Behörden Spiegel März 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. III / 36. Jg / 11. Woche

Berlin und Bonn / März 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Sichtbarer Rechtsstaat erforderlich

Altes Projekt, neuer Anlauf

Mister Germany im Römerbergwerk

Christine Lambrecht über konsequentes Durchgreifen ������������������������ Seite 7

Werner Gatzer zur IT-Konsolidierung 2.0 ������������������������������� Seite 34

Kuno Menchen über seine Arbeit als Archäo-Techniker ������������ Seite 51

Schärfer vorgehen (BS/mfe) Im Saarland werden neue, schärfere Maßnahmen bei Gewalt gegen Einsatzkräfte der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sowie gegen Amts- und Mandatsträger ergriffen. So soll etwa das beschleunigte Verfahren öfter zum Einsatz kommen. Dabei stehen Täter innerhalb einiger Stunden oder weniger Tage nach dem Vergehen vor dem Richter. Außerdem ist vorgesehen, dass der Generalstaatsanwalt eine Richtlinie erlässt, nach der bei Straftaten gegen Personen, die für das Gemeinwohl im Einsatz sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung grundsätzlich bejaht wird. In solchen Fällen werde die Staatsanwaltschaft in Zukunft auf Anzeige hin tätig werden und die Opfer nicht mehr auf den Weg der Privatklage verweisen.

Mediale Infektion gerät außer Kontrolle Covid-19 hat Krisenpotenzial (BS/Uwe Proll) Noch nie wurde die Ausbreitung eines Grippevirus per “Liveticker” minutenaktuell global einem weltweiten Publikum wie ein Krimi mit ungewissem Ausgang, bei dem alle Medienkonsumenten auch selbst Opfer werden können, dargeboten. Hysterie-ähnliche Reaktionen blieben nicht aus. Doch was ist dran am neuen Virus, der mehr Menschen in ihren Köpfen als im Rachenraum oder der Lunge infiziert? Warum sind Regierung und Behörden keine verlässlichen Ratgeber mehr, sondern selbst Irrlichtender?

Erstmals mehr als 12.000 Frauen (BS/mfe) In der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) engagieren sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte über 12.000 Frauen. Insgesamt sind dort knapp 80.000 Freiwillige tätig, davon rund die Hälfte als Einsatzkräfte. Helferinnen sind inzwischen in allen THW-Bereichen tätig, auch in Fachgruppen und Auslandseinheiten. THWPräsident Gerd Friedsam sagt: “Der steigende Frauenanteil ist ein Gewinn für das Technische Hilfswerk.” Denn für einen starken und zukunftsfähigen Bevölkerungsschutz brauche es mehr als große Fahrzeuge und schwere Technik. “Das THW steht auch für die Werte und Pflichten unserer demokratischen Gesellschaft ein”, so Friedsam.

Komba startet Fachkräfte-Kampagne (BS/wim) Der Fachkräftemangel ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr. Schon heute fehlen 300.000 Beschäftigte am Arbeitsmarkt in Deutschland – Tendenz steigend. Leere Stellen einfach mit x-beliebigen Arbeitssuchenden zu besetzen und so das Fachkräftegebot aufzuweichen, kann allerdings keine Lösung für die Herausforderungen der Zukunft sein. Daher hat die Gewerkschaft Komba eine neue Kampagne ins Leben gerufen. Unter dem Motto “Beruf kann “jeder”. Berufung nicht.” wirbt die Gewerkschaft um qualifizierte Fachkräfte. Das Werben um Fachkräfte müsse angesichts des anhaltenden Personalmangels ganz oben auf der Agenda des Öffentlichen Dienstes stehen, so die Gewerkschaft. Zentrales Ziel der Kampagne soll sein, ein Bewusstsein bei den Kommunen zu schaffen und gleichzeitig zu zeigen, dass entsprechend geeignetes Personal für die Arbeit in den vielfältigen Bereichen des öffentlichen Sektors unerlässlich ist.

Dieser Virus führt zu einer gehetzten Erregtheit um ihrer Selbst willen. Dabei wäre eine sachliche Ruhe, verbeitet durch den Öffentlichen Dienst nicht verkehrt. Foto: BS/©Romolo Tavani, stock.adobe.com

A

ls am ersten Freitag Anfang März wieder der Krisenstab des Bundesinnen- und Gesundheitsministeriums zusammentrat, staunten einige Teilnehmer nicht schlecht: Handy-Tracking, um die Infektionskreise zu ermitteln, Urlaubssperre und komplettes Reiseverbot für die Bundesverwaltung waren die Themen. Die Experten waren aus dem gesamten Bundesgebiet, wie auch bei der Krisensitzung im Bundeskanzleramt mit den Bundesländern, persönlich angereist. Keine Videokonferenz.

Auch im Bundestag gibt es bei Mitarbeitern und Abgeordneten nur ein Thema: Was geschieht, wenn der erste Infizierte dort bestätigt wird? Kaum vorstellbar, dass dann alle in ihre Wahlkreise zurückreisen. Auch hier gilt nach dem Bundesseuchengesetz erst mal Quarantäne (siehe Seite 6). Stillstand des Parlamentsbetriebes für mindestens zwei Wochen. Die Reichstagskuppel ist für Besucher bereits gesperrt. Die Bundeswehr hat die Verteidigungsbereitschaft in CoronaZeiten geprüft und steht davor,

drastische Maßnahmen zu treffen, um ihren Auftrag auch in Infektionszeiten wahrnehmen zu können. Reisesperren stehen an. Nun wird die Verteidigung des Landes nicht morgen ausgerufen werden, aber die Einsatzbereitschaft von Polizei und Feuerwehr jeden Tag. In Berlin stehen Dutzende von Polizeibeamten unter Quarantäne, in Düsseldorf und andernorts Teile der Feuerwehr. An der Uni-Klinik der RHTW in Aachen setzt man sich über die Richtlinien des Robert Koch – Instituts (RKI) hinweg und lässt

Mediziner weiterarbeiten, die Kontakt mit Infizierten hatten, weil sonst kein Personal für die Patientenversorgung mehr zur Verfügung stünde. Offensichtlich wurden Erkenntnisse, die aus vorherigen oder auch drohenden Pandemien gezogen wurden, nicht umgesetzt: Vogel- und Schweinegrippe seien genannt. Vorneweg SARS, der Vorläufer von Covid-19. Keine ausreichenden Vorräte an notwendigem hygienischem Material und keine belastbaren Notfallpläne.

Kommentar

Falscher Fokus (BS) “Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not” – dieser Grundsatz der Haushaltspolitik scheint in der aktuellen Debatte um die Schuldenbremse vergessen worden zu sein. Dabei gibt es drängendere Herausforderungen. Auf 138 Mrd. Euro ist laut KfW der Sanierungsstau im letzten Jahr angewachsen. Woran liegt das? Werden weniger finanzielle Mittel für den Erhalt unserer Infrastruktur bereitgestellt als in den Jahren zuvor? Wohl kaum. Mit 43 Mrd. Euro ist der Investitionsetat im Bundeshaushalt so hoch wie nie zuvor. In den letzten 70 Jahren ist enorm viel an Infrastruktur gebaut worden. Inzwischen ist die Vielzahl von Straßen und Gebäuden schlicht in die Jahre gekommen. Außerdem lässt sich der Sanierungstau nicht abbauen. Es wird ihn immer geben. Und so, wie bei der Schuldenbremse darüber diskutiert wird, wie hoch ein Staat verschuldet sein darf, so lässt sich auch bei diesem Thema darüber streiten, ob ein Viertel, ein Drittel, die Hälfte der jetzigen Summe oder ein Betrag von 100 Mrd. Euro verschmerz-

bar ist. Dabei sollte eines nicht vergessen werden. Von einzelnen Objekten abgesehen, sind unsere Infrastrukturen keine Ruinen. Reparaturbedürftig ja, aber nicht in sich zusammengebrochen. Anhand der Diskussion wird vielmehr eines deutlich: Die tradierte Denkweise der Politik, über den Input zu steuern, sie scheint noch immer vorhanden zu sein. Doch nicht jede Tradition muss beibehalten werden. Das Investitionsvolumen ist auf Rekordniveau und soweit es um die Sanierung und den Ausbau öffentlicher Infrastruktur geht, sind weitere Aufstockungen kaum zu bewältigen. Nicht nur das Geld muss da sein, sondern auch durchgeplante und genehmigte Projekte sowie Unternehmen, die die damit verbundenen Aufträge erfüllen. Anstatt über die Schuldenbremse zu streiten (siehe Seite 8) und

jetzt mehr Geld ins bestehende System pumpen zu wollen, sollte erstens nicht vergessen werden: Die nächste Krise wird kommen. Es wäre fatal, wenn dann aus Sparzwängen die Hand wieder an den Öffentlichen Dienst gelegt wird, die jüngsten Stellenaufwüchse rückgängig gemacht würden. Und zweitens sollte viel mehr die Wirkung von Maßnahmen und Investitionen bedacht werden. So auch bei einem anderen Thema: der Wahlrechtsreform. In dem Kontext ist nicht nur die Frage zu stellen, wie eine weitere mögliche Erhöhung der Abgeordnetenzahl im Bundestag auf die Bevölkerung wirkt. Sondern auch, was eine weitere Aufstockung für die Arbeit des Parlaments selbst bedeutet. Damit ließe sich sogar Geld sparen, das wiederum an anderer Stelle investiert werden kann. Jörn Fieseler

Virus-Falle

Dies wurde sträflich vernachlässigt, stattdessen wurden immer weitere kostenoptimierende Maßnahmen getroffen. Die Lernkurve in Sachen Resilienz geht in dieser modernen Gesellschaft nach unten. Gleichzeitig steigt der Drang zur Hysterisierung, gedopt durch eine allgegenwärtige mediale Präsenz, die sich Politik und auch teils Behörden zur Eigenprofilierung zu eigen machen. Ständig geht die Welt unter: Die Flüchtlingswelle überrollt Deutschland, der Terrorismus bedroht den Alltag, die Erde geht nach Fridays for Future noch heute Abend unter, die CyberAttacken schalten gleich den Strom ab, der Rechtsterrorismus gefährdet die Demokratie, jetzt das Corona-Virus und morgen wieder die Flüchtlinge. Eine gehetzte Erregtheit um ihrer selbst Willen. Es fehlt an der notwendigen Beruhigungspille. Wer kann sie verabreichen? Die Politik spielt auf der Erregungsklaviatur ihr eigenes Lied. Es läge am Öffentlichen Dienst, den Präsidenten der Fachbehörden, hier endlich sachliche Ruhe reinzubringen. Doch wenn sich der RKI-Präsident, Lothar Wieler, und der Chef-Virologe der Charité, Christian Drosten, öffentlich widersprüchlich äußern, bleibt auch hierfür wenig Hoffnung.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / März 2020

Damit eine Organisation immer auf der Höhe der Zeit ist und den aktuellen Herausforderungen effektiv begegnen kann, braucht es einen kontinuierlichen Veränderungs- und Anpassungsprozess. Stillstand hingegen ist kontraproduktiv. Foto: BS/motorradcbr, stock.adobe.com

Organisation

Kein bloßes Lippenbekenntnis

Innovation braucht Kommunikation

Weiterentwicklung vorgesehen

UN-Standort Bonn ..................................................... Seite 14

Digitale Transformation bei Destatis ........................ Seite 31

Konzept “Mobile Police” in Bayern wird fortgeschrieben ......................................................... Seite 46

Daseinsvorsorge als Schlüssel

Sicherheitsarchitektur wird neu konstruiert

Nachhaltigkeit im Beteiligungsmanagement ............. Seite 18

Cyber-Sicherheitsagentur in Baden-Württemberg .... Seite 40

Massive Kritik an Referentenentwurf

Skeptisch einsteigen, begeistert aussteigen

Zusammenarbeit institutionalisiert

Bundesgesundheitsministerium will Notfallversorgung reformieren ................................... Seite 47

Umstellung des kommunalen Fuhrparks ....................... Seite 23

Cyber-Abwehr Bayern hat Arbeit begonnen ............. Seite 41 Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Bevölkerungs- und Katastrophenschutz im Fokus Neuer Behörden Spiegel-Newsletter “Rettung. Feuer. Katastrophe.” (BS/bk) Der Behörden Spiegel erweitert sein Angebot mit dem Newsletter “Rettung. Feuer. Katastrophe.”. Er wendet sich konkret an alle ehrenamtlichen und hauptamtlichen Kräfte aus Feuerwehr, Rettungsdiensten, Katastrophenschutz, der zivil-militärischen Zusammenarbeit sowie an alle Entscheidungsträger in den Gemeinden und Kommunen. In zweiwöchentlichem Rhythmus bietet der Newsletter Hintergründe, Berichte und Interviews rund um den Brand-, Katastrophenund Zivilschutz sowie die Rettung. Die Themen erstrecken sich dabei von Personalveränderungen über neue gesetzliche Rahmen und Regelungen, Finanzierung, Zuständigkeit, Beschaffung, Neues aus der Welt der Rettungstechnik, Organisationsreformen bis hin zur Förderung des Ehrenamtes sowie des Verbandslebens und vielem mehr. Neben den alltäglichen Themen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr werden politische Debatten beleuchtet. Der Newsletter trägt zur Meinungsbildung jedes Einzelnen und der Entscheidungsträger bei. Zudem wird im Newsletter vom täglichen Programm- und Veranstaltungsgeschehen zahlreicher Kongresse und Messen, wie der Interschutz, der Florian und der Brand- und Katastrophenschutztage, berichtet.

Die erste Ausgabe von “Rettung. Feuer. Katastrophe.” beinhaltet neben vielen anderen Artikeln unter anderem Berichte zum Corona-Virus und zu den Vorbereitungen von Feuerwehr und Rettungsdienst darauf, zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit bei der Militärübung “Defender Europe 2020”, zur Wahl des neuen Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV) sowie zu Hintergründen der Vergabe der Frequenzen des Digitalfunks der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS).

Von der Community für die Community Für den Newsletter konnten auch Persönlichkeiten aus der Community gewonnen werden. In der Kolumne “Broemme meint” kommt der Landesbranddirektor Berlins a. D. und ehemalige Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW), Albrecht Broemme, zu Wort. In einem kurzen und präg-

nanten Text kommentiert er Vorgänge und Probleme rund um den Zivil- und Bevölkerungsschutz in Deutschland, wie die Vergabe der Frequenzen des BOS-Digitalfunks oder den Umgang mit der Bedrohung durch Viren im analogen und digitalen Raum. Zusätzlich werden regelmäßig Gastbeiträge von Führungs- und Einsatzkräften aus der Praxis veröffentlicht. Den Beginn macht dabei der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Christoph Unger. In seinem Beitrag geht er auf die Rolle seiner Behörde im “integrierten Hilfeleistungssystem”, die Sensibilisierung der Bevölkerung für Warnsysteme und die nächstes Jahr stattfindende Übung “LÜKEX 21” ein. Bei der Übung soll das Krisenmanagement bei CyberAngriffen auf IT-Strukturen in den Verwaltungen geprobt werden. Der Newsletter kann über die Homepage des Behörden Spiegel (www.behoerden-spiegel.de/

newsletter/) kostenfrei abonniert werden.

Katastrophenschutz in den Sozialen Medien Aber auch in den Sozialen Medien bleibt der Behörden Spiegel nah an der Community des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes. Auf den Kanälen von Twitter (@KataSchtz), Facebook (@KataSchtz) und Instagram (@KataSchtz) können sich die Kräfte aus Feuerwehr, den Rettungsdiensten und den Organisationen des Katastrophenschutzes über aktuelle Meldungen und Veranstaltungen stets informiert halten sowie sich mit anderen CommunityMitgliedern austauschen und auf eigene Meldungen hinweisen.

Der Newsletter berichtet in kurzen, aber präzisen Beiträgen über aktuelle Themen aus dem Alltag von Katastrophen- und Bevölkerungsschützern. Foto: BS/Klawon

Brand- und Katastrophenschutztage kommen Aber der Newsletter ist nicht die einzige Veränderung im Bereich der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr. Der Behörden Spiegel startet dieses Jahr mit den “Brand- und Katastrophenschutztagen” eine neue Veranstaltungsreihe. Sie wurden wie die bekannten Polizeitage des Behörden Spiegel konzipiert. In einer eintägigen Veranstaltung

treffen in Großstädten Experten aus Praxis, Politik und Wirtschaft aufeinander und diskutieren aktuelle Themen aus Feuerwehr, Rettungswesen sowie der Katastrophenhilfe. Die erste Veranstaltung ist für den Herbst dieses Jahres terminiert.

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Giessen Foto 2: BS/BMF, Thomas Koehler Foto 3: BS/Harbeke


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KNAPP

Chance oder Gold Plating?

Zur Entlastung

Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in Deutschland (BS/Jörn Fieseler) Der Schutz von Hinweisgebern ist zu verbessern. Bis zum 21. Dezember 2021 muss die Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, umgesetzt werden. Es sollen sichere Meldekanäle geschaffen werden. Im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) wird derzeit ein Gesetzentwurf vorbereitet. Besonders im Fokus: der sachliche Anwendungsbereich sowie bestehende Ausnahmeregelungen. Und ein dritter Aspekt darf nicht vernachlässigt werden. “Da bislang in Deutschland noch keine umfassende gesetzliche Regelung zum Schutz von Hinweisgebern existiert, besteht Umsetzungsbedarf sowohl für den privaten wie auch den öffentlichen Sektor”, heißt es aus dem BMJV. Zahlreiche Varianten seien zu prüfen und zu bewerten. Dazu tausche sich das Justizministerium mit den anderen Bundesressorts und den Ländern aus. Laut Informationen des Behörden Spiegel gibt es Überlegungen, den Hinweisgeberschutz auf das gesamte Bundesrecht anzuwenden. Demgegenüber listet die Richtlinie zehn Bereiche auf, für die Mindestschutzstandards gelten sollen, wenn Personen Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Allen voran beim öffentlichen Auftragswesen aber auch bei Finanzdienstleistungen, etwa bei der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, und beim Thema Produktsicherheit. Des Weiteren die Themenfelder Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit,

Wer künftig Hinweise zu Rechtsverstößen gibt, soll geschützt werden – unabhängig vom Geschlecht. Allerdings steht noch nicht fest, ob dies für jeglichen Rechtsverstoß gilt, oder nur in ausgewählten Bereichen. Foto: BS/WavebreakmediaMicro, stock.adobe.com

Lebens- und Futtermittelsicherheit, Tierschutz, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz sowie Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten, inklusive der Sicherheit von Netzund Informationssystemen. Ausdrücklich ausgenommen sind der Schutz von Verschlusssachen, anwaltliche und ärztliche Schweigepflichten, das richter-

liche Beratungsgeheimnis und das Strafprozessrecht. Was für die einen eine Verschärfung des EU-Rechts durch das Erweitern nationalstaatlicher Regelungen im Zuge der Umsetzung ist (Gold Plating) ist, ist für andere durchaus nachvollziehbar. “Unter dem Gesichtspunkt von Regeltreue und -konformität macht es durchaus Sinn, den Schutz von

KOMMENTAR

Eine halbe Chance (BS) Ende Februar haben der Bund und die Gewerkschaften Verdi und der DBB Beamtenbund und Tarifunion mit den Verhandlungen für einem Digitalisierungstarifvertrag begonnen. Es sollen Regelungen zum Schutz der Beschäftigten gefunden werden. Aber warum so umständlich? Die Ziele, die mit dem Tarifvertrag erreicht werden sollen, sind richtig und notwendig. Verwaltungsabläufe müssen dringend digitalisiert werden. Dies darf aber nicht dazu führen, dass

Fachkräfte in Zeiten des Mangels den Öffentlichen Dienst verlassen. Sie müssen stattdessen für andere Aufgaben qualifiziert werden. Das soll verhandelt werden. Ebenso sollen Regelungen zum mobilen Arbeiten auf der Agenda stehen. Das tarifvertraglich zu normieren ist löblich. Es kann sogar ein Abschluss mit Signalwirkung werden, wenn es zu einem zügigen Abschluss kommt. Diese Chance sollte genutzt werden. Jedoch, sie reicht nicht aus. Die Beamten dürfen nicht au-

ßen vor gelassen werden. Zwar haben diese den Anspruch auf eine amtsangemessene Beschäftigung, aber die Regelungen, die zum mobilen Arbeiten getroffen werden, müssen ebenso für Beamte gelten, wie die Möglichkeiten zur Qualifizierung. Schließlich gehören über die Hälfte der Beschäftigten der Beamtenschaft an. Daher kann der Tarifvertrag nur ein Zwischenschritt sein. Eine gesetzliche Normierung muss das eigentliche Ziel sein. Jörn Fieseler

Hinweisgebern auf das gesamte Bundesrecht auszudehnen”, sagt Dr. Stefanie Lejeune, Rechtsanwältin und Vorsitzende des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V.. Dies würde auch bei der Etablierung von ComplianceManagementsystemen helfen.

Mit Augenmaß vorgehen Ähnliches ist vom DBB Beamtenbund und Tarifunion zu hören. “Wir würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung die EU-Richtlinie nicht nur mit Blick auf das Unionsrecht umsetzt, sondern möglichst umfassend”, sagt Friedhelm Schäfer, Zweiter Vorsitzender und Fachvorstand Beamtenpolitik. “Mögliche Ausnahmen sollten wohl überlegt und gut begründet sein. An einer Stelle im Bereich des Öffentlichen Dienstes muss – dabei bleiben wir – mit Augenmaß vorgegangen werden: Der Dienstweg muss eingehalten werden, bevor weitere Schritte unternommen werden”, so Schäfer mit Blick auf das Re-

monstrationsrecht für Beamte. Demgegenüber sieht Lejeune darin keinen wirkungsvollen Hinweisgeberschutz. “Es gibt keinen Kommunikationskanal parallel zum Dienstweg.” Dabei sehe das Beamtenrecht Bereiche vor, in denen der Beamte schon von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit sei, etwa laut § 67 Abs. II Nr. 3 Bundesbeamtengesetz (BBG) wenn ein begründeter Verdacht einer Korruptionsstraftat vorliege. “Das ist ein erster Schritt, mehr nicht”, so die frühere Staatssekretärin. Demgegenüber könnten sich tariflich Beschäftigte im Öffentlichen Dienst auf den Whistleblower-Schutz berufen wenn die EU-Richtlinie in nationales Recht transformiert wird. “Es muss im Gesetz ausreichend klargestellt werden, dass der Schutz von Hinweisgebern auch für Beamte gilt”, fordert die Juristin.

Ausnahmen kommen? Wann ein erster Gesetzesentwurf vorliegt, steht noch nicht fest. Neben der Ausgestaltung des sachlichen Anwendungsbereichs gelte es, die Übernahme der Sonder- und Ausnahmeregelungen für kleinere Kommunen und Unternehmen sowie den Anpassungsbedarf für das geltende nationale Recht zu eruieren. So könnten Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern und Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern ausgenommen werden. Ob es dazu kommt, wird sich zeigen müssen. Die Ausgestaltung der Regelungen stehe noch nicht fest. Nach ihrer persönlichen Meinung gefragt, kann sich Justizministerin Christine Lambrecht vorstellen, den Mitarbeitern in jeder Kommune eine Möglichkeit zu geben, bestimmte Vorgänge melden zu können (siehe Seite 7).

(BS/wim) Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, um ein neues Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes (AA) einzurichten. Die neue Behörde soll als Serviceeinrichtung dienen, die dem AA einige nicht-ministerielle Aufgaben abnehme und unter deren Dach ausgewiesene Fach-, Auslands- und Fremdsprachenkompetenz vereint abrufbar gemacht werden solle. Grund für den Aufbau einer solchen neuen Einrichtung sei vor allem, dass der Aufgabenumfang im AA seit dessen Bestehen stetig zugenommen habe. Vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Verwaltung seien Aufgaben hinzugekommen, ohne dass es bislang eine organisatorische Trennung in ministerielle und nicht-ministerielle Aufgaben gegeben habe, heißt es zur Begründung in dem Gesetzentwurf.

Lagebild gefordert (BS/jf) Gegen die zunehmende Gewalt gegen Beschäftige des Öffentlichen Dienst muss das Bundesinnenministerium (BMI) mehr unternehmen, fordert Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbund und Tarifunion. Dem Gewerkschaftsvorsitzenden schwebt ein zentrales Melderegister vor, in dem sämtliche Übergriffe systematisch erhoben werden. “Wir brauchen dringend ein Lagebild, um die Dimension des Problems deutlich zu machen, Handlungsdruck gegenüber Politik und Gesellschaft zu erzeugen und passgenaue Präventions- und Schutzmaßnahmen zu entwickeln.” Dazu forderte Silberbach Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf, die Initiative zu ergreifen und bundesweit einheitliche Standards zu setzen, schließlich würden die Beamtinnen und Beamten ein deutliches Zeichen der Rückendeckung von ganz oben erwarten.

Zukunft Führung Themen und Referenten,, u. a.:

Neue (Führungs-)Kraft in der Behörde entfalten

► Wirksam führen – Hirnforschungsergebnisse für den Führungsalltag Jochen Ludwig, Heidelberger Druckmaschinen ► Zukunft der Arbeit und Auswirkungen auf Führung – Ein Ausblick ins Jahr 2030+ Christian Schoon, Zukunftswissenschaftler, Stadt Köln, FOM Hochschule und Future Impacts ► Führen auf Distanz im digitalen Zeitalter Dr. Joey-David Ovey, Berater und Coach mit dem Schwerpunkt öffentliche Verwaltung

18.-19. Juni 2020

Höhr-Grenzhausen

► Bühne frei – Was Führung mit Präsenz zu tun hat Edith Börner, Schauspielerin, Spezialistin für professionelle Auftrittspräsenz und Inszenierung ► Führung 4.0 – Verloren in der Matrix-Organisation Dirk Nebel, Ministerialdirigent, Abteilungsleiter Zentrale Dienste, Digitale Strategie und Breitbandversorgung im Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt ► Warum Führungskräfte sich mit Mediation befassen sollten? Edmund Schaaf, Bürgermeister a. D., langjähriger Büroleitender Beamter und Mediator WEITERE HIGHLIGHTS: ► Interaktive Workshops und Kommunikationspausen zum kollegialen Austausch ► Kreativspaziergang und gemeinsames Abendessen ► Teilnahme zum attraktiven Preis inkl. Übernachtung im modernen Tagungshotel mitten in herrlicher Natur Eine Veranstaltungsreihe des

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de ► Suchwort „Zukunft Führung“


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Behörden Spiegel / März 2020

Eckpunkte vereinbart

Föderale Vielfalt

Tarifparteien beenden Verhandlungen

Beihilfereglungen in Bund und Ländern

(BS/Jörn Fieseler) “Eine schwierige Geburt, mit einem respektablen Ergebnis”, so fällt das Fazit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) nach der vierten Verhandlungsrunde in Hannover mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) aus. In wesentlichen Punkten wurde das Tarifwerk zwischen Ländern und Kommunen vereinheitlicht.

(BS/jf) Das Beamtenrecht an sich ist schon ein föderaler Flickenteppich. Noch unterschiedlicher als das Laufbahnwesen ist jedoch die Ausgestaltung der Beihilfe als Ergänzung zur privaten Krankenversicherung. Ob Kostendämpfungspauschale, Einkünftegrenze oder Selbstbehalt, bei der Finanzierung von Medikamenten und medizinischen Leistungen müssen die Beamten unterschiedlich hohe Eigenanteile selbst tragen. Jedoch: Auch hier wird die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes gesteigert, wie zwei aktuelle Beispiele zeigen.

Die rund 20.000 Ärztinnen und Ärzte an den 23 tarifgebundenen Universitätskliniken können sich freuen. In drei Stufen mit einer Laufzeit von 33 Monaten sollen die Gehälter um insgesamt 6,5 Prozent steigen. Rückwirkend zum 1. Oktober 2019 erhalten die Mediziner 2,5 Prozent mehr Gehalt, zum 1. Oktober 2020 zwei Prozent und ein Jahr später ein erneutes Plus von zwei Prozent. Vor allem aber würden die Ärzte mit dem Tarifabschluss mehr Planungssicherheit bei den Arbeitszeiten erhalten, so der Zweite Vorsitzende des MB, Dr. Andreas Botzlar. Künftig würden die Mediziner an zwei Wochenenden im Kalendermonat nicht arbeiten müssen. Weder regulär, noch im Bereitschaftsdienst oder in Rufbereitschaft.

Bereitsschafts- und Wochenenddienste begrenzt Hinsichtlich der Bereitschaftsdienste ist vorgesehen, dass jeder Arzt ab Oktober 2020 grundsätzlich höchstens vier Bereitschaftsdienste pro Kalendermonat zu leisten hat. Ein fünfter Dienst könne angeordnet werden, aber nur einmal pro Quartal. Mehr Bereitschaftsdienste seien nur dann zu leisten, wenn die Patientensicherheit gefährdet sei. Damit sei die Regelung identisch zum Tarifvertrag für Ärzte an kommunalen Krankenhäusern, unterstreicht MB-Verhandlungsführer Christian Twardy. Trotz der Ausnahmeregelungen hätten die Mediziner an den Universitätskliniken Anspruch auf eine zahlenmäßige Begrenzung der Dienste. Ähnliches gelte auch für Wochenenddienste zwischen

Für die rund 20.000 Mediziner an Unikliniken werden die Arbeitsbedingungen verbessert. Marburger Bund und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder schlossen einen Tarifvertrag. Foto: BS/Free Photos, pixabay.com

Freitags 21 Uhr und Montags fünf Uhr. Auch bei der Arbeitszeiterfassung und der Dienstplangestaltung erzielten beide Seiten Einigkeit. Ab Juli 2020 ist die Arbeitszeit vollständig durch elektronische oder andere ebenso genaue Verfahren zu erfassen. Damit sei das Prinzip “Anwesenheit ist geleistete Arbeitszeit” für Uniklinik-Ärzte genauso fest verankert, wie für die Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern. Außerdem erhalten die Ärzte ein Einsichtsrecht in die Dokumentation der persönlichen Arbeitszeiterfassung.

TEG-Norm ausgeschlossen Des Weiteren müssen Dienstpläne nunmehr mindestens sechs

Wochen im Voraus aufgestellt sein. Wesentlicher Bestandteil aus Sicht des MB war zudem eine Klausel, mit der eine Verdrängung des Ärzte-Tarifvertrages durch die Anwendung der Kollisionsnorm aus dem Tarifeinheitsgesetz (TEG) ausgeschlossen wird. Diese haben die Arbeitgeber in das Vertragswerk mit aufgenommen. “Für den MB ist mit dieser Tarifsicherung eine Grundbedingung erfüllt, ohne die es keine Einigung hätte geben können”, heißt es seitens der Ärztegewerkschaft. Der Abschluss ist noch nicht gültig. Erst müssen noch die Tarifgremien des MB dem Abschluss zustimmen.

In fast jedem Bundesland gibt es irgendeine Form, die Beamten an den Beihilfeausgaben zu beteiligen. In den meisten wird eine Kostendämpfungspauschale, gestaffelt nach den Besoldungsgruppen, genutzt. Allerdings können die Beträge variieren. Während zum Beispiel in Baden-Württemberg die Spanne von 90 bis 480 Euro reicht, liegt sie in Rheinland-Pfalz und im Saarland zwischen 100 und 750 Euro (siehe Tabelle). Diesen Ländern ist gemein, dass sie die Pauschale erst ab der Gruppe A 6 oder A 7 berechnen. Demgegenüber ist im Hohen Norden bereits ab der Besoldungsgruppe A 2 ein Selbstbehalt von 20 Euro in der Beihilfenverordnung von Schleswig-Holstein normiert. Auch in Berlin (50 bis 770 Euro), Nordrhein-Westfalen (150 bis 750 Euro) und SachsenAnhalt (80 bis 560 Euro) gibt es entsprechende Regularien. Darüber hinaus sehen, wie das Beispiel Baden-Württembergs zeigt, einige Länder Reduktionen bei den genannten Beträgen für Versorgungsbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte und Beschäftigte mit Kindern vor. In der Hansestadt Bremen setzt man hingegen auf einen Selbstbehalt, der sich nach der Höhe des Bemessungssatzes (BMS) richtet. So werden bei einem BMS von 50 Prozent jährlich 50 Euro als Selbstbehalt angerechnet, bei einem Satz von 80 Prozent 87,50 Euro. Für die dazwischenliegenden Regelsätze gelten weitere Beträge. Anders in Bayern. Dort werden anstelle einer Kostendämpfungspauschale kostenartbezogene Eigenbeteiligungen zu Grunde gelegt. So muss etwa jeder Be-

Wie kann es gelingen, vorhandene Silos abzubauen und bestehende Grenzen zu überbrücken?

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom.

Foto BS/privat

disziplinären Teams entwickeln zu lassen bringt nicht gleich alle Mauern zum Einstürzen. Vielmehr zeigt sich, dass übergreifendes Arbeiten überraschend kreative Ansätze hervorbringt. Gleichzeitig entwickelt sich zusätzlich gegenseitiges, tiefgreifendes Kennenlernen und Verständnis, wenn mit Kolleg*innen aus anderen Bereichen gemeinsam gearbeitet wird. Das tun zu

Einkünftegrenze angehoben Auch bei der Berechnung von Beihilfeleistungen für berechtigte Ehegatten und Lebenspartner unterscheiden sich die Regeln der Länder. Während die meisten hier eine Einkünftegrenze von 17.000 oder 18.000 Euro festgelegt haben, gilt in BadenWürttemberg seit 2013 eine grenze von 10.000 Euro. Damit soll nun Schluss sein. Die Landesregierung will rückwirkend zum 1. Januar 2013 die Einkünftegrenze wieder auf

18.000 Euro festlegen und zum 1. Januar 2021 auf 20.000 Euro erhöhen. Dazu soll in Bälde ein Änderungsentwurf zum Landesbeamtengesetz in den Landtag eingebracht werden. Künftig soll der Betrag in bestimmten Abständen überprüft und dann gegebenenfalls angepasst werden. Die Rücknahme der abgesenkten Einkünftegrenze freut die Beamtenvertreter im Ländle. “Was lange währt, wird endlich gut”, kommentierte der Landesvorsitzende des BBW Beamtenbund und Tarifunion, Kai Rosenberger. Indes handelt das Land nicht nur auf Grund der langjährigen Forderungen des BBW, sondern auch, weil letztinstanzlich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Mai 2019 das Land dazu verpflichtet hat. Da das Aufgabenpaket aus dem Urteil des BVerwG sehr umfangreich und rechtlich sehr komplex gewesen sei, habe es allerdings etwas gedauert, die Rechtslage zu ändern.

Beispiele von Kostendämpfungspauschalen BADEN-WÜRTTEMBERG RHEINLAND-PFALZ/SAARLAND Aktive* Besoldungs- Aktive* Versorgungs- Besoldungs- empfänger* gruppe gruppe A 6 / A 7 90 100 A 8 / A 9 A 10 / A 11 115 A 12 150 180 A 13 / A 14 A 15 / A 16 225 275 B 1/ B 2 B 3 – B 5 340 400 B 6 – B 8 höhere Gruppen 480

A 7/ A 8 100 A 9 – A 11 150 A 12 – A 15, B 1 300 A 16, B 2 / B 3 450 B 4 – B 7 600 höhere Gruppen 750

75 85 105 125 140 175 210 240 300 330

*Betrag in Euro Quelle: BS/eigene Recherche

Alles aus einer Hand

Cross-Border Ansätze Führungskräfte müssen dazu bereit sein, über den eigenen Schatten springen zu wollen. Zunächst gilt es, vorhandene Grenzen zu erkennen. Häufig werden diese zwar gesehen, jedoch nicht als effektives Handlungsfeld für die Optimierung der Organisation als Ganzes gesehen. Abgrenzung, Zuständigkeits-Denke und bewusste Sicht nach innen in die eigene Einheit hinein legen die Blickrichtung fest. Optimierungen werden segmentiert angegangen, statt gemeinsam global auf das Zusammenwirken im System zu schauen. Dabei geht es nicht darum direkt revolutionäre neue Organisationsformen mit flachen oder ohne(!) Hierarchien und Strukturen aufzubauen; das ist Startups, die auf der grünen Wiese agieren können, vorbehalten. Aber Lösungen und neue Wege von inter-

amte für jedes Arzneimittel oder Medizinprodukt einen Anteil von drei Euro aufbringen. Demgegenüber hat die Freie und Hansestadt Hamburg die Kostendämpfungspauschale zum Beginn dieses Jahres abgeschafft. Somit ist die Stadt an der Elbe das vierte Land, nach Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Thüringen, das ebenso wie der Bund, auf diese Form des Eigenanteils verzichtet.

können, ohne die “Heimat” und Zugehörigkeit zur Organisationseinheit zu verlieren, kann die notwendige Stabilität für diese Aufgabe geben. Das nächste Level wird erreicht, wenn ein Mitglied aus einer Einheit einbezogen wird, dass keinerlei Bezug zur Aufgabe hat. Erfahrungen mit solchen Gruppen weisen noch höhere Kreativitätslevel auf. So kann bspw. eine Pflegekraft in einer Technikaufgabe Lösungshinweise aus dem eigenen Erfahrungsraum beisteuern, die das Ergebnis in völlig neue Richtungen bringen kann. Dies wäre einer reinen Technikgruppe nicht gelungen. Dabei wird viel voneinander gelernt und auch zukünftige Aufgaben breiter angegangen. Der Lösungsraum wird deutlich erweitert und gedankliche Grenzen überwunden. Werden wir selbst zu bewussten Grenzgänger*innen!

Neuer Leitfaden berücksichtigt einschlägige Rechtsprechung (BS/Dr. Jörg-Michael Günther/Prof. Dr. Lars Oliver Michaelis*) Die Fallgestaltungen bei Dienstunfällen sind enorm, die Prüfung eines Dienstunfallantrags durch die Dienstunfallfürsorgestellen oft schwierig. Nun gibt es eine neue Hilfestellung. Bei der Anerkennung als Dienstunfall müssen schließlich zahlreiche rechtliche und medizinische Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein. Folge hiervon ist, dass es zur Frage des Vorliegens eines Dienstunfalls eine kaum noch überschaubare Rechtsprechung gibt. Bei dieser Ausgangslage ist es sehr zu begrüßen, dass mit der neuen Darstellung des Dienstunfallrechts von Günther/ Michaelis/Brüser ein aktueller bundesweiter Leitfaden für dieses Rechtsgebiet vorgelegt wird.

Zahlreiche Fallbeispiele Das rund 290 Seiten umfassende Werk stellt die Grundlagen des Dienstunfallrechts für Bundesund Landesbeamte auf Basis der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur dar. Dabei wer-

den auch die vom Bund 2018 zum BeamtVG 2018 erlassenen neuen Verwaltungsvorschriften einbezogen. Alle maßgeblichen Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes des Bundes (§§ 30 ff. BeamtVG) und einzelne Abweichungen im Versorgungsrecht der Bundesländer werden mit zahlreichen Fallbeispielen dargestellt.

Von Gutachteraufträgen bis Wegeunfälle In einem eigenen Kapitel widmen sich die Autoren ausführlich auch wichtigen Sonderthemen wie der sachgerechten Gutachterauswahl, Formulierungshilfen für Gutachteraufträge und den Grundsätzen für die Auswertung von Gutachten. Außerdem werden besonders aktuelle Probleme wie die Reichweite und die Grenzen des Dienstunfallschutzes bei modernen Arbeitsformen (Telearbeit, mobile Arbeit) ausführlich behandelt. Weitere Schwerpunkte in dem Buch sind dienstunfallrechtliche Folgen von Angriffen auf Beamte im und außerhalb des Dienstes sowie die Abgrenzung zu sogenannten Gelegenheitsursachen oder Beweisgrundsätze im Dienstunfallrecht. Daneben werden alle Varianten von Wegeunfällen behandelt und immer besonders praxisnahe Themen wie Dienstunfälle bei dienstlichen Veranstaltungen und Sachschadensersatz dar-

gestellt. Dem Dienstunfallschutz für Personalräte, Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen und Gleichstellungsbeauftragte ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Das Werk dürfte neben diesem Kreis für vom Thema betroffene Beamte in Bund und Ländern, Dienstunfallfürsorgestellen, begutachtende Ärzte, Rechtsanwälte und Gerichte von Interesse sein. * Dr. Jörg-Michael Günther leitet das Justiziariat und Referat für Öffentliches Dienstrecht im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW. Prof. Dr. Lars Oliver Michaelis ist Professor für Staats-, Europa- und Beamtenrecht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW.

Save the Date Aktuelle Fragestellungen und neue Entscheidungen rund um das Dienstunfallrecht erläutern die Autoren in zwei Praxisseminaren des Behörden Spiegel am 14. Mai 2020 in Düsseldorf und am 29. Oktober 2020 in Berlin. Anmeldung und Programm unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Dienstunfall”.


Daten & Fakten

Behörden Spiegel / März 2020

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(BS/jf) Die meisten Beamten und Versorgungsempfänger nutzen neben der privaten Krankenversicherung die gesetzliche Beihilfe. Nur wenige können und haben sich für eine pauschale Beihilfe entschieden. Von Einheitlichkeit kann jedoch keine Rede sein. Zu stark differieren die Zahlen nach Berechtigten, Anträgen und Ausgaben. Jedoch: Ein Vergleich der Länder ist nicht möglich. Zu unterschiedlich ist die Ausgestaltung hinsichtlich Eigenanteilen und Kostendämpfungspauschale (siehe Seite 4).

Beständiges Modell

Regelbemessungssätze

50

Beispielzahlen für eine pauschale Beihilfe

70

70

%

%

berechtigte Beamte ohne Kinder

berechtigte Beamte mit mindestens zwei Kindern

70

80

%

1.650

%

50

80

%

%

%

475

berechtigte Beamte im Ruhestand, Witwe/Witwer

berücksichtigungsfähige Ehegatten

1.671

entpflichtete Hochschullehrer berechtigte Waise

berücksichtigungsfähiges Kind

Die pauschale Beihilfe wurde ebenfalls in Rheinland-Pfalz und Thüringen eingeführt, dort liegen noch keine Zahlen vor. Quelle: BS/eigene Recherchen

Exemplarische Übersicht Beihilfeberechtigte* aktive Beamte

Land

Versorgungsempfänger

196.236

139.809

233.700

148.900 34.932

12.585

14.585

13.692

34.838

29.480 80.357

107.567

103.000

137.000

214.850

281.350 72.471

50.836 15.385

16.227

11.793

63.630 45.502

26.135 11.289

31.043 142.778

170.024

* Polizisten und Feuerwehrangehörige werden in manchen Bundesländern über die Heilvorsorge abgesichert, ihre Angehörigen erhalten jedoch die Beihilfe. ** nur die Zahlen vom Bundesverwaltungsamt

Exemplarisch: Zahl der Anträge* Land

Quelle: BS/eigene Recherche

Exemplarisch: Höhe der Ausgaben* Land

Anträge*

Ausgaben*

1.407

1.552,9 1.580

1.782 104,8

116,2 78,1

70,5 320,4

309,5 627,6

717,9 1.030

900 2.400

2.270

584,8

595,3

153,6

136,8

153,6

96,8 357,7

311

139,7

107,4 1.376

* in Tausend, gerundet ** nur bearbeitete Anträge *** nur die Zahlen vom Bundesverwaltungsamt

1.427,9

* in Mio. Euro, gerundet ** nur Kernverwaltung und Hochschulen in Bremen, ohne Bremerhaven und Eigenbetriebe *** nur die Zahlen vom Bundesverwaltungsamt

Grafiken/Illustration: BS/Karin Vierheller; unter Verwendung von Grafiken von ©irina, Fotolia Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.

Quelle: BS/eigene Recherche


Bund / Länder

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Z

ahlreiche Städte im gesamten Bundesgebiet kämpfen noch heute mit den Altlasten der Kampfhandlungen wie Nebel-, Brand-, Splitter- und Sprengbomben, Granaten und sonstiger Munition. Immer wieder müssen Verwaltungen wie etwa in Dortmund mehrere Tausend Menschen evakuieren. Dort mussten Anfang des Jahres circa 14.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen, da zwei 250-Kilogramm-Fliegerbomben gefunden worden waren. Diese Meldungen dürften auch in den nächsten Jahren nicht weniger werden. Durch den weiteren Zuzug in die großen Städte und die damit verbundene Bauaktivität ist mit vermehrten Bombenfunden zu rechnen. Seit Jahren steigen die Anfragen zur Luftbildauswertung und weiterführenden Räumungen im Rahmen von Bautätigkeiten an die zuständigen Kampfmittelbeseitigungsdienste. Allein in Nordrhein-Westfalen erhöhte sich die Anzahl der Anfragen von 31.153 im Jahr 2017 auf 34.046 im Jahr 2018. Damit wird ein jahrelanger Trend fortgesetzt. Aber nicht nur die Zahl der Anträge steigt, sondern auch die Fläche, die geprüft werden muss. Zusätzlich sei durch eine bessere technische Luftbildauswertung ein genaueres Vorgehen möglich, heißt es aus dem Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung Arnsberg.

Der lange Atem des Zweiten Weltkrieges Auch 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges werden Bomben und andere Sprengkörper nicht ungefährlicher. Im Gegenteil. Man befürchtet, dass die Kampfmittel weiter korrodieren und die Bomben sowie die Zünder noch unberechenbarer

Behörden Spiegel / März 2020

Die Katastrophe liegt im Boden Bombenblindgänger – ein permanentes Problem (BS/Bennet Klawon) Der Sommer letzten Jahres wird den Menschen in Brandenburg nicht nur wegen seiner hohen Temperaturen in Erinnerung bleiben, sondern auch aufgrund des Waldbrands bei Jüterbog. Bei dem schweren Brand wurden die Löscharbeiten für die Einsatzkräfte der Feuerwehr nicht nur durch die Hitze und den Wind erschwert, sondern auch durch Bombenblindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Teilweise konnten Einsatzkräfte nicht vorrücken, da die Gefahr einer Detonation der Blindgänger zu hoch war. Rund 13 Prozent der Mark, 392.000 Hektar, gelten als kampfmittelbelastet. Aber nicht nur in der Fläche bleiben die Gefahren groß.

Nicht nur Bomben bergen große Gefahren für die Bevölkerung.

offiziellen Schätzungen rund 1,6 Millionen Tonnen an Munition auf dem Meeresgrund vor der deutschen Küste.

Uneinheitliches Vorgehen bei den Räumdiensten

Aufgrund der regen Bautätigkeit wird die Zahl der Kampfmittelfunde (Foto) in Deutschland wahrscheinlich weiterhin steigen. Fotos: BS/Feldmann

werden. Zudem sind Umweltfolgen, wie das Austreten giftiger Schadstoffe aus den Bomben, zu befürchten. Historiker gehen davon aus, dass während des Zweiten Weltkrieges 1,3 bis 1,4 Millionen Tonnen Bomben bei Luft-

angriffen auf das Gebiet des damaligen Deutschen Reichs abgeworfen wurden. Da die meisten Fliegerbomben weniger als eine Tonne wogen, wird die Anzahl der Sprengkörper auf eine zweistellige Millionenzahl geschätzt. Zehn bis 15 Prozent

der abgeworfenen Kampfmittel sollen nicht detoniert sein und liegen seitdem teilweise metertief unter der Erde. Zusätzlich befinden sich noch Waffen und andere Munition in den Böden. Auch davon geht eine erhebliche Gefahr aus. Zudem liegen nach

Die Gefahrenabwehr, damit auch die Beseitigung von Kampfmitteln, fällt in die Zuständigkeit der Länder. Dies hat zur Folge, dass sich bundesweit ein uneinheitliches Bild bei der Herangehensweise und der Organisation ergibt. Während einige Länder die Dienste bei der Polizei ansiedeln, gliedern andere diese den Landesvermessungsstellen an oder beauftragen externe Dienstleister. Zusätzlich gibt es keine deutschlandweiten gesetzlichen Regelungen zur Beseitigung, der Finanzierung und der materiellen Anforderung an die Kampfmittelräumung. Die Kosten der Beseitigung von alliierten Kampfmitteln tragen die Länder. Der Bund kommt nur für die

Räumung reichseigener Kampfmittel sowie auf bundeseigenen Liegenschaften auf. Als Konsequenz der föderalen Aufgabenverteilung gibt es auch keine bundesweite Übersicht zu Kampfmittelfunden, Entschärfungen und Beseitigung. Betrachtet man alle Jahresbilanzen zusammen, ergibt sich für das Gebiet der Bundesrepublik folgendes Bild: Allein im Jahr 2018 wurden Kampfmittel mit einem Gesamtgewicht von 1.370 Tonnen in Deutschland entschärft. Besonders betroffen waren städtische Bereiche oder (ehemals) bedeutende Indus­ triegebiete. Für das Jahr 2019 liegen noch keine vollständigen Daten vor.

Keine bundesweite Definition Bei diesen Zahlen ist jedoch zu beachten, dass es keine einheitliche Definition von “Kampfmittel” in den Landesgesetzen gibt. Während einige nur Kampfmittel, die Explosivstoffe enthalten, als solche definieren, fassen andere Länder den Begriff weiter und zählen auch unbrauchbare Munition und Gegenstände dazu, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie Explosivstoffe enthalten. Aufgrund der uneinheitlichen Herangehensweise der Länder wurde auf der letzten Sitzung der Innenministerkonferenz (IMK) eine Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft “Kampfmittelräumung” initiiert. Dort sollen Lösungen zur Verstärkung des Informationsaustausches und zur besseren fachlichen Abstimmung bei technischen Verfahren sowie Qualitätsanforderungen für Mitarbeiter der Kampfmittelbeseitigung und des Forschungsbedarfs gefunden werden. Auf der nächsten IMK-Tagung in Erfurt sollen erste Ergebnisse präsentiert werden.

Dokumentenprüfgeräte im Test

Keine Aufhebung der Immunität erforderlich

Berliner Bürgerämter mit neuer Ausrüstung

Auch Bundestagsabgeordnete unterliegen grundsätzlich Infektionsschutzgesetz

(BS/kh) Jahrelang hat in Berlin als einziger Bezirk Neukölln Dokumentenprüfgeräte der Bundesdruckerei (BS/Marco Feldmann) Werden gegen ein Mitglied des Deutschen Bundestages Maßnahmen nach dem Infektizur Erkennung gefälschter Dokumente angewandt. Nun sind die Geräte seit Anfang März in insgesamt neun onsschutzgesetz ergriffen, braucht es dafür keine vorangegangene Aufhebung der Immunität. Dies würde mit Bezirken in der praktischen Erprobung. Blick auf das Coronavirus auch dann gelten, wenn gegen den Parlamentarier Quarantäne verhängt würde. Für jedes entsprechend notwendige Vorgehen zum Schutz gegen das Mitglied des Bundestages oder zu dessen 141 Geräte sind im Einsatz, die Möglichkeit. Somit können Ver- bei denen das Prüfgerät eine Schutz gegen andere braucht es ebenfalls keine Immunitätsaufhebung.

von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bürgerdienste zur Prüfung von maschinenlesbaren Ausweisen, Führerscheinen und Pässen genutzt werden. Sie sind mit den Daten von fast 2.000 Dokumenten aus aller Welt gespeist, mit denen die Ausweispapiere abgeglichen werden. Die Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik, Sabine Smentek, betont: “Auch zuvor wurden Dokumente selbstverständlich überprüft. Nun erhalten die Mitarbeitenden in den Bezirken eine zusätzliche und technische

dachtsfälle auf gefälschte Papiere schneller erkannt und an die Polizei weitergeben werden.” Mit Beginn der Prüfungen wurden auch die örtlichen Polizeidienststellen auf die zu erwartenden Verdachtsfälle hingewiesen und die Zusammenarbeit vor Ort festgelegt, heißt es aus der Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Bereits im Vorfeld konnten die Bezirke die Geräte testen. Rund 200 Mitarbeitende wurden von der Bundespolizei und dem Landeskriminalamt geschult, wie Dokumente zu überprüfen sind,

Auffälligkeit angezeigt hat. Der sogenannte Probeechtbetrieb in der täglichen Praxis ist nun bis zum 30. Juni 2020 befristet, der Regelbetrieb startet dann im Sommer 2020. Das Vorhaben wurde von der Senatsinnenverwaltung gemeinsam mit dem ITDienstleistungszentrum Berlin (ITDZ) realisiert, die Kosten von 1,2 Millionen Euro für den Kauf und den Betrieb der Geräte wurden vom Senat übernommen. Die Einführung der Geräte in Pankow, Mitte und Treptow-Köpenick soll in wenigen Wochen folgen.

Reicht das Geld? Wiederaufforstung beginnt (BS/kh) Bundesweit sollen rund 180.000 Hektar Waldflächen wieder bewaldet werden. Den Ländern gehören circa 30 Prozent der Gesamtwaldfläche. Dennoch sind sie nicht über die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) förderfähig. Derweil zeichnen sich größere Schäden ab als bislang angenommen. “Die zusätzlichen Waldhilfen, die über die “Förderung von Maßnahmen zur Bewältigung der durch Extremereignisse verursachten Folgen im Wald” im Rahmen der GAK für Wiederaufforstungen geschädigter Wälder bereitgestellt werden, können nur von privaten und kommunalen Waldbesitzern in Anspruch genommen werden”, wie es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion heißt. Förderfähig seien Wiederaufforstung, Vor-, Nach- und Unterbau sowie Nachbesserungen in lückigen oder verlichteten Beständen, die durch Extremwetterereignisse und deren Fol-

gen entstanden sind, durch Saat oder Pflanzung sowie Naturverjüngung einschließlich Kulturvorbereitung. Es liege aber nicht in der Zuständigkeit der Bundesregierung, zu planen, wie diese Hilfen tatsächlich in Anspruch genommen würden. Die Umsetzung der GAK liege in der Zuständigkeit der Länder. Insgesamt hatte der Bund knapp 800 Millionen Euro zusätzlich zur Aufforstung in den kommenden vier Jahren in Aussicht gestellt. Davon wollte er selbst 480 Millionen Euro übernehmen, den Rest sollen die Länder stemmen. Allerdings hat nun das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL)

mitgeteilt, dass statt der bisher ermittelten 180.000 Hektar bundesweit 245.000 Hektar aufgeforstet werden müssten. Grob entspricht das der Fläche des Saarlandes. Zudem geht die Prognose jetzt von 160 Millionen Kubikmetern Schadholz aus. Bei einer Erhebung im Spätsommer 2019 waren 105 Millionen Kubikmeter errechnet worden. Besonders betroffen sind Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen. Im Verlauf des Jahres müssten die Angaben möglicherweise noch einmal angepasst werden, teilt das BMEL mit. Je nach Witterung der nächsten Monate.

Allerdings sind die zuständigen Behörden, also insbesondere das örtlich zuständige Gesundheitsamt, verpflichtet, den Präsidenten des Deutschen Bundestages unverzüglich über die gegen einen Parlamentarier angeordneten Maßnahmen zu unterrichten. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ist gemäß der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages berechtigt, zu prüfen oder prüfen zu lassen, ob es sich um nach dem Infektionsschutzgesetz gerechtfertigte Maßnahmen handelt. Hält er sie nicht oder nicht mehr für erforderlich, so kann der Ausschuss im Wege der Vorentscheidung die Aussetzung der angeordneten Maßnahmen verlangen. Kann der Ausschuss allerdings nicht innerhalb von zwei Tagen nach Eingang einer Mitteilung der zuständigen Behörden zusammentreten, so hat der Bundestagspräsident insoweit die Rechte die Ausschussrechte wahrzunehmen. Er muss die Ausschussmitglieder in diesem Fall unverzüglich über seine Entscheidung in Kenntnis setzen.

Desinfektionsgeräte installiert Aus der Bundestagsverwaltung hieß es, dass den Abgeordneten bei Fragen oder zur Abklärung möglicher Krankheitssymptome die Parlamentsärztin zur Verfügung stehe. Für einige Fraktionen und deren Mitarbeiter fungiere sie auch als Betriebsärztin. Eine weitere Betriebsärztin kümmere sich um die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung.

Für die Beschäftigten und die Abgeordneten – hier allerdings mit den oben erwähnten Einschränkungen – würden die normalen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes gelten. Des Weiteren seien als sichtbare Maßnahme unter anderem an den Ein- und Übergängen der Liegenschaften des Bundestages etwa 60 Geräte zur Handdesinfektion installiert worden.

Dienstreisen aufs Nötigste reduzieren Des Weiteren hat Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) alle Abgeordneten per Brief dazu aufgefordert, die Präventions- und Verhaltenshinweise der Behörde zu beachten und entsprechend auf ihre Mitarbeiter einzuwirken. Dienstreisen – vor allem in Risikogebiete – sollen auf das “zwingend notwendige Maß” begrenzt werden. Weiter heißt es in dem Schrei­ ben: “Darüber hinaus beabsichtige ich für den Fall, dass öffentliche Großveranstaltungen in Berlin abgesagt werden, auch die Dachterrasse und Kuppel für den öffentlichen Besucherverkehr zu schließen.” Weitere, kurzfristig notwendig werdende Maßnahmen seien nicht ausgeschlossen. Auch die Beschäftigten der Bundestagsverwaltung erhielten vom Direktor eine Hausmitteilung mit Verhaltenshinweisen.

Regelung ausgeweitet Auch die SPD- sowie die Unions- und die Grünenfraktion haben Informationsschreiben an ihre Abgeordneten und

Auch für die Mitglieder des Deutschen Bundestages gelten im Allgemeinen die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes. Allerdings gibt es einige Einschränkungen. Foto: BS/Berthold Kamps, pixelio.de

Mitarbeiter versandt. Bei den Sozialdemokraten wurden die Regelungen zum mobilen Arbeiten erweitert. Normalerweise dürften Fraktionsmitarbeiter in sitzungsfreien Wochen zwei Tage pro Woche mobil arbeiten. Dieser Zeitraum sei nun auf zwei Wochen erweitert worden, auch während der Sitzungswochen. Die Regelung gelte für den Umgang mit Verdachtsfällen mit leichten Krankheitssymptomen. Solche Fälle habe es bisher aber noch nicht gegeben, hieß es aus der Fraktion. Mitgliedern und Mitarbeitern der CDU/CSU-Fraktion werden Dienstreisen in Corona-Risikogebiete vorerst nicht mehr genehmigt. Dies gilt jedoch nicht für bereits gestattete Reisen. Von der Linken-Fraktion gab es keine weiteren Hinweise oder Vorgaben an Mitarbeiter oder Abgeordnete.


Bund / Länder

Behörden Spiegel / März 2020

B

ehörden Spiegel: Deutschland verroht. Es scheint so, als ob der Rechtsstaat nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen gilt, zum Beispiel bei der ClanKriminalität. Was kann und will das Justizministerium dagegen unternehmen? Lambrecht: Der Rechtsstaat muss deutlich sichtbar sein. Diese Erwartungshaltung an die Politik gilt zu Recht. Mit Blick auf die Clan-Kriminalität war es insbesondere wichtig, dass wir die Möglichkeiten erweitert haben, kriminell erlangte Vermögenswerte schnell einzuziehen. Unseren Ermittlungsbehörden müssen die entsprechenden Instrumente zur Verfügung stehen. Dann muss aber auch konsequent durchgegriffen werden. Hass und Hetze im Internet stellen eine weitere große Gefahr für den Rechtsstaat dar. Die Demokratie wird ausgehöhlt, wenn immer mehr Menschen sich wegen Diffamierungen und Bedrohungen zurückziehen. Deshalb habe ich ein Gesetz gegen Hasskriminalität ins Kabinett gebracht. Behörden Spiegel: Ist die Justiz, etwa was das Wissen und die Ausbildung der Mitarbeiter dazu betrifft, ausreichend auf das Phänomen Hate Speech im Internet vorbereitet? Lambrecht: In den Ländern existiert eine große Bereitschaft, jetzt mit Blick auf diesen Phänomenbereich aktiv zu werden. Denn wenn dagegen nicht vorgegangen wird, besteht die Gefahr, dass Menschen nicht mehr bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren oder rassistische Anfeindungen noch mehr um sich greifen. Und dann gerät unsere Demokratie in Gefahr. Staatsanwaltschaften und Polizeien sind hier inzwischen deutlich sensibilisiert. In Niedersachsen werden von den Staatsanwaltschaften zum Beispiel keine Verfahren mehr eingestellt, in denen es um demokratiefeindliche Hetze geht. Außerdem werden in den Ländern vermehrt Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet. Das ist der richtige Weg.

Es braucht einen sichtbaren Rechtsstaat Zeitgemäße Befugnisse und konsequentes Durchgreifen notwendig (BS) Das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz erodiert zunehmend. Das dürfe keinesfalls hingenommen werden, findet Christine Lambrecht. Die Bundesjustizministerin plädiert für stringentes Handeln der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) und von Richtern und Staatsanwälten. Die Fragen an die Sozialdemokratin stellte Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel. schaftlicher Entwicklungen überflüssige Normen zu streichen?

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will keinen schwachen Rechtsstaat dulden.

Lambrecht: Sie können sich schon heute nicht grenzenlos anonym betätigen. Über die jeweilige IP-Adresse können natürliche Personen identifiziert werden. Darum geht es auch bei der geplanten Novellierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Provider sollen verpflichtet werden, bei Posts in Sozialen Netzwerken, bei denen es sich um Straftaten von erheblicher Bedeutung handelt, die zuletzt genutzte IP-Adresse des jeweiligen Nutzers an die vorgesehene Zentralstelle beim Bundeskriminalamt zu übermitteln. Damit lassen sich die Urheber solcher Posts ermitteln. Außerdem sind die jeweiligen Betreiber verpflichtet, strafbare Inhalte zu sperren und zu löschen. Ich halte aber nichts davon, im digitalen Raum eine Klarnamenpflicht einzuführen. Es muss auch weiterhin möglich

Die Sozialdemokratin plädiert für ein konsequentes Handeln – nicht nur der Justiz.

Behörden Spiegel: Braucht es neben Schwerpunktstaatsanwaltschaften auch Weiterbildungen für Richter, Staatsanwälte und Polizisten?

sein, sich innerhalb bestimmter Grenzen anonym im Internet zu bewegen.

Lambrecht: Ja, absolut. An der Richterakademie werden bereits entsprechende Lehrgänge angeboten. Jährlich nutzen insgesamt rund 5.000 Richter bundesweit die Angebote der Richterakademie. Wichtig ist im Kampf gegen Hate Speech auch, dass Richter sich untereinander austauschen. Und das nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend.

Lambrecht: Die Diskussionen um das Overblocking gab es bereits 2017, als das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft trat. Die damals vorgetragenen Sorgen haben sich jedoch nicht bewahrheitet. Und das ist auch gut so. Denn die Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut, das nicht beschädigt werden darf. Aber natürlich beobachten wir ganz genau, ob Plattformbetreiber entsprechend ihrer Verpflichtungen auch tatsächlich strafbare Inhalte sperren und löschen. Im Rahmen der Überarbeitung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes haben wir nun

Behörden Spiegel: Besteht aber nicht die Gefahr “Die Demokratie wird ausgehöhlt, des Overblockings, alwenn immer mehr Menschen sich so dass Plattformbetreiber mehr löschen wegen Diffamierungen und Be- als eigentlich erforderlich? drohungen zurückziehen.”

Behörden Spiegel: Sollen sich die Bürger weiterhin grenzenlos anonym im Internet bewegen dürfen?

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auch Möglichkeiten für Nutzerinnen und Nutzer der Sozialen Netzwerke vorgesehen, sich gegen aus ihrer Sicht unberechtigte Sperrungen und Löschungen zu wehren. Künftig können sie in einem solchen Fall verlangen, dass diese Entscheidung von dem Plattformbetreiber überprüft wird. Das ist wichtig, um Nutzerrechte zu stärken.

Fotos: BS/Giessen

vider Volksverhetzungen, Morddrohungen sowie andere schwere Straftaten melden. Dort wird vorgefiltert und die Straftaten an die zuständigen Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Allein für diese Zentralstelle schaffen wir 300 Stellen. Behörden Spiegel: Die Strafbarkeit des Verbrennens von Flaggen soll erweitert werden. Weshalb?

“Ich halte aber nichts davon, im digitalen Raum eine Klarnamenpflicht einzuführen.” Behörden Spiegel: Und wie stellen Sie sich zur Kritik, dass im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes private Akteure staatliche Aufgaben wahrnehmen würden? Lambrecht: Aus meiner Sicht nehmen Private hier keine staatlichen Aufgaben wahr, denn Ermittlungsverfahren werden von Staatsanwaltschaften geführt. Außerdem sehe ich Betreiber großer Plattformen schlicht und einfach in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass auf ihren Angeboten nicht ungehemmt Straftaten begangen werden können.

Lambrecht: Das Verbrennen ist bereits heute strafbar, wenn die Flagge vor einer Botschaft weht oder zu einer internationalen Begegnung aufgehängt wurde. Jetzt möchte ich erreichen, dass das Verbrennen von Flaggen und anderen Hoheitszeichen auch in anderen Zusammenhängen, vor allem bei Demonstrationen, strafbewehrt wird. Denn solche Aktionen bei Versammlungen verletzen das Ehrgefühl von Bürgern der betroffenen Staaten zutiefst. Das haben wir zuletzt etwa bei der Verbrennung türkischer oder israelischer Flaggen beobachten müssen.

Behörden Spiegel: Sie haben gerade selbst den Hass auf Israel angesprochen. Braucht es im Kampf gegen Antisemitismus strafrechtliche Veränderungen?

Behörden Spiegel: Für den Rechtsstaat ist 2017 ein Pakt geschlossen worden. 220 Millionen Euro sollten fließen und 2.000 Stellen geschaffen werden. Wie ist der Umset- “Es bringt nichts, wenn wir Strafzungsstand? verschärfungen vereinbaren,

diese aber nicht durchsetzen

Lambrecht: Die Umkönnen, weil die Ermittlungssetzung des Pakts für den Rechtsstaat läuft behörden nicht entsprechend nach Plan. Die Länder ausgestattet sind.” haben in ihrem Bericht dargelegt, dass sie bereits mehr als die Hälfte Lambrecht: Auch wenn Präder vereinbarten Stellen einge- vention in diesem Bereich besonrichtet haben. Der Bund konnte ders wichtig ist, sind aus meiner den Ländern daraufhin die erste Sicht Änderungen im Strafrecht Tranche in Höhe von 110 Mil- erforderlich. Ich finde, dass anlionen Euro vereinbarungsge- tisemitische Motive explizit als mäß zur Verfügung stellen. Jetzt strafverschärfende Gründe aufwerden wir sehr genau darauf genommen werden müssen. Das achten, dass auch die weiteren ist bisher in dieser Deutlichkeit Stellen geschaffen werden. Es nicht der Fall. Deshalb habe ich bringt nichts, wenn wir Strafver- ein entsprechendes Reformvorschärfungen vereinbaren, diese haben bereits ins Bundeskabiaber nicht durchsetzen können, nett eingebracht. weil die Ermittlungsbehörden Behörden Spiegel: In den vernicht entsprechend ausgestattet sind. Das wäre ein verheeren- gangenen 14 Jahren ist in Sachen des Signal an die Bürger unseres Bürokratieabbau sehr viel unterLandes. nommen worden. Trotzdem gibt Deshalb haben wir uns auch es auf Bundesebene über 1.700 beim Thema Hasskriminalität Einzelgesetze mit mehr als 50.000 darauf verständigt, eine Zentral- Detailnormen. Wäre es nicht sinnstelle beim Bundeskriminalamt voll, diese Normen komplett neu (BKA) zu schaffen, an die Pro- zu sortieren und anhand gesell-

Lambrecht: Das ist beispielsweise im Strafrecht eine schwierige Situation. Nur weil über eine bestimmte Zeit ein Straftatbestand vielleicht nicht angewandt wurde, heißt es nicht, dass es dieses Verhalten in absehbarer Zeit nicht mehr gibt. Was wirklich aus der Zeit gefallen ist, etwa die Majestätsbeleidigung nach § 103 Strafgesetzbuch (StGB), haben wir abgeschafft. Allerdings müssen wir heute strafrechtlich Dinge regeln, von denen ich früher nicht erwartet hätte, dass das überhaupt nötig ist. Zwei Beispiele: Zum einen existierte im StGB eine Regelung, nach der es bisher strafbar war, Verletzte zu fotografieren oder zu filmen. Dies galt nicht für Unfalltote. Der Rückschluss, wer verstorben ist, war vorher verletzt, ist nicht möglich. Das mussten wir neu regeln, um schamloses Gaffen hier genauso unter Strafe zu stellen. Behörden Spiegel: Um was geht es noch? Lambrecht: Das zweite Beispiel: In dem bereits angesprochenen Gesetz wird auch der Schutz der Beschäftigten in Notfallambulanzen neu normiert. Ausgerechnet Ärzte und Sanitäter, die anderen in schwierigsten Situationen helfen und Leben retten, werden immer häufiger angegriffen. Das muss unter Strafe gestellt werden. Im Strafrecht müssen wir auf solche gesellschaftlichen Entwicklungen reagieren. Das ist und kann nur die Ultima Ratio sein, wenn Informations- und Aufklärungsarbeit nicht zu einer Verhaltensänderung führt.

