Behörden Spiegel Juni 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. VI / 36. Jg / 23. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / Juni 2020

www.behoerdenspiegel.de

Große Rüstungsprojekte positiv belegt

An neue Lagen anpassen

“Die Frau stehen, die ich bin”

General Eberhard Zorn über Herausforderungen für die Bundeswehr .......... 34

Georg Maier zu Lehren aus der Corona-Krise �������������������������������������������� 7

Tessa Ganserer zu Diversität im Öffentlichen Dienst ............................................ 38

Neuer Leitfaden veröffentlicht (BS/kh) Für die Anwendung des Standards XPlanung bei der Erstellung und Auswertung von raumbezogenen Planwerken der Bauleit- und Landschaftsplanung sowie Raumordnung hat die beim Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung Hamburg ansässige XLeitstelle einen neuen Leitfaden publiziert. Der Standard soll einen verlustfreien Datenaustausch zwischen den Akteuren in Planungsverfahren ermöglichen und erhebliche Verbesserungspotenziale im Bereich Planen und Bauen bringen. Standardisierte Daten begünstigen etwa Auswertungsmöglichkeiten von Planinformationen sowie Möglichkeiten zu einer optimierten Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften.

Solarpflicht eingeführt (BS/kh) Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland eine landesrechtliche Pflicht für Photovoltaik-Anlagen eingeführt. Gelten soll sie ab 2022, zunächst aber nur für Neubauten bei Nicht-Wohngebäuden. Die Beschränkung war ein politischer Kompromiss zwischen den Koalitionspartnern. Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) fordert, dass eine allgemeine PV-Pflicht für Neubauten in den nächsten Jahren kommen müsse – und das nicht nur in Baden-Württemberg. Als zweites Bundesland soll ab 2023 Hamburg folgen, hier sowohl für Gewerbe- als auch Wohngebäude. Ab 2025 soll die Solarpflicht auch bei Dachsanierungen gelten. In Berlin wird die Verpflichtung ebenfalls diskutiert, der Senat spricht von einem Potenzial von insgesamt 2.400 Hektar an Dachflächen. Realisiert sind davon bislang nur 2,4 Prozent.

Schneller entlassen (BS/kh) Soldatinnen und Soldaten, die durch rechtsextreme Handlungen aufgefallen sind, sollen künftig schneller entlassen werden können. Aus diesem Grund hat das Verteidigungsministerium dem Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes vorgelegt. Bisher war eine kurzfristige Entlassung von Zeitsoldaten lediglich bis zum vierten Dienstjahr möglich, in Zukunft soll dies bis zum achten Dienstjahr ausgeweitet werden. Dabei muss es sich um “schwere Fälle” handeln. Der Militärgeheimdienst MAD drängt schon länger auf diese Änderung, mit dem Hinweis, dass sich die Entlassung von Zeitsoldaten trotz eindeutiger Hinweise auf ihre rechte Gesinnung oft jahrelang hinziehe. Im ersten Jahresbericht des MAD ist die Rede von einer Zunahme rechtsextremistischer Verdachtsfälle. 2019 wurden insgesamt 14 Extremisten innerhalb der Bundeswehr enttarnt, da­ runter acht Rechtsextremisten.

Die richtigen Rädchen drehen In der neuen Normalität an die Zukunft des Öffentlichen Dienstes denken (BS/Jörn Fieseler) Der Öffentliche Dienst war schon immer azyklisch. In Krisenphasen ist die Verwaltung besonders attraktiv, gelten die Jobs als sicher. Doch später werden Sparmaßnahmen gefordert. So auch jetzt. Die Steuereinnahmen werden sinken und schon erschallt der Ruf, den Rotstift anzuspitzen und mit schwungvoller Strichführung durch die öffentlichen Haushalte zu gehen. Das Sparen an sich ist nicht schlecht, es darf nur nicht schlecht gespart werden. Gegenüber dem Vorjahr werden die Steuereinnahmen in diesem Jahr schätzungsweise um rund zehn Prozent (81 Mrd. Euro) sinken. Das Niveau von 2019 werde wahrscheinlich 2021 wieder knapp erreicht. Parallel hat allein der Bund Maßnahmen von rund 353 Mrd. Euro beschlossen und Garantien mit einem Umfang von fast 820 Mrd. Euro gegeben. “Wir haben seit Bestehen der Bundesrepublik rund zwei Billionen Schulden aufgenommen, die Hälfte dieser Summe ist nun binnen drei Monaten ins Spiel gebracht worden”, sagt Prof. Dr. Andreas Knorr von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. All das müsse am Ende der Steuerzahler finanzieren, aber Deutschland habe im EU-Vergleich bereits eine sehr hohe Steuerquote. “Jetzt muss die Stunde der Sparkommissare schlagen, die festlegen, wo der Rotstift angesetzt wird”, fordert Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. So weit will Christian Haase, Mitglied im Deutschen Bundestag (CDU), nicht gehen: “Wir werden keine Strukturdiskussionen in der Breite führen.” Aktuell gehe es darum, der Wirtschaft zu helfen und den Gesundheitsdienst zu erhalten. Allerdings werden wir uns im nächsten Bundesetat Enthaltsamkeit auferlegen”, so der Haushaltspolitiker. Neue Pos-

Für die Zukunft des Öffentlichen Dienstes müssen wie beim optimalen Klang die richtigen Rädchen gedreht werden. Ob ein My ausreicht oder eine volle Umdrehung notwendig wird, ist in den Parlamenten zu entscheiden. Foto: BS/Erich, stock.adobe.com

ten werde es nur geben, wenn die Notwendigkeit bestehe, wie z. B. beim Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten. “Sparen am Öffentlichen Dienst ist der völlig falsche Weg”, betont Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Schon allein wegen des Fachkräftemangels und der laufenden Pensionierungswelle. Und ist sich darin einig mit Ulrich Silberbach, dem

Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion (DBB). Der Gewerkschafter hält weitere Attraktivitätssteigerungen für dringend notwendig. Und das nicht nur, weil in den letzten Wochen im Öffentlichen Dienst die Folgen des jahrelangen Kaputtsparens sichtbar geworden seien (siehe Seite 3). Oder um die jetzt auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Fachkräfte für den Staat zu gewinnen.

Statt die öffentliche Verwaltung bei der Mittelverteilung auf Diät zu setzen, solle der Staat sogar mehr investieren, so Kindler – auch kreditfinanziert. Entscheidend sei, dass die Schulden tragfähig blieben. Der Fokus sollte auf Nettoinvestitionen liegen, mit denen neue Werte geschaffen werden. Dafür müssten im Öffentlichen Dienst die erforderlichen Ressourcen vorhanden sein und ebenfalls finanziert werden.

Kommentar

Bundesnachrichtendienst nicht degradieren (BS) Ein Nachrichtendienst sollte auf einem sicheren juristischen Fundament agieren. Dieser Idealfall folgt bereits aus seinem speziellen Wesen als größtenteils im Geheimen agierende Behörde, deren Handeln für den einzelnen Betroffenen nur eingeschränkt kontrollierbar ist. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat jedoch gravierende Auswirkungen. Eine sichere rechtliche Basis wäre zwar Selbstzweck für den Bundesnachrichtendienst (BND), steht allerdings in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis zu seiner Arbeits- und Handlungsfähigkeit und damit auch zu seinem Mehrwert für die Bundesregierung. Das zeigt sich prototypisch am Karlsruher Urteil zur Ausland-AuslandFernmeldeaufklärung. Einerseits ist es zwar begrüßenswert, dass die höchsten Richter das für die nachrichtendienstliche Arbeit unabdingbare Instrument für im Grundsatz mit der Verfassung vereinbar erklärten. Dennoch wird die Arbeit des BND durch den Gerichtsentscheid deutlich erschwert. Denn Karlsruhe hat die rechtlichen Grundlagen für die strategische

Fernmeldeaufklärung grundlegend verändert. Dadurch wird die Zusammenarbeit des deutschen Auslandsnachrichtendienstes mit internationalen Partnern massiv behindert. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Kooperationsvereinbarungen nun komplett neu austariert werden müssen. Außerdem dürfte es sich als großes Problem erweisen, wenn der BND zwar weiterhin Erkenntnisse an befreundete Dienste weitergeben darf, ihre Nutzung dann aber zugleich unter einen neuartigen, expliziten Rechtsstaatsvorbehalt stellen muss. Die Befürchtung liegt nahe, dass der deutsche Dienst dann seinerseits in Zukunft weniger Informationen aus dem Ausland erhalten wird. Dadurch würden aber Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz

Gefahren ausgesetzt. Auch für die Sicherheitslage im Inland würde das nichts Gutes bedeuten. Hierzulande wurden fast alle Terroranschläge aufgrund von Informationen befreundeter Dienste verhindert. Selbstverständlich ist ein wirksamer Grundrechtsschutz wichtig. Zugleich muss dem BND aber weiter die Möglichkeit eingeräumt werden, auch jenseits der Bundesrepublik großflächig Erkenntnisse gewinnen zu können. Andernfalls droht er im internationalen Verbund ein Nachrichtendienst zweiter oder sogar dritter Klasse zu werden. Eine solche Herabstufung darf es aber nicht geben. Das gefährdet dann nicht die Sicherheit Einzelner, sondern aller! Marco Feldmann

Guter Hoffnung

Trotzdem sind Austeritätsmaßnahmen sinnvoll. Staatliche Gelder dürfen nicht verschwendet werden. Auch im Öffentlichen Dienst nicht. “Dazu brauchen wir eine umfassende Aufgabenkritik”, bringt es Prof. Knorr auf den Punkt. Schließlich habe bei allen Verwaltungsmodernisierungsreformen der letzten 25 Jahre diese Überprüfung nie stattgefunden. “Die gewünschten staatlichen Leistungen müssen definiert und hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität optimiert werden”, so Knorr. Wenn schon bei einer Namensänderung nach einer Heirat vier Behördengänge notwendig würden, um Personalausweis, Steuerklasse, Führerschein und Anwohner­ parkausweis zu ändern, gebe es ein enormes Potenzial. Schließlich sei die Organisationsentwicklung eine Daueraufgabe, wie Haase ergänzt. Dazu zähle auch, anstelle von immer mehr Spezialisten wieder mehr Generalisten zu beschäftigen. Denn die Verwaltung müsse nicht nur agiler, sondern auch flexibler werden. “Am Ende lassen sich 20 Prozent der Stellen in der öffentlichen Verwaltung einsparen, ohne dass die staatlichen Leistungen schlechter würden”, ist Knorr überzeugt. Dann bleibt auch Spielraum für weitere Attraktivitätssteigerungen. Vorausgesetzt, die richtigen Stellschrauben werden gedreht.


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