Behörden Spiegel Februar 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. II / 36. Jg / 7. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / Februar 2020

www.behoerdenspiegel.de

Polizeistärke deutlich erhöhen

Positive Aufbruchstimmung

Zu zweit gegen eine Übermacht

Michael Stübgen über seine Agenda als Brandenburger Innenminister ��������������� Seite 7

Dorothee Bär zur Verwaltungsdigitalisierung ����������������������� Seite 27

Dietmar Schneider und Daniel Maas zur Schädlingsbekämpfung ���������������������� Seite 51

Registeridee begrüßt (BS/mfe) Die Bundesregierung will die Rahmenbedingungen luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüberprüfungen verbessern. Dazu soll ein Luftsicherheitsregister zu den Sicherheitskräften eingeführt werden. Dieses Vorhaben wurde von mehreren Sachverständigen im Innenausschuss des Deutschen Bundestages positiv bewertet. Uwe Büchner vom bayerischen Verkehrsministerium bezeichnete das Register als das wichtigste Element des Gesetzesvorhabens. Auch Prof. Dr. Wolfgang Däubler von der Universität Bremen hält die Einrichtung des Registers für richtig. Gleiches gilt sowohl bei Büchner als auch bei Däubler für die geplante Beteiligung der Bundespolizei und des Zollkriminalamtes an Zuverlässigkeitsüberprüfungen. Dissens zwischen den beiden gibt es in Bezug auf die künftig vorgesehene Auswertung des zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters.

Mehr Kompetenzen verlangt (BS/mfe) Städten sollen künftig mehr eigene Möglichkeiten bei der Verkehrslenkung, Geschwindigkeitsbeschränkungen sowie bei der Erprobung neuer Regeln im Straßenverkehr eingeräumt werden. Diese Forderung stellen Verantwortliche des Deutschen Städtetages (DST) auf. Dazu solle der Bund die derzeitige Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) an mehreren Punkten noch erweitern. DST-Vizepräsident Markus Lewe verlangt: “Wir wollen mehr Sicherheit für Radfahrende im Verkehr und wir wollen dafür den öffentlichen Raum für alle Beteiligten besser aufteilen.” Ziel sei es, dass der Bund die aktuelle StVO-Überarbeitung so ergänze, dass Städte selbst mit ihrem Wissen über Geschwindigkeitsbeschränkungen vor Ort entscheiden könnten, sofern dies ein Mehr an Sicherheit mit sich bringe.

Wie hoch darf die Messlatte sein? Zeitgemäße Eingangsvoraussetzungen bei der Fachkräftegewinnung (BS/Jörn Fieseler) Die Bundespolizei soll die Eingangsvoraussetzungen für Bewerber im Polizeidienst abgesenkt haben. So lautet der Vorwurf, dem die Behörde selbst vehement widerspricht. Es ist das jüngste Beispiel einer immer wiederkehrenden Diskussion. Am Ende lässt sich keine klare Antwort geben, fällt das Urteil different aus. Letztlich verbergen sich dahinter zwei andere Ursachen. Diese müssen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden und erfordern heterogene Lösungen. “Die Voraussetzungen für eine Bewerbung zur Bundespolizei werden regelmäßig evaluiert und gegebenenfalls angepasst”, wird seitens des Bundespolizeipräsidiums mitgeteilt. Die Anforderungen seien ausdrücklich nicht abgesenkt worden. Nach der Abschaffung der körperlichen Mindest- und Maximalgröße ist nun der Sporttest überarbeitet worden, mit dem die Eignung der Bewerber überprüft wird. Anstelle eines Standweitsprunges und von Liegestützen wurde ein Pendellauf in die Ausbildung aufgenommen. Außerdem die Fehlertoleranz im Diktat erhöht. Rechtschreibfehler bei Worten wie “Chrysantheme” werden nicht mehr als Fehler gewertet. Doch was sagt es über den Bewerber aus, wenn er 30 Liegestütze machen oder einen Meter aus dem Stand springen kann? Heutzutage ist aus sportwissenschaftlicher Sicht eine Ganzkörperagilität gefragt, die sich eben besser mit einem Pendellauf überprüfen lässt. Vor allem dann, wenn in den Pendellauf noch zusätzliche Übungen, wie das Tragen von Gegenständen oder Ähnliches, integriert werden. Somit kann hier von einem Absenken nicht gesprochen werden. Und bei der Sprache? Sie ist das erste und wichtigste Einsatzmittel der Polizei. Hier sollten keine Abstriche gemacht werden.

Anforderungsprofile und Eingangsvoraussetzungen sind ein unabdingbares Muss für die Laufbahnen im Öffentlichen Dienst. Diese dürfen nicht zu hoch sein, sonst schafft niemand den Sprung über die Latte, aber auch nicht zu niedrig, sonst werden sie den Anforderungen an das Amt nicht gerecht. Foto: BS/Stefan Schurr, stock.adobe.com

Wobei die Frage im Raum stehen bleibt, ob das Diktat noch zeitgemäß ist, um die sprachliche Eignung der Bewerber zu überprüfen. Fakt ist: Unsere Gesellschaft wird immer unfitter, wie es ein Sportmediziner von der Deutschen Sporthochschule in Köln ausdrückte. Und: Das Leistungsniveau bei Bewerbern für den Öffentlichen Dienst sinkt. Zugleich braucht der Öffentliche

Dienst mehr Nachwuchs. Nicht nur wegen des demografischen Wandels. Auch die zusätzlichen Stellen sind zu besetzen, die in den letzten Jahren überwiegend im Sicherheitsbereich geschaffen wurden. Dieser Spagat hat Auswirkungen auf Auswahlverfahren. Bei Auszubildenden dienen die Tests vor allem dazu, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die weniger Geeigneten auszusieben. Wird

die Messlatte weniger hoch aufgelegt, kommt es allenfalls dazu, dass Bewerber, die in den letzten Jahren an Einzelergebnissen gescheitert sind, mit der gleichen Leistung heute eingestellt werden würden. Diese kleineren Defizite gilt es, in der Vorbereitung auf den späteren Dienst auszugleichen. Notfalls durch individualisierte Inhalte. Wer zum Beispiel sprachlich nicht die besten Ergebnisse erzielt

Kommentar

“Hamburger Modell” in Berlin?

Hessen prüft Rückkehr in TdL

(BS) Seit dem 1. August 2018 können sich alle neuen Beamtinnen und Beamten des Landes Hamburg freiwillig in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichern. Sie erhalten bei einem unwiderruflichen Verzicht auf die Beihilfe, die im Regelfalle bis zu 80 Prozent der direkt anfallenden Krankheitskosten durch den Dienstherrn erstattet, einen Arbeitgeberzuschuss, “pauschale Beihilfe” genannt. Doch weder für den Einzelversicherten noch für den Arbeitgeber, die Freie Hansestadt Hamburg, ergeben sich daraus Vorteile, einzig bleibt der ideologisch motivierte Gewinn.

(BS/stb) Die Landesregierung Hessens prüft eine Rückkehr in die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Infrage käme dieser Schritt aber nur, wenn dabei die Vorteile des Hessentarifs erhalten blieben. In seiner Antwort auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage aus der SPD-Landtagsfraktion erklärte Innenstaatssekretär Dr. Stefan Heck (CDU), der Hessentarif sei für die Beschäftigten grundsätzlich günstiger als der TdL-Flächentarif. Sie würden von 150 Vorteilen profitieren, so vom kostenlosen Landesticket für Nah- und Regionalverkehr. Eine Rückkehr würde eine Integration dieser Vorteile in den TdL-Flächentarif erfordern. Ob das möglich sei, sei durch die TdL-Mitgliederversammlung zu klären.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte daher auch, das “Hamburger Modell” sei ein “großartiger Schritt in Richtung Bürgerversicherung”. Nun steht auch Berlin kurz vor dem Paradigmenwechsel, so steht es im Koalitionsvertrag von RRG. Nachdem Hamburg seinen Beamten die Wahl zwischen klassischer Beihilfe sowie einer “pauschalierten” geöffnet hat, sind mittlerweile die Länder Bremen, Brandenburg und Thüringen nachgezogen. In Berlin will die Koalition den Wechsel in den nächsten Wochen ermöglichen. Auch im Freistaat Sachsen steht das Thema im Koalitionsvertrag, wohl weil SPD und Grüne es dort genannt haben wollten, ohne

dass in Dresden davon ausgegangen wird, dass dieser Punkt aus dem Koalitionsvertrag tatsächlich umgesetzt wird. Für den öffentlichen Arbeitgeber bringt die Ermöglichung des Wechsels von Beamtinnen und Beamten aus der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung eindeutig Mehrkosten. Der Hamburger Senat hat für 2.400 GKV-versicherte Beamte Mehrkosten in Höhe von 5,8 Mio. Euro jährlich ausgerechnet. Auch für den Versicherten bringt ein Wechsel in die GKV im Einzelfall finanzielle Nachteile. Spätestens im Pensionsalter werden Krankenversicherungsbeiträge bei der GKV auf Pension, Kapitalerträge oder auch Mieteinkünfte fällig.

Aber auch Nachteile bei den Leistungen der GKV gegenüber der PKV machen einen Wechsel nicht sinnvoll. Die PKV zahlt für Heilpraktiker, für implantologische Leistungen sowie mehr für Hörgeräte und Zahnersatz. Daher wundert es nicht, dass in Hamburg nur ganze zwei Prozent der Beamtenschaft wechselten. Ein gravierender Nachteil eines Wechsels noch zum Schluss: Findet ein Beamter mit “pauschaler Beihilfe” einen neuen Dienstherren in einem Bundesland mit nur klassischer Beihilfe, muss er je nach Einstiegsalter sehr hohe PKV-Beiträge entrichten oder den GKV-Tarif komplett aus der eigenen Tasche zahlen.

Uwe Proll

Zugespitzt

hat, braucht mehr Deutschunterricht. Wer etwa weniger fit ist, mehr Sport. Dafür muss es den entsprechenden Raum in den Lehrplänen geben. Anders in Fällen, wo es um die Einstellung von Menschen mit universitären Abschlüssen geht. Zum Beispiel bei der Einstellung von Naturwissenschaftlern, Technikern und Ingenieuren in die technischen Laufbahnen. Oder von Ärzten und Veterinären in Gesundheitsämtern. Hier geht es vor allem um das Leistungsniveau. In den Referendariaten oder Vorbereitungsdiensten geht es darum, das verwaltungsrechtliche Fachwissen zu vermitteln. Das Fachspezifische müssen die neuen Beamten oder Tarifangestellten mitbringen (siehe dazu auch Seite 6 in dieser Ausgabe). Anstelle des Herabsenkens der Eingangsvoraussetzungen müssen hier zusätzliche Anreize geschaffen werden. Einer ist die Vergabe von Stipendien mit der anschließenden Verpflichtung, mehrere Jahre in der öffentlichen Verwaltung zu arbeiten. Dabei sollte dieser Zeitraum so gewählt werden, dass er identisch ist mit der Zeit als Beamter auf Probe und auf Widerruf. Denn die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass die früheren Stipendiaten sich für den Öffentlichen Dienst entscheiden, wenn der Status Beamter auf Lebenszeit winkt.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Februar 2020

Auch im neuen Jahrzehnt schreitet die Vernetzung von Staat, Verwaltung und Gesellschaft unaufhaltsam voran. Diese dreht sich zwar immer noch um die Arbeit im digitalen Raum und die dazugehörigen Infrastrukturen, aber immer mehr auch um den sinn- und verantwortungsvollen Einsatz von Endgeräten aus dem Internet der Dinge (IoT). Aber nicht nur digitale Infrastrukturen müssen auf den Stand der Technik gebracht werden, sondern auch die Strukturen in der analogen Welt. Foto: BS/SasinParaksa, stock.adobe.com

Reform, Novelle und Innovation

Fehlentscheidung mit Nachteilen!

Den ÖPNV attraktiver gestalten

Fundierte Einblicke in aktuelle Trends

Ein Kommentar zur Absenkung von Zugangsvoraussetzungen im technischen Bereich................................................. Seite 6

BMVI steigert Förderung und vereinfacht Beantragung ... Seite 23

Zukunft des Digitalfunks und der Leitstellen ............. Seite 42

Versorgung bis zur letzten Kuh

Mini-Drohnen im BOS-Einsatz

Bundesländer stellen Weichen für flächendeckende Infrastruktur ....................................................................... Seite 32

Fluggeräte können Kräfte in zahlreichen Situationen unterstützen................................................................ Seite 45

Konsolidierung und Vereinfachung Vergaberegularien im hohen Norden in der Novellierung.. Seite 9

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Digitale Sprachrohre für den Public Sector Behörden Spiegel weitet Social-Media-Berichterstattung aus (BS/Michael Harbeke) Auf Twitter, Facebook und Instagram diskutiert die Digitalgesellschaft über Gott und die Welt. Auch der Öffentliche Dienst tauscht sich in den Sozialen Medien über innovative Trends aus. Die digitalen Kanäle des Behörden Spiegel sind Anlaufstellen einer aufstrebenden Community, die die Verwaltung modernisieren möchte. Wie Deutschlands Rathäuser fit für das 21. Jahrhundert gemacht werden, lässt sich hier nachvollziehen. Wer uns folgt, erfährt crossmediales Storytelling: den Public Sector immer im Fokus. Wenn der Digitale Staat Anfang März ins Berliner Premierenkino KOSMOS kommt, berichtet die Online-Redaktion über den pulsierenden Kongress im Web. Bereits in den letzten Jahren entwickelte sich im Netz ein Hype um das offizielle Hashtag #digistaat. Nicht umsonst konnte es die Top Ten der deutschen Twitter-Charts erobern. Mit Schirmherrin Dorothee Bär, der Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragten der Bundesregierung für Digitalisierung, kündigt sich wieder eine prominente Multiplikatorin an. Die Chancen für spannende Social-Media-Debatten stehen also mehr als günstig. Neben Twitter (@Digitaler_Staat) werden auch Facebook (@digi talerstaat) und Instagram (@di gitaler_staat) bedient. Auf dem Grünen Sofa, dem Eyecatcher des Kongresses, werden teilnehmende Digitalisierungsexperten in kurzen Videos zum Status quo der Verwaltungsmodernisierung interviewt.

Die Clips werden als Impulse des Digitalen Staates auf Social Media zu sehen sein und gewähren auch einen Blick in die digitale Zukunft.

“Sicherheit+” – Sicherheit in Tweet-Format Auf dem kürzlich zu Ende gegangenen Europäischen Polizeikongress (EPK; ausführlicher Nachbericht ab Seite 40 in dieser Ausgabe) erblickte der neue Kanal Sicherheit+ (@SicherheitPlus) auf Twitter das Licht der Welt. Seine Follower dürfen sich auf breitgefächerte Inhalte aus dem Spektrum Sicherheit und Verteidigung freuen. Sicherheit+ bietet weitaus mehr als nur herkömmliche Berichterstattung. Eigenveranstaltungen und Sonderpublikationen des Behörden Spiegel spielen in ihm eine große Rolle. Sicherheit+ moderiert als digitales Sprachrohr live vom EPK, von der Public IT Security (PITS) und der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC). Außerdem präsentiert er Magazine

wie die Schriftenreihe “Moderne Polizei”, den “BOS-Führer” oder das “Militär-Attachée-Handbuch” kurz nach ihrem Erscheinen. Wer sich über Innere und Äußere Sicherheit informieren möchte, ist bei Sicherheit+ genau richtig. Rund 100 Follower folgten dem Kanal bereits nach zwei Tagen.

meinungsstarken Kommentaren der Redaktionsleitung. Zu finden ist der Public Sector Insider auf der Webseite des Behörden Spiegel (www. behoerden-spiegel.de/ podcast) und überall dort, wo es Podcasts gibt.

Behördenwissen zum Reinhören

Rettung.Feuer. Katastrophe

Der Behörden Spiegel-Podcast “Public Sector Insider” entwickelt sich mit nunmehr 17 Folgen zu einer festen Größe im OnlineRepertoire des Behörden Spiegel. Jeden Dienstag erwartet die Hörerinnen und Hörer eine neue Folge auf Spotify und Co. Das Redaktionsteam spricht mit Gästen aus Politik und Verwaltung über aktuelle Entwicklungen in Kommunen, Ländern und beim Bund sowie über Querschnittsthemen wie Digitalisierung und Sicherheitspolitik. Komplettiert wird das abwechslungsreiche Format von

Da Lebensretter in den Sozialen Medien omnipräsent sind, sprechen wir diese Zielgruppe mit neuen Kanälen und Medien an. Auf Twitter (@ KataSchtz), Facebook (@ KataSchtz) und Instagram (@KataSchtz) werden Katastrophen- und Bevölkerungsschützer Als erste Ausgabe der Behörden Spiegelaus Feuerwehr, THW, Schriftenreihe Moderne Polizei ist in diesem Jahr das Themenheft “Rechtsstaat” durchsetzen DLRG, DRK, Malteser, anlässlich des Europäischen Polizeikongresses Johanniter sowie ASB erschienen. informiert. @KataSchtz fordert alle Interessierten zur In- Rettungstechnik vorgestellt und teraktion auf. Bei Meldungen, Ver- Hintergründe zu aktuellen gesetzanstaltungen und Bildern können lichen Regelungen der Leserschaft User und solche, die es werden unterbreitet. wollen, @KataSchtz markieren oder #Ka taSchtz verwenden. In wenigen Wochen erscheint auch der neue Newsletter “Ret- Fotoquellen Seite 1 tung, Feuer, Katastrophe”, der Foto 1: BS/Feldmann auf oben genannten Kanälen aus- Foto 2: BS/Dombrowsky Foto 3: BS/Petersdorff führlich beworben werden wird. In ihm können Lebensretter mehr Beilagenhinweis aus ihrem Verbandsleben erfah- Einer Teilauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage der Technischen Akademie ren. Ebenso werden Beiträge aus Wuppertal bei. der Praxis veröffentlicht, neue

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Februar 2020

KNAPP

Wer hat die besseren Karten?

DigitalisierungsTarifvertrag

Tarifverhandlungen für Ärzte an Unikliniken vertagt (BS/Jörn Fieseler) Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und der Marburger Bund (MB) haben sich in der 3. Runde der Tarifverhandlungen ergebnislos vertagt und Stillschweigen über den aktuellen Stand vereinbart. Es scheint, als wolle sich die TdL nicht in die Karten schauen lassen. Demgegenüber gehen die Ärzte-Vertreter medial in die Offensive und haben ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und mehr Gehalt mit der jährlichen Befragung unter den Mitgliedern untermauert. Dabei wird deutlich: Was auf Anhieb einleuchtend klingt, hat für die TdL weitreichende Folgen. weitergehen. Dabei könnten die Chancen gut stehen, dass nach der bisherigen Annäherung in Runde drei ein Ergebnis erzielt wird. Schließlich ist der Termin so gewählt, dass man notfalls auch am Samstag weitermachen könnte.

Die Zahlen sind alarmierend. 71 Prozent der für den MB-Monitor 2019 befragten Ärztinnen und Ärzte geben an, die Arbeitsbedingungen seien mittelmäßig bis schlecht. Drei von vier Befragten gaben an, die Gestaltung der Arbeitszeiten beeinträchtige die eigene Gesundheit und sorge dafür, dass das Familienleben leide. Rund 60 Prozent fühlen sich häufig bis ständig überlastet. “Wer ständig über seine Grenzen geht, wird am Ende selber krank”, kommentiert die erste Vorsitzende der ärztlichen Interessenvertretung, Dr. Susanne Johna, die Ergebnisse. Leider werde im Gesundheitswesen zu wenig auf die Gesundheit des eigenen Personals geachtet.

Jenseits der Tarifrunde

Überlastet Die Arbeitsbelastung ergibt sich für viele aus den Arbeitszeiten. 63 Prozent der Mediziner arbeiten nach eigener Angabe durchschnittlich 49 Stunden pro Woche und mehr. Damit überschreiten sie regelmäßig die gesetzlich regulierte Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche. “Das ist nicht mehr zulässig”, unterstreicht Johna. Darüber hinaus würden 29 Prozent fünf oder mehr Bereitschaftsdienste pro Monat leisten, weitere 23 Prozent drei bis vier. Des Weiteren fehle bei 30 Prozent der Arbeitgeber eine Arbeitszeiterfassungssystem. Bei weiteren 26 Prozent erfolge dieses handschriftlich, nur 44 Prozent hätten eine elektronische Zeiterfassung. Dies verwundert umso mehr, nachdem der Europäische Gerichtshof im Mai letzten Jahren noch einmal unterstrichen hat, dass die Mitgliedsstaaten jegliche Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur

Bislang lassen sich die Arbeitgeber nicht in die Karten schauen, während die Forderungen des Marburger Bundes offenliegen. Foto: BS/Fieseler

Messung der täglich geleisteten Arbeitszeit der Arbeitnehmer einzuführen.

Schwierige Verhandlungen Die Ergebnisse aus dem Monitor untermauern die Tarifforderungen des MB für die rund 20.000 Ärzte an den 23 Unikliniken in Deutschland. So sollen die Kliniken für eine manipulationsfreie Zeiterfassung und für eine verlässliche Dienstplangestaltung sorgen. Außerdem sollen für Bereitschaftsdienste klare Höchstgrenzen definiert werden und jeder Mediziner soll maximal an nur zwei Wochenenden im Monat Dienst leisten. Darüber hinaus fordert die Gewerkschaft eine Gehaltsteigerung von sechs Prozent sowie eine Formulierung zur Tarifsicherung, in der die Nicht-Anwendung des Tarifein-

heitsgesetztes (TEG) festgeschrieben wird. Während die Themen Arbeitszeiterfassung und verbindliche Dienstplanung nach dem bisherigen Verlauf nicht die Streitthemen sind, wird vor allem bei den Bereitschaftsdiensten und Diensten am Wochenende heftig gerungen. Und auch die Forderung zur Tarifsicherung steht in den Verhandlungen zur Debatte, da seitens der Arbeitgeber diese als unnötig erachtet wird. Doch: “Ohne eine wirksame Entlastung wird die ärztliche Tätigkeit in der Universitätsmedizin unattraktiv”, warnt der MB-Vize Dr. Andreas Botzlar mit Blick auf die Dienste und Arbeitsbedingungen. Nach dem Warnstreik zu Beginn der 3. Verhandlungsrunde Anfang Februar 2020 hätten sich die Positionen zwar angenähert,

die Verhandlungen seien jedoch weiterhin schwierig, ließen beide Seiten am Ende der Gespräche in Hannover verlauten. Insgesamt wolle sich die TdL am Tarifabschluss für den Öffentlichen Dienst von Anfang 2019 orientieren. Dieser sieht bei einer Laufzeit von über 30 Monaten zwar Lohnsteigerungen von über sechs Prozent vor. Fraglich ist jedoch, welche Ergebnisse bei den strukturellen Forderungen erzielt werden. Denn die Reduzierung der Wochenenddienste auf zwei pro Monat bedeutet im Endeffekt eine Personaluntergrenze für Ärzte an den Unikliniken. Diese Forderung ist nur realisierbar, wenn es genügend (Fach-)Medizinier in den jeweiligen medizinischen Abteilungen gibt. Am Freitag, den 6. März soll es nun in der vierten Runde

Darüber hinaus beklagen die Ärzte laut MB-Monitor, sie müssten zu viel Zeit für Verwaltungsaufgaben aufwenden. 35 Prozent gaben an, dass sie täglich bis zu vier Stunden für diese Tätigkeiten aufwenden würden. Weitere 50 Prozent mindestens zwei Stunden pro Tag. Zeit, die für die Versorgung der Patienten fehlt. Ein Mediziner bringt es auf den Punkt: “Der heutige Berufsalltag eines Arztes entspricht überhaupt nicht mehr dem eigentlichen Zweck, der Patientenversorgung und Fürsorge.” Nicht mehr der Patient würde im Vordergrund stehen, sondern nur noch der Profit. 77 Prozent wünschen sich deshalb eine Entlastung von Verwaltungsaufgaben durch Stationssekretariate. Das Problem: Diese werden nicht durch das pauschalierte Abrechnungssystem für diagnosebezogene Fallgruppen zwischen Krankenhäusern und -Kassen (den Diagnosis Related Groups, kurz DRG) zur Abrechnung von Krankenhausleistungen finanziert. Folglich müssten die Klinikträger diese Personalausgaben aus den eigenen Haushalten bezahlen. “Das gesamte Krankenhaussystem benötig dringend eine Reform, damit der Patient im Vordergrund steht und nicht eine DRGPauschale”, fordert einer der befragten Ärzte. Ein Vorschlag, der auch auf politischer Ebene diskutiert wird (siehe Seite 15).

(BS/kh) Am 28. Februar werden die Verhandlungen zum Tarifvertrag “Digitalisierung” aufgenommen. Die Verhandlungskommission der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) trifft dann auf ihren Verhandlungspartner beim Bund, der durch das Bundesinnenministerium (BMI) vertreten wird. “Wir brauchen verbindliche Regeln für die digitale Verwaltung”, betont Verdi-Bundesvorstandsmitglied und Verhandlungsführerin Christine Behle. “Ein Digitalisierungstarifvertrag bietet den Beschäftigten rechtlichen Schutz und eröffnet Spielräume bei der Teilhabe an der digitalen Arbeitswelt.” Es solle etwa über einen Zugang zu neuen Arbeitsformen wie agiler Arbeit und Homeoffice verhandelt werden. Ebenso zum Datenschutz, zur Beschäftigungssicherung und zum Rationalisierungsschutz.

Kein Unfallschutz (BS/kh) Für den Weg zur Kindertagesstätte können Beschäftigte, die sich im Home-Office befinden, keinen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz beanspruchen. Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Demnach ist grundsätzlich nur der unmittelbare Arbeitsweg bei Unfällen versichert. Das Urteil geht auf den Fall einer Mutter zurück, die ihr Kind in die Tagesstätte brachte und dann nach Hause zurückkehrte, um ihre Arbeit im Homeoffice aufzunehmen. Auf dem Rückweg stürzte sie. Die Krankenkasse kam für die Kosten auf und forderte sie vom Unfallversicherungsträger zurück. Das BSG hat allerdings entscheiden, dass es sich nicht um einen versicherten Wegeunfall gehandelt habe. Ein wesentliches Argument dabei: Nur der Weg zwischen dem Ort des privaten Aufenthalts und der versicherten Tätigkeit ist versichert. Diese Regelung kann nicht auf das Homeoffice angewandt werden.

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Petersberger Finanzgipfel

16.–17. Juni 2020, Steigenberger Grandhotel Petersberg

Referenten, u. a.: Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen

Dirk Käsbach, Erster Beigeordneter und Kämmerer, Stadt Königswinter

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. (Zweiter Senat)

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Behörden Spiegel / Februar 2020

Marke Öffentlicher Dienst

Vertrauen, Akzeptanz und Toleranz

Wie Verwaltungen ein Employer Branding selbst erarbeiten können

Delegieren im digitalen Zeitalter

(BS/ecp) Erfolgreiches Employer Branding ist entscheidend, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positio- (BS/Gerda Schneider) Die Digitalisierung und flexible Arbeitsformen verändern die Arbeitswelt und beeinflusnieren, vor allem bei jungen Arbeitnehmern. Eine gelungene Selbstdarstellung schafft Aufmerksamkeit und sen auch das Führungs- und Delegationsverhalten. Damit die Delegation von Aufgaben gelingt, auch wenn die weckt Interesse. Auch wichtig: Nach innen schafft sie Identifikation. Leider nutzen Behörden und Ministerien Mitarbeitenden nicht vor Ort sind, braucht es Führungskompetenz, Transparenz und Vertrauen. diese Möglichkeiten gar nicht oder nur zurückhaltend. Der zunehmende Fehlbedarf bei Nachwuchskräften wirkt sich bereits spürbar auf die Leistungsfähigkeit der Verwaltungen aus. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit abgeschlossenem Studium sind eine besonders gesuchte Gruppe. Was hält nun Studierende davon ab, sich bei Verwaltungen zu bewerben? Mangelnde Flexibilität und Vielfalt bei den angebotenen Jobs? Daran kann es nicht liegen. Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst sind zudem keine Jobs, sie sind Aufgaben mit gesellschaftlicher Relevanz.

Das verstaubte Image der Amtsstube wird durch Stellenanzeigen aber eher bestätigt. Was gänzlich fehlt, ist eine zielgruppenspezifischere Rekrutierung.

Interdisziplinäres Team gefragt Ein erfolgreiches Employer Branding zu erarbeiten, muss nicht teuer und aufwendig sein und braucht nicht zwingend eine externe Beratung. Das authentische Bild einer jeweiligen Organisation haben die Beschäftigten und Führungskräfte aus den Be-

Praxisprojekt Employer Branding (BS/ecp) Im Wintersemester haben Studierende des Master-Studiengangs Nonprofit-Management und Public Governance an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) und der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) eine Projektstudie zum Thema “Per­ spektive Beruf Öffentlicher Dienst – erfolgreiches Employer Branding in der öffentlichen Verwaltung” durchgeführt. Mit drei Praxispartnern, dem Hessischen Rechnungshof, dem Rechnungshof von Berlin und der Digitalagentur Brandenburg, haben die Studierenden Lösungsansätze für ein eigenes Employer Branding erarbeitet. Nach der Analyse der Ausgangssituation vor Ort haben die Studierenden potenzielle Bewerberzielgruppen identifiziert, Wettwerber auf dem Arbeitsmarkt untersucht und die Veränderungstreiber der Praxispartner identifiziert. Anschließend wurden Interviews mit der Leitungsebene zur Sollperspektive sowie Interviews zum Status quo in der Mitarbeiterschaft (Wertvorstellungen, Arbeitsklima) geführt. Ausgehend davon haben die Studierenden eine Employee Value Proposition (EVP) und einen übergreifenden Slogan abgeleitet (bestehend aus Anker, Differenziator und Treiber). Sie haben geeignete externe und interne Kommunikationsmaßnahmen erarbeitet, die dabei helfen, eine ansprechende Employer Brand umzusetzen und zu verstetigen. Die Studierenden stellen ihre Ergebnisse gemeinsam mit den Praxispartnern am 4. März um 10:30 Uhr auf dem Digitalen Staat in Berlin vor.

D

ie Bandbreite von Fallgestaltungen ist bei Dienstunfällen enorm. Sie reicht vom slapstickartigen Einklemmen eines “beamteten” Fingers beim Schließen eines Aktenschranks (VG Kassel, Urt. v. 25.04.2019, 1 K 3923/17 KS) bis zur Querschnittslähmung beim missglückten Abseilen aus Polizeihubschraubern. Auch Angriffe auf Beamte im und außerhalb des Dienstes mit erheblichen – teils tödlichen – Verletzungen nehmen leider signifikant zu. Gleiches gilt für psychische Erkrankungen, die durch schockierende dienstliche Ereignisse ausgelöst wurden.

Anerkennungsprobleme Die Anforderungen an einfache oder qualifizierte Dienstunfälle sind in §§ 30 ff. BeamtVG bzw. den Landesbeamtenversorgungsgesetzen geregelt. Die Dienstunfallvorschriften von Bund und Ländern sind weitgehend gleich strukturiert bzw. textlich gleichlautend oder ähnlich. Der Bund hat zum BeamtVG 2018 neue umfangreiche Verwaltungsvorschriften erlassen (BeamtVGVwV v. 02.02.2018, GMBl. 2018 Nr. 7-11, S. 98). Trotzdem stellen

hörden selbst. Zur Entwicklung einer Arbeitgebermarke braucht man ein interdisziplinäres Team, das in der Lage ist, die vielfältigen Tätigkeiten der Verwaltung zu identifizieren und darzustellen. Auch muss das Employer Branding über Einzelmaßnahmen hinausgehen und bedarf einer ganzheitlichen und konsistenten Strategie.

“Treiber”, “Differenziator” und “Anker” Für eine erfolgreiche Arbeitgeberpositionierung entscheidend sind dabei drei Aspekte: Erstens der “Treiber”: Er definiert, wo sich die jeweilige Organisation in den kommenden Jahren hin entwickeln möchte. Zweitens der “Differenziator”: Er beschreibt, worin sich der Arbeitgeber von anderen Konkurrenten unterscheidet. Dies sind emotionale Faktoren, nicht das Gehalt. Drittens der “Anker”: Er spiegelt die in der Verwaltung gelebten Wertvorstellungen.

Authentisch und positiv Eine authentische Wiedergabe dieser drei Aspekte kann die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild auflösen und positiv nach außen wirken. Zudem muss eine zielgruppengerechte Adressierung der potenziellen Bewerber erfolgen. Das bedeutet bei der Generation Y und Z, Soziale Medien zu nutzen, die Möglichkeit von Praktika und Studierendenjobs anzubieten sowie Stellenausschreibungen modern und verständlich zu formulieren.

Delegieren an sich ist schon keine leichte Aufgabe. Es gilt, die richtigen Mitarbeitenden mit den nötigen Kompetenzen und Ressourcen für die Aufgabe zu finden und sie zu motivieren. Wenn die Aufgabe zu komplex ist, kommen viele Rückfragen und die Gefahr der Rückdelegation ist groß. Wenn die Führungskraft nur Routineaufgaben delegiert, demotiviert sie die Mitarbeitenden. Noch komplexer wird die Delegation bei virtuellen Teams, bei denen die Mitglieder an verschiedenen Orten oder auch zu verschiedenen Zeiten zusammenarbeiten und digital vernetzt sind. Prozesse müssen neu gestaltet und digitale Kommunikationswege bereitgestellt werden. Virtuelle Teams sollen eigenverantwortlich und selbstorganisiert arbeiten. Dafür brauchen sie klare Kommunikationsregeln, definierte Zuständigkeiten und transparente Rollen. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, Vertrauen aufzubauen, Kommunikation zu ermöglichen sowie die digitale Zusammenarbeit zu lenken und zu fördern.

Transparenz schaffen Dafür ist es wichtig, Ziele, Rollen, Aufgaben sowie Kommunikationsregeln in Teamsitzungen und persönlichen Gesprächen festzulegen und zu besprechen. Die Zusammenarbeit im Team und Kommunikationskanäle sollten definiert, aber auch ein spontaner, informeller Austausch über Distanz möglich sein. Die Transparenz über die Aufgaben im Team sowie Zuständigkeiten

nutzen – und zwar aufseiten der Mitarbeitenden und der Führungskräfte. Sogenannte Seit über zwölf Jahren als Collaboration Trainerin für öffentliche Verwaltungen tätig: Gerda Tools bieten viele Schneider. praktische FunkFoto: BS/privat tionen – aber nur, wenn alle damit gut umgehen können und wollen. und Befugnisse sollten herge- Durch den digitalen Austausch stellt werden. Darüber hinaus kann es leichter zu Missverständbraucht es neben der virtuellen nissen kommen. Deshalb sollten Zusammenarbeit regelmäßige Regeln für die zwischenmenschpersönliche Gespräche, in denen liche Kommunikation festgelegt nicht nur die Aufgaben und deren werden. Konstruktives Feedback, Fortschritte besprochen werden, der Umgang mit Kritik und Konsondern auch eventuelle Hinder- flikten und die Vermeidung von nisse und Erwartungen. Missverständnissen durch eine Delegation erfordert Vertrauen achtsame Kommunikation sind – in virtuellen Teams ganz be- für die Delegation von Aufgaben sonders. Um so wichtiger ist es, und eine reibungslose Zusamsich mit den Kompetenzen und menarbeit im Team essenziell. Potenzialen der Mitarbeitenden Eine zunehmend digitale und einerseits und den zu delegie- agile Welt verändert die Kooperenden Aufgaben andererseits ration und die Kommunikation. auseinanderzusetzen. Es sollte Dies stellt Führungskräfte bei genau überlegt werden, welche der Delegation von Aufgaben und Aufgabenpakete für welche Mit- Teams bei der Zusammenarbeit arbeitenden geschnürt werden. vor neue Herausforderungen. Ein vertrauensvolles Miteinander Delegieren muss nicht neu erfunsetzt auch die Akzeptanz unter- den, aber neu gedacht werden. schiedlicher Herangehensweisen und die Toleranz gegenüber Fehlern voraus.

Save the date

Kompetenzen stärken Delegieren im digitalen Zeitalter ist nur dann effektiv möglich, wenn auch die technischen Voraussetzungen für die Bereitstellung und Nutzung entsprechender Software stimmen. Genauso wichtig ist es aber, dass die Kompetenz da ist, diese intelligent zu

Dienstunfälle und ihre rechtliche Bewältigung Das Dienstunfallrecht und seine aktuelle Bedeutung für die Praxis (BS/Dr. Jörg-Michael Günther/Prof. Dr. Lars Oliver Michaelis) Unfälle von Beamten im Dienst oder auf dem Weg dorthin oder zum Wohnort sind nicht selten. Neben Polizei- und Feuerwehrbeamten, die in besonderem Maße dienstlichen (Lebens-)Gefahren ausgesetzt sind bzw. sein können, kann jede Beamtin oder jeder Beamte betroffen sein. sich oft Abgrenzungsprobleme beim anerkennenswerten Dienstunfall vom nicht anzuerkennenden Fall. Dies spiegelt sich in der kaum noch überschaubaren Rechtsprechung wider, die sich oft mit der komplexen Frage der Ursächlichkeit eines Unfalls mit der konkreten dienstlichen Tätigkeit auseinanderzusetzen hat. Die Prüfung eines Dienstunfallantrags hat gründlich zu erfolgen, weil die Kosten und ggf. Folgekosten eines Dienstunfalls (bis hin zur vorzeitigen Dienstunfähigkeit) deutlich über das hinausgehen, was die Beihilfe in Krankheitsfällen leistet. Oft stellen sich komplexe Begutachtungsfragen. In besonderen Fällen i.S.d. § 37 BeamtVG (qualifizierte Dienstunfälle) können auch hohe einmalige Unfallentschädigungsansprüche bestehen (vgl. § 43 Abs. 1 BeamtVG: 150.000 Euro). Komplex ist auch u. a. die für die Fest-

setzung eines Unfallausgleichs nach § 35 BeamtVG erforderliche Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. des Grades der Entschädigungsfolgen.

Dr. Jörg-Michael Günther leitet das Justiziariat und Referat für Öffentliches Dienstrecht im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW.

Gelegenheitsursachen Im Dienstunfallrecht sind medizinische und rechtliche Fragen eng miteinander verzahnt. Neben reinen Rechtskenntnissen ist deshalb in Dienstunfallfürsorgestellen auch verwaltungsseitiges Grundwissen auf medizinischem Gebiet unverzichtbar. Oft spielen neben Kausalitätsfragen medizinische Gutachten eine entscheidende Rolle. Hier kommt der Auswahl des geeigneten (Spezial-)Gutachters immense Bedeutung zu. Immer öfter ist z. B. zu klären, ob im Dienst erlittene Traumatisierungen beim Beamten ihre Ursache in Vorschäden aus dem privaten Bereich haben. Die gleiche Frage

keiten. Oft stellen sich dann in Prozessen schwierige Beweis- und Beweislastfragen.

Rechtsfolgen

Ist ein Dienstunfall anerkannt, hat der Beamte nach den §§ 33 ff. BeamtVG besondere Ansprüche geProf. Dr. Lars Oliver Michaelis, genüber seinem Professor für Staats-, EuropaDienstherrn (u. a. und Beamtenrecht an der Heilverfahren, Hochschule für Polizei und Unfallausgleich, öffentliche Verwaltung NRW Unfallruhegehalt, erhöhtes Unfallruhegehalt, einmalige UnfallentschäFotos: BS/privat, FHöV digung, einmalige Entschädigung). kann sich stellen, wenn etwa ein Die Folgen dienstlich bedingter Polizist beim Dienstsport einen Körperschäden sollen eben nicht Achillessehnenabriss erlitten hat. von ihm allein getragen werden Bei der Prüfung sogenannter Ge- müssen (BVerwG, NVwZ-RR legenheitsursachen gibt es Grau- 2013, 320). Dies ist Ausfluss der zonen und Bewertungsschwierig- Alimentationspflicht des Dienst-

Mehr dazu beim Praxisseminar “Richtiges Delegieren im digitalen Zeitalter” des Behörden Spiegel am 30./31. März 2020 in Berlin Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “delegieren”

herrn. Es ist Zweck der Unfallfürsorge, den Beamten rechtlich und wirtschaftlich bei solchen Schadensfällen zu sichern, die ihren Ursprung im Dienst haben. Ein Beamter soll im Interesse des öffentlichen Wohls bestimmte Risiken bei der Aufgabenwahrnehmung nicht scheuen müssen. Folglich ist vom Dienstherrn neben Leistungen für dienstlich bedingte Gesundheitsbeschädigungen bei Dienstunfällen auch Sachschadensersatz zu zahlen (§ 32 BeamtVG). In dem Kontext ist auch auf die neue Sachschadenserstattungsrichtlinie (SachschERL) des BMI vom 28.03.2019 hinzuweisen (SachschERL GMBl. 2019, S. 315).

Mehr zum Thema Aktuelle Fragestellungen und neue Entscheidungen rund um das Dienstunfallrecht erläutern die Autoren in zwei Praxisseminaren des Behörden Spiegel am 14. Mai 2020 in Düsseldorf und am 29. Oktober 2020 in Berlin. Anmeldung und Programm unter www.fuehrungskraefteforum.de, Suchwort “Dienstunfall”

MELDUNG

Wippeneffekt (BS/jf) Die Zuführungen an die Versorgungsrücklage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sind enorm gestiegen. Von rund 23 Mio. Euro im Jahr 2013 auf über 100 Mio. Euro im Jahr 2020. Grund ist nicht nur der massive Personalaufbau in der Behörde.

Waren 2013 noch 1.644 Beamte in der BaFin tätig, sind es im vergangenen Jahr 2.089 Beamte gewesen. Neben dem Personalaufwuchs kommt eine zweite Ursache zum Tragen. In dem Maße, in dem der Rechnungszins sinkt, müssen die Zuführungen angehoben werden,

damit sich der Barwert der zukünftigen Pensionen erhöht. Lag der Rechnungszins 2013 noch bei 3,95 Prozent, ist er auf 2,11 Prozent im Jahr 2019 gesunken, wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP im Bundestag (Drucksache 19/15730) antwortete.


Zahlen & Daten

Behörden Spiegel / Februar 2020

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Glücksspielregulierung im Online-Markt (BS/lkm) Künftig sollen alle Bürger, die im Internet Glücksspiele nutzen, also zum Beispiel eine Sportwette auf ein Fußballspiel abschließen oder Casinospiele spielen, in einer zentralen Datenbank erfasst werden. So sehen es die Entwürfe für den neuen Glücksspielstaatsvertrag (ab 2021) vor. Für jeden Spieler soll dazu bei einer neuen Behörde ein Konto eingerichtet werden. Die zentrale Behörde soll kontrollieren, dass jeder Spieler maximal 1.000 Euro im Monat einsetzt. Befürworter dieser Maßnahmen wollen damit Spielsucht bekämpfen. Gegner sehen darin einen zu starken Eingriff in die Freiheitsrechte der Betroffenen. Der Behörden Spiegel, der die Fachzeitschrift “Beiträge zum Glücksspielwesen” herausgibt, beauftragte dimap, die Bundesbürger nach ihrer Meinung zu dieser Regulierung zu befragen. Hier die Ergebnisse.

Dass jeder Spieler per Gesetz maximal 1.000 Euro im Monat einsetzen darf, ist nach Meinung der Befragten

Antwortverhalten der Parteianhänger

angemessen.

zu weit gehend.

zu weit gehend.

55

41

57

39 angemessen.

52

38 38

60 28

Keine Angabe

65 74

24

Jeden Spieler in einer zentralen Datenbank zu erfassen, ist nach Meinung der Befragten

Antwortverhalten der Parteianhänger angemessen.

zu weit gehend.

zu weit gehend.

55

41

59

38 33

65

angemessen.

64

26 26 Keine Angabe

72 75

25

Antwortverhalten der Parteianhänger

Erwartete Gefahr der Zweckentfremdung

Sehr / eher groß Sehr / eher groß

Eher / sehr gering

12

82 79

19 73

25

68

Eher / sehr gering

26

65

25

Keine Angabe

58

Erwartete Gefahr durch Hacker

Antwortverhalten der Parteianhänger Sehr / eher groß

Sehr / eher groß

11

87

11 8

84

Keine Angabe

SPD

11

81

Eher / sehr gering

Bündnis 90 / Die Grünen

76

FDP

Die Linke

Eher / sehr gering

88

85

CDU / CSU

38

AfD

14 22 Quelle: dimap-Befragung im Auftrag des Behörden Spiegel | wahlberechtigte Bevölkerung ab 18 Jahren in Deutschland | n=1.006 | 04.02. bis 06.02.2020


Bund / Länder

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Fehlentscheidung mit Nachteilen!

D

ie Probleme bei der Nachwuchskräftegewinnung für die technischen und naturwissenschaftlichen Bereiche sind zum Teil durch die zu niedrige Bezahlung während der Laufbahnausbildung und die Bezahlung im Einstiegsamt begründet. Insofern sind die Anwärterbezüge für die technischen und naturwissenschaftlichen Fachverwaltungen deutlich anzuheben. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass fast alle Laufbahnausbildungen der technischen Bereiche, eine abgeschlossene und eigenfinanzierte Berufsausbildung bzw. ein Studium voraussetzen. Mit weniger qualifizierten Nachwuchskräften können die großen Herausforderungen im Öffentlichen Dienst auf dem Gebiet der Technik nicht geleistet werden. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass ein Autodidakt im Bereich des Strahlenschutzes Messungen durchführt und Schutzmaßnahmen veranlasst. Gleiches gilt für die Statik im Baubereich. Auch eine Verkürzung der

Ein Kommentar zur Absenkung von Zugangsvoraussetzungen im technischen Bereich (BS/Jan-Georg Seidel) Die Aufgaben in den technischen Fachverwaltungen des Öffentlichen Dienstes sind stetig komplexer geworden und die Ansprüche an die Beschäftigten, wie z. B. bei einer Öffentlichkeitsbeteiligung oder durch neue Gesetze etwa im Strahlenschutz, sind zeitgleich gestiegen. Insofern ist es nicht möglich, ohne Nachteile für das Gemeinwohl, bei der Sicherheit, der Gefahrenabwehr und der kompetenten Partizipation, die Qualifikationsvoraussetzungen als Zugangsvoraussetzungen zu senken. Laufbahnausbildungen in den technischen Fachverwaltungen ist nicht zielführend, da die gut ausgebildeten Techniker, Meister, Ingenieure und Naturwissenschaftler auch im verwaltungsrechtlichen Handeln und in der Organisationsstruktur der öffentlichen Verwaltung und ihren Arbeitsweisen qualifiziert werden müssen. Es gibt hier zahlreiche Beispiele, die aufzeigen, wie wichtig gut qualifizierte und verwaltungsrechtlich kompetente Mitarbeiter sind. Wenn im Strahlenschutz keine qualifizierten Ingenieure oder Naturwissenschaftler eingesetzt werden, kann es in der

Tat bei einem Unfall mit einer technischen oder medizinischen Strahlenquelle zu fachlichen Fehlentscheidungen kommen. Genauso fatal wäre es, wenn eine Anordnung im Bereich des Strahlenschutzes verwaltungsrechtlich falsch und damit unwirksam wäre.

In Ausbildung investieren Im Bereich des Hochbaus zeigt sich seit Jahren, dass es ohne eigene qualifizierte Fachkräfte nicht geht. Wenn die öffentliche Hand ihre Bauherrenfunktion nicht qualifiziert wahrnimmt, wird eine Baumaßnahme durch nachträgliche Ansprüche von

Buzzword-Bingo beenden (BS) Sie gehen schnell über die Lippen: Begriffe, die in aller Munde sind. Von agiler Verwaltung über Digitalisierung und Zukunftsfähigkeit geht der Reigen. Doch will man an die Umsetzung, dann geht dies nur über beurteilen, beteiligen, beginnen und beharrlich bleiben.

Zunächst gilt es, die inneren und äußeren Treiber zu beurteilen. Welche davon erfordern wirklich eine Veränderung und, wenn ja, welche? Danach muss passend dazu die eigene (persönliche) Reife, die der Organisation und die des Führungskreises beurteilt werden. Ohne diese schonungslose Analyse des gesamten Systems wird die Aufgabe kaum nachhaltig umsetzbar sein. Denn Veränderungen funktionieren nur mit dem System, nie gegen das System. Suchen Sie Mitstreiter aus allen Ebenen, mit denen Sie Vision, Missionen und Ziele etablieren. Die Vision dient der grundsätzlichen Ausrichtung und Orientierung; das ist Führungsaufgabe. Aber bereits beim Finden von passenden Missionen und Zielen beginnt die Beteiligung von Mitarbeiter/-innen. Schnell ins Handeln zu kommen, ist die nächste Devise. Es

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom.

Foto BS/privat

müssen nicht alle Missionen und Ziele klar und zu Ende definiert sein – beginnen Sie mit ersten Schritten so schnell wie möglich. Bringen Sie sich und die Organisation in Bewegung. Verändern Sie etwas in Ihren Routinehandlungen und kommunizieren Sie diese Veränderung aktiv; bringen Sie diese mit der Vision in Verbindung. Rechnen Sie mit latenter Verharrungsenergie. Neben positiven Akteuren und anpackenden

Kräften müssen diese Bremsfaktoren einkalkuliert werden. Geben wir ihnen nicht zu viel Raum; die positiven Akteure brauchen viel Zuspruch und Hilfe bei Rückschlägen. Wenn irgend möglich, machen Sie diese Betroffenen ebenfalls dosiert zu Beteiligten. Beispielsweise erhalten sie den Auftrag, den Diabolo-Part zu übernehmen und wertvolle Stolpersteine zu identifizieren. Negative Energie wird kanalisiert. Mit langem Atem können aus Buzzwords neue Verhaltensmuster entstehen. Wie neue Führungskraft in der Behörde entfaltet werden kann, ist Gegenstand der Veranstaltung “Zukunft Führung” am 18. und 19. Juni 2020 in Höhr-Grenzhausen. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Zukunft Führung”.

Rekordinvestitionen getätigt Beteiligungsbericht Berlin 2019 (BS/Katarina Heidrich) Die Beteiligungsunternehmen des Landes Berlin haben das Geschäftsjahr 2018 mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen. Darüber hinaus haben die Investitionen ein Rekordniveau erreicht. Der größte Verursacher für die Defizite ist weiterhin der sich im Bau befindliche Flughafen Berlin Brandenburg (BER). “Mit einem Gesamtüberschuss von 654 Millionen Euro verbesserten die Gesellschaften das gute Ergebnis des Vorjahres noch einmal deutlich”, wie Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz berichtet. “Die Investitionsleistung über alle Unternehmen wurde im Jahr 2018 auf mehr als 3,2 Milliarden Euro gesteigert und liegt damit 30 Prozent über dem Vorjahresniveau. Im Jahr 2015 beliefen sich die Investitionen auf ein Volumen von zwei Milliarden Euro.“ Berlin hat 54 Beteiligungsunternehmen, davon erzielten 44 im Geschäftsjahr 2018 ein positives oder ausgeglichenes Ergebnis. Im Vorjahr waren das noch fünf mehr. Zehn Unternehmen wiesen negative Zahlen aus; drei mehr als im Vorjahr. Den höchsten Überschuss fuhren die Wasserbetriebe mit knapp 194 Millionen Euro ein. Größter Verlustbringer war im vergangenen Jahr erneut die Flughafengesellschaft. Sie verbuchte 77 Millionen Euro Verluste und ist damit für 90 Prozent der Defizite verantwortlich. Dessen ungeachtet tätigte die GmbH mit 37-prozentiger Landesbeteili-

Behörden Spiegel / Februar 2020

Baufirmen teuer und eine qualifizierte Bauabnahme kann auch nicht erfolgen. So werden Baumängel nicht erkannt. Insbesondere der Einsatz von Beratern statt eigenen Fachkräften hat jüngst gezeigt: Nichts wird besser, dafür aber teurer. Insofern ist es höchste Zeit, dass Bund, Länder und Kommunen stark in die Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung von Fachkräften investieren. Ebenso braucht es für eine erfolgreiche Lebensmittelüberwachung qualifiziertes, wissenschaftlich ausgebildetes Personal im Vollzug in den Kreisen und kreisfreien Städten. Staatlich geprüfte Lebensmittelchemiker/innen sind speziell dafür ausgebildet. Wenn beispielsweise Kompetenzen auf dem Gebiet der Toxikologie und der chemischen Analytik fehlen, wird es für Verbraucher gefährlich. In 90

gung mit 418 Millionen Euro die dritthöchsten Investitionen aller 54 Unternehmen. Die übrigen Verluste verteilen sich auf kleinere Beteiligungen – vor allem aus dem Kulturbereich. Aber auch etwa das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg steht nach der Kunst- und Ausstellungshalle an dritter Stelle mit 1,2 Millionen Euro Minus.

Investitionshoch Die größten Zuführungen durch das Land erhielten mit 605 Millionen Euro die Verkehrsbetriebe. Besonders in den Bereichen

Wohnungsbau und Verkehrsinfrastruktur wurde am stärksten investiert. Kollatz betont: “Der Anteil der städtischen Wohnungsbaugesellschaften an den Investitionen machte mit 1,6 Milliarden Euro die Hälfte der Gesamtsumme aus. Dies zeigt den hohen Stellenwert von Wohnungsbau und Erwerb von Wohnungsportfolios durch die öffentliche Hand.” Berlin hält fünf hundertprozentige Beteiligungen in der Wohnungswirtschaft und eine zu fast 97 Prozent. Die Verbindlichkeiten summierten sich 2018 auf 16,9 Milliarden Euro.

Foto: BS/Fieseler

Prozent der Überwachungsbehörden in Deutschland sind aber keine staatlich geprüften Lebensmittelchemiker/-innen beschäftigt. Ausschreibungen erfolgen zunehmend mit einer abgesenkten Eingangsvergütung. Das hat zur Folge, dass es an qualifizierten Bewerbungen fehlt. Das nicht wissenschaftlich ausgebildete Personal muss diese Aufgaben dann teilweise miterledigen, ohne die entsprechenden Vergütungen oder auch die entsprechenden Qualifizierungen zu bekommen. In die Haushaltspläne müssen entsprechende Stellen eingestellt werden. Dabei ist statt einer Absenkung der Eingangsvergütung auch

Stichwort Arbeitsbedingungen Im Bereich der Geodäten (Bachelor/Master) werden nach Aussagen der Arbeitsgemeinschaft nachhaltige Landentwicklung in den nächsten Jahren 800 Ingenieure für die Flurneuordnung benötigt. Da es nicht mehr gelingt, die Geodäten (Bachelor) auf dem Markt zu finden, wurde für die Gewinnung von Nachwuchskräften mit der FH Mainz ein kombinierter Studiengang entworfen, in dem junge Menschen während des BachelorStudiums an der FH Mainz in der vorlesungsfreien Zeit ihre Laufbahnausbildung absolvieren (auch genannt “die Ochsentour”). In allen beteiligten Fachrichtungen ist neben einer fundierten Ausbildung (Lehre, Studium) auch noch fundiertes Verwaltungswissen notwendig, das in der Laufbahnausbildung vermittelt wird. Aber: Junge neue Kolleginnen und Kollegen schreckt nicht die Laufbahnausbildung ab, sondern vielmehr die schlechte Bezahlung während der Laufbahnausbildung und die zu geringe Bezahlung im Einstiegsamt. Ein weiteres wichtiges Kriterium sind die Arbeitsbedingungen, Stichwort familienfreundlicher Arbeitgeber. Viele Dienststellen hängen hier den hochgestochenen Zielen der Politik weit hinterher bzw. setzen die Vorgaben der Politik nicht um.

Die Kontrolle behalten Wie detailliert müssen Gesetze beim Datenschutz sein? (BS/Dr. Thomas-Peter Gallon) Schon bald nach Inkrafttreten der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat der Berliner Senat im Sommer 2016 in einer Rechtsverordnung nahezu jedes Detail erfasst, das Stadtreinigung, Verkehrs- und Wasserbetriebe als personenbezogenes Datum verarbeiten dürfen. So wird zum Beispiel vom Vornamen bis zur Bankverbindung in acht Punkten genau gelistet, was die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) über ihre Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein notieren dürfen. Drei Jahre später hat sich der Senat im Entwurf des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) dagegen ganz lapidar auf einen einzigen Satz beschränkt, um den Umgang mit Daten über Menschen bei einer Beschwerdestelle zu regeln: “Die Ombudsstelle darf personenbezogene Daten verarbeiten, soweit dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist”, heißt es im Entwurf. Welcher Weg ist für die Rechtsgrundlage nun nötig – so detailliert wie möglich oder so allgemein wie nötig? Das kommt darauf an. Die DSGVO erlaubt in ihrem Artikel 6 die Verarbeitung zur Erfüllung eines gesetzlichen Auftrages oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse. Für beide Fälle verlangt die DSGVO aber zusätzlich eine Spezifizierung des gesetzlichen Auftrages oder der öffentlichen Aufgabe. Diese Spezifizierung muss i. d. R. in einem nationalen Gesetz (oder einer Verordnung oder Satzung) stehen. Auf den konkreten Auftrag oder die konkrete Aufgabe kommt es dabei an, also auf den genauen Zuschnitt und die Zuordnung einer Zuständigkeit.

Inhalt der Aufgabe ist entscheidend

Weiterhin menschenleer und trotzdem der größte Verlustbringer in Berlin: der Flughafen Berlin Brandenburg (BER). Foto BS/geraldfriedrich2, pixabay.com

Jan-Georg Seidel ist der Bundesvorsitzende der BTB Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft im DBB Beamtenbund und Tarifunion.

eine Entwicklungsperspektive vorzusehen.

Der Zweck der Verarbeitung steht im Vordergrund der Forderung nach der Rechtsgrundlage, nicht aber die Details, welche Daten an welchem Punkt im Arbeitsverlauf oder in welcher Form genau verarbeitet werden dürfen. Der Landesgesetzgeber hat den Datenschutz in Berlin Mitte 2018 an die DSGVO angepasst. Paragraf 3 des neu gefassten Datenschutzgesetzes für Berlin erklärt – befristet bis Mitte 2020 – die Verarbeitung auf Personen bezogener oder beziehbarer Daten im öffentlichen Sektor u. a. für zulässig, wenn diese Verarbeitung zur Erfüllung einer dienstlichen – also öffentlichen – Aufgabe erforderlich ist. Aus der Begründung wird deutlich, dass auch diese Regelung stets eine “gesonderte Rechtsvorschrift” voraussetzt, in der “bestimmte Aufgaben oder die Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen wurden”. Auch hier geht es also um den Inhalt der Aufgabe und nicht um die Details der Verarbeitung von

Daten. Und die Befristung ist danach wohl als ein Anreiz zu sehen, solche Vorschriften schnell zu schaffen, wo sie denn noch fehlen. Und den Datenschutz dabei jeweils mit zu bedenken. Auch wenn also die Details einer Verarbeitung offenkundig nicht im Mittelpunkt der geforderten Rechtsgrundlage stehen, sondern der Inhalt der Aufgabe, um derentwillen die Daten verarbeitet werden, so hat die detaillierte Rechtsetzung wie z. B. bei den Berliner Betrieben unter Umständen sehr wohl ihren Sinn. Zum Beispiel, wie hier, in einem Massengeschäft. Denn sie enthebt die Verantwortlichen und die Mitarbeitenden davon, in jedem Einzelfall den Nachweis zu führen, dass eine Verarbeitung von Daten zu der Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist. Etwaige Beschwerden sind bitte an den Verordnungsgeber zu richten. Denn der hat hier ein für alle Male festgelegt, welche Daten wie zu verarbeiten sind und er hat seine Festlegung bereits im Einzelnen mit der Notwendigkeit zur Erfüllung der gestellten Aufgabe begründet. Je individueller jedoch das Geschäft, desto weniger wird man die dafür nötige Datenverarbeitung im Vorhinein festlegen können. Es sei dahingestellt, wie genau man das z. B. bei einer Beschwerdeberatung machen kann. Jedenfalls gilt Folgendes: Je allgemeiner die Erlaubnis, desto größer die Pflicht, im konkreten Fall nachzuweisen, dass eine bestimmte Datenverarbeitung zur Erfüllung einer Aufgabe erforderlich war.

Allgemeine Erlaubnis ­überflüssig Ist die allgemeine Erlaubnis (etwa in den Worten: “… darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben Daten verarbeiten …”) also der Königsweg für die Formulierung einer Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung, wenn sich eine Zuständigkeit in der Praxis aus sehr vielen sehr verschiedenen Vorgängen zusammensetzt, wie z. B. im klassischen ministeriellen Geschäft? Nein. Denn die völlig unspezifische Erlaubnis ist aus meiner Sicht schlicht überflüssig. Lasst sie doch weg. Welche

Dr. Thomas-Peter Gallon ist Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Berlin. Dort setzt er ein Projekt zum Datenschutz als Maßnahme der Organisationsentwicklung um. Foto: BS/privat

Beschwerdestelle kommt ohne Verarbeitung personenbezogener Daten aus? Wenn das Gesetz die Stelle selbst einrichtet, ihre Aufgabe bestimmt und die Verantwortung zuweist, ist der Forderung des Datenschutzes nach einer Rechtsgrundlage Genüge getan. Wer verantwortlich ist, muss so oder so den Nachweis führen, dass eine bestimmte Datenverarbeitung zur Erfüllung einer Aufgabe notwendig war – gleich, ob das Gesetz die Klausel mit sich schleppt, dass dazu im Grundsatz Daten zu verarbeiten sind. Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.


Bund / Länder

Behörden Spiegel / Februar 2020

B

ehörden Spiegel: Herr Stüb­ gen, welche Themen stehen auf Ihrer Agenda als neuer Bran­ denburger Innenminister? Stübgen: Ich habe ein tolles Haus mit sehr engagierten Mitarbeitern übernommen. Ich setze in meinem Ministerium stark auf Teamarbeit. Einen Schwerpunkt sehe ich thematisch bei der Digitalisierung in unserem Geschäftsbereich. Da geht es unter anderem um entsprechende Prozesse in der öffentlichen Verwaltung, vor allem in der Kommunalverwaltung. Das haben wir auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Bei uns soll das Onlinezugangsgesetz weitgehend bis 2022 umgesetzt sein. Schon bis Mai dieses Jahres wird die elektronische An-, Ab- und Ummeldung von Kraftfahrzeugen in allen brandenburgischen Landkreisen und kreisfreien Städten möglich sein.

Polizeistärke deutlich erhöhen Brandenburgs Innenminister will Sicherheitsbehörde stärken (BS) Er ist der neue brandenburgische Innenminister: Michael Stübgen. Der CDU-Politiker, der zuvor lange Mitglied des Deutschen Bundestages war, möchte die Polizeipräsenz im Land erhöhen. Dafür sollen zahlreiche neue Anwärter eingestellt werden. Außerdem verteidigt er die automatische Kennzeichenerfassung gegen Kritik. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Redakteur Marco Feldmann. nenministerkonferenz einbrin­ gen? Stübgen: Wir überlegen, das Thema automatische Kennzeichenerfassung in die Innenministerkonferenz einzubringen. Eine endgültige Entscheidung ist hierzu allerdings noch nicht gefallen. Behörden Spiegel: Wie stehen Sie zur Idee eines Musterpolizei­ gesetzes?

Behörden Spiegel: Und wie sieht es im Bereich der Inneren Sicherheit aus? Stübgen: Wir haben im Koalitionsvertrag einen Ausbau der Polizeistärke vereinbart. Bis zum Ende der Legislaturperiode wollen wir in Brandenburg auf mindestens 8.500 Personalstellen bei der Polizei kommen. Das umzusetzen, ist eine große Herausforderung, da wir zahlreiche Altersabgänge bei der Polizei haben. Um die auffangen zu können, wurden die Ausbildungskapazitäten gesteigert. Wir wollen jedes Jahr 400 Polizeianwärter in die Ausbildung nehmen. Wir werden auch noch zusätzliche Unterkünfte für die Anwärter errichten. Dafür werden derzeit die

B

ereits vor zehn Jahren wurde der Missbrauchsskandal am katholischen Berliner CanisiusKolleg aufgedeckt. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zieht dennoch eine kritische Bilanz der bisherigen Anstrengungen gegen Missbrauch in Deutschland. Sein Fazit: “Es ist leider keine positive Bilanz. Die Gesellschaft muss erkennen, dass es sich um ein Megathema handelt, das alle angeht. Ich bin immer wieder erschrocken darüber, mit welcher Gelassenheit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von

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Michael Stübgen (CDU) ist Innenminister Brandenburgs. Zuvor war er seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2018 bis 2019 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Foto: BS/Feldmann

notwendigen haushälterischen Grundlagen geschaffen. Behörden Spiegel: Wie wollen Sie diese Anwärter gewinnen? Stübgen: Dafür wollen und müssen wir die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes verbessern. Denn wir stehen in Konkurrenz zu Berlin, wo darüber hinaus noch zahlreiche Bundesbehörden angesiedelt sind. Wenn es da große Unterschiede in den Einkommen

gibt, ist es schwer, Anwärter für den Polizeidienst in Brandenburg zu gewinnen und sie auch tatsächlich längerfristig ans Land zu binden. Deshalb wollen wir Konzepte entwickeln, um die Attraktivität des gesamten Öffentlichen Dienstes – auch im Wettbewerb mit der privaten Wirtschaft – weiter zu erhöhen. Das gilt längst nicht nur für die Polizei. Behörden Spiegel: Welche ­P rojekte wollen Sie in die In­

Stübgen: Die Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern ist mir sehr wichtig. Gleiches gilt für die Kooperation mit benachbarten Staaten, etwa Polen. Aus meiner Sicht sollten alle Bundesländer im Polizei- und Sicherheitsbereich zumindest vergleichbare Strukturen und Rechte aufweisen. Miteinander kollidierende Strukturen und Befugnisse darf es auf keinen Fall geben. Behörden Spiegel: Bei Ihnen in Brandenburg gibt es derzeit heftigen Streit um die automa­ tische Kennzeichenerfassung KESY, auch mit der Landesda­ tenschutzbeauftragten. Wie geht es da weiter? Stübgen: KESY ist in Brandenburg bereits seit zehn Jahren im Einsatz. Wir müssen das System

Mehr Engagement verlangt Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch intensivieren (BS/Katarina Heidrich) Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verzeichnet für das Jahr 2018 in Deutschland über 12.000 der Polizei bekannt gewordene Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Anzeigen beziehen sich zu etwa 75 Prozent auf betroffene Mädchen und zu 25 Prozent auf betroffene Jungen. Hinzu kommen Anzeigen von sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Jugendlichen sowie über 9.000 Fälle sogenannter Kinder- und Jugendpornografie. Hierbei handelt es sich nur um das Hellfeld. Teilen der Gesellschaft hingenommen wird.” Tausende Kinder würden jährlich Opfer von sexuellem Missbrauch, sexuellem Mobbing, Cyber Grooming oder Kinderpornografie. Missbrauchsabbildungen durchfluteten mittlerweile in Terrabyte-Dimensionen das Netz. “Wir brauchen klare Ziele, verbindliche Maßnahmen und aus-

reichend Geld, um Missbrauch aufzudecken und Kinder endlich besser zu schützen”, so Rörig.

Missbrauchsbekämpfung ist nationale Aufgabe Das zentrale Ziel sei die maximale Reduzierung der Fallzahlen. Hierfür müsste die Missbrauchsbekämpfung endlich als

nationale Aufgabe verstanden werden – von Gesellschaft und Politik gleichermaßen. Für ein Gelingen dieser fordert Rörig wiederholt die Vorratsdatenspeicherung, auf deren Einsatz er mit der geplanten Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes hofft. “Datenschutz darf nicht vor Kinderschutz stehen”, argumen-

erhalten. Es ist ein wichtiges Ins­trument zur Verbrechensbekämpfung. Außerdem müssen wir hier differenzieren. Einerseits gibt es den Fahndungsmodus von KESY, der sehr erfolgreich angewendet wird. Zum anderen existiert der Aufzeichnungsmodus. Hierbei handelt es sich nicht – wie oftmals fälschlicherweise behauptet – um eine Vorratsdatenspeicherung. Dieser Modus wird nur auf richterlichen Beschluss hin und nach Anordnung durch die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft genutzt. Behörden Spiegel: Können Sie denn die Kritik der Landesda­ tenschutzbeauftragten nachvoll­ ziehen? Stübgen: Die Datenschutzbeauftragte hat die Datenlagerung im Zusammenhang mit KESY zu Recht bemängelt. Wir haben inzwischen allerdings bereits reagiert. So wurde der Zugang für Ermittler zu den Daten massiv eingeschränkt. Außerdem haben wir für eine stärkere Formalisierung der staatsanwaltschaftlichen Anordnung gesorgt und die KESY-Datenwolke wird jetzt strukturierter genutzt. Wir konnten zwischenzeitlich auch bei zahlreichen Ermittlungsaufträgen Löschfreigaben von den zuständigen Staatsanwaltschaften einholen. Die überwiegende

tiert der Missbrauchsbeauftragte. Zudem müssten alle zuständigen Behörden und Institutionen viel enger und ressortübergreifend zusammenarbeiten. Aufgabe der Länder und Kommunen sei es außerdem, diese personell besser aufzustellen. Jedes Land solle, so Rörig, einen “durchsetzungsstarken” Landesmissbrauchsbeauftragten einsetzen. Jede Schule brauche ein verpflichtendes Schutzkonzept. Darüber hinaus fordert Rörig eine Aufklärungskampagne in derselben Dimension wie die der Anti-Aids-Kampagne. “Hierfür benötigen wir circa fünf Milli­ onen Euro pro Jahr”, so der Be­auftragte. Finanzmittel, die bis

Menge der aufgelaufenen Daten konnte so vom Server entfernt werden. Behörden Spiegel: Planen Sie eine Strukturreform bei der Bran­ denburger Polizei? Stübgen: Nein, ich plane keine Strukturreform. Das bestehende System ist tragfähig und handhabbar. Ich will es weiterentwickeln, nicht auf den Kopf stellen. Ich bin generell kein Freund fundamentaler Strukturreformen. Das gilt übrigens auch für die Organisation des Verfassungsschutzes in Brandenburg als Abteilung meines Hauses. Ich werde kein eigenständiges Landesamt für Verfassungsschutz schaffen. Behörden Spiegel: Sie haben kürzlich den Leiter Ihrer Verfas­ sungsschutzabteilung von der weiteren Dienstausübung ent­ bunden. Ihr Polizeipräsident ist regulär in den Ruhestand ge­ gangen. Wie steht es hier um die Nachfolgen? Stübgen: Beide Stellen sollen möglichst zeitnah neu besetzt werden. Es handelt sich jedoch um Posten, die mit politischen Beamten besetzt werden. Deshalb ist eine Befassung des Landeskabinetts sowie dessen Zustimmung bei der Besetzung erforderlich. Für die Leitung des Verfassungsschutzes konnten wir mit Jörg Müller einen versierten Fachmann gewinnen. Er ist ein Brandenburger Eigengewächs und seit fast 20 Jahren bei uns im Innenministerium. Auch für den Posten des Polizeipräsidenten werden wir sicherlich in Kürze soweit sein, einen Personalvorschlag präsentieren zu können.

