foto: BS/Rhein-Neckar, Tobias Schwerdt

beitskreis der 26 unteren und drei oberen Baubehörden der MRN-Länder sowie in enger Abstimmung mit der Wirtschaft an der Konzeption und dem Aufbau einer verwaltungsübergreifend nutzbaren, cloudbasierten Kooperations- und Datenplattform, auf deren Grundlage kommunale Planungs- und Genehmigungsprozesse zukünftig transparenter und schneller abgewickelt werden können. Bestehende IT-Verfahren der Verwaltung sollen dabei über bundesweit geltende Standardschnittstellen (XBau/XPlanung) angebunden werden. Zugleich werden durch den Aufbau eines regionalen Datenportals bestmögliche Voraussetzungen für Innovationsprozesse an den Schnittstellen von Bauwirtschaft und Verwaltung geschaffen (zum Beispiel durch den Aufbau digitaler Ökosysteme auf der Basis sicherer digitaler Identitäten sowie BIM- und KITechnologien).

raums. Neben den begrenzten baulichen Kapazitäten gelten insbesondere die kommunalen Genehmigungsprozesse im Bereich des Breitbandausbaus als ein kritischer Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Gestaltung des digitalen Wandels. Daher haben die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz auf nationaler Ebene 2018 die Initiative ergriffen, den laufenden Prozess der Umsetzung des OZGs auch für die gezielte Erschließung von Synergien durch die Digitalisierung und Automatisierung entsprechender Verwaltungsprozesse (zum Beispiel § 68 TKG) zu nutzen. Im Ergebnis des entsprechenden OZG-Umsetzungsprojekts soll nun in der Metropolregion Rhein-Neckar ein einheitlicher deutschlandweiter digitaler Zugangspunkt für die Antragsprozesse der über 5.000 in Deutschland tätigen Telekommunikationsunternehmen entwickelt und erprobt werden.

Breitbandausbau und digitaler Straßenraum

Standardisierung als Basis digitaler Ökosysteme

Vergleichbare Potenziale und Synergien – aber auch Handlungsbedarfe – bestehen im Bereich des digitalen Straßen-

Um auch im Bereich des Straßenraums die Etablierung standardisierter Prozesse zwischen Wirtschaft und Verwaltung ge-

Ein Beschleuniger für die Digitalisierung Bundesinnenministerium stellt Neun-Punkte-Plan vor (BS/pet) Zur Beschleunigung der Digitalisierung hat das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) jüngst einen Neun-Punkte-Plan präsentiert. Ziel der im Papier definierten Schwerpunkte, die sich in die Bereiche “Digitale Gesellschaft”, “Digitale Verwaltung” und Informationssicherheit aufteilen, sei eine Verbesserung der Lebensqualität in Deutschland, erklärt Dr. Markus Richter, Staatssekretär im BMI und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik (CIO). Im selben Zuge plant das BMI, Nutzerkonto und Bundesportal bis zum Ende des Jahres bereitzustellen. Großes Gewicht liegt zudem auf der Förderung digitaler Kompetenzen, die durch breit gestreute Schulungsangebote sowie die Einrichtung einer neuen Digitalakademie im Rahmen der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV) ausgebaut werden sollen.

Datenschutz und digitale Souveränität

Die Verwaltungsdigitalisierung auf Touren bringen: Ein Kernanliegen des Papiers ist die rasche Umsetzung des OZGs. BS/tookapic, pixabay.com

Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern gesteigert werden soll, oder die Vorlage einer OpenData-Strategie, mit deren Hilfe man die Nutzung und Bereitstellung von Daten voranbringen will. Flankiert werden soll das Vorhaben von der Verabschie-

dung des zweiten Open-DataGesetzes: Ein “wesentliches Signal für den Kulturwandel in Verwaltung und Gesellschaft und für die digitale Souveränität von Bürgerinnen und Bürgern”, wie es im Papier heißt. Weitere Schwerpunkte im Bereich der

digitalen Verwaltung liegen bei der Registermodernisierung, der Einführung neuer Arbeitsmethoden wie beispielsweise Agilität, der konsequenten Digitalisierung verwaltungsinterner Prozesse sowie der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG).

Ganz im Sinne digitaler Souveränität empfiehlt das Papier den vermehrten Einsatz von OpenSource-Lösungen. Doch sollen Herstellerabhängigkeiten nicht nur im Bereich der Software verringert werden, sondern auch beim Ausbau der digitalen Infrastruktur, des Internet of Things (IoT) oder Künstlicher Intelligenz (KI). Als Beispiel nennt das Papier das Cloud-Projekt “GAIA-X”, das jüngst noch von sich Reden gemacht hat. Da mit zunehmender Digitalisierung auch die Risiko-

Ein branchenorientierter Ansatz kann dazu beitragen, mit der laufenden OZG-Umsetzung im Bereich der Wirtschaft zugleich einige Synergien im Bereich der bereits laufenden digitalen Transformation unserer nationalen bzw. europäischen Volkswirtschaft zu erschließen. Zu denken ist hierbei insbesondere an den Aufbau digital souveräner Dateninfrastrukturen sowie digitaler Ökosysteme. Das im Juni 2020 beschlossene Konjunkturpaket II eröffnet hier vielleicht zusätzliche Möglichkeiten, die genutzt werden sollten, um die Anforderungen der Wirtschaft noch differenzierter zu berücksichtigen und im Verbund mit der öffentlichen Verwaltung gemeinsam genutzte IT-Architekturen/Plattformen aufzubauen. Dafür könnte es hilfreich sein, für den laufenden OZG-Prozess einen entsprechenden Wirtschafts- bzw. Branchenbeirat einzurichten. In diesem könnten und sollten auch die besonders wirtschaftsstarken Metropolregionen vertreten sein *Stefan Elberth, Mario Altreiter und Marco Brunzel arbeiten als Projekt- bzw. Bereichsleiter im Bereich Digitalisierung und EGovernment bei der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH.

lage ernster wird, plant das BMI, die Cyber-Sicherheitsstrategie von 2016 zu evaluieren und weiterzuschreiben. Ergänzend zu den nationalen Bestrebungen soll das kooperative Vorgehen auf europäischer Ebene intensiviert werden. Dies betrifft neben einem gemeinsamen Wertekanon für die digitale Transformation auch die Erarbeitung internationaler Schutzstandards, um den Gebrauch neuer Technologien in sichere Bahnen zu lenken. Darüber hinaus sollen die Netzinfrastrukturen im öffentlichen Sektor fortentwickelt und in Form einer Netz- bzw. Digitalfunkstrategie 2030 politisch aufbereitet werden. Auch sollen strafbare Inhalte im Internet konsequenter bekämpft und das Cyber-Strafrecht ausgeweitet werden. Um dafür die entsprechenden Grundlagen zu schaffen, will das BMI die Rolle des Bundes allgemein sowie die des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im Besonderen stärken. Als praxisorientierte Agenda soll der Neun-Punkte-Plan mit konkreten Meilensteinen hinterlegt werden, die in einem Controlling jeweils nachgehalten werden sollen. Da das Papier auf Fortschreibung angelegt ist, soll es mit dem praktischen Stand der Erfahrung mitwachsen.


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NEUE PLATT FORM des Behörde n Spiegel

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Informationssicherheit

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inter dem Konzept des “KommunalCampus” steckt die Idee einer Online-Plattform, welche Bildungs- und Weiterbildungsangebote mit den Bedarfen der Kunden verknüpft – mit ähnlichen Funktionen und Matching-Algorithmen wie beispielsweise bei Urlaubsportalen im Internet. Diese soll für die Mitarbeiter bedarfsgerecht Lehr- und Lernbausteine für individuelle Weiterbildungsbedarfe identifizieren und kombinieren. Die Idee für die Plattform wurde gemeinsam von der MRN GmbH und dem Landkreis Bergstraße in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Bildungsanbietern (Duale Hochschule Mannheim, Hochschule für Polizei und Verwaltung Wiesbaden, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) entwickelt. Die Metropolregion soll länder­ übergreifend zwischen Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als Modellregion fungieren.

Ziel: deutschlandweite Plattform Ziel der nun vereinbarten Kooperation ist es, mit der modellhaften Umsetzung des Konzepts “KommunalCampus” eine grundsätzlich deutschlandweit übertragbare bzw. skalierbare Plattform zu entwickeln, die ein bedarfsgerechtes, modulbasiertes Aus- und Weiterbildungsangebot für die kommunale Ebene der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung stellt. Auf der geplanten internetbasierten Plattform sollen die individuellen Bedarfe der einzelnen Teilnehmer mit

Behörden Spiegel / August 2020

Meilenstein für “KommunalCampus” Land Hessen fördert Aufbau der Aus- und Weiterbildungsplattform (BS/Guido Gehrt) Die nicht zuletzt angesichts der Corona-Pandemie schnell voranschreitende Digitalisierung führt auch zu enormen Veränderungen der Arbeitsweise in den Kommunalverwaltungen hierzulande. Um die Möglichkeiten der neuen Technologien im behördlichen Alltag bestmöglich nutzen zu können, müssen entsprechende digitale Kompetenzen auf- bzw. ausgebaut werden. Hierzu haben Vertreter der Metropolregion RheinNeckar (MRN) GmbH sowie des Landkreises Bergstraße Ende Juli in Heppenheim eine Kooperationsvereinbarung mit dem Land Hessen für den Aufbau eines “Kommunalcampus” unterzeichnet. Das länderübergreifende Projekt wird fortan von Wiesbaden mit 250.000 Euro gefördert.

Hessens Digitalstaatssekretär und CIO Patrick Burghardt hat die Patenschaft des “KommunalCampus” übernommen. Fotos: BS/MRN GmbH/Schwerdt

vorhandenen und neuen Angeboten der Bildungsanbieter, wie zum Beispiel Universitäten und Hochschulen oder auch der Industrie- und Handelskammern, zusammengebracht werden – standardisiert, abgestimmt und qualitätsgesichert. Damit sollen diese Angebote erstmals über eine abgestimmte Anforderungsstruktur auf einer gemeinsamen Plattform für die Beschäftigten der Kommunalverwaltung ge-

Die Metropolregion Rhein-Neckar – hier MRN-Geschäftsführerin Dr. Christine Brockmann im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Verbandes Region Rhein-Neckar, Stefan Dallinger – soll länderübergreifend Modellregion des “KommunalCampus” sein.

bündelt werden. Der “KommunalCampus” soll grundsätzlich auch privatwirtschaftlichen Anbietern und Freischaffenden offenstehen, sofern diese die zukünftigen Qualitätskriterien durch ein entsprechendes Akkreditierungsverfahren erfüllen.

CIO Burghardt übernimmt Patenschaft Patrick Burghardt, Staatssekretär im Hessischen Ministerium

für Digitale Strategie und Entwicklung sowie CIO der Landesregierung, hat für das Projekt die Patenschaft übernommen: “Digitalkompetenz ist ganz wesentlich für eine funktionierende und bürgernahe Verwaltung. Dafür braucht es qualifizierte Angebote zur Aus- und Fortbildung der Beschäftigten. Mit dem “KommunalCampus” haben wir ein wichtiges Instrument initiiert, um den digitalen Wandel zu

schaffen und neue Kompetenzen aufzubauen.” “Eine moderne und digitale Verwaltung ist nicht nur für die Zukunft ungemein wichtig, sondern auch schon jetzt”, sagte Christian Engelhardt, Landrat des Kreises Bergstraße. Er verfolge bereits seit seinem Amtsantritt 2015 die Modernisierung und Digitalisierung der Kreisverwaltung. Mit Erfolg, denn die Kreisverwaltung sei beispielsweise vor Kurzem mit

dem dritten Preis im Landeswettbewerb “Hessen smart gemacht” für Bürgerbeteiligung und dem Verwaltungspreis “Gute Verwaltung” für das digitale Angebot seines kommunalen Jobcenters ausgezeichnet worden. “Eine moderne, digitale Verwaltung braucht aber auch Mitarbeiter mit entsprechenden Kompetenzen. Deshalb freue ich mich, dass wir Teil des “KommunalCampus” sind”, so Engelhardt. Für Stefan Dallinger, Vorsitzender des Verbands Region RheinNeckar und Vorsitzender des Lenkungskreises des Modellvorhabens “kooperatives E-Government” sollte eine funktionsfähige Verwaltung eine Verwaltung mit intelligenten digitalen Prozessen sein. “Wir konnten in der Me­ tropolregion in diesem Bereich schon Vieles verbessern. All diese guten Erfahrungen bringen wir jetzt ein”, so Dallinger. Das Konzept des “KommunalCampus” ist nicht nur so ausgelegt, dass es bundesweit genutzt werden kann. Es gibt zudem Schnittstellen zu den Plattformen des eGOV-Campus, einem Projekt des IT-Planungsrates, bei dem die Metropolregion RheinNeckar bereits als Innovationsund Erprobungsraum dient. Dadurch sollen Synergien ermöglicht werden, um standardisierte Lernmodule zu entwickeln. Durch die Fördergelder aus Hessen wurde für das Vorhaben nun eine wichtige Grundlage für die weitere Aufbau- und Pilotphase geschaffen, um “KommunalCampus” so schnell wie möglich zu einer deutschlandweiten Weiterbildungsplattform auszubauen.

Zwei Aspekte als Schlüssel zum Erfolg

Verträge auf den Prüfstand

Ohne menschliche Intelligenz keine sinnvolle Künstliche Intelligenz

Microsoft-Anwender müssen genau hinschauen

(BS/Manuel Heinemann*) Die Einbindung digitaler Arbeitsweisen in den behördlichen Arbeitsalltag und die Verwaltungsabläufe hat durch die Covid-19-Krise einen zusätzlichen Schub bekommen. Schlagworte wie E-Government, Onlinezugangsgesetz (OZG), Homeoffice, Blockchain, Cloud und natürlich KI stehen in einem neuen Fokus und dominieren zunehmend die Medien und die politische Diskussion. Der Bund, die Länder und die Kommunen treiben die Umsetzung mit neuen Digitalstrategien und Maßnahmenkatalogen voran. Und dennoch: Im internationalen Vergleich steht Deutschland noch immer nicht auf einem vorderen Platz. Digitale Vorreiter sind vielmehr baltische und skandinavische Staaten. Um den Anschluss zu gewinnen, gilt es, vor allem die Schlüsselfaktoren “Mensch” und “Weiterbildung” weiterzuentwickeln.

(BS/stb) Lizenzverträge von Microsoft mit öffentlichen Institutionen weisen Mängel im Bereich des Datenschutzes auf. So fehle es an Transparenz, welche Daten durch den Software-Anbieter erhoben und genutzt würden. Das ergibt eine Untersuchung des EU-Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski. Kommunale IT-Dienstleister raten öffentlichen Stellen in Deutschland nun zur Überprüfung ihrer Verträge mit IT-Konzernen.

Die Digitalisierung ist ein komplexer Prozess. Zu den Kernbereichen gehören das E-Government, das Open-Government, die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), die IT-Sicherheit und der Datenschutz. Die Verarbeitung von Daten und Informationen bildet seit jeher den Mittelpunkt der Verwaltungstätigkeit. Die technische Entwicklung führte und führt hier zu exponentiellen Fortschritten, insbesondere im Bereich der Verarbeitung von Massendaten und deren Analyse, beim Zugang zu Informationen über öffentliche Netze und der Weiterverwendung von Informationen im Rahmen des IWG. Die Komplexität wird dadurch verstärkt, dass die Digitalisierung nicht nur ein Prozess auf nationaler Ebene ist, sondern in den Bundesländern und Kommunen unterschiedlich umgesetzt wird. Hinzu kommen die europaweite und die weltweite Dimension, die ein noch größeres Spektrum an Digitalisierungsszenarien zur Folge haben. Im Sinne einer effektiven und effizienten Umsetzung der Digitalisierung ist freilich eine Vereinheitlichung im Rahmen von Standardisierung und Interoperabilität dringend notwendig.

Der Faktor Mensch als Schlüsselfaktor Vor dem Hintergrund dieser Komplexität und der Dynamik der technischen Entwicklung stellt sich die Frage, wie der Mensch, insbesondere die Bediensteten und Beschäftigten in der Verwaltung, mit der Digitalisierung umgehen und Schritt halten können.

Die Digitalisierung betrifft jeden Bediensteten und Beschäftigten in der Verwaltung. Es ist deshalb eine zentrale Herausforderung an die Verwaltung, hier rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um “die Menschen mitzunehmen”. Denn menschliche Intelligenz (MI) ist gleichermaßen notwendig wie unabdingbar für eine zukunftsfähige und leistungsstarke Verwaltung. Nur eine symbiotische Verbindung von Mensch und Technik kann den Grundstein für eine zukünftige Verwaltung bilden. Die Verwaltung braucht eine mensch- und technikbasierte Digitalisierung. Mit anderen Worten: ohne MI keine sinnvolle KI. Es geht um die Verknüpfung analoger, empathischer und sympathischer Denk- und Handlungsweisen von Menschen mit logischen, algorithmenbasierten und technischsachlichen Methoden der IKT. Wie aber kann diese notwendige menschliche Intelligenz in der Verwaltung bestmöglich aktiviert und gefördert werden?

Weiterbildung als Schlüssel zum Erfolg Der Schlüssel zur mensch- und technikbasierten Digitalisierung liegt in der Wertschätzung und im Verstehen. Die Bediensteten und Beschäftigten müssen in die Lage versetzt werden, die Prozesse nachvollziehen und die Technik anwenden zu können. Es geht nicht um die bloße Vermittlung von Wissen, sondern um den Wissenstransfer zum Verstehen in der praktischen Anwendung. Die Bediensteten und Beschäftigten erlangen so nicht nur das notwendige Fachwissen und Verständnis, sondern erfahren auch

eine entsprechende Wertschätzung. Dies ist gerade zur Vermeidung von Verunsicherung oder sogar Abwehrhaltung gegenüber digitalen Entwicklungen wichtig. Das notwendige Wissen braucht ein Grundlagenverständnis der genannten Kernbereiche der Digitalisierung, insbesondere des E-Governments, des Open Governments, des OZG und des Datenschutzes.

Fazit Menschliche Intelligenz ist in der Verwaltung unabdingbar. Fundiertes Grundlagenwissen in den Kernbereichen der Digitalisierung und Wertschätzung durch Weiterbildung bleiben Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Transformation zur zukünftigen Verwaltung. Die Verknüpfung von Mensch und Technik, von MI und KI, ist fortlaufend und vorrangig zu berücksichtigen. *Manuel Heinemann ist Hochschullehrer und Fachleiter Recht der Digitalisierung an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Altenholz.

Webinare zum Thema Die aktuellen Entwicklungen im E-Government und Open Government sowie bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) thematisiert der Autor in zwei Webinaren des Behörden Spiegel am 5. und 12. Oktober 2020. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “E-Government” oder “Onlinezugangsgesetz”.

Die Untersuchung des EU-Datenschutzbeauftragten bezieht sich auf das Inter-Institutional Licensing Agreement (ILA) zwischen EU-Institutionen und Microsoft von 2018. Inzwischen gelten dort neue Vertragsbedingungen. Die Ergebnisse sollten die zuständigen Datenschutzbeauftragten deutscher Behörden dennoch zum Anlass nehmen, einen genauen Blick in ihre eigenen Verträge zu werfen, empfielt Vitako. Sollten dabei ähnliche Schwachpunkte bezüglich des Datenschutzes gefunden werden, müssten diese möglichst beseitigt werden. Bis Anpassungen an den Verträgen umgesetzt werden könnten, empfiehlt Vitako möglichst den Einsatz von datenschutzfreundlichen SoftwareAlternativen, mindestens aber Maßnahmen zur Minderung der Datenschutzrisiken. In einer Handreichung fasst der

Verein die Empfehlungen der EU-Untersuchung als Orientierung für hiesige Datenschutzbeauftragte und Verantwortliche zusammen. Demnach sollten die öffentlichen Stellen einen umfassenden Auftragsverarbeitungsvertrag schließen und sich als alleinige Verantwortliche festlegen. Dann obliegt es ihnen, Datenverarbeitungszwecke zu definieren und zu begrenzen. Die ILA von 2018 war in diesem Punkt nicht hinreichend spezifisch und hatte Microsoft als Verantwortlichem weitreichende Freiheiten erlaubt. Änderungen am Vertragswerk sollten nur gemeinsam vorgenommen werden können, empfiehlt der EU-Datenschutzbeauftragte. Er kritisiert außerdem, EU-Institutionen hätten nicht in ausreichendem Maße die Einhaltung der Verpflichtungen seitens Microsoft und dessen Unterauftragsverar-

beitern prüfen können. Lizenzvereinbarungen sollten daher detaillierte Auditierungsrechte gewähren und den Dienstleister zur Herausgabe relevanter Informationen verpflichten. Ein weiterer kritischer Punkt besteht in der Übermittlung von Diagnostik- bzw. Telemetriedaten. Der EU-Datenschutzbeauftragte empfiehlt, mit dem Dienstleister das Gespräch über technische Maßnahmen zur Überwachung bzw. zum Unterbinden dieser Funktionen zu suchen. Problematisch wird zudem gesehen, dass Microsoft Teile der relevanten Daten in Drittländern speichere. Öffentliche Auftraggeber sollten verfügen, dass personenbezogene Daten in der EU verbleiben. Das gilt insbesondere nach dem neuen EuGH-Urteil, das strenge Anforderungen an den Datentransfer in die USA und andere Drittländer stellt (siehe S. 30).

Mündig gegen digitale Desinformation Bundeskanzleramt startet “Bundeszentrale für digitale Aufklärung” (BS/wim) Unter Federführung der Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär, hat die Bundesregierung Ende Juli eine neue Initiative für die Stärkung der Demokratie im digitalen Raum gestartet. Die neu gegründete “Bundeszentrale für digitale Aufklärung” hat im Rahmen einer Auftaktveranstaltung Ende Juli an der Uni Würzburg mit einer Online-Diskussionsrunde zum Thema “Fake News – Desinformation und digitale Aufklärung in der Corona-Krise” ihre offizielle Arbeit aufgenommen. Ziel der neuen Bundeszentrale soll es sein, die “Bürger auf allen Feldern der digitalen Transformation zu begleiten, auf der einen Seite technisch, aber auf der anderen Seite vor allem auch persönlich. Dazu gehört auch, dass wir alle zeitlebens Lernende sind und es keine falschen Fragen in Bezug auf digitale Themenfelder gibt”, erklärte Dorothee Bär in Würzburg. Als zentrales Problem macht die Staatsministerin die geziel-

te Schädigung der Demokratie durch die Streuung von Desinformationen im digitalen Raum aus. Um sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, brauche es mündige Bürger in einer wehrhaften Demokratie, die sich im digitalen Raum auskennen und zudem die effektive Unterscheidung von Fakt und Fiktion möglichst intuitiv beherrschen. “Die Pläne für eine solche Stelle gab es schon vor Corona, aber ich finde, durch Corona ist es noch-

mal notwendiger geworden”, so Bär, die betonte, dass es bei der Aufklärung nicht nur um “große” Themen wie Fake News, 5G oder Künstliche Intelligenz gehe, sondern auch vermeintlich einfache Fragen, beispielsweise was ein Cookie oder eine Cloud sei, für die Bürger begreifbar gemacht werden sollten. Grundsätzlich wolle man mit der Zentrale “zeigen, dass Bildung das wirksamste Mittel für Akzeptanz und gegen Desinformation ist”, erklärte Bär.


Informationssicherheit

Behörden Spiegel / August 2020

Seite 27

OpenStreetMap

Digital in die Zukunft führen

Karten aus Crowdsourcing-Daten

Verwaltungsinformatik auf Master-Niveau an der HS Bund

(BS/gg) Amtliche oder von Bürgern erfasste Daten? Amtlich geprüfte Vermesser und Kartografen oder “Bürgerwissenschaftler”, die mit alltäglichen Werkzeugen, wie z. B. dem Smartphone oder Sensoren im Pkw, geografische Daten erfassen können? Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) hat das große Potenzial freiwilliger Kartierer erkannt und baut die Kooperation mit der OpenStreetMap-Community aus.

(BS/Prof. Dr. Thomas Sauerland*) Mit gleich vier neuen Schwerpunktmodulen zur Verwaltungsinformatik wartet der Master-Studiengang “Master of Public Administration” der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (HS Bund) auf. Der verwaltungswissenschaftliche Aufstiegsmaster bereitet Beschäftigte der Bundesverwaltung gezielt auf die Übernahme von Führungsaufgaben im höheren Dienst vor.

Frei verfügbare und kostenlos bereitgestellte Geodaten, dazu Software, deren Quellcode ohne Nutzungseinschränkung veröffentlicht und von einer weltweiten Softwareentwicklergemeinschaft weiterentwickelt wird – die Realisierung dieser Philosophie möchte Prof. Dr. Paul Becker, Präsident des BKG, zusammen mit dem Verein für Freie und Open Source Software für GeoInformationsSysteme, FOSSGIS e. V., unterstützen. Im Fokus steht OpenStreetMap (OSM), das erfolgreichste globale Open-Geodata-Projekt, das weltweit Geodaten hervorbringt. Die Kartierung des Krisengebietes nach dem Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010 ist ein prominentes Beispiel für ein gelungenes OSM-Projekt. Auch werden die kontinuierlich aktualisierten OSM-Daten z. B. für Navigationszwecke im Alltag von jedermann gerne verwendet. “Die Leistung der hoch motivierten Freiwilligen ist zu bewundern. All dies gilt es zu fördern und nutzen” weiß Prof. Becker.

Die Wichtigkeit der digitalen Weiterentwicklung des MasterStudiums an der HS Bund liegt auf der Hand: Angesichts der gravierenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das gesamte gesellschaftliche Leben ist die Digitalisierung des Öffentlichen Dienstes notwendiger denn je. Die neuen Module zur Verwaltungsinformatik vermitteln daher inhaltlich passgenau und zum richtigen Zeitpunkt das Handwerkszeug für die aktive Gestaltung des digitalen Wandels in der Bundesverwaltung. Aktuell muss auch die öffentliche Verwaltung die Herausforderungen der Corona-Krise meistern. Mehr denn je kommt der digitalen Arbeit die entscheidende Rolle für die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben im öffentlichen Sektor zu. So werden Anträge von Wirtschaftsunternehmen auf Gewährung von Soforthilfen innerhalb weniger Tage bearbeitet und ausgezahlt. Viele Behörden sind für den Publikumsverkehr geschlossen. Bürgerinnen und Bürger können sich ausschließlich telefonisch oder per E-Mail an die Verwaltung wenden. Ein Großteil der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes befindet sich plötzlich im Homeoffice. Was zuvor dem als Fernstudiengang konzipierten MasterStudiengang “Master of Public Administration” vorbehalten war, gilt nun für die gesamte HS Bund: Der Lehrbetrieb ist vollständig auf Fernlehre umgestellt. Die Aufzählung ließe sich problemlos fortsetzen. Deutlich wird jedoch schon jetzt: Der digitale Wandel hat von heute auf morgen in den höchsten Gang geschaltet. Die hiermit einhergehenden He­ rausforderungen sind präsenter denn je. Aus gutem Grund haben die Abteilung Masterstudiengang und der Fachbereich Finanzen der HS Bund in Brühl und in Münster seit dem letzten Wintersemester vier neue Schwerpunktmodule zur Verwaltungsinformatik aufge-

Beitritt in den FOSSGIS e. V. Als ersten Schritt der Umsetzung ist das BKG am 20. Juni 2020 dem FOSSGIS e. V., dem Vertreter des OSM-Projektes in Deutschland, beigetreten. Diese neue Partnerschaft ergänzt die bisherigen Kooperationen wie etwa die mit vielen Bundesbehörden, der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder (AdV) und internationalen Partnern. Sie ruht auf fundierten Grundlagen: Das BKG entwickelt Verfahren, Produk-

Prof. Dr. Paul Becker ist Präsident des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG). Foto: BS/BKG

te und Dienste, mit denen sich Geodaten hoch effizient nutzen und kombinieren lassen. Dabei orientiert es sich am Bedarf der Nutzer und hohen Qualitätsanforderungen. Die verwendete Datenbasis muss zuverlässig und genau sein. Crowdsourcing und die Zusammenarbeit mit der OpenStreetMap Community erweitern die bisherigen Möglichkeiten der Datengewinnung um wesentliche Aspekte. Außerdem betreibt das BKG eine offene Datenpolitik. Das BKG baut sein Open-Data-Angebot permanent aus und setzt auch auf Crowdsourcing: Die kürzlich fertiggestellte App “POI2Go” für Geodatenerfassung wird zurzeit getestet.

Fachlicher Austausch in Form von Workshops Aus der Kooperation mit der OpenStreetMap Community soll eine gegenseitige Effizienzsteigerung ausgewählter Arbeitsabläufe resultieren. Die Geodatenmanager des BKG und die

OpenStreetMap-Community wollen sich künftig regelmäßig austauschen. Im Herbst dieses Jahres ist in den Räumen des BKG in Frankfurt a. M. ein erster Workshop geplant, in dessen Rahmen ein neuer, gemeinsamer Workflow für Qualitätssicherung ausgearbeitet wird. Neben der Suche nach technischen Synergien werden auch lizenzrechtliche Problemfelder beim Zusammenführen von Open-Data-Datensätzen angegangen und pragmatische Lösungsvorschläge ausgearbeitet. Weitere thematische Workshops sind in Vorbereitung. Auch der 1. Vorsitzende des FOSSGIS e. V., Dominik Helle, schätzt die Aufwertung der Grundprinzipien der OpenStreetMap-Community durch den neuen Partner: “Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem BKG. Es zeigt uns die große Wertschätzung der Arbeit der Community. Freie Geodaten sind in der Gesellschaft angekommen. Der gemeinsame Austausch wird uns noch weiter stärken und vorantreiben.”

Nachwuchsqualifizierung Sie kann im Öffentlichen Dienst nun völlig digital ablaufen (BS/Prof. Dr. Christian Schachtner) Der tiefgreifende Wandel im Öffentlichen Dienst erfordert eine Nachwuchs­ offensive mit Kompetenzvermittlung zur zukunftsfähigen und selbstverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung. Nicht allein digitale Fähigkeiten sind für die Transformation des öffentlichen Sektors entscheidend – vor allem strategische Fähigkeiten im Management ermöglichen eine Umsetzung von Trends in sinnstiftende und sichtbare Maßnahmen, woraus eine Zufriedenheitskultur in der Bürgerschaft geschaffen wird. Die öffentliche Verwaltung kann diesen gesellschaftlichen Auftrag aber nur kollaborativ nachhaltig gestalten. Die Möglichkeit, in Kooperation mit gemeinnützigen Einrichtungen der Zivilgesellschaft und Unternehmen smarte und sozialverträgliche Lösungen zügig zu entwickeln, erfordert bei Fachkräften eine Verschmelzung von Fach- und Managementkompetenz. Um diese Schnittstelle in der Gestaltung des öffentlichen Raums in unterschiedlichen behördlichen Ebenen zu besetzen, wurde der ab September 2020 startende Bachelor-Studiengang Public Management an der staatlich anerkannten und institutionell akkreditierten IUBH Internationalen Hochschule konzipiert. Die IUBH steht für Praxisnähe, internationale Ausrichtung und Flexibilität. Mit ihrem innovativen Studienangebot bereitet sie über 30.000 Studierende auf den globalen Arbeitsmarkt vor. Im aktuellen CHE Hochschul-Ranking, Deutschlands größtem Hochschulvergleich mit rund 120.000 befragten Studierenden, erhielt die IUBH die meisten Bestwertungen unter allen deutschen Hochschulen. Darüber hinaus belegt sie Platz eins unter den beliebtesten Fernhochschulen auf FernstudiumCheck.de und ist der Testsieger unter allen geprüften Bildungsanbietern des Deutschen Instituts für ServiceQualität.

den, stammen die Dozenten vorwiegend selbst aus einer Beschäftigung im öffentliProf. Dr. Christian Schachtner ist seit 2020 Studiengang­ chen Sektor, sind leiter im Bereich Public in der Umsetzung Management an der IUBH von TransformatiInternationalen Hochschule. onsprojekten ak tiv und bringen Foto: BS/IUBH Erfahrungen aus der Berater- und Lehrpraxis mit. Im Bachelor-Studium Public Der Wandel im öffentlichen Management werden den Studie- Sektor erfordert Kompetenzen renden alle erforderlichen rechts- in der Prozessoptimierung von und wirtschaftswissenschaftli- Geschäftsvorfällen, dem Sozialchen Grundlagen für die Arbeit bzw. Nachhaltigkeitscontrolling im öffentlichen Sektor vermittelt. und dem Technologie- und InnoDarüber hinaus haben sie ma- vationsmanagement. Absolvenximale Freiheiten in der Wahl ten des Bachelor-Studiengangs ihres Studienschwerpunkts: Es Public Management werden können rechtliche, organisato- dazu ermächtigt, gestaltende rische, kommunikative, techno- Positionen in der Projektleilogische, kreativ-gestalterische tung, mittleren Führungsebene oder politikwissenschaftliche oder auch in Selbstständigkeit Fächerkombinationen gewählt in der Organisationsberatung werden. Einige Fächer werden anzutreten. Es wird seitens als Sprint-Variante angeboten, der Studiengangsleitung bedie ein sehr praxisnahes Stu- sonders darauf geachtet, Abdienerlebnis bietet – teils im solventen an unterschiedliche Service-Learning-Ansatz durch Professionen und verschiedie Beteiligung an tatsächlich dene Arbeitgeber im öffentliin der behördlichen/ gemein- chen Bereich heranzuführen. nützigen Praxis durchlaufenUnter www.iubh-fernstudium. den Projekten. Das Studium soll den Studierenden eine erhöhte de/lp/bachelor-public-manage Handlungsfähigkeit in der Ver- ment finden sich alle relevanten wirklichung einer nachhaltigen Informationen zum Studienangeund modernen Erbringung des bot. Dort kann auch ein persönöffentlichen Auftrags vermitteln. liches Beratungsgespräch zum Um den branchenspezifischen Studiengang Public Management Besonderheiten gerecht zu wer- vereinbart werden.

legt. Die neuen Module sollen die IT-Kompetenzen der künftigen Führungskräfte in der Bundesverwaltung stärken.

bildet eine Information Technology Infrastructure Library (ITIL), innerhalb der alle Kernprozesse gebündelt und verwaltet werden.

IT-Management

Informationssicherheit und Datenschutz

Das Modul “IT-Management” bereitet Führungskräfte gezielt auf die Wahrnehmung von Schnittstellenfunktionen zwischen ITAbteilungen und Fachabteilungen in Behörden vor. Konsequent stehen vor allem das strategische und operative Informationsmanagement im Mittelpunkt. Die Studierenden sollen befähigt werden, IT-Systeme innerhalb der vorhandenen organisatorischen Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Aspekte in behördlichen Strukturen erfolgreich zu implementieren.

Softwareengineering Mit dem neuen Modul “Softwareengineering” soll sich die Bundesverwaltung zunehmend in der Softwareentwicklung emanzipieren. Von der Planung und Analyse von Softwareprojekten über Softwarearchitekturen bis hin zur Prozessführung und Prozessoptimierung steigt dieses Modul voll in die Materie “Software” ein. Was bisher vielerorts durch externe Dienstleister bereitgestellt wird, soll künftig möglichst selbst in die Hand genommen werden. Mit dem erfolgreichen Studium des Moduls “Softwareengineering” sollen Führungskräfte befähigt werden, Softwareentwicklungen von der Konzeption bis zum Release effektiv zu gestalten.

Planung und Betrieb Beim Modul “Planung und Betrieb zentralisierter IT-Services und Infrastrukturen” stehen vor allem die Aspekte eines modernen IT-Servicemanagements im Vordergrund. Daneben sollen Studierende erfahren, wie ein Rechenzentrum geplant und betrieben wird. Sämtliche Problemfelder von der Administration bis zur Datensicherung werden hier curricular gelehrt. Grundlage

Die Aktualität der Lehrinhalte des Moduls “Informationssicherheit und Datenschutz” drängt sich geradezu auf. So muss die Digitalisierung der Bundesverwaltung stets unter Berücksichtigung von IT-Sicherheit und Datenschutz erfolgen. Die inhaltlichen Schwerpunkte des Moduls liegen deshalb in der Identifizierung und Abwehr von Bedrohungen für die Informationssicherheit. Vervollständigt werden die modularen Lernziele durch die Vermittlung und Anwendung kryptografischer Konzepte. Behörden und ihre Führungskräfte (von morgen) können übrigens alle Schwerpunktmodule zur Verwaltungsinformatik auch im Rahmen eines Gasthörerstudiums absolvieren. Über das Gasthörerstudium und das erfolgreiche Bestehen der jeweiligen Modulprüfung wird ein Hochschulzertifikat ausgestellt. Vorhandene Wissenslücken können so gezielt im Wege einer individuellen Fortbildung geschlossen werden. Die Corona-Pandemie mag an manchen Stellen durchaus “digitale Defizite” offengelegt haben. Im Bereich von Studium und Lehre werden die Herausforderungen durch das neue Angebot der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung jedoch aktiv angegangen. Weitere Informationen über den Master-Studiengang “Master of Public Administration” der HS Bund sowie die neuen ­Module zur Verwaltungsinformatik stehen unter www.mpa-bund. de zur Verfügung. *Prof. Dr. Thomas Sauerland ist wissenschaftlicher Leiter der Abteilung Masterstudiengang an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.

MELDUNG

Bundes-CIO spricht zum Einsatz von KI in der Verwaltung (BS/gg) Künstliche Intelligenz (KI) bietet auch für die öffentliche Verwaltung enormes Potenzial und wird in den kommenden Jahren in vielen Bereichen der Verwaltung Einzug halten. Dieses Innovationspotenzial von KI gilt es zu fördern, gleichzeitig

ist Bedenken gegenüber diesen neuen Technologien zu begegnen. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die menschenzentrierte und werteorientierte Entwicklung von KI voranzutreiben. Bundes-CIO Staatssekretär Dr. Markus Richter wird diese Aspekte in seiner

Eröffnungs-Keynote des Innovationssymposiums Künstliche Intelligenz beleuchten, welches der Behörden Spiegel am 29. September in Berlin veranstaltet. Weitere Informationen zu diesem Event unter www.innovations symposium-ki.de


Informationstechnologie

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E

in massiver Anstieg von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Hartz-IV-Bezug und Kinderzuschlag war zu erwarten, eine deutliche Zunahme der Plattform-Nutzung von Online& Telefonie-Kanälen und nicht geahnte Anforderungen an die Homeoffice-Infrastruktur: Die ITOrganisation der BA schwenkte am 2. März auf einen Task-ForceModus, der darauf ausgerichtet war, schnelle Entscheidungen zu treffen, die bestehenden ITPlattformen zu stabilisieren und aufzurüsten.

Behörden Spiegel / August 2020

Express-Digitalisierung in Corona-Zeiten Erfahrungsbericht aus der Bundesagentur für Arbeit (BS/Dr. Markus Schmitz) Februar 2020 – ein stabiler Arbeitsmarkt mit immer neuen Beschäftigungsrekorden. April 2020 – Lockdown in Deutschland und über 800.000 Anzeigen für Kurzarbeitergeld. Die Bundesagentur für Arbeit wird zu eine der “wichtigsten Intensivstationen Deutschlands” (Der Spiegel). Bereits Anfang März war man sich in der Bundesagentur für Arbeit (BA) bewusst, dass die sich entwickelnde Pandemie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer unvergleichbaren internen wie externen Herausforderung für die Organisation mit ihren 100.000 Mitarbeitenden werden könnte.

Bundesarbeitsminister Heil ein und angesichts der zeitweise geschlossenen Grenze war sogar ein Transport der dringend benötigten Server per Helikopter der Bundeswehr in Planung. Homeoffice-Plattform Parallel wurden die IT-Plattausgebaut formen für die Bearbeitung von Die Homeoffice-Plattform der Kurzarbeitergeld umgehend so BA wurde von durchschnittlich skaliert, dass statt der ansonsten 2.500 regelmäßigen gleichzeiti- 600 nun über 13.000 Mitarbeigen Nutzern vor der Krise, begin- ter auf den Systemen zeitgleich arbeiten können. Der Dialogbetrieb wurde auf sechs bis 22 Uhr sowie Wochenend- und Feiertagsbetrieb ausgeweitet. Nachts erfolgen Dr. Markus Schmitz ist seit Software-Versor2016 CIO der Bundesagentur für Arbeit (BA). Foto: BS/BA gungen und Hot­ fixes. Anzeigen und Bewilligungen auf Kurzarnend Anfang März, sukzessive so beitergeld können so binnen aufgebaut, dass sie seit Ende Mai weniger Tage bearbeitet und zur 47.500 gleichzeitigen Nutzern die Auszahlung gebracht werden. Arbeit von zu Hause ermöglicht. Aktuell arbeiten täglich knapp Telefonie-Plattform hochgerüstet 25.000 Mitarbeitende der BA, das sind ein Viertel des Personals, Mit dem kontrollierten Zurücktäglich im Homeoffice auf dieser fahren des operativen KundenPlattform. Faktor 10. Für den verkehrs nahm Zug um Zug die Erwerb der zusätzlichen Server Bedeutung der Telefonie-Plattaus Tschechien zur Skalierung form zu. Sie wurde hochgerüstet, der Plattform schaltete sich selbst um einen Ersatz für den direkten

Die digitale Transformation der BA erhielt durch die Auswirkungen der CoronaPandemie wichtigen Rückenwind. Foto: BS/BA

Kundenverkehr zu ermöglichen. Statt 4.000 Mitarbeitende arbeiteten in Höchstzeiten 18.000 am Telefon. Doch ging es nicht nur darum, die Kriseninterventionsfähigkeit der BA-IT unter Beweis zu stellen. In gleicher Weise galt es, auf Basis der durch die Corona-Krise veränderten Kundenerwartungen einen Prozess der agilen ExpressDigitalisierung zu starten: in eigens eingerichteten virtuellen Barcamps wurden gemeinsam von Technikern, Fachleuten und Praktikern die drängends-

ten Kundenanforderungen erhoben, innovative Lösungen für das Online-Portal und die Fachanwendungen entwickelt und diese innerhalb weniger Wochen produktiv gesetzt. Mit den Barcamps konnten gerade in Zeiten des Krisenmanagements Denkräume ermöglicht werden und die Investition der letzten Jahre in agile Arbeitsweisen Früchte tragen: • komplett neue Ausrichtung des lebenslagenbasierten Portals der BA rund um das Thema Corona mit täglichen Aktual-

isierungen und neuen Landing Pages, • Chatbots rund um die Anzeigen und Anträge auf Kurz­ arbeitergeld und Grundsicherung, darunter auch Implementierung eines der TOP-20-Ergebnisse des von Kanzleramtsminister Helge Braun initiierten Hackathons #WirVsVirus, • Implementierung einer App “Kurzarbeit Dokumente senden” zum Hochladen und Versenden von Dokumenten rund um die Kurzarbeit, • Implementierung neuer E-Services, wie z. B. eines neuen Antrags auf vereinfachten Grundsicherungsbezug so­wie Notfall-Kinderzuschlag inklusive Upload-Funktion, • ein Selfie-Ident-Verfahren zur Identifizierung per Smartphone oder Tablet, um die gesetzlich vorgeschriebene Identifizierung bei der Arbeitslosmeldung vorzunehmen. Bei aller Kombination von systematischem Vorgehen und spontaner Ideenfindung gehören zum wahrhaftigen Bild des Krisen-Alltags all die kleinen und großen Rückschläge bei der täglichen Steuerung einer großen IT-Installation in Krisen-Zeiten dazu: Gutgemeinte Hotfixes,

die nach dem Go Live wieder zurückgerollt werden müssen. Ausgerollte Chatbots, die zum Feintuning wieder “in die Garage” geholt werden müssen. Und viele kreative Ideen, bei denen man nicht hundertprozentig sicher sein kann, ob sie den Nerv der Bürgerinnen und Bürger sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber treffen.

Kriseninterventionsfähigkeit und Innovation Kriseninterventionsfähigkeit und Innovation sind die beiden wesentlichen Beiträge, die das Ressort für Digitalisierung und Informationstechnologie der BA in dieser Zeit leistet, damit Millionen Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger zeitnah die gerade in dieser Zeit so elementaren Service- und Geldleistungen erhalten. Dabei kommt der BA-IT zugute, dass sie mit ihrer digitalen Transformation in den vergangenen Jahren wichtige IT-architekturelle Grundlagen gelegt haben, die es ihr jetzt ermöglicht hat, seit Beginn der Corona-Krise ihre IT-Kapazitäten so zu skalieren und zu flexibilisieren, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin wechselnden Aufgabengebieten Anträge und Kundenanliegen zeitnah bearbeiten können. Die digitale Transformation der BA erhielt wichtigen Rückenwind und es wurde eine Art von Express-Digitalisierung ermöglicht, die unter normalen Umständen in dieser Form und zeitlichen Dichte nicht möglich gewesen wäre – und diese digitalen Errungenschaften werden auch bleiben.

Neue Beauftragte für NdB Fiedler verantwortet Weitverkehrsnetze bei der BDBOS (BS/stb) Ines Fiedler hat zum 1. Juli 2020 die Funktion der Direktorin als Beauftragte für die Netze des Bundes (NdB) bei der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) übernommen. Sie untersteht direkt der Hausspitze und beaufsichtigt die drei für NdB zuständigen Abteilungen sowie die Stabsstelle Kerntransportnetz des Bundes. Bei den Netzen des Bundes handelt es sich um die konsolidierte Netzinfrastruktur des Bundes für Kommunikation und Datenaustausch. Die BDBOS ist seit 2019 für den Betrieb zuständig. “Die Netze des Bundes vereinen 45 Regierungsnetze, die im Verbund mehr als 300.000 Bundbeschäftigte auf einer hochverfügbaren Plattform miteinander verbinden”, sagt Fiedler. “Ich freue mich außerordentlich, diese starke Infrastruktur als Direktorin als Beauftragte der Netze des Bundes mit meinem Team weiter auszubauen.” Pläne der Bundesregierung sehen vor, NdB als Verbindungsplattform für alle Weitverkehrsnetze der Verwaltung in Deutschland zu nutzen. Fiedler: “Gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern werden wir einen leistungsfähigen Informationsverbund für die öffentliche Verwaltung aufbauen, der den hohen Qualitäts- und Sicherheitsansprüchen von Bund, Ländern und Kommunen entspricht.” Fiedler ist diplomierte Wissenschaftsorganisatorin und hatte

Verantwortet innerhalb der BDBOS Konzeption, Betrieb und Weiterentwicklung der Netze des Bundes: Ines Fiedler. Foto: BS/BDBOS, Wilck

vier Jahre lang bis Ende 2019 als Vorständin das IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ Berlin) geleitet. Ihre Nachfolge beim IT-Dienstleister der Hauptstadt hatte zum Beginn dieses Jahres Marc Böttcher angetreten. Er hatte dort zuvor bereits alle kaufmännischen Bereiche, das Personalmanagement, die Ausbildung und das Facility Management verantwortet.

IT als Treiber der Verwaltungsmodernisierung: Der Newsletter E-Government, Informationstechnologie und Politik des Behörden Spiegel

Anmeldung: www.behoerdenspiegel.de newsletter@behoerdenspiegel.de


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / August 2020

Moderne Arbeitsplatzkonzepte

D

urch die Pandemie sind viele Ämter aktuell immer noch nur eingeschränkt erreichbar. Gleichzeitig gibt es zahlreiche wichtige Anträge, die sie im Rahmen der aktuellen Situation bearbeiten müssen. Unternehmen stellen beispielsweise vermehrt Anträge auf Kurzarbeit. Einzelne Behörden arbeiten bereits mit digitalen Akten. Für ämterübergreifende Prozesse bleibt jedoch oft immer noch nur der Rückgriff auf analoge Akten. Während für viele Unternehmen die Umstellung auf Homeoffice mehr oder weniger nahtlos funktionierte, war das in der Verwaltung nicht möglich. In der Zukunft müssen deshalb nicht nur die Angebote für die Bürger digitalisiert werden, sondern auch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter.

Digital ist nicht gleich digital “Digital sind wir doch schon lange!” – könnte man einwenden. Doch es geht nicht nur darum, Schreibmaschinen durch PCs und Leitz-Ordner durch Datenbanken zu ersetzen. Gewiss, das war ein erster Schritt der Digitalisierung, doch nun muss man in größeren Dimensionen denken. Jetzt geht es darum, Silos abzubauen und alte Strukturen

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Flexibler und effizienter arbeiten im Digital Workspace (BS/Oliver Ebel) In den letzten Wochen ist nicht nur viel Arbeit liegen geblieben, vielerorts gibt es durch die Corona-Pandemie auch ganz neue Probleme zu lösen. Homeoffice ist dabei in Ämtern und Behörden oft noch gar nicht möglich. Zeit, dass man auch dort über moderne Arbeitsplatzkonzepte nachdenkt. sie erst noch VPNVerbindungen einrichten, was nicht immer unprobleOliver Ebel ist Area Vice Prematisch verlief. sident DACH bei Citrix. Auch im laufen Foto: BS/Citrix den Betrieb kann VPN aber Probleme verursachen. Die Art der Authe ntifiz ie r ung bei traditionellen zu überdenken. Wenig überra- VPN-Verbindungen führt zu Sischend gelang die Umstellung auf cherheitslücken. So verlangen Homeoffice in den Unternehmen traditionelle VPNs oftmals nur am besten, die schon lange Zeit eine einmalige Anmeldung. Zuauf innovative Arbeitsmodelle sätzlich können IT-Experten die und technologische Unterstüt- Endpoint-Sicherheit nur gewährzung setzen. Cloud-Lösungen er- leisten, indem sie die jeweilige leichtern dort beispielsweise den Software dauerhaft manuell upDatenzugriff außer Haus. Dem- daten. Daneben leidet nicht selgegenüber standen traditionelle ten auch die Performance unter Unternehmen, die noch immer VPN-Verbindungen. Das kann vornehmlich auf On-Premise- sich in schlechterem Zugang zu Architekturen setzen, vor größe- Anwendungen oder verringerter ren Problemen. Vielfach mussten Geschwindigkeit niederschlagen.

Digital Workspaces für die Verwaltung Auch Mitarbeiter von Behörden brauchen einen sicheren und digitalen Arbeitsplatz statt traditioneller VPN-Verbindungen. So können sie von überall auf Akten zugreifen und sind auf zukünftige Krisen besser vorbereitet. Ein digitaler Arbeitsplatz ermöglicht Verwaltungsmitarbeitern einen sicheren Zugang zu relevanten Daten. Außerdem stellt er einen Zugang bereit, der nicht nur auf dem Netzwerk basiert, sondern durch Kontext-Informationen beeinflusst wird und auf den Nutzer oder das jeweilige Gerät angepasst ist. Um die Sicherheit zusätzlich zu erhöhen, vereint die Technologie verschiedene Formen der Authentifizierung. Neben der verbesserten Zugriffkontrolle erhöhen Digital Workspaces außerdem die Performance. Sie benötigen weniger Bandbreite

und können sich aktuellen Gegebenheiten anpassen. Außerdem kann die IT-Abteilung automatisch benachrichtig werden, wenn bestimmte Prozesse die Leistung beeinträchtigen. Doch auch auf der Ebene des einzelnen Mitarbeiters macht sich die Produktivitätssteigerung bemerkbar, vor allem durch Automatisierung. Durch die Automatisierung von Routinetätigkeiten verschwinden viele Aufgaben aus dem Zeitplan, sodass Mitarbeiter sich auf die komplexeren, problematischeren Fälle konzentrieren können, die nicht mit einem einfachen Klick auf “OK” gelöst werden können. Ein weiteres Problem, das die Produktivität beeinträchtigt, ist eine Art Reizüberflutung am Arbeitsplatz. Dagegen hilft im Digital Workspace ein intelligenter Feed, der dem Nutzer nur die wichtigsten Benachrichtigungen anzeigt und ihn nicht mit unwichtigen Din-

gen nervt. Im Hintergrund sorgen Machine-Learning-Algorithmen für die Automatisierung von Routinetätigkeiten. Was ein Nutzer sonst immer wieder gleich abarbeitet, lässt sich so problemlos automatisieren. Dies vereinfacht und beschleunigt Arbeitsabläufe erneut, sodass Mitarbeitern mehr Zeit für wichtigere, kreativere Aufgaben bleibt. So lässt sich viel Arbeitszeit einsparen – bis zu einem ganzen Arbeitstag pro Woche.

Verbesserter Service, gesteigerte Resilienz Bürger sind es heute gewohnt, dass sie fast alles online erledigen können – vom Banking bis zum Shopping. Brauchen sie etwas vom Amt, vermissen sie jedoch oft noch den digitalen Weg. Eine große Aufgabe für die Zukunft ist es, bessere digitale Services für die Bürger bereitzustellen. Das ist wichtig, um in Zukunft auch bei unvorhergesehenen Situationen Dienstleistungen von Behörden aufrechterhalten zu können. Auf der anderen Seite gilt es aber auch, die Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, dass sie von zu Hause arbeiten können. Hier kommt der Digital Workspace mit seinen umfangreichen Möglichkeiten für Remotezugriff ins Spiel.

Die Verwaltung 4.0 im Krisenmodus

Datensouveränität in der Cloud

Corona in Heinsberg – wie alles begann…

GAIA-X als offenes digitales Ökosystem

(BS/Wilfried Kruse*) Nach sechs Monaten Corona-Pandemie in Deutschland titelte die Rheinische Post am 29.06.2020: “Wo alles begann – der erste offizielle Covid-19-Patient in NRW kam aus Gangelt”. In der Gemeinde, einer von zehn Kommunen im Kreis Heinsberg mit seinen ca. 250.000 Einwohnern, gingen nach der “berühmten” Karnevalssitzung in der Hochzeit des Rheinischen Karnevals alle “roten Lampen” an, als die ersten positiven Befunde auf das Virus vorlagen. Der Kreis Heinsberg als zuständige Gesundheitsverwaltung war sofort und aus dem Stand – wie die Gemeinde selbst – an vorderster Stelle zur Eindämmung des ausgebrochenen Virus gefordert.

(BS/Johannes Rosenboom) GAIA-X ist ein offenes digitales Ökosystem unterschiedlichster Player. Wichtige Aspekte sind digitale Souveränität, Datenschutz und Sicherheit. Dreh- und Angelpunkt ist dabei ein sicherer Datenraum für Organisationen verschiedenster Branchen und unterschiedlichster Größenordnung im europäischen Raum als Basis für eine souveräne Datenbewirtschaftung. Daraus lassen sich ganz neue Geschäftsmodelle auch für den Public Sector ableiten wie beispielsweise im Gesundheitswesen, etwa im medizinischen Krisenmanagement, sowie für die Verkehrsinfrastruktur und Mobilität. Mit dieser Idee können Behörden die Cloud nutzen, um datengetriebene Dienste anzubieten.

Das bundesweite Medienecho wurde akut riesengroß, der Krisenstab des Kreises Heinsberg tagte unmittelbar nach der ersten Meldung am Aschermittwoch, Schulen und Kindergärten im gesamten Kreis wurden sofort geschlossen, die Auswirkungen und das Ansteckungsgeschehen für die Region war nicht im Geringsten überschaubar. Ganz NRW und eigentlich die ganze Bundesrepublik standen mit einer aus heutiger Sicht eher “dürftigen” gesamtstaatlichen Vorbereitung auf solch ein Ereignis vor einer riesigen Herausforderung. Die Verantwortlichen in der Kreisverwaltung standen als Erste in ihrer sicher größten Bewährungsprobe… In den zurückliegenden sechs Pandemiemonaten ist bekanntlich vieles geschehen, was unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht erlebt hat und was u. a. die öffentliche Verwaltung vor extreme Aufgaben gestellt hat. Bei all den bundesweiten Defiziten, die wir in Sachen Vorsorge, Schutzausrüstung, Organisation, digital fehlender Infrastruktur pp. erlebt haben, haben die Verantwortlichen im Kreis Heinsberg als Erste unter Beweis gestellt, was die öffentliche Verwaltung – gerade die Kommunalverwaltung – erfolgreich und aufopfernd leisten kann, wenn das Problem nicht “irgendwo draußen” steht, sondern schon und unerwartet auf der “Schwelle der weit geöff-

GAIA-X ist die jüngste Antwort auf den Ruf nach einer europäischen Cloud. GAIA-X ist eine sichere und vor allem vertrauenswürdige Alternative zu den großen Hyperscalern. Sie ist jedoch keine Konkurrenz zu diesen, sondern legt lediglich eine Schicht über Google, Amazon und Co. und bietet ein offenes Konzept. Ins Leben gerufen wurde das Projekt unter anderem vom Bundeswirtschaftsministerium und weiteren EU-Ländern.

neten Haustür” mit unbändigem Drang nach Drinnen! – Und dass im Ergebnis im Kreis Heinsberg eine solche Extremsituation/ Katastrophe bewältigt wurde, macht beispielhaft die Qualität der öffentlichen Verwaltung deutlich; die Menschen, die an vielen Stellen täglich dafür arbeiten, haben mit ihrem uneigennützigen Engagement auf allen Ebenen höchste Anerkennung und Lob verdient! Über den beispielhaften Einsatz im Kreis Heinsberg wird Landrat Stephan Pusch als “Pionier” im Kampf gegen das erste CoronaAusbruchsgeschehen in Deutschland auf dem Kongress “e-nrw” am 5. November 2020 in Neuss vortragen und sicher auch aus seiner persönlichen Ersterfahrung berichten, wie eine solche Krise bewältigt werden kann/ muss, welche persönliche Kraft, Konflikt-, Streit- und Leidensfähigkeit sowie welche weiteren Steuerungsinstrumente, digitales Equipment, digitale Modernisierung und Komponenten vor Ort und im gesamtstaatlichen Gefüge aus kommunaler Sicht jetzt und weiter notwendig sind, um unser Gemeinwesen in solch extremen Krisenzeiten, die wir gerade erleben, wirksam zu schützen. Fragen zur kritischen und sicheren Infrastruktur in Krisenzeiten im Weiteren, auch bei den Kommunalen Versorgern, zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz, zu 5G werden auf dem

Kongress ebenso zur Diskussion stehen wie energieeffiziente und “grüne” Rechenzentren mit innovativen Ideen zu Hard- und Software – als Beiträge zum Klimaschutz und zur zukünftig steigenden Inanspruchnahme und Netzbelastung, die insbesondere auch die kommunalen IT-Dienstleister zu gewährleisten haben. Auf “e-nrw” am 5. November 2020 in Neuss wird deshalb also – neben anderen Feldern aktueller, digitaler Entwicklungen und Projekte in NRW – auch über die u. a. aus der Coronazeit abzuleitenden, essenziellen Meilensteine der digitalen Verwaltung 4.0 in der begonnenen digitalen Dekade intensiv zu sprechen sein! *Wilfried Kruse, Geschäftsführender Gesellschafter IVM² ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”, den der Behörden Spiegel am 5. November in Neuss veranstaltet. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.enrw.info

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 5. November 2020 Düsseldorf/Neuss www.e-nrw.info

MELDUNG

Neuer Deutschlandatlas ist online (BS/wim) Die aktualisierte Version des Deutschlandatlas (www. deutschlandatlas.bund.de) ist als interaktive Website abrufbar. Insgesamt 56 Deutschland-Karten bilden die wichtigsten Fakten über das Leben in Deutschland ab und erlauben detaillierte Vergleiche zwischen den Regionen. Konzipiert wurde das Angebot gemeinsam vom Bundesinnen-, dem Landwirtschafts- sowie dem Familienministerium. Erarbei-

tet und weiterentwickelt wurde es vom Statistischen Bundesamt, dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) und dem Thünen-Institut für Ländliche Räume (TI). Als amtliche Datenbasis für die Politik macht der Atlas Veränderungen in Deutschland sichtbar und zeigt auf, in welchen Bereichen und Regionen noch

Handlungsbedarf zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse besteht. Bundesinnenminister Horst Seehofer erklärte hierzu: “Der interaktive Deutschlandatlas macht sichtbar, wie es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland bestellt ist. Er ist damit wichtige Informationsgrundlage, um die Attraktivität von Regionen gezielt zu fördern.”

Neutrale Zertifizierung notwendig Damit die Sicherheit der Daten gewährleistet ist und Geschäfts- und Dienstmodelle auf Basis dieser Daten ermöglicht werden können, sollte diese Schicht neutral zertifiziert sein. GAIA-X will eine Referenzarchitektur schaffen, die jeder CloudAnbieter implementieren kann. Die Grundlage hierfür ist das sogenannte International Data Spaces Referenzarchitekturmodell. Europäische Behörden und Unternehmen haben damit die Souveränität über ihre Daten. Ein wichtiger Vorteil des Projektes: Behörden und Wirtschaft können mithilfe dieser Schicht gemeinsam Daten bereitstellen, nutzen und monetarisieren, beispielsweise Mobilitäts- und Verkehrsdaten. In der digitalen Wirtschaft sind Daten ein wertvolles Gut. Behörden und Unternehmen bereiten die Daten auf und stellen sie gezielt zur Verfügung oder nutzen sie selbst als Grundlage für neue digitale Dienste. Dies erfordert eine Infrastruktur, die diese Daten zuverlässig und standardisiert nutzbar macht, und zudem verbindliche Service Level Agreements, die für alle Marktteilnehmer gelten.

Laufende Projekte zur Nutzung von Mobilitätsdaten Bei der Nutzung von Mobilitätsdaten engagiert sich Materna bereits in mehreren Projekten. Beispielsweise baut Materna mit Projektpartnern ein kommunenübergreifendes System auf,

vereinfacht Daten austauschen. Beispielsweise Johannes Rosenboom ist können private Leiter Sales, Business DeDienstleistungsvelopment und Marketing anbieter auf die im Geschäftsbereich Public Daten zugreifen Sector bei Materna. und eigene Services auf Basis Foto: BS/Materna dieser Daten entwickeln und ihren Kunden anbieten. Auch Städte wie Frankfurt, Düsdas die Verkehrssteuerung der seldorf und Stuttgart nutzen Routen für Pendler und Lkws die Daten des MDM, um lokale großflächig optimiert. Hierbei Verkehrsströme zu optimieren. werden beispielsweise verschie- Damit weiß das Navi im Auto, ob denste Ampelschaltungen be- Baustellen die freie Fahrt behinrücksichtigt, die bislang gar nicht dern, wo freie Parkplätze zu finvernetzt sind und kleinräumig den sind oder ob ein Geisterfahrer ablaufen. Das heißt, sowohl unterwegs ist. All diese InformatiBund, Länder als auch Gemein- onen leiten die Verkehrszentralen den sind involviert – und auf über den MDM in die Systeme Dauer eventuell auch weitere der Automobilhersteller und ans öffentliche Verkehrsverbünde. Navi weiter. Besonders hilfreich in diesem Mit Mobilitätsdaten, die zum Projekt sind Speditionen, die Beispiel auch anonyme MoInformationen zu den geplan- bilfunkdaten und vieles mehr ten Routen beisteuern können. umfassen können, lassen sich Aber auch hier gilt: Daten über etwa auch Auslastungen der Routenplanung und Auslastung Lkw-Parkplätze an Autobahnen sind sensible Geschäftsdaten. prognostizieren – für Lkw-Fahrer Sie dürfen nicht als Rohdaten und Speditionen eine wichtige in ein solches System einfließen. Information, um die Ruhezeiten Dieses Beispiel zeigt, wie komplex einzuhalten. Auch hierzu gibt es die Nutzung von Mobilitätsdaten bereits ein aktuelles Projekt, an ist und wie viele Aspekte zu be- dem Materna beteiligt ist. rücksichtigen sind. Eine andere wichtige Frage in diesem Zu- Volle Datenhoheit muss gewährleistet sein sammenhang ist, wer in solchen Fällen welche Daten sehen und GAIA-X kann hat also das Poverarbeiten darf. Das ist keine tenzial, viele Lebensbereiche leichte Frage, muss aber auf je- zu digitalisieren. Daten sind den Fall ganz genau definiert ein Schlüsselelement vieler werden, weil es sich um eine Geschäftsprozesse und gerade Kritische Infrastruktur handelt, für die öffentliche Hand immer wichtiger. Um aus Daten inteldie geschützt werden muss. ligente Dienste entstehen zu Der “Mobilitäts Daten Markt- lassen, muss es möglich sein, platz” Daten durch vertrauenswürdige Ein weiteres Mobilitätsprojekt Technologien zu Informationen von Materna ist der “Mobilitäts werden zu lassen. So findet diDaten Marktplatz”, kurz MDM, gitale Transformation statt. Auder Bundesanstalt für Straßen- ßerdem müssen alle Teilnehmer wesen. Der MDM ist ein zentrales jederzeit die volle Hoheit über Online-Portal, das Mobilitätsda- ihre Daten haben. GAIA-X birgt ten aus ganz Deutschland zentral also ein immenses Potenzial für für verschiedenste Anwendun- Innovationen und könnte ein gen zugänglich macht. Alle Teil- zentraler Baustein einer digitalen nehmer können untereinander Verkehrswende sein.


IT-Sicherheit

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Behörden Spiegel / August 2020

Innovation ermöglichen

Datenschutz ohne Schild

Statt Überkomplexität mit Mut kalkulierte Risiken eingehen

Wie geht es nach dem Scheitern des Privacy Shields weiter?

(BS/Ammar Alkassar) Verwaltungsprozesse sind häufig zu bürokratisch, zu komplex und zu langwierig organisiert. Das ist sowohl für unsere Beschäftigten und Beamten als auch für die Bürger und die Wirtschaft frustrierend. Während im Privaten immer mehr Tätigkeiten mit einem Klick erledigt sind, dominieren in den tradierten Verfahren Überkomplexität und überbordende Anforderungen – die im Übrigen für viele massive Kostensteigerungen verantwortlich sind. Dem liegen meist entscheidungs- und führungsschwache Strukturen und eine systembedingte Risikoaversion zugrunde. In einer Zeit, in der Sprunginnovationen die Welt auf den Kopf stellen, sind das mehr als nur gefährliche Schwachstellen für den Staat.

(BS/Benjamin Stiebel) Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ist der EU-US Privacy Shield Geschichte. Die Chancen, dass ein rechtssicheres Nachfolgeabkommen ausgehandelt werden kann, stehen schlecht. Leidtragende sind europäische Organisationen, die US-Clouddienstleister beauftragen oder indirekt nutzen. Denn eine rechtlich saubere Übertragung von personenbezogenen Daten in die USA ist nun kaum noch möglich. Verantwortliche müssen handeln, denn die meisten unter dem Schutz des Privacy Shields eingerichteten Verträge und Prozesse dürften nun rechtswidrig sein.

Wenn wir die Daseinsberechtigung und Leistungsfähigkeit des demokratisch verfassten Staates langfristig sichern wollen, hilft nur eines: Mut, konsequent Prozesse unter Nutzung innovativer Technologien radikal neu zu denken, Risiken zu kalkulieren und bewusst einzugehen. Die Digitalisierung ist eine solche Technologie. Zwei Erfolgsrezepte von Digitalunternehmen sind dabei besonders beachtenswert: eine konsequente Plattformstrategie und der breitflächige Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Plattformen schaffen die Grundlage für eine Mehrfachnutzung von Softwaremodulen und Daten. Sie ermöglichen übergreifende Verfahren und Dienste und erlauben Anbietern, sich zu spezialisieren: die Grundlage für ein echtes Ökosystem. Dies steht im Kontrast zur digitalen Verwaltungslandschaft in Deutschland, die aus einer großen Zahl proprietärer Einzellösungen besteht, die jeweils vollständige Softwarestacks abzubilden versuchen – und damit viele Räder außerhalb ihres Kerngeschäfts neu erfinden. Der Versuch, diese nachträglich interoperabel zu machen, führt zu einer nicht mehr beherrschbaren Komplexität und ist zum Scheitern verurteilt.

Prozessplattform geplant Eine positive Spezialisierung ist die weitestgehende Automatisierung von Prozessen mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Dies kann in seiner Tragweite nicht hoch genug eingeschätzt werden: Methoden der KI werden alleine durch die nicht-lineare Skalierung Dinge ermöglichen, die sonst nicht nur langsamer oder kostspieliger wären, sondern schlicht nicht umsetzbar. So wird eine KI-gestützte Auswertung von Röntgenaufnahmen Ergebnisse liefern, die nie ein Arzt alleine ermitteln könnte. Wie kann man solche Methoden in den behördlichen Alltag von Ländern und Kommunen inte­ grieren? Im Saarland werden wir das mit einer zentralen digitalen Prozessplattform in Form einer

denken. Vor allem aber muss die Verwaltung Mitarbeitern ein Umfeld bieten, in dem Ammar Alkassar ist Bevollmächtigter des Saarlandes Kreativität und die für Innovation und Strategie Übernahme von und CIO der saarländischen Verantwortung geLandesregierung. schätzt und gefördert werden. Denn Foto: BS/Saarländische Staatskanzlei wir werden in den kommenden JahCloud-Anwendung realisieren. ren viel Neuland betreten, das Als erstes Projekt dieser Platt- gestaltet werden will und brauform entwickeln wir zurzeit ei- chen weniger Sachbearbeiter, nen digitalen Bauantrag, der den die das Vorhandene verwalten. Auch müssen Hierarchien vergesamten Antragsprozess medienbruchfrei abbildet. Schon bei gleichbar mit modernen UnterAntragsstellung sollen mit einer nehmen deutlich abgeflacht werintegrierten KI erste gesetzliche den, damit Innovationen nicht Anforderungen wie beispielsweise auf dem Dienstweg bis zur UnMindestabstände automatisch kenntlichkeit und vor allem bis überprüft werden. Damit hilft zur Untauglichkeit verwässert die KI, mit einer immer weiter- werden. Auch die Arbeitsorgagehenden Automatisierung, Mit- nisation muss den tatsächlichen arbeiter von Routineaufgaben Anforderungen entsprechen zu entlasten und Antragstellern (mobiles Arbeiten, Flexibilität, und Architekten, durch eine ex- gegenseitige Vertrauensbasis, trem schnelle Rückmeldung ih- ergebnisorientiertes statt zeit­ re eigenen Prozesse signifikant orientiertes Arbeiten). Einer der wichtigsten Punkte, zu verbessern. Dieses Prinzip werden wir nach und nach auf den wir von innovativen Unterweitere Behördenleistungen nehmen lernen können, ist, dass des Landes ausweiten und den eine Entwicklung nie abgeschlosKommunen die Integration ihrer sen ist. So, wie Software regelmäVerwaltungsleistungen ermög- ßig mit Updates verbessert wird, lichen. Und: Wir werden einen muss sich auch die Verwaltung Markt schaffen für Start-ups, kontinuierlich weiterentwickeln. die beispielsweise hochinnovative Dahinter steht das Leitbild eines “lernenden Staates”, der evidenzKI-Lösungen anbieten. Um die Modernisierung der Ver- basiert Entscheidungen trifft und waltung voranzutreiben, braucht sich stetig verbessert. die Verwaltung einen weiteren Schub: den Wissenstransfer aus Kultureller Umbruch nötig der Privatwirtschaft durch höhere Auf Dauer werden sich die MenDurchlässigkeit. Ein Beispiel ist schen im Öffentlichen Dienst auf das dreimonatige Fellowship- einen kulturellen Umbruch einProgramm für Digitaltalente der stellen, der bestenfalls mehr an Digitalisierungsinitiative Tech- ein Start-up als an eine deutsche 4Germany. Solche Programme Amtsstube erinnert. Während der sollten wir auf den gesamten Corona-Krise haben die vielen Öffentlichen Dienst ausweiten. Beamten und Beschäftigten geIm Saarland werben wir aktiv zeigt, dass sie flexibel und ohne um Quereinsteiger, die ihre Er- Qualitätsverlust ihren Dienst fahrung und Expertise in die auch im Homeoffice meistern und Landesverwaltung einbringen. für die Bürger und die Wirtschaft Um talentierte Quereinsteiger effizient und nachhaltig arbeiten. zu gewinnen und zu halten, Diesen Schwung, die Kreativität muss die Verwaltung dringend und den unbedingten Willen zur ihr bislang undurchlässiges Problemlösung müssen wir auf Netz formaler Einstellungs- und dem Weg zu einer innovativen Aufstiegsvoraussetzungen über- Verwaltung mitnehmen.

Der Privacy Shield sicherte auf dem Papier die Durchsetzung von Rechten von EU-Bürgern, wenn ihre personenbezogenen Daten von Unternehmen in den USA verarbeitet werden. Auf dieser Grundlage war die Beauftragung von US-Cloud-Dienstleistern möglich. Das ist nun vorbei, weil der EuGH den Privacy Shield für unvereinbar mit europäischem Datenschutzrecht erklärte. Nicht nur dass die Wahrnehmung der Betroffenenrechte in der Praxis nicht funktioniert – dem Abkommen stehen auch US-Gesetze wie der Foreign Intelligence Surveillance Act entgegen. Diese Gesetze erlauben Behörden den heimlichen Zugriff auf die Daten. Obwohl das Ende des Privacy Shields absehbar war (siehe Behörden Spiegel Juni 2020, Seite 30), fühlen sich viele der für die Datenverarbeitung Verantwortlichen ins kalte Wasser geworfen. Denn die EuGH-Entscheidung gilt sofort und ohne Übergangsfrist. Das heißt, Datenübertragungen in die USA, die bisher nur auf Grundlage des Datenschutzschildes liefen, sind jetzt in aller Regel illegal. Ganz ausgeschlossen ist der Datentransfer nach dem Richterspruch zwar nicht. EU-Auftraggeber und US-Dienstleister können noch auf Basis von Standardklauseln Verträge ausarbeiten. Dazu braucht es aber geeignete Garantien dafür, dass keine Umstände – oder eben staatliche Zwänge – vorliegen, die dem Schutz personenbezogener Daten auf europäischem Niveau entgegenstehen. Diese Garantien können US-Anbieter guten Gewissens aber kaum geben. Teilt der Datenimporteur mit, dass ihm der adäquate Datenschutz aufgrund der Gesetzeslage nicht möglich ist, kann der Auftraggeber den Fall noch der zuständigen Aufsichtsbehörde zur Prüfung vorlegen. Doch die Erfolgsaussichten sind gering. Die Konsequenz beim Gros der Fälle: “Sollte sich herausstellen, dass der Dienstleister nicht rechtlich konform agiert, müssen die Verträge beendet und möglicherweise dort gespeicherte personenbezogene Daten zurückge-

Digitale Resilienz ist unverzichtbar In der Krise handlungsfähig bleiben (BS/Martin Kaloudis) Resilienz war der kritische Faktor in den ersten Wochen und Monaten der Covid-19-Pandemie. Hier standen Stabilität, Robustheit und Sicherheit der IT-Dienste auf dem Prüfstand. Die aktuelle Krise hat verdeutlicht, dass Resilienz neben einer großen Portion Flexibilität, Agilität und Kreativität auch vieljährige Erfahrung und Innovation benötigt, um in neuen, unvorhergesehenen Umständen handlungsfähig zu sein. Die digitale Resilienz systemrelevanter IT-Strukturen leistet einen wichtigen Beitrag zur digitalen Souveränität Deutschlands und zum Erhalt der Kernführungsfähigkeit der Bundeswehr. Dabei ist sie ein systemisches Prinzip, das von Beginn an ganzheitlich mitgedacht werden muss. Wenn Resilienz fehlt, merkt man es leider erst, wenn es zu spät ist. Denn die meisten Fehler passieren bereits in der Planungsphase. Man muss Frühwarnsysteme und die nötigen Werkzeuge parat haben, um flexibel und sofort zu handeln. Dies gilt nicht nur für technische Instrumente, sondern auch für benötige Kapazitäten, Prozesse, Pläne, Personal und Governance-Strukturen, die im Notfall sofort abrufbar sein müssen, auch wenn sie im Normalfall selten bis nie benötigt werden. Als IT-Systemhaus der Bundeswehr begleitet die BWI die Streitkräfte auf dem Weg der Digitali-

silient und sicher managt. Dies war allerdings nur möglich unter Martin Kaloudis ist Chief enormem Einsatz Executive Officer (CEO) und und Engagement Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI GmbH, jedes Einzelnen. des IT-Systemhauses und Mit dem Ziel, Digitalisierungspartners der die Bundeswehr Bundeswehr. Foto: BS/BWI GmbH beim Erhalt ihrer Kernführungsfähigkeiten maßgebsierung. Die Covid-19-Krise war lich zu unterstützen, konnten und ist nicht nur für den gesam- Möglichkeiten für Heimarbeit ten IT-Betrieb ein Test, sondern signifikant erhöht werden. So auch für die Zusammenarbeit hat die BWI beispielsweise in zwischen Bundesministerium kürzester Zeit die mobilen Verder Verteidigung, Bundeswehr bindungen (RAS-Zugänge) für und BWI – gemeinsam konnten die Bundeswehr verdreifacht. die kurzfristigen Herausforde- Im gesamten Bundesgebiet wurrungen erfolgreich, flexibel und den leistungsfähigere Netzwerkagil gestemmt werden. Dabei hat komponenten implementiert oder die BWI in den letzten Monaten bestehende erweitert. Die Bungezeigt, dass sie gemeinsam mit deswehrkrankenhäuser wurden den Streitkräften das IT-System alle mit Videokonferenzanlagen der Bundeswehr auch in einer ausgestattet, die Klinik für Unextremen Krisensituation re­ fallchirurgie und Orthopädie des

Bundeswehrkrankenhauses Berlin setzt aktuell Online-Videosprechstunden ein – ein System des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr, einer Innovationseinheit der BWI. Eine Vollausstattung aller Dienststellen mit Videokonferenzanlagen oder aller Bundeswehrangehörigen für mobiles Arbeiten ist damit aber noch nicht erreicht. Jetzt, wo die Krise noch nicht überwunden ist und die Eindrücke noch frisch sind, sollten kritisch “Lessons Learned” abgeleitet werden. Das heißt für die nächsten Monate: Lernen, was gut funktioniert hat und verstetigt werden sollte, aber auch, was kritisch war und nicht so gut funktioniert hat. Eine der wichtigsten Lektionen aus der Covid-19-Pandemie lässt sich jetzt schon ableiten: Frühzeitig zu investieren, um gegen Krisen gewappnet zu sein – dies gilt nicht nur für die IT.

Der Privacy Shield hat vier Jahre lang den Transfer personenbezogener Daten von der EU in die USA ermöglicht. Nun hat der EuGH ihn zum Alteisen erklärt.

holt werden”, stellt Marit Hansen, Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, klar.

Verantwortliche gefordert Die Verantwortlichen haben also einiges an Prüfaufwand vor sich. In vielen Fällen werden sie Prozesse gänzlich überarbeiten und sich nach neuen Dienstleistern umsehen müssen. Öffentliche Stellen in Deutschland dürften noch glimpflich davonkommen, denn die meisten sind ohnehin zurückhaltend bei der Zusammenarbeit mit Cloud-Dienstleistern gewesen, zumal US-amerikanischen. Bei den Aufsichtsbehörden sind dennoch kritische Konstellationen zuhauf bekannt. Im Jahr der Corona-Pandemie haben Videokonferenz- und andere Kollaborationsdienste wie Zoom oder Microsoft Teams auch im öffentlichen Bereich viele Nutzer gewonnen. Dazu kommen offiziell oder inoffiziell genutzte Speicherund Datenaustauschlösungen oder Synchronisierungsdienste zum Beispiel für den Einsatz von mobilen Endgeräten. “Wir hatten auch schon Anwendungen, bei denen gewisse IT-Komponenten wie Libraries oder App-Komponenten einen Datenabfluss zu US-Servern verursachen, den man kaum oder gar nicht unterbinden konnte”, erklärt Hansen. Daher heiße es bei allen Verarbeitungsprozessen, bei denen Dritt­ anbieter oder externe Software im Spiel sind: Genau hinschauen. Denn solche Abflüsse seien vielen Verantwortlichen gar nicht bewusst, so die Datenschützerin. Problematisch ist auch die Nutzung von Sozialen Netzwerken. In der Regel haben Behörden keine konkreten Verträge mit den Anbietern geschlossen. Dennoch sind sie für die Verarbeitung der Daten von Besuchern mitverantwortlich, etwa wenn sie eigene Fanpages auf Facebook betreiben. Das hatte der EuGH in einem früheren Urteil entschieden. Dieses lässt sich auch auf Twitter, Youtube und andere Netzwerke übertragen. Die deutschen Aufsichtsbehörden halten die Nutzung durch Behörden ohnehin für regelmäßig rechtswidrig (siehe Behörden Spiegel Februar 2020, Seite 36). Mit dem neuen Urteil wird diese Auffassung noch verfestigt.

Schmerzensgelder im Spiel Die Aufsichtsbehörden behalten sich bei Verstößen Abhilfemaßnahmen bis hin zum Verbot der Datenverarbeitung per Verwaltungsakt vor. Bußgelder können im öffentlichen Bereich nicht verhängt werden, allerdings könnten Behörden

Foto: BS/Masson, stock.adobe.com

Schadenersatzforderungen seitens der Nutzer drohen, wie die Berliner Beauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Maya Smoltczyk, warnt. Der EuGH betone ausdrücklich, dass “betroffene Personen Schadensersatz für unzulässige Datenexporte verlangen können”, heißt es aus der Datenschutzbehörde. “Dieser dürfte insbesondere den immateriellen Schaden (“Schmerzensgeld”) umfassen und muss nach dem europäischen Recht eine abschreckende Höhe aufweisen.” Trotz alledem wird der Wegfall des Privacy Shields die größte Wucht für Unternehmen entfalten. Sie klagen über Rechtsunsicherheit und harte Folgen für internationale Geschäftsmodelle. Allein der Aufwand, bestehende Vertragsverhältnisse zu prüfen, ist enorm. Und das nachdem gerade erst die Umsetzung der europäischen Datenschutzgrundverordnung viele erheblich belastet hatte. Schwerer wiegen wird die Tatsache, dass es in vielen Bereichen einfach keine Anbieter gibt, die mit den US-Dienstleistern mithalten können. So wird der Markt für Infrastructure-, Platform- und Software-as-a-Service von den amerikanischen Unternehmen AWS, Google und Microsoft dominiert. “Daten ausschließlich in Europa zu verarbeiten, ist einerseits technisch kaum umsetzbar und würde andererseits einen massiven Wettbewerbsnachteil für europäische Unternehmen bedeuten”, betont Susanne Dehmel, Mitglied der Geschäftsleitung beim Digitalbranchen-Verband Bitkom.

USA am Zug Abhilfe erhofft sich die Wirtschaft von der EU-Kommission. Die hat nach dem Urteil Gesprächsbedarf mit den USA angemeldet. Doch wird sie kein neues Abkommen aushandeln können, das den Kriterien des EuGH gerecht wird, solange die US-Regierung nicht zu weitgehenden Zugeständnissen beim staatlichen Datenzugriff bereit ist. Der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski äußerte sich zuversichtlich, die USA würden alle möglichen Anstrengungen und Mittel einsetzen, um zu einem Rechtsrahmen zu kommen, der die Anforderungen des Gerichts an angemessene Garantien wirklich erfülle. Ernüchternd war dagegen die Reaktion der Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová: “Wir können amerikanische Gesetze nicht von Europa aus ändern, das müssen die Amerikaner machen.”


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2020

Für alle Wege offen

B

ehörden Spiegel: Herr Staatssekretär, derzeit gibt es einen deutlichen Digitalisierungsschub, vor allem bezüglich Kollaborationstools und Homeoffice. Ist auch eine größere Nachfrage nach Verwaltungsdienstleistungen zu spüren?

Sicher und bequem in die Welt der digitalen Dienste einsteigen

(BS) Eine sichere und dennoch handhabbare elektronische Identifizierung ist Basis für eine erfolgreiche Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen. Bürgern sollte dafür immer ein rein staatliches System als zuverlässiger Standard zur Verfügung gestellt werden, fordert Dr. Hartmut Schubert, Finanzstaatssekretär und CIO des Freistaats Thüringen. Gleichzeitig ist er offen für alternative Wege – auch in Kooperation mit UnterDr. Schubert: Der Bedarf ist nehmen. Mit Behörden Spiegel-Redakteur Benjamin Stiebel sprach Schubert über Vertrauen, Sicherheit und Komfort beim Identitätsmanagement zunächst mal innerhalb der Ver- und Datenaustausch.

waltung deutlich geworden. Viele Behörden haben während der Corona-Krise feststellen müssen, dass die Abarbeitung von Bürgeranliegen leichter gefallen wäre, wenn Sie mehr OnlineAngebote gehabt hätten. Wir sehen aber tatsächlich auch ein gestiegenes Interesse der Bürgerinnen und Bürger, und zwar an der Zunahme der Accounts am Thüringer Servicekonto. Im November letzten Jahres hatten wir erst 500 Accounts, jetzt sind wir bei viereinhalb Tausend. Das ist schon eine enorme Steigerung, die vor allem in der kritischen Phase der Corona-Pandemie passiert ist. Damit befinden wir uns aber nach wie vor auf einem recht niedrigen Niveau.

digitalen Dienstleistungen der Verwaltung fehlt. Wie kann man dem begegnen?

Dr. Schubert: Solche Umfragen decken sich nicht mit unseren Erkenntnissen. Die Bürgerinnen und Bürger sind ja ohne Probleme bereit, ihre Daten bei kommerziellen Anbietern oder bei Facebook preiszugeben. Ich denke, die Nutzung von digitalen Verwaltungs-Dienstleistungen hält sich deswegen in Grenzen, weil es noch an guten Angeboten mangelt. Es kommt vor allem darauf an, dass die Services einfach zu handhaben sind. Dann siegt auch die Bequemlichkeit vor den Bedenken. Eine wichtige Rolle spielen darüber hinaus Behördenmitar“Wir müssen ernsthaft überlegen, die beiter, die mit den für welche Verwaltungsvorgänge Bürgern in Kontakt überhaupt ein höheres Vertrauens- treten. Teilweise erman noch, dass niveau erforderlich ist. Ich glaube, lebt den Bürgern bei der das ist tatsächlich nur bei wenigen Ausgabe des Personalausweises gesagt Vorgängen der Fall.” wird, sie bräuchten die Online-Funktion Behörden Spiegel: Wie fällt nicht. Die Mitarbeiter müssten das Feedback aus von denen, stattdessen viel mehr beraten die Servicekonto und Online- und über die Sicherheit aufklären. Man muss auch immer Dienstleistungen nutzen? wieder mit ÖffentlichkeitsarDr. Schubert: Wir haben mit beit darauf hinweisen, dass Nutzern Gespräche geführt und der Datenschutzstandard, der auch Tests durchgeführt. Für hier greift, wesentlich höher ist, viele ist ernüchternd, dass es als beispielsweise der bei USderzeit nur wenig Angebote amerikanischen Unternehmen. von den Kommunen gibt. Die zweite Kritik, die wir hören, Behörden Spiegel: Was halten betrifft die Auffindbarkeit der Sie von der Idee eines DatenDienste. Noch muss man sich schutzcockpits, das für Bürger häufig durch eine ganze Reihe transparent machen soll, wann von Links klicken, bis man ir- welche ihrer Daten von welcher gendwann bei der Anwendung Stelle abgerufen werden? landet, die man in Anspruch Dr. Schubert: Das ist genau nehmen will. Das muss unbedingt übersichtlicher gestaltet der richtige Ansatz. So ergänzen werden und schneller funkti- wir den staatlichen Datenschutz um einen Selbstdatenschutz. onieren. Der Bürger sollte in der Lage Behörden Spiegel: Umfragen sein, zu kontrollieren, welche zum E-Government zeigen, dass Behörde seine Daten eingesehen es vielen Bürgern offenbar an hat. Allerdings ist die UmsetVertrauen in die Sicherheit von zung nicht ganz einfach. Solan-

überhaupt ein höheres Vertrauge die Daten dezentral verteilt ensniveau erforderlich ist. Ich sind, müsste man an jede Beglaube, das ist tatsächlich nur hörde einzeln herantreten. Vorn bei wenigen Vorgängen der Fall. heran muss also eine RegisterAuf der anderen Seite ist der modernisierung stehen, damit nPA schon recht komfortabel. Datenzugriffe überhaupt zentral Denn inzwischen braucht man einsehbar werden können. Dass kein Lesegerät mehr anschafes funktionieren kann, sieht fen, sondern kann mit der NFCman zum Beispiel in Estland. Schnittstelle des Smartphones Deutschland hat es mit seiner arbeiten. Das ist schon ein deutföderalen Verwaltungsstruktur licher Fortschritt. Der Vorteil sicherlich schwerer, so etwas umzusetzen. Trotzdem sollte liegt darin, dass praktisch jeder man unbedingt an dieser Idee Dr. Hartmut Schubert ist Staatssekretär den nPA sowie ein Smartphone festhalten. im Thüringer Finanzministerium und hat und damit diese sichere CIO des Freistaats Thüringen. Option nutzen kann. Behörden Spiegel: Eine Zen- Foto: BS/Thüringer Finanzministerium, Delf Zeh Behörden Spiegel: Was haltralisierung der Registerlandschaft sehen allerdings manche Weg, wie man seit Jahren bei ten Sie von Alternativen wie der kritisch, weil damit das Miss- der sehr sicheren aber viel zu Identifizierung per Video oder brauchsrisiko steigt. Teilen Sie komplizierten Online-Funktion Hardware-gesicherten Identitäsolche Bedenken? des neuen Personalausweises ten direkt auf dem Smartphone? (nPA) sieht. Wie kann man es Dr. Schubert: Ich glau- besser machen? Dr. Schubert: Ich bin grundsätzlich für alle be schon, dass es deswegen schwierig werden wird, die not“Es ist vorteilhaft, wenn Bürgern Wege zur sicheren wendigen Mehrheiten für die Identifizierung ofauch ein alternatives System zur fen. Umsetzung zu erreichen. Die Es sollte aber Sicherheitsrisiken kann man Identifizierung offensteht, dass sie keine Frage von aber durch technische Vor- privat schon in anderen Bereichen E n t w e d e r - O d e r kehrungen minimieren. Zum werden. Ich würnutzen.” Beispiel, indem die Behörden de dringend dafür keinen Dauerzugang erhalDr. Schubert: Das kann man plädieren, dass man den nPA ten, sondern Zugriffsrechte besser machen, indem man immer als möglichen Weg der auf jeweils einen bestimmten für das erste Anlegen eines Identifizierung mit anbietet, um Datensatz nur für einmaliges Accounts im Servicekonto ein einen zuverlässigen Standard Verwenden erteilt werden. Das hohes Vertrauensniveau vor- für alle zu gewährleisten. Auf Datenschutzcockpit wäre ein aussetzt, sodass dann für viele keinen Fall darf eine Situation weiteres Kontrollinstrument. Anliegen in der Folge die einfa- entstehen, in der der Bürger Unberechtigte Zugriffe könnten che Anmeldung am Konto aus- für verschiedene Anwendungen so erkannt werden und müssen reicht. Dazu müssen wir aber ganz verschiedene Voraussetauch strafbewehrt sein. auch ernsthaft überlegen, für zungen mitbringen muss, um Wenn wir zu einem wirksamen welche Verwaltungsvorgänge sich identifizieren zu können. E-Government kommen wollen, werden wir um die Registermodernisierung nicht herumkommen. Solange die Behörden nicht selbst auf anderswo vorhandene Daten zugreifen können, sondern der Bürger alles selbst beibringen muss, wird es keine komfortable und medienbruchfreie digitale Verwaltung geben. Behörden Spiegel: Komfort und Hohe Sicherheitsansprüche stehen sich auch bei der Authentifizierung häufig im

Bequem ausweisen Personalausweis soll auf das Smartphone kommen (BS/stb) Der elektronische Personalausweis soll sich künftig ins Smartphone einbinden lassen. Die Freigabe für das erste Modell soll noch in diesem Jahr erfolgen. Grundlage ist das mobile eID-Verfahren. Daran arbeiten das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), die Bundesdruckerei, die Security-Sparte der Deutschen Telekom sowie die Smartphone-Hersteller. Grundlage ist ein sogenanntes Secure Element, ein besonders durch Verschlüsselungstechnik abgesicherter Chip im Smartphone, auf dem die Personalausweis-Daten abgelegt werden. Zur Einrichtung und Nutzung wird die Personalausweis-App der Bundesdruckerei benötigt. Anderen Apps ist der Zugriff technisch verwehrt. Die Identität wird mittels NFC-Schnittstelle einmalig vom Personalausweis übertragen. Wollen sich Nutzer online mittels der mobilen eID bei Online-Diensten registrieren, im Bankkonto anmelden oder Verwaltungsdienste auslösen, können die Daten nun über die App an den jeweiligen Dienst gesendet werden. Der Nutzer muss den Vorgang mit seiner PIN oder dem Fingerabdruck bestätigen. Das Verfahren erfüllt die Anforderungen an das untere und mittlere der drei Vertrauensniveaus, die grenzübergreifend in den EU-Staaten festgelegt

sind. Das höchste Vertrauensniveau erfüllt weiterhin nur die bisherige eID-Funktion. Diese erfordert das direkte Auslesen des physischen Personalausweises zum Identitätsabgleich.

Mehr Geräte und Anwendungsfälle vorgesehen Die neue mobile Lösung wird im Rahmen des Förderprojekts Optimos 2.0 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie entwickelt. Das BSI zeichnet für die Festlegung der Sicherheitsstandards der nötigen Komponenten und Schnittstellen verantwortlich. Die Zulassung erhalten zunächst Samsung-Geräte des Typs Galaxy S20. Weitere Modelle und Hersteller sollen folgen. Vorgesehen ist außerdem eine Ausweitung auf weitere Dokumente. So könnten in Zukunft auch der Führerschein oder die Gesundheitskarte elektronisch im Smartphone hinterlegt werden.

Ausweisen per App: Nach dem Personalausweis sollen noch weitere elektronische Dokumente auf das Smartphone kommen. Grafik: BS/Bundesdruckerei

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Sonst riskiert man, dass vor lauter Vielfalt am Ende nichts genutzt wird. Behörden Spiegel: Immer mehr private Unternehmen entwickeln Geschäftsmodelle im Bereich des Identitätsmanagements. Wie viel Zusammenarbeit mit solchen Anbietern ist sinnvoll und was sollte der Staat selbst in der Hand behalten? Dr. Schubert: Man darf das Thema auf keinen Fall ganz aus der Hand geben. Bürgern muss ein rein staatliches Identitätsmanagement für die Verwaltungsleistungen zur Verfügung gestellt werden. Dafür haben wir das Thüringer Servicekonto. Zusätzlich arbeiten wir bereits mit Verimi zusammen, sodass sich Bürger auch mit diesem Konto anmelden können. Neuerdings sind wir auch in ersten Gesprächen mit dem Anbieter Yes, der zum Beispiel im Sparkassenbereich genutzt wird. Der Gedanke dahinter ist, dass viele Bürger nur selten Berührung mit Behörden haben. Der Aufwand, ein Servicekonto einzurichten, ist dann schon abschreckend. Darum ist es vorteilhaft, wenn Bürgern auch ein alternatives System offensteht, dass sie privat schon in anderen Bereichen nutzen. Dabei muss es sich natürlich um geprüfte und zertifizierte Anbieter handeln, denen der Bürger auch das entsprechende Vertrauen entgegenbringen kann. Weitere Informationen rund um E-Government, digitale Verwaltung und Informationssicherheit stellt das Thüringer Finanzministerium auf seiner Webseite in acht kurzen Filmen zur Verfügung: www.finanzen. thueringen.de/themen/egovernment/digitaltag


IT-Sicherheit

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B

ehörden Spiegel: Herr Präsident, die ZITiS ist jetzt drei Jahre alt. Wie würden Sie Ihre Erfahrungen in der Aufbauphase zusammenfassen? Karl: Schon nach dieser kurzen Zeit muss ich im Rückblick sagen, dass ich dem Bundesinnenministerium sehr dankbar bin, dass es diesen Weg des Aufbaus gewählt hat: den Aufbau auf der grünen Wiese, statt wie schon oft geschehen von verschiedenen Stellen ein paar Abteilungen rauszuziehen und ein neues Dach darüber zu setzen. Der gewählte Ansatz hat zwar auch Nachteile. Die Lernkurve ist länger, es dauert etwas länger, eine eigene Kultur aufzubauen. Aber genau darin liegt die Chance. Es gibt bei uns kein: “Das haben wir schon immer so gemacht”! Behörden Spiegel: Wir würden Sie die Kultur bei ZITiS beschreiben? Gibt es ein Leitbild?

Karl: Das würde ich anhand von Schlagwörtern beschreiben. Ganz oben steht “innovativ”. Wir brauchen Leute, die kreativ sind, die über den Tellerrand hinausblicken und querdenken. Das zweite ist “vernetzt”. Wir schaffen Innovationen gemeinsam mit unseren Kunden und mit Partnern aus Staat, Forschung und Industrie im In- und Ausland. Das dritte Schlagwort ist “verantwortungsbewusst”. Wir müssen immer auf dem Boden der Regularien handeln. Nur so können unsere Kunden die Ergebnisse unserer Arbeit auch einsetzen. Behörden Spiegel: War der Standort die richtige Wahl? Karl: Ja, ich bin heilfroh über die Entscheidung, die ZITiS in München anzusiedeln. Hier finden wir ein Umfeld vor, das unseren Aufbau begünstigt. Der Bewerberpool ist unheimlich groß mit vielen MINT-Fachkräften, die hier an großen Unis ausgebildet werden. Viele Leute wechseln innerhalb der IT-Branche, die hier stark vertreten ist. Außerdem kommt uns die Attraktivität des Standortes zugute. Wir sitzen dort, wo andere Urlaub machen. All das merken wir tatsächlich auch an den Bewerberzahlen. Nach drei Jahren bin ich sehr zufrieden mit dem Stand des Aufbaus. Behörden Spiegel: Zunächst wurden ja große Schwierigkeiten im Wettbewerb mit privaten Arbeitgebern befürchtet. Bedingt der Standort München das Gegenteil? Karl: Ein großer Bewerberpool hilft natürlich bei der Gewinnung von Fachkräften. Die direkte Konkurrenz von Öffentlichem Dienst und Industrie haben wir in den letzten drei Jahren auch gespürt und wir verlieren auch bisweilen. Das Thema wird aber oft auf die Gehaltsfrage reduziert. Da kann der Öffentliche Dienst natürlich nicht mit den besten Gehältern mithalten. Aber dieses Niveau gilt auch in der Industrie längst nicht für alle. Auch in Unternehmen gibt es Tarifsysteme. Wir punkten außerdem an anderer Stelle: mit der Sicherheit des Arbeitsplatzes, mit Gestaltungsspielraum und all den Dingen, die den Öffentlichen Dienst ausmachen. Gehalt allein ist es nicht immer. Das zeigt unser Erfolg ganz deutlich. Behörden Spiegel: Geplant ist der Umzug in einen Neubau auf dem Gelände der Universität der Bundeswehr. Dort entsteht ein Forschungs-Cluster zur CyberSicherheit. Hoffen Sie, dass der Funke überspringt? Karl: Selbstverständlich. Ich bin dem Bundesinnen- und dem Verteidigungsministerium dankbar, dass sie schon zur Gründung vereinbart haben, dass

Behörden Spiegel / August 2020

Innovativ, vernetzt, verantwortungsvoll Forschungs- und Entwicklungsbehörde ZITiS wächst weiter (BS) Die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) wurde im April 2017 gegründet. Sie erforscht und entwickelt Methoden und Werkzeuge zur Unterstützung der Arbeit von Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundespolizei. Den Präsidenten der Zentralen Stelle, Wilfried Karl, befragte Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll zu Erfahrungen beim Aufbau der Behörde, zur geplanten Anbindung an das Forschungs-Cluster für Cyber-Sicherheit in München und zu technischen Herausforderungen bei Kommunikationsüberwachung und Kryptoanalyse. die ZITiS gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Cyber Defence ein gemeinsames Gebäude bekommt, um auch gemeinsam teure Infrastruktur wie Hochleistungsrechner, Laboreinrichtungen oder Schulungsräume zu nutzen. Denn in den zugrunde liegenden Forschungs- und Vorentwicklungsthemen unterscheiden sich unsere Bedarfe nicht. Schon jetzt profitieren wir von der Zusammenarbeit mit der Universität, nämlich bei der Ausbildung von Nachwuchs. Wir fördern jetzt schon Studenten dort und das möchte ich weiter ausbauen, um den Fachkräftemangel im MINT-Bereich etwas abzumildern.

“Besonders schön ist, wenn unsere Kunden mit der Unterstützung von ZITiS konkrete Fälle gelöst bekommen.” Wilfried Karl (hier auf dem Fachkongress PITS des Behörden Spiegel) leitet seit April 2017 die neu eingerichtete Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Foto: BS/Dombrowsky

Wir suchen deshalb nach Wegen, wie man bei verschlüsselten Daten trotzdem an den Inhalt kommt – und zwar in einer vertretbaren Zeit. Unsere Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet braucht hohe Rechenleistung. Wir haben daher schon 2017 den Aufbau eines Hochleistungsrechen-Clusters eingeleitet. Auch da kooperieren wir mit anderen Stellen, auch international, um uns auszutauschen, wie man solche Hochleistungsrechenanlagen am besten betreibt, um in vertretbarer Zeit entschlüsseln zu können. Behörden Spiegel: Das heißt bei professioneller Verschlüsselung hilft nach wie vor nur die Brute-Force-Methode mit hohem Zeit- und Ressourcenaufwand? Karl: Brute Force klingt ein bisschen planlos. Wir versuchen eher Verfahren zu entwickeln, die den Rechenaufwand reduzieren, sodass ich nicht jahrelang rechnen muss, sondern im Idealfall nur ein paar Tage. An diesen Verfahren zerbrechen sich sehr viele schlaue Köpfe den selbigen. Es gibt aber auch noch die Quellentelekommunikationsüberwachung bzw. die Online-Durchsuchung. Dabei entwickelt man Wege, an die Daten heranzukommen, noch bevor sie verschlüsselt werden. Diese Möglichkeiten sind für die Polizei auch in die Strafprozessordnung aufgenommen worden und damit beschäftigen wir uns ebenfalls.

zunächst mit dem Ziel aufgestellt Bundeskriminalamt, mehreren desto mehr können vielleicht mal worden, eigene Ressourcen für Universitäten und industrieller Gegenstand von Ermittlungen werden und müssen als Asservat Forschung und Entwicklung auf- Beteiligung. untersucht werden können. zubauen. Entsprechend gibt es Behörden Spiegel: Wo lieBehörden Spiegel: Wann wird bei uns reine EigenentwicklunBehörden Spiegel: Die Polizei der Umzug stattfinden und kom- gen. Wir schauen uns aber auch gen denn aktuell die fachlichen men Sie bis dahin mit den be- an, was es national und interna- Schwerpunkte bei Ihrer For- beklagt schon länger, dass sie stehenden Räumlichkeiten aus? tional schon auf dem kommerziel- schungs- und Entwicklungsar- bei heute marktüblichen Kommunikationskanälen keinen Zugriff len Markt gibt. Wenn vorhandene beit? Karl: Da möchte ich mich auf Lösungen den Anforderungen hat. Wann wird sich diese Lage kein Jahr festlegen. Die nötigen unserer Kunden weitgehend entKarl: Wir bearbeiten im Moment verbessern? Genehmigungsverfahren laufen sprechen, dann müssen wir das etwas mehr als 40 Projekte. Ein bisher planmäßig und ich bin gu- Rad nicht neu erfinden, sondern Schwerpunkt liegt bei Fragen der Karl: Das wird immer eine große ter Dinge, dass k ö n n e n d a s Telekommunikationstechnik, die Herausforderung bleiben. Eines das so weiter k a u f e n u n d entwickelt sich am dynamischs- unserer Geschäftsfelder widmet “Wir brauchen Leute, vielleicht an- ten. Besonders relevant ist na- sich daher ausschließlich der geht und wir in die kreativ sind, die türlich der Mobilfunk und alles, Thematik Verschlüsselung und Behörden Spiegel: Das Konpassen. etwa zwei JahA u ß e r d e m was im Zusammenhang mit der Kryptoanalyse. Da möchte ich junkturpaket des Bundes umfasst ren mit dem über den Tellerrand Bau beginnen sind wir An- Einführung von 5G steht. Ein an- vorwegschicken, dass sich an einen erheblichen Anteil für die hinausblicken und sprechpartner derer Schwerpunkt ist die digitale den Eckpunkten der deutschen Digitalisierung der Verwaltung, können. Das querdenken.” für die akade- Forensik. Beim Auswerten digita- Krypto-Politik seit der Formulie- auch für die Themenbereiche KI, jetzige Gebäumische Welt, ler Asservate haben Sie es heute rung durch das Bundeskabinett Blockchain und 5G. Geht davon de wird bis zur Fertigstellung ganz sicher nicht denn vieles bedarf noch der For- ja nicht mehr nur mit dem Handy 1999 nichts geändert hat. Das etwas an Sie? reichen. Nicht nur durch den schung. Wir haben zum Beispiel zu tun, sondern auch mit Smart heißt: Sichere Verschlüsselung Erfolg beim Recruiting, sondern gerade ein Forschungsprojekt Devices wie Fitness-Armbändern für Staat und Gesellschaft und Karl: Das werden wir sehen. auch durch den notwendigen zum Einsatz Künstlicher Intelli- oder mit vernetzten Fahrzeugen. keine Schlüsselhinterlegungs- Im Bereich KI haben wir uns Ausbau unserer technischen genz bei der Früherkennung von Mit der Flut an IoT-Geräten sehe pflicht oder Aufweichen der Kryp- mit einigen Themen ins Spiel Einrichtungen und Labore ist Straftaten der Hasskriminalität. ich einen großen Bedarf auf uns tierungsverfahren. Aber die Si- gebracht. Es ist aber noch nicht unser Haus tatsächlich bald voll. Das bearbeiten wir als Konsor- zukommen. Je mehr intelligente cherheitsbehörden müssen auch entschieden, ob etwas von den Da wir den Ausbau auf keinen tialführer zusammen mit dem Geräte auf den Markt kommen, handlungsfähig bleiben können. Mitteln bei uns landen wird. Fall stoppen wollen, werden wir ein weiteres Gebäude anmieten müssen. Wir suchen gerade mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben eine Liegenschaft im näheren Umkreis. Ich rechne Homeoffice mit wenig IT-Aufwand Ende Herbst dieses Jahres mit zwei Immobilien, sodass wir wei- (BS/Uwe Schick*) Ob Stadt oder Gemeinde: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen flexibler arbeiten und während der Coronakrise müssen sie es sogar. Es gilt, sensible Daten sicher ins Homeoffice zu übertragen. Dafür kommt eine VPN-Lösung zum Einsatz. Sie muss so einfach wie terwachsen können.

Flexibel und sicher in Baden-Baden

Behörden Spiegel: ZITiS ist Adressat für die technischen Bedarfe der Sicherheitsbehörden in Deutschland. Gibt es erste Projekte, die Sie erfolgreich abgeschlossen haben? Karl: Ja, wir haben schon im Gründungsjahr mit ganz wenigen Leuten u. a. erste Projekte übernommen, die eine kleine, im Bundesinnenministerium angesiedelte Gruppe als Strategie- und Forschungszentrum Telekommunikationsüberwachung schon begonnen hatte. Inzwischen haben wir auch eine ganze Reihe Projekte gestartet, die unsere Bedarfsträger Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundespolizeipräsidium direkt mit uns beschlossen haben. Ein paar davon haben wir auch schon erfolgreich abgeschlossen. Und das ist natürlich für meine Leute auch ganz wichtig, dann das Feedback zu bekommen. Nichts motiviert so sehr wie der Dank des Kunden. Besonders schön ist, wenn unsere Kunden mit der Unterstützung von ZITiS konkrete Fälle gelöst bekommen. Behörden Spiegel: In unserem letzten Gespräch sagten Sie, einige technische Herausforderungen seien am besten gemeinsam mit der Industrie anzugehen. Wie läuft die Zusammenarbeit? Karl: Da gibt es eine Bandbreite von Vorgehensweisen. Wir sind

möglich arbeiten und darf keine wertvollen IT-Ressourcen binden.

“Baden-Baden – the good-good life” lautet das Motto der Stadt. Zum guten Leben gehören auch viele digitale Angebote, darunter Homeoffice für die Angestellten der Stadt und der Kommunalunternehmen. Homeoffice ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv, die mit der gewonnenen Flexibilität Privat- und Arbeitsleben besser koordinieren können. Doch muss die Datenübertragung zwischen Stadt und Homeoffice sicher sein. VPN-Lösungen gewährleisten das. Sie sollen zudem Komfort bieten und keinen Klick mehr als nötig verursachen. Eine VPN-Lösung (Virtuell Private Network) sendet sensible Daten durch einen VPN-Tunnel, der zwischen Servern der Stadt und den Endgeräten im Homeoffice aufgebaut wird. Durch diesen verschlüsselten Tunnel sind die Daten geschützt.

Hohe Sicherheit – ein Muss! Gerade für Städte und Gemeinden ist es wichtig, auf eine bewährte Lösung für die sichere Datenübertragung zu setzen. Kaum etwas beschädigt die Reputation einer Stadt mehr, als wenn sensible Daten von Bürgerinnen und Bürgern oder Unternehmen im Netz abgefangen und für kriminelle Zwecke genutzt werden. Maximale Sicherheit steht bei VPN-Lösungen also immer ganz oben auf der Liste notwendiger Funktionen. “Wir haben außer-

den müssen. Die VPN-Lösung von NCP nutzt automatisierte Prozesse, um die Einhaltung von Sicherheitsrichtlinien zu überprüfen oder mobile Arbeitsplätze neu einzurichten. Das spart viel Aufwand aufseiten der Stadt.

Hohe Flexibilität schafft Zukunftssicherheit

Matthias Götz leitet das Fachgebiet Informationstechnik und Digitalisierung der Stadt Baden-Baden. Foto: BS/NCP

dem darauf geachtet, dass alle Sicherheitsfeatures unserer VPN-Lösung entsprechend den sich ständig verändernden Bedrohungspotenzialen regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht werden”, sagt Matthias Götz, ITLeiter der Stadt Baden-Baden. Matthias Götz setzt seit Anfang des Jahres 2020 auf eine Lösung des Nürnberger Unternehmens NCP. Sie ist bereits in zehn Landesrechenzentren und auf Bundesebene bei zahlreichen Ministerien und Ämtern im Einsatz. Darüber hinaus arbeitet NCP eng mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zusammen und bietet Produkte für Datenkommunikation nach der Geheimhaltungsstufe “Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch” (VS-NfD). Für die eigentliche VPN-Lösung ist keine Hardware erforderlich,

aber natürlich erfordert das mobile Arbeiten ebenso mobile Endgeräte wie Notebooks, Tablets oder Smartphones mit aktuellem Anti-Virus-Programm und Betriebssystem. Daher stellt BadenBaden die Geräte selbst bereit und lässt den Einsatz privater Geräte nicht zu.

Hoher Komfort spart Ressourcen “Neben der hohen Sicherheit muss eine VPN-Lösung zentral zu administrieren und für die Anwender leicht zu handhaben sein, sonst bindet sie zu viele unserer knappen IT-Ressourcen”, stellt Matthias Götz weitere Anforderungen vor. Die Stadt BadenBaden hat immerhin 60 Außenstellen, zwei Rechenzentren und 1.200 Mitarbeiter, die teilweise unterwegs oder von Zuhause aus arbeiten und sicher vernetzt wer-

Zudem profitiert Baden-Baden von der hohen Skalierbarkeit der Lösung: Mit ihr könnte die IT-Abteilung der Stadt in kürzester Zeit neue Nutzerinnen und Nutzer per VPN an die Infrastruktur der Stadt anbinden – oder die Zugänge bei Bedarf wieder reduzieren. Der flexiblen Technologie folgt das Bezahlmodell: Wenn die Zahl von Lizenzen angepasst wird, greift das Pay-per-Use-Modell. “Wir zahlen nur für die Zugänge, die wir nutzen. Dies erhöht die Flexibilität unserer Stadtverwaltung enorm”, sagt Matthias Götz. Wenn Städte und Gemeinden bei einer VPN-Lösung darauf achten, dass sie softwarebasiert, bewährt, einfach und flexibel ist, rüsten sie sich für die Zukunft bestens aus. Für individuelle Fragen stehen die Stadt Baden-Baden und NCP in einem gemeinsamen Webinar am 16. September zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie unter www.ncp-e.com . *Uwe Schick ist Redakteur bei SCHiCK!


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2020

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ÖPP gegen Ransomware

Wer wird Datenschutzbeauftragter?

630 Mio. US-Dollar Lösegeldzahlungen durch Europol-Dienst erspart

Herausforderung fachliche Anforderungen und Kompetenznachweis

(BS/stb) Der Entschlüsselungs-Dienst No More Ransom soll den Abfluss von Lösegeldern an Cyber-Kriminelle in Höhe von geschätzt 632 Millionen US-Dollar verhindert haben. Über 4,2 Millionen Nutzer aus 188 Ländern hätten den Dienst bisher in Anspruch genommen, so Europol. Das europäische Polizeiamt hatte das Projekt im Juli 2016 gemeinsam mit der niederländischen Polizei und den IT-Sicherheitsunternehmen McAfee und Kaspersky gestartet. Amazon Web Services und Barracuda stellen die notwendige IT-Infrastruktur zur Verfügung.

(BS/Gerrit Huesmann) Seit dem 25. Mai 2018 und der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) müssen alle Behörden sowie die meisten Unternehmen und Verbände eine Datenschutzbeauftragte oder einen Datenschutzbeauftragten (DSB) benennen. Bei der Auswahl geeigneter Mitarbeitender stellt sich häufig die Frage, wer diese Position adäquat ausfüllen kann. DSB spielen zwar eine zentrale Rolle bei den Grundsätzen der Datenverarbeitung – einschließlich Wahrung der Betroffenenrechte, Technikgestaltung und Meldung von Datenschutzverstößen – die Anforderungen an die Rolle stellt das Gesetz jedoch nur sehr allgemein auf.

Während die Zahl der Schadsoftware-Angriffe allgemein in letzter Zeit rückläufig war, stieg die Zahl der Ransomware-Angriffe in der ersten Hälfte dieses Jahres laut aktuellem SonicWall Cyber Threat Report um 20 Prozent auf 121,4 Millionen. No More Ransom erlaubt Betroffenen die Entschlüsselung ihrer IT-Systeme, sofern für die jeweilige Schadsoftware-Variante ein entsprechendes Tool verfügbar ist. Derzeit verspricht der Dienst Hilfe bei 140 verschiedenen Infektionstypen. Welcher davon vorliegt, lässt sich mit dem “Crypto Sheriff”

herausbekommen. Dazu lädt der Betroffene auf der Website von No More Ransom zwei beispielhafte verschlüsselte Dateien hoch und gibt das in der Lösegeldforderung genannte Bitcoin-Konto oder die Kontakt-Mail-Adresse der Kriminellen an. Der Dienst führt den Nutzer dann direkt zum passenden Tool und einer entsprechenden Anleitung. Darüber hinaus bietet das Portal Empfehlungen zur Prävention und zum Umgang mit Ransomware-Angriffen an. Neben den Gründungsmitgliedern nehmen inzwischen rund 160 Partner an der öffentlich-

privaten Partnerschaft teil. So beteiligten sich neben weiteren IT-Sicherheitsunternehmen auch die Polizeien der Länder Belgien, Rumänien und Frankreich direkt an der Entwicklung der Entschlüsselungs-Tools. Zu den weiteren Unterstützern gehören die EU-Behörden mit Sicherheitsaufgaben CERT-EU, Enisa, eu-LISA und Eurojust sowie Interpol und zahlreiche nationale Polizeibehörden aus Amerika, Asien, Europa und Neuseeland. Aus Deutschland ist das Bundeskriminalamt als Unterstützer an Bord.

Hochrisikoanbieter ausschließen EU-Staaten koordinieren 5G-Sicherheitsmaßnahmen (BS/stb) Die EU-Mitgliedsstaaten haben begonnen, Sicherheitsmaßnahmen zum Ausbau der 5G-Mobilfunknetze umzusetzen. Grundlage ist die im Januar verabschiedete EU-Toolbox. Die EU-Kommission lobt erste Fortschritte, sieht aber auch noch erheblichen Handlungsbedarf. Ein erster Bericht zur Umsetzung zeigt Defizite besonders bei Maßnahmen auf, um die “Gefahr der Abhängigkeit von Hochrisikoanbietern auf Unionsebene zu mindern”. Gemeint sind in erster Linie die chinesischen Lieferanten von Netzkomponenten Huawei und LTE. Über Risiken durch deren Beteiligung am Netzausbau diskutieren Regierungen, Sicherheitsbehörden und die Telekommunikationsbranche seit Monaten. Die EU-Kommission fordert eine gründliche Bestandsaufnahme

der Lieferketten und fortlaufende Überwachung. Sie erwarten zudem die Einführung von Mechanismen zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen. So sollen Marktentwicklungen unterbunden werden können, die die Wertschöpfungskette bezüglich des 5G-Ausbaus für die EU negativ beeinflussen könnten. Einige Mitgliedstaaten haben dem Bericht zufolge bereits Grundlagen geschaffen, um die Beteiligung einzelner riskanter Anbieter einschränken

zu können. So unterliegen in Frankreich bereits seit Dezember 2019 Schlüsselkomponenten der Netzinfrastruktur der behördlichen Genehmigungspflicht. Dem Vernehmen nach sollen dort bereits erteilte Genehmigungen für Huawei-Technik in drei bzw. fünf Jahren auslaufen und nicht erneuert werden. Auch die Bundesregierung plant, Schlüsselkomponenten zertifizierungs- und anzeigepflichtig zu machen. Das Bundesinnenministerium soll ein Vetorecht bei deren Einsatz bekommen.

Datenschutzbeauftragte sollen zunächst auf der Grundlage ihrer beruflichen Qualifikation und insbesondere des Fachwissens benannt werden, die sie auf dem Gebiet des Datenschutzrechts und der Datenschutzpraxis besitzen. Hierzu zählen auch die Fähigkeiten zur Erfüllung der im Gesetz genannten Aufgaben, vorrangig die Überwachung der Einhaltung aller Vorschriften des Datenschutzrechts innerhalb der Organisation.

Anforderungen richten sich nach Verarbeitungskontext Das erforderliche Niveau des Fachwissens sollte sich dabei nach den durchgeführten Datenverarbeitungsvorgängen und dem erforderlichen Schutz der verarbeiteten personenbezogenen Daten richten. Das verlangte Fachwissen ist also nicht genau definiert, muss jedoch mit der Sensibilität, der Komplexität und der Menge der Daten, die eine Einrichtung verarbeitet, im Einklang stehen. Die Wahl des DSB sollte daher mit Bedacht erfolgen und den sich innerhalb der Einrichtung stellenden Datenschutzfragen in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Kurzum: An den DSB eines international tätigen Sozialen Netzwerks dürfen und müssen höhere Ansprüche gestellt werden als an den DSB eines dörflichen Hobbyvereins. Unabhängig davon sind Branchenkenntnisse und Vertraut-

für die Einhaltung der DSGVO-Vorgaben. Gerrit Huesmann ist Rechtsanwalt, externer Datenschutzbeauftragter sowie TÜV-zertifizierter Compliance Officer.

Zertifikat gibt Sicherheit

Die Schwierigkeit für die Verantwortlichen Foto: BS/PHOTOVISION DH besteht des Weiteren nicht nur in der Auswahl heit mit der Organisationsstruk- geeigneter Kandidatinnen und tur des Auftragsverarbeiters von Kandidaten, sondern auch in Nutzen. der gegebenen Nachweispflicht, Der DSB sollte über ein hin- dass ein DSB schon vor der Bereichendes Verständnis der stellung über die erforderlichen durchgeführten Datenverarbei- Kenntnisse verfügen muss. tungsvorgänge, der betreffenden Ein für beide Seiten geeigneter Informationssysteme sowie der und einfacher Weg ist der Erwerb Datensicherheits- und Daten- eines anerkannten Zertifikats schutzerfordernisse verfügen. über die geforderten Fähigkeiten Im Fall von Behörden oder öf- und Qualifikationen. Dieses gibt fentlichen Stellen sollte der DSB den Datenschutzbeauftragten zudem fundierte Kenntnis ihrer die Sicherheit, sich den AufgaVerwaltungsvorschriften und ben stellen zu können und dem -verfahren vorweisen können. Verantwortlich die Möglichkeit Neben den vielschichtigen nachzuweisen, die Aufgabe in fachlichen Fähigkeiten bedarf gute Hände abgegeben zu haben. es evident immer auch Erfahrungen aus der täglichen Arbeit Bei der Cyber Akademie könund den dabei demonstrierten nen Sie das Zertifikat “DatenKompetenzen. Insbesondere ist schutzbeauftragte/r mit TÜV dies im Sinne sowohl der per- Rheinland geprüfter Qualifikasönlichen Eigenschaften und tion” erwerben. Der nächste Kurs Kenntnisse als auch der Position inklusive Prüfung findet komplett innerhalb der Einrichtung zu online statt und startet am 20. verstehen. Hierzu zählen etwa August mit dem ersten von acht Integrität sowie ein ausgepräg- Webinar-Modulen. tes Berufsethos, schließlich ist das vorrangige Anliegen des Weitere Informationen und Datenschutzbeauftragten die Anmeldung unter: www.cyberSchaffung der Voraussetzungen akademie.de/event

NEUES AUS DER CYBER AKADEMIE

Cyber-Resilienz durch Mitarbeiter-Awareness Analog zu Warnungen vor einer zweiten Covid-19-Welle beobachten IT-Sicherheitsexperten ein Wiedererstarken von Emotet. Die Schadsoftware hatte um den Jahreswechsel Einrichtungen wie das Kammergericht Berlin oder die Verwaltung der Stadt Frankfurt am Main befallen und lahmgelegt. Ausgangpunkt der Cyber-Angriffe war jeweils der infizierte Inhalt einer Mail. Der Grund für die hohe Erfolgs- zu erreichen und andererseits Homeoffice. Die Cyber Akadequote von Emotet ist die Verbin- sicherzustellen, dass die ver- mie unterstützt Sie bei Ihrer dung mit der Manipulations- mittelten Kenntnisse langfristig Sensibilisierungs-Mission mit technik Social Engineering: Die angewandt werden. Erfolgskri- verschiedenen, individuell auf Betroffenen werden etwa aus tisch hierfür ist die Übernahme die Bedürfnisse Ihrer Organisaaugenscheinlich nachvollzieh- der cyber-hygienischen Vorga- tion zugeschnittenen Formaten. Vor Ort bieten wir zum Beibaren Gründen zum Aufrufen ben im beruflichen sowie noch eines Links oder zur Aktivierung viel stärker im privaten Umfeld. spiel Awareness-Vorträge sowie von Makros-Elementen in Word- Denn privat praktizierte Ver- -Workshops an. Mit Live-HaDokumenten bewegt. Teilweise haltensweisen werden häufiger cking-Demonstrationen oder gelingt es der Schadsoftware und mit größerer Motivation im der Diskussion von Fallbeispiesogar, sich in E-Mail-Konversa- Arbeitsumfeld umgesetzt als len werden wichtige Impulse zur tionen einzuschleichen und sich Policies, die nur innerhalb des Bewusstseinsschaffung über in vermeintlichen Antworten auf Büros befolgt werden. Dieser die Konsequenzen IT-sicheren tatsächlich versendete Mails zu Umstand wird für die Unterneh- sowie -unsicheren Verhaltens menssicherheit umso wertvol- gesetzt. Im Seminar “Hackingverstecken. Entsprechend legen Organisa- ler angesichts der seit Kurzem Methoden in der Praxis” vom tionen einen soliden Grundstein stark verbreiteten Arbeitsform 16.–17. September erhalten ITSicherheitsverantwortliche für die eigene Cyber-Resilienz, einen detaillierten wenn die Mitarbeiterinnen Blick in die straund Mitarbeiter ausreichend tegischen sowie sensibilisiert sind. Daruntechnischen ter fällt allerdings nicht nur Vorgehensdas zuverlässige Erkennen weisen von von mal mehr, mal weniger Cyberprofessionell gestalteten KriminelPhishing-Mails. Auch das len, um Entlarven von CEO-Frauddie beVersuchen oder IT-sicheres stehenden sowie datenschutzkonforSchutzmes Verhalten in Sozialen Netzwerken fällt unter den Bereich Cyber-SecurityAwareness. Die Vermittlung dieser Kompetenzen stellt die Verantwortlichen immer wieder vor Herausforderungen. Es gilt einer- Mit einem durchgängig hohen Awareness-Level für IT-Sicherheit stärken Organisationen seits, das Personal mit ihr gesamtes Cyber-Immunsystem. Erfolgskritisch ist die Umsetzung im beruflichen effektiven Maßnahmen und privaten Umfeld. Grafik: CAk/VectorMine, stock.adobe.com

maßnahmen kritisch zu hinterfragen. Auch in unserem Webinar-Angebot finden sich passende Angebote wieder und können standortunabhängig abgerufen werden, beispielsweise der Kurs “Awareness-Kampagnen erfolgreich umsetzen” am 13. August. Für eine langfristige Vermittlung von IT-sicherheitsbewusstem und -konformem Verhalten inklusive Kontrolle der Lernfortschritte bieten wir seit Neuestem eine E-Learning-Lösung an. Anhand mehrerer interaktiver Lernmodule, unter anderem zu den Themen E-Mail-, Smartphone-, oder Internetsicherheit, wird Awareness praxisnah vermittelt. Zudem besteht die Möglichkeit, über das Jahr verteilt Phishing-Simulationen durchzuführen, um Ihre Mitarbeitenden auf Klickraten zu testen. Die dabei anfallende Datenverarbeitung erfolgt datenschutzkonform und wird in individuellen Auftragsverarbeitungsverträgen geregelt. Auf Anfrage erstellen wir gemeinsam mit Ihnen ein passendes Paket für Ihre Organisation. Das komplette Aus- und Fortbildungsprogramm finden Sie auf www.cyber-akademie.de. Weitere Informationen zu den Awareness-Lösungen der Cyber Akademie erhalten Sie per Anfrage an info@cyber-akademie.de

Unser Programm im September ■ Webinar: “New Normal” Homeoffice – alte und neue Herausforderungen für die IT-Sicherheit 14. September, 13:00–15:30 Uhr ■ Webinar: Bildrecht für Marketing und PR 15.-16. September, 13:00–15:30/ 09:30–12:00 Uhr ■ IT-Forensik für Einsteiger und Aufsteiger* Berlin, 15.–17. September, 09:00–17:00 Uhr ■ Netzwerk- und WLAN-Sicherheit* Düsseldorf, 15.–17. September, 11:00–15:00 Uhr ■ Cyber Security Management: Cyber-Sicherheit und -Risiken praxisnah steuern* Berlin, 16. September, 09:00–17:00 Uhr ■ Hacking-Methoden in der Praxis: Vorgehen des Angreifers und Schutzmaßnahmen* Berlin, 16.–17. September, 09:30–16:00 Uhr ■ Webinar: Datenschutz-Praxis – Fahrplan für das erste Jahr als Datenschutzbeauftragte(r) 16.-17. September, 13:00–15:30 Uhr ■ Benutzerberechtigungs-Management – praxisnah und kompakt* Berlin, 17. September, 09:00–17:00 Uhr Hygienekonzept für Präsenztermine ist vorhanden

Anmeldungen und komplettes Programm: www.webinare.cyber-akademie.de Grafik: BS/Dach unter Verwendung von ribkhan, stock.adobe.com


Webinar-Highlights im September 2020 Kurz und knackig auf den Punkt gebracht

Auch virtuell informiert bleiben und Wissensvorsprung sichern! EVB-IT: Einführung, Grundlagen und Überblick 15.09.2020, 10:00-13:00 Uhr Vergabe von Kreativleistungen 16.09.2020, 13:00-16:00 Uhr Kompetenzen in digitalisierten Strukturen 17.09.2020, 09:00-12:00 Uhr Rechtlich richtiger Umgang mit kranken Mitarbeitenden 17.09.2020, 09:00-10:30 Uhr Von der Wirkungsorientierung zur Verwaltungsinnovation 17.09.2020, 10:00-13:00 Uhr Zukunftsorientierte Zentrale Vergabestelle 22.-23.09.2020, jeweils 10:00-13:00 Uhr Service-Design für die öffentliche Verwaltung 22.-23.09.2020, jeweils 13:00-16:00 Uhr Beteiligungscontrolling der öffentlichen Hand 25.09.2020, 09:00-12:00 Uhr Beschaffung von Cloud-Leistungen mit den EVB-IT 29.09.2020, 10:00-13:00 Uhr Einsteigerkurs Vergaberecht 30.09.2020, 09:00-12:00 Uhr Insolvenzrecht – Grundwissen zur Vorbereitung auf Insolvenzverfahren infolge der Corona-Krise 30.09.2020, 10:00-12:30 Uhr

Detaillierte Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort „Webinar“ Fotos: ©bongkarn, ©Suradech , stock.adobe.com


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2020

Von der Gesundheits- zur Finanzkrise Gefährden Corona-Schulden große Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr? (BS/Dr. Gerd Portugall) Mitte März hatte das Bundeskabinett die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2021 und den Finanzplan bis 2024 beschlossen. Darin waren im Einzelplan 14 (Verteidigung) für dieses Jahr ein Soll von 45,02 Milliarden Euro und für das kommende ein Eckwert von 45,64 Milliarden Euro vorgesehen. Damit hätte sich der seit Jahren beobachtbare Trend steigender Verteidigungsausgaben – wenn auch verlangsamt – fortgesetzt. Doch dann eskalierte die Corona-Pandemie: Nun sollen die Ausgaben des Bundes für 2020 auf 509,3 Milliarden Euro steigen. Damit erhöht sich die geplante Neuverschuldung für das laufende Jahr auf 218,5 Milliarden Euro. Bleiben da noch genügend Finanzmittel für die großen Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr? Auch bei Geldmangel, so der rumänisch-amerikanische Strategieforscher Dr. Edward N. Luttwak, könne man in der Regel vorhandene Kräfte ausbilden und mit marktverfügbaren Produkten ausrüsten. Dies geschehe aber zulasten der Entwicklung neuer Waffensysteme und des Ausbaus der vorhandenen militärischen Infrastruktur. Auch in Zeiten einer Zusatzverschuldung von mehr als 200 Milliarden Euro, führt Dr. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), gegenüber dem Behörden Spiegel aus, müssten “wir als Gesellschaft” bereit sein, “weiter ansteigende Verteidigungsausgaben als Basis unseres gesellschaftlichen Wohlergehens zu akzeptieren.” Mit Sorge blickt er auf die Erfahrungen mit bisherigen Finanzkrisen zurück: “Kaum zu verkraften” wäre für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie “ein erneutes Sparregime für inländische Beschaffungsprogramme”, so Dr. Atzpodien weiter. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt auch die aktuelle Studie “Den Auswirkungen der Corona-Krise effektiv begegnen und gestärkt daraus hervorgehen” von Strategy&, dem internationalen Strategieberatungsunternehmens von PwC (PricewaterhouseCoopers). Perspektivisch bestehe “sowohl die Gefahr einer Budgetreduzierung als auch der Verzögerung von Vorhaben, mit entsprechender Auswirkung auf die Zahlungsmeilensteine”, ist dort nachzulesen. Der enorme zusätzlich anfallende öffentliche Finanzbedarf zur Bewältigung der Covid-19-Krise, so die Studie, “dürfte sich, den Erfahrungen aus vorherigen Krisen wie der Finanz-

Jeder öffentliche Euro kann nur einmal ausgegeben werden: entweder im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie oder bspw. für Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr. Foto: BS/Portugall

krise 2009 folgend, zumindest auch in den nächsten Jahren auf den Verteidigungshaushalt auswirken”.

Erfahrungswert Finanzkrise Ein Präzedenzfall lässt nichts Gutes erwarten: “Die Bundeswehr hat sich bis heute nicht gänzlich von den Einsparmaßnahmen im Nachgang der Weltfinanzkrise von 2009 erholt”, stellt Dr. Jan H. Wille, Partner bei Strategy& und Mitautor der oben erwähnten Studie, gegenüber dem Behörden Spiegel fest. “Damalige strukturelle Entscheidungen, wie z. B. die Reduzierung der Lagerbestände, wirken bis heute nach. Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie könnten nun erneut Forderungen aufkommen, Kürzungen im Einzelplan 14 vorzunehmen. Die

Lehre aus den Folgejahren nach 2009 zeigt jedoch, dass dies den Steuerzahler langfristig deutlich mehr kosten würde als kurzfristig eingespart wird.” Erschwerend komme für die zwischenstaatliche Rüstungskooperation hinzu, dass “viele Staaten angesichts der Krise derzeit verstärkt national agieren. Sollte sich dies über die Krise hinaus verfestigen, könnte sich das negativ auf die europäische Zusammenarbeit auswirken”, so die Strategy&-Studie. Gerade in Frankreich, ergänzt Dr. Wille, “wird die Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie als eine strategisch wichtige Industrie eingestuft und erhält dementsprechend auch umfassende Unterstützung aus dem dortigen Corona-Konjunkturprogramm. Wenn es auf deutscher Seite mit-

telfristig zu Kürzungen kommen sollte, könnten wichtige Programme wie FCAS (Luft) oder MGCS (Land) zunehmend weniger als Partnerschaft “unter Gleichen” betrachtet werden und damit der deutsch-französische Integrationsprozess nachhaltig ins Stocken geraten” – ebenso wie die multinationale Rüstungskooperation bei vielen langfristigen Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr. Hier sei ergänzend zu FCAS und MGCA auch die künftige Eurodrohne genannt.

Glückliche Marine Im Unterschied zu Luftwaffe (Schwerer Transporthubschrauber, “Brückenlösungen” für die Nachfolge von “Tornado” und “Heron 1”) sowie Heer (Digitalisierung Landbasierter Operationen) hatte die Marine mehr Glück

beim Timing eines Großvorhabens: Am 17. Juni billigten sowohl der Verteidigungs- als auch der Haushaltsausschuss des Bundestages u. a. die 25-MillionenEuro-Vorlage zur Beschaffung des Mehrzweckkampfschiffs (MKS) 180. Bereits zwei Tage später unterzeichneten das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) sowie die niederländische Damen-Werft als Generalunternehmer in Koblenz den entsprechenden Vertrag im Wert von 5,27 Milliarden Euro (inkl. ergänzender Ausbildungseinrichtungen an Land). Außerdem wurde eine Option für eine mögliche Lieferung von zwei weiteren Schiffen in den Jahren nach 2032 vereinbart. Damit handelt es sich um eines der größten Beschaffungsprojekte in der Geschichte der Deutschen Marine.

Hoffnungsschimmer zum Schluss Die Strategy&-Studie erhebt in ihrem Titel den Anspruch, möglichst “gestärkt” aus der Krise hervorzugehen: So könnten die aktuellen Probleme “auch als Impuls dienen, die notwendige Digitalisierungsagenda der Verteidigungsindustrie hinsichtlich der Prozesse, der Produktion und des Produktportfolios umzusetzen”. Dr. Wille betont in diesem Zusammenhang ergänzend, dass “dazu allerdings auch politische Unterstützung notwendig” sei. Außerdem: Sinkt durch die Corona-Pandemie das deutsche Bruttoinlandsprodukt, so erhöht sich dessen prozentualer Anteil bei den bereits beschlossenen Verteidigungsausgaben. Zudem sind auch potenzielle Gegner und Konkurrenten wie Russland und China von der Pandemie betroffen.

KNAPP Fast überall mehr Personal (BS/mfe) Nahezu alle Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen werden ab dem 1. September voraussichtlich mehr Personal als bislang vorhanden zugewiesen bekommen. Im Schnitt erhält jede der 47 Kreispolizeibehörden im bevölkerungsreichsten Bundesland knapp zwölf Stellen mehr. Bei 16 Behörden ist sogar mit noch mehr Anstieg zu rechnen. Nur vier Behörden müssen wahrscheinlich einen leichten Stellenrückgang verzeichnen, wie aus der sogenannten belastungsbezogenen Kräfteverteilung des Innenministeriums für das Jahr 2020 hervorgeht. Kriterien für die Personalzuteilung auf die 47 Kreispolizeibehörden sind unter anderem die Einwohnerzahl, die tatsächliche Arbeitsbelastung, das lokale Kriminalitäts- und Verkehrsunfallgeschehen oder besondere Tätigkeitsschwerpunkte. Dazu gehört etwa der Kampf gegen Kindesmissbrauch.

Kompetenzen ausbauen (BS/stb) Das europäische Polizeiamt Europol erweitert seine Kapazitäten zur Dekryptierung von verschlüsselten Informationen. Demnach wird am bei Europol angesiedelten Europäischen Zentrum für Computerkriminalität (EC3) derzeit eine neue Dekryptierungsplattform für verschlüsselte Datenträger errichtet. Basis des Systems ist Hashcat. Dabei handelt es sich um eine unter Hackern und Penetrationstestern verbreitete Open-Source-Software zum Knacken von Passwörtern. Die erforderliche Rechenleistung wird durch die Verknüpfung zahlreicher Grafikprozessoren erreicht. Die Plattform wird den europäischen Strafverfolgungsbehörden in Ermittlungsverfahren zur Verfügung gestellt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag hervor (Drucksache 19/20841).


Innere Sicherheit

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B

ehörden Spiegel: Herr Schemke, wie sieht Ihr Amt aus? Schemke: Als Inspekteur in Nordrhein-Westfalen bin ich für rund 30.000 Beamte zuständig, die in der Regel uniformiert sind. Ich verantworte die Bereiche Einsatz, Verkehr, Steuerung und Führung der Polizei. Zudem bin ich in diesem Amt Vorsitzender des Nationalen Ausschusses für Sport und Sicherheit (NASS). Und im November werde ich den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft Internationale Polizeimissionen (AG IPM) übernehmen. Hier im Innenministerium berate ich die Hausspitze in polizeilichen Fragen, allen voran natürlich den Minister. Behörden Spiegel: Was steht auf Ihrer Agenda? Schemke: Wir sind in der nordrhein-westfälischen Polizei dabei, die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern. Denn die Digitalisierung bringt auch spezielle Formen der Kriminalität mit sich, die wir ganz genau im Auge behalten müssen. Dazu zählen unter anderem CyberKriminalität und Kinderpornografie. Außerdem geht es darum, die riesigen Datenmengen, mit denen wir es inzwischen zu tun haben, effektiv auswerten und verarbeiten zu können. Darüber hinaus wollen wir technische Innovationen bestmöglich für polizeiliche Zwecke nutzen. Behörden Spiegel: Was merkt der einzelne Polizist vor Ort von alledem? Schemke: Wir bauen den Einsatz von Smartphones in der Fläche aus. Außerdem werden weitere Applikationen auf den Geräten installiert. Dazu zählen unter anderem eine App zur Aufnahme von Verkehrsunfällen sowie Fast-ID-Möglichkeiten. In

Behörden Spiegel / August 2020

Zahlreiche Felder zu bearbeiten Inspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei treibt Digitalisierung voran (BS) Michael Schemke ist Inspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei. Zu seinen Aufgaben gehören unter anderem Führung und Steuerung. Ganz besonders hat er sich die Themen Digitalisierung und technologischen Fortschritt auf die Fahnen geschrieben. Wie er dabei genau vorgehen will, erläutert Schemke im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Das Interview führten Uwe Proll und Marco Feldmann.

“Wir bauen den Einsatz von Smartphones in der Fläche aus.” Michael Schemke ist Inspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei. Er ist seit 1977 Polizist und war seitdem unter anderem Leiter der Spezialeinheiten und des Ständigen Stabes in Essen, sowie Leiter der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz in Krefeld. Foto: BS/Feldmann

diesem Kontext haben wir uns inzwischen aber auch umgestellt. Früher wollten wir immer das perfekte Produkt auf den Markt bringen. Inzwischen bringen wir Lösungen, die anwendungsreif sind, sofort in den Betrieb und testen sie dann dort. In Mönchengladbach testen wir momentan zum Beispiel die GPS-gestützte Einsatzvergabe. Außerdem erproben wir derzeit den Einsatz von Drohnen.

weiterhin die höchste Priorität. Deshalb haben wir moderne ballistische Helme angeschafft, die sowohl äußerst sicher sind als auch einen hohen Tragekomfort bieten. Außerdem haben wir sehr effektive Plattenträger mit einer hohen Durchschusshemmung und komfortable und praktikable Außentragehüllen eingeführt.

Behörden Spiegel: Welche Technologie benötigt die nordrhein-westfälische Polizei am dringendsten?

Schemke: Des Weiteren nutzen wir Spuckzschutzhauben, die wir dem polizeilichen Gegenüber aufziehen, um unsere Beamten zu schützen – aktuell auch vor Infektionen. Das ist nicht nur in Corona-Zeiten sehr wichtig. Und wir haben Bodycams eingeführt, da diese Geräte aus unserer Sicht eine deeskalierende Wirkung besitzen. Erste Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen bestätigen das. Ab Anfang kommenden Jahres werden wir zudem das Distanzelektroimpulsgerät im Streifendienst erproben. Darüber hinaus haben wir das Einsatztraining angepasst und bereiten uns nun speziell auf Messerattacken vor, um da abwehrbereiter

Schemke: Wir brauchen ganz dringend Software, die sehr schnell riesige Datenmengen strukturieren, auslesen und analysieren kann. Denn die manuelle Auswertung bindet erhebliche personelle Ressourcen. Behörden Spiegel: Was ist Ihnen noch wichtig? Schemke: Ebenfalls von großer Bedeutung ist die Eigensicherung jedes Polizisten. Denn der Schutz der Polizeibeamten hat für uns

Behörden Spiegel: Über welche Einsatzmittel verfügen Sie noch?

zu sein und die Eigensicherung zu erhöhen. Behörden Spiegel: Wie wollen Sie in Nordrhein-Westfalen weiter mit Organisierter Kriminalität (OK) und Clan-Kriminalität umgehen?

Nordrhein-Westfalen auch oftmals Schwerpunkteinsätze statt, bei denen wir unter anderem mit dem Zoll, der Bundespolizei, der Gewerbeaufsicht und den Ordnungsämtern kooperieren. Außerdem arbeiten wir mit anderen Bundesländern zusammen.

nen zu widerstehen. Sollte es dennoch zu derartigen Fällen kommen, wären dann auch die jeweiligen Vorgesetzten gefragt, ihre Mitarbeiter zu unterstützen und sich hinter sie zu stellen. Außerdem haben wir in der Ausbildung unserer Anwärter einen starken Schwerpunkt auf das Thema Wertevermittlung gesetzt. Wir müssen hier aber weiterhin aufmerksam bleiben. Außerdem müssen wir den jungen Kolleginnen und Kollegen vermitteln, dass sie – wo erforderlich – klare Kante zeigen und konsequent bleiben müssen.

Schemke: In der Vergangenheit Behörden Spiegel: Was tun traute man der nordrhein-westBehörden Spiegel: Wie reagie- Sie da genau? fälischen Polizei nicht den langen ren die Angehörigen der Clans auf Schemke: Hilfreich ist dabei Atem zu, den es zur Bekämp- diese Taktik? für uns, dass unsere Anwärter fung dieser Kriminalitätsformen Schemke: Bevor wir mit dieser seit 2018 bei ihrer Einstellung braucht. Dabei haben wir den eindeutig. Und wir werden ihn Strategie begonnen haben, hatten per Regelabfrage vom Verfasauch in der Zukunft haben. Im wir deutlich mehr Tumultdelikte sungsschutz überprüft werden. vergangenen Jahr haben wir in zu verzeichnen. Deren Zahl ist Dadurch werden Bestrebungen diesem Bereich fast 900 Kon­ inzwischen stark zurückgegan- gegen die freiheitlich-demokratrollaktionen in 1.900 Objekten gen. Gleiches gilt für die Fälle, tische Grundordnung besser durchgeführt. Dabei wurden 880 bei denen es zu aggressiver Ge- erkannt. Dadurch kann die Straf- und 1.700 Einstellung solOrdnungswidrigcher Personen in “Früher wollten wir immer das perfekte Produkt den Polizeidienst keitenanzeigen auf den Markt bringen. Inzwischen bringen wir frühzeitig verhinerstattet und 200 Objekte geschlos- Lösungen, die anwendungsreif sind, sofort in den dert werden. Das Ziel einer solchen sen. Außerdem Betrieb und testen sie dann dort.” Regelabfrage ist gab es dabei nahezu 1.400 Sinatürlich auch, cherstellungen. Wir stellen fast genwehr gegen die gemeinsamen Personen mit einer Nähe zum in jeder Shisha-Bar Verstöße Kontrollen kommt. Die Szene ist Extremismus zu entlarven. Denn fest. Solche Orte sind oftmals klar verunsichert. Dazu hat auch Extremisten haben in unseren Rückzugsräume für kriminelle eine massive polizeiliche Präsenz Reihen nichts zu suchen. Machenschaften. Deshalb wer- in Problembereichen beigetragen. Behörden Spiegel: Gibt es eiden wir die Nadelstich-Taktik, die sich aus unserer Sicht bewährt Behörden Spiegel: Gibt es in nen strukturellen Rassismus bei hat, weiterführen und den Wind Nordrhein-Westfalen Versuche der deutschen Polizei? nicht aus den Segeln nehmen. der Einflussnahme von ClanAngehörigen auf Polizisten und Schemke: Nein, definitiv nicht. Behörden Spiegel: Worauf Anwärter? Wer das behauptet, der irrt. Gleikommt es bei der Bekämpfung ches gilt für diejenigen, die meiSchemke: Aktuell sind uns nen, wir hätten Racial Profiling von Clan-Kriminalität noch an? solche Einflussnahmen nicht zu einem unseren Standards Schemke: Bei der Bekämpfung bekannt. Und sollte es sie doch erhoben. Aber diese Vorwürfe dieser Kriminalitätsform ist be- geben, setze ich darauf, dass sind leider keineswegs neu und hördenübergreifende Zusammen- die Kolleginnen und Kollegen werden sehr schnell erhoben. arbeit noch wichtiger als ohnehin durch ihre sehr gute Ausbildung Sie bleiben dennoch unerträglich schon. Deshalb finden bei uns in das Rüstzeug dafür besitzen, ih- und sind durch nichts belegt.

Lockdown führt zu Problemen

Koordinierungsstelle kommt

“Ersthelfer” teilweise momentan nicht vorhanden

Neue Einrichtung im sächsischen Innenministerium

(BS/Marco Feldmann) Die Corona-Pandemie und die damit oft einhergehende längere Schließung von Kindertagesstätten und Schulen hat zum Teil massive Auswirkungen auf das Kriminalitätsgeschehen. Die Folgen lassen sich allerdings oftmals noch nicht genau quantifizieren. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der häuslichen Gewalt und des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. Denn aufgrund der Einschränkungen mangelte es längere Zeit an Hinweisgebern.

(BS/mfe) Im Dresdner Innenministerium wird es ab dem 1. September eine Koordinierungsstelle für interne Extremismusprävention und -bekämpfung geben. Das gab Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller (CDU) bekannt. Ziel der Stelle ist es, die Akteure der Extremismusabwehr zu vernetzen.

Lehrer und Erzieher, denen diese Aufgabe in normalen Zeiten am ehesten zukommt, hätten die Funktion nur sehr begrenzt wahrnehmen können. Es habe während der Corona-Krise länger an diesen “Ersthelfern” gemangelt, kritisiert Celine Sturm, Referentin für Kriminalprävention bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring. Teilweise sei dies sogar immer noch der Fall. Dabei seien während des Lockdowns alle Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche “in die Höhe geschnellt”, berichtet die Geschäftsführerin der World Childhood Foundation, Dr. Astrid Helling-Bakki. Das Problem sei jedoch gewesen, dass selbst bei den Behörden – unter anderem bei den Jugendämtern – zunächst eine Schockstarre geherrscht habe.

Noch vieles zu tun Dies sei aber äußerst problematisch. Denn zum einen sei Kriminalprävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, um die Opferwerdung möglichst zu verhindern, unterstreicht Sturm. Zum anderen braucht es einen möglichst frühen Kinderschutz, findet Helling-Bakki. Sie verlangt: “Wir müssen die Kinder möglichst früh sensibilisieren, damit sie sich bemerkbar und ihre Grenzen deutlich machen können.” Hierfür brauche es bereits im Kindesalter eine hohe Medienkompetenz und eine Sensibilität für die Risiken und Gefahren im di-

seien zudem audiovisuelle Vernehmungen der betroffenen Kinder, sind sich Helling-Bakki und Sturm einig. Diese Form der Befragung habe einen hohen Mehrwert für die Ermittlungsarbeit, sei opferschonend und trage dazu bei, Tätern schneller auf die Spur zu kommen. Ulrich WilmsDiskutierten über den effektiven Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt (im Uhrzeigersinn):mann, Head of KI, Dr. Horst Baier, Thorsten Nowak, Dr. Astrid Helling-Bakki, Celine Sturm und Ulrich Wilmsmann. Big Data and Geo Screenshot: BS/FeldmannAnalytics beim ITgitalen Raum bei allen Akteuren. vor allem Kindertagesstätten, Dienstleister Atos Deutschland, Nur so könne es möglicherweise Schulen und Verantwortliche meint: “Technologie ist eine Megelingen, Missbrauchstaten zu in Vereinen besonders gefragt. thode, um schneller reagieren zu verhindern. In beiden Bereichen Notwendig seien unter anderem können.” Und er unterstreicht: sei allerdings hierzulande noch Investitionen in eine entspre- “Die beste Prävention ist die “viel Luft nach oben”, bemängelt chende Aus- und Fortbildung von schnelle Aufklärung.” Dafür Lehrern und Erziehern. Denn: sei es wichtig, dass Ermittler die frühere Kinderärztin. “Kinder brauchen Schutz und auch schnell Datenelemente zuDatenschutz darf Vertrauen”, unterstrich der IT- sammenfügen und miteinander nicht alles sein Beauftragte im Rahmen der von verknüpfen könnten, bei denen Die Bedeutung einer effektiven Thorsten Nowak, dem Leiter der Zusammenhänge untereinanPrävention beim Kinderschutz Geschäftsstelle der Kinderschutz- der nicht sofort erkennbar seien. Dies sei für rasche Fahndungsim Internet betont auch der IT- allianz, moderierten Debatte. Bei der Verfolgung von sexuel- erfolge ebenso wichtig wie die Bevollmächtigte der niedersächsischen Landesregierung. Hierfür lem Kindesmissbrauch müsse Verbindung unterschiedlicher brauche es möglichst nieder- gegebenenfalls auch der Daten- Datentöpfe und die internationale schwellige Angebote, so Dr. Horst schutz zugunsten des Schutzes Kooperation der Polizeibehörden. Baier im Rahmen einer Online- der Kinder zurücktreten. Hier Hierfür brauche es unbedingt Diskussionsrunde im Rahmen müssten entsprechende Prioritä- automatisierte und KI-gestützte von “Digitaler Staat online”. Beim ten gesetzt werden, mahnt Baier. Lösungen, etwa bei der Analyse Kinder- und Jugendschutz seien Hilfreich für die Strafverfolgung von Bildern oder Chats.

Außerdem geht es darum, möglichst frühzeitig alle wichtigen Informationen zu extremistischen Bestrebungen von Mitarbeitern zu bündeln. In der Koordinierungsstelle, die zunächst mit zwei Beamten besetzt wird, soll alle sechs Monate ein Lagebild mit Erkenntnissen und Entwicklungstendenzen erstellt werden. Weitere Aufgaben sind die Koordination des einheitlichen Umgangs mit extremistischen Verdachtsfällen innerhalb des Geschäftsbereichs des sächsischen Innenministeriums und die Erarbeitung von Leitfäden sowie Schulungsunterlagen zum Erkennen extremistischer Bestrebungen. Minister Wöller sagte: “Mitarbeiter in der Verwaltung und bei der Polizei sind in besonderem Maße an unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung gebunden.” Das Vertrauen in

das rechtsstaatliche Handeln von Staatsbediensteten sei ein hohes Gut, das besonders gerechtfertigt werden müsse. “Deshalb wollen wir jede Form verfassungsfeindlicher Bestrebungen innerhalb von Behörden frühzeitig aufspüren und ihr den Nährboden entziehen”, so der Ressortchef weiter. Die Koordinierungsstelle übernehme in Sachen Früherkennung und Prävention künftig eine Schlüsselrolle.

Richtet eine neue Koordinierungsstelle in seinem Haus ein: Sachsens Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller (CDU). Foto: BS/Feldmann

MELDUNG

Mehr als 220 Beschränkungen (BS/mfe) Im Jahr 2018 haben die drei Nachrichtendienste des Bundes nach Genehmigung durch die G-10-Kommission insgesamt 222 Individualmaßnahmen zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vorgenommen. Das sind 54 Maßnahmen weniger als 2017, wie aus einer

Unterrichtung durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) an den Deutschen Bundestag hervorgeht. In den ersten sechs Monaten erfolgten nach Genehmigung durch die ­G -10-Kommission insgesamt 106 Beschränkungsmaßnahmen in Einzelfällen. Im zweiten Halbjahr waren es 116.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2020

B

ehörden Spiegel: Welche Veränderungen gab es angesichts der Corona-Pandemie in der Zollverwaltung? Hercher: Wie in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens hat sich anfangs auch innerhalb der Zollverwaltung vieles geändert, insbesondere aufgrund des Lockdowns. Da haben wir viele Kolleginnen und Kollegen von Zu Hause aus arbeiten lassen. Außerdem haben wir die operativen Kräfte in feste Schichten eingeteilt und je nach Dienststelle Reserven und Bereitschaften gebildet, um jederzeit arbeitsfähig zu bleiben. Das war zunächst ein tiefer Einschnitt und auch eine überraschende Situation, die wir sehr schnell annehmen und umsetzen mussten. Behörden Spiegel: Wie ist Ihnen das gelungen? Hercher: Wir waren bereits vor der Corona-Lage gut digitalisiert, haben auf den Büroarbeitsplätzen eine Vollausstattung und eine sehr weitgehende Ausstattung mit Laptops. Außerdem sind bereits viele unserer Fachverfahren digitalisiert. Dadurch konnten wir im administrativen Bereich recht schnell und einfach in ein digitales Arbeiten übergehen. Die bereits vor Corona begonnene Digitalisierung setzen wir weiter fort, da uns das flexible Arbeitsort- und Arbeitszeitmodelle ermöglicht. Außerdem können wir so elektronische Arbeit gut verteilen und schnell verlagern. Das hat uns während der Corona-Krise gute Dienste geleistet und wird uns auch bei der Bewältigung des Brexits helfen. Denn hier ist es sehr wahrscheinlich, dass es noch zu Schwerpunktund Tätigkeitsverlagerungen kommen wird. Behörden Spiegel: Wie sah es im operativen Bereich der Zollverwaltung aus?

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Bereits stark digitalisiert Zollverwaltung konnte rasch auf Corona-Lage reagieren (BS) Die Corona-Pandemie stellte auch den Öffentlichen Dienst vor zahlreiche Herausforderungen. Die Zollverwaltung hatte jedoch kaum Probleme bei deren Bewältigung. Dabei sei ihr auch ihr recht hoher Digitalisierungsgrad zugutegekommen, der bereits vor der Krise bestand. Das sagt die Präsidentin der Generalzolldirektion (GZD), Colette Hercher, im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellten Uwe Proll und Marco Feldmann. Hercher: Auch im operativen Bereich konnte viel im Homeoffice erledigt werden, etwa das Anfertigen von Berichten. Die Kontrollen vor Ort mussten weiterhin durch Präsenzkräfte durchgeführt werden. Da ging es darum, arbeitsfähig zu bleiben, was uns auch gelungen ist. In diesem Bereich haben wir mit Personalreserven gearbeitet, falls in einer Dienstgruppe eine Corona-Infektion auftreten sollte. Denn die Kontrollen und die Warenabfertigung, etwa am Frankfurter Flughafen oder im Hamburger Hafen, mussten ja weitergehen, waren sogar besonders wichtig, beispielsweise die Abfertigung der dringend erforderlichen Masken. Die Umschlagszeiten mussten weiter eingehalten werden. Behörden Spiegel: Von welchen Zeithorizonten müssen wir denn dabei ausgehen? Hercher: Im Hamburger Hafen reden wir dabei von sechs bis sieben Stunden, am Frankfurter Flughafen von 45 Minuten. Da muss eine Schicht einfach funktionieren, weil sich die Wirtschaft darauf verlässt und der Warenfluss auch maßgeblich vom Zoll abhängt. Deshalb gab es auch während der Corona-Krise klare Zeitfenster und Erwartungen an unsere Abfertigungszeiten. Behörden Spiegel: Welche Anpassungen gab es bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS)? Hercher: Aufgrund des Lockdowns waren für diese Kräfte Ge-

“Inzwischen haben sich die Tätigkeitsschwerpunkte der FKS Corona-bedingt etwas verändert.”

schäftsprüfungen in Firmenräumen oder Personenbefragungen kaum mehr möglich. Schlicht, weil dort nicht gearbeitet wurde und die Firmen deshalb nicht für Kontrollen und Prüfungen zur Verfügung standen. Und das über einen relativ langen Zeitraum. Behörden Spiegel: Ist das immer noch so? Hercher: Nein, inzwischen haben sich die Tätigkeitsschwerpunkte der FKS corona-bedingt etwas verändert. Die Fleischwirtschaft wird weiterhin engmaschig kontrolliert. Und in den landwirtschaftlichen Betrieben wurde die Überprüfung von Saisonarbeitern weiter intensiviert. Mittlerweile sind wir wieder im Normalbetrieb angekommen. Auch, weil die Warenverkehre wieder richtig angelaufen sind. Heute haben wir an einigen Stellen sogar mehr Aufkommen als früher. Das gilt etwa für den E-Commerce. Die Personalreserven im Kontrolldienst haben wir weitgehend wieder abgebaut.

beim Zoll während der Corona-Pandemie Veränderungen im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) festgestellt?

Hercher: In diesem Bereich ist die Gegenseite immer schnell. Colette Hercher ist seit dem 1. August 2018 Präsidentin der Generalzolldirektion (GZD). Wenn sich der WaZuvor war die Juristin unter anderem als renverkehr verändert, Abteilungsleiterin im Bundesfinanzminispasst sich auch die terium (BMF) tätig. Schmuggelware an. Foto: BS/Feldmann Grundlegende Veränderungen in diesem Behörden Spiegel: Hatte die Bereich konnten wir aber bisher Corona-Krise auch Auswirkungen nicht feststellen. Dafür dürfte auf den Zollfahndungsdienst oder es aber auch noch zu früh sein. das Zollkriminalamt? Solche Veränderungen erkennt man meist erst mit einem gewisHercher: Ja, die gab es. Betrof- sen Zeitverzug. fen waren und sind teilweise imBehörden Spiegel: Inwiefern mer noch die Ermittlungsdienste. Dort mussten alle Maßnahmen beschäftigt sich die Zollverwalangesichts des Infektionsrisikos tung mit digitalen Daten? ganz genau geplant und geprüft Hercher: Daten sind, sofern werden, wie die einzelnen Ermittlungsmaßnahmen aufgesetzt sie nicht auf Datenträgern einwerden konnten. Das musste geführt werden, keine Waren schon aus Gründen der Gefähr- und damit keine Aufgabe der dung der eigenen Mitarbeiter Zollverwaltung. Sie unterliegen erfolgen. Dabei ist es aber ge- jedoch der Besteuerung. Dafür lungen, die Warenverkehre ganz ist aber nicht die Zollverwaltung genau im Blick zu behalten und zuständig. Darum kümmern sich neue, der Corona-Lage angepass- die Finanzverwaltungen. te Risikoschwerpunkte zu setzen. Behörden Spiegel: Wie sieht Letzteres war und ist vor allem Aufgabe des Zollkriminalamtes, es beim Zoll im Bereich der Nachwobei dort Risikoprofile zeitweise wuchsgewinnung aus? verändert und verlagert wurden. Da ging es während Corona unter Hercher: Wir haben in der Zollanderem um die Kontrolle von verwaltung seit einigen Jahren Schutzmasken, die zum Teil nicht eine gut wirkende Nachwuchseinfuhrfähig waren. werbekampagne. Diese haben wir bedingt durch Corona nochBehörden Spiegel: Haben Sie mals stärker auf digitale Medien

ausgerichtet. Wir hoffen, dass wir dadurch weiterhin genügend junge Leute für die Zollverwaltung gewinnen können. Bislang sieht es diesbezüglich über alle Laufbahngruppen hinweg immer noch gut aus. Aus diesem Grunde bleiben die Einstellungsvoraussetzungen unverändert. Behörden Spiegel: Was ist das Besondere am Zoll? Hercher: Wir sind für junge Bewerberinnen und Bewerber attraktiv, weil wir aufgrund unseres großen Aufgabenportfolios für das gesamte Berufsleben etwas bieten. Bei uns kann man seine Tätigkeit leicht und schnell an die individuelle (Familien-)Situation anpassen. Da bieten wir viel Flexibilität mit unterschiedlichen Modellen und ein abwechslungsreiches Berufsleben an. Das ist derzeit ein gutes Werbeargument für uns. Behörden Spiegel: Inwiefern kooperiert die deutsche Zollverwaltung mit Partnerbehörden im Ausland? Hercher: Wir haben in Europa und weltweit ein enges Netz von Verbindungsbeamtinnen und -beamten. Sie sind beim Zollkriminalamt angesiedelt und stehen den ermittelnden Beamten in den anderen Staaten unterstützend zur Verfügung. Und wir nutzen sie zum Informationsaustausch. Außerdem gibt es regelmäßige gemeinsame Treffen der Leitungen der nationalen Zollverwaltungen und der übergeordneten Ministerien in Brüssel. Solche Zusammenkünfte gibt es bis zu vier Mal pro Jahr. Außerdem finden zahlreiche bilaterale und trilaterale Treffen zu unterschiedlichen Fragestellungen und Phänomenen statt, nicht nur auf Leitungs-, sondern auch auf Arbeitsebene. Denn nur so lassen sich gemeinsame Kontrollaktionen planen und durchführen.

Karlsruhe rügt Regierung

Neues Instrument

Regelungen zur Bestandsdatenauskunft verfassungswidrig

Spezieller Clan-Ansatz in Niedersachsen

(BS/mfe) Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat mehrere Regelungen zur sogenannten Bestandsda- (BS/mfe) Die niedersächsische Polizei will Clan-Kriminalität noch umfassender abbilden. Dazu wird neutenauskunft für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen erdings ein gesonderter Auswertemerker verwendet. Dabei wird ein zweiteiliges Begriffsverständnis des verletzten die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Wahrung des Telekommunikati- Terminus “Clan” genutzt. onsgeheimnisses, entschieden die Richter des Ersten Senats. Betroffen sind unter anderem Paragrafen im Telekommunikationsgesetz, im Bundeskriminalamtsgesetz, im Bundespolizeigesetz und im Zollfahndungsgesetz. Gleiches gilt für Regelungen in den für die Nachrichtendienste des Bundes einschlägigen Gesetzen. Bei der manuellen Bestandsdatenauskunft können Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) von Telekommunikationsunternehmen Auskünfte über den Inhaber eines Telefonanschlusses oder eine zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesene IP-Adresse erhalten. Mitgeteilt werden dabei personenbezogene Daten der Kunden, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen stehen. Nicht übermittelt werden hingegen Daten, die sich auf die Nutzung von Telekommunikationsdiensten oder den Inhalt von Kommunikationsvorgängen beziehen. Dabei handelt es sich um sogenannte Verkehrsdaten. Die Verfassungsrichter urteilten zwar, dass die Erteilung einer Auskunft über Bestandsdaten grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sei. Der Gesetzgeber sei jedoch verpflichtet, sowohl für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter als auch für den Abruf der Daten durch die BOS jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen zu schaffen. Dabei müssten Übermittlungs- und Abrufregelungen die Verwendungs-

Demnach ist der Clan eine durch verwandschaftliche Beziehungen und eine gemeinsame ethnische Herkunft verbundene Gruppe. Bei der kriminellen ClanStruktur handelt es sich um eine Großfamilie, die durch weitere Indikatoren gekennzeichnet und geprägt ist. Dazu gehören laut Hannoveraner Landeskriminalamt (LKA) unter anderem das Ausleben eines stark überhöhten familiären Ehrbegriffs sowie das innerfamiliäre Sanktionie-

ren von Verstößen gegen diesen Ehrbegriff. Weitere Merkmale solcher Großfamilien seien die mangelnde Integrationsbereitschaft, die mitunter Aspekte einer Ghettoisierung bis hin zur inneren Abschottung enthalte, sowie eine den Rechtsstaat umgehende oder unterlaufende Paralleljustiz. Insgesamt handele es sich um Strukturen, in denen neben der Begehung von Straftaten das Verursachen von Gefahren für die öffentliche Si-

cherheit und Ordnung durch ein Familiennetzwerk geduldet oder gar gefördert werden. Der neue Auswertemerker wird im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem bei allen Ereignissen gesetzt, die einen Bezug zum Phänomen der Clan-Kriminalität aufweisen. Dabei entscheidet der Sachbearbeiter, ob er das entsprechende Feld in der Datenmaske aktiviert oder nicht. Der Merker kann aber auch noch nachträglich gesetzt oder wieder deaktiviert werden.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Foto) hat Bestimmungen zur Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig erklärt. Foto: BS/Udo Pohlmann, pixabay.com

zwecke der Daten hinreichend begrenzen. Dafür brauche es entsprechend hohe Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz. So sei für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich eine im Einzelfall vorliegende konkrete Gefahr vonnöten. Für die Strafverfolgung brauche es zudem einen Anfangsverdacht. Finde eine Zuordnung dynamischer IP-Adressen statt, müsse diese zudem auch dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest hervorgehobenem Gewicht dienen. Diese Bedingungen würden von den angegriffenen Vorschriften weitgehend nicht erfüllt. Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), sowie

die Grünen-Sprecherin für Netzpolitik, Tabea Rößner, erklärten zu der Entscheidung: “Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine weitere dramatische Niederlage für die Bundesregierung, denn es wurde erneut bestätigt, dass die derzeitigen staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche Daten von Handy- und Internetnutzern zur Strafverfolgung und Terrorabwehr die Rechte der Inhaberinnen und Inhaber verletzen.” Das Urteil sei kein Einzelfall, sondern nur ein weiteres Glied in einer Kette von gerichtlichen Niederlagen für die Bundesregierung. Die beiden Abgeordneten verlangten: “Wir brauchen vor allem im Sicherheitsbereich verfassungskonforme Gesetze, die das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Telekommunikationsgeheimnis wahren.”

POLIZEITAGE 2020 17. November | Kiel

1. Dezember | München

Eine Veranstaltung des

und der

15. Dezember | Düsseldorf


Innere Sicherheit / Luftsicherheit

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Behörden Spiegel / August 2020

Wohin geht die Reise?

Sicher und gesund fliegen

Luftsicherheit während und nach Corona

Das geht auch in Corona-Zeiten

(BS/Cornelia Okpara) Sich den gegebenen Herausforderungen zu stellen und neue Gegebenheiten umzusetzen, ist eine Stärke der Sicherheitsdienstleister im Bereich der Luftsicherheit. Durch die Corona-Pandemie wurde jedoch alles bisher Geschehene in den Schatten gestellt. Ob Umsetzung neuer EU-Richtlinien, Vulkanausbrüche, 9/11 oder Streiks in den Sicherheitskontrollen, am Ende stand immer die Gewährleistung einer effizienten, sicheren und qualitativ hochwertigen Dienstleistung.

(BS/Markus Bierschenk) Seit jeher ist der “Traum vom Fliegen” auch mit Ängsten und Befürchtungen verbunden. Zu den Pionierzeiten des zivilen Luftverkehrs hatten die Menschen häufig Angst vor Abstürzen oder Flugunfällen aufgrund technischer Mängel der noch unausgereiften neuen Technologie. Seit dem Absturz der Pan Am über Lockerby, spätestens aber seit 9/11 ist die Angst von Terroranschlägen auf den zivilen Flugverkehr für jeden sichtbar in den Vordergrund gerückt.

Vor der Pandemie war es insbesondere eine Herausforderung auf einem Arbeitsmarkt, der kaum freie Arbeitnehmer bot, geeignetes und zuverlässiges Personal zu finden. Nunmehr geht es darum, das ausgebildete Personal möglichst im Unternehmen zu belassen und betriebsbedingte Kündigungen weitgehend zu vermeiden. In diesem Zusammenhang haben die Sicherheitsdienstleister Kurzarbeit eingeführt, mögliche Sparmaßnahmen eingeleitet und, wo es möglich war, staatliche Hilfsprogramme in Anspruch genommen. Dennoch kämpfen die Unternehmen um ihr wirtschaftliches Überleben. Die Prognosen sind bezüglich der mittelfristigen Entwicklung des Luftverkehrs nicht optimistisch. Die bisherigen vertraglichen Vereinbarungen sahen keine Regelungen vor, um die Dienstleister und deren Mitarbeiter vor derart kurzfristigen und massiven Abweichungen vom normalen Kontrollaufkommen zu schützen. Dies war bislang aber auch nicht notwendig, denn das Passagier-, Fracht- und sonstige Kontrollaufkommen ging stetig nach oben. Die Betrachtung muss aber auch nach den unterschiedlichen Tätigkeiten des Luftsicherheitsgesetzes differenzieren. Auftraggeber sind, je nach Tätigkeit gemäß Luftsicherheitsgesetz, das Bundesinnenministerium (BMI), die

Die Bundespolizei begegnet der andauernden Gefährdungslage im Luftverkehr mit einer Vielzahl ineinandergreifender Maßnahmen. Ein Kernelement dabei sind Fluggastkontrollen, die höchsten internationalen Standards entsprechen und eine hohe Gewähr für das Auffinden von Tatmitteln bieten, die für Terrorakte genutzt werden könnten. Diese Fluggastkontrollen werden im Auftrag und unter der Aufsicht der Bundespolizei von privaten Sicherheitsdienstleistern durchgeführt. Die Verträge mit den Unternehmen sind hierbei mit einem Anreizsystem ausgestattet, sodass es sich für die Unternehmen auch wirtschaftlich auszahlt, hochprofessionelle und effiziente Kontrollleistungen zu erbringen.

vergütet. Einhergehend damit ist in der Regel auch die Übernahme der Planung und Steuerung der Cornelia Okpara ist Rechtsanwältin und Geschäftsführerin Dienstleistung in des Bundesverbandes der den KontrollstelLuftsicherheitsunternehmen len. Ob und wie (BDLS). sich diese neue Foto: BS/BDLS Praxis bewährt, kann aufgrund Luftfahrtbehörden der Länder, der Corona-Bedingungen noch die Flughäfen, die Airlines oder nicht beurteilt werden. Aber die reglementierten Beauftragten. ob nun ein Stundenvolumen Für die Verträge im Auftrag des angefordert wird oder der Kon­ BMI und in der Fachaufsicht trollvorgang als Grundlage dient, der Bundespolizei ist es gelun- entscheidend für eine zuverlässigen, Regelungen und Verfah- ge Planung und, damit verbunrensweisen zu vereinbaren, die den, eine effiziente und sichere bei einem Wiederanwachsen der Kontrolle ist immer die frühzeiPassagierzahlen eine professio- tige Übermittlung eines validen nelle Kontrolle sichern und die Passagieraufkommens. Dies ist dauerhafte Funktionsfähigkeit aber gerade in der momentanen des Luftverkehrs garantieren. Situation kaum möglich. In den nächsten Monaten ist Für die Tätigkeiten im Auftrag der Flughäfen und der Airlines die Verantwortung unserer Sokonnte ein solcher Kompromiss zialpartner besonders gefragt. Es nicht gefunden werden. Im Be- muss dringend ein Umdenken reich der Ausschreibungen des stattfinden. Wir stehen vor VerBeschaffungsamtes für die Pas- handlungen zu einem Mantelsagier- und Gepäckkontrollen im und Entgeltrahmentarifvertrag. Auftrag des BMI haben sich die In diesem müssen wir ÖffnungsAusschreibungs- und Vertrags- klauseln für betriebliche Notlagen bedingen für neue Verträge mitt- vereinbaren und das Ziel verfollerweile geändert. Wurde vormals gen, Personalabbau möglichst zu klassischerweise von den Dienst- verhindern und eine langfristige leistern ein Stundenvolumen Arbeitsplatzsicherung zu erreiangefordert, so wird nunmehr chen. Nur wenn wir dieses Ziel auf den Kontrollvorgang abge- gemeinsam verfolgen, können stellt und dieser entsprechend wir die Krise überstehen.

Verhältnis stark optimierungsbedürftig Staat und Wirtschaft müssen bei Luftsicherheit besser kooperieren (BS/Ernst G. Walter) Sobald sich der internationale Luftverkehr von der aktuellen Krise erholt hat und die Verkehrszahlen über das Niveau der Vorjahre klettern, muss das Thema Luftsicherheit in Deutschland krisenfest sein. Fakt ist: Das Chaos bei den Luftsicherheitskontrollen an deutschen Flughäfen in den vergangenen Jahren darf sich nicht wiederholen. Deshalb müssen Staat und Luftverkehrswirtschaft jetzt zügig eine innovative und zugleich integrative Zukunftsstrategie entwickeln. Dazu wären neben einer noch engeren Zusammenarbeit und Kooperation von Staat und Luftverkehrswirtschaft in gemeinsamen Projekten, auch ein Personalaustausch wünschenswert, da durch gegenseitigen Wissenstransfer einerseits Verständnis für behördliches Handeln im Bereich der Wirtschaft gefördert und andererseits fachliche Kompetenz aus der Wirtschaft in behördliches Handeln einfließen kann. Ein unkomplizierter Wechsel von Führungskräften zwischen Luftverkehrswirtschaft und Staat, wie in anderen Ländern erfolgreich praktiziert, würde eine integrative Strategie zur Innovation der Luftsicherheitskontrollen beflügeln. Deshalb sollten Statuswechsel erleichtert, finanzielle Anreize geschaffen und dabei Pensionsbeziehungsweise Rentenansprüche gesichert werden. Auch im operativen Bereich wäre der Austausch von Sicherheitskräften sinnvoll und machbar. Statt wie bisher hoheitliche Aufgaben an gewinnorientierte Subunternehmen zu vergeben, sollten private Kontrollkräfte vom Staat übernommen werden. Erfahrene staatliche Sicherheitsbeschäftigte könnten durch einen Wechsel in die Luftverkehrswirtschaft das Sicherheitsniveau dort erhöhen.

Vieles zu tun Um die Luftsicherheit zukunftsfähig zu machen, bedarf es aber noch mehr. Dringend geboten scheint die nationale Umsetzung von auf internationaler Ebene längst erprobter innovativer Kontrollmethoden wie das Analysieren von auffälligem Passagierver-

Ernst G. Walter, seit fünf Jahren im Ehrenamt Stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), stand viele Jahre lang in der Bundespolizei und im Bundesinnenministerium (BMI) sowie während seiner Zeit bei der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde (ICAO) national und international stets intensiv im Austausch mit Vertretern von Luftfahrtgesellschaften und Flughafenbetreibern. Foto: BS/privat

halten (Analysis of Passengers Behavior), die mit biometrischer Identifikation von Passagieren einhergehende Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit von Flugreisenden (Trusted Traveller Program) inklusive Bestimmung des damit verbundenen individuellen Gefährdungspotentials (Profiling) sowie die Erarbeitung und Einführung eines automatisierten Systems zur Risikoanalyse mit konkreter Auswirkung auf die individuelle Kontrollintensität. Ebenso notwendig sind die hierzu erforderliche Übertragung von Entscheidungskompetenz über die Kontrollintensität auf die Kontrollkraft an der Luftsicherheitskontrollstelle, die damit zwangläufig einhergehende Rücknahme der Übertragung hoheitlicher Luftsicherheitskontrollen zur Terrorabwehr an private Unternehmen sowie die Entwicklung einer weitgehend berührungsfreien Kontrolltechnik zur Verwirklichung eines schnellen, serviceorientierten “checkpoint of the future”. All diese Maßnahmen würden dazu beitragen, den Luft-

fahrtunternehmen bei gleichbleibend hohem Sicherheitsstandard eine reibungslose Operation und den Passagieren ein unbeschwertes, serviceorientiertes Reisen zu ermöglichen.

EU-Richtlinien überprüfen

Um aber solche innovativen Kontrollverfahren in der Praxis umsetzen zu können, müssen zunächst die EURichtlinien zur Durchführung der aktuell undifferenzierten Luftsicherheitskontrollen auf den Prüfstand. In den zwei Jahrzehnten nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 sind die EU-Luftsicherheitsanordnungen und die nach jeder neuen Bedrohungslage hinzugekommenen Kontrollvorgaben immer umfangreicher geworden. Deren Effizienz muss grundsätzlich überprüft und an das aktuell bewertete Risiko von Flugstrecken, Fluggesellschaften, Airports und Passagieren angepasst werden. Jetzt, wo Deutschland die EURatspräsidentschaft innehat, wäre genau der richtige Zeitpunkt, um bei der EU-Kommission und den übrigen EU-Mitgliedsstaaten darum zu werben, überflüssige und bürokratische Hürden abzubauen, die aktuellen EU-Kontrollvorgaben anzupassen, neue Kontrolltechniken zuzulassen und innovative Kontrolllösungen endlich in die EU-Richtlinien aufzunehmen.

Großes Aufgabenbündel Seit Beginn der Corona-Krise ist zum Bedürfnis des Fluggastes auf “sicheres Fliegen” ein weiteres Bedürfnis hinzugetreten: Er möchte nicht nur weiterhin sicher fliegen, er möchte auch bestmöglich gegen eine Infizierung mit dem Corona-Virus geschützt sein. Hat er kein Vertrauen in die Hygiene- und Gesundheitsschutzmaßnahmen der beteiligten Akteure am Luftverkehr, wird er im Zweifelsfall auf ein anderes Verkehrsmittel umsteigen oder ganz von seinen Reiseplänen Abstand nehmen. Das bringt uns zu einem ganzen Aufgabenbündel, welches auf den ersten Blick nur schwer miteinander in Einklang zu bringen scheint: Sicher soll es sein, hygienisch soll es sein, Check-in, Sicherheits- und Grenzkontrolle, Boarding und der Flug selbst sollen komfortabel und möglichst ohne Wartezeiten ablaufen. Nur wenn es gelingt, dieses Bündel zu schnüren, gewinnen Fluggäste wieder Vertrauen in das

Diese Maßnahme ist aber ganz entscheidend f ür, dass die da­ Kontrolle trotz corona-bedingter Markus Bierschenk ist Leitender Polizeidirektor und Einschränkungen Leiter des Referats für Luftzügig und ohne sicherheitsaufgaben im Bunlängere Wartezeidespolizeipräsidium. ten für Fluggäste erfolgen kann. Sie Foto: BS/Bundespolizei schützt auch das Kontrollpersonal Flugzeug als Verkehrsmittel und vor Infizierung mit dem Virus. das Wiederanlaufen des Luftver- Je weniger Handgepäck mitgekehrs kann gelingen – national, führt wird, umso weniger muss manuell nachkontrolliert werden europaweit und international. und umso geringer ist der direkte Zusammenarbeit nochmals Kontakt zwischen Fluggast und verstärkt Kontrollpersonal. Die Bundespolizei kann nicht der verlängerte Arm der Wirt- Weiterhin Monitoring und Evaluation schaft sein. Wohl aber ist es auch ihr Ziel, die ihr gesetzlich Das gilt übrigens nicht nur in zugewiesenen Luftsicherheits- Corona-Zeiten: In die Flugzeugaufgaben mit den Herausforde- kabine gehört nur, was während rungen der gegenwärtigen Coro- des Fluges benötigt wird. Alles na-Lage in Einklang zu bringen. andere findet seinen Platz im ReiZur Erreichung dieses Ziels hat segepäck und fliegt im Bauch des die Bundespolizei ihre Koope- Flugzeugs sicher mit. Es bleibt ration mit den Verbänden der zu hoffen, dass sich Airlines und Flughafenbetreiber und Airlines Fluggäste auch nach Ende der nochmals intensiviert und in Krise an diese Erkenntnis ereiner Vielzahl an Gesprächsrun- innern. Die weitere Entwicklung der den, Telefonschaltkonferenzen und Einzelgesprächen auf allen Corona-Pandemie ist nur schwer Ebenen Konzepte abgestimmt, abschätzbar. Es ist nicht ausdie Fluggästen ein entspann- zuschließen, dass es noch eine tes Reisen in allen Lebenslagen ganze Weile ein Auf und Ab bei ermöglichen sollen. Die drei den Infektionszahlen geben wird. Kernelemente dieses Konzeptes Aus diesem Grund werden wir sind das durchgängige Tragen auch weiterhin – in enger Abeiner Mund-Nase-Bedeckung stimmung mit unseren Partnern in Flughafengebäuden und in – die Luftsicherheitsmaßnahmen Flugzeugen, das Einhalten der monitoren und evaluieren, um Mindestabstände überall dort, sie je nach Verlauf der Pandemie wo es möglich ist, und die Mit- weiter anzupassen oder auch nahme von möglichst wenig wieder zu intensivieren. Handgepäck. Oberstes Gebot dabei bleibt: Dass hierbei der Verzicht auf die Der Fluggast soll auch in diesen Mitnahme eines zweiten Hand- Zeiten ohne Furcht ein Flugzeug gepäckstücks für so manchen betreten können, er soll sicher Fluggast durchaus eine Abkehr und gesund fliegen. Die Bunvon liebgewonnener Gewohn- despolizei wird hierzu weiterhin heit darstellt, ist uns bewusst. ihren Beitrag leisten.

Migration für 2022 angestrebt Bewacherregister soll künftig im Statistischen Bundesamt geführt werden (BS/mfe) Nach der grundsätzlichen politischen Einigung über den Zuständigkeitswechsel des Bewachungsrechts (Behörden Spiegel, Juli 2020, Seite 41) auf Bundesebene werden nun weitere Details bekannt. So soll das entsprechende Register, das derzeit noch beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) betrieben wird, ins Statistische Bundesamt überführt werden. Beabsichtigt ist eine Migration im übernächsten Jahr. Ob das “Zieljahr” 2022 allerdings tatsächlich eingehalten werden kann, ist noch offen. Denn, so ist aus dem Bundesinnenministerium (BMI) zu hören, entscheidend sei die technische Betriebsfähigkeit des dann in der Wiesbadener Bundesoberbehörde einzurichtenden Registers. Da diese von verschiedensten Faktoren abhänge, könne der exakte Zeitpunkt der Übergabe derzeit noch nicht fixiert werden.

Warum nicht beim Bundesverwaltungsamt angesiedelt? Um den Übergang in den BMIGeschäftsbereich jedoch technisch möglichst reibungslos garantieren zu können, sei eine enge Zusammenarbeit zwischen BAFA und Statistischem Bundesamt bis in das Jahr 2022 vereinbart worden. Letzteres verfügt laut BMI über zahlreiche Kompetenzen, die es gut in die Lage versetzten, ein IT-Verfahren wie das Bewacherregister zu übernehmen. Dazu gehörten auch weitreichende Erfahrungen in der Kooperation zwischen Bund und Ländern. Sie würden dem Bewacherregister zugutekommen, da dessen Nutznießer vor allem

die Gewerbeämter vor Ort seien. Gleiches – eben der Mehrwert für den kommunalen Bereich – gilt aber auch mit Blick auf das Nationale Waffenregister. Und dieses wird beim Bundesverwaltungsamt geführt.

Sicherheitsbranche begrüßt Wechsel Aus der Branche der privaten Sicherheitsdienste war die Forderung nach dem nun erfolgten Zuständigkeitswechsel vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) ins BMI wiederholt erhoben worden. Von dort kam Lob. So sagte der Präsident des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW), Gregor Lehnert: “Der BDSW begrüßt diesen Wechsel. Damit ist eine der wichtigsten Forderungen des Verbandes erfüllt worden.” Der Stellenwert der privaten Sicherheitsdienste als anerkannter Faktor der Sicherheitsarchitektur werde durch die Zuständigkeitswechsel nun auch politisch sichtbar. Die Sicherheitswirtschaft mit ihren fast 270.000 Beschäftigten habe in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten eine herausragende Bedeutung für die Innere Sicher-

heit in Deutschland erhalten. “Dieser wurde das Gewerberecht mit seiner Betonung der Gewerbefreiheit nicht mehr gerecht. Deutschland ist/war neben Österreich das letzte Land in der EU, in dem das Sicherheitsgewerbe dem Wirtschaftsministerium unterstellt war”, so Lehnert.

Noch Umsetzungsmängel bei Behörden vor Ort Laut BDSW-Hauptgeschäfts­ führer Dr. Harald Olschok funktioniert das Register jedoch immer noch nicht perfekt. “Es hakt oft noch bei der Umsetzung durch die Kommunen vor Ort.” Das BAFA mache seine Arbeit aber gut. Allerdings seien bei Weitem noch nicht alle Mitarbeiter privater Sicherheitsdienstleister im Bewacherregister verzeichnet, so Olschok weiter. Der Koalitionsvertrag sieht auch die Neuordnung der Regelungen für das private Sicherheitsgewerbe in einem eigenständigen Gesetz vor. Dieses Sicherheitsdienstleistungsgesetz existiert aber noch nicht. Ob es noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird, ist bislang noch unklar.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2020

B

ehörden Spiegel: Herr Hoever, Sie sind noch relativ frisch neuer Bonner Polizeipräsident. Was sind Ihre wichtigsten Vorhaben in dem Amt?

Hoever: Zum einen werde ich die Aufgaben, die bereits im vergangenen Jahr hier in Bonn im Sicherheitsprogramm festgelegt wurden, fortführen. Dazu gehören unter anderem Interventions- und Präsenzkonzepte an Brennpunkten wie Bad Godesberg, Tannenbusch und im Innenstadtbereich. Im kriminalpolizeilichen Bereich werden wir uns weiterhin schwerpunktmäßig mit dem Islamismus auseinandersetzen. Zum anderen wollen wir uns intensiver mit Verkehrsunfällen mit Radfahrern auseinandersetzen. Hier haben wir zuletzt auch eine größere Kampagne gestartet. Und über allem steht das Thema Digitalisierung. Dieses wird bei uns im Polizeipräsidium Bonn federführend durch die Zentralabteilung bearbeitet. Behörden Spiegel: Worum geht es bei der Digitalisierung in Ihrem Präsidium genau? Hoever: Da geht es zum Beispiel um die Ausstattung mit Hard- und Software. Außerdem beschäftigen sich die Kollegen mit der Ausstattung der neuen polizeilichen Smartphones sowie mit der Ausweitung der alternierenden Telearbeit. Behörden Spiegel: Nutzen Sie im Polizeipräsidium Bonn eigentlich die Prognosesoftware SKALA im Kampf gegen Wohnungseinbrüche? Hoever: Ja, das tun wir schon seit Längerem. Wir erhalten einmal wöchentlich eine Auswertung

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“Über allem steht die Digitalisierung” Bonns Polizeipräsident Frank Hoever will seine Behörde in die Zukunft führen (BS) Auch die Polizei muss mit der Zeit gehen und dem technologischen Fortschritt folgen. Da ist das Polizeipräsidium Bonn keine Ausnahme. Dessen Leiter hat die Digitalisierung als Führungsaufgabe definiert. Das unterstreicht er im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellten Uwe Proll und Marco Feldmann. vom Landeskriminalamt. Darauf bauen wir dann unsere konkreten Präventions- und Interventionsmaßnahmen auf. Und die Zahlen geben uns recht. Die Anzahl der Wohnungseinbrüche im Zuständigkeitsbereich meines Präsidiums ist in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Aber wie so oft bei der Polizei gilt auch mit Blick auf SKALA: Technik allein ist nicht alles.

men, gut einzuarbeiten. Dafür benötigen wir einen effektiven Wissenstransfer. Behörden Spiegel: Bonn hat eine relativ große Salafistenszene, unter anderem in Bad Godesberg. Um die ist es zuletzt recht ruhig geworden. Woran liegt das?

Hoever: Die Salafisten sind keineswegs aus Bonn verschwunden. Sie haben ihre Aktivitäten jedoch stark “Technik allein ist nicht alles.” vom Analogen ins Digitale verlagert. Zudem lassen wir Gefährder aus diesem Behörden Spiegel: Was ist Ih- Phänomenbereich inzwischen nen als Bonner Polizeipräsident vorrangig durch spezialisierte noch wichtig? Kollegen im Kölner Polizeipräsidium bearbeiten. Das heißt aber Frank Hoever ist Chef des Bonner Polizeipräsidiums. Zuvor war der gebürtige Hoever: Mir geht es darum, im Umkehrschluss nicht, dass Bonner Direktor des Landeskriminalamtes (LKA) in Düsseldorf. Foto: BS/Feldmann die Zusammenarbeit zwischen wir uns überhaupt nicht mehr dem Polizeipräsidium und den um diesen Personenkreis und am Rheinufer, sowohl rechts- Kolleginnen und Kollegen als Kommunen, die in unseren Salafisten kümmern. Wir haben als auch linksrheinisch. Dort Person als auch Angriffe auf regionalen Zuständigkeitsbe- sie weiterhin auf dem Radar. treffen meine Kräfte in vielen den Rechtsstaat. Hier steuern reich fallen, weiter zu verbesFällen auf alkoho- wir behördenübergreifend mit sern. Denn wir sind nicht nur “Die Salafisten sind keineswegs aus lisierte, unter dem Schulungsmaßnahmen, die sich für die Stadt Bonn zuständig, Einfluss von Be- an alle Polizeibeamtinnen und Bonn verschwunden. Sie haben ihre täubungsmitteln -beamten richten, gegen. sondern auch für acht Städte Aktivitäten jedoch stark vom Analo- stehende, aggresund Gemeinden des Rhein-SiegBehörden Spiegel: Was ist gen ins Digitale verlagert.” Kreises. Hier will ich die Koopesive Jugendliche ration weiter stärken. Außerdem und Heranwach- gegen diese Übergriffe zu tun? ist das Durchschnittsalter im sende, oftmals mit MigratiHoever: Dagegen muss konBonner Polizeipräsidium relativ Behörden Spiegel: Inwiefern onshintergrund. Da kommt es hoch. In den kommenden Jah- ist Gewalt gegen Polizeivollzugs- häufig zu Beleidigungen und sequent vorgegangen werden. Pöbeleien gegen Polizeibeamte Solchen Attacken muss mit null ren stehen zahlreiche Pensionie- beamte für Sie ein Problem? rungen an. Deshalb kommt es und teilweise auch zu Attacken Toleranz begegnet werden. Da ganz besonders darauf an, neue, Hoever: Wir haben derzeit auf die Kollegen. Vor einigen braucht es konsequentes polijunge Kollegen, die zu uns kom- erhebliche Schwierigkeiten Wochen ist ein Kollege dort mit zeiliches Einschreiten. AußerFaustschlägen niedergestreckt dem müssen die zur Verfügung worden. Das ist eine Situation, stehenden rechtlichen Möglichdie so nicht akzeptabel ist. Das keiten möglichst weitgehend aussind sowohl Attacken gegen die genutzt werden. Das gilt sowohl

Bundesrepublik finanziert Projekt

für den gefahrenabwehrenden als auch für den strafprozessualen Bereich. Denn nur so kann das polizeiliche Gegenüber, bei dem es sich in diesen Fällen nicht um eine Partygemeinschaft, sondern um Störer und Straftäter handelt, auch Konsequenzen spüren. Behörden Spiegel: Worauf kommt es da besonders an? Hoever: Ich unterstütze es im Zusammenhang mit Attacken auf meine Mitarbeiter sehr offensiv, dass dann auch Strafantrag durch die Behördenleitung gestellt wird. Da sind wir auch in einem guten Austausch mit der Justiz. Störer und Straftäter müssen spüren, dass der Rechtsstaat seine Position nicht preisgibt. Behörden Spiegel: Hat sich das polizeiliche Gegenüber im Vergleich zur Vergangenheit verändert? Hoever: Die Hemmschwelle beim polizeilichen Gegenüber ist deutlich abgesunken. Früher wurde polizeiliches Agieren und Einschreiten nicht derart infrage gestellt, wie das inzwischen der Fall ist. Heutzutage werden polizeiliche Einsatzsituationen deutlich kritischer hinterfragt als früher. Außerdem werden sie viel häufiger aufgezeichnet, vor allem per Handy. Es wird darüber hinaus deutlich aggressiver und distanzloser reagiert als noch vor einigen Jahren. Und ein neues Phänomen ist, dass vermehrt auch Personen in Einsatzsituationen eingreifen, die eigentlich unbeteiligt sind und mit der Lage nichts zu tun haben. Dadurch wird die Stimmung unnötigerweise von außen aufgeheizt und aggressiver. Das gab es in der Vergangenheit in dieser Form nicht.

Deutschland unterstützt Interpol bei Digitalisierung

Weniger gesprengte Automaten

(BS/mfe) Die Bundesregierung hilft der internationalen Polizeiorganisation Interpol bei der Modernisierung ihrer digitalen Infrastruktur. In das “Interpol Policing Capability Enhancement Programme” (I-CORE) fließen von deutscher Seite fünf Millionen Euro. Eine entsprechende Vereinbarung wurde bereits im Bundesinnenministerium (BMI) in Berlin unterzeichnet. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, Prof. Dr. Günter Krings (CDU), erklärte dazu: “Interpol leistet mit dem schnellen und zuverlässigen weltweiten Informationsaustausch und seinen Datenbanken einen unverzichtbaren Beitrag für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit.” Eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunft der Strafverfolgung liege im Bereich der Informationstechnologie. “Wir müssen Verbrechen im 21. Jahrhundert auch mit Mitteln des 21. Jahrhunderts bekämpfen”, so Krings. Die Modernisierungsmaßnahmen bei Interpol trügen dazu bei, grenzüberschreitende Straftaten schneller zu erkennen und wirkungsvoller zu bekämpfen.

Nicht im Interpol-Haushalt abgebildet Das Programm I-CORE, das über ein Gesamtinvestitions-

volumen von 80 Millionen Euro verfügt, muss außerhalb des regulären Interpol-Haushalts finanziert werden, da dieser dafür keinen Spielraum bietet. Die Umsetzung von I-CORE war auf der Interpol-Generalversammlung in Santiago de Chile im Oktober vergangenen Jahres einstimmig unterstützt und beschlossen worden. Ziel ist die Modernisierung der InterpolInformationsarchitektur. Außerdem geht es um den Aufbau einer zeitgemäßeren Plattform für den globalen polizeilichen Informationsaustausch. Dadurch soll die weltweite Polizeikooperation über Interpol zielgerichteter, flexibler und schneller werden. Des Weiteren ist vorgesehen, dass nationale Polizeibehörden so ihren Verwaltungsaufwand reduzieren und sich stärker um die eigentliche polizeiliche Arbeit kümmern können. InterpolGeneralsekretär Prof. Dr. Jürgen Stock betonte: “Deutschlands

Entscheidung zugunsten dieses finanziellen Beitrags zeigt deutlich, dass Deutschland an Interpol und seinen Auftrag, die Welt zu einem sichereren Ort zu machen, glaubt.” Die vergangenen Monate hätten deutlicher als jemals zuvor gezeigt, dass es erforderlich sei, global zu kooperieren, um weltweite Bedrohungen zu bekämpfen. Und Michael Kretschmer, Vizepräsident des Bundeskriminalamtes (BKA), sagte: “Kriminalität wird internationaler und digitaler. Das hat Folgewirkungen für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit.” Ziel müsse es sein, polizeilich relevante Informationen schnell, effizient und datenschutzkonform verfügbar zu machen. Von der angestrebten Modernisierung der Interpol-Informationsarchitektur würden Polizeibehörden und damit die Kriminalitätsbekämpfung weltweit profitieren, zeigte er sich überzeugt.

Aber immer noch über 500 Fälle bundesweit (BS/mfe) Im vergangenen Jahr haben die deutschen Polizeibehörden 549 Fälle des besonders schweren Diebstahls von und aus Geldautomaten registriert. Das Vorgehen der Täter ist oft sehr gefährlich: Durch Sprengung der Geldautomaten versuchen sie, an ihre Beute zu gelangen. Auch das gewaltsame Öffnen, etwa mit Winkelschleifern, sowie die Komplettentwendung der Automaten wurden öfter aktenkundig. Der bei den Geldautomatensprengungen entstandene Beuteschaden belief sich auf rund 15,2 Millionen Euro. Hinzu kamen Begleitschäden in zweistelliger Millionenhöhe, die unter anderem durch die Sprengkraft der Explosionen verursacht wurden und Beschädigungen an Geldautomaten, Aufstellungsorten und benachbarten Gebäuden zur Folge hatten. Gegenüber 2018, als 590 Fälle des besonders schweren Diebstahls von und aus Geldautomaten registriert wurden, verzeichnet das Bundeskriminalamt (BKA) in seinem aktuellen Lagebild mit den nun veröffentlichten Zahlen einen Rückgang um 6,9 Prozent. Auch

die Zahl der Geldautomatensprengungen ging im Vergleich zum Vorjahr um 5,4 Prozent zurück. Rückläufig war zudem der Beuteschaden. Dieser lag 2018 noch bei rund 18 Millionen Euro, also 16 Prozent höher als im abgelaufenen Kalenderjahr.

Die Meisten Fälle in NRW Betroffen waren 2019 alle Bundesländer. Die meisten Sprengungen von Geldautomaten verzeichneten Nordrhein-Westfalen (105 Fälle), Hessen (53 Fälle) und Niedersachsen (45 Fälle). Die Polizei ermittelte im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit Geldautomatensprengungen 132 Tatverdächtige. Davon waren 90 Personen sogenannte “reisende Täter”, die insbesondere aus den Niederlanden (68 Personen), Moldawien (zehn Personen)

und Rumänien (sechs Personen) stammten. Neben der Sprengung von Geldautomaten gelangen Täter auch weiterhin durch das sogenannte “Skimming”, eine technische Manipulation von Geldautomaten, an Daten von Zahlungskarten. Diese werden für die Herstellung gefälschter Zahlungskarten genutzt, um damit Bargeld abheben zu können. Der deutliche Rückgang der Fallzahlen von rund 46 Prozent auf 244 Taten im Jahr 2019 ist auf den Einsatz des EMV-Chips zurückzuführen. Geringfügig zugenommen haben dagegen Fälle von sogenannten “Logischen Angriffen” auf Geldautomaten. Bei diesem Vorgehen werden die Automaten etwa mittels Malware manipuliert, um Bargeldauszahlungen zu erreichen.

MELDUNG MELDUNG

Stuttgart: Polizeigesetz wird reformiert (BS/mfe) Das Stuttgarter Landeskabinett hat eine Novelle des baden-württembergischen Polizeigesetzes beschlossen. Sie enthält erweiterte Befugnisse für die Beamten. Zugleich wird das Regelwerk damit an datenschutzrechtliche Vorgaben der Europäischen Union sowie an Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe angepasst. Die Reform, die auch schon im Landtag diskutiert wird, sieht inhaltlich unter anderem vor, dass der Einsatz von Bodycams im Ländle nun auch in Privatwohnungen und Geschäftsräumen möglich ist. Zudem soll eine Rechtsgrundlage für Personenkontrollen bei Großveranstaltungen sowie Ansammlungen, die ein besonderes Gefährdungsrisiko aufweisen, geschaffen werden. Dies soll etwa bei Hochrisiko-Fußballspielen gelten. Darüber hinaus ist in dem Gesetzentwurf eine ausdrückliche Regelung zur Durchführung von Gefährderansprachen und -anschreiben sowie Gefährdetenansprachen enthalten. Gleiches gilt für eine Regelung, die eine Speicherung von Notrufen und weiteren Anrufe auf bestimmte Telefonnummern ermöglicht, sowie eine Vorschrift zum polizeilichen Datenabgleich zum Zwecke der Durchführung von Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei Großveranstaltungen. Ebenfalls enthalten ist eine Regelung, um es Gerichtsvollziehern bei gefahrgeneigten Vollstreckungsmaßnahmen zu ermöglichen, vorab Informationen über den Schuldner bei der zuständigen Polizeidienststelle einzuholen.

Pilotversuch in Nordrhein-Westfalen (BS/mfe) In mehreren Polizeibehörden Nordrhein-Westfalens werden künftig Distanzelektroimpulsgeräte erprobt. Der Pilotversuch soll ein Jahr dauern und in den Polizeibehörden Dortmund, Düsseldorf, Gelsenkirchen und jener des Rhein-Erft-Kreises stattfinden. Die Erprobungsphase soll im Januar kommenden Jahres starten. Bis Frühjahr 2022 folgt eine Auswertung. Auf deren Grundlage wird dann über die flächendeckende Taser-Einführung bei der nordrhein-westfälischen Landespolizei entschieden. Schon ab dem 1. September wird im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg eine Projektgruppe eingerichtet. Deren Mitglieder werden sich um die Ausbildung und das Training der Polizisten sowie um die Anschaffung der Geräte kümmern. Durch das LZPD war der Einsatz von Distanzelektroimpulsgeräten zuvor bereits in einem internen Versuch erprobt worden – gemeinsam mit dem Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP). Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: “Wir müssen die Taser gründlich und in einem Langzeittest auf ihre Praxistauglichkeit hin prüfen. Erst danach können wir entscheiden, ob wir die Geräte flächendeckend für die nordrhein-westfälische Polizei einführen.” Die ausgewählten Pilotbehörden deckten die gesamte Bandbreite der Polizei im Land ab. “Von großen Behörden mit dementsprechend großen Einsätzen über eine mittlere Behörde, die mit Fußball- und Clan-Einsätzen stark belastet ist, bis hin zum personalstärksten Landkreis ist alles dabei”, so Reul weiter.


Katastrophenschutz

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Streit um Ausstattung

S

o berichtet der Geschäftsführer der gemeinnützigen ADAC Luftrettung, Frédéric Bruder, dass sich seine Organisation bewusst gegen die umgangssprachlich auch als “Schneewittchensärge” bezeichnete Technik entschieden habe. Er berichtet mit Blick auf die EpiShuttles: “Wir haben sie real getestet und damit umfangreiche Übungen gemacht und uns nach eingehender Prüfung vor allem mit Blick auf die Patientensicherheit sowie die Anwendbarkeit im Luftrettungsdienst gegen sie ausgesprochen.” Man habe sie sogar als potenziell kritisch bewertet. Denn wenn sich der Zustand des Patienten verschlechtere, sei die Behandlung innerhalb der Isolationskammer nur sehr eingeschränkt möglich und bringe erhebliche Nachteile mit sich. Selbst in größeren Hubschraubern sei es zu eng, um den Patienten durch die vorhandenen Öffnungen von allen Seiten aus zu behandeln. Hinzu kommt laut Bruder: “Bei schweren Komplikationen wie einer Reanimation muss der Hubschrauber sofort landen, um die Box auszuladen – das Abheben des Deckels im Hubschrauber ist nicht möglich. Wir sehen auch keinen Zeitvorteil, da man für die Nutzung der Systeme eine längere Vorbereitungszeit benötigt und das Handling im Einsatz zeitaufwendiger ist.” Die Johanniter-Luftrettung, die ausschließlich über Intensivtransporthubschrauber (ITH) verfügt, nutzt ebenfalls keine EpiShuttles. Dort ist jedoch ein anderes System in Verwendung. Bei anderen Leistungserbringern von Luftrettungsdienstleistungen sowie auf Herstellerseite, die bestreitet, dass die ADAC Luftrettung die Technik tatsächlich

EpiShuttles nicht bei allen Luftrettungsträgern im Einsatz

Nordrhein-Westfalen existiert keine gesetzliche Verpflichtung für die Unterbringung von EpiShuttles in RTHs oder ITHs. Zumal aufgrund des Gewichts auch immer Fragen der Flugsicherheit berücksichtigt werden müssen.

(BS/Marco Feldmann) Ursprünglich wurden sie für den Transport von Ebola-Patienten in Ambulanzflugzeugen entwickelt. Im Zuge der CoronaPandemie wurde aber über ihren Einsatz in Rettungshubschraubern diskutiert. Die Rede ist von sogenannten EpiShuttles. Dabei handelt es sich um spezielle Isolationskammern zur Behandlung möglicherweise infizierter Patienten. Ihr Nutzen wird von den Leistungserbringern in der Luftrettung Einwände in Niedersachsen jedoch unterschiedlich bewertet. mit den EpiShuttles ausstatten können. Inzwischen seien alle elf Isolationskammern eingetroffen und vergeben. Im Einsatz befinden sie sich derzeit an den DRF-Standorten am Flughafen Karlsruhe/ Baden-Baden sowie in Stuttgart, Regensburg, Nürnberg, Rendsburg und Berlin. Hinzu kommen Hubschrauber in München, Hannover, Halle an der Saale, in Dortmund und im thüringischen Bad Berka.

Keine Finanzierungszusage

Die ADAC Luftrettung (Foto) hat sich dagegen entschieden, EpiShuttles in ihre Rettungshubschrauber einzubauen. Bei der DRF Luftrettung hingegen wurden solche Isolationskammern bereits in den Maschinen installiert.

getestet habe, werden die EpiShuttles fachlich anders und deutlich positiver bewertet. So heißt es etwa von der DRF Luftrettung, dass die Eignung der EpiShuttles für den Transport von Patienten mit hochinfektiösen übertragbaren Erkrankungen wie etwa Masern, Influenza, Tuberkulose oder Meningokokken erstmals bereits 2017 an der Stuttgarter

Foto: BS/Andreas Trojak, CC BY 2.0, flickr.com

DRF-Station getestet worden sei. 2018 habe es dann in Rheinmünster eine zweite ausgiebige Erprobung gegeben. Aufgrund dieser Vorarbeiten habe man dann im März dieses Jahres, als die Corona-Pandemie ausbrach, kurzfristige Beschaffungen vornehmen und bestimmte Rettungshubschrauber für die Verlegung von Infizierten

Im Mittelpunkt: das “Living Lab” Fachwissen und Anwendererfahrung unter einem Dach beim Dortmunder DRZ (BS/Wolfgang Duveneck) Drohnen, Roboter und Künstliche Intelligenz (KI) – auch in der Gefahrenabwehr hat die Zukunft längst begonnen. Immer häufiger kommen moderne technische Helfer zum Einsatz, um Gefahren für den Menschen zu verringern oder zu vermeiden. Und die Entwicklung geht weiter: Vor zwei Jahren wurde das Projekt Deutsches Rettungsrobotik Zentrum (DRZ) gestartet. Gefördert wird es im Rahmen der Förderbekanntmachung “Zivile Sicherheit – Innovationslabore/Kompetenzzentren für Robotersysteme in menschenfeindlichen Umgebungen” mit knapp zwölf Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Ein interdisziplinär zusammengesetzter Verbund von 13 Partnern aus Anwendern, Industrie, Hochschulen und Forschungseinrichtungen trägt das Vorhaben. “Eine Besonderheit unseres Projektes ist die Struktur und die nachhaltige Ausrichtung”, erläutert DRZ-Geschäftsführer Robert Grafe. “Die Projektpartner haben als Trägerorganisation den gemeinnützigen Verein Deutsches Rettungsrobotik-Zentrum e. V. gegründet. Er soll das Kompetenzzentrum betreiben und, nach einer möglichen weiteren Förderphase, langfristig ausbauen.” Ziel sei es, über die Anfangs- und Förderphase hinaus ein transfer-orientiertes Kompetenzzentrum zu etablieren, das mit seinen Partnern innovative Entwicklungen vorantreibe. Auf diese Weise solle immer leistungsfähigere Robotik-Technologie für Rettungskräfte am Markt verfügbar werden. Dazu gehörten u. a. autonome Assistenzfunktionen, die den oft sehr anstrengenden Einsatz von Boden- und Flugrobotern wesentlich effektiver gestalten könnten, sowie leistungsfähige und zuverlässige Systeme zur Kommunikation und Lagebilddarstellung. “Fachwissen und Anwendererfahrung werden hier auf einzigartige Weise zusammengeführt”, betont Dirk Aschenbrenner, Vorstandsmitglied des DRZ e. V. und Direktor der Feuerwehr Dortmund, deren Institut für Feuerwehr- und Rettungstechnologie das Projekt koordiniert und zugleich die Anforderungen aus der Einsatzpraxis einbringt. Zudem unterstützt die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) als Expertennetzwerk für alle Themen rund um Schutz und Rettung mit

Behörden Spiegel / August 2020

Wolfgang Duveneck ist für die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) tätig. Foto: BS/privat

ihren mehr als 3.000 Mitgliedern das DRZ. “Letzten Endes geht es bei allem um die Frage: Wie können Einsätze in menschenfeindlichen Umgebungen, wie Feuer, Einsturz, Verschüttung, Hochwasser, und die Identifikation von Gefahrenstoffen sicherer gestaltet werden, um Einsatzkräfte zu schützen und deren Arbeit zu erleichtern sowie die Rettung und den Schutz von Menschen und Sachwerten zu fördern?”, ergänzt Aschenbrenner. Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen ist ein “Living Lab”. So konnte vor wenigen Wochen eine 1.300 Quadratmeter große ehemalige Fabrikhalle auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Westhausen im Dortmunder Stadtteil Bodelschwingh bezogen werden. Teams aus Forschung, Entwicklung und Erprobung

können hier mithilfe einer in Europa einmaligen Infrastruktur verschiedenste Szenarien simulieren und die Roboter in wirklichkeitsgetreuen Versuchen auf ihren echten Einsatz vorbereiten. Auf angeschlossenen innen und auβen liegenden Versuchsflächen werden die entwickelten Systeme zugleich gemeinsam mit Anwendern auf ihre Einsatztauglichkeit erprobt sowie deren Anwendung mittelfristig auch trainiert und zertifiziert. “Fest steht, dass mithilfe unbemannter Systeme in der Gefahrenabwehr noch weit mehr als bisher möglich ist”, so Aschenbrenner weiter. “Deshalb ist Forschungs- und Entwicklungsarbeit dringend nötig. Das gilt sowohl für Drohnen als auch für bodengebundene robotische Systeme.” So gebe es beispielsweise bei Drohnen oft noch Einzellösungen, ohne dass damit allgemeine Schulungskonzepte oder Standards verbunden seien. Neben der Forschungs- und Entwicklungsarbeit sieht sich das DRZ zugleich als hervorragende Dialogplattform für den Austausch zwischen Forschung, Industrie, Anwendern und Politik zu allen Themen rund um den Einsatz von autonomen Systemen im Rettungswesen. “Wir möchten Impulsgeber für die Produktentwicklung sein, notwendige Standards setzen und die Verbreitung von Robotern in Schutz und Rettung vorantreiben. Deshalb stehen wir allen interessierten Organisationen für eine Mitgliedschaft offen”, sagt Aschenbrenner.

Am letztgenannten Standort musste das EpiShuttle laut Erfurter Innenministerium jedoch noch nicht eingesetzt werden. Außerdem habe das zuständige Thüringer Landesverwaltungsamt keine Finanzierungszusage für die Technik erteilt. Geprüft werde derzeit allerdings, ob im Rahmen einer Anteilsfinanzierung für den ITH-Standort in Bad Berka ein EpiShuttle beschafft werden kann. Denn die derzeit zur Verfügung stehende Isolationskammer sei für eine andere DRF-Luftrettungsstation außerhalb Thüringens vorgesehen. Ein konkreter Antrag der DRF dazu liegt jedoch noch nicht vor. Auch sei eine derartige Ausstattung des ITH durch das Landesverwaltungsamt im Rahmen des Vergabeverfahrens nicht vorgegeben worden. Die Bereitstellung sei vielmehr vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie erfolgt. Darüber hinaus könnten die

EpiShuttles im Freistaat auch nur im ITH verbaut werden, da eine Ausstattung der übrigen drei in Thüringen stationierten Rettungstransporthubschrauber (RTH) laut DRF Luftrettung nicht möglich sei. Dabei handele es sich um Maschinen vom Typ EC 135, in denen ein EpiShuttle nicht transportiert werden könne. Aufgrund ihrer Abmessungen und des Gewichts kann die Technik nur in Hubschraubern vom Typ H 145, wie zum Beispiel dem “Christoph SachsenAnhalt” oder dem “Christoph Berlin”, transportiert werden. In beiden Bundesländern war die Ausstattung mit EpiShuttles – ebenso wie in Schleswig-Holstein und Bayern – im Übrigen nicht Teil der Ausschreibung beziehungsweise des Vergabeverfahrens.

Verwendung nicht zwingend vorgeschrieben Aus München heißt es dazu, dass die bayerischen Luftrettungsmittel grundsätzlich ihrem jeweiligen Einsatzzweck entsprechend auszurüsten seien. Ausstattung und Einrichtung müssten den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie dem in Bezug auf die jeweilige Verwendung maßgeblichen Stand der Medizin entsprechen. Eine Verwendung der erst 2017 entwickelten EpiShuttles sei derzeit durch die verantwortlichen Zweckverbände für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung nicht zwingend vorgegeben. Auch in

In Niedersachsen kommt eine solche Isolationskammer nur im “Christoph Niedersachsen” vom Typ H 145 zum Einsatz. Mit diesem Sekundärhubschrauber werden überwiegend medizinisch versorgte intensivpflichtige und bewusstlose Patienten transportiert. Sie seien in der Regel stabilisiert und ein Eingreifen des Begleitpersonals selten erforderlich, ist aus dem Hannoveraner Innenministerium zu vernehmen. Eine grundsätzliche Ausstattung aller fünf Primärhubschrauber zur Notfallrettung in Niedersachsen biete sich aufgrund des Einsatzmusters – mit diesen Maschinen werden Patienten transportiert, die eine notfallmedizinische Versorgung benötigen – nicht an. Ebenfalls gegen eine Nutzung der Isolationskammern in diesen Hubschraubern spreche die Größe des dabei verwendeten Modells EC 135. Würde dieses mit der Technik ausgestattet, befände sich der Hubschraubertyp an der Leistungsgrenze, was ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellen würde. All diese Einschränkungen würden eine optimale Patientenversorgung verhindern. Gerade wenn sich der Zustand des Patienten während des Transports verschlechtern sollte, wäre im EpiShuttle kein ungehinderter Zugang zum Betroffenen möglich. Aufgrund dessen würde das niedersächsische Innenministerium auf die Anforderung einer solchen Isolationskammer verzichten, sofern die Ausschreibung eines Primärstandortes der Luftrettung erforderlich würde.


Wehrtechnik

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iesem Ansatz fühlen sich das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE sowie das Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR) der Bundeswehr im gleichen Maße verpflichtet und leisten durch eine enge und vielschichtige Zusammenarbeit sowohl im Cyber Security Cluster Bonn e. V. als auch innerhalb einer bilateralen Kooperation einen wesentlichen Beitrag zur gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheitsvorsorge in Deutschland. Beide Partner sind darüber hinaus in viele einschlägige Gremien und Kooperationen in staatlichen und wissenschaftlichen Bereichen aktiv eingebunden. Auch unter den durch die Auflagen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie geltenden Beschränkungen wird die Zusammenarbeit erfolgreich fortgesetzt und führt zu sichtbaren Ergebnissen.

Inhalte und Ziele der Kooperation Um das umfassende Aufgabenspektrum im Rahmen einer gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheitsvorsorge erfüllen zu können, benötigen die relevanten Akteure zuverlässige Partner, die fachlich, aber auch personell so aufgestellt sind, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vor allem in sensiblen Themenfeldern möglich ist. In dem im November 2018 als Verein gegründeten Cyber Security Cluster Bonn haben sich Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen sowie Bundes- und Landesbehörden aus Bonn und der Region als eine Gemeinschaft zuverlässiger Partner mit dem Ziel zusammengeschlossen, die Region Bonn als national und international beachteten und anerkannten Cyber-Security-Standort auszubauen. Die FraunhoferGesellschaft, vertreten durch den

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Gesamtstaatliche Cyber-Sicherheit Zusammenarbeit zwischen Fraunhofer FKIE und Kommando CIR (BS/Generalmajor Jürgen Setzer, Prof. Dr. Peter Martini*) Der Cyber- und Informationsraum (CIR) kennt als Dimension weder institutionelle noch politische Grenzen. Aus diesem Grund ist ein erfolgreiches Handeln innerhalb dieser Dimension nur gesamtstaatlich denkbar. Leiter des Fraunhofer FKIE, und das Kommando CIR haben sich dieser Aufgabe durch ihre Tätigkeit im Vorstand beziehungsweise Beirat des Clusters im besonderen Maße verschrieben und damit auch dessen Relevanz im Kontext einer gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheitsvorsorge Ausdruck verliehen. Das in Wachtberg und Bonn ansässige Fraunhofer FKIE, dessen Wurzeln schon in den 1960er Jahren liegen, ist über das gemeinsame Engagement im Cyber Security Cluster Bonn hinaus ein für den Organisationsbereich CIR besonders wichtiger bilateraler Partner, der aufgrund seiner großen Erfahrung im Umgang mit Cyber-Bedrohungslagen, aber auch der hohen Anzahl sicherheitsüberprüfter Mitarbeiter sowie seiner gehärteten Infrastruktur über hervorragende Voraussetzungen zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr im sensiblen Bereich der CyberSicherheit verfügt. Diese bilaterale Zusammenarbeit wurde im November 2018 durch eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kommando CIR und dem Fraunhofer FKIE formell vereinbart. Die Vereinbarung beschreibt die einzelnen Kooperationsfelder “Hospitationen”, “Informationssicherheit”, “IT-Forensik”, “Software und Testen”, “Nachwuchs” sowie “Zukunfts­ trends” und legt gemeinsame Ziele fest. In einer Fortschreibung im Oktober 2019 wurde die Zusammenarbeit noch um das Kooperationsfeld “Elektronischer Kampf” erweitert. Konzeptionell

Starke Partner gemeinsam im Cyber Security Cluster Bonn e. V.: Generalmajor Jürgen Setzer und Prof. Dr. Peter Martini unterzeichnen die Kooperationsvereinbarung zwischen FKIE und KdoCIR. Foto: BS/Volker Lannert

strukturiert sich die Zusammenarbeit in insgesamt drei Clustern, die mittels Priorisierung gemeinsamer Projekte für den Nutzer schneller greifbare Ergebnisse erzielen sollen. In den Clustern arbeiten Mitarbeiter beider Häuser in jeweils einem kurzfristigen Schwerpunktprojekt sowie einem strategischen mittel- bis langfristigen Projekt eng zusammen. Zweimal im Jahr findet zudem KOOPERATIONSVERBEINBARUNG (1. Fortschreibung) ein Treffen auf Leitungsebene zum Austausch überDERArbeitsFRAUNHOFER-GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG ANGEWANDTEN FORSCHUNG e.V. FÜR IHR FRAUNHOFER-INSTITUT FÜR KOMMUNIKATION, sachstände und zur Abstimmung INFORMATIONSVERARBEITUNG UND ERGONOMIE clusterübergreifender Aspekte (NACHFOLGEND „FKIE“) statt. Diese Zusammenarbeit KOMMANDO CYBER- UND INFORMATIONSRAUM (NACHFOLGEND „KdoCIR“) wird auch unter den besonderen Bedingungen Zusammenhang ERFAHRUNGSAUSTAUSCHim UND GEGENSEITIGE HOSPITATION mit der Covid-19-Pandemie erfolgreich fortgesetzt und weiter intensiviert. 1. PRÄAMBEL Im Cluster 1 “Schlüsselfähigkeiten/C2 & Engineering Management” sind die Themenbereiche “Engineering Management”, “Architektur- und

Anforderungsmanagement” und “Software-Entwicklungskompetenz” zusammengefasst. In den vergangenen Monaten wurde hier gemeinsam sondiert, wie von Fraunhofer FKIE entwickelte Module und Web-Services für die Bundeswehr verfügbar gemacht werden können. Dabei wurde durch Vertreter des Komman-

dos CIR der bundeswehrseitige Bedarf kommuniziert und geprüft, welche Lösungen seitens Fraunhofer FKIE angeboten beziehungsweise entwickelt werden können. In den nächsten Wochen wird in diesem Zusammenhang unter anderem eine von Fraunhofer FKIE entwickelte Analyse- und Testumgebung (AuT) für die Bundeswehr zum Einsatz kommen, welche die Durchführung von Funktions- und Systemnachweisen sowie von Lasttests bei der Beschaffung eines BattleManagement-Systems für die Very High Readiness Joint Task Force 2023 der NATO (VJTF) unterstützen soll. Um die Härtung der IT-Systeme der Bundeswehr zu verbessern, werden im Cluster 2 “Cyber/IT – Informationssicherheit” unter anderem Schadsoftwareanalysen zur Schwachstellensuche an Waffensystemen sowie gemeinsame Methoden zur IT-forensischen Untersuchung von mobilen Geräten entwickelt.

BMVg CIT

Cluster 1 4 p.a.

ZWISCHEN

Die strukturierte Zu­sammenarbeit zwischen Fraunhofer FKIE und dem Kommando CIR

UND

Koordination zwischen

ÜBER

Bezug:

-1- IT-Sicherheitsgesetz 2015 -2- Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland 2016

Anlage:

-1- Strukturierung der Zusammenarbeit -2- Übersichtsliste gemeinsamer Projekte

Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und ein enger Austausch zwischen Staat und Wirtschaft, insbesondere mit den Betreibern Kritischer Infrastrukturen (KRITIS), sind unabdingbar, um eine gesamtstaatliche Cyber-Sicherheit in Deutschland dauerhaft auf einem hohen Niveau gewährleisten zu können (Bezug 1). Der in der Cyber-Sicherheitsstrategie 2016 etablierte kooperative Ansatz bietet eine Grundlage für einen intensiven und gegenseitigen Austausch (Bezug 2). Vor dem Hintergrund, dass das FKIE im Rahmen der

30. Oktober 2019| Seite 1 von 7

Cluster 3 4 p.a.

Stv InspCIR und Ltr FKIE 2 p.a.

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PlgABw

Grafik: BS/KdoCIR

Im Cluster 3 “Signalerfassende Aufklärung”, das sich mit Herausforderungen wie dem Verschwimmen klassischer Frequenzbereiche (HF, VUHF, SHF), neuartigen Wellenformen bei Kommunikation und Radar oder den Einschränkungen beim Inhaltszugriff durch Kryptierung auseinandersetzt, konnten bereits gemeinsam entwickelte Sprachverarbeitungsmodule im Rahmen der HF-Aufklärung erprobt werden.

Zusammenfassung Vielleicht mehr als in anderen Dimensionen ist im Cyber- und Informationsraum, der durch eine ständig existierende latente und von geografischen oder politischen Grenzen weitgehend unabhängige Bedrohungslage gekennzeichnet ist, institutionsübergreifendes Zusammenarbeiten unumgänglich, um im Sinne einer gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheitsvorsorge erfolgreich zu sein. Enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie innerhalb des Cyber Security Clusters Bonn e. V., fast täglich gelebt, ist der Schlüssel zum Erfolg im Sinne eines vernetzen und gesamtstaatlichen Ansatzes. Basierend auf Kompetenz in der Breite und Exzellenz im Detail leistet die bilaterale Zusammenarbeit zwischen dem Fraunhofer FKIE und dem Kommando CIR – heute und auch in Zukunft – einen wesentlichen Beitrag. *Generalmajor Jürgen Setzer ist Stellvertreter des Inspekteurs Cyber- und Informationsraum (CIR) und Chief Information Security Officer (CISO) der Bundeswehr; Prof. Dr. Peter Martini ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE sowie Direktor des Instituts für Informatik 4 an der Universität Bonn.


Wehrtechnik / Verteidigung

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Das DokM der Bundeswehr

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it dem Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-GovernmentGesetz/EGovG) aus dem Jahr 2013 wurde für die Behörden des Bundes unter anderem eine elektronische Aktenführung verbindlich ab dem 1. Januar 2020 vorgeschrieben. Vorgaben und Hilfestellungen für die Behörden zur organisatorischen und technischen Umsetzung des Gesetzes wurden durch das Bundesministerium des Inneren (BMI) im Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit (OKeVA) angewiesen. Für den Geschäftsbereich des BMVg wurde im Jahr 2017 die Entscheidung getroffen, die Bausteine “E-Aktenführung” und “E-Vorgangsbearbeitung” mit der technischen Lösung “DokMBw” des IT- und BusinessConsulting-Unternehmens CGI einzuführen. Das Dokumentenmanagementsystem ermöglicht in der ersten Ausbaustufe eine revisionssichere Informationsverarbeitung bis einschließlich VS-NfD (Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch) und Schutzbereich 2 für personenbezogene Daten (PersDat). Die Entwicklung, Einführung und Nutzung des IT-Services verantwortet dabei das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw). Das DokMBw bedient sich der Standard-Software MS SharePoint als Basisprodukt. Mithilfe des durch die CGI entwickelten “EGov360-Frameworks” wurden die im System intergierten Funktionen zum Dokumentenmanagement und zur elektronischen Vorgangsbearbeitung mittels eines Rollen- bzw. Berechtigungs-

Erfolgreiche Einführung der 1. Ausbaustufe in die SKB (BS/Oberstleutnant Andreas Koes*) Die Streitkräftebasis (SKB) hat erfolgreich das im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (GB BMVg) zu nutzende elektronische Aktenführungssystem (E-Aktensystem) “Dokumentenmanagementsystem der Bundeswehr (DokMBw)” eingeführt. Die SKB ist damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg in die Digitalisierung des Stabs- und Verwaltungshandelns der Bundeswehr gegangen. Was genau ist DokMBw und wozu wird es genutzt? konzeptes auf die Bedarfe des BMVg und der Dienststellen in der Bundeswehr angepasst.

Erste Ausbaustufe In einer ersten Ausbaustufe (1. AS) wurden ausgewählte Dienststellen der Bundeswehr auf Ebene Bundes(-ober)behörde im Zeitraum August 2017 bis Dezember 2019 in einem Umfang von rund 35.000 Nutzern mit dem System DokMBw ausgestattet. Der Beginn der Einführung im BMVg ist im Laufe dieses Jahres geplant. Beauftragt durch die ministerielle Arbeitsgruppe elektronische Verwaltungsarbeit DokM wurden in Zuständigkeit der Unterarbeitsgruppe (UAG) eVA DokM unter Federführung des Kommandos SKB (KdoSKB) seit 2017 kontinuierlich auf der Basis der Rückkopplung der nutzenden Dienststellen maßgebliche Beiträge zur Verbesserung der Nutzungsreife des DokMBw erarbeitet. Hierzu gehörten u. a. Beiträge zur Ausbildung im Bereich der elektronischen Verwaltungsarbeit oder aber auch der konzeptionelle Entwurf des Kompetenzzentrums (KompZ) eVA/ CDI im Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum (CIR). Letzteres ist zwischenzeitlich aufgestellt und hat seine Arbeit aufgenommen. Entsprechend konnte die Leitung der

Ausbildung und Einsatz Der Dienst umfasst laut Konzept insgesamt ein Jahr. Die Ausbildungen sollen im April des kommenden Jahres starten. Nach sieben Monaten Ausbildung werden die restlichen fünf Monate in einzelnen Abschnitten innerhalb von sechs Jahren geleistet.

Der Inspekteur SKB, Generalleutnant Martin Schelleis (2. v. r.), und der damalige Stellvertreter, Generalleutnant Peter Bohrer (2. v. l.), werden in das DokMBw eingewiesen. Foto: BS/PIZ SKB, Alpers

UAG eVA DokMBw mit dem Dank des bisherigen Referatsleiters BMVg CIT II 7 für die im KdoSKB geleistete Arbeit an das KompZ eVA/CDI übergeben werden.

Zweite Ausbaustufe Mit dem Projekt “DokMBw 2. Ausbaustufe” ist zudem eine funktionale Erweiterung sowie die Einführung in alle Dienststellen des Geschäftsbereichs des BMVg mit einem Aufwuchs der Nutzerzahlen auf bis zu 190.000 Nutzer in den Jahren

2021 bis 2026 vorgesehen. Im Organisationsbereich SKB wurde DokMBw 1. Ausbaustufe im Zeitfenster 2017 bis 2019 im Kommando Streitkräftebasis und im Streitkräfteamt, beide in Bonn, im Logistikkommando der Bundeswehr in Erfurt, im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr in Berlin, im Kommando Feldjägerwesen der Bundeswehr in Hannover sowie im ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr in Bruchsal bereitgestellt.

Im Zusammenwirken mit der für einführungsbegleitende Schulungsmaßnahmen beauftragten Firma ML Consulting wurden Fachadministratoren, Nutzerbetreuer, sog. “PowerUser” und Nutzende aller betroffenen Dienststellen in der Anwendung des Systems geschult. Mit erfolgter Einweisung des Inspekteurs SKB und des damaligen Stellvertreters des Inspekteurs SKB im Juni 2019 wurde die Nutzung des Systems mit Weisung des Chefs des Stabes KdoSKB für den Organisationsbereich auf Basis des Releases 1.4 angeordnet. Nach gut einem Dreivierteljahr dienststelleninterner Nutzungsdauer in der SKB ist das System massiv aufgewachsen und die Nutzer haben in vielen Bereichen wertvolle Erfahrungen in der Anwendung sammeln können. Vielfältige Rückmeldungen der Nutzer zum Systemverhalten konnten erfolgreich mit dem Release 1.5 im März dieses Jahres in eine signifikante Verbesserung der Systemperformanz überführt werden. Die für die Einführung und Nutzung in der SKB verantwortliche Einführungs- und Nutzungsorganisation (ENO) forciert nun die gemeinsame, dienststellenübergreifende Nutzung des Systems im Organisationsbereich SKB. In den vergangenen Wochen hat

“Dein Jahr für Deutschland”

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ieses Programm soll alle Männer und Frauen ansprechen, die sich für das Gemeinwohl und regionale Aufgaben im Heimatschutz interessieren, so das BMVg. Der gesellschaftliche und soziale Charakter des insgesamt einjährigen Dienstes stehe dabei im Vordergrund. Deutschland wolle seiner Verantwortung in Europa gerecht werden. Deshalb müsse das Land “selbst in Krisenlagen widerstandsfähiger” werden. Heimat sei für viele Menschen ein wichtiges Thema und viel mehr als der physische Wohnort oder die Region, aus der man komme. Heimat sei auch “ein Gefühl, mit dem man Miteinander und Zusammenhalt verbindet”, erklärte die Ressortchefin aus dem Saarland bei der Vorstellung ihrer Initiative. Heimat bilde das ab, “was für die Menschen in unserem Land wertvoll und schützenswert ist.” Dass die Bundeswehr bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen sowie Krisenlagen helfe, habe sie zuletzt während der Corona-Pandemie eindrucksvoll bewiesen. Wie wichtig Heimat sei, habe man während der COVID-19-Krise besonders gespürt. Dieses “WirGefühl” will die Bundeswehr mit ihrer Initiative fördern und die eigenen personellen Ressourcen für solche Einsätze mit dem freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz vergrößern. Mit dieser Initiative soll eine Lücke im Angebot der Bundeswehr geschlossen und die Verankerung der Streitkräfte in der Bevölkerung verstärkt werden.

Behörden Spiegel / August 2020

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz vorgeschlagen (BS/Dr. Gerd Portugall) Die neue Wehrbeauftragte Dr. Eva Högl (SPD) hat vor dem Hintergrund rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht angestoßen: “Ich halte es für einen Riesenfehler, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde”, sagte sie Anfang Juli Medienvertretern. “Ich möchte darüber im nächsten Jahr intensiv diskutieren.” Doch bereits drei Wochen später hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ihr Programm “Dein Jahr für Deutschland – freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz” vorgestellt. Die dreimonatige militärische Grundausbildung absolvieren die Freiwilligen in Einheiten der Streitkräftebasis (SKB). Daran schließt sich die Dienstpostenausbildung zum Sicherungssoldaten an. Diese Ausbildung erfolgt in Berlin, Delmenhorst oder Wildflecken. In dieser Phase werden aber bereits auch Kontakte zur späteren Einheit in der Heimatregion geknüpft. Anschließend folgt die Zeit in der regionalen Reserveeinheit. Derzeit sind 30 regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanien flächendeckend im Bundesgebiet aufgestellt.

Eingebettet in die Reserve Der neue freiwillige Wehrdienst ist in die territoriale Reserve eingebettet. Regional organisiert, sind der Heimatschutz und die zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) bei Katastrophen und Unglücksfällen wichtige Aufgaben dieses Bereichs der Streitkräftebasis. Nach Abschluss ihrer siebenmonatigen Ausbildung werden die Freiwilligen für sechs Jahre in einer regionalen Sicherungsund Unterstützungskompanie eingeplant. In dieser Zeit müssen sie insgesamt mindestens fünf weitere Monate Dienst leisten. Der freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz kombiniert also aktiven Dienst und Reservistendienst. Dabei können die beruflichen und familiären Belange der Freiwilligen Berücksichtigung finden. Damit ihre erworbenen Kompetenzen erhalten und auf dem neuesten Stand bleiben, sollen sie möglichst einmal im Jahr ihren Reservistendienst leisten.

Heimatschutz ist eine zentrale Aufgabe: Hier sichern Soldaten der Bundeswehr und Angehörige des Technischen Hilfswerks (THW) einen Deich im Einsatz gegen das Hochwasser im Magdeburger Stadtteil Pechau an der Elbe im August 2002. Foto: BS/Bundeswehr, Rott

Die Regionalität steht dabei im Mittelpunkt. Wünsche der Bewerber sollen daher möglichst berücksichtigt werden. Denn die sechsjährige Grundbeorderung im regionalen Truppenteil muss mit ihren beruflichen und privaten Belangen zusammenpassen. Außerdem muss ihr Arbeitgeber zustimmen, bevor sie einen Reservistendienst beginnen können. Die territoriale Reserve wird ausschließlich in Deutschland eingesetzt. In der Landesverteidigung schützt sie die Bevölkerung und sichert die besonders wichtige Infrastruktur. Im Frieden unterstützt die territoriale Reserve die zivilen Behörden bei der Bewältigung von Naturkatas­ trophen, schweren Unglücksfällen oder Krisenlagen wie derzeit bei der Covid-19-Pandemie. Die Bundeswehr will mit dem freiwilligen Wehrdienst im Hei-

matschutz ihre bestehenden Reservestrukturen und die gesamtstaatliche Krisenvorsorge stärken. Mit zivilen Hilfs- und Rettungsorganisationen ist eine Zusammenarbeit geplant. Der Kreis der Heimatschützer soll so komplettiert werden, ohne dass es zu einem Konkurrenzkampf um Freiwillige und Ehrenamtliche kommt. “Der Dienst ist mit anderen freiwilligen Diensten kompatibel”, erklärte die Ministerin. Aus ihrer Sicht sind freiwillige Dienste und das Ehrenamt der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Ab 1. September können die Bewerbungen auf die zunächst rund 1.000 Stellen erfolgen. Die ersten Einstellungen sind somit zum 1. April des kommenden Jahres und danach zu Beginn jedes weiteren Quartals vorgesehen. Interessenten müssen charakter-

lich und gesundheitlich für den Dienst geeignet sein. Sie sollten Interesse an gesamtgesellschaftlichem Engagement mitbringen, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, mindestens 17 Jahre alt sein und nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, um das Eignungsfeststellungsverfahren erfolgreich zu durchlaufen. Nach persönlicher Eignung und Bedarf in der Bundeswehr ist auch die Übernahme in eine andere Laufbahn möglich.

Schon jetzt freiwilliger Wehrdienst Aktuell (Stand Juni 2020) leisten 183.466 Soldaten ihren Dienst bei der Bundeswehr. Darunter zählen neben den Zeit- und Berufssoldaten auch 8.618 freiwillig Wehrdienstleistende (FWDL). Das entspricht einem Anteil von 4,7 Prozent.

die Konzentration der SKB auf die Beherrschung der Covid19-Lage jedoch wenig Spielraum für eine weitere Ausgestaltung der Nutzung des DokMBw gelassen. Auch für Nutzende aus dem Homeoffice heraus lässt sich das DokMBw quasi als “Aktenschrank to go” gezielt und effizient nutzen. Parallel dazu hat der zentrale IT-Dienstleister der Bundeswehr, die BWI GmbH, im Auftrag des BAAINBw die Arbeiten im Rahmen der Einführungsvorbereitung des Projektes “Bundeswehrgemeinsame Kollaborationsplattform” (Groupware Bw) aufgenommen. Mit der Groupware Bw wird eine bundeswehrgemeinsame Kollaborationsplattform zur Bereitstellung verschiedenster, querschnittlich nutzbarer (IT-) Services realisiert. Auf dieser Plattform werden künftig dann auch weitere Fachanwendungen, wie z. B. DokMBw 2. Ausbaustufe oder das Zentrale Regelungsmanagement für die Bundeswehr, als Service zentral bereitgestellt und betrieben. Dazu wird das DokMBw stetig weiterentwickelt und an zukünftige Herausforderungen angepasst. Die hierfür erforderlichen Arbeiten sind bereits angelaufen. Die Einführung der Plattform Groupware Bw stellt einen wesentlichen Schritt auf dem Digitalisierungsweg der SKB dar und wird eng durch die Einführungsund Nutzungsorganisation elek­ tronische Verwaltungsarbeit CDI/SKB begleitet. *Oberstleutnant Andreas Koes ist Referatsleiter Einführungs- und Nutzungsorganisation elektronische Verwaltungsarbeit CDI/SKB im Kommando SKB.

Die Einführung des freiwilligen Wehrdienstes war Bestandteil der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht. Interessierte haben seitdem die Möglichkeit, mit einer Verpflichtungszeit von sieben bis 23 Monaten die Truppe kennenzulernen, ohne sich gleich für mehrere Jahre verpflichten zu müssen. Dabei sind die ersten sechs Monate eine Probezeit, in denen beidseitig eine Kündigung möglich ist. Um freiwilligen Wehrdienst leisten zu dürfen, muss man auch hier mindestens 17 Jahre alt sein, die Vollzeitschulpflicht erfüllt haben und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Auch die Bereitschaft, nach erfolgter Ausbildung an Auslands­ einsätzen teilzunehmen, gehört dazu. Freiwillig Wehrdienstleistende dienen in der Mannschaftslaufbahn. Auch dieser Wehrdienst beginnt mit einer dreimonatigen Grundausbildung. Danach geht es für die Soldaten in ihre Stammeinheit. Dort folgt eine in der Regel dreimonatige Dienstpostenausbildung.

Aussetzung der Wehrpflicht Anfang 2010 gab der damalige Verteidigungsminister KarlTheodor zu Guttenberg (CSU) eine Defizitanalyse zur aktuellen Bundeswehrsituation in Auftrag. Die daraufhin eingesetzte WeiseKommission plädierte in ihrem Abschlussbericht vom Oktober desselben Jahres für die Aussetzung der Wehrpflicht, da diese “sicherheitspolitisch auf absehbare Zeit nicht mehr erforderlich” sei. Mitte Dezember beschloss die Bundesregierung die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011. Mit dieser Zäsur wurde die Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee umgewandelt. Jedoch nur drei Jahre später hat sich die sicherheitspolitische Lage in Europa durch die russische Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine dramatisch geändert.


Verteidigung

Behörden Spiegel / August 2020

war hat Minister Esper zusammen mit General John E. Hyten, Stellvertretender USGeneralstabschef, und General Tod D. Wolters, Kommandeur des USEUCOM und NATO-Oberbefehlshaber (SACEUR), die Pläne als “European Strategic Force Posture Review” vorgestellt. Doch es geht hier nicht um Strategie, sondern um Strafe. Als “reine Strafaktion” gegen die Merkel-Regierung bezeichnet Dr. David Sirakov, Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz, diese Ankündigung. Schließlich kritisiert Präsident Trump seit seinem Amtsantritt, dass die Bundesregierung sich weigere, die Verteidigungsausgaben auf das selbst gesteckte NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2024 zu erhöhen, obwohl die Bundesrepublik die stärkste Volkswirtschaft in Europa ist. Doch zurzeit wächst die USPräsenz in Deutschland noch auf: Die 2018 aufgestellte “41st Field Artillery Brigade” verlegt weitere 1.500 US-Soldaten in die bayerischen Standorte Grafenwöhr, Hohenfels sowie Ansbach. Die zusätzlichen Kräfte sollten nach bisheriger Planung dem in Grafenwöhr beheimateten “7th Army Training Command” unterstehen. All das ist jetzt ungewiss.

Verschiedene Dimensionen Im Vergleich zu den derzeit rd. 36.000 US-Soldaten waren 2006 immerhin noch 72.500 amerikanische Soldaten in Deutschland stationiert. Während des Kalten Krieges herrschten ganz andere Zahlenverhältnisse: Laut dem Londoner “International Institute for Strategic Studies” befanden sich 1988 in der alten Bundesrepublik 204.700 Heeres- sowie 41.000 Luftwaffensoldaten der US-Streitkräfte. Diese verfügten damals über rd. 5.000 Kampfpanzer und 264 Kampfflugzeuge. Aktuell von Bedeutung ist nicht mehr so sehr die amerikanische Kopfstärke, auch wenn Bayern immer noch der größte Stationierungsort des US-Heeres in Europa und Rheinland-Pfalz der größte Stationierungsort der USLuftwaffe in Europa ist. Das liegt aber daran, dass nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes die US-Garnisonen auch in anderen europäischen Staaten massiv reduziert wurden. Zentral ist heutzutage vor allen Dingen die militärische Infrastruktur der US-Streitkräfte in Deutschland. Dies gilt sowohl für Hauptquartiere als auch für einzelne Stützpunkte und Einrichtungen. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Vereinigten Staaten dafür viele Milliarden Dollar investiert.

Stäbe und Standorte Trotzdem, so General Wolters, sollen die Hauptquartiere des “European Command” (EUCOM), des US-Regionalkommandos für Europa mit rund 1.000 Soldaten, und des “Special Operations Command-Europe” (SOCEUR) von Stuttgart-Vaihingen ins belgische Mons umziehen, wo sich bereits das NATO-Hauptquartier SHAPE – sein zweiter Dienstsitz – befindet. Das gleiche Schicksal könne auch dem “Africa Command” (AFRICOM), dem Regionalkommando für Afrika mit rund 1.500 Soldaten in Stuttgart-Möhringen, drohen, auch wenn noch kein neuer Standort bestimmt worden sei, so Wolters. Andere Hauptquartiere sollen nicht betroffen sein: das Hauptquartier der “United States Air Forces in Europe – Air Forces Africa” (USAFE-AFAFRICA) sowie das “Allied Air Command” (AIRCOM) der NATO in Ramstein, das Hauptquartier der “U.S. Army Europe” (USAEUR) in Wiesbaden und das Hauptquartier der “Marine Corps Forces Europe and Africa” (MARFOREUR/AF) in Böblingen.

Partieller US-Militärabzug angekündigt Wem würde er mehr schaden: Deutschland oder Amerika? (BS/Dr. Gerd Portugall) Nachdem US-Präsident Donald J. Trump Mitte Juni im Weißen Haus angekündigt hatte, dass er die Zahl der amerikanischen Soldaten in Deutschland um rd. 9.500 reduzieren wolle, hat jetzt sein Verteidigungsminister Dr. Mark T. Esper im Pentagon detaillierte Abzugspläne vorgestellt. Nun sollen insgesamt 11.900 US-Soldaten betroffen sein. Dieser Schritt würde das hierzulande stationierte Militärpersonal der Vereinigten Staaten von rd. 36.000 auf 24.000 reduzieren. Die Verlegung könne innerhalb von Wochen beginnen, so der Minister. Die Ramstein Air Base ist mit 8.357 Soldaten der größte Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA und der “Dreh- und Angelpunkt des US-Militärs in Europa”, so Dr. Sirakov. Dort sind unter anderem ein Lufttransportgeschwader (“86th Airlift Wing”) mit Schwerpunkt C-130J “Hercules” und eine Flugleitzentrale für Kampfdrohneneinsätze stationiert. In Spangdahlem liegt ein Kampfgeschwader (“52nd Fighter Wing”) mit F-16-Jagdbombern der neuesten Generation. Das EUCOM hat jetzt vorgeschlagen, davon eine F-16-Staffel nach Italien zu verlegen. Auf dem deutschen Luftwaffenstützpunkt in Büchel lagern als einzigem Standort in Deutschland US-Atomwaffen in der Verantwortung der “702nd Munition Support Squadron” (139 Soldaten) im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Atlantischen Allianz. Dabei soll es sich angeblich um zehn bis 20 Wasserstoffbomben vom Typ B61-12 handeln. Das größte US-Lazarett außerhalb Amerikas ist das “Landstuhl Regional Medical Center” (LRMC) mit rund 3.300 Mitarbeitern, darunter mehr als 1.100 Soldaten. Gegenwärtig investiert das Pentagon 650 Millionen Euro in ein neues Krankenhaus im benachbarten Weilerbach, das 2024 fertig sein soll. Die Bundesrepublik ihrerseits trägt dabei einen Eigenanteil in Höhe von 130 Millionen Euro. Auch beispielhaft zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Truppenübungsplätze Grafenwöhr (die “Grafenwöhr Training Area”) – das größte Übungsgelände für NATO-Truppen in Europa – und Hohenfels (das “Joint Multinational Readiness Center” inkl. “Army Air Field”) in Bayern sowie Baumholder (2.500 US-Soldaten) in Rheinland-Pfalz. Das “Wiesbaden Army Airfield” im Stadtteil Erbenheim mit 3.100 US-Soldaten, darunter das 1. Bataillon des 214. Heeresfliegerregiments, ist eine von nur noch vier “U.S. Joint Main Operating Bases” in Europa.

nicht dort, um Deutschland zu verteidigen, sondern sie sind für uns dort.” Falls aber US-Soldaten von Deutschland etwa nach Polen abzögen, würde das sehr teuer: “Polen ist noch nicht bereit dazu”, so General a. D. Hodges. “Außerdem: Es ist uns mit Deutschland gelungen, ein Truppenstatut (“Status of Forces Agreement”) auszuarbeiten, das alle rechtlichen Aspekte eines Aufenthalts von US-Soldaten abdeckt. Mit Polen haben wir das noch nicht.”

Fazit Diese C-130J “Hercules” des 86. Lufttransportgeschwaders – hier auf der ILA Berlin Air Show 2014 – ist auf der Ramstein (RS) Air Base stationiert, die offenkundig nicht angetastet werden soll. Foto: BS/Portugall

Mangel an Verständnis – sowohl beim US-Präsidenten als auch beim ehemaligen US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell –, wa-

BSC

rum wir Soldaten in Deutschland haben”, so der ehemalige Dreisterne-General gegenüber einer Presseagentur. “Sie sind

Berlin Security Conference

1 9 th C o n g r e s s o n E u r o p e a n S e c u r i t y a n d D e f e n c e

Berlin Security Conference 2020 Europe – a cohesive bond for strong power

Berlin 24 – 25 November 2020, Vienna House Andel’s Berlin Das Progra mm der BS C 2020 wir am 20. Aug d ust auf der Homepage www.euro-d efence.eu ve röffentlicht.

High-Level Debate

Alternative Osteuropa? Schon seit einigen Jahren investieren die USA massiv in den Ausbau von Stützpunkten verschiedener osteuropäischer Streitkräfte. Davon profitieren mehr als ein Dutzend Militärbasen in allen drei baltischen Staaten, in Polen, Bulgarien und in Rumänien. Allein 2015 und 2016 gaben die Vereinigten Staaten dafür dort 130 Millionen Dollar aus. Außerdem werden in Polen und im Baltikum Vorräte und schweres Gerät für amerikanische Truppen eingelagert. Nun sollen rd. 5.600 US-Soldaten in andere europäische Staaten verlegt werden, wobei diejenigen, die nach Osteuropa – besonders in die SchwarzmeerRegion und nach Polen – gingen, rotieren würden. 6.400 weitere US-Soldaten sollen ganz zurück in die Vereinigten Staaten. Renommierte Vertreter aus Politik, Diplomatie und Streitkräften in den Vereinigten Staaten äußerten sich prompt kritisch zu Trumps Drohung. Exemplarisch sei hier einer genannt, der die Situation sicher professionell einschätzen kann: Generalleutnant a. D. Frederick Benjamin “Ben” Hodges, in seiner letzten Verwendung Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa: “Ich habe gehört, dass dies eine Strafe für Deutschland sein soll. Das zeigt leider einen totalen

Allerdings: Dass das militärische Engagement der USA in Europa nach 77 Jahren (Landung in Italien) beziehungsweise 76 Jahren (Landung in Frankreich) erlahmt, kann nicht wirklich verwundern. Weder Amerikaner noch Europäer hätten sich damals eine solch

lange und ununterbrochene Anwesenheit von US-Truppen auf dem alten Kontinent vorstellen können. Auch wenn schnell klar wurde, dass die amerikanische Führung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht den isolationistischen Fehler von 1919 (Nicht-Ratifizierung des Versailler Vertrages) wiederholen wollte. Schon vor neun Jahren, d. h. während der Amtszeit von Trumps Vorgänger Barak Obama, stellte der Berliner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Eberhard Sandschneider fest: “Transatlantische Beziehungen werden seit Jahren konsequent schöner geredet, als sie tatsächlich sind.” Trumps Drohung sollte Deutschland und Europa als Weckruf dienen, die eigene Verteidigungsfähigkeit (“strategische Autonomie”) längerfristig “in die eigenen Hände zu nehmen” – so Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bereits 2017. Allerdings: Nuklear sind weder Frankreich noch Großbritannien auch nur ansatzweise in der Lage, das US-Potenzial zu ersetzen. Trotzdem würde der angedrohte Teilabzug der US-Truppen aus Deutschland kurzfristig erst einmal den Vereinigten Staaten selbst am meisten schaden: strategisch wie finanziell.

Fotos: Dombrowsky

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Eindrücke von der BSC 2019

Ine Marie Eriksen Søreide, Außenministerin Norwegens

Die Berliner Sicherheitskonferenz Eine der größten Veranstaltungen zur Europäischen Sicherheit und Verteidigung Treffpunkt von bis zu 1.000 Teilnehmern aus mehr als 50 Ländern Internationales Forum für Abgeordnete, Politiker und Angehörige der Streitkräfte, der Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und der Industrie Partner BSC 2020: Tschechien Frühere Partner: Russland, Großbritannien, Türkei, USA, Frankreich, Schweden, Niederlande, Italien Nationale und internationale Aussteller Veranstaltet vom – Deutschlands führender unabhängiger Zeitung für den Öffentlichen Dienst

Weitere Informationen:

www.euro-defence.eu

Future Forces Forum


Die letzte Seite

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ie 33-jährige Dressler beschäftigt sich schon lange mit Attacken auf Rettungskräfte. Hierzu hat sie auch promoviert. Dazu meint sie: “Die Dissertation hat in der Feuerwehrwelt für einiges an Aufsehen gesorgt.” Denn sie sei bewusst nicht für Juristen, sondern auch für Führungskräfte der Feuerwehren und Hilfsorganisationen verfasst worden. Ihre jetzige Stelle als Beauftragte für Gewaltprävention und Diversität hat die gebürtige Hamburgerin seit Februar 2019 inne. Zuvor arbeitete sie beim Deutschen Feuerwehrverband (DFV) und studierte in Hamburg und Bonn Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Kriminologie. Das erste juristische Staatsexamen legte sie 2012 ab. 2016 folgte die Promotion. Bevor Dressler mit 21 Jahren ihr Jurastudium in Hamburg aufnahm, studierte sie zuvor noch während einer “postabituriellen Findungsphase” einige Semester lang Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre in München. Über ihre jetzige Stelle, bei der sie direkt der Behördenleitung der Berliner Feuerwehr untersteht, sagt Dressler: “Sie besteht aus zwei Hälften: zum einen Gewaltprävention und zum anderen Diversitätsmanagement.” Dabei ist sie Ansprechpartnerin für alle Feuerwehrangehörigen im Falle von Übergriffen. Und das ohne Einhaltung des Dienstweges.

Keine Rechtsberatung, nur Prozessbegleitung “Zu meinen Aufgaben in diesem Bereich gehören zusätzlich zur strategisch-konzeptionellen Ebene aktuell auch noch die Einzelfallbetreuung sowie die Prozessvorbereitung und -begleitung.” Dabei findet allerdings keine Rechtsberatung durch Dressler statt. Es geht eher um “moralische Unterstützung, Sachfragen und Beratung”, erklärt die Beauftragte. Denn insbesondere das erste derartige Verfahren sei für die Kollegen oftmals eine massive Belastung. “Zu wissen, was sie bei der Zeugenaussage vor Gericht erwartet, kann zu einer großen Entlastung beitragen.” Die Berliner Feuerwehr sei jedoch nicht nur im Bereich der Prozessvorbereitung tätig. Als Nebenkläger trete die Behörde allerdings bisher nicht auf. Vielmehr gelte: “Wir geben alle

“Ich mache hier meinen Traumjob” Dr. Janina Dressler ist Präventionsbeauftragte der Berliner Feuerwehr (BS/Marco Feldmann) Sie hat täglich mit Gewalt gegen Einsatzkräfte zu tun, bereitet Feuerwehrleute nach den Attacken auf den Gerichtsprozess vor und kümmert sich um die Dokumentation und Aufarbeitung von Übergriffen: Dr. Janina Lara Dressler ist Beauftragte für Gewaltprävention und Diversität bei der Berliner Feuerwehr. Außer in der Bundeshauptstadt existiert bisher bei keiner deutschen Berufsfeuerwehr eine solche Stelle.

lich in den Bereichen Krisenintervention sowie Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) engagiert, ist aber nicht nur Beauftragte für Gewaltprävention, sondern auch für Diversität. Als solche ist sie Ansprechpartnerin für Fälle von Mobbing, Extremismus und Diskriminierung innerhalb der Behörde. Dabei hält die Juristin “nichts von Inseldenken und wenig nachhaltigen Aktionen wie zum Beispiel Thementagen”. Ihr geht es eher um größere Zusammenhänge. Aus diesem Grunde versteht Dressler das Eintreten für Diversität – ebenso wie das Agieren gegen Übergriffe auf Einsatzkräfte – als “absolute Führungsaufgabe”.

Fast 150 Attacken im vergangenen Jahr

Dr. Janina Lara Dressler ist Beauftragte für Gewaltprävention und Diversität bei der Berliner Feuerwehr. Ein solches Amt existiert bisher bei keiner anderen Berufsfeuerwehr in Deutschland. Ihr ist es wichtig, einen möglichst guten Einblick in das Einsatzgeschehen zu erhalten. Fotos: BS/Feldmann

Um möglichst nah am Geschehen zu sein, arbeitet die Beauftragte für Gewaltprävention und Diversität oft auch an Feiertagen und bei Großlagen, etwa zu Silvester oder am 1. Mai. Sie fährt teilweise auch zu Einsätzen mit und meint über sich selbst: “Ich sehe mich nicht nur als Büromensch, sondern möchte in Kontakt mit der Basis bleiben und ein gutes Gespür für den Einsatzbetrieb erhalten.”

Enger Kontakt zu BFRA-Dozenten Daher steht sie auch in engem Austausch mit den Dozenten der Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienst-Akademie (BFRA), die für die Aus- und Fortbildung zuständig sind. Dabei geht es insbesondere um das Thema Deeskalation. Sie sagt: “Für Einsatzkräfte ist es wahnsinnig schwierig, den richtigen

in die Ausbildung integriert werden könnten. Der typische Täter sei den bisherigen Erfahrungen nach männlich, insbesondere zwischen 20 und 39 Jahre alt und alkoholisiert. Wobei Letzteres nicht immer ausschlaggebend für einen Übergriff sei. “Deutlich geworden ist aber, dass die Angreifer eher Patient als Drittperson sind und der Rettungsdienst deutlich stärker betroffen ist als die Besatzungen von Löschfahrzeugen.” Dies liege auch daran, dass die Rettungswagen – deren Kräfte häufiger attackiert würden als die Besatzungen von Notarzteinsatzfahrzeugen – nur mit zwei Personen besetzt seien. Besonders häufig komme es statistisch gesehen zwischen 15 und 23 Uhr und eher zum Wochenende hin zu Angriffen. Neben der Einzelfallbearbeitung entwickelt Dressler zusammen mit ihren Mitarbeitern

Dressler einen entsprechenden Meldebogen über einen Angriff enthält, wird der Vorfall in die interne Statistik aufgenommen. “Bestehen noch Unklarheiten, fragen wir gegebenenfalls telefonisch nach”, erklärt die Beauftragte. Anschließend werde bei Bedarf eine Mappe mit Informationsmaterial verschickt. “Danach kümmern wir uns um die Prozessvorbereitung und -begleitung. Dabei versuchen wir, in den verschiedenen Stadien des Verfahrens von A bis Z für die Kollegen da zu sein und sie zu coachen.” Generell weist die Beauftragte Feuerwehrleute auf eines hin: “Jegliche Straftaten zulasten von Feuerwehrangehörigen sind grundsätzlich bei der Polizei anzuzeigen.” Eine Strafanzeige werde in der Regel unmittelbar an der Einsatzstelle aufgenommen. Sie könne aber auch nachträglich von jedermann online erstattet werden. Dressler unterstreicht: “Bei Straftaten, die den Antragsdelikten zuzurechnen sind, stellt die Behördenleitung als Dienstvorgesetzte Strafantrag.” Parallel dazu könne in solchen Fällen auch der Betroffene selbst diesen Schritt gehen, sodass dann zwei Strafanträge gestellt würden.

Teilweise erfolgt Strafverfolgung erst auf Antrag

Dressler ist Mitarbeiterin der Behördenleitung der Berliner Feuerwehr. Sie untersteht unmittelbar dem Landesbranddirektor. Sie hat ein vielfältiges Aufgabengebiet, das sich nicht nur am Schreibtisch bewältigen lässt.

Vorgänge an die Polizei beziehungsweise die Staatsanwaltschaft ab”, stellt die Juristin, die als Tarifbeschäftigte bei der Berliner Feuerwehr tätig ist, klar. Ebenso zweifelsfrei sei, dass “jede mutmaßliche Straftat zur Anzeige gebracht wird und wir bei Attacken auf unsere Mitarbeiter eine Null-Toleranz-Linie verfolgen”. Über ihr Amtsverständnis sagt Dressler: “Mir ist ganz wichtig, dass die Kollegen merken, dass die Behörde sie nicht allein lässt.”

Behörden Spiegel / August 2020

Rückzugszeitpunkt zu finden. Das muss man ständig trainieren und kann nur durch Erfahrung gelernt werden.” Selbst für sie, die zu dem Thema ihre Dissertation verfasst hat, ist es nicht immer einfach. Dressler räumt ein: “Obwohl ich mich seit Jahren mit dem Thema beschäftige, bin ich bei entsprechenden Übungen auch schon gescheitert und habe zu spät den Rückzug angetreten.” Derzeit werde überlegt, wie künftig auch Virtual-Reality-Konzepte

einen Prozessleitfaden, Checklisten zum korrekten Melden und Vorgehen bei Angriffen sowie Hinweise zum Meldeverfahren. “Außerdem stellen wir für Kollegen, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder ähnlichen Krankheitsbildern leiden, den Kontakt zu spezialisierten Kliniken oder Opferhilfeorganisationen her, auf Wunsch auch anonym.” Und auch mit dem Einsatznachsorgeteam bestehe eine enge Zusammenarbeit. Sobald

Zu den Antragsdelikten gehören derzeit unter anderem die Straftatbestände der Beleidigung, des Hausfriedensbruchs und einfache vorsätzliche Körperverletzungen, bei denen kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. “Tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte oder ihnen gleichgestellte Personen gemäß der Paragrafen 114 und 115 Strafgesetzbuch (StGB) hingegen sind Offizialdelikte. Hier müssen die Ermittlungsbehörden von Amts wegen tätig werden”, erläutert Dressler. Gleiches gelte bei Bedrohungen oder Nötigungen. Dressler ist nicht nur Ansprechpartnerin für Berufsfeuerwehrleute, sondern auch für Angehörige der Freiwilligen und der Jugendfeuerwehr sowie für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die die Berliner Feuerwehr im Einsatz unterstützen. Bei Attacken auf Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr wird der möglicherweise erforderliche Strafantrag

übrigens auch durch den Landesbranddirektor gestellt. Werden Mitarbeiter der Hilfsorganisationen angegriffen, müssen Technisches Hilfswerk (THW), Deutsches Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst und die übrigen dort aktiven Akteure selbst tätig werden.

Nicht an “Inseldenken” ­interessiert Im Übrigen können nicht nur körperliche Attacken gemeldet werden. Es können auch für die jeweilige Einsatzkraft besonders belastende Fälle von Beleidigungen beim Lagedienst und der Präventionsbeauftragten aktenkundig gemacht werden. Hierzu meint Dressler jedoch: “Da aber im Vergleich zum tätlichen Angriff eine deutlich höhere Fallzahl verbaler Übergriffe zu erwarten ist, ist die statistische Erfassung mit den aktuellen technischen und personellen Mitteln noch nicht sauber abbildbar. Meine Kollegen und ich arbeiten an einer einfachen Erfassungsmöglichkeit in den zukünftigen Einsatzprotokollen.” Dressler, die eine Fortbildung als Mediatorin absolviert hat und sich ehrenamt-

Wie wichtig das Amt Dresslers ist, zeigen allein schon die nackten Zahlen. So gab es in Berlin im abgelaufenen Kalenderjahr mindestens 144 Angriffe auf Einsatzkräfte und sogar 211 strafrechtlich relevante Vorfälle, wozu auch Nötigungen, Sachbeschädigungen und Bedrohungen zählen. Dabei wurden 35 Feuerwehrleute verletzt. Ein Fall erschütterte zuletzt besonders, wie Dressler berichtet. Demnach blockierte auf der Anfahrt zu einem Verkehrsunfall im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen ein in zweiter Reihe parkendes Auto die Weiterfahrt eines Löschfahrzeugs der Berliner Feuerwehr. Nachdem der Fahrer seinen Wagen zunächst einige Meter nach vorn bewegt hatte, blieb er erneut stehen und eine Weiterfahrt des Einsatzfahrzeugs war weiterhin nicht möglich. Nun näherte sich eine zweite Person, beleidigte die Feuerwehrleute und bewarf ihr Fahrzeug mit einem Döner. Daraufhin stieg der Einsatzleiter des Löschfahrzeugs aus und wurde unvermittelt mit einer Glasflasche beworfen. Diese traf ihn am Hinterkopf. Dabei erlitt er mehrere Schnittwunden am Hinterkopf und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Ein Rettungswagen transportierte ihn in eine Klinik, in der die Wunde genäht werden musste. Aufgrund dieses Vorfalls mussten die Einsatzkräfte der Feuerwache Prenzlauer Berg ihren eigentlichen Einsatzauftrag abbrechen. Es musste ein Löschfahrzeug der Feuerwache Wedding zu dem Verkehrsunfall entsendet werden. Dieser Vorfall, der durch nichts zu entschuldigen und streng zu verfolgen ist, hatte folglich nicht nur einen erheblich verletzten Feuerwehrmann zur Folge, sondern darüber hinaus noch Verzögerungen bei der Einsatzbewältigung.

Fast 4.500 Stellen (BS/mfe) Die Berliner Feuerwehr ist die größte Berufsfeuerwehr Deutschlands mit zuletzt 4.479 Stellen sowie 58 Freiwilligen Feuerwehren, 47 Jugendfeuerwehren und einem Feuerwehrmusikzug. Sie verzeichnete im vergangenen Jahr insgesamt 478.281 Einsätze, die mit rund 1.000 Fahrzeugen Foto: BS/Feldmann absolviert wurden. Im Vergleich zu 2018 waren das über 14.300 Einsätze mehr. Anteilig beträgt der Zuwachs rund drei Prozent. Am häufigsten (343.660 Einsätze) waren auch 2019 wieder Notfallrettungen. Hinzu kamen fast 35.000 Notfalltransporte, 6.688 Brandeinsätze, 18.818 technische Hilfeleistungen und über 68.000 Erkundungen. Zudem gab es 5.288 Fehleinsätze. Entgegen der Entwicklungen in der Vergangenheit war allerdings ein Rückgang der Rettungsdiensteinsätze zu verzeichnen. Deren Zahl nahm von 390.409 im Jahr 2018 auf “nur” noch 378.658 ab. Zugleich gibt es weiterhin Probleme bei der Erreichung des Soll-Ziels hinsichtlich der Hilfsfrist im Bereich der Notfallrettung. Eigentlich sollen dort in 90 Prozent der Fälle innerhalb von zehn Minuten Einsatzkräfte vor Ort sein. Der tatsächliche Erreichungsgrad dieser Vorgabe lag zuletzt aber nur bei etwa 57 Prozent. Die Berufsfeuerwehr verfügte zuletzt über 35 Feuer- und Rettungswachen (inklusive einer Lehrrettungswache), 41 Rettungswachen, von denen sich 22 auf Standorten der Freiwilligen Feuerwehr befanden, und eine Löschbootstation. Bislang ist der feuerwehrtechnische Dienst noch stark von Männern dominiert. Nur 3,3 Prozent der dort Beschäftigten sind weiblich. In der Verwaltung sind es hingegen fast 43 Prozent.


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