Lambrecht: Über die Umsetzung beraten wir intensiv mit anderen Ministerien, den Ländern und Organisationen. Wir treten für einen breiten Schutz von Whistleblowern ein, die den Mut haben, Missstände offenzulegen. Die neue Richtlinie ist eine hervorragende Grundlage dafür. Persönlich bin ich der Meinung, dass wir sehr wohl in jeder Kommune den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit geben müssen, bestimmte Vorgänge melden zu können, wenn sie diese bemerken. Wie genau das ausgestaltet wird, darüber kann ich noch keine Auskunft geben.

Die Ressortchefin nahm sich Zeit, um ausführlich auf die Fragen von Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel, zu antworten.

Behörden Spiegel: Vor einiger Zeit hat die Bundesregierung beschlossen, neue Behörden in die östlichen Bundesländer zu verlegen. Was ist im Justizressort konkret geplant?

Lambrecht: Das BMJV hat die Empfehlungen der Unabhängigen Föderalismuskommission bisher sehr engagiert und erfolgreich umgesetzt. Das Deutsche Patent- und Markenamt führt eine Dienststelle in Jena, das Bundesverwaltungsgericht hat seinen Hauptsitz in Leipzig und der Sitz des Bundesgerichtshofs in Leipzig wurde gerade erst um einen neuen Strafsenat verstärkt. Selbstverständlich werden wir diese Leitlinien auch bei künftigen Standortberücksichentscheidungen tigen. Die Neugrün“Ich finde, dass antisemitische dung einer Behörde Motive explizit als strafverschär- oder eines Gerichts im Geschäftsbereich fende Gründe aufgenommen des BMJV ist derzeit werden müssen.” aber nicht geplant.

Behörden Spiegel: Aber in § 114 Strafgesetzbuch ist doch der Angriff auf Beamte im Vollzugsdienst schon als Straftatbestand normiert. Lambrecht: Die Notfallambulanzen in den Krankenhäusern fallen nicht unter diese Norm. Deshalb mussten wir diese jetzt mit aufnehmen. Behörden Spiegel: Ist der Ansatz des “one in, one out” im Bereich des Bürokratieabbaus der richtige? Lambrecht: Die Bundesregierung hat Ende 2014 die Einführung der “One-in-one-out”-Regel beschlossen. Danach sollen Belastungen für die Wirtschaft insoweit abgebaut werden, wie durch neue Regelungsvorhaben zusätzliche Belastungen entstehen. Damit soll der Anstieg von Belastungen begrenzt werden, ohne aber politisch gewollte Maßnahmen zu behindern. Unabhängig davon diskutiere ich Gesetze nicht unter dem Stichwort der Anzahl, sondern ob sie notwendig sind. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die Bundesrepublik Deutschland ein wehrhafter Rechtsstaat ist. Behörden Spiegel: Aktuell wird die EU-Whistleblower-Richtlinie umgesetzt. Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern können von der Regelung ausgenommen werden. Wie planen Sie dies umzusetzen?

Behörden Spiegel: Letzte Frage, was sind ihre Themen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli? Lambrecht: Das hängt in Teilen noch von der kroatischen Ratspräsidentschaft ab und was diese noch erreicht. Parallel kommen die Vorschläge der neuen Kommission. Von daher werden ein Großteil laufende Themen in unserer Ratspräsidentschaft zu beraten sein. Ich habe mir vorgenommen, das Thema Rechtsstaatlichkeit intensiv zu diskutieren. Wir müssen in Europa über die Werte sprechen, die uns verbinden – die Rechtstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Zugang zur Justiz. Dazu wird es auch Veranstaltungen geben. Sehr am Herzen liegt mir die Digitalisierung der Justiz, ihre Chancen und ihre Risiken. Wie gehen wir künftig mit Künstlicher Intelligenz (KI) um? Was bedeutet es für Rechtsuchende, wenn zum Beispiel Entscheidungen mithilfe von Algorithmen getroffen werden? Andererseits ist die Digitalisierung eine riesige Chance, um den Zugang zum Rechtsstaat im ländlichen Raum zu ermöglichen. Darüber hinaus wird es eine Verbraucherschutzministerkonferenz auf europäischer Ebene geben. Hier bin ich schon sehr auf den Austausch und neue Impulse gespannt, weil die Zuständigkeiten in allen Staaten sehr unterschiedlich sind.


Finanzen

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Schuldenbremse = Zukunftsbremse?

U

nion und FPD halten an der Schuldenbremse fest. Die Linke will sie aus dem Grundgesetz streichen und die Grünen machen sich für eine Neuverschuldung insbesondere zwecks Investitionen in den Klimaschutz stark. Auch unter den Sachverständigen laufen die Meinungen zur Neuverschuldung für Investitionen weit auseinander. Laut Professor Peter Bofinger, ehemaliges Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zeigen sich die negativen Effekte der Schuldenbremse in den aktuellen Eckwerten zum Bundeshaushalt 2020 und zum Finanzplan 2023. Von 2020 bis 2023 seien konstante öffentliche Investitionen geplant, was, so Bofinger, real einem kontinuierli-

Behörden Spiegel / März 2020

Experten diskutierten im Bundestag (BS/lkm) Bundesfinanzminister Olaf Scholz wollte die Schuldenbremse Berichten zufolge lockern, um hochverschuldeten Kommunen unter die Arme greifen zu können. Offiziell wollen das Finanzministerium und Scholz aber an der Schuldenbremse festhalten. Dennoch lud der Haushaltsausschuss des Bundestages Anfang März hochrangige Experten zu einer öffentlichen Anhörung, um über die Zukunft der Schuldenbremse zu diskutieren. chen Rückgang entspräche. Beim Festhalten an der “Schwarzen Null” würde die deutsche Schuldenstandsquote von knapp 60 Prozent auf rund 30 Prozent im Jahr 2040 sinken. “Kein Finanzwissenschaftler könnte erklären, worin der Vorteil des dann niedrigeren Schuldenstandes gegenüber dem heutigen Niveau bestehen würde”, moniert Bofinger. Als Lösung schlug er ein auf zunächst zehn Jahre festgelegtes, kreditfinanziertes Zukunftspro-

gramm vor. Dies könne durch eine Änderung des Grundgesetzes erreicht werden, bei der für die Mittel zur Durchführung des Programms eine Ausnahme von der Schuldenbremse festgelegt werde. Damit werde großes Potenzial für Zukunftsinvestitionen eröffnet, ohne dass es zu negativen Effekten auf die Schuldenstandsquote käme. “Diese finanziellen Spielräume in Anbetracht der enormen Herausforderungen des Klimawandels zu verschenken,

nur weil man an “überkommenen Glaubenssätzen” festhält, wäre unverantwortlich. Die Schuldenbremse würde sich als Bremse für eine gute Zukunft erweisen”, warnt der Volkswirt. Eine Umgehung der Schuldenbremse durch ein Sondervermögen wäre Professor Christoph Schmidt vom RWI Leipzig zufolge jedoch ein “verheerendes Signal” für die Fiskaldisziplin in Europa. Er äußerte zudem große Zweifel an der Richtigkeit der kursieren-

Geldwäscheprävention soll verbessert werden

den Zahlen zum Investitionsbedarf der öffentlichen Hand. Die Diskussion um vermeindlich hohe Milliardenbeträge und die daraus abgeleitete Notwendigkeit der Änderung der Schuldenbremse lenkten von den eigentlichen Hindernissen ab. Notwendig wären etwa schnellere Verfahren, weniger Auflagen und Regulierungen und eine schlankere Verwaltung. Auch sollte die Politik erst einmal die sich bietenden Spielräume für die Abarbeitung des Investitionsstaus nutzen, bevor man über eine Aufweichung der Schuldenbremse nachdenke.

Nicht notwendig und schädlich

Änderungen beim Risikomanagement und Meldewesen

Professor Sebastian Dullien vom

(BS/lkm/mfe) Bei der “Financial Intelligence Unit” (FIU) der Generalzolldirektion (GZD) gingen 2018 mehr als 77.200 Meldungen wegen Geldwä- Institut für Makroökonomie und scheverdachts ein. Im Vergleich zu 2017 ist das eine Steigerung um 29 Prozent. Seit dem Jahr 2008 hat sich das jährliche Meldeaufkommen sogar Konjunkturforschung in der verelffacht. Nichtsdestotrotz gibt es in diesem Bereich eine hohe Dunkelziffer. Hans-Böckler-Stiftung äußerte Christoph Trautvetter vom “Netzwerk Steuergerechtigkeit” schätzt, dass hierzulande mindestens 100 Milliarden Euro gewaschen werden. Michael Findeisen, ehemaliger Referatsleiter im Bundesfinanzministerium (BMF) und Mitglied im Verein “Mafia? Nein Danke!”, geht sogar von 150 Milliarden Euro aus. Bei der Geldwäschebekämpfung in Deutschland existierten noch einige Probleme und Baustellen. Die entsprechenden Instrumente der Behörden seien noch unzureichend, kritisierte der stellvertretende Vorsitzende und finanzpolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag, Fabio De Mazi. Um gegen das nicht unerhebliche Dunkelfeld vorzugehen, sieht das Geldwäschegesetz (GwG) eine große Anzahl an Verpflichtungen für verschiedenste Wirtschaftsakteure vor. Zu diesen zählen neben Finanzunternehmen auch Immobilienmakler, Kunstvermittler und Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen. Anfang dieses Jahres wurde das GwG erneut angepasst und bringt viele Änderungen beim Risikomanagement, den Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Kundenbeziehungen und das Verdachtsmeldewesen mit sich.So müssen die Wirtschaftsakteure über ein wirksames

Risikomanagement verfügen. Dies umfasst die Erstellung einer Risikoanalyse, durch die die unternehmensinternen Risiken für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung dargestellt und bewertet werden. Ferner sieht das Gesetz die Implementierung interner Sicherungsmaßnahmen vor. Dazu gehört beispielsweise die Bestellung eines Geldwäschebeauftragten, die Überprüfung der Zuverlässigkeit der Mitarbeiter, die Schulung dieser im Hinblick auf Typologien der Geldwäsche oder allgemein die Konzipierung verschiedenster Prozesse zur Erfüllung der weiteren Pflichten nach dem GwG. Eine nicht abschließende Aufzählung findet sich in § 6 Abs. 2 GwG.

Kenne deinen Kunden Bevor eine Geschäftsbeziehung eingegangen wird, müssen unterschiedliche Sorgfaltspflichten im Hinblick auf den neuen Kunden erfüllt werden. Die Kernverpflichtung ist dabei die Identifizierung des Vertragspartners und der gegebenenfalls für ihn auftretenden Person. Hierfür müssen die persönlichen Daten und die Geschäftsdaten des Vertragspartners aufgenommen, geprüft und bewertet werden. Außerdem muss der wirtschaftlich

Berechtige festgestellt werden. Sollte der Vertragspartner auf fremde Veranlassung oder im wirtschaftlichen Interesse einer anderen Person handeln, muss mindestens der volle Name der betreffenden Person festgehalten werden. In einem nächsten Schritt muss überprüft werden, ob verstärkte Sorgfaltspflichten zu erfüllen sind. Das ist dann der Fall, wenn beispielsweise im Rahmen der Risikoanalyse festgestellt worden ist, dass bei dem Verpflichteten ein höheres Risiko der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung bestehen kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn der Vertragspartner oder der wirtschaftlich Berechtigte in einem Drittstaat mit hohem Risiko niedergelassen ist oder eine politisch exponierte Person ist. Alle Informationen müssen dokumentiert und mindestens fünf Jahre aufbewahrt werden.

FIU melden. Gleiches gilt für den Fall, dass der Vertragspartner gegenüber dem Verpflichteten nicht offengelegt hat, dass er für einen anderen wirtschaftlich Berechtigten handelt. Die Einhaltung dieser Pflichten unterliegt der Kontrolle der jeweiligen Aufsichtsbehörden der Länder. Laut GwG dürfen die zuständigen Aufsichtsbehörden Zuwiderhandlungen mit Bußgeldern von bis zu fünf Millionen Euro ahnden. Ihnen stehen hierfür besondere Betretungs- und Kontrollrechte zur Verfügung. Mehr zum Thema Bekämpfung von Geldwäsche auf Seite 44 in dieser Ausgabe.

Save the Date

Intensiveres Verdachtsmeldewesen Sollten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Vermögenswerte aus einer illegalen Herkunft stammen oder sollten Transaktionen oder Vermögenswerte im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung stehen, muss der Verpflichtete den Sachverhalt ohne schuldhaftes Zögern der

Der Geldwäscheregulierung und den damit verbundenen Compliance-Herausforderungen widmet der Behörden Spiegel am 28. Mai 2020 in Berlin ein eigenes Seminar, das über die rechtlichen Besonderheiten der Geldwäsche, ihre Vermeidung und ihre Bekämpfung informiert. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort: Geldwäsche

jedoch große Bedenken bzgl. der Möglichkeit, mit vorhandenen finanziellen Spielräumen den enormen Investitionsbedarf zu decken. Aktuelle Berechnungen hierzu seien fehlerhaft. Zudem sei ein Teil dieser Gelder bereits verplant. Er hält ein Festhalten an der Schuldenbremse zum Schutz künftiger Generationen für nicht notwendig und möglicherweise schädlich, denn ein Unterlassen der kreditfinanzierten Investitionen schränke die Spielräume künftiger Generationen ein. Der Bundesrechnungshof (BRH) hingegen will die Schuldenregel nicht antasten. So mangele es laut BRH nicht an unzureichend veranschlagten Mitteln für investive Vorhaben, sondern an deren zeitnaher Verwendung. Zudem sei nicht empirisch belegt, dass sich die Schuldenregel zulasten der staatlichen Investitionen ausgewirkt habe. Um Kommunen aber stärker zu unterstützen, schlägt der Bundesrechnungshof eine geänderte Verteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Kommunen vor. Professor Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen betonte jedoch, dass eine höhere Verschuldung zum Zweck öffentlicher Investitionen sinnvoll sein könne. Eine niedrigere Verschuldung sei einer höheren

Verschuldung nicht eindeutig vorzuziehen. Stattdessen solle das angestrebte Verschuldungsniveau das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Entscheidung sein. Als Alternative zur Abschaffung der Schuldenbremse schlägt er die Gründung eines selbstständigen Extrau-Haushaltes vor, der der Finanzierung ausgewählter Zukunftsinvestitionen dienen solle. Diesem Haushalt könnten Mittel entweder über von der Schuldenbremse ausgeklammerte “finanzielle Transaktionen” zugeführt werden oder er könnte als rechtlich selbstständiges Sondervermögen mit Kreditermächtigung selbst Kredite aufnehmen.

Politischer Wille verhindert Investitionen Professor Dirk Meyer von der Universität der Bundeswehr in Hamburg sprach sich hingegen gegen eine Abschaffung der Schuldenbremse aus. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen Investitionsstau und Schuldenbremse. Nicht die Schuldenbremse, sondern der politische Wille zum Schuldenabbau würden dem Volkswirt zufolge staatliche Investitionen verhindern. So habe der Bund in den Jahren von 2011 bis 2015 ca. 120 Mrd. Euro mehr als notwendig eingespart. In den Jahren 2016 bis 2018 wäre mindestens ein zusätzliches jährliches Investitionsvolumen von 16 Mrd. Euro möglich gewesen, so Meyer. Auch nach Ansicht der Deutschen Bundesbank ist es nicht gerechtfertigt, die Schuldenbremse für zu geringe Investitionen verantwortlich zu machen, meint Stephan Kohns, Ständiger Vertreter des Zentralbereichsleiters Volkswirtschaft bei der Deutschen Bundesbank. Vielmehr hätten im relevanten Zeitraum umfangreiche Finanzmittel zur Verfügung gestanden. Bund, Länder und Gemeinden hätten seit Jahren Überschüsse zu verzeichnen. Zudem sei zu beobachten, dass die für Investitionen bereitgestellten Gelder vielerorts unvollständig oder erst mit jahrelanger Verzögerung abflössen. Statt einer Reform der Schuldenbremse sollten Investitionsbedarfe vorrausschauend und systematisch ermittelt werden, um diese dann mit ausreichenden Verwaltungskapazitäten und effizienten Verfahren möglichst effektiv angehen zu können. Mehr zum Thema Schuldenbremse im Kommentar auf der Titelseite dieser Ausgabe.

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Petersberger Finanzgipfel

16.–17. Juni 2020, Steigenberger Grandhotel Petersberg

Referenten, u. a.: Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen

Dirk Käsbach, Erster Beigeordneter und Kämmerer, Stadt Königswinter

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. (Zweiter Senat)

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / März 2020

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Ausgezeichnet

Klargestellt

Neue Maßstäbe bei innovativer Beschaffung gewürdigt

Neuer Erlass zur VOB/A

(BS/Jörn Fieseler) “Innovationen im öffentlichen Beschaffungswesen sind ein wichtiger Aspekt der Innovationspolitik des Bundeswirtschaftsministeriums”, unterstreicht Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie (BMWi). Deshalb sei es ein besonderes Anliegen seines Hauses, herausragende Leistungen auf diesem Gebiet zu prämieren. In diesem Jahr konnten sich gleich zwei öffentliche Auftraggeber über die Auszeichnung mit dem Award “Innovation schafft Vorsprung” freuen. Wobei auch bei der Bewertung der Bewerbungen neue innovative Elemente einbezogen wurden.

(BS/jf) Zur einheitlichen Auslegung und Anwendung der VOB/A hat das Bundesministerium des Innern (BMI) einen neuen Erlass veröffentlicht. Zu sieben Aspekten gibt es Hinweise für die Praxis.

Der Award “Innovation schafft Vorsprung” wird jährlich durch den Bundesverband Material, Einkauf und Logistik (BME) e. V. unter Schirmherrschaft des Bundeswirtschaftsministeriums in zwei Kategorien vergeben. Die neun-köpfige Jury zeichnete die obere Landesbehörde Hessen Mobil aus. Mit dem Einkauf neuartiger Warnschutzanzüge habe die Behörde neue Maßstäbe im Bereich innovativer und nachhaltiger öffentlicher Beschaffung gesetzt, sagte Horst Wiedmann, Vorstandsvorsitzender des BME, beim Tag der öffentlichen Auftraggeber im BMWi. Wobei auch der Beschaffungsprozess selbst innovativ gestaltet wurde. Den zweiten Preis gewann die Stadt Ludwigsburg. Sie habe bewiesen, dass durch die gezielte Nachfrage an nachhaltigen, kreislauffähigen und innovativen Produkten der Markt reagiere und Angebote schaffe, auch wenn die Produkte vorher noch nicht verfügbar gewesen seien.

Innovativ und nachhaltig Ziel der Landesbehörde war es, die Qualität der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA), insbesondere eines Warnschutzanzuges für die Straßenwärter, deutlich zu erhöhen und gleichzeitig die individuellen Anforderungen zu berücksichtigen, um insgesamt die Trageakzeptanz zu verbessern. Damit sollten die Nachhaltigkeit gefördert und die Lieferanten veranlasst werden, sich grundsätzlich mit diesem Thema auseinander zu setzen und dies zum Standard zu machen. Zugleich galt es, innovative Vergabeinstrumente frühzeitig im gesamten Beschaffungsprozess einzubinden und zu nutzen. Das Vorgehen und die Entwicklung zahlreicher innovativer “Problemlöser” zur Verbesserung des Schutzanzuges überzeugte die Jury. So wurden die Anforderungen an die neuen Anzüge erst erstellt, nachdem die Träger ihre Anforderungen definiert hatten. Zu diesen gehörte unter anderem die Reduzierung des Baumwollzugunsten eines höheren Synthetikanteils, ein verbesserter UV-Schutz, regulierbare Beinund Unterarmbelüftung, Verwendung nachhaltig produzierter Rohstoffe, die Vermeidung von

Strahlende Gesichter bei den diesjährigen Gewinnern von Hessen Mobil (links) und der Stadt Ludwigsburg (rechts). Die Glückwünsche und begehrten Trophäen überreichten Dr. Ole Janssen, Leiter der Unterabteilung Innovations- und Technologiepolitik im BMWi (rechts im rechten Bild) und BME-Hauptgeschäftsführer Dr. Silvius Grobusch (links im rechten Bild). Foto: BS/Tanja Marotzke/BME e.V.

Kunststoffen und der Verzicht auf Kunststoffumverpackungen sowie die komplette Re- und Upcyclingfähigkeit der Anzüge. Insbesondere die Überlegungen zum Re- und Upcycling, bewertete die Jury positiv, verdeutlichten sie den ganzheitlichen Ansatz. Nach der Markterkundung sei deutlich geworden, dass es dieses Produkt nicht gab, habe man die Idee bei potenziellen Herstellern vorgestellt und schließlich eine Firma identifiziert, die zur Entwicklung dieses Anzuges bereit war, berichtete der stellvertretende Fachbereichsleiter Zentraler Einkauf bei Hessen Mobil, Andreas Weigmann. Es musste ein Hersteller sein, der sämtliche Anforderungen von der Produktion des Anzuges über Versand und Reparatur bis zum Recycling alles aus einer Hand als Gesamtkonzept anbietet, so Weigmann weiter.

100 Prozent Preis kein ­Standard Dabei wurde die Ausschreibung nach dem MEAT-Ansatz gestaltet. Statt 100 Prozent Preis als einziges Kriterium, wurde dieser nur mit 30 Prozent bewertet. Als weitere Kriterien wurden Qualität und Funktionalität wie Materialverarbeitung und Einlaufverhalten (40 Prozent), Nachhaltigkeit (20 Prozent) und Optik (zehn Prozent) festgelegt. Am Ende stand ein Rahmenvertrag mit einer Laufzeit von zwei Jahren zwischen Hessen Mobil und dem Hersteller. Seit Januar 2020 befindet sich der Anzug bereits in der vierten Entwicklungsstufe. Mit jeder Ausschreibung wurden neue Anforderungen definiert und dadurch weitere

Wie lösen? Bündelung führt zu immer größeren Aufträgen (BS/stb) In Rahmenverträgen bei IT-Beschaffungen des Bundes steigen die Volumina. Doch je höher die Auftragswerte, desto geringer mitunter der Wettbewerb. Wie soll das Beschaffungsamt reagieren? Ein Dilemma bahnt sich an. Mittels einer RahmenvertragsRoadmap will die Zentralstelle IT-Beschaffung (ZIB) beim Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums (BeschA) für mehr Transparenz sorgen und Marktteilnehmer frühzeitig über Verfahren in Vorbereitung informieren. Um die steigenden Aufträge besser klassifizieren zu können, wurde kürzlich eine neue höchste Volumenstufe für Vergabeverfahren über 250 Millionen Euro eingeführt. Derzeit befindet sich ein Vergabeverfahren dieses Umfangs in Vorbereitung. Gegenstand ist Software des Herstellers IBM in Verbindung mit Dienstleistungen. Ein weiteres Verfahren über Storage-Produkte von Dell sowie eines über Projektmanagementleistungen bewegen sich jeweils im Bereich zwischen

100 und 250 Millionen Euro. Aufgrund der Bündelung der IT-Beschaffung im Rahmen der IT-Konsolidierung des Bundes werden Rahmenverträge dieser Größenordnung immer häufiger notwendig werden, ist man im BeschA überzeugt. Gleichzeitig fände auch bei IT-Herstellern eine Konsolidierung von Produktportfolios statt. Das könnte den Trend zu immer größeren Volumina in immer weniger Verträgen noch befeuern. Um unter diesen Voraussetzungen marktgerechtes und wirtschaftliches Ausschreiben sicherzustellen, arbeitet die ZIB an einer Neukonzeptionierung der Vergabeverfahren im Rahmen der geltenden Gesetze. Ein erster Modellentwurf soll Ende März mit Marktteilnehmern diskutiert werden.

Innovationen umgesetzt. “Innovative und nachhaltige Beschaffung ist möglich, sinnvoll und auch wirtschaftlich durchführbar”, unterstreicht Weigmann. Zum Erfolg der Beschaffung gehöre aber auch, dass Prozesse klar definiert und der zentrale Einkauf frühzeitig eingebunden oder selbst proaktiv tätig werde.

Sieg durch StudierendenVoting Erstmals wurde beim Award “Innovation schafft Zukunft” ein Studierenden-Voting bei der Preisvergabe einbezogen. In Kooperation mit der Universität der Bundeswehr München haben zukünftige Einkäufer, nämlich die Studierenden eines Beschaffungsseminars im Masterstudium, die Konzepte der Finalrundenteilnehmer erhalten und eine – von der Jury des Awards unabhängige – Bewertung nach eigenen Kriterien vorgenommen. Durchgesetzt hat sich die Stadt Ludwigsburg. Die Stadt hat in ihrem Entwicklungskonzept 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung festgeschrieben. Eines davon ist das Bekenntnis zu einer klimafreundlichen, nachhaltigen Beschaffung. Leitlinie für die Vergabe öffentlicher Aufträge ist das Cradle-to-Cradle-Konzept (C2C). Produkte, die nach C2C gestaltet

sind, setzen Materialien so ein, dass diese nach der Nutzung wieder in echte Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können und somit keinen Müll erzeugen. Dabei müssen die Produkte selbst umweltfreundlich sein, indem zum Beispiel bei Herstellung und Transport erneuerbare Energien eingesetzt und soziale Standards berücksichtigt werden. Konkret hat Ludwigsburg zahlreiche Maßnahmen zur Umsetzung des Konzeptes eingeleitet, unter anderem Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien, Erarbeitung von Dokumenten (Bietererklärung, Dienstanweisung, Bewertungsmatrix etc.), Erarbeitung konkreter Vorschläge für die Einführung sowie eines Kommunikations- und Schulungsplans für die Mitarbeiter. Getestet wurde der Ansatz mit der Durchführung von zwei Pilotbeschaffungen. Dazu hat die Stadt eine eigene Kompetenzstelle “Nachhaltige Beschaffung” eingerichtet, die die Umsetzung der C2C-Ziele koordiniert und den Rahmen für Ausschreibungen vorgibt. So müssen in jeder Bewertungsmatrix Nachhaltigkeitskriterien mit mindestens 20 Prozent enthalten sein. Auch mit diesem Vorgehen können Unternehmen Anreize erhalten, neue nachhaltige und kreislauffähige Produkte zu entwickeln, wie die beiden Pilotbeschaffungen bereits gezeigt haben.

Neue Frist Auch in diesem Jahr können sich Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen sowie öffentliche Unternehmen um den Award “Innovation schafft Vorsprung” bewerben. Die Frist zur Einsendung einer Bewerbung endet am 9. Oktober 2020. Weitere Informationen unter: www.bme.de, Menüpunkt Innovationen, Förderpreise und Awards.

qanuun-aktuell Liebling-Kreuzberg, oder Anwaltsethik heute von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Liebling-Kreuzberg – wer kennt nicht die Fernsehserie der späten 80er und frühen 90er Jahren? Gerade Studierende dieser Jahre und heutige Kollegen erklären, dass Robert Liebling mit seiner überschaubaren Kanzlei in Berlin-Kreuzberg ihr berufliches Vorbild gewesen ist. Er nahm grundsätzlich nur Mandate an, die ihn interessierten, unabhängig von Streitwert und Prestige. Ihn interessierten Mandanten, denen etwas juristisch Ungewöhnliches und/ oder besonders Ungerechtes widerfahren war. Angesichts der Büromieten und der sonstigen Fixkosten weiß jeder Rechtsanwalt, dass er es sich nicht leisten, kann, nur Klienten zu empfangen, die er als irgendwie interessant erlebt. Gleichwohl darf die Gewinnmaximierung nicht das ausschließliche Handlungsprinzip eines Rechtsanwaltes sein. Er ist ein Organ der Rechtspflege und dementsprechend Gesetz und Recht ebenso verpflichtet wie die Justiz, einschließlich der persönlichen Unabhängigkeit. Er betreibt kein Gewerbe und hat in den deutschen Prozessordnungen weitgehende Rechte. Deshalb muss er sich die ethische und rechtliche Frage gefallen lassen,

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

wen er als Mandant akzeptiert und wem er wie zu welchem Recht verhilft. Besonders der letzte Gesichtspunkt wird immer wieder heftig diskutiert, wenn international agierende Kanzleien/ law firms ihren finanziell besonders potenten Mandanten dabei behilflich sind, die Grenzen des Steuer- und Strafrechts umfassend auszuloten. Wird der kanzleiinterne Gewinndruck beständig erhöht, dann ist ein ethisches Leitbild nur Makulatur. Allerdings könnten öffentliche Hand und Allgemeinheit diesem Agieren etwas entgegensetzen: weniger Bewunderung, mehr kritisches Hinterfragen, vor allem vor der nächsten Mandatierung.

Der Auftraggeber kann nach wie vor in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen festlegen, auf welchem Weg die Kommunikation erfolgen soll. Nur bei einer elektronischen Kommunikation müssen die §§ 11 und 11 a VOB/A beachtet werden. Das ist der Fall, wenn das Verfahren über eine E-Vergabe-Plattform abgewickelt wird. E-Mail ist keine elektronische Kommunikation im Sinne der VOB/A.

Klassiker Nachfordern von Unterlagen Hinsichtlich des Nachforderns von Unterlagen wird in dem Erlass ausdrücklich erwähnt, dass sämtliche unternehmensbezogenen Nachweise nachgereicht, vervollständigt oder korrigiert werden dürfen. Diese Nachweise würden die materielle Eignung des Bieters nur belegen. Die Antwort, ob er geeignet sei oder nicht, werde unabhängig von den formell ordnungsgemäßen Nachweisen beantwortet. Entweder

sei sie gegeben oder nicht. “Eine Verzerrung des Wettbewerbs tritt auch bei einer Korrektur nicht ein, weil kein objektiv ungeeigneter Bieter geeignet wird und umgekehrt.” Schließlich sei es nicht im Interesse der Auftraggeber, die Anzahl der Wettbewerbsteilnehmer wegen unnötiger formaler Mängel zu reduzieren. Weitere Themen sind die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung beim Direktauftrag, die Definition von Geschäftsjahren im Rahmen der Eignungsprüfung, die Abgabe mehrerer Hauptangebote, das Nachfordern von Preisen in unwesentlichen Positionen sowie die Vergabe im Ausland. Bei Letzterem wird deutlich gemacht, dass unter den Begriff “Auslandsdienststellen” nicht nur Botschaften und Behörden zählen, sondern auch Goethe-Institute, Forschungsinstitutionen und deutsche Auslandsschulen. Abgerundet wird der Erlass durch weitere Hinweise zum Vergabehandbuch des Bundes.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Beschaffung / Vergaberecht

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Wieviel Vergaberecht ist Chefsache?

Behörden Spiegel / März 2020

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Zwischen Risiken kennen, Spielräume nutzen und alles dokumentieren (BS) Einkauf, Beschaffung, Vergaben – darum kümmert sich der Chef selten selbst. Es sei denn, es handelt sich um ein Schlüsselprojekt oder ein politisch wichtiges Ziel wie den Rathaus-Ausbau, die lang versprochene Schulsanierung, das Theater, die Digitalisierung oder die Umstellung auf Elektromobilität. Solche Projekte stehen in der Öffentlichkeit und brauchen Chef-Steuerung. Termin- und Kostenrahmen müssen unbedingt eingehalten werden. Worauf besonders zu achten ist, stand im Mittelpunkt eines Seminars des Behörden Spiegel in Zusammenarbeit mit der Rechtsanwaltssozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek.

Statt allen hinterherzufahren und es ihnen gleichzutun, gilt es im Vergaberecht, vorhandene Spielräume zu nutzen und aus der Reihe auszuscheren. So lassen sich andere öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffung innovativer Produkte überholen. Foto: BS/hykoe, stock.adobe.com

Gestaltungsspielräume kennt das Vergaberecht zur Genüge, wie zum Beispiel die vergaberechtlichen Ausnahmetatbestände. Chefsache sei, im ersten Schritt typische Risiken zu kennen, insbesondere das Rüge- und Nachprüfungsrisiko im Vergabeverfahren sowie das Risiko einer späteren Fördermittelrückforderung bei der Verwendungsnachweis- und Rechnungshofprüfung, unterstrich Dr. Ute Jasper, Leiterin des Dezernats Öffentlicher Sektor und Vergabe der Sozietät. Minimieren ließen sich diese Risiken, indem jede Entscheidung im Vergabeverfahren an den vergaberechtlichen Grundsätzen sparsame Haushaltsführung, Transparenz, Gleichbehandlung und Dokumentation orientiert werde. Würden diese Prinzipien eingehalten, erlaube das Vergaberecht auch das, was manch einer für zu riskant hielte: Verhandlungen, Beauftragung als Generalplaner/ Generalunternehmer und oft auch die ausschreibungsfreie Erweiterung eines bestehendes Vertrags. “Sie glauben gar nicht, was das Vergaberecht zulässt, obwohl die Rechtsabteilung Bedenken hat”, so Jasper. Entscheidend sei die Dokumentation. Gerade bei der Nutzung vergaberechtlicher Ausnahmetatbestände, wie Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin und Vorsitzende des Vergabesenats am Oberlandesgericht Düsseldorf, verdeutlichte. Viel Aufmerksamkeit unter den über 30 Teilnehmern erhielt ihre Aussage, dass im Bereich von Daseinsvorsorgeleistungen der Gefahrenabwehr, auf deren Verfügbarkeit der Auftraggeber in besonderem Maße angewiesen sei, die Anforderungen an die Begründungen der Ausnutzung von Ausnahmetatbeständen tendenziell geringer sein könnten als bei anderen Leistungen.

Acht bis 14 Monate statt vorher 28 bis 36 Zu diesen Spielräumen gehöre das ­Bauen von bspw. Schulen mithilfe einer stadteigenen Inhouse-Gesellschaft. Diese ermögliche ein effizientes kommunales Bauen, wie Dr. Heinrich Labbert, Geschäftsführer der IPM Immobilien Projekt Management Düsseldorf GmbH (IPM), einer Tochtergesellschaft der nordrheinwestfälischen Landeshauptstadt, verdeutlichte. Schulbau werde dort ausschließlich vom Schulbaudezernat verantwortet und zwar vollumfänglich vom Bedarf über den Bau bis zum Betrieb.

Durch die neue Struktur und straffere Verwaltungsabläufe habe sich die Bearbeitungszeit von einer Machbarkeitsstudie bis zum Ratsbeschluss von ehemals 28 bis 36 auf jetzt acht bis 14 Monate reduzieren können. Zudem sei der partnerschaftliche Umgang mit Bietern und Auftragnehmern entscheidend. Risiken bei Ausschreibung und Ausführung fair zu verteilten, setze Anreize auch in Zeiten voller Auftragsbücher bei Handwerk und Industrie. “Wir haben ausreichend Angebote bei unseren Projekten, weil wir der Bauwirtschaft als Partner auf Augenhöhe begegnen – und die Rechnungen pünktlich bezahlen”, resümierte Dr. Labbert.

Umgang mit Terminrisiken Bei großen Infrastrukturprojekten der öffentlichen Hand sei die Gestaltung der Vergabezeitpläne entscheidend. Gewerke müssten nahtlos ineinandergreifen, um Behinderungsanzeigen und Nachträge zu vermeiden. Gleichzeitig seien solche Vorhaben vielfältigen externen Terminzwängen ausgesetzt, etwa durch Fördervorgaben, jahreszeitliche Bedingungen oder politische Amtszeiten. Dies könne es erforderlich machen, Vergabeverfahren zu starten, bevor Planfeststellungsbeschluss und Baugenehmigung vorlägen. Chefsache sei hier die Entscheidung, wie im Vergabeverfahren mit dem Terminrisiko umgegangen werde. Würden die Ausführungsfristen nach Zuschlagserteilung angepasst, habe der Auftragnehmer dann nach der Rechtsprechung dem Grunde nach einen Anspruch auf Vergütung der nachgewiesenen verzögerungsbedingten Mehr­ kosten? “Wenn das Nachtragsrisiko aus der Vergabe vor Klärung der Terminlage geringer ist als die betrieblichen Mehrkosten im Gesamtprojekt bei Verschiebung der Vergabe, kann es das kleinere Übel sein, den Zuschlag vor der Genehmigung zu erteilen”, betonte Jochen Kieserling, DiplomIngenieur bei der Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH.

Geschickt steuern, System vergeben “Auch Juristen können mit dem Werkzeug des Vergaberechts dazu beitragen, die beste technische Lösung zu finden”, ergänzte Vinko Telenta, Leiter Stabsstelle Recht/Vergaben der Verkehrsbund Rhein-Ruhr AöR (VRR). “Durch ein geschickt gesteuertes Vergabeverfahren ergibt

der Wettbewerb der Bieter die wirtschaftlichste und technisch beste Lösung, verdeutlichte der Stabsstellenleiter anhand der Fahrzeugbeschaffung für das ÖPNV-Großprojekt Rhein-RuhrExpress (RRX). Im Verhandlungsverfahren sei ein Vertragspartner gesucht worden, der die Fahrzeuge nicht nur liefere, sondern auch über 30 Jahre instand halten könne. Energieverbrauch und das Ziel einer lokal emissionsfreien Antriebsart spielten in Leistungsbeschreibung und Wertungsmatrix eine zentrale Rolle. Aber: “Innovative Vergabeverfahren sollten nie allein Chefsache sein. Vielmehr sind derartige Verfahren auch eine Talentschmiede für Ihre Mitarbeiter”, so Labbert. “Man sollte sich immer mehr vornehmen, als man erreichen muss. Wer 100 Prozent anpeilt, landet schnell nur bei 80 Prozent“, rät Frank Gäfgen, Geschäftsführer Mobilität der Stadtwerke Münster GmbH. Vor dieser Tätigkeit hat er als Geschäftsführer der ESWE Verkehrsgesellschaft mbH Wiesbadens Leuchtturmprojekt in Sachen Elektromobilität begleitet. Mit der Gestaltung des Vergabeverfahrens nimmt Wiesbaden eine Vorreiterrolle ein, da nicht nur die ersten Elektrobusse gekauft wurden, sondern erstmals ein Gesamtsystem mit vertraglich zugesicherten Reichweiten bestellt wurde, bei dem der Buslieferant auch für den Umbau des Betriebshofes, die Ladeinfrastruktur und das Lademanagement verantwortlich ist. Systemvergabe statt BausteinEinkauf war eines der meistgehörten Stichworte des lebhaften Seminars, das viel Raum für individuellen vergaberechtlichen Austausch und Networking bot. An sogenannten “Thementischen” konnten die Teilnehmer in der Mittagspause zentrale vergaberechtliche Fragestellungen vertiefen und dabei sowohl vom Wissen der externen Referenten und der Vergabejuristen von Heuking Kühn Lüer Wojtek als auch von den Erfahrungen der übrigen Teilnehmer profitieren. Das Format fand besonders großen Anklang. Entsprechend fiel das Fazit bei den Teilnehmern aus: “Für das abwechslungsreiche Seminar bedanke ich mich. Immer wenn ich dachte “das ist ja eigentlich nicht mein Thema” waren die Referenten so kompetent und leidenschaftlich, dass ich trotzdem gebannt zuhören musste”, sagte ein Teilnehmer abschließend.

► BAUAUFTRAG

Das falsche Verfahren Auch ein Sterilisator gehört zum Gebäude Beim Erwerb eines Sterilisators mit einem Volumen von rund 0,5 Kubikmetern sind allen Beteiligten eine ganze Reihe von Fehlern unterlaufen. Und doch hat der Zuschlag am Ende Bestand. Aber der Reihe nach. Der Auftraggeber schreibt das Gerät als Lieferauftrag europaweit aus, obwohl sein Schätzpreis den Schwellenwert nicht erreicht, und benennt auch die Vergabekammer als Nachprüfungsinstanz. Ein Bieter reicht sein Angebot neun Tage zu spät ein, soll aber den Zuschlag erhalten. Dagegen wehrt sich nach erhaltener Vorabinformation ein Konkurrent, der aber sein Nachprüfungsbegehren zunächst irrtümlich als Rüge bezeichnet. Die Vergabekammer wird daher erst einmal nicht tätig. Als der Konkurrent den Irrtum klarstellt, ist der Zuschlag bereits erteilt. Das OLG bringt Ordnung in dieses Durcheinander. Der Auftrag war kein eigenständiger Lieferauftrag, sondern Teil eines über dem Schwellenwert liegenden Bauauftrags. Schließlich sollte der Sterilisator fest mit dem Gebäude verbunden werden. Er fällt auch nicht unter die (national ausschreibbare) 20 ProzentQuote, weil der Auftraggeber ihn ja zunächst gar nicht dem Bau zugerechnet und ihn deswegen auch nicht vorab in die Quote einbezogen hatte. Der Zuschlag ist dennoch nicht nichtig, denn die Vorinformation war korrekt erteilt. Der zweite Nachprüfungsantrag kam einfach zu spät. Damit war auch keine Möglichkeit mehr gegeben, von Amts wegen dem verspäteten Angebotseingang nachzugehen. Kurzum: Wenn die Konkurrenz schläft, kann auch ein chaotisches Verfahren zum bestandskräftigen Zuschlag führen! OLG Düsseldorf (Beschl. v. 11.12.2019, Az.: Verg 53/18)

► Widerruf

Wann beginnt die ­Jahresfrist? Ohne Anhörung läuft sie nicht Der Auftraggeber hatte für die Sanierung einer Kreisstraße Zuwendungen erhalten. Der Zuwendungsgeber prüft fünf Jahre nach Abschluss der Arbeiten die Abrechnung und kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Vergabe des Auftrages die VOB/A nicht beachtet worden war. Der spätere Auftragnehmer hätte ausgeschlossen werden müssen, weil er ein Formular zur Preisermittlung nicht eingereicht hatte (was nach damaliger Rechtslage nicht hätte nachgefordert werden können.) Im Juli 2015 erbittet er – noch ohne Hinweis auf die mögliche Rechtsfolge eines Förderungswiderrufes – eine Stellungnahme des Auftraggebers. Ein Jahr später folgt ein förmlicher Anhörungsbogen mit dem Hinweis auf den möglichen Widerruf. Im August 2016 ergeht der Widerrufsbescheid. Der Auftraggeber hält den Bescheid für verfristet. Er sieht den Beginn der Jahresfrist für den Widerruf bereits im Juli 2015. Diese Auffassung teilt das Oberverwaltungsgericht nicht. Ein Widerruf sei nur möglich, wenn der Zuwendungsgeber den widerrufbegründenden Vorgang vollständig aufgeklärt habe. Dazu gehöre regelmäßig

eine förmliche Anhörung, bei der sich der Empfänger über die Konsequenzen bewusst sei. Die erste Aufforderung zur Stellungnahme genügte dieser Anforderung nicht. Deswegen begann die Frist erst im Juni 2016 – mit der für den Empfänger negativen Folge, dass der Bescheid nicht wegen Fristversäumnisses aufzuheben war. OVG NRW (Beschl. v. 15.08.2019, Az.: 15 A 2792/18

► Versicherung

Automatisch verlängert Bescheinigung unbefristet aktuell Der Auftraggeber verlangte vom Bieter die Bestätigung des Versicherers, dass eine Umweltschadenhaftpflichtversicherung für den Leistungszeitraum im Jahr 2019 mit der Deckungssumme von zwei Millionen Euro besteht. Der Bieter legt irrtümlich eine Bescheinigung vor, die eine Deckung von nur einer Million Euro ausweist und die den Bestand der Versicherung für den Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2018 ausweist. Darüber hinaus heißt es in der Bescheinigung, die Versicherung verlängere sich ohne Kündigung automatisch. Der Auftraggeber richtet an den Bieter eine Nachforderung: Er möge eine zutreffende Bescheinigung vorlegen. Er geht davon aus, dass die Bescheinigung als fehlend zu werten ist, weil sie einen falschen Versicherungszeitraum betrifft. Der Bieter legt eine neuere Bescheinigung vor, die nun auch die richtige Deckungssumme ausweist und die vom Versicherer noch vor Aufforderung zur Angebotsabgabe ausgestellt war – also bei Angebotserstellung bereits existierte. Der Bieter soll den Zuschlag erhalten. Ein Konkurrent erkennt dies in der Vergabeakte, in die er aus anderem Nachprüfungsgrund Einsicht hatte, und verlangt den Ausschluss dieses Bieters – mit Erfolg. Das OLG Karlsruhe kommt zu dem Schluss, die korrigierte Bescheinigung hätte nicht nachgefordert werden dürfen. Denn durch den Hinweis auf die stillschweigende Vertragsverlängerung sei sie nicht wegen des Versicherungszeitraums, sondern nur wegen der zu geringen Deckungshöhe unzureichend gewesen. Die Korrektur der Deckungshöhe stelle aber eine inhaltliche Nachbesserung des Angebots dar und sei daher unzulässig. OLG Karlsruhe (Beschl. v. 14.08.2019, Az.: 15 Verg 10/19)

► Jury

Drei Referenzen – eine Note Bewertungsrichtlinien ­festlegen! Für die Sanierung der Komischen Oper Berlin war ein nichtoffener Realisierungswettbewerb ausgeschrieben worden, zu dem insgesamt 50 Teilnehmer zugelassen werden sollten. In einem zweiten Schritt sollte diese Teilnehmerzahl abgeschichtet werden. Dafür verlangte der Auftrageber die Vorlage von jeweils ein bis drei Referenzen zu verschiedenen Arten früherer Bauprojekte der Teilnehmer. Zu deren Bewertung wurden einer fünfköpfigen Jury Bilder der eingereichten Referenzprojekte gezeigt. Die Juroren waren aufgefordert, die “Gestaltqualität” dieser gezeig-

ten Gebäude mit Punkten zu bewerten. Für einen Teilnehmer war das Ergebnis ernüchternd: Das von ihm errichtete, in allen Architekturführern für Berlin hochgelobte Referenzgebäude hatte eine erstaunlich geringe Gesamtpunktzahl erzielt. Das ließ bei ihm Zweifel an der Objektivität des Bewertungssystems aufkommen. Die Vergabekammer teilt diese Zweifel. Insbesondere fehlt ihr in der Vergabedokumentation ein Hinweis darauf, wie die Jury eigentlich damit umgegangen ist, dass pro Teilnehmer eine unterschiedliche Anzahl von Referenzen vorlag. Gab es eine Vorauswahl, nach der nur noch eine Referenz der Jury vorgelegt wurde? Haben die Juroren einen Mittelwert aus allen Referenzen gebildet? Oder etwa die jeweils beste bewertet? Weil dies weder bekannt gemacht war noch nachträglich geklärt werden konnte, blieb der Vergabekammer nichts anderes übrig, als das ganze Verfahren zurückzuversetzen – bis vor die Auslobung des Wettbewerbs. VK Berlin (Beschl. v. 12.11.2019, Az.: VK-B2-29/19)

► Konflikt

Keine Sippenhaft! Ausschluss ist ­Einzelfallentscheidung Darf ein Unternehmen von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, weil ein leitender Mitarbeiter mit einem Mitglied der Regierung verheiratet ist? Man könnte ja meinen, dass hier ein erheblicher Interessenkonflikt vorliegt. Allein schon der “böse Schein” einer Familienwirtschaft müsste doch verhindert werden. Das aber ist gar nicht so einfach. In Berlin hat man es versucht und sich eine Abfuhr des Kammergerichts eingeholt. Die allgemeine Weisung per E-Mail an die Mitarbeiter der Verwaltung, dass dem Unternehmen zur vorbeugenden Vermeidung eines Konfliktes keine Aufträge mehr erteilt werden dürften, hält das Gericht für rechtswidrig. Eine solche Weisung war ergangen, nachdem die Ehefrau des leitenden Mitarbeiters zur Senatorin gewählt worden war. Oberschwellig ließen sich die Bestimmungen über die Vermeidung von Interessenkonflikten nicht in dieser Form anwenden. Ob überhaupt ein Konflikt bestehe, könne nur im Einzelfall geprüft werden. Selbst wenn einer bestünde, müssten zunächst auf Auftraggeberseite alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, den Konflikt zu vermeiden. Dazu gebe es hinreichende organisatorische Möglichkeiten, z. B. indem die Senatorin durch interne Vertretungsregeln die Zuständigkeit für Vergabeverfahren ihres Hauses delegiert. Auch unterhalb der Schwelle sieht das Kammergericht einige Gründe für die Vergaberechtswidrigkeit. Jedoch: Es mangelt dem so ausgebooteten Unternehmen an Unterlassungsoder Abwehransprüchen, solange noch gar kein konkretes Vergabeverfahren eröffnet ist. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser letzten Erwägung hat das Kammergericht Revision zum BGH zugelassen. KG (Urt. v. 28.06.2019, Az.: 9 U 55/18)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Personelles

Behörden Spiegel / März 2020

Seite 11

Staatskanzlei des Landes Brandenburg 001 Büro des Ministerpräsidenten L: Kathrin Ortlieb-Schern

Lausitz Beauftragter des Ministerpräsidenten Magazinstraße 28, 03046 Cottbus Telefon: 0355/49463411

Foto: BS/© Stk Brandenburg

Regionalkoordinator/-innen N.N. N.N. N.N. N.N.

-1070

Beauftragter für Medien und Digitalisierung Staatssekretär Dr. Benjamin Grimm

Bevollmächtigte des Landes beim Bund Staatssekretärin Dr. Jutta Jahns Böhm

Abteilung 1

Abteilung 2

Abteilung 3

Abteilung 4

Koordinierung AL: Sascha Bakarinow

Regierungssprecher, Presse und Öffentlichkeitsarbeit RS/AL: Florian Engels -1207

Vertretung des Landes beim Bund, Internationale Beziehungen AL: Sabine Zimmer -4130

11 Personalmanagement, Justiziariat Koordinierung Dienst und Tarifrecht RL: Dietmar Otto

21 Grundsatzfragen, Regierungsplanung, Kabinett, Landtag, MPK, Justiz ( MdJ) RL: Dr. Georg Dybe -1241

-1080

-1061

13 Haushalt RL: Angelika Stuke

-1212

14 Demografischer Wandel, Koordinierungsstelle bürgerschaftliches Engagement RL: Torsten Maciuga -1221 (m.d.W.d.G.b) 15 Protokoll, Veranstaltungen, Orden / Ehrungen RL: Oliver Schmidt -1214

-1230

22 Bildung, Wissenschaft, Familie, Gesellschaft, Verbraucherschutz (MBJS, MWFK, MSGIV) RL: Jörg Wensierski -1131 23 Wirtschaft, Energie, Finanzen, Arbeit (MWAE, MdFE ohne EU) RL: Dr. Christian Menzel

-1234

24 Inneres, städtische und ländliche Entwicklung, Umwelt, Landwirtschaft (MIK, MIL, MLUK) RL: Dr. Kerstin Ringel -1233 25 Rundfunk, Medien, Digitale Gesellschaft RL: Dr. Marietta Eisenhauer -1420 FK Flughafenkoordinierung L: Thomas Seidel

301 Stellvertretende Regierungssprecher Simon Zunk -1227 Eva Jobs -1224 31 Presseamt, Onlinekommunikation RL: Hans Völkel

-1252

32 Strategische Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Reden, Grußworte, Schirmherrschaften, Bürgerbüro RL: Dr. Winfried Muder -1250 Marita Goga -1223 (Leiterin Projekt und Markenentwicklung/ Koordinierung ÖA der Landesregierung) Bürgerbüro: Michael A. Volta (Zentrale Rufnummer des Bürgerbüros 1050)

POSTANSCHRIFT 01095 Dresden Internet: www.sachsen.de E-Mail: post@sk.sachsen.de

Büro des MP, Redenschreiber Markus Franke -10010 Pers. Referent Michael Heidrich -10005 Bürgerbüro Sabine Kühnert -10080

Büro des StS/AC Steffen Gilge Dr. Karoline Stebel

-10210 -10211

Stabsstelle Landesweite Organisationsplanung, Personalstrategie, Verwaltungsmodernisierung und Bürokratieabbau Dr. Daniela Dylakiewicz -10500

Foto: BS/©Pawel-Sosnowski, Stk Sachsen

Abteilung 2

Abteilung 3

Abteilung 4

Ressortkoordinierung, Bundesangelegenheiten, Strategische Planung Ulf Bandiko -12000

Internationale Beziehungen, Medien, Protokoll Ulrich Beyer -13000

Digitalisierung der Verwaltung Dirk Scott

Geschäftsstelle des Beauftragten der Sächs. Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen Michael Welsch -12161

Referat 41 IT-Grundsatz-, IT-Rechts- und IT-Haushaltsangelegenheiten, Gremien Bund-Länder-Kommunen N.N. -14 500

Geschäftsstelle des Sächs. Landesbeirats für die Belange von Menschen mit Behinderungen N.N.

Referat 42 Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes Dr. Gudrun Höhne -14100

Unabhängige zentrale Vertrauensund Beschwerdestelle für die Polizei Dirk Bölter -12260

Referat 43 Strategische Fragen der Informationstechnik, Fachaufsicht SID, SVN und Rechenzentrum Tobias Frick -14300

Geschäftsstelle Ständige Personalkommission Jonas Löschner -11130 Geschäftsstelle Landespersonalausschuss Dr. Antje Rühmann Referat 11 Personal Elke Döblitz Referat 12 Haushalt, Innerer Dienst, Liegenschaften Dieter Knoblauch Referat 13 Recht, Organisation, IuK Ursel Bechtel

-11110

-11100

-11200

-11300

Referatsgruppe 2 A Strategische Planung N.N.

Referat 2 B Ressortkoordinierung N.N.

Referat 21 A Bundesrat, MP-/CdS-Konferenzen, föderale Zusammenarbeit Jörg Pichler -13100

Referat 21 B SMS N.N.

Referat 22 A Kabinettsangelegenheiten/ Landtag Johannes Hildebrandt -10440 Referat 23 A Strategische Planung, gesellschaftliche Gruppen u. Kirchen, Demografie Franziska Brech -10420 Referat 24 A Finanzplanung, SMF Claudia Geck Referat 25 A Künstliche Intelligenz und Digitalstrategien N.N.

-12100

Referat 22 B SMI / SMJusDEG / SMEKUL / SMR (ohne Strukturwandel) Michael Lorek -12200 Referat 23 SMWA Brit Jacob-Hahnewald Referat 24 SMWK/SMK Frank Leuschke

-12300

-12400

Sitz des Beauftragten der Sächs. Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen Stephan Pöhler Albertstraße 10, 01097 Dresden Telefon: 0351/564-12160 E-Mail: post@sk.sachsen.de

Referat 31 Internationale Beziehungen Erik Kurzweil -13300 Referat 32 Medien, Medienrecht Dr. Matthias Heinze

45 Bildung und Wissenschaft, Veranstaltungen, Verwaltung RL: Elke Krüger -4151 1)

-1468

-13400

Referat 33 Protokoll, Geschäftsstelle “Tag der Sachsen” Maike Liebschner -10430

2. Stellvertretende Regierungssprecherin Lea Mock -10310

-10320

Referat Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Frank Wend -10340

Abteilung 1 -11000

44 (nicht belegt)

Referat Presse Torsten Kupsch

Chef der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien Oliver Schenk

Zentralabteilung Dr. Erwin Wagner

43 Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Umwelt, Arbeit, Integration, Soziales, Familie und Gesundheit RL: Falk Lämmermann -4152

1. Stellvertretende/-r Regierungssprecher/-in N.N.

Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung, Amtschef Thomas Popp

Beauftragter für Informationssicherheit der SK Jörg Brünner -14430

42 Inneres und Kommunales, Recht, Verkehr, Wirtschaft und Energie RL: Aldriane Franke-Thiemann -4154

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Sächsische Staatskanzlei Stand: März 2020

Regierungssprecher Ralph Schreiber

Stabsstelle Strukturwandel, Verhand­lungen mit EU, Bund Hauke Schröder -10150

-4153

Vertretung des Landes beim Bund In den Ministergärten 3, 10117 Berlin Telefon: 0331/866-0, 030/220022-0 Telefax: 0331/866-4135/ -4137, 030/220022-35/ -37

-1283

Ministerpräsident Michael Kretschmer

Büro des CdS und StM Heike Haußig -10110 Pers. Referent Kai Mindel -10111

41 Bundesratskoordinierung, Finanzen, Gesundheit, Wohnen, Europa RL: Hans-Ulrich Benstz

46 Internationale Beziehungen, EU RL: Ulrike von Gayl

Sächsische Staatskanzlei HAUSANSCHRIFT Archivstraße 1, 01097 Dresden Telefon: 0351/564-0 Telefax: 0351/564-10999

2)

Zentrale Angelegenheiten, Demografischer Wandel, Bürgerschaftliches Engagement AL: Jürgen Vandersee -1220

12 Organisation, Innerer Dienst, IT RL: Petra Rother

Vorsitzende des Personalrates: Marita Goga -1006 Gleichstellungsbeauftragte: Ulrike von Gayl -1468 Schwerbehindertenbeauftragter: Dietmar Otto -1080 Vertrauensperson der Schwerbehinderten: Lars Wieneke -1385 Behördlicher Datenschutzbeauftragter: Hans-Ulrich Benstz -4153 Antikorruptionsbeauftragte: Anne-Katrin Buchwaldt -1311 Beauftragte für Gender Mainstreaming: Marita Goga -1223 Geheimschutzbeauftragter: Udo Hasenbank -1272

Lausitz-Beauftragter des Ministerpräsidenten 3) Dr. Ing. Klaus Freytag -1150 / -1157 0355/494634-10

Ministerin und Chefin der Staatskanzlei Kathrin Schneider

023 Koordinierungsstelle “Tolerantes Brandenburg”/ Bündnis für Brandenburg L: Angelika Thiel-Vigh -1170 ANSCHRIFT Staatskanzlei des Landes Brandenburg Heinrich-Mann-Allee 107, 14473 Potsdam Telefon: 0331/866-0, Telefax: 0331/866-1367 E-Mail: poststelle@stk.brandenburg.de

Stabsstelle “Koordination Hauptstadtregion und Entwicklung der Regionalen” N.N.

Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke

011 Büro der Ministerin/ Chefin der Staatskanzlei und des Staatssekretärs L: Michael Brentrup 022 Landesmarketing, Tag der deutschen Einheit L: Thomas Braune

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Staatskanzlei des Landes Brandenburg Stand: Februar 2020

-14000

Referat 44 Strategische E-Government-Projekte, E-Government-Basiskomponenten Franz-Josef van Stiphout -14200 Referat 45 Informations- und Cyber-Sicherheit, Kritische Infrastrukturen, Fachaufsicht SAX.CERT Dr. Kristin Roespel -14 400

Staatssekretär Bevollmächtigter des Freistaates Sachsen beim Bund / Leiter der Landesvertretung in Berlin Conrad Clemens -300 Leitungsbereich Dienststellenleiter Berlin Ulf Schnars -400 Referat BLN 1 Allgemeine Verwaltung, Zentrale Dienste, Querschnittsaufgaben Katrin Träger (2. stellv. DL’in) -310 Referat BLN 2 Koordinierung Bundespolitik, Bundesrat / Staatskanzlei und B-Ressorts Christoph Linkerhägner -320 Referat BLN 3 Koordinierung Bundesebene/ A-Ressorts Ulf Schnars -400 Referat BLN 4 Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit Dr. Vera Kretschmer -410 Landesvertretung in Berlin Brüderstraße 11/12, 10178 Berlin Telefon: 030/20606-0, Telefax: 030/20606-209 E-Mail: post@bln.sk.sachsen.de*


Diplomaten Spiegel

Behörden Spiegel / März 2020

Freundliche Neugier ist unerlässlich

Teil des estnischen Charakters, und ich halte dies für normal.”

Seite 12

D

ie bilateralen Beziehungen zwischen dem nördlichsten baltischen Staat und Deutschland sind eng und freundschaftlich. “Klein” und “Groß” schätzen einander sehr in der Außen- und Europapolitik, beim Dialog über Stand und Umsetzung der Digitalisierung, des E-Governments, E-Health, E-Education und des Handels. Etwa 400 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung sind in Estland tätig. Die stimmige Verbindung hat historische Wurzeln: Die Präsenz der Deutsch-Balten vom 13. Jahrhundert bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs, die Blüte der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zur Zeit der Hanse im Mittelalter und eine daraus resultierende starke Stellung der deutschen Sprache, die auch die Zeit der sowjetischen Besatzung überdauerte. Nach Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 haben sich die kulturellen Beziehungen mit einem Schwerpunkt auf der Förderung der deutschen Sprache, der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaften und Hochschulen sowie des Kulturaustauschs intensiviert.

Ein Gespräch mit dem estnischen Botschafter Alar Streimann in Berlin (BS/ps) An der Hildebrandstraße in Berlin, zwischen südlichem Tiergarten und Landwehrkanal, liegt das Verteidigungsministerium. Auf der Rückseite des nach dem Ratsmaurermeister und Kommunalpolitiker Johann Christoph Bendler benannten Gebäudekomplexes steht, in pastellenem Gelb, gegenüber die Botschaft von Estland. Hausherr ist seit September 2019 Alar Streimann. Der heute 56-Jährige studiert 1989 an der Universität in Tartu Linguistik und Literatur, kommt 1991 in den auswärtigen Dienst seines Landes, kümmert sich um dessen Beitritt zur EU, wird ständiger Vertreter beim Europarat in Straßburg, dann Botschafter in Schweden, Frankreich und nun in Berlin. Einer Stadt, die mit 3,6 Millionen drei Mal so viele Einwohner wie sein ganzes Land hat, das dabei etwa so groß wie Niedersachen ist.

Unser Estland-Bild Botschafter Streimann hat zunächst gut damit zu tun, wer, wo, was ist, welche Themen aktuell sind, wie man die richtigen und wichtigen Kooperationspartner im Parlament, Kanzleramt, in Ministerien, Bundesländern oder im diplomatischen Korps kennenlernt. Er erläutert: “Die diplomatische Tätigkeit in Berlin ist sehr dynamisch, ebenso die Beziehungen zwischen meinem Land und Deutschland. Ein Highlight war für mich natürlich, als 30 Jahre Mauerfall gefeiert wurde, weil es mit unserer eigenen Freiheitsbewegung damals in der Sowjetunion zu tun hatte. Am 23. August 1989 fand eine riesige Manifestation in Form einer Menschenkette von zwei Millionen Esten, Letten und Litauern von Tallinn über Riga nach Vilnius statt. Die baltische Menschenkette spielte keine geringe Rolle für den Fall der Mauer nur wenige Wochen später.” Von dem wir hierzulande ja besonders profitieren und dabei das kleine Land am Rande Europas auch im Weiteren etwas aus dem Blick verlieren oder unser Estland-Bild von den Medien haben. “Dort gilt es als Land der digitalen Technologien und als Nachbar des oft unvorhersehbar agierenden Russlands, was sehr einseitig ist. Estland hat nicht nur viel natürliche Schönheit und Europas reichste Tierwelt, romantische mittelalterliche Architektur, weltberühmte Musikveranstaltungen, Künstler und Komponisten, sondern auch eine bedeutende Wirtschaftstätigkeit, dynamische Hightech-Sektoren, Wissenschaften auf Weltniveau, Bildung, Medizinstudien usw. Übrigens”, so Botschafter Streimann, “der größte estnische Investor in Deutschland ist ein Unternehmen, das Ultrakondensatoren produziert, d. h. Speicherlösungen für zukünftige Erneuerbare Energien, insbesondere in der Automobilindustrie.”

Estnische Sicht auf Deutschland Frage man seine Landsleute nach Deutschland, so falle dem “durchschnittlichen Esten” zuerst das deutsche Ingenieurwunder ein. “Dann natürlich noch vieles und anderes mehr, wie Bierfeste oder deutsches Essen, denn vieles davon wurde im Laufe der Jahrhunderte auch in unsere Küche aufgenommen, als Estland, oder Livland, wie es damals allgemein genannt wurde, Teil des Heiligen Römischen Reiches war. Dann kennen viele die reiche deutsche Literatur und Musik, die schönen Landschaften und die historischen Städte hier. Insgesamt ist es keine leichte Frage:

Seit einem halben Jahr Diplomat in Deutschland: Seine Exzellenz Alar Streimann, Botschafter der Republik Estland

Wir haben zu Hause Umfragen durchgeführt, um herauszufinden, was typisch estnisch ist, und konnten uns nicht einigen. Am Ende kommt es darauf an, wie viel man wirklich über Land und

Linguist. Im Wesentlichen ist es eine schwierige Wissenschaft, die einen enormen Beitrag zu vielen modernen Wissenschaften leistet – vom maschinellen Lernen, bis hin zum Studium der Herkunft

für ein paar Jahre machen und dann etwas Besseres finden, ich blieb dreißig.” Zeit genug, um zu wissen, was einen guten Botschafter ausmacht. “Das kann auch sehr

Botschafters Rezepte Gebratene Strömlinge (Ostseeheringe)

Zutaten: 500 g frische Strömlingsfitlets, 1 Ei, 1 TL Milch, 100 g Roggen/Weizenmehl, 1/2 EL Salz, Öl Zubereitung: Damit die Filets beim Braten nicht trocken werden, legt man sie vor dem Panieren einmal zusammen oder zwei Hälften übereinander. Dabei können auch verschiedene Füllungen verwendet werden, z. B. Dill oder Schnittlauch. Das Ei schlagen, mit Milch und Salz verrühren, die Strömlinge darin wenden und goldbraun braten. Sie schmecken auch kalt und können mit einer Marinade serviert werden.

Leute weiß”, unterstreicht der Botschafter. Er selbst entdecke jeden Tag neue Dinge und Orte in Deutschland.

30 Jahre im Dienste Estlands Dieses Interesse an Neuem und anderen bewog Streimann auch zu seinem Magisterstudium: “Linguistik und Literatur waren die wenigen Fächer, in denen man ohne politische “Interpretation” etwas über das Leben im Ausland lernen konnte. Aber ich war leider nie ein hingebungsvoller

Marinade: 300 ml Wasser, 1 EL Essig / Zitronensaft, 1 TL Zucker, 1/2 TL Salz, 5 Pfefferkörner, 5 Nelken, 1 Karotte, 2 kleine Zwiebeln. Wasser mit Salz und Zucker zum Kochen bringen, Karotten- und Zwiebelringe hinzugeben und halbweich kochen. Gewürze und Essig hinzufügen, abkühlen lassen. Marinade über die gebratenen Ostseeheringe geben und 24 Stunden kalt stellen. Dazu schmecken (getoastetes) Schwarzbrot, Bier und Wodka. Nii et terviseks – Prost.

des Menschen. Im Vergleich dazu ist die Diplomatie reich an menschlichen Kontakten und täglichen Überraschungen, die ich mag. Besonders in den turbulenten 90er-Jahren, als ich in den neu eingerichteten estnischen diplomatischen Dienst eintrat, war keine weitere Stunde so wie zuvor. In den Jahren 1991 und 1992 arbeiteten wir 24 Stunden. Ich verließ mein Büro oft um zwei oder drei Uhr morgens und begann wieder um neun oder zehn. Ich dachte, ich werde es

unterschiedlich sein. Vielleicht sind gute Kommunikationsfähigkeiten am wichtigsten. Diese und einige diplomatische Tricks können bis zu einem gewissen Grad erlernt werden, aber am Ende bleiben die Menschen immer noch sehr unterschiedlich. Einige Leute machen sich leichter Freunde als andere, während letztere bessere Analysten usw. abgeben”, so Streimann. Dennoch glaube er, dass es wichtig sei, dass die Leute, wenn sie einen Botschafter oder einen anderen

Kunst am Zaun des Botschaftsgeländes, gemalt von Edward von Lõngus, einem Schablonenkünstler aus Tartu.

Fotos: BS/Dombrowsky

Diplomaten träfen, auch eine gute Ahnung davon bekämen, wie seine Landsleute im Allgemeinen sein könnten. “Ich bemühe mich immer, wenn ich mich mit Menschen treffe, dass sie zu dem Schluss kommen könnten – wenn alle in Estland so sind, dann sind die Dinge in Ordnung. Bei der Diplomatie geht es nicht nur um Networking, sondern um Vertrauen. Kompetenz und gründliche Kenntnis des eigenen Landes sind unvermeidlich, freundliche Neugier auf das Gastland unerlässlich. Und Erfahrung kann aus Büchern nur wenig gelernt werden”, führt der Diplomat weiter aus.

Nicht wegen des Geldes Seit 2004 bzw. 2011 ist Estland EU- und Eurozonen-Mitglied – was auch “gelernt” sein wollte, zumal die Esten der EU gegenüber eher skeptisch waren. “Hauptsächlich aus Angst, die erst 1991 wiedererlangte Souveränität an Brüssel zu verlieren. Heute liegt die öffentliche Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft in Estland bei etwa 80 Prozent. Eine Antwort, die in den “alten” Mitgliedsländern leider manchmal zu leicht in den Sinn kommt, ist, dass es an der fetten EU-Finanzierung liegen kann. Dennoch hat unsere Geschichte gezeigt, wie fatal es ist, in kritischen Momenten allein zu sein. Es mag erbärmlich klingen, aber ich denke, dass viele Esten, wenn sie nach der EU gefragt werden, vielleicht sogar unbewusst lieber das “ein Teil von Europa sein” im Kopf haben und nicht das Geld. Und zweitens das “in der EU sind unsere Freunde und Verbündeten, hier gehören wir hin – wo sollen wir sonst sein”? Dies gilt im Allgemeinen auch für die Eurozone, auch wenn wir übermäßige Ausgaben immer sehr streng angegangen sind – heute weist Estland mit acht Prozent des BIP die niedrigste Staatsverschuldung der EU auf. Das bedeutet nicht, dass wir der EU nicht kritisch gegenüberstehen – es gibt immer Dinge, die man besser machen könnte. Übrigens war eine moderate Skepsis gegenüber jeder Regierung immer

“Digitaler Staat” lohnt sich “Normal” ist in Estland, dass die Digitalisierung der Verwaltung dort gang und gäbe ist. Kein Schlangestehen, Nummernziehen, Warten. In Botschafter Streimanns Heimat ist es schwierig, jemanden zu finden, der keinen Computer besitzt oder täglich nutzt. “Sicher gibt es ältere Menschen ohne PC, aber ich kenne viele Familien, in denen Großeltern digitale Dienste noch häufiger nutzen als die Jungen – insbesondere medizinische Angebote. Ja, es ist auch möglich, auf Papier zu kommunizieren und manchmal ist sogar ein menschliches Gespräch erforderlich. Etwa ein Drittel der Esten wählt regelmäßig digital bei Parlamentswahlen und zwei Drittel in Wahllokalen. Das ist also ganz normal. Zum anderen werden Steuererklärungen fast zu 100 Prozent digital abgegeben. Ich erinnere mich nicht einmal, wann ich das letzte Mal meine Steuererklärung auf Papier ausgefüllt habe. Wahrscheinlich zu Beginn des Jahrtausends”, so Streimann. “Im estnischen Bürgerportal sind insgesamt etwa 3.000 digitale Dienste verfügbar, alle staatlichen Dienste, aber auch große Versorgungsunternehmen wie Stromanbieter, Banken usw. Aber das Wichtigste ist, dass sie Teil des Alltags sind, jeder es für normal hält und dass es praktisch keine Debatte darüber gibt. Andererseits widmet die Regierung ständig viel Ressourcen und Aufmerksamkeit den hohen Sicherheitsstandards im digitalen Raum. Auch international hat Estland zahlreiche Initiativen zur Bekämpfung der Internetkriminalität ergriffen.” Der “digitale Staat” lohnt und rechnet sich für die baltische Republik. “Ja, wir können sagen, dass wir durch den papierlosen Öffentlichen Dienst etwa drei Prozent des BIP einsparen und dafür jährlich etwa zwei Prozent in die laufenden Kosten und die Cyber-Sicherheit investieren. Aber diese Zahlen können sehr trügerisch sein.” Mit jemand anderem tauschen – das möchte Botschafter Streimann niemals. “Ich hatte ein glückliches und lohnendes Leben, Arbeit mit vielen wunderbaren Kollegen und schöne Erinnerungen. Ich würde nie einen Moment daran ändern. Damals hatte ich immer großen Respekt vor Menschen mit “normalen Be-

Heute steht Estland fest zur Nato und zur EU. Die Flagge des Landes ist jedoch deutlich älter als die heutige Republik. 1884 diente sie als Fahne des Vereins Studierender Esten, einer Studentenverbindung an der Universität Tartu. 1918, mit der estnischen Unabhängigkeit wurde sie zur Flagge des Landes erklärt.

rufen” – tägliche Kompromisse, die in der Diplomatie unvermeidlich sind, spiegeln nicht unbedingt immer das wahre Leben wider. Nicht immer sieht man ein unmittelbares Ergebnis seiner Bemühungen, und das kann stressig sein. Ein Schreiner, der ein schönes Möbelstück angefertigt hat, oder ein Chocolatier mit seiner Pralinenschachtel können am Ende des Tages immer mit dem Ergebnis zufrieden sein – vielleicht. In Estland haben wir ein Sprichwort: “Dort, wo wir nicht sind, ist alles besser.”” Letztes Wort. “Ich hoffe, dass es Deutschland gut geht, denn dann läuft es auch in Europa gut. Und viel Erfolg mit der EUPräsidentschaft!”


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Berlin und Bonn / März 2020

Souverän der Daten

KNAPP Colours of Europe

Kommunaler Handel mit Meldedaten (BS/Katarina Heidrich) Hamburg hat im Vorfeld der Bürgerschaftswahl vergangenen Monat 227,66 Euro mit dem Verkauf von Meldedaten verdient. Was zunächst nach nicht viel klingt, ist hochgerechnet für Kommunen bundesweit eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle. In einem Diskussionspapier zu kommunalen Daten spricht der Deutsche Städtetag (DST) von einem “handelbaren Wirtschaftsgut”. Die Bedeutung geht aber darüber hinaus. So weit, dass selbst die FDP ihre Vermarktung einschränken will. Im Vorfeld der letzten Bürgerschaftswahl in Hamburg gab es eine Anfrage der SPD HamburgMitte aus dem Melderegister. Es wurden Daten nach § 50 und § 44 Bundesmeldegesetzt (BGM) abgefragt. Das bedeutet Familiennamen, Vornamen, Doktorgrade und Adressen. Die Anfrage bezog sich allerdings nur auf die Wohnorte Veddel und Wilhelmsburg und die Altersgruppen 16 bis 25 und 30 bis 50 Jahre. Die Auskunft hat der Stadt fast 230 Euro eingebracht, wie es aus dem Bezirksamt Harburg heißt, das federführend die Meldedaten der Stadt organsiert. Der gesetzliche Gebührenrahmen reiche von 70 bis 12.500 Euro je nach Zeitaufwand. Marktwirtschaftlich betrachtet: die Daten der Bevölkerung als eines der kommunalen Produkte, die Meldeauskunft als Leistung. Je nach Stadt und Aufwand variieren die Preise für einfache Meldeauskünfte, die jeder stellen kann. In Hamburg werden sie “Bearbeitungsgebühren” genannt, die im bundesweiten Durchschnitt rund sieben Euro betragen. In der Freien und Hansestadt kostet eine einfache Melderegisterauskunft zwölf Euro, online sogar nur sechs. In den letzten Jahren sind die Kosten gestiegen: Im Bundesdurchschnitt zwischen 2014 und 2017 für automatisierte Anfragen um 17 Prozent, für postalische um 29 Prozent, wie es in einer Studie der Hertie School of Governance heißt.

Hoheit über die Daten Meldeämter verkaufen diese Daten in großem Stil; an Parteien, an den Beitragsservice des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, an die Presse, an Unternehmen oder an Privatpersonen. Die kommunalen Einnahmen aus Meldere-

Wer die Hoheit über die Daten hat, behält das Spiel in der Hand.

gistereinkünften werden in der Studie auf 60 Millionen Euro im Jahr geschätzt. Mit dem Ausbau der Kommunen zu Smart Cities werden künftig noch mehr Daten zur Verfügung – und zum Verkauf – stehen. Das Sammeln von Verkehrsdaten durch Ladesäulen für E-Autos und denkende Fußgängerampeln (siehe Behörden Spiegel, Februar 2020, S. 21) sowie von Bewegungsdaten über ein öffentliches WLAN sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Aber bei wem liegt die Datensouveränität? Der DST schreibt in seinem Diskussionspapier, dass “private Unternehmen Geschäftsmodelle aufbauen, indem sie Kommunen günstige Infrastruktur zur Verfügung stellen und die erzeugten Daten behalten”. Große Konzerne würden dabei in traditionelle

Handlungsfelder kommunaler Unternehmen und der Kommunen selbst vordringen. “Es wird für die Städte und ihre Unternehmen daher immer wichtiger, Daten als wichtigen Teil ihres immateriellen Vermögens zu begreifen und zu nutzen”, heißt es dort. Im Bundesinnenministerium wird das Meldewesen als “informationelles Rückgrat der öffentlichen Verwaltung” bezeichnet. Die Erstellung eines personalisierten Bewegungsprofils durch ein Unternehmen können die Bürger durch das Nichtnutzen des Angebots umgehen, die Aufnahme in das Melderegister nicht. Wohingegen sie aber nach § 50 BMG eine Widerspruchsmöglichkeit gegenüber der Meldebehörde haben, ist die Weitergabe der Meldedaten etwa an Religionsge-

Foto: BS/skitterphoto, pixabay.com

meinschaften, die Bundeswehr, Presse und Rundfunk, Adressbuchverlage und eben Parteien oder Wählergruppen im Zusammenhang mit Wahlen. Im Hamburger Melderegister haben aktuell 42.280 Bürgerinnen und Bürger von diesem Recht Gebrauch gemacht. Aus dem Bezirksamt Harburg heißt es: “Auf diese Möglichkeit wird jedes Jahr per Pressemitteilung hingewiesen.”

Auskunftssperren nur für Mandatsträger? Gegen einfache Meldeauskünfte Privater gibt es hingegen kein Widerspruchsrecht. Auskunftssperren sind nur möglich, wenn eine akute Gefahr besteht, die nachgewiesen werden kann. Dabei sind Meldedaten besonders sensibel und können gleichzeitig einfach, auch in großen Mengen,

beschafft werden. Es gibt mittlerweile private Dienstleister, die die Meldeauskünfte für andere Auftraggeber aus den Kommunen einholen; Subunternehmer also. Um die Anschrift einer Person zu erhalten, sind hierfür Angaben zum Namen und dem Geburtsdatum ausreichend. Die Adresse des getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war auf einer rechts­extremen Website veröffentlicht. Daher hat die FDP-Faktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesmeldegesetzes eingebracht, der auf “Auskunftssperren für politische Mandatsträger in Bund, Ländern und Kommunen” abzielt. Die Ermordung habe deutlich die Bedrohungslage für politische Mandatsträger in Deutschland vor Augen geführt, generell häuften sich Angriffe auf und Drohungen gegen Politiker. Dabei sei nicht auszuschließen, dass diese durch zuvor erteilte Melderegisterauskünfte begünstigt würden. Diese Auskunftspflichten der Meldebehörden ermöglichen es laut Entwurf “jedermann, in Erfahrung zu bringen, wo andere Personen wohnen und sich somit gewöhnlich aufhalten”. Während die FDP das Recht auf Auskunftssperre auf Mandatsträger beschränken will, stellt sich die Frage, ob nicht auch etwa Verwaltungsmitarbeiter die Möglichkeit erhalten sollten. Und wenn ja, nach welchen Kriterien? Es gibt allein rund 14.000 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland. Darauf hatte bereits Andreas Hollstein (CDU), Bürgermeister von Altena, hingewiesen. Leichter und unbürokratischer wäre es, die Übermittlung von Meldedaten generell nur noch verwaltungsintern, zum Beispiel an Sicherheitsbehörden oder andere Bürgerämter, zu legitimieren.

S AV E

(BS/kh) Ein neuer Preis fördert das Engagement kleiner Städte und Gemeinden. Die überparteiliche Initiative “Tu was für Europa” ruft alle Kommunen unter 50.000 Einwohnern in Deutschland auf, sich für den Colours of Europe Award 2020 zu bewerben. Am 9. Mai werden drei Kommunen im Rahmen der Feier zum Europatag 2020 im Berliner Metropol ausgezeichnet. Zusätzlich wird eine gemeinnützige Organisation im Rahmen der Sonderkategorie “Zivilgesellschaftliches Engagement” prämiert. Gesucht werden Projekte und Ideen, die Europa vor Ort erlebbar machen und zum Nachahmen animieren. Es soll zudem ein internationales Netzwerk von Kommunen geschaffen werden, die ihre Expertise überregional zur Verfügung stellen. “Der Award hat das Ziel, attraktives Engagement für Europa in anderen Teilen der Republik zu initiieren”, wie es vom Deutschen Städte und Gemeindebund heißt.

Klima-Modellprojekte (BS/kh) Das Bundesumweltministerium (BMU) unterstützt mit dem Förderaufruf “Kommunale Klimaschutz-Modellprojekte” Städte und Gemeinden bei investiven Klimaschutzprojekten mit modellhaftem Charakter. Seit dem 1. März bis zum 30. April 2020 können zum novellierten Förderaufruf Projektskizzen eingereicht werden. Gefördert werden Vorhaben, die eine direkte Treibhausgasminderung zur Folge haben und als Blaupause für andere Kommunen dienen können. Die Förderquote beträgt bis zu 70 Prozent, für finanzschwache Kommunen bis zu 90 Prozent. Neben der jetzigen Antragsphase bis zum 30. April können Antragsteller das nächste Mal ihre Projektskizzen zwischen dem 1. September und dem 31. Oktober einreichen. Bislang wurden seit 2016 insgesamt 37 Projekte mit einem Fördervolumen von rund 100 Millionen Euro bewilligt.

THE D AT E

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

HEIMAT, DIE STADT

24. – 25. Juni 2020 2 Leonardo Hotel, Le W Weimar

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des

Foto: Matthiass Ecker ckkert

Eröffnungsredner: Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar


Kommunalpolitik

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Behörden Spiegel / März 2020

Berlin bremst sich selbst

Kein bloßes Lippenbekenntnis

Die Hauptstadt wächst, das Wohnungsangebot nicht gleichermaßen

UN-Standort Bonn

(BS/Katarina Heidrich) Berlins Bevölkerung wird bis zum Jahr 2030 um 4,7 Prozent wachsen. Dies geht aus der neuen Bevölkerungsprognose für Berlin und die Bezirke 2018-2030 hervor, die der Senat verabschiedet hat. Ein Hochhausleitplan soll ausreichend Wohnraum sicherstellen. Doch reicht das aus – etwa für die steigende Zahl der Studierenden?

(BS/bk) Seit 1951 siedeln sich immer weitere UN-Organisationen und Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) in Bonn an. Mit dem Sekretariat für Wasserversorgung der Vereinten Nationen (GWOPA) haben über 20 UNEinrichtungen ihr Büro in der Bundesstadt. Doch fürchtet der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe, dem deutschen Partner des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), Peter Ruhenstroth-Bauer, dass dies nicht so bleiben muss.

“Die neuen Zahlen zeigen, dass Berlin weiterhin eine wachsende Stadt ist. Die Zunahme der Bevölkerung wird sich aber nach 2025 deutlicher abschwächen, sodass wir vor allem in den kommenden Jahren mit unseren Planungen gefordert sind”, prognostiziert Katrin Lompscher (Die Linke), Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, angesichts der Zahlen. Neben vielen Chancen gingen mit diesem Wachstum auch große Herausforderungen einher, denen mit passgenauen Lösungen begegnet werden müsse. Passgenau würde in einer Stadt, in der etwa die Studentenzahlen (derzeit fast 200.000) und die der Alleinlebenden seit über einem Jahrzehnt stetig steigen, aber bedeuten, vermehrt günstigen Wohnraum für Single-Haushalte zur Verfügung zu stellen. Letzteres geschieht zwar, aber eben kaum zu bezahlbaren Konditionen. Am Alexanderplatz beispielsweise wurde in kürzester Zeit “The Student Hotel” gebaut. Welches aber kein Studentenwohnheim ist, sondern das Kerngeschäft

der normalen Hotellerie einfach um ein All-inklusive-Angebot erweitert, bei dem Studierende für knapp 920 Euro im Monat ein eigenes Zimmer beziehen können. Zum Vergleich: Im BAföG sind ab dem Wintersemester 2019/2020 insgesamt 325 Euro pro Monat für die Miete vorgesehen. Die Unterbringungsquote von Studierenden in Wohnheimen fiel bundesweit von 14,93 Prozent im Jahr 1991 auf 9,44 Prozent im Jahr 2019. Am schlechtesten ist sie mit 5,9 Prozent in Berlin. Damit sind Studenten auch immer häufiger Nachfrager auf dem “normalen” Wohnungsmarkt. Man kann der Hauptstadt nicht vorwerfen, dass nicht gebaut werde. Es wird nur am eigentlichen Problem vorbeigebaut. Wie etwa am Beispiel des so genannten “Amazon-Towers”. Die Bezirksbauverwaltung von Friedrichshain-Kreuzberg hatte das millionenschwere Projekt des Immobilienentwicklers Edge bereits genehmigt, ist dann aber wieder zurückgerudert. Es gab zahlreiche Proteste der Bevölkerung, die sich aber eher ge-

gen den Hauptmieter Amazon als gegen das Bauprojekt an sich richteten. Die eigentliche Frage bei dem 35-stöckigen Büroturm ist aber, ob er dem neuen Hochhausleitbild entspricht, das die Stadt kürzlich beschlossen hat. Danach müssen beim Bau von Hochhäusern ab einer Höhe von etwa 35 Metern bestimmte Quoten für Sozialwohnraum und Grünflächen eingehalten werden. Um das zu garantieren, könnte die öffentliche Hand auch vermehrt selbst als Bauherr auftreten. Im Bezirk Spandau zeigt sich allerdings, dass auch das nicht immer funktioniert. Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank betont, es gebe einige Bauprojekte, die blockiert würden, weil es keine vernüftige verkehrliche Erschließung gebe. “Ich kann ein Bebauungsplanverfahren nicht weiterführen, wenn ich das Verkehrskonzept nicht kenne”, moniert er. Kleebank fordert von der Senatsverwaltung für Verkehr, die Situation zu analysieren und eine Einschätzung abzugeben, welche Verkehrsströme sie erwartet und welche Ideen sie hat.

Ist der “gute Ruf” in Gefahr? Warum aktives Reputationsmanagement auch für Behörden immer wichtiger wird (BS/Karsten Wolff) Die gute Nachricht gleich vorweg: Die Halbwertszeit von Krisen, die es in die Medien “geschafft” haben, nimmt immer mehr ab. Doch wir wissen, was einmal im Netz steht, bleibt dort “hängen” und kann in einem anderen Kontext mit wenigen Klicks nach Belieben wieder “ans Licht geholt” werden – oft mit fatalen Folgen. Niemand kann heute mehr verlässlich einschätzen, ob und welche Daten und Informationen womöglich morgen schon zu einem Reputationsrisiko werden. Ein Plädoyer für mehr Reputationsmanagement auch in deutschen Behörden. Das Internet liefert schon lange Nachrichten “frei Haus”. Soziale Medien haben eine weitere Tür geöffnet: Mühelos und barrierefrei können sich alle in Diskussionen einschalten und “Aufregerthemen” bis weit über die “Grenzen des guten Geschmacks” hinaus verstärken. Das bleibt nicht ohne Folgen: Im digitalen Zeitalter entwickeln Krisen eine völlig neue und andere Dynamik. Selbst in Nachrichtenredaktionen, wo früher Informationsangebote noch sorgfältig abgewogen und auf journalistische Relevanz hin abgeklopft wurden, gilt inzwischen oft das Motto “Aufmerksamkeit um jeden Preis”.

Fluch oder Segen Das Internet wurde einst für seine vereinenden Kräfte gelobt. Die anfängliche Euphorie hat sich jedoch merklich abgekühlt. Mit Blick auf die “Kehrseite der Medaille” ist vielen bewusst geworden: Digitaler “Verriss” hat reale Konsequenzen – oder anders ausgedrückt: Mit den ungewollten Auswüchsen läuft der “gute Ruf” mehr und mehr Gefahr, binnen kürzester Zeit beschädigt oder gar zerstört zu werden. Vor allem die sogenannten Mitmach-Medien können ungeahnte Skandalisierungs- und Rufschädigungspotentiale entfesseln, die kaum beherrschbar erscheinen – in jedem Fall aber unschöne Spuren hinterlassen. Auf deren Beseitigung spezialisierte Unternehmen verdienen daran inzwischen viel Geld. Die dafür notwendigen Budgets stehen in den Haushalten des öffentlichen Dienstes in der Regel nicht zur Verfügung. Aktive Vorsorge, alleine schon aus Gründen der Fürsorge, wird zunehmend wichtiger. Gut so, denn wer sich in Verantwortung für eine Behörde nicht auf die im Netz stattfindenden Entwicklungen einstellt, spielt ein Spiel mit ungewissem Ausgang. Viele Entscheidungsträger in Behörden

durchschlagen kann. Vieles wird von einer interesKarsten Wolff ist Erster Kri­ sierten, aber auch minalhauptkommissar und kritischen BevölSprecher der Zentralen Po­ kerung nicht mehr lizeidirektion (ZPD) Nieder­ “klaglos” hingesachsen. Seit 2006 leitet er nommen. Noch die Öffentlichkeitsarbeit der mehr Ungemach ZPD. droht, wenn geFoto: BS/privat setzliche, rechtliche oder finanzielle Anforderungen und Ehrenamtsorganisationen nicht erfüllt oder gar verletzt sind im Glauben, dass sie mit werden. Auch der Öffentliche ihrem Auftritt in sozialen Medi- Dienst findet heute zunehmend en alleine gut aufgestellt sind. in der medialen Öffentlichkeit Doch zwischen der Bewertung statt – “Abhörsicherheit von der eigenen Resilienz sowie Re- Amtsstuben” war gestern. Die aktionsfähigkeit und dem damit altbekannte “Salamitaktik” und gleichzeitig verbundenen Risiko häppchenweise Informationen klafft nicht selten eine große funktionieren deswegen ebenso Lücke. Dazu ein Beispiel: Ohne wenig wie das oft zitierte “auf Zeit einen gut durchdachten Plan B spielen”. Gefragt sind maximale ist das Problem “Hate speech” Transparenz und eine auf Dialog nicht damit gelöst, die oft einzige setzende Kommunikation – soweit Präsenz in Social Media in einer möglich schon in ruhigen Zeiten! Dazu braucht es innere Überakuten Phase nur “vom Netz” zu nehmen und den “Sturm vorbei- zeugung, Mut und ein entsprechendes Konzept. Weil die Zuziehen” zu lassen. kunft Ihrer Reputation bereits Abhörsicherheit von Amts­ in der Gegenwart spielt, ist es stuben ist passé unerlässlich, früh geeignete VorGefragt ist ein erweiterter Blick sorge zu treffen. Den “richtigen” und selbstkritischer Ansatz. Oh- Zeitpunkt gibt es meistens nur ne Zweifel, in den vergangenen ein einziges Mal! Jahren haben Behörden viel in die Professionalisierung ihrer Öffentlichkeitsarbeit investiert – mit großem Erfolg. Auch die Grundregeln der Krisenkommunikation spiegeln sich in zahlreichen Konzepten wider. Die schnelle und Die Grundlagen und viele prak­ aktive Reaktion auf Informationstische Beispiele für ein durch­ dachtes sowie professionelles bedarfe hat allerorten oft SchlimKrisen- und Reputationsma­ meres verhindert. Schließlich hat nagement thematisiert der sich im Öffentlichen Dienst auch Autor in zwei Seminaren des die Erkenntnis durchgesetzt: Wer Behörden Spiegel. Am 16./17. nicht Position bezieht, verliert Juni 2020 in Hannover sowie die Chance auf Augenhöhe und am 23./24. September 2020 in Meinungsführerschaft. Stuttgart. Verantwortliche im Behördenumfeld nehmen inzwischen auch Weitere Informationen unter wahr, dass Verwaltungshandeln www.fuehrungskraefte-forum.de, unmittelbar auf die ReputatiSuchwort “Reputation” on der Organisation, als auch dort wahrnehmbarer Personen

Save the Date

“Es ist gut, dass Bonn UN-Standort für eine ganze Reihe von Organisationen ist. Auch sehe und höre ich viel von der Kommunalpolitik über den UN-Standort, sehe aber wenig konkrete Umsetzung”, so Ruhenstroth-Bauer. Er bekäme Anrufe aus Berlin, ob die UNO-Flüchtlingshilfe nicht auch beim “Haus der Vereinten Nationen” mitmachen wolle. Dabei handelt es sich um den Versuch, Organisationen mit internationalem Bezug zur UN an einem zentralen Ort in Berlin anzusiedeln. Dort hätte man die Bedeutung der Einrichtungen erkannt und bemühe sich aktiv um diese. Es könne viel mehr passieren. Ruhenstroth-Bauer erwartet, “dass der UN-Standort nicht ein bloßes Lippenbekenntnis ist, sondern wirklich alles dafür getan wird.” Und zu einem UN-Standort gehöre eben nicht nur jede UNOrganisation, sondern auch die vielen NGOs im unmittelbaren Umfeld. Sonst könne die Lage in zehn Jahren anders aussehen. Er bekräftigt aber: “Wir sind in Bonn und wir stehen zu unserem Standort, weil wir das gut und richtig finden.”

Unterstützung durch die Stadt Bonn Aus dem Stadthaus in Bonn heißt es dazu, dass man im engen Kontakt zu einer Vielzahl von nationalen und internationalen NGOs stehe und sie bei ihrer Arbeit unterstütze. Konkret würde man einigen Einrichtungen kostengünstig Büroräume sowie Serviceleistungen, Beratungsund Unterstützungsangebote zur Verfügung stellen. Man arbeite zudem daran, den ansässigen

Peter-Ruhenstroth-Bauer ist seit 2017 Geschäftsführer der UNO-Flüchtlings­ hilfe. Foto:BS/Jim Rakete

Organisationen und deren Mitarbeitern ein gutes Arbeitsumfeld durch ein internationales Schulangebot und Austauschmöglichkeiten der internationalen Community in Bonn zu ermöglichen. Zusätzlich organisiere die Stadt Bonn mit dem Netzwerk “Bonn International NGOs” (BINGOs) die Möglichkeit zur Vernetzung.

Digitaler Wandel auch beim Umgang mit Spenden Aber nicht nur dieser Bereich ist in Bewegung. Mit der Zeit seien die Aufgabenfelder und die Ansprüche an die UNO-Flüchtlingshilfe stetig gewachsen. Man sei mittlerweile als Informationsplattform und von Medien und Öffentlichkeit gefragter als noch vor wenigen Jahren. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, implementiere man nach einem intensiven Revisionsprozess der eigenen Strukturen neue digitale Plattformen. Damit könne man viel individueller den Interessen und den Ansprüchen an Informationen und Transparenz nachkommen. Schließlich sei Transparenz auch bei der Verwendung von Spenden die Grundlage für eine dauerhafte Unterstützung. Dazu

lasse sich die UNO-Flüchtlingshilfe u.a. von dem Deutschen Zentralinstitut für Sozialfragen (DZI) regelmäßig prüfen. Dabei wird untersucht, ob ein wirtschaftsgeprüfter Abschluss und eine Wirkungsanalyse vorliegt, die Mittelverwendung transparent ist und wie hoch der tatsächliche Anteil der Spenden für Projekte ist. Zusätzlich lässt sich die Flüchtlingshilfe auch vom Deutschen Spendenrat zertifizieren. Die Gewinnung von Unterstützer sei heute keine einfache „Spendenwerbung“ mehr, sondern in erster Linie Informationsarbeit. Ruhenstroth-Bauer wünscht sich, dass “auch die Spendenprüforganisationen dies erkennen und deutlicher im 21. Jahrhundert” ankämen.

“Niemand verlässt freiwillig seine Heimat” Von allen Veränderungen unberührt bleibt die Aufgabe der UNO-Flüchtlingshilfe, die sie seit 1980 als einer von acht nationalen Partnern des UNHCR leistet. “70,8 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Niemand verlässt freiwillig seine Heimat.” betont Ruhenstroth-Bauer. Damit Flüchtlinge unterstützt werden, finanzierte die Flüchtlingshilfe 2019 mit 24 Millionen Euro die Arbeit des UNHCR und mit rund 1,7 Mio Euro 80 Projekte für Flüchtlinge in Deutschland. Für die Zukunft hat sich die UNO-Flüchtlingshilfe ein ambitioniertes Ziel gesetzt, so Ruhenstroth-Bauer: “Wir wollen, dass jeder in Deutschland einen Euro pro Jahr für Flüchtlinge gibt”. So kämen 82,5 Millionen Euro zusammen.

Die Informationsflut meistern Mit sechs Schritte den Informationsgewinn optimieren (BS/Christian Peirick) In Zeiten einer ständig anwachsenden Informationsflut wird es immer wichtiger, die eigene Informationsgewinnung zu optimieren, um weiterhin alle für die eigene Arbeit wichtigen Informationen aufzunehmen und verfügbar zu haben. An besonderen Tagen trudeln die E-Mails fast schon im Minutentakt im elektronischen Postfach ein. Viele davon enthalten Anlagen mit oftmals über 100 Seiten. Außerdem gibt es da verschiedene Fachzeitschriften, die gelesen werden sollten. Und nebenbei müssen dann für die eigentliche Arbeit zunächst der Arbeitsauftrag und die dazugehörenden Begleittexte gelesen werden. Nach neuesten Studien kommen sogenannten “Wissensarbeiter” damit auf einen Leseaufwand von bis zu 5,7 Stunden pro Arbeitstag. Es verbleibt daher immer weniger Zeit für die originäre Aufgabenerledigung. Mit den folgenden sechs Schritten können Sie Ihre Informationsgewinnung optimieren und die zunehmende Informationsflut bewältigen. 1. Schritt: Optimieren Sie das Leseumfeld: Sie können nur konzentriert lesen, wenn Sie zuvor Ihren Lesearbeitsplatz optimiert haben. Dazu gehören ein aufgeräumter, möglichst ruhiger Schreibtisch und gute Lichtverhältnisse genauso wie auch die Orientierung am eigenen Biorhythmus und die Vermeidung von Störungen. 2. Schritt: Steigern Sie Ihr Lesetempo: Machen Sie sich bewusst, dass Sie vermutlich nicht viel schneller lesen als ein zehnjähriger Schüler – und Sie mithilfe einfach zu erlernender Schnelllesetechniken innerhalb

Auf diese Weise sparen Sie noch einmal viel Zeit Christian Peirick ist Referats­ ein. leiter in der Verwaltung des Landtags Rheinland-Pfalz. 5. Schritt: VerSeit 1998 leitet er Seminare bessern Sie die zum Thema “Infoflut bewäl­ E-Mail-Kommutigen mit RaLete – Rationelle nikation: Dazu Lesetechniken®” gehören aussagekräftige Betreffs, Foto: BS/privat die Beschränkung der Adressaten kürzester Zeit Ihre Lesegeschwin- auf das notwendige Maß, das digkeit verdoppeln können. Allein Vorsortieren von E-Mails durch das kann schon 2 bis 3 Stunden Filterregelungen und das geordan Zeitgewinn pro Arbeitstag be- nete Ablegen unter Verwendung von Kategorien. Und überlegen wirken. 3. Schritt: Vermeiden Sie Lese- Sie einmal, ob Sie sich ständig hemmnisse: Hierzu gehört unter ablenken lassen wollen durch anderem der Irrglaube, durch ein neu eintreffende Nachrichten. extrem langsames Lesen kön- Denn an einem Großteil der Arne man besonders konzentriert beitsplätze würde es ausreichen, lesen. Denn wenn das Tempo zwei- bis viermal pro Tag sein zu gering wird, lasten wir un- E-Mail-Postfach aufzurufen und ser Gehirn nicht mehr richtig die eingegangenen E-Mails am aus – sodass sich dieses mit Stück zu lesen. 6. Schritt: Besuchen Sie ein anderen, (vermeintlich) spannenderen Dingen beschäftigt (z. Schnellleseseminar: Diese und B. mit der am Abend geplanten weitere Schritte helfen, wieder zu einem selbstbestimmten persönFreizeitaktivität). 4. Schritt: Bestimmen Sie Ihr lichen Wissensmanagement zu Leseziel: Wie bei allen wichtigen gelangen. Am einfachsten erlerDingen im Leben ist es auch beim nen Sie die neue HerangehensLesen unabdingbar, dass Sie sich weise an Ihre Informationsflut darüber klar werden, was Ihr dabei im Rahmen des PraxisseZiel, hier also Ihre Leseabsicht, minars “Schneller Lesen, mehr ist. Anschließend überfliegen Sie behalten, Infoflut bewältigen” am zunächst die Texte. Dann werden 22. Mai 2020 in Mainz. Sie nämlich schnell feststellen, dass viele Texte von Ihnen gar Weitere Informationen unter: nicht oder allenfalls in kleinen www.fuehrungskraefte-forum. Teilen gelesen werden müssen. de, Suchwort “lesen”


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / März 2020

Konstruktiver Auftakt

“W

ir wissen, welch hohe gesellschaftliche Bedeutung die tägliche Arbeit der Beschäftigten in den Kindertagesstätten, in der Behindertenhilfe und im Bereich der Sozialarbeit hat”, sagte VKA-Präsident Ulrich Mädge. Und auch künftig brauche man hier ausreichend qualifiziertes Personal. “Deshalb wollen wir die Attraktivität des Berufsfeldes erhalten und weiter verbessern.” Dazu sind die Arbeitgeber bereit, die Kriterien zu überarbeiten, nach denen KitaLeitungen und deren Stellvertretungen eingruppiert werden. Ziel ist es, die Anforderungen an die Leitungskräfte besser abzubilden. Allerdings soll die Attraktivität nicht um jeden Preis gesteigert werden. Seit 2009 seien die Gehälter im Sozial- und Erziehungsdienst mehrfach überproportional angehoben worden. Aktuell verdiene eine Erzieherin 3.855 Euro monatlich brutto. Kämen fachlich schwere Tätigkeiten hinzu, betrage das Gehalt bis zu über 4.300 Euro brutto. Zusätzlich bekämen die Beschäftigten ein jährliches Leistungsentgelt, eine Jahressonderzahlung und eine zusätzliche betriebliche Alters-

Umfangreiche strukturelle Tarifforderungen für Sozial- und Erziehungsdienst (BS/Jörn Fieseler) Zum Auftakt der Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst (S+E) zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und den Gewerkschaften Verdi und DBB Beamtenbund und Tarifunion signalisierten die Arbeitgeber ihre Bereitschaft, einen Teil der Forderungen zu erfüllen. Die Reaktion fiel verhalten aus. versorgung. Zudem müsse das Verhältnis zu den anderen Beschäftigtengruppen des kommunalen Öffentlichen Dienstes im Blick behalten werden, ergänzte VKA-Hauptgeschäftsführer Niklas Benrath. “Wir haben ein erstes konstruktives Gespräch geführt, dabei aber auch einer undifferenzierten Aufwertung eine klare Absage erteilt.”

Elf Forderungen “Die Arbeitgeber bewegen sich nur im kleinen Karo”, fasste Verdi-Verhandlungsführer und Bundesvorsitzender Frank Werneke die Äußerungen der VKA zusammen. Immerhin hätten sie den Fachkräftemangel erkannt, seien aber nicht zu einem notwendigen und spürbaren Schritt in Richtung Aufwertung bereit. Insgesamt haben Verdi und der DBB elf Forderungen aufgestellt.

Interkommunale Zusammenarbeit

Warum scheitern immer wieder Gemeindefusionen? von Dr. Ulrich Keilmann In den 70er-Jahren wurden Gemeindefusionen noch vorgegeben. Nicht zuletzt deswegen scheiterte die zwangsweise Fusion zur Stadt Lahn kläglich. Sie gab es nur wenige Monate. Die Skepsis in der Bevölkerung blieb. Und auch noch 2007 wurde die Städtefusion von Michelstadt und Erbach abgelehnt. Warum scheitern aber immer wieder Fusionen? Die überörtliche Prüfung hinterfragte das. Als zentrale Gründe wurden genannt: – Es wurden nur die positiven Aspekte aus Sicht der offiziellen Funktionsträger dargestellt. – Der neue Name der Fusionsgemeinde sowie der Umgang mit doppelten Straßennamen waren bis zum Bürger­ entscheid nicht geregelt. – Konkrete Nachteile für die Bürger, wie z.B. neue Postleitzahl, neuer Ortsname, neue Straßennamen, die entsprechende Änderungsmeldungen bei Post, Telefon, Bank und Versorgern notwendig machen, wurden nicht kommuniziert. – A lleine die Verbesserung der finanziellen Situation der Gemeinde “berührte” die Bürger kaum. – D agegen wurden entstehende Zusatzkosten in der Gemeinde, wie z. B. Umbaumaßnahmen Rathaus und mögliche Versorgungslasten bisheriger Bürgermeister, den Mehreinnahmen bzw. Schuldenerlassen nicht gegengerechnet. – Positive Aspekte (z.B. Verzicht auf Schließung von Einrichtungen) wurden aus Sicht der Bürger nicht deutlich genug herausgestellt. – K ritische Reaktionen im Rahmen der ersten Bürgerversammlung wirkten sich negativ auf den folgenden Prozessverlauf aus. – D ie Landesunterstützung zum Teilschuldenerlass war für die Gemeinden nicht besser als die Regelungen für Schutzschirmkommunen. – Der Zeitraum des Fusionsprozesses war zu kurz angesetzt und geplant. – Vereinzelte Multiplikatoren aus den Ortsteilen hatten eine aktive Oppositionsrolle

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(z. B. Verteilen von Flyern) eingenommen. In jüngster Zeit gibt es aber zunehmend auch positive Beispiele. Die Stadt Beerfelden fusionierte 2018 mit den Gemeinden Hesseneck, Rothenberg und Sensbachtal zur Stadt Oberzent und die Gemeinden Oberweser und Wahlsburg 2020 zur Gemeinde Wesertal. Nach deren Ansicht haben die Fusionsabsicht maßgeblich begünstigt: – langjährige und intensive interkommunale Zusammenarbeit in der Allgemeinen Verwaltung, – langjährige und intensive Zusammenarbeit der Bürgermeister, – enge Verbundenheit der Vereine und Schulen der beiden Gemeinden, – gemeindeübergreifende Zusammenarbeit der Kirchen. Fusionen funktionieren nur freiwillig. Aber auch ein freiwilliger Zusammenschluss hat kommunalverfassungsrechtliche Änderungen zur Folge, die sich auf das wirtschaftliche, kulturelle und soziale Leben auswirken. All dies trägt entscheidend dazu bei, dass sich die Bürger mit der neuen Fusionskommune identifizieren (müssen). Für diese Herausforderung bedarf es eines klar formulierten Vertragswerks. Deswegen hat die Überörtliche Prüfung in Hessen auch die zentralen Inhalte und Regelungsbedarfe sowie konkrete Formulierungsvorschläge für einen Grenzänderungsvertrag zusammengestellt. Der sog. Leitfaden zur Vorbereitung einer Gemeindefusion ist auf der Webpräsenz des Hessischen Rechnungshofes eingestellt und kann dort heruntergeladen werden: https://rechnungshof.hessen. de/sites/rechnungshof.hessen. de/files/Leitfaden%20Vorberei tung%20Gemeindefusion.pdf. Lesen Sie mehr zum Thema “Interkommunale Zusammenarbeit” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1309 vom 8. November 2019, S. 154 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

So sollen die Eingruppierungsmerkmale nicht nur für Leitungen und deren Stellvertretungen, sondern auch für Kinderpfleger, Sozialassistenten, Erzieher, Sozialarbeiter und Sozialpä­ dagogen überarbeitet und verbessert werden. Dazu fordern die Gewerkschaften auch, die stellvertretenden Leitungen in allen Einrichtungen verbindlich einzuführen. Außerdem sollen die Stufenlaufzeiten abgepasst, Qualifizierungen mittels Fortund Weiterbildungen durch eine bessere Eingruppierung honoriert und die Vorbereitungszeit ausgedehnt werden. Letzteres, um mehr Zeit für die mittelbare pädagogische Arbeit zu haben. Besonders schwierig in den kommenden Verhandlungen dürfte jedoch die Forderung nach einer Faktorisierung von Plätzen für Kinder unter drei Jahren und für

werden, die bei anderen Trägern erworbene Berufserfahrung und die Berufstätigkeit anerkannt sowie die Eingruppierung an die gestiegenen Anforderungen im Bereich der Behindertenhilfe aufgrund gesetzlicher Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz angepasst werden. Zu guter Letzt sollen für die Praxisanleitung Qualifizierungen und eine angemessene Vergütung geregelt werden sowie für die Beschäftigten Zeitkonten eingerichtet werden. “Eine gute Betreuung und ein starkes soziales Netz gibt es nicht zum Nulltarif”, sagte der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach zu dem Forderungskatalog. Aber die Investition lohne sich in jeder Hinsicht.

Friedenspflicht

Die Arbeit mit den ganz Kleinen, wie mit diesem Kindergartenkind, und in Behindertenwerkstätten sowie in der Sozialarbeit verdient höchste Anerkennung. Das soll sich auch bei den Tarifverhandlungen widerspiegeln. Doch die Positionen liegen noch weit auseinander. Foto: BS/LRCL, pixabay.com

behinderte Kinder im Sinne des § 2 SGB IX werden. Die Umsetzung könnte am Ende Auswirkungen auf den Betreuungsschlüssel und

damit auf den Personalbedarf an Erziehern haben. Des Weiteren soll die S-Tabelle um weitere Entgeltgruppen nach oben erweitert

Die Verhandlungen für die rund 265.000 Beschäftigten im Sozialund Erziehungsdienst sollen am 23. März 2020 in Potsdam und am 29. April 2020 in Hannover fortgesetzt werden. Da die tariflichen Regelungen frühestens zum 30. Juni 2020 gekündigt werden könnten, besteht laut Aussage der VKA die Friedenspflicht, weshalb Streiks ausgeschlossen seien.


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Personelles

BehÜrden Spiegel / März 2020


BehÜrden Spiegel / März 2020

Personelles

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Personelles / Stadtwerke

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us dem Nachhaltigkeitsbericht 2019 geht hervor, dass das Stromnetz Hamburg 2018 36,6 Millionen Euro erwirtschaftet hat. Der Betreiber ist nach einer Volksinitiative, die ihn zurück in die öffentliche Hand gebracht hat, wieder hundertprozentige städtische Tochter, so Dr. Sarah Jamil vom städtischen Stromverteilungsnetzbetreiber. Damit ist das Unternehmen auch zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Sie erklärt, für die Auswahl des Berichtsstandards habe man verschiedene Standards geprüft – etwa den Deutschen Nachhaltigkeitskodex, den International Integrated Reporting Framework oder die Global Reporting Initiative. “Die Entscheidung ist dann auf den Deutschen Nachhaltigkeitskodex gefallen, weil hier Nachhaltigkeit breiter gedacht wird”, so Jamil. Der Kodex richtet sich nach den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) und sei nicht ausschließlich auf ökologische Nachhaltigkeit bezogen. Der Nachhaltigkeitsbericht berichtet nicht nur, sondern ist gleichzeitig Startpunkt zur Integration der Ziele in den Regelbetrieb, ist sich Jamil sicher. Die Agenda 2030 mit ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung würde von allen Hamburger Beteiligungen verfolgt, betont Roggencamp. So etwa auch die HHLA Hafenlogistik, in deren Aufsichtsrat sie sitzt. Die kommunalen Unternehmen müssten den Spagat schaffen zwischen gut wirtschaften, Ressourcen sparen und einen öffentlichen Auftrag erfüllen. Als

Behörden Spiegel / März 2020

Daseinsvorsorge als Schlüssel Nachhaltigkeit im Beteiligungsmanagement (BS/Katarina Heidrich) Das Stromnetz Hamburg hat im vergangenen Jahr den ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Aktuell gibt es für 30 Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung eine Berichtspflicht, alle zwei Jahre muss ein Nachhaltigkeitsbericht erstellt werden, wie die Leiterin des Amtes für Vermögens- und Beteiligungsmanagement der Freien und Hansestadt, Dr. Sibylle Roggencamp, im Rahmen des Hamburger Tags der Beteiligungsverwaltung erläutert. Diskutiert wurden unterschiedliche Strategien für nachhaltige öffentliche Unternehmensführung. das Unternehmen Ressourcen. Das Thema Beihilferecht stehe dabei aber “ständig auf den Füßen”. Zum Glück habe der Europäische Gerichtshof für steuerliche Querverbünde entschieden.

wesentliches Umsetzungsinstrument dabei diene der Hamburger Corporate Governance Kodex (HCGK), in dem es eine Neuregelung zu Nachhaltigkeitszielen gibt. Dadurch müssen etwa alle Mehrheitsbeteiligungen Kompensationszahlungen für dienstliche Flugreisen leisten.

Denkprinzipien ändern

Kerngeschäft transformieren Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) betont, dass Hamburg sich schon vor Jahren den 17 SDGs verschrieben habe: “Ich bin gespannt, wann der Bund und andere Länder nachziehen.” Ressourcenschonung sei zwar auch für das Finanzressort nicht Hauptthema, aber es werde mehr und mehr Kernthema durch alle Ressorts durch. Derzeit stehe unter anderem das Thema nachhaltige Finanzierungsmodelle für die öffentlichen Unternehmen auf der Agenda. Auch der Hamburger Weg zur Schuldenbremse sei ein Teil der städtischen Nachhaltigkeitsstrategie, so Dressel. Dass Daseinsvorsorge ein geeigneter Schlüssel für viele Probleme ist, sei in der Politik noch nicht überall angekommen, rügt der Finanzsenator. Die Anbieter dieser Leistungen, die Stadtwerke, stehen

Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel beschriebt die Daseinsvorsorge als Lösung für viele Probleme. Foto: BS/Heidrich

Dr. Sibylle Roggencamp, Amtsleiterin der Finanzbehörde Hamburg, stellt die Nachhaltigkeitsstrategie der Hansestadt vor. Foto: BS/Heidrich

vor immer neuen Herausforderungen, wie Sönke Doll, Aufsichtsrats-Vorsitzender der Stadtwerke Itzehoe, hervorhebt: Dekarbonisierung, Digitalisierung (Netzbetrieb, Stromerzeugung etc.), Dezentralisierung, Diversifizierung durch neue Geschäftsmodelle, Demografie, Wettbewerb durch Deregulierung und Öffnung der

Märkte, Gesetzesanforderungen und sinkende Preise im Kerngeschäft. Doll nennt als Beispiel für ein neues Geschäftsmodell in der Branche die Stadtwerke Steinburg GmbH. Die sei reiner Dienstleister und verfüge nicht über Netze, sondern nur über Personal. In Kooperation mit mehreren kleinen Stadtwerken bündelt

Neben dem Kerngeschäft laufen bei den Stadtwerken Itzehoe derzeit noch Projekte wie die Digitale Nordallianz oder die die Grüne Allianz – interkommunale Kooperationen mit anderen Stadtwerken zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Ein erfolgreiches Projektbeispiel sei etwa der Einsatz von LoRaWAN Sensoren in Altglascontainern. Ein weniger erfolgreiches: Optiopay. Die Möglichkeit, eine Gutschrift in den “Itzehoer Gutschein” umwandeln zu lassen, der bei über 80 Unternehmen in Itzehoe einlösbar ist. “Das muss man auch einsehen und solche Dinge dann nicht künstlich am Leben halten”, rät Doll. Dr. Colin Bien, Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Hamburg, ist sich sicher, dass eine

große Transformation der Denkprinzipien stattfinden muss, wenn die Richtung hin zu einem nachhaltigen Entwicklungspfad gehen soll. Die Tragweite der Veränderungsnotwendigkeiten sei bislang immer noch nicht bewusst, so Bien, obwohl das Bedrohungsszenario überall präsent sei. Eine nachhaltige Entwicklung als konsequente Verlängerung der Menschenrechte wäre ein kulturhistorischer Meilenstein, der langsam ins Laufen komme, prognostiziert der Forscher. Zahlreiche Programme, Verträge, die SDGs usw. bezeugen das. Die Rolle der öffentlichen Unternehmen in dieser Transformation liege darin, das öffentliche Interesse wieder in den Fokus zu rücken. Der Wissenschaftler erklärt, dass nachhaltig denken langfristig und kontextbasiert denken bedeutet. Um nachhaltig handeln zu können müsse die Führung öffentlicher Unternehmen vier verschiedene Denkarten einnehmen können, so Bien: Zum einen resilientes Denken, das meint, auf externe Disruptionen vorbereitet zu sein sowie zirkuläres Denken, das meint, in Kreisläufen zu denken. Zum anderen systematisches Denken, das meint, Konsequenzen zu berücksichtigen und zuletzt lebenszyklisches Denken, das meint, an vorgeschaltete und nachgeschaltete Wirkungen des materiellen Produktlebenszyklus zu denken.

Keine Angst vor Fachkräftemangel Kooperation zwischen Geschäftsführung und Aufsichtsrat (BS/Christina Hövener-Hetz*) Die Geschäftsführung und der Aufsichtsrat der Bonner Müllverwertungsanlage (MVA) haben gemeinsam ein Zu­ kunftsentwicklungsprogramm für die MVA auf den Weg gebracht, das sie kürzlich bei der Abfallwirtschafts- und Energiekonferenz (BAEK) vorgestellt haben. Die enge Zusammenarbeit zwischen operativer Geschäftsführung und Aufsichtsrat eines kommunalen Unternehmens ist in dieser Form bisher einmalig.

Die Stadt Jülich sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Amtsleitung (w/m/d) für das Stadtplanungs- und Bauordnungsamt (EG 14 TVöD / A 15 LBesG NRW). Es handelt sich um eine unbefristete Ganztagsstelle mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zurzeit 39 Wochenarbeitsstunden im Bereich der Tariflich Beschäftigten bzw. 41 Stunden im Bereich der Beamtinnen und Beamten, die im Falle von Desk-Sharing auch in einer Stellenkombination von 50 % / 50 % besetzt werden kann. Weitere Einzelheiten finden sie im Internet unter www.juelich.de/stellenangebote und www.behoerden-spiegel.de/stellenmarkt

Das Bonner Zukunftsentwicklungsprogramm beschäftigt sich mit der Frage, wie man dem Generationenwechsel und der Digitalisierung am besten begegnet. Während der Konferenz, an der rund 650 Fach- und Führungskräfte der Abfall- und Energiewirtschaft teilnahmen, vertrat MVA-Geschäftsführer Manfred Becker die Auffassung, dass der Fachkräftemangel häufig ein hausgemachtes Problem sei. „Kommunale Unternehmen, die sich auf ihre Stärken besinnen und offen für Veränderungen sind, haben es häufig selbst in der Hand, die Herausforderungen an die Digitalisierung und den Generationenwechsel erfolgreich

Die HEAG verantwortet das Beteiligungsmanagement für den HEAG-Konzern sowie für alle weiteren direkten und indirekten Töchter der Stadt, mit insgesamt über 8.000 Beschäftigten und einer Bilanzsumme von 4,5 Mrd. Euro. Dazu zählen Beteiligungen in verschiedenen Privatrechtsformen, aber auch Eigenbetriebe und Zweckverbände. Somit fungiert die HEAG als interner Unternehmensberater der Stadt Darmstadt in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten der Stadtwirtschaft. Wir suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine/n

Sachbearbeiter für die Abwicklung von Vergabeverfahren in Teilzeit 50 % oder Vollzeit (m/w/d) Im Rahmen Ihrer Tätigkeit verantworten Sie die Vorbereitung, Durchführung, Koordinierung und Abwicklung von nationalen und europaweiten Vergabeverfahren für vorwiegend Bauleistungen bei städtischen Unternehmen. Dafür bringen Sie mehrjährige Berufserfahrung im Bereich öffentlicher Vergaben bzw. in einer Vergabestelle im öffentlichen Sektor mit und besitzen gute Kenntnisse im Vergaberecht und im Umgang mit eVergabe-Plattformen. Mehr zu der Position erfahren Sie unter www.heag.de. Für Fragen stehen wir Ihnen auch gern telefonisch oder per E-Mail zur Verfügung. HEAG Holding AG – Beteiligungsmanagement der Wissenschaftsstadt Darmstadt (HEAG) Frau Sandy Lindner E-Mail: personal@heag.de Klappacher Straße 172 Tel.: 06151-709 4635 64285 Darmstadt

zu bestehen“, erklärte er. Neben einem Bündel an Maßnahmen in der Organisationsentwicklung setzt die MVA Bonn auf eine enge Zusammenarbeit der operativen Geschäftsführung und des Aufsichtsrats. Aufsichtsratsvorsitzender Christian Gold (CDU), Aufsichtsratsmitglied Prof. Dr. Wilfried Löbach (FDP) und MVAGeschäftsführer Manfred Becker sind sich einig: „Die Zeiten, in denen der Aufsichtsrat nur alles abnickt, sind längst vorbei. Der Aufsichtsrat sollte als geschlossenes Gremium Motor für Veränderungen sein“, so Christian Gold. In diesem Jahr führten die Bonner auf Initiative von Wirtschaftspsychologe Jörg Wirtgen (WM Consult, Berlin) erstmals das Format „Aufsichtsräte in kommunalen Unternehmen“ auf der größten deutschen Fachmesse ein. Wirtgen, Geschäftsführer einer Managementberatung mit Fokus auf Energie- und Entsorgungsbranche, ist davon überzeugt, dass kommunale Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt 4.0 ökonomisch erfolgreich sein können. „Wenn im Zuge der Digitalisierung ein kultureller Wandel gelingt, ist kommunale Effizienz auch in der Zukunft machbar“, so Wirtgen.

Ziel: Zero Waste und Zero Emission Nach Angaben des Aufsichtsratsvorsitzenden Gold wird in den nächsten zehn Jahren ein großer Anteil an Führungskräften im Stadtwerkekonzern und der MVA in den Ruhestand gehen. MVA-Geschäftsführer Manfred Becker fordert ein Umdenken in seiner Branche: „Als Versammlung grauhaariger alter Herren

wird ein radikaler Wandel nicht möglich sein“. Insbesondere die junge Generation verkörpere ein gestiegenes Umweltbewusstsein. Das deutlich gestiegene Interesse an Themen wie Klimawandel, Ökologie und Ressourcen einsparen biete kommunalen Unternehmen wie der MVA eine perfekte Möglichkeit, um „das miserable Image der Abfallbranche“ ins Positive umzukehren. „In unserem Unternehmen werden wir langfristig qualifizierten Bewerbern ein großes Angebot an modernen Berufsbildern in der Umwelttechnologie anbieten können.

Generationenwechsel attraktiv gestalten Die Tatsache, dass thermische Abfallbehandlungsanlagen nur eine Übergangstechnologie sind, die derzeit in einem Optimierungsprozess steckt, ist eine wichtige Botschaft an potenzielle Nachwuchskräfte. Kommunale Unternehmen wie Müllverwertungsanlagen sollten offensiver in der Öffentlichkeit dafür werben, dass die Senkung des Abfallaufkommens und des CO2-Verbrauchs die Ziele des Unternehmens sind. „Zero Waste und Zero Emission sind Meilensteine, für die wir stehen. Und so lange das nicht erreicht wird, bietet unsere Branche eine umweltfreundliche Interimslösung“, so Becker. Beim Generationenwechsel setzen die Bonner darauf, Bewerberinnen und Bewerbern attraktive Bedingungen und Karrieremöglichkeiten anzubieten. Motivation und Benefits für die Mitarbeiter sind Stichworte. Becker zitierte eine Umfrage von Pricewaterhouse Coopers International (PwC), wonach nur 7 Prozent der jungen Leute heute eine führende Position anstreben. „Das zeigt, dass wir neben der Klimaund Mobilitätswende ein weiteres Feld zu beackern haben, um Führungsnachwuchs zu akquirieren. Dazu brauche es flache Hierarchien, individuelle Benefits und Begeisterung für die Sache. „Bei uns lernen erfahrene Mit-

arbeitende neue Skills von den Nachwuchskräften und diese bekommen Erfahrungen und Wissen aus erster Hand zurück. Eine Win-Win-Situation für alle“, so Becker.

Kerngeschäft nicht mehr ausreichend Der Aufsichtsratsvorsitzende Gold appellierte an die Vertreter kommunaler Unternehmen, flexibler auf Veränderungen zu reagieren. „Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass WhatsApp der großen Telekom Konkurrent werden würde? Wer hat geahnt, dass die Schwarz-Gruppe in Neckarsulm in die Abfallwirtschaft investiert?“, fragte Gold in die Runde. Im Falle des Aufsichtsrats der MVA Bonn habe es sich daher als positiv erwiesen, dass der Aufsichtsrat sehr heterogen ist und Impulse aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln geben kann. In regelmäßig stattfindenden Workshops mit MVA-Führungskräften und den Mitgliedern des Aufsichtsrats werden neue Geschäftsmodelle diskutiert.

Grundsätzlich Einstimmigkeit „Die Aufgaben der kommunalen Unternehmen werden immer komplexer. Es reicht nicht mehr aus, sich aufs Kerngeschäft zu beschränken. Aber genau in diesen Herausforderungen liegen unsere Chancen,“ so Gold. Der Aufsichtsrat der MVA Bonn werde sich auch künftig nicht ins operative Geschäft einmischen. Er sieht seine Aufgabe darin, dazu beizutragen, ein Meinungsbild zu schaffen, „als Visionär neue Ideen mit zu entwickeln“. Das Besondere am Aufsichtsrat der MVA: „Es werden grundsätzlich einstimmige Entscheidungen angestrebt, das trägt dazu bei, Akzeptanz zu schaffen“, so Aufsichtsratsvorsitzender Gold. *Christina Hövener-Hetz ist freie Journalistin und berichtet u.a. für den kommunalen Bonner Abfalldienstleister “bonnorange”.


Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / März 2020

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Steuerlicher Querverbund auf dem Prüfstand

Investitionshindernisse überwinden

§ 8 Abs. 7 KStG vor dem EuGH

Maßnahmen zum Abbau des Investitionsstaus

(BS/Dr. Michael Bierle/Jan Phillipp Otter) Der BFH hat dem EuGH mit Beschluss vom 13. März 2019, I R 18/19, die Rechtsfrage vorgelegt, ob § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG, der den steuerlichen Querverbund für kommunale Eigengesellschaften regelt, gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstößt und deshalb mangels Genehmigung der EUKommission eine rechtswidrige Beihilfe umfasst.

(BS/lkm) Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) hat einen Maßnahmenkatalog zum Abbau des kommunalen Investitionsrückstandes vorgelegt. Mittlerweile beträgt dieser rund 138 Milliarden Euro. Um die Städte und Gemeinden zukunftsfest zu machen, brauche es daher eine “echte Investitionsoffensive”, so der Verband. Das neu anbrechende Jahrzehnt müsse im Zeichen kommunaler Investitionen stehen.

Der mit dem Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009) eingeführte § 8 Abs. 7 KStG bestimmt, dass bei kommunalen Regie-/Eigenbetrieben und bei kommunalen Kapitalgesellschaften Dauerverluste ausnahmsweise steuerlich anerkannt werden (keine verdeckte Gewinnausschüttung – vGA), wenn aus “verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird”. Diese Vorschrift zur Behandlung von Dauerverlusten ist eine Grundlage für den sog. “steuerlichen Querverbund”, der nach Maßgabe von § 4 Abs. 6 KStG die steuerwirksame Verrechnung solcher Verluste, z. B. von Verkehrsbetrieben, mit Gewinnen aus anderen Betätigungen, z. B. von Energie- und Wasserversorgung, erlaubt. Da­ rüber hinaus kann auch eine Vielzahl von sozialen und kulturellen Einrichtungen betroffen sein. In seinem Vorlagebeschluss hat der BFH starke Zweifel an der Beihilfenrechtskonformität des steuerlichen Querverbundes in seiner derzeitigen Ausgestaltung erkennen lassen. Dem Vernehmen nach teilt das BMF die Rechtsauffassung des BFH nicht, sondern hält die fragliche Regelung für beihilfenkonform. Zwar wurde die Klage im Ausgangsverfahren jüngst zurückgenommen und das Verfahren beim BFH beendet. Dadurch hat sich auch die Vorlage vor dem EuGH erledigt. Zunächst – denn die damit verbundenen Probleme sind nur aufgeschoben: Die Vorlage und die Sichtweise des BFH verdeutlichen die bereits

gewährten steuerlichen Querverbundvorteil in ihrem Betrauungsakt bzw. öffentlichen Dienstleistungsauftrag gegenüber “ihrem” Daseinsvorsorgebetrieb ausdrücklich als Finanzierungsquelle für die gewährten Ausgleichsleistungen aufzuführen Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Michael Bierle (l.) und Rechtsanwalt Jan Philipp Otter LL.M. und auch bei der (Lausanne und Genf) sind Partner der PwC Legal Ausgestaltung des AG Rechtsanwaltsgesellschaft und Leiter der PraAusgleichsmechaxisgruppen Waste & Water bzw. Beihilfenrecht. nismus bzw. der Parametrisierung Foto: BS/PwC zu beachten. Um beihilferechtliche seit Längerem befürchteten bei- Zweifel am steuerlichen Querverhilferechtlichen Unsicherheiten bund dauerhaft auszuschließen, der steuerlichen Querverbund- wäre es zweckmäßig, dass der verrechnung. Zum einen könnte nationale Gesetzgeber die hier der BFH seine Frage anlässlich streitigen KStG-Regelungen in des nächsten vergleichbaren Ver- beihilferechtlich geeigneter Form fahrens erneut dem EuGH vorle- ergänzt, z. B. um das Erfordergen. Zum anderen ist auch nicht nis eines Betrauungsaktes als ausgeschlossen, dass sich die Grundlage der Nutzbarmachung EU-Kommission dieses Themas der Querverbundverrechnung. nunmehr eigeninitiativ annimmt. Am Ende steht eines außer FraEs gibt eine Reihe guter Gründe, ge: Ohne den steuerlichen Querdass der EuGH die Bedenken verbund wird es Kommunen nicht des BFH nicht teilen wird, son- möglich sein, ihre Leistungen der dern vielmehr bei den steuerli- Daseinsvorsorge aufrechtzuerchen Querverbundregelungen halten, da der dann entstehendes KStG (§ 8 Abs. 7; § 4 Abs. de Steuermehraufwand durch 6 iVm § 8 Abs. 9 KStG) entwe- kommunale Mittel kompensiert der bereits den Tatbestand einer werden müßte, was zu erhebliBeihilfe verneint oder zumindest chen Belastungen der öffentlichen auf Basis der in der Praxis im Zu- Haushalte führen würde. sammenhang mit defizitären DaFür Interessierte veranstaltet der seinsvorsorgetätigkeiten üblichen Behörden Spiegel zum Thema BeiBetrauungsakten als gerecht- hilfenrecht am 22. und 23. Juni fertigt ansieht. Für Kommunen die Beihilfenrechtstage 2020 in erscheint es – soweit noch nicht Bonn. Weitere Informationen unter erfolgt – insoweit überlegenswert www.fuehrungskraefte-forum.de; zu sein, einen etwaigen staatlich Suchwort: Beihilfenrechtstage

Laut Rechnungshof gute Finanzlage Kommunen sehen Finanzmisere (BS/lkm) Der Thüringer Rechnungshof hat Anfang des Monats seinen Jahresbericht zu den Kommunalfinanzen vorgelegt. Insgesamt blickt er optimistisch auf die Haushaltslage der Thüringer Kommunen. Laut Rechnungshof befinden sich die Kommunen finanzwirtschaftlich auf dem richtigen Weg. Doch die Kommunen sehen die Lage nicht so rosig. Laut Rechnungshof stiegen die Einnahmen der Kommunen 2018 gegenüber dem Vorjahr um 300 Mio. Euro auf nun 5,8 Mrd. Euro. Hauptsächlich seien für diese Steigerung die Steuereinnahmen mit einem Plus von 122 Mio. Euro und die Zahlungen des Landes mit fast 200 Mio. Euro verantwortlich. Die Ausgaben der Kommunen sind 2018 gegenüber 2017 um 146 Mio. Euro gestiegen. Der Finanzierungssaldo hat sich wiederholt positiv entwickelt. Mit 322 Mio. Euro erreichte er den höchsten Wert seit 2012. Einige Kommunen jedoch wiesen einen negativen Finanzierungssaldo aus. Bei etwa 35 Prozent der Kommunen überstiegen die Ausgaben die Einnahmen. Im Vergleich zum Vorjahr ist dieser Wert aber gesunken, hier waren es noch 43 Prozent der Kommunen. Auch die Verschuldungshöhe der Thüringer Kommunen ist laut Rechnungshof weiter gesunken und erreicht mit 1,58 Mrd. Euro den niedrigsten Wert der letzten Jahre. Kassenkredite seien für die Thüringer Kommunen zudem kein flächendeckendes Problem. Mit 88 Mio. Euro seien sie von untergeordneter Bedeutung, so die Prüfer in ihrem Bericht.

Kommunen fordern Investpauschale Die kommunalen Spitzenverbände im Freistaat sehen die finanzielle Lage ihrer Kommunen nicht so optimistisch. Vor

Kurzem richteten sie noch einen eindringlichen Appell an die Landesregierung, den Kommunen mehr Mittel für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Insgesamt fordern sie zusätzliche 125 Mio. Euro vom Land. Der bereits vom Land beschlossene kommunale Finanzausgleich (KFA) 2020 mit 100 Mio. Euro mehr für die Verwaltungshaushalte der Kommunen sei bei Weitem nicht ausreichend, da das Land den Kommunen gleichzeitig für Investitionen 100 Mio. Euro weniger gebe, kritisieren der Thüringische Landkreistag und der Gemeindeund Städtebund Thüringen. Den kommunalen Spitzenverbänden zufolge habe das Land den KFA um mehr als 200 Millionen Euro gekürzt. Gleichzeitig seien für die Städte und Gemeinden vor allem die Sozialausgaben massiv angestiegen und neue kostenintensive Aufgaben vom Land übertragen worden. Dies schlage auch auf die kreisangehörigen Kommunen finanziell voll durch. “Die Landkreise müssen die Kreisumlage erhöhen, um die Ausgabensteigerungen aufzufangen. In Finanznöte geraten dadurch die kreisangehörigen Gemeinden und Städte, obwohl ihnen selbst das Geld fehlt. Ursächlich für diese Finanzmisere ist das Land”, so die Kommunalverbände. Thüringens Finanzministerin Heike Taubert wies die Forderung der kommunalen Spitzenverbände deutlich zurück.

“In den letzten Jahren sind die Investitionen der Kommunen gestiegen, insbesondere durch die höheren Zuweisungen des Landes und die gestiegenen eigenen Steuereinnahmen der Kommunen.” Laut Taubert sei die angemessene Finanzausstattung der Kommunen durch das Land sichergestellt. Zusätzliche Mittel sollten zunächst erst einmal tatsächlich in Investitionen umgesetzt werden, bevor weitere Forderungen nach noch höheren Zuweisungen eröffnet würden. Das Finanzministerium betont, dass die Kommunen in den letzten Jahren deutliche Überschüsse im dreistelligen Millionenbereich verzeichnen konnten, zuletzt im Jahr 2018 in Höhe von 322 Millionen Euro. Die Steuereinnahmen der Kommunen wie auch die Zuweisungen des Landes seien in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Habe die Finanzausgleichsmasse im Jahr 2014 noch 1.839 Millionen Euro betragen, werde sie 2021 auf 2.114 Millionen Euro steigen. Die zusätzlichen Leistungen des Landes an die Thüringer Kommunen seien im Vergleichszeitraum um rund 690 Millionen Euro gestiegen. Hinzu komme, dass die Steuereinnahmen der Kommunen im gleichen Zeitraum um circa 500 Millionen Euro gestiegen seien. Eine Verrechnung mit den Leistungen des Landes erfolge – entgegen der Aussage der kommunalen Spitzenverbände – nicht.

Bund und Länder seien daher aufgefordert, gemeinsam mit den Kommunen ein leistungsstarkes Konzept zum Abbau des öffentlichen Investitionsrückstandes auszuarbeiten und umzusetzen. Aus Sicht des DStGB ist dabei eine dauerhafte aufgabengerechte Finanzausstattung unabdingbar. Zudem schlägt der Kommunalverband vor, dass der Bund den zwischenzeitlich auf sieben Milliarden aufgestockten Kommunalinvestitionsförderungsfonds nochmals “merklich” aufstockt und entfristet. Zudem sollen Bund und Länder gemeinsam einen Investitionsfonds “Kommunaler Klimaschutz” auflegen. Dieser könnte laut DStGB aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanziert werden.

Kooperationsgebot statt -verbot Neben den Finanzmitteln habe sich aber auch das Kooperationsverbot als Investitionshemmnis erwiesen. Bundesmittel dürfen demnach nur dort eingesetzt werden, wo der Bund auch über entsprechende Kompetenzen verfügt. Anstelle des Verbots solle daher ein Kooperationsgebot treten. “Ohne dauerhafte Hilfen des Bundes wird es uns nicht gelingen, das große Potenzial in den ländlichen Raum weiterzuentwickeln, Breitband und die medizinische Versorgung flächendeckend sicherzustellen und auch finanzschwachen Kommunen Entwicklungschancen zu ermöglichen”, betont der kommunale Spitzenverband. Doch auch gesetzgeberische Vorgaben, Verga-

bebestimmungen, das Beihilfenrecht und Standards erstickten oftmals Investitionsbemühungen. Überbordende Standards würden kommunale Bauvorhaben massiv verteuern und verzögern. Der Verband fordert daher, dass vor Normungsbeginn immer eine Relevanzprüfung erfolgen und eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgenommen werden müsse

Unübersichtliche Förderlandschaft Kritisch sieht der Verband auch die “Atomatisierung” von Förderprogrammen. Die zunehmende Anzahl separater Förderprogramme mit jeweils abweichenden Förderbedingungen erhöhe den administrativen Aufwand für Kommunen erheblich und sei daher nicht investitionsfördernd. Zudem müsse auch sichergestellt werden, dass Investitionen finanzschwacher Kommunen nicht an der Erbringung des Eigenanteils scheiterten. Investitionshemmend seien auch die begrenzten Personalkapazitäten in der Bauindustrie sowie in der Bauverwaltung. Die Kommunen sollten hier wieder in die Lage versetzt werden, ihre Planungskapazitäten wieder auszubauen. Laut DStGB sei dabei eine Verstetigung der Investitionsprogramme hilfreich. Um mehr kommunale Investitionen anzustoßen, sollte zudem die interkommunale Zusammenarbeit erleichtert und gestärkt werden. Hemmnisse auf Kommunal- Landes- und Bundes- sowie Europaebene müssten dafür ermittelt und beseitigt werden. Als

positives Beispiel hierfür könne die im EU-Recht erfolgte Neuregelung des Vergaberechts bei interkommunalen Kooperationen dienen.

Mehr nutzerorientierte Infrastrukturfinanzierung Neben der Finanzierung öffentlicher Investitionen aus allgemeinen Abgaben schlägt der DStGB auch den Ausbau der nutzerorientierten Infrastrukturfinanzierung vor. Der Kommunalverband schlägt dazu in einem ersten Schritt eine flächendeckende Lkw-Maut vor. “Eine stärker nutzerorientierte Infrastrukturfinanzierung kann zu zielgenaueren Finanzierungsströmen führen, die Transparenz erhöhen und zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten generieren”, erklärt der Kommunalverband. Um Kommunen vor unbegründeten Klagen gegen Bauvorhaben vor mehreren Instanzen zu bewahren, fordert der DStGB eine Verkürzung des Instanzenzuges. “Es ist an der Zeit, dass für wichtige Infrastrukturmaßnahmen die Zuständigkeiten bei besonders spezialisierten Verwaltungsgerichten konzentriert werden”, fordert der DStGB. Zudem sollte auch eine Einschränkung des Verbandsklagerechtes diskutiert werden. “Alle staatlichen Ebenen sind für die nächsten Jahre aufgefordert, Investitionen in die kommunale Infrastruktur zu priorisieren”, mahnt der Kommunalverband, denn der Investitionsrückstand könne nicht von heute auf morgen abgebaut werden.


Smart Cities

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Nix bliev, wie et is

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ereits seit einigen Jahren gibt es in der Domstadt das Netzwerk “Smart-City Cologne”, bei dem unter Federführung der Stadt sämtliche Projekte zum Ausbau der Smart City-Bemühungen gebündelt werden. Das Portal beschreibt das Netzwerk als “Plattform für unterschiedliche Projekte zum Klimaschutz und zur Energiewende”. Dabei könne jeder mitmachen und seine Ideen einbringen, vom Privatmann über Verbände bis hin zu Unternehmen. Zudem werden auf einer interaktiven Karte die Projekte dargestellt, sodass Interessierte sich jederzeit informieren können. Diese Projekte reichen dabei von intelligenter Mobilität bis hin zu innovativen Begrünungskonzepten.

Behörden Spiegel / März 2020

Köln im Wandel zur Smart City (BS/Wim Orth) Die Stadt Köln treibt die Transformation zur Smart City voran. Mit lokalen Partnern, die die jeweils notwenige Expertise mitbringen, wandelt sich das Stadt- und Straßenbild langsam, aber sicher in Richtung neuer Modelle von Verkehr, Stadtbegrünung und sonstigen innovativen Ideen. Besonders innovative Projekte können zudem Förderung direkt von der Stadt beantragen.

Grüner und sicherer Verkehr So hat das städtische Nahverkehrsunternehmen, die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), den weiteren kommunalen Ausbau der Elektroinfrastruktur im ÖPNV beschlossen. So werden in den kommenden Monaten insgesamt rund 15 Millionen Euro investiert, um zusätzlich zu den bestehenden Kapazitäten eine Ladein­ frastruktur für 53 weitere Busse mit Elektroantrieb aufzubauen. Neben der Eigeninvestition des städtischen Unternehmens wird das Projekt mit 10,9 Millionen Euro nach dem ÖPNV-Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen bezuschusst, sodass die KVB selbst nur ein knappes Drittel der Investition zu tragen hat. Mit dem Ausbau sollen weitere Buslinien im Stadtnetz elektrifiziert werden, erklärt die KVBVorstandsvorsitzende Stefanie Haaks: “Mit der Unterstützung des Landes ist es uns möglich, sehr schnell den Technologiewandel im Busbetrieb fortzusetzen. Schon bald werden die Fahrgäste auf sechs weiteren Bus-Linien in der Lage sein, einen noch größeren Beitrag zum Klima- und Umweltschutz ohne Kohlendioxid- und Stickoxid-Emissionen zu leisten.” Konkret wird die neue Ladeinfrastruktur drei Linien links des Rheins sowie drei Linien rechts des Rheins bedienen, so die Stadt. Das Beschaffungsverfahren für die Busse, die zukünftig elektrisch auf diesen Linien unterwegs sein sollen, ist ebenfalls in der abschließenden Phase begriffen. Damit setzt die KVB, die laut Oberbürgermeisterin Henriette Reker perspektivisch komplett auf Diesel verzichten soll, die bereits 2016 gestartete Elek­trifizierung ihrer Linien weiter fort. Aber nicht nur die

Tradition und Moderne gehen in Köln schon seit jeher Hand in Hand. Die Stadt wandelt sich unaufhaltsam zu einer Smart City, die ihren gewachsenen historischen Kern mit in die Zukunft nehmen will. Foto: BS/pixel2013, pixabay.com

Ladeinfrastruktur soll in nächster Zeit ausgetauscht werden am Rhein, sondern es sollen auch bestehende Verkehrsinfrastrukturen ausgebaut und modernisiert werden, um weiterhin einen “leistungsfähigen öffentlichen Verkehr” bieten zu können. Zu diesen Zwecken hat die KVB unter anderem Zuwendungen in Höhe von 16,8 Millionen Euro für elektronische Stellwerke in den Stadtteilen Deutz, Kalk und Heimersdorf erhalten. Außerdem gab es Fördermittel in Höhe von 15,8 Millionen Euro für den Bau einer neuen Abstellanlage für Stadtbahnen im Stadtteil Weidenpesch sowie weitere 12,7 Millionen Euro zur Erneuerung von Rolltreppen im gesamten Netz der KVB. Aber nicht nur die Kölner Verkehrsbetriebe treiben Innovationen im Verkehr voran, sondern auch die Stadt selbst. Im Rahmen eines Pilotprojektes soll ein intelligentes Parkleitsystem im Stadtgebiet installiert und getestet werden, das dabei helfen soll, den Parksuchverkehr

auf ein Minimum zu reduzieren. Das vom teilkommunalen Energiedienstleister RheinEnergie finanzierte Projekt funktioniert dabei so, dass Sensoren in Echtzeit erfassen, welche Parkplätze belegt sind oder nicht. Über 360-Grad-Anzeigen, die an regulären Straßenlaternen befestigt sind, werden Parkplatzsuchende dann vollautomatisch auf kürzestem Wege an die entsprechende Parkstelle geleitet. Auf diese Weise soll nicht nur vermieden werden, dass die Suchenden ewig im Kreis fahren müssen, sondern gleichzeitig auch die Umweltbelastung reduziert werden, erklärt Dr. Andreas Cerbe, Netzvorstand der RheinEnergie. “Ziel unseres Unternehmens ist es, Umweltbelastungen zu minimieren. Wir haben uns verpflichtet, CO2-Emissionen zu reduzieren, unnötigen Verkehr zu verringern und die Energieeffizienz zu steigern. In enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Cleverciti haben wir deshalb eine smarte Lösung entwickelt, um nachweislich Emissionen zu reduzieren

und die Verkehrssituation zu entspannen. Da wir Tausende von Leuchtmasten besitzen und betreiben, sind wir über diese bereits vorhandene Infrastruktur in der Lage, zusätzliche nützliche Dienste für die Kölnerinnen und Kölner zu entwickeln und bereitzustellen.” Gefördert wird das Projekt sowie die Kölner Zielsetzung, aus dem Parksuchverkehr resultierende Schadstoffemission zu reduzieren, in Teilen vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Programms “Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme”. Neben Parksystemen und ÖPNV-Ausbau fördert die Stadt Köln selbst zudem Projekte aus der Bevölkerung mit bis zu 10.000 Euro. Um die Domstadt nachhaltiger, grüner und lebenswerter zu machen, habe der Stadtrat beschlossen, “zukunftsweisende Smart-City-Projekte in Köln mit einem Zuschuss in Höhe von bis zu 80 Prozent der gesamten Projektkosten zu fördern. Die Gesamtprojektkosten dürfen maximal 12.500 Euro be-

tragen”, erklärt die Stadt dazu. Bewerben können sich für diese Förderung nicht nur Start-ups und kleinere Unternehmen bis zu 20 Mitarbeitern, sondern u. a. auch Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Schulen und Privatpersonen.

Klimaanlage für die Stadt Aber nicht nur rund um die Mobilität wird bei SmartCity Cologne geforscht. So haben die Stadtentwässerungsbetriebe (StEB Köln) kürzlich ein Konzept vorgestellt, bei der das allgemeine Stadtklima durch intelligente Fassadenbegrünung aktiv verbessert werden soll. Bei dem Projekt mit dem Namen “Vertikale KlimaKlärAnlage”, kurz VertiKKA, arbeiten die Betriebe mit der Stadt und begleitet von einem Beratungsinstitut sowie diversen Forschungsinstituten daran, smarte Module zur Fassadenbegrünung zu entwickeln, die der Bildung von Hitzeinseln in den Sommermonaten möglichst gut entgegensteuern sollen. Diese Hitzeinseln entstehen vor allem in verdichteten

Räumen im Sommer. Unterstützt durch den Klimawandel, der tropische Nächte häufiger auftreten lässt, sowie das Fehlen kühlender Grünflächen können die Inseln für die Bevölkerung eine besondere gesundheitliche Belastung darstellen. Zudem entsteht durch die höhere Speicherung von Feuchtigkeit und Energie in heißen Nächten eine wachsende Gefahr für Städte, von Starkregenereignissen oder Gewittern getroffen zu werden. An diesem Punkt soll mit dem VertiKKA-Projekt gegengesteuert werden. Die smarten Module sollen dabei laut “SmartCity Cologne” in vielerlei Hinsicht innovativ sein: “Die Module sollen über gereinigtes Regen- und Brauchwasser bewässert werden. Somit ist auch während der heißen Sommermonate eine durchgängige Bewässerung gewährleistet. Bei Starkregen kann ein Teil des Niederschlages in den Modulen gespeichert werden. Die Stromversorgung zur Bewässerung soll über integrierte Solarzellen gewährleistet werden. Überflüssiger Strom soll in das öffentliche Stromnetz abgegeben werden.” Zudem sollen die Module möglichst leicht zu montieren und wartungsarm sein. Durch die Beteiligung von Biologen am Projekt soll zudem gewährleistet werden, dass die Bepflanzung an möglichst viele und unterschiedliche Witterungsansprüche angepasst ist. Bei erfolgreicher Umsetzung des Projektes versprechen sich die Stadtplaner die Gewinnung eines neuen In­ strumentes zur nachhaltigen und smarten Stadtentwicklung. So ermöglichten die Module eine Stadtbegrünung auch in solchen Abschnitten des urbanen Raumes, die eigentlich nicht direkt dafür geeignet scheinen. Somit kann die Stadtplanung die Vorteile urbaner Begrünung in allen Teilen der Stadt zur Anpassung an den Klimawandel nutzen. Die Projektverantwortlichen in Köln streben an, dass die Module auf dem Kölner Stadtgebiet nach einer dreijährigen Entwicklungsphase erstmals zur Anwendung kommen können. Gefördert wird die Entwicklung von VertiKKA durch Forschungsgelder im Rahmen der Förderrichtlinie “Ressourceneffiziente Stadtquartiere für die Zukunft” vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Zur Implementierung soll anschließend ein Folgeantrag beim Ministerium gestellt werden. Das Projekt soll zudem Teil der Smart-City-Strategie der Stadt Köln werden.

Foto: Yvonne Bogdanski, stock.adobe.com

Beihilfenrechtstage 2020 Herausforderungen des EU-Beihilfenrechts im öffentlichen Sektor

22. bis 23. Juni 2020, Maritim Hotel Bonn THEMEN UND REFERENTEN, U. A.: Tag 1 ► Auswirkungen des Europäischen Beihilfenrechts auf die Kommunalwirtschaft in Deutschland ► Abgrenzung wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit (inkl. Handelsbeeinträchtigung und Binnenmarktrelevanz) ► Die Trennungsrechnung der Beihilfen empfangenden Stelle ► Die Überkompensationskontrolle der Beihilfen gewährenden Stelle ► Defizitabdeckung und EU-Beihilfen – formale Betrauung oder AGVO Lars Scheider, Abteilungsleiter Beteiligungsmanagement der Stadt Frankfurt a. M. Tag 2 ► Die Wiederentdeckung der beihilfenrechtlichen Zwischenstaatlichkeitsklausel – was hat nur lokale Bedeutung? Prof. Dr. Joachim Erdmann, Uni Osnabrück und viele Jahre Ministerialrat im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.beihilfenrechtstag.de

► Der steuerliche Querverbund vor dem EuGH: Steht der Querverbund vor seinem Ende? Jan Philipp Otter, Partner, Rechtsanwalt, Praxisgruppe Beihilfenrecht, PwC Dr. Michael Bierle, Partner, Rechtsanwalt und Steuerberater, PwC ► Reform der Reform – aktueller Stand der Umsetzung durch die EU Dr. Tobias Traupel, Abteilungsleiter für Standortmarketing und -entwicklung, Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW ► Irrungen und Wirrungen bei staatlichen Grundstücksgeschäften Dr. Christian Kahle, LL.M., Rechtsanwalt und Partner, Kanzlei BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN ► Tour d‘ Horizon – aktuelle Entwicklung und Herausforderungen für die neue Kommission Dr. Karl Soukup, Direktor Beihilfekontrolle in der Generaldirektion Wettbewerb, Europäische Kommission ► EU-Beihilfenrecht ist Richterrecht – Auswirkung der aktuellen Rechtsprechung auf den staatlichen Sektor in Deutschland Dr. Hanns Peter Nehl, Rechtsreferent, Kabinett von Richter Dr. Viktor Kreuschitz, Gericht der Europäischen Union


Smart Cities

Behörden Spiegel / März 2020

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ehörden Spiegel: Frau Prof. Etezadzadeh, Deutschland als Ganzes ist heute immer noch gut aufgestellt. Wir haben leistungsstarke technische Infrastrukturen und sind weiterhin eine erfolgreiche Wirtschaftsnation. Dennoch gibt es an vielen Stellen Verbesserungspotenziale. Ein guter Ausgangspunkt für eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung? Prof. Dr. Etezadzadeh: Wir haben in Deutschland einige Zeit von der hervorragenden Substanz gelebt, die frühere Generationen geschaffen haben. Die Ursache hierfür findet sich häufig in einer kurzfristigen Gewinnmaximierungsabsicht oder vermeintlicher Sparsamkeit. Die gleichen Motive bestimmen die Globalisierung und resultieren im immer weiterreichenden Outsourcing. So entstehen Abhängigkeiten und Schwächen, die wir zunehmend deutlich zu spüren bekommen. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir wieder in die Substanz einzahlen sowie langfristig denken und investieren müssen. Dafür brauchen wir Ziele, abgeleitet aus einer gemeinschaftlichen Vorstellung davon, wie wir in Zukunft leben wollen. Eine solche Vorstellung ist m. E. eine sehr gute Grundlage für eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung. Behörden Spiegel: Die Digitalisierung an sich sehen Sie als Wendepunkt für ein Update unserer Gesellschaft. Dabei ist die Smart City natürlich ein Kernelement. Wie kann man eine Smart City umsetzen und dabei unseren Lebensstandard möglichst noch erhöhen, ohne dass die Kehrseiten zu stark mit in den Alltag drängen? Prof. Dr. Etezadzadeh: Wir müssen uns unsere Handlungsbedarfe und die Möglichkeiten der Digitalisierung ebenso wie die Kehrseiten und potenziellen Bedrohungen angewandter Technologien bewusst machen. Wir sollten diese Aspekte durchden-

Das Streben nach Glückseligkeit Deutsche Smart City als Gegenentwurf zu USA und Co. (BS) Bislang verbinden die meisten Menschen in Deutschland das Konzept einer Smart City vor allem mit Parksensorik und flächendeckendem WLAN. Dabei kann mit durchgehend smarten Anwendungen im kommunalen Raum noch viel mehr erreicht werden, vor allem in Hinblick auf die Daseinsvorsorge in Städten und Gemeinden. Dabei haben Deutschland und Europa es in der Hand, ein ganz eigenes Konzept der smarten Kommune entstehen zu lassen, welches die hiesigen, freiheitlichen Werte auch im digitalen Umfeld hochhält. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erklärt Prof. Dr. Chirine Etezadzadeh, Smart City-Forscherin und Herausgeberin der neuen Studie “Smart City – Made in Germany”, wie der Weg zu smarten Kommunen mit starkem Zusammenhalt und einer Basis in den demokratischen Grundfesten gelingen kann. Die Fragen stellte Wim Orth. ken und eine Haltung zu der Frage entwickeln, was wir gutheißen und was nicht. Hierzu möchten wir mit unserer aktuellen Studie einen interessenungebundenen Beitrag leisten. Denn in Deutschland und Europa geht es genau jetzt darum, diese Haltung zu entwickeln. Behörden Spiegel: Ihre Studie für die theoretische Skizze einer deutschen bzw. europäischen Smart City versteht sich als Gegenentwurf zu Angeboten aus dem Rest der Welt, besonders natürlich den USA und China. Was kann Europa an dieser Stelle anders oder gar besser machen als diese Vorreiter des digitalen Wandels? Prof. Dr. Etezadzadeh: Neben vielen verbindenden umweltökonomischen Elementen der globalen Smart-City-Aktivitäten sehen wir auf der einen Seite sehr technologieorientierte Ansätze mit ordnungspolitischen Funktionen und auf der anderen Seite sehr wertschöpfungsorientierte Ansätze mit ökonomischen bzw. privatwirtschaftlichen (Steuerungs-)Funktionen. In gewisser Weise stehen sich auch gemeinschaftsorientierte und hochgradig individualistisch geprägte Ansätze gegenüber, die entweder staatlich oder privatwirtschaftlich determiniert werden. Deutschland und Europa sind angehalten, unsere freiheitliche Lebensweise, unsere demokratische Grundordnung, eine maßvolle Wirtschaftsweise, in vielfacher Hinsicht Verteilungsgerechtigkeit und unser Gerechtigkeitsverständnis zu sichern und ein Umfeld zu

“Wir brauchen eine Vorstellung von der Zukunft, in der wir leben wollen”

erhalten, das unseren vielfältigen Versorgungserwartungen und deutschen Sicherheitsanforderungen entspricht. Behörden Spiegel: Kann es verschiedene Konzepte der Smart City geben, die nebeneinander existieren, ohne dass dabei eine Konkurrenzsituation entsteht, die zu Konflikten führen kann? Prof. Dr. Etezadzadeh: So wie es heute heterogene Wirtschaftssysteme, Regierungsformen und Lebensweisen gibt, wird es sie auch in Zukunft geben. Sofern es den Menschen möglich ist, kann eine Abstimmung nach Füßen stattfinden und über den Erfolg der Systeme entscheiden. Wahrscheinlicher ist es aber, dass es abhängig von den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu einer Ausdehnung der “Erfolgsmodelle” kommt, so wie wir es im Bereich des privaten Konsums erleben. Umso wichtiger ist es,

Sichtbarkeit ist Sicherheit Manuelle Steuerung der Außenbeleuchtung in Oberhausen (BS/kh) Oberhausen gehört zu den sichersten Großstädten Deutschlands. Trotz dessen ergaben zwei Bürgerbefragungen, dass die Bevölkerung gerade den Bereich am Hauptbahnhof als “Angstraum” wahrnimmt – insbesondere bei Dunkelheit, wie Ordnungsdezernent Michael Jehn erklärt. Darauf hat die Stadt nun reagiert und ein neues Beleuchtungskonzept eingeführt, auf das die Polizei Einfluss nehmen kann. hauptkommissar Maik Podlech. Aber: “Hell erleuchtete Plätze und Straßen allein bieten nicht mehr Sicherheit vor Straftaten. Ein ausgewogenes Zusammenspiel zwischen städtebaulichen Maßnahmen, sichtbarer Präsenz von Polizei und Kommunalem Ordnungsdienst, konsequenter Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie Verhaltenspräventionsmaßnahmen der Bürgerinnen und Bürger lassen insgesamt mehr objektive und subjektive Sicherheit erwarten.” Auch der Umwelt- bzw. Klimaschutz spiele eine Rolle laut Podlech. Schädliche Umwelteinwirkungen durch Lichtimmission könnten damit auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Gleichzeitig könne eine Balance zwischen Energieeinsparbemühungen und sicherheitspolitischen Erfordernissen hergestellt werden. Laut Jehn werden künftig auch die Feuerwehr und der Kommunale Ordnungsdienst eingebunden. “Das System ist noch in der Erprobungsphase, wir sind jedoch überzeugt, dass es die gewünschte Wirkung erzielt. Ob es anderen Orten in der Stadt zum Zuge kommt, wird noch geprüft”, Die smarte Beleuchtung am Hauptbahnhof soll zukünftig per Tablet gesteuert so der Ordnungsdezernent. Die werden. V.l.n.r. die Beigeordneten Sabine Lauxen und Michael Jehn, Erster Gesamtkosten betragen inklusive Polizeihauptkommissar Ralf Burger, EVO-Vorstand Bernd Homberg und Torsten aller Planungs- und Baukosten Deppe von der EVO. Foto: BS/Stadt Oberhausen 120.000 Euro.

Oberhausen hat in Zusammenarbeit mit der Energieversorgung Oberhausen AG (EVO) die Beleuchtung auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs und am Westausgang Hansastraße technisch optimiert. Es wurden sechs neue Zehn-Meter-Masten mit LEDLicht aufgestellt, zudem drei neue 6,5-Meter-Masten. Die übrigen Laternen wurden auf LED umgerüstet. Die Polizei hat die Möglichkeit, die Beleuchtungsstärke bei Bedarf eigenständig herauf- bzw. herunterzufahren. Von 20 Prozent bis auf volle Lichtstärke, die bei 35.000lm bei einer Leistung von 236W

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liegt. Die Steuerung der einzelnen Leuchten funktioniert über ein GSM Modul (E-SIM) an jeder Leuchte. “Dementsprechend kann jede einzelne Leuchte oder Gruppen von Leuchten über ein zugangsgeschütztes WEB-Portal angesteuert, überwacht, gedimmt und ausgelesen werden”, wie es von der EVO heißt. Die Steuerung über ein Tablet befände sich derzeit in der Beta-Phase. “Dunklere Bereiche können somit bei Bedarf besser ausgeleuchtet werden, um die Sicherheit zu erhöhen und die Attraktivität des Straßenraums bei Nacht zu steigern”, betont Polizei-

werden und wie sollten sie interagieren, um möglichst viele Synergieeffekte zu heben?

Prof. Dr. Etezadzadeh: Zunächst einmal ist es ja begrüßenswert, dass deutsche Behörden grundsätzlich besonnen handeln. Wir haben in Deutschland in allen Bereichen mit einer anspruchsvollen Regulierung umzugehen, die uns andererseits aber auch schützt und die Erfüllung unserer Erwartungshaltungen sichert. Durch das hohe Maß an Transparenz haben Menschen in der Politik, Wirtschaft und Verwaltung Angst, Fehler zu machen. In diesem Klima ist es schwierig, Veränderungen anzugehen und Dinge zu wagen. Der Schlüssel hierzu liegt m. E. in einem undogmatischen Klima der Gemeinschaft durch gemeinsame Ziele, außerdem im Bereich der Führung und der Übernahme von Verantwortung. Das erfordert durchaus Mut.

Prof. Dr. Etezad­ zadeh: Ausgangspunkt sollten die Prof. h.c. Dr. Chirine Etezadzadeh ist Gründerin und Institutsleiterin des SmartCity. drängendsten Heinstitute, einem Think Tank, der sich mit rausforderungen Forschungsfragen rund um das Thema innerhalb der GeStadt der Zukunft befasst. Die Forschungsmeinde sein. Deren schwerpunkte liegen dabei in den Behörden Spiegel: Der Wille Identifikation erfolgt Bereichen Energie, Mobilität und Stadtgemeinsam mit den ist bei vielen Akteuren zweifellos entwicklung sowie in den Querschnittsvorhanden, gleichzeitig gibt es bei Stadtbewohnern. themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Wir empfehlen, mit Zielen, Wünschen und Bedenken Resilienz. gezielten Erhebun- viele Überschneidungen. Wie kann Foto: BS/SmartCity.institute gen und Dialogpro- ein gesellschaftlicher Diskurs auszessen zu starten. sehen, auch im Hinblick auf die eine Haltung zu entwickeln, die Dann kann geprüft werden, mit Werte unserer Gesellschaft? unerwünschten Entwicklungen welchen smarten technischen klare Grenzen setzt. oder analogen Lösungen dieProf. Dr. Etezadzadeh: Unsere se Themen adressiert werden Studie hat gezeigt, dass es in Behörden Spiegel: Sie selbst können. allen möglichen Lebensbereichen formulieren für einen optimalen Über die Implementierung muss Menschen gibt, die bereits HanAnsatz die sogenannte Blissci- anschließend gemeinschaftlich deln und Lösungen anbieten. Zuty, zu Deutsch etwa „Stadt der entschieden werden. Koordi- dem haben wir festgestellt, dass Glückseligkeit“. Wie kann dieser niert wird dieser Prozess von das Thema Smart City über die aussehen und warum sollten alle der Verwaltung, nach Möglich- verschiedenen Sektoren hinweg Teile der Gesellschaft in diesem keit in Zusammenarbeit mit den gleiche Bedenken hervorruft. Das mitgenommen werden? kommunalen Unternehmen. Wir hat uns darin bekräftigt, uns für unterstützen diese Prozesse ein deutsches Konzept einzusetProf. Dr. Etezadzadeh: Glück- gerne gemeinsam mit unserem zen. Dieses Konzept erfordert eine seligkeit kann man weder planen Netzwerk. Auseinandersetzung mit unseren noch zur Zielgröße erheben. Aber Werten und der Frage, wofür wir Behörden Spiegel: Auch das stehen wollen. wir können Voraussetzungen Ich denke, dass wir uns grundschaffen, die einem glücklichen Thema Mut kommt bei Ihnen Leben zuträglich sind. Ein we- immer wieder vor. Der Mut, Ri- sätzlich fragen müssen, wie wir sentliches Merkmal hierfür ist siken einzugehen sowie Dinge, uns gesellschaftlich weiterentwidie Gerechtigkeit, wie wir sie in die bisher als Grundsatz und ckeln wollen. Auch dieser Prozess unserer Studie diskutiert haben. selbstverständlich galten, mal braucht Führung und Vorbilder, Und um Gerechtigkeit zu errei- zu hinterfragen. die den gesellschaftlichen Dischen, müssen u.a. alle StadtDieser Mut ist in den Behörden kurs, der längst im Gange ist, und Gemeindebewohner in die in Deutschland oft ein starker aufgreifen. Wir brauchen eine Prozesse eingebunden und in den Gegenspieler des grundsätzlichen Vorstellung von der Zukunft, in Entscheidungen berücksichtigt Willens, die Digitalisierung vor- der wir leben wollen und dafür anzutreiben. Wie bekommt man müssen wir uns gemeinschaftlich werden. Eine Blisscity strebt zum einen den Mindset in die Verwaltung, in Politik und Wirtschaft aber danach, unsere natürlichen Le- um neue Dinge einfach mal zu auch auf allen Verwaltungsebebensgrundlagen zu bewahren versuchen? nen einsetzen. und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern sowie zum anderen nach der Wahrung unserer pluralistischen Vorstellung vom guten Leben In 90 Kapiteln stellt die neue Studie themenbezogene Haltungen, Aktivitäten und und unserer freiheitlichen deLösungsansätze der Deutschen Wirtschaft mokratischen Grundordnung. und Gesellschaft vor. Der Autorenkreis der Sie fußt auf einem von gemeinUntersuchung rekrutiert sich dabei aus schaftlichen Zielen getragenen, hochrangigen Vertretern der verschiedenen freiwilligen Miteinander ohne die Verwaltungsebenen (Land, Bund, KomSelbstbestimmung der Menschen munen) und weiteren stadtbezogenen zu gefährden. Organisationen sowie von Konzernen, Verbänden, Stiftungen und Instituten. Behörden Spiegel: Ihre StuDie Vorworte wurden von den Geschäftsdie soll ja vor allem kommunale führern der kommunalen Spritzenverbände und des Akteure direkt ansprechen, aktiv Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) verfasst. zu werden. Was können Kommunen tun, um sinnvoll digital zu

Studie: Smart City –Made in Germany


Kommunale Infrastruktur

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Klimaschutz ist Heimspiel

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ie neue Generation der EFahrzeuge ist hinsichtlich der Reichweiten für den Dienstbetrieb absolut alltagstauglich und bietet einen sehr guten Komfort. Einschränkungen gibt es praktisch nicht. Daher ist auch eine Quote von 100 Prozent keine Utopie mehr, ganz besonders wenn man vernetzt denkt und die Fahrzeugmobilität mit anderen Mobilitätsalternativen, z. B. ÖPNV oder dem Bahnfernverkehr, kombiniert wird. Für die Umsetzung dieser Ideen wurde 2012 das Mobilitätszentrum gegründet. Dort wird der städtische Fuhrpark verantwortlich geleitet und die sukzessive Umstellung der Flotte auf E-Mobilität geplant und durchgeführt. Dabei gab es nicht nur ökologische oder innovative “Träumereien”, die zur Neuausrichtung der Fuhrparkund Mobilitätsstrategien in der Dortmunder Stadtverwaltung geführt haben. Im Gegenteil, die Bündelung der Zuständigkeiten für die dienstliche Mobilität war vorrangig als eine Maßnahme zur Haushaltskonsolidierung angelegt. Auch Dortmund hat als Kommune im Ruhrgebiet große Herausforderungen zur Überwindung der Folgen des Strukturwandels zu meistern. Die Haushaltssicherung konnte zwar immer wieder durch einschneidende Maßnahmen und konsequente Haushaltsdisziplin der Verwaltung abgewendet werden, aber die Handlungsspielräume für die Erneuerung des Fuhrparks waren in der Ausgangslage zur Gründung des Mobilitätszen­ trums praktisch null. Um dies zu ändern, ist im Verwaltungsvorstand der Stadt Dortmund beschlossen worden, den städtischen Fuhrpark genauer unter die Lupe zu nehmen und vor allem wirtschaftlich zu optimieren. Bereits die Gründung des Zen­ traleinkaufs der Stadtverwaltung, verbunden mit einer Reflektion der Prozesslandschaft, des Einkaufsvolumens und der Einkaufsstandards, hatte gezeigt, dass sich durch derartige organisatorische Neuausrichtungen sehr wertvolle organisatorische Straffungen und wirtschaftliche Spielräume für die Umsetzung strategischer Ziele ergeben können. Auf diesem Weg waren die Grundsätze des fairen Handel(n)s oder der nachhaltigen Beschaffung erfolgreich in das Verwaltungshandeln eingeführt worden. Aus dieser positiven Erfahrung heraus wurde der Gründungsauftrag für das Mobilitätszentrum so gefasst, dass die Erreichung

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Dortmund stellt seinen Fuhrpark um (BS/Ullrich Sierau/Michael Schäpers*) Gehofft hatten wir es schon, aber es ist doch ein wenig überraschend, welche große Dynamik die Umstellung der städtischen Pkw-Flotte auf elektrische Antriebe in Dortmund mittlerweile erreicht hat. Aktuell ist mit 31 E-Pkws bereits ein Drittel der Flotte elektrisch unterwegs, weitere 37 E-Fahrzeuge sind in Bestellung. Es ist abzusehen, dass die ursprünglich angestrebte Quote von 80 Prozent im Pkw-Pool bereits 2021 erreicht und sogar überschritten wird. ist doch der Beweis gelungen, dass der Umstieg auf lokal emissionsfreie Fahrzeuge problemlos und wirtschaftlich möglich ist. Bei rd. 282.000 angemeldeten Pkws in Dortmund (Stand 2018) sind die Anstrengungen der Stadt also kein “Tropfen auf den heißen Stein”.

Ziel: emissionsloser Dienstbetrieb

E-Vielfalt im städtischen Fuhrpark

der Zielvorgabe zur Einführung der Elektromobilität und Modernisierung der Flotte durch ökonomische und strukturelle Verbesserungen in der Fuhrparkverwaltung zu erwirtschaften ist. Zusätzliche Mittel sind ausgeschlossen worden und dies wurde bislang auch durchgehalten.

Neue Schnittstellen und ­Partizipationen Seit 2016 zahlen sich die Erneuerung bzw. Umstellung der Flotte und die organisatorischen Maßnahmen auch bilanziell aus. Die bis 2018 beschafften E-Fahrzeuge (rd. 25 Prozent der Flotte) erwiesen sich als wesentlich wartungsärmer und weniger reparaturanfällig als vergleichbare Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb. Auch auf liebgewonnenen Komfort wie z. B. Klimaanlage oder Radio musste man nicht verzichten, was sich positiv auf die Zufriedenheit der Nutzer auswirkte. Damit ist die Fahrzeugflotte heute nicht nur elektrischer und moderner als zum Beginn des Prozesses, sondern auch deutlich effizienter. Die sich dadurch ergebenden Handlungsspielräume werden im Mobilitätszentrum genutzt, um die dienstliche Mobilität noch emissionsärmer und damit klimaneutraler zu gestalten. Ab 2017 begann schwerpunktmäßig die Erneuerung der leichten Nutzfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht (zGG.) um 2,8 bzw. 3,5 Tonnen.

Foto: BS/Stadt Dortmund, Anja Kador

Der Investitionsstau wird bis 2022 abgebaut. Dem folgt seit 2019 die Erneuerung der schweren Nutzfahrzeuge (zGG. ab 5,9 Tonnen), die ab 2020 ebenfalls zentral vom Mobilitätszen­ trum bewirtschaftet werden. Hier rücken nun neben finanziellen besonders die ökologischen Verbesserungen in den Vorder-

Fuhrparksteuerung ergeben sich neue Schnittstellen zwischen den Nutzern der Fahrzeuge und dem Mobilitätszentrum. Um die nötigen Interessenausgleiche möglichst harmonisch zu gestalten, werden in Dortmund entsprechende Partizipationsprozesse mit den Beteiligten vorgenommen. Es ist wichtig, die Nutzer

OB Ullrich Sierau im neuen Mercedes-Benz eVito

grund. Die Implementierung von E-Fahrzeugen in das Segment der Nutzfahrzeuge wird jedoch durch die am Markt (nicht) verfügbaren Fahrzeugmodelle erschwert. Zwar wurde kürzlich das erste leichte Nutzfahrzeug in Betrieb genommen, ein Mercedes-Benz eVitoKastenwagen, insgesamt ist das Marktangebot an E-Fahrzeugen für die technischen Abteilungen, z. B. für die Bewirtschaftung der Straßen und Grünflächen, aber eher gering und eine Elektrifizierung nur mit Einschränkungen für den Dienstbetrieb möglich. Mit der organisatorischen Veränderung zu einer zentralen

Foto: BS/Stadt Dortmund, Anja Kador

der Fahrzeuge, die über die gesamte Verwaltung gestreut sind, in den Prozess einzubeziehen. Die aktuell gesellschaftlich breit diskutierten Herausforderungen zur Bewältigung des Klimawandels oder die in vielen Großstädten vorhandene, zu hohe Emissionsbelastung durch den lokalen Fahrzeugverkehr bestätigen, wie richtig und wichtig der eingeschlagene Weg ist. Auch wenn der Fuhrpark der Stadt Dortmund, bezogen auf das tägliche Verkehrsaufkommen der Stadt, vergleichsweise klein ist und keine messbaren Effekte zur Luftreinhaltung erzielt werden,

Eine weitere tragende Säule bei der Elektrifizierung des Fuhrparks darf dabei jedoch nicht vergessen werden: die Schaffung von Ladeinfrastruktur. Denn nur, wenn es möglich ist, jedes Elektrofahrzeug bei Bedarf, bestenfalls über Nacht, zu laden, kann der (Dienst-)Betrieb auch mit Elektrofahrzeugen sichergestellt werden. Dies betrifft jedoch nicht nur die städtischen Fahrzeuge, die, um das regelmäßige Laden sicherzustellen, jeweils einen festen Stellplatz mit der Möglichkeit zur Ladung erhalten. Um eine flächendeckende und funktionierende Ladeinfrastruktur zu schaffen, beteiligt sich die Stadt Dortmund u. a. an dem Forschungsprojekt NOX-Block des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), das die Integration von Lademöglichkeiten in die Straßenlaternen und damit den Zugang zu Ladeinfrastruktur einer breiten Masse verfolgt. Denn gerade in Ballungsräumen wie in Dortmund, wo viele Menschen weder über einen eigenen Stellplatz oder eine eigene Garage verfügen, ist die nur vereinzelt vorhandene Ladeinfrastruktur mit ein Hinderungsgrund, um auf ein E-Fahrzeug umzusteigen.

Das primäre Ziel, das mit der Modernisierung des Fuhrparks verfolgt wird, ist die konsequente Reduktion von Schadstoff- und Geräuschemissionen. Diesem Ansatz folgend, sind flächendeckend emissionsfreie Dienstgänge der nächste Schritt. Mit den Verkehrsbetrieben der Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21) hat die Stadt Dortmund dafür einen starken Partner an ihrer Seite. Mit einem gut ausgebauten Öffentlichen Personennahverkehr ist die intermodale Mobilität, also die Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel wie Elektrofahrzeug, ÖPNV und Pedelec, auch für Dienstgänge eine Option. Lokal emissionsfreie Mobilität ist für die Lebensqualität insbesondere in Großstädten von zentraler Bedeutung. Hier leisten Elektrofahrzeuge einen wertvollen Beitrag, umstritten sind sie dennoch. Die Gewinnung der für die Batterien benötigten Rohstoffe ist oft mit ökologischen, aber auch sozialen Belastungen verbunden. Auch die technischen Möglichkeiten zum Einsatz der E-Mobilität im Bereich schwererer Nutzfahrzeuge sind sehr begrenzt. Dass es hier zu zukunftsorientierten und praxis­ tauglichen Lösungen kommen muss, ist unstrittig. Es gibt bereits weitere vielversprechende Ansätze, z. B. Wasserstoff- und Brennstoffzellenantriebe für Nutzfahrzeuge. Daher wird sich das Mobilitätszentrum der Stadt Dortmund bei der Erneuerung dieses Fahrzeugsegments nun verstärkt um Partnerschaften aus Forschung und Entwicklung für eine künftige Zusammenarbeit zur praktischen Erprobung eines Flottenumstiegs im Bereich der Nutzfahrzeuge bemühen. Ziel ist auch hier, den emissionslosen Dienstbetrieb zu forcieren. *Ullrich Sierau ist Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, Michael Schäpers ist Teamleiter des Mobilitätszentrums im Dortmunder Amt für Vergabe und Beschaffung.

MELDUNG

Aus für E-Scooter (BS/kh) In Gelsenkirchen wurden elektrische Roller erst im Oktober 2019 Teil des Stadtbildes. Nun sollen sie wieder verschwinden. Insgesamt wurden 300 E-Scooter von der Firma Circ in Kooperation mit der Stadt und dem kommunalen Nahverkehrsbetrieb Bogestra angeschafft.

Nun sammelt Circ alle Roller wieder ein, denn der Anbieter wurde vom deutschen Konkurrenten Bird “geschluckt”. Die Bogestra sei nun auf der Suche nach einem neuen Partner, der die Scooter zum Verleih anbietet. Auch in anderen Ruhrgebietsstädten stellt sich das Problem.

Fotos: Toby Giessen, Behörden Spiegel;

Neue Mobilität

Strategien für Kommunen und öffentliche Fuhrparks 20. Mai 2020, Stuttgart

Top-Referenten:

THEMEN DER KONFERENZ, u. a.:

► Moderne Mobilitätskonzepte für die Kommunen ► Elektromobilität in BaWü

► Nachhaltige Mobilitätsstrategien und klimafreundliche Verkehrsentwicklung Michael Schramek Vorsitzender des Vorstandes Netzwerk intelligente Mobilität e. V., Fachlicher Leiter der Tagung Eine Veranstaltung des

Michael Hagel Koordinierungsstelle Elektromobilität, Landeshauptstadt Stuttgart

Christoph Erdmenger Abteilungsleiter Nachhaltige Mobilität, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg

► Flächendeckende Infrastrukturen für Elektromobilität ► E-Busse: viel Potenzial für deutsche Innenstädte

► Intermodalität: ÖPNV und Individualverkehr integrieren

www.kommunale-mobilitaet.de


Kommunale Infrastruktur / Kommunale Sicherheit

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ehörden Spiegel: Was führte zu der Entscheidung im Jahr 2010, den städtischen Fuhrpark zu elektrifizieren und wie ist der heutige Stand?

o: BS /Sta dt Ludwigsburg

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nehmen. Einfach, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Darüber hinaus haben wir ein Lastenrad, das wir gelegentlich zum Aktentransport einsetzen. Wir haben zwei Segways, die auch ganz gerne benutzt werden. Und einen Elektroroller. In Zukunft wollen wir noch den Bestand der Pedelecs erweitern. Mittlerweile muss man die Pedelecs schon längere Zeit im Voraus reservieren. Das heißt, der Bedarf ist in jedem Fall da. Das Problem ist nur, dass man die Fahrzeuge nicht bei Wind und Wetter im Hof stehen lassen kann. Das heißt, das gesicherte Abstellen ist momentan noch ein Thema, an dem wir arbeiten. Wasserstoff spielt momentan noch keine Rolle bei uns, aber wir beobachten die Entwicklung äußerst interessiert. Ich gehe davon aus, dass in absehbarer Zeit auch wasserstoffbetriebene Fahrzeuge auf den Markt kommen werden, die für den täglichen Einsatz geeignet sind. Da habe ich natürlich großes Interesse, auch bei dieser Entwicklung von Anfang an dabei zu sein, so wie wir es bei der Elektromobilität gemacht haben.

Vier Fragen – vier Antworten Ilk: Verwaltung und Gemeinderat der Stadt Ludwigsburg ha mit Michael Ilk, Bürgermeister von Ludwigsburg ben bereits frühzeitig erkannt, dass es nicht sinnvoll ist, die Entwicklung bei der Elektromobilität passiv abzuwarten. Deshalb hat die Stadt vor rund zehn Jahren beschlossen, Teil dieses Fortschritts sein zu wollen. Das führte dazu, dass wir zur Modellkommune Elektromobilität geworden sind und das Thema (BS) Ludwigsburg war eine der ersten Kommunen, die das Problem der Luftschadstoffbelastung proaktiv angingen und seitdem auf Elektromobiintensiv vorangetrieben haben. lität in der Stadtverwaltung setzen. Der Leiter des Dezernats Mobilität, Technik und Umwelt, Bürgermeister Michael Ilk, erklärt, wie die Stadt ihren Das erste Fahrzeug war 2010 Fuhrpark seit zehn Jahren sukzessive umstellt und wie er selbst zum Elektro-Fan wurde. Die Fragen stellte Katarina Heidrich. ein Hybridfahrzeug – ein Toyota Den Strom bekommen wir von park? Und gibt es Pläne, künftig mit dem Auto. Man kann sich Auris Hybrid. Der ist zwar mitt- Echt-Betrieb, sind alle wirklich lerweile in die Jahre gekommen, durch die Bank weg begeistert. der städtischen Tochter, von neben der Elektromobilität auch über einen Kalender ein Pedelec Mir persönlich geht es mitt- den Stadtwerken Ludwigsburg- andere Antriebsarten – Stichwort für einen bestimmten Zeitraum aber damit konnten wir erste aus dem Pool reservieren und Erfahrungen sammeln. Mittler- lerweile so: Wenn ich mich in Kornwestheim. Es ist wichtig, Wasserstoff – einzusetzen? sich das Fahrzeug dann aus der weile haben wir 17 vollelektrische einen Verbrenner setze, komme darauf hinzuweisen, dass es Fahrzeuge – 13 Pkws und vier ich mir fast vor wie in einem sich um 100 Prozent Ökostrom Ilk: Wir haben zum Beispiel Pedelec-Garage holen. Auch die Klein-Transporter – und zusätz- historischen Fahrzeug. Im elek- handelt, alles aus regenerativen eine ganze Reihe von Pedelecs werden sehr gut angenommen. lich noch drei Hybridfahrzeuge. trischen ist es völlig lautlos, es Energiequellen gewonnen. Wir für die verschiedenen Ämter und Um dafür Werbung zu machen, Wir wollen gerne noch mehr voll- gibt kein Vibrieren durch den fahren keinen Kohlestrom, denn Fachbereiche. Die werden regel- hat sich die Stadt Ludwigsburg elektrische Autos: Es sind weitere Motor. Und das kommt auch es würde keinen Sinn machen, mäßig genutzt, wenn nicht viel zu etwas einfallen lassen: Die Mitelf Fahrzeuge vorgesehen, sieben bei den Mitarbeitenden an, mir hier emissionsfrei zu fahren und transportieren ist. Für Termine arbeitenden dürfen sich die PePkws und vier Transporter. Diese ist keine einzige negative Rück- andernorts für die Stromherstel- innerhalb der Stadt ist man mit delecs am Wochenende ausleisind bereits bestellt und werden meldung bekannt. Wir als Bür- lung Kohle verbrennen zu lassen. dem Pedelec meist schneller als hen und auch mit nach Hause über das Sofortprogramm Sau- germeister haben entschieden, bere Luft mitfinanziert, bei dem aus Überzeugung auch elektrisch Behörden Spiegel: Wie ge75 Prozent der Mehrkosten für unterwegs sein zu wollen – und staltet sich die Wartung dieser ein batterieelektrisches Fahrzeug sowohl die Mitarbeitenden als Fahrzeugtypen im Gegensatz zu oder ein Hybridfahrzeug gefördert auch die Bürgerschaft beobach- denen mit Verbrennungsmotoren? werden. Wir haben für die gerade ten genau, ob wir unseren Worten Weiterhin zahlreiche Baustellen bei der Verkehrssicherheit genannten Fahrzeuge insgesamt auch Taten folgen lassen. Da ist Ilk: Günstiger und schneller. rund eine dreiviertel Million Euro es wichtig, mit gutem Beispiel Sie haben beim Elektrofahrzeug (BS/Prof. Dr. Dieter Müller*) Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland ist zuletzt zwar zurückgegangen. Von bezahlt, mit einer Förderung in voranzugehen. Und die harten keinen Keilriemen und keine der “Vision Zero” – also keinen Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr – sind wir hierzulande aber Höhe von 240.000 Euro. Fakten überzeugen natürlich Zündkerzen und es muss nicht noch weit entfernt. Im Bereich der Verkehrssicherheit gibt es folglich noch viel zu tun. auch. Ich selbst hatte einen voll- regelmäßig Motoröl gewechselt Behörden Spiegel: Wie kommen elektrischen BMW i3, mit dem werden. Im Grunde ist es nur ein Zumal die Bundesrepublik das Dazu zählt laut Carmen Scholze Rotlicht- und Geschwindigkeitsdie Fahrzeuge bei den Mitarbei- ich es geschafft habe, die ganze Elektromotor, der mit deutlich auf europäischer Ebene verbind- aus dem niedersächsischen In- verstöße feststellen und dokutenden der Stadt an und welche Strecke bis zum Bodensee ohne weniger Bauteilen auskommt lich vereinbarte Ziel, in der Deka- nenministerium unter anderem mentieren können, gibt Wolfgang Aspekte spielen eine Rolle dabei, weitere Aufladung zu fahren. als ein Verbrennungsmotor. Wir de von 2011 bis Ende 2020 die die sogenannte “Section Control”. Lang von VITRONIC zu bedenken. Insgesamt waren das so ungefähr haben eine eigene Werkstatt hier Anzahl der Getöteten im Stra- Diese abschnittsweise vorgenom- Gleiches gelte für ÜberwachungsAkzeptanz zu schaffen? 150 bis 160 Kilometer. Je nach bei den technischen Diensten ßenverkehr mit Blick auf das mene Geschwindigkeitskontrolle methoden zur Luftreinhaltung Ilk: Die Akzeptanz ist mittler- Außentemperatur schwankt die und haben fünf Mitarbeiter extra vereinbarte Vergleichsjahr 2010 erfolgt derzeit – nach längerer wie in der Amsterdamer Innenweile enorm hoch. Viele sind sehr Reichweite zwar etwas, aber gera- zum Thema Elektrofahrzeuge um 50 Prozent zu reduzieren, juristischer Auseinandersetzung stadt, findet Joris Lampe von der skeptisch in die Fahrzeuge ein- de im innerstädtischen Bereich, geschult. Von denen wird mir deutlich verfehlen wird. – wieder in einem Bereich der Sensys Gatso Group. gestiegen und begeistert wieder also im Alltagsbetrieb, ist sie bei bestätigt, dass der WartungsDabei könne die Bundesrepu­blik Bundesstraße sechs bei HannoProblematisch wird es jedoch, ausgestiegen. Zunächst gibt es unseren Fahrzeugen vollkommen aufwand geringer ist. Wir haben viel von anderen europäischen ver. Diese habe – für Fachleute wenn einzelne Gerichte mit Blick oft Vorbehalte, die auch nachvoll- ausreichend. Die Batterietypen über die genannten Fahrzeuge Staaten lernen, unterstreicht der nicht unerwartet – bereits eine auf Geschwindigkeitskontrollziehbar sind: Wie funktioniert das sind mittlerweile schon etwas hinaus noch viele mehr – auch Präsident der Fédération Euro- deutliche Steigerung der Ver- technik diametral von der bisüberhaupt? Wie verhält es sich, moderner. Bei den Pkws beträgt Spezialfahrzeuge –, und da lohnt péenne des Victimes de la Route kehrssicherheit auf der Außer- herigen Rechtsprechung anderer wenn es wirklich kalt ist draußen die Reichweite in etwa 150 bis es sich, eine eigene Werkstatt (FEVR). Dies gelte insbesondere ortsstraße erbracht, so Scholze. Gerichte abweichen, wie dies zuletzt im Saarland der Fall war. und mehr Energie benötigt wird? 200 Kilometer, bei den Transpor- vorzuhalten. für die Sicherheit in innerstädtiBleibt man mit diesen relativ tern, die wir haben, sind es so 80 schen Räumen, so der Luxembur- Einheitlichkeit vonnöten *Prof. Dr. Dieter Müller lehrt an Behörden Spiegel: Welche Ver- ger Jeannot Mersch. Aber auch kurzen Reichweiten nicht irgend- bis 150 Kilometer. Durch die ReHilfreich sein könnten auch wo liegen? Und so weiter. Aber kuperation laden die Fahrzeuge kehrsmittel gehören neben Autos in Deutschland existiert moder- Überwachungskonzepte mit kom- der Hochschule der Sächsischen jetzt, nach einigen Jahren im zudem immer wieder etwas nach. noch zum elektrifizierten Fuhr- ne Verkehrssicherheitstechnik. binierten Anlagen, die gleichzeitig Polizei in Rothenburg.

Skeptisch einsteigen, begeistert aussteigen Umstellung des kommunalen Fuhrparks

Ziele noch lange nicht erreicht

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ehörden Spiegel: Sie haben sich für eine Modernisierung des digitalen Alarmierungsnetzes entschieden. Weshalb dieser Schritt?

Alarmierungsnetz modernisiert Kreis Siegen-Wittgenstein nutzt neue Umsetzer

Kawi: Bereits im Jahr 2008 hat (BS) In der Kreisleitstelle Siegen-Wittgenstein ist modernste Technik im Einsatz. So wurde unter anderem das digitale Alarmierungsnetz erneuert. sich der Kreis Siegen-Wittgen- Der Leitstellenleiter Kay-Jörg Kawi beantwortet dazu die wichtigsten Fragen. stein mit seinen elf angegliederten zurzeit fortschrittlichste Paging- kannten Funktionen. Im Inneren Städten und Gemeinden für den inhaltete die POCSAG-BasisstaTechnologie dar. des Melders steckt das Detail. Aufbau eines digitalen Alarmie- tionen des Typs ITC 2100 und rungsnetzes im Kreisgebiet ent- ITC 2000. Zur damaligen Zeit Durch ein zusätzlich verbautes schieden. Mit der neuen Alarmie- war das der aktuellste Stand der Behörden Spiegel: Gegenwär- GPRS-GSM-Modul (Quadband) rungstechnik wurde die analoge Technik. Mittlerweile ist diese tig testen Sie den RES.Q SOS, ist es möglich, einen Notruf abzuAlarmierungstechnik abgelöst. Technik weit überholt. ein hybrides Terminal mit einer setzen. Hierbei werden StandortDiese war durch den gleichzeiMit dem neu entwickelten integrierten Notruftaste. Was hat daten an einen Server versendet, die bei uns in der Kreisleitsteltigen Betrieb der Alarmierung Produkt von Swissphone – ITC Sie dazu bewogen? und des Sprechfunks auf einem 2500 – sind neue Funktionalitäle Siegen-Wittgenstein in einer Funkkanal sehr störanfällig und ten möglich, welche erhebliche Kawi: Leider erleben unsere webbasierten Software angezeigt belastete den BOS-Sprechfunk- Mehrleistungen gegenüber ihren Einsatzkräfte immer mehr einen werden. Somit ist eine unmittelverkehr im Kreisgebiet. Durch die Vorgängern mit sich bringen. gesellschaftlichen Wandel un- bare Ortung des Trägers möglich. Trennung von Kommunikation Dabei sind als Mehrwert zum serer Kunden beziehungsweise Diese Ortung muss der Träger und Alarmierung auf zwei unter- Beispiel die wesentlich schnellere Patienten. Angriffe auf Helfer sind aktiv auslösen. Es ist daher ausschiedliche Frequenzen wurde die Verteilung der Nachrichten im keine Seltenheit mehr. Um die geschlossen, dass eine ständige Sicherheit der Kommunikation Netz sowie die NetzstatusrückSicherheit unserer Einsatzkräfte Ortung des Melders gegeben ist. und der Alarmierung deutlich meldung für einen schnelleren Kay-Jörg Kawi ist Leiter der Kreisleit- zu erhöhen, haben wir uns über eine Möglichkeit einer “stillen verbessert. Neben einer schnel- und sicheren Versand der Alarme stelle Siegen-Wittgenstein. Behörden Spiegel: Welche Vorleren Aussendung von Alarmen zu nennen. Bei der Neuplanung Foto: BS/Kreisleitstelle Siegen-Wittgenstein Alarmierung” Gedanken gemacht. teile gibt es? Ziel soll es sein, in Notsituationen war auch die verschlüsselte Über- unseres bestehenden Netzes hatragung von Einsatzmeldungen ben wir die ITC2500 außerdem gen Speicherung von Logdateien, für unsere Einsatzkräfte schnelle Kawi: Durch eine Mitentwickdamals ein ausschlaggebender direkt mit LTE-Einschubkarten welche es uns ermöglichen, proto- qualifizierte Hilfe herbeizuholen. lung an dieser Melderform ist es Aspekt für die Umstellung auf ausstatten lassen, welche uns im kolliert auf Fehlersuche zu gehen. Dabei steht die Polizei, mit ihrer uns gelungen, die Akkukapazität ein digitales Alarmierungssystem Netz die Möglichkeit verschaffen, Der Kreis Siegen-Wittgenstein wird originären Aufgabe der polizeili- des Melders zu verbessern. So im Kreisgebiet. direkte Software-Updates ein- sein bestehendes Single-Master- chen Gefahrenabwehr, bei uns schaltet sich zum Beispiel das zuspielen und entsprechende System auf ein Multi-Master- klar an erster Stelle. integrierte GPS-Modul erst mit einer Alarmierung ein. Quasi Behörden Spiegel: Welche kon- Logdateien bei Fehlermeldungen System umbauen. Dabei werden kreten Vorteile versprechen Sie auszuwerten, ohne dass der DAU mehrere Basisstationen zu einem Behörden Spiegel: Können Sie dann, wenn es auch gebraucht Netzverbund zusammengeschal- erklären, wie dieses SOS-Paket wird. Damit wird die Akkulaufzeit sich von den 29 neu bestellten di- angefahren werden muss. tet. Daraus resultieren zukünftig funktioniert und welche Kompo- wesentlich verbessert. Mit der gitalen Alarmumsetzern ITC2500 passenden Meldertasche wird es Behörden Spiegel: Welche wei- eine schnellere Alarmierung und nenten dazugehören? von Swissphone? neben einer Auslösung einer “stileine höhere Ausfallsicherheit im teren Vorteile gibt es? gesamten Alarmierungsnetz. Diese Kawi: Der RES.Q-SOS-Melder len Alarmierung” auch möglich, Kawi: Die damalige Errichtung des digitalen Alarmierungsnetzes Kawi: Auch ein Vorteil des ITC Netzstruktur gehört derzeit zu den ist äußerlich ein ganz normaler fast unbemerkt den Alarmknopf im Kreis Siegen-Wittgenstein be- 2500 ist die Möglichkeit der lan- wirtschaftlichsten und stellt die Meldeempfänger mit allen be- zu betätigen.

Behörden Spiegel: Was sind Ihre ersten Eindrücke und Erfahrungen? Kawi: Die Melder erfüllen ihren Zweck und geben dem Träger oder der Trägerin ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit. Der Kreis Siegen-Wittgenstein ist froh darüber, dass zukünftig unsere hauptamtlichen Einsatzkräfte im Rettungsdienst mit dem neuen RES.Q-SOS-Melder ausgestattet werden können und damit zur Sicherheit der Einsatzkräfte beigetragen werden kann. Dazu zählt auch die Bereitschaft der Kreispolizeibehörde, uns bei diesen unschönen Situationen tatkräftig zu unterstützen. Behörden Spiegel: Was sind weitere Funktionen des RES.Q-Terminals, und welche Möglichkeiten eröffnen sich Ihnen damit? Kawi: Das integrierte Mobilfunk-Modul ermöglicht die hybride Alarmierung, indem Mobilfunk-Netze als redundanter Alarmierungskanal verwendet werden, um die Resilienz zu erhöhen. Der RES.Q ermöglicht so auch eine Rückmeldung vor und nach dem Alarm, was die Effizienz und Schnelligkeit von Alarmierung und Mobilisierung maßgeblich erhöht. Im Kreis Siegen-Wittgenstein benutzen wir das Rückmeldeverfahren nur für die Übersendung des Notrufes mit der Übermittlung der Standortdaten.


Kommunale Sicherheit

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Behörden Spiegel / März 2020

Technik ist nicht alles

Mehr Rechtssicherheit schaffen

Es braucht auch immer ausreichend Personal

Kommunen sollen Silvesterfeuerwerk einfacher verbieten können

(BS/mfe) Videobeobachtung im öffentlichen Raum kann polizeiliches Handeln ergänzen, nicht jedoch komplett ersetzen. Gleiches gilt für andere technische Hilfsmittel, wie etwa die Gesichtserkennung. Bei alldem muss parallel zu den Analysen durchgängig genügend Personal vorgehalten und rasch zum Einsatz gebracht werden können.

(BS/mfe) Geht es nach den Grünen im Deutschen Bundestag, sollen Städte und Gemeinden künftig leichter privates Feuerwerk verbieten können. Sie fordern die Bundesregierung in einem Antrag dazu auf, die gesetzliche Grundlage dafür anzupassen (Bundestagsdrucksache 19/16457). Notwendig wäre eine Reform der 1. Sprengstoffverordnung.

Darauf macht auch der Vorsitzende des Bezirks Bundespolizei der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, aufmerksam. Er betont, dass es neben der Technik immer auch genügend Polizeistärke und entsprechende Präventionsbemühungen im öffentlichen Raum geben müsse. Ähnlich äußert sich der frühere Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder, Bernd Manthey. Er räumt zwar ein, dass technische Unterstützung den Polizeivollzugsbeamten Freiräume schaffe, um stärker im öffentlichen Raum präsent zu sein. Zugleich unterstreicht er aber auch, dass nicht mit jeder Technik ein Mehr an Sicherheit einhergehe.

Darin könnte dann festgelegt werden, dass es den zuständigen Behörden vor Ort erlaubt würde, Verbote für das Abbrennen von Knall- und Feuerwerkskörpern nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen zu verhängen. Das würde nach den Vorstellungen der oppositionellen Parlamentarier jegliches klassisches Silvesterfeuerwerk für den Privatgebrauch umfassen. Betroffen wären dann

Beide Ansätze müssten allerdings gesellschaftlich erläutert werden, um ihren vollen Nutzen zu erzielen. Zudem komme es darauf an, die Videobeobachtung effektiv in die übrigen polizeilichen Informations- und Datensysteme einzubinden. Anderenfalls schaf-

fe sie keinen Mehrwert für die Sicherheitsbehörde, so Patrick Pongratz, Enterprise Sales Manager für den öffentlichen Sektor in Deutschland bei Hitachi Vantara. Sei diese Einbindung jedoch gegeben, könne die Technik enorm helfen. Denn sie erlaube unter anderem Rückwärts- und Multiperspektivensuchen im aufgenommenen Material.

Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält Videobeobachtungstechnik nur für eine Unterstützung der polizeilichen Arbeit, keineswegs für einen Ersatz.

Unterstreicht die zahlreichen Möglichkeiten von Videobeobachtungstechnik für die Sicherheitsbehörden: Patrick Pongratz von Hitachi Vantara. Fotos: BS/Giessen

Richtig einbinden

alle pyrotechnischen Gegenstände der Kategorie F2. Sogenannte Böllerverbotszonen gab es zum letzten Jahreswechsel in einigen Gebieten Berlins. Ihr Nutzen ist jedoch weiterhin umstritten. Konkrete Beschlüsse zur Einschränkung des Silvesterfeuerwerks existieren auch in München, Hannover, Stuttgart und Köln. Allerdings hat der Bund die ausschließliche

­Akzeptanz notwendig Darüber hinaus brauche jede die Polizei unterstützende Technik eine gesellschaftliche Akzeptanz, ergänzt Radek. So sind aus seiner Sicht sowohl die Videobeobachtung als auch die Gesichtserkennung polizeilich angebracht.

Bildqualität = Datenqualität

U

nd dabei sind das Wichtigste gar nicht einmal die Analysesysteme selbst. Kameras sind prinzipiell als “optische Sensoren” hervorragend zur Erfassung von Analysedaten geeignet. Es gibt wenig bessere Möglichkeiten, mit relativ geringem Aufwand verschiedenste Arten von Daten aus komplexen Zusammenhängen zu extrahieren, als ein Videobild. Die Möglichkeiten aus der Videoanalyse sind vielfältig. “Crowd-Analysen” zum Zählen von Personen oder Objekten, “Appearance Search” zum Auffinden von Personen basierend auf bestimmten Merkmalen, diverse “Intrusion-Detection”-Systeme etwa zur Absicherung von “Sterile Areas” beispielsweise im Stadionumfeld oder am Perimeter von Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) und vieles mehr. Die meisten Systeme arbeiten heute mit einer Objektklassifizierung basierend auf neuronalen Netzen, häufig auch im allgemeinen Sprachgebrauch mit Künstlicher Intelligenz (KI) gleichgesetzt. Bei aller Begeisterung wird aber eines sehr häufig unterschätzt:

Die Mitglieder der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wollen es Kommunen erleichtern, das Abbrennen von privatem Silvesterfeuerwerk zu untersagen. Dafür muss auf Bundesebene allerdings zuvor das Sprengstoffrecht geändert werden. Foto: BS/Lupo, pixelio.de

Zukunftssichere Videoanalyse- und KI-Anwendungen (BS/Josua Braun*) Die Videotechnik entwickelt sich rasant weiter: Neben der optischen Beweissicherung bieten sich Behörden und der Polizei immer mehr Möglichkeiten zur automatischen oder teilautomatisierten Analyse von Bilddaten. Hier den Überblick zu behalten ist nicht immer einfach, zumal in hoher Frequenz neue Lösungen auf den Markt drängen und viele Systeme sich noch im Forschungs- und Experimentierstadium befinden. die Bedeutung der Datenqualität. Oft wird der Fehler gemacht, dass nur das Analysesystem betrachtet und bewertet wird und nicht die Gesamtlösung. Und so sind viele Anwender enttäuscht, die “einfach mal ein paar Kameras

aufgehängt” haben und dann Analysen auf dem so gewonnenen Bildmaterial “fahren”. Dabei kann gemäß der alten Regel “Quality in, Quality out” die Qualität der Analyseergebnisse natürlich immer nur so

gut sein wie die Bildqualität und damit die Güte der Eingangsdaten. Die Bildqualität ist als Pixel pro Meter (px/m) in der DIN EN 62676-4 festgelegt und der wesentliche Paramater für jedes Videosystem: Je nachdem,

ob zum Beispiel 62,5 px/m für eine KI-basierte Objekterkennung von Personen oder 250 px/m für eine fast 100-prozentig sichere Gerichtsverwertbarkeit durch die Identifizierbarkeit von Gesichtsaufnahmen gefordert sind.

Richtige Planung und ­geeignete Technologien

Im Vergleich zu konventionellen Ansätzen kann die benötigte Mindestauflösung für die geforderte Anwendung auf einer wesentlich größeren Fläche mit einer geringeren Anzahl an Systemen erreicht werden.

Für eine zuverlässige Objektklassifizierung ist beispielsweise mindestens eine definierte Bildqualität von 62,5 Pixeln pro Meter (DIN EN 62676-4) in jedem Teilbereich einer Szene notwendig.

Ganz ohne Kamerabild: KI-basierte Analysesysteme extrahieren in diesem Beispiel nur relevante Daten ohne Personenbezug. Fotos: BS/Dallmeier

Der Schlüssel zum Erfolg ist deshalb, den für eine bestimmte Analyseform, wie etwa das Unterscheiden von Personen und Fahrzeugen, notwendigen Mindestwert auf der ganzen zu erfassenden Fläche zuverlässig bereitzustellen. Dies ist nur möglich, wenn ein Hersteller über die entsprechenden Tools und Planungssysteme sowie das Knowhow und die Experten verfügt, um diese Planungen durchzuführen. Des Weiteren sind Kameratech-

Gesetzgebungskompetenz für das Sprengstoffrecht, sodass es hier zwingend auch einer Reform auf Bundesebene bedarf. Diese ist im Bundesrat zustimmungspflichtig.

Ähnliche Initiative im ­Bundesrat Dort hat das Land Berlin einen dem Grünen-Vorhaben gleichgerichteten Verordnungsantrag eingebracht (Drucksache 617/19). Beide Initiativen wurden in die Innenausschüsse des Deutschen Bundestages beziehungsweise des Bundesrates überwiesen. Anträge der Opposition werden im Bundestag jedoch meist mit den Stimmen der regierungstragenden Parteien abgelehnt. Und auch das derzeit im Bundesrat anhängige Vorhaben müsste noch im Bundestag Zustimmung finden. Das Bundesinnenministerium (BMI) will das Sprengstoffgesetz zwar überarbeiten. Dies soll allerdings erst Ende kommenden Jahres erfolgen.

nologien erforderlich, die dafür konzipiert sind, auch auf großen Flächen diese Mindestauf­ lösungen bereitzustellen. Selbst ultrahochauflösende MegapixelKameras kommen hier gerade in den weiter entfernten Bildbereichen schnell an ihre Grenzen beziehungsweise sind bei großen Flächen unwirtschaftlich. PTZ-Kameras sind für die Analyse von Gesamtzusammenhängen prinzipiell ungeeignet, da sie jeweils nur auf einen bestimmten Teilbereich fokussieren und vorrangig der aktiven Videobeobachtung dienen. Moderne, sogenannte Multifocal-Sensorsysteme, bei denen mehrere Sensoren unterschiedlicher Brennweite in einem System kombiniert werden, erlauben eine exakt definierte Mindestauflösung auf der gesamten zu erfassenden Fläche auch in großen räumlichen Zusammenhängen und stellen dadurch meist auch gleichzeitig die wirtschaftlichste Herangehensweise dar. *Josua Braun ist Senior Product Marketing Manager bei Dallmeier.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / März 2020

Zeit für einen Reset

KNAPP Diskussionspapier zu kommunalen Daten

Das Verhältnis von Staat, Verwaltung und Bürgerschaft neu denken (BS/Thomas Petersdorff/Jörn Fieseler) Im Jahr 2020 rückt der digitale Staat in greifbare Nähe, zumindest wenn man sich nach der Fristsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) richtet. Noch gut anderthalb Jahre bleiben, um alle 575 Leistungsbündel über digitale Kanäle zugänglich zu machen. So komplex die Herausforderung, so knapp bemessen das noch bestehende Zeitfenster. Doch von Torschlusspanik keine Spur. Vielmehr macht sich inzwischen ein Umdenken breit. Dieses kreist weniger um die Frage, wie eine technische Implementierung angesichts der Kürze der Zeit reibungsfrei gelingen kann, sondern – mehr grundsätzlicher Natur – darum, welche Impulse man der Digitalisierung entnehmen kann, um das Verhältnis von Staat, Verwaltung und Bürgerschaft neu zu denken. Die Überlegungen reichen von der Aufweichung hierarchischer Strukturen in Ministerien und Behörden bis hin zu einer neuen Staatskunst wie auch einer flexibleren Rechtsetzung. Die Realisierung des OZG gleiche ohne Zweifel einer “Herkulesaufgabe”, räumt Dorothee Bär, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, ein. Entgegen der weit verbreiteten Skepsis sei eine Erfüllung trotzdem möglich: “Wir werden das sicherlich gut hinbekommen.” Auch wenn der zeitliche Druck inzwischen spürbar zugenommen habe, behalte sie ihre Zuversicht. Zwar hinke Deutschland im digitalen Wettrennen weiterhin hinterher, doch wohne der Verspätung eine Chance inne. So habe man bei der OZG-Umsetzung nämlich nicht nur Desktop-, sondern gleich auch mobile, über das Smartphone abzurufende Lösungen im Blick. Oberste Priorität müsse nun sein, Qualität und Geschwindigkeit ins rechte Verhältnis zu setzen, notfalls auch dadurch, dass Umsetzungsfristen verkürzt, Monitoring-Intervalle verdichtet würden. Um dabei möglichst flexibel und fernab behördlicher Routinen vorgehen zu können, werde man noch in diesem Jahr eine agile Umsetzungseinheit, das “Digital Transformation Team”, ins Leben rufen.

Digitalisierung als Chance für einen Neustart Schritte wie diese seien indes nur eine Maßnahme im Rahmen eines viel umfänglicheren Prozesses. Dem digitalen Wandel nach außen müsse jetzt auch eine Erneuerung nach innen folgen, ein “Reset” für die Verwaltung. Dreh- und Angelpunkt einer solchen Unternehmung sei die Einbindung des Bürgers. “Um herauszufinden, was Bürgerinnen und Bürger in Zeiten des digitalen Wandels von uns wollen, müssen wir die eigene Rolle neu

“Wir sind für Sie da und nicht umgekehrt”: Staatsministerin Dorothee Bär fordert auf dem Digitalen Staat 2020 die Neuausrichtung von Staat und Verwaltung an den Bedürfnissen des Bürgers. Foto: BS/Dombrowsky

definieren”, erklärt Bär. Statt ihm Steine in den Weg zu legen, müsse man dem Bürger gegenüber als Helfer und “Lebenserleichterer” auftreten. Das ginge freilich nur, wenn man ihn als einen Partner auf Augenhöhe begreife, mit dem zusammen man neue Wege beschreite. Die Sicht des Bürgers auf Staat und Verwaltung sei in Zeiten des digitalen Umbruchs wichtiger denn je. “Wir müssen den Menschen den Glauben an die Gestaltungskraft des Staates zurückgeben. Dafür müssen wir unsere Arbeit auf eine neue Qualitätsstufe heben”, folgert Bär. Teil des Perspektivwechsels müsse die Abkehr von tradierten Strukturen sein. Die Digitalisierung berge eine Dynamik, der sich die Verwaltung zwingend anpassen müsse. Auf den bisherigen Lorbeeren könne man sich nicht ausruhen: “Damit alles so bleiben kann, wie es ist, muss

sich einiges verändern”, warnt Bär. Um in Zukunft noch agiler zu sein, plädiert sie für eine Aufweichung der “starren und hierarchischen Strukturen” im Öffentlichen Dienst. Eine Öffnung nach innen sei umso dringlicher, als in der nächsten Dekade personelle Umbrüche bevorstunden, die einen Rückgang um bis zu 40 Prozent des aktuellen Mitarbeiterbestands beim Bund in Aussicht stellten. Zwar könne die Digitalisierung helfen, den erwarteten Schwund beim Personal abzufangen; um die Grundlagen hierfür zu schaffen, müssten aber erst mal IT-Experten für die Verwaltung gewonnen werden. Bär fordert flexiblere Karrierepläne, um den Öffentlichen Dienst für Fachkräfte mit dem erforderlichen Knowhow aufzuwerten. Dies schließe gleichermaßen eine Erleichterung der Einstiegs- wie auch der Ausstiegsbedingungen ein, hingegen

sei das Beamtenrecht flexibler als gemeinhin angenommen.

Neues KI-Observatorium beim BMAS Doch betrifft die digitale Transformation der Arbeitswelt nicht nur den Öffentlichen Dienst. In

den nächsten zehn bis 15 Jahren werden deutschlandweit vier Millionen Arbeitsplätze durch die Digitalisierung wegfallen. Gleichzeitig werden rund 3,3 Mio. neue Arbeitsplätze entstehen – über alle Branchen hinweg. Diesen Wandel der Arbeit gilt es zu gestalten. Auf der einen Seite werde die Digi­ talisierung auf dem Arbeitsmarkt zu einem Fachkräfteüberschuss führen, auf der anderen Seite würden in bestimmten Berufsfeldern Fachkräfte Mangelware sein, prognostiziert Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Zugleich werde der Zeit- und Arbeitsdruck zunehmen. Damit die Gesundheit der Beschäftigten dadurch nicht gefährdet werde, entwickle die Initiative Neue Qualität der Arbeit neue Konzepte und Lösungen für ein orts- und zeitunabhängiges Arbeiten, führt Böhning weiter aus. Darüber hinaus müsse sich sein Haus intensiv mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz

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Um die Entwicklungen und Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz besser betrachten zu können, ist im BMAS ein neues KI-Observatorium gegründet worden, erläutert Staatssekretär Björn Böhning. Foto: BS/Dombrowsky

(BS/gg) Der Deutsche Städtetag hat ein Diskussionspapier “Kommunale Daten” veröffentlicht. Auf Basis des Papiers will der Verband einen breiten öffentlichen Diskurs anstoßen, um bessere Grundlagen für die Nutzung von Daten zu erreichen und die Digitalisierung in den Städten dadurch zu stärken. In dem Diskussionspapier gibt der Deutsche Städtetag einen Überblick über die Erhebung und Nutzung digitaler Daten und eine Diskussionsgrundlage für die kommunale Praxis. Im weiteren Vorgehen sollten die Städte in diesem Prozess kommunale Selbstverwaltung neu denken, Rollen in der Stadt klären, Abläufe auf den Prüfstand stellen, Künstliche Intelligenz angemessen einsetzen und ethische Prinzipien definieren. Das Diskussionspapier steht auf der Website des Deutschen Städtetages zum Download zur Verfügung.

Twitter-Alternative für Behörden (BS/pet) Noch ist rechtlich umstritten, ob Behörden Accounts auf Sozialen Netzwerken betreiben dürfen. Zwar hatte sich das Bundespresseamt noch Anfang des Jahres dahingehend geäußert, dass aktuell kein Handlungsbedarf bestehe, aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken hatten hingegen einige staatliche Vertreter angekündigt, ihre Aktivitäten auf Twitter einstellen zu wollen. Ende Januar war aus der Drohung Realität geworden, als der baden-württembergische LfDI, Dr. Stefan Brink, seinen TwitterAccount gelöscht hatte. Als Alternative soll nun der Wechsel zu “Mastodon” folgen, ebenfalls ein Microblogging-Dienst. Anders als Twitter ist Mastodon jedoch dezentral aufgebaut und betreibt ein Netzwerk von mehr als 2.700 Servern. Inzwischen verbucht die Plattform 3,8 Millionen User. Es könnten aber noch mehr werden, da noch andere Behörden einen Wechsel erwägen.


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befassen. Vieles sei heute schon technisch möglich, es gelte jedoch, die Balance zwischen den zu nutzenden Chancen und dem Schutz vor Überwachung zu wahren. Um die Entwicklungen besser verfolgen und Rückschlüsse für die Einsatzfähigkeit ziehen zu können, sei bei der Denkfabrik nun ein KI-Observatorium (siehe hierzu auch die Meldung auf Seite 31 unten) eingerichtet worden. Dieses soll an der Schnittstelle zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft als Wissensträger und Impulsgeber fungieren. Damit leiste das Observatorium einen wichtigen Beitrag, um einen verantwortlichen Einsatz von KI in der Arbeitswelt gemäß den Zielen der KI-Strategie der Bundesregierung zu gewährleisten.

Braucht es eine neue ­Staatskunst? Das Straucheln von Politik und Verwaltung angesichts der OZGUmsetzung hat vielfältige Impli-

kationen. Als Herausgeber einer einschlägigen Beitragssammlung hat Hans-Henning Lühr, Staatsrat im Finanzressort der Hansestadt Bremen und Vorsitzender des IT-Planungsrates, das Problem in der Grundsatzfrage zugespitzt, ob es einer neuen Staatskunst bedürfe, um den digitalen Wandel dennoch zu meistern. Was bedeutet das? Der aristotelischen Ethik entlehnt, ist der Begriff der Staatskunst – grob vereinfacht – zunächst mit politischer Daseinsvorsorge gleichzusetzen. ­Bezeichnet werden alle Funktionen, Aufgaben und Dienste, mithilfe derer staatliche Vertreter zum Wohle des Einzelnen sowie der Gesellschaft als ganzer beitragen. Die Digitalisierung als mediale Zäsur der Gegenwart lässt aber auch diese Fundamente nicht unangetastet. So weit, so eindeutig. Strittig bleibt bei all dem, ob es der digitalen Transformation in Zukunft gestattet werden darf, bis auf die demokratische Substanz durchzudringen und diese im Kern zu verändern oder ob Grenzen bestehen, die selbst zum Woh-

Der Dynamik hinterher: Um in Zeiten des digitalen Wandels noch wirksame Gesetze auf den Weg bringen zu können, brauchen Legisten größere Freiheiten, so Dr. Rainer Holtschneider (Bildmitte). Foto: BS/Dombrowsky

Erfolge feiern Für viele Beteiligte und Beobachter ist damit klar: Das OZG wirkt als Impulsgeber, der kooperative Ansatz funktioniert. Für Begeisterung sorgt bei einigen insbesondere die Arbeitsweise in den Digitalisierungslaboren: DesignThinking, Multi-Stakeholder-Ansatz, agiles Projektmanagement, Nutzerorientierung. Was für Digitalunternehmen lange üblich ist, bedeutet für die Verwaltung ein Umdenken. “Das Besondere ist, dass wirklich nur die Idee zählt”, so Ernst Bürger, Unterabteilungsleiter Verwaltungsdigitalisierung/ -organisation im Bundesinnenministerium. “Wenn sie ins Labor gehen, geben die Beteiligten Rang und Verwendung an der Tür ab.” Belohnt würden sie vor allem mit schnellen Erfolgen und entsprechend viel Spaß und Motivation bei der Arbeit. “Als absoluter Schlüssel zum Erfolg hat sich die Beteiligung

Die Devise lautet: mutiger werden

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Elvan Korkmaz-Emre und Münchens CDO Thomas Bönig unterstrichen die gesamtstaatliche Bedeutung einer erfolgreichen Digitalisierung in den Kommunen. Foto: BS/Dombrowsky

le digitaler Entwicklung nicht überschritten werden dürfen (siehe hierzu auch den Beitrag “Was muss der Staat leisten?” auf Seite 34).

international konkurrenzfähig zu bleiben.” Gegenwärtig hinke man den Veränderungen, die andernorts auf dem Globus angestoßen würden, lediglich hinterher.

Einen politischen ­Kulturwandel einleiten

Digitalisierung aus einem föderalen Rahmen

Für eine grundlegende Neuausrichtung in Politik und Verwaltung plädiert Thomas Bönig, Leiter des Referats für Informations- und Telekommunikationstechnik und CDO der Landeshauptstadt München. “Wir brauchen einen fundamentalen Kulturwandel”, fordert er. Als zentrale Begegnungsstätte von Staat und Bürger müsse dabei, zumal den Kommunen, beim digitalen Wandel ein größeres Stimmrecht eingeräumt werden. Anpassungsprozesse müssten schneller entschieden und umgesetzt werden, andernfalls würde die Demokratie in ihren Grundfesten gefährdet, mahnt Bönig und schiebt hinterher: “Die digitale Herausforderung werden wir nicht allein bewältigen. Einen deutschen Sonderweg können wir nicht gebrauchen. Ergänzend zum Vorgehen in den Kommunen muss der Staat im europäischen Rahmen Standards setzen, um

Anders sieht es Matthias Kammer, Senatsdirektor a. D. und Geschäftsführer der im Dezember letzten Jahres neu gegründeten Genossenschaft “govdigital”. Es müsse verhindert werden, dass die Digitalisierung bis zum politischen Fundament der föderalen Demokratie vordringe, sagt er. Zwar seien zentralisierte Strukturen in der Umsetzung digitaler Leistungen agiler, indes dürfe – zumal vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit – die föderale Verfasstheit Deutschlands nicht angetastet werden. Der Föderalismus habe seine Berechtigung nicht verloren, schon gar nicht im digitalen Zeitalter. Statt also an den Grundfesten des Systems zu rütteln, solle man stattdessen eher aus dem bestehenden Rahmen heraus wirken und sich auf kooperative Ansätze konzentrieren: “Digitalisierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der es nicht darum geht, Ver-

Ähnlich ist die Position von Elvan Korkmaz-Emre, SPD-Abgeordnete im Bundestag. Auch sie lehnt die Notwendigkeit für einen fundamentalen Kurswechsel in Politik und Verwaltung ab. Statt eine neue zu fordern, solle man sich eher fragen, ob man der ursprünglichen Bedeutung von Staatskunst bisher gerecht werden konnte. Es gelte nun, die Potenziale der technologischen Entwicklung noch stärker als bisher für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Kommunen zu mobilisieren. Auch wenn die dystopischen Szenarien, die in den Feuilletons der Republik über die digitale Entmachtung des Staates gezeichnet würden, inzwischen mehr geworden seien: Grundsätzlich stelle die Digitalisierung keine Gefährdung der demokratischen Verfasstheit Deutschlands dar, vorausgesetzt der Staat lasse sich das Heft von privaten Unternehmen nicht weiter aus der Hand nehmen. Korkmaz-Emre sieht die Regierung in der Pflicht, das Thema Souveränität künftig noch konsequenter zu verfolgen. “Wir müssen mutiger werden, nicht zuletzt auch im Bereich der Software-Entwicklung. Ein staatliches Konkurrenzprodukt, das Office in der Verwaltung ablösen könnte, hätte nicht nur datenschutzrechtliche, sondern auch erhebliche finanzielle Vorteile.” Zwar sei man in vielerlei Hinsicht im digitalen Wettrennen bereits hinterher, jedoch könne sich das auch zum Vorteil für Deutschland entwickeln. Bei der

Halbzeit beim OZG

D

ie Gesamtplanung der 14 Themenfelder für die OZGUmsetzung sei abgeschlossen, berichtete Klaus Vitt, Innenstaatssekretär und IT-Beauftragter der Bundesregierung. In 33 Digitalisierungslaboren würden unter Einbindung von Fachseite, E-Government-Experten, Designern und Nutzern Lösungskonzepte entwickelt, so Vitt weiter. “Außerdem sind 100 Umsetzungsprojekte definiert und davon rund 30 begonnen worden. Erste Leistungen sind online verfügbar.” So ist die Online-Version des Wohngeldantrages seit Dezember in Schleswig-Holstein referenzimplementiert. In den sechs Pilotkommunen sind inzwischen über 100 Anträge eingegangen. Weitere Leistungen stehen ebenfalls vor der Referenzumsetzung, optimistische Stimmen gehen von bis zu 50 noch in diesem Jahr aus.

antwortlichkeiten beliebig zu verschieben. Digitale Veränderung kann nur dann legitim sein, wenn politische Steuerungsprozesse in Übereinstimmung mit geltendem Recht initiiert werden”, so Kammers Fazit.

Weiter so oder taktische Neuaufstellung? (BS/Benjamin Stiebel) 575 bis 2022. Die Formel schwebt derzeit über allem, was mit digitalen Verwaltungsdiensten zu tun hat. Es ist die in Zahlen überführte zentrale Verpflichtung aus dem Onlinezugangsgesetz (OZG): Bund und Länder müssen bis Ende 2022 ihre Leistungen auch online über Verwaltungsportale anbieten. Jetzt ist Halbzeit. Und es zeichnet sich ab, dass das Ziel verfehlt und dennoch übertroffen wird. Verfehlt, weil am Ende nicht alle Dienste überall online verfügbar sein werden. Übertroffen, weil das OZG vielleicht den Knoten bei der Verwaltungsdigitalisierung langfristig zum Platzen bringt. von Nutzerinnen und Nutzern erwiesen”, so Bürger weiter. Dem stimmt Dr. Irina Eckhardt, Sale Director Public bei KPMG, zu. “Das Paradigma der Nutzerorientierung ist tatsächlich überall bei den Stakeholdern angekommen.” Nun regt sie an, auch auf den Sachverstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu setzen. Die, die auf Verwaltungsseite direkt an der Bearbeitung von Anliegen beteiligt sind und darüber mit Nutzern in Kontakt stehen, könnten eine wichtige Perspektive beisteuern.

Halbzeit bei der OZG-Umsetzung: Bei einigen überwiegt die Freude über erreichte Meilensteine, bei anderen der Ärger über Reibungspunkte bei der Zusammenarbeit. Einig sind sich jedoch alle: Die Ansätze sind gut, aber es muss noch besser gehen. (v. l.: Ernst Bürger, Ariane Berger und Hartmut Beuß) Fotos: BS/Dombrowsky

Fehler erkennen Kritische Worte fand dagegen Marco Brunzel von der Metropolregion Rhein Neckar GmbH. Die Ansätze seien zwar gut, in der Umsetzung sei aber noch deutlich Luft nach oben. “Die positiven Erfahrungen, die die Beteiligten beflügeln sollen, machen leider nur diejenigen, die auf den kleinen Innovationsinseln vor Ort dabei sind.” Die Verwaltung müsse noch viel mehr Kooperation zwischen Kommunen und länderübergreifend zulassen und fördern. Ein wesentlicher Knackpunkt bei der Verwaltungsdigitalisierung sei, dass die größte Umsetzungslast bei den Kommunen liege. “Das ist absolut nicht mehr zeitgemäß”, so Brunzel. “Im Netz gilt nicht mehr, dass die Kommunen den Bürgern und Unternehmen am nächsten sind. Das Smart-

phone ist den Menschen heute am nächsten – von wem eine Dienstleistung online bereitgestellt wird, ist für den Nutzer unerheblich.” Die Kompetenzen und Aufgabenverteilungen sollten daher grundsätzlich neu gedacht werden, so Brunzels Votum. Doch auch im aktuellen Kompetenzgefüge läuft die Kooperation bei der OZG-Umsetzung über die Ebenen hinweg nicht reibungslos. Derzeit mangele es am dafür notwendigen Wissens­austausch. So fehle es bei den Kommunen an aktuellen Kenntnissen über die Zeitplanungen seitens Bund und Ländern, rügt Prof. Jörn von Lucke. “Es braucht Offenheit und Transparenz in der Breite, damit die absolut notwendige Zusammenarbeit auch von allen Seiten angegangen werden kann”, so der Direktor des Lehrstuhls für

Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Nur wenn Sach- und Planungsstände bekannt seien, könnten Verwaltung und Politik auf allen Ebenen die richtigen Entscheidungen treffen.

Teamspiel verbessern Dem schließt sich auch Ariane Berger, Leiterin für Digitalisierung im Deutschen Landkreistag, an: “Es kann nicht sein, dass wir nicht wissen, wer an welchem Dienst arbeitet.” Ein besseres Zusammenspiel wünscht sie sich aber auch unter den Kommunen, wenn es an die technische Umsetzung geht. “Wir spielen noch zu sehr über die Landesbande”, meint Berger, Referenz­ implementierungen aus einem anderen Land zu übernehmen,

sei nicht trivial, die Schwierigkeiten jeweils einzeln zu lösen nicht effizient. “Grundsätzlich wäre es zielführend, konsortial und in Entwicklungsgemeinschaften zu arbeiten.” Damit sprach Berger ein Thema an, das vielen noch Bauchschmerzen bereitet. Referenzlösungen sollen möglichst von vielen nachgenutzt werden, um doppelte Arbeit zu vermeiden. Einen Zwang gibt es dafür aber nicht. Damit ein einmal erfolgreich entwickelter Dienst überall einsetzbar ist, muss er sich auch technisch in die jeweils vorliegende IT-Architektur der Verwaltung einbinden lassen. Dafür bräuchte es einheitliche Schnittstellen sowohl aufseiten der Verwaltungsportale als auch aufseiten der internen Fachverfahren. Die grundlegenden Voraussetzungen

Übernahme und Adaption bereits vorliegender Lösungen zum Beispiel. Entscheidend sei, dass die Euphorie nun endlich in politische Taten umgemünzt würde.

Die Rechtsetzung anpassen Doch ergehen Entscheidungen der Exekutive bekanntlich nie im luftleeren Raum, sondern müssen sich in eine ganze Architektur bestehender Paragrafen und Gesetze fügen. Der Prozess der Rechtsetzung berge Probleme ganz eigener Art, sagt Dr. Rainer Holtschneider, Staatssekretär a. D. und derzeit aktives Mitglied des Nationalen Normenkontrollrates (NKR). “Oftmals können wir beobachten, dass Gesetze auf dem Weg in die Praxis ihren eigentlichen Zweck verfehlen.” Die Komplexität der deutschen Rechtsetzung mache es den Legisten zunehmend schwerer, noch wirksame und für die Verwaltung anwenderfreundliche Gesetze auf den Weg zu bringen, konstatiert Holtschneider. Das eigentliche Ziel, gute, d. h. wirksame, Gesetze zu erlassen, käme dabei abhanden. Eine Teilschuld sieht er bei der politischen Exekutive, die durch immer genauere Lösungswege – zum Beispiel in Koalitionsverträgen – den Spielraum für das Wie der Umsetzung durch Legisten verenge. In Zeiten der Digitalisierung, da auch die Rechtsetzung dynamischer werden müsse, sei das nicht hinnehmbar. In seiner beratenden Funktion habe der NKR darum im letzten Jahr ein Gutachten vorgelegt, das konkrete, auch auf einen digitalen Vollzug gerichtete Lösungen benenne. Deutliche Effizienzgewinne ließen sich so allein darüber erzielen, dass die Regierung, statt bei den Details der Umsetzung zu verharren, lediglich Ziele formuliere, die daraufhin mit modernen Software-Lösungen wie “E-Gesetzgebung” ausgearbeitet und anschließend in Gesetzgebungslaboren vertieft würden.

dafür, dass technisch alles ineinandergreife, seien derzeit aber noch nicht einmal für den Portalverbund gegeben. Hier wachse aber inzwischen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, versicherte BMI-Unterabteilungsleiter Bürger. Anders als der Portalverbund sind Standardschnittstellen in Richtung Fachverfahren allerdings keine OZG-Pflicht. “Ich habe Zweifel, dass der Einer-für-alle-Ansatz so funktioniert wie erhofft”, räumte Nordrhein-Westfalens LandesCIO Hartmut Beuß ein. Teils fehle noch der Überblick über die schon bestehenden Architekturen und Lösungen. Hier erhofft sich Beuß Besserung, wenn sich FITKO (Föderale IT-Kooperation) als “Transmissionsriemen für den Austausch auf technischer Ebene” etabliert. Die Anstalt öffentlichen Rechts hat zum Jahresbeginn die Arbeit aufgenommen und soll den IT-Planungsrat auf fachlicher Ebene unterstützen. Beuß machte aber auch keinen Hehl daraus, dass die Nachnutzung mit der Bereitschaft der Beteiligten steht und fällt: “Es gibt bei einigen durchaus Vorbehalte, Lösungen aus anderen Ländern zu übernehmen. Teils fehlt es auch einfach an Geduld, auf nachnutzbare Lösungen von woanders zu warten.”

Prioritäten setzen Die meisten Bundes- und Landesvertreter auf dem Kongress Digitaler Staat waren sich einig: Wenn bis 2022 nicht alle 575 Leistungen umgesetzt sind, geht die Welt nicht unter. “Es geht darum, spürbare Fortschritte für die Bürger und Unternehmen auf den Weg zu bringen”, betont Beuß. Wenn selten benötigte Dienste wie die Erteilung der Jagderlaubnis noch nicht online verfügbar seien, sei das zu verschmerzen.


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ie Freiheit zur Bestimmung wer, wann, wie auf meine Daten zugreifen kann”, so beschreibt der Vorsitzende des Open Source Business Alliance - Bundesverbands für digitale Souveränität e.V., Peter Ganten, den Begriff der digitalen Souveränität. Diese sei für die Sicherstellung unserer demokratischen Grundordnung von enormer Bedeutung. “Und ich sage, wir haben sie bisher nicht. Man muss den Weg der Daten komplett nachverfolgen können”, fordert Ganten. Es herrsche eine ungleiche Verteilung des Datenbesitzes und des Zugangs zu Daten. “Wir brauchen eine Datendemokratie”, fordert deshalb Jürgen Fritsche, Geschäftsleiter Public Sector bei msg, im Rahmen des Digitalen Staates in Berlin. Nach dem Motto “the winner takes it all” befänden wir uns auch heute in einer Form des Kolonialismus: dem Datenkolonialismus. Im Unterschied aber zur Historie brauche es heute keine Waffengewalt mehr, die Menschen gäben ihre Daten freiwillig heraus, so Fritsche. “Wir bezahlen sogar noch dafür und erhalten im Gegenzug ein Stück Bequemlichkeit durch Apps etc.” Er fordert deshalb eine Datendemokratie im Sinne von Open Data und Datensouveränität des Staates. Das Geschäftsmodell sollte nicht mehr in der Vermarktung der Daten liegen, sondern in dem Wissen, was aus ihnen gezogen werden kann. “Momentan gehören die Daten denen, die sie sammeln, das müssen wir ändern”, so Fritsche. So sollten Kommunen ihre gesammelten Daten nutzbar machen und

Digital, souverän, demokratisch Legitimität staatlichen Handelns in der Digitalgesellschaft (BS/Katarina Heidrich) Die Frage nach Gefahrenstellen für die Demokratie wird dieser Tage immer lauter. Auch auf den Bereich der Digitalisierung kann die Debatte übertragen werden: Wie demokratisch ist der Umgang mit Daten hierzulande geregelt? Bei wem sollte die digitale Souveränität im Sinne von Hoheit über die Daten liegen – bei Staat, Wirtschaft oder Bevölkerung? Die Meinungen gehen auseinander.

Andreas Gegenfurtner, Präsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk, will mehr Selbstbewusstsein bezüglich nationaler IT-Lösungen sehen. Foto: BS/Dombrowsky

vor allem mit Unternehmen zusammenarbeiten. E-Scooter beispielsweise sammeln umfassende Bewegungsdaten, keine einzige Kommune habe aber mit den Betreibern Verträge geschlossen, die den Zugriff auf diese Daten ermöglichen (mehr zum Thema Kommunale Daten auf Seite 13 dieser Ausgabe).

Staat hat Schutzpflicht Der ehemalige Ministerpräsident Hessens, Prof. Dr. Roland Koch, spricht im Rahmen des Digitalen Staates in Berlin von

einer “unterentwickelten” Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland bezüglich der digitalen Souveränität. Während hierzulande beim Datenschutz der Fokus auf die Datenerhebung gelegt werde, fokussierten andere Staaten auf die Nutzung der Daten. Institutionelle wie auch lebensweltliche Rahmenbedingungen würden sich so rasant ändern, dass die Frage nach privater oder staatlicher Souveränität über die Daten wichtiger werde, so Koch. “Privat erwarte ich vom Staat, dass er sich raushält, wem ich

“Gut, dass diese Veranstaltung stattfindet!” (BS/gg) Auch in diesem Jahr war das Kosmos, das ehemalige Premieren-Kino aus DDR-Zeiten, wieder Austragungsort des Verwaltungskongress Digitaler Staat. In der Location wurden an beiden Veranstaltungstagen im Hauptprogramm, zahlreichen Fachforen und einer Reihe von Side Events intensiv über die ganze Bandbreite der Themen der Digitalisierung von Staat und Verwaltung diskutiert, oftmals auch entlang der drei inhaltlichen Schlaglichter des diesjährigen Kongresses – agil, legitim und elegant. Obwohl die Ausbreitung des Coronavirus natürlich auch in vielen Gesprächen auf dem Kongress ein Thema war, platzte der Hauptvortragssaal zur Eröffnungsrede von Staatsministerin Dorothee Bär wieder aus allen Nähten. Ein vielseits geäußertes Feedback vor Ort: “Gut, dass diese Veranstaltung stattfindet!” Für entsprechende Hygienemaßnahmen etc. war vom Veranstalter natürlich gesorgt worden. In der begleitenden Ausstellung, die an zahlreichen Stellen des Veranstaltungsortes zu finden war, gab es neben einer Vielzahl an digitalen Lösungen, Strategien und Konzepten auch Exponate zum Anfassen. Der nebenstehend abgebildete Lego-Aufbau nötigte schon allein aufgrund seiner Architektur vielen (ehemaligen) Baumeistern einigen Respekt und Bewunderung ab. Der Digitale Staat ist seit jeher eine Plattform des Dialogs und des Netzwerkens. Eine besondere Form des Zwiegesprächs gab es in diesem Jahr erstmals auf dem “Grünen Sofa”. Hier wurden zahlreiche führende Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft vor laufender Kamera zu verschiedenen Fragestellungen rund um die Verwaltungsdigitalisierung befragt. So auch der grüne Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende seiner Fraktion, Konstantin von Notz (Bild), der sich den Fragen von Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll stellte.

Fotos: BS/Dombrowsky

welche Daten gebe.” Die User würden zwar freiwillig immer mehr Daten von sich preisgeben, der Staat habe aber trotzdem eine gewisse Schutzpflicht. Mit Blick auf die USA erklärt der Ministerpräsident a. D., dass der Staat bei der Datennutzung auch mit Unternehmen zusammenarbeiten könne – so wie es zwischen amerikanischen Gesundheitsbehörden und Google geschehe – etwa zu Informationszwecken. Prof. Dr. Wilfried Bernhardt, Honorarprofessor für Internetrecht an der Universität Leipzig, plädiert dafür, dass der Staat seine Steuerungsfunktion wahrnehmen solle. Gleichzeitig müsse man aber auch über eine neue Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft nachdenken. “Was spricht etwa dagegen, die Rechenzentren in private Hand zu geben? Es wäre gut, hier zu einem neuen Freiraum für die Wirtschaft zu kommen.” Aufgabe des Staates sei es aber, die Rahmenbedingungen und “die großen Ziele der Digitalisierung” festzulegen. Insgesamt, so Koch, gelte für die Digitalisierung: “Das Erreichen des Zieles ist wichtiger als die künstliche Korrektheit des Weges.”

wolle man souverän sein. Für die Bundeswehr etwa seien Unabhängigkeit, Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit wichtige Parameter der digitalen Sou-

den, was das Beste sei. Sich nur auf die nationale Zugehörigkeit eines Unternehmens zu verlassen, halte Ganten nicht für den richtigen Weg. “Warum nicht Lösungen von vertrauenswürdigen Partnern kaufen?” Vertrauenswürdig ist, seiner Meinung nach, derjenige, der alles offenlegt. Krosta-Hartl hingegen meint, das Problem sei nicht die Vertrauenswürdigkeit, sondern, dass Unternehmen anderen Regeln unterliegen. Es bräuchte

Jürgen Fritsche, Geschäftsleiter Public Sector bei msg, spricht sich auf dem Digitalen Staat für eine Datendemokratie aus. Foto: BS/Dombrowsky

veränität. “Wobei für die Verteidigung das Augenmerk auf Vertrauenswürdigkeit liegt”, so Eder. Es brauche eine Veränderung des Mindsets, auch bezüglich der Offenheit von Politik und Verwaltung.

Änderungen in der öffentlichen Beschaffung, um den Marktzugang auch deutschen Innovationen zu ermöglichen. Eder fügt hinzu, dass neben Schlüsseltechniken ebenfalls Schlüsselfähigkeiten benötigt werden, die

Wie seit soll Kooperation gehen? Digitale Souveränität sollte mit vertrauenswürdigen globalen Partnern gemeinsam umgesetzt werden, meint Susanne Dehmel, Mitglied der Geschäftsleitung beim Digitalverband Bitkom. Man müsse den Mittelweg zwischen digitaler Autarkie und digitaler Abhängigkeit gehen. Auf die Frage, ob Deutschland souverän sei oder nicht, gäbe es keine einheitliche Antwort für alle Bereiche, so Dehmel. Pamela Krosta-Hartl, Vizepräsidentin Corporate Communications & Affairs bei Lancom Systems, warnt hingegen: “Die technologische Abhängigkeit macht uns extrem verwundbar.” Dies wurde zuletzt im Rahmen des NSASkandals in der Öffentlichkeit bewusst. “Wir wurden abgehört von Staaten, von denen man es nicht erwartet hätte und genau aus diesen Staaten kommt die Technik, die wir nutzen”, so Krosta-Hartl. Das Problem dabei sei allerdings eine ablehnende Haltung gegen Eigenentwicklungen in Deutschland auf der einen Seite, betont Tobias Eder von Infodas. Auf der anderen Seite

Dr. Roland Koch, Hessens Ministerpräsident a. D., spricht sich für private und staatliche Datensouveränität gleichermaßen aus. Foto: BS/Dombrowsky

Auch Krosta-Hartl moniert, dass es das “buy american”Prinzip, welches in den USA Gang und Gäbe sei, nicht auch in der Form in Staat und Verwaltung in Deutschland gebe. “Da kommen ausländische Anbieter gar nicht erst rein.”

Buy german only? Ganten hält dagegen: “Ich halte nichts von protektionistischen Themen. Wir müssen gucken, dass wir auf einem internationalen Markt bestehen können und dafür die besten Lösungen nutzen können.” Dafür müsse aber zunächst definiert wer-

Techniken nutzen zu können aber auch einzuordnen in eine größere Strategie. Hierfür müsste mehr in die Bildung investiert werden. Andreas Gegenfurtner, Präsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk (BDBOS) betont: “Ich hoffe, ich verrate jetzt kein Geheimnis, aber die ganz großen ausländischen Player lassen ihre wirklichen IT-Probleme hier in Deutschland lösen und zwar von mittelständischen Unternehmen mit 500, 700, 1.000 Mitarbeitern. Das zeigt, dass wir mehr Selbstbewusstsein haben sollten, was unser Knowhow angeht.”


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abei müsse der Öffentliche Dienst die eigene Digitalisierung unbedingt selbst vo­ rantreiben. Wenn er hier nicht proaktiv tätig werde, drohe er national wie international den Anschluss zu verlieren. Davor warnt Dr. Markus Richter. Seine Behörde müsse sich permanent selbst reflektieren und kontinuierlich weiterentwickeln, so der Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In der Flüchtlingskrise, die 2015 begann, hätten die BAMF-Mitarbeiter rasch lernen müssen, mit Disruptionen und Agilität umzugehen. In diesem Zusammenhang konstatierte Richter allerdings auch: “Die Verwaltung in Deutschland ist oftmals besser als ihr Ruf.”

Ohne Eigenantrieb geht es nicht Digitalisierung auch selbst als Aufgabe begreifen (BS/Marco Feldmann/Kilian Recht) Der Erfolg von Innovationsprozessen im öffentlichen Sektor ist von zahlreichen internen und externen Faktoren abhängig. Auch die Verwaltung selbst muss entsprechende Vorhaben vorantreiben. Aktion statt Reaktion ist gefragt. Doch daran hapert es manchmal noch.

Agile Organisation erlebbar machen

Silodenken überhaupt nicht förderlich Problematisch sei im Öffentlichen Dienst jedoch das Silodenken. Dies führe dazu, dass Wege mehrfach beschritten und Fehler einsam wiederholt würden, bemängelt Vincent Patermann. Hinzu komme, dass es in der öffentlichen Verwaltung oftmals an Vernetzung mangele, so der Geschäftsführer des “Netzwerks: Experten für die digitale Transformation der Verwaltung” (NExT). Dies erschwere teilweise auch das Zusammenkommen gleichgesinnter Personen zur Realisierung eines innovativen Projektes, findet Patermann. Hier könne NExT unterstützen, das sich an Mitarbeiter in Bund, Ländern und Kommunen richte und sich selbst als gemeinnützige Plattform aus der Verwaltung für die Verwaltung verstehe. Vorteilhaft sei dabei, dass der Zusammenschluss weder Behörde noch Forschungseinrichtung sei. Außerdem veranstalte NExT bundesweit Impulsveranstaltungen, erläutert der IT-Direktor der Bundesnotarkammer, Dr. HansGünter Gaul. Diese seien enorm wichtig, ergänzt der CIO der Kommunalen Unfallversicherung Bayern, Jürgen Renfer. Denn: “Ohne Vernetzung funktioniert die Verwaltungsdigitalisierung nicht.”

ScienceLab der Universität Hamburg unterstreicht, dass für eine agile Verwaltung alle Mitarbeiter mitgenommen werden müssten. Monokulturen hingegen verhinderten Agilität und Innovation. Thoneick ist sich mit Blöcher und Verenkotte einig, dass Innovation und agile Verwaltung Interdisziplinarität, Diversität und Freiräume benötigen.

Angeregter Austausch über agile Arbeitsmethoden in der öffentlichen Verwaltung (v. l. n. r.): Jan-Ole Beyer, Dr. André Göbel, Sonja Anton, Anika Wilczek, Jörg Steiss und Tatiana Herda Muñoz (Moderatorin)

Darüber hinaus komme es für das Gelingen dieses Prozesses entscheidend darauf an, IT-Spezialisten attraktive Angebote zu machen und sie damit möglichst lange im Öffentlichen Dienst halten zu können. Darauf weist Roland Obersteg, Abteilungsleiter Führung im Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr, hin. Um dies tatsächlich zu schaffen, müsse die öffentliche Hand – auch was die Bezahlung betreffe – konkurrenzfähig zur Privatwirtschaft werden. Hier brauche es zunächst jedoch Reformen im Beamten- und Soldatenrecht, meint der Flottillenadmiral. Auch brauche es für mehr Agilität in der Verwaltung dort die Bereitschaft, die eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen, findet Maria Blöcher, Leiterin des Fellowship Programms bei Work4Germany. Und auch im Übrigen brauche es ein Umdenken. Denn erfolg-

reiche Innovationsprozesse seien eine Sache des Kopfes und nicht zwangsläufig von technologischen Voraussetzungen abhängig. Ebenso komme es da­ rauf an, dass die entsprechenden Prozesse von innen, also aus der Verwaltung selbst heraus, getrieben würden.

Motivation, Methodik, messbare Ziele Davon zeigt sich Aydan Portakaldali überzeugt. Sie ist im Digital Innovation Team des Bundesinnenministeriums (BMI) tätig. Für Innovationen müssen aus ihrer Sicht mehrere Faktoren erfüllt sein. Dazu gehörten unter anderem Motivation, Methodik und messbare Ziele. Ebenso komme es auf genügend Freiräume und eine gelebte Fehlschlagskultur sowie eine radikale Nutzerzentrierung im Zuge des Digitalisierungsprozesses an. Seien all diese Voraussetzungen erfüllt und Faktoren gegeben, sei agi-

Wer könnte das wissen? Trendreport Digitaler Staat zu Wissensmanagement

Sieht die öffentliche Verwaltung immer noch erheblich durch Strukturen und Hierarchien geprägt: Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungsamtes. Fotos: BS/Dombrowsky

les Arbeiten das genaue Gegenteil von chaotischem Arbeiten. Bei Innovationslaboren sei es zudem wichtig, möglichst viele unterschiedliche Mitarbeiter und Perspektiven einzubeziehen, so Portakaldali weiter. Derzeit gelte aber oftmals noch, so der Präsident des Bundesverwaltungsamtes (BVA), Christoph Verenkotte: “Die Welt der öffentlichen Verwaltung ist immer noch stark durch Strukturen und Hie­rarchien geprägt.” Agil werden könne die öffentliche Verwaltung nur durch Überzeugungsarbeit bei den einzelnen Mitarbeitern. Von oben herab, im Sinne eines Top-downAnsatzes, sei die Reform zum Scheitern verurteilt, erklärt der BVA-Präsident.

Innovationslabore gemeinsam betreiben Des Weiteren sei es von Bedeutung, Nutzer möglichst frühzeitig in Digitalisierungsprozesse einzubeziehen und in Innovationslaboren Freiräume für kreative Ideen anzubieten, erklärt Prof. Dr. Moreen Heine

vom Joint Innovation Lab der Universität Lübeck. Dort werde ein menschenzentrierter Ansatz verfolgt. Die Bedeutsamkeit einer solchen Herangehensweise unterstreicht auch der Chief Technology Officer (CTO) der BWI, Matthias Görtz. Die Einrichtung in Schleswig-Holstein werde darüber hinaus gemeinsam von Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft getragen, ergänzt Heine. Dieser Ansatz müsse den Mitarbeitern immer wieder verdeutlicht werden, findet die Forscherin. Denn nur wenn klar sei, dass Innovationslabore gemeinsam mit der Verwaltung und nicht für diese betrieben würden, könnten Vorbehalte aufseiten der Mitarbeiter abgebaut werden. Ähnliches zur Ausgestaltung und Ausrichtung derartiger Einrichtungen ist von Dr. Rubina Zern-Breuer von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer sowie Dr. Thorsten Faber, Principal Consultant beim IT-Dienstleister msg, zu hören. Und Rosa Thoneick vom City­

Außerdem komme es darauf an, Realitätsschocks rasch zu verarbeiten. Ständig müsse auf neue Situationen reagiert und sich angepasst werden, so Jan-Ole Beyer, Leiter der Projektgruppe “Konzeption und Aufbau eines Digital Innovation Teams” im BMI. Ob denn auch die öffentliche Verwaltung so agil werden müsse, bezweifelt Sonja Anton von Tech4Germany. Offizielle Prozesse hätten ihren Sinn und schützten beispielsweise vor Vetternwirtschaft. Doch einzelne agile Aspekte sollten auch im öffentlichen Sektor verankert werden. Dabei würden schon kleine Veränderungen reichen, wie das aktive Einholen von Feedback und ein vermehrter Einsatz von Evaluationen. Kleine Meilensteine zu definieren und einzelne Entscheidungsschritte zu gehen, sei das Mittel zum Erfolg, ergänzt Dr. André Göbel, Geschäftsführer der DigitalAgentur Brandenburg. Es brauche keine allumfassende Komplettlösung, um die Verwaltung agil zu machen, vollendet Anton. Anika Wilczek, Executive Director bei Aperto, sagt mit Blick auf agile leadership, dass es ihr schwergefallen sei, die eigenen Vorstellungen hintanzustellen und ein Team passiv zu coachen, ohne direkt einzugreifen. Doch vom Mut zu Kontrollverlust und fehlertolerantem Probieren lebe Agilität, meint Göbel. Würde dabei eine Regel verletzt, müsse hinterfragt werden, ob sie noch den Zielen der Organisation entspräche. Jörg Steiss, General Manager bei Corel MindManager, appelliert an die öffentliche Verwaltung: “Fangt einfach an und macht!”

Verwaltung richtig verkaufen

(BS/gg) Wer könnte das wissen? Oder: Wer hat das schon mal gemacht? Wem begegnen diese Fragen nicht auch immer wieder im Arbeitsalltag. Und sie könnten künftig noch häufiger gestellt werden, denn die AuswirEmployer Branding soll Nachwuchskräfte in Behörden bringen kungen des demografischen Wandels werden den öffentlichen Sektor in den nächsten Jahren massiv treffen. Mit den Menschen geht oftmals auch das Wissen verloren, das auf dem Weg der Digitalisierung dringend (BS/Kilian Recht) Hat Ihre Behörde eine eigene Marke? Um sich im Wettbewerb um qualifiziertes Personal benötigt wird. Vor diesem Hintergrund hat Prognos in Zusammenarbeit mit dem Behörden Spiegel den aktu- abzusetzen, brauchen Sie eine. Wie Employer Branding umgesetzt wird, zeigen Studierende im Rahmen der ellen Trendreport Digitaler Staat dem Thema Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung gewidmet. Projektstudie “Perspektive Beruf öffentlicher Dienst” der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Mit diesem Thema knüpft Pro­ gnos an die Trendreports vorheriger Jahre an, in denen unter anderem der Weg zur digitalen Organisation skizziert wurde (2018) oder die Hürden der Digitalisierung der Verwaltung aufgezeigt wurden (2019). In diesen Trendreports wurde festgestellt: Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Wissensmanagement ist ein wichtiger Baustein für die Umsetzung der digitalen Transformation, für die Fachwissen und Erfahrung notwendig ist. Folgende Fragen stehen im Trendreport 2020 im Fokus: • Welches Wissen haben wir? • Welches Wissen brauchen wir? • Wie kann das Wissen wachsen? • Wie schaffen wir eine Kultur, Wissen zu teilen? • Wie nutzen wir das Wissen?

Strategie, kann über Tools sowie die Fort- und Weiterbildung von Personal nachgedacht werden. Die Ausgangsfrage aber lautet immer: Was braucht meine Organisation? Die Studienautorinnen und -autoren widmen sich folgenden zentralen Bausteinen des Wissensmanagements: • Wissen identifizieren, • Wissen bewahren und transferieren, • Wissen erwerben, • Wissen entwickeln, • Wissen teilen und vernetzen, • Wissen nutzen.

Im Trendreport Digitaler Staat 2020 können Interessierte erfahren, welche Unternehmenskultur die Voraussetzung für ein erfolgreiches Wissensmanagement ist, welche Tools zur Verfügung stehen und wie sie in zwölf Schritten zu einem systematischen Wissensmanagement gelangen.

Bausteine des Wissensmanagements Es gibt viele Wissens-Arten: Fachwissen, strategisches Wissen, Methodenwissen, Erfahrungswissen, Prozesswissen, explizites und implizites Wissen. Wie dieses Wissen sinnvoll genutzt, bewahrt und (weiter-) entwickelt wird – also das Management des Wissens –, ist eine strategische Aufgabe. Steht die

Mehr zum Thema Wie bereits in den vergangenen Jahren, so wurde der neue Trendreport auch in diesem Jahr durch Marcel Hölterhoff, Bereichsleiter Managementberatung bei Prognos, der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Foto: BS/Dombrowsky

Der aktuelle Trendreport Digitaler Staat 2020 sowie die vorherigen Ausgaben der Publikation ­stehen unter www.digitaler-staat.org/ trendreport zum Download zur Verfügung.

Felicia Ullrich, Marketingexpertin von U-Form, leitet ein und klärt auf: Die Marktmacht habe sich verändert. Junge Leute auf Ausbildungsplatzsuche hätten zunehmend mehr Wahlmöglichkeiten, was ihren zukünftigen Arbeitgeber betreffe. Diese seien folglich darauf angewiesen, gute Überzeugungsarbeit zu leisten, um junge Leute für sich zu gewinnen. Das Problem: Die Marke fehle. Menschen entschieden sich im Zweifel eher für ein Markenprodukt, schließlich gebe es ihnen Sicherheit. Sicherheit sei in den aktuellen Krisenzeiten auch einer der größten Vorteile, den Behörden potenziellen Arbeitnehmern anbieten könnten. Es fehle Behörden nämlich nicht an Vorzügen. Diese würden lediglich mangelhaft kommuniziert. Dabei käme es darauf an, die Bedürfnisse der beworbenen Generation anzusprechen. Neben einem sicheren Arbeitsplatz könne die Verwaltung sinnstiftende Tätigkeiten bieten. Man tue schließlich etwas für das Land. Diese Bedingungen würden hervorragend zu den Bedürfnissen der Digital Natives passen. Es gelte lediglich noch, diese vernünftig zu vermitteln, in Stellenausschreibungen, Home-

pageauftritten und in sozialen Medien. Dabei komme es aber auch auf die Art der Kommunikation an. Junge Leute legten Wert auf kurze und schnelle Kommunikation. Dies müsse Teil des Brandings sein. Mit sich über Monate hinweg erstreckenden Bewerbungsprozessen verliere man den Anschluss. Außerdem müsse eine sympathische und angenehme Arbeitsatmosphäre geschaffen werden. Dies beginne schon beim Bewerbungsgespräch.

Studierende zeigen, wie es laufen muss Konkrete Maßnahmen des Employer Brandings für die öffentlichen Verwaltung haben die Studierenden der HWR Berlin erarbeitet. Sie stellten Konzepte für die DigitalAgentur Brandenburg sowie die Rechnungshöfe von Berlin und Hessen vor. Ihre Handlungsweisungen zur Nachwuchsgewinnung unterteilen sich in solche zur Außenwirkung und solche zu innerbetrieblichen Veränderungen. Die öffentliche Darstellung geht vor allem mit Umgestaltungen der Homepages einher. Freundliche Bilder von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf den

Startseiten schaffen einen positiven Ersteindruck. User Storys erzählen vom Arbeitsalltag und schaffen Nähe zum potenziellen Bewerber. Ein Newsletter hält den Bewerberpool über Stellenangebote informiert. Außerdem werden Bildkampagnen in andere städtische Homepages integriert sowie der Auftritt in Jobbörsen wie Xing und LinkedIn forciert. Die behördeneigenen Vorteile sollen somit zielgruppenspezifisch auf vielen Wegen kommuniziert und die Marke im Recruiting etabliert werden. Dabei nicht zu vergessen sei jedoch auch der Blick auf die gesamte Belegschaft. Ständiger Dialog und ein aktives Vorleben von Werten schaffe Verständnis für Veränderungen. Ständige Evaluation sowie neue Kommunikationsformate sollen eine positive Arbeitsatmosphäre schaffen. Der Austausch könne per verbessertem Intranet oder in moderierten Mittagsrunden stattfinden. Frei beschreibbare Flächen in den Büros böten Platz für Vorschläge. Diese Arbeitsbedingungen sollten ebenso kommuniziert werden. Einige Vorschläge der Studierenden wurden bereits von den Behörden angenommen und implementiert. Weitere sollen folgen.


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n der Praxis sei Künstliche Intelligenz allerdings sowieso noch nicht im absoluten Fokus angelangt. Natürlich komme der Einsatz dieser Technologie immer mehr in Fahrt, aber aktuell sei die Automatisierung weiterhin als deutlich wichtigeres Werkzeug anzusehen. Denn diese Technik sei aktuell sowieso schon fast überall zu finden, wie beispielsweise in Verkehrssteuerungssystemen und bei Bewohnerparkausweisen, so Dr. Mike Weber, stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT) beim Fraunhofer-Institut FOKUS. KI komme langsam aber auch mehr und mehr in der Verwaltung an, wie in der Dialekterkennung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Insgesamt “überschneiden sich die Aufgabenfelder von KI und Automatisierung an vielen Stellen sowieso. Künstliche Intelligenz ist dabei ein unterstützendes Element für die Automatisierung – die Automatisierung ist aber das, wo der konkrete Nutzen drin liegt.” Woran es entwicklungstechnisch heute noch fehlt, sind die notwendigen Ressourcen sowie die Unterstützung des Gesetzgebers, um das Thema in Schwung zu bringen, erklärt Jan Etscheid, Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Aber nicht nur die Experten, sondern auch die Verwaltungsmitarbeiter sind skeptisch bei der Frage, wie gut die Verwaltung in Deutschland für KI und verwandte Technologien aufgestellt ist. In einer Teilnehmerumfrage im Rahmen des Digitalen Staates gaben insgesamt 62 Prozent und damit fast zwei Drittel der Anwesenden der Verwaltung die Schulnoten Vier oder Fünf bezüglich dieser Frage.

Automation als Effizienzstütze Das Ergebnis steht in starkem Kontrast zu den Erwartungen, die man in der Verwaltung an die Einführung assistierender ebenso wie vollständig autonom agierender Systeme hat. Auf die Frage hin, was man mit Prozessautomatisierung assoziiere, sprach sich die Mehrheit unter den Verwaltungsmitarbeitern für Vereinfachung und Effizienz aus. Die Einschätzung gebe zu erkennen, dass die Potenziale der Automation richtig eingestuft würden, sagt Ralph Giebel, Sales Manager/Director Public Sector – DACH, UiPath. Das gelte zumal für die Übertragung als lästig empfundener Gewohnheitsaufgaben: “Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent der Arbeitszeit auf Routinearbeiten entfällt. Meist unattraktive und daher fehleranfällige Prozesse. Von diesen 20 Prozent lassen sich wiederum 80 Prozent automatisieren, wodurch

Künstliche Intelligenz als Werkzeug Einsatz der Schlüsseltechnologie darf kein Selbstzweck sein (BS/Wim Orth/Thomas Petersdorff) Neben der Blockchain ist die Künstliche Intelligenz (KI) seit einer Weile schon das große Hype-Thema in der Digitalisierung. Doch während die Diskussion über ihre breit gefächerten Anwendungsmöglichkeiten immer neue Triebe hervorbringt, ist nur wenigen bekannt, dass “die KI” als solche gar nicht existert. Stattdessen gibt es zahlreiche Facetten der KI, die jeweils ihre eigene Betrachtung erfordern. beim Personal Kapazitäten noch frei werden, die an anderer Stelle dringender gebraucht werden”, so Giebel. In Zeiten der Digitalisierung habe der Wissens- den Sacharbeiter klassischen Formats abgelöst, stimmt Thomas Telgheider, Senior Manager Sales Consulting Central, Informatica, ein. Noch sehr viel stärker als in der analogen Welt müsse das Personal in der Verwaltung heute ermächtigt werden, Entscheidungen treffen zu können. “Das Moment der Handlung wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Wo Routinearbeiten vermehrt durch voll- oder teilautomatisierte Systeme übernommen werden, wird die menschliche Entscheidungskompetenz immer wichtiger werden. Das kann keine Maschine übernehmen.” Dem pflichtet Christian Wolter, Referent im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei. Die Trennung von intelligenter Zuarbeit und selbstständiger Entscheidung sei umso wichtiger, als die Digitalisierung ein laufender Prozess sei, der nicht mit einem Mal aufhöre. Was die Implementierung automatisierter Lösungen anbelangt, rät Wolter dazu, klein anzufangen. “Es bringt absolut nichts, ins Blaue hinein zu automatisieren. Selbst vermeintlich einfache Aufgaben wie die Urlaubskoordination bergen eine Komplexität, die mit jedem Schritt ins Uferlose wachsen kann.” Empfehlenswert sei es darüber hinaus, sich der Herausforderung zunächst mit einigem Abstand, aus der Vogelperspektive, anzunähern. Erst wenn ein Überblick über alle Prozessbestände bestehe, könne man sich an jene Prozesse wagen, die einen

Prof. Dr. Katharina Anna Zweig, die Leiterin des Algorithm Accountability Lab der Technischen Universität Kaiserslautern, warnt davor, KI als alternativlos anzusehen. Stattdessen solle man daran arbeiten, mithilfe von Daten sinnvolle Entscheidungsgrundlagen für die eigenen Mitarbeiter zu schaffen Fotos: BS/Dombrowsky

konkreten Nutzen versprechen. Für ein Gelingen sei es dabei von entscheidender Bedeutung, die Expertise der Mitarbeiter einzuholen, denn diese wüssten stets am besten, in welchen Bereichen die größten Potenziale verborgen liegen.

Keine Angst vor Innovation Um mehr Akzeptanz in der Verwaltung, aber auch bei den Bürgern, für das Thema zu erreichen, spricht sich auch die Geschäftsführerin der Initiative D21, Lena Sophie Müller, dafür aus, die Künstliche Intelligenz mehr als Werkzeug zu sehen statt als komplett alleinstehende Technologie: “Grundsätzlich ist vor allem wichtig, dass wir zu einer Ko-Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine kommen. Es gibt Dinge, die die KI besser kann, aber eben auch viele Dinge,

An der Schwelle zum Verwaltungsmitarbeiter neuen Typs: Bedingt durch die Delegation von Routineaufgaben an automatisierte Assistenzsysteme werden Wissens- und Entscheidungskompetenzen in der Verwaltung immer wichtiger, sagt Thomas Telgheider.

die die KI deutlich schlechter kann als der Mensch.” Dabei müsse sich die öffentliche Hand immer wieder bewusst machen, dass man durch den hoheitlichen Charakter vieler Aufgaben in ganz besonderer Weise eine Verantwortung gegenüber den Daten der Bürger trage. Das sollte die Verwaltung allerdings nicht davon abhalten, die Technologien auf verantwortungsvolle Art und Weise zu nutzen. Dabei sieht Müller auch das oft als Problem herausgestellte Training der Systeme nicht als kritisch an: “Um KI zu trainieren, braucht es zwar Daten, aber in den meisten Fällen müssen das gar keine Daten mit Personenbezug sein”, erklärt die D21-Geschäftsführerin. Viel komplizierter sei es stattdessen, die Daten so aufzubereiten, dass KI und andere Systeme nicht von Anfang an mit systembedingten Bias, also vorurteilsbehafteten Informationen, gefüttert würden: “Um ein Urteil zu bilden, kann die KI ja nur mit den bestehenden Daten der Vergangenheit arbeiten. An dieser Stelle ist immer die Gefahr, dass man diese Daten als neutral ansieht, da es in einem Computersystem alles immer so schön sachlich aussieht. Daher braucht es ein aktives Gegensteuern aus den Teams der Datenanalysten, um Bias so gut wie möglich auszuschließen.” Auch Fabian Schladitz, Leiter des Center of Excellence for Artificial Intelligence, sieht die Künstliche Intelligenz nicht als Selbstzweck, sondern stattdessen als eine Art Exoskelett für die erfolgreiche Automatisierung

in der öffentlichen Verwaltung: “Dabei geht es vor allem darum, schwere Denkaufgaben für die Sachbearbeiter zu erleichtern. Wichtig ist aber auch, die Personalvertretungen der Häuser mit in die Planung einzubeziehen, um von Vornherein für Akzeptanz in der Belegschaft zu sorgen.” Zudem müsse die Nützlichkeit messbar und für Mitarbeiter sowie, je nach Anwendung, auch für Außenstehende darstellbar sein: “Bis man in den Realbetrieb geht, sollte man daher eine Complianceund Risikoanalyse durchführen sowie alle organisatorischen und technischen Voraussetzungen geklärt und erfüllt haben”, empfiehlt Schladitz.

KI-Einsatz muss demokratisch legitim ablaufen Die meistgenutzte Anwendung im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist dabei das Maschinelle Lernen, das in simpler Form bereits seit den 1950er Jahren angewandt wird, erklärt Prof. Dr. Katharina Anna Zweig, die Leite-

sen, um Sprachassistenten und Chat Bots richtig betreiben zu können, die aus diesen weichen Datensätzen sinnvolle Antworten generieren können. Besondere Vorsicht ist dagegen geboten, wenn es um Entscheidungen geht, die richtungsweisende Wirkung haben können. Bislang sei bei den meisten KISystemen kaum nachvollziehbar, wie sie aus den Datenpools ihre Entscheidungen herleiten. Daher müsse hier ein transparentes, funktionierendes System geschaffen werden und gleichzeitig Vorbehalte in der Bevölkerung vorab abgebaut werden, betont die Professorin: “Die Menschen fürchten sich häufig vor Scoring-Verfahren und Klassifikationen. Dabei haben wir auch im analogen Raum schon lange solche Systeme, wenn wir nur mal an unseren Schufa-Score und die Klassifizierung in der Versicherung denken.” Es müsse jedoch dringend für den Bürger ersichtlich sein, wie sich ein Score berechnet und wie man diesen als Person durch das eigene Verhalten proaktiv wieder selbst ändern kann, so die Forscherin. Wenn diese Nachvollziehbarkeit und Transparenz jedoch sauber umgesetzt werden, könne KI durchaus helfen, intrinsische Diskriminierungen im Gesamtsystem einer Anwendung auszumerzen, so Zweig: “Bei einer Arbeitsmarktberechnung in

Fordert die Verwaltung zu mehr Mut bei der Nutzung neuer Technologien wie der Künstlichen Intelligenz auf: Lena Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21. Auch wenn der Staat eine besondere Verantwortung gegenüber den Daten der Bürger trage, dürfe das kein Hemmschuh gegenüber der Innovation sein. Fotos: BS/Dombrowsky

rin des Algorithm Accountability Lab der Technischen Universität Kaiserslautern: “Im Grunde geht es beim Maschinellen Lernen darum, dass menschliche Kategorisierungen in Systeme implementiert werden. Früher waren das harte Regeln mit klaren Entscheidungen, aber heute müssen die Regeln immer weicher werden, um möglichst dynamische Entscheidungen zu ermöglichen.” Dabei gehe es heute beispielsweise um Übersetzungen, Erkennung von Audio und Bildern sowie semantische Textanaly-

Österreich wies das System beispielsweise gewissen Gruppen ein höheres Risiko zu, keine Chance mehr am Arbeitsmarkt zu haben. Solche Ergebnisse kann man anschließend nutzen, um den Markt an sich nachzujustieren.” Abschließend sei wichtig, dass KI nicht als alternativlos angesehen werde. Stattdessen müsse man versuchen, anhand von Daten gut austarierte Entscheidungsregeln für die Mitarbeiter zu erarbeiten und KI an den richtigen Stellen zur Arbeitsentlastung zu nutzen.


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abei sei die Daseinsvorsorge als ganzheitliche Aufgabe anzusehen, denn einen Dorfladen oder einen funktionierenden Personennahverkehr könne keine App der Welt ersetzen. Dennoch brauche es eine Basisinfrastruktur – und diese fehle an vielen Stellen, erklärt Prof. Dr. Gabi Tröger-Weiß vom Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung an der Universität Kaiserslautern: “Das Ganze ist insofern eine schwierige Situation, als dass die Daseinsvorsorge eigentlich eine Pflicht des Staates ist, aber der Telekommunikationsmarkt ein privater ist. Daher sollte zumindest bei Förderprogrammen darauf geachtet werden, dass statt Leuchtturmprojekten vor allem der Fokus auf Nachhaltigkeit gesetzt wird.” In die gleiche Kerbe schlägt auch Dr. Kay Ruge, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag (DLT). Er fordert ebenfalls nachhaltige Förderprogramme, denn fehlende Planungssicherheit im finanziellen Bereich sei eines der Hauptprobleme, besonders für kleinere Kommunen. Zudem sei es essenziell, den Wust der Förderprogramme sinnvoll zu entschlacken, damit man überhaupt noch einen Durchblick bekomme: “Aktuell ist es einfach viel zu viel für die verschiedensten Zwecke. Der Fakt, dass man sich Förderlotsen fördern lassen kann, ist das beste Beispiel für den Irrsinn, der aktuell bei den Förderprogrammen herrscht”, so der DLT-Mann.

OZG als einziges Gemeinschaftsprojekt

Schluss mit der Projektitis Smarte Lösungen müssen in die Fläche gebracht werden (BS/wim) Um schnelles Internet nicht nur in Ballungszentren zu etablieren, sondern endlich auch den ländlichen Raum an die schnelle und digitale Infrastruktur anzubinden, sind Förderprogramme und Best-Practice-Modelle für 5G- und Breitband-Ausbauprojekte derzeit in aller Munde. Für viele Kommunen, vor allem im Süden und Osten der Republik, fühlen sich Phrasen rund um die innovativen Technologien “bis zur letzten Milchkanne” allerdings fast schon wie blanker Hohn an. Vielerorts wäre man stattdessen schon dankbar, in der Fläche wenigstens auf 3G- oder 4G-Netze zurückgreifen zu können. Langsames Internet ist für die Bewohner der Kommunen nämlich nicht nur lästig, sondern schließt ältere Bewohner zunehmend von der Daseinsvorsorge aus und führt zudem gerade in der jüngeren Generation direkt in die Landflucht.

Forderten auf dem Digitalen Staat gemeinsam eine Abkehr von der deutschen “Projektitis”: Der NEGZ-Vorstandsvorsitzende Dr. Sönke Schulz (rechts) und Dr. André Göbel, Geschäftsführer der DigitalAgentur Brandenburg. Statt mit immer neuen Piloten müsse endlich mehr darauf hingearbeitet werden, dass gute Lösungen eine realistische Nachnutzung durch andere Akteure der Verwaltung erfahren könnten. Fotos: BS/Dombrowsky

Innovationen verbindlich umzusetzen. So was braucht es hier auch; wenn man beispielsweise die E-Akte gesetzlich vorschreiben würde, wäre die Umsetzung auch nicht so zäh und langwierig.” Dem DLT-Beigeordneten fehlt in der Diskussion eine gesamtstaatliche Perspektive bei der Digitalisierung allgemein, im Speziellen, aber vor allem bei der digitalen Daseinsvorsorge.

auf dem Land, so die Forscherin: “Wir müssen uns klar machen, dass es bei der Landbevölkerung schon lange nicht mehr nur um die Daseinsvorsorge an sich geht, sondern vor allem auch um eine Dableibevorsorge, damit der ländliche Raum nicht noch mehr ausblutet als sowieso schon.” Während DLT-Mann Ruge den Staat beim Thema Homeoffice sehr gut aufgestellt “und durch die flächendeckende Umsetzung an dieser Stelle tatsächlich mal in einer Vorbildrolle” sieht, ist DigitalAgentur-Chef Göbel skeptischer: “An manchen Stellen mag es gute Ansätze geben, aber wir hören immer wieder von Problemen in der Hinsicht, dass entweder VPN Clients nicht verfügbar sind oder die Fachverfahren nur auf festen Rechnern in den Behörden bearbeitet werden können.” Daher gebe es trotz eines guten Mindsets noch viel zu tun, um hier für eine praktikable und zufriedenstellende Lösung in der gesamten öffentlichen Verwaltung zu sorgen. Für Dr. Sönke Schulz, den Vorstandsvorsitzenden des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums (NEGZ), ist es eine weitere Herausforderung, den ländlichen Raum nicht mehr als eine einheitliche Masse zu begreifen, sondern als den heterogenen Flickenteppich, der die Bundesrepublik nun einmal ausmache: “Grundsätzlich müssen wir mehr Fokus auf den ländlichen Raum legen, statt immer von Smart City zu reden. Aber auch “den” ländlichen Raum gibt es nicht. So hat beispielsweise das Land in Brandenburg mit ganz anderen individuellen Herausforderungen zu kämpfen als das Land in SchleswigHolstein.” Daher sei es wichtig, auf individuelle Faktoren einzugehen und, ähnlich wie von

Vor allem müsse aber endlich Schluss damit sein, dass jeder seine eigene Suppe koche, fordert Ruge. Zwar sei es grundsätzlich zu begrüßen, dass beispielsweise Dableibevorsorge statt Daseinsvorsorge Bayern und Hamburg mit eigenen Digitalprojekten vorangingen, Generell müsse man bei der doch wenn am Ende wieder 16 Betrachtung von Stadt und Land Länder plus der Bund alleine immer mit in die Rechnung aufarbeiteten, könne die flächende- nehmen, dass die Bevölkerung ckende Vernetzung im Sinne des unterschiedliche Strukturen Bürgers nicht funktionieren. Ak- aufweise. Während die Stadtbevölkerung tuell sieht Rutendenziell ge das Online“Statt alles immer wieder eher jung sei, zugangsgesetz (OZG) als “das setze sich die neu zu machen, sollten Landbevölkeeinzige Projekt, die Kommunen ‘proud to rung in der wo wirklich länder- und copy’ sein, wenn sie funk- Tendenz eher aus älteren ebenenübertionierende Konzepte greifend eine Bürgerinnen übernehmen.” Entwicklung und Bürgern vorangetrieben zusammen. So seien auch wird, denn das Gesetz zwingt zur Kooperation. die Menschen aus der GeneratiSo was müsste es auch in der on der Babyboomer durchaus in Daseinsvorsorge geben. Dass so der Lage, kompetent mit digitaetwas möglich ist, kann man in len Angeboten umzugehen, auch Österreich sehen. Wir machen es wenn manche Anwendungen hier einfach nicht.” Einen Grund nicht so leicht von der Hand für die fehlenden Kooperationen gingen, so Prof. Tröger-Weiß. “Die sieht der Geschäftsführer der Menschen gewöhnen sich aber Digital­A gentur Brandenburg, schnell an neue Apps und sind Dr. André Göbel, in der Scheu, grundsätzlich schon froh, wenn gemeinsam in grenzenüber- überhaupt Dinge durch die Dischreitende Infrastrukturen gitalisierung möglich werden.” zu investieren. Dieses digitale So gebe es allgemein eine hohe Leuchtturmdenken müssten Po- Akzeptanz für digital gestützte litik und Verwaltung so schnell Angebote, da diese auch eine wie möglich überwinden, denn Aufwertung für den Standort viele Projekte im Land ließen sich Land bedeuteten. Vor allem die nur mit Kooperationen zwischen Möglichkeit des Homeoffice sei Kommunen und Ländern nach- ein wichtiger Bleibefaktor für haltig und sinnvoll umsetzen. junge und mittelalte Menschen Nach diesem Credo arbeite auch seine Agentur in Brandenburg, die als Ansprechpartner für Kommunen aufgebaut sei, wenn Ressourcen und Kompetenzen zur Projektplanung fehlten. Aber unter einer Bedingung: “Wir arbeiten nicht für individuelle Projekte mit einzelnen Kommunen zusammen, sondern nur dann, wenn mehrere Kommunen gemeinsam auf uns zukommen, um Projekte anzugehen.” Solche Maßnahmen sieht Kay Ruge als sinnvolles Druckmittel, um Schwung in die Sache zu bringen. Der Staat müsse klare Regeln vorgeben: Dr. Kay Ruge (links) vom Deutschen Landkreistag und Prof. Dr. Gabi TrögerWeiß sehen Förderprogramme für Einzelprojekte nicht als zielführend. “In anderen Staaten, die bei der Stattdessen müsse der Fokus mehr in Richtung Nachhaltigkeit gehen und Digitalisierung deutlich weiter die Nachnutzbarkeit bestehender Lösungen besser forciert werden. sind, gibt es klare Gesetze und Kompetenzvorschriften, um neue

Göbel gefordert, die Kommunen in ihren Regionen dazu zu bringen, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen: “Vor allem müssen wir endlich mal dazu kommen, dass neu entstandene Digitalprojekte eine vernünftige Nachnutzbarkeit erfahren. Statt alles immer wieder neu zu machen, sollten die Kommunen “proud to copy” sein, wenn sie funktionierende Konzepte übernehmen”, so der NEGZ-Chef. Um solche Projekte dann schließlich

in der Fläche individuell zum Laufen zu bringen, brauche es aber eben auch verbindliche Standards, fordert nicht nur Göbel, sondern auch DLT-Mann Ruge: Standards optimalerweise auf Basis von Open-SourceProgrammen, damit es keine Probleme mit verschiedenen Lizenzen gebe. Dabei müsse sich der Staat bewusst machen, dass er im Sinne der Datensouveränität auch Betreiber von Lösungen sein könne. Göbel fordert beispielsweise die Länder auf, einheitliche Basis­angebote zu schaffen, um auch kleinen Kommunen die Umsetzung von Digitalprojekten zu ermöglichen. Für all diese Projekte sei es aber mindestens ebenso wichtig, dass die Modernisierung der Register endlich angegangen werde, so Göbel abschließend.

Digitale Raumplanung für “lebenswerte Städte” Ein solches kommunales Digitalisierungsprojekt wird u. a. in Hamburg, Berlin und im Land Brandenburg gerade im Bereich der digitalen Bauleitplanung vorangetrieben. Auch in diesem Bereich habe sich in den vergangenen Jahren aufgrund der technologischen Entwicklung eine Menge getan, wie Rolf Lührs, Geschäftsführer der Demos Partizipation GmbH, berichtet. Das

Building Information Modelling, kurz BIM, sei hier ebenso ein Zeichen der fortschreitenden Digitalisierung wie die Implementierung der Standards XPlanung und XBau. Auch käme bei der Planung “lebenswerter Städte” heute schon vereinzelt Künstliche Intelligenz zum Einsatz, ein Bereich, in dem Lührs für die kommenden Jahre ein sehr großes Potenzial sieht. Doch auch auf “klassischen” Feldern wie Wissens- und Dokumentenmanagement sowie dem Einwendungsmanagement biete die digitale Bauleitplanung den Nutzern vielfältigen Möglichkeiten, um die Prozesse schneller und transparenter zu machen. Letztlich gehe es insbesondere darum, zukünftig Planungsvorhaben zu beschleunigen und schneller in die Tat umzusetzen als dies heute der Fall sei. In Hamburg entsteht im Rahmen eines agilen Projektes der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen hierzu derzeit unter der Überschrift “DiPlanung” ein webbasiertes Cockpit zur Gesamtprozesssteuerung, das die digitale Verfahrensführung ermöglichen soll. Zudem wird im Rahmen des Projektes auf der Grundlage harmonisierter Prozessabläufe eine Prozessdatenbank entwickelt sowie eine digitale Wissensdatenbank erstellt. Unter der Führung von Susanne Metz, Leiterin des Amtes für Landesplanung und Stadtentwicklung, liegt man bei “DiPlanung” in der Endphase des Projektes, welches nun bald live gehen soll. Als Herzstück von “DiPlanung” ermöglicht das Cockpit zur Verfahrenssteuerung unter anderem eine Visualisierung des Verfahrensfortschritts und eine datengestützte Prognose des idealen Verfahrensverlaufs in Echtzeit.

Digitalisierung braucht Glasfaser Maximale Performanz, Flexibilität und Sicherheit für Verwaltungsnetze (BS/Stefan Kondmann)Die Anforderungen von Bund, Ländern und Kommunen an ihre Netzinfrastrukturen steigen: Um langfristige Verwaltungs- und IT-Strategien umzusetzen, sind optimale Verfügbarkeit und Geschwindigkeit bei gleichzeitig größtmöglicher Sicherheit und Flexibilität gefragt – Voraussetzungen, die einzig Glasfaser erfüllt. 1&1 Versatel unterstützt Unternehmen im öffentlichen Sektor bei Modernisierung und Betrieb ihrer Netze. Durch Internet-TV, Cloud-Computing und Online-Shopping sind nicht nur Datenvolumina, sondern auch die Verbrauchererwartungen an IT-Services im öffentlichen Sektor in den vergangenen Jahren extrem gestiegen – längst setzen Bürger hier ähnlichen Komfort und Reaktionsgeschwindigkeiten voraus wie bei kommerziellen ShoppingPlattformen. Zudem hat auch der öffentliche Sektor selbst große und steigende Bandbreitenbedarfe, denn die Digitalisierung der Prozesse macht vor dem Verwaltungsarbeitsplatz nicht halt: Portalverbund, E-Akte, ERechnung, Dokumentenmanagement sowie die Digitalisierung der Top-Verwaltungsanwendungen produzieren einen direkten Mehrbedarf an Flexibilität und Bandbreite für Verwaltungsnetzanbindungen. Der stärkste Treiber ist jedoch die Verwaltungskommunikation selbst: E-Mail, Internetzugriffe und -anwendungen sowie Telefonie über aktuelle VoIP-Technologie werden immer aktiver an den Arbeitsplätzen in der Verwaltung genutzt. Mit dem Trend zum Eigenbetrieb von Netzen und Applikationen auf Ebene von Bund, Ländern und Kommunen steigt darüber hinaus der Bedarf nach flexibel nutzbaren Rechenzentrumskapazitäten und mit ihm die Ansprüche an die IT-Sicherheit. Langfristig und zukunftssicher realisiert werden können diese technologischen Anforderungen nur auf Basis eines schnellen, stabilen und sicheren Datenaustauschs, wie ihn ausschließlich eine Hochleistungs-Internet-

menzuführen: So erweitert der Infra­ strukturanbieter und Geschäftskundenspezialist unter anderem durch den Stefan Kondmann ist Vertriebsleiter Bund und Bau von (Groß-) Länder bei 1&1 Versatel. Kundennetzen die vorhandenen GlasFoto: BS/Versatel faserstrecken, z. B. für das Land Schleswig-Holstein oder verbindung garantieren kann. die IHK Gesellschaft für InforVDSL, Coax und Super Vectoring mationsverarbeitung, und leistet können dabei nur Übergangslö- so einen Beitrag, die öffentliche sungen sein, denn einzig echte Verwaltung mit GlasfasertechGlasfaseranbindungen bis ins nologie Gigabit-fähig zu machen. Gebäude bieten Übertragungsra- Zudem betreut und betreibt 1&1 ten, die alle aktuellen und künf- Versatel Breitbandinfrastruktigen Bedarfe abdecken. Glasfa- turen für die öffentliche Hand, ser-Bandbreite bietet außerdem so z. B. das Kommunalnetz in maximale Flexibilität, denn sie ist Rheinland-Pfalz und das Netz der nahezu unbegrenzt skalierbar, ITEOS in Baden-Württemberg. Darüber hinaus befindet sich kann also nach Bedarf erweitert werden. Zudem ist sie symme- das Unternehmen im stetigen trisch – im Up- und Download Austausch mit Kommunen, gleich schnell – und unterliegt Stadtwerken und Wirtschaftsförkeinen Schwankungen. Glas- derungen, um die bestmögliche faser ist darüber hinaus in der Lösung für die Gegebenheiten vor Lage, höchste Datenschutz- und Ort zu finden, etwa bei der ErSicherheitsstandards zu erfül- schließung von Gewerbegebieten. len und z. B. dem Bedarf nach Für Kommunen oder Stadtwerke, Verschlüsselung mit separaten die im Bereich TelekommunikatiKomponenten Rechnung zu tra- on aktiv werden wollen, hat 1&1 Versatel Kooperationsmodelle gen. Leider ist der Zugang zu dieser entwickelt, mit denen sich bereits hochperformanten Infrastruktur bestehende kommunale Glasfanach wie vor keine Selbstver- ser-Infrastruktur optimal nutzen ständlichkeit. Mit einer Glasfa- lässt, und bietet den Anschluss serabdeckung von unter zehn an eine Aggregator-Plattform an, Prozent hinkt Deutschland dem die nach dem Open-Accesseuropäischen Durchschnitt deut- Modell aufgebaut ist. Über sie lich hinterher. 1&1 Versatel setzt können regionale Carrier ihre deshalb beim Glasfaserausbau Glasfaser-Anschlüsse an andere an verschiedenen Punkten an, Nachfrager vermieten und soum Kräfte zu bündeln und mit die Auslastung ihrer Netze vorhandene Potenziale zusam- steigern.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / März 2020

V

or diesem Hintergrund gestaltet das Statistische Bundesamt den Transformationsprozess von Beginn an sehr bewusst auch mit klar strukturierten internen Kommunikationsmaßnahmen. Im September veranstaltete das Bundesamt an seinen Standorten in Wiesbaden und Bonn nun einen hauseigenen Innovationstag. Unter dem Motto “Von Beschäftigten für Beschäftigte” wurden rund 25 Themen aus aktuellen Digitalisierungsprojekten vorgestellt. Vizepräsidentin Beate Glitza stellte zur Begrüßung die Wichtigkeit von Innovationen für die Qualität der amtlichen Statistik klar heraus: “Letztlich geht es darum, auch in Zukunft eine überzeugende und wettbewerbsfähige Qualität sicherstellen zu können. Hier müssen wir durch Innovation einen merklichen Unterschied durch neue Produkte und Leistungen bewirken, und zwar genau von dem Punkt aus, an dem wir mit unseren Aufgaben und unserer Zusammenarbeit geradestehen. Nur so werden wir als Informationsanbieter bestehen können”, so die Vizepräsidentin. Nach der Eröffnung konnten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über aktuelle Entwick-

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Innovation braucht Kommunikation Veranstaltung zur digitalen Transformation des Statistischen Bundesamtes (BS/Stefan Wondrak*) Das Statistische Bundesamt (Destatis) ist eine von vielen Behörden, die sich seit einiger Zeit intensiv mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen. Dabei war von Beginn an klar, dass die digitale Transformation und die fortlaufenden Veränderungsprozesse nur gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgesetzt werden können: Ohne kulturelle Veränderung in einer Organisation bleibt die digitale Transformation Stückwerk. lungen in verschiedenen Fachbereichen, neue Arbeitsmethoden und -techniken und Fortschritte im Bereich digitale Verwaltung informieren und hatten so die Gelegenheit, über den eigenen Arbeitsbereich hinaus neue Eindrücke, Anregungen und Erfahrungen zu sammeln und sich über die aktuellen Entwicklungen auszutauschen. Die dafür genutzten offenen Kommunikationszonen im Wiesbadener Haupthaus waren perfekt geeignet, um die Innovationsthemen im Stil einer Messe in den verschiedenen Stockwerken vorzustellen – nah und erreichbar für möglichst viele Beschäftigte. So konnten einerseits die Vortragenden in den sich wiederholenden Slots ihre Themen präsentieren, auf der anderen Seite hatten die Beschäftigten die Möglichkeit, sich ihre favorisierten Themen

Beate Glitza, Vizepräsidentin des Statistischen Bundesamtes, hob auf dem Innovationstag die Bedeutung eines qualitativ hochwertigen digitalen Angebotes für die Behörde hervor. Foto: BS/Destatis

auch spontan auszuwählen und mit den Vortragenden zu diskutieren. Wenngleich unter anderen räumlichen Rahmenbedingungen, konnte auch am Standort

Bonn das “Messekonzept” erfolgreich umgesetzt werden. Die Innovationsimpulse an beiden Standorten waren überaus vielfältig: Methodische Themen, z. B.

der Einsatz von Machine-Learning-Verfahren oder die neuen Verfahren zum Web Scraping, einer Technik zur automatisierten Erhebung z. B. von Preisen auf Webseiten im Internet, fanden breites Interesse. Darüber hinaus konnten neue Kreativitätstechniken und agile Arbeitsmethoden erprobt werden. Einen ersten Einblick gab es in den kürzlich eingerichteten Newsroom und die für die Nutzung demnächst bereitstehende E-Akte. Aber nicht nur innovative Methoden und Techniken für den Arbeitsalltag waren im Fokus. Hinzu kamen auch neue Produkte, die den Statistiknutzern einen modernen und zeitgemäßen Zugang zu amtlichen Daten ermöglichen: Das Dashboard der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung oder die animierte Darstellung der Bevölkerungsentwicklung

sind nur zwei von vielen neuen interaktiven Angeboten. Am Ende des Innovationstages gab es viele zufriedene Gesichter und viel positives Feedback: Für alle Beschäftigten war es eine neue, innovative und motivierende Möglichkeit des internen Austausches, der in einigen Fällen auch als direkter Impuls zur Übernahme der Innovationsbeispiele in den eigenen Bereich wirkte.

Weiterer Schritt im digitalen Wandel Fazit des Innovationstages: Das Statistische Bundesamt hat einen weiteren Schritt getan, um einen digitalen Wandel in der Behörde zu etablieren. Die Grundlagen sind geschaffen, jetzt müssen sowohl Fähigkeiten als auch neue Arbeitsmethoden und -prozesse weiterentwickelt und breit verankert werden. Die Kommunikation über die innovativen Ansätze und die Erfahrungen schafft dabei eine entscheidende Basis, um die Herausforderungen rund um die Digitalisierung noch besser angehen zu können. *Stefan Wondrak ist Referent im Arbeitsgebiet Digitale Agenda beim Statischen Bundesamt.

Digitale Gesellschaft braucht innovativen Staat

Anachronismus in den Amtsstuben

Arbeitsgruppe der Initiative D21 diskutiert Einsatz Künstlicher Intelligenz

Hürden für die Digitalisierung im öffentlichen Sektor

(BS/Patricia Scheiber*) Wie können die Potenziale der Digitalisierung zur Stärkung der Demokratie und des Standortes Deutschland bestmöglich genutzt werden? Zu dieser Frage bringt die Initiative D21 in der Arbeitsgruppe Innovativer Staat einmal pro Quartal Akteurinnen und Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um Ideen, Positionen, Erfahrungen und Meinungen auszutauschen. Als neutrale Austausch- und Aktionsplattform werden Themen zielorientiert nach vorne gedacht, Kontakte geknüpft sowie Barrieren und Missverständnisse zwischen Akteurinnen und Akteuren abgebaut.

(BS/Oliver Ebel) Bis 2022 sollen in Deutschland alle der 575 verschiedenen Verwaltungsdienstleistungen online zur Verfügung stehen – so hat es die Bundesregierung beschlossen. Doch das ist ein hochgestecktes Ziel, das sich wohl kaum erreichen lässt – zumindest nicht bei der Geschwindigkeit, mit der die Digitalisierung in Behörden aktuell voranschreitet. Hier gibt es noch viel zu tun. Damit Behörden den Bürgern leistungsfähige digitale Dienstleistungen anbieten können, müssen sie zunächst interne Arbeitsabläufe modernisieren. Außerdem wünschen sich auch Beamte und Angestellte im Öffentlichen Dienst zeitgemäße digitale Arbeitsplätze.

Die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen war Thema beim letzten Treffen der AG Innovativer Staat im Februar. Dr. Annette Schmidt, Präsidentin Föderale IT-Kooperation (FITKO), stellte die Rolle und die Aufgaben dieser neu gegründeten Organisation vor. Dr. Schmidt leitet seit Januar die vom IT-Planungsrat etablierte Organisation mit dem Ziel, sämtliche föderalen Aktivitäten zur Digitalisierung der Verwaltung zu bündeln, eine föderale IT-Strategie zu erarbeiten sowie das zur Verfügung gestellte Digitalisierungsbudget zu bewirtschaften. Zur Bewältigung dieser Aufgaben koordiniert und vernetzt ein interdisziplinäres Team aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft alle in die Verwaltungsdigitalisierung involvierten Stakeholder aus Bund und Ländern – und holt sich auch Input aus den Kommunen. Große Ziele und hohe Erwartungen, denen FITKO gegenüberstehe, wie Dr. Schmidt sehr offen in der AG Innovativer Staat darlegte. In der vertraulichen AG-Atmosphäre sprach die FITKO-Leiterin auch über Schwierigkeiten beim Aufbau der agilen Organisation.

Austausch über politisches und Innovationsthema Das Konzept der AG Innovativer Staat ist es, bei jeder Sitzung ein aktuelles Thema aus der Politik sowie ein Innovationsthema, wie z. B. Potenziale einer neuen Technologie für die öffentliche Verwaltung, aufzugreifen. Au-

ßerdem beschäftigt sie sich in jedem Jahr schwerpunktmäßig mit einem Thema. So widmete sich die AG zuletzt der Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und verfolgt aktuell das Thema Chancen durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz (KI) für die Verwaltung. Dazu war in der letzten Sitzung Anika Krellmann, Geschäftsführerin des Co:Labs – Denklabor & Kollaborationsplattform für Gesellschaft & Digitalisierung, zu Gast, die #koki vorstellte, eine Initiative für mehr und wirkungsvolle Künstliche Intelligenz in Kommunen. Die Idee hinter #koki: positive Geschichten zur KI-Nutzung erzählen. Die Initiative will die oftmals angstgetriebenen Diskussionen rund um KI ändern, vor allem dort, wo die Menschen leben und arbeiten – in den Kommunen. Bei #koki diskutieren 120 Expertinnen und Experten nach klassischer Think-Tank-Art interdisziplinär über Potenziale von KI im kommunalen Raum zu verschiedenen Themenfeldern virtuell und in Treffen vor Ort. Im Mai sollen Ergebnisse vorgestellt werden.

Der Staat als strategischer Nutzer von Daten Bei der letzten Digitalklausur der Bundesregierung im November 2019 legte diese Eckpunkte einer Datenstrategie vor. Expertinnen und Experten aus verschiedenen Branchen waren durch den Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, und

Staatsministerin Dorothee Bär zu einer Anhörung ins Kanzleramt geladen, um über die Datenstrategie zu beraten. Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21, vertrat die Per­ spektive der digitalen Gesellschaft bei der Anhörung und nahm dies als Anlass, mit der AG zu diskutieren, wie eine Datenstrategie für den innovativen Staat aussehen kann. Die Datenstrategie der Bundesregierung hat das Ziel, die Bereitstellung und Nutzung von Daten zu steigern. Müller zeigte auf, wie der Staat ein Ökosystem schaffen kann, in dem er Daten nicht nur selbst erfasst und den Zugang zu Daten demokratisiert, sondern auch selbst als kluger Nutzer von Daten auftritt, um eine bessere, vorausschauende Politik für die digitale Gesellschaft zu gestalten. Welche Hürden ein solches Vorgehen behindern, stand anschließend im Mittelpunkt der Diskussion der AG-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer. So bestünden in Behörden “Datensilos”: Verwaltungsdaten lägen in Deutschland stark fragmentiert vor und Behörden hätten keinen Überblick, wo welche Daten liegen, was eine strategische Nutzung verhindere. Wie dies überwunden werden kann, will die AG Innovativer Staat in kommenden Sitzungen verstärkt erörtern. *Patricia Scheiber ist Referentin Innovativer Staat bei der Initiative D21.

Während die Innovationen in Unternehmen sprudeln und die Digitalisierung vorwärtsstürmt, sieht es in deutschen Ämtern und Behörden ganz anders aus. Der immer schnelllebigeren Welt und der wachsenden Datenflut stehen hier oft noch ineffiziente Prozesse aus dem letzten Jahrtausend und ein hoher Arbeitsaufwand entgegen. Außerdem schränken gesetzliche Vorgaben den Handlungsspielraum von Verantwortlichen ein. Wobei es auch eine Herausforderung ist, in der Gesetzgebung mit den sich rasant ändernden digitalen Realitäten Schritt zu halten. Doch es ist nicht unmöglich, diese Herausforderung zu meistern, das zeigen andere europäische Länder, die in puncto Digitalisierung schon wesentlich weiter sind. Als leuchtendes Beispiel geht hier etwa Estland voran.

Es braucht effiziente Wege für den Datenaustausch Damit digitale Lösungen für den Bürger eine Verbesserung darstellen, müssen sie eine Vereinfachung sein. Doch machen wir uns nichts vor, was für den Leistungsbezieher Vereinfachung bedeutet, heißt mehr Komplexität an anderer Stelle. In der Vergangenheit musste sich im Zweifel der Bürger selbst darum kümmern, dass seine Daten von einem Amt zum anderen kommen, indem er etwa mit einem beglaubigten Formular durch die Stadt lief. Will man heute ganzheitliche digitale Angebo-

MELDUNG

Deutsches Observatorium für Künstliche Intelligenz in Arbeit und Gesellschaft gestartet (BS/gg) Anfang März ist in Berlin das Deutsche Observatorium für Künstliche Intelligenz in Arbeit und Gesellschaft, kurz KI-Observatorium, gestartet. Dessen Hauptaufgabe ist es, die Anwendung Künstlicher Intelligenz im Gesellschafts-, Arbeits- und Wirtschaftsleben zu beobachten, weiterzuentwickeln und Handlungsempfehlungen für ihre Nutzung zu formulieren. Das

KI-Observatorium ist ein Projekt des Think Tanks “Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft” im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das interdisziplinär arbeitende, achtköpfige Observatoriums-Team verfügt für die Laufzeit bis 2022 über ein Gesamtbudget von 20 Millionen Euro. Im Vordergrund der Arbeit steht die Vernetzung von Expertise

inner- und außerhalb des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Außerdem soll das KIObservatorium gesellschaftliche Akteure im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unterstützen und damit zusätzliche Impulse bei der Gestaltung des digitalen Wandels setzen. Die Arbeit des Observatoriums gliedert sich in die fünf Handlungsfelder “Technologie-Fore-

sight und Technikfolgenabschätzung”, “KI in der Arbeits- und Sozialverwaltung”. “Ordnungsrahmen für KI und soziale Technikgestaltung”, “Aufbau internationaler und europäischer Strukturen” sowie “gesellschaftlicher Dialog und Vernetzung”. Weitere Informationen zum KIObservatorium und zu den fünf Handlungsfeldern unter www. ki-observatorium.de

tegie zu erarbeiten. Dabei können auch erfahrene Partner aus der Digitalwirtschaft helfen. Oliver Ebel ist Area Vice President DACH bei Citrix. Foto: BS/Citrix

te schaffen, die Nutzern diesen Aufwand abnehmen, braucht es effiziente Wege für den Datenaustausch zwischen verschiedenen Stellen. Dafür fehlen allerdings oft die entsprechenden Voraussetzungen. Nutzen verschiedene Behörden unterschiedliche Legacy-Systeme, kann der Datenaustausch schnell zum Problem werden. Oft entsteht dabei ein Medienbruch, da die Systeme untereinander nicht kompatibel sind, was dann zeitaufwendiges menschliches Eingreifen nötig macht. Weitere Herausforderungen sind teilweise extrem veraltete Benutzeroberflächen, die das Arbeiten sehr umständlich machen und für großen Aufwand bei der Datenpflege sorgen.

Neue Technologien für die Verwaltung der Zukunft Eine der wichtigsten Technologien, um einen effizienten Datenaustausch zu fördern, wird die Cloud sein. Der Übergang zur Cloud ist entscheidend, um die digitale Transformation zu beschleunigen und gleichzeitig eine Vielzahl anderer Vorteile für die Verwaltungsmitarbeiter und die Bürger zu realisieren. Denn Cloud-Lösungen sind in der Regel kostengünstiger, skalierbarer, sicherer und flexibler als alte Legacy-Technologien. Auf dem Weg dahin werden IT-Führungskräfte aber mit unzähligen und teilweise widersprüchlichen Herausforderungen konfrontiert, die sie meist auch noch mit knappen Budgets, wachsenden Sicherheitsrisiken und Compliance-orientierten Prioritäten in Einklang bringen müssen. Daher ist es wichtig, die Sache zielgerichtet anzugehen und eine umfassende Cloud-Stra-

Mitarbeiter brauchen intuitive Umgebungen

Die Cloud für den Datenaustausch ist das eine, die andere Herausforderung für eine Digitalisierung in der Verwaltung ist der individuelle Arbeitsplatz. Veraltete Technologie sorgt hier häufig immer noch dafür, dass viel Zeit in die Bedienung der Technik fließt, die dann nicht mehr für den Bürger zur Verfügung steht. Stattdessen brauchen Mitarbeiter in Behörden intuitive Umgebungen, die ihnen Arbeit abnehmen, anstatt zusätzlichen Aufwand zu verursachen. Unzählige verschiedene Logins für unterschiedliche Anwendungen sollten durch eine einheitliche und vor allem sichere Anmeldung via Single Sign-on ersetzt werden – am besten mit Multifaktorauthentifizierung. Ein Intelligent Workspace kann aber noch mehr leisten, er sorgt dafür, dass Mitarbeiter weniger abgelenkt werden. Microapps helfen dem Benutzer, Arbeitsprozesse zu vereinfachen, da er sich nicht mehr durch unzählige Fenster klicken muss, um eine einfache Aufgabe zu erledigen. Basierend auf persönlichen Einstellungen und Erfahrungen führt die Workspace-Umgebung den Nutzer direkt zu der am besten passenden Aktion. Über eine universelle Suche lassen sich Dokumente direkt finden, egal wo diese abgelegt sind. PC-Nutzer sind heutzutage mit unzähligen Meldungen konfrontiert: Eine E-Mail hier, ein Update da – das wenigste davon erfordert eine unmittelbare Aktion. Stattdessen werden Mitarbeiter dadurch abgelenkt und unkonzentriert. Der intelligente Feed einer modernen Workspace-Lösung zeigt dagegen nur das an, was Mitarbeiter wirklich für ihre aktuelle Arbeit benötigen und hilft ihnen so dabei, sich besser zu fokussieren.


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Zukunftskongress Bayern U

m die Digitalisierung in der Gesamtstruktur der öffentlichen Verwaltung bestmöglich umsetzen zu können, brauche es vor allem ein entsprechendes Mindset, das sich durch alle Ebenen der Verwaltung ziehe. Es müssten so auch diejenigen Mitarbeiter überzeugt werden, die bislang wenig von einem generellen Umdenken hielten, erklärte Digitalministerin Gerlach, Schirmherrin des Kongresses, vor den rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Haus der Bayerischen Wirtschaft. Dabei müsse man vor allem aufzeigen, dass von einem solchen Wandel mittel- und langfristig alle Seiten nur profitieren könnten – auch wenn sich ein Transformationsprozess zu Beginn immer auch ein bisschen lästig anfühle. Besonders wichtig ist für Gerlach, dass sich die Verwaltung und die Bürger auf Augenhöhe begegnen: “Die Menschen dürfen sich nicht länger in einer Bittstellerrolle gegenüber der Behördenwelt sehen. Dafür müssen wir Bürger und Unternehmen in die Prozesse einbinden und hierdurch Vertrauen schaffen.” Zwar müsse der Staat andere Regularien beachten als die Privatwirtschaft, man könne sich in einigen Punkten aber dennoch an den großen Digitalunternehmen orientieren, so die Ministerin: “Kundenzufriedenheit und Barrierefreiheit sind trotz aller Vorgaben wichtig. Daher müssen wir die Prozesse dringend bereits bei der Entwicklung vom Nutzer her denken und uns fragen, was der Bürger überhaupt will und braucht.” Die Staatsregierung verfolge das Ziel, einen sogenannten Bayern-Standard für alle Dienstleistungen aufzubauen, damit die Angebote leicht

Weg von den Click-Dummys Bayern will die wichtigsten OZG-Leistungen schon dieses Jahr online stellen (BS/Wim Orth/Guido Gehrt) E-Government ist kein reiner Digitalisierungsprozess für analoge Prozesse, sondern sollte die Verwaltungsmitarbeiter in Bayern anregen, möglichst alles rund um Staat und Verwaltung in digitalen Strukturen ganz neu zu denken. Dies forderte die bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, auf dem diesjährigen Zukunftskongress Bayern in München. Als scharfes Schwert sieht sie dabei das Onlinezugangsgesetz (OZG), bei dem der Freistaat in diesem Jahr bereits ein umfangreiches Angebot an digitalen Verwaltungsservices für Bürger und Unternehmen bereitstellen will.

Judith Gerlach, Staatsministerin für Digitales in Bayern, will beim OZG mehr erreichen als ständig neue Click-Dummys. Darum sollen im Freistaat bis Ende des Jahres schon mehr als 50 Dienste online gehen. Fotos: BS/Dombrowsky

so zu verteilen, dass sie jeweils in den entsprechenden Ressorts umgesetzt würden. Dafür gebe es zukünftig in jedem Ministerium einen OZG-Ansprechpartner, der als “digitaler Botschafter” eine Schnittstellenfunktion zwischen Ressort und Digitalministerium bzw. Landesregierung einnehmen solle. Zusätzlich gebe es ein ressortübergreifendes OZGUmsetzungsgremium, das mittels eines Tools auch den Fortschritt des Gesetzes flexibel für Bayern und den gesamten Bund überblicken könne.

Die OZG-Umsetzung als ­Erfahrungsreise

Referatsleiterin Carolin Stimmelmayr fordert einen zentralen Bayern-Standard, der als Siegel vergeben und einen einheitlichen Service-Standard für die Verwaltung schaffen soll.

zu nutzen seien und über einen hohen Wiedererkennungswert verfügten.

Rund 50 OZG-Leistungen bis Ende 2020 Ehrgeizige zeitliche Ziele hat der Freistaat bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Man müsse “endlich weg von den Click-Dummys und hin zu konkreten Leistungen”, so Gerlach. Daher will Bayern bereits bis Ende dieses Jahres die rund 50 wichtigsten Leistungen für Bürger und Unternehmen online anbieten. Fachverfahren wie Bauanträge oder die Beantragung von Eltern- oder Wohngeld sollen damit bereits zwei Jahre vor Ende der OZG-Umsetzungsfrist Ende 2022 verfügbar sein. Zudem stellte die Ministerin den neuen OZG-Masterplan der Staatsregierung Bayerns vor. In diesem gehe es darum, die Leistungen

Für die vollständige und erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung geht das OZG Carolin Stimmelmayr, Referatsleiterin ­Digitale Verwaltung sowie stellvertretende Leiterin der Abteilung IT-Strategie, IT-Recht und Digitale Verwaltung in Gerlachs Digitalministerium, im Ansatz zwar nicht weit genug, “es kann aber als wichtiger erster Schritt gesehen werden, um die Verwaltung endlich einmal aufzurütteln und in Gang zu bringen”. Auch für Michael Kunadt von der Software AG hat die Umsetzung des Gesetzes zwei Seiten: “Die einen sehen einen guten Fortschritt, während andere dringenden Handlungsbedarf sehen. Ich denke, wir sollten das OZG hauptsächlich als Reise begreifen, auf der man viel Neues lernen kann und daraus Verbesserungen ziehen kann.” Ein wichtiger Aspekt bei der Umsetzung sei aktuell, wie man die Dienstleistungen, die in regionalen Digitalisierungslaboren entwickelt und digitalisiert würden, sowie die oftmals dazugehörigen regionalen Bürgerportale nachhaltig und möglichst reibungslos in die Länderportale integrieren könne: “Es braucht an dieser Stelle eine föderale IT-Architektur mit Frontends und Backends, die sauber zusammenpassen und die mit den technischen Schnittstellen aller

Standards ausgerüstet sind”, so Kunadt. Um die Wiedernutzbarkeit der regionalen Dienste für andere Behörden möglichst gut zu vereinfachen, müsse zudem ein transparentes Verzeichnis der digitalisierten Dienste angelegt werden, forderte Kunadt.

Fokus auf mobile Nutzbarkeit legen Der Erfolg des OZG hängt nicht nur davon ab, dass Verwaltungsleistungen online zur Verfügung gestellt werden. Maßgeblich wird es darauf ankommen, wie passgenau diese Angebote auf das Nutzungsverhalten der User zugeschnitten sind. Die Verwaltung setzt bei der Digitalisierung vielfach noch auf Lösungen, die mit Blick auf die Eingabemasken und die Bedienbarkeit voll auf stationäre Desktopsysteme ausgelegt sind. Das muss sich dringend ändern, wenn in Zukunft alle Bürger, vor allem die jüngeren Generationen, auf die Dienstleistungen bevorzugt nur noch online zugreifen sollen. Es braucht einen Wandel hin zu heutigen Standards. Wichtig ist dabei das Prinzip “mobile first”, im Optimalfall in Verbindung mit behördenübergreifenden Plattform-Apps. Um sich mehr in diese Richtung der mobilen Anwendungen zu bewegen und möglichst vielen Bürgern ihre Angebote schmackhaft zu machen, soll es im Freistaat zukünftig eine “Bayern-App” geben, welche die zentralen Verwaltungsdienstleistungen vereinen soll. Diese soll zudem mit einer Erinnerungsfunktion ausgestattet sein, um dem Bürger beispielsweise eine Nachricht zu übermitteln, wenn die Neubeantragung des Personalausweises ansteht. Die erste Version der App ist laut Digitalministerin Gerlach für Ende dieses Jahres geplant. Die App soll dann immer weiter optimiert und beständig aktualisiert werden. Zudem müssten neue Dienstleistungen und Fachverfahren integriert werden, sobald diese

in digitaler Form vorlägen, so die Ministerin. Unterstützung erfährt sie dabei von Carolin Stimmelmayr. Sie fordert ebenfalls eine Kundenorientierung, die sich in einem zentralen Bayern-Standard niederschlagen soll, der als Siegel vergeben und überprüft werden soll. Ein zentraler Wunsch der Referatsleiterin ist es, den Stand der Technik konsequent in die Anwendungen der Verwaltung zu integrieren. “Wenn wir schon digitalisieren, dann müssen wir das auch richtig tun. Deswegen muss der Maßstab sein, funktionierende Dienste zu entwickeln, die der Bürger auch nutzt. Und der Bürger hat nun einmal hohe Anforderungen durch seine Erfahrungen mit den großen privaten Anbietern, also müs-

Der IT-Referent und CDO der Landeshauptstadt München, Thomas Bönig, will die Digitalisierung verantwortungsbewusst zum Wohl der Stadtgesellschaft nutzen.

sen wir als Staat an der Stelle auch entsprechend liefern”, so Stimmelmayr.

Kommunen sind das Gesicht der Verwaltung Das zentrale Element für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung ist allerorten und nicht nur in Bayern die enge Kooperation aller föderalen Ebenen. Eine besondere Rolle nehmen dabei die Kommunen ein. “Die Kom-

munen sind für den Bürger das Gesicht der Verwaltung. Dort entscheidet sich dementsprechend auch, ob die digitale Verwaltung funktioniert oder nicht”, befand entsprechend auch Digitalministerin Gerlach. Daher müsse man an dieser Stelle die technischen Innovationen nutzen, um aufseiten der Mitarbeiter für Entlastung und gleichzeitig aufseiten der Bürger für eine Entbürokratisierung zu sorgen. Das helfe beiden Seiten, auf entspanntere Weise miteinander umzugehen. Um den Kommunen unter die Arme zu greifen, gibt es bereits seit Mitte 2019 die Landesrichtlinie “zur Förderung der Bereitstellung von Online-Diensten im kommunalen Bereich”, besser bekannt unter dem Titel “Digitales Rathaus”. Die 40 Millionen Euro schwere Richtlinie, für die bislang rund 200 Anträge eingegangen sind, liegt in der alleinigen Obhut des Digitalministeriums, wo nun die Förderung von staatlichem und kommunalem E-Government zukünftig gebündelt werden soll. So soll dafür gesorgt werden, dass die Kommunen für Fragen zur Förderung einheitliche Ansprechpartner haben und innerhalb der Organisation möglichst kurze Wege vorhanden sind.

Digitale Metropole München Längst haben die Kommunen bei der Digitalisierung nicht mehr nur die behördlichen Prozesse im Blick. Vielmehr geht es darum, eine möglichst breit angelegte Digitalstrategie für alle Bereiche des kommunalen Lebens zu erarbeiten und umzusetzen. Denn “wer die IT nicht beherrscht, hat zukünftig im Wettbewerb nichts mehr zu suchen”, so der IT-Referent und CDO der Landeshauptstadt München Thomas Bönig. An der Isar hat man sich vor diesem Hintergrund vorgenommen, bis 2025 auch eine “Digitale Metropole” zu werden. Unter der Überschrift “München.Digital.Erleben” soll eine zukunftsorientierte, nachhaltig agierende Metropole entstehen, welche die Digitalisierung aktiv und verantwortungsbewusst zum Wohl der Stadtgesellschaft einsetzt. Entsprechend muss sich auch die Verwaltung in diesem Wandel aufstellen, um auf die veränderten Anforderungen von zunehmend digitaler aufgestellten Bürgern und Unternehmen reagieren zu können. Die “Digitale Verwaltung” und die “Digitale Stadtgesellschaft” wurden in München daher als zwei Kernbereiche der kommunalen Digitalstrategie identifiziert. Dritter Kernbereich ist die “Städtische Infrastruktur”. Angesichts der vielfältigen Aktivitäten spielt Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Digitalstrategie eine herausragende Rolle. “Kooperationen sind für die Digitalisierung in Bezug auf Kosten und Geschwindigkeit essenziell”, erklärt Bönig. Dies gelte nicht nur innerhalb der eigenen Stadtgrenzen, etwa mit Blick auf die Stadtwerke, die Hochschulen oder Partner in der Wirtschaft. München setze bei der Digitalisierung bewusst auch auf interkommunalen Austausch.

So gebe es bereits eine Kooperation mit Nürnburg und Augsburg, die bald noch um Regensburg erweitert werden solle. Um im Zuge der Digitalisierung ein hohes Maß an Transparenz zu gewährleisten und vielfältige Informationen zur Verfügung zu stellen, hat die Landeshauptstadt mit “muenchen.digital” ein eigenes Portal geschaffen, welches sich explizit nicht nur an die eigene Bevölkerung richtet, sondern auch einen Beitrag zum besseren interkommunalen Austausch leisten soll.

Smartes Fichtelgebirge Digitalisierung ist aber nicht nur in der Millionenstadt München ein Thema, sondern auch in den vielen ländlichen Regionen des Freistaats. So hat sich der Landkreis Wunsiedel gerade erst erfolgreich um die Teilnahme des vom Bundesinnenministerium geförderten Projekts “Modellkommune Smart City” beworben. Dass die Rahmenbedingungen sich hier in vielen Feldern von Großstädten wie München unterscheiden, zeigte der Projektleiter des Landkreises Wunsiedel, Oliver Rauh. Die Bemühungen für ein “smartes Fichtelgebirge” fänden bereits in der Basisinfrastruktur ihre erste Hürde. Sprich, es fehle bislang noch am notwendigen Breitband. Die Auswirkungen des demografischen Wandels bzw. der Bevölkerungsverlust und die Lage in einem eher strukturschwachen Gebiet an der tschechischen Grenze stünden ebenfalls in einem deutlichen Kontrast zur wachsenden und prosperierenden Landeshauptstadt oder zu anderen urbanen Zentren. In Wunsiedel habe man sich daher entschlossen, einen eigenen Weg zu gehen und arbeite aktuell an einer Strategie für das smarte Fichtelgebirge. Hierfür habe man rund 1,5 Jahre eingeplant und wolle in diesem Prozess auch auf externe Beratung zugreifen. Zudem setze man im Landkreis auf einen sehr ausgeprägten Partizipationsprozess und auch überregionalen Austausch, um Netzwerke zu schmieden und möglichst alle relevanten Akteure auf dem Digitalisierungspfad mitzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei es ein wenig bedauerlich, dass Wunsiedel derzeit der einzige Landkreis im Projekt “Modellkommune” sei.

Intelligente Ökosysteme Der interkommunalen Zusammenarbeit kommt bei der Umsetzung von Digitalisierungsstrate­ gien ohnehin eine besondere Rolle zu. Für Ulf Ries von Cassini ist sie die Basis für “intelligente Ökosysteme” von Städten und dem ländlichen Raum der Zukunft. Wie man dies konkret vor Ort umsetzt und mit der lokalen Smart-City-Philosophie und -Strategie in Einklang bringe, liege dann bei jeder Kommune selbst. Denn die Digitalsierung sei mittlerweile auch auf kommunaler Ebene ein politisches Thema, welches der Profilierung des Standorts gegenüber dem Wettbewerb diene.

JETZT VORMERKEN! Der nächste Zukunftskongress Bayern findet am 25. Februar 2021 in einer neuen Location, dem Holiday Inn Munich – City Centre, statt.


Zukunftskongress Bayern

Behörden Spiegel / März 2020

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einahe im Wochentakt erreichen Nachrichten die Öffentlichkeit, dass ein Bürgerservice freigeschaltet, eine neue Plattform online gestellt wurde. Was hingegen mit den eingehenden Informationsströmen im Anschluss geschieht, darüber steht selbst in den detaillierteren Pressemeldungen in der Regel wenig geschrieben. Die Lücke macht auf ein grundlegendes Problem aufmerksam, insbesondere mit Blick auf die notwendigen Schritte im Zuge des OZGs. Denn schließlich bedeutet die digitale Öffnung des öffentlichen Dienstes auch ein Mehr an Informationen. Informationen, die verwaltet und in den jeweiligen Fachregistern abgespeichert werden müssen.

Datensilos aufbrechen: Um die deutsche Registerlandschaft besser aufeinander abzustimmen, bedarf es einheitlicher Schnittstellen, die eine Verknüpfung über die jeweilige Fachkartei hinaus ermöglichen, fordert Lisa Kestler.

Schon jetzt habe man es mit zahlreichen Datensilos zu tun, sagt Lisa Kestler, Notarassessorin im Bayerischen Staatsministerium für Digitales. “Was die Verwaltung personenbezogener Daten anbelangt, ist die deutsche Registerlandschaft doch sehr zerfahren. Nahezu jedes Ressort führt eine eigene digitale Kartei. Dabei stellt die dezentrale Datenablegung grundsätzlich noch kein Problem dar; sie wird aber zu einem, wo eine übergreifende Gesamtarchitektur ausbleibt.” Und genau das, so Kestler, sei im Augenblick der Fall: “Statt einem Netzwerk sehen wir uns isolierten und in ihrer Aktualität teils abweichenden Datensätzen gegenüber. Immer wird ein Teil der Person, nie aber die vollständige Identität erfasst. Für ein erfolgreiches Identitätsmanagement brauchen wir einheitliche Schnittstellenstandards, die eine Verknüpfung über das jeweilige Fachregister hinaus gewährleisten.”

Einrichtung eines nationalen Identitätsregisters Rechtliche, aber auch konzeptionelle Schützenhilfe erhalte man hierbei von der Europäischen Union. Mit ihrem Beschluss eines Single Digital Gateways (SDG) aus dem Jahr 2017 habe diese

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Das Zünglein an der Waage Der Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung entscheidet sich beim Backend (BS/Thomas Petersdorff) Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) richten sich die Blicke zunehmend auf die öffentliche Verwaltung. Doch während sich inzwischen ein klares Bild darüber abzeichnet, was aufseiten des Bürgerkontaktes, des sogenannten Frontends, an Prozessen eingeleitet wurde, bleibt noch im Vagen, wie auch interne Verwaltungsprozesse ans digitale Zeitalter angebunden werden können. Diese Asymmetrie mag dem OZG geschuldet sein, das selbst keinerlei Maßnahmen für den digitalen Anschluss der Fachverfahren vorsieht. Unabhängig davon dürfte allerdings klar sein, dass modernes E-Government nur dort gelingen kann, wo Front- und Backend medienbruchfrei ineinandergreifen. Mittel und Wege bestehen, wie man derzeit im Freistaat Bayern sehen kann. die Weichen für eine transnationale Registermodernisierung gestellt. Das Schlüsselprinzip: Once Only. Statt der Anhäufung in Datensilos werden einmal eingegangene Bürgerinformationen miteinander verknüpft und über einheitliche Schnittstellen zur Mehrfachnutzung in unterschiedlichen Fachverfahren freigegeben. Die Registrierung erfolgt einmalig mit der Geburt und unter Wahrung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), so die digitale Agenda im Rahmen der EU. Für eine nationale Umsetzung müsse man den von der EU aufgezeigten Weg konsequent weitergehen, erklärt Kestler und zeichnet das Bild eines nationalen Identitätsregisters, in dem Basisdaten der Bürger – das beinhaltet: Vor- und Nachname, Geburtsdatum und -ort usw. – zum Abruf bereitliegen. Ähnlich der Steuer-ID müsse ein numerischer Identifier vergeben werden, mittels dessen sich Kerninformationen eindeutig zuordnen ließen. Die daraus entspringenden Vorteile würden sich nicht nur beim Bürger bemerkbar machen, der seine Daten ab sofort nur noch einmal mitzuteilen hätte, sondern auch bei der Verwaltung, die zentrale Daten nun für dezentrale Verfahren auf Landes- oder kommunaler Ebene freigeben könne. Mit Blick auf den derzeit entstehenden Portalverbund hätte man damit einen

Erst wo ein Nutzen zutage liegt, folgt die Bereitschaft, Veränderungen anzustimmen. Prozessmanagement ist ein Tool, Effizienzgewinne dort auszumachen, wo vorher jede Menge Routine herrschte, so Dr. Lars Algermissen.

regelrechten OZG-Enabler bei der Hand, der neben den Leistungen im Frontend auch das Backend digital ermächtige.

Der innerbehördliche Workflow wird vom Onlinezugangsgesetz nicht erfasst. Medienbrüche (auch digitale) sind hier noch vielfach an der Tagesordnung. Bei der Einführung neuer Systeme sind diese manchmal sogar notwendig, um in der Übergangsphase arbeitsfähig zu bleiben. Fotos: BS/Dombrowsky

Digitalisieren heißt Priorisieren Doch ist ein verknüpftes Daten- bzw. Identitätshandling nur ein Aspekt auf dem Weg hin zu einer digitalen Verwaltung. Ein anderer ist, wie die disponiblen Daten in den anschließenden Verfahren bearbeitet werden, sagt Dr. Lars Algermissen, Geschäftsführer der PICTURE GmbH. Seit Jahren berät er die öffentliche Verwaltung in Fragen der Prozessoptimierung und weiß um die Schwierigkeiten, die eine Umstellung im laufenden Betrieb bedeutet. Das gelte umso mehr bei einem Megathema wie der Digitalisierung, das sämtliche Arbeitsprozesse erfasse und in ihrer Substanz verändere. Algermissen rät zu einer Bestandsanalyse, um in einem ersten Schritt diejenigen Themen zu identifizieren, die künftig als Treiber dienen können. “Es hilft nichts, sich ausschließlich auf die Probleme zu konzentrieren. Am Beginn jeder Prozessoptimierung stehen Herausforderungen, die zunächst übermächtig scheinen. Dazu rechnen Geldund Ressourcenfragen, konzeptionelle Widrigkeiten, aber auch mangelnde Motivation. Die Wahrheit ist, solange der Fokus auf den Problemen ruht, geschieht nichts. Erst wenn ein klarer Nutzen identifiziert werden konnte, stellt sich aufseiten der Mitarbeiter die Bereitschaft

Ist eine vollautomatisierte Zukunft wünschenswert? Für ein gesundes Maß an Skepsis plädiert Dr. Maximilian Wanderwitz, Autor und Dozent in München.

ein, den digitalen Wandel in Angriff zu nehmen. Es geht darum, auf breiter Grundlage Akzeptanz zu schaffen – auch unter den Führungskräften.” Aus Sicht des Prozessmanagements bedeute Digitalisieren darum immer auch nach Nutzen zu priorisieren.

Was einfach ist, setzt sich durch Es zählt zu den Eigenheiten des digitalen Wandels, dass er zu einem Zeitpunkt einsetzt, da der Verwaltung große personelle Umbrüche bevorstehen. Aktuelle Zahlen sprechen von rund 30 Prozent des aktuellen Mitarbeiterbestands, der sich in den kommenden Jahren in den

Ruhestand begeben wird. Das stellt die öffentliche Verwaltung vor enorme Probleme, denn dem Schwund des Personals aufseiten des Backends korrespondiert gleichzeitig – digitale Wege sei Dank – eine zunehmende Erreichbarkeit aufseiten des Frontends. Äußern wird sich die absehbare Personalknappheit wohl vor allem im direkten Kontakt mit dem Bürger. Als eine Möglichkeit, die sich andeutende Überbelastung in ihren Ausmaßen abzuschwächen, bietet sich die Einbindung intelligenter Chatsysteme an. “Was die klassische Verwaltungsarbeit angeht, birgt die Digitalisierung große Potenziale. Der Einsatz KIgesteuerter Chatsysteme kann hier viel leisten und die Mitarbeiter allein dadurch entlasten, dass Routinetätigkeiten einfach und komfortabel übernommen werden können”, erklärt Dr. Alexander Bode von MakeIT Consulting. Das IT-Start Up verantwortet den Verwaltungsassistenten “deinChatbot”, ein modular aufgebautes KI-System, das bereits in mehreren hessischen Kommunen im Einsatz ist. “Beim öffentlichen Sektor zeichnet sich wie bei der Privatwirtschaft ein Prozess in Richtung 24/7 ab. Zwar müssen digitale Prozesse im Backend genaustens durchdacht sein, mit KI-gestützten Chatsystemen können wir hier immerhin unseren Beitrag zum Bürgerservice

leisten”, definiert Bode das Arbeitsfeld für Chatbots.

Muster erkennen, Vorhersagen treffen Automatisierung und Assistenz seien indes nur zwei Bereiche für den Einsatz von KI im Öffentlichen Dienst. Ein ebenso vielversprechendes Feld sei die Erkennung von Mustern mit anschließender Vorhersage. Dieser Überzeugung ist Bernd Simon von SAP. “Der große Vorteil einer intelligenten Datenauslese kann sich für die öffentliche Verwaltung etwa in der Entwicklung eines Frühwarnsystems bei Steuersündern bemerkbar machen”, sagt er. Das System segmentiere unter den Steuerzahlern, erkenne Verhaltensmuster und leite daraus Schlüsse für eine frühzeitige Kontaktaufnahme ab. Simon: “Hat sich ein Bürger als notorischer Spätzahler entpuppt, besteht so die Möglichkeit, rechtzeitig gegenzusteuern”. Zwar sei ein vergleichbares System in Deutschland aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht umzusetzen, jedoch handle es sich nur um ein Muster, das die Möglichkeiten der intelligenten Vorhersage für anstehende Herausforderungen beim E-Government oder der Smart City illustriere.

Skepsis behalten Ausgehend von den Möglichkeiten, die man heute schon besitze, sei ein Ende der technischen Entwicklung nicht absehbar, sagt Dr. Maximilian Wanderwitz, Autor und Dozent in München. Denkbar sei eine vollautomatisierte Zukunft, in der sämtliche Prozesse elektronisch abgewickelt würden: “Vom einfachen Verwaltungskontakt bis hin zur juristischen Klage könnte das gesamte Backend des Staates durch Algorithmen abgedeckt werden.”

“Schon jetzt sind die Analysefähigkeiten künstlicher Intelligenz besser als unsere angestammten Vermessungsethoden”, erklärt Dr. Robert Roschlaub, Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung.

Die letztlich entscheinde Frage sei, ob man sich ein solches Szenario einer entmenschlichten Verwaltung überhaupt wünschen könne.

Gekommen, um zu diskutieren

(BS/gg) Traditionell schloss der 6. Zukunftskongress Bayern auch in diesem Jahr mit einer offenen Podiumsdiskussion (Bild rechts), die dem Publikum die Gelegenheit gab, individuelle Fragen zur Digitalisierung der Verwaltung direkt an die Expertinnen und Experten auf der Bühne zu richten. Hier stellten sich dieses Mal (v.l.n.r.) Thomas Bönig (CDO Landeshauptstadt München), Andreas Rathgeb (CGI), Christian Bähr (IT-Abteilungsleiter im Bayerischen Digitalministerium) Florian Wüchner (msg), Prof. Manfred Mayer (Moderator und fachlicher Leiter des Kongresses), Gudrun Aschenbrenner (AKDB) und Jan-Lars Bey (Cassini) den Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Im Ausstellungsbereich des Kongresses im Haus der Bayerischen Wirtschaft wurde ohnehin den ganzen Tag – insbesondere in den Pausen – intensiv diskutiert, Exponate begutachtet, Netzwerke gesponnen, gepflegt und ausgebaut. Fotos: BS/Dombrowsky


Informationstechnologie

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ehörden Spiegel: Herr Gatzer, das Projekt IT-Konsolidierung des Bundes wurde 2015 gestartet. Wie ist der Stand nach der jüngsten Umstrukturierung?

Behörden Spiegel / März 2020

Altes Projekt, neuer Anlauf ITZBund wird für die IT-Konsolidierung 2.0 ertüchtigt

Gatzer: Das Kabinett hat be- (BS) Seit rund fünf Jahren läuft in der Bundesverwaltung das Projekt IT-Konsolidierung. Ziel: Ordnung in die IT-Landschaft bringen. Das heißt Archischlossen, Aufgaben neu aufzu- tekturen standardisieren, Dienste zentral entwickeln und den Rechenzentrumsbetrieb bündeln. Ressortstreitigkeiten hatten das Projekt verzögert, teilen und wir sind jetzt in der schließlich machte eine Explosion der Kosten ein Umdenken nötig. Generalunternehmer für die Konsolidierung ist jetzt das ITZBund. Über den Startphase nach dieser Umstruk- Neuansatz für das Großprojekt und die Umwandlung des IT-Dienstleisters in eine Anstalt öffentlichen Rechts sprach Werner Gatzer, Staatsekretär turierung. Die Dienstekonsolidie- beim Bundesminister der Finanzen, mit Uwe Proll. rung bleibt im Innenministerium, löst werden wir als Bundesfinanzministe- tion haben. Im Verwaltungsrat können. rium tragen jetzt federführend werden die Ressorts vertreten Sprach im Behörden Spiegel“Neu ist, dass wir das Neu ist alInterview über die Umstrukdie Verantwortung für die Be- sein. Er wird Mitwirkungsrecht ­Projekt IT-Konsolidierung turierung im ITZBund als lerdings, triebskonsolidierung. Ab diesem haben bei der Bestellung des Generalunternehmer für die dass wir das Jahr haben wir das ITZBund als Direktors, bei der Freigabe des von den sonstigen IT-Konsolidierung Bund: der Projekt ITeinzigen Dienstleister für die IT- Wirtschaftsplanes und bei der IT-Aufgaben und dem Staatssekretär im Bundesstrategischen Konsolidierung KonsolidieTagesgeschäft trennen finanzministerium Werner Ausrichtung. installiert. Gerung von den “Die Einrichtung als Gatzer. Im Übrigen meinsam stelsonstigen und auch organisatorisch AöR wird bereits mit Foto: BS/Bundesministerium der wird das ITZlen wir das IT-Aufgaben Finanzen, Thomas Koehler gesondert aufhängen.” Projekt jetzt und dem TaBund auch den Ressorts erörtert. gesgeschäft neu auf, um als AöR der Ich bin zuversichtlich, trennen und insbesondere Rechts- und dass wir das noch in die BetriebsFachaufsicht auch als Unterauftragnehmer des auf den Vorarbeiten mit der BWI auch organisatorisch gesondert konsolidiediesem Jahr im Gesetz- des Bundesfi- ITZBund beteiligt werden. Und aufbauen. Wir schauen uns an, aufhängen. Auf der einen Seite rung schneller nanzministeri- darauf werden wir auch zurück- was bereits gemacht worden ist haben wir also den Betriebsabblatt haben werden.” vorantreiben zu ums unterlie- greifen müssen. Wir fangen ja und ich gehe davon aus, dass das lauf der großen Verfahren, wie gen. nicht bei null an, sondern haben in den meisten Fällen kompatibel Besoldung und Zoll, oder der können, als das Von den bisherigen Gehalts- schon Teilergebnisse erzielt, auch ist zu dem, was wir vorhaben. Verfahren des Bundesinnenmiin der Vergangenheit der Fall Schließlich haben die BWI und nisteriums. Auf der anderen Seite gewesen ist. Parallel dazu berei- strukturen werden wir uns im mithilfe der BWI. das ITZBund genauso wie die das Projekt IT-Konsolidierung als ten wir gerade die Änderung der Großen und Ganzen nicht trenRechtsform des ITZBund vor. Die nen. Wir werden aber weiterhin Behörden Spiegel: Können Ressorts damals nicht losgelöst zweite Säule. Dabei ist ganz klar Einrichtung als Anstalt öffentli- bei herausgehobenen Fachkräf- Sie denn ausschließen, dass es voneinander gehandelt. Darum festgelegt, dass Personal, das für chen Rechts (AöR) wird bereits ten von den Besoldungsmöglich- jetzt zu spürbaren Verzögerungen bin ich sehr optimistisch, dass dieses Projekt noch aufgestockt mit den Ressorts erörtert. Ich bin keiten Gebrauch machen, die wir kommt, dadurch, dass die BWI ja wir Verzögerungen in der Hin- werden muss, auch nur auszuversichtlich, dass wir das noch bereits jetzt haben. schon Prozesse mit einigen Kun- sicht auf ein Minimum reduzieren schließlich für IT-Konsolidierung eingesetzt werden darf. Ein Perin diesem Jahr im Gesetzblatt den angestoßen hat und diese nun können. Behörden Spiegel: Mit dem Ka- doch ihre Erstvertragsabschlüsse sonalaustausch, um Lücken in haben werden. binettsbeschluss wurde das ITZ- mit dem ITZBund machen müsBehörden Spiegel: Jedenfalls anderen Bereichen zu schließen, Behörden Spiegel: Eine AöR Bund als der Dienstleister für die sen? wird nun eine Fülle von Aufgaben wird von uns nicht zugelassen. lässt sich so oder so ausgestalten. auf das ITZBund zukommen. Mit Das Projekt wird direkt beim Sowohl bei der Frage, wie sehr dem jetzigen Personal wird das Direktor angesiedelt. Das wird “Die BWI hat schon viel eingebracht und kann die Anstalt dann von Beschlüssen so problemlos nicht von jetzt auf auch dazu führen, dass diese demnächst auch als Unterauftragnehmer des eines Verwaltungsrates abhängig gleich zu stemmen sein. Denken Aufgabe personell angemessen ist, als auch was BesoldungsmögSie neben der BWI auch an Dritte ausgestattet sein wird. Wir haITZBund beteiligt werden. Und darauf werden als weitere Unterauftragnehmer? ben vom Bundesinnenministerilichkeiten angeht. Wir würden Sie wir auch zurückgreifen müssen.” um Stellen bekommen und sind diese geplante AöR beschreiben? Gatzer: Das ist durchaus denk- dabei, Personal zu gewinnen. Gatzer: Wir orientieren uns IT-Konsolidierung gesetzt. Damit Gatzer: Eine interessante Frage bar und auch kein Neuland. Das Das könnte aus dem ITZBund etwas am Beispiel der Bundes- ist die BWI GmbH also ganz aus vor dem Hintergrund, dass wir ITZBund hat sich auch in der sein oder aus anderen Teilen anstalt für Immobilienaufgaben dem Prozess herausgenommen? die Neustrukturierung ja des- Vergangenheit Externer zur Auf- der Verwaltung oder auch vom (BImA). Allerdings wird beim ITZhalb vorgenommen haben, weil gabenerfüllung bedient, weil mit freien Markt. Diese Aufgabe muss Bund der Verwaltungsrat bedeuGatzer: Das würde ich nicht so es in der Vergangenheit nicht so den internen personellen Res- schnellstmöglich erledigt werden, tungsvoller und gewichtiger sein sehen. Die BWI hat schon viel schnell vorwärts ging, wie wir uns sourcen nicht in der gebotenen damit wir dann nicht nur die und nicht nur beratende Funk- eingebracht und kann demnächst das erhofft hatten. Wir können Schnelligkeit alle Aufgaben ge- Stellen besetzen, sondern auch

Was muss der Staat leisten?

“W

enn wir über die Gestaltung der Digitalisierung in Verwaltung und Gesellschaft sprechen, ist Daseinsvorsorge ein Schlüsselbegriff”, so Dr. Andreas Bovenschulte, Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen zur Eröffnung der Bremer Gespräche zur digitalen Staatskunst. Er warnt, dass digitale Entwicklungen nicht dazu beitragen dürften, dass sich Ungleichheiten verschärften und Subjekte zum Objekt würden. Staat und Kommunen müssten sich vielmehr fragen, wie digitale Entwicklungen zu Gerechtigkeit und Gleichberechtigung beitragen könnten, so Bovenschulte. Daseinsvorsorge umfasse heute auch digitale Grundleistungen. “Trotz der scheinbaren Allgegenwärtigkeit des Digitalen können wir aber eine soziale Spaltung entlang des Digital Divides feststellen.” Umso wichtiger sei es, Angebote und Leistungen unter Berücksichtigung der Teilhabe zu gestalten. Als Beispiel für Maßnahmen zur Inklusion nannte Bovenschulte “Digitalambulanzen”. In Bremen soll unter diesem Überbegriff ein Netzwerk von Hilfs- und Förderangeboten für, zum Beispiel, ältere Menschen eingerichtet werden. Geplant sind Angebote in Begegnungsstätten oder Hausbesuche bei Problemen mit Computer oder Smartphone.

Infrastrukturen mitgestalten Der Bremer Bürgermeister stellt aber auch klar, dass Digitalisierung bisher vor allem von großen Konzernen vorangetrieben werde. In Zukunft sei darauf zu achten, dass beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz, zum Beispiel im Bereich von Finanzratings oder in der Gesundheitsbranche, Transparenz der Datennutzung und Entscheidungsfindung gewähr-

Daseinsvorsorge als Kern der Digitalpolitik (BS/Benjamin Stiebel) Daseinsvorsorge meint die Erbringung der wesentlichen für das Leben und das Funktionieren des Gemeinwesens notwendigen Güter. Grundlage sind leistungsfähige Infrastrukturen, heute zweifelsohne auch die digitalen. Nicht nur ist die Versorgung mit althergebrachten Gütern wie Energie und Wasser zunehmend von digitaler Vernetzung abhängig. Neuartige Infrastrukturen und Güter wie Plattformen, Identitäten oder elektronische Gesundheits- und Mobilitätsdienste werden Teil der Daseinsvorsorge. Was und wie viel müssen Staat und Kommunen bei der digitalen Vorsorge leisten? Wie stellen sie den gleichen und gerechten Zugang für alle sicher?

Der Bremer Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte mahnte zur Eröffnung der Bremer Gespräche, bei der Digitalisierung Gleichberechtigung und Teilhabe zu Leitzielen zu machen. Fotos: BS/Stiebel

leistet ist. Im Zuge des radikalen Wandels dürften die Grundrechte und insbesondere die Gewährleistung der Menschenwürde nicht auf der Strecke bleiben, mahnte Bovenschulte. Dies sei Aufgabe politischer und gesellschaftlicher Gestaltung.

und Ländern intelligent zu einer gemeinsamen Struktur zu vernetzen”, so Vitt. So könnten digitale Dienste anderen Teilnehmern zur Nutzung angeboten werden. Bei zentralen und Querschnittsdiensten plädiert der Bundes-CIO für eine Veröffentlichung als Open Source. “Verfahren könnten einmal entwickelt und dann zentral bundesweit verfügbar gemacht werden. Das ist das Einer-für-alle-Prinzip in modernisierter Form.” (Mehr zu digitalen Verwaltungsdienstleistungen im Nachbericht zum Fachkongress Digitaler Staat ab Seite 25.) Derweil läuft das von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier initiierte Projekt GAIA-X

an. Dabei geht es um eine europaweite Cloud-Infrastruktur zum Teilen von Unternehmensdaten. Je mehr der Staat mitgestaltet, desto eher kann er auch Verantwortung übernehmen. So forderte Dietmar Strehl, Bremer Senator für Finanzen, Nachhaltigkeit stärker in den Fokus zu nehmen. Klimawandel und Umweltschutz seien die aktuell größten globalen Herausforderungen, Digitalisierung drohe die Probleme zu verschlimmern. “Besonders Anwendungen auf Basis Künstlicher Intelligenz haben einen hohen Energiebedarf. Wenn wir immer größere Rechenzentren benötigen, müssen wir die Effizienz deutlich verbessern.” Bei der

Mehr Kontrolle oder Mitentscheidung des Staates Das setzt ein höheres Maß an Kontrolle oder Mitentscheidung seitens des Staates voraus, als dieser bisher geltend gemacht hat. Ein Ansatz in diesem Zusammenhang besteht darin, digitale Infrastrukturen von staatlicher Seite selbst zu errichten oder partnerschaftlich mitzugestalten. So warb Klaus Vitt, IT-Beauftragter der Bundesregierung (CIO), für seine Idee einer föderalen Verwaltungscloud. “Es bietet sich dabei an, bestehende oder zukünftige Clouds von Bund

Das zweitätige Kolloquium in der oberen Halle des Bremer Rathauses brachte Vertreter aus Bund, Ländern und Kommunen zur Diskussion über moderne Daseinsvorsorge zusammen.

Beschaffung von IT solle zukünftig stärker auf die langfristige Nutzung und die Nachhaltigkeit bis hin zur Entsorgung geachtet werden, so Strehl. “Zudem muss auch von den Anbietern eingefordert werden, dass die Hardware fair und ressourcenschonend hergestellt worden ist.” Aktuell seien Lieferketten aber noch zu intransparent, um diese Eigenschaften hinreichend prüfen zu

von den Köpfen her bestmöglich aufgestellt sind. Behörden Spiegel: Zurzeit wird wieder viel über ein Digitalministerium gesprochen und einige glauben, dass man damit das Kompetenzgerangel zwischen den Ressorts vermeiden könnte. Wenn Sie auf einem weißen Blatt Papier eine Digitalstruktur des Bundes entwickeln sollten, die funktional, modern und sicher ist, wie sähe sie aus? Gatzer: Auch die Bündelung in einem eigenen Ministerium würde nichts an der durch das Grundgesetz festgelegten Hoheit der einzelnen Ressorts ändern, im eigenen Geschäftsbereich zu machen, was sie jeweils selbst für richtig halten. Wichtiger ist, dass alle Ressorts kooperativ sind. Mit der Umstrukturierung hat jetzt der Lenkungsausschuss im IT-Rat an Gewicht gewonnen. Dieser ist die höchste Entscheidungsstufe, wenn keine Einigkeit erreicht werden kann. Dort werden wir dann auch manchmal Entscheidungen gegen die Interessen einzelner Ressorts treffen müssen, wenn es für das Gesamtziel erforderlich ist. Ich setze darauf, dass so auch mit der jetzigen Verteilung auf mehrere Schultern das Projekt gelingen kann. Die Aufgaben sind auch gut abgegrenzt. Wir machen die Betriebskonsolidierung. Das Bundesinnenministerium ist weiterhin grundsätzlich für die IT des Bundes verantwortlich und macht die Dienstekonsolidierung. Die Ressorts behalten die fachliche Verantwortung für ihre Fachanwendungen. An die will keiner ran. Diese Sorge abzubauen, wird uns sicherlich gelingen. Mit der Neustrukturierung des ITZBund und des Verwaltungsrats geben wir den Ressorts auch die Möglichkeit, an maßgeblicher Stelle mitzugestalten.

können, räumte der Senator ein. Mit dem zweitägigen Kolloquium zur digitalen Daseinsvorsorge im Rathaus sind die “Bremer Gespräche zur digitalen Staatskunst” nunmehr in Serie gegangen. Das Format des Kolloquiums mit Schwerpunkt auf staatstheoretischen und politik- sowie rechtspolitischen Perspektiven wurde im Februar 2019 erstmals erprobt, Leitfrage damals: “Brauchen wir eine neue Staatskunst?” (siehe Behörden Spiegel März 2019, S. 25). Ergebnisse der Auftaktveranstaltung sind auch als Tagungsband unter demselben Titel erhältlich (Kellner Verlag; ISBN: 9783956512117). Ein Tagungsband für die diesjährige Veranstaltung ist bereits in Arbeit.

MELDUNG

Neues E-Government-Gesetz für NRW (BS/pet) Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat einen überarbeiteten Entwurf für das E-Government-Gesetz verabschiedet. Mit der Novelle wächst nicht nur die Höhe der finanziellen Auslagen, sondern auch der Geltungsbereich des Gesetzes. Dieses umschließt neben der Verwaltung nun auch Schulen, Universitäten und nahezu alle Behörden auf Landesebene. Vorausgegangen war eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände sowie engagierter Bürger, die bis Ende Oktober 2019 ihre Vorschläge auf einer Online-Plattform eingebracht hatten. Im Zuge der Überarbeitung sollen die geplanten Investitionen um weitere 600 Millionen Euro angehoben werden. Insgesamt stellt die Landesregierung damit

Finanzmittel in Höhe von einer Milliarde Euro in Aussicht. Mit der Erhöhung der Auslagen korrespondiert eine Erweiterung des Anwendungsbereichs, der von 120.000 betroffenen Arbeitsplätzen auf 170.000 anwächst: ein Kraftakt, wie Digitalisierungsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart betont. Zusätzlich wurde der Stichtag für die vollständige Digitalisierung NRWs von 2031 auf 2025 vorgezogen. Dies hatte die Landesregierung bereits 2019 während einer auswärtigen Sitzung in Berlin bekanntgegeben. Trotz des erheblichen finanziellen Aufwands, der mit der Novellierung einhergeht, rechnet man im Digitalministerium damit, dass man die Mehrausgaben infolge der erwartbaren Effizienzsteigerung schon 2025 wieder werde ausgleichen können.



Informationstechnologie

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ie Spannweite der Leistungen im Themenfeld “Mobilität und Reisen” erstreckt sich von sehr häufig nachgefragten Verwaltungsleistungen, wie beispielsweise dem Führerschein oder der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, bis zu weniger nachgefragten Leistungen wie der Genehmigung für das Befahren von Gewässern. Aktuell entwickeln wir in BadenWürttemberg die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, den Bewohnerparkausweis, die Park­ ausweise für Betriebe sowie die Parkerleichterung für Schwerbehinderte. Darüber hinaus entwickelt ein Projektteam den Antrag zum Betrieb von unbemannten Luftfahrtsystemen und Flugmodellen – kurz: “Drohnen”.

Einblicke in unsere Digitalisierungslabore Die Arbeiten in unseren Digitalisierungslaboren bestätigen uns immer wieder, wie wichtig es ist, agil und nutzerorientiert vorzugehen. Von Anfang an haben wir bei der Planung von OnlineDienstleistungen Wert daraufgelegt, die Frontend-Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer sowie die Backend-Perspektive der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter gleichermaßen einzunehmen. Wir orientieren uns dabei an den internationalen Best-Practices effizienter, nutzerzentrierter Verwaltungsdigitalisierung.

Vielversprechende Zwischenergebnisse Bereits die Zwischenergebnisse unserer noch laufenden Labore sind vielversprechend. So streben wir zum Beispiel als ein Ergebnis unseres Digitalisierungslabors

Behörden Spiegel / März 2020

Mit service-bw E-Government für alle! Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in Baden-Württemberg

SERIE: DIE OZG-UMSETZUNG Themenfeld “Mobilität und Reisen”

(BS/Stefan Krebs) Das Land Baden-Württemberg hat gemeinsam mit Hessen und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Federführung für das Themenfeld “Mobilität & Reisen” übernommen. Mit der zentralen E-Government-Plattform service-bw verfügt BadenWürttemberg über beste Voraussetzungen für die Umsetzung des OZG. Damit die Digitalisierung in der Fläche gelingt, setzen Land und Kommunen Nachnutzung von länderüberauf eine enge Zusammenarbeit. greifenden Ergebnissen. Außer“Drohne” an, die Erteilung einer Allgemeinerlaubnis als vollautomatisiertes Verfahren anbieten zu können. Das würde bedeuten, dass die Antragstellerinnen und Antragsteller unmittelbar nach Beantragung ihre Bescheide erhalten. Die Ressourcen der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter würden für kompliziertere Prüf- und Genehmigungsverfahren freigehalten werden. Als weiteres Win-win-Beispiel aus den Digitalisierungslaboren sei die Parkerleichterung für Schwerbehinderte genannt. Hier haben uns mitwirkende Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter berichtet, dass es bei der Beantragung bestimmter Parkerleichterungen zu Ablehnungsquoten von bis zu 90 Prozent komme, weil die antragstellenden Personen Fragen auf dem analogen Antragsformular falsch interpretierten. Mit diesen Hinweisen sowie basierend auf Nutzertests mit Click-Dummys konnten wir die Nutzerreise bei der Antragstellung so gestalten, dass es künftig zu signifikant weniger Ablehnungen kommen wird und die Antragstellerinnen und Antragsteller automatisch zu der für sie besten Parkerleichterung sowie einfachsten Antragsform geführt werden. Solche Ergebnisse motivieren selbstverständlich das gesamte

interdisziplinär zusammengesetzte Projektteam, von den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern über den IT-Dienstleister und die Fachjuristen bis hin zu unseren Testnutzerinnen und Testnutzern. Alle sehen gespannt und voller Energie der Pilotphase sowie dem Rollout der digitalen Verwaltungsleistungen in den nächsten Monaten entgegen. Technische Basis für die Umsetzung des OZG in BadenWürttemberg ist die zentrale E-Government-Infrastruktur service-bw. Zur Microservice-basierten Architektur von service-bw gehören u. a. der Zuständigkeitsfinder, das Prozess- und Formularmanagement, das Service Gateway mit Schnittstellen zur Anbindung von Drittsystemen, beispielsweise zur Integration von auf service-bw zentral bereitgestellten Daten und Diensten in kommunale Webseiten, sowie das Servicekonto BW mit ID- und Postfachdiensten für Bürgerinnen und Bürger, für Unternehmen und Behörden.

Standardprozesse auf service-bw Auf Basis von service-bw verfolgt das Land den Ansatz von sogenannten Standardprozessen. Nach und nach entsteht eine Sammlung von qualitativ hochwertigen und von Nutzern

getesteten Bausteinen, mit denen digitale Prozesse schneller gebaut werden können. Jeder Standardprozess kann allen jeweils zuständigen Kommunen sehr effizient zur Nutzung angeboten werden. Keine Kommune muss hierfür eine eigene Infrastruktur vorhalten. Im Zuge der Aktivierung der Standardprozesse können die Kommunen die Prozesse mit geringem Aufwand in ihre Webseiten integrieren und mit Merkmalen ihrer Corporate Identity versehen. Mit diesem strategischen Ansatz hat Baden-Württemberg sehr gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung des OZG. Künftig werden die Ergebnisse der länderübergreifenden Themenfeldbearbeitung die wesentliche Basis für die landesspezifische Implementierung auf service-bw bilden. Im Zuge der Implementierung sind die in Baden-Württemberg eingesetzten Fachverfahren anzubinden und ergänzende Nutzertests durchzuführen. Die besonders aufwendigen Phasen der Nutzerrecherche und die fachliche Erarbeitung des optimierten Soll-Prozesses können bei Übernahme der Ergebnisse aus der länderübergreifenden Themenfeldbearbeitung entfallen. Baden-Württemberg wiederum speist die Ergebnisse der aktuell laufenden eigenen

Prozessprojekte in die Bearbeitung anderer OZG-Themenfelder ein.

Land und Kommunen arbeiten eng zusammen Rund 80 Prozent aller Verwaltungsverfahren liegen in der Zuständigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden. Damit die Digitalisierung in der Fläche auf effiziente Weise gelingt, setzen das Land Baden-Württemberg und die kommunalen Landesverbände auf eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit. Hierfür haben sie vor gut einem Jahr eine E-GovernmentVereinbarung geschlossen. Diese fixiert die gemeinsamen Ziele und Grundsätze für die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen in Baden-Württemberg und schafft den organisatorischen wie finanziellen Rahmen für die Zusammenarbeit. Die Vereinbarung definiert als Ziel die medienbruchfreie und nutzerorientierte Digitalisierung der wichtigsten Verwaltungsleistungen auf Basis von service-bw. Dies geschieht unter Berücksichtigung der Vorgaben des OZG und der dazugehörigen

dem bekennen sich die Partner zum gemeinsamen Einsatz für notwendige Rechtsanpassungen sowie für technische und organisatorische Maßnahmen auf Bundes- und auf Landesebene, um die Leitgedanken “digital first” und “once only” in Baden-Württemberg möglichst weitgehend zu realisieren. Ein Lenkungskreis steuert die Maßnahmen zur Umsetzung des OZG im kommunalen Bereich. In Baden-Württemberg ist die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung des OZG im Wesentlichen gelegt: Die Infrastruktur steht bereit, die Strukturen der Zusammenarbeit sind aufgebaut und die Erfahrungen in den ersten Umsetzungsprojekten sind ermutigend. Die systematische Kommunikation in Richtung der Kommunen ist eingeleitet. Der Schritt hin zu einer flächendeckenden Bereitstellung der ersten fertigen Standardprozesse steht unmittelbar bevor – wir sind gespannt auf die Resonanz.

Ministerialdirektor Stefan Krebs ist in einer Doppelfunktion sowohl Chief Digital Officer (CDO) als auch Chief Information Officer (CIO) der Landesregierung Baden-Württembergs. Foto: BS/Laurence Chaperon

Digital nur Durchschnitt Initiative D21 stellte jährlichen Index vor (BS/wim) Die Gesellschaft ist bei der Digitalisierung weiterhin solide, aber nicht vorbildlich aufgestellt. Das ist das Fazit des achten Digitalisierungindex, der Ende Februar von der Initiative D21 vorgestellt wurde. Auf einer Skala von null bis 100, die in vier Unterkategorien “Zugang” zum Internet, Digitale “Kompetenz”, “Nutzungsverhalten” der Menschen sowie “Offenheit” gegenüber den technischen Innovationen aufgeteilt wird, kommt die Initiative für das Land auf einen Gesamtquotienten von 58. Das ist immerhin ein Plus von drei Punkten gegenüber dem Vorjahr, aber weiterhin kein wirklicher Quantensprung.

Digitales Gefälle je nach Bildungsstand Obwohl nicht nur die Gesellschaft, sondern auch das staatliche Handeln immer mehr von der Digitalisierung durchdrungen wird, kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass immer noch knapp ein Fünftel aller Deutschen nie oder nur ganz selten online aktiv sind. Diesen 18 Prozent “Digital Abseitsstehenden”, die tendenziell weiblich, älter als 70 Jahre und mit niedrigem Bildungsstand ausgestattet sind, stehen 38 Prozent “Digital Mithaltende” und 44 Prozent “Digitale Vorreiter” entgegen. Außerdem sehen die “Offliner” die Digitalisierung als negativ konnotierten Trend, der sie in ihrem Alltag sowieso nicht wirklich betreffe. Dem gegenüber stehen die Digitalen Vorreiter, die in diesem Jahr zum ersten Mal die größte der drei Gruppen ausmachen. Diese Menschen sind durchschnittlich um die 40 Jahre alt, tendenziell mindestens mit dem Abitur aus dem Bildungssystem gegangen und sehen die Digitalisierung als positiven Trend, der viele Chancen für die Zukunft bringt. Es zeigt sich also: Der digitale Wert eines Menschen in Deutschland verbessert sich

statistisch vor allem nach der Bildung. Diese Entwicklung wird auch von der Nutzung digitaler Dienste unterstrichen. So sind 97 Prozent aller Menschen mit hohem Bildungsstand und immer noch 92 Prozent der Menschen mit mittlerer Bildung in ihrem Alltag regelmäßig online unterwegs; bei den Menschen mit niedriger Bildung sind es dagegen lediglich 64 Prozent der Befragten. Aber nicht nur die Nutzung ist defizitär, erklärte D21-Geschäftsführerin LenaSophie Müller bei der Vorstellung des Index: “Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss neigen außerdem auch zu geringer digitaler Kompetenz. Hier gäbe es eigentlich viel zu tun, allerdings ist das Interesse dieser Gruppe, eine solche Kompetenz aufzubauen, ebenfalls sehr gering.” So sind laut dem Index nur gut ein Viertel aller Menschen aus dieser Gruppe interessiert an einer Verbesserung ihrer Digitalkompetenz.

Datenschutz oft zu komplex Gerade diese Kompetenz ist aber für einen sinnvollen und nachhaltigen Umgang mit der heutigen Digitalisierung notwendig. Dabei sei ein grundsätzliches Bewusstsein für den Schutz der eigenen Daten durchaus vorhanden, “aber die Resignation bei den Bürgern steigt zunehmend”, so Andreas Pohle vom Marktforschungsunternehmen Kantar, mit dem die Initiative D21 den Index produziert: “Fast zwei Drittel der Menschen sehen einen unweigerlichen Kontrollverlust über ihre Daten, sobald sie einen digitalen Dienst nutzen.” Das liege daran, dass die Datenverwaltung für viele einfach zu komplex sei, so der Marktforscher.


Informationstechnologie / ÖFIT

Behörden Spiegel / März 2020

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Regelmäßige Themenseite in Kooperation mit:

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

März 2020

Viele Digitalprojekte auf dem Land bangen um ihre Existenz Viele ländliche Gemeinden in Deutschland starten innovative Digitalprojekte, um die Daseinsvorsorge und Lebensqualität vor Ort zu verbessern. Doch obwohl sie erfolgreich sind, bangen viele Projekte um ihre Existenz. Das Kompetenz­zentrum Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer-Institut FOKUS hat untersucht, wie ländliche Digitalprojekte auch langfristig bestehen können. Ländliche Räume stehen vor Herausforderungen in Feldern wie digitaler Infrastruktur, Mobilität, Gesundheit, Bildung, Arbeit und Wirtschaft, Nahversorgung sowie Gemeinsinn und Zusammenhalt. Diese Herausforderungen gehen Gemeinden mit praktischen digitalen Lösungsansätzen aktiv an, beispielsweise mit Ridesharing-, Telemedizin- oder E-Learning-Projekten. Doch viele Projekte sind von Problemen bei der Umsetzung geplagt oder entfalten nicht die gewünschte Wirkung. Welche Faktoren begünstigen die Erfolgsaussichten und welche stehen ihnen entgegen? Welche Empfehlungen lassen sich hieraus ableiten, sowohl für Politik und Verwaltung als auch für die Projekt-

S

ie zeigen, dass die meisten Teilnehmer aus der öffentlichen Verwaltung im laufenden Jahr mit höheren Budgets rechnen, vor allem ihre IT-Dienstleister. Im kommenden Jahr sollen laut ihrer Prognose die Investitionen bei vielen Behörden weiter steigen. Sie werden zu einem großen Teil in den Ausbau der Digitalisierung fließen, die für die meisten Teilnehmer das wichtigste IT-Ziel der kommenden zwölf Monate ist. Offenbar zählen sie dazu auch die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), für das bis 2022 575 Leistungsbündel online zur Verfügung gestellt werden müssen und die dementsprechend hohe Priorität hat. Viele Teilnehmer haben außerdem Vorgaben von ihren Vorgesetzten erhalten, die Effizienz zu erhöhen und ihre Leistungen stärker an den Bedürfnissen von Bürgern und Unternehmen auszurichten, eine Anforderung, die ebenfalls im Zusammenhang mit der Umsetzung des OZG steht.

durchführenden? Antworten hierzu liefert das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT), das 49 Projekte befragt hat. Von Förderbescheid zu Förderbescheid Je nach Domäne stehen die befragten Projekte vor ähnlichen Herausforderungen. 27 Prozent berichten von Schwierigkeiten beim Stakeholdermanagement, 31 Prozent von technischen und organisatorischen Umsetzungsproblemen. Auch die Kommunikation (22 Prozent), das Erreichen der Zielgruppe (18 Prozent) und die Überlastung der Ehrenamtlichen (18 Prozent) stellt für viele Projekte eine Herausforderung dar. Zudem zeigen sich ungehobene Potenziale beim überregionalen Erfahrungsaustausch und der Replikation erfolgreicher Konzepte. Sorgen bereiten vielen Projekten darüber hinaus die Finanzierung (35 Prozent) und Verstetigung (29 Prozent) ihrer Vorhaben. Denn mehr als jedes dritte befragte Projekt finanziert sich aus öffentlichen Fördermitteln, ebenso viele nutzen Fördermittel anderer Geber, beispielsweise privater Stiftungen. Eigene Einnahmen, etwa Mietoder Nutzungsgebühren, erwirtschaftet hingegen nur jedes vierte Projekt. Nur die Hälfte der befragten Projekte gibt an, ein Geschäftsmodell zu haben. Gutes Stakeholdermanagement am wichtigsten Aus den Erfahrungen und Empfehlungen der Befragten zeichnen sich jedoch eindeutige Erfolgsfaktoren ab, die

Erfolgsfaktoren für ländliche Digitalprojekte

auch über Digitalprojekte und ländliche Räume hinaus gültig sind: ein gutes Stakeholdermanagement, die Bildung eines Projektkonsortiums, ein fähiges und engagiertes Team, die Bekanntheit des Projekts, ein gutes Projektmanagement, eine gesicherte Finanzierung, überschaubare Pilotierung, Engagement vor Ort und der Erfahrungsaustausch mit anderen Projekten. “Wichtig ist es, die Menschen vor Ort aktiv in das Projektgeschehen einzubinden, weil ein Projekt nur gemeinsam mit der Bevölkerung, [mit] Verwaltung und lokalen Unternehmen erfolgreich sein kann”, meint ein Nahversorgungsprojekt. Das Engagement vor Ort kann in ländlichen

Gemeinden besonders wichtig sein, um über Mund-zu-Mund-Werbung die Bekanntheit des Projekts zu fördern und Vertrauen aufzubauen. Die meisten untersuchten Projekte kombinieren technische und soziale Aspekte zu innovativen Lösungen, wozu es üblicherweise vor Ort nur wenig Erfahrung gibt und entsprechende Fachleute rar sind. Umso wichtiger sind die Fähigkeiten und der Kompetenzaufbau des Projektteams sowie der Erfahrungsaustausch mit anderen Innovationsprojekten. “Gucken, was die anderen machen, z. B. Apps übernehmen, Erfahrungen übernehmen”, fasst ein Mobilitätsprojekt zusammen.

Die vollständige Studie wird in Kürze hier veröffentlicht: www.oeffentli che-it.de/publikationen.

Ausbau der Digitalisierung wichtigstes Ziel 2020

Nutzung intelligenter Technologien sehr verhalten

IT-Trends in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland

Das liegt unter anderem auch daran, dass sich Behörden und Verwaltungen derzeit insgesamt relativ wenig mit intelligenten Technologien beschäftigen. Als Grund werden am häufigsten rechtliche Bedenken genannt. In den Organisationen, die intelligente Technologien einsetzen, sind vor allem Führungskräfte aus der IT überzeugt, dass sie für den Erfolg der Behörde wichtig sind. Allerdings fehlt es ihnen wie Unternehmen an Fachkräften in diesem Bereich, sodass Projekte ausgebremst werden. “Intelligente Technologien werden sich unserer Meinung nach zu einem zentralen Baustein für Zukunftsfähigkeit und ressourcenschonende Wertschöpfung im öffentlichen Sektor entwickeln, deshalb sollten sich Behörden und Verwaltungen damit auseinandersetzen”, so Fromm.

(BS/gg) Im Oktober letzten Jahres befragte Capgemini Führungskräfte aus der öffentlichen Verwaltung und deren IT-Dienstleister nach den ITTrends 2020. Zusätzlich lud der Behörden Spiegel seine Leser zur Teilnahme an der Umfrage ein. Die Auswertung der Ergebnisse beider Teilnehmergruppen liegen jetzt vor. de IT-Landschaft. In diesem Zusammenhang kämpfen Wirtschaft und Verwaltung mit denselben Problemen. Allerdings scheint sich die Situation in der Verwaltung in den letzten zwölf Monaten überproportional verschärft zu haben. Um dennoch einen stabilen IT-Betrieb zu gewährleisten, setzt die Mehrheit auf Reorganisation, Automatisierung und mehr eigenes oder externes Personal. Während die Wirtschaft in Einzelfällen auch bereits intelligente Technologien nutzt, um der Komplexität Herr zu werden, bleiben sie im öffentlichen Sektor in diesem Bereich außen vor.

Erfolgsfaktoren ähneln denen der Wirtschaft Den Erfolg der bisher umgesetzten Digitalisierungsmaßnahmen stuft die öffentliche Hand nach wie vor als mittelmäßig ein, wobei die IT-Dienstleister ihrer eigenen Einschätzung nach deutlich mehr erreicht haben als die Verwaltungen. Insgesamt ähnelt das Bild den Aussagen der Wirtschaft, die die Wirkung ihrer Maßnahmen nur wenig positiver bewerten. Der öffentliche Sektor stuft zum einen die Bildung interdisziplinärer Teams und zum anderen die gezielte Einstellung von Mitarbeitern mit dem entsprechenden Know-how als wichtigste Maßnahmen für den Erfolg ein. Diese Einschätzung deckt sich mit den Antworten aus der Wirtschaft. Darüber hinaus haben auch die Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen und die stärkere Vernetzung der eigenen Daten

Grafik: BS, Quelle: ÖFIT

Experimentierräume ermöglichen Innovation Ein gutes Projektmanagement und eine überschaubare Pilotierung sind in ländlichen Digitalprojekten besonders wichtig, beispielsweise durch frühes Testen von Prototypen statt der Orientierung an Bedarfserhebungen, durch ein durchdachtes Kommunikationskonzept und Zusammenarbeit mit Multiplikator(inn)en vor Or, sowie organisches Wachstum und eine agile Projektplanung. “Schrittweise vorgehen, nicht versuchen, alles gleichzeitig zu schaffen”, lautet der Rat eines Mobilitätsprojekts. Politik und Verwaltung können zum Erfolg beitragen, indem sie den Erfahrungsaustausch zwischen Projekten fördern sowie Experimentierräume öffnen. Insbesondere ein Wandel der öffentlichen Förderpraxis von Modellprojekten hin zur Nachahmung erfolgreicher Ansätze käme den ländlichen Digitalprojekten zugute, da vielerorts das Rad immer wieder neu erfunden wird, während andernorts Projekte nach erfolgreicher Pilotphase eingestellt werden müssen. Dabei kann auch helfen, erfolgreiche Konzepte als Daueraufgaben statt als vorübergehende Maßnahmen zu verstehen.

Mehr Effizienz und bessere Nutzerorientierung stehen ebenfalls hoch im Kurs. Grafik: BS/Capgemini

sowie in geringerem Maße der Ausbau der Cloud-Kapazitäten und der Einsatz intelligenter Technologien zum Erfolg beigetragen. Beim Vergleich der Ergebnisse mit denen der Wirtschaft, drängt sich aber der Verdacht auf, dass die öffentliche Verwaltung bislang wenig verändert hat, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Denn während Unternehmen bereits vieles ausprobiert und dementsprechend eine differenzierte Meinung dazu haben, geben die Teilnehmer aus dem öffentlichen Sektor häufig an, dass die entsprechende Maßnahme bei ihnen nicht durchgeführt wurde oder sie keine Angaben machen können. “Für Veränderungsmanagement gibt

es in der öffentlichen Verwaltung anscheinend noch nicht genügend Unterstützung. Es gibt tolle Beispiele in der Verwaltung, wie Veränderungen gezielt begleitet werden, aber es gibt leider noch zu viele Beispiele, bei denen Veränderungen schlicht unterschätzt wurden und damit zu hohen Kosten und viel Frustration geführt haben”, erklärt Jens Fromm, Head of Business and Technology Solutions Public bei Capgemini in Deutschland.

Anwendungslandschaft wird immer komplexer Die Kehrseite aller Errungenschaften der Digitalisierung ist die immer komplexer werden-

“Die zunehmende Komplexität erhöht die Belastung der ITMitarbeitenden, ohne Automatisierung oder zusätzliche Ressourcen kann das schnell zu Überforderung führen”, kommentiert Fromm. Demgegenüber kann der öffentliche Sektor Datenprojekte in größerem Umfang besser ausschließlich mit eigenen Ressourcen abwickeln als die Wirtschaft und nutzt deutlich weniger Services aus Anbieter-Clouds. Dennoch geht auch die öffentliche Verwaltung analog zur Wirtschaft davon aus, dass die Abhängigkeit von Cloud-Anbietern in Zukunft steigt.


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Informationstechnologie

Behörden Spiegel / März 2020

E

ckpfeiler und Kernelemente des E-Rechnungs-Gesetzes stammen dabei aus Brüssel. In Richtlinie 2014/55/EU wurden Grundlagen für ein einheitliches Rechnungsformat in den öffentlichen Verwaltungen festgelegt. Ziel war es, die Entwicklung von zweckmäßigen, benutzerfreundlichen, flexiblen und kosteneffizienten Systemen zur elektronischen Rechnungsstellung zu ermöglichen. Dadurch wurde sichergestellt, dass auch spezielle Bedürfnisse kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie von subzentralen Auftraggebern berücksichtigt werden. Unter Federführung des Bundes und des Landes Bremen entstand daraufhin ab 2016 im Planungsprojekt “E-Rechnung” ein Architekturkonzept, in dem anhand der Anforderungen der Richtlinie 2014/55/EU und

Nächster Countdown für E-Rechnungen Eingangskanal muss bis Mitte April bei Bund, Ländern und Kommunen stehen (BS/Tim Conrads*) In weniger als 40 Tagen verstreicht eine der letzten Fristen des E-Rechnungs-Gesetzes. Spätestens ab dem 18. April 2020 müssen laut EU-Verordnung 2014/55/EU Einrichtungen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene einen Eingangskanal bereitstellen, über den Lieferanten Rechnungen auf elektronischem Weg im Format XRechnung einreichen können. Die Regelungen auf Länderebene unterscheiden sich dagegen zum Teil erheblich voneinander. Eine Auflage, die nicht nur die öffentliche Verwaltung betrifft. Auch andere öffentliche Auftraggeber stehen in der Pflicht. unter Berücksichtigung der deutschen Verwaltungsstrukturen eine Eingangsplattform konzipiert wurde. Eine besondere Herausforderung dabei: die engen zeitlichen Vorgaben. Denn die Richtlinie verpflichtete oberste Bundesbehörden und Verfassungsorgane des Bundes bereits ab dem 27. November 2018, elektronische Rechnungen empfangen und verarbeiten zu können. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, wurde

innerhalb des Konzeptes die mögliche Nachnutzung bereits vorhandener IT-Komponenten, konkret Anwendungen des ITPlanungsrates, Governikus MultiMessenger und Governikus Autent, berücksichtigt sowie die Harmonisierung mit bereits laufenden Projekten sichergestellt. Mit Erfolg. So gingen die E-Rechnungsplattformen von Bund und Bremen fristgerecht ans Netz. Parallel zur Umsetzungsphase wurde zudem der

Prozesse intelligent automatisieren Mit RPA Mitarbeitende entlasten und Effizienz steigern (BS/Patrick Pensel*) Viele Behörden beschäftigen sich mit der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen für Bürger und Unternehmen – etwa im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Doch im Hintergrund sind häufig veraltete IT-Systeme im Einsatz. Diese Technologielücke zwischen Frontend und Backend kann Robotic Process Automation (RPA) schließen. Sie übernimmt zum Beispiel die Datenübertragung zwischen modernen und alten Systemen, ohne dass manuelles Eingreifen nötig ist. Dies entlastet Mitarbeitende und erhöht die Effizienz. Laut einer aktuellen Studie decken zahlreiche Landesverwaltungen nur 20 Prozent der angebotenen Leistungen digital ab. Die größten Hindernisse für eine zügige Umsetzung des OZG sind demnach mangelnde Ressourcen, starre organisatorische Strukturen und eine heterogene IT-Landschaft. Gerade dafür gibt es eine praktische Lösung, die ohne große strukturelle Veränderungen in der Organisation oder IT auskommt: Robotic Process Automation (RPA). Darunter versteht man die automatische Umsetzung von Routinetätigkeiten mittels SoftwareRoboter und der zugehörigen RPA-Plattform. Das bedeutet: Digitale Assistenten übernehmen zahlreiche automatisierbare Aufgaben wie Dateien und Ordner verschieben, Copy-&Paste-Aufgaben erledigen, Datenbank-Prozesse ausführen, strukturierte Daten aus Dokumenten extrahieren, Formulare ausfüllen, Statistiken abrufen oder Berechnungen anstellen. Diese Automatisierung erhöht die Arbeitseffizienz deutlich. Das bringt Vorteile für Behörde und Angestellte: Routineaufgaben lassen sich reduzieren und Mitarbeiter können ihre Zeit für nutzbringendere sowie bürgernahe Tätigkeiten einsetzen.

Einsatzmöglichkeiten für RPA Dabei gibt es zahlreiche mögliche Nutzungsszenarien für RPA in der öffentlichen Verwaltung. Die wohl dringendste und häufigste ist die Integration von Front­end und Backend. So beschäftigen sich Behörden derzeit stark mit

der Modernisierung und Digitalisierung ihrer Frontends zur Bereitstellung der Verwaltungsdienstleistungen für Bürger und Unternehmen. Diese bieten dann zwar aktuelle Nutzeroberflächen mit einfacher Bedienung, doch die eingegebenen Daten werden häufig im Hintergrund von veralteten Backend-Systemen verarbeitet. Die Ergebnisse müssen dann zurück zu den modernen Frontends übertragen werden.

Technologielücke schließen Häufig fehlt es aber an den entsprechenden Schnittstellen, um die Daten reibungslos zwischen den Systemen zu transferieren. Diese Technologielücke kann RPA schließen und beispielsweise die Datenübertragung zwischen modernen und herkömmlichen Systemen übernehmen – ohne dass die Behörde hier manuell eingreifen oder Speziallösungen entwickeln muss. So müssen die Institutionen ihre alten Systeme nicht sofort auf den neuesten Stand bringen, was die die Umsetzung des OZG weiter verzögern würde. Ein ähnliches Szenario gibt es in öffentlichen Einrichtungen, die moderne E-Akte-Systeme einsetzen und ihre Fachverfahren daran andocken müssen. Auch sie verfügen häufig nicht über die dafür notwendigen Schnittstellen. RPA kann diese Lücke ebenfalls schließen. Aber auch im normalen Verwaltungsalltag lassen sich deutliche Effizienzgewinne dank RPA erzielen. Zum Beispiel können öffentliche Institutionen damit Datenübertragungen zwischen Fachverfahren oder ganze Workflows automatisieren.

Die große Stärke von RPA ist, dass die aktuelle Infrastruktur bestehen bleiben kann. Für die Integration von RPA-Systemen sind nur minimale Eingriffe nötig. Denn die digitalen Roboter bedienen Anwendungen auf dieselbe Weise wie ein Mensch – über das Frontend. RPA eignet sich vor allem dafür, einfache und sich wiederholende Aufgaben oder Teilprozesse zu übernehmen, für die keine große Wissensbasis nötig ist. Im zweiten Schritt lassen sich diese Lösungen aber mit Künstlicher Intelligenz und Machine Learning erweitern, um einfache Entscheidungen zu treffen. Computacenter betrachtet die Möglichkeiten von RPA end-toend, also umfassend durch alle Bereiche. In vielen Projekten konnte das ComputacenterKompetenzteam bereits zeigen, wie pragmatisch geholfen werden kann, mit innovativen Technologien und Herangehensweisen, um die Herausforderungen, die heute existieren, auch heute zu lösen. Pragmatisch, schnell und zukunftssicher. Sprechen Sie uns gerne an. Das Computacenter-Kompe­tenz­ team unterstützt seine Kunden dabei, aktuelle Probleme mit State-of-the-Art-Lösungen zu begegnen. Dafür setzt Computacenter innovativen Technologien und Herangehensweisen ein. Pragmatisch, schnell und zukunftssicher. Sprechen Sie uns gerne an. *Patrick Pensel ist Direktor Geschäftsfeldentwicklung Öffentliche Auftraggeber bei Computacenter.

MELDUNG

Der Kinderzuschlag wird digital (BS/wim) Das Bundesfamilienministerium und die Bundesagentur für Arbeit haben gemeinsam den “Kinderzuschlag Digital” (KiZDigital) entwickelt. Nach der nun erfolgten Freischaltung durch Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey und den Leiter der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, Karsten Bunk, soll der Zugang zum Kinderzuschlag zukünftig deutlich einfacher werden. Ein Online-Antragsassistent soll den Gang zur Behörde ersparen und gleichzeitig komplizierte Papierformulare vermeiden und so die Eltern bei der Antragstellung unterstützen. “Durch den Kinderzuschlag erhalten die Famili-

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en, die trotz ihrer Berufstätigkeit aufgrund geringer Einkommen das höchste Armutsrisiko tragen, die nötige zusätzliche Unterstützung. Durch digitale Angebote wie das Familienportal, das Infotool Familie, ElterngeldDigital und nun auch den Kinderzuschlag Digital senken wir Hürden und machen Leistungen einfacher zugänglich”, so Ministerin Giffey. Bereits seit Mitte Januar ist die Webseite www.kinderzuschlag.de online erreichbar. Dort können Eltern ermitteln, ob die grundlegenden Voraussetzungen für den KiZ erfüllt werden. Ist dies der Fall, werden die Eltern im Online-Antragsverfahren Schritt

für Schritt durch den Antrag geführt. Infoboxen bieten bei Bedarf hilfreiche Erklärungen zu den notwendigen Angaben und Nachweisen. Durch die Angabe von Kontonummer oder Kindergeldnummer werden Antragstellende als Bestandskunden identifiziert und die weitere Antragstellung erleichtert. Ein intelligenter Antragsassistent ergänzt zudem die Namen von Kindern, um die Übersichtlichkeit zu verbessern und Fehler zu vermeiden, und erkennt gleichzeitig nicht plausible Angaben und fordert proaktiv zur Korrektur auf. So wird die Antragstellung einfacher und frustrierende Nachfragen werden vermieden.

deutsche Standard “XRechnung” geschaffen, den der IT-Planungsrat für die Rechnungstellung an öffentliche Auftraggeber als verbindlich vorschreibt.

Am 18. April läuft die letzte Frist ab Am 18. April 2020 läuft nun eine der letzten Fristen des ERechnungsgesetzes ab. Ab diesem Zeitpunkt müssen alle Bundesländer Dokumente im Format XRechnung empfangen können. Ab 27. November 2020 sind laut E-Rechnungs-Verordnung Lieferanten öffentlicher Auftraggeber dann verpflichtet, Rechnungen ab 1.000 Euro ausschließlich elektronisch einzureichen – das gilt auch für den sogenannten Unterschwellenbereich. Betroffen davon sind kommunale Einrichtungen, aber beispielsweise auch viele Hochschulen und Krankenkassen. Doch auch hier gibt es auf Länderebene unterschiedliche Regelungen. Nichtsdestotrotz bedeutet dies hohen Handlungsdruck für alle, bei denen noch keine Lösung in der Umsetzung ist. Denn die Anforderungen an die technische Lösung sind nicht unerheblich. So wird der Standard XRechnung kontinuierlich weiterentwickelt. Konkretes Beispiel: Die erst seit 1. Januar dieses Jahres geltende vierte Version wird schon ab dem 1. Juli 2020 nicht mehr gültig sein. Eine zukunftssichere Lösung erfordert daher eine ständige Weiterentwicklung und Pflege durch den Hersteller. Hier lohnt der Blick auf die Bremer Lösung “zERIKA”. Die Hansestadt setzt bei ihrer Plattform auf den Governikus MultiMessenger, eine Anwendung des IT-Planungsrates. Das bedeutet, dass die Software bedarfsorientiert weiterentwickelt wird und langfristige Pflegeverträge zugleich für Planungssicherheit sorgen. Mit etlichen dem Pflegevertrag beige-

tretenen Bundesländern sowie dem Bund steht vielen öffentlichen Auftraggebern die Nutzung des MultiMessengers offen.

Kanalvielfalt managen Eine weitere Herausforderung ist die Kanalvielfalt. Die Einreichung von E-Rechnungen kann auf vielfältigen Wegen, per Webanwendung, Webservice, De-Mail und E-Mail erfolgen – weitere Kanäle werden in Zukunft folgen. Um dieser Herausforderung zu

begegnen, kommt bei Bund und Bremen die gleiche Technologie zum Einsatz: der Governikus MultiMessenger. Die Anwendung fungiert als eine Art Drehscheibe, die alle relevanten Transportkanäle verarbeitet. Zudem eröffnet die Anwendung einen Zugangsweg zur in den Beschaffungsprozessen bereits etablierten PEPPOL-Infrastruktur, welche als einheitliche, sichere WebserviceSchnittstelle fungiert. Damit wird auf den paneuropäischen Standard AS4 gesetzt, der inzwischen auch weltweit u. a. in Singapur, Kanada und Aus­tralien angewendet wird. Nutzer werden damit – gleichzeitig mit dem nationalen Rechnungsaustausch – auch für grenzüberschreitende Beschaffungsprozesse fit gemacht. *Tim Conrads ist bei der Governikus GmbH & Co. KG tätig.

Die Einführung der E-Rechnung ist eines der zentralen Vorhaben, um die Zahl der Medienbrüche in der öffentlichen Verwaltung zukünftig signifikant zu senken. Grafik: BS/Governikus

XRechnung kommt nicht in Schwung Vielfach übersehene Gefahr für die öffentliche Verwaltung (BS/Klaus Schmitt*) Das Thema XRechnung kommt in der aktuellen Form aus mehreren Gründen nicht richtig in Schwung. Zudem birgt das Thema für die öffentlichen Stellen eine vielfach übersehene Gefahr. Abgesehen von vielfach (trotz EU-Deadline am 18. April 2020) ausstehenden Durchführungsverordnungen, führt die Hoheit der Bundesländer zu einer nahezu unüberschaubaren Heterogenität bei den Verordnungen, Vorschriften und Umsetzungsanforderungen: In manchen Ländern besteht eine Pflicht für Lieferanten, in anderen nicht. Die akzeptierten Formate können von Land zu Land unterschiedlich sein. Teils ist Papier noch zugelassen, woanders PDF oder beides oder keines von beiden. Welcher Lieferant, der in mehrere Bundesländer liefert, soll da noch durchblicken? Bis heute existiert noch nicht mal eine aktuelle, verbindliche und allgemein verfügbare Zusammenstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der E-Rechnung für alle 16 Bundesländer. Zum anderen zwingt die Vielzahl unterschiedlicher Formate (XRechnung, ZUGFeRD und PEPPOL) zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Standards und Übertragungs-/Empfangsmethoden, die von einer Verwaltung in der vollständige Breite i. d. R. nicht oder nur mit einem erheblichen Aufwand geleistet werden kann. Die gewählte Alternative ist meist die Beschränkung auf einen präferierten Standard,

der verbindlich vorgeschrieben wird. Dadurch wird die Unübersichtlichkeit für die Lieferanten, welches Format wo, wie, wohin geliefert werden muss, aber noch größer.

Verpflichtung kaum zumutbar Die Verpflichtung, das jeweils geforderte bzw. zulässige Format bereits anzuliefern, ist also kaum zumutbar. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich der Kreis der Anbieter bei Ausschreibungen reduziert. Bei guter Auftragslage wird auf die Abgabe eines Angebots immer dann verzichtet werden, wenn das Thema Rechnungstellung einen zusätzlichen Aufwand erfordert. Gerade im handwerklichen Bereich werden aber bereits heute kaum mehr genügend Bieter gefunden. Auswirkungen auf Investitionsstau und Angebotspreise sind bereits spürbar. Bei einer zusätzlichen Einschränkung des Bieterkreises sind also künftig weiter steigende Preise zu erwarten. Aus diesem Grund wären die ­öffentlichen Stellen gut beraten, die Verantwortung selbst zu übernehmen und mithilfe von Dienstleistern ein format­ unabhängiges Einreichen der Rechnungen zu ermöglichen. Serviceprovider, die für dieses Problem erprobte Lösungen

bereitstellen können, gibt es ausreichend. Verwunderlich ist daher, dass viele Verwaltungen immer noch auf Eigenlösungen oder eingeschränkte Funktionen der ERP-Anbieter setzen. Sobald später erkannt wird, dass Outsourcing die bessere Wahl gewesen wäre, sind jede Menge Ressourcen vergeudet worden. Es wäre jetzt eine gute Gelegenheit, mit gutem Beispiel voranzugehen und mit einer Entscheidung für zukunftsfähige Lösungen endlich Schwung in die vom Ansatz her großartige Sache zu bringen. FLOW von TIE Kinetix bietet Module, die Ihr Unternehmen beim Versand von Rechnungen unterstützen. Ob mit PEPPOL oder über das E-Rechnungsportal: TIE Kinetix bietet mit seinem hochqualifizierten und globalen Team Expertise, Support und Lösungen an, um Geschäftsvorgänge mit all Ihren Kunden und Partnern hundertprozentig elektronisch abzuwickeln. Unabhängig davon, ob es sich um Regierungsbehörden oder Wirtschaftsunternehmen handelt. Als Innovator in der Branche sorgt TIE Kinetix ständig dafür, dass die neuesten E-Rechnungsstandards implementiert sind. *Klaus Schmitt ist für die TIE Kinetix GmbH tätig.


IT-Sicherheit

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Behörden Spiegel / März 2020

Sicherheitsarchitektur wird neu konstruiert

Nicht zahlen, immer anzeigen

Baden-Württemberg bekommt Cyber-Sicherheitsagentur

Kommunen sollen nicht mit Cyber-Kriminellen kooperieren

(BS/Benjamin Stiebel) Die Landesverwaltung Baden-Württembergs steht vor einer Neuordnung ihrer Struktu- (BS/Benjamin Stiebel) Bei Angriffen mit Erpressungs-Software sollen Kommunen auf keinen Fall die geforderren im Bereich der Cyber-Sicherheit. Eine Cyber-Sicherheitsagentur (CSA) soll Informationen und Maßnahmen ten Lösegelder zahlen. Stattdessen sollen sie alle Fälle zur Anzeige bringen. So durchbreche man das illegale bestehender Akteure bündeln. So will das Land Kriminalität und Spionage im Netz besser bekämpfen können. Geschäftsmodell und ermögliche die Strafverfolgung. Diese Position vertreten die Sicherheitsbehörden seit Langem. Rückendeckung kommt jetzt von den kommunalen Spitzenverbänden. Die CSA soll ab Januar 2021 aufgebaut werden. Haushaltsmittel dafür waren vom Landtag bereits freigegeben worden. Für die Einrichtung stehen zunächst 13 Millionen Euro zu Verfügung. Außerdem können 83 Stellen besetzt werden, davon 32 schon 2020 und 51 im Jahr 2021. Für die nötigen Vorbereitungen drängt allerdings die Zeit. Es fehlt bislang ein Kabinettsbeschluss, der die Aufgaben der neuen Behörde genau definiert. In dem Zuge soll auch eine ganzheitliche Cyber-Sicherheitsstrategie für das Land erarbeitet werden. “Wir werden die CyberSicherheitsarchitektur neu konstruieren”, bekräftigte jüngst der Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration, Thomas Strobl. “Es gab dazu intensive Gespräche mit allen zuständigen Akteuren im Land.” Aufgaben und Kompetenzen würden weiter dezentral verteilt bleiben, sollen aber zentral gebündelt werden. “Wir wollen Parallelitäten vermeiden, Vorgehensweisen standardisieren und die Zusammenarbeit optimieren”, so Strobl weiter.

Beispielsweise könne die CSA Awareness-Maßnahmen sowie die Fort- und Weiterbildung im Cyber-Sicherheitsbereich für alle Ressorts steuern. Die Agentur soll aber noch wesentlich mehr leisten, wie von Beteiligten zu hören ist. Sie soll als zentrales Lagezentrum fungieren, in das Informationen aller Landesbehörden mit Cyber-Sicherheitsaufgaben einfließen. Offen ist, ob auch der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit einbezogen wird. Dort gehen aufgrund der Pflichten nach Datenschutzgrundverordnung auch in großer Zahl Meldungen zu IT-Sicherheitsvorfällen ein. In Lagen soll die CSA Taskforces aus den Behörden koordinieren, damit Experten und Ressourcen effizient eingesetzt werden können. Die Zielgruppe der CSA geht über die Landesverwaltung weit hi­naus. Leistungen sollen auch für Kommunen, Betreiber Kritischer Infrastrukturen, Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen erbracht

werden. Digitalminister Strobl will im Rahmen der neuen ganzheitlichen Strategie die Marke “Cyber Security made in BadenWürttemberg” etablieren, mit der CSA als zentralem Inkubator. Besonderen Stellenwert hat für ihn der Wirtschaftsschutz im Ländle. Nirgendwo sonst gebe es so viele Betriebe, die Weltmarktführer in ihren Nischen seien.Um ihnen bei IT-Vorfällen schnell auf die Füße zu helfen, wurde vor einem Jahr bereits die Cyber-Wehr Baden-Württemberg in Karlsruhe eingerichtet. Seitdem sind mehr als 1.000 Fälle eingegangen, in denen die Truppe beraten und teils IT-Sicherheitsfirmen zur Unterstützung vermittelt hat. In neun Fällen habe die Existenz der betroffenen Unternehmen auf dem Spiel gestanden, so Strobl. Die Cyber-Wehr soll nach einer Evaluation aufs ganze Land ausgedehnt werden. Eine Zusammenarbeit mit der geplanten Cyber-Sicherheitsagentur ist vorgesehen. (Auf Seite 41 lesen Sie, wie das Land Bayern seine Cyber-Abwehr neu organisiert hat.)

BSI fordert Update-Garantie für Smartphones Vorarbeiten für IT-Sicherheitskennzeichen begonnen (BS/stb) Smartphones sollen nach Veröffentlichung noch fünf Jahre mit Sicherheits-Updates versorgt werden. Das fordert das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in einem Anforderungskatalog. Der genaue Zeitraum soll in der Gerätebeschreibung ersichtlich sein. Mit dem Katalog will die CyberSicherheitsbehörde eine Diskussionsgrundlage schaffen und Vorarbeit für das von der Bundesregierung geplante ITSicherheitskennzeichen leisten. Sicherheits-Updates sollen demnach alle bekannten Sicherheitslücken schließen. Die Anwender sollen sie innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung einspielen können. Auch für die Versorgung mit Betriebssystemen stellt das Bundesamt Forderungen. Hersteller sollen erklären, wie viele kommende Hauptversionen sie ihren Geräten spendieren werden. Beim Kauf soll immer die neueste Version installiert sein oder den Kunden direkt als Update zur Verfügung stehen. Zudem soll die Verschlüsselung des Festspeichers sowie externer Spei-

Das BSI hat Mindestanforderungen an Sicherheit und Datenschutz bei Smartphones formuliert. Foto: BS/BiljaST, pixabay.com

cherkarten möglich sein. Dafür sollen in den Smartphones separate, sichere Hardware-Elemente verbaut sein. Einige Vorgaben betreffen direkt den Datenschutz. So sollen Apps nur Zugriff auf Daten anfordern dürfen, die für die Nutzung erforderlich sind. Anwender sollen Berechtigun-

Lösegelder werden bei Erpressungssoftware in Kryptowährung gezahlt, meist in Bitcoin. Foto: BS/tomertu, stock.adobe.com

selten geht es um die Existenz. So hat kürzlich die schweizerische Swisswindows AG nach einem Angriff mit Ryuk Konkurs angemeldet und die 170 Mitarbeiter auf die Straße gesetzt. Garantien gibt es aber auch für Kollaborateure nicht. In vielen Fällen zeige sich, “dass Geschädigte ihre Zahlungen umsonst leisten: Die Daten bleiben verschlüsselt und die Täter setzen ihre Straftaten ungehindert fort”, warnt BKAPräsident Holger Münch. Trotzdem ist zahlen auch für öffentliche Stellen kein Tabu. Im Dezember letzten Jahres hatte die Universität Maastricht 30 Bitcoins, rund 200.000 Euro, gezahlt. Im Sommer 2019 hatten zwei US-Gemeinden zusammen über eine Millionen Dollar Lösegeld gezahlt. In Deutschland hatte 2016 Dettelbach mit einer Zahlung Aufsehen erregt. Die Entschlüsselung kostete die unterfränkische Gemeinde damals 1,3 Bitcoins, zu dem Zeitpunkt etwa 490 Euro. In den letzten Monaten gab es auffallend viele IT-Vorfälle in öffentlichen Einrichtungen. Beim Berliner Kammergericht wird nach der Emotet-Infektion vom Oktober erst zum Ende März Normalbetrieb erwartet. Die Universität Gießen will ihre IT-Services für die Studenten bis zum Beginn des Sommersemesters zum Laufen bringen. Ryuk hatte dort kurz vor Weihnachten zugeschlagen. Die etwa zur selben Zeit betroffenen Stadtverwaltungen von Frankfurt am Main und Bad Homburg waren nach Emotet-Vorfällen glimpflich davongekommen. Dank guten Notfall-Managements konnten sie die Systeme nach wenigen Tagen wieder in Betrieb nehmen.

Ein Klick genügt

E

in Klick genügt und der Schaden ist da: gestohlene Zugangsdaten, verschlüsselte Festplatten, ausgefallene Dienste. Die Bereinigung und Wiederherstellung dauern oft Tage. In manchen Fällen wird ein Neuaufbau der IT notwendig, dann ist über Wochen oder Monate kein normaler Betrieb möglich. So oder so ist mit dem Verlust von Daten und Arbeitsergebnissen zu rechnen. Denn selbst wenn funktionierende Back-ups vorliegen, ist zumindest alles weg, was im Zeitraum des Angriffs gespeichert wurde. Getroffen hat es jüngst viele öffentliche Stellen: Stadtverwaltungen, Gerichte, Krankenhäuser, Hochschulen und Bundesbehörden. Einfallstor Nummer eins ist E-Mail. Digitale Schädlinge sind oft in Anhängen versteckt, meist in Word- oder Excel-Dokumenten, aber auch Archive und PDFs können gefährliche Fracht transportieren. Kriminelle Hacker versenden auch gerne Nachrichten mit Links. Diese führen bei einem unachtsamen Klick auf präparierte Webseiten, von denen dann unbemerkt Schadsoftware auf den Rechner geladen

gen vor der ersten Anwendung explizit erteilen. Die Funktionen sollen vollständig und verständlich beschrieben werden. Nutzungs- und Systemdaten (Telemetrie) sollen nach Vorstellung des BSI nur nach ausdrücklicher Genehmigung verarbeitet und weitergegeben werden dürfen.

Die Spitzenverbände haben gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein Empfehlungsschreiben zum Umgang mit Ransomware-Angriffen für Kommunalverwaltungen he­ rausgegeben. “Es muss klar sein: Kommunale Verwaltungen sind nicht erpressbar. Sonst werden den Kriminellen Anreize geboten, ihre Handlungen fortzusetzen”, sagen dazu die Präsidenten des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Das Papier empfiehlt außerdem, jeden Erpressungsversuch zur Anzeige zu bringen. Dafür können sich Betroffene an die Zentralen Ansprechstellen Cyber Crime (ZAC) der Landespolizeien wenden. Außerdem sollen das jeweilige Landes-CERT sowie das BSI über die Meldestelle bei der Allianz für Cyber-Sicherheit informiert werden. Um das Risiko für solche Vorfälle zu reduzieren, sollten IT-Sicherheitsmaßnahmen konsequent umgesetzt werden. Das BSI stehe auch Kommunen beratend zur Seite, versichert der Präsident Arne Schönbohm. Tatsächlich kooperieren immer noch viele RansomwareOpfer mit den Tätern. Das Geschäftsmodell boomt nach wie vor. Zwischen 2013 und 2019 sollen laut einer FBI-Statistik knapp 145 Millionen US-Dollar umgesetzt worden sein. Die Erhebung bezieht sich aber nur auf virtuelle Bitcoin-Konten, die der Behörde bekannt sind. Mit dem Schädling Emotet haben die Erpresser einen besonders wirksamen Einstieg in viele schlecht geschützte Organisationen für sich entdeckt. Einmal auf dem System, lädt der Trojaner aktuelle Ransomware-Varianten wie Ryuk, Crysis oder Bitpaymer nach (mehr zum Schutz vor Emotet und Co. im Artikel unten auf dieser Seite). Sind kritische Datenbanken verschlüsselt und der Betrieb lahmgelegt, stehen die Verantwortlichen vor der harten Entscheidung: zahlen oder nicht? Wenn keine Sicherungskopien eingespielt werden können, ist das Lösegeld für Unternehmen häufig das kleinere Übel. Nicht

Risiken zeitgemäß steuern (BS/stb) E-Mail ist der beliebteste Angriffsweg für kriminelle Hacker. Das haben viele öffentliche Stellen in den letzten Monaten zu spüren bekommen. Um sich zu schützen, unterziehen sich einige einer Art Digitaldiät und lassen keine Links und Anhänge mehr bis zu den Mitarbeitern durch. Aber es gibt auch zeitgemäße Gegenmaßnahmen auf Grundlage von Virtualisierungs-Technik. So setzt der Behörden Spiegel im eigenen Hause auf Isolation von Gefahrenquellen statt auf Abschottung von der elektronischen Kommunikation. wird. Als besonders hartnäckig hat sich der Trojaner Emotet erwiesen. Er taucht in ständig neuen Variationen auf und jedes Mal braucht es seine Zeit, bis gängige Antiviren-Lösungen ihn zuverlässig erkennen und sein schädliches Treiben verhindern können. Bis dahin gilt immer wieder aufs Neue: Ein falscher Klick genügt.

Sicherheit durch Einschränkung? Die Reaktion einiger Behörden nach der letzten großen Angriffswelle ist so folgerichtig wie rückständig. Um Risiken von Anhängen und Links auszumerzen, entfernen sie diese kurzerhand automatisiert aus den E-Mails. Im Extremfall werden Nachrichten sogar komplett abgewiesen. Im Bundesinnenministerium können zumindest PDFs empfan-

gen werden. Diese werden aber zuvor in Bilder umgewandelt, um enthaltende Links oder versteckten Schadcode unschädlich zu machen. Darunter leidet allerdings die Darstellungsqualität. Office-Dokumente dagegen werden weiterhin rigoros gelöscht. Ein zeitgemäßes Arbeiten im Austausch mit anderen öffentlichen Stellen, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern ist so nicht möglich. Auch beim Behörden Spiegel wurde anlässlich der EmotetFälle das Sicherheitsmanagement einer Prüfung unterzogen. Eine Einschränkung der E-MailKommunikation wurde jedoch schnell verworfen. Statt auf Abschottung setzt das Unternehmen auf innovative technische Schutzmaßnahmen. Unter anderem kommt Virtualisierungs-Technik zum Ein-

satz. Das Problem bei einfacher Antiviren-Software ist, dass sie Schädlinge grundsätzlich erst erkennen kann, wenn diese bereits irgendwo aufgetreten sind. Die jetzt angeschaffte Lösung von Bromium muss Gefahren nicht erkennen, sondern isoliert die Prozesse, in denen sie auftreten könnten. E-Mail-Anhänge, Downloads und sonstige Dateien aus unsicheren Quellen werden auf dem Rechner in einer gesicherten Umgebung, einer sogenannten Micro-VM (VM=virtuelle Maschine) geöffnet. Sollte Schadcode aktiv werden, dann nur innerhalb der Isolation. Ein Überspringen auf andere Prozesse oder gar ins Netzwerk ist nicht möglich. Schließt der Nutzer das Dokument, löscht sich die virtuelle Maschine mitsamt dem möglicherweise gestarteten Schadcode. Ein Klick genügt.

Überblick und Kontrolle gewonnen “Nach der Entscheidung für Bromium war die Lösung schnell eingerichtet: In nur einem Tag waren die Basis-Richtlinien definiert, nach einer kurzen Pilotphase wurde die Software innerhalb von zehn Tagen flächendeckend auf alle Endgeräte ausgebracht”, berichtet Jochen Köhler, Regional VP Sales Europe bei dem ITSicherheits-Unternehmen. “Über den Cloud Controller – Bromium bietet diesen alternativ auch als On-Premise-Installation an – hat der Behörden Spiegel vollen Zugriff auf das webbasierte Portal zur Konfiguration, Überwachung und Verwaltung der Rechner, ohne in einen eigenen Serverbetrieb mit entsprechendem Aufwand investieren zu müssen.” Der IT-Administrator hat den Überblick über alle einzelnen

Die niedersächsische Kommune Neustadt am Rübenberge hatte im September letzten Jahres rund drei Wochen akut mit einem Cyber-Angriff zu kämpfen. “Zu 95 Prozent einsatzfähig” ist die Verwaltung nach eigenen Angaben seit Jahresende. Die Übeltäter hier: Emotet und Ryuk. Die Verwaltung war komplett offline. Es gab keine Mail-Kommunikation, die 76 Fachanwendungen waren nicht verfügbar. Anträge konnten nicht angenommen, Rechnungen nicht bezahlt werden. Die ersten Bürgerdienste der 45.0000-Einwohner-Stadt liefen nach einer Woche wieder an, Arbeitsplätze wurden in benachbarte Kommunen und ins kommunale Rechenzentrum HannIT ausgelagert, um Zahlungstermine und Fristen einhalten zu können. Die gesamte Netzwerkstruktur und die Clients für die rund 560 Beschäftigten mussten neu aufgesetzt werden. Unterstützung kam von HannIT und einem privaten IT-Unternehmen. Für den Neuaufbau geht die Verwaltung von Mehrausgaben von rund 100.000 bis 150.000 Euro aus. Die Ransomware habe rund 550.000 von 1.380.000 Dateien auf dem zentralen Fileserver verschlüsselt, darunter PDFs, Office-Dateien, Mails, Kontaktdaten und Termine. Auch einige Server seien betroffen gewesen, heißt es aus Neustadt. Back-ups habe man mit wenigen Verlusten einspielen können. So seien sechs Buchungen in der Buchhaltungssoftware verloren gegangen. In Fachverfahren haben Kollegen stadtspezifische Vorlagen neu erstellen müssen. Teils seien Daten aus Papierakten oder von Dritten neu beschafft worden.

Clients, Versionsstände und ggf. aufgetretene Probleme. Er kann konkrete Schutzmaßnahmen bestimmen und feinjustieren, z. B. entscheiden, welche Typen von Anhängen in VMs geöffnet werden sollen. Auch für USB-Schnittstellen können Zugriffsberechtigungen eingestellt werden. Wenn tatsächlich einmal Schadcode in einer VM aktiv war, wird dessen Verhalten protokolliert. Den Bericht erhält der Administrator. Die Lösung läuft autonom auf den Endgeräten der Mitarbeiter, funktioniert also auch außerhalb des Unternehmensnetzwerks.

Sicher ohne Digitaldiät Einen Wermutstropfen müssen die Nutzer hinnehmen: Das Öffnen von Dokumenten erfolgt leicht zeitverzögert. In seltenen Fällen werden Formatvorgaben falsch umgesetzt. Wenn die Alternative aber lautet, gar keine Anhänge mehr empfangen zu können, ist das gut zu verschmerzen. Anders als bei manch selbst verschriebene Digitaldiät stehen hier Sicherheitsgewinn und Anwenderfreundlichkeit in einem gesunden Verhältnis.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / März 2020

Seite 41

Fakultativ oder obligatorisch? Mehrwert von Penetrationstests und Red Teaming (BS/Dr. Robert Koch) Gerade auch im Bereich der IT-Sicherheit zeichnen sich Medienberichte immer wieder durch die Nutzung von Superlativen aus. So lässt sich von hochkomplexen, “sophistizierten” Angriffen und epischen Schwachstellen lesen, welche Milliarden von Geräten bedrohen. Spezielle Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Angriff nicht nur im Labor, sondern auch in der Praxis funktioniert, werden dabei gerne ignoriert. Andererseits gibt es immer wieder Schwachstellen, welche tatsächlich eine erhebliche Bedrohung darstellen, wie es bspw. Ransomware-Kampagnen demonstrieren. Für viele ist es vor dem Hintergrund der Informationslage jedoch kaum möglich, zu differenzieren, welche Schwachstellen oder Angriffe für sie gefährlich werden können und welche nicht. In der Praxis kann das Übertreiben (“overhyping”) des Gefährdungspotenzials den Angreifern sogar in die Hände spielen: Die Bereitstellung fingierter Patches, welche nicht die potenzielle Schwachstelle schließen, sondern ganz im Gegenteil Schadsoftware installieren, war bereits mehrfach zu beobachten. Um ein besseres Verständnis für die Angreifbarkeit eines Systems zu erhalten und dieses sicherer zu machen, haben sich insbesondere zwei Verfahren etabliert: Penetrationstests und Red Teaming. Diese Instrumente sind weder das Gleiche noch konkurrieren sie. Richtig eingesetzt ergänzen sie sich und können das Sicherheitsniveau erhöhen.

Schwachstellen identifizieren mit Penetrationstests Das übergeordnete Ziel von Penetrationstests ist die Verbesserung der IT-Sicherheit durch die Identifizierung von Schwachstellen und die Verhinderung von deren Ausnutzung. Ein Penetrationstest durchläuft dabei mehrere Phasen. Zunächst gilt es, die Ziele des Tests zu definieren, Rahmenbedingungen festzulegen, Risiken zu analysieren und Notfallmaßnahmen abzuleiten. Was sind die wichtigsten Systeme, wo sind “Kronjuwelen”? Schwerpunkte des Tests, Abbruchkriterien und mögliche Risiken sind in enger Abstimmung zwischen Auftragge-

ber und -nehmer zu diskutieren und festzulegen. Dem schließt sich die Informationsgewinnung an, in der eine möglichst genaue Kenntnis von Konzeption und Implementierung des zu prüfenden Systems zu erlangen ist; Aufwand und Umfang dieser Phase hängen auch davon ab, ob ein White- oder BlackboxTest durchgeführt wird. In der darauffolgenden Analysephase werden Schwachstellen und Angriffsvektoren untersucht und bewertet. Mittels dieser Erkenntnisse kann wiederum eine essenzielle Phase eines jeden Penetrationstests geplant werden: die Durchführung aktiver Eindringversuche (Exploitation) in Abstimmung mit dem Systemeigner. Als besonders sensitiver Teil des Tests gilt es hier, sorgfältig die Risiken der exemplarisch durchzuführenden Angriffe abzuschätzen. Die Ergebnisse der Exploitation sind von besonderer Bedeutung für die Risikobewertung in der Abschlussanalyse: Das Vorhandensein einer Schwachstelle be-

eines Red Teams dem Prüfen der Höhe der Hürde für den Angreifer sowie der Fregattenkapitän Dr. Robert Koch ist Referent für Überprüfung organiCyber-Politik im Bundessatorischer Prozesministerium der Verteidise. Hierzu sucht das gung und als Privatdozent Red Team in einem zu Themen der Cyber-SiBlackbox-Ansatz cherheit tätig. eine Schwachstelle, um Zugang Foto: BS/privat zum Zielsystem zu erhalten; anschliedeutet noch nicht, dass diese im ßend erfolgt eine LateralbeweSystemkontext auch ausnutzbar gung zur Identifizierung weiteist; dies kann einfach, aber auch rer Systeme und der Suche der sehr komplex und wenig praxis- “Kronjuwelen”. Entscheidend ist, relevant sein. Der abschließen- dass über den Einsatz möglichst de Bericht spiegelt dies in der wenige Personen informiert sind, Abschätzung des realen Risikos da auch Abläufe und Prozesse wider und schlägt Maßnahmen überprüft werden sollen: Was zur Mitigation aller identifizierten passiert, wenn ein Alarm durch ein System ausgelöst wird? Wird Schwachstellen vor. dieser beachtet, wer wird ggf. Abläufe prüfen mit Red informiert? Oder verschwindet Teaming er in einer Flut von Alarmen, die Anders sieht der Fokus des längst nicht mehr kontrolliert Red Teamings aus. Während werden? Somit zeigt sich der Mehrwert Penetrationstests möglichst viele Schwachstellen finden und miti- der beiden Verfahren: Penetra­ gieren sollen, dient der Einsatz tionstests suchen möglichst vie­

le Schwachstellen, initiieren in enger Zusammenarbeit mit den Systemverantwortlichen deren Mitigation und legen die Angriffshürde höher, Red Teams überprüfen die Schutzhöhe aus Sicht des Angreifers und zeigen auf, ob Prozesse und Verfahren greifen. Durch Kombination dieser Elemente lässt sich die Sicherheit eines Systems bzw. die Hürde für Angreifer inkrementell erhöhen. Die Bundeswehr verfügt über eine eigene Informationssicherheitsorganisation, welche u. a. die Fähigkeiten Penetrationstests und Red Teaming bereitstellt und die eigenen Systeme regelmäßig prüft. Andere Bundesbehörden können sich an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wenden, um Dienstleistungen im Bereich Penetrationstests zu erhalten. In Zeiten zunehmender Gefährdungen im Cyber-Raum sind Sicherheitsanalysen keine fakultative Maßnahme für besonders sensitive Systeme – sie sind für betriebsrelevante Komponenten obligatorisch.

FAQ zu Penetrations­tests und ­Red Teaming Was ist ein Blackbox-Test? Ein Penetrationstest, bei dem der Tester keine Information im Voraus über das zu testende Netz/System erhält.

Was ist ein Whitebox-Test? Ein Penetrationstest, bei dem der Tester im Voraus Informationen über das zu testende Netz/System erhält.

Was ist der bei der Auswahl zu beachten? Die Qualität von Sicherheitsanalysen kann in der Praxis sehr unterschiedlich sein. Das Vorgehensmodell des BSI und vom BSI zertifizierter Anbieter ist ein guter Ausgangspunkt.

Wo finden sich weiterführende Informationen? Die Studie “Durchführungskonzept für Penetrationstests” des BSI gibt eine sehr gute Übersicht zur strukturierten Durchführung von Penetra­ tionstests.

Zusammenarbeit institutionalisiert

Irische Aufsicht in der Kritik

Cyber-Abwehr Bayern hat die Arbeit aufgenommen

Würde neue EU-Behörde helfen?

(BS/Benjamin Stiebel) Seit Jahresbeginn hat der Freistaat Bayern ein zentrales Cyber-Lagezentrum als Mittelpunkt der landesweiten Zusammenarbeit. Unter dem Dach des neuen Kooperationsgremiums “Cyber-Abwehr Bayern” bündeln die Behörden mit Cyber-Sicherheitsaufgaben ihre Lagebilder und koordinieren den Umgang mit Sicherheitsvorfällen. Eine Evaluation der Arbeit soll noch im Laufe des Jahres erfolgen. Die Teilnehmer sehen die Vorteile einer organisierten Kooperation schon jetzt.

(BS/stb) Die irische Datenschutzbehörde steht aktuell wieder unter massiver Kritik. Der Vorwurf: Es mangele ihr auch nach der Umsetzung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) an Durchsetzungskraft gegenüber großen Internetkonzernen. Nun steht der Vorschlag im Raum, große Datenschutzfälle generell auf EU-Ebene zu verfolgen. Dafür könnte eine neue europäische Behörde eingerichtet werden.

Zusammenarbeit gab es zwischen den beteiligten Behörden auch vorher schon. Aber: “Wenn der Informationsaustausch institutionalisiert wird und wirklich regelmäßig persönliche Treffen stattfinden, hilft das natürlich sehr”, betont Daniel Kleffel, Präsident des Landesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI). Treffen finden wöchentlich oder anlassbezogen im neuen Cyber-Lagezentrum statt. Dieses wurde beim CyberAllianz-Zentrum Bayern (CAZ) des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) eingerichtet. Beteiligt sind neben LfV und LSI das Landeskriminalamt (LKA), die Zentralstelle Cyber Crime bei der Generalstaatsanwaltschaft Bayern, das Landesamt für Datenschutzaufsicht und der Landesbeauftragte für den Datenschutz. Die Aufgabenverteilung und das Kompetenzgefüge zwischen den Behörden bleiben unberührt.

Sichere Kommunikationsstruktur wird eingerichtet Zukünftig sollen neben persönlichen Treffen und den üblichen Kanälen wie E-Mail und Telefon weitere technische Wege zum schnellen Datenaustausch etabliert werden. Denkbar wären Videokonferenzen mit besonders geschützter Datenübertragung. Wissensstände könnten aber schon jetzt schneller abgeglichen werden, wovon alle Beteiligten profitierten, wie der Leiter des Lagezentrums, Michael George, erklärt: “Abstimmungsprozesse laufen jetzt noch besser als bisher. Wir stellen nicht nur überall den nötigen Informationsaustausch sicher, sondern verständigen uns bei neuen Risiken oder konkreten Vorfällen direkt gemeinsam über die notwendigen Maßnahmen.” Beispiel: Sicherheitsvorfall in einer Klinik. Eine Schadsoftware legt Rechner lahm, die Verant-

Regelmäßig gemeinsam an einen Tisch kommen: Mit der Cyber-Abwehr Bayern ist die Kooperation auf Arbeitsebene verstetigt worden. Foto: BS/422737, pixabay.com

wortlichen nehmen Kontakt zum LSI auf. Erste Maßnahmen werden ergriffen, parallel werden Informationen im Rahmen der Cyber-Abwehr weitergegeben und mit relevanten Erkenntnissen der anderen Behörden zusammengebracht. Bei einem Ad-hocTreffen wird die Federführung für die Bearbeitung des Vorfalles festgelegt, Maßnahmen werden abgestimmt. Die inhaltliche Arbeit obliegt dann nach wie vor den Mitgliedern. Wichtig sind schnelle Informationsflüsse auch, weil bei den verschiedenen Playern unterschiedliche Meldungen eingehen und auch durchaus unterschiedliche Sichtweisen auf Informationssicherheit und Cyber-Angriffe bestehen. So ist das LSI Ansprechpartner für öffentliche Stellen. Das LfV zeichnet vor allem für Wirtschaftsspionage verantwortlich. Bei den Datenschutzbehörden müssen Vorfälle gemeldet werden, bei denen personenbezo-

gene Informationen Unbefugten zugänglich werden könnten. LKA und Staatsanwaltschaft ermitteln bei Internetkriminalität gegen Behörden, Unternehmen und Bürger gleichermaßen.

Überblick durch landesweites Lagebild Der Austausch wird insbesondere auf der Arbeitsebene gepflegt. “Es kommen vor allem diejenigen zusammen, die sich technisch mit den Problemen auseinandersetzen. Sie können besonders von der Expertise der anderen Häuser profitieren”, so LSI-Präsident Kleffel. Den persönlichen Austausch hält er für den entscheidenden Faktor. Mit Einrichtung der Cyber-Abwehr Bayern gibt es aber auch erstmals ein offizielles gemeinsames Lagebild zur Cyber-Sicherheit im Freistaat. Damit soll ein besserer Überblick über die landesweite Gefährdungslage gewonnen werden.

Die Informationsfäden laufen im Cyber-Lagezentrum beim LfV zusammen. Geldmittel und sechs neue Stellen wurden für die Einrichtung mit dem Nachtragshaushalt bereitgestellt. Die Arbeit wurde zum Jahresbeginn voll aufgenommen, parallel wird das Zentrum noch weiter ausgebaut, wie der Leiter George berichtet. Das dort erstellte gemeinsame Lagebild bekommen außer den beteiligten Behörden auch die Ministerien. Der Adressatenkreis könnte auch noch auf die IT-Sicherheitsbeauftragten der Landesbehörden ausgeweitet werden. Für die Verortung des Lagezen­ trums beim Landesamt für Verfassungsschutz spricht im Übrigen ein pragmatischer Grund: “Der Verfassungsschutz steht bereits seit Jahren erfolgreich als vertraulicher Ansprechpartner im Rahmen des Wirtschaftsschutzes und des Cyber-AllianzZentrums zur Verfügung”, sagt George. “Der Verfassungsschutz kann von Hause aus Informationen bis zur Vertraulichkeitsstufe “Geheim” verarbeiten, unterliegt – anders als die Strafverfolgungsbehörden – nicht dem Legalitätsprinzip und kann so dem Informationsgeber auf Wunsch Vertraulichkeit garantieren.” Das dürfte auch bei manchen Betroffenen zur Beruhigung beitragen. Nicht selten befürchten Unternehmen bei IT-Sicherheitsvorfällen, dass Ermittlungen öffentlich werden könnten und der daraus folgende Imageschaden schwerer wiege als die ohnehin erlittenen Betriebsstörungen. Ob berechtigt oder nicht: Viele sehen aufgrund dieser Sorge die Verfassungsschutzorgane mit ihrer Vertraulichkeitsgarantie als beste Anlaufstelle. Um aktuelle Digitalisierungsvorhaben im Freistaat geht es im Nachbericht zum Zukunftskongress Bayern ab Seite 32.

Irland ist bei grenzübergreifenden Fällen unter anderem für Facebook zuständig. Die nationale Datenschutzbehörde (Data Protection Commission) hat aber seit Gelten der DSGVO im Mai 2018 keine der elf laufenden Untersuchungen gegen das Unternehmen zu Ende gebracht. Das kritisieren die deutschen Aufsichtsbehörden seit Längerem. Nun hat sich auch die Vizepräsidentin des Europa-Parlaments, Katarina Barley (SPD), eingeschaltet. Sie bemängelt den fehlenden politischen Willen bei der Einhegung großer Tech-Konzerne wie Facebook. Um hier schneller zu Ergebnissen zu kommen, plädiert sie dafür, große Fälle auf die europäische Ebene zu ziehen. “Auch die Schaffung einer europäischen Behörde zu diesem Zweck ist eine gute Idee”, so Barley. Das hatte auch schon der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) vorgeschlagen. Nach seiner Vorstellung würde eine europäische Datenschutzagentur grenzüberschreitende Fälle übernehmen, wenn der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) mit Dreiviertelmehrheit dafür stimmt. Eigentlich ist der EDSA, dem die nationalen und der europäische Datenschutzbeauftragte(n) angehören, durch die DSGVO eingesetzt worden, um einheit-

liche Rechtsdurchsetzung zu gewährleisten. Wenn Zweifel an Maßnahmen einer nationalen Datenschutzbehörde bestehen, soll der EDSA durch ein Kohärenzverfahren zu einvernehmlichen Entscheidungen kommen. Der Ausschuss ist aber machtlos, solange die irische Aufsicht nicht einmal ihre Untersuchungen zum Abschluss bringt.

Datenschutzoase Irland Die Data Protection Commission gilt schon seit Jahren als zu schlecht ausgestattet. Bis vor Kurzem arbeiteten dort nur rund 50 Mitarbeiter. Dabei zeichnet die Behörde für die Aufsicht über einige der größten datensammelnden Unternehmen verantwortlich, die dort ihren europäischen Hauptsitz haben: Apple, Facebook, Google und Microsoft. 2019 erfolgte ein Stellenaufwuchs um 85. Auch beim Budget hat sich inzwischen etwas getan. Lag dieses 2013 noch bei 1,7 Millionen Euro, sind es 2019 bereits 15,2 und 2020 16,9 Millionen. Ob damit eine deutliche Besserung bei der Rechtsdurchsetzung erzielt werden kann, muss sich aber erst zeigen. Schließlich steht seit jeher die Kritik im Raum, Irland schaue beim Datenschutz bewusst nicht so genau hin, um die großen Konzerne als Steuerzahler im Land zu halten.

MELDUNG

Verschiedene Messenger in EU-Institutionen (BS/stb) Mitarbeiter der EUKommission sollen für die Kommunikation mit Externen den kostenfreien Open-Source-Messenger Signal nutzen. Sensible Informationen dürfen aber nur per verschlüsselter Mail versandt werden. Signal gilt als sichere und datenschutzfreundliche WhatsApp-Alternative. Das Eu-

ropaparlament hatte vor einigen Monaten Abgeordneten die Nutzung der Desktop-Variante von Signal verwehrt. Eine Empfehlung von WhatsApp wurde später zurückgezogen. Der Europäische Auswärtige Dienst betreibt seit Herbst 2019 eine eigene Lösung, die auch für vertrauliche Informationen genutzt werden soll.


Cyber Akademie

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Behörden Spiegel / März 2020

Themenseite in Kooperation mit:

Neues aus der Cyber Akademie

März 2020

Datenschutz sinnvoll nutzen (BS/Heinemann) Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bringt für Verantwortliche eine Vielzahl von Pflichten mit sich. Verantwortliche müssen in der Regel insbesondere nach Art. 30 DSGVO ein Verzeichnis aller Verarbeitungstätigkeiten führen, die ihrer Zuständigkeit unterliegen. Dieses Verzeichnis ist ein wesentlicher Teil der sich aus Art. 5 Abs. 2 DSGVO ergebenden Rechenschaftspflicht des Verantwortlichen. Der Verantwortliche muss das Verzeichnis jederzeit der Aufsichtsbehörde vorlegen können, um seiner Nachweispflicht zu genügen. Das Erstellen und Führen des Verzeichnisses erfordert einen erheblichen Aufwand für den Verantwortlichen, da es schriftlich zu führen und stets aktuell und vollständig zu halten ist. Die meisten Verantwortlichen führen das Verzeichnis in elektronischer Form mittels spezieller Anwendungssoftware oder mittels MS-Office. Der Gesetzgeber schreibt den Mindestinhalt in Art. 30 Abs. 1 a) bis g) DSGVO ausdrücklich vor. Das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten als wertvolles Werkzeug Viele Verantwortliche sehen das Führen des Verzeichnisses der Verarbeitungstätigkeiten als notwendige, oftmals aber lästige Pflichtaufgabe. Das Verzeichnis bietet jedoch die vielmals ungenutzte Möglichkeit, als wertvolles Werkzeug im Datenschutzmanagementsystem genutzt zu werden. Wenn aber der Gesetzgeber eine Maßnahme zwingend vorschreibt und ein entsprechender Aufwand damit verbunden ist, was liegt dann näher, als daraus den größtmöglichen Nutzen zu ziehen? Diese Chance sollten Verantwortliche ergreifen. Das Verzeichnis bietet insbesondere die Möglichkeit, als Steuerungs- und Kontrollinstrument eingesetzt zu werden. Und es bietet darüber hinaus auch die Möglichkeit, ein zentraler Baustein zukünftiger Entwicklungen im Rahmen des Einsatzes Künstlicher Intelligenz zu sein. Die gesetzlichen Anforderungen sind nur insofern ein Mindestinhalt. Darauf aufbauend kann aber ein erheblicher Mehrwert und Nutzen geschaffen werden, wenn weitere Angaben zielgerichtet erfasst und gepflegt werden. Ein derart erweitertes Verzeichnis war bereits vor dem Inkrafttreten der DSGVO möglich. Auch wenn das BDSG a. F. den Begriff Verfahrensverzeichnis selbst nicht nannte, wurde die Meldepflicht nach den §§ 4d und e BDSG a. F. als sogenanntes öffent-

Manuel J. Heinemann, Ass. iur. und Dipl.-Kfm. (FH) ist Hochschullehrer an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistungen in Altenholz, Fachleiter Zivilrecht und Fachleiter Recht der Digitalisierung der Verwaltung sowie Zertifizierter Datenschutzbeauftragter und Datenschutz­ auditor. Foto: CAk/privat

Zentrum für Informationssicherheit

IT-Sicherheit, Datenschutz, Digitalisierung Know-how praxisnah vermittelt

Die Implementierung eines Verarbeitungstätigkeitsverzeichnisses gilt häufig als lästig, schafft aber Grundlagen für effiziente und zukunftsfähige Datenverarbeitungsprozesse. Foto: CAk/fotomek, stock.adobe.com liches Verfahrensverzeichnis umgesetzt. Neben den gesetzlich zwingend vorgeschriebenen meldepflichtigen Angaben konnte und wurde oftmals ein sogenannter nichtöffentlicher Teil des Verfahrensverzeichnisses erstellt und gepflegt, der Angaben und Informationen enthielt, die für das Datenschutzmanagement und die Eigenorganisation sinnvoll waren. Dazu gehörten beispielsweise technische und organisatorische Maßnahmen, Dokumentationen in Form von Konzepten und Anweisungen sowie insbesondere sicherheitsrelevante Angaben zu Verarbeitungen. Für den Verantwortlichen und seine Beschäftigten waren diese Angaben wertvoll und nutzbringend, um interne Abläufe zu gestalten, auf aktuellem Stand zu halten und zu optimieren. Wirksames Steuerungsinstrument – auch für Künstliche Intelligenz Mit der DSGVO ist die Meldepflicht der §§ 4d und e BDSG a.F. entfallen und ein öffentliches Verfahrensverzeichnis ist nicht mehr zu führen. Das Verzeichnis der Verarbeitungen nach Art. 30 DSGVO ist an die Stelle des Verfahrensverzeichnisses getreten. Es ist aber, wie ausgeführt, nur auf Anfrage der Aufsichtsbehörde zur Verfügung zu stellen (§ 30 Abs. 4 DSGVO). Dennoch bietet es gleichwohl und gleichermaßen die Möglichkeit, die notwendigen Angaben nach Art. 30 Abs. 1 a) bis g) DSGVO durch zusätzliche Angaben und Informationen zu erweitern. So kann, wie vormals nach dem BDSG auch, die Möglichkeit als Steuerungsinstrument geschaffen werden. Diese zusätzlichen Angaben und Informationen sind freilich nur für den Verantwortlichen und seine Beschäftigten zugänglich zu halten. Aber sie bieten eine nahezu unbegrenzte Möglichkeit, zentral und übergreifend wichtige Informationen zum Datenschutz in der Organisation des Verantwortlichen zur Verfügung zu stellen. So können beispielsweise Datenschutzkonzepte und Dienstanweisungen zentral hinterlegt und verknüpft werden. Auch die technischen und organisatorischen Maßnahmen lassen sich, wie auch schon unter dem BDSG a. F., weiterhin einpflegen. Ein hoher Nutzen kann aber auch dann erzielt werden, wenn die zahlreichen weiteren Verpflichtungen nach der DSGVO mithilfe des Verzeichnisses von Verarbeitungstätigkeiten verknüpft werden. So kann beispielsweise die Risikobewertung nach Art. 24 DSGVO eingepflegt werden oder aber Datenschutz-Folgenabschätzungen gemäß Art. 35 DSGVO. Auch mit Blick auf die zukünftige Entwicklung bietet das

Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten erhebliches Potenzial für Verantwortliche. Im Rahmen der Digitalisierung wird der Einsatz Künstlicher Intelligenz ein wesentlicher Baustein sowohl im privatwirtschaftlichen Bereich als auch in der öffentlichen Verwaltung sein. Schon heute sind erste Anwendungen, wie beispielsweise Chatbots als Dialogassistenten oder vorhersagende Polizeiarbeit (Predictive Policing), im Einsatz. Ob und in welcher Art und Weise Verarbeitungen durch Künstliche Intelligenz umgesetzt werden können, sollte in das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten aufgenommen werden, da beim Einsatz Künstlicher Intelligenz regelmäßig personenbezogene Daten betroffen sind. Verarbeitungsverzeichnisse als Baustein von Automatisierungsprozessen Gerade der Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung führen in der öffentlichen Verwaltung zu Personalproblemen, die unter anderem mithilfe von technischen Entwicklungen gelöst oder zumindest minimiert werden können. So werden zukünftig zunehmend automatisierte Schriftstücke erstellt und übermittelt werden. Ein typisches Beispiel für öffentliche Stellen ist die Anfrage einer ersuchenden öffentlichen Stelle. In den Landesdatenschutzgesetzen ist in der Regel vorgesehen, dass die ersuchende öffentliche Stelle das Übermittlungsrisiko trägt (z. B. § 5 Abs. 2 LDSGSH, § 5 Abs. 1 LDSG-RLP). Wenn diese Besonderheit der Übermittlung auf Ersuchen einer öffentlichen Stelle im Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten als interne Information zu der Verarbeitung von Anfragen öffentlicher Stellen erfasst worden ist, kann ein entsprechender Bearbeitungshinweis bis hin zur automatisierten Antwort an die ersuchenden Stelle mithilfe des Verzeichnisses von Verarbeitungstätigkeiten gestaltet werden. Je mehr Verarbeitungen automatisiert werden, desto höher ist grundsätzlich der Nutzen für den Verantwortlichen. Das Verzeichnis der Verarbeitungen bietet sich dabei als grundlegender Baustein an. Gemeinsam mit Manuel J. Heinemann bietet die Cyber Akademie folgende Seminare an: DSGVO-Praxis – Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten richtig erstellen (24. März, München), Rechtssichere Vertragsgestaltung gemäß DSGVO (26. Mai, Berlin) und Beraterverträge rechtssicher vergeben (25. Juni, Berlin). Der Beitrag gibt ausschließlich die Auffassung des Verfassers wieder.

Vertrauen in digitalen Dienstleister Staat Die Cyber Akademie war zuletzt auf dem Zukunftskongress Bayern und auf dem Kongress Digitaler Staat vertreten. Sowohl die Kernaussagen der Keynotes als auch die Inhalte der Dialoge mit Teilnehmern und Ausstellern vermittelten den Eindruck, dass die Maßnahmen und der Wille zur Digitalisierung des öffentlichen Sektors stärker denn je seien. Auf dem Weg zum viel zitierten zentralen Dienstleister für Bürger und Bürgerinnen zeichnen sich derweil jedoch kom-

munale Ängste vor Kompetenzverlust oder die Umsetzung eines effektiven Veränderungsmanagements als Herausforderungen ab. Die Anekdote der Bundesbeauftragten für Digitalisierung Dorothee Bär, dass online abrufbare Echtzeitinformationen, zum Beispiel zu Extremwetterlagen, aktuell eher auf Websites von Radiosendern und nicht bei öffentlichen Verwaltungen abgefragt würden, wiegt jedoch noch schwerer. Denn das bedeutet, dass es neben der technischen,

personellen und organisationalen Bewältigung der digitalen Transformation für den öffentlichen Sektor ein Hauptanliegen sein muss, das Vertrauen der Bürger in dessen digitale Kompetenz zurückzugewinnen. Die Chance hierzu liegt auf der Hand: im Rechtsstaat sind die zu verarbeitenden Bürgerdaten keinem kommerziellen Interesse unterworfen. Der digitale Dienstleister öffentlicher Dienst kann sich so als die Bastion bürgerlicher Datensouveränität platzieren.

Sonderseminar: Effektiver Schutz vor Emotet & Co. 26.03.2020, Frankfurt am Main Blockchain-Technologie: Funktionsweise und Bausteine 30.03.2020, Sankt Augustin IT-Forensik für Einsteiger und Aufsteiger 31.03.-02.04.2020, Berlin Mac-Forensik – fortgeschrittene Analyse-Techniken und Hacking 31.03.-02.04.2020, Berlin BSI-Grundschutz in der Praxis 31.03.-01.04.2020, Düsseldorf Kompaktseminar: IT und IT-Sicherheit für Einsteiger und Aufsteiger 28.–29.04.2020, Berlin Digitalisierung als Führungsaufgabe: von der Reaktion zur Aktion 29.–30.04.2020, Berlin Netzwerkforensik IPv6 05.–06.05.2020, Berlin Datenschutz-Praxis: Aufbau und Umsetzung eines Datenschutz-Management-Systems (DSMS) 05.05.2020, Bonn Praxis-Kurs Darknet: Grundlagen, Einführung und Recherche 05.–06.05.2020, Bonn Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen in IT- und IT-Sicherheitsprojekten 05.–06.05.2020, Bonn Grundlagen der Kryptologie 05.–06.05.2020, Düsseldorf Einführung in die Kryptowährungen – Funktionsweise, Nutzung, Nachverfolgung 07.05.2020, Bonn Mobile Device Security – Risiken und Schutzmaßnahmen 11.–13.05.2020, Düsseldorf Netzwerk- und WLAN-Sicherheit 12.–14.05.2020, Berlin Beschäftigtendatenschutz nach neuem Datenschutzrecht 14.05.2020, Bonn Weitere Informationen zu diesen und anderen Seminaren unter: www.cyber-akademie.de


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / März 2020

Bundeswehr und Klimaneutralität

KNAPP Projekt gestartet

Wie steht es um Umsetzung und Kosten? (BS/Dr. Gerd Portugall) Mitte Dezember des vergangenen Jahres ist das Klimaschutzgesetz (KSG) des Bundes in Kraft getreten. § 15 Abs. 1 KSG regelt: “Der Bund setzt sich zum Ziel, die Bundesverwaltung bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu organisieren.” “Für die Bundeswehr”, so die Antwort der Bundesregierung von Mitte Dezember auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, “gelten die entsprechenden Vorgaben der Bundesregierung im Bereich Klimaschutz, u. a. das Energiekonzept der Bundesregierung, einschließlich der Vorgaben zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, sowie das kürzlich beschlossene Klimaschutzpaket.” Doch wie soll das alles umgesetzt und finanziert werden? “Klimaneutral” heißt, dass Handlungen und Prozesse, die keine Treibhausgasemissionen verursachen oder deren Emissionen über Einsparungen von Treibhausgasen oder durch Speicherung von Kohlendioxid kompensiert werden können, keine das Klima beeinflussende Wirkung entfalten. Das KSG schreibt vor, dass zur Verwirklichung des Zieles Klimaneutralität “die Bundesregierung spätestens im Jahr 2023 (…) Maßnahmen verabschiedet, die von den Behörden des Bundes (…) einzuhalten sind”. Bereits das Kabinett der vorherigen Großen Koalition hatte 2016 den “Nationalen Klimaschutzplan 2050” beschlossen. Im Koalitionsvertrag der jetzigen GroKo vom März 2018 war dann vereinbart worden, während dieser Legislaturperiode ein “Gesetz zur Einhaltung der Klimaziele 2030” verabschieden zu wollen. Die Bundesregierung stellte Ende September 2019 Eckpunkte für ein “Klimaschutzprogramm 2030” vor, um die Klimaziele zu erreichen. Das Programm sieht u. a. energetische Gebäudesanierungen und den Austausch von Ölheizungen gegen klimafreundlichere Heizanlagen vor.

Auch Bundeswehr betroffen Die avisierte Klimaneutralität stellt die deutschen Streitkräfte vor große Herausforderungen. Es gibt mehr als 1.457 Bundeswehr-Liegenschaften im Inland mit einer Gesamtfläche von über 263.000 Hektar (Stand November 2019). Darauf stehen mehr als 33.000 Gebäude. Emissionen von Fahrzeugen (Rad und Kette) werden wegen “Belangen militärischer Sicherheit” nicht veröffentlicht, um gefährdende Rückschlüsse zu vermeiden.

Bundeskabinett “für klimaneutrale Neu- und Erweiterungsbauten des Bundes” verbindlich festgelegt.

Wie steht es um die Kosten?

Wegen der nun vorgeschriebenen Klimaneutralität von Gebäuden – hier die Gneisenau-Kaserne in Koblenz – kommen noch viel Arbeit und sicher auch Kosten auf die Bundeswehr zu. Foto: BS/Portugall

Zuständig für Liegenschaften und Umweltschutz sind die Abteilung Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (IUD) im BMVg in Berlin sowie das nachgeordnete Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (BAIUDBw) in Bonn. Seit 2012 erscheint zweijährlich der Nachhaltigkeitsbericht des BMVg und der Bundeswehr. Der nächste wird also im Oktober dieses Jahres erscheinen. Unter “Nachhaltigkeit” versteht man die schonende Nutzung von natürlichen Ressourcen unter Aufrechterhaltung ihrer Regenerationsfähigkeit. In den Bundeswehr-Berichten werden die Energieverbräuche aus den Liegenschaften und Gebäuden sowie die daraus berechneten CO 2 -Emissionen dargestellt.

2014 hat das BMVg für seinen Geschäftsbereich festgelegt, dass der “Leitfaden Nachhaltiges Bauen” des Bundesbauministeriums, der erstmals 2001 veröffentlicht wurde, im Grundsatz anzuwenden ist.

Stellungnahme des BMVg Wie eine Sprecherin des BMVg auf Anfrage des Behörden Spiegel mitteilt, hätten die Vorbereitungen, “einen klimaneutralen Dienstbetrieb zu schaffen”, im Ministerium, das “die ressortinterne Vorreiterrolle übernimmt, bereits begonnen”. Bis zum Jahr 2023 solle die Klimaneutralität in den beiden ministeriellen Dienstsitzen in Bonn und Berlin vollzogen sein, weitere Dienststellen würden folgen. Das Umsetzungsprinzip lautet offenkundig “top down”.

Geplant sei, dass die Gebäude des Bundes – und damit auch die der Bundeswehr – “in den Bereichen Energieeffizienz, Klimaschutz und nachhaltiges Bauen für den gesamten Gebäudebestand vorbildhaft” seien und zeigten, “dass die klimapolitischen Ziele im Einklang mit Kosteneffizienz und Funktionalität von Baumaßnahmen umgesetzt werden” könnten. Sie sollen daher “frühzeitig einen den Zielen gerechten Standard erhalten und innovative Technologien inte­grieren”. Neue Gebäude des Bundes sollen ab 2022 “mindestens dem Standard Effizienzhaus “EH 40” entsprechen”, d. h. einen Primärenergiebedarf von höchstens 40 Prozent haben. Für Sondernutzungen seien “analoge Zielvorgaben” zu entwickeln. Dieses Ziel werde kurzfristig durch das

Im Einzelplan 14 (Verteidigung) des Bundeshaushalts sind für das Haushaltsjahr 2020 in Kapitel 1408 (Unterbringung im Inund Ausland) Gesamtausgaben in Höhe von insgesamt 5,406 Milliarden Euro etatisiert, aus denen Maßnahmen für Liegenschaften und Gebäude finanziert werden. Dies umfasst gemäß der Ministeriumssprecherin “auch Maßnahmen nach dem Klimaschutzgesetz”. Dabei, so das BMVg, erfolge die “haushaltsmäßige Anerkennung nach dem Grundsatz der Sparsamkeit der Bundeshaushaltsordnung mit möglichst geringen Mitteln”. Aber: “Eine Kostenschätzung wurde noch nicht durchgeführt.” In jedem Falle stehe jedoch fest, dass die Ausgaben für Maßnahmen nach dem Klimaschutzgesetz “bei der Haushaltsaufstellung zu berücksichtigen” seien. Ob diese an anderer Stelle eingespart werden müssten oder ob der Einzelplan 14 künftig für solche Maßnahmen aufgestockt werde, sei “von den Rahmenbedingungen des jeweiligen jährlichen Haushaltsaufstellungsverfahrens abhängig”, so die Sprecherin abschließend. Da laut BMVg eine Kostenschätzung für klimaneutrale Maßnahmen behördlicherseits noch nicht durchgeführt worden ist, verwundert es auch nicht, dass Recherchen des Behörden Spiegel im parlamentarischen Raum ergeben haben, dass das Thema “Klimaneutralität der Bundeswehr” dort bisher auf nur wenig Aufmerksamkeit und Resonanz gestoßen ist.

(BS/bk) In Schleswig-Holstein hat die Pilotphase des Projekts “Ultramobile Polizeiarbeit” begonnen. Zunächst werden 365 Smartphones an die Dienststellen der Polizei ausgeliefert. Gleichzeitig finden Schulungen der Beamten für die Nutzung der Geräte und die Applikationen statt. Auf den mobilen Endgeräten werden drei speziell entwickelte Apps zum Einsatz kommen. Die Polizisten in Schleswig-Holstein können auf verschiedene Anwendungen zurückgreifen. Dazu gehören unter anderem die Vorgangsbearbeitungs-App @rtus mobile, eine Anwendung zur Dokumentenprüfung und ein Kartendienst, der speziell für die Polizeiarbeit erstellt wurde. Die Pilotphase endet voraussichtlich im Februar 2021 (mehr zum Thema “Mobile Police” auch auf Seite 46 dieser Ausgabe).

THW-Gesetz soll reformiert werden (BS/mfe) Die Bundesregierung will das Gesetz über die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) novellieren. Es sollen unter anderem die Freistellungsregelungen für ehrenamtliche Helfer ausgeweitet werden. Freistellungen von der Arbeit sollen demnach künftig auch für Maßnahmen zur Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft unmittelbar nach Einsätzen möglich sein. Zudem ist vorgesehen, die technische Unterstützung durch das THW – ganz besonders mit Blick auf die Länder (einschließlich Kommunen beziehungsweise Feuerwehren) – weiter zu verbessern. Die künftig geplante gesetzliche Freistellungsregelung soll sich laut Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 19/17291) mit ihrer neuen Terminologie “Dienste” grundsätzlich auf Tätigkeiten beziehen, deren zeitliche Lage das THW nicht selbst steuern kann. Damit sind insbesondere Einsätze im Rahmen von ad-hoc zu leistender Amtshilfe für Katastrophenschutzbehörden gemeint.

Beschaffertage 2020 22. – 23. April 2020

Eine Veranstaltung des

Fachliche Leitung

Geplante Themen, u. a.: • Das Leistungsbestimmungsrecht bei BOS-Beschaffungen • Fristenmanagement im Vergabeverfahren • Leasing von Einsatzfahrzeugen

www.bos-beschaffertage.de

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Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / März 2020

Entwicklung setzt sich fort

Kritik ebbt nicht ab

Nach Düsseldorf auch vorzeitige Vertragsbeendigung in Weeze

Automatisierte Kennzeichenerfassung weiter umstritten

(BS/Marco Feldmann) Am nordrhein-westfälischen Flughafen Weeze steigt das bisher für die Passagier- und Gepäckkontrollen zuständige Un­ ternehmen vorzeitig aus dem Vertrag mit der Bezirksregierung Düsseldorf aus. Die Firma Agello Aviation, der diese Aufgabe eigentlich noch bis Jahresende zukommt, beendet ihre Tätigkeit am etwa 70 Kilometer von Düsseldorf entfernt liegenden Airport bereits zum 31. Oktober. Damit gibt es nach dem Ausstieg der Firma Kötter in Düsseldorf einen weiteren Fall. Das Unternehmen Agello Aviation begründet die vorzeitige Vertragsbeendigung insbesondere mit den erheblichen Passagierschwankungen zwischen Sommer- und Winterflugplan. Außerdem würde sich die Disposition der Luftsicherheitsassistenten immer schwieriger gestalten. Bisher seien die Mitarbeiter während der Gültigkeit des Winterflugplans, der mit einer geringeren Nachfrage als der Sommerflugplan einherging, nachgeschult und weiterqualifiziert worden. Dies sei für den kommenden Winterflugplan jedoch nicht mehr möglich gewesen, da unklar gewesen sei, ob die Firma die Ausschreibung für die Zeit ab dem 1. Januar 2021 gewinnen würde. Daher sei nun um Vertragsauflösung gebeten worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde sich das Unternehmen jedoch an der Neuausschreibung der Dienstleistung in Weeze beteiligen.

Möglichst nahtlosen ­Übergang schaffen Von der Düsseldorfer Bezirksregierung hieß es, dass das Unternehmen deutlich gemacht habe, dass eine wirtschaftliche Weiterführung des Vertrages nicht zumutbar sei. Die Behörde habe der Argumentation folgen können und deshalb der Vertragsaufhebung zugestimmt. Eine Neuausschreibung werde derzeit vorbereitet. Ziel sei die Beauftragung des neuen Dienstleisters am Flughafen Weeze zum 1. November dieses Jahres, um einen nahtlosen Übergang zu gewährleisten. Massive Kritik an den beiden Rückzügen äußert Ernst G. Walter. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) sagt: “Die Vertragsaufhebung mit Kötter in Düsseldorf war ein Dammbruch.” Nun werde die Luftsicherheitsgebühr massiv ansteigen. Denn es sei absehbar, dass jedes Unternehmen, das am Flughafen Düsseldorf die Nachfolge Kötters antrete, für seine Dienstleistungen deutlich mehr Geld vom Bundesinnenministerium (BMI) erhalten werde. Ebenfalls zu einer Steigerung der Luftsicherheitsgebühr, die derzeit noch bei zehn Euro pro Passagier gedeckelt sei, werde es durch die geplante Umstellung der Bezahlung der privaten Dienstleister von der jeweiligen Kontrollstunde hin zur Zahl der Kontrollvorgänge kommen.

(BS/Marco Feldmann/Benjamin Stiebel) Der Streit um die automatisierte Kennzeichenerfassung in Brandenburg geht weiter. Die Landesda­ tenschutzbeauftragte Dagmar Hartge hält die von ihr beanstandeten Verstöße noch nicht für beseitigt. Das Potsdamer Innenministerium sieht sich auf dem richtigen Weg und beharrt auf der Rechtmäßigkeit ein “erhebliches Risiko von Fehl- der Rechtsgrundlage für die Maßnahme (siehe auch Behörden Spiegel, entscheidungen” bergen wür- Februar 2020, Seite 7). den. Und Schaefer macht darauf aufmerksam, dass das geplante Luftsicherheitsregister nur bei Teilnahme aller Länder seine volle Effektivität entfalten könne.

Klarerer Überblick würde möglich

Am nordrhein-westfälischen Flughafen Weeze (Foto) in der Nähe Düsseldorfs werden die Passagierkontrollen neu ausgeschrieben. Foto: BS/Airport Weeze

“Das ist völlig unsinnig und wird zu einem komplett amorphen System führen”, prognostiziert Walter. Eine solche Reform ist zunächst am Flughafen Leipzig/ Halle vorgesehen. Dort steht die Neuvergabe der Passagierkontrollen noch in diesem Jahr bevor. Walter bemängelt, dass dann nicht mehr die Arbeitszeit der Kontrollkräfte bezahlt werde, sondern ein einzelnes Produkt. Außerdem unterstreicht er: “Ein solches System wäre sehr anfällig im Falle von Streiks bei Fluggesellschaften.” Dann würden die Dienstleister massive finanzielle Verluste erleiden. Der Gewerkschafter plädiert für eine Ausweitung des in Bayern verbreiteten Modells. Dort sind die Luftsicherheitsassistenten bei halbstaatlichen Unternehmen angestellt.

Weitere Register sollen ­einbezogen werden Unterdessen sind Änderungen bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung für den Luftverkehr in der Diskussion. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der derzeit im Deutschen Bundestag behandelt wird, sieht vor, in Zukunft auch Erkenntnisse aus dem Erziehungsregister sowie – per Abfrage über das Bundesamt für Justiz – aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister bei der Bewertung der Zuverlässigkeit zu berücksichtigen. Zudem soll ein gemeinsames, bundesweites Luftsicherheitsregister eingerichtet werden. Letzteres begrüßt Uwe Büchner, Leitender Ministerialrat beim Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr. Denn so würde man auch Infor-

mationen über noch laufende, anhängige Ermittlungsverfahren erhalten. Diese seien für die Zuverlässigkeitsüberprüfung “von essenzieller Bedeutung”. Bisher erhielte man aus dem Bundeszentralregister ausschließlich Daten zu abgeschlossenen Verfahren mit Verurteilungen. Dabei handele es sich jedoch nur um einen Augenblicksstand, so Büchner.

Bisher Austausch von ­Negativlisten Zwar fänden bereits heute Abfragen von laufenden Ermittlungsverfahren bei den einzelnen Landeskriminalämtern statt. Auch würden bei entsprechenden Treffern die zuständigen Staatsanwaltschaften kontaktiert. Diese Vorgehensweise sei jedoch relativ mühsam, weshalb der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einer Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung führen könnte. Zudem würde der antiquierte, aktuell jedoch weiterhin praktizierte Austausch von Negativlisten auf Papier durch die für die Zuverlässigkeitsüberprüfungen zuständigen Bundesund Landesbehörden entfallen, unterstreicht Büchner. Grundsätzlich positiv zum bundesweiten Luftsicherheitsgesetz äußern sich auch Prof. Dr. Wolfgang Däubler von der Universität Bremen sowie Dr. Christoph Schaefer, Director Aviation Security bei der Lufthansa. Kritisch betrachtet Däubler allerdings die geplante Einbeziehung des Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Registers. Däubler kritisiert, dass die Auskünfte über laufende Ermittlungsverfahren nur einen sehr beschränkten Erkenntnisgewinn brächten und

Arnd Krummen vom Bezirk Bundespolizei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagt: “Die stark zerklüftete Struktur und Organisation der Luftsicherheit in Deutschland mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure, starker Personalfluktuation und wechselnden Anbietern bewirkt eine Vielzahl unterschiedlicher Informationsstände über das eingesetzte Personal.” Die Schaffung eines gemeinsamen Luftsicherheitsregisters könne daher einen klareren Überblick in der stark dislozierten Luftsicherheitsstruktur auf nationaler wie internationaler Ebene schaffen. Außerdem könne das Verzeichnis “zu einer verbesserten Bewertungsgrundlage für die Zuverlässigkeit aller Beteiligten im Bereich der Luftsicherheit” beitragen. Krummen plädiert zudem dafür, der Bundespolizei das Recht zur Durchführung einfacher Sicherheitsüberprüfungen nach dem entsprechenden Bundesgesetz einzuräumen. Diese Befugnis sollte sich auf Personen erstrecken, die für die Bundespolizei tätig werden sollen. Damit wären unter anderem Luftsicherheitsassistenten erfasst. Bislang kann eine derartige Überprüfung laut Krummen nur in Fällen eingeleitet werden, in denen eine Tätigkeit auf einem sogenannten sicherheitsempfindlichen Dienstposten vorgesehen ist.

Bündelung in einer Behörde verlangt Dr. Berthold Stoppelkamp vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) findet: “Zur Vermeidung von Kompetenzüberschneidungen und zum Zwecke einer einheitlichen Verwaltungspraxis sowie einer besseren Koordinierung der Qualitätskontrolle ist die Bündelung aller Luftsicherheitsaufgaben in einer einzigen nationalen Luftsicherheitsbehörde erforderlich.” Die Möglichkeit zur Schaffung eines bundesweiten Luftsicherheitsregisters könne dabei “ein erster Schritt zur Schaffung einer Struktur für eine nationale Luftsicherheitsbehörde sein”, so Stoppelkamp.

“Follow the money!” Kampf gegen Geldwäsche muss weiter intensiviert werden (BS/por) Nach einer für das Bundesfinanzministerium erstellten Studie wird der Betrag des in Deutschland gewaschenen Geldes auf mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Diese Summen werden von der Organisierten Kriminalität (OK), für die Finanzierung von Terrorismus und für die Proliferation von Massenvernichtungswaffen eingesetzt. Kann da der Rechtsstaat noch dagegenhalten? Aus dem Bankenbereich gebe es mittlerweile eine hohe Zahl von Meldevorgängen gegenüber staatlichen Aufsichtsbehörden, so Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Bezirksgruppe Zoll der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Dies gelte aber nicht für den Gütermarkt. Deshalb gelinge es der OK, über die Finanzverwaltungen Geldwäsche über Steuern und Abgaben zu betreiben. Ein besonders rentables Gut seien in diesem Zusammenhang gefälschte Arzneimittel. Der Gewerkschafter nennt dies “das Kokain der Gegenwart”. Die GdP Zoll fordere schon lange die Schaffung einer Finanzpolizei, so Buckenhofer. Als Vorbild nennt

er die italienische “Guardia di Finanza”, nur ohne militärischen Anteil. Immerhin sei der deutsche Zoll gleichzeitig Polizei und

Finanzverwaltung. Die OK könne man beschreiben als “Dauerjob mit dem Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen”. Zwar untergrabe die OK das Vertrauen in den sozialen Rechtsstaat, komme aber in der Gefühlswelt der Bürger so gut wie nicht vor. Deshalb sei die Politik an diesem Thema relativ desinteressiert. Aber: Der einzige Hebel bei der Strafverfolgung sei die Maxime: “Follow the money”. Die Verfolgbarkeit von Geldströmen müsse sichergestellt Verlangt im Kampf gegen Geldwäsche werden, betont auch Steffen mehr Engagement aus dem Bereich Krauß, zuständiger Polizeioffizier des Gütermarktes: Frank Buckenhofer­ gegen Geldwäsche und Terro(2. v. r.), Vorsitzender der Bezirksgrup- rismusfinanzierung in der Gepe Zoll der Gewerkschaft der Polizei neraldirektion Finanzstabilität, (GdP). Finanzdienstleistungen und KaFoto: BS/Giessen

pitalmarktunion (FISMA). Diese ist für die Maßnahmen der EUKommission im Bereich Bankund Finanzwesen zuständig. Ein Großteil der Geldwäsche erfolge über Scheinfirmen. Am Ende der Ermittlungen müsse immer eine natürliche Person stehen. Deshalb sei Bargeld ideal für die Anonymität von Kriminellen. Ein weiteres Problem: der “Risiko-Appetit von Banken und anderen wirtschaftlichen Akteuren”, so der EU-Beamte. Aber gerade diesen Institutionen obliege eine “besondere Sorgfaltspflicht”. Mehr zum Thema auch auf Seite acht dieser Ausgabe.

Hartge kritisiert unter anderem, dass das Polizeipräsidium die Löschung von Daten des Systems namens KESY auf dem Server nicht habe belegen können. So sei etwa kein entsprechendes technisches Protokoll vorgelegt worden. Außerdem seien nur Daten gelöscht worden, die bis zum 19. Juni letzten Jahres erhoben wurden. Den bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Datenbestand habe das Präsidium zuvor jedoch auf andere Speichermedien übertragen. Positiv merkt Hartge an, dass sich die Brandenburger Polizei an 35 Staatsanwaltschaften in 13 Bundesländern sowie an den Generalbundesanwalt gewandt habe, um eine Reduzierung des gespeicherten Datenbestands zu erreichen. Die Behörden sollen mitteilen, ob sie die für dortige Ermittlungsverfahren gespeicherten Kennzeichendaten noch benötigen. Sollte dies der Fall sein, würde ihnen die Brandenburger Polizei sie zur Verfügung stellen. Solange jedoch noch nicht alle Rückmeldungen vorlägen, könnten möglicherweise nicht mehr benötigte Daten aber nicht gelöscht werden.

Zweifelhafte Rechtsgrund­ lage? Die Datenschutzbeauftragte kritisiert außerdem, dass die Landespolizei das Verfahren auf Grundlage staatsanwaltschaftlicher Anordnungen fast unverändert weiterbetreibe. Die Daten würden seit dem 20. Juni 2019 vollständig gespeichert. Zwar habe das Polizeipräsidium geplante technisch-organisatorische Maßnahmen benannt, die es umsetzen wolle. Ob diese jedoch ausreichten, um den datenschutzrechtlichen Anforderungen zu genügen, könne ohne weitere, detailliertere Informationen nicht beurteilt werden. Hartge bezweifelt darüber hi­ naus weiterhin, dass eine ausreichende Rechtsgrundlage für die automatisierte Kennzeichenerfassung existiert. Ähnliches ist einer Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) zu entnehmen. Dort heißt es zudem: “Angesichts einer fehlenden Rechtsgrundlage sieht die DSK in der geschilderten exzessiven Nutzung von Kennzeichenerfassungssystemen für die Zwecke der Strafverfolgung einen Verstoß gegen das Grundgesetz und eine Verletzung der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.” Dabei stören sich die Datenschützer nicht an der Kennzeichenerfassung per se. Zur Gefahrenabwehr wird sie in vielen Ländern schon seit Jahren angewendet. So wäre beispielsweise eine Ringfahndungsmaßnahme mit mehreren Stationen an Hauptverkehrsstraßen möglich. Dabei würden Kennzeichen aller passierenden Fahrzeuge

aufgenommen und gegen einen Fahndungsdatenbestand abgeglichen. Gespeichert würden aber nur Treffer. Beim Brandenburger System kam es aber zur dauerhaften Speicherung aller Aufnahmen über Zeiträume von bis zu einem Jahr. Ein krasser Verfassungsverstoß, sind sich Datenschützer einig. Schließlich sei die Rechtsprechung sowohl auf nationaler als auch auf EUEbene eindeutig und gefestigt: Eine Erfassung im Rahmen der Strafverfolgung sei nur in konkreten Verdachtsfällen zulässig. Einer massenhaften Speicherung von Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger auf Vorrat ist in verschiedenen Kontexten immer wieder richterlich der Riegel vorgeschoben worden. Entsprechend fordert die DSK Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften auf, die umfassende und unterschiedslose Erfassung, Speicherung und Auswertung von Kraftfahrzeugen durch Kennzeichenerfassungssysteme für Zwecke der Strafverfolgung zu unterlassen und die rechtswidrig gespeicherten Daten zu löschen. Die Mitglieder der Konferenz lehnen darüber hinaus Vorschläge ab, die auf die Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage für derartige strafprozessuale Maßnahmen abzielen. In Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung würden sich entsprechende Gesetze wohl ohnehin nicht lange halten können.

Polizei nicht Herrin des ­Verfahrens Aus dem Brandenburger Innenministerium hieß es, dass man weiterhin von einer ausreichenden gesetzlichen Basis für den Einsatz ausgehe. Außerdem seien

Der Streit um die automatische Erkennung und Erfassung von Nummern­ schildern in Brandenburg hält an. Foto: BS/Timo Klostermeier, pixelio.de

bereits wichtige Schritte ergriffen und zahlreiche Daten gelöscht worden. Allerdings könnten noch nicht alle Daten gelöscht werden, da in zahlreichen Fällen die jeweilige Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens sei und nicht die Polizei. Und dies betreffe nicht nur Brandenburg, sondern Staatsanwaltschaften in der gesamten Bundesrepublik. Zumal die Aufsicht über die Staatsanwaltschaften in der Mark bei der Generalstaatsanwaltschaft sowie beim Justizministerium liegt. Im Streit um die automatisierte Kennzeichenerfassung war im Potsdamer Innenministerium sogar ein Abteilungsleiter versetzt worden.

MELDUNG

Neues Outfit für Autobahnpolizisten (BS/mfe) Die Kräfte der nordrhein-westfälischen Autobahnpolizei erhalten neue Bekleidung. Dadurch sollen die 1.300 Mitarbeiter nachts und bei schlechtem Wetter sichtbarer werden. Damit einher geht ein Sicherheitsgewinn. Die Beamten erhalten Jacken und Hosen aus

reflektierendem Material sowie mit Signalwirkung. Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: “Schutz auf der Autobahn ist nahezu gleichbedeutend mit Sichtbarkeit.” Wer hier für Ordnung sorge, mache täglich einen Knochenjob, der so sicher wie möglich sein sollte.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / März 2020

V

iele Terroranschläge in Euro­ pa waren nicht nur in Syrien oder Libyen geplant worden, son­ dern wurden live via Internet, die Sozialen Medien und die dort verfügbaren KommunikationsPlattformen von terroristischen Führungspersonen von dort mit anonymisierter, oft hochkarätig verschlüsselter Kommunikation bis zum Anschlag gesteuert und in Form des “Virtual Plotter Mo­ dels” (VPM) betreut. Nach der De­ finition des Centers for Strategic and International Studies (CSIS) handelt es sich danach um eine Form des Cyber-Terrorismus.

Rasch eigene IT-Produkte hergestellt Anfangs begnügten sich CyberDschihadisten noch mit HackerAngriffen und gründeten hierfür sogar eine eigene “Islamic State Hacking Division” (ISHD). Bald waren ihre Kenntnisse aber schon so gut, dass sie dazu über­ gingen, eigene IT-Produkte zu schaffen. Eine der erfolgreichs­ ten Produktionen des Daesh war eine Twitter-App in arabischer Sprache, genannt “The Dawn of Glad Tidings” (frei übersetzt: “Frohe Frühnachrichten”) oder kurz: “The Dawn”. Nach der In­ stallation im April 2014 wurde die App innerhalb kürzester Zeit von Hunderten geladen, um die Tweets der Daesh-Zentrale zu erhalten und alle anderen User gleichzeitig selbst zu informieren. Die Dawn-Tweets beinhalteten Links, Hashtags und Bilder und umgingen Twitters Algorithmen zur Entdeckung von SpamInhalten. Die normalen Twit­ ter-Funktionen wurden durch “Dawn” jedoch nicht gestört. In Spitzenzeiten, etwa während der Eroberung von Mossul, wurden

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Cyber-Terrorismus und Soziale Medien Ein undurchdringbares und unentwirrbares Geflecht? (BS/Uwe Kranz) Der Terrorismus jedweder Form brauchte und braucht den Cyber-Raum. Er ist unter anderem notwendig für Werbung und Propaganda, Rekrutierung, Indoktrinierung und Mobilisierung von Unterstützern, Kämpfern und Spendern. Außerdem ist dort die Rekrutierung von Finanzmitteln, psychologische Kriegsführung, Netzwerkbildung sowie die Präsentation eigener Erfolge möglich. Er schöpft seine Stärke wesentlich aus der virtuellen Kommunikation, die zugleich, wenn ungesichert, aber auch seine Schwäche darstellt, an der gearbeitet werden muss. bis zu 40.000 Tweets am Tag versandt. Ein anderer Weg, über Twitter Anhänger zu mobilisie­ ren und zu informieren, war die arabische Hashtag-Kampagne @ActiveHashtag, mit der der ­Daesh über Twitter Aberhunderte und -tausende erreichte (bis zu 10.000 per Tweet).

Detaillierte Anleitung ­veröffentlicht Im April 2016 publizierte der Daesh online auf Dar-al-Islam einen ausführlichen Bericht in französischer Sprache mit der Überschrift “Sécurité Informa­ tique”. In diesem wurde die Be­ deutung geheimer Kommunikati­ on für den Dschihad beschrieben. Erläutert wurde zum Beispiel, wie man das Linux-basierte “The Amnesic Incognito Live System” (TAILS) installieren muss, wie es mit dem Tor-Netzwerk verbunden werden kann, wie man in das anonyme “Dark Web” gelangt, wie man PGP-Schlüssel kreiert oder wie man Jabber-basierte XMPP-Kommunikationstechnik installiert und benutzt. Ein Handbuch für den Terrorismus im Cyber-Raum. Kurz zuvor wurde auf dem Mobiltelefon eines der ParisAttentäter ein Video gefunden, in welchem eine verschlüsselte Nachricht stand – womöglich der Hinweis auf die Auftraggeber

oder das nächste Attentat. Der Daesh veröffent­ lichte dieses Video mit den letzten Worten der Täter, die den Tod von 130 Menschen zu verantworten hat­ ten, über seinen Propaganda-Arm, den TV-Sender AlHayat. Damit forderte er indirekt die Welt öffentlich heraus, diese Botschaft zu entschlüsseln – was bis heute nicht gelungen ist. Al-Qaida veröffentlichte über seinen Propaganda-Sender AlFajr im Juni 2014 eine Verschlüs­ selungstechnik für alle Android­Smartphones und wies seine Kämpfer an, sie in allen internen Kommunikationen anzuwenden.

Telegram als Dreh- und ­Angelpunkt Die IT-Spezialtruppe des Daesh, die “Electronic Horizons Foun­ dation” (EHF), postete zuletzt im September 2018 ein Video auf Te­ legram. Darin wurde auf Arabisch Schritt für Schritt erklärt, wie die “Orbot”-App auf Android-Geräten installiert werden muss. Im Hin­ tergrund wurde die Erklärung auf Englisch, aber in arabischer Choralform gesungen. Mit dieser App wird im Tor-Netzwerk und mit dem Orfox-Browser der Inter­

Der Terrorismusexperte des Behörden Spiegel, Uwe Kranz, sieht massive Gefahren aus dem digitalen Raum kommen. Foto: BS/Dombrowsky

netverkehr verschlüsselt. Telegram, früher nur bekannt als Kommunikationskanal der Terroristen zur Koordinierung ihrer Anschläge, wird inzwischen für die gesamte “Terrorgemeinde” (Al-Qaida, Daesh, Hamas, His­ bollah, HTS, oder Muslimische Bruderschaft) zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Finanzierung. Davor warnte schon 2015 die Financial Action Task Force. Inzwischen sind Terrorfinanzie­ rungen mittels Kryptowährungen business as usual: Bitcoin, NEO, Ethereum (ETH), künftig kom­ men noch Gram und vielleicht auch noch Libra hinzu. Das neue Szenario “fundrising by crypto currency” über das “Telegram Open Network” (TON), künftig sogar mit eigenem Block­ chain-Netzwerk, wird in einem 253-Seiten-Report beschrieben. Dieser wurde vom Middle Eastern Media Research Institute (MEM­ RI) im August 2019 veröffentlicht.

Rund 365 Millionen Menschen nutzen inzwischen TON, circa 1,7 Milliarden US-Dollar wur­ den allein 2018 mit “Initial Coin Offering” (ICO) umgesetzt. Dabei handelt es sich um eine meist un­ regulierte Form des Investments in eine Firma, ein Start-up – oder eben in terroristische Aktivitäten, eine Art Crowdfunding – Tendenz von Finanzvolumen und terroris­ tischer Teilhabe: steigend.

Fundraising oft sehr erfolgreich Der Daesh betonte in seinen Wochen-News Al-Naba (auf ei­ nem eigenen Telegram-Kanal) die Pflicht eines jeden Gläubigen, der am Kampf nicht teilnehmen könne, wenigstens für militä­ rische Operationen und Aus­ rüstungen zu zahlen. Außerdem wurde ausführlich über die ver­ schiedenen Zahlungsplattformen und -dienste, einschließlich der Gefahren und Möglichkeiten der Kryptowährungen, informiert. In Syrien gelang es kürzlich der selbstständigen Terrororganisa­ tion Hayat Tahrir al-Sham (HTS) mit einer Fundraising-Kampagne über Telegram, innerhalb eines Monats 185.000 US-Dollar für ein Operationszentrum zu ge­ nerieren. Im Gazastreifen nutzt die sala­ fistische Jaysh-Al-Ummah-Grup­ pe den Ramadan im Mai dieses

Jahres, um Bitcoin-Spenden für ihre “Equip-a-Fighter”-Kampagne einzufordern, damit Granatwerfer und andere Waffen für den Kampf gegen die “jüdischen Eindringlin­ ge” eingekauft werden können. Der Terrorfinanzier Abdallah Al-Muhaysini, der Mitte des ver­ gangenen Jahrzehnts die syrische Terrororganisation Jabhat Fath al Sham (einst bekannt als al-Nus­ ra-Front) mit Millionen US-Dollar noch konventionell finanzierte, rief im März 2019 mit einem Video auf seinem Telegram-Kanal seine Follower dazu auf, Bitcoins für die Hamas zu spenden. Dies sei eine “gute und sichere Methode”, sich für den Dschihad zu engagieren.

Richtlinien sind überholt Vor dem Hintergrund dieser vielen Beispiele wirken die EUGeldwäscherichtlinien fast schon antiquarisch, resignativ, zumin­ dest aber stark retardiert. Schon der derzeitige Stand ihrer Umset­ zungen ist generell zu beklagen und in Deutschland geradezu beschämend.

Serie TERRORZIELE (TEIL 39) Es ist höchste Zeit, dass die Kriminalpolitik die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Strukturen der Bekämpfung des (Cyber-)Terrorismus und sei­ ner Finanzierung der Realität anpasst. Dazu zählt auch die schon 2001 auf den Weg gebrach­ te Cyber-Crime-Konvention des Europarates, die inzwischen ge­ rade mal von der Hälfte der 43 Vertragsstaaten ratifiziert wurde (darunter lediglich von 13 EUStaaten).

Vom Tatort zum “Smart-Ort”

Erfreuliche Resonanz

Ermittlungsarbeit neu denken

Kinderschutzallianz bereits mit über 60 Mitgliedern

(BS/stb) Digitale Spuren aus Rechnern und Smartphones gehören für viele Ermittler inzwischen zum Ar- (BS/mfe) Sie hat sich erst kürzlich der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Aber schon jetzt zählt die beitsalltag. Doch ständig kommen neue smarte Gerätetypen dazu, die entscheidend zur Aufklärung von Straf- Kinderschutzallianz mehr als 60 Mitglieder. Dazu gehören sowohl Behörden und Organisationen als auch taten beisteuern könnten. Für Polizeibeamte ist es deshalb immer wichtiger, zu wissen, welche Möglichkeiten Unternehmen. Sie alle eint eine hehre Absicht. und Erschwernisse digitale Technik bereithält, wenn sie Tatorte betreten, Hausdurchsuchungen durchführen oder Zeugen vernehmen. “Kinder sollen auch in der ge­ der Geschäftsstellenleiter. Und greifende System ist ein positiver “Jeder Tatort ist auch ein SmartOrt”, sagt Alexander Hahn, Leiter der Abteilung Cyber Crime und digitale Spuren im Landeskrimi­ nalamt Schleswig Holstein. “Di­ gitale Spuren finden wir überall, nicht nur bei Cyber-Kriminalität, sondern auch bei Unfällen, Raub oder Tötungsdelikten.” Infrage kommen neben klassischen End­ geräten heute auch smarte und vernetzte Geräte wie Fernseher, Digitalrecorder, Haushaltsgeräte oder Fitnesstracker. Hahn regt an, digitale Spuren als überprüfbare Fakten auch vernehmungstaktisch stärker zu berücksichtigen. So gelte es, die richtigen Fragen zu stellen, wenn Alibis vorgebracht werden: “Über welchen Streaming-Dienst haben Sie den Film geschaut?” oder “Auf welchem Gerät ha­ ben Sie das Rezept zum Kochen abgerufen?” Außerdem zeich­ neten manche Alarmanlagen Zeiten der Türbenutzung auf. Auch könnte ein digitales Bett, das Schnarchen verhindern soll, den Ermittlern offenbaren, ob

im fraglichen Zeitraum wirklich jemand darin gelegen hat. Ei­ ne weitere interessante Quelle seien Autos, so Hahn weiter. “Täter lassen ihr Smartphone zur Tatbegehung gerne mal zu Hause. Wenn sie aber ein Auto nutzen, das Standortdaten sam­ melt, haben wir vielleicht einen entscheidenden Anhaltspunkt”, meint der Abteilungsleiter.

Rechner nicht immer als solche erkennbar Je mehr vernetzte Geräte in Haushalten verwendet werden, desto entscheidender wird sein, dass die Beamten bei der Spu­ rensuche auch die Spreu vom Weizen trennen können. “Smarte Staubsauger, Heizungsanlagen, Lampen: All diese Geräte könnten relevante Indizien bringen”, sagt Benjamin Lembke, Senior Expert Digitale Forensik bei der Zentra­ len Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS). Dazu kämen Rechner, die auf den ersten Blick nicht einmal als solche erkannt würden. So ließen

sich klitzekleine Raspberry-PCs ohne Weiteres auf der Rückseite eines sonst nicht relevant schei­ nenden Monitors verbergen.

Regt an, digitale Spuren auch vernehmungstaktisch stärker zu berücksichtigen: Alexander Hahn, Leiter der Abteilung Cyber Crime und digitale Spuren im Landeskriminalamt Schleswig Holstein. Foto: BS/Giessen

Auch bei der Festnahme eines Tatverdächtigten könnten Über­ raschungen warten. “Wir können davon ausgehen, dass Kriminel­ le, die einen Zugriff erwarten, Sprachassistenten wie Alexa so präparieren, dass diese mit einem schnellen Befehl alle relevanten Festplatten verschlüsseln oder löschen”, warnt Lembke.

MELDUNG

Wechsel in Aachen (BS/mfe) Dr. