Behörden Spiegel März 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. III / 36. Jg / 11. Woche

Berlin und Bonn / März 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Sichtbarer Rechtsstaat erforderlich

Altes Projekt, neuer Anlauf

Mister Germany im Römerbergwerk

Christine Lambrecht über konsequentes Durchgreifen ������������������������ Seite 7

Werner Gatzer zur IT-Konsolidierung 2.0 ������������������������������� Seite 34

Kuno Menchen über seine Arbeit als Archäo-Techniker ������������ Seite 51

Schärfer vorgehen (BS/mfe) Im Saarland werden neue, schärfere Maßnahmen bei Gewalt gegen Einsatzkräfte der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sowie gegen Amts- und Mandatsträger ergriffen. So soll etwa das beschleunigte Verfahren öfter zum Einsatz kommen. Dabei stehen Täter innerhalb einiger Stunden oder weniger Tage nach dem Vergehen vor dem Richter. Außerdem ist vorgesehen, dass der Generalstaatsanwalt eine Richtlinie erlässt, nach der bei Straftaten gegen Personen, die für das Gemeinwohl im Einsatz sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung grundsätzlich bejaht wird. In solchen Fällen werde die Staatsanwaltschaft in Zukunft auf Anzeige hin tätig werden und die Opfer nicht mehr auf den Weg der Privatklage verweisen.

Mediale Infektion gerät außer Kontrolle Covid-19 hat Krisenpotenzial (BS/Uwe Proll) Noch nie wurde die Ausbreitung eines Grippevirus per “Liveticker” minutenaktuell global einem weltweiten Publikum wie ein Krimi mit ungewissem Ausgang, bei dem alle Medienkonsumenten auch selbst Opfer werden können, dargeboten. Hysterie-ähnliche Reaktionen blieben nicht aus. Doch was ist dran am neuen Virus, der mehr Menschen in ihren Köpfen als im Rachenraum oder der Lunge infiziert? Warum sind Regierung und Behörden keine verlässlichen Ratgeber mehr, sondern selbst Irrlichtender?

Erstmals mehr als 12.000 Frauen (BS/mfe) In der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) engagieren sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte über 12.000 Frauen. Insgesamt sind dort knapp 80.000 Freiwillige tätig, davon rund die Hälfte als Einsatzkräfte. Helferinnen sind inzwischen in allen THW-Bereichen tätig, auch in Fachgruppen und Auslandseinheiten. THWPräsident Gerd Friedsam sagt: “Der steigende Frauenanteil ist ein Gewinn für das Technische Hilfswerk.” Denn für einen starken und zukunftsfähigen Bevölkerungsschutz brauche es mehr als große Fahrzeuge und schwere Technik. “Das THW steht auch für die Werte und Pflichten unserer demokratischen Gesellschaft ein”, so Friedsam.

Komba startet Fachkräfte-Kampagne (BS/wim) Der Fachkräftemangel ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr. Schon heute fehlen 300.000 Beschäftigte am Arbeitsmarkt in Deutschland – Tendenz steigend. Leere Stellen einfach mit x-beliebigen Arbeitssuchenden zu besetzen und so das Fachkräftegebot aufzuweichen, kann allerdings keine Lösung für die Herausforderungen der Zukunft sein. Daher hat die Gewerkschaft Komba eine neue Kampagne ins Leben gerufen. Unter dem Motto “Beruf kann “jeder”. Berufung nicht.” wirbt die Gewerkschaft um qualifizierte Fachkräfte. Das Werben um Fachkräfte müsse angesichts des anhaltenden Personalmangels ganz oben auf der Agenda des Öffentlichen Dienstes stehen, so die Gewerkschaft. Zentrales Ziel der Kampagne soll sein, ein Bewusstsein bei den Kommunen zu schaffen und gleichzeitig zu zeigen, dass entsprechend geeignetes Personal für die Arbeit in den vielfältigen Bereichen des öffentlichen Sektors unerlässlich ist.

Dieser Virus führt zu einer gehetzten Erregtheit um ihrer Selbst willen. Dabei wäre eine sachliche Ruhe, verbeitet durch den Öffentlichen Dienst nicht verkehrt. Foto: BS/©Romolo Tavani, stock.adobe.com

A

ls am ersten Freitag Anfang März wieder der Krisenstab des Bundesinnen- und Gesundheitsministeriums zusammentrat, staunten einige Teilnehmer nicht schlecht: Handy-Tracking, um die Infektionskreise zu ermitteln, Urlaubssperre und komplettes Reiseverbot für die Bundesverwaltung waren die Themen. Die Experten waren aus dem gesamten Bundesgebiet, wie auch bei der Krisensitzung im Bundeskanzleramt mit den Bundesländern, persönlich angereist. Keine Videokonferenz.

Auch im Bundestag gibt es bei Mitarbeitern und Abgeordneten nur ein Thema: Was geschieht, wenn der erste Infizierte dort bestätigt wird? Kaum vorstellbar, dass dann alle in ihre Wahlkreise zurückreisen. Auch hier gilt nach dem Bundesseuchengesetz erst mal Quarantäne (siehe Seite 6). Stillstand des Parlamentsbetriebes für mindestens zwei Wochen. Die Reichstagskuppel ist für Besucher bereits gesperrt. Die Bundeswehr hat die Verteidigungsbereitschaft in CoronaZeiten geprüft und steht davor,

drastische Maßnahmen zu treffen, um ihren Auftrag auch in Infektionszeiten wahrnehmen zu können. Reisesperren stehen an. Nun wird die Verteidigung des Landes nicht morgen ausgerufen werden, aber die Einsatzbereitschaft von Polizei und Feuerwehr jeden Tag. In Berlin stehen Dutzende von Polizeibeamten unter Quarantäne, in Düsseldorf und andernorts Teile der Feuerwehr. An der Uni-Klinik der RHTW in Aachen setzt man sich über die Richtlinien des Robert Koch – Instituts (RKI) hinweg und lässt

Mediziner weiterarbeiten, die Kontakt mit Infizierten hatten, weil sonst kein Personal für die Patientenversorgung mehr zur Verfügung stünde. Offensichtlich wurden Erkenntnisse, die aus vorherigen oder auch drohenden Pandemien gezogen wurden, nicht umgesetzt: Vogel- und Schweinegrippe seien genannt. Vorneweg SARS, der Vorläufer von Covid-19. Keine ausreichenden Vorräte an notwendigem hygienischem Material und keine belastbaren Notfallpläne.

Kommentar

Falscher Fokus (BS) “Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not” – dieser Grundsatz der Haushaltspolitik scheint in der aktuellen Debatte um die Schuldenbremse vergessen worden zu sein. Dabei gibt es drängendere Herausforderungen. Auf 138 Mrd. Euro ist laut KfW der Sanierungsstau im letzten Jahr angewachsen. Woran liegt das? Werden weniger finanzielle Mittel für den Erhalt unserer Infrastruktur bereitgestellt als in den Jahren zuvor? Wohl kaum. Mit 43 Mrd. Euro ist der Investitionsetat im Bundeshaushalt so hoch wie nie zuvor. In den letzten 70 Jahren ist enorm viel an Infrastruktur gebaut worden. Inzwischen ist die Vielzahl von Straßen und Gebäuden schlicht in die Jahre gekommen. Außerdem lässt sich der Sanierungstau nicht abbauen. Es wird ihn immer geben. Und so, wie bei der Schuldenbremse darüber diskutiert wird, wie hoch ein Staat verschuldet sein darf, so lässt sich auch bei diesem Thema darüber streiten, ob ein Viertel, ein Drittel, die Hälfte der jetzigen Summe oder ein Betrag von 100 Mrd. Euro verschmerz-

bar ist. Dabei sollte eines nicht vergessen werden. Von einzelnen Objekten abgesehen, sind unsere Infrastrukturen keine Ruinen. Reparaturbedürftig ja, aber nicht in sich zusammengebrochen. Anhand der Diskussion wird vielmehr eines deutlich: Die tradierte Denkweise der Politik, über den Input zu steuern, sie scheint noch immer vorhanden zu sein. Doch nicht jede Tradition muss beibehalten werden. Das Investitionsvolumen ist auf Rekordniveau und soweit es um die Sanierung und den Ausbau öffentlicher Infrastruktur geht, sind weitere Aufstockungen kaum zu bewältigen. Nicht nur das Geld muss da sein, sondern auch durchgeplante und genehmigte Projekte sowie Unternehmen, die die damit verbundenen Aufträge erfüllen. Anstatt über die Schuldenbremse zu streiten (siehe Seite 8) und

jetzt mehr Geld ins bestehende System pumpen zu wollen, sollte erstens nicht vergessen werden: Die nächste Krise wird kommen. Es wäre fatal, wenn dann aus Sparzwängen die Hand wieder an den Öffentlichen Dienst gelegt wird, die jüngsten Stellenaufwüchse rückgängig gemacht würden. Und zweitens sollte viel mehr die Wirkung von Maßnahmen und Investitionen bedacht werden. So auch bei einem anderen Thema: der Wahlrechtsreform. In dem Kontext ist nicht nur die Frage zu stellen, wie eine weitere mögliche Erhöhung der Abgeordnetenzahl im Bundestag auf die Bevölkerung wirkt. Sondern auch, was eine weitere Aufstockung für die Arbeit des Parlaments selbst bedeutet. Damit ließe sich sogar Geld sparen, das wiederum an anderer Stelle investiert werden kann. Jörn Fieseler

Virus-Falle

Dies wurde sträflich vernachlässigt, stattdessen wurden immer weitere kostenoptimierende Maßnahmen getroffen. Die Lernkurve in Sachen Resilienz geht in dieser modernen Gesellschaft nach unten. Gleichzeitig steigt der Drang zur Hysterisierung, gedopt durch eine allgegenwärtige mediale Präsenz, die sich Politik und auch teils Behörden zur Eigenprofilierung zu eigen machen. Ständig geht die Welt unter: Die Flüchtlingswelle überrollt Deutschland, der Terrorismus bedroht den Alltag, die Erde geht nach Fridays for Future noch heute Abend unter, die CyberAttacken schalten gleich den Strom ab, der Rechtsterrorismus gefährdet die Demokratie, jetzt das Corona-Virus und morgen wieder die Flüchtlinge. Eine gehetzte Erregtheit um ihrer selbst Willen. Es fehlt an der notwendigen Beruhigungspille. Wer kann sie verabreichen? Die Politik spielt auf der Erregungsklaviatur ihr eigenes Lied. Es läge am Öffentlichen Dienst, den Präsidenten der Fachbehörden, hier endlich sachliche Ruhe reinzubringen. Doch wenn sich der RKI-Präsident, Lothar Wieler, und der Chef-Virologe der Charité, Christian Drosten, öffentlich widersprüchlich äußern, bleibt auch hierfür wenig Hoffnung.


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