Die Zahlen von Missbrauchsfällen von Kindern sind 2018 im Vergleich zum Vorjahr angestiegen; Mädchen machen etwa zwei Drittel der Opfer aus. Foto: BS/Counselling, pixabay.com

heute nicht in den Bundeshaushalt eingestellt worden seien. Die Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs müsse zum “Megathema” gemacht werden.


Finanzen

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Behörden Spiegel / Februar 2020

Saarlandpakt geht an den Start Erste Kassenkredite durch Land übernommen (BS/lkm) Das Saarland hat zu Beginn des neuen Jahres die ersten Kassenkredite von Kommunen übernommen. Nachdem das Gesetz über den Saarlandpakt am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, haben bis Ende Januar 37 von 52 Kommunen ihre Teilnahme am Saarlandpakt erklärt und mittlerweile über 80 Millionen Euro Schulden auf das Land übertragen. In Berlin demonstrierten derweil einige Saar-Bürgermeister, um auch die Hilfe des Bundes bei der Altschuldenlösung einzufordern.

”M

it dem Saarlandpakt verbessern wir die Haushaltslage der Kommunen deutlich. Unser langfristiges Ziel ist es, dass die Kommunen ihre Kassenkredite vollständig abbauen, stabile Finanzen vorweisen und die Investitionskraft steigern können”, erklärte Saarlands Finanzminister Peter Strobel. Das Land will mit dem Saarlandpakt sukzessive kommunale Kassenkredite in Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro übernehmen, um die saarländischen Kommunen von ihrem hohen Kassenkreditbestand zu entlasten. Mit 29 Kommunen habe das Land bereits Übernahmevereinbarungen abgeschlossen. Diese Vereinbarungen, in denen die Übernahme der Kassenkredite konkret geregelt wird, sind die Voraussetzung für die technische Abwicklung. Weitere Übernahmevereinbarungen werden dem Finanzministerium zufolge zeitnah erstellt. Mit der Teilnahme am Saarlandpakt, so der Finanzminister, erhalten die Kommunen auch zusätzliche Investitionszuschüsse von jährlich 20 Millionen Euro vom Land, wodurch die Investitionskraft der Kommunen weiter gestärkt werde. Zudem erhöhe sich durch die Schuldenübernahme durch das Land die zulässige kommunale Kreditaufnahme für Investitionen. Der Saarländische Städte- und Gemeindetag begrüßte den Pakt: “Die kommunalen Haushalte gewinnen

dadurch neue, dringend erforderliche finanzielle Spielräume.” Die strukturelle Finanzschwäche der saarländischen Städte und Gemeinden könne der Pakt allein jedoch nicht beseitigen. Auch Finanzminister Strobel sieht den Bund mit der Pflicht: “Das Land hat mit dem Saarlandpakt bis an die Grenzen seiner eigenen Belastbarkeit die finanzielle Situation der Kommunen deutlich verbessert. Jetzt muss auch der Bund seinen Beitrag zur Überwindung der kommunalen Kassenkreditproblematik leisten und die saarländischen Kommunen unterstützen. Die entsprechende Initiative des Bundesfinanzministers ist ein positives Signal. Ich werde mich auch weiterhin bei den Kolleginnen und Kollegen beim Bund und den Ländern dafür einsetzen, dass sie uns bei der Lösung der Altschuldenproblematik helfen.” Das Saarland gehört neben Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen zu den Ländern mit der höchsten Kommunalverschuldung.

SOS – Saarland ohne Schulden Vor Kurzem demonstrierten deswegen rund 30 Saar-Bürgermeister unter dem Motto “SOS – Saarland ohne Schulden” in Berlin für eine Entschuldung ihrer Kommunen durch den Bund. Das Saarland selbst sei im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit bereits mit einer

mann-Roh, ihrerseits Solidarität. Die Verantwortlichen sollen den Weg für die von Bundesfinanzminister Olaf Scholz angebotene Altschuldenhilfe des Bundes frei machen, damit das Saarland keine “abgehängte Region” werde. Mit dem Saarlandpakt unterstützt das Saarland seit diesem Jahr seine Kommunen beim Schuldenabbau, fordert aber auch den Bund zur Mithilfe auf. Hier im Bild die Saarschleife, die bekannteste Sehenswürdigkeit in dem kleinen Bundesland. Foto: BS/Erich Westendarp, pixabay

Teilentschuldung durch den Saarlandpakt aktiv geworden, jetzt fehle nur noch die Solidarität auf der Bundesebene, kritisierten die betroffenen Bürgermeister. Eine positive finanzielle und wirtschaftliche Zukunft könne nicht ohne eine weitere Entlastung der Saar-Kommunen bei den Altschulden funktionieren. Der Saarländische Städte- und Gemeindetag (SSGT) betonte, dass die schwierige finanzielle Situation nicht auf Misswirtschaft oder Verschwendung, sondern auf strukturellen Gründen beruhe. So gehöre das Saarland wie die ostdeutschen Bundesländer zu den “neuen Bundesländern”, sei aber bei seinem Beitritt zum Bundesgebiet 1957 nicht mit einem Solidarpakt und den entsprechenden Mitteln zum Aufbau empfangen worden. Auch wurde der Strukturwandel der Montanindustrie in den sechziger und siebziger Jahren nicht mit Strukturhilfen begleitet.

Schulden für den Klimaschutz Grüne wollen Investitionen über Kredite finanzieren (BS/lkm) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert neue Schulden, um in den Klimaschutz zu investieren. In einem Antrag an den Bundestag argumentiert die Fraktion, dass angesichts “der Klimakrise und der enormen Investitionsbedarfe bei Digitalisierung, öffentlicher Infrastruktur, Bildung, Wohnungsbau, Mobilität” die Möglichkeiten der “Kreditfinanzierung von Investitionen” genutzt werden sollten. Das Land lebe von seiner Substanz. Es brauche mehr Investitionen in die Zukunft. Eine stärkere Investitionspolitik stehe dabei auch im Zeichen der Generationengerechtigkeit. “Denn zukünftige Generationen haben nichts davon, wenn sie in ein paar Jahrzehnten zwar mit einer schwarzen Null, aber auch mit einer maroden Infrastruktur und zerstörten Lebensgrundlagen dastehen”, heißt es im Antrag. Nach Auffassung der Fraktion soll die im Grundgesetz veran-

kerte Schuldenbremse mit einer “verbindlichen Investitionsregel” verknüpft werden. Damit verlässliche Finanzzusagen für Investitionen möglich sind, soll für Nettoinvestitionen eine Neuverschuldung bis zu einem Prozent des BIPs möglich sein, solange der Schuldenstand unter der Maastricht-Marke von 60 Prozent liegt. Diese Gelder sollen in einen Bundesinvestitionsfonds überführt werden, der als Sondervermögen im Bundeshaushalt nicht der Jährlichkeit des

Haushalts unterliegt. “So werden pro Jahr 35 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen mobilisiert”, führt die Fraktion aus. Mehr Geld für Investitionen allein reiche jedoch nicht, es brauche eine Personaloffensive. Sowohl in der Bauwirtschaft als auch in den Planungsabteilungen der Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen müssten in allen relevanten Bereichen die Kapazitäten erhöht werden. Zudem müssten die Planungsverfahren schlanker werden.

MELDUNGEN Vom Zuwachs des Steueraufkommens profitierten alle Ebenen, allerdings in unterschiedlichem Maße: Während die Einnahmen des Bundes um 2,1 Prozent stiegen, konnten die Länder Zuwächse von 3,3 Prozent und die Gemeinden von 5,8 Prozent verbuchen. Grund für die steigenden Steuereinnahmen seien vor allem die anhaltend positive Entwicklung des Arbeitsmarkts sowie steigende Löhne und Gehälter in Deutschland gewesen. Zudem habe sich die gute binnenwirtschaftliche Nachfrage in einem entsprechenden Wachstum der Steuern vom Umsatz niedergeschlagen.

9,6 Milliarden zusätzlich (BS/lkm) Seit diesem Jahr gilt die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Gegenüber dem zuletzt gültigen Länderfinanzausgleich erhalten die Länder damit 9,6 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund. Im Gegenzug erhält der Bund mehr Kompetenzen in der Steuerverwaltung sowie bei Investitionen in Schulen und Straßen. In absoluten Zahlen betrachtet, scheint Nordrhein-Westfalen der größte Profiteur der neuen Regelung zu sein. Das Land erhält rund 1,45 Milliarden Euro vom Bund. Auf die Einwohner umgerechnet, profitiert NRW jedoch am wenigsten. Nach einer Modellrechnung des Bundesfinanzministeriums (BMF) erhalten die Länder im Schnitt 116 Euro pro Einwohner. In

Die nicht beim Namen genannten Verantwortlichen sind unter andrem die südlichen Bundesländer. Denn Bedingung für eine Altschuldenhilfe seitens des Bundes ist, dass alle Bundesländer dieser zustimmen. Roland Schäfer, Erster Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und Präsident des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen, kritisierte, dass vor allem Bayern und BadenWürttemberg eine Altschuldenhilfe durch den Bund blockieren würden. In Bayern macht man daraus auch keinen Hehl. Zu den Ausgleichszahlungen für hoch verschuldete Kommunen sagte Finanzminister Albert Füracker (CSU): “Bayern wird auf keinen Fall die Zeche für die Versäumnisse anderer Länder

Zukunftsfähiges Beteiligungsmanagement 8. Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance (BS) Digitalisierung, Klimawandel, Mobilitätswende, Zuwanderung und Wohnungsknappheit stellen Bund, Länder und Kommunen vor enorme Herausforderungen. In diesem Zusammenhang kommt den Unternehmen von Bund, Ländern und Kommunen eine besondere Rolle zu. Dieser Rolle können sie bei gleichzeitig notwendiger Haushaltskonsolidierung nur gerecht werden, wenn bei der übergreifenden Steuerung öffentlicher Unternehmen alle Chancen ausgeschöpft werden. Dies erfordert ein über den Tellerrand blickendes, zukunftsfähiges Beteiligungsmanagement und eine verantwortungsvolle Corporate Governance. Im Mittelpunkt der diesjährigen Speyerer Tagung zu Public Corporate Governance stehen am 23. und 24. März daher unter anderem die zukunftsfähige Organisation des Beteiligungsmanagements, die Resilienz in öffentlichen Unternehmen, der Mehrwert durch Diversität im Top-Management öffentlicher Unternehmen, sowie aktuelle Entwicklungen von PublicCorporate-Governance-Kodizes. Hochkarätige Referentinnen und Referenten aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft tragen aus ihren jeweiligen Spezialgebieten vor, die dann im Kreise der Teilnehmer diskutiert werden. Abgerundet wird die Veranstaltung dieses Jahr erstmalig durch ein Beteiligungsmanager/-innen-Pa-

nel, bei dem Beteiligungsmanager ihre aktuellen Erfahrungen und Herausforderungen sowie “Best (und Worst) Practices” diskutieren sowie durch den bereits bekannten “PCG-Zukunfts-Slam” mit zweiminütigen Impulsvorschlägen dazu, was die Public Corporate Governance in den kommenden Jahren voranbringen wird. Die Tagung richtet sich an Beteiligungsmanagerinnen und -manager sowie Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter der öffentlichen Hand, Vorstände, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer in öffentlichen Unternehmen, Akteure der öffentlichen Finanzkontrolle sowie Politikerinnen und Politiker, Abgeordnete, Ratsmitglieder aus Bund, Ländern, Städten und

Kommunen, die als Aufsichtsräte oder als Entscheiderinnen und Entscheider in Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung und der öffentlichen Verwaltung verantwortlich sind. Universitätsabsolventinnen und -absolventen sowie Doktorandinnen und Doktoranden können sich über Karrieremöglichkeiten mit Führungskräften in diesem Feld austauschen. Für Teilnehmer aus dem Bereich der unmittelbaren Verwaltung werden 340 Euro Teilnehmerbeitrag berechnet. Sonstige Teilnehmer zahlen 410 Euro. Anmeldung über die Homepage der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer im Bereich Weiterbildung. Anmeldefrist ist der 9. März 2020.

Brandenburg schließt 2019 mit Defizit ab

Steuerplus (BS/lkm) Die Steuereinnahmen aus Gemeinschafts-, Bundes, und Ländersteuern von Bund, Ländern und Gemeinden stiegen im Haushaltsjahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um 3,1 Prozent auf 735,9 Mrd. Euro. Die gemeinschaftlichen Steuern haben mit 595,4 Mrd. Euro oder 80,9 Prozent den größten Anteil am Gesamtergebnis. Wie aus dem aktuellen Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums weiter hervorgeht, stiegen die Einnahmen aus Bundessteuern um 0,9 Prozent auf 109,5 Mrd. Euro. Die Ländersteuern verzeichneten einen Zuwachs von 8,1 Prozent auf 25,8 Mrd. Euro.

Als Energie- und Industrieland habe das Saarland über Jahrzehnte seinen Anteil für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Bundesrepublik erbracht und sich auch in den letzten 30 Jahren – obwohl selbst Haushaltsnotlage-Land – wie alle anderen westlichen Bundesländer am “Aufbau Ost” solidarisch beteiligt. Nun fordern die saarländischen Kommunen, an der Spitze der Präsident des Saarländischen Städte- und Gemeindetages, Bürgermeister Hermann Josef Schmidt ausTholey, der stellvertretende Präsident, Oberbürgermeister Jörg Aumann, Neunkirchen sowie die Geschäftsführerin Barbara Beck-

Nicht alle wollen die Altschuldenhilfe

bezahlen.” Bayern selbst nutze keine Kassenkredite und werde diese deshalb bei anderen Ländern auch nicht mit abbauen. Auch der Deutsche Landkreistag ist kein Befürworter der Altschuldenhilfe durch den Bund. Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, bezeichnet die Tilgung kommunaler Altschulden durch den Bund als “gigantische Fehlpriorisierung”. Dem Kommunalvertreter zufolge sollte sich der Bund stattdessen bei der kommunalen Steuerausstattung einbringen. Nur der Bund könne dafür sorgen, dass bei den Kommunen mehr Umsatzsteuer ankommt und diese auch gerechter – und zwar nach Einwohnern – verteilt werde. Henneke kritisiert, dass einige Länder den Kommunen lange Zeit zu wenig Finanzmittel zur Verfügung gestellt hätten. “Dieses Versäumnis sollte nicht der Bund als Retter in der Not bereinigen. Länder wie Niedersachsen, Hessen, Brandenburg oder Schleswig-Holstein haben beispielhaft vorgemacht, wie Entschuldung gelingen kann.”

NRW sind es dagegen aufgrund der hohen Bevölkerungszahl nur rund 81 Euro pro Kopf. Bremen und das Saarland profitieren im Vergleich zu den anderen Ländern besonders. Sie erhalten 400 Millionen Euro Sanierungshilfen im Jahr. “Es ist jetzt die Aufgabe der Länder, mit den zusätzlichen Mitteln verantwortungsvoll umzugehen und nicht schon wieder nach mehr Geld zu rufen. Die ständig zunehmende Umverteilung vom Bund auf die Länder hat längst das hinnehmbare Maß erreicht”, forderte Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, in Anbetracht der neuen Finanzströme in Richtung der Länder.

Deckung durch Rücklage vorgesehen (BS/lkm) Nach acht Jahren mit Überschüssen wird Brandenburg das Haushaltsjahr 2019 mit einem Defizit abschließen. Zum Ausgleich des Haushaltes muss Brandenburg das erste Mal seit 2010 auf die allgemeine Rücklage zurückgreifen. Noch ist diese mit rund zwei Milliarden Euro gut gefüllt. Aber für die kommenden Jahre sei mehr Ausgabendisziplin notwendig, mahnte Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange. “Die Finanzlage des Landes ist und bleibt trotz des Defizits gut, aber jede Ressource ist endlich – auch die finanziellen Möglichkeiten des Landes Brandenburg”, kommentierte Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange die Lage. Der vorläufige Finanzierungssaldo beläuft sich bereits auf ein Minus von 25,4 Millionen Euro zuzüglich der im vergangenen Jahr mit dem Nachtragshaushaltsgesetz bewilligten Zuführung zum Zukunftsinvestitionsfonds in Höhe von einer Milliarde Euro. Liegen die Zuführungen zu den Rücklagen in der Größenordnung des Jahres 2018, erwartet das Finanzministerium insgesamt einen Jahresfehlbetrag in Höhe von rund 190 Millionen Euro. Der Fehlbetrag sei jedoch nicht auf zurückgehende Einnahmen

zurückzuführen. Im Gegenteil: Die Einnahmen des Landes sind gegenüber dem Jahr 2018 leicht um 0,4 Prozent auf insgesamt rund 12,2 Mrd. Euro gestiegen. Vor allem die Steuereinnahmen wuchsen weiter. Sie stiegen um 2,2 Prozent auf 8,3 Mrd. Euro. Das ist für Brandenburg ein neuer Höchstwert. “Insgesamt betrachtet hat das Land derzeit kein Einnahmeproblem, obwohl man sich als Finanzministerin natürlich immer höhere Einnahmen wünschen würde”, sagte Lange. Zugleich stiegen aber auch die Ausgaben im vergangenen Jahr gegenüber 2018 deutlich an. Das Land hat 2019 erstmals mehr als 12 Milliarden Euro in einem Jahr an Ausgaben finanziert. Das dadurch entstehende Defizit könne derzeit ohne Weiteres aus

der vorhandenen Rücklage des Landes ausgeglichen werden. “Doch ist zu berücksichtigen, dass auch diese Rücklage endlich ist, wenn Einnahmen und Ausgaben des Landes dauerhaft nicht zur Deckung gebracht werden könnten”, betonte die Ministerin. Auf der Ausgabenseite müsse daher auf eine klare Prioritätensetzung geachtet werden. “Nicht alles, was möglicherweise wünschenswert ist, kann auch finanziert werden. Das muss man deutlich sagen, damit sich in Zukunft nicht strukturelle Ungleichgewichte in den Haushalt einschleifen, die mit einem – derzeit noch problemlos möglichen – Rückgriff auf die Rücklage dann nicht mehr bereinigt werden könnten”, mahnte Lange.


Behörden Spiegel / Februar 2020

Konsequent umsetzen “Entscheidend für den Erfolg ist, dass die späteren Nutzer ganz zu Anfang verbindliche Aussagen treffen, welche Bedarfe bestehen”, so Deuter auf dem diesjährigen Hamburger Vergabetag. In dieser Phase werde jedes Detail definiert, danach nichts mehr geändert. “Wenn in diesem Stadium ein WC an der Decke gewünscht wird, werden wir es auch so bauen”, verdeutlicht Deuter die zwingende Konsequenz, die sich aus der Planung ergibt. Wie intensiv die Nutzer einbezogen werden, zeigte er am Beispiel eines weiteren Klinikbaus auf dem 34 Hektar großen Areal des UKE, dem Neubau des Universitären Herzzentrums. 38 Workshops und Einzelabstimmungen seien durchgeführt worden, acht fixe Arbeitsgruppen hätten die Vorarbeiten durchgeführt, in die rund 100 Teilnehmer aus allen Bereichen des Klinikpersonals eingebunden gewesen seien.

Kosten- und terminstabiles Bauen in Hamburg (BS/Jörn Fieseler) Kostenstabiles Bauen und öffentliche Verwaltung erscheinen vielen als ein Widerspruch. Überteuerte Projekte wie der Flughafen in der Hauptstadt oder die Elbphilharmonie bestätigen dies. Doch die öffentliche Verwaltung ist besser als ihr Ruf. Es gilt, die Risiken richtig zu managen. Hamburg hat dafür einen eigenen Weg entwickelt. Doch nicht immer liegt es allein in der Hand des öffentlichen Auftraggebers. Deuters Fazit: “Nehmen Sie sich Zeit für die Planung vorher und seien sie konsequent in der Umsetzung, dann kann kostenstabil gebaut werden.” Dies Verfahren habe sich bewährt und werde bei der Weiterentwicklung des Geländes und der Liegenschaften bis 2050 angewendet. Mindestens sieben Bauvorhaben sollen noch umgesetzt werden, deren Projektvolumen jeweils im zweistelligen Millionenbereich liegt.

Nomenklatur für Projekte Maßgeblich für die Kostenbetrachtungen im UKE ist die Drucksache 20/6208 der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg mit Namen “kostenstabiles Bauen”. “Es geht vor allem um ein umfassendes Risikomanagement”, betont André Schnitzler vom Planungsstab in der Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg. Dies bestehe aus den drei Bestandteilen Vermeidung, Minderung und Übertragung. Das Risikomanagement fange schon beim “Fluch der ersten Zahl an”, ergänzt Michael Werner, Syndikusrechtsanwalt bei der DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungsund -bau GmbH. Oftmals würden der Politik entscheidungsfreundliche Baukosten präsentiert, bei denen jegliche Risikovorsorge weggelassen werde.

Erläuterten den Hamburger Weg für kostenstabiles Bauen: Dr.-Ing Olaf Bergen, Michael Werner, Dr. Martin Schellenberg, Moderator und fachlicher Leiter des Hamburger Vergabetages (Mitte), Eike Deuter und André Schnitzler. Foto: BS/Fieseler

Weitere Fehler seien eine unzureichende Projektstruktur und die Entwicklung der Baukosten über einen längeren Zeitraum. So sieht die Drucksache “kostengünstiges Bauen” vor, dass unter anderem Steigerungsraten bei der Preisentwicklung vorsorglich einberechnet werden. Darüber hinaus sollen projektbezogene Risikozuschläge von vornherein in die Ausgaben einberechnet werden, führt Schnitzler weiter aus. Andernfalls müsse die Verwaltung bei jeder Kostensteigerung das Parlament neu befassen, was wiederum Zeit und Geld und mitunter auch Nerven kosten würde. Diese Risikozuschläge werden, basierend auf den Planungsphasen der Honorarordnung für Ar-

chitekten und Ingenieure (HOAI), bei der Berechnung des Kostenrahmens zu Beginn der Grundlagenermittlung (Phase eins), der Kostenschätzung nach Abschluss der Vorplanung (Phase zwei) sowie der Kostenberechnung nach Abschluss der Entwurfsplanung (Phase drei) je nach Komplexität des Bauvorhabens berechnet. “Die Richtlinie hat sich bewährt”, unterstreicht Schnitzler. Nach sieben Jahren in der Praxis konnten 82 Projekte kostenstabil umgesetzt werden. Das Resultat: 2,2 Prozent Minderkosten als vorher veranschlagt. Bei 40 Prozent der Projekte habe es keine Nachfragen gegeben. Insgesamt habe sich die Transparenz über die finanziellen Aufwendungen deutlich erhöht.

Konsolidierung und Vereinfachung Vergaberegularien im hohen Norden in der Novellierung (BS/jf) Im zweiten Quartal 2020 soll in der Freien und Hansestadt an der Elbe eine neue Hamburger Vergaberichtlinie (HambVgRL) in Kraft treten, stellte Dr. Bettina Maaser-Siemers, Abteilungsleiterin der Finanzbehörde in Hamburg, fest. Diesen Prozess hat das Land Schleswig-Holstein schon abgeschlossen und gleichzeitig das Regelwerk stark vereinfacht. Letzteres hat man in Hamburg noch vor sich. Im Liefer- und Dienstleistungsbereich gebe es noch eine Vielzahl von Richtlinien, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften, beklagte Maaser-Siemers die derzeitige Regelungsdichte. Deshalb werde eine neue Richtlinie erarbeitet, “die sich am Ende wie ein Vergabeleitfaden lesen lässt”. Für den Bereich unterhalb der europäischen Schwellenwerte soll es künftig nur das Hamburger Vergabegesetz und darunter die HambVgRL geben. Damit soll im Liefer- und Dienstleistungsbereich das erreicht werden, was im Baubereich schon Realität ist.

Auf Nachhaltigkeitskriterien verzichtet Demgegenüber ist im Nachbarland Schleswig-Holstein die Vergabeverordnung (ShVgVo) bereits in Kraft. Zuvor wurde das Vergabegesetz Schleswig-Holstein (VGSH) novelliert. York Burow aus dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie Schleswig-Holsteins und Vorsitzender der Vergabekammer unterstreicht: “Wir wollten keine Regularien, die genauso kompliziert sind wie über den Schwellenwerten.” Die neue Richtlinie wurde deutlich verschlankt, indem redundante und deklaratorische Bestimmungen gestrichen worden sind. Stattdessen wurde auf die Vergaberegularien des Bundes verwiesen. Lediglich beim Mindestlohn und bei den repräsentativen Tarifverträgen im Öffentlichen Personennahverkehr weiche das VGSH ab. Im Gegenzug sei der vergaberechtliche Mindestlohn auf 9,99 Euro eingefroren worden und gelte ab einem Einzelauftrag von 20.000 Euro. Ebenso sind für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen sowie für Sektorenauftraggeber

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Es ist möglich

S

ieben Jahre hat es vom Beginn des Architektenwettbewerbes gedauert, bis die neue Kinderklinik auf dem Gelände des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in Betrieb genommen werden konnte – so, wie es geplant war. Die eigentliche Bauzeit erstreckte sich über den Zeitraum von 2014 bis 2017, berichtet Eike Deuter, Prokurist und Leiter Neubauprojekte der KFE-Klinik Facility-Management Eppendorf GmbH, einer Tochtergesellschaft des UKE. Eine stetige Überprüfung der Kosten sorgte dafür, dass am Ende von den veranschlagten 69,5 Mio. Euro Baukosten 400.000 Euro eingespart werden konnten.

Beschaffung / Vergaberecht

halb ebenfalls nicht zwingend. Und eine Unterrichtspflicht, wie in § 46 UVgO vorgesehen, kommt erst ab einer Bagatellgrenze von 50.000 Euro im hohen Norden in Betracht. Darüber hinaus ist im Unterschwellenbereich die Direktbeauftragung von freiberuflichen Leistungen bis zu einem Auftragswert von 25.000 Euro möglich. Aber: “Es gilt das Wechselgebot von § 14 Abs. 2 UVgO”, betont Burow. Während in Schleswig-Holstein das Vergaberecht schon vereinfacht wurde, wie York Burow (l.) erläuterte, befindet sich Hamburg laut Dr. Bettina MaaserSiemers noch in der Abstimmungsphase eines Entwurfes. Fotos: BS/Fieseler

deutliche Erleichterungen geschaffen worden. Sofern für sie das VGSH zur Geltung kommt, können sie Vergaben nach einem “frei gestalteten Verfahren” durchführen, berichtet Burow. Allerdings müssen die vergaberechtlichen Grundsätze Wettbewerb, Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit, Transparenz und Nichtdiskriminierung beachtet werden. Zudem gebe es keine zwingenden Vorgaben zur Verwendung von Nachhaltigkeitskriterien.

Freiheit heißt Verantwortung Wenn der Bürgermeister einer Stadt oder Gemeinde den Rathausplatz mit den billigsten Granitsteinen gepflastert haben wolle, müsse er auch die Verantwortung übernehmen, wenn Steine gekauft würden, die aus Kinderarbeit stammten. Hinsichtlich der Eignungsprüfung sollen die Vergabestellen im ersten Schritt nur Eigenerklärungen fordern, führt Burow weiter aus. Erst kurz vor dem Zuschlag seien dann von dem potenziellen Auftragnehmer die

Nachweise zu fordern. Was für das Vergabegesetz maßgeblich war, wurde bei der SchleswigHolsteinischen Vergabeordnung (SHVgVO) ebenfalls angewendet. “Was oberhalb der Schwelle eine Ausnahme ist, ist auch unterhalb der Schwellenwerte frei”, erläutert Burow. Die SHVgVO diene der Übernahme der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO). Allerdings mit sechs Ausnahmen. Die Pflicht zur EVergabe sei nicht übernommen worden, alle öffentlichen Auftraggeber zwischen Nord- und Ostsee könnten dies freiwillig nach eigenem Ermessen entscheiden. Papierverfahren seien bis auf Weiteres zulässig. Zudem gebe es bei der E-Vergabe keinen Registrierungszwang, sondern nur die Möglichkeit. Und auch die elektronische Bereitstellung der Vergabeunterlagen im Unterschwellenbereich als Pflicht wurde nicht übernommen. Auch die Regelungen zum Umgang mit Angeboten und Teilnahmeanträgen nach § 39 und 40 UVgO wurden als nicht-praxistauglich bei der Verhandlungsvergabe angesehen und sind des-

100.000 Euro als Grenze Des Weiteren sind eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb sowie eine Verhandlungsvergabe bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro zulässig. Die gleiche Wertgrenze gelte auch für beschränkte Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb bei der Vergabe von Bauleistungen. Werden mehrere Lose ausgeschrieben, gilt dieser Wert für jedes Los. Auch für die freihändige Vergabe sind 100.000 Euro als Wertgrenze vorgesehen. Einzige Ausnahme: Bei mehreren Fachlosen darf ein Wert von 50.000 Euro nicht überschritten werden. Dazu der Vorsitzende der Vergabekammer: “Wir hängen noch am Konjunkturpaket II.”

Veröffentlichung im Sommer 2020 In Hamburg habe man über so viel Rechtsvereinfachung noch nicht nachgedacht, gestand Maaser-Siemers. Die Rechtszusammenführung und -vereinheitlichung stünden hauptsächlich im Fokus. Bis März 2020 befindet sich der bisherige Entwurf der HambVgRL in der Ressortabstimmung, dann soll die Richtlinie in der Finanzbehörde einem Praxistest unterzogen werden, bevor sie in Kraft tritt.

Darüber hinaus berge auch das Vertragsmanagement weitere Risiken, führt der Syndikusrechtsanwalt der DEGES weiter aus. Jede Variante, vom Generalunternehmermodell über Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) bis hin zu Mehrparteienverträgen, böte unterschiedliche Vor- und Nachteile, die in Bezug auf das jeweilige Projekt betrachtet werden müssten. Selbst die Wahl des Vergabeverfahrens könne entscheidend sein. Zudem gebe es Risiken, die sich nicht sofort in Kosten bemessen ließen, aber gerade bei Verkehrsprojekten von Bedeutung seien. Werner verdeutlichte dies an mehreren Tunnelbauprojekten auf der A7 in Hamburg, die die DEGES aktuell durchführt. Faktisch handelt es sich dabei um eine Überdachung der A7, um die Autobahn nachträglich unter die Erde zu legen. Jedoch: Die Autobahn wird von drei Stra-

ßenbrücken und einer S-BahnBrücke überquert. Sämtliche Baumaßnahmen müssen auf die anderen Verkehre abgestimmt werden. Dies sei insbesondere bei der Bahn immer wieder herausfordernd. Denn Streckensperrungen auf der Schiene müssten von langer Hand geplant werden. Im Gegenzug könnten sie nicht verlängert werden, wenn sich in dieser Phase Verzögerungen ergäben, da die Bahnverkehre entsprechend geplant würden. Werde der Bau in dieser Phase nicht fertig, könne so lange nicht weitergebaut werden, bis die nächste Streckensperrung eintrete. Ein Risiko, das auch Dr.-Ing. Olaf Bergen, Mitglied des Vorstands der Hamburger Port Authority (HPA), nicht unbekannt ist. Die Bedarfsträger bei Bauvorhaben im Hamburger Hafen kämen aus den Bereichen Land, Schiene, Immobilien und selbstverständlich Wasser. Deshalb gehe es nicht nur darum, Planung und Betrieb von vornherein zusammenzudenken, sondern auch die Risikozuordnung zu klären. Das solle nicht heißen, dass sämtliche Risiken genauestens zugeordnet würden, sondern ein gleiches Verständnis bei allen Beteiligten entwickelt werde.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Beschaffung / Vergaberecht

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Behörden Spiegel / Februar 2020

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Strahlender Gewinner

► KOSTEN

Verhängnisvolles Meckern Nichts geht ohne Gebühr

(BS/jf) “Es ist Teil meines Glücks, dieser Gemeinschaft anzugehören”, sagte Dr. Klaus Willenbruch (rechts), Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht und diesjähriger Preisträger des Hamburger Vergabepreises. Er sei recht früh auf den damals langsam fahrenden Zug des Vergaberechts aufgesprungen und habe Glück gehabt, in den 90er-Jahren wesentliche Akteure der ersten Stunde kennengelernt zu haben und das Vergaberecht zum anwaltlichen Mittelpunkt zu machen. Zugleich dankte der den übrigen Mitgliedern der Gemeinschaft, den Anwendern des Vergaberechts und Besuchern des Hamburger Vergabetages, denn “ohne Sie würde es diesen Preis nicht geben”, so Willenbruch. “Er ist einer der besten Vergaberechtler in Deutschland”, lobte Dr. Martin Schellenberg (li.), fachlicher Leiter des Hamburger Vergabetages, den Preisträger, der wissenschaftlich fundierte Kenntnisse mit anwaltschaftlicher Expertise verbinde. Foto: BS/Fieseler

Wer hat den schwarzen Peter? Abschaffung des Landesvergabegesetzes gefordert (BS/jf) Eigentlich soll mit Beginn des neuen Schuljahres im Sommer das Catering für das Schulessen an Ber­ liner Schulen neu vergeben werden. Doch die bisherige Ausschreibung ist fehlerhaft, eine Neuausschreibung eigentlich unvermeidlich. Und das alles wegen des vergabespezifischen Mindestlohnes. Aktuell befindet sich das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) in der Novellierung. Künftig soll ein Mindestlohn von 12,50 Euro gelten. Doch bei der Ausschreibung von Catering-Leistungen für das Schulessen für 300.000 Grundschüler ist als Mindestlohn noch der derzeit in Berlin gültige von neun Euro die Stunde enthalten gewesen. Die Senatsverwaltungen für Bildung und Wirtschaft haben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe geschoben. Während aus der Senatsverwaltung für Bildung argumentiert wurde, die Wirtschaftssenatsverwaltung hätte die Formblätter nicht rechtzeitig aktualisiert, rechtfertigt sich diese damit, dass der neue vergabespezifische Mindestlohn noch nicht in Kraft sei

und die Formblätter deshalb noch nicht hätten angepasst werden können. Stattdessen hätte die Bildungssenatsverwaltung bei der Ausschreibung darauf achten müssen, dass zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns ein höherer Stundenlohn gelte.

Nur eine Lösung machbar Um das Dilemma rechtssicher zu beheben, müsste die Ausschreibung eigentlich aufgehoben und ein neues Verfahren mit dem geänderten Mindestlohn gestartet werden. Schließlich handelt sich bei der Erhöhung des Stundenlohns um umgerechnet rund 39 Prozent nicht um eine unwesentliche Änderung der Vergabe­ unterlagen. Dies würde jedoch bedeuten, dass in elf von zwölf Berliner Bezirken die Verfahren

qanuun-aktuell Erst mal eine Tasse Tee trinken... von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Ob man nach dem Sonnengruß das große “Om” macht, tief durchatmet oder erst mal eine Tasse Tee trinkt, bevor man mit der Aufregung fortfährt, ist Typsache. Trotz der Regelungen im BMinG zur Aufnahme einer “Erwerbstätigkeit oder sonstigen Beschäftigung außerhalb des Öffentlichen Dienstes” schlagen die Wellen um das vermutlich neue Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Bank hoch. Man wittert Kumpanei und Käuflichkeit eines ehemaligen Bundesministers und wirft ihm vor, nicht besser zu sein als ein früherer Bundeskanzler. Dabei übersehen die Kritiker jedoch so einige erwägenswerte Gesichtspunkte: Dieser Bundesminister gehörte genau dem Kabinett an, das überhaupt Regelungen für seine ausgeschiedenen Mitglieder auf den gesetzgeberischen Weg brachte. Vor Ende 2015 gab es solche Regelungen nicht. Seit der Compliance-Gedanke um sich greift, haften Aufsichtsräte, wenn sie ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen, ganz gleich ob aus Desinteresse oder Inkompetenz. Ein “Versorgungsposten” ist ein Aufsichtsratsmandat schon lange nicht mehr. Diese Verantwortung wird umso deutlicher, wenn

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

es ein Unternehmen betrifft, das kaum behaupten kann, durch eine besondere Rechts­ treue aufgefallen zu sein und wenn der künftige Aufsichtsrat besonders prominent ist. Doch ungeachtet dieser Einwürfe mögen die Kritiker sich bitte ehrlich fragen, ob sie ein Aufsichtsratsmandat o. Ä. tatsächlich mit selbstloser Geste von sich weisen würden. Die Liste all jener, die nach dem Ende ihrer politischen Karriere in einem Bundeskabinett in einen Verband oder ein Unternehmen gewechselt sind, spricht eine andere Sprache, und zwar für alle Parteien. Und für die anderen gilt: Warten Sie ab, wenn Sie einmal in der Regierung saßen...

wiederholt werden müssten, wodurch ein Vertragsbeginn pünktlich zum neuen Schuljahr als unwahrscheinlich gilt. Alternativ haben Politik und Verwaltung verschiedene Maßnahmen diskutiert, um die Verlängerung der bisherigen Verträge um sechs Monate, um eine neue Ausschreibung durchführen zu können, oder eine schrittweise Anhebung der Stundenentgelte in die Vertragsausführungen aufzunehmen. Doch als einzige gangbare Alternative käme nur in Betracht, auf den freien Willen der Caterer zu setzen, ihren Mitarbeitern die 12,50 Euro pro Stunde zu zahlen. Es bleibt abzuwarten, ob das am Ende passiert. Entsprechend forderten die Liberalen im Abgeordnetenhaus, das BerlAVG abzuschaffen.

MELDUNG

Belastbare Daten erst im Jahr 2022 (BS/jf) Bis für die öffentliche Auftragsvergabe aussagekräftige Daten zur Verfügung stehen, wird noch einige Zeit vergehen. Wie das Bundeswirtschaftsministerium in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP im Bundestag mitteilte, dauern die umfangreichen und komplexen Vorbereitungen noch an. Insbesondere mit Blick auf den Aufbau der IT-Infrastruktur könne mit der Datenerfassung erst im Laufe des Jahres 2020 begonnen werden, sodass erst für 2021 erste belastbare Daten erwartet werden können. In diesem Kontext liegen der Bundesregierung keine Informationen über den tatsächlichen Digitalisierungsgrad der öffentlichen Auftraggeber vor, heißt es in der Drucksache 19/16029 weiter. Die Bundesverwaltung ist seit April 2016 vollständig an die Vergabeplattform des Beschaffungsamtes des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) – kurz BeschA – angeschlossen. Dort wurden für das Jahr 2017 2.308 Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich und 17.381 Bekanntmachungen für Verfahren unterhalb der europäischen Schwellenwerte bekannt gemacht. Außerdem seien oberhalb der Schwellenwerte 1.486 Liefer- und Dienstleistungsaufträge vergeben worden.

Die Vergabekammern müssen sich regelmäßig mit Antragstellern auseinandersetzen, die nur sehr rudimentär rechtskundig sind. Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es also geboten, bei allem, was vonseiten eines Bieters an die Vergabekammer gesendet wird, den Willen des Absenders zu erforschen, wenn er nicht zweifelsfrei erkennbar ist. So hat die Vergabekammer Rheinland ein Schreiben erhalten, in dem ein Bieter einen von ihm so bezeichneten “Widerspruch” gegen eine Zuschlagsentscheidung in einem Vergabeverfahren eingelegt hat. Die Vergabekammer gelangte zu dem Ergebnis, dass es wohl der Wille des Bieters sei, dass diese Zuschlagsentscheidung nachgeprüft werde, es sich also um einen fehlerhaft bezeichneten Nachprüfungsantrag handelt. Dass der allerlei sonstige Formfehler enthielt, war zunächst einmal unerheblich. Die Prüfung der Zulässigkeit nahm nämlich sogleich einen negativen Ausgang. Der Bieter hatte zwar wohl in der Vergabebekanntmachung gelesen, wo er seinem Unmut über den Zuschlag Luft machen kann, nicht aber, wie lange. So legte er seinen Widerspruch nicht schon nach der Vor­ a bmitteilung, sondern erst – zu spät – nach dem erfolgten Zuschlag ein. Einen Erfolg hatte er also nicht mehr, wohl aber die Kosten. Denn er muss Gebühren der Vergabekammer (auf 1/10 der Mindestgebühr reduziert) und auch noch den Rechtsanwalt des Auftraggebers, einer kleinen kreisangehörigen Gemeinde ohne Rechtsabteilung, bezahlen. VK Rheinland (Beschl. v. 26.04.2019, Az.: VK 9/19)

► VORABGESTATTUNG

Interimsvergabe geht vor Bestandsauftragnehmer einbinden Unstreitig ist die Beseitigung von Ölspuren auf der Straße eine dringliche Aufgabe der Straßenbauverwaltungen, denn solche Verunreinigungen bergen die Gefahr weiterer nachfolgender Unfälle. Eine Unterbrechung dieser Leistung darf daher nicht eintreten. Genau das war das Problem eines Auftraggebers in Sachsen-Anhalt, der bereits mehrfach erfolglos versucht hatte, diese Leistung neu zu vergeben. Immer wieder wurden seine Ausschreibungen angegriffen und aufgehoben oder verzögert. Nun sorgt er sich vor solch einer vertragslosen Zeit und begehrt in der Erwiderung eines erneuten Nachprüfungsantrages die Vorabgestattung des Zuschlages. Es gehe dabei schließlich um nichts Geringeres als die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer. Dennoch müsse der Auftraggeber erneut eine Interimsvergabe in Angriff nehmen, meint die Vergabekammer und weist die Vorabgestattung zurück. Die mehrfachen gescheiterten Vergaben und Interimsvergaben habe der Auftraggeber selbst zu verantworten, weil er immer wieder vergaberechtliche Fehler gemacht habe. Vor allem aber sei nicht nachvollziehbar, wa­

rum der bestehende Auftrag mit dem aktuellen Leistungserbringer nicht bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens verlängert werden könne. Dazu hatte der Auftraggeber nichts vortragen können. Solch eine Verlängerung sei aber allemal ein geringerer Eingriff in den Wettbewerb als eine Vorabgestattung für die gesamte neue Vertragslaufzeit. VK Sachsen-Anhalt (Beschl. v. 28.02.2019, Az.: 1 VK LSA 03/19)

► ALLEINSTELLUNG

Alternativlösungen möglich? Umfassende Markterforschung erforderlich Ein sehr spezielles Analysegerät für die Grundlagenforschung war Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer des Bundes. Das Forschungsinstitut berief sich auf den Gedankenaustausch zwischen verschiedenen Wissenschaftlern mehrerer Institute, die gemeinsam zu der Überzeugung gelangt waren, dass nur ein einziger Hersteller ein Gerät werde liefern können, das alle im Laufe dieser Gespräche aufgestellten Anforderungen erfüllen könne. Aus dem Vergabevermerk allerdings geht hervor, dass die Grundlage dieser Gespräche ein bekanntes Gerät eines der weltweit nur vier Hersteller dieser Technik war. Das wird nun dem Auftraggeber zum Verhängnis. Seine Dokumentation lässt nicht erkennen, dass diese Anforderungen unabhängig von der Gerätekenntnis aufgestellt wurden. Vielmehr hat sich die Vergabestelle im Anschluss darauf beschränkt, die Webseiten der drei Konkurrenten daraufhin zu untersuchen, ob die geforderten Spezifikationen dort angeboten würden. Dabei wurde nicht beachtet, dass die meisten Geräte individuell konfiguriert werden und nicht in den auf den Websites angepriesenen Basisversionen ausgeliefert würden. Genau dies hatte ein Wettbewerber vorgetragen: Er könne das gleiche liefern, man hätte ihn nur fragen müssen. Weil genau diese Anfragen an die Wettbewerber im Vorfeld unterblieben waren, erachtet die Vergabekammer den ohne Wettbewerb direkt vergebenen Auftrag für nichtig und verfügt eine Wiederholung des Verfahrens. VK Bund (Beschl. v. 23.10.2019, Az.: VK 1-75/19)

► REFERENZEN

Ohne Auftraggeber­ bescheinigung Neue Rechtslage bei ­Lieferungen Auch amtliche Formulare sind nicht grundsätzlich fehlerfrei. Das zeigt sich immer wieder einmal in Vergabenachprüfungsverfahren, in denen einzelne Zeilen solcher Vordrucke als rechtwidrig erkannt werden. Diesmal hat es das Formular 124 L des Bayerischen Vergabehandbuches getroffen. Mit genau diesem Formular hatte der Auftraggeber im Verfahren zur Beschaffung von Lkw-Fahrgestellen die Bieter aufgefordert, Referenzen zu benennen. Darin muss der Bieter unterschreiben: “Falls mein Angebot in die engere Wahl kommt, werde ich für die oben genannten (Referenz-)Leistungen Bescheinigun-

gen über die ordnungsgemäße Ausführung (…) vorlegen.” Ein Bieter, dem es nicht gelang, derartige Bescheinigungen rechtzeitig zu erhalten, rügte diese Forderung nach Auftraggeberbescheinigungen und hatte damit Erfolg. Die Vergabekammer Nordbayern stuft die Anforderung solcher Bescheinigungen als unzulässig ein. Die VgV enthalte nunmehr eine abschließende Liste aller zulässigen Eignungsnachweise, die nur eine Benennung der Auftraggeber, nicht aber deren Bestätigung vorsehe. Hier müsse sich der Auftraggeber selbst bei den Referenzauftraggebern Aufklärung über die Qualität der Leistung verschaffen. Das unterscheidet sich vom Vorgehen bei Bau-Vergaben nach VOB, bei denen die Auftraggeberbescheinigung gefordert ist. Im Vergabehandbuch des Bundes ist in Formular 124 LD die geänderte Rechtslage übrigens bereits eingearbeitet. VK Nordbayern (Beschl. v. 07.11.2019, Az.: RMFSG21-3194-4-48)

► AUFTRAGSWERT

Bauen ohne Planung Wo kommen die Entwürfe her? Die Vergabestelle hatte die Leistungsphasen sechs bis acht nach HOAI für eine Erneuerung von Informationsund Kommunikationstechnik ausgeschrieben. Auf Nachfrage eines Bewerbers, wer denn die notwendigen Phasen zwei, drei und fünf leiste, antwortete die Vergabestelle, es werde dafür möglicherweise eine Nachtragsbeauftragung geben. Nachdem der Fragesteller über die Zuschlagsabsicht an einen Konkurrenten informiert wurde, stellte er einen Nachprüfungsantrag. Aus der Vergabeakte ergab sich, dass die Vergabestelle die Leistungsphasen eins bis fünf aufgrund eines Musterleistungsverzeichnisses selbst erarbeiten wollte. Weil der Auftrag für die Phasen sechs bis acht den Schwellenwert nicht erreichte, war hier die Frage zu klären, welche Auswirkung die Phasen eins bis fünf auf den Gesamtwert des Planungsauftrages haben. Die Akte lasse erkennen, dass ursprünglich alle acht Phasen hätten beauftragt werden sollen, befindet die Vergabekammer. Die Einlassung, dass der Auftraggeber die ersten Phasen in Eigenleistung erbringe, sei nicht glaubwürdig. Aus der Dokumentation sei auch keine Abkehr von diesem Beschaffungswillen erkennbar. Schließlich habe er sich dafür sogar noch ausdrücklich eine Nachtragsbeauftragung vorbehalten. Demnach fehle es an einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswertes, welche die Vergabekammer nachholt: Da die Phasen eins bis fünf nahezu das gleiche Gewicht hätten wie die Phasen sechs bis acht, liege der Auftragswert etwa doppelt so hoch wie für Phase sechs bis acht allein und damit über der Schwelle. Das verhilft dem Nachprüfungsantrag zur Zulässigkeit – und letztlich auch zum Erfolg. VK Nordbayern (Beschl. v. 10.10.2019, Az.: RMFSG21-3194-4-43)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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-30600

Stabsstelle Innenrevision Klaus Hoberg

Referat 11 Organisation, Innerer Dienst

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Referat 34 Technik der Polizei

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*Direkt dem Staatssekretär unterstellt

Jens Naumann

Lutz Rodig

Referat 33 Kriminalitätsbekämpfung, GS Landes-Präventionsrat

René Demmler

Referat 32 Organisation, Planung, Controlling und Strategie der Polizei

Jens Galka

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Referat 31 Einsatz, Verkehrspol. Aufgaben

N. N.

Referatsgruppe Polizeivollzugsdienst, IdP

Pascal Ziehm

Kommunikation, Social Media der Polizei

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Referat 36 Recht der Polizei -33600

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Horst Koller

Referat 38a Brandschutz, Feuerwehrwesen

Andreas Hirth

Referatsgruppe Bevölkerungsschutz

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-33005

Dirk Benkendorff

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Referat 38b Rettungsdienst, Katastrophenschutz

Andreas Hirth

Frank Otto

Stabsstelle Innenrevision Polizei

Lars Feilke

Persönlicher Referent

Peter Leichsenring

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Hans-Georg Schastok

-34600

Referat 46 Landesstruktur, Raumbeobachtung

Dirk Dreßler

Referat 45 Europäische Raumordnung, Regionalentwicklung

Prof. Dr. Wolf-Uwe Sponer

Referat 44 Landes- und Regionalplanung

Andreas Schumann

Referat 43 Sportpolitik, Sportförderung

Gerold Werner

Referat 42 Geobasisinformation und Vermessung

Heinz Bienek

Referat 41 Grundsatz- und Rechts-Angelegenheiten

Max Winter

Abteilung 4 Landesentwicklung, Vermessungswesen, Sport

-30300

Zentralstelle Kabinett, Landtag, IMK, Bundesrat, Europa

Foto: BS/Staatsministerium des Innern, C. Reichelt

Prof. Dr. Roland Wöller Persönlicher Referent

Leiter Ministerbüro

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Klaus Permesang

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Referat 25 Personenstands-, Melde- und Ausweiswesen

Christian Wehner

Referat 24b Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen

Reinhard Boos

Referat 24a Ausländerangelegenheiten und Staatsangehörigkeit

Diethelm Nöthe

Referat 23b Kommunale Wirtschaft, Vermögensrecht

Andreas Geisler

Referat 23a Kommunale Finanzen, Kommunalabgabenrecht

Dr. Saskia Tietje

Referat 22 Kommunales Verfassungs- und Dienstrecht

Burkhard Kurths

Referat 21 Verfassungs-, Verwaltungsrecht, Norm­ prüfung, Parl. Wahlen, Glücksspielrecht

Thomas Rechentin

Abteilung 2 Recht und Kommunales

Thomas Rechentin

Torsten Krause

-30205

Persönlicher Referent

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Referat 54 Städtebau -35400

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Simone Wenzler

-35500

Referat 55 Wohnungswirtschaft, Wohnraumförderung, Wohngeld

Jost Bachmann

Anita Eichhorn

Referat 53 Bautechnik, Bauordnungsrecht

Christian Weßling

Referat 52 Stadtentwicklung und EU-Förderung

Ulrich Schreiber

Referat 51 Denkmalpflege und Denkmalschutz

Jörg Mühlberg

Abteilung 5 Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen

Amtschef für Kommunales, Bau- und Wohnungswesen

Florian Oest

Robert Fink

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.

-31400

Referat 37 Zentrale Vergabestelle des SMI, Haushalt der Polizei

Joachim Tüshaus

Axel Meyer

Referat 35 Personal, Aus- und Fortbildung der Polizei

Axel Meyer

Leitungsstab

Horst Kretzschmar

Abteilung 3 Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Landespolizeipräsidium

Prof. Dr. Günther Schneider

Staatssekretär

-30400

Staatsminister

Staatsministerium des Innern Hausanschrift: Wilhelm-Buck-Straße 2 01097 Dresden Postanschrift: 01095 Dresden Tel.: 0351 / 564-0 Fax: 0351 / 564-39019 Internet: www.smi.sachsen.de E-Mail: poststelle@smi.sachsen.de

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium des Innern Stand: Februar 2020

Personelles

Ulrich Bornmann

Referat 17 Informations- und Kommunikationstechnik im SMI

Dirk-Martin Christian

Referat 16 Verfassungsschutz, Geheimschutz

Behördliche Datenschutzbeauftragte* Sabine Krombholz -31517 Beauftragter für Informationssicherheit* Rico Kirschner -31512

Referat 15 Justiziariat, Datenschutz, Archivwesen, Statistik, Franz-Josef Grunenberg -31500

Horst Koller

Referat 14 Haushalt, Liegenschaften

Dr. Irmgard Weiß

Referat 13 Dienstrecht, Aus- und Fortbildung

Stefan Hammer

Referat 12 Personalangelegenheiten, Personalentwicklung

Manfred Makowsky

Jörg Schröder

Abteilung 1 Zentrale Angelegenheiten

Beauftragter für Vertriebene und Spätaussiedler -30110 Dr. Jens Baumann

-30105

Persönlicher Referent Jonas Löschner

Andreas Kunze-Gubsch

Presse, Öffentlichkeitsarbeit

Staatsministerium des Innern des Freistaates Sachsen

Behörden Spiegel / Februar 2020 Seite 11


Diplomaten Spiegel

Seite 12

N

orwegen, 1752 Kilometer lang, 432 breit und mit 5,3 Millionen Einwohnern kommod besiedelt. Es hat eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen und eine der teuersten Hauptstädte der Welt, Oslo. Und dort fand man, dass das Land allein, nie so positiv, ökonomisch überzeugend, klar und deutlich wahrgenommen würde, wie als individuelle Gemeinschaft unter einem Dach mit Dänemark, Finnland, Island und Schweden. Es gibt ein eigenes norwegisches Botschaftsgebäude. Es steht auf dem Grundstück mit den anderen nordischen Botschaften.

Behörden Spiegel / Februar 2020

Ich genieße hier jeden Tag! Ein Gespräch mit dem norwegischen Botschafter Petter Ølberg (BS/ps) Eigentlich hätte sich seine Regierung, damals vor 23 Jahren, auch ein eigenes Botschaftsgebäude gönnen können. Seit der Erschließung der heimischen Öl- und Gasreserven Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, geht es dem Staat wirtschaftlich sehr gut. Aus einem ärmeren westeuropäischen Land, geprägt vor allem durch Schifffahrt, Fischfang, Land- und Forstwirtschaft, wird einer der größten Öl- und Gasexporteure der Welt, mit hohen Leistungsbilanz- und Haushaltsüberschüssen, großem Bedarf an Arbeitskräften, überlegener Produktivität und fortschrittlicher Technologie.

Botschafter im “Freundesland” Norwegischer Hausherr in den Nordischen Botschaften am Klingelhöfer Dreieck in Berlin ist Petter Ølberg, Der heute 59-jährige Osloer, kommt als Kind nach Deutschland und hier zur Schule. Seine Mutter ist Deutsche, Vater Per Ølberg, Norweger und von 1963 bis 1966 an der norwegischen Botschaft in Bonn und ab 1988 dort auch Botschafter. Sohn Petter studiert erstmal Sozialwissenschaften, unter anderem in Kiel, bevor er seine diplomatische Karriere 1986 als Aspirant im norwegischen Außenministerium beginnt. 1999 bis 2004 arbeitet er als Gesandter bei "seiner" Botschaft in Berlin, wird 2009 Botschafter in Jordanien, 2014 Generaldirektor der Abteilung für Wirtschaft und Entwicklung im Osloer Außenamt und im Sommer 2017, Botschafter im "Freundesland", wie die Autorin Rut Brandt, Deutschland nennt, das sich gewandelt hat.

Deutschland-Strategie “Die größte Veränderung ist vermutlich der Wohlstand in unseren beiden Ländern. Mit anhaltendem Wirtschaftswachstum und niedriger Arbeitslosigkeit geht es uns besser als je zuvor! Deutschland ist unser wichtigster Partner in Europa und dabei noch wichtiger geworden. Unsere Verbindungen sind enger als je zuvor und das gilt auf allen Feldern: politisch, ökonomisch und kulturell. Eins aber ist neu: Berlin und Oslo engagieren sich zunehmend zusammen, wie bei der Friedensbewahrung, Ausbildungsangeboten für Mädchen, Impfprogrammen, bei Investitionen in Afrika und militärischen Einsätzen, um nur ein paar Beispiele zu erwähnen. Wir denken ähnlich und uns beschäftigen dieselben Themen. Dazu zählt auch der Multilateralismus mit seinen Lösungen, die auf Dialog und Verhandlungen basieren, wobei diese Zusammenarbeit sehr gut funktioniert”, berichtet Ølberg. Deutschland sei für Norwegen so wichtig, dass die norwegische Regierung 1999 erstmalig eine eigene Deutschland-Strategie vorgelegt habe. Die neueste Fassung ist vergangenen Sommer präsentiert worden. “Ziel ist, die Kooperation zwischen beiden Staaten, die auf gemeinsamen

zu uns, schon seit längerem fündig geworden. Während sich hierzulande just die neue EAuto-Förderung verzögert, Ladestationen, vor allem auf dem Lande fehlen, nur 15 Prozent der vorhandenen, “Schnelllader” sind und vielen die ganze Technik suspekt ist, haben sie zwischen Hammerfest, Kristiansand, Bergen und Oslo damit keine Probleme. Ihre E-Autos sind, durch einen hohen Steuernachlass bei der Anschaffung, konkurrenzfähig mit Benzinern oder Dieseln und können meist “vor der Haustür betankt” werden. “Das alles hat einen einfachen Grund: Der Regierung war es wichtig den CO2- Ausstoß des Verkehrs zu senken. Für Norwegen war es da das einfachste, sich auf Autos zu konzentrieren. Anreize wie Steuervorteile, Zulassung für die Busspur, Subventionierung der Ladeinfrastruktur etc. haben schnell dazu geführt, dass der Elektroautoanteil bei den Neuzulassungen nach oben schnellte. Aktuell ist jedes zweite neuangemeldete Auto ein elektrisches. Natürlich hilft es, dass 95 Prozent der norwegischen Elektrizität aus Wasserkraft stammt, also komplett CO2-frei produziert wird.”

Dankbar für das Privileg

Seit über 30 Jahren im diplomatischen Dienst: Seine Exzellenz Petter Ølberg, Botschafter des Königreiches Norwegen.

Interessen und gegenseitigem Nutzen beruht, auszubauen und da gehen wir stetig voran", so der Botschafter.

Hohe Aufmerksamkeit Dabei ist Norwegen nicht nur ein wichtiger und stabiler Energielieferant für uns, auch in der

keine Øre-Münzen (entsprechend unseren Cents) mehr gibt. Kulturell ist Deutschland, für Botschafter Ølberg, der wichtigste Markt und das Tor zur Welt für norwegische Kultur. "So ist 2019 gerade erst das Jahr mit Norwegens größtem kulturpolitischem Programm im Ausland zu

nügt – dazugehören braucht es nicht. "In Norwegen gab es zwei Volksabstimmungen zu einem möglichen EU-Beitritt: 1972 und 1994 und beide Male gab es eine knappe Mehrheit dagegen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Viele waren unsicher und skeptisch, weil sie

Botschafters Rezept

Fotos: BS/Dombrowsky

de Haushausdisziplin oder die Flüchtlingskrise mit wachsender Sorge. “Wir sind kein EUMitglied, aber ein Teil von Europa. Uns ist es wichtig, dass es der EU gut geht. Das ist auch gut für uns. Brexit und Flüchtlinge treffen Norwegen genauso wie die EU und wir versuchen gemeinsam mit Brüssel gute Lösungen zu finden.”

Vorreiter

Fårikål (wörtlich Schaf in Kohl) für 5 Personen

Zutaten: 800 g Schafsfleisch mit Knochen,1 großer Weißkohl,1 EL Mehl, Salz und ganze Pfefferkörner.

Bei der E-Mobilität sind die “Nordmänner”, im Gegensatz

Über 30 Jahre ist Petter Ølberg als Diplomat für sein Königreich Norwegen unterwegs und bereut das nicht. “Es ist eine sehr spannende Reise mit vielen und sehr unterschiedlichen Situationen und Erlebnisse gewesen. Ich hätte mir einiges vorstellen können, in der Politik wie in der Privatwirtschaft. Aber das muss auf das nächste Leben warten”, sagt er. Für einen Tag würde er aber gerne mal mit jemand anderem tauschen: “Vielleicht mit meiner Sekretärin, dann kann ich wirklich verstehen, wie der Chef so ist…” Letztes Wort: “Da möchte ich einfach sagen, wie dankbar ich bin, norwegischer Botschafter in Deutschland zu sein. Es ist ein Privileg mein Land hier vertreten zu dürfen. Gleichzeitig bin ich auch eine Art Fan von Deutschland und genieße jeden Tag in diesem fantastischen Land.”

Zubereitung: Das Lammfleisch waschen und abtupfen. Den Weißkohl längs vierteln und noch einmal schneiden. In einen großen Topf jeweils eine Lage Lammfleisch und Weißkohl geben. Dazwischen Salz, Pfeffer und Mehl streuen. Den Topf mit Wasser auffüllen, bis die Zutaten bedeckt sind und auf kleiner Flamme etwa 1 bis 2 Stunden köcheln, bis sich das Fleisch vom Knochen löst. Mit gekochten Kartoffeln servieren und danach einen Aquavit. Skål.

Digitalisierung arbeitet man eng zusammen, weil diese dort, anders als bei uns, weit fortgeschritten ist. So kann dort die Steuererklärung überall per Mausklick erledigt, per ID-Nummer ein Pass beantragt, ein Bankkonto einrichtet und der Arzt konsultiert werden. Mit “Kroner” (NOK) wird zwar nach wie vor bezahlt, nur eben per Karte – auch für den Kaugummi am Kiosk. Weil es

Ende gegangen: Ehrengastland bei der Frankfurter Buchmesse zu sein. Über die Literatur können wir andere Kulturen, Menschen, sowie deren Sichtweisen kennen lernen und auf vieles einen neuen Blick bekommen.” Dank der Buchmesse habe norwegische Literatur vergangenes Jahr noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, als ohnehin schon. Es gebe 250 Übersetzungen ins Deutsche – so viel wie noch nie in so einem kurzen Zeitraum. Maja Lunde, Linn Ullmann, Erika Fatland, Tomas Espedal, Karl Ove Knausgård... – viele norwegische Autoren stünden auf deutschen Bestsellerlisten und seien hoch anerkannt. “Von Vorteil ist, dass wir seit 40 Jahren die staatliche Institution “Norla” (Norwegian Literature Abroad) haben, die Übersetzungen von Büchern fördert. Das ist sehr hilfreich, um neue Bücher in Deutschland vorzustellen”, erläutert Ølberg.

Dabei sein genügt – guter Kompromiss

Dank der Buchmesse 2019, bei der Norwegen Ehrengastland war, sind zahlreiche Bücher norwegischer Autoren ins Deutsche übersetzt worden. Eine kleine Auswahl findet sich auch im Büro des Botschafters wieder.

Nicht mehr nahe bringen muss man seinen Landsleuten die EU. Man kennt sie, schätzt sich, das reicht: Ein Europäer muss nicht “Unionist” sein. Dabei sein ge-

befürchteten, dass bestimmte Entscheidungen nicht mehr in Oslo, sondern in Brüssel gefällt würden. Andere fragten sich, was ein Beitritt für den so wichtigen Wirtschaftszweig Fischerei bedeuten würde. Außerdem war der Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) schon in Kraft und gab Norwegen vollen Zugang zum inneren Markt. Deshalb fiel es einigen schwer zu sehen, was ein zusätzlicher (ökonomischer) Gewinn einer Mitgliedschaft sein könnte. Ich denke, dass die meisten heute sagen würden, dass der EWRVertrag ein guter Kompromiss für uns ist. Wir sind damit kein EU-Mitglied, haben aber Zugang zum inneren Markt. Das kostet natürlich etwas, aber das sehen die meisten Norweger als selbstverständlich an. Außerdem nehmen wir voll an Schengen teil. Politisch stehen wir der EU nahe und arbeiten außenpolitisch eng zusammen”, berichtet der Botschafter. Von daher sieht Oslo die dortigen Entwicklungen, wie den Brexit, den wachsenden Rechtspopulismus, mangeln-

Ziert das Botschaftsgebäude: Das Reichswappen des Landes, ein heraldischer, gekrönter Löwe mit der Olavs-Axt, in einem dreieckigen, hochroten Schild ohne Rahmen. Darüber eine Königskrone mit einem Reichsapfel und einem Kreuz.

Heimische Kunst im Foyer der Botschaft: Die Stühle "Ekstrem" von Designer Terje Ekstrøm.


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Februar 2020

Begehrte Flächen

KNAPP Auch für Kommunen offen

Liegenschaften zwischen Bundeswehr und Kommunen

(BS/mfe) Kinder sollen auch

(BS/Dr. Gerd Portugall) Güterslohs Bürgermeister Henning Schulz berichtet in einem Interview mit dem Behörden Spiegel (das auf Seite 14 dieser Ausgabe zu finden ist), dass die in der gerade begonnenen Debisherigen Liegenschaften der britischen Streitkräfte eine wichtige Rolle bei der Bedarfsdeckung von Wohneinheiten in seiner Gemeinde spielten. Während deutsche Kommunen nicht kade sowohl in der analogen mit der Rückkehr ausländischer Einheiten rechnen müssen, gestaltet sich allerdings der Umgang mit dem Liegenschaftsbedarf der Bundeswehr ungleich schwieriger. als auch in der digitalen Welt Ein Beispiel: die schleswig-holsteinische Gemeinde Boostedt. Nachdem 2015 die letzten Soldaten aus der Rantzau-Kaserne abgezogen waren, sollten auf dem 100 Hektar großen Areal Wohnungen entstehen, Gewerbe angesiedelt werden und die Feuerwehr in eines der alten Kasernengebäude umziehen. Es ging um Investitionen in Gesamthöhe von 40 Millionen Euro und 300 Arbeitsplätze. Drei Jahre später jedoch teilte das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) der Gemeinde mit, dass das für die Feuerwehr vorgesehene Gebäude nun doch für die Bundeswehr gebraucht würde. Die Folge: Rund eine Million Euro mehr muss die Stadtverwaltung für ein anderes Feuerwehrhaus ausgeben.

lendorf. Keine Rückgabe sollte schließlich bei noch einmal sechs weiteren Immobilen erfolgen. Dazu gehört bspw. das Munitionsdepot im baden-württembergischen Altheim. Aber selbst diese Auswahl wurde im Rahmen der weiteren Entwicklung nochmals geändert. So sollte z. B. ursprünglich der Flugplatz Hohn in SchleswigHolstein bis voraussichtlich 2022 geschlossen werden. Doch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat nun entschieden, diesen Flugplatz doch dauerhaft weiter nutzen zu lassen. Bei anderen Liegenschaften verschiebt sich die Schließung erheblich. Während die Ebkeriege-Kaserne in Wilhelmshaven ursprünglich bereits 2021 geschlossen werden sollte, ist jetzt von 2031 die Rede.

Hintergründe Zahlreiche Bundeswehr-Liegenschaften sind nach dem Ende des Kalten Krieges an die Bundesfinanzverwaltung beziehungsweise seit 2005 an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), mit Sitz in Bonn, abgegeben worden. Außerdem sahen die früheren Planungen noch viele weitere Grundstücke und Gebäude für die Konversion in zivile Nutzung vor: 2012 verfügte der damalige Verteidigungsminister Dr. Thomas de Maizière, dass 31 Standorte ganz dichtgemacht werden müssten, Dutzende weitere sollten drastisch verkleinert werden. Als Folge der neuen, verschärften sicherheitspolitischen Lage in Europa sollen die deutschen Streitkräfte personell wieder aufwachsen. Daraus ergibt sich auch ein erhöhter Bedarf an Liegenschaften mit Unterkünften.

Probleme für alle Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut

“Objekt kommunaler Begierde”: hier Umbau eines Kasernenblocks der früheren Koblenzer Goeben-Kaserne in ein ziviles Wohnhaus Foto: BS/Portugall

Dedy, sieht ein ganz grundsätzliches Problem: “Wenn der Bund möglicherweise wieder von langfristigen Verkaufsabsichten bei Kasernengeländen Abstand nimmt, wäre das für die betroffenen Städte problematisch. Bisherige Planungen kämen zum Stillstand und Perspektiven für die Nachnutzung liefen ins Leere.” Deshalb fordert auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) “im Interesse der betroffenen Standortgemeinden”, schnellstmöglich Planungssicherheit der für die Nachnutzung betroffenen ­Liegenschaften herzustellen. Schon gibt es Anzeichen dafür, dass die BImA bei der Verwertung von BundeswehrImmo­bilien zurückhaltender geworden ist. Die Immobilien-Kehrtwende der Bundeswehr ist aber auch für die Bundesfinanzen mit zusätz­lichen

Kosten verbunden. Schließlich hat der Verkauf von militärisch genutzten Gebäuden und Grundstücken dem Bund allein von 2012 bis 2016 rund 900 Millionen Euro eingebracht. Damals hatte der Hauptgeschäftsführer des DStGB, Dr. Gerd Landsberg, sogar gefordert: “In Einzelfällen sollten Bund und Länder die Liegenschaften auch unentgeltlich den Kommunen überlassen.”

Konkurrierende Bedarfe Heutzutage fehlt es in vielen wachsenden Städten und Regionen an bezahlbaren Wohnungen. Allein 2019 und 2020 müssten in Deutschland pro Jahr 341.700 neue Wohnungen entstehen, um den hohen Bedarf zu decken, so eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Vor allem die Städte hinkten stark hinterher.

Im vergangenen Jahr hatte die FDP-Bundestagsfraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Leerstand bundeseigener Immobilien gestellt. Dabei ging es u. a. auch um 39 Bundeswehr-Liegenschaften in neun Bundesländern. Demnach gibt es drei Kategorien von Schließungsbeschlüssen: 1. planmäßige Durchführung, 2. Aussetzung und neuerliche Prüfung, 3. Aufhebung des Schließungs­beschlusses, d. h. keine Rückgabe. Zu den 26 Liegenschaften, die wie geplant geschlossen werden sollen, zählt zum Beispiel die Fernmeldeschule im bayerischen Feldafing. Bei sechs weiteren Immobilien wurde die Schließung ausgesetzt, um diese einer neuerlichen Prüfung unterziehen zu können. Darunter fällt u. a. die Hessen-Kaserne in Stadtal-

Rechtlicher Rahmen Dazu erklärte die BImA gegenüber dem Behörden Spiegel, dass sich die (Wieder-)Beschaffung von Liegenschaften für militärische Zwecke nach dem Landbeschaffungsgesetz (LBG) richte. Sie würden als “Sondergebiete” für die Zeit der militärischen Nutzung der kommunalen Planungshoheit entzogen. Auch wenn eine Liegenschaft zuvor von der Bundeswehr freigegeben worden sei, könne “eine veränderte militärische Lage bzw. Planung” im Einzelfall dazu führen, dass auf eine Liegenschaft im Wege der sog. “Reaktivierung” wieder zurückgegriffen werden müsse. Für die Kommunen gebe es “keinen besonderen rechtlichen Vertrauensschutz”. Sowohl über die Freigabe einer Liegenschaft als auch über den Bedarf entscheide in der Regel die Bundeswehr “aus militärisch notwendigen Gesichtspunkten”, so die BImA.

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

S AV E

nicht Opfer sexualisierter Gewalt werden. Das ist das Ziel der Kinderschutzallianz und nicht nur eine polizeiliche, sondern auch eine kommunale Aufgabe. Der Zusammenschluss, dessen Mitglieder auch stark in der Präventionsarbeit tätig werden wollen, ist auf eine enge Zusammenarbeit mit Kommunen sowie den Polizeibehörden angewiesen. Positiv stimmt hierbei, dass die International Police Association bereits ihren Beitritt erklärt hat. Weitere Mitglieder sind unter anderem die Landeskriminalämter Bayerns und Niedersachsens. Auch der Behörden Spiegel und die Cyber Akademie sind dem Bündnis beigetreten, das sich auf dem Europäischen Polizeikongress erstmals der interessierten Öffentlichkeit präsentiert hatte (mehr zum Europäischen Polizeikongress auch auf den Seiten 40 bis 42 in dieser Ausgabe). Eintritte sind weiter möglich.

“Naturstadt” (BS/kh) Alle Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland, die Ideen für mehr naturnahe innerstädtische Flächen und zur Förderung von Insektenlebensräumen haben, sind aufgerufen, sich beim Wettbewerb “Naturstadt – Kommunen schaffen ­Vielfalt” zu bewerben. Dieser wird vom Bundesumweltministerium (BMU) im Bundesprogramm Biologische Vielfalt mit rund 2,2 Millionen Euro gefördert und inhaltlich vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) begleitet. Bei den Bewerbungen muss es sich explizit um Projektideen handeln; bereits realisierte Projekte sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Die 40 besten Projektideen werden als Zukunftsprojekte im November in Berlin mit einem Preisgeld von 25.000 Euro ausgezeichnet.

THE D AT E

HEIMAT, DIE STADT

24. – 25. Juni 2020 2 LLeonardo e Hotel, Weimar

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des


Kommunalpolitik

Seite 14

Behörden Spiegel / Februar 2020

MELDUNG (BS/kh) Karlsruhe hat eine umfangreiche Bürgerbeteiligung gestartet, um das Klimaschutzkonzept 2030 der Stadt fortzuschreiben. Über 1.000 Vorschläge haben die Bürgerinnen und Bürger online eingereicht. Diese werden nun ausgewertet und in den Maßnahmenkatalog eingearbeitet. In den fünf Bereichen “Wärme und Strom”, “Bauen und Sanieren”, “Wirtschaft”, “Mobilität” und “Übergreifendes” konnte die Bevölkerung auf dem städtischen Online-Beteiligungsportal Vorschläge zur Verbesserung des Klimaschutzes machen. Unter diesen fanden sich beispielsweise eine dauerhafte Geschwindig-

keitsbegrenzung auf der Autobahn A5 bei Karlsruhe, für Neubaugebiete keine Waldflächen mehr zu roden oder die vollständige Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf energieeffizientere LED-Lampen. Am häufigsten kamen die Vorschläge aus den Bereichen Wärme und Mobilität. Hier etwa die Forderung nach einer möglichst schnellen Installation von Solarthermie und Photovoltaik auf öffentlichen Gebäuden oder nach einem weiteren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Ebenfalls wurde der Wunsch nach verbesserten Speichermöglichkeiten für Strom aus nachhaltigen Energiequellen laut.

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Vorschläge für Klimaschutzkonzept Vier Fragen – vier Antworten mit Henning Schulz, Bürgermeister von Gütersloh

Erfahrungen mit Konversion Britische Truppen haben Gütersloh verlassen (BS) Im Oktober 2012 hat Premierminister David Cameron im Londoner Unterhaus angekündigt, dass die “British Forces Germany” (BFG) bis 2020 Deutschland verlassen werden. Die Stadt Gütersloh ist dabei in Bezug auf zwei Liegenschaften betroffen worden: die “Mansergh Barracks” und den Militärflugplatz Gütersloh mit den “Princess Royal Barracks”. Güterslohs Bürgermeister Henning Schulz (CDU) berichtet im Behörden SpiegelInterview über seine Erfahrungen mit der Konversion, d. h. der Umnutzung von bisher militärisch genutzten Liegenschaften. Die Fragen stellte Dr. Gerd Portugall. Behörden Spiegel: Herr Bür­ germeister Schulz, im vergange­ nen Jahr haben die letzten der ursprünglich einmal rund 6.000 in Gütersloh lebenden britischen Soldaten und deren Familien Gü­ tersloh verlassen. Welche Auswir­ kungen hat deren Weggang auf die Stadt Gütersloh? Schulz: Nach dem Abzug der ersten Briten gab es zunächst eine ökonomische Delle aufgrund des Kaufkraftverlustes. Gleichwohl ließ die Bevölkerungsentwicklung nach ursprünglicher Prognose stabile Werte für Gütersloh erwarten. Mittlerweile hat sich sogar ein konstantes Wachstum von jährlich 1,5 Prozent eingestellt. Das bedeutet unter anderem, dass eine erhöhte Nachfrage nach 550 bis 600 Wohneinheiten pro Jahr besteht. Um diesen Bedarf zu decken, spielen auch die britischen Liegenschaften eine wichtige Rolle. Behörden Spiegel: Sie sind seit Oktober 2015 im Amt. Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit dem britischen Abzug gemacht? Schulz: Die Cameron-Entscheidung selbst lag noch vor meiner Amtszeit. Aber was ich erfahren habe, war, dass die nachgeordne-

ten Bereiche der britischen Streitkräfte in Deutschland “en détail” nicht über die Einzelheiten dieses Abzugs informiert waren. Der stillgelegte Flughafen Gütersloh mit rund 340 Hektar Fläche wurde schließlich im November 2016 an den Bund mit Erstzugriffsrecht zurückgegeben. Auf rund 100 Hektar ist die Ausweisung eines Gewerbegebiets vorgesehen. Die übrigen unbebauten Flächen wurden vom Bund als nationales Naturerbe ausgewiesen. Es wäre wichtig, dass hier in Zukunft dennoch naturverträgliche Freizeitnutzung stattfinden könnte. Im Oktober dieses Jahres gingen auch die “Mansergh-Barracks”, eine Kaserne am Rand der Innenstadt mit einer Fläche von ca. 38 Hektar, an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA). Auf diesem Gelände, so unsere Planung, soll ein neues innovatives Stadtquartier in einer Mischung aus Wohnen, Unternehmen, Forschung, Bildung und Freizeit entstehen. Behörden Spiegel: Ist es schwer, zivile Nutzer für die mili­ tärischen Flächen zu gewinnen? Schulz: Unternehmen richten sich mittelfristig, d. h. nach den vielleicht nächsten drei Jahren

aus. Längerfristige Zeiträume, d. h. etwa fünf bis zehn Jahre, benötigen aber oft staatliche Akteure bei größeren Vorhaben. Gleichwohl bieten frei werdende Konversionsflächen große Chancen für die Stadtentwicklung. Lediglich Flächen mit Altlasten sind nicht entwickelbar. Für das Flughafengelände gründeten wir zusammen mit zwei weiteren Anlieger-Gemeinden eine gemeinsame Gesellschaft, um die genannten 100 Hektar als interkommunale Gewerbefläche auszuweisen. Behörden Spiegel: Welche Empfehlung können Sie anderen Kommunen beim Thema “Konver­ sion” geben? Schulz: Sobald sich eine entsprechende Entwicklung abzeichnet, sind Aktivität – d. h. sofort mit den Planungen beginnen, auch wenn dies zunächst Kosten verursacht – und Transparenz das Gebot der Stunde. Die deduktive Bodenwertermittlung, also das Ableiten des Verkehrswerts von Bauland, ist ein mühsamer und langwieriger Prozess. Für die Kommune ist die beste Option der Kauf von Konversionsflächen, um so bis zur Übergabe an einen zivilen Nutzer “Herr

des Verfahrens” zu sein. Gute Erfahrungen machen wir zurzeit mit einem städtebaulichen Wettbewerb für die Entwicklung der Konversionsfläche “ManserghBarracks”: Als Novum arbeiteten Ende November für eine Woche vier Planungsteams gleichzeitig in dieser ehemaligen Kaserne, also vor Ort. Wir erhielten dabei vier exzellente Entwürfe, von denen wir gleich zwei mit dem ersten Preis auszeichneten. Innovativ war hier auch die Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen: In jener Woche fanden an drei Abenden öffentliche Planungs-Workshops mit den Planungsteams statt, um Anregungen aus der Bürgerschaft mit aufzunehmen. Das Interesse war enorm. Die Leute haben Schlange gestanden, um in die Veranstaltung zu gelangen.

MELDUNG

Bezirk München? (BS/kh) Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will bis 2025 einen eigenen Regierungsbezirk München installieren und die Landeshauptstadt so aus der bisherigen Bezirksregierung von Oberbayern herauslösen. Söder spricht von einem “historischen Schritt” bei der Überarbeitung der Einteilung Bayerns . Bisher war das Land in sieben Bezirke unterteilt. Den genauen Ablauf der Bezirksbildung solle aber eine neu einzurichtende Kommission unter Federführung des Innenministers Joachim Herr­ mann (CSU) klären. Der Bayerische Städtetag würde “sich gerne ergebnisoffen darin einbringen”, wie Geschäftsführer Bernd Buckenhofer betont. “Die möglichen Folgen einer Herauslösung der Landeshauptstadt aus dem über zwei Jahrhunderte gewachsenen Regierungsbezirk Oberbayern müssen gründlich zusammengetragen und dann erörtert werden.” Mit Blick auf die Bereiche Raumordnung, Regionalplanung und Verkehr stellten sich laut Buckenhofer etwa die Fragen: “Ist der geografische Zuschnitt auf das Gebiet der Landeshauptstadt beschränkt? Oder ist daran gedacht, die direkten Nachbarlandkreise München, Dachau und Fürstenfeldbruck in den neuen Regierungsbezirk München einzubeziehen? Oder wird der Umfang gar noch weiter gezogen mit den Landkreisen Ebersberg, Erding, Freising und Starnberg?” Zu klären seien zudem staatsrechtliche und kommunalverfassungsrechtliche Fragen der Aufgabenerfüllung der staatlichen Bezirksregierung und des kommunalen Bezirks. Mögliche Auswirkungen auf die kommunalen Finanzverflechtungen müssten geprüft werden: “Vor allem beim System der Bezirksumlagen müssen Berechnungen angestellt werden, wie sich eine Herauslösung der Landeshauptstadt auf die kreisfreien Städte München, Ingolstadt und Rosenheim sowie auf die zwanzig oberbayerischen Landkreise auswirken wird”, so Buckenhofer.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Februar 2020

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Teils trübe Aussichten

Gemeindefusion

Reformvorschlag zum DRG-System

Verfahrensmodell zur Gemeindefusion

(BS/Katarina Heidrich) Das Städtische Krankenhaus Kiel ist “auf einem historischen Tiefstand”, wie es im Jahresabschlussbericht für 2018 heißt. Hohe Investitionsbedarfe, wachsende Defizite, unsichere Planung – bundesweit stehen viele kommunale Krankenhäuser vor Fusions- oder Schließungsbestrebungen. Eine Reform der Krankenhausfinanzierung soll dabei helfen, die politische Entscheidung zu treffen, welche Klinik bleiben darf. Dazu hat nun erstmalig die Länderarbeitsgruppe auf Abteilungsleiterebene getagt. Fest steht: Die Reform kommt. Aber wem wird sie nutzen?

von Dr. Ulrich Keilmann*

“Das Ergebnis in dem Jahr hat uns gezeigt, wie anfällig ein Krankenhaus in der heutigen Zeit für Fallzahl-Schwankungen ist”, betont Roland Ventzke, Geschäftsführer des Städtischen Krankenhauses in Kiel und Sprecher des Verbundes kommunaler Krankenhäuser. Die Klinik habe mit mehr Patienten und somit mit mehr Umsatz gerechnet. Denn die laufenden Betriebskosten muss das Krankenhaus mit Patienten erwirtschaften. Nun wird über einen Zusammenschluss mit dem Friedrich-Ebert-Krankenhaus im rund 35 Kilometer entfernten Neumünster beraten. Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) fordert: “Um eine flächendeckende, hochwertige Krankenhausversorgung sicherzustellen, brauchen wir eine grundlegende Reform der Vergütung.” Das derzeitige DRG-Abrechnungssystem über Pauschalen pro Patientin und Patient, das mehrfach korrigiert wurde, sei hochkomplex und beflügele ökonomische Fehlanreize. Es werde nicht dauerhaft in der Lage sein, die Versorgung zu gewährleisten. “Daher müssen wir jetzt handeln und die noch vorhandenen politischen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen”, so der Gesundheitsminister aus dem echten Norden.

Länder wollen Öffnungsklausel Garg hatte in die letzte Gesundheitsministerkonferenz (GMK) einen Reformantrag eingebracht, der in einen Beschluss der Länder einging. Dieser enthält zwei Arbeitsaufträge: Zum einen soll die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) bis Mitte 2021 einen Bericht vorlegen, der die Erfahrungen der Länder mit den sogenannten Planungsrelevanten Qualitätsindikatoren (PlanQI) evaluiert. Diese sollen weiterentwickelt werden, aber jedem Land soll freistehen, ob und in welchem Umfang es sie

zur Krankenhausplanung nutzt. Zum anderen soll die Länderarbeitsgruppe “Eckpunkte für eine Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierungsstrukturen erarbeiten”, wie es im Beschluss heißt. Dabei sollen neben den Vorschlägen aus dem Gutachten des Sachverständigenrates “Bedarfsgerechte Steuerung des Gesundheitswesens” auch die Erfahrungen anderer OECDStaaten, die das DRG-System in der stationären Versorgung verwenden, einfließen. Garg betont: “Die Entwicklung der Klinikstrukturen darf nicht von der Erlössituation abhängen – sie muss vor allem Versorgungsnotwendigkeiten folgen.”

An der Bedeutung für die Versorgung ausrichten Sein Reformvorschlag sieht eine Basisfinanzierung als Ergänzung der leistungsbezogenen Fallpauschalen- oder DRG-Abrechnung vor. Denn trotz “Fehlanreizen zur Leistungsausweitung und ungenügender Berücksichtigung unterschiedlicher Versorgungsstufen”, habe das DRG-System die Transparenz in Versorgung und Vergütung “deutlich erhöht”, heißt es im Länder-Beschluss. Konzentrationsprozesse und Spezialisierungen sollen laut Garg verstärkt vergütet und mit verbindlichen Vorgaben für Mindestausstattung und Mindestfallzahlen versehen werden. Die Höhe der Basisfinanzierung und damit der Finanzierung der spezifischen Vorhaltekosten solle nicht allein von der Größe eines Krankenhauses abhängen, sondern von “seiner Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung”, so der Gesundheitsminister. Zudem solle im Bundesrecht eine Länderöffnungsklausel implementiert werden, damit regionalspezifische und sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen und die Erprobung neuer Versorgungsmodelle ermöglicht werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisiert al-

lerdings bereits länger, dass bei den PlanQI keine zusammenfassende Stellungnahme des jeweiligen Krankenhauses oder eine Kommentierungsmöglichkeit für das Krankenhaus möglich seien. Auch würden sie besondere Fallkonstellationen nicht berücksichtigen. Insgesamt seien sie nicht ausreichend für eine Qualitätsbewertung und damit auch nicht geeignet für die Krankenhausplanung.

Kostentreiber Digitalisierung Auch die Digitalisierung treibt die Kosten der Krankenhäuser in den kommenden Jahren weiter an. Und das nicht allein in Bezug auf Ausstattung und Gerätschaften. Auch Investitionen in die IT-Sicherheit werden immer mehr von Bedeutung sein – wie der jüngste Datenleck-Fall beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) zeigt. Entsprechend müssen gesetzliche Vorgaben zu digitalisierten Prozessen im Gesundheitswesen, die die kommunalen Krankenhäuser umzusetzen haben, in der Finanzierung berücksichtigt werden.

Strukturbereinigung durch die Hintertür “Die Qualitätsanforderungen werden Stück für Stück nach oben geschraubt. Zur Erfüllung bekommen wir weder finanzielle noch andere Unterstützung”, kritisiert Geschäftsführer Ventzke. “Ich unterstelle der Politik: Man rechnet damit und es ist Kalkül, dass Krankenhäuser das nicht überleben und man damit eine Strukturbereinigung hinkriegt.” Seine Befürchtung ist, dass ein Haus dabei kaputtgeht, das man zur Versorgung eigentlich noch bräuchte. Es brauche eine klare Strategie, wo man eigentlich hin wolle.

Immer mehr gerade kleinere Kommunen erwägen, sich mit Nachbargemeinden freiwillig zusammenzuschließen. Die freiwillige Fusion ist ein großer Schritt für alle Beteiligten, der sich auf die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Bedingungen auswirkt und entscheidend für die Identifikation mit der neuen Kommune ist. Entsprechend müssen von Beginn an sämtliche notwendigen kommunalverfassungsrechtlichen Änderungen durchdacht sein, bevor die Gemeinde in einen intensiven Diskussionsprozess einsteigt. Der Erfolg hängt maßgeblich von folgenden Faktoren ab: • einer vorausschauenden Projektplanung, • der Einbeziehung aller Beteiligten, • Identifikation von Promotoren sowie • einer auf die örtlichen Verhältnisse abgestimmten Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Grundsätzlich bietet sich die in Ansicht der unten dargestellte Vorgehensweise als Orientierung an. Hierbei sind die wichtigsten Meilensteine eines Fusionsprozesses dargestellt, wobei die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Schritte auch

variieren kann. Basis für ein gelungenes Vorhaben ist der parteiübergreifende Konsens zur Prüfung einer Gemeindefusion. Hilfreich ist eine zuvor erfolgreiche und gelebte interkommunale Zusammenarbeit, vorzugsweise im Bereich Finanzen. In einem internen, übergemeindlichen Strategiepapier sind die Projektorganisation zu skizzieren, die leitenden Mitarbeiter zu benennen und die einzelnen Meilensteine zu definieren. Sie sollten sich an dem am Ende zu vereinbarenden Grenzänderungsvertrag orientieren. Zudem empfiehlt es sich, eine Machbarkeitsstudie von den Gemeindevertretungen zu beschließen und vom Gemeindevorstand zu beauftragen. An deren Ergebnissen ist die Projektgruppe aktiv zu beteiligen. Liegt die Machbarkeitsstudie vor, sind maßgebliche Zielgruppen aus den Gemeinden in Form von Informations- und Diskussionsveranstaltungen über den Prozess zu informieren. Nur wer vor dem öffentlichen Dialog umfassend die Probleme und Fallstricke kennt und sie klar den Bürgern gegenüber kommuniziert, kann diese Diskussion auch bestehen. Deswegen hat die Überörtliche Prü-

fung in Hessen die zentralen Inhalte und Regelungsbedarfe sowie Formulierungsvorschläge für einen Grenzänderungsvertrag zusammengestellt. Der Leitfaden zur Vorbereitung einer Gemeindefusion ist auf der Webpräsenz des Hessischen Rechnungshofes eingestellt und kann dort heruntergeladen werden (https://tinyurl. com/vbbhjrq). Die Einbindung der Bürger soll nach Möglichkeit von Vertretern begleitet werden, deren Gemeinden bereits erfolgreich fusioniert haben. Gerade die offene Thematisierung möglicher Schwierigkeiten und Nachteile einer Fusion dient der Akzeptanz eines derartigen Projekts. Anschließend ist der Bürger­ entscheid auf der Grundlage der Ergebnisse der Machbarkeitsstudie sowie der Bürger­ anhörungen vorzubereiten. Dabei bestehende Vorbehalte gegen die Gemeindefusion sind aufzunehmen, auszuräumen und aufgekommene Grundsatzfragen zu klären, um gleichlautende Beschlüsse zum Bürgerentscheid zu erreichen. Nach erfolgreichem Bürger­ entscheid sind die Regelungen für den Grenzänderungsvertrag zu erarbeiten und entsprechend zu beschließen. Lesen Sie mehr zum Thema “Interkommunale Zusammenarbeit” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1309 vom 8. November 2019, S. 154 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungs hof.hessen.de abrufbar. *Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­s chaf­t en beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt.

Modellhaftes Verfahren der Gemeindefusion

Quelle: BS/Kienbaum


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Personelles

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Kommunaler Haushalt

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as Land Nordrhein-Westfalen habe immer seine Bereitschaft erklärt, selbst einen Beitrag zur Lösung der Altschuldenproblematik seiner Kommunen zu leisten. “Dazu bedarf es aber eines Gesamtkonzeptes, an dem sich neben dem Land und den Kommunen auch der Bund beteiligt”, betonte Scharrenbach. Neben der Altschuldenthematik müsse man mit dem Bund auch über neue Belastungen sprechen, die der Bund den Kommunen aufbürde. “Das gerade erst verabschiedete Angehörigenentlastungsgesetz ist der Sache nach zwar wünschenswert, es kann die Kommunen aber bis zu 500 Millionen Euro jährlich kosten. Das ist eine Politik zulasten Dritter”, so die Ministerin. Beim Thema kommunale Altschulden betonte die Ministerin, dass man eine kommunale Kredithilfe auf den Weg bringen wolle. Bislang habe der “Stärkungspakt Stadtfinanzen” weder die Verschuldungssituation der Kommunen berücksichtigt noch einen Lösungsansatz für die kommunale Altschuldenproblematik geboten, so die Ministerin. Daher solle der bestehende Stärkungspakt zu ei-

Es kommt Bewegung in die Sache Bund und NRW sprechen über kommunale Altschulden (BS/lkm) Noch Ende des Jahres 2019 forderte NRWs Kommunalministerin Ina Scharrenbach zusammen mit Klaus Bouillon, Kommunalminister im Saarland, und Peter Beuth, Kommunalminister in Hessen, den Bund auf, die Länder endlich zu Gesprächen zum Abbau der kommunalen Altschulden einzuladen. Nun scheint ein Termin zu stehen. Mitte Januar kündigte Ministerin Scharrenbach auf dem Kommunalen Finanzmarktforum der NRW. BANK an, dass man sich in wenigen Wochen mit dem Bund treffen werde. ner “kommunalen Kredithilfe” weiterentwickelt werden. So steht es auch seit 2017 im Koalitionsvertrag, auf den sich CDU und FDP geeinigt haben. Bislang sei hier noch nicht viel passiert. Mit dem Bund werde in diesem Quartal ein erstes Gespräch zur Altschuldenproblematik stattfinden. “Wir haben lange darauf gewartet” so Scharrenbach. Sie gehe mit Zuversicht in die Gespräche mit der Bundesebene, könne aber auch die Ungeduld bei den Kommunen nachvollziehen. Auf dem Kommunalen Finanzmarktforum der NRW.BANK bat sie die anwesenden Bürgermeister und Kämmerer daher um Geduld: “Wir brauchen Zeit, um die Gespräche zu führen”. Die Kommunen, so Apostolos Tsalastras, Kämmerer der Stadt

Oberhausen, warteten aber schon länger darauf, mit dem Land zu reden. Das Land sollte Konzepte zur Altschuldentilgung im Vorfeld mit den Kommunen besprechen, bevor man in Gespräche mit dem Bund gehe. Scharrenbach möchte den Austausch mit den Kommunen jedoch erst nach den Gesprächen mit dem Bund suchen. Auch die SPD kritisierte, dass sich das Land zu zögerlich bei der Lösung der Altschuldenproblematik zeige. “Es ist überraschend, dass NRW eine abwartende Haltung einnimmt”, sagte Bernhard Daldrup, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Da NRW größter Profiteur eines Altschuldenfonds wäre, müsste Ministerin Scharrenbach eigentlich selbst ein Programm vorlegen,

Neue Regeln für das Spiel mit dem Glück Kommunen verzeichnen deutliche Einnahmerückgänge (BS/lkm) Eine neue Regel für Geldspielgeräte schmälerte im vergangenen Jahr die Steuereinnahmen in so manchen Kommunen. Doch statt Spieler vor Suchtgefahren zu schützen, trieb es viele in den illegalen Online-Glücksspielmarkt. Ein neuer Glücksspielstaatsvertrag will daher nun auch erstmals den Online-Bereich regulieren. 2017 nahmen die Kommunen in Deutschland 953,6 Millionen Euro an der Vergnügungssteuer ein. Bei einem gesamten Steueraufkommen von 95,9 Milliarden Euro macht die Vergnügungssteuer damit etwas weniger als ein Prozent am kommunalen Steueraufkommen aus. Obwohl die Vergnügungssteuer damit zu den sogenannten Bagatellsteuern gehört, sind die Einnahmen für manch klamme Kommune relevant. Regional gibt es bei der Vergnügungssteuer deutliche Unterschiede. So machte die Vergnügungssteuer 2017 bei den Kommunen in Sachsen und Brandenburg weniger als ein halbes Prozent aus, in Baden-Württemberg, im Saarland und in Rheinland-Pfalz hingegen fast zwei Prozent. Da die Kommunen in den beiden letzteren Bundesländern mit zu den höchst verschuldeten in Deutschland zählen, sind für die Kämmerer vor Ort auch die weniger ertragreichen Gemeindesteuern, wie die Vergnügungssteuer für Spiel- und Unterhaltungsgeräte in den Spielhallen und Gaststätten, relevant. Bis Ende 2018 konnte sich manch finanzschwache Kommune auf die Einnahmen aus der Vergnü-

gungssteuer gut verlassen. Doch mit Inkrafttreten der “technischen Richtlinie 5 für Geldspielgeräte” sackten die Einnahmen deutlich ab. Die Stadt Trier beispielsweise nahm 2019 rund 500.000 Euro weniger durch die Vergnügungssteuer durch Spielhallen und rund 140.000 Euro weniger durch Gaststätten ein. Auch in Wittlich mit seinen 19.500 Einwohnern, unweit von Trier, verzeichnete man Einbußen von rund 200.000 Euro bei der Vergnügungssteuer. Noch stärker traf es Bitburg. Hier landeten 2019 rund 300.000 Euro weniger in der Stadtkasse. Mit der neuen Regelung verloren alte Automaten ihre Zulassung. Erlaubt sind nur noch Geräte des Typs 5. Bei ihnen ist der bis dato maximale Verlust von 80 Euro pro Stunde auf 60 Euro pro Stunde begrenzt. Zudem dürfen Einsätze und Gewinne nur noch in Euro und Cent und nicht mehr in Äquivalenten wie Punkten angezeigt werden.

Neuer Staatsvertrag in der Diskussion Ziel der Regelung ist die Suchtbekämpfung. Doch in der Praxis spielen viele Kunden nicht weniger, sondern wandern in dubiose Portale ins Internet ab,

wie Zahlen zur Marktentwicklung im illegalen Online-Bereich zeigen. Das Problem: Beim unregulierten Online-Glücksspiel gibt es gar keinen Spieler- und Jugendschutz. Die Politik hat die Lage erkannt und wird daher Anfang März über einen neuen Glücksspielstaatsvertrag diskutieren, der erstmals auch die umfassende Regulierung des Online-Glücksspiels vorsieht. In diesen Tagen findet eine nicht öffentliche Anhörung zum Thema statt. Gerade bei dem emotio­ nal aufgeladenen Thema der Glücksspielregulierung ist diese Transparenzverweigerung unverständlich. Der Behörden Spiegel hat daher flankierend zu diesem wichtigen Gesetzesvorhaben in seiner Fachzeitschrift “Beiträge zum Glücksspielwesen” Stellungnahmen von Verbänden, Initiativen, Prävention, Wissenschaft und Suchtforschung zusammengetragen, die bei der nicht öffentlichen Anhörung ihre Position vortragen. Interessenten können auf der Homepage der Fachzeitschrift ab dem 20. Februar unter www.gluecksspielwesen.de diese sowie weitere Stellungnahmen aus der Wirtschaft zum Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages einsehen.

Einmalzahlungen abgeschafft Kommunaler Straßenbau in Rheinland-Pfalz (BS/lkm) Die rheinland-pfälzische Ampelkoalition hat sich auf eine Abschaffung der einmaligen Straßenausbaubeiträge geeinigt. So dürfen ab 1. Januar 2024 keine Einmalbeiträge mehr erhoben werden. Die Kommunen sollen mit Ausgleichszahlungen von rund zehn Millionen Euro bei der Umstellung auf die wiederkehrenden Beiträge unterstützt werden. Zudem sollen jährlich etwa 200.000 Euro an den Gemeinde- und Städtebund sowie den Städtetag fließen, die ihre Verbandsmitglieder bei der Umstellung beraten. Der Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz (GStB) begrüßt den Vorstoß der Landesregierung. Die geplanten Regelungen müssten aber auch praxisnah und gerichtsfest ausgestaltet werden. Hier werfe der vorgestellte Entwurf noch einige Fragen auf. So sei bereits jetzt absehbar, dass die Bildung der Abrechnungsgebiete zu großen Herausforderungen führen werde. “Gerade hier brauchen wir jedoch aufgrund der zum Teil widersprüchlichen Rechtsprechung der Landesgerichte klare und rechtssichere Regelungen. Wir warnen daher vor einem Verfahren im Schnelldurchlauf. Die erfor-

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derlichen Nachbesserungen und Ergänzungen im Gesetzesentwurf sollten jetzt gründlich erarbeitet und auch umgesetzt werden”, so der Kommunalverband.

Kommunale Mittel werden angezapft Kritisch sieht der Gemeindebund auch, dass die Mittel, die den Kommunen und den kommunalen Spitzenverbänden für den Beratungsbedarf bereitgestellt werden, aus dem Topf des kommunalen Finanzausgleichs genommen werden sollen. “Damit wird die kommunale Investitionsfähigkeit im Ergebnis nicht gestärkt, son-

dern geschwächt, da die Gelder an anderer Stelle im kommunalen Finanzausgleich fehlen werden. Daher sollten die Mittel aus dem originären Landeshaushalt genommen werden”, fordert der GStB. Die CDU-Landtagsfraktion und die kommunalpolitische Vereinigung der CDU Rheinland-Pfalz sprechen sich für eine komplette Abschaffung der Beiträge aus. Laut CDU sollen sich die Gemeinden mit 30 Prozent am Straßenausbau beteiligen. Der bisher von den Bürgern aufzubringende Anteil von 70 Prozent soll dann durch Zuschüsse aus dem Landeshaushalt aufgebracht werden.

Eine Altschuldenlösung soll, so Kommunalministerin Ina Scharrenbach, über mehrere Jahre abgewickelt werden. Zugleich sollten Verhandlungen über eine höhere Beteiligung des Bundes an den Sozialkosten geführt werden, weil sie die wichtigste Ursache für die kommunalen Schulden seien. Foto: BS/NRW.BANK

statt “abzuwarten, was der Bundesfinanzminister im Tresor hat”, so Daldrup weiter.

Strukturelle Probleme in den Griff bekommen Um die Verschuldung der Kommunen langfristig in den Griff zu bekommen, sei es laut Scharren-

bach wichtig, auch dafür zu sorgen, dass die Kommunen nicht wieder von Neuem Schulden anhäuften. In vielen Kommunen bestünden strukturelle Probleme. So lange diese nicht gelöst werden könnten, würden auch immer wieder neue Schulden entstehen. Ein Thema, das für Scharrenbach

hier besonders wichtig ist, ist das Unterhaltsvorschussgesetz. Hier sei die Ausweitung des Leistungsanspruches wesentlich finanzintensiver als vom Bund prognostiziert. “Jetzt ist der Bund an der Reihe”, betonte Scharrenbach. Ansonsten komme man nicht in eine vernünftige Finanzlage für die Städte und Gemeinden. Der Ministerin zufolge zeigte der Bund hier auch bereits Gesprächsbereitschaft. Auch müsse man mit dem Bund über den Rechtsanspruch auf die Ganztagsbetreuung sprechen, dieser sollte so nicht eingeführt werden. “Wir sollten aus dem Rechtsanspruch auf Kita-Plätze lernen”, so die Ministerin. Scharrenbach betonte zudem, dass Nordrhein-Westfalen den höchsten Kommunalisierungsgrad von Aufgaben habe. “Nirgendwo machen die Kommunen mehr als in NRW.”. Die Landesregierung habe in den letzten zweieinhalb Jahren deshalb bereits Änderungen vorgenommen, aber eine Lösung werde nicht Knall auf Fall kommen können. “Was sich über drei Jahrzehnte aufgebaut hat, kann nicht über Nacht abgebaut werden.” Die Gespräche über einen Abbaupfad würden gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium zu führen sein. Hierbei will Kommunalministerin Scharrenbach nichts überstürzen und die Gespräche in “ordentlicher, ruhiger und handwerklicher Atmosphäre” führen.

MELDUNG

Steuer auf Einwegverpackungen (BS/lkm) Als bundesweit erste Kommune erhebt die Universitätsstadt Tübingen eine Steuer auf den Verkauf von Einwegverpackungen: Ab Januar 2021 werden Einwegverpackungen und Einweggeschirr mit jeweils 50 Cent besteuert, für Einwegbesteck beträgt die Steuer 20 Cent. Zahlen müssen die Steuer die Händler, die beispielsweise

Take-away-Gerichte oder “Coffee to go” in nicht wiederverwendbaren Verpackungen verkaufen. Das hat der Tübinger Gemeinderat in seiner Sitzung am 30. Januar 2020 beschlossen. Von der Steuer ausgenommen sind Verpackungen, die der Verkäufer vollständig zurücknimmt und einer stofflichen Verwertung außerhalb der öffent-

lichen Abfallentsorgung zuführt. Ebenfalls ausgenommen sind Verpackungen, die auf Märkten, Festen und bei zeitlich befristeten Veranstaltungen ausgegeben werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Händler an nicht mehr als zehn Tagen im Jahr Speisen und Getränke im Rahmen solcher Veranstaltungen verkauft.


Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

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Behörden Spiegel / Februar 2020

Verstecktes Potenzial

2Mbit/s: Gestern schnell, heute unterversorgt

Land setzt auf Abwasserwärmerückgewinnung

Glasfaser – ein Geschäftsfeld für Stadtwerke

(BS/Franz Untersteller) Die Abwasserwärmenutzung ist eine langfristig sichere und erneuerbare Energiequelle. Mit moderner Wärmepumpentechnologie kann die Wärme aus Abwasser von Haushalten und der Industrie effizient und umweltfreundlich zum Heizen oder Kühlen größerer Gebäude oder Wohnsiedlungen genutzt werden. Die Technik ist ausgereift und bei vielen Projekten schon erfolgreich im Einsatz, zum Teil über drei Jahrzehnte. Mit aus Abwasser gewonnener Wärme könnten wir fünf bis zehn Prozent aller Gebäude in BadenWürttemberg versorgen. Das wären umgerechnet zwischen 125.000 und 250.000 Gebäude allein bei uns.

(BS/Fabian Bühring) Die Grundlage aller Digitalisierung ist ein flächendeckendes Glasfasernetz. Dies ist eine nationale Aufgabe, die von den traditionellen Telekommunikationsunternehmen allein nicht geleistet werden kann. Stadtwerke sind für diese Aufgabe geradezu prädestiniert: Sie haben als kommunale Unternehmen Erfahrung in der Errichtung von Infrastruktur für die Daseinsvorsorge. Sie haben kein Problem mit den teilweise sehr langen Amortisationszeiten und den langen Projektlaufzeiten. Und Stadtwerke verfügen über das Know-how und die Erfahrung im Umgang mit lokalen Genehmigungsbehörden. Daher ist es kein Wunder, dass in vielen Gebieten in Deutschland der Ausbau des lichtschnellen Netzes von kommunalen Unternehmen Dieses Potenzial ist bislang so auf die Investitionskosten und nen mit Abwasserwärme beheizt vorangetrieben wird - so auch in Schleswig-Holstein von den Stadtwerken Neumünster (SWN). gut wie ungenutzt geblieben. Nur rund 25 Projekte zur Nutzung von Abwasserwärme mit einer Wärmeleistung von insgesamt rund 16 MW und Kälteleistung von etwa zwei MW gab beziehungsweise gibt es in Baden-Württemberg. Das zeigt: Der große flächendeckende Durchbruch dieser Technik ist noch nicht gelungen. Das liegt zum einen sicher da­ ran, dass sie im Moment einfach noch nicht so bekannt ist. Es wäre wichtig, dass es insbesondere im Bau- und Immobilienbereich gelingt, Kenntnisse über die technischen Möglichkeiten der Abwärmenutzung weiter zu verbreiten. Damit würden Planungen und Entscheidungen auf eine bessere Basis gestellt. Zum anderen ist es für einige Projekte aber auch eine große Herausforderung, die Genehmigung des Kanalnetzbetreibers für den Einbau des Wärmetauschers zu erhalten. In diesen Fällen wäre es gut, wenn die Kanalbetreiber selbst die Sache in die Hand nähmen und den Wärmetauscher betrieben. Ein weiteres Hemmnis könnte sein, dass Investor und Betreiber die Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme im Hinblick

Betriebskosten unterschiedlich betrachten. Die Beurteilung von Lebenszykluskosten und Nachhaltigkeitsbewertungen sind noch nicht in der Breite der Immobilienwelt angekommen.

Gewinn für Kommunen

Bei allen Anlaufschwierigkeiten, die immer noch bestehen: Es gibt einige Pioniere, die die Chancen der Abwasserwärmenutzung erkannt haben. In Stuttgart wird beispielsweise gerade das Projekt “Abwasserwärmenutzung Neckarpark” umgesetzt. Im neuen Wohngebiet Neckarpark soll Abwasserwärme den Heizbedarf von rund 850 Wohneinheiten und Gewerbeflächen decken. Auch bei kleineren Kommunen ist es möglich, diese Technologie erfolgreich einzusetzen. Seit Mai 2019 wird in der Gemeinde Ilsfeld mit rund 10.000 Einwohnern die Wärme aus geklärtem Abwasser im Ablauf der Kläranlage entnommen und damit ein Wärmenetz mit rund 200 Gebäuden versorgt. Alle Projekte zeigen, dass sie Kommunen eine innovative und ökonomische Möglichkeit bieten, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren: Eigene Gebäude wie Schulen, Verwaltungsbauten, Sportanlagen, Hallenbäder und Heime, aber Franz Untersteller ist seit Mai 2011 Minister für auch größere pri­ Umwelt, Klima und Enervate Bauten wie giewirtschaft des Landes WohnsiedlunBaden-Württemberg. gen, Dienstleistungsgebäude, Foto: BS/Umweltministerium Gewerbebauten Baden-Württemberg und sogar ganze Quartiere kön-

I

nzwischen haben sich bundesweit viele Städte und Gebietskörperschaften mit sog. Public Corporate Governance Kodizes (kurz: PCGK) verpflichtet, eine gute, verantwortungsvolle Unternehmensführung und -kontrolle bei ihren Beteiligungsunternehmen zu sichern. Analog zu den jeweils geltenden Gemeinde- und Kreisordnungen soll sich diese Steuerung am Gemeinwohl der Bürgerinnen und Bürger orientieren, wobei der wirtschaftliche Erfolg der Gebietskörperschaft als “Konzernmutter” berücksichtigt werden soll. Damit bei der Leitung, Steue­ rung und Überwachung der Beteiligungsunternehmen ins­be­ sondere die öffentlichen Belange, das heißt die Daseinsvorsorge, angemessen berücksichtigt werden, ist die konsequente Umsetzung und das Nachhalten der durch den PCGK normierten Standards von entscheidender Bedeutung. Häufig fehlt es jedoch schon an der gesellschaftsrechtlichen Umsetzung des PCGK durch die Gebietskörperschaft, um den Kodex für die privatrechtlichen Beteiligungsunternehmen rechtlich verbindlich zu machen. Die Stadt Frankfurt am Main ­verpflichtet sich, eine gute, verant­ wortungsvolle Unternehmensfüh­ rung und -kontrolle bei ihren Beteiligungsunternehmen zu

werden.

Studie zu Energiepotenzialen Die Investition in diese energieeffiziente Technologie wird aus wirtschaftlicher Sicht zukünftig in jedem Fall attraktiver. Grund ist die beschlossene CO2-Bepreisung. Die Abwasserwärmenutzung reduziert den CO2-Ausstoß im Vergleich zu einer herkömmlichen Ölheizung um mehr als 60 Prozent. Wenn CO2 einen Preis hat, der zudem stetig steigt, ändern sich die Wirtschaftlichkeitsberechnungen zugunsten der Abwasserwärmenutzung. Das wird bei der Kalkulation von neuen Projekten berücksichtigt werden, sodass Abwasserwärme möglicherweise eine Art Boom erlebt. Das Land finanziert für Betreiber von kommunalen Kläranlagen bereits jetzt Gutachten zur Wärmerückgewinnung zu 50 Prozent. Dazu haben wir in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Tagungen und Workshops angeboten, um das Wissen und die Akzeptanz zur Abwasserwärme zu erhöhen. Das Umweltministerium plant, eine Studie zur Erhebung der Energiepotenziale der Wärmerückgewinnung bei Kläranlagen für Baden-Württemberg durchführen zu lassen. Damit soll auch eine Grundlage für die kommunale Wärmeplanung geschaffen werden, die für Kommunen ab 20.000 Einwohnern noch in diesem Jahr verbindlich werden soll. Auf diese Weise können die Potenziale für eine effiziente Nutzung der Abwasserwärme in den Kommunen erfasst und somit eine wichtige Basis für Projekte zur Abwasserwärmenutzung geschaffen werden.

Damit dieses Netz auch genutzt wird, müssen natürlich Kunden gewonnen werden. Hier laufen viele Stadtwerke in die Falle, die Telekommunikation über den bestehenden Energievertrieb zu vermarkten. Die Märkte funktionieren jedoch an einigen Stellen signifikant anders. Ein Faktor ist der ständige technische Wandel: Vor 15 Jahren waren 2Mbit/s noch “turboschnell” – heute ist man damit “unterversorgt”. Ein aktuelles Beispiel: Gigabit-Anschlüsse werden seit Kurzem auch über Kupfernetze angeboten. Langfristig werden sich aber nur echte Glasfaseranschlüsse (FTTH) durchsetzen, denn diese sind um ein Vielfaches leistungsfähiger! Ein guter TK-Vertrieb muss sich daher ständig weiterentwickeln und seine Angebote immer wieder dem Markt anpassen.

Prozesse fortlaufend optimiert und automatisiert Hinzu kommt, dass sich der TKMarkt schon seit über 20 Jahren in einem sehr starken Wettbewerb befindet, der von den großen Unternehmen mit großen Budgets sehr werbewirksam und aggressiv betrieben wird. Die Kunden erwarten daher besondere Angebote und eine aktive Ansprache. Auch haben die Telekommunikationskonzerne ihre Prozesse fortlaufend optimiert und automatisiert. Um die Kundenerwartungen zu erfüllen, müssen die teils sehr komplexen Prozesse äußerst effektiv funktionieren und hochgradig digitalisiert sein. Außerdem sind die Pakete aus Telefonie, Internet und Fernsehen komplex und sollten

Fabian Bühring ist Leiter Telekommunikation bei den SWN Stadtwerken Neumünster. Foto: BS/SWN

daher gut, das heißt knapp, aber leicht verständlich erklärt werden. Kombinationen mit Stromoder Gastarifen werden oft nicht so stark angenommen wie erwartet – die Kunden erwarten diese Bundles schlicht bislang nicht.

Kooperationen mit lokalen Unternehmen sinnvoll Glasfaseranschlüsse über den Energievertrieb einfach mit zu verkaufen, funktioniert daher in der Regel nicht. Andererseits können und sollten Stadtwerke ihre vorhandenen Stärken auch im TelekommunikationsGeschäft nutzen: Die meisten Stadtwerke haben eine starke lokale Marke, die für Zuverlässigkeit, Vertrauen und Qualität bei Leistung und Service steht. Außerdem verfügen sie als Anbieter aus der Region über einen unschätzbaren Vorteil: Sie sind bekannt, stehen für persönliche Betreuung vor Ort und sprechen die Sprache ihrer Kunden! Wer Erfolg haben will, kombiniert diese Vorteile mit starkem Know-how des Telekommunikations-Geschäftes. Hierfür bieten sich Kooperationen mit anderen lokalen Unternehmen an. Wer in das Geschäft

Compliance-Kultur ist Chefsache Compliance-Management-System für Unternehmen im öffentlichen Sektor (BS/Lars Scheider) Wenn man Compliance als das Befolgen von Regeln jedweder Art versteht, die der unternehmerischen Betätigung vorgegeben sind, ist es wichtig, dass die Kultur der Unternehmen bereits eine Anfälligkeit verhindert, ohne dass es einer Überorganisation im Einzelnen bedarf. Dabei sind Korruption und Verletzung von Datenschutz und IT-Sicherheit neben weiteren unternehmensindividuellen Risikogebieten die wichtigsten Compliance-Risiken. Die Compliance-Kultur in den Beteiligungsunternehmen sollte sich deshalb nicht wesentlich von der Compliance-Kultur in der Kernverwaltung einer Kommune unterscheiden: Der Mitarbeiter muss im Zentrum der Überlegungen stehen, wobei unter Mitarbeitern auch die angestellten Geschäftsführer zu verstehen sind. sichern. Dazu gehört auch die Entwicklung einer Kultur der Einhaltung von Regeln (Compli­ ance). Die Aufgabenwahrneh­ mung im “Konzernverbund Stadt” erfolgt häufig über städ­tische Beteiligungsunternehmen, die, obwohl nicht Teil der Kernverwaltung, in der Öffentlichkeit als “verlängerter Arm” der Stadt wahrgenommen werden.

Mitarbeiter im Mittelpunkt Die Compliance-Kultur in den Unternehmen muss darauf ausgerichtet sein, die Organe und Mitarbeiter so zu sensibilisieren, dass sie selbst ein inneres Wertesystem entwickeln, das ihnen jenseits starrer Richtlinien ein Fingerspitzengefühl dafür vermittelt, was erlaubt ist und was nicht. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei, dass sich der Mitarbeiter dem Unternehmen und seinen Zielen verpflichtet fühlt

Unternehmensrichtlinien (Verhaltensgrundsätze Lars Scheider ist Bankkaufmann, Assessor jur. sowie etc.) angehalten Verwaltungsdirektor und werden, CompliAbteilungsleiter Beteiliance-Regelungungsmanagement bei der gen zu befolgen, Stadtkämmerei der Stadt zum anderen Frankfurt a. M. aber auch moralisch gegen die Foto: BS/privat Versuche Dritter, sie zu korrumpieren, gestärkt und sich im Unternehmen auch werden. Dazu gehören Schuangemessen behandelt fühlt. Er lungsmaßnahmen jedweder Art muss im Zentrum der Überle- und eine entsprechende Persogungen der Etablierung einer nalführungskultur der TransCompliance-Kultur stehen, wo- parenz und Offenheit, geprägt bei unter Mitarbeitern auch die durch gegenseitiges Vertrauen angestellten Geschäftsführer zu und Loyalität zwischen Mitarverstehen sind. Für die Vorstän- beitern und Vorgesetzen auf alde von Aktiengesellschaften so- len Führungsebenen. Wichtig aber ist, dass Comwie für Aufsichtsratsmitglieder gelten Besonderheiten. pliance-Maßnahmen sowohl Die Mitarbeiter müssen zum für das Unternehmen wie auch einen durch Regeln wie interne für die Mitarbeiter zu greifbaren

Vorteilen führen. Sämtliche Erscheinungsformen von Korruption können sowohl das Vertrauen der Geschäftspartner sowie das Ansehen des Unternehmens sowie die Arbeitsmoral der Mitarbeiter beeinträchtigen. Aber auch funktionierende Marktmechanismen können ausgehebelt, höhere Kosten und Preise verursacht sowie Marktteilnehmer geschädigt werden. Da die Geschäftsleitung und sonstige Führungskräfte durch ihre Personalverantwortung eine Vorbildfunktion für alle Mitarbeiter ausüben, ist die Compliance “Chefsache”. Deshalb ist das Thema Compliance bei der Umsetzung im Unternehmen nicht die

neu einsteigt oder bislang noch nicht richtig losgelegt hat, kann von den Erfahrungen und den Investitionen bereits etablierter Glasfaseranbieter profitieren, ohne seine lokalen Vorteile zu verlieren. Gleichzeitig können diese Unternehmen durch Partnerschaften ihre Investitionen besser auslasten. “Als Unternehmen, das seit über zehn Jahren Glasfasernetze bis ins Haus baut und betreibt, haben die Stadtwerke Neumünster sich diesem Ansatz verschrieben. Wir teilen unsere Erfahrung mit unseren Partnern, da wir so gemeinsam stärker werden”, so SWN-Geschäftsführer Michael Böddeker.

Wertvoller Beitrag zur Daseinsvorsorge Auf diese Weise kann ein langfristiges und nachhaltiges Geschäft aufgebaut werden, das sinkende Margen in anderen Bereichen kompensiert und zugleich einen wertvollen Beitrag zur Daseinsvorsorge in der Region leistet. Denn egal ob es um Großunternehmen, einen mittelständischen Betrieb, um Freiberufler oder Familien mit Kindern geht – lichtschnelles Internet braucht jeder!

Aufgabe von Spezialisten, sondern eine klare Führungsaufgabe der Geschäftsführung. Sie ist verantwortlich für die ComplianceUmsetzung und auch in diesem Thema Ansprechpartner für den Anteilseigner. Von einem modernen, attraktiven Arbeitgeber wird erwartet, dass das Handeln seiner Mitarbeiter – auf allen Unternehmensebenen – stets an Recht und Gesetz sowie an ethisch-moralischen Grundsätzen ausrichtet ist und die Geschäftstätigkeit stets durch Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit und Integrität geleitet ist. Nur auf diese Weise wird das Unternehmen seiner Verantwortung eines zuverlässigen Geschäftspartners und Arbeitgebers gerecht. Diese Verhaltensgrundsätze sollten Leitbild für jedes Unternehmen sein. Sie sollten für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbindlich sein. Sie konkretisieren die für die tägliche Arbeit geltenden Grundsätze und Standards und sollen somit helfen, dass die rechtlichen und internen Regelungen eingehalten werden.

Beteiligungsseminar Die Umsetzung von umfangreichen Compliance-Management-Systemen (CMS) nach den Prüfungsstandards des Instituts Deutscher Wirtschaftsprüfer (IDW) 9809 erfordert einen hohen Aufwand an Organisation, Einsatz vom zuständigen Personal und führt bei Einführung zu hohen Kosten. Wie kleinere öffentliche Unternehmen mit Mindeststandards beginnen können, ein CMS zu etablieren, erläutert der Autor in einem Seminar des Behörden Spiegel am 5./6. Mai 2020 in Berlin. Mehr unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort ­“Beteiligungsmanagement”


Kommunalwirtschaft / Beleuchtung

Behörden Spiegel / Februar 2020

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Der Dresdner Lichtmasterplan

Denkende Fußgängerampeln

Lichtgestaltungsmaßnahmen in der Innenstadt

Automatische Erkennung von Kreuzungswünschen

(BS/Raoul Schmidt-Lamontain) Der Lichtmasterplan wurde als konzeptionelle Grundlage für die Lichtgestaltung der Dresdner Innenstadt erarbeitet und bereits im Jahr 2010 durch den Stadtrat beschlossen. Er ist als Leitlinie für eine ausgewogene, zurückhaltende Lichtgestaltung der Innenstadt zu verstehen. Mit der Umsetzung des Lichtmasterplans sollen die stadträumlichen Strukturen, insbesondere wichtige stadtbildprägende Gebäude, entsprechend ihrer Bedeutung im nächtlichen Erscheinungsbild der Stadt erlebbar werden.

(BS/Horst Possegger) In Wien gibt es rund 200 Druckknopfampeln. Diese ermöglichen Fußgängerinnen und Fußgängern eine sichere Straßenquerung. Allerdings erst nach einer Wartezeit, die vielen Menschen lästig ist. Die Folge: Fußgängerinnen und Fußgänger warten oftmals nicht auf die Grünphase, sondern gehen in eine andere Richtung weiter oder queren die Straße bei Rot. Für manche wiederum sind Druckknopfampeln eine Einladung, die Grünphase im Vorbeigehen einfach nur aus Spaß auszulösen. All diese Handlungen sorgen auch bei Autofahrerinnen und Autofahrern für Ärger – nämlich dann, wenn diese an der Kreuzung halten müssen, obwohl niemand die Straße quert.

Seit der Erstellung des Lichtmasterplans haben sich die technischen Möglichkeiten für die Lichtgestaltung durch die Weiterentwicklung der Beleuchtungstechniken und durch den Einsatz der LED-Technik wesentlich verändert. Die im Lichtmasterplan verankerten Gestaltungsgrundsätze sind dabei unverändert geblieben. Durch den Einsatz neuer Lichttechniken besteht jedoch die Möglichkeit, Lichtgestaltungsprojekte energieeffizienter und auch insektenfreundlicher zu realisieren. Der Lichtmasterplan ist die konzeptionelle Grundlage für die Lichtgestaltungsmaßnahmen, die in der Innenstadt geplant werden. Aus dem Planwerk können Vorgaben für die Lichtfarben und Leuchtdichten abgeleitet werden. Bei Stadtentwicklungs- und Baumaßnahmen in der Innenstadt werden die Vorgaben des Lichtmasterplans jeweils zugrunde gelegt und mit den Planungen für die Straßen und Plätze und bei Bauund Sanierungsmaßnahmen von Gebäuden konkretisiert und umgesetzt. Der Geltungsbereich des Lichtmasterplans ist die Innenstadt innerhalb des äußeren Stadtrings, des sogenannten 26er-Rings. Die räumlichen Schwerpunkte des Lichtmasterplans sind die Altstädter Silhouette zwischen der Marienbrücke und der Albertbrücke, die innerstädtischen Plätze und die Brücken.

Artenfreundliche Beleuchtung Die öffentliche Beleuchtung wurde in den vergangenen Jahren im Rahmen von Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen nach den Vorgaben des Lichtmasterplans zur

Entsprechend ihrer Bedeutung sollen die Wahrzeichen Dresdens auch bei Dunkelheit, wie hier, erlebbar sein. Foto: BS/Olaf Schneider, pixelio.de

unter anderem die Lichtgestaltung der OstfasBürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain ist sade des Neuen Beigeordneter für StadtentRathauses, die wicklung, Bau, Verkehr und mit dessen SaLiegenschaften der Landesnierung einherhauptstadt Dresden. ging, oder die Neuanstrahlung Foto: BS/Sven Brauers der Albertbrücke im Zuge der Brückensanierung. Lichtfarbe umgerüstet. Für die Auch für die Augustusbrücke ist Planung und Umsetzung von mit der Brückensanierung die Gebäudeanstrahlungen sind die Lichtgestaltung geplant. Allerjeweiligen Gebäudeeigentümer dings gibt es für die Brückenanzuständig. Für historische und strahlungen aus artenschutzöffentliche Gebäude sind dies rechtlichen Gründen zahlreiche in der Regel der Freistaat Sach- Vorgaben. Insbesondere in den sen, die Stadt Dresden und im Sommermonaten, während der Einzelfall auch Kirchengemein- Flugzeiten von Vögeln oder Fleden und private Gebäudeeigen- dermäusen, sind Lichtgestaltümer. Die Stadt stimmt sich tungen stark reglementiert. zur Umsetzung des Lichtmasterplans fortlaufend mit den Ei- Abstimmung mit Privateigentümern gentümern ab. Durch die Stadt Dresden selbst Auch der Freistaat Sachsen konnten in den vergangenen hat, vertreten durch das SächJahren im Zuge von großen sische Immobilien- und BaumaBaumaßnahmen einige neue nagement, in den vergangenen Gebäudeanstrahlungen reali- Jahren die Anstrahlung zahlreisiert werden. Zu nennen sind cher öffentlicher Gebäude den

Vorgaben des Lichtmasterplans angepasst und die technischen Anlagen erneuert, unter anderem die Anstrahlung der Semper­ oper, des Finanzministeriums und der Staatskanzlei. Weitere Lichtgestaltungsprojekte für Gebäude, die für die Gesamtwirkung der Stadtsilhouette von Bedeutung sind, liegen vor. Allerdings ist die Umsetzung von Lichtgestaltungsmaßnahmen oft ein langwieriger Prozess, da diese in der Regel mit Baumaßnahmen an den Gebäuden und entsprechenden Planungsvorläufen verbunden sind. Für die Neuanstrahlung der Festungsmauer konnte unter anderem aufgrund der Blendwirkung auf der Brühlschen Terrasse bisher keine zufriedenstellende technische Lösung gefunden worden. Eines der aktuellsten Projekte, die im vergangenen Jahr auf Grundlage des Lichtmasterplans realisiert wurden, ist die Erneuerung der Beleuchtungstechnik für die Anstrahlung der Frauenkirchenkuppel durch die Stiftung Frauenkirche. Nicht immer korrespondieren die Vorstellungen privater Eigentümer von der Lichtgestaltung und dem “in Szene setzen” ihrer Gebäude mit dem Ziel einer ausgewogenen Lichtgestaltung und den Vorgaben des Lichtmasterplans. Daher besteht immer wieder Beratungsbedarf privater Bauherren im Zusammenhang mit Bauantragsverfahren. Auch die Nutzung von digitalen Screens für Werbe- und Informationszwecke, die aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten von Gebäudeeigentümern derzeit vermehrt geplant werden, können durch ihre Lichtwirkung den Stadtraum dominieren und den Lichtgestaltungszielen für die Innenstadt widersprechen.

Veränderte Nachtlandschaften Modernisierungen von Straßenbeleuchtungen (BS/Dr. Franz Hölker/ Dr. Sibylle Schroer*) Die Frage nach einer Modernisierung der Straßenbeleuchtung bewegt derzeit viele Kommunen. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat in Kooperation mit dem Bundesamtamt für Naturschutz (BfN) einen Handlungsleitfaden für eine nachhaltige Neugestaltung und Umrüstung von Außenbeleuchtungsanlagen veröffentlicht. Eine hochwertige Beleuchtung ist effizient und sollte den Stromverbrauch nachweislich senken. Wichtig ist aber auch, dass sie die sogenannte Lichtverschmutzung auf ein Mindestmaß begrenzt und Mensch und Natur nur geringfügig stört. Ein gut begründetes Anforderungsprofil hilft, Beleuchtungsanlagen gezielt zu planen und den Technologiebedarf transparent darzustellen. Der Handlungsleitfaden zur Neugestaltung und Umrüstung von Außenbeleuchtungsanlagen bietet hierfür detaillierte Empfehlungen. LED-Leuchten sparen sechzig bis achtzig Prozent des Stromverbrauchs gegenüber veralteten Beleuchtungsanlagen. Dabei ist eine bedarfsgerechte Steuerungstechnik wichtig; Sie steigert das Einsparpotenzial und schöpft die Vorteile der LED-Technik in vollem Umfang aus. Falls die Investitionskosten für LED zu hoch sein sollten, können Dimmer für vorhandene Gasentladungsleuchten über sechzig Prozent Strom einsparen. Dies kann sich bereits nach kurzer Zeit amortisieren und hilft, die Planungsphase für eine digital gesteuerte Beleuchtung zu überbrücken. Beleuchtungsstärke, Lichtfarbe und Abstrahlungsgeometrie sollten aufeinander abgestimmt und dem örtlichen Bedarf angepasst werden. Für die Beleuch-

tungsstärke gilt der Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Die Festlegung von Maximalwerten für Beleuchtungsstärken und Leuchtdichten nach Nutzungsart, -dauer und -auslastung können einem Wettrüsten zwischen öffentlicher, privater und gewerblicher Beleuchtung entgegenwirken und Lichtverschmutzung nachhaltig reduzieren. Regionale Lichtkonzepte können diese Maximalwerte für den jeweiligen Verwaltungsbereich festlegen. Die europäische Norm DIN EN 13201 “Straßenbeleuchtung” bietet Mindestwerte an, diese werden wegen fehlender gesetzlichen Regelungen oft wie ein Gesetz behandelt. Sie sind aber nicht bindend, sondern eine lichttechnische Empfehlung, die ökologische und chronobiologische Aspekte ungenügend berücksichtigt. Die Lichtfarbe sollte sich auf das menschlich wahrnehmbare Spektrum beschränken, UV-Strahlung emittierende Quecksilberdampflampen sollten demnach zeitnah umgerüstet werden. Kaltweißes Licht mit hohem Blaulichtanteil ist effizient und wird deshalb aus lichttechnischer Sicht propagiert. Das kurzwellige Spek­trum beeinflusst aber am stärksten das zirkadiane System von Säugetieren und Menschen und zieht die meisten Fluginsekten

an. Der Blaulichtanteil sollte deshalb reduziert und wärmere Lichtfarben (< 3.000 Kelvin) bevorzugt werden. Abstrahlungen nach oben und in die Horizontale sind zu vermeiden, da dies Wohn- und Lebensräume beeinträchtigt, Blendungen verursacht und städtische Lichtglocken verstärkt, welche umgebende Nachtlandschaften weiträumig aufhellen. Eine geeignete Abstrahlungsgeometrie erreicht man durch Abschirmung und Reflektoren. Die Modernisierung von Beleuchtungsanlagen ist eine Investition in die Zukunft, die für Jahrzehnte Auswirkungen auf unsere Nachtlandschaften haben wird. Der kulturelle Fußabdruck durch die Teilung Deutschlands zeigt sich noch heute auf Bildern von Berlin aus der Internationalen Raumstation anhand der Farbunterschiede in der Beleuchtung. Die Lebensdauer von LED wird als noch länger angesetzt; Ersatzteile sollten deshalb langfristig zur Verfügung stehen, was problematisch ist, da LED-Bauteile nicht normiert sein müssen. Auch die Herkunft der Leuchtenbestandteile (z. B. Treiber, Reflektoren, Gehäuse, Lampen) sollte transparent nachverfolgt werden können und den europäischen Anforderungen in Qualität und Arbeitsschutzbe-

dingungen bei der Herstellung entsprechen. Der Handlungsleitfaden ist online abrufbar unter: bit.ly/bfn543. *PD Dr. Franz Hölker ist Leiter der Arbeitsgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie am IGB, Dr. Sibylle Schroer ist wissenschaftliche Projektkoordinatorin.

Im Auftrag der Magistratsabteilung 33 der Stadt Wien – zuständig für die städtische Beleuchtung sowie für Ampeln, Uhren und öffentliche WLANStationen – haben wir am Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen der TU Graz ein Ampelsystem entwickelt, das mehr Komfort bietet und die Druckknopfampeln auf lange Sicht ersetzen soll. Das innovative, kamerabasierte System erkennt die Absicht von Fußgängerinnen und Fußgängern, die Straße überqueren zu wollen, und leitet

vier Sekunden vor Betätigen des Druckknopfs gemeldet wird.

Datenschutz ist gewährleistet

Die Anforderungen an dieses System waren komplex: Die Hardware musste groß genug sein für einen leistungsstarken lokalen Rechner, gleichzeitig aber so klein wie möglich gebaut werden, um im Schaltkasten der Ampel Platz zu haben. Bei der Software waren Genauigkeit und Effizienz gefragt. Außerdem wurde das Programm zusätzlich mit einer Systemüberwachung ausgestattet, die Ausfälle rechtzeitig meldet. Das ist eine doppelte Absicherung. Das System wurde so Horst Possegger ist Forscher am Institut für entwickelt, dass Maschinelles Sehen und es selbst in rauer Darstellen der TU Graz. Umgebung rund um die Uhr funkFoto: BS/privat tioniert und auch mit Spannungsdie Grünphase automatisch ein. spitzen und Spannungsabfällen Darüber hinaus bereitet es die fertig wird. Anhand globaler BewegungsStraße für weitere Verkehrsoptimierungen vor: Bei größeren modelle und aufgezeichneter Personengruppen beispielswei- Daten hat unser Team lernende se kann die Grünphase auto- Algorithmen entwickelt, die den matisch verlängert werden, da Querungswunsch von Fußgändiese mehr Zeit benötigen, um gerinnen und Fußgängern erdie Straße zu queren. Und wenn kennen. Sorgen hinsichtlich des DaPersonen den Wartebereich vorzeitig verlassen, wird das tenschutzes können entkräftet an die Ampel gemeldet. Diese werden. Die Bilddaten sind zwar leitet folglich keine Grünphase zwingend notwendig, um Fußein und es kommt zu keinen gängerinnen und Fußgänger – unnötigen Wartezeiten für den darunter auch Kinder sowie Permotorisierten Verkehr. sonen mit Regenschirmen oder Zentrales Element unseres Kinderwagen – detektieren zu Systems ist eine an der Ampel können. Die Bilder werden hiermontierte Kamera. Während für aber direkt lokal analysiert, Standard-Industrielösungen nicht gespeichert und verlassen nur ein zwei mal drei Meter gro- die Kamera nicht. Das Ampelßes Sichtfeld abdecken, nimmt system arbeitet ausschließlich dieses System alle Personen mit geometrischer Informatiinnerhalb eines acht mal fünf on, aus der es den KreuzungsMeter großen Bereiches wahr. In wunsch ableitet. Sekundenschnelle erkennt es, Im Laufe der nächsten Jahre wer die Straße queren möchte. werden weitere DruckknopfanEine erste Intentionsschätzung lagen in Wien durch das neue dauert eine Sekunde – nach zwei System ersetzt, vier dieser “denSekunden haben wir schon ei- kenden” Ampeln sind bereits im ne verlässliche Schätzung. An- Einsatz. schließend meldet das System den Kreuzungswunsch an den Mehr zum Tracking-Ansatz tugraz.at/go/planet-re Ampel-Controller. Dieser ent- unter scheidet – genau wie beim her- search Die Funktionsweise ist im Vikömmlichen Drucktastersystem – wann die Ampelschaltung deo “Occlusion Geodesics for Onerfolgt. Derzeit haben wir das line Multi-Object Tracking“ unter System so konfiguriert, dass https://vimeo.com/88141421 der Kreuzungswunsch drei bis zu finden.


Kommunale Infrastruktur

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Behörden Spiegel / Februar 2020

Erprobung flexibler Ladesäulen in Wolfsburg

Stressprävention in einer Gesundheitsstadt

Zum Geburtstag 80 Wochen freies Laden

Die Digitalisierung in Bad Nauheim gemeinsam denken

(BS/Wim Orth) In der Stadt Wolfsburg wird seit Mitte Januar ein neues Ladesäulenkonzept für Elektroautos pilotiert. Für die nächsten 80 Wochen ist das Laden an den insgesamt zwölf flexiblen Ladesäulen im Stadtgebiet kostenlos für Bürger und Besucher der Stadt möglich. Das neue Konzept setzt dabei auf eine bedarfsgesteuerte An- und Abschaltung einzelner Säulen: So sind neun der insgesamt zwölf Säulen in der ersten Phase des Pilotprojekts fest an das Stromnetz angeschlossen, während drei weitere Ladesäulen flexibel hinzugeschaltet werden können, wenn Bedarf besteht, beispielsweise durch temporäre Großveranstaltungen. Die neun ständig unter Strom stehenden Schnellladesäulen verteilen sich dabei fast über das gesamte Stadtgebiet, mit Ausnahme des Südens der Stadt. Geladen werden können Elektroautos sowie Hybridfahrzeuge verschiedener Hersteller. Wie der Name der Säulen bereits impliziert, können die Fahrzeuge nicht nur im normalen Lademodus (AC), sondern auch im Schnelllademodus (DC) mit bis zu 100 kW wieder startklar gemacht werden.

(BS/Markus Wieliki*) Stress spielt in einer digitalen Welt eine immer größere Rolle. Doch was hat das mit der Entwicklung von Städten zu tun? In einer Gesundheitsstadt einiges. Auch wenn stets die Frage gestellt wird, ob eine Kurstadt Künstliche Intelligenz, Online-Services und digitale Prozesse braucht.

Die Standorte für die neun Schnellladesäulen wurden in enger Zusammenarbeit zwischen der Volkswagen Group Components, der Stadt Wolfsburg und der Wolfsburg Wirtschaft und Marketing GmbH (WMG) definiert. Dabei sieht man vor allem die durch das Wolfsburger Unternehmen neu entwickelten, flexibel einsetzbaren Ladesäulen als wichtigen Schritt in Richtung einer flächendeckenden Ladein­frastruktur, die für die elektromobile Zukunft zwingend notwendig seien, wie Thomas Schmall, Vorstandsvorsitzender der Volkwagen Group Components, erklärt. So könne die Ladesäule “überall dort – fest angeschlossen, aber auch unabhängig vom Stromnetz – aufgestellt werden, wo Bedarf besteht. Ganz gleich ob in der City, bei Festivals, am Stadion oder bei anderen Veranstaltungen.” Da die flexiblen Ladesäulen im Grunde wie ein großer Akku, vergleichbar mit Powerbanks für Smartphones, funktionierten, könnten “die zuvor in E-Fahrzeugen genutzten Batterien einem zweiten Lebenszyklus zugeführt werden”. Auf diese Weise sei auch eine Wiederverwertung “für die Batterie von der Zelle bis zum Recycling” gewährleistet.

Modellstadt für urbanes Laden Ein zusätzlicher Vorteil der flexiblen Ladesäulen sei die Mobilität. So sind die drei Exemplare nicht fest verankert wie reguläre Ladepunkte, sondern kompakt genug, um fast überall aufgestellt werden, wo Bedarf besteht und bzw. oder noch keine Ladeinfrastruktur vorhanden ist. Technisch kann eine solche Säule an das Niederspannungsnetz angeschlossen werden und wird so zu einem festen Ladepunkt, der jederzeit wieder abgebaut werden kann. Das verbaute Batteriepack ermöglicht zudem eine Netzentkoppelung durch

So sehen sie aus: Neun Schnellladesäulen dieser Bauform stehen an permanenten Standorten in Wolfsburg, an denen die Bürger die ersten 80 Wochen gratis ihre Batterien aufladen können. Drei weitere Exemplare werden je nach Bedarf zu Großveranstaltungen aufgebaut. Foto: BS/Volkswagen AG

Pufferspeicherung der Energie und kann somit vor allem zu Zeiten mit hohem Strombedarf das Netz entlasten. Für Dennis Weilmann, den Wolfsburger Dezernenten für Wirtschaft, Digitales und Kultur, wird mit den neuen Ladesäulen ein großer Schritt gemacht, um einem kommunalen Ziel näherzukommen: “Ein wesentliches Ziel der Initiative #WolfsburgDigital ist es, Wolfsburg zur Modellstadt für urbanes Laden zu machen. Mit dem Aufstellen der flexiblen Ladesäulen gehen wir den nächsten konsequenten Schritt in diese Richtung und bieten den Bürgerinnen und Bürgern weitere Möglichkeiten, ihr E-Fahrzeug im Stadtgebiet zu laden”.

Initiative von Stadt und Konzern Ein weiterer Pluspunkt für die Stadt: Mit dem Aufbau der zwölf flexiblen Schnellladesäulen begleicht der Volkswagen-

Konzern einen Teil seines Versprechens aus dem Jahr 2018 zum 80-jährigen Stadtjubiläum. Damals versprach das mit der Stadtgeschichte eng verbundene Unternehmen als Geburtstagsgeschenk den Aufbau einer urbanen Schnellladeinfrastruktur für Wolfsburg. So ergänzen die neuen Schnellladesäulen den bundesweit ersten von mehreren High-Power-Charging (HPC)Ladeparks im Stadtgebiet an der E-Mobility-Station in Wolfsburg. Der Rollout der urbanen Schnellladeinfrastruktur erfolgt zudem unter dem Dach von #WolfsburgDigital. Mit dieser Initiative bauen die Stadt Wolfsburg und Volkswagen digitale Angebote, Elektromobilität und Modelllösungen am Standort Wolfsburg konsequent aus. Im Mittelpunkt aller Bestrebungen der beiden Partner sollen dabei die Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandortes Wolfsburg sowie die Steigerung der Lebensqualität für die Bürger stehen.

Bad Nauheim versteht sich als Gesundheitsstadt in der Metropolregion Rhein-Main. Hier leben 32.000 Menschen und es gibt 13 moderne Kliniken und wissenschaftliche Institutionen. Wie fast alle Städte will auch Bad Nauheim sowohl mit Lebensqualität als auch mit attraktiven Rahmenbedingungen für Unternehmen überzeugen. Aktuell gelingt das, denn Bad Nauheim wächst. Das bedeutet mehr Menschen, mehr Gäste, mehr Infrastruktur, mehr Verkehr, mehr Leben. Eine positive Entwicklung. Ist es da notwendig, sich jetzt schon Gedanken über digitale Lösungen zu machen? Viele stehen der digitalen Transformation tendenziell abwartend gegenüber. Entwicklung wollen alle. Das “Mehr an Entwicklung” birgt jedoch Herausforderungen: Verstopfte Straßen, eine Geräuschkulisse und ein Stadtbild, das der Gesundheitsstadt nicht mehr gerecht wird. Die Infrastruktur wird deutlich stärker beansprucht. Es entsteht “Stress”. Wie in der gesundheitlichen Stressprävention geht es nun darum, die positiven Wirkungen von Stress, nämlich eine gestiegene Leistungsbereitschaft und Reaktionsgeschwindigkeit, zu nutzen und Strategien zu entwickeln, um den Stress zu managen. In der Gesundheitsstadt ist eine Antwort darauf eine “digitale Agenda” und deren Umsetzung.

Wo stehen wir? Bürgermeister Klaus Kreß hat sich auf den Weg gemacht, sich im Bereich der Digitalisierung konzernweit strategisch aufzustellen – und zwar nicht zum Selbstzweck oder weil es “hip” ist, sondern um bestehende und entstehende Probleme zu lösen. Die digitale Agenda hat genau diesen Ansatz in ihrem Grundverständnis und legt Entwicklungsschritte für die nächsten Jahre fest. Denn nicht nur die Handlungsfelder der Stadt und ihrer Töchtergesellschaften sind komplex, auch die digitalen Möglichkeiten sind es untereinander. So beinhaltet die digitale Agenda ein innerstädtisches Commitment, zu dem sich alle Fachbereiche und Gesellschaften der Stadt

Der Sprudelhof ist eines der Wahrzeichen der Gesundheitsstadt Bad Nauheim. Bürgermeister Klaus Kreß will mit seiner Verwaltung die Digitalisierung nutzen, um diesen Aspekt der Stadt auch in die moderne Zeit zu bringen. Foto: BS/Stadt Bad Nauheim

bekennen. Deutlich wird das vor allem im Bereich der Mobilität, einem der zentralen Handlungsfelder der digitalen Agenda und einem Thema, das die Menschen in der Stadt bewegt – örtlich und emotional. In Bad Nauheim dreht sich seit über einem Jahrhundert alles um das Thema Gesundheit. Das Anliegen, die Attraktivität zu erhalten, muss immer auch das Thema Gesundheit beachten. Es gilt auch hier, Stress zu reduzieren. Das Leben in Bad Nauheim soll entspannt, umweltfreundlich und gesund sein und das gelingt nur mit digitaler Infrastruktur und smarten Lösungen. Die intelligente Steuerung der Verkehrssituation ist dabei ein Dreh- und Angelpunkt für ein verbessertes Angebot des ÖPNV, intermodal gedachte Konzepte und ein smartes Parkkonzept. Von der Stadtentwicklung über die Verkehrssteuerung, den Bereich öffentliche Sicherheit bis hin zu den Stadtwerken als Betreiber der Stadtbusse sind viele Bereiche betroffen, was abgestimmtes Vorgehen nötig macht. Gesundheit bringen aber auch Online-Services für die Bürger. Es reduziert Stress, nicht vor oder nach der Arbeit zum Amt hetzen zu müssen, sondern das Anliegen online und ortsflexibel klären zu können. Der Gedanke lässt sich auch auf Teile der knapp 500 Beschäftigten der Stadtverwaltung beziehen. Neue Formen der Arbeit und damit auch das mobile Arbeiten spielen verstärkt eine Rolle, um die immer stärker individualisierten Lebensmodelle mit der Arbeit vereinbaren zu können. In einer Kleinstadt sind kurze Wege ein zentraler Erfolgsfaktor,

wenn es darum geht, kommunal Schlagkraft zu entwickeln. Dass die Stadtwerke neben ihren traditionellen Geschäftsfeldern auch in den Glasfaserausbau eingestiegen sind, ist ein regionales Alleinstellungsmerkmal und schafft digitale Daseinsvorsorge vor Ort. So besteht ein hohes Maß an Einflussnahme, was die Gestaltung der Infrastruktur angeht, denn das gilt zudem für weitere Netztechnologien einer smarten Stadt.

Wo wollen wir hin? Nachdem sich alle “internen Akteure” auf die gemeinsame Agenda committet haben und die ersten Projekte umgesetzt sind, geht es darum, das “Go” der Gesellschaft abzuholen. Dazu muss die Stadt bei den Menschen eins erreichen: Weg vom Melden jedes losen Pflastersteins über eine Mängelmelde-Plattform und hin dazu, dass eine gemeinsame Verantwortung und viele kreative Gestaltungsideen entstehen. Was die Stadt im ersten Jahr seit Bestehen der Agenda bereits bewiesen hat, ist ein unbedingter Wille und die Kompetenz, Projekte umzusetzen. Dabei hat sie sich vom behördlich passiven Bild zur Umsetzerin entwickelt. Ein entsprechendes Rückgrat und die notwendige Fehlerkultur waren dazu notwendig. Die Ressource, die es jetzt braucht, um den “Stress” positiv zu erleben, ist die Beteiligung und das, was die Gesellschaft aktiv in die Projekte einbringt. *Markus Wieliki ist Leiter des Fachbereichs Zentrale Steuerung und Öffentlichkeitsarbeit bei der Stadt Bad Nauheim.

Fotos: Toby Giessen, Behörden Spiegel;

Neue Mobilität

Strategien für Kommunen und öffentliche Fuhrparks 20. Mai 2020, Stuttgart

Top-Referenten:

THEMEN DER KONFERENZ, u. a.:

► Moderne Mobilitätskonzepte für die Kommunen ► Elektromobilität in BaWü

► Nachhaltige Mobilitätsstrategien und klimafreundliche Verkehrsentwicklung Michael Schramek Vorsitzender des Vorstandes Netzwerk intelligente Mobilität e. V., Fachlicher Leiter der Tagung Eine Veranstaltung des

Ralf Maier-Geißer Projektleitung Nachhaltig mobil in Stuttgart, Landeshauptstadt Stuttgart

Christoph Erdmenger Abteilungsleiter Nachhaltige Mobilität, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg

► Flächendeckende Infrastrukturen für Elektromobilität ► E-Busse: Viel Potential für deutsche Innenstädte

► Intermodalität: ÖPNV und Individualverkehr integrieren

www.kommunale-mobilitaet.de


Kommunale Infrastruktur

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M

it der Novelle will das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) den Kommunen die Möglichkeit geben, über die bisherigen Regelungen hinaus auf unbürokratischem Wege den ÖPNV auf den neuesten Stand zu bringen. Waren die Mittel aus dem GVFG bislang beispielsweise ausschließlich für Neu- oder Ausbau von einzelnen Bereichen der Versorgung zu nutzen, ist in dem Referentenentwurf vorgesehen, die Mittel auch für die Sanierung zu verwenden, wenn auch im nachrangigen Bereich. So können Verkehrsunternehmen, Städte und Kommunen die Förderung zukünftig auch dazu nutzen, um beispielsweise Treppenaufgänge zu U-Bahnhöfen und die Bahnhöfe selbst zu erneuern oder tropfende Decken trockenzulegen. Um diese Absicht zu bekräftigen, wird auch die Mindesthöhe der zu fördernden Summe abgesenkt: Musste ein Projekt bislang mindestens 50 Millionen Euro teuer sein, so sind reguläre Anträge nun bereits ab 30 Millionen Euro möglich; in begründeten Einzelfällen geht die Mindestsumme sogar he­runter bis auf zehn Millionen Euro. Gleichzeitig wird die Ausarbeitung der besagten Begründung, beim BMVI die “Darlegung des gesamtwirtschaftlichen Nutzens” genannt, ebenfalls erleichtert. Sollte eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Kommunen erfolgen, erhöht sich außerdem auch der Fördersatz des Bundes von aktuell 60 auf dann 75 Prozent. Liefert der Antragssteller keine Prüfung, bleibt es bei den 60 Prozent Fördersumme. Diese Neuerungen sollen es den Kommunen ermöglichen, eine breitere Palette an Projekten angehen zu können, um den Nahverkehr attraktiver zu machen, erklärt Verkehrsminister Andreas Scheuer: “Wir wollen den Öffentlichen

Behörden Spiegel / Februar 2020

Den ÖPNV attraktiver gestalten BMVI steigert Förderung und vereinfacht Beantragung (BS/Wim Orth) Bei den Diskussionen um gleichwertige Lebensverhältnisse geht es nicht nur um Krankenhäuser, Ärzteversorgung und Breitbandausbau, sondern immer auch um den Nahverkehr im ländlichen Raum. In den vergangenen Jahrzehnten hat nicht nur die Deutsche Bahn mit der Reduzierung von Strecken Schlagzeilen gemacht, sondern im lokalen Bereich auch die Betreiber des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Aus verschiedensten Gründen wurde so im kommunalen Bereich mehr und mehr für eine Unterversorgung der ländlichen Gebiete gesorgt. Um diese Entwicklung endlich umzukehren und das Land wieder anzubinden, soll eine Novelle des Gemeindefinanzierungsgesetzes (GVFG) eine gesteigerte und praxisfreundliche Förderung liefern. Personennahverkehr noch attraktiver und moderner machen. Mit unserer Novelle des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes sorgen wir dafür, dass künftig deutlich mehr Mittel für dringende Investitionen in den Neu- und Ausbau im Nahverkehr zur Verfügung stehen. Davon profitieren die Verkehrsunternehmen, Städte und Kommunen. Sie können die Bundesmittel schnell und unbürokratischer investieren. Das Geld kommt damit sofort bei den Bürgern an.”

Zwei Milliarden Euro ab 2025 Aber nicht nur die Fördermöglichkeiten an sich ändern sich, auch der Topf soll schrittweise immer größer werden. Im laufenden Jahr sollen die Mittel zur Förderung des ÖPNV von bislang 332 auf dann 665 Millionen Euro verdoppelt werden. Ab dem kommenden Jahr sollen die GVFG-Mittel sogar noch einmal um mehr als 300 Millionen auf dann eine Milliarde Euro pro Jahr erhöht werden. Ab 2025 werden die Mittel im Rahmen des Klimaschutzprogramms 2030 noch einmal verdoppelt: auf eine Gesamtfördersumme von zwei Milliarden Euro. Um das Prozedere für die Kommunen auch wirklich zu vereinfachen, stockt der Bund nicht nur nach außen Gelder auf, sondern auch nach innen. So sollen aufgrund des zu erwartenden erhöhten Antragsaufkommens insgesamt

Obwohl sie aus städteplanerischer Sicht oft die einzige Möglichkeit darstellen, werden in die Straße integrierte Tramspuren nur in Ausnahmefällen gefördert. Eine von den Spitzenverbänden geforderte Einbeziehung dieser Schienenform als regulär förderfähig wurde in den Referentenentwurf nicht mit aufgenommen. Foto: BS/Artem Svetlov, cc by 2.0, flickr.com

22 neue Mitarbeiter eingestellt werden, um den Mehraufwand aufzufangen.

Ein Meilenstein für den modernen ÖPNV Die kommunalen Spitzenverbände begrüßen die Anhebung der Fördersummen generell, bemängeln allerdings ausdrücklich die kurzen Fristen, die der Bund zur Prüfung und Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt habe. Diese machten eine wirkliche Analyse des Referentenentwurfs nicht realistisch umsetzbar. Inhaltlich sieht Jan Strehmann, Referatsleiter Mobilität und Wirtschaft beim Deutschen Städteund Gemeindebund (DStGB), die stufenweise Steigerung der Mittel hingegen als “Meilenstein für die Weiterentwicklung des

ÖPNV in den Städten und Gemeinden”. Vor allem die “im Koalitionsvertrag verankerte weitere Dynamisierung der Mittel ab dem Jahr 2026”, die eine jährliche Steigerung der Finanzhilfen um je 1,8 Prozent vorsieht, hebt Strehmann hervor. Denn durch diese Regelung könne nachhaltig “vermieden werden, dass es zu erneuten Engpässen beim Neuund Ausbau des ÖPNV kommt”. Der Referatsleiter sieht aber auch noch Optimierungsbedarf. So sei die geplante “Erleichterung bei der Förderung von straßenbündigem Bahnkörper” zu begrüßen, diese “geht uns jedoch nicht weit genug”, da die Anforderung, dass diese “überwiegend auf besonderem Bahnkörper”, also auf klar vom Straßenverkehr abgegrenzten Schienen gelegen

sein müssten, angesichts der heutigen, engen städtebaulichen Situation nicht mehr als zeitgemäß zu bewerten sei. Positiv sieht Strehmann hingegen die neuen Kriterien rund um Klima- und Umweltschutz sowie Daseinsvorsorge und Verkehrsverlagerung, die er als “eine wichtige Weichenstellung” definiert, “um weitere Nutzenfaktoren in die Nutzen-Kosten-Analyse einfließen zu lassen”. Auch der Deutsche Städtetag (DST) zeigt sich zunächst irritiert über die kurze Frist zur Antwort. Thomas Kiel d’Aragon aus dem Referat Verkehr und Tiefbau, Dezernat Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr, sieht die Fristsetzung gar als Widerspruch zum “Geist der Erklärung, die wir zwischen Bund, VMK und kommunalen Spitzenverbänden in einem “Bündnis für moderne Mobilität” mit dem BMVI vorbereiten”. Auf inhaltlicher Ebene begrüßt aber auch der DST die grundsätzlichen Anpassungen, die die Novelle des Gesetzes vorsieht. Der Bund übernehme damit wie von den Spitzenverbänden gefordert “Verantwortung für den weiteren zukunftsgerechten Ausbau der Infrastruktur”. Gleichzeitig werde mit der Maßnahme ein “starkes Signal für die Stärkung des ÖPNV zur Umsetzung der Klimaziele, bei der Luftreinhaltung und zur Verbesserung der Lebensqualität” gesendet. Kritisch sieht Kiel d’Aragon, ähnlich wie der DStGB,

auch die Einschränkungen bei der Integration des Bahnkörpers im Straßenverkehr. Zusätzlich fordert der Städtetag aber auch, nicht nur den schienengebundenen Verkehr zu fördern, sondern für etwaige Seilbahnprojekte, die in den regulären Nahverkehr eingebunden werden, einen “Fördertatbestand für Seilbahnen” in den Absatz “aus Gründen des Klimaschutzes” aufzunehmen, “um den Bund als Fördergeber einzubeziehen”. Grundsätzlich sieht der Städtetag die neuen Kriterien zu Klimaschutz, Daseinsvorsorge und Verkehrsverlagerung als eine “wichtige Weichenstellung” in Richtung eines klimafreundlichen ÖPNV der Zukunft.

Auch Länder in der Pflicht Ein besonderes Anliegen ist dem DST, aber auch dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, die Aufstockung personeller Ressourcen, die man in dem Referentenentwurf zwar lobend wahrnimmt, allerdings nicht stark genug formuliert. Denn “mit den derzeitigen Rahmenbedingungen und personellen Ressourcen sind Bearbeitungszeiten von zwei Jahren für reguläre Vorhaben keine Seltenheit”, kritisiert der DSTMann. Abschließend sieht er den Gesetzesentwurf als beispielhaft für die Länder, die nun ebenfalls in der Verantwortung seien, “den Impulsen des Bundes zu folgen” und auch die eigenen Fördermittel für die Gemeindeverkehrsfinanzierung anzuheben: “Die höhere Dotierung auf Bundesebene für den Neu- und Ausbau von Schienenstrecken schafft den Ländern auch hier einen entsprechenden Spielraum, um das im GVFG bewährte Prinzip der Kofinanzierung von Bund, Ländern und Kommunen fortzuführen sowie auch bei Grunderneuerungsvorhaben zukünftig eine Kumulierung mit der Bundesförderung zu erreichen.”


Kommunale Sicherheit

Seite 24

Behörden Spiegel / Februar 2020

Wettbewerb für Förderung gestartet

Private Dienstleister nicht erlaubt

Impulse für kommunale Sicherheit gesucht

Oberlandesgericht urteilt gegen Stadtverwaltung

(BS/Bennet Klawon) Wie lassen sich Weihnachtsmärkte effektiv schützen? Welche Sofortmaßnahmen können (BS/Marco Feldmann) Die Überwachung des ruhenden Verkehrs sowie das damit einhergehende Verhängen Gemeinden im Fall von Hochwasser einleiten? Wie lässt sich die Bevölkerung einer Stadt schnell und umfassend von Verwarngeldern durch private Dienstleister ist gesetzeswidrig. Das entschied das Oberlandesgericht warnen? Vor diesen und ähnlichen Fragen stehen Kommunen bei der Erfüllung ihres Sicherheitsauftrages. (OLG) Frankfurt am Main (Az: 2 Ss-Owi 963/18). Gleiches gilt für den fließenden Verkehr, wie das Gericht bereits früher entschieden hatte. Dazu initiiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Wettbewerb für das Förderprogramm “SifoLIFE”. Für

Besonders Kommunen wüssten am besten über ihren Sicherheitsbedarf Bescheid, so Dr. Sandra Muhle, Ansprechpartnerin des Projektträgers Sicherheitsforschung des VDI Technologiezentrums (VDI TZ). Foto: BS/Klawon

Dort ist nun ein Passus zu finden, wonach die Befähigung für den gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst auch durch ein einschlägiges Studium erworben werden kann. Der neue, sieben Semester umfassende Bachelor-Studiengang zählt dazu. Zudem wurde eine Experi­ mentierklausel in die Verordnung über die Ausbildung und die Prüfung für den gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst aufgenommen. Diese gilt laut Informationen aus der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport unbefristet, soll allerdings evaluiert werden.

Früher erhebliche Probleme bei Rekrutierung Ziel des neuen Zugangsweges zur Berliner Feuerwehr, der die Bezeichnung “112 Dual” trägt, ist die verstärkte Anwerbung von Feuerwehrleuten für den gehobenen Dienst. Hier hatte es in der Vergangenheit Probleme gegeben. Denn Angeworbene, die zum Beispiel bereits ein Ingenieursstudium absolviert hatten, mussten zunächst einen zweijährigen Vorbereitungsdienst zu Anwärterbezügen absolvieren. Dies galt oft als unattraktiv. Zumal, wenn die Interessierten bereits Familie hatten.

den Wettbewerb können sich Kommunen, öffentliche Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen aus der freien Wirtschaft mit einer Idee für Sicherheitslösungen des kommunalen Sicherheitsbedarfs bewerben. Denkbare Lösungen sind technische Systeme, Dienstleistungskonzepte, Organisation- und Prozessoptimierung, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Sie können aus allen Bereichen der Sicherheitsforschung stammen. Der Bedarf kann dabei durch ein spezielles Szenario, wie Naturkatastrophen, Angriffe auf Kritische Infrastrukturen oder einen terroristischen Anschlag, illustriert werden.

Förderung von bis zu 250.000 Euro Die Frist für die Bewerbung endet am 11. Mai 2020. Es werden bis zu 15 Projekte ausgewählt

und mit bis zu 250.000 Euro gefördert. In den Projekten soll ein Strategiekonzept für die individuelle Sicherheitslösung erstellt werden.

Bis zu fünf Projekte werden ausgewählt Mit diesem Konzept können sich dann Kommunen für die zweite Phase von “SifoLIFE” bewerben, in der die Lösung in einer Demonstration getestet werden soll. Diese Demonstration stellt das Bindeglied zwischen Forschung und Markt dar. Für diesen Teil der Förderung können sich nur die 15 geförderten Projekte bis zum 31. Juli 2022 bewerben. Es werden davon bis zu fünf Projekte ausgewählt. Der Förderungsbeitrag ist dabei nicht gedeckelt und wird von Projekt zu Projekt unterschiedlich hoch sowie dem Bedarf angemessen ausfallen. Die Laufzeit beträgt bis zu vier Jahre.

In dem nun zugrunde liegenden Fall hatte der Frankfurter Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde wegen unerlaubten Parkens im eingeschränkten Halteverbot ein Verwarngeld in Höhe von 15 Euro verhängt. Ausgestellt worden war das “Knöllchen” von einem uniformierten “Stadtpolizisten”, der der Verwaltung von einer Privatfirma überlassen und von der Stadt zum Stadtpolizisten bestellt worden war. Gegen dieses Verwarngeld legte der Betroffene zunächst Einspruch ein und erhob anschließend Klage beim Frankfurter Amtsgericht. Dort wurde das Verwarngeld zunächst bestätigt.

Verfahren muss eingestellt werden Die OLG-Richter entschieden jedoch, dass das Verfahren einzustellen sei, weil die zugrun-

Neue Zugangsmöglichkeit Berliner Feuerwehr kooperiert mit Hochschule (BS/mfe) Die Berliner Feuerwehr geht neue Wege bei der Anwerbung von Mitarbeitern für den gehobenen Dienst. Dazu wurde gemeinsam mit der Beuth Hochschule für Technik ein neuer Bachelor-Studiengang “Brandschutz und Sicherheitstechnik” ins Leben gerufen. Außerdem wurde die Feuerwehrlaufbahnver­ ordnung angepasst. Die Studierenden, die nun “112 Dual” absolvieren, besitzen hingegen einen Doppelstatus. Sie sind zum einen reguläre Studenten der Beuth Hochschule, die künftig möglicherweise ihren Namen ändern muss. Zum anderen sind die 20 Studenten, deren Plätze die Berliner Feuerwehr besetzt, als Brandoberin­ spektoranwärter bei der Behörde angestellt.

Studium dauert regelhaft sieben Semester Sie befinden sich in einem Beamtenverhältnis auf Widerruf. Dieses endet, sofern eine Prüfung oder ein Studienmodul endgültig nicht bestanden wurde. Der Doppelstatus ist laut ­Senatsverwaltung deutschlandweit bisher einzigartig. Auch habe es für den neuen Zugangsweg keine aus anderen Bundesländern bekannte Blaupause gegeben.

Während der Regelstudienzeit von sieben Semestern müssen 210 Leistungspunkte erzielt werden. Dabei ist der Studiengang, der fortlaufend angepasst wird und zu dem die ersten Rückmeldungen sehr positiv sind, anfangs eher generalistisch strukturiert. Eine Spezialisierung findet erst in einem höheren Semester statt. In der vorlesungsfreien Zeit werden die dual Studierenden an der Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienstakademie (BFRA) auf den Feuerwehrdienst vorbereitet. Dort absolvieren sie die feuerwehrtechnische Grundausbildung. Neben den 20 Plätzen, die durch die Berliner Feuerwehr belegt werden, absolviert die gleiche Zahl an Studierenden den Studiengang ohne die Laufbahnausbildung. Er soll nun jährlich, immer zum Wintersemester, angeboten werden. Die

Studieninhalte werden ihren Fokus auf die Vermittlung naturwissenschaftlich-technischer

Strafzettel (Foto) für Parkverstöße auf öffentlichem Straßenland dürfen laut einer Gerichtsentscheidung nicht von Mitarbeitern privater Dienstleister ausgestellt werden. Foto: BS/Rene Schwietzke, CC BY 2.0, flickr.com

de liegenden Beweise einem absoluten Verwertungsverbot unterlägen. Denn das Recht zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten stehe ausschließlich dem Staat, in diesem Fall der Polizei, zu. Das gelte – als Ausdruck des

Grundlagen sowie die nicht polizeiliche Gefahrenabwehr richten. Didaktik, Kommunikation, Projektarbeit und Personalführung stellen weitere Kernbereiche dar. Dozenten werden von der Beuth Hochschule sowie der Berliner Feuerwehr gestellt. Berlins Landesbranddirektor Dr. Karsten Homrighausen sagte: “Mit “112 Dual” machen wir nun eine weitere Tür auf.”

staatlichen Gewaltmonopols – für die gesamte Verkehrsüberwachung. Bei ihr handele es sich um eine hoheitliche Aufgabe, die mangels Ermächtigungsgrundlage nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden dürfe. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sei zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben unzulässig. Gesetzeswidrig sei darüber hinaus die Bestellung privater Personen zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden. Ein per Arbeitnehmerüberlassung entliehener Beschäftigter werde nicht städtischer Bediensteter und könne deshalb auch nicht zum Stadtpolizisten werden. Letzteres sei nur im Rahmen der Bestellung eigener Mitarbeiter möglich, so die Richter.

Endgültige Entscheidung

Die Berliner Feuerwehr verfügt über eine neue Möglichkeit, mehr Personal für den gehobenen Dienst zu erhalten. Dafür muss jedoch zunächst die entsprechende Laufbahnverordnung angepasst werden. Foto: BS/magicpen, pixelio.de

2018 wurden allein in Frankfurt mehr als 700.000 Parkverstöße geahndet. Die Verwarn- und Bußgelder dafür beliefen sich auf über zehn Millionen Euro. Die Grundsatzentscheidung des OLG Frankfurt am Main, die im Rahmen eines Rechtsbeschwerdeverfahrens getroffen wurde, ist nicht mehr anfechtbar. Die Darmstädter Stadtverwaltung hat nach dem Beschluss bereits einer privaten Sicherheitsfirma gekündigt. In Köln soll unterdessen ab dem Frühjahr die Bezahlung von Verwarngeldern in Supermärkten möglich werden. Das wäre bundesweit bisher einmalig.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Februar 2020

Weit mehr als Technologie

KNAPP

Ganzheitliche Qualifizierung der Beschäftigten des digitalisierten öffentlichen Sektors (BS/Guido Gehrt) Im Zuge der weiteren Digitalisierung der Arbeit in den Behörden wird es erhebliche Veränderungen in Strukturen, Prozessen und Leistungen der öffentlichen Verwaltung geben. Diese müssen durch qualifiziertes und handlungskompetentes Personal getragen werden. Rechtzeitige und gute Qualifizierung für die Arbeit in der digitalisierten Verwaltung kann zudem Verunsicherungen der Beschäftigten gegenüber grundlegenden Veränderungen der Arbeit abbauen. Hier setzt das nun unter Federführung des Landes Bremen gestartete IT-Planungsrat-Projekt “Qualifica Digitalis” an. Bei “Qualifica Digitalis” geht es nicht darum, die Beherrschung neuer Technologien und einzelner IT-Anwendungen durch die Mitarbeitenden zu verbessern, sondern um die Etablierung einer digitalen Handlungskompetenz, die als Querschnittskompetenz von grundlegenden IT- und Medienkompetenzen über berufsspezifische Verwaltungs-E-Kompetenzen bis hin zu neuen bzw. veränderten personalen und sozialen Kompetenzen reicht. Dies unterstreicht auch Projektleiterin Katja Lessing vom Bremer Senator für Finanzen: “Aus-, Fort- und Weiterbildung in digitalisierten Zeiten brauchen weit mehr als das Erlernen des Umgangs mit neuen Technologien und Softwarelösungen. Hier sind Ideen und Visionen für gute Konzepte gefragt. In der öffentlichen Diskussion steht derzeit eher die technologische Seite der Digitalisierung im Vordergrund. Insofern wird “Qualifica Digitalis” auch dazu beitragen, die Bedeutung von guter und passender Qualifizierung mehr in den öffentlichen Fokus zu rücken.”

Systematische Qualifizierungsarbeit Die erforderlichen Kompetenzen und Qualifikationen sollen durch systematische Qualifizierungsarbeit von Bund, Ländern, Kommunen erworben und weiterentwickelt werden. Die Qualifizierungsstrategien und Personalentwicklungsmaßnahmen von Bildungsträgern und Arbeitgebern des öffentlichen Sektors müssen hierzu entsprechend harmonisiert und angepasst werden. Als Grundlage hierfür könnten wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Entwicklung von Verwaltungsarbeit, Kompetenzen und Qualifikationen im Digitalisierungszeitalter dienen,

Im föderalen Projekt “Qualifica Digitalis” sollen Handlungsempfehlungen erarbeitet werden, um die digitalen Handlungskompetenzen der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung zu stärken. Diese gehen weit über die Nutzung und Beherrschung von neuer Techologie und Software hinaus. Foto: BS/sdecoret, stock.adobe.com

die für den öffentlichen Sektor aber bislang in dieser Form nicht vorliegen. Hier setzt das im Juni 2019 vom IT-Planungsrat unter Federführung des Landes Bremen auf den Weg gebrachte Projekt an. “Qualifica Digitalis” soll neue Erkenntnisse für die erforderliche Qualifizierung der Beschäftigten des öffentlichen Sektors im Digitalisierungszeitalter liefern und sowohl politisch-administrative Entscheider und Verwaltungspraxis als auch Interessenvertretungen und Sozialpartner und Einrichtungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung des öffentlichen Sektors bei der Entwicklung geeigneter Maßnahmen unterstützen. Bis Ende Juni 2022 sollen Qualifizierungsstrategien und Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie der Personalentwicklung

auf der Basis wissenschaftlicher Analysen und Aufbereitungen zu Veränderungen von Kompetenzanforderungen und Qualifikationsentwicklungen im digitalisierten öffentlichen Sektor entwickelt und erarbeitet werden. Der politisch-administrative Bereich, die Verwaltungspraxis, aber auch die Interessenvertretungen, Sozialpartner sowie Wissenschaft und Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungen sollen bei “Qualifica Digitalis” frühzeitig und eng in das Projekt eingebunden werden. Zudem sollen durch entsprechende Schnittstellen Synergien mit anderen Projekten geschaffen werden, um einen größtmöglichen Nutzen und möglichst breite Verwendbarkeit der Projektergebnisse zu erzielen. Gleich drei wissenschaftliche Institute begleiten die Umsetzung: Fraunhofer FOKUS, das Institut für Informationsmanagement

Bremen GmbH an der Universität Bremen (ifib) und das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) Speyer. Weitere Kooperationspartner sind u. a. das Bundesinnenministerium, das Bundesarbeitsministerium, die Länder Bremen, Berlin, Hamburg, Hessen und Niedersachsen, die Städte Bamberg, Dortmund, Dresden, Mönchengladbach, Köln, Leipzig und Tuttlingen, Verdi, der DBB, das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und Dataport. “Durch die weitreichende Einbindung maßgeblicher Stakeholder soll größtmögliche Praxistauglichkeit und Akzeptanz der Ergebnisse erreicht werden”, so der Initiator und zweite Projektverantwortliche von “Qualifica Digitalis”, Bremens Finanzstaatsrat HansHenning Lühr. Im ersten Schritt sollen nun bis Ende Mai 2021 die durch die Verwaltungsdigitalisierung

veränderten Kompetenzanforderungen und Qualifikations- und Qualifizierungsentwicklungen sowie der arbeits- und dienstrechtlichen Status der Beschäftigten im öffentlichen Sektor analysiert werden. Da das Projekt an praktischen Veränderungsprozessen in der öffentlichen Verwaltung ansetzt, sollen die Untersuchungen in diesen Aufgabenbereichen von Bund, Ländern und Kommunen jeweils für die Ebenen Sachbearbeiter/innen, Referent/-innen und Ent­ scheider/-innen erfolgen: • kommunale Sozialverwaltung (Fachdienste, Verwaltung), • Allgemeine Verwaltung (Querschnittsaufgaben Personal, Haushalt, Organisation), • IT-Fachaufgaben (IT-Fachberufe, IT-Dienstleister), • Ministerialverwaltung (Entscheidungsvorbereitung, Regierungsmanagement), • Steuerverwaltung, • Justizverwaltung.

Beispiel für funktionierenden Föderalismus Für Staatsrat Lühr ist “Qualifica Digitalis” zudem ein Beispiel für funktionierenden Föderalismus im IT-Planungsrat. Nachdem es bei der Sitzung im März 2019 die erste mündliche Ankündigung gegeben habe, sei bereits auf der Herbstsitzung im Oktober vergangenen Jahres der Beschluss erfolgt und das Budget bereitgestellt worden. Zufrieden zeigte er sich auch mit dem Verlauf der Kick-offVeranstaltung in Bremen Anfang Februar, als über 70 Projektbeteiligte und Fachleute aus Wissenschaft und Verwaltung über den notwendigen Rahmen für eine gelungene Qualifizierung 4.0 diskutierten. “Ein guter Start für die vor uns liegende Arbeit”, so Lühr.

Fachkongress des IT-Planungsrates (BS/gg) Unter dem Motto “Verwaltung digital – Mensch macht’s!” findet am 25./26.März 2020 der 8. Fachkongress des IT-Planungsrats in Halle (Saale) statt. Einen besonderen Schwerpunkt legt das Veranstalterland Sachsen-Anhalt dabei auf die Fragestellung, welche Kompetenzanforderungen der digitale Wandel für den Einzelnen mit sich bringt und warum ein Umdenken notwendig ist, um Bedienstete aller Ebenen nachhaltig fit für die Digitalisierung der Verwaltung zu machen, damit diese die Herausforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt meistern kann. Weitere Informationen unter: www.it-planungsrat.de

Zweite Runde für Staatskunst in Bremen (BS/wim) Nach dem Erfolg der Premierenausgabe des vom Bremer Finanzsenator ausgerichteten Kolloquiums zur Digitalen Staatskunst geht das Format nun in Serie. Unter dem Titel “Bremer Gespräche zur Digitalen Staatskunst” soll auch 2020 wieder über die Entwicklung innovativer Konzepte mit dem Fokus auf “Digitale Daseinsvorsorge” diskutiert werden. Ausgehend von der politischen Grundaussage zum sich wandelnden Staatswesen in Zeiten der Digitalisierung soll nicht nur darüber debattiert werden, wie der Kern einer digitalen Leistungsverwaltung aussehen soll, sondern über alle Angebote und Leistungen von Kommunen selbst, von Einrichtungen der Zivilgesellschaft und von öffentlichen und privaten Unternehmen. Zwei Ausgangsfragen werden dabei gestellt: Wo stehen wir mit der Digitalisierung in Deutschland? Und wie sind die Kommunen künftig aufgestellt? Das Kolloquium findet am 24. und 25. Februar 2020 im Bremer Rathaus statt. Eine Anmeldung ist per E-Mail möglich unter staatskunst@finanzen.bremen.de


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Digitaler Staat 2020 – agil, legitim und elegant

Um die Potenziale der Digitalisierung bestmöglich zu nutzen, muss man diesen Prozess ganzheitlich begreifen. Eine schlichte Elektrifizierung oder technologische Modernisierung bestehender Verfahren springt zu kurz. Zukunftsfähige Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung müssen vielmehr agil, legitim und elegant sein. Diese drei Begriffe stehen im Zentrum des Kongresses Digitaler Staat 2020, zu dem erneut Innovatoren, Modernisierer und Trendsetter zu intensiven Diskussionen zusammenkommen.

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Referenten/-innen 2020, u. a.:

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Dorothee Bär, Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung

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en nte ted Hans-Henning Lühr, Staatsrat beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen

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Dr. Annette Schmidt, Leiterin FITKO (Föderale IT-Kooperation)

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Prof. Dr. Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT), Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung

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nticat a ed ate Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungsamtes

Ronja Kemmer, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU/CSU), Obfrau der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“

Klaus Vitt, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik

Daniela Kolbe, Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD) und Vorsitzende der EnqueteKommission “Künstliche Intelligenz”

Andreas Gegenfurtner, Präsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk BOS

Jetzt anmelden unter www.digitaler-staat.org

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Eine Veranstaltung des


Behörden Spiegel / Februar 2020

B

ehörden Spiegel: Frau Staatsministerin Bär, Sie sind seit knapp zwei Jahren Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Was haben Sie bisher erreicht?

Informationstechnologie

Positive Aufbruchstimmung Herausforderungen anpacken und in unserem Sinne gestalten (BS) Als Schirmherrin des Digitalen Staates resümiert die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung Dorothee Bär

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chen Verwaltung ist eine wichtige Maßnahme, denn dort können Menschen unmittelbar Verbesserungen spüren, wenn sie unabhängig von den Öffnungszeiten vom Sofa aus ihre sonst so zeitraubenden Behördengänge erledigen können.

Bär: Seit Anfang der Legisla- die bisherige Digitalpolitik. Sie berichtet, wie die Digitalisierung der Verwaltung Dominoeffekte auslösen kann und wie wichtig es ist, das Vertrauturperiode hat sich viel getan. en zwischen Bürgerinnen und Bürgern aufzubauen, um vor allem im Digitalen nahbar zu sein. Über Mindset, Mut zur Veränderung und Visionen Behörden Spiegel: Wie gelingt Digitale Themen sind aus der Ta- sprach sie mit Dr. Eva-Charlotte Proll. gespresse nicht mehr wegzudenes, die Skepsis vieler Bürger/Bär: Es gibt Bereiche, in denen innen und Unternehmen in die ken, es herrscht vermehrt eine gesetzt wurde, sei es wir sehr gut sind, wie zum Bei- Handlungsfähigkeit des Staates positive Aufbruchstimmung. Ich die Einsetzung des bin überzeugt, dass dies auch auf Digitalrats für die spiel Sensorik, Robotik, Photonik im digitalen Zeitalter aufzulösen und autonomes Fahren. Auch und den Staat in einer gestaltemeine Arbeit zurückzuführen ist. Kanzlerin, den wir als Mein tagtäglicher Ansporn ist es, Think Tank für das in der Grundlagenforschung im rischen Rolle wahrzunehmen? den Menschen digitale Themen, komplette Kabinett Bereich Künstlicher Intelligenz ist “Ein Digitalministerium die technisch und abstrakt sind, ausgeweitet haben, Deutschland mit an der Spitze. Bär: Wir leben in einem der näherzubringen. Und das ist sehr sei es die Strategie Unsere Stärke im verarbeitenden wohlhabendsten und sichersten müsste ähnlich eingewichtig, weil wir unbedingt die Künstliche IntelliGewerbe sollten wir nutzen, um Staaten der Welt. Die deutsche bunden werden wie das Begeisterung für den digitalen genz, die Blockchainzum Beispiel im Bereich Industrie Staatsbürgerschaft ist nicht ohne Wandel in der Bevölkerung brau- Strategie oder die 5G 4.0 Weltmarktführer der Zukunft Grund sehr populär. Deshalb Finanzministerium…” aufzubauen. Da sehe ich für den finde ich die Skepsis zwar unbechen. Wir Deutschen tendieren MobilfunkfrequenzWirtschaftsstandort Deutschland gründet, aber man muss sie ernst dazu, die negativen Aspekte der Versteigerung. Über große Chancen. nehmen: Ich glaube, die Skepsis Digitalisierung vorrangig zu be- alledem steht aber einiger Bürgerinnen und Bürger leuchten. Wichtig ist aber, dass der Anstoß eines Behörden Spiegel: Die öffent- hat unterschiedliche Gründe, wir die Herausforderungen anpa- neuen Mindsets. Dorothee Bär ist seit fast zwei Jahren Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanz- liche Verwaltung liegt in inter- zum einen ist es ein Vermächtnis cken, und diese dann in unserem Behörden Spiegel: leramt. Ihren ersten, vielbeachteten öffentlichen Auftritt in dieser Funktion hatte sie auf national Rankings im hinteren der ehemaligen DDR. Dieses zerSinne gestalten. Aber um konkret zu werden: Die Würden Sie lieber in dem Digitalen Staat 2018. Foto: BS/Dombrowski Mittelfeld. Wie kommt das und störte Vertrauen zwischen BürgeUmsetzungsstrategie, die die Di- einem eigenen Digiwie schätzen Sie die Situation ein? rinnen und Bürgern auf der einen und dem Staat auf der anderen gitalisierungsvorhaben der Res- talministerium mit sorts bündelt, sehe ich als Erfolg vollumfänglichen Kompetenzen Ministerien als neutraler Boden werden. Ich bin aber der festen Bär: Bei der Digitalisierung der Seite lässt sich nicht innerhalb an, weil es wichtig ist, diese zu und Personal arbeiten? wahrgenommen, von dem aus Überzeugung, dass der Erfolg öffentlichen Verwaltung haben einer Generation zurückgewinkoordinieren und zu monitoren. sich die Ministerien auch ko- eines solchen Ministeriums von wir schon eine gute Grundlage nen, das braucht Zeit und beIch habe das Innovation Council Bär: Ich glaube, dass die Arbeit ordinieren lassen. Eine Koor- dessen Ausgestaltung abhängt: geschaffen, um Fortschritte zu einflusst auch die Debatten um ins Leben gerufen, ein Gremi- in einem Digitalministerium nicht dinierung von einem anderen Ein Digitalministerium müsste machen. Bis 2022 müssen alle die Digitalisierung. Zum anderen hilft es, die Arum, das die Digitalisierung in mit der momentanen Aufhängung Ministerium aus, das man als ähnlich eingebunden werden wie 575 VerwalDeutschland antreiben soll. In hier im Bundeskanzleramt ver- Silo neben die schon bestehen- das Finanzministerium, das an tungsdienst“Wir müssen uns trauen, beit des Staates gleichbar wä- den Ministerien stellen würde, Gesetzgebungsvorhaben und l e i s t u n g e n dem Beraterund der PolitiVisionen zu haben.” re, sodass die ker bürgernah würde auch rein rechtlich schon Maßnahmen aller Ressorts, die gremium sitdigitalisiert “ Ich glaube, dass die Frage nicht nicht funktionieren. Dies liegt an finanzielle Themen berühren, sein. Daran zu kommunizen zahlreiche Digitalexperten Digitalisierung der ersten s o e i n f a c h dem im Grundgesetz verankerten beteiligt wird und ein Vetorecht arbeitet die Bundesregierung zieren. Das versuche ich zum Verwaltungsdienstbeantwortet Ressortprinzip, das besagt, dass hat. Im Moment sehe ich nicht, zusammen mit den Ländern und Beispiel in Sozialen Medien. Ich aus der Privatwerden kann. jeder Bundesminister und jede dass es solche Kompetenzen ge- Kommunen mit Hochdruck. Ich finde es erschreckend, wenn mir wirtschaft, die leistungen einen I m K a n z - Bundesministerin seinen/ihren ben wird. Die Frage ist, holt man glaube, dass die Digitalisierung Bürgerinnen und Bürger sagen, uns als BunDominoeffekt auslöst.” leramt koor- Geschäftsbereich selbstständig aus 13 Ministerien alles Digitale der ersten Verwaltungsdienst- dass sie einem Gutachten des desregierung dinieren wir und unter eigener Verantwor- raus, bündelt es in einem Haus leistungen einen Dominoeffekt Bundesamts für Strahlenschutz Impulse für die politische Arbeit und digita- übergreifend die Digitalpolitik tung leitet. und hat dann 13 analoge Ministe- auslöst, weil sich die daraus nicht glauben, das die VerträgIch bin mir sicher, dass es ir- rien? Ich bin da für zielführende folgenden Erkenntnisse und lichkeit von 5G attestiert. Auch in le Trends liefern. Den Input des der Bundesregierung, da DigitaGremiums arbeiten wir in unsere lisierung als Querschnittsthema gendwann ein Digitalministeri- Vorschläge offen. Entwicklungen auf die DigitaPolitik ein. jedes Thema in jedem Ministeri- um geben wird. Allein deshalb, lisierung der restlichen VerwalIch freue mich auch, dass vieles, um betrifft. Eine Koordinierung weil den Bürgerinnen und BürBehörden Spiegel: Wie schät- tungsdienstleistungen übertrawas wir in den Koalitionsvertrag aus dem Kanzleramt hat viele gern einfach zu vermitteln ist, zen Sie den Zustand der Digitali- gen lassen. Fortsetzung auf Seite 28 >>> Die Digitalisierung der öffentligeschrieben haben, bereits um- Vorteile, denn es wird von den dass damit alle Probleme gelöst sierung in Deutschland ein?


Informationstechnologie

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<<< Fortsetzung von Seite 27

den digitalen Medien herrschen viele Verschwörungstheorien – da hilft langfristig nur digitale Aufklärung und digitale Bildung. Es ist Aufgabe der Politik, Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, dass sich unser Rechtsstaat in der digitalen Welt genauso wie in der analogen durchsetzt. Deshalb haben wir als Bundesregierung zum Beispiel das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität beschlossen, das vorsieht, Netzwerkbetreiber zu verpflichten, schwerwiegende

Offizialdelikte wie das Aussprechen von Morddrohungen oder Volksverhetzung an eine Sonderstelle des BKA zu melden. Behörden Spiegel: Mit welchen Themen werden Sie sich in den kommenden sechs bis zwölf Monaten beschäftigen? Bär: Wir werden uns im neuen Jahr weitere Indikatoren und Visualisierungen überlegen und realisieren, um die Messbarkeit unserer Digitalpolitik voranzubringen. Wir haben ja bereits vereinbart, das Erreichen unserer Ziele in einem sog. Dashboard messbar zu machen, in dem anhand von Indikatoren der Fortschritt unserer Umsetzungsstrategie sichtbar gemacht wird.

Oftmals langwieriges Verwaltungshandeln Private, die Wirtschaft und alle Gesellschaftsteile sind auf eine zügig reagierende Verwaltung angewiesen. Dabei liegt dem Handeln ein oft langwieriges Verwaltungsverfahren mit zahlreichen Beteiligungspunkten zugrunde. Inzwischen gibt es aber auch vielversprechende Erfahrungen mit neuen Arbeitsweisen, der Parallelisierung von Abläufen und einem neuen Selbstver-

Behörden Spiegel: Welche Vision haben Sie von der Digitalisierung in zehn bis 20 Jahren?

Bär: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Digitalisierung unseren Lebensalltag sehr verbessern wird, sodass wir zum Beispiel nie mehr einen Parkplatz suchen müssen, es wegen autonomen Fahrens keine unglücklichen Pendler mehr gibt und sich dadurch auch die Frage nach einer Wohnungsnot in einigen Gebieten nicht mehr stellt. Schwere körperliche Arbeit und lästige Dokumentation werden künftig maschinell übernommen und Menschen können bis zu ihrem Tod in ihrem trauten Heim wohnen bleiben. Menschen mit Behinderungen können am alltäglichen Leben ohne Hürden teilnehmen, kein Kind wird Schulunterricht mehr langweilig finden.

Es ist mein Wunsch, dass durch die Digitalisierung mehr Zeit für Aktivitäten und Erlebnisse bleibt, für die Menschlichkeit und Emotionen gebraucht werden. Wir müssen uns trauen, Visionen zu haben, keine Visionen zu haben, bedeutet Stillstand. Behörden Spiegel: Was müssen wir für den Wandel tun? Bär: Wir müssen die Zukunft anpacken, die Menschen mitnehmen und Begeisterung für den Fortschritt vermitteln. Wir sollten darüber reden, was für uns nützlich ist, anstatt uns gegenseitig Angst zu machen. Wir sollten uns freuen, dass wir noch die Möglichkeit haben, die

Neue Verwaltung

B

isher sind Verwaltungsabläufe aber noch allzu oft haptisch mit vielen Schnittstellen und mit zum Teil mehreren Hierarchiestufen organisiert. Das korrespondiert mit den zugrunde liegenden Themen, bei denen es bisher um überwiegend greifbare Dinge geht, wie zum Beispiel um Baugenehmigungen, Ausweisdokumente und Zulassung von Maschinen. Deutschland ist für sein Ingenieurwesen bekannt. Dabei werden Produkte verarbeitet und erstellt, die in aller Regel gesichtet, angefasst und geprüft werden können. In der virtuellen Welt stoßen gewohnte Verwaltungsschemata aus zwei Gründen an ihre Grenzen. Sie sind oft langwierig und in nur eingeschränktem Maße virtuell verfügbar. Das Onlinezugangsgesetz erhöht hier den Druck und stellt einen wichtigen Schritt dar. Betrachtet man das Thema Identitätsmanagement, wird die Herausforderung besonders augenscheinlich. In der virtuellen Welt legitimieren sich User unter anderem durch ihre Mail-Konten, Handynummern, Konten in Sozialen Netzwerken und vielleicht noch Kreditkatennummern. Eine staatliche Legitimation ist fast nur für Behördenkontakte im Netz erforderlich. Das Thema “Identitätennachweis” war und ist eines der Hauptdomänen des Staates, nicht jedoch in der virtuellen Welt.

Das soll alles auf www.digitalmade-in.de veröffentlicht und stetig weiterentwickelt werden. Wir werden die Datenstrategie der Bundesregierung entwickeln, um die Bereitstellung und Nutzung von Daten in Deutschland gewissenhaft zu steigern, und es sollen auch die ersten OZG-Leistungen online gestellt werden. Ich bin der Überzeugung, dass Sprachsteuerung immer wichtiger wird, weswegen ich mich dafür einsetzen möchte, dass das Thema von Anfang an bei Anwendungen, auch in der Verwaltungsdigitalisierung, mitentwickelt wird.

Behörden Spiegel / Februar 2020

Interdisziplinäre Strukturen und agile Arbeitsweisen implementieren (BS/Dr. Markus Richter) Die Verwaltung steht vor einem Umbruch, so viel ist sicher. Die Gesellschaft bewegt sich weiter in eine digitale Welt. Diese ist schnelllebig und vielschichtig. Die Behörden in Deutschland haben die besten Voraussetzungen, die damit verbundenen Veränderungen erfolgreich umzusetzen und eine Vorreiterrolle einzunehmen. Sie sind krisenerprobt, verfügen über viele gestaltungsfreudige Talente und sind am Gemeinwohl ausgerichtet.

Initiierung

Clearing/Steuerung

• Auftrag von Behörden, Ministerien/ Exekutive

• Auftragsklärung

• Antrag von Privaten

• Entscheidung über Durchführung des agilen VerwVerfahrens

• Bitte von Behörden/Mitarbeitenden aus der Linie

• grobe Identifizierung tangierter Zuständigkeit

• Festlegung der Federführung • Übergabe an Federführung • nachhalten des Vorgangs • (Eingangs-)Info an Initiiernden

Durchführung • federführender Bereich ordnet Vorgang Mitarbeitenden zu • Verantwortlicher legt die beteiligten Einheiten fest • Finalisierung klärungsbedürftiger Fragen • Festlegen weiterer Prozessschritte/Meilensteine • Info über weiteres Vorgehen an Initiierenden

Agile Arbeit

Abschluss

• “Arena” als Abstimmungs-/Entscheidungsrunde mit allen Beteiligten unter Einbezug der Initiierenden • Arena bei bloßen Entscheidungsbedarfen • Kann auch als Abschluss einer Teamarbeit stehen ggf. Abgabe an Arena

• Team aus allen relevanten Bereichen zusammenstellen • Reviews mit weiteren Stakeholdern • Einbindung Initiierender

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Phase 4

“Neue Verwaltung” i.S.v. Teil V Besondere Verfahrensarten VwVfG (neu)

lich. Es ist gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz “einfach, zweckDr. Markus Richter ist Vizepräsident des Bundesamtes mäßig und zügig für Migration und Flüchtlinge durchzuführen”. (BAMF) sowie VorstandsvorFaktisch sieht es sitzender des Behörden-Netzin der Verwaltung werkes NExT e.V. allerdings nicht immer so aus. Foto: BS/Francisco Lopez Selbst bei einfachen Vorgängen sind oft eine Vielständnis in Behörden. Auch im zahl von Zuständigkeiten behörEU-Ausland liegen Erfahrungen denübergreifend und innerhalb vor, so zum Beispiel in der Stadt einer Behörde zu berücksichtiÄngelholm in Schweden. Dort gen. Übergabepunkte, Wiedervorhat sich die Stadtverwaltung mit lagen und lange Kommunikatiihren rund 3.300 Beschäftigten onswege über Hierarchieebenen zur Gänze auf agile Arbeitsweisen erhöhen die Komplexität und die umgestellt. In den vergangenen Verfahrensdauer. fünf Jahren hat die Gemeinde eine schnelle, mitnehmende und Wandel ist kein Selbstläufer zukunftsgewandte BehördenkulDaher erscheint es angezeigt, neue Arbeitsweisen, lösungsoritur etabliert. In Deutschland ist das Ver- entierte Beteiligungsverfahren waltungsverfahren nicht förm- und interdisziplinäre Gruppen

Phase 5 Grafik: BS/Dach, Quelle: Dr. Markus Richter

zu implementieren, die abschließend entscheidungsbefugt sind. Ein solcher Wandel wird sich nicht von selbst ergeben, da sich innerhalb von und zwischen Behörden hierarchiearme und interdisziplinäre Strukturen neu finden müssen. Zudem wären Regularien, Kommunikationswege und tradierte Abläufe anzupassen. Für eine einheitliche, umfassende und abgesicherte Veränderung des Verwaltungsverfahrens wäre die Novellierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes hilfreich. Vieles ist zwar rein rechtlich schon jetzt möglich und wird teilweise bereits praktiziert. Für einen nachdrücklichen Anstoß wäre aber zum Beispiel die Nichtförmlichkeit des Verfahrens gesetzlich zu konkretisieren, etwa durch eine Vorgabe, dass es aus einer Hand gesteuert werden soll, weitere Beteiligte in gebündelten Abstimmungen oder in einer gemeinsamen Ar-

beit eingebunden werden, sodass unmittelbar Ergebnisse hierarchiearm finalisiert werden.

Auswirkungen für die praktische Umsetzung Doch wie sähe dies in der Praxis aus? Mit dieser Frage haben sich Verwaltungsexperten des Behörden-Netzwerkes NExT auseinandergesetzt. Das Netzwerk bringt Vorreiter der Digitalisierung aus Behörden zusammen. Im Ergebnis wird für ein agiles Verwaltungsverfahren eine Initiierungsphase für sinnvoll gehalten. Diese löst den agilen Ablauf aus und kann von einem entsprechenden Auftrag, Antrag oder durch behördeninternen Vorgang angestoßen werden. In einer behördeninternen Clearing-Stelle bzw. in einer Steuerungseinheit erfolgt ein Vorgangsklären, eine Nachhaltung der weiteren Aktivitäten und eine Zuordnung des Vor-

Sachen selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Wir dürfen nicht zulassen, dass, während wir zögern, sich die Dinge von allein entwickeln und wir immer weniger Möglichkeiten haben, unsere Zukunft selber zu gestalten. Sonst machen das große Konzerne oder Länder, die einen ganz anderen Wertekompass haben als wir. Ich freue mich, in einem Zeitalter zu leben, in dem ich das aktiv mitgestalten kann. Es macht mir Freude, Tag für Tag die Fortschritte zu sehen und ich bin der Ansicht, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir als Bundesregierung haben jedenfalls die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt und entwickeln diese stetig weiter.

gangs zu einer verantwortlichen Stelle. Zudem kann bereits an dieser Stelle eine Zwischeninformation an die Initiierenden gegeben werden. Die weitere Durchführung übernimmt die benannte verantwortliche Stelle. Abhängig vom Inhalt des Vorgangs kann diese eine interdisziplinäre Teamarbeit anlegen, in die die Initiierenden und auch weitere externe Betroffene eingebunden werden können. Das Team ist abschließend entscheidungsbefugt. Hierarchieebenen und andere Fachbereiche können im Rahmen von regelmäßigen Austauschformaten eingebunden und informiert gehalten werden. Anstatt dieser agilen Teamarbeit ist auch eine singuläre oder wiederkehrende Abstimmungsund Entscheidungsrunde möglich, die die Gemeinde Ängelholm als “Arena” bezeichnet. Diese Runde ist interdisziplinär besetzt und befindet bei Vereinigung aller mitwirkenden Bereiche abschließend über einen Vorgang. Die Teamarbeit und die Arena können auch miteinander kombiniert werden. Den Abschluss des Verfahrens markiert die Ergebnisübermittlung an die Initiierenden, etwa in Form eines Verwaltungsaktes oder einer Mitteilung. Weitere Nacharbeiten können auch an die Linie in der Verwaltung weitergegeben werden, wobei jederzeit das agile Verfahren bei Bedarf erneut angestoßen werden kann.

NExT auf Digitaler Staat Das Netzwerk NExT präsentiert sich auf dem Digitalen Staat 2020 am 3. März von 10:20 Uhr – 11:50 Uhr im Rahmen eines Sideevents.

Der Behörden Spiegel ist Medienpartner des Netzwerks.



Digitaler Staat

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er Gesetzgeber hat die Aufgabe, den regulatorischen Rahmen für die Nutzung von Technologien unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf den einzelnen Bürger, die Gesellschaft und die Wirtschaft zu setzen. So können etwa Technologien gezielt gefördert werden, um wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen. Die Verwaltung hat die Aufgabe, die Vorgaben der Politik effektiv, effizient und unter strikter Einhaltung der rechtlichen Vorschriften umzusetzen. Typische Behördenstrukturen sind auf die rechtmäßige Umsetzung von Gesetzen ausgerichtet und bieten naturgemäß nur begrenzten Spielraum für Experimente und die Evaluierung neuer Ideen. Hierarchische Strukturen, etablierte Abläufe und oftmals ausgeprägtes Silo-Denken erschweren die Veränderung von innen heraus. Daher wurden in den letzten Jahren verstärkt Innovationslabore auf allen Ebenen der Verwaltung eingerichtet. Die Beispiele reichen von den “Verwaltungsrebellen” (www.verwaltungsrebellen.de) auf kommunaler Ebene, der “ITGarage” (www.senatspressestelle. bremen.de) auf Landesebene in Bremen bis hin zu Innovationsinitiativen auf Bundesebene wie dem “Digital Innovation Team” (www.dit.bund.de) des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI).

Innovation braucht Freiräume Zahlreiche Labore auf allen staatlichen Ebenen (BS/Dr. Thorsten Faber) Die digitale Transformation stellt Politik und Verwaltung vor die Herausforderung, auf technische und gesellschaftliche Innovationen angemessen zu reagieren und selbst innovativ zu sein. Treiber dafür sind z. B. das sich schnell und bisweilen sprunghaft ver­ändernde Umfeld, die rasante Entwicklung technischer Möglichkeiten, der ständige Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen und Erwartungen von Bürgern und Unternehmen. Hinzu kommen demografischer Wandel, rechtliche Veränderungen und die Tatsache, dass Verwaltungsprozesse zunehmend ressort- und ebenenübergreifend ablaufen. In diesem Umfeld bekommt Innovation einen immer größeren Stellenwert in Politik und Verwaltung. Ein ähnlicher Trend ist auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten. So wurde in Großbritannien bereits Ende der neunziger Jahre mit “nesta” eine Organisation geschaffen, die Innovation im öffentlichen Bereich anstoßen soll.

Grundlegende Prinzipien der Labore Die meisten dieser Innovationslabore sind durch einige grundlegende Prinzipien geprägt: • Innovationslabore sind kleine, eigenständige Einheiten außerhalb der zu verändernden Organisation, • d er Innovationsprozess ist interdisziplinär angelegt, mit Einbindung unterschiedlicher Fachrichtungen, • Innovation erfordert eine kreative Infrastruktur außerhalb der normalen Arbeitsumgebung, • die methodischen Ansätze basieren meist auf Design Thinking und agilem Vorgehen, • Innovation erfordert systemisches Denken über die Grenzen

mit denen Ideen in Prototypen umgesetzt werden können. Die Räumlichkeiten sollen die Kreativität der Teilnehmer förDr. Thorsten Faber ist Prinicipal Consultant bei dern und heben sich msg. dazu deutlich von eiFoto: BS/msg ner herkömmlichen Arbeitsumgebung ab. Großzügige Flächen, modernes Ambiente mit Hilfsmitteln wie von Behörden und Ressorts großflächige mobile Whiteboards, Bastelmaterial, Projektionstechhinweg, • die direkt Betroffenen und Nut- nik etc. sind die Grundlage für zer sind frühzeitig in den Inno- eine kreative Zusammenarbeit. vationsprozess eingebunden. Um mit den Teilnehmern in kurzer Zeit einen kreativen Prozess msg bietet mit dem Innovati- durchzuführen und praxistauglionslabor “digital.innovation.lab” che Lösungen zu entwerfen, setzt ein eigenes Format für Innova- msg auf Methoden wie Design tionsprojekte zur Digitalisierung Thinking und Design Sprints, eine in Politik und Verwaltung an. Es von Google entwickelte Methode verfügt über speziell ausgestattete zur Strukturierung des InnovatiRäumlichkeiten, erprobte metho- onsprozesses in fünf Tagen. dische Konzepte zum InnovationsDer Innovationsprozess wird management, erfahrene Berater begleitet und moderiert durch zur Begleitung kompletter Inno- Berater mit langjähriger Erfahvationsprozesse und Werkzeuge, rung in der öffentlichen Ver-

waltung und entsprechendem fachlichen Verständnis, starker Moderationsfähigkeit, Fähigkeit zur Visualisierung und sicherem Umgang mit Innovationsmethoden und -werkzeugen.

Breit angelegte Beteiligung Die Teilnehmenden an einem Innovationsprozess repräsentieren alle relevanten Sichtweisen und Positionen. Typischerweise stammen sie aus verschiedenen Fachgebieten (Juristen, Techniker, Verwaltungswissenschaftler …) sowie verschiedenen Verwaltungsebenen und Ressorts. Da viele Innovationen in der Verwaltung mit der Digitalisierung von Prozessen verbunden sind, binden wir auch eine repräsentative Auswahl von Nutzern ein. Die Teilnehmenden sollen möglichst hierarchiefrei über eine Problemstellung diskutieren können und dabei durch gezielten Wechsel der Perspektive unterschiedliche Sichtweisen einnehmen. Denk- und Kommunikationsblockaden, die sich in den

Update NExT Netzwerk

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ls gemeinnützige Plattform aus der Verwaltung für die Verwaltung vernetzt der 2018 gegründete NExT e. V. im Netzwerk Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, um gemeinsam die digitale Transformation der Verwaltung besser, einfacher und sicherer zu gestalten. Als parteipolitisch unabhängiges Netzwerk bringt NExT hierfür Beschäftigte aus Bund, Ländern und Kommunen sowie deren nachgeordneten Behörden und Körperschaften über Hierarchien, Ressorts und föderale Grenzen hinweg offline wie online zusammen. Im aktiven Austausch rund um Themen der digitalen Transformation lernen die Mitstreiter/innen im Netzwerk gemeinsam voneinander und miteinander. In den Werkstätten und Communities schaffen sie außerdem die Rahmenbedingungen für gemeinsame Projekte und führen diese durch. So beschleunigt NExT den digitalen Wandel der Verwaltung und hilft dabei, ihn einfacher, sicherer und besser zu gestalten. In den Communities werden dafür konkrete und anwendungsorientierte Hilfsmittel entwickelt und diese im Netzwerk bereitgestellt. Das NExT Netzwerk steht für Zusammenarbeit, Offenheit, Neu-

Behörden Spiegel / Februar 2020

Eine Plattform aus der Verwaltung für die Verwaltung (BS/Vincent Patermann) Als das NExT Netzwerk vor zwei Jahren unter der Schirmherrschaft des Bundes-CIOs Staatssekretär Klaus Vitt an den Start ging, einte die 13 teilnehmenden Behörden eine klare Agenda: der Anspruch, die digitale Transformation im öffentlichen Sektor maßgeblich mitzugestalten. Heute hat das Netzwerk Mitstreiter/-innen aus über 65 Behörden und Körperschaften im Bund, den Ländern und den Kommunen und positioniert sich somit ressort- und hierarchieübergreifend als Netzwerk für den Öffentlichen Dienst. gierde und Vernetzung. Wir machen Mut und gehen ehrlich und transparent mit Fehlschlägen um, damit wir aus ihnen lernen. Darum bieten wir mit unseren Veranstaltungen geschützte Räume für den Austausch innerhalb der Verwaltung. Gleichsam suchen wir in öffentlichen Veranstaltungen den Austausch mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.

Was genau macht NExT jetzt eigentlich? Das NExT Netzwerk führt gemeinsam mit seinen Mitstreiter/innen und Partnern unterschiedliche Veranstaltungen in ganz Deutschland durch. Unsere niedrigschwelligen NExT-Meet-Ups sind informelle Treffen und dem Stammtischformat ähnlich. Hier gibt es inhaltliche Impulse, vor allem aber die Möglichkeit zur persönlichen Vernetzung und zum Austausch. Bei Veranstaltungen der Werk-

Die erfolgreiche Impulsreihe “What’s NExT?” wird auch in diesem Jahr fortVincent Patermann ist Geschäftsführer des NExT gesetzt. e. V. und twittert unter @ Im Februar startete vpatermann. Auf E-Mails außerdem der Pilot antwortet er gern unter der “Werkstatt für vincent.patermann@nextOrganisationsentnetz.de Foto: BS/NExT,InLo wicklung in der Verwaltung” auf Initiative und Einladung des Bundesamts stätten und Communities bieten für Migration und Flüchtlinge wir einen Treffpunkt für alle In- (BAMF). Die Werkstatt versamteressierten des Netzwerks zu melt Führungskräfte, die mit der bestimmten Themen. So trifft sich Gestaltung von Veränderung bebeispielsweise die Community fasst sind. An sechs konsekutiven “Mobile Apps Management” unter Terminen im Jahr 2020 trifft sich Federführung des BMI in diesem die Werkstatt als “Community of Jahr an drei Terminen in Berlin Practice”, um Grundlagen der und Bonn. Weitere Veranstal- systemischen Organisationsenttungen der Werkstätten “Digitale wicklung kennenzulernen und Projekte”, “Digitale Fähigkeiten” anhand konkreter Fälle eine geund “Neue Technologien” sind führte, kollegiale Fallberatung in Planung, darunter eine Ver- durchzuführen. Die vierzehn Teilanstaltung zum Thema “Gute nehmenden im Piloten entwickeln Projekte – Schlechte Projekte”. so gemeinsam ein Change-Design

für ihre vorgestellten Fälle, der Werkstattpilot endet im Dezember. Am 20. August wird zudem das erste NExT Barcamp unter dem Motto “Verwaltung. Digital. Gestalten.” in Berlin stattfinden. Bis zu 200 Teilnehmende sind dazu eingeladen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu einer Vielzahl von Themen rund um die digitale Transformation der Verwaltung zu teilen, sich zu vernetzen und voneinander zu lernen. Um die persönlichen Treffen im Rahmen unserer Veranstaltungen auch digital zu verlängern, bietet NExT ab dem Frühjahr 2020 allen Mitstreiter/-innen im Öffentlichen Dienst eine digitale Plattform zum Austausch und für die Vernetzung.

etablierten Strukturen einstellen können, können so zugunsten eins vertieften Verständnisses für ein Problem aufgelöst werden. Die Teilnehmer entwerfen und bewerten Lösungsideen. Um die Praktikabilität neuer Ideen schnell evaluieren zu können, entwickeln wir innerhalb des Innovationsprozesses geeignete Prototypen in Form von KlickDummys oder Anwendungen zur Prüfung der Nutzerschnittstelle. Die Teilnehmer experimentieren mit diesen Prototypen und evaluieren sie. Dadurch entwickelt sich in kurzer Zeit ein tiefes Verständnis für das Problem und mögliche Lösungsalternativen. Der Prozess kann iterativ wiederholt werden, indem die Teilnehmer die Probleme auf Basis der Erfahrungen mit dem Prototyp neu bewerten und verbesserte Lösungen finden. Am Ende des Innovationsprozesses steht ein funktionaler Prototyp, der unter Mitwirkung aller relevanten Stakeholder erstellt und bewertet wurde. Auf Basis des Prototyps kann dann die Umsetzung der innovativen Idee in der Praxis beginnen.

Fachforum auf Digitaler Staat Im Rahmen des Kongresses Digitaler Staat führt msg am 3. März 2020 von 12:00 Uhr bis 13:30 Uhr ein Fachforum durch, das insbesondere dem Erfahrungsaustausch mit Vertretern verschiedener Innnovationslabore der Verwaltung dienen soll.

erhalten Sie regelmäßig aktuelle Veranstaltungshinweise und Neuigkeiten des Netzwerks. Hier erfahren Sie auch, wann die digitale Plattform online geht. Besuchen Sie die Veranstaltungen des NExT Netzwerks und vernetzten Sie sich mit anderen digitalen Köpfen in der Verwaltung. Laden Sie gerne auch ihre interessierten Kolleg/-innen zur Teilnahme ein.

Der NExT e. V. als dienendes Zentrum Wenn Sie sich mit ihrer Organisation auch im Verein einbringen und somit die Arbeit des Netzwerks aktiv unterstützen möchten, wenden Sie sich gerne an die Geschäftsstelle. Der Öffentliche Dienst verschenkt seine Potenziale, wenn er bestehende Lösungen und Erfahrungen nicht gemeinsam nutzbar macht. Damit wir schneller und besser voneinander lernen, haben wir das NExT Netzwerk gegründet. Machen Sie mit und gestalten Sie gemeinsam mit uns den digitalen Wandel der Verwaltung.

Wie kann ich mitmachen? Die Teilnahme im Netzwerk ist einfach: Melden Sie sich für den Newsletter auf www.next-netz. de unter “Mitmachen” an und

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Digitaler Staat

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Behörden Spiegel / Februar 2020

Deshalb starten wir Work4Germany

Neuer CIO für NRW

Die Verwaltung braucht mehr als E-Lösungen

Meyer-Falcke folgt auf Beuß

(BS/Christina Lang*) Ich habe mich immer gefragt, wieso Unternehmen besser darin sind, die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen als der öffentliche Sektor. In Start-Ups und Innovationseinheiten wird deutlich, dass Veränderungen dann erfolgreich sind, wenn Mitarbeiter/-innen befähigt werden, den Status Quo zu hinterfragen und Neues auszuprobieren. Die Arbeitsweisen in jungen, innovativen Unternehmen einerseits und traditionellen, hierarchischen Organisationen wie der öffentlichen Verwaltung gehen stark auseinander. Wir glauben: beide Welten können viel voneinander lernen.

(BS/wim) Im nordrhein-westfälischen Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie stellt man bereits früh die Weichen für die Zukunft. Bereits heute steht die Nachfolgeregelung für den Posten des CIO der Landesregierung fest, die um den Monatswechsel August/September vollzogen werden wird. Mit dem 1. September 2020 wird Prof. Dr. Andreas Meyer-Falcke (62) die Aufgabe als Landes-CIO im tise, sondern um die Erhöhung Wirtschafts- und Digitalministerium antreten, wie das Kabinett in dieser von Durchlässigkeit und den Woche beschlossen hat. Meyer-Falcke, der bereits zum 1. August in Austausch von Methoden- und den Dienst des Ministeriums tritt, folgt auf den langjährigen nordrheinwestfälischen Landes-CIO Hartmut Beuß, der sich zum 31. August 2020 Soft-Skills. in den Ruhestand verabschiedet.

Die Koordination und Übersetzung dieser unterschiedlichen Interessengruppen ist herausfordernd. Insbesondere Digitalisierungs-Projekte sind oft Querschnittsthemen mit hohem Planungs- und Abstimmungsaufwand. Deshalb haben wir mit Work4Germany ein zweites Fellowship Programm gestartet, das verstärkt methodische Kompetenzen und neue Arbeitsweisen in die Bundesministerien bringt und die Verwaltung von innen heraus unterstützt, innovative Projektarbeit zum Standard zu machen. Die Idee für Work4Germany entstand während meiner Zeit als freie Mitarbeiterin im Digitalisierungsstab des Auswärtigen Amtes. Mir bekannte Arbeitsweisen und Methoden boten eine wertvolle Ergänzung und Unterstützung zur Fachexpertise der Teams. Dabei handelte es sich um Kompetenzen, die in meinem vorherigen Job im Privatsektor – TEIL 2 – selbstverständlich bedarf es der Zusammenarbeit waren: agiles Projektmanageverschiedener Beteiligter: des ment, Erarbeiten eines kritiFachbereiches einerseits, der schen Zeitpfades, strukturierte IT-Verantwortlichen anderer- Problemlösungsmethoden, inseits, der Zuständigen für Da- teraktive Workshops, aber auch tenschutz, IT-Sicherheit sowie regelmäßige Feedback-Sitzungen teilweise externer Dienstleister. über die Qualität der ZusammenEine nutzerzentrierte Vorgehens- arbeit. Im Gegenzug lernte ich weise konsultiert außerdem die viel von meinen Kolleg/-innen Zielgruppe. über die fachlichen Fragen zur

Umsetzung von Digitalprojekten und die Herausforderung für die Verwaltung. Aus meinem Bekanntenkreis kamen vermehrt Nachfragen: Viele wollten “immer schon mal was mit Politik machen” und waren interessiert an der Möglichkeit, ihre Kompetenzen für gesellschaftlichen Mehrwert einzusetzen. Einerseits gibt es verwaltungsseitig einen enormen Bedarf für methodische Kompetenzen und Projektmanagement. Andererseits gibt es Talente aus der freien Wirtschaft, die nach einigen Jahren im Berufsleben nach einer neuen, sinnstiftenden Aufgabe suchen. Work4Germany bringt diese beiden Gruppen künftig zusammen. Ab Juni arbeiten methodisch starke Nachwuchstalente und Innovationstreiber/-innen aus Ministerien für sechs Monate zusammen an bereichsübergreifenden Projekten. Gemeinsam denken sie Projektabläufe neu, setzen agile Methoden ein und tragen ihren Teil zur Modernisierung der Arbeitskultur bei. Wir haben uns Kriterien für die Auswahl der Fellows auferlegt, um die Integrität der Teilnehmer/-innen sicherzustellen und Konflikte mit Einzelinteressen zu vermeiden. So ist beispielsweise ein BranchenMatching ausgeschlossen: ein Fellow aus der Pharmaindustrie wird nicht im Bundesgesundheitsministerium eingesetzt. Uns geht es nicht um fachliche Exper-

S

Versorgung bis zur letzten Kuh

Seit 2018 fördern wir diesen Austausch durch Tech4Germany. Jährlich bringen wir rund 30 Digital-Talente mit Bundesministerien zusammen. Die Teilnehmer/-innen haben Erfahrung im Programmieren und Produkt Management sowie im Design von Nutzeroberflächen. In Teams widmen sie sich mit Projektverantwortlichen aus Ministerien nutzerzentriert einer klar definierten Problemstellung und entwickeln einen Prototypen. Doch Digitalisierung verändert nicht nur, welche Lösungen und Dienste die Verwaltung anbieten kann. Sie verändert auch grundlegend das “Wie?” des Arbeitens. Nehmen wir beispielsweise die Entwicklung, Instandhaltung und Weiterentwicklung einer digitalen Leistung. In jeder Phase

o fördert der Freistaat Bayern als erste Region in Europa den Ausbau der Gigabit-Infrastruktur in grauen Flecken. Zwar ist das Glasfasernetz laut dem Finanzministerium des Landes bereits in jeder bayerischen Gemeinde angekommen, durch einen nun von der Europäischen Kommission genehmigten Antrag Bayerns auf einen staatlich geförderten Gigabitausbau sind nun allerdings bestehende Restriktionen weggefallen, mit denen das Land bislang keine flächendeckende Förderung in Gebieten durchführen durfte, die bereits über einen Breitband-, aber nicht über einen Gigabitanschluss verfügen. Von der neuen Regelung werden vor allem gewerbliche Nutzer profitieren, die einen besonders hohen Bedarf an schnellem Hochleistungsinternet haben, aber auch private Nutzer profitieren von der Förderung. So

Zwei Alternativen

Seit Ende Januar läuft die Bewerbungsphase. Dass es ein Bedarf für Work4Germany gibt bestätigt sich durch die Bewerbungen von Digital-Talenten und Ministerien. Trotzdem: kennen Sie einen Innovationstreiber/-in auf Bundesebene? Dann melden Sie sich oder erzählen von Work4Germany. Was haben Sie für Erfahrungen mit neuen Arbeitsweisen gemacht? Melden Sie sich bei uns. Wir haben gemerkt: auch unsere Programme werden durch vielseitige Meinungen besser! Work4Germany (https://work. 4germany.org) und Tech4Germany (https://tech.4germany. org) sind sich ergänzende Fellowship Programme unter der Schirmherrschaft des Chefs des Bundeskanzleramtes Prof. Dr. Helge Braun, die beide zu einem digitalen Staat beitragen, der nutzerzentrierte und einfache Services für uns Bürger/-innen bereitstellt. *Christina Lang ist CEO von 4Germany UG, einem staatlich geförderten non-profit Start-Up, das die beiden Fellowship Programme Work4Germany und Tech4Germany unter der Schirmherrschaft vom Chef des Bundeskanzleramtes Helge Braun leitet.

Meyer-Falcke hat bereits einen großen Erfahrungsschatz in der Arbeit in verschiedenen Landesministerien sammeln können, wo er u.a. viele Jahre als Gruppenleiter bzw. stellvertretender Leiter der Zentralabteilung im Bereich Personal und Organisation sowie im Bereich Jugend aktiv war. So leitete er beispielsweise von August 2009 bis Ende 2011 das Strategiezentrum Gesundheit als Teil des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen. Am 1. Januar 2012 wurde er Beauftragter der Landesregierung NordrheinWestfalen für das Betriebliche Gesundheitsmanagement. Anschließend wechselte der heute 62-jährige in den kommunalen Dienst, ohne aber die Stadt zu verlassen. So ist er seit dem 1. August 2012 als Beigeordneter der Landeshauptstadt Düsseldorf für die Bereiche Personal, Organisation, IT, Gesundheit und Bürgerservice zuständig und trägt u.a. die Verantwortung für die Digitalisierung der Kommunalverwaltung. Zudem gewann er im Jahr 2016 mit „Digitale

Bundesländer stellen Weichen für flächendeckende Infrastruktur (BS/wim) Nachdem der Breitbandausbau in Deutschland lange Zeit verschlafen wurde, sind Bund und Länder trotz teilweise ungeordneten Zuständigkeiten seit einer Weile auf den digitalen Zug aufgesprungen. Um das Gigabitnetz nicht nur in die Metropolen, sondern auch bis in die letzten Winkel der Fläche zu bringen, haben der Freistaat Bayern sowie das Land Rheinland-Pfalz nun neue Richtlinien und Strategien verabschiedet. fördert der Freistaat künftig nur noch Glasfaseranschlüsse bis in die Gebäude hinein, was Diskussionen um die “letzte Meile” von vornherein lösen sollte. Zudem werden neben der bisherigen Förderung der Wirtschaftlichkeitslücke auch Betreibermodelle ermöglicht.

EU genehmigt landesweite Förderung Für den bayrischen Finanzminister ist und bleibt Bayern damit “Vorreiter in Europa bei der Breitbandförderung. Mit der neuen Gigabitrichtlinie kann Bayern nunmehr als erste Region in Europa auch die Be-

Im Rahmen der 3. Sitzung des Netzbündnisses für Rheinland-Pfalz unter Leitung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer wurde der Entwurf für die neue GigabitStrategie vorgestellt. Foto: BS/Staatskanzlei RLP/Schäfer

schleunigung von Anschlüssen an grauen NGA-Flecken fördern, also Orten wo bereits schnelles Internet mit mind. 30 Mbit/s verfügbar ist. Nach mehr als zwei Jahren mit Prüfungen und Verhandlungen hat die Europäische Kommission den Antrag des Freistaats auf eine landesweite Gigabitförderung genehmigt. Zukunftsfähige Gigabitnetze können nun auch in der breiten Fläche ermöglicht werden.” Das Land, das bereits sechs Pilotprojekte zum Gigabitausbau durchgeführt hat, sieht sich damit in einer Vorbildfunktion “für ganz Deutschland und alle EU-Mitgliedsländer. Bereits ab März 2020 können die Kommunen ins Verfahren starten. Zusätzlich werden unsere Breitbandmanager auch auf die Kommunen zugehen”, betont Füracker. Zusätzlich zu den Bemühungen von Landesseite nimmt der Minister aber auch die Netz-

betreiber sowie den Bund in die Pflicht: “Wir springen hier freiwillig ein, weil ein schneller Internetanschluss für alle die Bürgerinnen und Bürger eine Grundvoraussetzung ist. Die Planungshoheit über die Nutzung und den Umfang der Förderung liegt selbstverständlich bei den Kommunen selbst”, stellt Füracker klar und fordert: “Auch der Bund muss seinen Anteil erbringen – schnellstmöglich und vor allem unbürokratisch.” Der Breitbandausbau läuft in Bayern bereits seit 2014 auf Hochtouren. Seit Ende 2013 wurden in Bayern durch Freistaat, Kommunen und Kommunikationsunternehmen mehr als 2,3 Millionen unversorgte Haushalte erstmals an das schnelle Internet angeschlossen. Im Rahmen der Anstrengungen ergingen zudem Bescheide über insgesamt 1,07 Milliarden Euro für insgesamt 1.797 Kommunen. Bayerns ambitioniertes Ziel lautet: Gigabit bayernweit bis 2025.

Richtlinie in Bayern, Strategie in RLP Während man im Süden der Republik bereits ordentlich Förderbescheide am verteilen ist, wappnet sich Rheinland-Pfalz auf strategischer Ebene für die digitale Zukunft. Um die digitale Transformation zu unterstützen, den demografischen Wandel möglichst gut zu bewältigen und gleichzeitig die Wirtschaft zu stärken, hat die Landesregierung nun eine Gigabitstrategie ausgearbeitet, mit dem das Land bis 2025 flächendeckend im Gigabit-Zeitalter ankommen soll. Mehr als 12.230 Kilometer,

Übernimmt zum 1. September diesen Jahres als CIO die Koordination für die Digitalisierung der Landesverwaltung: Prof. Dr. Andreas Meyer-Falcke. Foto: BS/Landeshauptstadt Düsseldorf

Stadt Düsseldorf“ – einem Verein, der die Informations- und Telekommunikationswirtschaft mit den klassischen Branchen vernetzt – den Preis “Düsseldorfer des Jahres” in der Kategorie Innovation & Nachhaltigkeit. Für den Wirtschafts- und Digitalminister des Landes NRW, Prof. Dr. Andreas Pinkwart, ist Meyer-Falcke eine gute Wahl, denn er „bietet eine hervorragende Gewähr für die erfolgreiche Ausübung des Amtes des Beauftragten der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Informationstechnik (CIO)“. Daher freue er sich schon “sehr, dass er die hervorragende Arbeit seines Vorgängers fortsetzen und mit viel Elan und Begeisterungsfähigkeit die Digitalisierung der Landesverwaltung weiter vorantreiben wird.”

was eine Strecke von Mainz bis Santiago de Chile entspricht, will die rheinland-pfälzische Landesregierung in den nächsten fünf Jahren an Glasfaserkabel flächendeckend durch das Land verlegen, eine eine leistungsstarke und zukunftsfähige Infrastruktur aufzubauen. “Der Breitbandausbau in Rheinland-Pfalz schreitet sichtbar voran. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur ist ein Schwerpunkt der Landesregierung. Wir schaffen bis zum Jahr 2025 die Voraussetzungen für flächendeckende Gigabit-Netze”, erklärte Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei der Vorstellung des Entwurfes der Gigabit-Strategie beim Treffen des Netzbündnisses Rheinland-Pfalz.

Vier Säulen als Fundament Die Gigabit-Strategie ist dabei als Gesamtstrategie aufgelegt, die Festnetz und Mobilfunk ganzheitlich in den Fokus nimmt. Bis 2025 sollen auf Basis der Richtlinie die Grundlagen dafür geschaffen wird, dass alle Bürger sowie Unternehmen im Bundesland auf einen gigabitfähigen Glasfaseranschluss zugreifen können. Die Strategie basiert auf vier Säulen: Dem privatwirtschaftlichen Ausbau der Telekommunikationsunternehmen, dem flankierenden, geförderten Ausbau vor Ort, dem Breitband-Kompetenzzentrum und der Clearing-Stelle des Landes für den Mobilfunk. Auf diese Weise trägt sie den Rahmenbedingungen der EU, des Bundes und des Landes Rechnung. Die Strategie beschreibt die strategische und operative Ausrichtung des Landes, benennt Ziele und Leitbilder, beschreibt die erforderliche Organisation und Rollenverteilung und identifiziert die zur Umsetzung erforderlichen Instrumente.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Februar 2020

Gut aufgestellt

J

a sicher, sagen die einen, wir sind schließlich im 21. Jahrhundert. Die E-GovernmentGesetze ermöglichen doch schon seit Jahren, Akten ausschließlich elektronisch zu führen. Die Anträge können elektronisch entgegengenommen werden, um sie über Fachverfahren dann schlussendlich wohlsortiert in elektronischen Akten abzulegen. Dort also, wo sie hingehören, weil deutsche Behörden wegen des grundgesetzlichen Rechtsstaatlichkeitsprinzips die Pflicht haben, Akten zu führen. Wie bitte, sagen die anderen, die wirtschaftliche und personelle Situation vieler kommunaler Behörden ist seit Jahren sehr angespannt. Die verfügbaren Mittel konnten nicht eingesetzt werden, um die innere Organisation zu stärken, sondern sie wurden verwendet, um andere dringliche Aufgaben zu finanzieren. Papierakten sind auch bei größeren Behörden noch der Regelfall. Dazu liegen viele fallrelevante Informationen auch in Fachverfahren, auf Laufwerken oder im Mailsystem. Wessen Sicht trifft eher zu? Nun ja, der Deutsche Platz 24 von 29 beim Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) im Länderbericht 2019 der Europäischen Kommission (Rubrik: Digitale öffentliche Dienste) hat Gründe.

Keine Probleme am ­“Eingangstor” Fachverfahren Um gut mit dem OZG zurechtzukommen, müssen die von dort eingehenden Daten in aller Regel über Fachverfahren entgegengenommen werden, um dann anschließend auch veraktet werden zu können. Über Fachverfahren muss man sich keine Gedanken mehr machen, über elektronische Akten hingegen wahrscheinlich schon. Unabhängig von den Fristen in den E-Government-Gesetzen hinsichtlich des Umstiegs auf die elektronische Aktenführung, die nach persönlicher Einschätzung des Verfassers ein wenig an Sportlichkeit vermissen lassen, wird der dort geregelte Umstieg im Regelfall auch noch relativiert. Umsteigen sollen Behörden überhaupt nur dann, wenn es wirtschaftlich ist. Diese Formulierung unterstellt, dass das Arbeiten mit Papierakten wirtschaftlich sein kann. Eine kühne These aus der Sicht eines Projektleiters, der sich seit fast 15 Jahren mit der Einführung von elektronischen Akten in kommunalen Behörden befasst.

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OZG-Umsetzung trifft in allen Kommunen auf elektronische Akten – oder nicht? (BS/Volker Staupe) Alle mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) befassten Akteurinnen und Akteure haben ein lebhaftes Interesse daran, dass die Möglichkeiten der Online-Nutzung auch wahrgenommen werden – von möglichst vielen Nutzenden und das auch dauerhaft. Sind kommunale Behörden intern flächendeckend gut aufgestellt, um die Anfragen auch zeitgemäß ohne Medienbrüche entgegennehmen und bearbeiten zu können? Zudem gelten die E-Government-Gesetze nicht auf den ersten Blick auch für kommunale Behörden. Hier hört man dann oft -Kommunen seien verfassungsrechtlich Bestandteil der Länder. Formulierungen wie “alle Kommunen des Bundeslandes … müssen bis zum … mit elektronischen Akten arbeiten” oder “alle neuen Akten der Kommunen müssen ab dem … elektronisch geführt werden” geben die gesetzlichen Regelungen nicht her. Dafür gibt es Gründe, der wesentlichste ist das Konnexitätsprinzip. Das alles stimmt, ist aber für die häufig nicht sehr große Anzahl von Protagonisten in den Behörden, die sich den Umstieg auf die elektronischen Akten auf die Fahne geschrieben haben, nicht wirklich unterstützend. Dies gilt insbesondere, weil es den Kommunen manchmal schon schwerfällt, den gesetzlich verpflichtenden Aufgaben nachzukommen. Es ist jedoch ein Wandel spürbar, wie am Beispiel NRW zu erkennen ist. Trotz der in diesem Jahr stattfindenden Kommunalwahl, wo man andere Prioritäten vermuten könnte, legen immer mehr Bürgermeisterinnen und Bürgermeister besonderen Wert auf die Einführung von elektronischen Akten. Diese Entwicklung ist nicht nur aus dem OZGBlickwinkel sehr zu begrüßen, zumal der finanzielle Aufwand zwar unstrittig vorhanden ist, sich aber nie die Frage stellt,

“Die Umstiegsfrist lässt ein wenig an Sportlichkeit vermissen.” baue ich eine Kita oder führe ich elektronische Akten ein. Und das ist zudem auch nur die Sachlage bei der Einführung der Akten. Im laufenden Betrieb spart die Behörde. Wertvolle Bürofläche kann wieder als Bürofläche genutzt werden und fristet nicht weiter ein Dasein als Lagerraum für Papier. Prozesse können ohne großen weiteren Aufwand verbessert werden, datenschutzkonformes Arbeiten von zu Hause aus

Aktenplan eingeführt zu haben. Wer sich einmal auf den Weg gemacht hat, in eiVolker Staupe ist ­Projektleiter DMS bei ner Behörde heuder Stadt Witten. te einen solchen einzuführen, der Foto: BS/privat erlebt, dass allein das Einführen viel Zeit in Anspruch nimmt und bei den Mitarbeitenist möglich, Akteninhalte werden den dafür auch keine große Bewieder aussagekräftig, Gerichte reitschaft zu spüren ist. Die mit können behördlich ausgeübtes Fachaufgaben gut ausgelasteten Ermessen wieder nachvollziehen, Mitarbeitenden sehen häufig für um nur einige der nicht nur fi- sich keinen Vorteil in einem solnanziellen Vorteile zu benennen. chen Plan, verständlich, es gibt Und nicht zuletzt fällt der Um- auch keinen. Dafür gibt es komgang mit den Herausforderungen munale Behörden, die zum Teil der Online-Nutzung erheblich ca. 20 Millionen Dokumente in einem Dokumentenmanagementleichter. verfahren haben, aber keinen Kein rein behördeninternes Aktenplan. Trotzdem geht kein Organisationsprojekt Dokument verloren, trotzdem Ein Umstieg ist auch kein rein dauert keine Suche mehr als eine behördeninternes Organisati- Sekunde. Ein Aktenplan mag in onsprojekt. Richtig angewandt, der Papierwelt seine Berechtihaben alle Bürgerinnen und gung gehabt haben (auch das ist Bürger erhebliche Vorteile. Im zweifelhaft, wie die Praxis vieler Rathaus müssen sie nicht mehr Kommunen seit Jahren zeigt), durch die Gänge und Etagen aber für eine elektronische Akte laufen, jetzt flitzen die Akten zu ist er aus der Zeit gefallen. einer zentralen Stelle, wo den Anliegen angemessen begegnet Akte ist nicht gleich Akte werden kann. Eine andere Falle besteht darin, Wenn nun in immer mehr Rat- dass sehr oft der erste Teil des häusern die Akten getauscht wer- Begriffes “elektronisch” in den Foden sollen, dann kann es mitt- kus rückt und der zweite Teil “Aklerweile schon einmal Monate te” nicht wirklich wahrgenommen dauern, bis die DMS-Hersteller wird. Unter einer elektronischen Termine freihaben. Auch das ist Akte verstehen viele Akteure auf ein Zeichen von deutlich gestie- dem Markt quasi ein Fachprogener Nachfrage. gramm. Das führt dazu, dass den Erschwert wird ein Umstieg Behörden schmackhaft gemacht auch durch Tipps, die nicht wird, was so eine Akte alles kann unbedingt praxistauglich sind. und was heute zum Standard In vielen Kommunen wird seit einer solchen gehört. Eine elekJahren kein Aktenplan mehr tronische Personalakte sieht oft gelebt, die jüngeren Mitarbeiten- völlig anders aus als eine elektroden wissen mit dem Begriff auch nische Ausländerakte oder eine häufig nichts mehr anzufangen. Sozialhilfeakte. Eine Tiefbauakte Wenn nun dahingehend beraten hat ein anderes Aussehen als eine wird, dass erst ein Aktenplan Wirtschaftsförderungsakte. Wozu eingeführt werden muss, um führt das und ist das richtig so? anschließend mit einer elektro- Nun, das führt zunächst einmal nischen Akte arbeiten zu können, dazu, dass Kommunikationswege dann ist das schlicht falsch. Eine erheblich schwieriger werden. elektronische Akte benötigt Ord- Während man früher eine Panung, das ist klar. Diese Ordnung pierakte oder Teile davon durch funktioniert aber dauerhaft und das Haus schicken konnte und sicher, auch ohne vorher einen jeder verstand sie, geht das bei

den neuen elektronischen Fachakten nicht mehr. Sie haben alle vollständig andere Metadatenfelder und Querschnittsbereiche (Dezernenten, Rechnungsprüfung, Rechtsämter…), müssen sich in allen unterschiedlichen Sorten von Akten zurechtfinden, d. h. sie müssen immer wieder neu lernen. Da war das Leben doch früher in Papier einfacher. Solche Akten können bei Massenverfahren Sinn machen (z. B. Kfz-Wesen), aber eben nur dort. Es ist weder “modern” noch “zeitgemäß” oder gar “unumgänglich”, dass wir nach tausenden von Jahren wieder babylonische Verhältnisse haben, wo der eine den anderen nicht mehr versteht. Selbstverständlich müssen sich die Akten nicht voneinander unterscheiden. Warum auch? Wir arbeiten seit Jahrhunderten mit für alle Beteiligten verständlichen Akten und der Fortschritt muss wenigstens die Funktionalitäten der bisherigen Variante bieten, darüber hinaus natürlich noch mehr. “Akte” darf gern wieder in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Eine Akte ist nichts anderes als ein gemeinsames Verständnis von Ablage, wobei der Vorteil gerade beim Suchen offensichtlich wird. Daher dürfen Akten nach wie vor selbstähnlich sein. Eine Jugendamtsakte kann auch künftig genauso aussehen wie eine Steuerakte. Selbstähnliche Akten verursachen für eine Behörde die mit weitem Abstand geringsten Kosten, sind am schnellsten ausrollbar und erfahren die höchste Akzeptanz der sie nutzenden Personen. Dazu ist die Projektarbeit normier-

bar und die Umstellungszeit gut kalkulierbar. Aus der Erfahrung eines Projektleiters gibt es keinen Unterschied, ob eine Personalakte umgestellt wird oder eine Betriebsamtsakte. Die elektronischen Akten heißen genauso wie die früheren Papierakten und unterscheiden sich nicht im Aufbau, allerdings in der Handhabung. Beispielsweise sucht man in Papierakten, in elektronischen Akten hingegen findet man. Viele Anbieter von elektronischen Aktensystemen haben heute Vorlaufzeiten von einigen Monaten. Wenn eine kommunale Behörde z. B. nur 50 verschiedene Aufgaben/Akten haben sollte und Fachakten einsetzen möchte, dann vergehen für den Umstieg schnell einmal 20 Jahre und mehr. Ist das sinnig? Nein, das ist Unsinn in Reinkultur! Die Papierakte hat ihre Verrentung wohl verdient, sie hat lange genug gearbeitet. Wir sollten sie gebührend verabschieden und die elektronische Akte freudig begrüßen, in dieser aber nichts Geheimnisvolles, Schwieriges, Kompliziertes sehen oder sie als hochfachverfahrensintegriertes Spezialmedium ansehen. Wenn eine elektronische Akte so einfach zu bedienen ist wie eine Papierakte, sie genauso bezeichnet wird wie die Papiervariante, die entsprechende Schulung nicht mehr als einen halben Tag dauert, dann danken es die Mitarbeitenden und die Bürgerinnen und Bürger in dem Maße, wie die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung steigt. Das ist jederzeit in jedem guten System möglich, es muss nur gezielt gefragt werden. Wichtig ist dabei, dass kein System in Behörden eingeführt wird, “was alles kann”, sondern Systeme, die wirklich sinnvoll sind. Es sollen die Systeme hofiert werden, die komplizierte Sachverhalte einfach darstellen und nicht uferlos Komplexität komplex umsetzen, “weil sie es können”. Dann kann das OZG kommen!

Mehr zu OZG, E-Akte & Co. Beachten Sie in diesem Zusammenhang auch folgende Seminare des Behörden Spiegel: • “Die E-Akte als Kern der Verwaltungsdigitalisierung”, 3. März 2020, Bonn, • “Elektronische Rechnungen und Rechnungsworkflow in Behörden”, 4. März 2020, Bonn, • “Onlinezugangsgesetz und Digitalisierung”, 5. März 2020, Bonn, • “Einführen einer elektronischen Akte – wenig Aufwand, viel Ertrag und hohe Zufriedenheit”, 21. April 2020, Bonn. Weitere Informationen unter: www.fuehrungskraefte-forum.de


Informationstechnologie

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Die Kontrolle behalten

B

ehörden Spiegel: Herr Breger, im Bereich der CyberSicherheit wird viel über mögliche Entwicklungen durch neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Quanten-Computing und andere Innovationen spekuliert. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Breger: Durch die zunehmende Digitalisierung von Gesellschaft und Verwaltung ist für alle Akteure, ob Unternehmen oder staatliche Institutionen, die Abhängigkeit von den IT-Infrastrukturen gewachsen. Tendenz steigend. Gleichzeitig sehen wir uns aus den verschiedensten Ecken mit einer mindestens ebenso stark wachsenden Anzahl an sehr komplexen digitalen Angriffsszenarien konfrontiert, auf die wir die passenden Antworten finden müssen. Das sind irgendwelche relativ harmlosen Versuche von Jugendlichen, die sich im Hacken mal ausprobieren wollen und es geht bis zur Organisierten Kriminalität und zu staatlich organisierten Hackergruppen. Wegen dieser Entwicklung sehen wir uns in einer Situation, in der wir die Anstrengungen in Sachen Cyber-Sicherheit spürbar verstärken müssen. Denn man muss davon ausgehen, dass Behörden und Unternehmen gleichermaßen gar nicht mehr in der Lage sind, Angriffe auf ihre Systeme grundsätzlich zu vermeiden. Stattdessen geht es darum, in die Sicherheitsarchitektur alle Möglichkeiten zur Verteidigung zu integrieren, um diese Angriffe so gut wie möglich abzuwehren. Das Thema IT-Sicherheit ist also nicht mehr wegzudenken und die Anstrengungen müssen in strategisch abgestimmter Weise mindestens verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden, um für eine nachhaltige Sicherheit zu sorgen. Behörden Spiegel: Ein weiterer wichtiger Faktor beim Thema Sicherheit ist die Cloud. Das treibt vor allem den IT-Verantwortlichen in vielen Häusern den Schweiß auf die Stirn, weil sie sich von ihren eigenen, bestens geschützten Rechenzentren verabschieden müssen und gleichzeitig einige rechtliche Fragen auf sie zukommen. Wäre es da nicht besser, einfach auf die Cloud zu verzichten? Breger: Ein Verzicht auf die Cloud-Technologie kann meiner Meinung nach nicht die Lösung sein. Das Szenario, was Sie da

Nutzung von Cloud-Technologie in der öffentlichen Verwaltung (BS) Mit der Einführung neuer Technologien entstehen zumeist auch neue Sicherheitsrisiken sowie die Herausforderung, sich durch den Einsatz nicht in zu große Abhängigkeit zu begeben und sich seiner Souveränität und Kontrolle zu berauben. Wie man dies vermeiden kann, war u. a. Gegenstand eines Interviews, welches Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll mit Florian Breger, Vice President und Leiter Geschäftsbereich Öffentliche Auftraggeber bei IBM Deutschland, führte. beschreiben, kennen wir und bezeichnen es als ein PublicCloud-Szenario. Solch eine Lösung wird aber aktuell kaum noch realisiert, da der Trend stark in Richtung einer hybriden Cloud geht. Dabei überlegt sich die Behörde vorab genau, welche Daten sie außerhalb der eigenen Firewall bei einem CloudProvider ablegen will und welche Daten lieber innerhalb der virtuellen Mauer im zentralen, eigenen Zugriffsbereich bleiben sollen. Die technische Umsetzung beider Varianten unterscheidet sich aber nur marginal, wir können also vor und hinter der Firewall eine Cloud-Lösung umsetzen. Wir gehen davon aus, dass aktuell 80 bis 90 Prozent unserer Kunden schon bis zu fünf Clouds einsetzen. Daher ist es extrem wichtig, einen Kontrollpunkt zu setzen, was in der öffentlichen und was in der internen Cloud gespeichert und verarbeitet wird. Behörden Spiegel: In der deutschen Behördenlandschaft geht die Diskussion vor allem rund um das Thema Bundes-Cloud. Da soll es jeweils für den Bund, die Länder und die Kommunen eigene Sensibilitätsstufen geben. Ein Mammutprojekt, für das es definitiv einen Partner aus der Technologiesparte braucht. Neben anderen Global Playern ist für diese Rolle auch Ihr Unternehmen im Gespräch. Sehen Sie es als realistisch an, dass der Bund so eine Cloud mit Ihrer Unterstützung größtenteils selbst betreiben kann? Breger: Das ist sicherlich mit Aufwand verbunden, aber grundsätzlich ein guter und gangbarer Weg. Für die möglichen Technologiepartner hat der Bund zudem einige klare Linien gezogen. Diese roten Linien können und würden wir allesamt einhalten, wenn man uns für das Projekt auswählt. Zudem haben wir dem Bund empfohlen, das gesamte Projekt auf Basis von Open Source-Technologien aufzubauen. IBM ist darauf spezialisiert und bereit, den Bund in jeder

Schluss mit der Inkonsequenz Digitalverband Bitkom legt Digitalstrategie 2025 vor (BS/pet) In Fragen der Digitalisierung gerät Deutschland zusehends ins Hintertreffen. Einen möglichen Grund für den digitalen Schneckengang hierzulande sieht der Branchenverband Bitkom im Ausbleiben eines ganzheitlichen Ansatzes in Politik und Wirtschaft, der auch konkrete Fördermaßnahmen nicht aus dem Blick verliert. Welche Schritte im Einzelnen notwendig sind, um Boden gut zu machen, hat der Bitkom in seiner nun vorliegenden Digitalstrategie 2025 ausgearbeitet. In der Strategie warnt der Bitkom eindringlich davor, dass Deutschland auf dem besten Wege sei, den digitalen Anschluss zu verlieren. Zwar sei der Bund zu Beginn des neuen Millenniums ambitioniert gestartet, zu wirklich praktikablen Lösungen fortentwickelt wurden jedoch nur die wenigsten Projekte. Bestes Beispiel: die elektronische Gesundheitskarte. Im Jahr 2003 angekündigt, sollte sie 2006 ausgerollt werden. Tatsächlich eingeführt wurde sie jedoch erst 2016, und das mit erheblich eingeschränkter Funktionalität. Dieselbe Halbherzigkeit treffe man auch in der Wirtschaft an, wo ein Gutteil der Unternehmerschaft nach wie vor bei notwendigen Investitionen in neue Technologien zögere, von Wagniskapital zur Förderung digital versierter Start-ups ganz zu schweigen.

Behörden Spiegel / Februar 2020

Vor diesem Hintergrund verstehe sich die Digitalstrategie 2025 nicht nur als eine kritische Bestandsaufnahme des informationstechnologischen Ist-Zustandes, sondern zugleich auch als einen ausdrücklichen Appell, die bisherige Inkonsequenz in Politik und Wirtschaft über Bord zu werfen, um die Digitalisierung voranzubringen. Dabei definieren die Autoren der Strategie vier zentrale Felder, in denen Handlungsbedarf bestehe: Einen neuen Ansatz beim Thema Bildungskompetenz und Weiterbildung, um den Mangel an ITExperten zu lösen, einen Ausbau der digitalen Infrastrukturen, die konsequente Anwendung des Prinzips “digital by design” für Verwaltungsprozesse sowie eine ausbalancierte Datenpolitik bei Schutz und Einsatz von Bürger­ informationen.

lief, viele Fachverfahren aber nur für Windows programmiert waren.

“Ein Verzicht auf die Cloud-Technologie kann nicht die Lösung sein.” Florian Breger ist Vice President und Leiter Geschäftsbereich Öffentliche Auftraggeber bei IBM Deutschland. Foto: BS/Giessen

Form bei Aufbau und Betrieb einer solchen Cloud-Lösung zu unterstützen. Das wäre dann zwar etwas teurer als die Nutzung der marktüblichen Infrastrukturen, aber im Sinne der Datensouveränität von Staat und Verwaltung ist es sinnvoll, flexibel und unabhängig zu werden.

Behörden Spiegel: Open Source ist grundsätzlich ein guter Gedanke, aber die Verwaltung hat bislang nicht die besten Erfahrungen damit gemacht. In München hatten die Mitarbeiter bei der Umstellung auf Linux am Ende zwei Monitore auf dem Tisch, da das reguläre System mit Linux

Breger: Die Geschichte aus München ist inzwischen auch schon wieder eine ganze Weile her. Es gibt heute viel bessere Möglichkeiten, mit Open-SourceProdukten zu arbeiten. Unser Fokus liegt nicht auf der Anwendungsseite, sondern auf Aufbau und Betrieb der Infrastrukturen im Hintergrund. Hier können wir sichere und flächendeckend angewandte Lösungen anbieten. Die öffentliche Hand sollte dabei auf zwei Dinge achten: 1. die Sicherheit der eigenen und vor allem der Bürgerdaten. 2. Keine Lösung anschaffen, die einen sklavisch an einen Hersteller bindet. Diese zwei Aspekte lassen sich heutzutage problem­los verbinden. Gerade bei einem Großanwender wie dem Bund ist es absolut sinnvoll, in Teilbereichen auf eine eigene Infrastruktur zu setzen. Behörden Spiegel: Hier sind wir rasch beim Thema digitaler Souveränität zusammen. Kann ein Staat seine Daten überhaupt noch in territorialen Denkweisen absichern – in einer digitalen Welt, in der es für Daten quasi keine Grenzen mehr gibt?

Breger: Tatsächlich müssen Staat und Gesellschaft sich von dem Gedanken verabschieden, dass wir in Zeiten der massiven Vernetzung einen analogen oder digitalen Zaun aufbauen können und darin eine Insel der Glückseligkeit haben. Gerade von dieser globalen Vernetzung profitiert die deutsche Volkswirtschaft ja auch enorm, wenn man sich den jährlichen Exportüberschuss anschaut. Insofern muss man diese Diskussion versachlichen. Damit Daten in der heutigen Welt sicher sind, sollte der Bund auf zwei Dinge achten: Zum einen Zertifizierungen durch das BSI, wie beispielsweise die C5-Testierung, die unser Cloud-Rechenzentrum in Frankfurt sowieso durchlaufen musste. Zum anderen darf der Anbieter keine Datenkommerzialisierung betreiben, also die Kundendaten weiterverwerten, um daraus noch mal ein Geschäft zu machen. Behörden Spiegel: Das C5Testat wurde also speziell für Cloud-Rechenzentren entwickelt? Breger: Genau, der “Cloud Computing Compliance Controls Catalogue” definiert die Kriterien für eine nachhaltige Datensicherheit in Cloud-Diensten. Ziel der Vorgaben ist es, den Kunden genau die Datensicherheit zu liefern, die sie wünschen. Wenn beispielsweise der Bund möchte, dass nur deutsches Personal oder nur EU-Personal die Daten überhaupt anfassen darf, dann ist die Testierung ein Siegel dafür, dass man das auch wirklich leisten kann. Dies wird in Zukunft sicherlich auch bei Ausschreibungen relevant sein.


IT-Konsolidierung

Behörden Spiegel / Februar 2020

N

ach der Abnahme des Gesamtsystems im Dezember 2018 standen sowohl die Softwarelösung als auch die zur Einführung erforderlichen Konzepte für die Bundesverwaltung bereit. Diese wurden in den ausgewählten Pilotbehörden auf ihre Praxistauglichkeit geprüft. Das BMI koordinierte die Pilotierung der E-Akte Bund in enger Zusammenarbeit mit dem ITZBund, das als der IT-Dienstleister für die Bundesverwaltung für die Umsetzung auf Basis eines zentralen Betriebs verantwortlich ist. Die Vorbereitungen der Pilotierung erfolgten in Abstimmung mit weiteren Maßnahmen der Dienstekonsolidierung (u. a. Bundesclient, Bundescloud, E-Rechnung, Formular Management Server und Digitales Zwischenarchiv des Bundes), sodass auch zen­ trale Herausforderungen, wie die Nutzung von Single Sign-on und Standard-Schnittstellen, weitgehend gelöst werden konnten. Ebenso wurden erste Migrationen von Schriftgut aus Alt-E-AkteSystemen durchgeführt.

Das Jahr der Piloten Im BfJ fiel der Startschuss für den ersten produktiven Einsatz der E-Akte Bund. Die Behörde pilotierte prozessorientiert die IT-Beschaffungsvorgänge des Hauses, die seitdem ausschließlich elektronisch geführt werden. Darüber hinaus bringt sich das BfJ in die Weiterentwicklung der E-Akte Bund ein, insbesondere beim Thema Integrationsmuster zur Anbindung des Digitalen Zwischenarchivs des Bundes und des Formular Management Servers. Dem BfJ folgte im März 2019 das BMF mit seiner Pilotierung der Anwendung. Die erste Pilotierungsphase umfasste hier organisationsbezogen über 100 Anwenderinnen und Anwender. Seit September 2019 betreibt auch die BpB die E-Akte Bund

Rollout der E-Akte Bund startet Umsetzung und Praxistests in den Pilotbehörden erfolgreich abgeschlossen (BS/ Klaus Werth/ Manuel Galadí Enríquez/ Matthias Wodniok) Im zurückliegenden Jahr pilotierten das Bundesamt für Justiz (BfJ), das Bundesministerium der Finanzen (BMF), die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), das Statistische Bundesamt (StBA), das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) und das Bundesarchiv (BArch) erfolgreich die E-Akte Bund. Ferner erfolgte eine Teststellung mit anschließendem Rollout im Bundesverwaltungsamt (BVA) und im Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund). In diesem Jahr startet nun der bundesweite Rollout der E-Akte Bund. produktiv. Die Pilotierung startete in mehreren Bereichen an den Standorten Bonn und Berlin. Die Zeit zwischen dem Beginn der Pilotierung im BMF und der BpB wurde von der Maßnahme genutzt, die gemachten Erfahrungen in Konzepte und Testabläufe einzubringen sowie eine spezifische Konfiguration gemäß der Behördencharakteristik zu erstellen. Ziel ist, von Beginn an eine hohe Akzeptanz bei Anwenderinnen und Anwendern zu erreichen. Im November 2019 pilotierte schließlich das StBA die E-Akte Bund, ebenso prozessbezogen wie das BfJ. Das BMJV startete seine Pilotierung im Dezember 2019. Alle Pilotbehörden hielten ihre Erfahrungen vor, während und nach der Pilotierungsphase in einem Erfahrungsbericht fest, welcher die Grundlage für eine Evaluierung und die letztendliche Entscheidung für einen bundesweiten Rollout bildete. Darüber hinaus gab es große Fortschritte im BVA und ITZBund. Das BVA startete im April 2019 mit der produktiven Nutzung und führt die E-Akte Bund seitdem mit einem straffen Zeitplan behördenweit ein. Im ITZBund erfolgte die Produktivsetzung der E-Akte Bund für mehr als 3.000 Anwenderinnen und Anwender flächendeckend im Sinne einer “Big-Bang-Einführung” im November 2019. Ergänzend zu den vorgesehenen Pilotprojekten wurde die EAkte Bund auch im Auswärtigen

kation nach innen Präsent war die Maßnahme und außen. Um auch bei allen relevanten Verdie Erfahrungen anstaltungen des Jahres rund der Pilotbehörden um das Thema E-Akte: Das Pround die Ergebnis- jektteam führte die Anwendung se der Projektar- live vor, hielt Vorträge zum jebeit bestmöglich weils aktuellen Sachstand und nutzen zu können, beantwortete Fragen zum Projekt. stehen neben geDarüber hinaus veranstaltenerellen Informa- te die Maßnahme E-Akte Bund tionen rund um im September 2019 bereits zum Manuel Galadí Enríquez, die E-Akte Bund zweiten Mal einen eigenen InfoAbteilungsleitung Projekte, auch viele Unter- tag. Auf diesem erhielten rund Basisdienste, Querschnittsstützungsdoku- 250 Mitarbeiterinnen und Mitarverfahren im Informationsmente im neuen beiter aus den Bundesbehörden technikzentrum Bund (ITZSocial Intranet des Informationen zu den zahlreichen Bund) Bundes (SIB) zur Entwicklungen im Projekt und Verfügung. Seit konnten an PräsentationsstänBeginn des zwei- den der Pilotbehörden und der ten Halbjahres weiteren Mitglieder des Kern2019 werden dort teams der Maßnahme direkt mit auch regelmäßig diesen ins Gespräch kommen. Matthias Wodniok, GeschäftsAnwendungsfälle So hatten alle Teilnehmerinnen führer der Fabasoft Deutschin Videoform be- und Teilnehmer des Infotags land GmbH reitgestellt, um die Möglichkeit, sich interaktiv Anwenderinnen über die E-Akte Bund und die Fotos: BS/privat und Anwendern dazugehörigen Einführungsproganz praktisch die zesse auszutauschen. Auf einem E-Akte Bund nä- Projektmarkt konnten die TeilAmt als dezentrale Installation herzubringen. Aktuelle Nachrich- nehmerinnen und Teilnehmer in Betrieb genommen und eine ten aus der Maßnahme werden zusätzlich die Anwendung selbst vollständige Einführung im eu- über den periodischen E-Akte testen und sich über die Produkropäischen Raum gestartet. Bund Newsflash kommuniziert. tion von Informationsmaterialien Parallel dazu wurden im BVA ein Meilensteine des Jahres werden und Marketingprodukten zur Ezentrales, behördenübergreifen- in Medienartikeln zusammenge- Akte Bund für das Veränderungsdes Anforderungsmanagement fasst und in Fachzeitschriften management im eigenen Haus zur Weiterentwicklung der E-Akte veröffentlicht. informieren. Bund und die Prüfinstanz für die Überprüfung des Vorbereitungsgrades der künftigen Nutzerbehörden eingerichtet. Begleitend zur Pilotierung initiierte die Maßnahme E-Akte Fachkundige Händler wickeln An- und Verkauf Bund eine proaktive KommuniKlaus Werth, Referatsleitung der Arbeitsgruppe DG I 5 Dienstekonsolidierung im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI)

IT-Konsolidierung am Beispiel Windows 7 (BS/Angelika Mühleck*) Zum 14. Januar 2020 hat Microsoft den Support für das Betriebssystem Windows 7 eingestellt. Der Termin war lange bekannt. Dennoch wurden in der öffentlichen Verwaltung bei Bund, Ländern und Kommunen zahlreiche Computer nicht rechtzeitig auf die neuere Version Windows 10 umgestellt. Allein im Bundesinnenministerium sollen noch etwa 33.000 PCs unter Windows 7 laufen.

Fünf Wege, auf Windows 10 umzustellen Laut Bundesinnenministerium sind deutsche Behörden und Ressorts für eine “zeitgerechte” Umstellung auf Windows 10 selbst verantwortlich. Der Steuerzahlerbund fordert deshalb eine ressortübergreifende Abstimmung der IT. Solange diese jedoch nicht gegeben ist – und das wird noch auf Jahre der Fall bleiben –, haben es die IT-Verantwortlichen selbst in der Hand, Steuergelder einzusparen. Björn Orth, Software-Experte und Gründer der auf neue und gebrauchte Software speziali-

Björn Orth ist Geschäftsführer der Vendosoft GmbH.

sierten Vendosoft GmbH, sieht für einen schnellen und kostengünstigen Umstieg auf Microsoft Windows 10 derzeit fünf Möglichkeiten: • Microsoft 365 Business (enthält Windows 10), • Microsoft Windows 10 Professional OEM, • Microsoft Windows 10 Enterprise Upgrade LTSC 2019 gebraucht, • Microsoft Windows 10 Enterprise Upgrade LTSB 2016 gebraucht, • Microsoft Windows 10 Enterprise Upgrade LTSB 2015 gebraucht.

Städte und Gemeinden ­sparen IT-Kosten Gerade gebrauchte Software ist ein probates Mittel, IT-Kosten im großen Stil einzusparen. Allein die Vendosoft GmbH beliefert europaweit etwa 4.500 Unternehmen und über 200 Ämter und Behörden in Deutschland

Start der flächendeckenden Einführung Mit positivem Abschluss der Pilotierung und Evaluierung sind alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche, standardisierte Einführung der E-Akte Bund in der unmittelbaren Bundesverwaltung geschaffen. 2020 startet das BMI mit dem eigenen Einführungsprojekt. Daneben werden auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das Bundeskanzleramt (BKAmt), die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS), das Bundesamt für Naturschutz (BfN), das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA), das Bundeskartellamt (BKartA), das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF), die Behörde der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW), die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), die Behörde des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (GBA) und das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) mit dem flächendeckenden Rollout starten. Auch im Jahr 2020 soll weiter besonderer Wert auf eine enge Abstimmung zwischen der Maßnahme E-Akte Bund und den Behörden, die sich vor oder in der Einführung befinden, erfolgen. Ferner hat das Kernteam der E-Akte Bund einen guten Vorsatz für das neue Jahr: “Der bundesweite Rollout der E-Akte Bund soll das erfolgreiche Pilotierungsjahr fortführen und der nächste große Schritt für die Digitalisierung der Verwaltung sein.”

Gebrauchtsoftware liegt weiter im Trend

Enormes Einsparpotenzial für Behörden

Das Betriebssystem erhält fortan keine Sicherheits-Updates mehr und kann daher von Schadsoftware und Virenprogrammen attackiert werden. Diese Sicherheitslücke schließt die Behörde, indem sie ein von Microsoft angebotenes, kostenpflichtiges Programm nutzt – das sogenannte “Extended Security Update”. Die jährlichen Kosten hierfür belaufen sich nach Medienberichten auf rund 800.000 Euro. Auch in zahlreichen Landesverwaltungen, Ämtern, Städten und Gemeinden kommt noch Windows 7 zum Einsatz. Der teure Support sorgt beim Bund der Steuerzahler naturgemäß für Kritik. Verbandspräsident Reiner Holznagel äußerte sich zum Thema Windows 7 kürzlich gegenüber dem Handelsblatt und nannte die Konsolidierung der Bundes-IT in diesem Zusammenhang “desaströs”.

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Foto: BS/Vendosoft GmbH

mit gebrauchten Lizenzen von Microsoft und Adobe. “Das Einsparpotenzial liegt zwischen 40 und 70 Prozent”, erklärt Björn Orth. “Eine Office 2019 Lizenz aus zweiter Hand beispielsweise erhalten Sie bei uns für 218 Euro netto. Die Windows 10 Enterprise LTSB ab 48 Euro.” Es lohnt sich also, den GebrauchtsoftwareHändler bei öffentlichen Ausschreibungen einzubeziehen! Für die massive Umstellung von Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen auf Windows 10 ist der Reseller gerüstet. “Wir haben mehrere Tausend Windows-10-Lizenzen auf Lager”, so Orth, “und freuen uns, unsere Behörden kostengünstig, zukunftsorientiert und sicher zu lizenzieren!” Mehr über neue, gebrauchte und Cloud-basierte Software finden Sie unter www.vendosoft.de. *Angelika Mühleck leitet Marketing & Kommunikation bei Vendosoft.

rechtssicher ab

(BS/Andreas E. Thyen) Viele Behörden setzen bereits auf Gebrauchtsoftware. Zu Recht, denn damit können sie ihren Bedarf passgenau decken und sparen im Vergleich zum Neukauf bis zu 50 Prozent und mehr. Ein noch größerer Kostenvorteil ist drin, wenn sie sich für eine Vorgängerversion entscheiden. Auf der anderen Seite können Behörden auch nicht mehr benötigte Lizenzen verkaufen und ihr IT-Budget zusätzlich entlasten. Um An- und Verkäufe unkompliziert und rechtssicher abzuwickeln, empfiehlt es sich, mit einem etablierten, fachkundigen Händler zusammenzuarbeiten.

Die Digitalisierung stellt Behörden vor Herausforderungen. Sie müssen ihre Prozesse modernisieren und komfortable, digitale Angebote für die Bürger schaffen – und das bei ohnehin meist angespannten IT-Budgets. Gerade gebrauchte Software-Lizenzen bieten eine gute Möglichkeit, clever zu sparen. Denn Standardsoftware wie das MicrosoftOffice-Paket ist auf dem Sekundärmarkt zwischen 20 und 50 Prozent günstiger. Wenn man sich für eine Vorgängerversion entscheidet, sind sogar noch größere Einsparungen möglich. Das kann aus vielerlei Gründen eine attraktive Option sein. Oft reicht der Funktionsumfang eines Office 2016 zum Beispiel völlig aus. Und manchmal benötigen Behörden sogar gezielt eine ältere Version, damit sie mit bestehenden Fachanwendungen kompatibel ist. Auf dem Gebrauchtmarkt können sie genau die Software erwerben, die ihrem Bedarf entspricht – so, wie es auch das Vergaberecht vorschreibt. Im Gegensatz dazu ist direkt beim Hersteller nur die jeweils aktuelle Version erhältlich. Diese lässt sich zwar auf die gewünschte Version downgraden – das bedeutet in diesem Fall jedoch: Man bezahlt für Funktionen, die man gar nicht nutzt. Clevere IT-Verantwortliche prüfen zudem, ob sie Lizenzen im Haus haben, die sie nicht mehr benötigen. Häufig bleiben nach einer Cloud-Migration zum Beispiel On-Premises-Versionen ungenutzt liegen. Sie lassen sich meist noch lohnenswert verkaufen. Das spült wieder Geld in die Kasse, das dann für Digitalisierungsprojekte zur Verfügung steht.

Die Lizenzbestimmungen der Hersteller sind komplex. Hinzu kommen verschachtelte LiAndreas E. Thyen ist Präsident des Verwaltungsrats der zenzketten, die LizenzDirekt AG. teils langjährige Historien aufweiFoto: BS/LizenzDirekt sen und dadurch eine Prüfung der rechtlichen VorgaDer An- und Verkauf von Ge- ben erschweren. Welche Lizenz brauchtsoftware ist bereits seit vor Jahren die Grundlage für vielen Jahren vollkommen legal. die heutigen Verträge war, ist Das regelt der sogenannte Er- aufgrund von Mengenkonvertieschöpfungsgrundsatz des Urhe- rungen oder aufgelösten Bundles teils nur durch jahrelange Erfahberrechtsgesetzes. rung und mit den richtigen Tools Erschöpfungsgrundsatz regelt einwandfrei zu identifizieren.

Gebrauchtsoftware-Handel

Ihm zufolge hat sich das alleinige Verbreitungsrecht des Herstellers erschöpft, wenn er eine Lizenz bereits einmal verkauft hat. Damit der neue Eigentümer die Software weiterverkaufen darf, müssen allerdings folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Die Lizenz wurde ursprünglich mit Zustimmung des Herstellers im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des europäischen Wirtschaftsraums in den Handel gebracht. Der Erst-Käufer hat dafür ein Entgelt gezahlt, das es dem Rechteinhaber ermöglicht, eine angemessene Vergütung zu erzielen (ausreichend ist die Möglichkeit des Lizenzgebers hierzu). Außerdem muss der Erst-Käufer berechtigt gewesen sein, die Software sowie etwaige Verbesserungen und Aktualisierungen unbefristet zu nutzen. Nach dem Verkauf darf er sie nicht weiterhin einsetzen und muss eventuelle Kopien unbrauchbar machen.

Sicheres Navigieren durch den Lizenzdschungel Deshalb empfiehlt es sich, mit einem etablierten, fachkundigen Händler mit Erfahrung im Behördenumfeld zusammenzuarbeiten. Er wickelt sowohl den An- als auch den Verkauf von Gebrauchtsoftware rechtsicher ab. Dazu nutzt er beispielsweise ein modernes Warenwirtschaftssystem, mit dem er die vollständige Rechtekette rund um den Software-Transfer sauber dokumentiert. Ein besonders kundenorientierter Anbieter übernimmt darüber hinaus die volle Verantwortung für die Lizenzen, die er handelt, indem er beispielsweise Haftungsfreistellung, eine Vermögensschadenhaftpflicht und vorgangsbezogene Testate von Wirtschaftsprüfern bietet. So können Behörden mit gebrauchter Software Geld sparen und Digitalisierungsprojekte vorantreiben, ohne dass sie sich über rechtliche Fallstricke Gedanken machen müssen.


IT-Sicherheit

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Baum oder Borke?

D

ie Landesdatenschutzbeauftragten (LfD) und auch der Bundesdatenschutzbeauftragte sind sich einig: Infolge von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes sehen sie keine Möglichkeit, eine Facebook-Fanpage rechtskonform zu betreiben. Die LfD von Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern erklären explizit, dass die Haltung im Grundsatz auch auf andere Netzwerke übertragbar ist. Die Aufsichtsbehörde Sachsen-Anhalts argumentiert, auch bei Twitter sei von einer gemeinsamen Verantwortlichkeit von Plattform und Account-Inhaber auszugehen. Dem schließt sich Berlin an. Aus der saarländischen Aufsicht heißt es mit Bezug auf alle Plattformen, derzeit spreche mehr gegen eine Nutzung als dafür. Klare Kante zeigt der LfD Hessens, Prof. Michael Ronellenfitsch. Für ihn ist die Nutzung aller Sozialen Netzwerke im Rahmen der Hoheitsverwaltung rechtswidrig. Er rät von Anfang an von der Nutzung ab, mit der Begründung, dass Bürgerinnen und Bürger sonst zur Nutzung angehalten würden, um mit dem Staat zu kommunizieren. Ronellenfitsch: “Die Sozialen Medien haben eine Tendenz zum Unsozialen. Der Staat sollte sich eine Alternative einfallen lassen.” Seine Amtskollegin aus Schleswig-Holstein, Dr. Marit Hansen, geht mehr ins Detail. Facebook sei immer wieder mit Datenpannen und als Plattform für “manipulative Einflussnahme” aufgefallen, so im Zusammenhang mit dem Brexit-Votum. “Die Nutzung derartiger Dienste kann sogar schädigend für unsere Gesellschaft und demokratischen Prozesse sein”. Die brandenburgische LfD Dagmar Hartge ist überzeugt, “dass öffentliche Stellen aufgrund ihrer besonderen Bindung an Recht und Gesetz die Nutzerinnen und Nutzer nicht in die Lage bringen sollten, ihre Daten an Facebook übermitteln zu müssen.” An das Rechtsstaatsprinzip und die Vorbildfunktion von Behörden appellieren auch die Aufsichten in Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz und Sachsen-Anhalt.

Für Behörden wird die Luft in Sozialen Netzwerken dünner (BS/Benjamin Stiebel) Die Debatte läuft schon seit Jahren. Datenschützer sehen Auftritte von Behörden in Sozialen Netzwerken kritisch. Behörden halten sie im Rahmen ihrer Informationspflichten für sinnvoll oder gar notwendig. Die Diskussion hat noch einmal Fahrt aufgenommen, als der Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württembergs, Dr. Stefan Brink, sich kürzlich von Twitter zurückgezogen und Sanktionen ins Spiel gebracht hatte (siehe Behörden Spiegel Januar 2020, S. 33). Die anderen Aufsichtsbehörden teilen die kritische Haltung. Aber nicht alle wollen mit harten Bandagen kämpfen. Wer zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit betreiben möchte, kann im Moment trotzdem nur verlieren.

Effektiv vs. rechtskonform?

Auf der anderen Seite ist auch klar: Behörden haben Informationspflichten und müssen sie da erfüllen, wo sie die Bürger erreichen. Soziale Netzwerke sind schnell, effizient und für viele eine maßgebliche Informationsquelle. Das sieht auch die niedersächsische Landesbeauftragte Barbara Thiel: “Die Forderung, vollständig auf diese Art der Kommunikation zu verzichten, wäre realitätsfern und wird deshalb auch nicht von uns erhoben.” Das dürfe aber nicht über die gravierenden datenschutzrechtlichen Probleme in dem Bereich hinwegtäuschen. Da derzeit kein rechtskonformer Betrieb von Facebook-Fanpages möglich sei, müsse sie zur Deaktivierung raten. Auch die Aufsicht in Nordrhein-Westfalen zeigt Verständnis für das Erfordernis zeitgemäßer Öffentlichkeitsarbeit. Bürger würden Behörden-Auftritte in Sozialen Netzwerken erwarten. Sie dürften den Kontakt aber nicht mit ihren personenbezogenen Daten bezahlen müssen. Für Prof. Thomas Petri, LfD Bayerns, kann es keine Abwägung zwischen Erfordernissen der Öffentlichkeitsarbeit und Datenschutzkonformität geben. Maßstab sei das Rechtsstaatsprinzip. “Dies gilt unabhängig davon, wie “in” ein Soziales Netzwerk ist, ob es besondere Chancen eröffnet oder es von anderen Stellen und Personen genutzt wird”, so Petri. Die Aufsicht in Rheinland-Pfalz fordert von den öffentlichen Stellen eine Darlegung, warum ein Verzicht ihre Aufgabenerfüllung einschränken würde. Aus MecklenburgVorpommern heißt es dagegen klar, eine Facebook-Fanpage sei für die Öffentlichkeitsarbeit nicht erforderlich. Auf ein berechtigtes

muss nun noch das Oberverwaltungsgericht Schleswig entscheiden. Dieses Urteil will die saarländische Aufsichtsbehörde zunächst analysieren, bevor eigene Maßnahmen erwogen werden.

Die Wurzel bekämpfen Am Sinn von Sanktionen zweifelt der LfD MecklenburgVorpommerns, Heinz Müller. Verbote würden wenig helfen, da Anordnungen gegenüber öffentlichen Stellen nicht im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden könnten. “Daher beschränken wir uns derzeit da­ Bei der Öffentlichkeitsarbeit stehen Behörden zwischen Baum und Borke. Viele rauf, Überzeugungsarbeit zu leisBürger erreicht man am besten in den Sozialen Netzwerken. Die sind rechtlich ten. Parallel dazu setzen wir uns gesehen aber tabu. Foto: BS/mikeosphoto, stock. adobe.com auf europäischer Ebene dafür ein, dass der Druck auf Irland, Interesse könnten sich Behörden rechtliche Schritte vor allem wo ja die großen Internetkonzernicht berufen. Einige der Amts- im Falle von Beschwerden er- ne sitzen, erhöht wird.” In die kollegen verweisen auf mögliche griffen werden müssten, sofern Kerbe schlägt auch die Berliner Alternativen wie Webseiten. “In rechtswidrige Auftritte nicht de- Aufsicht: “Es ist natürlich vor diesem Zusammenhang gewinnt aktiviert würden. Hessens LfD allem wichtig, dass die Betreiber die Idee an Charme, eine eigene, erwägt rechtliche Schritte, zum dieser Plattformen zur Rechenöffentlich betriebene Plattformin- Beispiel wenn Soziale Netzwer- schaft gezogen werden”, stellt die frastruktur für den öffentlichen ke als Ersatz für ein amtliches LfD Maja Smoltczyk klar. Bereich zu schaffen”, so die Bre- Verlautbarungsorgan verwendet Davon ist allerdings auch fast mer LfD Dr. Imke Sommer. würden. In Brandenburg wurden zwei Jahre nach WirksamwerMit der Androhung von Sank- Stellen mit Facebook-Fanpage den der europäischen Datentionen sind die meisten Daten- aufgefordert, darzulegen, auf schutzgrundverordnung nichts schutzbeauftragten zurückhal- welcher Rechtsgrundlage der zu spüren. Datenschutzoasen tend. Die meisten verweisen Auftritt betrieben werde und wie wie Irland trockenzulegen, war darauf, dass sie den öffentli- die gemeinsame Verantwortung eines der erklärten Ziele des chen Stellen von der Nutzung mit dem Unternehmen geregelt neuen Regimes. Bis Irland zur Sozialer Netzwerke abrieten und sei. Nach der Auswertung wä- Rechtsdurchsetzung gegen Faceim – mehr oder weniger intensi- ren rechtliche Schritte denkbar. book bewogen wird, setzen einige ven – Dialog mit ihnen stünden. Auch in Berlin laufen seit 2018 Aufsichtsbehörden auf andere Manchmal fruchtet das auch. So Anhörungsverfahren. Zur Twit- Druckmittel. So die niedersächhat die Staatskanzlei in Sachsen- ter-Nutzung könnten weitere fol- sische LfD Thiel: “Würden sich Anhalt den Landesauftritt auf gen. Die schleswig-holsteinische öffentliche Stellen durch einen Facebook nach der Beratung LfD Hansen erwägt Sanktionen. (temporären) Rückzug aus den durch den LfD deaktiviert. Nach Ihre Behörde hatte 2011 als ers- betreffenden Medien klar posiwir vor sind aber zahlreiche öf- te eine Anordnung gegen einen tionieren, könnte das ein Hebel fentliche Stellen aller föderalen privaten Fanpage-Betreiber aus- sein, um zu bewirken, dass die Ebenen auf den Plattformen gesprochen. Der Fall ging durch Betreiber ihre Dienste den gesetzanzutreffen. Sanktionen wollen mehrere Instanzen und führte lichen Vorschriften anpassen.” Eigene Auftritte in den Sozialen die Datenschützer entsprechend letztlich zur höchstgerichtlichen nicht ausschließen. Der bayeri- Klärung der gemeinsamen Ver- Netzwerken sind übrigens die sche LfD verweist darauf, dass antwortlichkeit. Den Einzelfall absolute Ausnahme. Der baden-

Es geht auch sicher

F

ür Unverständnis sorgte im letzten Jahr das Europaparlament. Der technische Betrieb untersagte es Abgeordneten, die Desktop-Variante des als sehr sicher geltenden Messengers Signal auf ihren Bürorechnern zu installieren. Es handele sich nicht um Standard-Software. Eine Installation setze aus Sicherheitsgründen Tests und eine Zulassung seitens der ITAbteilung voraus. So vernünftig diese Begründung ist, so absurd war der Alternativvorschlag: Die Abgeordneten sollten die WebVersion von WhatsApp nutzen. Die erfordert als Online-Dienst keine Installation und muss daher nicht zugelassen werden. Betreiber von WhatsApp ist allerdings Facebook, ein amerikanischer Anbieter. Daten laufen über US-Server und müssen nach dortigem Recht auf Verlangen an Sicherheitsbehörden gegeben werden. Zwar werden Inhalte verschlüsselt. Doch hat es immer wieder Zweifel an der Sicherheit gegeben, Zudem sollen laut Bericht der Londoner Times USA und Großbritannien an einer Hintertür arbeiten. Klar ist, dass Metadaten wie Standorte oder Profilfotos an den Mutterkonzern Facebook gehen. Kontaktdaten werden in dem Messenger unweigerlich Dritten zugänglich gemacht. All das ist nach Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht erlaubt. Hinzu kommen praktische Datenschutzprobleme. Es gibt kein Rollen- und Rechtemanagement, der Arbeitgeber hat keine

Behörden Spiegel / Februar 2020

Zeitgemäße und rechtskonforme mobile Kommunikation (BS/Benjamin Stiebel) Sich verabreden, kurz etwas nachfragen, die neuesten Informationen aus der Besprechung weitergeben oder auch einfach den neuesten Klatsch teilen. Das alles findet häufig über Messenger-Dienste statt, meist WhatsApp. Dass auch beruflich über den praktischen Dienst kommuniziert wird, ist nur menschlich. Sicher und datenschutzkonform ist das aber nicht. Bei öffentlichen Stellen ist das Bild uneinheitlich. Einige glauben, die dienstliche Nutzung verhindern zu können, andere scheinen das Problem nicht zu erkennen und lassen die Mitarbeiter gewähren. Viele Stellen setzen aber auch schon auf rechtskonforme Alternativen im Eigenbetrieb. Fertige kommerzielle Lösungen stehen dabei Eigenentwicklungen auf Open-Source-Basis gegenüber. Kon­trolle über die WhatsAppNutzung der Mitarbeiter. Wenn ein Kollege ausscheidet oder die Abteilung wechselt, kann es leicht passieren, dass er weiter unbemerkt in Gruppenchats mitlesen kann, was nicht für ihn bestimmt ist. Die WhatsApp-Empfehlung hat das Europaparlament inzwischen zurückgezogen und will Signal nun auf seine Sicherheit prüfen. Dass dort offenbar erst jetzt über sichere Alternativen nachgedacht wird, ist bedenklich, aber nicht außergewöhnlich. Auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gehen individuell sehr unterschiedlich mit dem Thema um. Viele nutzen frei verfügbare Dienste wie Dropbox für den Datenaustausch oder eben WhatsApp. Eine sichere, vom Parlament selbst betriebene Lösung ist auch da nicht in Sicht. Allerdings gibt es solche Ansätze bei einzelnen Fraktionen.

Lösungen sind da “Der Umgang von einigen Behörden, Parlamenten und anderen öffentlichen Stellen mit mobiler Kommunikation ist unsicher und nicht mehr zeitgemäß – insbe-

Man tauscht sich aus, besonders gerne über Messenger-Dienste. Das geht auch sicher und datenschutzkonform. Foto: BS/Hamza Butt, CC BY 2.0, flickr.com

sondere die Nutzung amerkanischer Cloud-Dienste”, sagt Sascha Wellershoff, Vorstand bei Virtual Solution. Es gebe längst sichere Lösungen von deutschen Anbietern mit DSGVO-konformer Datenhaltung in Deutschland. “In aller Regel können diese Dienste auch zentral gemanagt werden”, so Wellershoff weiter. “Und auch die Installation auf Privatgeräten ist möglich. Das erhöht die Mitarbeiterzufriedenheit bei strikter Trennung von privaten oder persönlichen und dienstlichen Daten.” Bekannte kommerzielle Messenger sind Stashcat oder Teamwire,

die vor allem von Sicherheitsbehörden eingesetzt werden. Virtual Solution bietet einen Messenger als Teil von SecurePIM an. Das Rundum-Angebot zum sicheren mobilen Arbeiten in Behörden ermöglicht auch Surfen, E-Mail, Kalender- und Dokumentenbearbeitung in gesicherter Umgebung und ist für Verschlusssachen bis zur Stufe VS-NfD zugelassen. Zu den Kunden gehören Ministerien und Behörden von Bund und Ländern. Von einem flächendeckenden Einsatz im Öffentlichen Dienst sind wir aber noch weit entfernt. Häufig werden Lösungen

nur für die “Entscheider”, also Abteilungsleiter und aufwärts angeschafft. Der Einführung gehen oft langwierige Planungen und Probebetriebe voraus – auch wenn eigentlich auf Erfahrungen anderer Ressorts zurückgegriffen werden könnte. “Dass die Beschaffungsvorgänge bei Behörden so langwierig und kompliziert sind, ist für die Datensicherheit ein großes Problem”, gibt Wellershoff zu bedenken. “Das Rad dreht sich bei mobilen Risiken durch Angriffe und Datenlecks besonders schnell.”

Kaufen oder selber bauen? Teils wird statt auf Lösungen von der Stange auf Eigenentwicklungen auf Open-Source-Basis gesetzt. Beim Bund sind mehrere Projekte im Gang. Bei der Bundespolizei wird der Messenger “MOKA” mit 4.500 Smartphones erprobt. Damit können auch Standortdaten, Bilder, Videos und Sprachnachrichten im Einsatz sicher ausgetauscht werden. Basis ist das offene Protokoll XMPP, früher als Jabber bekannt. So können MOKA-Nutzer auch mit Nutzern anderer XMPPMessenger kommunizieren.

württembergische LfD Brink hat seinen Twitter-Account jüngst geschlossen. Der Bundesbeauftragte Ulrich Kelber prüft derzeit, ob sein Twitter-Account und die der öffentlichen Stellen in seinem Zuständigkeitsbereich weiterbetrieben werden können. Außerdem unterhält die Aufsichtsbehörde in MecklenburgVorpommern für das Jugendprojekt Medienscouts MV einen Instagram-Account. Der werde aber wegen rechtlicher Bedenken in Kürze geschlossen. Von diesen Einzelfällen abgesehen haben die deutschen Datenschutzbeauftragten konsequent die Finger von den Sozialen Netzwerken, vor allem Facebook, gelassen. Die Kollegen in den europäischen Nachbarländern sind da weniger zimperlich. Viele haben trotz einschlägiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nach wie vor eigene FacebookFanpages, so Großbritannien, Frankreich, Spanien oder Polen. Vor diesem Hintergrund sei es schwierig, Behörden zu überzeugen, dass mit solchen Angeboten datenschutzrechtliche Risiken für die Bürger verbunden seien, räumt die saarländische LfD Monika Grethel ein. “Eine einheitliche Rechtsauffassung nicht nur der deutschen, sondern aller europäischen Aufsichtsbehörden wäre daher unbedingt wünschenswert.” Bleibt festzuhalten: Öffentliche Stellen in Europa können Facebook derzeit nicht rechtskonform nutzen, andere Plattformen höchstwahrscheinlich ebenso wenig. Ob sie mit Sanktionen rechnen müssen, hängt davon ab, wo sie ihren Sitz haben. Die eigentlichen Übeltäter sind die Plattformbetreiber, die personenbezogene Daten intransparent und teils ohne ausreichende Berechtigung verarbeiten. Eine Rechtsdurchsetzung ihnen gegenüber lässt auf sich warten. Bis dahin stehen die Behörden weiter zwischen Baum und Borke: Wollen sie zeitgemäß digital mit dem Bürger in Dialog treten, müssen sie den Boden der Rechtsstaatlichkeit mit einem Fuß verlassen und sich dem Vorwurf aussetzen, fragwürdige Geschäftsmodelle zu unterstützen.

Im Verteidigungsressort laufen parallel zwei Projekte. Zum einen wird mit rund 3.000 Bundeswehrangehörigen die Akzeptanz der WhatsApp-Alternative Stashcat auf den Privatgeräten getestet. Zum anderen wurde durch den bundeseigenen ITDienstleister BWI ein Messenger auf Basis des offenen “Matrix”Protokolls entwickelt. Die Erprobung hat begonnen und soll ab März auch Kommunikation im Bereich VS-NfD umfassen. Ab Herbst soll die Pilotnutzung auf bis zu 30.000 dienstliche Smartphones ausgeweitet werden. Ab Anfang 2021 soll der Matrix / “Riot.im” getaufte Dienst über ein neues “ExtraNet Bundeswehr” für die offene Kommunikation auch auf Privatgeräten laufen können. Solche Eigenentwicklungen sind aber nicht für alle der Weisheit letzter Schluss, wie Georg Ringmayr findet. “Eigene Entwicklungsressourcen sind beschränkt”, so der Sachgebietsleiter IuK der Bayerischen Polizei. “Wir tun gut daran, sie in die speziellen Fachanwendungen zu stecken.” Bei Basisanwendungen dagegen sei es meist sinnvoller, zu kaufen. “Es gibt mittlerweile bewährte Messenger-Lösungen am Markt”, so Ringmayr weiter. “Wenn Sie Mittel investieren, um nachzubauen, was es schon gibt, laufen Sie am Ende nur der Entwicklung hinterher.” So oder so: Zeitgemäße und gleichzeitig rechtskornforme mobile Kommunikation geht und setzt sich im Öffentlichen Dienst zunehmend durch.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Februar 2020

Seite 37

Effektiver Schutz vor Emotet und Co.

Alles neu nach Emotet

Den Blackout im Rathaus verhindern

Berliner Kammergericht steht vor Neuaufbau der IT

(BS/stb) Lahmgelegte Stadtverwaltungen, Universitäten, Krankenhäuser und Gerichte. In den letzten Monaten haben sich Meldungen über schwerwiegende ITSicherheitsvorfälle mit teils drastischen Konsequenzen fast überschlagen. Hilflos ist die öffentliche Verwaltung allerdings nicht. Was es braucht, ist ein Maßnahmenmix aus Mitarbeitersensibilisierung, solidem IT-Betrieb und einem übergreifenden Sicherheitskonzept.

(BS/stb) Die IT-Infrastruktur des Berliner Kammergerichts soll neu aufgebaut werden. Unter dem Dach des IT-Dienstleisters der Berliner Verwaltung ITDZ soll eine “sichere und zeitgemäße IT-Architektur” geschaffen und betrieben werden. Im September war das Gericht einem schweren Cyber-Angriff mit dem Trojaner Emotet zum Opfer gefallen. Seitdem arbeiten die Richter ohne Netzzugriff. Nun wurde das forensische Gutachten zum Vorfall veröffentlicht. Das zeigt erhebliche Sicherheitsmängel auf.

EMOTET

Neben Bildungseinrichtungen oder Krankenhäusern waren zuletzt besonders Stadtverwaltungen von Cyber-Angriffen betroffen (siehe Behörden Spiegel Januar 2020, Seite 32). Die Konsequenzen sind dort besonders gravierend, weil auch Bürgerinnen und Bürger mittelbar von Ausfällen betroffen sind. Anfragen können nicht beantwortet werden, Prüfungssekretariate sind außer Gefecht gesetzt, Fälle können nicht bearbeitet werden. Wenn die Systeme von der Schadsoftware bereinigt sind und Back-Ups – soweit vorhanden – eingespielt wurden, sind die Probleme aber nicht vorbei. Was passiert mit Anträgen, die erst nach dem Stand des BackUps bearbeitet wurden und nun verloren sind? Wie geht man mit Anträgen, Anfragen oder

Stadt Frankfurt am Main. Nachdem die Schadsoftware Emotet am Abend des 18. Dezembers für einen VirusAlarm gesorgt hatte, wurden IT-Systeme vorsorglich herunGeben praxisbezogene Hilfestellungen zum Schutz vor Emotet und Co.: Markus Albert (l.), IT-Sichertergefahren, bis heitsbeauftragter der Stadt Frankfurt am Main, Entwarnung und Tobias Elsner, Cyber Akademie-Dozent und gegeben werden IT-Sicherheitsexperte bei der @-yet GmbH. konnte. Ämter blieben geFotos: BS/privat schlossen. Zwar sonstigen Zustellungen um, herrschte schon am 20. Dedie während des Vorfalls nicht zember wieder Normalbetrieb, angekommen sind? Über die allerdings sorgten Schlagen vor rechtlichen Folgen besteht der- der Kfz-Zulassungsstelle und zeit noch Ratlosigkeit. liegengebliebene Arbeit für Ärger Eine der kurz vor Weihnachten bei Bürgern und Mitarbeitern. betroffenen Kommunen ist die Wie die Stadt den Vorfall in den Griff bekommen hat und welche Lehren daraus für die Netzwerksicherheit zu ziehen sind, weiß der IT-Sicherheitsbeauftragte von Frankfurt am Main, Markus (BS) Auch mit dem bestmöglichen Sicherheitskonzept lassen sich Risiken nie zu 100 Prozent ausschließen. Um Schäden im Ernstfall Albert. Seine Erfahrungen teilt gering zu halten, lohnt es sich, Abläufe zu üben. Dies ermöglicht er in einem Sonderkurs, den die die inhouse durchführbare IT-Notfallübung Emotet, ein Angebot der Cyber Akademie am 26. März in Cyber Akademie mit Marian Kogler, Dozent und Geschäftsführer Frankfurt am Main veranstaltet. der syret GmbH. Im Vorfeld wird ein auf die individuelle IT-InfraUnterstützt wird er von Cyber struktur zugeschnittenes Szenario entwickelt, das vor Ort mit den Akademie-Dozent Tobias ElsIT-Fachkräften simuliert wird. Wie bei einem echten Emotet-Angriff ner. Im Kurs werden außerdem entwickelt sich der Vorfall: Zunächst ist es ein Rechner, dann mehre- typische Angriffsvektoren und re, als nächstes vielleicht auch ein Server oder Domänenkontroller. Verbreitungswege von SchadDie Teilnehmer müssen gegensteuern, ihre Entscheidungen werden software live demonstriert. Anmitprotokolliert. Je nach Vorgehen gelingt es entweder, den Angriff hand der praktischen Beispiele schnell zu isolieren und die Folgen zu beseitigen. Oder das ganze und Demonstrationen werden Netzwerk wird betroffen und das Szenario endet im IT-GAU. In einer Sicherheitsmaßnahmen vorgeNachbesprechung wird auf Basis des Protokolls und der gesammelstellt und diskutiert. ten Erfahrungen diskutiert, was gut lief und was nicht – und was im Falle eines echten Emotet-Angriffs zu beachten ist. Weitere Informationen und AnBei Interesse an einer Inhouse-Notfallübung melden Sie sich unter meldemöglichkeit zum Sonderlukas.schaefer@cyber-akademie.de. kurs: “Schutz vor Emotet und Co.” unter www.cyber-akademie.de.

Das beauftragte Unternehmen T-Systems kommt im Gutachten zum Schluss, dass trotz der Entscheidung, die Verbindung zum Landesnetz zu kappen, wahrscheinlich Zugangsdaten abgeflossen waren. Diese konnten in der Folge aber nicht mehr missbraucht werden. Für den Abfluss von Dokumenten gibt es keine eindeutigen Anzeichen. Technisch wäre das den Tätern aber möglich gewesen, stellen die Experten klar. Die Schadsoftware war in verschiedenen Bereichen der Gerichts-IT gefunden worden. Wahrscheinlich waren die Netze nicht ausreichend segmentiert, um den Angriff lokal einzugrenzen. Die vorhandene Antivirenlösung sei nicht aktuell gewesen, sonst hätte sie die vorliegenden Versionen der Schadsoftware erkennen können. Wann und auf

IT-Notfallübung Emotet

Hürden abbauen Einen einheitlichen, sicheren Standard für alle Kommunikationsdienste will die FDP-Bundestagsfraktion, deren Antrag “Recht auf Verschlüsselung – Privatsphäre und Sicherheit im digitalen Raum stärken” im Innenausschuss zur Diskussion stand. Einig waren sich die geladenen IT-Sicherheitsexperten darüber, dass in der Breite eingesetzte Verschlüsselung auf dem Stand der Technik ein deutliches Plus für Vertraulichkeit und Sicherheit im Netz

Sicherheitsbehörden vor Herausforderungen (BS/mfe) Die fortschreitende Digitalisierung stellt alle Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) vor neue Herausforderungen. Ganz besonders gilt dies für die Polizeien und die Strafverfolgungsbehörden. Sie müssen immer neue und größere Datenmengen schnell und effektiv analysieren. Schon heute ist es bei Beschlagnahmungen von Datenträgern üblich, dass anschließend mehrere Terabyte an Daten ausgewertet werden müssen. Angesichts des wachsendenInternets der Dinge (Internet of Things, IoT) lässt sich diese Entwicklung auch nicht mehr aufhalten. Darüber hi­naus nutzen auch Straftäter zunehmend die Möglichkeiten der Digitalisierung und agieren unter anderem im Dark-

net.Wie Mitarbeiter der BOS auf diese Trends richtig reagieren, wird auf zwei Führungskräfte Foren der Behörden SpiegelGruppe eingehend beleuchtet. Beim Symposium “Neue Technologien für die Polizei” geht es unter anderem um Themen wie IoT als Ermittlungsansatz, das Handlungsfeld Drohnen für die Polizei und Lagevisualisierung. Es findet vom 4. bis zum 6. Mai in Würzburg statt. Bei der Cyber

Braucht es ein Recht auf Verschlüsselung? (BS/Benjamin Stiebel) Diebstahl persönlicher Daten, Übernahme von Accounts, Ausspähen sensibler Kommunikation: Die Vertraulichkeit im Netz ist ständig bedroht. Abhilfe schafft vor allem eine technische Maßnahme: Verschlüsselung. Um das allgemeine Sicherheitsniveau zu heben, fordert die FDP ein Recht auf verschlüsselte Kommunikation. Datenschützer und IT-Sicherheitsexperten geben Rückendeckung. Polizeien und Staatsanwaltschaften fürchten um ihre Ermittlungschancen. Der Staat steht zwischen den Stühlen. bedeuten würde. InformatikProfessor Marian Margraf von der Freien Universität Berlin sagte: “Kryptografen wissen, welche Verfahren sicher sind. Die meisten Menschen setzen sie aber nicht ein.” Es müsse daher deutlich mehr an nutzerfreundlichen Lösungen geforscht werden. Große Hürden sieht aktuell auch Professor Michael Meier vom Institut für ComputerWissenschaft in Bonn. Der Staat stehe in der Verantwortung, Abhilfe zu schaffen. Eine Pflicht zur Verschlüsselung durch die Diensteanbieter befürwortete Professor Hannes Federrath, Präsident der Gesellschaft für Informatik. Technisch betrachtet sei das machbar, rechtlich betrachtet sogar geboten. Dem schloss sich auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Ulrich Kelber, an. “Verschlüsselung ist Grundrechtsschutz”, stellte er fest. Sie schaffe nicht nur Freiräume im Umgang mit persönlichen Daten, sondern sei als Basis der wirtschaftlichen Tätigkeit zudem Erfolgsfaktor für die Wirtschaftspolitik. Kelber: “Die Bundesregierung wäre gut beraten, den Einsatz der Verschlüsselungstechniken zu forcieren.” Die weiß durchaus um die wichtige Rolle der Kryptografie für Sicherheit und Vertraulichkeit

sie entschlüsselt wurden. Die rechtlichen Hürden dafür sind aber hoch und die technische Umsetzung anspruchsvoll. Zudem sind gegen den Einsatz bei der Strafverfolgung Verfassungsklagen anhängig. Auch der direkte Weg ist nicht per se ausgeschlossen. Eine Entschlüsselung von Inhalten erfordert aber enorme technische Ressourcen. Zuverlässig funktioniert sie nur bei schwacher Verschlüsselung oder wenn Fehler in der technischen Umsetzung ausgenutzt werden können. Für die alltägliche Arbeit der Strafverfolgung ist das keine Option.

Befugnisse synchronisieren

Einerseits wichtiger Vertrauensanker im Netz, andererseits schwerwiegendes Problem für die Strafverfolgung: Ende-zu-Ende Verschlüsselung. Foto: BS/Siberia, stock.adobe.com

im Netz. Deutschland zum “Verschlüsselungsstandort Nr. 1” zu machen, ist seit Jahren gesetztes digital- und wirtschaftspolitisches Ziel. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD verständigt, sie wollten “Ende-zuEnde Verschlüsselung für jedermann verfügbar machen”. Mit einer flächendeckenden Endezu-Ende-Verschlüsselung hätte der Staat jedoch ein Problem. Auch die Sicherheitsbehörden

hier klar, dass dem eine intensive Prüfung aller Back-Ups vorangehen muss, unabhängig vom Erstellungsdatum. Weil die forensische Untersuchung den Zeitpunkt der Erstinfektion nicht feststellen konnte, kann nur so ein unbeabsichtigtes Wiedereinschleusen des Schädlings verhindert werden. Wann am Kammergericht wieder wie gewohnt gearbeitet werden kann, ist noch offen. Zur Zeit wird mit nicht untereinander vernetzten Einzelgeräten vorlieb genommen. Kommunikation läuft telefonisch, postalisch oder per Fax. Nach wie vor können die Richter und Mitarbeiter keine EMails entgegennehmen. Das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) und das besondere Anwaltspostfach funktionieren aber.

Neue Technologien

Vertrauensanker im Netz

“D

er effektivste Weg zum Schutz der Vertraulichkeit von Kommunikation ist die Verschlüsselung der Inhalte und des Transports dieser Inhalte”, sagt der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Manuel Höferlin. Nach seiner Vorstellung sollen Anbieter verpflichtet werden, ihre Kommunikationsdienste, seien es Telefonie, Mail oder Kurznachrichten, standardmäßig Ende-zu-Ende zu verschlüsseln. Dann könnte niemand außer dem berechtigten Empfänger die Inhalte mithören oder -lesen. Auch der Diensteanbieter nicht. Bei Instant-Messenger-Diensten ist das bereits Usus. Anders sieht es z. B. bei E-Mail aus, dem vorherrschenden Medium im Geschäftsverkehr und zunehmend auch im Dialog von Bürgerinnen und Bürgern mit Behörden. Eine ordentliche Verschlüsselung erfordert hier bislang zusätzlichen Aufwand für die Anwender. Darauf, dass auch die Gegenseite Inhalte verschlüsselt, ist kein Verlass.

welchem Weg die Schadsoftware zuerst ins System gelangt war, konnten die Gutachter nicht mehr feststellen. Das Problem: Ereignislogs liegen nur unvollständig vor, teils wurde das Logging erst nach dem Vorfall aktiviert. Das Fazit der Gutachter: “Durch die ITInfrastruktur wurde aus einem Standardvorfall ein massiver Incident.” Um Altlasten nicht zu übernehmen, wird empfohlen, die gesamte Windows-Domäne neu aufzusetzen. Die aktuelle Situation könne genutzt werden, um ein leistungsfähiges und sicheres neuen Netzwerk zu schaffen und Schäden bei zukünftigen Vorfällen deutlich zu begrenzen. Das soll nun passieren. Dazu müssen auch die Altdaten aus dem früheren System überführt werden. Die Gutachter stellen

würden dann kaum noch zu Zwecken der Ermittlung oder Gefahrenabwehr auf Kommunikation zugreifen können. Schon heute bereitet ihnen der weit verbreitete Einsatz verschlüsselnder Messenger Kopfzerbrechen. Zwar besteht die Möglichkeit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Damit kann direkt auf den Endgeräten auf Inhalte zugegriffen werden, noch bevor sie verschlüsselt bzw. nachdem

Letztlich geht es den Sicherheitsbehörden darum, handlungsfähig zu bleiben. “Wir müssen ihnen im digitalen Bereich ermöglichen, was sie im analogen Bereich schon immer durften”, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin (der ausführliche Bericht zum Kongress ab Seite 40). Dr. Jörg Angerer, Oberstaatsanwalt in der rheinland-pfälzischen Landeszentralstelle Cybercrime, konkretisierte: “CyberKriminalität wird zunehmen und Deutschland ist darauf schlecht vorbereitet.” Verschlüsselung, Anonymisierung und die Nut-

Akademie-Klausur vom 17. bis 19. Februar, die ebenfalls in Würzburg stattfindet, geht es zum Beispiel um die Bereiche Mobilgeräteforensik, Geoanalyse und Big Data im Polizeialltag, Möglichkeiten und Grenzen der Car-Forensik sowie moderne Textanalyse. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeit unter: www.cyber-akademie.de

zung von Kryptowährungen durch die Täter seien ein großes Problem. Technische Neuerungen müssten ihren Niederschlag in Gesetzen finden. “Die Rahmenbedingungen müssen dringend angepasst werden”, so Angerer. “Dazu gehören auch Mitwirkungspflichten von Telekommunikationsdienstleistern beim Zugriff auf verschlüsselte Inhalte.”. Unterstützung kommt vom Rechtswissenschaftler JanHendrick Dietrich von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung: “Der Staat kann es nicht akzeptieren, dass der Vollzug seiner Gesetze durch missbräuchliche Verschlüsselung unmöglich gemacht wird.” IT-Sicherheitsexperten sehen aber folgendes Problem: Wird Sicherheitsbehörden der Zugriff auf die Kommunikation gewährt – sei es durch technische Hintertüren oder Nutzung schwacher Verschlüsselungsalgorithmen – wird auch kriminellen Hackern das Leben leichter gemacht. Entsprechend ringt die Bundesregierung um den richtigen Kurs. “Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung”, lautet das Credo. Das Bundesinnenministerium lehnt staatlich verordnete Hintertüren zum Abhören oder gar Verschlüsselungsverbote offiziell ab. Gleichzeitig wünscht es sich aber, dass Anbieter geregelte Ausnahmen für den staatlichen Zugriff ermöglichen. Technisch werden sich diese Ansprüche kaum vereinen lassen. Von einem Recht auf starke Verschlüsselung, wie von der FDP gefordert, ist die Position jedenfalls weit entfernt.


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20.–22.04.2020, Würzburg 28.–29.04.2020, Leipzig

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Berlin und Bonn /Februar 2020

Trennung überdenken?

KNAPP

Mehr Bundeskompetenzen im Katastrophenschutz aber nicht unbedingt erforderlich (BS/Marco Feldmann) Selbst bei der Bewältigung der Oderfluten 1997 und 2010 hatte der Bund keine eigenen operativen Befugnisse. Bundeswehr und Technisches Hilfswerk (THW) waren auch damals nur in Amtshilfe tätig. Und daran hat sich auch bei größeren Katastrophenlagen bislang nichts geändert. Denn das Grundgesetz regelt eindeutig, dass der Bund ausschließlich für den Schutz der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall zuständig ist. Die Bewältigung von Katastrophen obliegt hingegen ausschließlich den Ländern. Nun gibt es Forderungen, diese Kompetenzzuweisung zumindest aufzuweichen. Ob ein solcher Schritt jedoch tatsächlich in absehbarer Zeit stattfinden wird, ist zumindest fraglich. Zuvor müsste definitiv das Grundgesetz geändert werden. Und dafür braucht es bekanntlich eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Deutschen Bundestag als auch im Bundesrat. Denn bisher gilt laut Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt: “Der Bund hat keine geschriebene Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Katastrophenschutzes.” Der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Kommunalrecht, an der Universität Potsdam bezweifelt darüber hinaus, dass eine ungeschriebene Bundeskompetenz bestehe. “Ich sehe derzeit weder eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes kraft Natur der Sache noch eine Annexkompetenz oder eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs.” Aufgrund dessen verfüge der Bund hier auch nicht über eine Verwaltungskompetenz. Schmidt legt sich mit Blick auf den derzeit stattfindenden ergänzenden Katastrophenschutz durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) fest: “Soweit das BBK als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums Aufgaben des Katastrophenschutzes wahrnimmt, ist höchst fraglich, ob der Bund hierfür über eine Gesetzgebungsund eine Verwaltungskompetenz verfügt.” Der Präsident eben dieser Behörde, Christoph Unger, hatte kürzlich in einer Anhörung des Bundestagsinnenausschusses eine Zentralstellenfunktion für das BBK im Bevölkerungsschutz – analog zu jener des Bundeskriminalamtes (BKA) im polizeilichen Bereich – gefordert. Bereits heute nimmt das BBK zentrale koordinierende Aufgaben

Bisher existiert eine klare Trennung: Der Bund ist ausschließlich für den Schutz der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall verantwortlich. Die Bewältigung von Katastrophen außerhalb dieses Szenarios obliegt hingegen den Bundesländern. Nun wird über eine Stärkung der Bundeskompetenz nachgedacht. Es ist jedoch fraglich, ob es hier tatsächlich zeitnah zu Veränderungen kommt. Foto: BS/Kunstzeug, stock.adobe.com

im Bevölkerungsschutz wahr. Es mangelt derzeit jedoch noch an Meldeverpflichtungen der Länder gegenüber der Bundesoberbehörde.

Unterstützung erleichtert Den Verantwortlichen des Bundesamtes schwebt nun zumindest eine klar definierte Koordinationsfunktion für Schadensereignisse eines besonderen Ausmaßes – folglich auch bei nationalen Katastrophen – vor. Eine Kompetenzverschiebung sei damit jedoch ausdrücklich nicht beabsichtigt, heißt es in dem Behörden Spiegel vorliegenden internen Unterlagen. Verlangt wird darin – und diese Forderung erhob Unger auch gegenüber den Abgeordneten – jedoch eine Einstufung des BBK als Sicherheitsbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums (BMI). Von dort ist zu vernehmen, dass derzeit keine Strukturveränderungen im Katastrophenschutz geplant seien. Unger hingegen hatte im Innenausschuss gefordert, die Trennung zwischen Ka-

tastrophenschutz und Zivilschutz aufzuheben. Die Meinungen über die künftige Rolle des BBK gehen unterdessen auseinander. Der Bundestagsabgeordnete Dr. André Hahn (Linke) begrüßt zwar das BBK-Engagement im Rahmen der länder- und ressortübergreifenden Krisenmanagementübung LÜKEX. Er stellt aber auch klar: “Eine über eine solche Koordination der Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei besonderen Gefahrenlagen hinausgehende Rolle, etwa als Sicherheitsbehörde im Geschäftsbereich des BMI, würde der grundgesetzlichen Kompetenz­ordnung widersprechen.” Hahn unterstreicht: “Tatsächlich hat sich die föderal ausdifferenzierte Vorsorge in Notfällen grundsätzlich bewährt.” Auch wenn er “beim ergänzenden Katastrophenschutz des Bundes durchaus noch Luft nach oben” sehe, bestehe jedoch “keine Notwendigkeit, eine generelle Steuerungskompetenz bei der Bekämpfung von Katastrophenfällen beim BBK anzusiedeln”.

Der Vorsitzende des für Feuerwehr- und Katastrophenschutzangelegenheiten zuständigen Arbeitskreises fünf der Innenministerkonferenz (IMK), Dr. Alexander Götz, betont zwar, dass veränderte Gefahrenlagen, etwa in Form von Cyber-Angriffen und hybriden Bedrohungen, sowie eine höhere Bedeutung bündnispolitischer Verpflichtungen zwar auch eine Neubewertung und Ergänzung bisheriger Rechtsgrundlagen nötig machten. “Allerdings darf dies aus Sicht der Länder nicht zu einer Verwischung von Kompetenzen und Ressourcenverantwortung führen.” Für eine Zentralstellenfunktion des BBK plädiert hingegen Sebastian Hartmann. Der SPDBundestagsabgeordnete sagt: “Im 21. Jahrhundert müssen wir von den Kooperationsverboten im föderalen Staat zu einer Kultur des Kooperationsgebotes aller Einrichtungen und Behörden kommen. Eine stärkere Zentralisierung beim Bund würde der föderalen Struktur Rechnung tragen und die Länder in ihrer

Verantwortung stärken.” Auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Dr. Irene Mihalic, findet: “Ein zukunftsfähiger Bevölkerungsschutz muss gewährleisten, dass Einsatzmittel und Spezialfähigkeiten schnell und unkompliziert dort zur Verfügung stehen, wo sie gebraucht werden.” Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben müsse das BBK dringend eine Zentralstellenfunktion erhalten. Für den FDP-Abgeordneten Benjamin Strasser liegt eine Zentralstellenfunktion des BBK “auf der Hand”. Und Martin Hess von der AfD unterstreicht: “Eine strikte Trennung in Katastrophen- und Zivilschutz ist angesichts der heutigen Bedrohungslagen nicht zielführend.” Die föderale Struktur des Katastrophenschutzes sei nicht mehr zeitgemäß. Aus diesem Grunde, findet Hess, “müssen wir dem BBK eine größere Verantwortung beim Schutz der Bevölkerung beimessen”. Trotz dieser breiten politischen Unterstützung ist aufgrund der hohen verfassungsrechtlichen Hürden jedoch derzeit noch offen, ob es hier tatsächlich zu einer Reform kommt. Und zur Wahrheit gehört auch: Bevor das BBK zur Zentralstelle aufgewertet wird, sollten zunächst die Probleme im Bereich des ergänzenden Katastrophenschutzes behoben werden. Dort verfügen vom Bund zur Verfügung gestellte Fahrzeuge zwar oft über hochwertige Technik, können dann aber aufgrund fehlender Ersatzteile und anderer technischer Mängel nicht eingesetzt werden. Diesbezüglich ist jedoch nicht nur das BBK zu Verbesserungen aufgerufen. Auch das Beschaffungsamt des BMI sollte Beschaffungsverfahren beschleunigen.

BKA erhält Förderung (BS/mfe) Das Bundeskriminalamt (BKA) kann ein großangelegtes Forschungsvorhaben im Bereich der Extremismusprävention realisieren. Darin sollen Radikalisierungsprozesse analysiert, staatliche und nichtstaatliche Akteure vernetzt und die praktische Präventionsarbeit gestärkt werden. Möglich wird das Programm durch eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Dieses lässt dem Konsortium des Programms “Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung” (MOTRA) insgesamt 12,3 Millionen Euro zukommen. Auf das BKA beziehungsweise dessen Forschungsstelle Terrorismus/ Extremismus entfallen davon drei Millionen Euro. Das Projekt ist auf fünf Jahre angelegt. Es ist Teil der Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung.

Frankreich will Dialog über Atomwaffen in EU (BS/por) Mit dem Vollzug des Brexits gibt es in der Europäischen Union nur noch eine Atommacht: Frankreich. Dessen Staatspräsident Emmanuel Macron hat diesen historischen Einschnitt zum Anlass genommen, an der Pariser Militärakademie (“École de guerre”) eine Grundsatzrede zur nuklearen Abschreckung zu halten. “Unsere Nuklearwaffen stärken die Sicherheit Europas und haben damit eine europäische Dimension”, so das Staatsoberhaupt. Deshalb wünsche er sich einen “strategischen Dialog” mit den daran interessierten EUPartnern über die Rolle der atomaren Abschreckung. Auch eine Beteiligung an bisher unilateral durchgeführten Übungen mit der “Force de frappe” solle künftig möglich sein. Für manche EUStaaten – auch und gerade für Deutschland – ist dieses Thema jedoch ein “heißes Eisen”. Gerade erst hat man sich hierzulande von der zivilen Nutzung der Kernkraft verabschiedet.


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Europäischer Polizeikongress “Wir machen beides”

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andelt der Staat nicht konsequent, droht ein Vertrauensverlust bei der Bevölkerung, unterstreicht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Er forderte zudem: “Den Feinden des Rechtsstaates muss ein Stoppschild gezeigt werden.” Hier habe man, unter anderem durch Verschärfungen im Waffenrecht, schon einiges erreicht. Dennoch müsse fortlaufend dafür gesorgt werden, dass Provokationen des Rechtsstaates durch Einzelne keine Nachahmer fänden. Seehofer lobt die hervorragende Arbeit der Polizisten, “die jeden Tag den Rechtsstaat durchsetzen”. Er verlangt von Politik und Gesellschaft, jederzeit hinter dem polizeilichen Agieren zu stehen. Mit Blick auf den Schutz der europäischen Außengrenzen konstatiert der Bundesinnenminister, dass dieser derzeit noch nicht wirksam sei. Aus diesem Grunde brauche es vorerst weiterhin Binnengrenzkontrollen im Schengenraum. Solange Personen mit Mehrfachidentitäten in Deutschland lebten, “kann man nicht von Recht und Ordnung sprechen”, so der Ressortchef. Die Bewältigung der Migrationsthematik kann aus Sicht Seehofers nur mithilfe eines einheitlichen europäischen Ansatzes gelingen. Eine gemeinsame europäische Asylpolitik sei für Europa – nicht nur unter Sicherheitsgesichtspunkten – von entscheidender Bedeutung.

Wie den Rechtsstaat in Deutschland und Europa stärken?

Der 24. Europäische Polizeikongress findet am 9. und 10. Februar 2021 in Berlin statt. www.europaeischer-polizeikongress.de

(BS/Marco Feldmann/Dr. Gerd Portugall/Jörn Fieseler) Die Gewährleistung von Sicherheit ist eine der wichtigsten staatlichen Aufgaben überhaupt. Dafür braucht es einen starken Staat. Der Rechtsstaat muss immer konsequent sein und darf nie zum reinen Zuschauer verkommen. Die Bekämpfung von Extremismus und Organisierter Kriminalität beschränkt sind nicht mehr nur auf das eigene Territorium, sondern beginnt an den europäischen durch das BKA selbst geben. Des Weiteren soll laut Münch Außengrenzen und darüber hinaus. Dafür müssen geeignete Mittel geschaffen und eingesetzt werden. der Europäischen Kommission und Interpol hierzu würden allerdings noch unter der derzeitigen kroatischen EU-Ratspräsidentschaft erwartet, so Farnung.

Vorprüfungen erforderlich Zu deren Ziel äußert sich die Staatssekretärin im Zagreber Innenministerium, Terezija Gras. Leitsatz der Ratspräsidentschaft ihres Landes sei “ein starkes Europa in einer Welt voller Herausforderungen”. Ein Fokus läge in diesem Kontext auf der Sicherheit der Europäischen Union. Vorprüfungen an den Außengrenzen seien ein Muss, um die illegale Migration und die Sekundärmigration in die EU deutlich zu reduzieren. Der

Plädiert für einen effektiven, durchsetzungsfähigen (Rechts-)Staat: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

schen Union gebe es allein schon rund 5.000 OK-Gruppierungen, die in mehr als drei Mitgliedsstaaten aktiv seien. Diese Banden generierten circa 100 Milliarden Euro im Jahr, so Ebner .

Sicherheit exportieren

Kein weiteres Nachfragen Auch ein effektiver Informationsaustausch ist wichtig. Hier zeigen sich jedoch noch einige Lücken. Mitarbeiter deutscher Botschaften in Nicht-EU-Staa­ ten können im Rahmen der Visavergabe des zukünftigen ETIAS-Systems der Europäischen Union zwar mehrere Da­ tenbanken, auch der internationalen Polizeiorganisation Interpol, abfragen. Sie erhalten dann auch Auskunft darüber, ob es zu der fraglichen Person einen Treffer gab. Weshalb der Visumsantragssteller jedoch in den Interpol-Datenbanken auftaucht, erfahren sie nicht. Dies lasse die neue EU-Verordnung zum ETIAS-System nicht zu, erläutert Holger Farnung. Damit bleibe zunächst unklar, ob der Antragssteller beispielsweise wegen Diebstahls oder eines verlorenen Personaldokuments eingetragen sei, mit einem internationalen Haftbefehl gesucht werde oder es sich gar um einen “foreign fighter” handele, so der stellvertretende Sonderbeauftragte von Interpol bei der Europäischen Union. Eine genauere Kontrolle und Abfrage des Eintragungsgrundes seien in diesen Fällen oftmals erst im Rahmen der grenzpolizeilichen Maßnahmen bei Einreise in den Schengen-Raum möglich. Ein fehlendes Abkommen zwischen der Europäischen Union und Interpol über den gegenseitigen Datenaustausch verhindere hier eine frühzeitigere Information. Verhandlungen zwischen

JETZT VORMERKEN!

Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), will Hasskriminalität im Internet stärker bekämpfen. Fotos: BS/Giessen

Missbrauch des Asylsystems müsse weitgehend unterbunden, Asylsuche und die legale Zuwanderung mit den Interessen des europäischen Arbeitsmarktes in Einklang gebracht werden. In diesem Kontext seien Partnerschaften zu Drittländern weiter auszubauen. “Hier hilft es, wenn bilaterale und europäische Interessen gebündelt werden”, betont Gras – auch mit Blick auf die Türkei. “Wir müssen überlegen und sondieren, ob und wie wir das Abkommen mit der Türkei auf eine neue Ebene stellen können.” Die Bedeutsamkeit von Kooperation unterstreicht auch Dr. Lars Gerdes. Der Leitende Polizeidirektor bei der Bundespolizei und derzeitige Leiter des “German Police Project Teams” (GPPT) in Afghanistan meint: “Der einzelne Rechtsstaat in Europa kann grenzüberschreitende Herausforderungen nicht mehr bewältigen.” Als besondere Bedrohungen für die Europäische Union machte in diesem Zusammenhang Jürgen Ebner, stellvertretender Exekutivdirektor bei Europol, illegale Migration, aber auch grenzüberschreitenden Terrorismus und Organisierte Kriminalität (OK) aus. Innerhalb der Europäi-

Dr. Dieter Romann, Präsident des Bundespolizeipräsidiums, macht deutlich, dass die Freizügigkeit innerhalb der EU im Rahmen der Schengener Übereinkommen selbstverständlich nicht für illegale Migranten aus Drittstaaten gelte. Deshalb seien Binnengrenzkontrollen so lange zu rechtfertigen, wie die Außengrenzen eben nicht sicher seien. Auch das Dubliner Übereinkommen mit den Nachfolgeverordnungen zur Regelung der Zuständigkeiten bei Asylanträgen funktioniere bekanntlich nicht, da deren Nichtanwendung unter den Mitgliedsstaaten unstrittig sei, so der Bundespolizeipräsident. Längerfristig müsse Sicherheit ohnehin in die Staaten expor-

mehr oder weniger unkontrolliert nach Europa gekommen. Die organisatorische Hilfslosigkeit bei der Bewältigung dieses Ansturms habe innerhalb der Gesellschaften der Mitgliedsstaaten zu einem weit verbreiteten Vertrauensverlust in die EUInstitutionen insgesamt geführt und populistischen Strömungen Auftrieb gegeben, warnt Michael O‘Flaherty, Direktor der EUAgentur für Grundrechte (FRA). Fabrice Leggeri, Exekutivdirektor der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, macht in diesem Zusammenhang da­ rauf aufmerksam, dass es generell seiner Agentur obliege, beim EU-Grenzregime Schwachstellenanalysen zu betreiben und Empfehlungen auszusprechen. Seit dem Flüchtlingsansturm von 2015 sei die Hauptaufgabe der Agentur die Aufrechterhaltung des Schengen-Raumes und der Freizügigkeit innerhalb der EU sowie die Wiederherstellung des Vertrauens in selbige, so der Franzose. Immerhin sei die Frontex-Verordnung nach der Migrationskrise 2015/2016 zügig überarbeitet worden, unterstreicht Gerdes. Damit einher seien ein Bedeutungszuwachs und neue Zuständigkeiten der EU-Agentur gegangen. Eine deutlich größere Rolle spiele für die Agentur seither die Bekämpfung der grenzüberschreitenden OK.

Frontex-Aufbau im Fokus Der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dr. Dieter Romann, hält die Dublin-Verordnung für derzeit nicht wirkmächtig.

tiert werden, von denen sich Flüchtlinge und Migranten auf den Weg nach Europa machten, so Gerdes. Dort und in den Transitländern müssten funktionierende Sicherheitsstrukturen aufgebaut werden, um Abwanderungen zu verhindern. Dramatisch verschärft hatte sich die Lage für das EU-Grenzregime während der Flüchtlingskrise. Allein im Jahr 2015 waren 1,3 Millionen Menschen

Im Rahmen der Vorverlagerungsstrategie befänden sich zurzeit 550 Bundespolizisten im Ausland, davon 120 bis 150 bei Frontex, so Gerdes. Ab 2021 solle es ein multinationales “Standing Corps” von 5.000 Vollzugsbeamten geben. Leggeri ergänzte, dass es geplant sei, diesen Personalkörper zum Schutz der EU-Außengrenzen bis 2027 auf bis zu 10.000 Einsatzkräfte als finale Zielgröße aufwachsen zu lassen. Damit könnten sowohl die EU-Außengrenzen als auch die Grenzübergänge zwischen den Mitgliedsstaaten besser überwacht werden. Das zusätzliche Personal solle nicht

nur da eingesetzt werden, “wo es brennt”, sondern bereits präventiv. Für die komplette FrontexFinanzierung sind im nächsten EU-Haushalt von 2021 bis 2027 immerhin insgesamt 11,3 Milliarden Euro vorgesehen. Neben dem Grenzschutz ist auch die Bekämpfung aller Formen des Extremismus eine zentrale staatliche Aufgabe und Ausdruck eines wirkungsvollen Rechtsstaates. Mehr denn je in strukturschwachen Regionen, wie Brandenburgs Innenminister, Michael Stübgen (CDU), am Beispiel der Niederlausitz verdeutlicht. Bei den letzten Wahlen seien alle Direktmandate in den Landkreisen der Region an die AfD gefallen. “Wir haben in Brandenburg die Politik zu sehr auf Berlin ausgerichtet und die ländlichen Regionen bei der Grenzöffnung zu Polen und der Flüchtlingskrise vernachlässigt. Ein Großteil der Menschen ist weggezogen, jetzt kommt auch noch der Wolf und der darf bleiben”, schildert Stübgen. Die so entstandene Lücke habe die AfD gefüllt, die teilweise konspirativ in rechtsextremen Organisati-

Warnte vor einer zunehmenden Entgrenzung der rechtsextremen Szene: BfV-Präsident Thomas Haldenwang.

onen tätig sei. Meistens seien die Personen in unscheinbaren, kleinen Vereinen organisiert, die in der Altenhilfe tätig seien oder in der Kinderbetreuung. Unter diesem Deckmantel seien rechtsextreme Strukturen aufgebaut worden. Die einzige Möglichkeit, dagegen vorzugehen, sei die Überwachung durch Nachrichtendienste und Kriminalämter. Das Bundeskriminalamt (BKA) nutze dazu einen Drei-EbenenAnsatz. Zum einen verfolge seine Behörde einen personenbezogenen Ansatz, so BKA-Chef Holger Münch. Dazu solle die Gefährderbewertung aus dem Bereich des Islamismus auf den Rechtsextremismus übertragen werden. Zum anderen gehe es um die bessere Identifizierung rechtsextremistischer Netzwerke. Hierfür solle es künftig auch stärkere Strukturermittlungen

die Hasskriminalität im digitalen Raum stärker bekämpft werden. Hierzu wird es im BKA eine Zentralstelle zur Meldung ex­ tremistischer und strafrechtlich relevanter Inhalte in Sozialen Medien geben. Die entsprechende Projektgruppe sei bereits eingerichtet. Ein Pilot soll Anfang kommenden Jahres starten, kündigt der BKA-Präsident an. Die rechtsextremistische Szene entgrenze sich zunehmend, warnt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in diesem Kontext. Zugleich verschärfe sich die Gefahrenlage in diesem Phänomenbereich, zeigt sich Thomas Haldenwang alarmiert und warnt: “Es besteht immer die Gefahr, neuen Entwicklungen statt proaktiv nur reaktiv zu begegnen.”

Fakten klären, ermitteln, handeln Der Rechtsextremismus ist das eine Übel, gegen das sich der Rechtsstaat durchsetzen muss. Das andere ist die OK und die Clan-Kriminalität. “Das Recht des Staates gilt überall, andere dürfen nicht bestimmen, was Recht ist. Ein Familienrecht darf es in Deutschland nicht geben”, betont NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Deshalb seien im letzten Jahr zahlreiche Razzien durchgeführt worden, um gegen die Clans vorzugehen. Außerdem werden an Rhein und Ruhr Barbershops beobachtet. “Es kann sein, dass sich dort Kriminalität entwickelt, noch ist nichts bekannt”, so der nordrheinwestfälische Innenminister. “Wir klären die Fakten, ermitteln und handeln.” Ähnlich in Brandenburg. Dort gebe es zwar nicht die ausgebreitete Clan-Kriminalität wie in der Hauptstadt. Das Berliner Umland eigne sich jedoch für die Clans, um eher unauffällig zu agieren und zum Beispiel legale Investitionen wie den Kauf von Immobilien zu tätigen. Diese Geschäfte sollen mehr untersucht werden, kündigte Stübgen an. Darüber hinaus liege der Fokus in der Mark eher auf der Kriminalitätsbekämpfung von Banden aus Osteuropa. Diese seien spezialisiert auf Diebstähle und würden in den Bereich der Transitkriminalität fallen. Letztlich werde aber nicht zwischen Banden- oder Clan-Kriminalität und OK unterschieden und das eine zulasten des anderen mehr verfolgt. “Wir machen beides”, sagt Reul. Denn die Strukturen hinter einzelnen Delikten fielen in den Bereich der Organisierten Kriminalität. Die Abgrenzung sei schwierig, letztlich handle es sich um eine definitorische Abgrenzung.


Europäischer Polizeikongress

Behörden Spiegel / Februar 2020

“D

er Markt ist unübersichtlich und schnelllebig, das macht es den Behörden schwer”, sagt Patrick Pongratz, Enterprise Sales Manager bei Hitachi Vantara. Moderne Analyse-Tools könnten nur mit dem arbeiten, womit man sie füttere. “Die IT-Landschaft bei den Sicherheitsbehörden ist noch sehr zersplittert. Immer komplexere Datensilos so zusammenzubekommen, dass ein Informationsgewinn entstehen kann, ist eine große Herausforderung.” Pongratz rät, zunächst kleine Bretter zu bohren. Im Bereich der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen beispielsweise könnte mit Erkennungsalgorithmen für gefährliche Gegenstände einiges an Sicherheit dazugewonnen werden. “Schon die Nutzung einer einzelnen Kameradrohne in Lagen kann viel bringen”, beispielsweise um Bewegungen und Dynamiken von großen Menschenmengen zu beobachten und gefährliche Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Für solche Anwendungsfälle brauche es keine Datenhaltung und Analyse im Nachgang.

Polizisten statt Data Scientists Anders sieht es im Bereich der Ermittlung aus. Hier müssen heute zahlreiche Quellen digitaler Daten berücksichtigt werden. Herausforderung ist es nicht nur, diese zu sammeln, sondern sie aufzubereiten, zugänglich zu machen und so zu verknüpfen, dass die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden. Massen unstrukturierter Daten müssten zunächst bereinigt und in eine strukturierte Form gebracht werden, erklärt Dirk Möller, Senior Manager Sales Public bei SAS. Dann könnten Analysetools damit weiterarbeiten, um die richtigen Verknüpfungen zu ziehen. Vorausgesetzt, die Beamten seien dazu imstande. “Anspruch

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war sei nur ein kleiner Teil der Bevölkerung rechtsex­trem, so Quent. Dieser könnte sich jedoch lauter und besser artikulieren als zuvor. Überdies habe die rechte Gewalt gegenüber Vertretern des Staats zugenommen. Auf internationaler Ebene könne man zudem die Entwicklung einer globalen Subkultur der Rechten beobachten. Diese hätte es in dieser Qualität vorher noch nicht gegeben. Zusätzlich sei das Interesse der Öffentlichkeit an diesem Phänomenbereich gestiegen. Dennoch sei Rechtsextremismus ein gesamtdeutsches Problem und nicht nur auf Ostdeutschland beschränkt, bekräftigte der Präsident des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz, Gordian Meyer-Plath. Er verwies dabei auf den kürzlich verbotenen Verein “Combat 18”. Bei diesem Verbot hätte es Aktionen im gesamten Bundesgebiet gegeben. Sachsen teile jedoch das gleiche Schicksal wie die anderen ostdeutschen Bundesländer. Dort seien die Strukturen von Rechtsextremisten wesentlich sichtbarer.

“Flüchtlingskrise” Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Rechtextremismus und der sogenannten “Flüchtlingskrise” gebe es nicht. Viele Entwicklungen seien schon vorher sichtbar gewesen. Den-

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Die Datenwelle rollt unaufhaltbar Big Data und Künstliche Intelligenz revolutionieren die Polizeiarbeit (BS/Benjamin Stiebel/Wim Orth) Seit Jahren zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Polizeiarbeit ab. Immer mehr Indizien und Beweise liegen digital vor. Gleichzeitig spielen Online-Quellen und Daten aus der Videoüberwachung bei Gefahrenabwehr oder Fahndung eine immer größere Rolle. Dazu kommen in Lagen Hinweise, Fotos und Videos aus der Bevölkerung. Die Menge der relevanten Daten ist schon heute in vielen Fällen so hoch, dass eine umfängliche Auswertung durch einzelne Beamte nicht möglich ist. Viele kommerzielle oder eigenentwickelte Lösungen bieten schon Unterstützung in Teilgebieten, so bei der forensischen Untersuchung von Smartphones oder bei der Auswertung von kinderpornografischem Material. Eine Maschine, die dem Beamten jederzeit alle relevanten Daten aus den Beständen präsentiert, bleibt aber Zukunftsmusik. darf nicht sein, dass die Polizisten sich in Zeiten von Big Data zu Data Scientists entwickeln müssen”, so Möller. “Vielmehr müssen wir Tools liefern, mit denen die Beamten problemlos arbeiten können.” Das Problem sieht auch das Landeskriminalamt SchleswigHolstein. Während der zuständige Abteilungsleiter, Alexander Hahn, Rechner, Tablets und Smartphones schon zu den Klassikern digitaler Spuren zählt, sieht er mit smarten Autos, zunehmenden Zahlen öffentlicher WLAN-Netze und vor allem dem Internet of Things riesige Herausforderungen auf die Polizei zukommen. “Die Mehraufwände sind unvermeidbar und unsere Ermittler aus allen Deliktbereichen werden entsprechend geschult.” Langfristig sei das aber nicht ausreichend. “Ermittler sind Generalisten”, gibt Hahn zu bedenken. “Wenn zu ihren bisherigen Arbeitsfeldern noch zusätzlich Unmengen Daten aus der IT-Forensik kommen, werden sie unweigerlich überfordert.” Die Lösung könne es sein, Cyber-Analysten als eine neue Rolle zwischen klassischem Ermittler und rein technisch arbeitendem IT-Forensiker zu etablieren.

Künstliche Intelligenz als Assistenz der Polizei In vielen Fällen sind die Datenmengen für die Beamten aus Fleisch und Blut aber sowieso

Die letzte Entscheidungsgewalt müsse immer beim Menschen bleiben, fordert Dirk Kunze vom Landeskriminalamt NRW. Fotos: BS/Giessen

kaum mehr zu bewältigen, vor allem in Fällen mit zeitlichem Druck. So ist es bei der Aufarbeitung von Verdachtsfällen zum Besitz von kinderpornografischem Material extrem zeitaufwendig, Tausende bis hin zu Millionen Fotos und Videos einzeln zu betrachten und zu klassifizieren. Dazu kommt eine enorme mentale Belastung für die Ermittler, die sich mit diesen Inhalten auseinandersetzen müssen. Um hier für Entlastung zu sorgen, arbeitet das Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen mit Systemen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. Der Algorithmus wird dabei vor dem Realeinsatz so trainiert, dass er die Bilder in vorgegebene Rahmengruppen einsortiert. Diese insgesamt vier Gruppen unterteilen sich in echte Kinderpornografie, Jugendpornografie, “reguläre“ Pornografie sowie das

Sonderphänomen “Präferenz”, bei dem Kinder in eindeutig sexuellen Posen dargestellt werden, dabei jedoch vollständig bekleidet sind. Wichtig sei dabei ein sauberes Training der neuronalen Netze, erklärt Kriminaloberrat und Leiter des Landesprojektes “Datenbankübergreifende Analyse und Recherche” im LKA NRW, Dirk Kunze: “Es braucht eine riesige Menge Trainingsdaten, um so ein Netz biasfrei zu schulen. Ansonsten wird es immer wieder Diskriminierung im System geben.” Ein Problem dabei sei laut Kunze allerdings, dass bereits bei der Vorauswahl der Trainingsdaten die menschliche Bias mit hineinspiele, sodass es extrem schwierig sei, wirklich neutrale Szenarien für den Aufbau der Algorithmen zu erstellen. Dieses Phänomen begrenze sich nicht auf die Ermittlungen gegen Kinderpornografie, sondern sei in allen Bereichen der Künstlichen Intelligenz anzutreffen. Durch diese Auswahlproblematik sei die Künstliche Intelligenz bei der Erkennung weißer Männer sehr weit fortgeschritten, “aber beispielsweise bei schwarzen Frauen gibt es kaum Daten und somit hat das System auch echte Probleme, in diesem Kontext verlässliche Ergebnisse zu liefern”.

Breites Aufgabenfeld Grundsätzlich, und abgesehen von der Spezialisierung bei der Analyse von Kinderpornografie, müsse man die bislang an-

genommenen Definitionen der Bewertung von Datenmaterial in vielen Fällen grundsätzlich überdenken. So reiche heute ein Name zur Identifikation von Personen lange nicht mehr aus, um sich komplett sicher zu sein: “Alleine der Name Mohammed hat 17 Schreibweisen und da sind mögliche Rechtschreibfehler nicht mit drin. Es braucht heute eine Reihe ergänzender Informationen, wenn man wirklich sichergehen will, dass man es mit der richtigen Person zu tun hat”, so Kunze. Mögliche Zusatzinfos seien dabei beispielsweise die Adresse, Fotos und Ehepartner. Diese Infos könnten von KI-Systemen aus anderen Datenbanken geladen und anschließend automatisiert abgeglichen werden. Mit solchen Zusatzinfos arbeiten weniger die Ermittler um Kunze, sondern häufig eher mit Grenzschutz und Migrationsthemen beauftragte Beamte wie Carsten Simon, Leiter der Risk Analysis Unit bei der European Border and Coast Guard Agency, kurz Frontex. Dort werden mithilfe von Algorithmen diverse Risikoanalysen erstellt, um zu ermitteln, wo Krisen auftreten könnten und an welchen Stellen die rund 1.000 Frontex-Beamten an den europäischen Grenzen demnach perspektivisch gebraucht werden könnten. Zudem gibt es ein an das amerikanische Reisegenehmigungssystem ESTA angelehntes System namens ETIAS, auf dessen Basis die Antragsteller mithilfe von Künstlicher

Rechtsextremismus – kein neues Phänomen Was unternehmen gegen rechte Gewalt und Extremismus? (BS/Bennet Klawon/Katarina Heidrich) Dr. Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), sieht keinen Anstieg des Rechtsextremismus in Deutschland. Jedoch sei die Gemengelage neu. Rechtes Gedankengut hingegen wurde insbesondere durch die steigenden Flüchtlingszahlen in breite Teile der Gesellschaft getragen. Also stellt sich die Frage: Wie kann in Europa die weitere Radikalisierung unterbrochen werden?

Gilles de Kerchove, Koordinator für die Terrorismusbekämpfung bei der Europäischen Kommission, unterscheidet zwischen einem kleinen Anteil von Gefährdern und mehreren tausend gewaltbereiten Rechtsextremen in Deutschland.

noch habe die Situation von 2015 als Katalysator gewirkt. Rechte hätten durch die “Flüchtlingskrise” Teile der Bevölkerung besonders effektiv mobilisieren können, so Quent. Meyer-Plath stimmte dem zu. Es scheine, als hätten “Rechte auf ein solches Thema gewartet”. Auch die Schwelle zwischen der Bevölkerung und den Rechtsextremisten sei erodiert. Vor einigen Jahren hätten normale Bürger

nicht mit Rechten demonstriert. Dies sei heute nicht mehr der Fall. Er befürchte, dass die Mobilisierung über die Flüchtlingsthematik hinaus genutzt werden könnte. Vasileios Roussakis vom Center for Security Studies (KEMEA), einem Think Tank des griechischen Ministeriums für Bevölkerungsschutz, kann jedoch einen Anstieg von rechter Gewalt und Rechtextremismus in Griechen-

land im Zuge der “Flüchtlingskrise” beobachten, da das Land besonders durch die hohe Zahl an Geflüchteten belastet werde. Ein allgemeingültiges Rezept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gebe es nicht. Man bräuchte einen europäischen Ansatz, forderte Steven Lenos vom Radicalisation Awareness Network (RAN). Zwar könne man keine gemeinsame Strategie entwickeln, die in allen europäischen Ländern funktioniere, aber man müsse voneinander lernen. Erst durch den Austausch von Wissen und Erfahrungen bei der Bekämpfung könne man den Phänomenbereich Rechtsextremismus verstehen, Mechanismen untersuchen und Zusammenhänge erkennen. Um auf europäischer Ebene gegen Extremismus im Allgemeinen ankämpfen zu können, sei die Zusammenführung aller sicherheitsrelevanten Datenbestände aus den einzelnen Mitgliedsstaaten von Bedeutung, so der Geschäftsführende Generaldirektor für die öffentliche

Sicherheit im Österreichischen Bundesministerium für Inneres, Franz Lang. Der “digitale Hype” etwa in der Polizei koste zwar viel, biete aber auch viel Sicherheit. “Ich verwette mein Monatsgehalt, dass der Täter des nächsten Anschlags in Europa schon bekannt gewesen sein wird beziehungsweise dass es irgendwo schon Informationen gibt über ihn“, so Lang. Die Hauptaufgabe sei nun, die vielen Daten, die es in Europa schon gebe, zusammenzuführen. In Österreich laufe dazu derzeit ein Feldversuch.

Multipler Extremismus Zwischen Deutschland und Österreich funktioniere die Zusammenarbeit schon gut. Laut Lang konnten auf diese Weise mehrere geplante Terroranschläge in Österreich verhindert werden. Dr. Rainer Stentzel, Leiter der Unterabteilung ÖS I im Bundesinnenministerium, betont, dass ebenfalls Drittstaaten in den Datenaustausch einbezogen werden müssten. Mit Blick auf den Brexit fordert er, keine

Intelligenz in drei Risikogruppen aufgeteilt werden.

Kann es Perfektion geben? Beide Beamte eint abschließend die Problematik, dass die Entwicklung der KI-Systeme zur Verarbeitung von Massendaten noch lange nicht abgeschlossen ist und die Algorithmen daher gewisse Fehlerquoten aufweisen. So hat Kunze bei der Positiverkennung, also dem Alarmschlagen des Systems, Kinderpornografie gefunden zu haben, eine Fehlerquote von rund zehn Prozent. Dies sei nicht sonderlich schlimm, da man diese Bilder händisch gut aussortieren könne. Problematischer sei hingegen eine Quote von vier Prozent bei der Negativerkennung, wo tatsächliche Kinderpornografie als harmlos aussortiert werde. Hier arbeite man an verbesserten Trainingslösungen und weiteren Maßnahmen, um diese Quote zu senken, generell müsse man sich aber fragen, was man von den Maschinen erwarte: “Bei einem Menschen wäre diese Quote überhaupt kein Problem, denn da setzt man Fehler durch die Belastung und Unaufmerksamkeit voraus. Dem Computer verzeihen wir hingegen überhaupt keine Fehler.” Hier müsse man sich überlegen, ob es eine vollständige Perfektion jemals wirklich realistisch geben könne, so der LKA-Mann. Und auch bei Carsten Simon liegt der Fehlerquotient bei der Vorhersage von Sekundärmigration bei rund 3,5 Prozent. Bei diesem Sachverhalt gestaltet sich eine solche Menge zwar nicht als ganz so problematisch, es zeigt sich jedoch, dass die Systeme noch lange nicht perfekt sind. Darum ist es für beide Beamte auch wichtig, dass ein Grundsatz nie angetastet werden dürfe: Egal, wie weit die KI fortgeschritten sein möge, die letzte Entscheidungsgewalt müsse immer beim Polizisten aus Fleisch und Blut bleiben.

Abstriche bei der Sicherheit zu machen. “Wenn aufgrund eines erschwerten Datenaustauschs mit Großbritannien als Drittland ein Anschlag passiert, sind wir alle in der Verantwortung”, so Stentzel. Seine Überlegung: Ein “third country information center” zu schaffen, welches einen schnellen Datenabgleich ermöglicht. Zudem sei es unabdingbar, auf die verschiedenen Formen des Extremismus aufmerksam zu machen und auf EU-Minister­ ebene den Kampf gegen sie alle zu erklären, betont Dr. Tero Kurenmaa, Generaldirektor Polizei im Finnischen Innenministerium. Beispielsweise gehöre zur Bedrohungslage durch den islamistischen Extremismus ebenfalls die Frage nach dem Umgang mit den sogenannten IS-Rückkehrern. Wichtig und hilfreich sei ebenfalls, die Zahlen derer, die als Gefährder gelten, von den restlichen abzuheben, um die Bedrohungslage realistischer einschätzen zu können, ergänzt der Koordinator für die Terrorismusbekämpfung bei der Europäischen Kommission, Gilles de Kerchove. Im Bereich Rechtsextremismus etwa müsse man in Deutschland zwischen derzeit 12.700 gewaltbereiten Rechtsextremen, 126 relevanten Personen und 52 Gefährdern unterscheiden.


Europäischer Polizeikongress / Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / Februar 2020

BAMF als wichtiger Baustein

Fundierte Einblicke in aktuelle Trends

Nürnberger Bundesbehörde wird Teil der Sicherheitsarchitektur sein

Zukunft des Digitalfunks und der Leitstellen

(BS/mfe) Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist inzwischen ein zentrales Element der deut- (BS/Gerd Lehmann) Die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsschen Sicherheitsarchitektur. Denn sowohl Asyl als auch die Rückkehr in die Heimatländer hätten viel mit der aufgaben (BDBOS) will eine hybride Netzstruktur schaffen. Im Rahmen der Netzweiterentwicklung soll ein Durchsetzung des Rechtsstaates zu tun. Das unterstrich der Präsident der Behörde, Dr. Hans-Eckard Sommer. eigenes Breitbandnetz aufgebaut werden, das durch Mitnutzung kommerzieller Mobilfunknetze ergänzt wird. Ziel sei die Realisierung leistungsstarker Datendienste als Ergänzung zum TETRA-Sprechfunk. Zudem berichtete er, dass die korrekte Identitätsfeststellung im Asylverfahren weiterhin eine große Herausforderung sei, da

Der rumänische Botschafter in Deutschland, Seine Exzellenz Emil Hurezeanu, begrüßte die Teilnehmer des bereits traditionell in seiner diplomatischen Vertretung stattfindenden Vorabendempfangs zum Europäischen Polizeikongress. Fotos: BS/Giessen

es viele Täuschungsversuche gebe. Hier helfe die Digitalisierung, unter anderem durch den Einsatz von Programmen zur richtigen Namenstranskription. Derartige Unterstützung erhöhe auch die Akzeptanz von Asylentscheidungen. Weitere Herausforderungen für das BAMF, das sich selbst als Sicherheitsbehörde versteht, auch wenn es offiziell keine ist, seien Widerrufsverfahren und der weiterhin hohe Druck durch Sekundärmigration in Europa. Die Zahl der Asylanträge sei hierzulande zwar rückläufig, aber dennoch weiterhin auf einem hohen Niveau. Im letzten Jahr habe es 142.500 Erstanträge in Deutschland gegeben. Die meisten Asylsuchenden stammten dabei aus Syrien, der Türkei, Nigeria und Afghanistan, erläuterte der BAMFPräsident auf dem Vorabend­ empfang zum Europäischen Polizeikongress. Dieser fand in der rumänischen Botschaft in

Sieht seine Behörde als wichtigen Baustein der deutschen Sicherheitsarchitektur: der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Dr. HansEckard Sommer.

Das erläutert Raimund Osietzki, Referatsleiter Betriebsaufsicht bei der BDBOS. Für die Errichtung eines eigenen Breitbandnetzes ist zunächst jedoch die Bereitstellung von Frequenzen unerlässlich. Ob den BOS Frequenzen im 450-MHz-Bereich – wie gefordert – zugestanden werden, wird sich in Kürze entscheiden. Laut Bernhard Klinger, Vice President Geschäftsentwicklung der Hytera Mobilfunk GmbH, sind kommerzielle Mobilfunknetze dann für einsatzkritische Breitbanddienste geeignet, wenn entsprechende rechtliche, administrative und vertragliche

der Airbus Secure Land Communications, betont. So decke das “Tactilo Agnet” alle professionellen Bedürfnisse ab und das “Tactilon Databat” vereine Hy­ brid-Tetra-Radios und AndroidSmartphones in einem Gerät.

Switch ermöglicht neue Dienste Derzeit befindet sich das Thema Network-Slicing in der Diskussion. Es bietet die Möglichkeit, in den im Aufbau befindlichen 5G-Netzen für die BOS ein abgeschottetes “Netz im Netz” einzurichten. Mit 5G wird erstmals auch die optimale und unlimitierte Vernetzung von

Handlungsbedarf. Um einen ersten Impuls zur Definition einer standardisierten Anschaltung von Leitstellen an ein künftiges Breitbandnetz zu setzen, hat der PMeV einen Arbeitskreis “Einsatz- und sicherheitskritische Breitbandapplikationen” gegründet. Ebenfalls vor großen Herausforderungen stünden BOS-Leitstellen, wie Stefan Wächter vom Hannoveraner Innenministerium sagt. Die Einsatzsteuerung unbemannter Flugsysteme oder Drohnen, Videostreaming von Einsatzorten und dergleichen müssten in die Bestandsinfrastruktur der Leitstellen inte­

Berlin statt. Der Bukarester Botschafter in Deutschland, Emil Hurezeanu, betonte dabei, dass es in Europa noch mehr Zusammenarbeit geben müsse.

Mehrere Herausforderungen Bereitschaftspolizeien haben verschiedene Rollen (BS/mfe) Die Bereitschaftspolizeien müssen mehreren Aufgabenbildern gerecht werden. Sie sind sowohl Bereitschaftspolizei im klassischen Sinne als auch Interventions- und Unterstützungspolizei für den Einzeldienst. Im Streifendienst seien die Beamten inzwischen sogar “eine feste Größe”. Darauf macht der Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder, Andreas Backhoff, aufmerksam. Er unterstreicht außerdem, dass die Bereitschaftspolizeien zwar grundsätzlich gut aufgestellt seien. Personell sei ihre Ausstattung teilweise jedoch “auf Kante genäht”. Der Bund unterstütze die Bereitschaftspolizeien der Länder in mehreren Bereichen, auch wenn er – außer im Verteidigungs- oder Spannungsfall – ihnen gegenüber kein Weisungsrecht besitze. So erhielten die Länder unter anderem in den Komplexen Personenmobilität, taktische Spezialfahrzeuge und persönliche Schutzausstattung der Bereitschaftspolizisten Hilfe vom Bund. Backhoff identifiziert mehrere künftige Herausforderungen

­ rojekte wie etwa einen neuen P Wasserwerfer bereitgestellt werden. Darüber hinaus komme es darauf an, Personalbedarfe bei den Bereitschaftspolizeien zu evaluieren und Landesspezifika wo möglich anzupassen, um eine bundesweite Kompatibilität herzustellen.

Rahmenbedingungen vorliegen, die die Sicherstellung der Erfüllung der einsatzkritischen Dienste garantieren. Bei dieser Einschätzung stützt er sich auf die Ergebnisse einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie.

Auftragsbild verändert

Neue Wege der ­Objektfunkversorgung Dies sei umso wichtiger, da

Erläuterte die unterschiedlichen Aufgaben der Bereitschaftspolizei: Andreas Backhoff, Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder. Foto: BS/Giessen

für die Bereitschaftspolizeien. So müssten die Mittelbedarfe für die Grundausstattung festgelegt und Sondermittel für

sich das Auftragsbild der Bereitschaftspolizei zunehmend ändere, findet Uwe Lange. Die eingesetzten Beamten würden inzwischen auch zur Bewältigung lebensbedrohlicher Einsatzlagen sowie als Ergänzung des Streifendienstes zur Kriminalitätsverhütung und -verfolgung eingesetzt, so der Vizepräsident der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen.

“Störer statten Polizei aus” Verbesserung und Weiterentwicklung bleiben Daueraufgabe (BS/jf) Wer den Rechtsstaat schützt, verdient selbst den besten Schutz – die beste Ausrüstung und Ausstattung. In dieser Hinsicht sind sich Dienstherren, Polizisten und Personalvertreter einig. Jedoch gilt es, die Anforderungen klug zu definieren. “Fußballspiele enden in Revolten, bei Demonstrationen werden Molotowcocktails auf Polizisten geworfen, sogar sexuelle Angriffe auf Polizistinnen sind schon registriert worden”, berichtet Àngels Bosch Camprecios, Präsidentin von EuroCOP, über die aktuellen Zustände. Bei solchen Vorfällen müssen nicht nur die Spezialeinheiten bestmöglich ausgerüstet werden, sondern auch die Kräfte, die zuerst am Einsatzort sind – die Streifenpolizisten. “Die Ausstattung wird bestimmt durch die Lageentwick-

Aktuelle Themen des Digitalfunks der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) finden großen Widerhall. Das Anwenderforum auf dem diesjährigen Europäischen Polizeikongress des Behörden Spiegel in Berlin war wieder gut besucht. Foto: BS/Henske

lung”, ergänzt Heiko Teggatz, Bundesvorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft in der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). In Niedersachsen seien die Beschaffungsvorhaben der Polizei weitestgehend abgeschlossen, berichtet Thomas Adasch, MdL, Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Sport, CDUFraktion im Niedersächsischen Landtag. Unter anderem seien neue Westen zum Schutz gegen Langwaffen mit Hartkerngeschossen ebenso beschafft worden, wie neue Helme mit

der Schutzklasse eins, die auf den Einsatzfahrzeugen mitgeführt würden. Das ist nicht überall so. Und manchmal werde auch das falsche beschafft. Dr. Jörg Hennemann, Head of Marketing Police, Military & Competition Schmidt & Bender verdeutlicht dies am Beispiel von Zielfernrohrern für Langwaffen. Diese müssten bspw. bei minus 46 Grad ebenso eingesetzt werden können, wie bei plus 71 Grad, wenn sie zum Beispiel bei internationalen Polizeimissionen zum Einsatz kommen sollen.

In der bayerischen Landeshauptstadt München wird die Versorgung von Objekten, Bahnhöfen und Tunneln mit dem BOS-Digitalfunk auf Basis von Clustern erfolgen. Gemäß dem “Metropolenkonzept München” werden vor dem Rollout der Systemtechnik für die Objektversorgung technische Parameter für die Errichtung und Abnahme von Objektfunkanlagen sowie betriebliche Abläufe ausgiebig getestet. Das erklärt Andreas Zollbrecht vom Bayerischen Landeskriminalamt. Dass der auf der TETRA-Technologie basierende Digitalfunk der BOS noch eine Laufzeit von mindestens zehn Jahren haben wird, ist zum Schutz der getätigten Investitionen ausgemachte Sache. Die Erwartungen der BOS an die Restlaufzeit des TETRA-Funks skizziert Tobias Herr vom hessischen Polizeipräsidium für Technik. Sein Fazit: Es ist noch viel zu tun. Er nennt als Baustellen unter anderem die Feinjustierung der Funkversorgung, die Vorhaltung von Redundanzen, Netzhärtung und grenzüberschreitende Kommunikation. Nicht nur in solchen übergreifenden Lagen kommt es auf sicherheitskritische Kommunikation an. Hier könne die Industrie einiges bieten, wie Samuel Gustafsson, Head of Sales

Geräten berücksichtigt, wie Dr. Ralf Irmer von Vodafone erklärt. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage nach der Bereitschaft des Unternehmens, die Netzabdeckung künftig flächenorientiert vorzunehmen und damit auch den Forderungen der BOS Rechnung zu tragen. IT-Sicherheit erfordert in einer vernetzten und schnell wachsenden IoT-Umgebung ganzheitliche Lösungen mit hohem Automatisierungsgrad unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Stephan Kornrumpf von Ericsson weist aber darauf hin, dass das Vertrauen aller beteiligten Akteure eine wesentliche Rolle spiele. Daher sollten Aspekte wie das Rechts- und Wertesystem, in dem sich Behörden und Unternehmen bewegten, nicht vernachlässigt werden. Ebenso wichtig sei die sichere, mobile und energieautarke Breitbandkommunikation zwischen Einsatzorten und Lagezentren, wie der Geschäftsführer der VITES GmbH, Martin Gassner, unterstreicht. Hier könne das VIKOMOBIL, ein als Fahrzeuganhänger konzipierter mobiler Kommunikationsknoten, helfen.

griert werden. Die Herausforderungen beträfen nicht nur die Technik, sondern wirkten sich auch auf die Disponenten in den Leitstellen aus, so Wächter.

iPhones für Nordrhein-Westfalen

Vor einer Herausforderung steht auch die nordrhein-west­ fälische Polizei. Bis zum Früh­ jahr sollen alle ihre Behörden über insgesamt 20.000 besonders gesicherte iPhones verfügen, wie Thomas Roosen, Abteilungsleiter im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD), berichtet. Darauf befänden sich unter anderem Funktionen zur Fernadministration und einer Zwei-Faktor-Authentifizierung, ein Messenger, eine Auskunfts-App und ein Dokumentenscanner. Zahlreiche Geräte sind laut Roosen bereits seit vergangenem Frühjahr im Einsatz. Über die Auskunfts-App könne auf polizeiliche Datenbestände zugegriffen werden. Der Dokumentenscanner nutze beim Einlesen KI, so Roosen. Bisher ist die IT-Landschaft der Sicherheitsbehörden stark zersplittert. Zudem ist sie von Eigenentwicklungen, Sonderlösungen, Schnittstellen, unterschiedlichen Dateiformaten und Standardisierung erforderlich Erhebungsregeln geprägt. AbMit einem Appell an die Be- hilfe soll hier das Projekt “Polizei darfsträger wartet der stellver- 2020” schaffen. Damit dies allertretende Vorsitzende des PMeV, dings tatsächlich gelinge könne, Volker Hartwein, auf. Er fordert sei es unerlässlich, dass dies die Bedarfsträger der BOS auf, auch bei der Entwicklung der ihre Anforderungen an die Leit- mobilen Workflows Berücksichstellenanschaltung an ein 4G-/­ tigung finde, unterstrich der Ge5G-Netz zu formulieren und in samtprojektleiter des Projektes die internationalen Gremien “Polizei 2020”, Holger Gadorosi einzubringen. Nur so könne ein vom Bundeskriminalamt (BKA), eigenes 4G/5G-Netz der BOS im Rahmen des BOS-Anwenderseine volle Leistungsfähigkeit forums auf dem Europäischen entfalten. Es bestehe akuter Polizeikongress.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Februar 2020

Europol bietet viel

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en größten Einfluss auf das organisierte Verbrechen hatten die technologischen Innovationen. Insbesondere das Telefon und das Automobil erleichterten Kriminellen ihr Handwerk. Das Telefon ermöglichte ortsübergreifende Kommunikation und das Automobil war nicht nur eine interessante Ware für Autodiebe, sondern auch Fortbewegungsmittel, um landesweit Verbrechen zu begehen. Die Antwort der USA auf die neuen Rahmenbedingungen war die Gründung des Federal Bureau of Investigations (FBI), das befugt war, Staatsgrenzen im Rahmen der Ermittlungen zu überschreiten und technische Unterstützung für andere Behörden zu leisten.

Trends frühestmöglich ­erkennen Auch wir leben in einer Zeit vielfacher Veränderungen. Die Welle terroristischer Anschläge, neue Formen der Organisierten Kriminalität (OK) und die kriminellen Aspekte der Migrationskrise haben die europäischen Strafverfolgungsbehörden in den letzten Jahren in Atem gehalten. Nach wie vor nutzen Kriminelle bereitwillig neue Technologien und sie verändern dadurch die “Spielregeln” zu ihren Gunsten. Wenn Strafverfolgungsbehörden mit der OK Schritt halten wollen, müssen sie nicht nur aktuelle Technologien in ihre Arbeit integrieren, sondern auch Trends

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ußerdem wurden die Voraussetzungen für den Drohneneinsatz drastisch gesenkt und der CIA eine eigenständige Entscheidungs- und Einsatzkompetenz zugestanden. Diesmal hat es einen der wichtigsten Drahtzieher des internationalen Terrorismus getroffen: Quassim Soleimani. Der 63-jährige iranische Generalmajor der Al-Quds-Brigade wurde von Raketen einer amerikanischen MQ-9-Reaper-Drohne getötet. Der Luftangriff wurde von den USA als präventive Selbstverteidigungsmaßnahme dargestellt, um einen bevorstehenden Anschlag zu verhindern. Dafür müsste zudem die Dringlichkeit im Sinne der sogenannten Caroline-Kriterien vorliegen (“imminent attacks be-

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Europäische Herausforderungen für die Polizei des 21. Jahrhunderts (BS/Jürgen Ebner) Es war im Juni 1934, als die “Era of Public Enemies”, die Ära der Staatsfeinde, in den USA endete. In Chicago wurde der landesweit gesuchte Bankräuber John Dillinger, auch bekannt als Public Enemy No. 1, von Beamten des FBIs gestellt. Die Ära der Staatsfeinde war eine Folge der sich rapide verändernden Lebensbedingungen. Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Städte des Landes extrem gewachsen und mit der ansteigenden Bevölkerung wuchs auch die Zahl der Verbrechen. so früh wie möglich erkennen. Noch stärker als vor 100 Jahren ist die OK auch im 21. Jahrhundert mobil und im zunehmenden Maße international. Die EU hat grenzenloses Reisen ermöglicht und 3,5 Millionen Menschen überqueren jeden Tag eine der Binnengrenzen in der Europäischen Union. Die Vorteile des europäischen Binnenmarktes werden aber nicht nur von Europäerinnen und Europäern genutzt, sondern auch von Kriminellen missbraucht. Mindestens 5.000 unterschiedliche Gruppierungen der OK gibt es in der EU. Davon sind 70 Prozent in drei oder mehr EU-Mitgliedsstaaten aktiv und ihre Mitglieder kommen aus mehr als 180 Ländern. Die Zahlen zeigen es: Die Fragestellung, wie die internationale OK erfolgreich bekämpft werden kann, sollte in einem internationalen, europäischen Rahmen beantwortet werden.

Europol 1999 gegründet Die europäische Idee für die internationale Zusammenarbeit der Strafvollzugsbehörden

wurde zum ersten Mal vor 50 Jahren skizziert, mit der Gründung der Trevi-Gruppe durch die Innen- und Justizminister der Europäischen Gemeinschaften. 1992 ermöglichte der Vertrag von Maastricht die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten, wobei der Vertrag ausdrücklich auf ein Europäisches Polizeiamt Bezug nahm. 1997 wurde der Vertrag von Amsterdam unterzeichnet, mit dem die zwischenstaatliche polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit weiter gestärkt wurde. Im Sommer 1999 wurde Europol als Agentur der Europäischen Union gegründet.

Technologien bestimmen Das 21. Jahrhundert wird im zunehmenden Maße von Technologien bestimmt werden und diese Technologien werden unser Leben grundlegend verändern. Sie werden auch tiefgreifenden Einfluss auf die OK und die Ermittlungserfolge der Strafverfolgungsbehörden haben. Wie einst

das Telefon und das Automobil, so gibt es auch in unserer Zeit Technologien, die die Sicherheitslandschaft dynamisch beeinflussen werden. Zu nennen sind hier: Künstliche Intelligenz (KI), Quanten-Computer, 5G, alternative dezentrale Netzwerke, Kryptowährungen, und 3D-Drucker. Auch das Internet der Dinge wird eine entscheidende Rolle spielen. Um sowohl mit den Möglichkeiten als auch mit den Gefahren dieser neuen Technologien richtig umzugehen, müssen die Strafverfolgungsbörden in Europa ihren Blick in die Zukunft lenken. Und da alle Akteure sich bezüglich technischen Know-hows und Ressourcen mit derselben Situation konfrontiert sehen, würde es sich anbieten, dass Europol eine zentrale, koordinierende Rolle

Jürgen Ebner ist stellvertretender Exekutivdirektor von Europol. Foto: BS/Europol

im polizeilichen europäischen Forschungs- und Innovationsprozess einnimmt. So ist zum Beispiel innovative Technologie eines der Schlüsselthemen in Europols Strategie.

Dienstleistungen werden immer öfter genutzt Europol hat in den letzten zwanzig Jahren bewiesen, dass es der Dreh- und Angelpunkt internationaler, europäischer polizeilicher Zusammenarbeit ist. Jedes Jahr werden Europols Dienstleistungen stärker von den Strafverfolgungsbehörden

Ungeheures Eskalationspotenzial Gezielte Tötung birgt erhebliche Gefahren (BS/Uwe Kranz) Längst ist es unter islamischen Terroristen ein geflügeltes Wort, dass jemand “gedrohnt” worden sei, wenn er sein Leben bei einem Luftangriff der Allianz gegen den Daesh verlor. Es ist tausendfach passiert, bereits unter US-Präsident George W. Bush fingen die Drohnen­ exekutionen an. In der Amtszeit des Friedensnobelpreisträgers und US-Präsidenten Barack Obama wurde die Zahl der Drohneneinsätze exorbitant gesteigert (circa 100.000). Unter seinem Nachfolger Donald Trump wurde sie nochmals gesteigert.

Hunderten von Demonstranten 2019 auf der EU-Liste von als Ter- itischen PMF-Milizen (100.000 bis zum Jahreswechsel mit Brandan- roristen eingestuften Personen und 120.000 Kämpfer), die grausame schlägen auf die US-Botschaft in Organisationen. An seine Stelle Verbrechen an der sunnitischen Bagdad und letztlich der multiple trat unverzüglich Brigadegeneral Bevölkerung begingen, und die Raketenangriff (Typ Katjuscha) auf Bagdads Hochsicherheitsbereich. Dem gegenüber steht aber auch “Quassim Soleimani war eben nicht eine ähnliche Kette nicht minder “der Architekt” des schiitischen Terrors. Er war “bellizistischer” Vorfälle, verureher “der Polier” des schiitischen Terrors.” sacht durch die USA. Es ist müßig, sich zu streiten, wer begonnen hat. Dieser nunmehr zwanzigjährige Eskalationsprozess Ismaeil Gha‘ani (63), der fast zwei Terrororganisation Kata‘ib Hisdroht sich weiter Dekaden lang sein Stellvertreter bollah (KH). Des Weiteren steuzu verselbststän- war und nun zu seinem “Rächer” erte Soleimani Terroranschläge in digen. Die Trenn- werden könnte. Europa, wie etwa die gerade noch Uwe Kranz, Terrorismusexperte des Behörden Spiegel, linien zwischen verhinderten Morde exil-iranischer warnt vor den möglicherweiKrieg und Frie- Langes Sündenregister Oppositioneller in Dänemark, se heftigen Konsequenzen den, militärischer Die Al-Quds-Brigade ist auch Frankreich und Norwegen. Zudem gezielter Tötungen durch Terrorismusbe- keine Brigade der iranischen Re- ließ er iranische Terroragenten in Drohnen. Foto: BS/Dembrowsky kämpfung und volutionsgarde im üblichen Sinne. Deutschland jüdische beziehungsSicherheitspolitik Sie ist der Kern der Pasdaran. Sie weise israelische Anschlagsziele sind verwischt wie ist eine weitgehend autonome, ausspähen, die vermutlich im nie seit 9/11 be- zahlenmäßig relativ kleine Elite- Konfliktfall mit Israel infrage komziehungsweise seit einheit (15.000 Mann), die hohes 1979. Jeder nicht militärisches, wirtschaftliches und fore they occur”). Dafür haben diplomatische Schritt kann zum politisches Gewicht besitzt, auch die USA bis heute jedoch keinen Zündfunken für ein Pulverfass in der Hochfinanz und im Bankensystem. überzeugenden Beweis geliefert. werden. Sie ist die Zentrale für AusDas Vorgehen der USA dürfte sich offensichtlich nicht im Einklang Deutschland verstrickt landsaufklärung und für alle mit dem internationalen Recht Auch Deutschland steckt mitten Auslandseinsätze, zuständig für befinden. Nimmt man die Twitter- in dieser Problematik. Das völ- alle terroristischen Aktivitäten Warnung des US-Präsidenten hin- kerrechtlich höchst fragwürdige ihrer Verbündeten, Milizen und zu, 52 iranische Ziele angreifen zu Exekutionskommando erging zwar sonstigen “Proxies” in Afghanistan, wollen, darunter sehr hochrangige vom US-Präsidenten aus Washing- im Jemen, im Libanon, in Syrien, und wichtige iranische Kultur- ton. Die “Knöpfe” wurden jedoch in im Irak, in Israel – und in Europa. Soleimani soll im Auftrag des Ajagüter, sind längerfristig sogar der Kommandozentrale im rheindrastische Auswirkungen auf die land-pfälzischen US-Stützpunkt tollahs den russischen Eingriff in den syrischen “Bürgerkrieg” Entwicklung des Völkerrechts zu Ramstein gedrückt. Generalmajor befürchten. bewirkt haben. Soleimani war Er orchestrierZahlreiche Vorfälle “Auch Deutschland nicht irgendein te die Einsätze der Pro-AssadDie jüngste Kette “bellizistischer” General. Er unsteckt mitten in dieser Milizen und Vorfälle, die dem Iran zugeschrie- terstand direkt Problematik.” Terrorgruppen ben werden, begann mit dem Ab- dem Ajatollah während seiner schuss einer US-Drohne im Juni Ali Chameini, 2019 (angebliche Verletzung des mit dem er auch freundschaft- regelmäßigen Aufenthalte in Dairanischen Luftraums). Es folgten lich verbunden war, und fungierte maskus. Er koordinierte deren unter anderem das Kapern eines faktisch als “Verteidigungsminis- Einsätze mit denen der Assadbritischen Tankers, die vertrags- ter”. Er war der erste und einzige Armee und jenen der russischen widrige Erhöhung der Uranan- Träger des höchsten iranischen Unterstützungskräfte. Außerdem reicherung auf 20 Prozent, der Militärordens, dem Zolfaghar-Or- führte er de facto die Hisbollah Luftangriff auf die saudischen den. Er galt als wichtigster Mann im Libanon, die vom Iran masÖlanlagen in Abqaiq, der Einsatz im Mittleren Osten, als “Shadow sive Raketenlieferungen erhielt, von Haftminen in der Straße Commander”. Manche Analysten und unterstützte im Jemen die von Hormus, die vertragswidrige nannten ihn den “Architekten des Huthis mit Waffenlieferungen, Förderung von 2.000 Kilogramm Terrors” im Nahen und Mittleren Finanzmitteln und Ausbildung. Urangas, der gesteuerte Sturm von Osten. Zudem stand er seit Januar Zudem steuerte er im Irak die schi-

men könnten. Darunter befanden sich auch Botschaftsgebäude und Kindergärten, weshalb im Januar 2018 deutschlandweit eine Razzia durchgeführt wurde. Die beschlagnahmten Dokumente, Mobiltelefone und Computer sollten weitere Nachforschungen ermöglichen, über deren Ergebnisse aber keine weiteren Informationen bekannt wurden.

BfV warnt Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) warnt vor dem Iran als einem der Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionageaktivitäten und sieht den deutlichen Anstieg der Anhalts-

Serie TERRORZIELE (TEIL 38)

genutzt – so ist die Anzahl der Suchanfragen in Europols Datenbank (Europol Information System) im Jahr 2018 um 64 Prozent gestiegen. Europol hat 250 internationale Verbindungsbeamte im Haus und konnte im Jahr 2018 rund 1.750 internationale Fälle unterstützen. Gerade die aktive Unterstützung der Polizeien Europas bei komplexen und internationalen Ermittlungsverfahren der OK, zum Beispiel im Rahmen des 2019 erfolgreich etablierten Ansatzes der Konzentration auf sogenannte High Value Targets und auf Terrorismus, macht den Mehrwert Europols für die nationalen Strafverfolgungsbehörden deutlich. Die Europäische Union braucht vermutlich kein europäisches FBI, aber wir brauchen eine europäische Lösung auf die gesellschaftlichen und technischen Fragestellungen unserer Zeit. Europol ist europäisch, international und verfügt über ein hervorragendes Kooperationsnetzwerk mit der Privatwirtschaft. Mit seiner an Innovationen und Technologie ausgerichteten Strategie und seinem forensischen und analytischen Angebot für die EUMitgliedsstaaten kann Europol die europäischen Strafvollzugsbehörden darin unterstützen, die richtigen Antwort auf die polizeilichen Herausforderungen der Gegenwart zu finden.

punkte für proliferationsrelevante Beschaffungsversuche mit Sorge, vor allem im Raketensektor. Die “Krönung” des Ganzen muss man nun jedoch in den berichteten Aufrufen zum Mord am USPräsidenten sehen, verbunden mit einem Kopfgeld von 80 Millionen US-Dollar (schon während der Trauerfeiern in Ahwas und Maschad) beziehungsweise drei Millionen US-Dollar, öffentlich ausgelobt im iranischen Parlament. Quassim Soleimani war eben nicht “der Architekt” des schiitischen Terrors. Er war eher “der Polier” des schiitischen Terrors, der die Planungen des wahren Architekten Ajatollah Ali Chamenei umsetzte. Der “politische Mord” an Soleimani (Originalton von US-Präsident Donald Trump: “Ausschaltung”) könnte fast einer Kriegserklärung gleichkommen. Er wird sicher größere Kreise ziehen als Trump und seine Berater es geahnt haben. Vielleicht wird er sogar den NATOBündnisfall provozieren. Denn wenn der Iran offiziell US-Ziele angreift, ist dieser Angriff gemäß Artikel fünf des NATO-Vertrages ein Angriff auf alle Partnerstaaten.


Innere Sicherheit

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ahrelang verhandelten auf Abteilungsleiterebene das Bundesverkehrs(BMVI)-, das Bundeswirtschafts(BMWi)-, das Bundesinnen(BMI)- und das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) über eine Nutzungslösung der freien Frequenzen, nämlich über die Frage, ob diese ausgeschrieben oder den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zuteilwerden sollen. Auch auf der Staatssekretärsebene konnte bis dato keine Einigung erzielt werden. Das BMI und das BMVg, das mittlerweile auch zu Teilen das vorhandene Digitalfunknetz der Polizeien und Hilfsorganisationen mitnutzt, sind sich einig: Die frei werdenden Frequenzen sollen an die BOS gehen. Nun ist auf der Ebene der Bundesregierung Bewegung hineingekommen. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (beide CSU) verhandelt und nach Informationen des Behörden Spiegel eine Einigung pro BOS erzielt. Offen sind noch Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der sich qua Amt für die Energieversorger starkmachen muss. Diese wollen auf Basis der frei werdenden Frequenzen ein eigenes Netz für den Blackout, also den Notfall bei Stromausfall, aufbauen.

Harter Kampf Beide Lager kämpfen sowohl öffentlich wie auch hinter den Kulissen mit harten Bandagen. Die Polizei, die Bundeswehr und auch die Hilfsorganisationen wollen die Frequenzen für breitbandige Dienste nutzen. Die Energiewirtschaft verspricht sich aber wohl offenkundig auch von einem neuen eigenen Netz einen zusätzlichen Nutzen, nämlich die Datenübertragung für Smart Meter nach holländischem Vorbild. Die einen entwerfen Szenarien wie folgt: Der Rettungsdienst könnte über diesen Kanal Vitaldaten eines Verletzten aus dem Hubschrauber bereits vor Eintreffen an ein Krankenhaus liefern. Die Energiewirtschaft hingegen beklagt, dass ihr kein Netz für den Notfall zur Verfügung stehe, um die Versorgung der Bevölkerung mit Strom sicherstellen zu können. Die Sache scheint auf den ersten Blick zwischen diesen beiden Prämissen einfach zu lösen zu sein: entweder für den Staat oder für die Wirtschaft. Doch die Sache ist äußerst kompliziert, sowohl in technischer, föderaler wie auch wirtschaftlicher Sicht.

Behörden Spiegel / Februar 2020

Minister müssen jetzt entscheiden 450-MHz-Frequenzen: ministerieller Showdown (BS/Uwe Proll) Frequenzen sind physikalisch bedingt eine endliche Ressource, ein hart umkämpftes Gut. Seit fast drei Jahren streiten Energiewirtschaft und Sicherheitsbehörden um die Nutzung des zum 1. Januar 2021 frei werdenden Spektrums von 2 x 4,74 MHz im 450-MHz-Bereich. Die Hoffnung auf eine Einigung in den letzten Jahren blieb unerfüllt.

Die BOS sind zur Aufrechterhaltung ihrer Arbeitsfähigkeit auch in Krisensituationen zwingend auf eine verlässliche Abdeckung des BOS-Digitalfunks angewiesen. Foto: BS/kzenon, stock.adobe.com

Sie ist so komplex, dass nun wohl offensichtlich nur noch ein Ministerentscheid helfen kann. Die Innenministerkonferenz (IMK) hat hierzu im Dezember letzten Jahres einen Beschluss gefasst. Der Sprecher der SPDgeführten A-Länder, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und Lorenz Caffier für die CDUregierten B-Länder sowie der Bundesinnenminister sprachen sich für die Übernahme dieser Frequenzen durch die BOS aus. Doch haben die Länderinnenminister erst einmal die Rechnung ohne ihren nachgeordneten Bereich gemacht. Denn die mit den BOSDigitalfunkaufgaben betrauten Stellen in den Ländern haben sich erst vor wenigen Wochen gegen den Vorschlag der Bundesanstalt für den Digitalfunk der BOS (BDBOS) ausgesprochen, nämlich diese Frequenzen zu übernehmen und für den Notfall einen Sprechfunkkanal auf eben diesem Netz für die Energiewirtschaft einzurichten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, denn die Nach- und Umrüstung des derzeitigen BOS-Digitalfunknetztes erfordern nicht nur aktuell erhebliche Personal- und Finanzressourcen. Eine Öffnung für die Energiewirtschaft würde eine

weitere Belastung darstellen. In der Tat müssten für diesen Fall auch weitere technische Nachrüstungen erfolgen und auch mehr Personal in diese Stellen gesteckt werden. Ein weiteres Argument: Man wolle auf einem staatlich betriebenen Netz keine privaten Mitnutzer haben.

Mehrere Lager Aufseiten des Staates beziehungsweise der BOS gibt es zwei unterschiedliche Lager. Die Innenpolitik plädiert klar für die von der BDBOS vorgeschlagene Übernahme der neuen Frequenzen, die operative Ebene hält mit Argumenten der Ressourcenknappheit und der Trennung zwischen staatlichen sowie privaten Interessen auf einem Netz dagegen. Bundesinnenminister Seehofer hatte kürzlich die Präsidenten der Hilfsorganisationen sowie Vertreter der Polizei von Bund und Ländern zu einem Meinungsaustausch geladen. Ein taktisch kluger Schachzug, denn erwartungsgemäß sprachen sich alle Geladenen eindeutig für die Übernahme der 450-MHz-Frequenzen durch die BOS aus. Sie alle nutzen diesen sogenannten BlaulichtFunk. Allein hinter den Feuerwehren sowie den Hilfsorganisationen

stehen starke politische Kräfte in Ländern und Kommunen. Mit diesem Rückenwind verhandelte Seehofer nun mit seinem Parteikollegen Scheuer, der eine Teilaufsicht über die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat. Offensichtlich war man sich einig, dass die Frequenzen an die BOS gehen sollten. Die BNetzA ist für die Vergabe der Frequenzen zuständig und hat bereits eine Abfrage nach Anforderungen an alle potenziellen Nutzer der Frequenzen verschickt. Sie hat zudem den Auftrag, nach Prüfung eine Ausschreibung beziehungsweise Vergabe zu diesen Frequenzen zu starten. Vorbehaltlich allerdings einer Entscheidung der Bundesregierung. Sollte diese einer Vergabe widersprechen, würde die BNetzA ihre Ausschreibung stoppen. Das Pikante an der Sache ist, dass der Bundeswirtschaftsminister die Aufsicht über die Bundesnetzagentur führt, allerdings mit einer Ausnahme, nämlich der Fachaufsicht über die Frequenzvergabe. Die obliegt dem Verkehrsressort.

Mehrstufiges Modell präsentiert Eine weitere Frage ist, wie der Digitalfunk für Polizei, Teile der Bundeswehr (Amtshilfe im Katas-

Aufs Rad gekommen Drei hessische Universitäten bieten Radverkehr im Master-Studium an

trophenfall) und die Hilfsorganisationen in Zukunft technisch wie organisatorisch aufgestellt werden soll. Die BDBOS hat hier ein mehrstufiges Modell vorgelegt: den Ausbau des bisherigen BOS-Digitalfunknetzes sowie die Übernahme der 450-MHz-Frequenzen als eine Art Zwischen- und Rückfallposition für dann eine gänzlich neue Generation der Funk- und Datenkommunikation, die wohl am Ende des Tages auf Basis von LTE und ohne private Netzbetreiber nicht zu realisieren sein wird. Da reden wir aber über die 30er-Jahre dieses Jahrhunderts und gegebenenfalls über bis dahin möglicherweise völlig neu eingetretene technologische Entwicklungen. Betrachtet man die technische Ebene, wird es noch komplizierter. Eine Verlagerung der Dienste der Polizei und der Hilfsorganisationen in ein eigenes 450-MHz-Netz würde für alle Beteiligten Zusatzkosten verursachen. Zudem nutzen in zwölf der 16 Bundesländer die Polizeien bereits seit längerer Zeit für mobile Mitteilungsdienste und Workflows den kommerziellen

Der Präsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS), Andreas Gegenfurtner (hier im Interview mit dem Behörden Spiegel), fordert, die freiwerdenden Frequenzen im 450-MHz-Bereich ausschließlich den BOS zu widmen. Foto: BS/Giessen

Mobilfunk mit den am Weltmarkt gängigen Endgeräteportfolios. Eine Nutzung der BOS in dem angestrebten 450-MHz-Bereich würde somit bereits getätigte Investitionen der Länder infrage stellen und zudem auch Endgeräte mit geänderter Konfiguration erfordern. Das ist nicht profan, denn trotz der Tatsache, dass es 800.000 Nutzer derzeit auf dem von der BDBOS betriebenen Netz gibt und insgesamt zwei Millionen Kräfte bei Polizei und Hilfsorganisationen, sind dies jedoch verschwindend geringe Zahlen gegenüber den Produktionszahlen von Endgeräten im kommerziellen Markt.

(BS/pet) Das Fahrrad zählt zu den großen Gewinnern der ökologischen Wende. Laut Fahrrad-Monitor 2019 setzen derzeit 44 Prozent der Deutschen auf Pedal- statt auf die Kraft von Verbrennungsmotoren. Tendenz steigend. Dabei sind die infrastrukturellen Voraussetzungen in vielen Städten der Republik schon jetzt ausbaufähig. Es fehlt an gekennzeichneten Radwegen und Stellplätzen. Mit wissenschaftlicher Unterstützung soll sich BDBOS wollte mehr haben das nun ändern. So auch in Hessen, wo drei Universitäten Radverkehr nun als Studienfach anbieten. Technikexperten sehen zudem in Als Teil des “Nationalen Radverkehrsplans 2020” will das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unter Ägide von Minister Andreas Scheuer Radfahren in den Stand eines Universitätsfaches erheben.

Mit einem Fördervolumen von 8,3 Millionen Euro sollen bundesweit Stiftungsprofessuren geschaffen werden, an denen die Voraussetzungen für fahrradfreundliche Verkehrsbedingungen erforscht werden sollen. Die entsprechen-

den Verfahren zur Einrichtung der Lehrstühle sollen noch in diesem Jahr anlaufen, heißt es hierzu aus dem BMVI. Von insgesamt 33 Interessenten konnten sich letzten Endes sieben Universitäten durchsetzen, drei von ihnen stammen aus Hessen. Ausgezeichnet wurden neben der Universität Kassel die Hochschule RheinMain und die Frankfurt University of Applied Sciences, die im Bewerbungsprozess durch jeweils unterschiedliche Konzeptschwerpunkte überzeugen konnten. Über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren winken ihnen nun Fördergelder des Bundes. Nach Ablauf der Frist erfolgt die Folgefinanzierung in Eigenregie.

Führender Standort

Fahrrad auf dem Vormarsch: Derzeit zeigen sich viele Städte angesichts des erhöhten Fahrradaufkommens überfordert. Foto: BS/hpgruesen, pixabay.com

Die neu einzurichtenden Lehrstühle seien eine ideale Ergänzung zur hochkarätigen Forschung, die schon jetzt an hessischen Hochschulen betrieben werde, erklärt Wirtschafts-

ministerin Angela Dorn. “Bereits heute forschen unsere Hochschulen auf hohem Niveau zu Zukunftsthemen wie nachhaltiger Mobilität, Umwelt- und Klimaschutz sowie CO2-neutraler Produktion. Die drei Rad-Professuren ergänzen diese Arbeit und treiben den Forschergeist und die Anwendungskompetenz der Hochschulen weiter voran”, so die Ministerin. Fest stehe, dass eine ökologische Wende ohne wissenschaftlichen Beitrag nicht möglich sei. Dass indes gleich drei Universitäten ausgezeichnet worden seien, unterstreiche die Führungsposition des Hochschulstandortes Hessen in Fragen der Klima- und Mobilitätsforschung. Weitere Stiftungsprofessuren gehen an die Ostfalia Hochschule Wolfenbüttel, an die Technische Hochschule Wildau, an die Hochschule Technik und Wirtschaft Karlsruhe sowie an die Bergische Universität Wuppertal.

Deren Harmonisierung und Standarisierung, so sagen die Netzplaner der BDBOS, seien nicht vorhanden. Zudem sei die Nähe zu den Broadcast-Frequenzen so groß, dass neue Filtertechnologien erst entwickelt werden müssten, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. In der BDBOS weist man den Vorwurf der Nichtnutzung der 700-MHz-Frequenzen auch deswegen zurück, weil dort die Einschätzung vorherrscht, man bräuchte zusätzlich zu den bereits vorhandenen 4.700 Funkmasten weitere 6.000. Dies erfordere nicht nur große finanzielle Aufwendungen von Bund und Ländern sowie Hilfsorganisationen. Zudem gbe es zu fast jedem neuen Sendemast eine Bürgerinitiative, auch ein Unterfangen. Es gibt auch noch weitere Probleme und die liegen, wie immer, wenn es um Vergabe geht, im rechtlichen Bereich. Derzeit werden die Frequenzen im 450-MHz-Bereich von der Firma 450connect, aber auch zu Teilen von der Telekom gehalten. Die Energiewirtschaft und Unternehmen der Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) möchten mit dem aus Holland stammenden Unternehmen 450connect das Sicherheitskommunikationsnetz aufbauen. Doch welche Rolle wird die Telekom dabei spielen? Sie dürfte kaum freiwillig zusehen, wie die Energiewirtschaft parallel einen kommerziellen neuen Netzbetreiber in Deutschland aufbauen würde, also eine Konkurrenz.

der von der BDBOS angestrebten Hybridlösung für sicherheitskritische Kommunikation große technische Herausforderungen. Einige verweisen auf die 2 x 8 MHz im 700-MHz-Bereich. Dabei handelt es sich um Frequenzen, die den BOS 2017 zugewiesen wurden und die sich generell für ein Breitbandnetz nutzen ließen. Die Befürworter der Nutzung dieser Frequenzen beklagen, dass die BDBOS hier bisher seit dem Erhalt dieser Frequenzbereiche nichts unternommen habe. Zudem seien Endgeräte auch im LTE-Standard in dem 700-MHzFunknetz durchaus geeignet. Bei der BDBOS selbst wird das hingegen anders gesehen. Die dortigen Verantwortlichen wollten 2017 eigentlich einen “großen Brocken” aus dem seinerzeit zur Versteigerung anstehenden 700 MHz-Frequenzbereich haben. Stattdessen wurde der Großteil versteigert und spülte erhebliche Einnahmen in die Kasse des Finanzministers. Übrig blieben zwei Randbereiche.

Vergaberechtlich also eine schwierige Fahrt. Nach Informationen des Behörden Spiegel hat die Telekom intern ihre Rolle definiert. Für den Fall, dass die begehrten Frequenzen an die BOS gehen, wird die Telekom stillhalten. Für den Fall, dass sie ausgeschrieben werden, wird die Telekom sich ebenfalls an der Ausschreibung beteiligen, besonders mit dem Argument des Fortbestandes ihrer bereits hier getätigten Investitionen.

Politik ist gefordert Es zeigt sich: Die Dinge sind so verhakt, dass letztlich nur eine politische Entscheidung auf Ebene der Bundesregierung getroffen werden kann. Das macht auch schon das in Auftrag gegebene Gutachten des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) deutlich. Die Ausarbeitung kommt nämlich zu keinem Ergebnis, sondern stellt eigentlich beide Positionen als konträr dar. Trotz aller technischen Diskussionen, die für alle Lösungen ein Für und Wider kennen, ist es nun an der Politik, den gordischen Knoten zu lösen. Sie hat es in den letzten Jahren sträflich versäumt, genügend Frequenzen für die BOS zu sichern. Nun müssen beide berechtigten Bedürfnisse in Ausgleich gebracht werden. Die BOS wünschen einen Digitalfunk mit einem möglichen Datenverkehr. Die KRITIS-Betreiber wollen ein eigenes Notfallnetz. Seehofer will dazu zeitnah Gespräche mit Altmaier führen und eine Lösung finden. Am Ende bleibt nur noch eine Möglichkeit – ein Ministeroder gar der Kabinettsentscheid auf Bundesebene.


Behörden Spiegel / Februar 2020

Drohnen / Katastrophenschutz

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Mini-Drohnen im BOS-Einsatz

Bewusstsein für Drohnennutzung schaffen

Fluggeräte können Kräfte in zahlreichen Situationen unterstützen

Die Integration der neuen Teilnehmer am Luftverkehr

(BS/Franz Petter) Drohnen sind bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) ein neues, aufwachsendes Thema. Wie bei jeder Technik ist die Bandbreite der am Markt verfügbaren Drohnen groß und nimmt stetig zu. Damit verbunden steigt dann aber auch der Bedarf an Fortbildung und Datenschutz, je nach Einsatzzweck.

(BS/Moritz Bürger) Das vorrangige Ziel der Vereinigung Cockpit ist der Schutz der Luftfahrzeugbesatzungen und Passagiere, die Eindämmung von möglichen Kollisionsgefahren durch Drohnen sowie die Integration von unbemannten Luftfahrzeugsystemen in den Luftraum. Das heutige sehr hohe Sicherheitsniveau der bemannten Luftfahrt darf sich nicht durch die Einführung von unbemannten Luftfahrzeugsystemen verschlechtern.

Alle derzeitigen BOS-Drohnen haben eines gemeinsam: Bis eine Drohne mit einem qualifizierten BOS-Drohnensteuerer vor Ort ist, vergeht Zeit und der Einsatz “indoor” ist (vorerst noch) nicht vorgesehen. Das bedeutet, dass gerade in der Ersteinsatzphase, beispielsweise zur Menschenrettung, Drohnen nicht zur Verfügung stehen. Es wäre jedoch sinnvoll, eine Drohne vorauszuschicken, bevor man einen Angriffstrupp beispielsweise zur Personensuche in ein einsturzgefährdetes Objekt schickt. Dazu einige Beispiele: Nach einer Explosion in einem Gebäude ist unklar, ob sich noch Personen im Objekt befinden. Es besteht Einsturzgefahr. Es werden zur Suche und Rettung Einsatzkräfte unter Lebensgefahr eingesetzt. Oder: In einer großen Lagerhalle ist Gefahrgut vom Hochregal heruntergefallen, die Lage ist unklar. Zur Erkundung, ob sich noch Personen in diesem Bereich befinden und wie sich die Situation in der dunklen Lagerhalle darstellt, werden Einsatzkräfte unter Lebensgefahr eingesetzt.

Wertvolle Einsatzoption Für solche Situationen kann eine rasch verfügbare Mini-Drohne eine wertvolle Einsatzoption sein, denn sie kann im Handschuhfach mitgeführt werden und startet aus der Hand. Außerdem ist sie sehr kostengünstig und einfach zu bedienen. Der Absturz oder Verlust ist verschmerzbar. Nach zwei Jahren wird auf die nächste Mini-Drohnen-Generation umgestiegen. Also ideal für jede Feuerwehr. Denn man kann bereits

verschiedene Aufgabenstellungen beflogen. Auf der YouTube-Seite Oberbrandrat Mag. Franz Petter ist bei der Feuerwehr der Feuerwehr Hamburg tätig und engagiert Hamburg ist dasich dort unter anderem im zu ein Videoclip Bereich des Drohneneinsathinterlegt. Weitezes. re Erprobungen – auch bei realen Foto: BS/Feuerwehr Hamburg Einsatzlagen – erfolgen seither eine Erkundung beginnen, bevor kontinuierlich. Es ist geplant, die Drohne der Stützpunktfeu- zur Interschutz 2020 in Hannover die Erkenntnisse praktisch im erwehr eintrifft. Rahmen eines Workshops vorzuJede Innovation wird sofort stellen und das Projekt zum inhinterfragt: Ist der Einsatz von ternationalen Mobilitätskongress Mini-Drohnen überhaupt mach- 2021 in Hamburg abzuschließen. bar? Wer soll das bedienen? Wir haben kein Personal. Wie wird Teilweise ungeeignet der Datenschutz gewährleistet? Erst im letzten Jahr wurden die Hören die Chinesen mit? Kann gemeinsamen Regelungen für den ein Einsatz in explosionsgefähr- BOS-Drohneneinsatz publiziert. deten Bereichen überhaupt er- Die neuen Einsatzoptionen sind folgen? Fliegen die Mini-Drohnen dort auf jeden Fall zu berücksichauch bei Wind? tigen, denn die enthaltenen Regelungen sind teilweise ungeeignet Die Möglichkeiten, die sich für Mini-Drohnen. Insbesondere aus der Verwendung von Mini- favorisieren wir die StandardiDrohnen ergeben könnten, sind sierung der Aus- und Fortbilnoch weitgehend unerforscht. dung künftig durch Nutzung von Es ist jedoch davon auszuge- Virtual-Reality-Simulationsprohen, dass ein Großteil aller grammen. Dazu gibt es bereits Drohneneinsätze künftig durch kostenlose Software, die eine Mini-Drohnen erfolgen könnte. Simulation von Drohnenflügen Denn Mini-Drohnen sind mehr ermöglicht. Die Bedienung wird als ein Spielzeug. zunächst simuliert, erst wenn die Steuerung klappt, wird mit einer Regelmäßige Erprobungen echten Drohne geflogen. Damit Drohnen bei den BOS Um die vielfältigen Einsatzoptionen gründlich zu prüfen, wurde künftig zur Routine gehören, im Sommer 2019 das Projekt “Mi- müssen die Einsatzleiter über ni-Drohnen im BOS-Einsatz” ins die Einsatzoptionen informiert Leben gerufen. Das Kick-off fand sein. Derzeit ist das noch eine in der Feuerwehrakademie Ham- große Baustelle und auch die burg statt. Hier wurden praktisch Akzeptanz ist noch ausbaufähig.

Das größte Gefahrenpotenzial stellt dabei aktuell die große Masse der Hobbynutzer dar. Der Verband Unbemannte Luftfahrt geht von etwa 500.000 Drohnen in Deutschland aus, von denen nur circa 20.000 gewerblich genutzt werden. Durch die rasante technische Entwicklung ist es auch Laien mit wenig Aufwand und Einarbeitungszeit möglich, Drohnen zu erwerben und zu steuern. Da die Gesetzgebung lange Zeit hinterherhinkte, ist das notwendige Wissen teilweise nicht oder nur ungenügend vorhanden.

Drohnen kaum erkennbar Die private Nutzung von Drohnen bis maximal 25 Kilogramm ist seit Juli 2019 durch die EUVerordnung 2019/947 geregelt. Rein rechtlich sollten Drohnen durch Einflugverbote in Flughafennahbereiche und Höhenbeschränkungen sich nicht mit Verkehrsflugzeugen in die Quere kommen. Die Luftraum-Sperrungen in London Ende 2018 und Frankfurt Anfang 2019 haben aber gezeigt, was passiert, wenn Drohnen unwissentlich oder mit der Absicht, den Flugverkehr zu stören, in Flughafennähe geflogen werden. Diese Reaktion mag auf den ersten Blick unverhältnismäßig erscheinen. Für Piloten von bemannten Luftfahrzeugen sind Drohnen aber aufgrund ihrer kompakten Abmessungen nahezu unmöglich zu erkennen. Eine Studie in Großbritannien hat bereits 2016 festgestellt, dass Verkehrsflugzeuge höchstwahrscheinlich bereits von Drohnen

tikaler Flugbeschränkungen. Auch der Überflug von MenschenMoritz Bürger ist Mitglied der Arbeitsgruppe Remotely Piansammlungen, loted Aircraft System (RPAS) die Privatsphäbei der Vereinigung Cockpit. re betreffende Aufzeichnungen Foto: BS/privat oder der Flug außerhalb der Sichtweite zur Drohne sind erst mit einer Masse ab vier Kilogramm nach spezieller Risikobewertung kritisch beschädigt werden kön- (sogenanntes SORA – Specific nen. Dementsprechend hat der Operational Risk Assessment) Pilotenweltverband IFALPA 2018 oder behördlicher Genehmigung Empfehlungen veröffentlicht, wie erlaubt. bei einer Drohnensichtung zu BOS oft ausgenommen verfahren ist. Der Einsatz von Drohnen im Helikopter gefährdet Bereich BOS ist gemäß LuftverNoch anfälliger für Kollisionen kehrs-Ordnung von vielen Regeln mit Drohnen sind allerdings ausgenommen. Doch auch hier Helikopter und Kleinflugzeu- sind eine fundierte Ausbildung, ge. Selbst kleine Drohnen un- klare Verfahren, Einsatzvor- und ter einem Kilogramm Gewicht -nachbereitung, Koordination können katas­trophale Schäden mit der bemannten Luftfahrt anrichten. Hubschrauber sind (unter anderem mit den eigenen aufgrund ihres Einsatzspektrums BOS-Kollegen) und eine Risikoauch nicht selten in so niedrigen bewertung unerlässlich, damit Höhen unterwegs, dass sie dort der Sicherheitsgewinn des Drohsogar mit Drohnen in Konflikt neneinsatzes keine neuen Risiken kommen können, die sich an die verursacht. Die “Empfehlungen geltenden Höhenbeschränkun- für Gemeinsame Regelungen zum gen halten. Insbesondere Einsät- Einsatz von Drohnen im Bevölze von Behörden und Organisa- kerungsschutz” des Bundesamts tionen mit Sicherheitsaufgaben für Bevölkerungsschutz und Ka(BOS) sind hier zu nennen. tastrophenhilfe (BBK) sollten desDas Ziel muss es also sein, ein halb als Pflichtlektüre angesehen Bewusstsein bei den Nutzern und umgesetzt werden. zu schaffen, dass man auch mit Die Empfehlungen des BBK Drohnen am Luftverkehr teilnimmt und entsprechende Vor- können heruntergeladen wergaben befolgt werden müssen. den unter: www.bbk.bund.de/ Diese beschränken sich nicht DE/AufgabenundAusstattung/ nur auf Ausweichregeln oder die Krisenmanagement/Drohnen/ Einhaltung lateraler und ver- Drohnen_node.html .


Drohnen

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rohnen sind wertvolle Werkzeuge, besonders bei Anwendungen in der Industrie oder bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Ebenso bergen Drohnen Risiken – besonders für die bemannte Luftfahrt. 125 Behinderungen wurden 2019 von der DFS erfasst, 2018 waren es 152. Sogenannte Drohnendetektionssysteme sind ein Weg, um sensible Infrastrukturen wie Flughäfen vor Drohnen zu schützen. Marktübliche Drohnendetektionssysteme erkennen mittels einer Mischung verschiedener Sensoren wie Kamera, Radar oder hochempfindlichen Mikrofonen alle fliegenden Objekte in einem gewissen Umkreis. Eine Drohne, die auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens den Fortschritt auf einer Baustelle dokumentiert, würde von einem Drohnensystem ebenso erkannt werden wie eine Drohne, die unerlaubterweise in der Nähe des Flughafenzauns fliegt. Die Kernfrage lautet also, wie kooperative von nicht-kooperativen und damit potenziell gefährlichen Drohnen unterschieden werden können. Die Deutsche Flugsiche-

Differenzierung unbedingt erforderlich Verschiedene Drohnenarten müssen zuverlässig erkannt werden (BS/Thilo Vogt) Drohnen sind aus dem deutschen Luftraum nicht mehr wegzudenken. In Deutschland wie auch in den anderen europäischen Ländern existieren keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele unbemannte Fluggeräte sich aktuell im Luftraum bewegen, geschweige denn von wem sie betrieben oder gesteuert werden. Die DFS Deutsche Flugsicherung (DFS) geht von etwa 500.000 Drohnen im Umlauf aus, Entwicklung steigend. rung (DFS) und die Deutsche Telekom haben im vergangenen Jahr das Gemeinschaftsunternehmen Droniq gegründet, um zum einen Drohnen als neue Luftraumteilnehmer sicher und effizient in den deutschen Luftraum zu integrieren als auch zum anderen das wirtschaftliche und das Potenzial von drohnenbasierten Anwendungen im Rahmen der Digitalisierung insgesamt voll ausschöpfen zu können.

HOD entwickelt Im ersten Schritt werden Drohnen – die aktuell für andere Luftfahrtteilnehmer und die Flugsicherung unsichtbar sind – ortbar gemacht. Hierfür hat Droniq ein sogenanntes Hook-on-Device (HOD) entwickelt,

einer Live-Luftlage dargestellt. Außerdem stellt Droniq eine Bodensensorik zur Thilo Vogt ist Director Sales & Business Development bei Verfügung, die der Droniq GmbH. Signale von Hub schraubern, SegelFoto: BS/Droniq GmbH fliegern oder kleinen Flugzeugen im Nahbereich um einen Drohnenbetrieb aufnimmt ein streichholzschachtelgroßes und ebenfalls an die DFS sendet. LTE-Modem, das über das Mobil- Damit kann den Drohnensteufunknetz die Position der Drohne erern über die Live-Luftlage ein an die Server der DFS sendet. nahezu komplettes Bild über alle Diese wird dann zusammen mit relevanten Flugbewegungen zur dem relevanten bemannten Luftverkehr in einem UAS Traffic Management (UTM) verarbeitet und in

Drohnen werden zur Herausforderung für Sicherheitsbehörden (BS/Christoph de Vries) Spätestens seit ein Drohnenvorfall den Londoner Flughafen Gatwick für mehrere Tage lahmlegte, ist das Thema Drohnen und Zivilluftfahrt in aller Munde. Zumal es auch in Deutschland zu mehreren, glücklicherweise zeitlich begrenzteren, Sperrungen von Flughäfen aufgrund von Drohnen kam.

Verschiedene Ansätze ­erforderlich Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Großteil der Drohnennutzungen in Sperrgebieten versehentlich oder aus Unkenntnis passiert. Hier sind Aufklärung, die Ausrüstung von Drohnen mit Geofencing und die Beschilderung am Boden geeignete Mittel der Prävention. Bei einem terroristischen Angriff mit Drohnen hingegen helfen Warnhinweise, aber auch strafrechtliche Konsequenzen nicht weiter, hier ist die Fähigkeit der Sicherheitsbehörden zur Drohnendetektion und -abwehr gefragt. Daran wird derzeit mit großem Einsatz gearbeitet.

Bewusste Regelüberschreitung Es gibt aber eine dritte Kategorie von Drohnennutzungen im Flughafenumfeld. Diese wird von Personen ausgeführt, die sich der Rechtswidrigkeit des Handelns bewusst sind. Handelnder kann zum Beispiel ein entlassener Mitarbeiter sein oder eine Person, die immer mal einen Flughafen lahmlegen oder ein Flugzeug von Nahem filmen wollte. Es kann auch eine Aktivistengruppe hinter solch einem Verstoß stehen, die zum Beispiel gegen Flugreisen oder Fluglärm eintritt und die durch eine solche Aktion nicht zuletzt öffentliche Aufmerksamkeit erreichen will.

Verfügung gestellt werden – ein wichtiger Schritt für Sichtbarkeit und Sicherheit im unkontrollierten Luftraum.

Umfängliche Darstellung über UTM Aber nicht nur die kooperativen Luftraumteilnehmer, die eine Position abstrahlen, auch die nicht kooperativen Fluggeräte können über das UTM dargestellt werden. Denn das UTM ist zudem in der Lage, per Multisensordatenfusion als Eingangssignal auch die Sensordaten von Drohnendetektionssystemen zu verarbeiten – und das herstellerunabhängig.

So lässt sich für den Betreiber einer sensiblen Infrastruktur schnell feststellen, ob eine anfliegende Drohne mit HOD ­ausgestattet und damit eindeutig identifizierbar oder unbekannt und damit potenziell gefährlich ist. Dieser Datenabgleich ist für den Regelbetrieb eines Drohnendetektionssystems unabdingbar. In Tests konnte die Machbarkeit bereits nachgewiesen werden. LTE ist die beste Technologie zur Ortung, aber auch zur Steuerung von Drohnen und zur Übertragung von Payload-Daten wie Video- oder Fotodateien. Diese Infrastruktur ist bereits flächendeckend vorhanden. Mit der Verarbeitung der Signale im UTM findet zudem eine direkte Integration des unbemannten mit dem bemannten Verkehr statt. Das ist die wichtigste Voraussetzung für einen sicheren und nachhaltigen Drohneneinsatz.

Umfrage zur Drohnennutzung bei BOS

Brauchen wir härtere Strafen?

Die Drohnensichtungen im Umfeld von Flughäfen nehmen nach Angaben der Deutschen Flugsicherung von Jahr zu Jahr zu, und zwar in dem Maße, in dem die Verfügbarkeit leistungsfähiger Drohnen zu günstigen Preisen zunimmt. Dies bedeutet eine Gefahr, der wir auch politisch begegnen müssen. Themen sind dabei die Festlegung von Zuständigkeiten für Detektion und Abwehr, die Ausstattung von Drohnen zum Beispiel mit Transpondern, die Voraussetzungen des Erwerbs (Drohnenführerschein), die Registrierung, Flugverbote, aber natürlich auch die Verhängung von Bußgeldern bei Ordnungswidrigkeiten bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen.

Behörden Spiegel / Februar 2020

(BS/mfe) Zahlreiche Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) nutzen bereits unbemannte Flugsysteme. Die Systeme, die auch als Drohnen bezeichnet werden, sind sowohl bei Polizeien als auch bei Feuerwehren hierzulande schon im Einsatz. So nutzen etwa die Feuerwehren in Hamburg und Dortmund die Geräte. Aber unbemannte Flugsysteme sind längst noch nicht bei allen BOS in Deutschland in der Anwendung. Hier will die Droniq GmbH mithilfe einer Online-Umfrage Licht ins Dunkle bringen.

In Zusammenarbeit mit dem Behörden Spiegel werden die Befragten gebeten, unter anderem darüber Auskunft zu geben, aus welchem BOS-Bereich sie kommen und in welchem Bundesland ihre Dienststelle liegt. Des Weiteren werden sie gefragt, ob sie im Rahmen ihrer BOSAufgaben bereits Drohnen nutzen und, wenn ja, zu welchem Zweck. Zudem wird erfragt, wie lange und wie oft die unbemannten Flugsysteme bereits im Einsatz sind, wie viele von ihnen genutzt werden und wie schwer sie sind.

Hier der Link zur Online-Umfrage: https://tinyurl.com/uasbos

Noch Optimierungspotenzial vorhanden Detektion von Drohnen kann weiter verbessert werden (BS/Oliver Mayer) Sie sind einfach zu bedienen, fliegen schnell und können Lasten tragen: Drohnen sind heute für viele Menschen ein Hobby und auch die Industrie setzt sie ein. Drohnen können jedoch auch die Sicherheit Drohnen stellen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) gefährden – deswegen beschäftigt sich das Bundeskriminalamt (BKA) seit mehreren Jahren mit diesem Thema. vor bisher nicht bekannte Fragestellungen und Herausforderungen. Foto: BS/Fabian Horst, CC BY 2.0, flickr.com

Diese Personengruppen setzen sich bewusst über Verbote hinweg, sind aber gleichwohl sensibel gegenüber ordnungs- oder strafrechtlichen Konsequenzen

Christoph de Vries ist Bundestagsabgeordneter der CDU/ CSU-Fraktion und Mitglied im Innenausschuss. Foto: BS/privat

und natürlich auch gegenüber einem erhöhten Fahndungsdruck durch bessere Detektion und die Registrierung von Drohnen.

Bußgelder wirken ­abschreckend Es ist deshalb gut, dass schon heute Bußgelder bis zur Höhe von 50.000 Euro bei Verstößen gegen Flugverbote verhängt werden können. Dies wirkt meist abschreckend, auch wenn die Bußgelder in der Realität oft deutlich geringer ausfallen. Einzelpersonen mit hohen finanziellen Ressourcen oder Aktivisten, die die Öffentlichkeit für Spenden motivieren können, werden solche Kosten jedoch nicht abschrecken. Sie können zu relativ geringen Kosten einen volkswirtschaftlichen Schaden in Millionenhöhe anrichten und erhebliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen und sich selbst ­erzielen. Die mehrtägige Sperrung des Flughafens Gatwick richtete zum Beispiel nach vor-

sichtigen Schätzungen allein bei den Fluggesellschaften Schäden in Höhe von etwa 60 Millionen Euro an.

Lücke ­vorhanden Heute schon strafbewehrt ist der gefährliche Eingriff in den Luftverkehr nach Paragraf 315 Strafgesetzbuch (StGB). Dafür muss aber Handeln vorliegen, das eine konkrete Gefährdung bedeutet und einen Unglücksfall herbeiführen kann. Dass ein Drohnenflug über dem Vorfeld eines Flughafens oder in das Verbotszone dafür ausreicht, darf bezweifelt werden. Ein solcher Flug führt jedoch nicht selten zur Sperrung des Flughafens. Die Konsequenzen für die Passagiere und die wirtschaftlichen Schäden für die Luftverkehrswirtschaft sind erheblich. Insofern steht die Frage im Raum, ob man einen Sonderstraftatbestand schafft oder den Paragrafen 315 StGB, in dem der gefährliche Eingriff in den Luftverkehr geregelt ist, ergänzt, um eine strafrechtliche Abschreckung für solche Fälle zu erreichen. Dies müsste allerdings so erfolgen, dass man möglichst zielgenau reagiert und keine unerwünschten Nebeneffekte auftreten. Die Frage ist, ob dies möglich ist und, wenn ja, wie man am besten vorgehen kann. Dazu findet derzeit ein intensiver Austausch mit den zuständigen Ministerien statt. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn hier eine Lösung zustande käme, die diese Sicherheitslücke schließt und bei schweren Drohnenvorfällen auch strafrechtliche Konsequenzen vorsieht.

mit Drohnen. Die Sammelstelle registriert Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die von Drohnenbesitzern begangen wurden. Dies umfasst Fälle von unberechtigten Drohnenflügen, etwa über Flughäfen, militärischen Anlagen oder Justizvollzugsanstalten. Auch zu nahe Flüge an Wohngebäuden oder Menschenansammlungen sind verboten und werden hier registriert.

sind noch im Prototypenstatus, es gibt jedoch bereits Firmen, die ihre Produkte als fahrzeuggebundene Komplettlösung zum Erwerb anbieten. Erste auf dem Markt käufliche Systeme weisen dabei Funktionalitäten auf, die eine Vielzahl der von der Polizei gestellten Anforderungen hinsichtlich Detektion, Verifikation und Abwehr erfüllen könnten.

Der Gesetzgeber hat den Umgang mit Drohnen klar geregelt: Im April 2017 trat die Verordnung zur Regelung des Betriebs von unbemannten Fluggeräten in Kraft. Zudem hat die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) im Juni 2019 ein europa­ Keine Übersicht über weites einheitliches Regelwerk ­Vorkommnisse durch SPOC für Drohnen bekanntgegeben. Es Eine Übersicht über nationale sieht unter anderem eine Regisund internationale sicherheitsre- trierungspflicht für Modelle ab levante Vorkommnisse zu Vorbe- 250 Gramm sowie die Pflicht zur reitung, Versuch oder Durchfüh- Anbringung eines Zusatzgeräts für rung des Einsatzes von Drohnen die direkte Fernidentifizierung vor. als Tatmittel erstellt der SPOC Gesetzesänderungen sind wichhingegen nicht. Hierfür wurde tig, ändern jedoch nichts an der 2016 die “Informationssammel- Bedrohungslage, da potenzielstelle (ISa) Drohnen” bei der Polizei le Täter sich bekanntlich nicht Baden-Württemberg eingerichtet. von rechtlichen Restriktionen Diese sammelt seit dem 1. Juli abhalten lassen. Ein Aspekt, der 2016 Erkenntnisse über Vor- auch von der Industrie erkannt kommnisse im Zusammenhang wurde. So haben sowohl namhafte Rüstungsfirmen als auch mittelständische Unternehmen auf Oliver Mayer ist Leiter des Referates “Einsatztechnik” dem zivilen Sektor in der Abteilung “Operative die Detektion und Einsatz- und ErmittlungsunterAbwehr von Drohnen als “Business stützung” (OE) des Bundeskriminalamtes (BKA). Case” erkannt und entwickeln Foto: BS/BKA en t sp rech en d e Produkte. Einige dieser Systeme

Parallel dazu hat sich ein Dienstleistungsmarkt für die Detektion (und Abwehr, je nach Auftraggeber) von Drohnen als individuelle Lösung inklusive Service aus einer Hand entwickelt. Zwei Modelle zeichnen sich dabei ab: Etablierte Hersteller bieten ihre entwickelten Systeme nicht nur zum Kauf, sondern als “Rahmenvertrags-Option” an, die dann auch die Bereitstellung des Bedienpersonals beinhaltet. Demgegenüber bieten einzelne Sicherheitsfirmen Produkte von Drittanbietern verschiedener Firmen als individuelle Lösung an. Insgesamt kann man aus polizeilicher Sicht jedoch feststellen, dass hinsichtlich der technischen Entwicklung noch Optimierungspotenzial besteht. Verbesserungsbedarf sieht das BKA bei Faktoren wie Detektionsreichweite, -genauigkeit und -robustheit. Zudem muss die Kompatibilität mit nutzerfreundlichen Lagedarstellungssystemen weiter optimiert werden. Das BKA wird als “SPOC cUAS” diese Entwicklung weiterhin begleiten. Eine enge und auf den polizeilichen Bedarf abgestimmte Zusammenarbeit mit Forschung und Industrie ist daher auch künftig unabdingbar.

2016 wurde im BKA ein “Single Point of Contact” (SPOC) für den Bereich Drohnendetektion und -abwehr eingerichtet. Abgekürzt wird er als “SPOC cUAS”, ein Verweis auf die englische Bezeichnung für Drohnen (“Unmanned Aircraft System”). Im BKA ist diese Aufgabe in der Abteilung “Operative Einsatz- und Ermittlungsunterstützung” angesiedelt worden. Im zuständigen Referat wird dementsprechend Marktsichtung betrieben, die nationale Sicherheitsforschung im Bereich der Drohnenabwehr begleitet und der Erfahrungsaustausch mit Polizeibehörden der Bundesländer sowie mit Partnerbehörden im Ausland koordiniert.

Detektionsmarkt ist Umgang ist eindeutig geregelt ­entstanden


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Februar 2020

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Neues aus der Wehrtechnik Ausschreibung für das MKS 180

61. Bericht des Wehrbeauftragten

Neuer Betreibervertrag für das GÜZ

BAAINBw

Bundestag

BAAINBw

(BS/por) Die Bundeswehr beabsichtigt, für die Marine eine neue Generation von Kriegsschiffen zu beschaffen. Für die geplante Stückzahl von vier Einheiten des völlig neu zu entwickelnden und zu bauenden “Mehrzweckkampfschiffs 180” (MKS 180) mit einer Option, zwei weiteren Schiffe unter Vertrag zu nehmen, wurde 2015 ein europaweites Ausschreibungsverfahren begonnen. Nach drei Angebotsrunden ist die niederländische Schiffswerft Damen Schelde Naval Shipbuilding zum Sieger gekürt worden. Am Ende des Vergabeverfahrens hatten nur noch Damen und die deutsche Werft German Naval Yards (GNY) mit Sitz in Rendsburg Angebote abgegeben. Als Subunternehmer von GNY ist Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) vorgesehen gewesen. Neben dem niederländischen Schiffsbauer als Generalauftragnehmer sind bei dieser Beauftragung auch die Bremer Lürssen-Gruppe unter anderem mit ihrem Hamburger Tochterunternehmen Blohm und Voss sowie die Thales Group beteiligt. Die Auswertungsentscheidung der Vergabestelle ist allerdings noch nicht rechtswirksam und noch vorbehaltlich der parlamentarischen Billigung im Rahmen der 25-Millionen-Euro-Vorlage zu sehen, die eigentlich für dieses Frühjahr angestrebt worden ist. Da unterlegenen Bietern somit der Rechtsweg offensteht, hat GNY prompt angekündigt, davon Gebrauch machen zu wollen. “Nach gründlicher Prüfung haben wir uns entschieden, die Vergabeentscheidung zu rügen”, sagte ein Sprecher der deutschen Werft und fügte hinzu: “Wir haben erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung und werden deshalb alle juristischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, ausschöpfen.”

Das MKS 180 soll zukünftig das gesamte Einsatz- und Aufgabenspektrum der Deutschen Marine abdecken und neue Fähigkeiten vervollständigen. Hierzu gehört die Verteidigung gegenüber Angriffen aus der Luft sowie die Seekriegsführung gegen Überwasser-, Unterwasser- und Landziele. Der Zulauf der Einheiten ist ab 2027 vorgesehen. Damit soll nicht nur das maritime Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr vervollständigt, sondern auch ein wesentlicher Fähigkeitsaufwuchs für die deutschen Auslandseinsätze im Rahmen der NATO und der EU geliefert werden. Kern des MKS 180 ist dessen modularer Aufbau mit sogenannten “Flex-Decks”. Je nach benötigter Fähigkeit können zusätzlich Bordeinsatzkomponenten (zum Beispiel Bordhubschrauber) oder spezielle Missionsmodule eingerüstet werden. Die Bundeswehr bezeichnet diesen neuartigen Schiffstyp deshalb als “Allzweckwaffe” und als “Allrounder”. Die geplanten Baukosten belaufen sich auf zunächst rund 4,4 Milliarden Euro netto. Insgesamt ist für diese vier Einheiten (inkl. “Steinschiff” an Land für die Ausbildung) eine rund zehnjährige externe Baubegleitung mit einem Volumen von knapp sechs Milliarden Euro im Haushalt eingeplant. Die Planer der Marine kalkulieren für das MKS 180 eine Länge von zurzeit ca. 163 Metern bei einer Wasserverdrängung von bis zu 9.000 Tonnen. Zum Vergleich: Die Fregatten der neuesten “Baden-Württemberg”-Klasse, die seit 2011 gebaut werden, sind gut zehn Meter kürzer und fast 2.000 Tonnen leichter. Das MKS 180 soll eine Besatzungsstärke von bis zu 180 betragen. Mehr Informationen unter www. baainbw.de

So könnte das zukünftige Mehrzweckkampfschiff 180 aussehen. Grafik: BS/BAAINBw

Wesentliche Sicherheitsinteressen Er verwies in diesem Zusammenhang auf Art. 346 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) – des sogenannten “Lissabon-Vertrags”. Darin ist geregelt: “Jeder Mitgliedsstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Si-

samt prekären materiellen und personellen Ressourcen, “dass jetzt häufiger Soldaten nicht in Urlaub gehen oder Lehrgänge besuchen können; das betraf vor allem Piloten und Techniker”. Zu den Seestreitkräften stellt der Bericht fest: “Unsere Marine war nie kleiner als heute.” Trotzdem befinde sich die Durchführung von Materialerhaltungsvorhaben der Schiffe und Boote zum Erhalt der Einsatzfähigkeit “derzeit auf einem kritischen Pfad”. Ganz schwierig sei die Lage bei den großen Beschaffungsvorhaben: Schon jetzt würden bestehende Verpflichtungsermächtigungen im Verteidigungshaushalt es zulassen, diese anzuschieben. Aber: “Bislang fehlt es an den Entscheidungen, diese zu starten.” Geplante Verträge für die Beschaffung von mindestens vier Mehrzweckkampfschiffen (MKS) 180, für ein modernes deutsch-amerikanisches Luftverteidigungssystem als Nachfolger für das “Patriot”-System, die Beschaffung eines Nachfolgemusters für den Jagdbomber “Tornado”, die Notwendigkeit für neue schwere Transporthubschrauber als Nachfolger für den CH-53 und der Ersatz für die erste Generation des Eurofighters bewegten sich jeweils in der Größenordnung von mehr als fünf Milliarden Euro. Das Verteidigungsministerium habe jedoch keines dieser Großprojekte bis zum Jahresende auf den Weg gebracht. Dabei hätten die Verpflichtungsermächtigungen des Parlaments zum Bundeshaushalt immerhin zwei davon finanziell erlaubt. “Je länger Entscheidungen hinausgezögert werden, desto eher stauen sich die Projekte und geraten in Konkurrenz zueinander”, so der Bericht. Mehr Informationen unter www. bundestag.de

Laut des Jahresberichts des Wehrbeauftragten war nur ein Viertel der neuen Schützenpanzer “Puma” 2019 einsatzbereit. Foto: BS/Portugall

(BS/por) Das BAAINBw hat den schwedischen Konzern Saab Ende November des vergangenen Jahres mit der Unterstützung des Betriebs des Gefechtsübungszentrums Heer (GefÜbZH bzw. GÜZ) beauftragt. Gegen den Zuschlag an Saab hatte der bisherige Betreiber Rheinmetall Beschwerde eingelegt, die das Vergabeverfahren bis jetzt verzögert haben. Wegen dieser Verzögerungen hatte die Bundeswehr den laufenden Vertrag zweimal, zuletzt bis Ende Januar dieses Jahres, verlängert. Rund 120 Millionen Euro sind für den Betrieb des GÜZ von diesem Jahr an bis 2026 bereitgestellt. Die Leistungen umfassen die Verwaltung und Instandhaltung des gesamten Ausbildungsgeräts im Bereich “Live”-Simulation, der Kommunikationsinfrastruktur und der Übungsleitungszentrale. Außerdem soll Saab weitere logistische Dienstleistungen zur Verfügung stellen, wie bspw. die Wartung von Fahrzeugen und Funkgeräten, die Lagerung und Handhabung von Waffen und Munition sowie die Beförderung von Militärangehörigen. Für die Erbringung all dieser Leistungen hat Saab sich mit der Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft mbH (FFG) zusammengeschlossen. Das GÜZ ist die Ausbildungseinrichtung des Heeres und befindet sich in der Colbitz-Letzlinger Heide im Norden von SachsenAnhalt auf dem Truppenübungsplatz Altmark. Dieser zählt zu den großen Übungsplätzen in der Republik. Er steht mit einer Ausdehnung von 232 Quadratkilometern nach Bergen (Niedersachsen) und Grafenwöhr (Bayern) an dritter Stelle in Deutschland. Das Gefechtsübungszentrum hat seinen festen Platz in der Truppenausbildung vornehmlich der Landstreitkräfte für die Ausbildung in der Landes- und

Perspektive der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BS/por) Ein Jahreswechsel bietet stets die Gelegenheit, einen Ausblick auf das neue Jahr zu wagen. Dies gilt auch und gerade für die wehrtechnische Industrie hierzulande. Dr. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e. V. (BDSV), äußerte sich entsprechend auf einer Fachtagung Anfang Januar in Bonn. cherheitsinteressen erforderlich sind.” Diese Bestimmung solle auch und gerade für nationale Schlüsseltechnologien gelten. Aktuell befinde sich ein neues “Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland” in Arbeit. Im Juli 2015 hatte das Kabinett zuletzt ein solches – federführend vom Bundeswirtschaftsministerium und vom BMVg erarbeitetes – Dokument beschlossen. Ein zentraler Appell von Dr. Atzpodien lautete: “Die Unternehmen müssen sich darauf

Bezog für den BDSV Stellung: Dr. Hans Christoph Atzpodien.

einstellen können, was von ihnen erwartet wird.” Ein Fortschritt sei immerhin die Über-

Foto: BS/Portugall

arbeitung des Vertragsmusters “Beschaffungsvertrag” (B 070) durch das Bundesamt für Aus-

Bündnisverteidigung sowie für Einsätze in der internationalen Krisenbewältigung. Bei dieser Einrichtung sind rund 250 Zivilangestellte und mehr als 600 Soldaten beschäftigt. Damit ist das GÜZ der größte Arbeitgeber in der ländlich geprägten Altmark. Es ist im festen Verbund zu sehen mit dem künftigen Übungsplatz-Cluster BergenMunster sowie mit dem Ausbildungs- und Übungszentrum Luftbeweglichkeit in Celle Den Truppenübungsplatz Altmark übernahm die Bundeswehr 1994 von den russischen Streitkräften. Im Frühjahr 1996 erhielt STN Atlas Elektronik als Konsortialführer zusammen mit DASA/Dornier und Diehl von der Bundeswehr den Auftrag für die “Systemarbeiten Bauphase”, woraus die GÜZ System-/Management GmbH hervorging. 1997 erfolgte eine Mehrheitsbeteiligung von 51 Prozent an der STN Atlas Elektronik GmbH durch die Rheinmetall Defence Electronics GmbH (RDE) aus Bremen. Im Januar 2001 nahm das GÜZ schließlich seinen Betrieb auf. Nach der Endabnahme durch den Bund im Januar 2003 wurde der Betrieb des GÜZ allerdings neu ausgeschrieben. Diesmal unterlag STN Atlas Elektronik bzw. Rheinmetall Defence Electronics. Zwischen 2004 und 2008 kamen somit Saab und die FFG erstmalig zum Zuge. Der Betreibervertrag wurde dann im Mai 2008 wieder mit dem Rheinmetall-Tochterunternehmen Rheinmetall Dienstleistungszentrum Altmark GmbH (RDA) geschlossen. Dieser Vertrag brachte dem Unternehmen jährlich rund 20 Millionen Euro. 2014 erfolgte eine Verlängerung mit einer Laufzeit bis Ende August 2018. Mehr Informationen unter www. baainbw.de

Panzergrenadiere der Bundeswehr üben in “Schnöggersburg”, das Teil des Gefechtsübungszentrums des Heeres ist. Foto: BS/Bundeswehr, Mechelke

Impulse des BDSV

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ichtige Themen, die den Verband auch 2020 umtrieben, seien “Ansehen der Branche in Politik und Gesellschaft” sowie “Rüstungsexporte”. Insbesondere militärische Schlüsseltechnologien könnten von der Industrie nur vorgehalten werden, wenn diese auch ausgeführt werden dürften, da die rein nationale Nachfrage zu gering sei.

(BS/por) Ende Januar hat der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels, den neuen Jahresbericht seines Amtes vorgestellt. “Die angekündigten Trendwenden für mehr Personal und Material lassen auf sich warten”, sagte er aus diesem Anlass. Das dafür notwendige Geld fehle nicht, aber die erforderlichen Prozesse und Strukturen müssten angepasst werden. Es fehle eine innere Reform weg von der Zentralisierung. Immerhin: “Unter Anspannung aller Kräfte ist die Bundeswehr in der Lage, ihren Auslandsverpflichtungen nachzukommen”, so Dr. Bartels. Gerade die Bereitstellung von Material bleibe eine “Riesenbaustelle”, so der Wehrbeauftragte bei der Vorstellung seines Berichtes. Trotz des steigenden Budgets für rüstungsintensive Ausgaben seien im Berichtsjahr 2019 rund 1,1 Milliarden Euro nicht wie geplant ausgegeben worden, weil sich große Rüstungsprojekte weiter verzögert hätten. Im Bericht selbst ist nachzulesen: “Die Trendwende Material hat bis heute noch nicht zu spürbaren Verbesserungen geführt.” Zum Beleg wird aus einer Meldung zur Materiallage des Verteidigungsministeriums zitiert, wonach es bisher nicht gelungen sei, “die materielle Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme deutlich zu verbessern”. Nach Zahlen aus dem BMVg zur Einsatzbereitschaft soll zum Beispiel im vergangenen Jahr von 284 eingekauften neuen Schützenpanzern “Puma” nur ein Viertel einsatzbereit gewesen sein. Immerhin: Beim Mehrzweckkampfflugzeug Eurofighter konnte im Berichtsjahr die Zahl der Flugstunden endlich wieder erhöht werden. Der Bericht nennt dies einen “Lichtblick”. Allerdings bewirkten die insge-

rüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) gewesen. Es betreffe Beschaffungen unterhalb der Schwelle von 25 Millionen bis 500.000 Euro brutto. Beim gegenseitigen Vertrauen zwischen der Amtsseite und der wehrtechnischen Industrie sei “noch Luft nach oben”. Was immer noch fehle, so Dr. Atzpodien, sei ein “neutraler Projektsteuerer”, der vom BAAINBw eingesetzt würde. Der BDSV unterstütze ausdrücklich die europäische Rüstungskooperation. Bei Schlüsseltechnologien sollte Deutschland

sogar die Führung bei EU-Vorhaben übernehmen. Deshalb solle diese Zusammenarbeit nicht nur von Brüssel aus geplant und umgesetzt werden, sondern auch von Berlin aus.

Öffentliches Ansehen eingefordert Abschließend betonte der Hauptgeschäftsführer des Interessensverbandes, dass seine Branche einem verfassungsmäßigen Auftrag diene, indem sie die Streitkräfte darin unterstütze, deren Verteidigungsauftrag nach Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz zu erfüllen. Die deutsche Industrie betreibe kein unmoralisches “Geschäft mit dem Tod”. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Nachhaltigkeitsdebatte würde bei Aktienfonds bereits damit geworben, dass damit keine Waffen hergestellt würden.


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ehörden Spiegel: Seit dem NATO-Gipfel von Wales stehen die Zeichen bei der Bundeswehr wieder auf Wachstum. Wie ist es um die deutsche Verteidigungsindustrie als Partner der Bundeswehr bestellt?

Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Februar 2020

Wettbewerbsfähigkeit zurückgefallen Studie zur Zukunft der deutschen Verteidigungsindustrie

global ausgeschrieben werden und somit Marktverfügbarkeit, Kosten und Systemfähigkeit die Beschaffungsentscheidung wesentlich prägen.

(BS) Im vergangenen Jahr hat das Strategieberatungsunternehmen PwC Strategy& Deutschland GmbH mit Sitz in Düsseldorf, Tochtergesellschaft Behörden Spiegel: Wie kann des Consulting-Unternehmens Pricewaterhouse Coopers (PwC) aus Frankfurt am Main, hat die 16-seitige Studie “Die Zukunft der deutschen Ver- die Politik die RahmenbedingunDr. Wille: Nach dem Ende des teidigungsindustrie” vorgestellt. Einer der Autoren dieser Studie, Dr. Jan H. Wille, gab dem Behörden Spiegel dazu ein ausführliches Interview. gen verbessern? “Kalten Krieges” hat nicht nur die Die Fragen stellte Dr. Gerd Portugall.

Dr. Wille: Durch die Förderung von Forschung und Technologie kann die Politik die Verteidigungsindustrie dabei unterstützen, industrielle Fähigkeiten auszubauen sowie neue Kompetenzen zu entwickeln. Zudem wäre die gezielte Vergabe von Projekten an nationale Champions wünschenswert, ebenso wie die aktive Unterstützung beim Export. Ein weiterer Punkt ist aus unserer Sicht die Definition von Führungsrollen in internationalen Programmen, die dann auch politisch eingefordert werden müssen.

Bundeswehr sukzessive Kapazitäten und Fähigkeiten abgebaut, sondern auch die deutsche Verteidigungsindustrie. Zwar konnte der zunehmende Exportanteil den Abbau etwas abfedern, aber in Summe ist auch die Industrie geschrumpft. Bei der Bundeswehr ist nun zu beobachten, wie herausfordernd es ist, nach Jahren der Reduktion plötzlich wieder auf ambitioniertes Wachstum umzuschwenken. Die Bundeswehr ist, nachdem sie gehörige Wachstumsschmerzen durchlitten hat, mittlerweile aber auf einem guten Weg. Das zeigt auch die hohe Zahl an sog. “25-Millionen-Vorlagen” des BMVg. Diese neuen und teilweise großen Aufträge treffen auf eine Industrie, die auf dem aktuell niedrigen Niveau allerdings bereits heute sehr gut ausgelastet ist.

Behörden Spiegel: Angesichts all dieser Herausforderungen – wo sehen Sie die deutsche Verteidigungsindustrie in zehn Jahren?

Behörden Spiegel: Die hohe Auslastung hat allerdings auch Schattenseiten. Was sind die größten Herausforderungen, die sich daraus ergeben? Dr. Wille: Um bei den anstehenden Großprojekten lieferfähig zu sein, muss die Industrie rasch Entwicklungs- und Produktionskapazitäten aufbauen und Kompetenzen in neuen Technologiefeldern entwickeln. Letzteres betrifft insbesondere die “Systems of Systems”-Fähigkeit, also die Einbindung der einzelnen Plattformen in übergreifende, komplexe Informations- und Wirkverbünde. Dazu gehören übrigens zunehmend auch autonome Systeme. Darüber hinaus müssen europäische Kooperationen vorangetrieben werden, um die Zahl der unterschiedlichen Waffensysteme, die in der EU genutzt werden, reduzieren zu können. Dieses Ziel wurde insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Großprojekte “Future Combat Air System” (FCAS) und “Main Ground Combat System” (MGCS) von politischer Seite formuliert. Die Herausforderung bei derartigen Kooperationen liegt oftmals darin, dass die Verteidigungsindustrie in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland sehr unterschiedlich aufgestellt ist. Vor allem die verschiedenen Organisationsformen, Eigentümerstrukturen und auch der Grad der politischen Einflussnahme machen solche Vorhaben nicht einfach. Behörden Spiegel: Auch die Digitalisierung ist ein wesentlicher Einflussfaktor und führt zu Veränderungen in allen Bereichen der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung. Was bedeutet das speziell für die Verteidigungsindustrie? Dr. Wille: Zunächst einmal werden technisch ausgereifte Plattformen, deren Entwicklung eine Stärke der deutschen Industrie ist, natürlich auch weiterhin wichtig sein. Jedoch wird die informationstechnische Vernetzung zwischen diesen Plattformen sowie die Speicherung und algorithmische Verarbeitung der gigantischen Datenmengen, die dadurch generiert werden, zunehmend in den Mittelpunkt rücken. Die klassischen Technologiefelder der Verteidigungsindustrie – Schutz, Wirkung und Kommunikation – verschmelzen zunehmend mit der IT, die von deutlich schnelleren Innovationszyklen geprägt ist. In der Entwicklung wehrtechnischer Produkte, aber auch in den Beschaffungsprozessen des öffentlichen Auftraggebers, ist Agilität daher der Schlüssel für den Er-

BU: Als “System of Sytems” konzipiert: das Großprojekt “Future Combat Air System” (FCAS) von Dassault und Airbus (im Vordergrund Marschflugkörper von Airbus und MBDA). Foto: BS/Portugall

industrie deutlich zurückgefallen. Unter den weltweit zehn größDr. Jan H. Wille ist Partner bei Strategy& Deutschland, ten Rüstungsder Strategieberatung von unternehmen ist PwC, im Bereich Sicherheit kein einziges rein und Verteidigung. deutsches Unter nehmen vertreten, Foto: BS/PwC unter den Top 100 befinden sich nur noch vier deutsche halt der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Im Gegensatz dazu deutschen Verteidigungsindustrie. ist die internationale Branche in Daneben steht die Branche aller- den vergangenen Jahren u. a. dings nicht nur vor der Aufgabe, durch Übernahmen und Fusionen ihre Produkte, Lösungen und gewachsen und profitiert nun von Dienstleistungen zu digitalisieren, Skaleneffekten in der Entwicklung sondern auch die Cyber-Sicherheit und Produktion neuer Systeme. Deutschlands eher mittelstänzu gewährleisten. disch geprägte VerteidigungsunBehörden Spiegel: Das klingt ternehmen sind im Zuge der internach großen Aufgaben für die In- nationalen Marktkonsolidierung dustrie. Was sind dabei die we- hingegen relativ kleiner geworden. sentlichen Erfolgsfaktoren für eine Häufig spezialisieren sich hiesige gelingende Digitalisierung? Anbieter auf die Technologieführerschaft bei Nischenprodukten. Behörden Spiegel: Was sollten Dr. Wille: Ohne digitales Knowhow wird sich langfristig kein Un- deutsche Unternehmen tun, um ternehmen erfolgreich behaupten ihren Größennachteil auszugleikönnen. Darum sagen wir auch chen? in unserer aktuellen Studie zur Zukunft der deutschen VerteidiDr. Wille: Die geringe Grögungsindustrie ganz deutlich: Die ße muss kein Nachteil sein. Digitalisierung muss ein Teil der Deutschland nimmt beim indusDNA der Verteidigungsindustrie triellen Internet im Zusammenwerden. Das bedeutet, dass die hang mit der Industrie 4.0 bereits Unternehmen dazu in der Lage in vielen Feldern eine Vorreitersind, neue, innovative Produkte rolle ein. Wenn es der deutschen mit kurzen Entwicklungszeiten Verteidigungsindustrie gelingt, und flexiblen, bedarfsorientier- dieses Momentum auch auf ihre ten Geschäftsmodellen auf den Produkte zu übertragen, dann Markt zu bringen. Dabei muss die könnte sie durchaus gestärkt Verteidigungsindustrie auch die aus dem laufenden strukturellen Zusammenarbeit mit innovativen Wandel hervorgehen. Das erforTechnologieunternehmen voran- dert allerdings entschiedenes treiben, um Themen rund um Big Handeln und auch signifikante Data oder Künstliche Intelligenz Investitionen in die neuen Techin digitale Service-Angebote um- nologien. Dazu werden verstärkt zuwandeln. Wichtig ist hierbei Kooperationen zwischen den die Digitalisierung in die Nutzung Unternehmen nötig sein. Dies zu bringen und dabei einheitli- ließe sich sowohl über eine enge che Datenmodelle sowie Daten- Zusammenarbeit über Länderschnittstellen auf Industrie- und grenzen hinweg als auch durch die Definition von industriellen Nutzerseite zu etablieren. Schwerpunkten realisieren. Aber Behörden Spiegel: Wie steht es auch hier sollten Konsolidierunum die Wettbewerbsfähigkeit der gen als Folge nationaler oder deutschen Industrie im weltweiten multinationaler Kooperationen Vergleich? in gemeinsamen Programmen nicht ausgeschlossen werden. Dr. Wille: Im Vergleich zu den großen amerikanischen Firmen Behörden Spiegel: Eine leisund der Konkurrenz aus China tungsfähige wehrtechnische Inist die deutsche Verteidigungs- dustrie liegt im deutschen sicher-

heitspolitischen Interesse. Was ist auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers zu tun? Dr. Wille: Aus unserer Sicht ist ein gemeinsamer Ansatz zwischen öffentlichem Auftraggeber und Industrie sinnvoll. Die nationale Verteidigungsindustrie sollte frühzeitig und eng in den geplanten Fähigkeitsaufwuchs eingebunden werden. Dabei sollten jedoch neben den traditionellen Vertretern auch Fir-

men aus der Start-up-Branche sowie Informations- und Technologieunternehmen in den Dialog zur künftigen Ausrüstung aufgenommen werden. Dieser gemeinsame Ansatz ist insbesondere dort wichtig, wo es um definierte deutsche Schlüsseltechnologien geht. In anderen Technologiefeldern kann der Innovationsdruck auf die Verteidigungsindustrie erhöht werden, indem Beschaffungsprogramme weiterhin europaweit oder

Dr. Wille: Im Zuge der steigenden deutschen Verteidigungsausgaben wird der hiesige Markt auch für ausländische Verteidigungsunternehmen zunehmend attraktiver. Dadurch steigt der Wettbewerbsdruck auf die deutschen Anbieter. Diejenigen Unternehmen, die heute nicht entschlossen genug den technologischen Wandel adressieren und sowohl mit klassischen als auch neuen Wettbewerben im In- und Ausland kooperieren, werden es in dieser Situation langfristig schwer haben. Im Gegensatz dazu können Unternehmen, die sich mit klaren strategischen Richtungsentscheidungen klug positionieren, durchaus gestärkt aus dem laufenden Umbruch hervorgehen. Damit können sie sich langfristig als vertrauensvoller Partner der Bundeswehr positionieren, den diese für eine zukunftsfähige Ausrüstung der Streitkräfte dringend benötigt.

Einsatznahe IT Betreuung von HaFIS übernommen (BS/Dr. Gerd Portugall) Die Bundeswehr hat die BWI mit dem Service-Management für die “Harmonisierung der Führungsinformationssysteme” (HaFIS) der Streitkräfte beauftragt. In den kommenden vier Jahren soll sie die Bundeswehr bei der Systempflege der streitkräftegemeinsamen Plattform unterstützen. Seit Jahresbeginn unterstützt die BWI GmbH die Bundeswehr bei der Systempflege von HaFIS. Im Dezember des letzten Jahres schlossen das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) sowie die BWI einen Vertrag für die kommenden vier Jahre. Die Leistungen reichen vom Betrieb von Unterstützungssystemen, wie zum Beispiel Integrations-, Test- und Ausbildungsanlagen, über das “Incident”- und ProblemManagement bis zum Vor-OrtService für das “Afghan Mission Network” im Einsatz. Außerdem wird die BWI Beratungsleistungen für die Systemarchitektur erbringen und verantwortlich für das Service Operation Management sein, also die Koordination der Kundenbetreuung von First, Second und Third Level Support für die HaFIS-Systempflege. Mit der Übernahme von Serviceleistungen im Bereich der einsatznahen IT beabsichtigen die Bundeswehr und der IT-Dienstleister eine schrittweise “Service Transition” in das Portfolio der BWI. Zudem sollen ab 2025 Prozesse in ein gemeinsames, kooperatives Betriebsmodell überführt werden. Darüber hinaus ergeben sich durch die Beauftragung Synergien für weitere HaFIS-Projekte und parallel laufende Vorhaben, wie zum Beispiel im Bereich Einsatz

Baut ihre Zusammenarbeit mit der Bundeswehr beständig aus: die BWI GmbH. Foto: BS/Portugall

und Übungen, der Digitalisierung landbasierter Operationen (DLBO) oder dem HaFIS-Folgeprojekt “German Mission Network”. Außerdem kann die Bundeswehr mit dem Vertrag weitere Leistungen bei der Inhouse-Gesellschaft des Bundes abrufen. Seit November vergangenen Jahres unterstützt die BWI bereits bei der Erarbeitung von Datenschutzund IT-Sicherheitskonzepten für das HaFIS-Projekt. Die Harmo-

nisierung der Führungsinformationssysteme gehört zu den “richtungsweisenden Digitalisierungsprojekten”, bei denen die BWI die Bundeswehr begleitet, erklärte Martin Kaloudis, “Chief Executive Officer” (CEO) der BWI. Dazu zählten unter anderem auch die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr, die Neuentwicklung des Krisenvorsorgeinformationssystems und D-LBO.


Verteidigung

Behörden Spiegel / Februar 2020

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ehörden Spiegel: Auf welche besonderen Erfahrungen blicken Sie in Ihrer Amtszeit als Inspekteur des Heeres zurück?

Vollmer: Ich übernahm 2015 den – bildlich gesprochen – “Großtanker Heer” in einer Zeit, als wir mit voller Fahrt in Richtung des Internationalen Krisenmanagements liefen. Die Ukrainekrise 2014 zwang uns jedoch zu drastischen Kurskorrekturen auf politischer Ebene, welche sich in den Beschlüssen der NATO von Wales, Warschau und Brüssel als unmittelbare Aufträge zur Refokussierung auf die Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung an unsere Streitkräfte niederschlugen. Aufgrund der geopolitischen Lageänderung kommt Deutschland und insbesondere seinen Landstreitkräften wieder eine herausgehobene Rolle zu, die Wiedergewinnung der im wahrsten Sinne des Wortes “Kriegstüchtigkeit” des Deutschen Heeres steht seitdem wieder im Fokus. 2015 waren wir deshalb mit kurzen Zeitlinien gefordert, weitreichende Richtungsentscheidungen zu treffen. Der eingeschlagene Kurs hat sich im Rückblick als richtig erwiesen, aber so ein “Großtanker” wie das Deutsche Heer wendet nun nicht mal unmittelbar und auf der Stelle. Ich bin stolz darauf, dass wir bei enhanced Forward Presence in Litauen mit unseren Partnern die Ersten waren, die den Beschluss von Warschau umsetzten und mit eigenen Kräften im Baltikum präsent waren, um Bündnissolidarität zu zeigen und unseren Beitrag zur glaubhaften Abschreckung in der NATO zu untermauern. Auch die Aufstellung der VJTF (L) 2019 (Very High-Readiness Joint Task Force – Land) und die Verlegung der gesamten multinationalen Brigade unter deutscher Führung nach Norwegen im Rahmen der Zertifizierungsübung “Trident Juncture” war eine wichtige und besondere Erfahrung in diesem Zusammenhang. Hier wurde viel geleistet und ja, es war schwierig und bleibt schwierig. Behörden Spiegel: In wieweit haben sich Ihre Erwartungen mit Blick auf die Umsetzung des “Plan Heer” (VJTF (L) 2023 und Division 2027) bislang erfüllt? Vollmer: Wir haben den Plan Heer entwickelt, um unsere Bedarfe aufzuzeigen und den Weg zu beschreiben, wie es gelingen kann, die Zusagen, welche das Bundesministerium der Verteidigung dem Bündnis gegenüber verbindlich angezeigt hat, bis zum Jahr 2031 einzulösen. Und zwar so modern und überlegen ausgestattet, dass unsere Großverbände auf dem Gefechtsfeld der nahen Zukunft durchsetzungsfähig sind und einem gleichwertigen Gegner jederzeit die Stirn bieten können. Dazu müssen die erforderlichen Finanzmittel

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rklärtes Ziel der Veranstaltung war es, die wichtigsten Führungskräfte aus Bundeswehr und BMVg auf die kommenden Herausforderungen einzustimmen. Die letzte Bundeswehr-Tagung hatte im Mai 2018 stattgefunden.

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Den Blick zurück, den Blick nach vorne Der Inspekteur des Heeres wechselt als Vier-Sterne-General zur NATO (BS) Mitte Februar wird Generalleutnant Jörg Vollmer aus dem Amt des Inspekteurs des Heeres scheiden, um Ende März das Kommando über das “Allied Joint Force Command” (JFC) der NATO im niederländischen Brunssum zu übetrnehmen. In dieser Übergangszeit stellte er sich dem Behörden Spiegel für ein exklusives Interview. Die Fragen stellte Oberst a. D. Hubertus von Rohr.

rungen des Heeres weiß. Wie jeder Inspekteur wird er dem Heer seinen eigenen Stempel aufdrücken, eigene Akzente setzen und den eigenen Schwerpunkt wählen. Allerdings ist klar: soll das Heer auch in Zukunft verlässlich die eingegangenen Verpflichtungen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements und der Landes- und Bündnisverteidigung erfüllen, so müssen die Fähigkeiten des Heeres zur Bündnisverteidigung unmittelbar weiter gestärkt, die materielle Einsatzbereitschaft erhöht und die Digitalisierung des Heeres gestaltet werden. In diesen Handlungsfeldern müssen auch weiterhin dicke Bretter gebohrt werden. Wir sind lange noch nicht am Ziel. Behörden Spiegel: Was erwarten Sie von Ihrer neuen Verwendung als Commander Allied Joint Forces Command NATO in Brunssum?

Stand dem Behörden Spiegel Rede und Antwort: Generalleutnant Jörg Vollmer, noch bis Mitte Februar Inspekteur Heer.

durch die Politik bereitgestellt werden. Wer umfangreiche Aufträge ins Lastenheft des Heeres diktiert, muss auch langfristig planbar die erforderlichen Mittel hierzu bereitstellen. Nach mehr als zwei Dekaden Friedensdividende und dem damit verbundenen Abbau der Fähigkeiten in unseren Großverbänden ist der Nachholbedarf im Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung enorm. Daher ist der Weg zu drei vollausgestatteten und digitalisierten Divisionen, wie wir sie der NATO bis zum Jahr 2031 zugesagt haben und wie sie von unseren Partnern erwartet werden, sehr fordernd. Dieses Ziel ist allerdings nur zu erreichen, wenn es auch unmittelbar zur dauerhaft und verlässlich steigenden Investitionsquote in die Modernisierung des Deutschen Heeres kommt. Dieser Schritt ist sicherheitspolitisch geboten, da nur echte und nachgewiesene Leistungsfähigkeit die Basis glaubhafter Abschreckung bilden kann. Wir sind auf einem steinigen, langen, aber richtigen Weg und werden eine Menge Verbesserungen für die VJTF (L) 2023 erreichen. Hier nenne ich unter anderem die Realisierung der Fähigkeit zur qualifizierten Fliegerabwehr zur Bekämpfung von Drohnen und unmittelbarer Bedrohung aus der Luft, die Rüstung eines modernen Führungssystems (BMS, Battle Management System) in den Gefechtsständen und Gefechtsfahrzeugen, die Nutzung des Schützenpanzers "Puma" sowie die deutliche Steigerung unserer Kapazitäten der logistischen Unterstützung des Ver-

bandes als Beispiele. Leider ist bereits heute absehbar, dass wir das gesteckte Ziel für VJTF (L) 2023, die Wahrnehmung dieses Auftrages allein aus einer Brigade heraus, ohne Umverteilung von Gerät zu schaffen, voraussichtlich nicht erreichen können. Dies ist bedauerlich; aber wir sollten das bis dahin Erreichte auch nicht minder bewerten. Mit Blick auf die Division 2027 richtet sich mein Blick auf den Eckwertebeschluss und die mittelfristige Finanzplanung in diesem Jahr. Nur wenn deutlich erkennbar wird, dass die Finanzkurve den Weg in Richtung der 1,5 Prozent BIP bis 2024 nachvollzieht, werden unsere erforderlichen Bedarfe für die Division 2027 hinreichend gedeckt werden können. Es gilt: Es braucht heute die Mittel, um die politischen Zielvorgaben von morgen zu erreichen. Behörden Spiegel: Wird das Personal des Heeres für die Bewältigung der Aufgaben in der Zukunft noch ausreichen und wird es genug qualifiziert und belastbar sein? Vollmer: Auf meinen Reisen in die Einsatzgebiete und bei Truppenbesuchen konnte ich mich regelmäßig von dem hervorragenden Ausbildungsstand und der großen Motivation unserer Männer und Frauen überzeugen. Darauf können wir zu Recht stolz sein, aber es erfordert auch nachhaltig hohe Anstrengungen und das dazu nötige Material. Derzeit haben wir keine Nachwuchssorgen im Heer, mit knapp 82 Pro-

zent dienstgradübergreifender Besetzungsquote liegen wir an der Spitze der Teilstreitkräfte. Aber natürlich wird es mit Blick auf die demographische Entwicklung eine Herausforderung werden, auch in Zukunft das erforderliche Personal zu gewinnen. Hier müssen wir uns weiterhin als ein attraktiver Arbeitgeber zeigen und den Wettbewerb um die klügsten Köpfe annehmen. Moderne Ausrüstung und Vollausstattung der Verbände des Heeres ist dabei für mich der Schlüssel, auch in diesem Bereich. Unsere Anstrengungen zur Prägung des Mindset sind auf Robustheit und Kriegstüchtigkeit ausgerichtet, um für unsere “Culture of Readiness” leistungsfähiges, hochqualifiziertes und motiviertes Personal bereitzustellen. In der Ausbildung haben wir wichtige Umstellungen vorgenommen. Als Stichworte seien hier genannt: Umstellung der Führerausbildung, Wiedereinführung der Heereseinheitlichen Taktischen Weiterbildung sowie der Umbau der Grundausbildung hin auf den Ausbau der körperlichen Leistungsfähigkeit vor der Gefechtsausbildung. Auch der Reserve kommt eine neue qualitative Bedeutung zu. Mit der Verabschiedung der Strategie der Reserve und der sechsjährigen, verpflichtenden Grundbeorderung ist ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Behörden Spiegel: Welche Verpflichtungen haben Sie Ihrem Nachfolger ins Lastenheft geschrieben, und auf was sollte er sein besonderes Augenmerk richten?

Foto: BS/Kommando Heer, Mario Bähr

Vollmer: Ich denke nicht, dass mir zusteht, Generalleutnant Mais Verpflichtungen ins Lastenheft zu schreiben, aber ich bin hochgradig erfreut, mit ihm einen Nachfolger zu sehen, dessen Qualitäten ich außerordentlich schätze und der aufgrund seiner Vorverwendungen um die anstehenden Herausforde-

Division 2027 – Verfügt über schnell bereitstellbare, kampfkräftige, interoperable und durchhaltefähige Kräfte für Landoperationen. – Ist digitalisiert, hat eine höhere Kampfkraft, eine höhere Reichweite und eine verbesserte Duellfähigkeit. – Verfügt in den Verbänden strukturell über die erforderlichen Kräfte zur nachhaltigen Durchsetzungsfähigkeit im hochintensiven Gefecht gegen einen gleichwertigen Gegner. – Schließt dazu Fähigkeitslücken bei mobiler Gefechtsführung, Führungsunterstützung, Zielbekämpfung aus der Luft, Panzerabwehr, Aufklärung, streitkräftegemeinsamer taktischer Feuerunterstützung, Pionierwesen, Logistik, Instandsetzung, Sanitätsdienst sowie qualifizierter Fliegerabwehr.

Plan Heer Absicht des Heeres zur Wiedererlangung der Befähigung zur Landesund Bündnisverteidigung mit voll ausgestatteten, modernen und digitalisierten Landstreitkräften und damit zur Erfüllung der international eingegangenen Verpflichtungen. Ziel: Rüstung und Digitalisierung von drei personell und materiell vollausgestatteten Divisionsäquivalenten bis 2031, dabei – bis 2023 Gestellung einer vollständig aufgestellten einsatzbereiten Brigade zur Erfüllung des Auftrags VJTF (L) 2023 bis 2027 Gestellung einer vollständig aufgestellten einsatzbereiten Division; – bis 2031 Gestellung von drei vollständig aufgestellten einsatzbereiten Divisionen.

Ministerin geht in die Offensive “Initiative Einsatzbereitschaft” gestartet

Aus der und für die Truppe

(BS/Dr. Gerd Portugall) Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer lud zur zweitägigen Bundeswehr-Tagung nach Berlin. Für die Ressortchefin war dieses Format eine Premiere. Vor den versammelten 240 militärischen und zivilen Spitzenkräften der Bundeswehr schlug sie den Bogen von den aktuellen Ereignissen in Nahost und Nordafrika hin zur materiellen Einsatzbereitschaft der Truppe.

Wie wichtig 2020 für sie sei, machte die Verteidigungsministerin deutlich: “Auf dieses Jahr kommt es an. Es ist in vielerlei Hinsicht unser Jahr Null.” Mit den Trendwenden Finanzen, Material und Personal seien richtungsweisende Modernisierungsprozesse eingeleitet worden. “Die Trendwenden sind erfolgt, eine neue Richtung ist eingeschlagen. Aber das reicht noch nicht.” Das Ziel müsse sein, dass die Verbesserungen für alle Soldaten spürbar würden. Die Bundeswehr dürfe sich nicht damit zufriedengeben,

die eingeschlagene Richtung einfach nur geduldig weiterzugehen. Stattdessen seien “handfeste, messbare Ergebnisse” insbesondere bei der materiellen Einsatzbereitschaft gefordert – und zwar noch in diesem Jahr. Dafür werde das BMVg in Kürze im Rahmen der sog. “Initiative Einsatzbereitschaft” eine Reihe konkreter Maßnahmen vorlegen, um die materielle Ausstattung der Truppe zu verbessern. “Dafür soll heute der Startschuss fallen”, so die Ressortchefin.

Besonderen Wert legte Ministerin Kramp-Karrenbauer auf die Feststellung, dass die Ideen der “Initiative Einsatzbereitschaft” alle aus dem BMVg und dem nachgeordneten Bereich gekommen seien. “Es ist Ihr Programm, für das ich Ihnen die volle politische Rückendeckung gebe”, so die Ressortchefin an ihre versammelten Führungskräfte. Die einzelnen Maßnahmen würden dann von den ministeriellen Abteilungsleitern, Inspekteuren und Amtspräsidenten umgesetzt, die

sie erdacht hätten. Gemeinsam werde man die Bundeswehr “fit für die Zukunft” machen.

Willen zum Handeln Die Entwicklungen im Mittleren Osten seit Jahresbeginn hätten erneut gezeigt, wie unberechenbar das internationale Umfeld geworden sei. “Wenn wir Stabilität wollen, dann müssen wir selbst mehr dafür tun.” Deutschland komme aufgrund seiner Größe, seiner Wirtschaftskraft und seiner Lage besondere Verantwor-

Vollmer: Ich erwarte, dass ich mit der Verwendung in Brunssum einen nachhaltigen Beitrag für die Sicherheit des euroatlantischen Raumes leisten kann. Das bezieht sich sowohl auf die Aufgaben im Internationalen Krisenmanagement und die Führungsrolle des Kommandos für Resolute Support in Afghanistan als auch auf die Aufgaben zum Schutz der Nordund Ostflanke des Bündnisses. Es ist ohne Frage eine herausragende Verwendung in einem fordernden multinationalen Umfeld, auf die ich mich außerordentlich freue, der ich aber auch mit Respekt begegne.

tung für eine stabile internationale Ordnung zu. “Es geht um die Handlungsfähigkeit Deutschlands und Europas, und auch um den Willen zum Handeln”, so die Verteidigungsministerin. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Bundesrepublik eine aktivere Rolle in der Welt übernehmen müsse: “Das gilt auch für den Beitrag der Bundeswehr.”

Mahnung an die Industrie Um diese aktivere Rolle nicht nur theoretisch, sondern auch

praktisch ausfüllen zu können, brauche es vor allem eines: materielle Einsatzbereitschaft. Besonders bei der Beschaffung sei es dabei zuletzt zu massiven Verzögerungen gekommen. Dies sei u. a. im jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten bemängelt worden. Sie werde es nicht mehr zulassen, dass seitens der Industrie mangelhaftes Gerät ausgeliefert werde. Bei der Instandsetzung werde wieder verstärkt auf eigene Kapazitäten gesetzt, ebenso bei der Beschaffung von Massengütern. “Dahinter steckt der Gedanke, dass wir manches einfach selbst machen müssen und es nicht der Industrie oder Externen überlassen können.” Die Bundeswehr sei als Referenzkunde der wehrtechnischen Industrie auch ein Türöffner für weitere Rüstungsgeschäfte, stellte die Ministerin klar.


Verteidigung

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abei kommt dem JSEC innerhalb der NATO eine einzigartige Rolle zu. Es soll einen sicheren rückwärtigen Raum für strategische Aufmarschbewegungen gewährleisten und damit die Operationsführung der NATO und der Mitgliedsstaaten unterstützen. Grundsätzlich ist das JSEC mit den bereits eta­ blierten operativen Kommandos, dem JFC im niederländischen Brunssum und dem JFC im italienischen Neapel, vergleichbar. Spezifisches Ziel ist jedoch der Erhalt der Bewegungs- und Operationsfreiheit der dem SACEUR unterstellten Kräfte auch außerhalb der heißen Kampfzone. Um seine Funktion in einer Krise oder im Verteidigungsfall erfüllen zu können, eignet sich das JSEC bereits im Frieden Fähigkeiten an und trägt dazu bei, Lösungen zu entwickeln, die die schnelle und glaubhafte Reaktionsfähigkeit der NATO verbessern. Dafür wird das JSEC auf vier Feldern aktiv: Zunächst kümmert es sich um die Herstellung eines sicheren zivilen und militärischen Umfelds und den Schutz der eigenen Kräfte. Es befasst sich weiterhin mit der Begrenzung von Gefechtsschäden und der Schadensbewältigung an der Infrastruktur. Sodann stehen die Bereitstellung, die Ausbildung und die Integration der eigenen Kräfte in den Einsatzräumen auf dem Programm. Abgerundet wird es durch deren Versorgung und Aufmarsch.

Aufbauarbeit in einer sich schnell verändernden Welt Es entstehen neue Bedrohungen, sowohl durch weitreichende konventionelle Waffen als auch durch Terror und CyberAttacken. Zugleich ist die NATO intern mit zahlreichen Anpassungsmaßnahmen beschäftigt. Zudem ist das JSEC in seiner Aufgabenwahrnehmung auf die Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern angewiesen. Die souveränen Mitgliedsstaaten spielen die wichtigste Rolle. Die zentrale Herausforderung besteht darin, alle staatlichen und nicht staatlichen Akteure im rückwärtigen

Aufbauarbeit für die NATO Das Joint Support and Enabling Command in Ulm (BS/Generalleutnant Jürgen Knappe) Aufgrund des heute noch andauernden Konflikts in der Ukraine, der Krim-Annexion und zunehmender terroristischer Bedrohung sah sich die NATO veranlasst, die Fähigkeit zur Bündnisverteidigung in Europa zu stärken. Die Allianz beschloss daher 2018, ihre Struktur den neuen sicherheitspolitischen Gegebenheiten anzupassen. Dies führte u. a. zur Schaffung zweier neuer operativer Kommandos innerhalb der NATO-Truppenstruktur: einerseits das für den transatlantischen Raum verantwortliche Joint Force Command in Norfolk/Virginia (JFC NF) und andererseits das für den rückwärtigen Raum des Oberbefehlshabers der NATO-Streitkräfte in Europa (SACEUR) verantwortliche Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm. Raum zusammenzubringen und zu koordinieren, um ein sicheres Umfeld grenzüberschreitend zu erreichen und Truppenverlegungen geschützt und abgestimmt zu gewährleisten. Die Aufstellung des JSEC in diesem Umfeld ist eine große Herausforderung. Die neuen Konzepte werden gemeinsam mit den Partnern entwickelt. Dabei arbeitet das JSEC mit der NATO-Kommandostruktur, mit den einzelnen Alliierten, aber auch mit Wissenschaft und Industrie zusammen. Zugleich ist der Zeitdruck hoch, da das Kommando bereits im Herbst nächsten Jahres voll einsatzbereit sein soll. Schließlich ist Deutschland nicht mehr Grenzstaat, sondern vielmehr eine zentrale Drehscheibe für eventuelle Truppenbewegungen geworden, um diese zusammenzustellen bzw. in eine Krisenregion zu verlegen. Dabei wird in drei Schritten vorgegangen. Der erste Schritt liegt hinter uns: Im Sommer 2018 wurde ein kleiner Aufstellungsstab eingerichtet, der die vorläufigen Grundlagen erarbeitet hat und in die Aufstellung des JSEC mündete. Seit April 2019 existiert das JSEC. 19 Staaten, darunter Albanien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Polen, die Türkei und die USA, haben sich bereit­ erklärt, Personal zu entsenden. Dies trieb den Fähigkeitsausbau auf Gestaltungsfeldern wie Konzeption, Organisation, Übungen, Rechtsgrundlagen IT/Rüstung, Personal, Infrastruktur und Finanzen weiter voran. Der Lohn der Mühen: Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bun-

Die Teilstreitkräfte Den deutschen Seestreitkräften könnte die Überwachung des Waffenembargos obliegen – vergleichbar der UNIFIL-Mission (“United Nations ...”) vor der Küste der Zedern-Republik. Seit 2006 operieren deutsche Schiffe und Boote in diesem allerersten UN-Flottenverband, um den Waffenschmuggel auf dem Seeweg in die Zedern-Republik zu unterbinden. Aktuell beteiligen sich 122 deutsche Soldaten an diesem Einsatz. Darüber hinaus gehören 419 Bundeswehr-Angehörige zur NATO-Operation “Sea Guardian” zur Seeraumüberwachung und Terrorismusbekämpfung im gesamten Mittelmeer. Allerdings: Während die Küstenlinie Libyens 1.770 Kilometer lang ist, betragen die Landgrenzen

Die zwei neu aufgestellten operativen Kommandos innerhalb der NATO-Streitkräftestruktur kümmern sich einerseits um den transatlantischen Raum (JFC NF) und andererseits um den rückwärtigen Raum des NATO-Oberbefehlshabers in Europa (JSEC). Grafik: BS/PAO JSEC

deswehr erkannte dem JSEC im September 2019 die erste Einsatzbefähigung zu, die sog. “Initial Operating Capability”. Unmittelbar danach begann der zweite Schritt. Auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse und Erfahrungen hat das JSEC eine neue Übergangsstruktur eingenommen. Mit dieser Struktur wird grundsätzlich die Interoperabilität zur NATO-Kommandostruktur und die sachgerechte Wahrnehmung der speziellen JSEC-Aufgaben gewährleistet. Der Personalkörper von derzeit insgesamt rund 230 Frauen und Männern stammt aus dem originären JSEC-Stab und dem Multinationalen Kommando

Operative Führung in Ulm, das Personal zur Unterstützung abstellt.

DEFENDER-Europe 20 Neben der weiteren konzeptionellen, planerischen und sonstigen Aufbauarbeit steht dabei ein Vorhaben im Mittelpunkt: Die US-Übung DEFENDER-Europe 20. Dabei handelt es sich um die größte Verlegung von USStreitkräften nach Europa seit über zwanzig Jahren. Für das JSEC bietet die Teilnahme an dieser Übung die perfekte Gelegenheit, die eigenen Fähigkeiten erstmals überhaupt zu erproben, das eigene Informationsnetzwerk auszubauen und Erfahrungen in

der Planung und Durchführung von Verstärkungsoperationen zu sammeln. Das Kommando wird dazu eine eigene Verbindungsorganisation etablieren, ein umfassendes Lagebild aufbauen und parallel eine eigene, auf DEFENDER-Europe 20 basierende Gefechtsstandübung Combined Defender 20 durchführen, um sich auf die Zertifizierung im Jahr 2021 vorzubereiten. Die Erkenntnisse aus dem vornehmlichen Beobachterstatus in DEFENDER-Europe 20 und den bis dahin erwarteten konzeptionellen Vorgaben der NATO führen zum dritten Schritt, der die volle Einsatzbereitschaft zum Ziel hat. Diese neue “Full-OperationalCapability”-Struktur muss dann mit den Partnern verhandelt und mit Personal gefüllt werden. Dieser Prozess wird über das Ende 2020 hinaus anhalten. Zudem wird der rechtliche Rahmen geschaffen. Das JSEC wird keine deutsche Dienststelle mehr sein, sondern sich zu einer internationalen militärischen Körperschaft weiterentwickeln, einem “international military body”. Alle beteiligten Mitgliedsstaaten werden es im Betrieb mitfinanzieren. Dafür ist ein rechtlich bindender Vertrag zwischen allen Ländern erforderlich. Der Entwurf dieses “Technical Agreements” wurde im Oktober 2019 durch das BMVg an alle Beteiligten verteilt. Diese rechtlich belastbare Grundlage soll bis Mitte 2020 vorhanden sein. Parallel laufen die notwen-

“Germans to the front?”

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ktuell (Stand Ende Januar) befinden sich insgesamt 3.491 deutsche Soldaten unmittelbar im Auslandseinsatz. Legt man die übliche DrittelBerechnung (je ein Drittel in der Vorbereitung, im Einsatz und in der Nachbereitung/Erholung) zugrunde, so sind damit rund 10.000 von insgesamt 183.000 Bundeswehr-Soldaten gebunden. Somit wären durchaus noch Kapazitäten vorhanden. Was die mögliche Personalstärke eines deutschen Kontingents in Libyen betrifft, so dürfte diese wohl kaum über der in Mali (1.094 bei MINUSMA und EUTM) und erst recht nicht über der in Afghanistan (1.246) liegen. Eine Mandatsobergrenze von vielleicht maximal 1.000 Bundeswehr-Soldaten wäre durchaus vorstellbar.

Behörden Spiegel / Februar 2020

Die Bundeswehr vor einem etwaigen Libyen-Einsatz (BS/Dr. Gerd Portugall) Nach der internationalen Konferenz in Berlin ist diplomatisch Bewegung in den libyschen Bürgerkrieg gekommen. Bei einer wie auch immer gearteten militärischen Absicherung des vereinbarten Waffenstillstandes und des Waffenembargos durch ein multinationales Kontingent könnte Deutschland sich kaum verweigern – zumal Berliner Spitzenpolitiker schon seit Jahren mehr Verantwortungsübernahme postulieren. Insbesondere Frankreich fordert schon länger vom deutschen Partner ein verstärktes Engagement in Afrika. in zumeist schwer zugänglichen Wüstengebieten insgesamt eine Länge von kaum kontrollierbaren 4.440 Kilometern. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte sich mit Blick auf das Waffenembargo für Libyen jüngst für eine Wiederbelebung der EU-Mission EUNAVFOR MED Operation “Sophia” ausgesprochen – ebenso wie die deutschen Minister für Äußeres, Heiko Maas (SPD), und Inneres, Horst Seehofer (CSU). Eigentlich zur Bekämpfung des Menschenschmuggels vor der Küste Libyens vorgesehen, war die Operation wegen des Streits innerhalb der EU um Flüchtlingsaufnahme und -verteilung eingestellt worden. Jetzt leisten vor allen Dingen Österreich und Italien Widerstand gegen einen Neustart von “Sophia”. Die deutschen Landstreitkräfte könnten als “boots on the ground” Teil einer multinationalen Friedenstruppe als Puffer zwischen den Bürgerkriegsparteien sein, sollten diese dem zuvor zugestimmt haben. Dabei wären sicher in erster Linie infanteristische Fähigkeiten gefragt. Wegen der unübersichtlichen Sicherheitslage und wegen der zahlreichen im Lande vagabundierenden Waffen müsste das Mandat robust sein und die Aus-

Für die Bundeswehr wäre Libyen als Einsatzort ein “heißes Pflaster” – in jeder Beziehung; hier außer Gefecht gesetzte libysche Kampfpanzer vom sowjetischen Typ T-55. Foto: BS/David Stanley, CC BY 2.0, flickr.com

rüstung deutlich über leichte Infanteriewaffen hinausgehen, d. h. geschützte Fahrzeuge und großkalibrige Waffensysteme. Die deutschen Luftstreitkräfte könnten beispielsweise Transport und Aufklärung übernehmen, wobei Letzteres auch durch Marine und/oder Heer zu leisten wäre.

Exit-Strategie? “Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus.” Diese Erkenntnis ist nachzulesen in der Schrift “Über Strategie” (1871)

von Feldmarschall Helmuth Graf von Moltke dem Älteren, Generalstabschef der preußischen Armee in den deutschen Einigungskriegen. Diese Erkenntnis entbindet jedoch nicht Entscheider über einen militärischen Einsatz, sich im Vorfeld Gedanken darüber zu machen, unter welchen Bedingungen eine solche Mission auch wieder beendet wird. Eine solche “Exit-Strategie” habe ein wesentlicher Bestandteil jeder Einsatzplanung zu sein, so der Bericht “The Responsability to Protect” (R2P) der von Kanada initiierten “International Commission on Intervention and

State Sovereignty” (ICISS) aus dem Dezember 2001. Vorab definierte Einsatzziele sind aber in der Praxis häufig schwer zu operationalisieren: Was genau soll wie gemessen werden? Was, wenn der Einsatz völlig anders verläuft als geplant? Von der Exit-Strategie klar zu unterscheiden sei laut der ICISS ein Rückzugszeitplan, der in der Regel ein willkürlich festgelegtes Datum enthalte. Die britischen Streitkräfte sind bekannt dafür, zeitlich befristet, dafür aber massiv (“hard and heavy”) in einen Einsatz zu gehen. So ist das “Allied Command Europe Rapid Reaction Corps” (ARRC) der NATO unter britischer Führung jeweils zu Beginn der Missionen für ein Jahr nach Bosnien-Herzegovina und in den Kosovo gegangen. Wie verhält es sich in diesem Zusammenhang mit den regelmäßigen Verlängerungen der Bundeswehr-Mandate durch die erste Parlamentskammer in Berlin? Bewegen sich die deutschen Auslandseinsätze dann noch im Rahmen einer in sich konsistenten Strategie? Oder handelt es sich dabei jeweils um einen schleichenden Strategiewechsel? Was für den Operationsplan gilt, das gilt auch für den Zeitrahmen. Generalleutnant a. D. Brent Scowcroft, Nationaler Si-

digen Schritte, um das JSEC dem SACEUR zu unterstellen. Dann bekommt der Befehlshaber des JSEC seine operativen Aufträge direkt aus dem Supreme Allied Headquarters Allied Powers Europe im belgischen Mons. Der beschriebene dritte Schritt wird das JSEC 2021 in die volle Einsatzbereitschaft führen. Dazu ist eine Zertifizierungsübung der NATO vorgesehen, wo das JSEC, in die NATO-Kommandostruktur eingebunden, seine Befähigung unter Beweis stellen muss. Das bedeutet aber keineswegs das Ende der Aufbauarbeiten. Infrastruktur- und Rüstungsmaßnahmen, vor allem auf dem Gebiet der IT, werden noch bis mindestens 2027 andauern. Das Umfeld wird auch nach 2021 dynamisch bleiben und damit wird das JSEC einer dauerhaften Weiterentwicklung unterliegen.

Glaubhafte Abschreckung ist das Ziel Die NATO ist dabei, ihre Fähigkeit zur Bündnisverteidigung in Europa erheblich zu verbessern und zu verstärken. Für eine

Generalleutnant Jürgen Knappe ist Commander JSAC. Foto: BS/JSAC

glaubhafte und wirkungsvolle Abschreckung braucht man neben den Truppen vor allem auch einen abgestimmten Plan und eine Führungsstruktur, die den Plan erstellt und bei Bedarf umsetzt. Der Aufbau des JSEC ist hierfür ein wesentlicher Baustein. Deutschland leistet als verantwortliche Rahmennation dabei einen sichtbaren und wertvollen Beitrag. Transatlantische Zusammenarbeit und europäische Solidarität zur dauerhaften Sicherung des Friedens stehen jeden Tag auf der JSEC-Agenda: Wir halten der NATO den Rücken frei!

cherheitsberater des republikanischen US-Präsidenten George Bush des Älteren, betont noch heute, dass der US-Einsatz in Somalia, der im Dezember 1992 begonnen hatte, unter der ExitStrategie gefahren worden war, die eigenen Truppen bereits im Februar 1993 wieder abziehen zu wollen. Zwischenzeitlich hatte jedoch der Demokrat Bill Clinton die Präsidentschaftswahlen gewonnen und beschlossen, das US-Mandat zu verlängern – bis es durch “Black Hawk Down” im Oktober desselben Jahres kläglich scheiterte.

Mangelnde Fortschritte Nach der hoffnungsfrohen Berliner Konferenz macht sich zunehmend Enttäuschung breit. UN-Generalsekretär António Guterres zeigt sich frustriert über die geringen Fortschritte nach der Libyen-Konferenz in Deutschland. Das dort bekräftigte Waffen­ embargo würde weiterhin von staatlichen Akteuren gebrochen – unter anderem durch Ägypten, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate. Auch nicht staatliche Akteure wie Söldner aus dem Sudan und Angehörige privater Sicherheitsunternehmen aus Russland seien dort aktiv, so der Portugiese. Sollte es jedoch weder zu einem allgemein akzeptierten Waffenstillstand noch zu einem wirksamen Waffenembargo kommen, könnte eine multinationale Friedenstruppe in weite Ferne rücken – auch und gerade für die Bundeswehr. Damit würden nämlich im Vorfeld wichtige “Entry”-Kriterien nicht erfüllt.


Behörden Spiegel / Februar 2020

E

ine Binsenweisheit besagt, dass eine Stadt stets genau­ so viele Ratten wie Einwohner besitzt. Im Falle Saarbrückens wären das knapp 180.000. Auf das gesamte Saarland hoch­ gerechnet, sind es nochmals deutlich mehr: beinahe eine Million. Mit schätzungsweise so vielen Nagern haben es Dietmar Schneider und Daniel Maas zu tun. Sie sind die einzigen profes­ sionellen Entweser in Diensten der Stadt und für das ganze Bun­ desland verantwortlich. Wer einer solchen Übermacht gegenüber­ steht, der muss früh aufstehen. Um sieben Uhr morgens startet das Duo seinen Tag. Nach dem notorischen Blick auf den Rech­ ner, ob etwaige Bürgermeldungen eingegangen sind, geht es auch schon auf die Straße. Zwar sind Ratten nachtaktiv, der Hunger treibt sie hingegen auch tagsüber aus ihrem Bau, vermutlich aber auch in die Enge. Denn in einem Rattennest finden an die 20 Tiere Platz, gelegentlich sind es auch mehr. Auf das Jahr überschla­ gen kann eine Ratte bis zu 50 Nachkommen zeugen. Bedenkt man obendrein, dass jedes Tier ein Alter von zwei bis drei Jahren erreicht, hat man ein ungefähres Bild der Ausmaße. Ein Leben in Kommunen dieser Größenordnung erfordert soziale Kompetenz. Auch wenn Ratten gegenüber Vertretern anderer Sippen äußerst aggressiv auftret­ en, sind sie untereinander fürsor­ glich und kommunikativ. Anders als Mäuse etwa rühren sie Köder, bei denen der Tod unmittelbar nach Verzehr eintritt, nicht mehr an. In der Regel schicken sie Jung­tiere, sogenannte Späher, aus, um Nahrungsquellen und et­ waige Gefahren auszukundschaf­ ten. Bei ihrer Speiseauswahl sind Ratten nicht sonderlich wähle­ risch. Obwohl sie eine Vorliebe für Schokolade haben, sind sie Omnivoren, zu Deutsch: Alles­ fresser. Hat sich ein Futterplatz erst einmal bewährt, bleiben Rat­ ten bei ihrer Wahl. Es entsteht ein Laufweg, auch “Laufmuster” genannt, für das kundige Au­ ge leicht zu erkennen an den Schleifspuren, die der Bauch der Nager im aufgeweichten Boden hinterlässt.

Die letzte Seite

Zu zweit gegen eine Übermacht Schädlingsbekämpfung im Auftrag der Landeshauptstadt Saarbrücken (BS/Thomas Petersdorff) Sie gelten als gierig, verschlagen und unrein: Ratten. Im kulturellen Symbolhaushalt Europas sind sie mit allerlei negativen Eigenschaften besetzt. Grund sind, neben der steten Konkurrenz um Nahrungsmittel wie Getreide und Fleisch, nicht zuletzt auch die großen PestEpidemien des Mittelalters, als deren Ursprung die Ratte gesehen wird. Nüchtern betrachtet sind die kleinen Nager wahre Überlebenskünstler und gewieft. Obwohl sie seit jeher die Nähe des Menschen aufsuchen, ist es schwer, ihnen Einhalt zu gebieten. Wer Ratten auf die Schliche kommen möchte, braucht kombinatorisches Geschick und umfangreiche Kenntnisse der Chemie und Zoologie. Dietmar Schneider und Daniel Maas vom Zentralen Kommunalen Entsorgungsbetrieb (ZKE) bringen diese Voraussetzungen mit. Im Auftrag der Landeshauptstadt Saarbrücken tragen die beiden Schädlingsbekämpfer maßgeblich dazu bei, dem Vordringen der Ratte in den öffentlichen Raum Grenzen zu setzen.

Köder inzwischen nur noch aus­ gelegt werden, ehe die Maßnah­ men wieder eingestellt werden müssen. Ist eine Popu­lation dann noch nicht ganz beseitigt, sind den Schädlingsbekämp­ fern die Hände gebunden. “Am schlimmsten ist die Machtlo­ sigkeit”, ist das Duo sich einig. “Man sieht, dass die Situation schlimmer wird und darf doch nicht eingreifen. Zwangsweise wird man auf den Zuschauer­ posten und das Protokoll zu­ rückgeworfen.” Unglücklich nur, dass die Regu­ lierungen zu einem Zeitpunkt kommen, da der Befall spür­ bar zugenommen hat. Ob an Containerplätzen, Alten- und Wohnheimen, Parkanlagen oder auch am Schlossplatz – insges­ amt stehe man deutlich mehr Schädlingen mit weniger Mitteln gegenüber. Tendenz steigend.

Probleme sind hausgemacht

Wer Ratten und andere Schädlinge bekämpft, muss mobil sein: das Duo Dietmar Schneider und Daniel Maas im Einsatz.

Fotos: BS/Petersdorff

die nachfolgenden Generationen, womit ein Wirkstoff für die Zukunft ausscheidet. So bereits geschehen bei Warfarin, das in Teilen Niedersachsens sowie im nördlichen Nordrhein-Westfalen aus diesem Grund nicht mehr angewendet werden kann.

Eine unglückliche Paarung

Gelegenheit macht Liebe Bei der Befallsanalyse ist ein Wissen um diese Faktoren von entscheidender Bedeutung. Un­ ter den drei Hauptaufgaben der Entwesung – Prävention, Ana­ lyse und Bekämpfung – stellt sie die größte Herausforderung dar. Für Dietmar Schneider und Daniel Maas macht sie den ei­ gentlichen Reiz ihrer Arbeit aus. Beide hat es eher zufällig in die Schädlingsbekämpfung getrie­ ben. Schneider, Jahrgang 1969,

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Willkommen in der Imbissbude: Die Bissspuren zeigen, dass der Giftköder angenommen wurde.

Zoologie, aber auch den Umgang merksam geworden. Nämlich: im mit Konzentraten und Giften Rahmen einer Krankheitsvertre­ vermittelte. Was der Lehrplan tung. Was als Exkursion begann, ausließ, besorgte – hinterließt jedoch bleibenden wie allzu oft – die Eindruck: “Meine erste Tour Erfahrung. hat mich so begeistert, dass ich “Die traurige Wahrheit ist: All das hat Daniel kurzerhand beschloss, in der Maas, 35 Jahre Entwesung bleiben zu wollen”, Die Probleme sind größtenteils alt, noch vor sich. sagt er. selbstverschuldet.” 2017 stieß er zum ZKE. Seit nunmehr Kniffe bei der Rattenjagd Neben einer Vorliebe fürs Detail ist gelernter Schreiner, führte einem Jahr befindet er sich in lange Zeit einen eigenen Be­ der Ausbildung. Auch er ist eint das Duo der Hang zur Detek­ trieb. Nachdem seine Werkstatt mehr zufällig auf den Bereich tivarbeit. Kurz gesagt, zu wissen, einem Feuer anheimfiel, heu­ der Schädlingsbekämpfung auf­ mit welchen Werkzeugen gegen erte er beim ZKE an, zunächst als Stadtreiniger. Nach weiteren Stationen in der Entsorgung und beim Straßenbau wechselte er schließlich zum Entwässerungs­ betrieb, wo er das erste Mal in Berührung mit Schädlingen kam. Das liegt inzwischen mehr als zehn Jahre zurück. “Was mich faszinierte, war die Vielseitig­ keit des Berufs. Ich hatte immer schon Freude an der Analyse von Tieren, ihren unterschiedlichen Verhaltensmustern. Da fiel die Wahl leicht”, erinnert er sich. Als man ihm das Angebot für einen Wechsel unterbreitete, nahm er ohne Zögern an. Es folgte eine zweijährige Ausbildung, die ihm Das größte Problem ist der sorglose Umgang mit Speiseresten, der maßgebdas nötige Wissen über Hygiene- lich dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass sich Ratten so zahlreich und Pflanzenschutzvorschriften, in deutschen Städten vermehren.

einen Schädling vorzugehen sei. Im Falle der Ratte greift man hierbei zumeist auf das Mittel der Begiftung zurück. Mit Rodentizi­ den, Blutgerinnungshemmern, wird den kleinen Nagern auf den Pelz gerückt. Der Vorteil: Bei ein­ er Begiftung mit Rodentiziden tritt die erwünschte Wirkung langsam und stark verzögert ein. Meist dauert es zwischen 24 und 36 Stunden, ehe die Ratte den Folgen der Vergiftung erliegt. Ein ausreichend langer Zeitraum, der die Tiere davon abhält, einen Zusammenhang zwischen einem Köder und dem Tot eines Artgenossen herzu­ stellen. Wurde eine “Imbissbude” – so der Name für eine Köderbox – erst einmal angenommen, muss die Begiftung “bis zum Ende” durchgezogen werden. Was sich unerbittlich anhören mag, ist notwendig, versichert das Duo: Zum einen können Ratten Ver­ luste in ihrer Population schnell ausgleichen, zum anderen, und das ist ungleich wichtiger, kann eine halbherzig durchgeführte Begiftung Resistenzbildungen nach sich ziehen. Die kleinen Nager werden zunehmend un­ empfindlich für die eingesetz­ ten Gifte. Im schlimmsten Fall vererbt sich die Immunität auf

Dabei ließe sich ein Gutteil der Probleme bereits im Vorfeld aus­ räumen. “Es hat seinen ­Grund, dass die Rattenpopulation stetig anwächst. Und dieser Grund ist der Mensch. Nachweislich lassen sich 60 bis 70 Prozent der gemeldeten Vorfälle auf sorg­ losen Umgang mit Müll zurück­ führen”, sagt Maas. Zwar sei man präventiv tätig, doch liefe die Aufklärungsarbeit zu großen Teilen ins Leere. Als ZKE bemühe man sich, auf falsches Verhalten hinzuweisen, durch Flyer, aber auch durch Gespräche vor Ort. Bedauerlicherweise nähmen die Bürger das Informationsangebot nur selten wahr. Das mit Abstand größte Pro­ blem habe man mit “Gelben Sä­ cken”, die meist noch Speisereste ent­hielten und noch lange vor dem eigentlichen Abholtermin auf die Straße gestellt würden. Zu klei­nen Bergen aufgetürmt, böten sie ein wahres Schlemmer­ paradies für Ratten und Geziefer aller Art. Meist dauere es auch nicht lange, bis die Schädlinge sich ganz in der Nähe häuslich ein­ richteten. Das gehe nicht zuletzt auch auf Kosten der öffentlichen Infrastruktur: Straßen würden unterhöhlt, Bürgersteige sackten in sich zusammen. “Wir haben es hier mit einem Teufelskreis zu tun. Solange die Bürger ihr Ver­ halten nicht ändern, kommen die Ratten problemlos an ihr Futter. Konzentriert sich das Ganze noch auf einen Ort, ist eine vierwöchige

Um dem vorzubeugen, sieht der Gesetzgeber einen Wechsel der einge­setzten Gifte vor. Im Sechsjahresintervall müssen die Wirkstoffe ausge­tauscht werden. Ohnehin seien die Auflagen für den Einsatz von Giftmitteln deutlich strenger geworden. “Die Schritte sind ver­ ständlich, machen “Ratten müssen nagen, sonst unseren Job aber auch nicht leich­ wachsen ihre Zähne immer ter”, so Maas. Vor weiter.” allem nähmen sie jeden Spielraum für Improvisation. Das fange bei Begiftung le­diglich ein Tropfen der “giftköderfreien Anfütterung” auf den heißen Stein. Fest steht, an, die laut Protokoll auch dann so kommen wir nicht weiter. Es durchgeführt werden müsse, muss sich etwas ändern, sonst wenn bereits klar sei, dass es wird man die Probleme niemals sich um einen Rattenbefall hand­ in den Griff bekommen”, ermahnt le. Noch schwerer wöge die Ein­ Dietmar Schneider. Mit Augenzwinkern schickt er schränkung der Begiftungsdau­ er. Seit 2015 hat der Gesetzgeber hinter: “Ein Gutes hat die Sache den Zeitraum für den Einsatz aber doch: Langweilig wird uns von Giftmitteln massiv verkürzt. hier auf jeden Fall schon mal Maximal vier Wochen darf ein nicht.”

Zentraler kommunaler Entsorgungsbetrieb der Landeshauptstadt Saarbrücken (ZKE) (BS) Als Eigenbetrieb der Landeshauptstadt Saarbrücken ist der Zentrale Kommunale Entsorgungsbetrieb, oder kurz auch ZKE genannt, mit der Wahrnehmung abfallwirtschaftlicher Aufgaben im Stadtgebiet, aber auch darüber hinaus, betraut. Zum Portfolio des ZKE zählen die Straßenreinigung, die Abwasserbeseitigung, die Abfallentsorgung – u. a. mit der Schädlingsbekämpfung. Insgesamt betreut der ZKE bei letzterer rund 60 Kunden mit festen Stellplätzen, darunter u. a. Unternehmen, Krankenhäuser und Altenheime. Knapp 420 Mitarbeiter sind derzeit für den kommunalen Entsorger der Landhauptstadt im Einsatz. Im Laufe seines nunmehr über zwanzigjährigen Bestehens hat der ZKE zahlreiche Transformationen durchlebt. Ende 1999 zunächst als Zweckverband aus zwei Eigenbetrieben eingerichtet, entstand 2004 der ZKE in seiner heutigen Gestalt. Weitere Informationen erhält man auf der Homepage www.zke-sb.de.



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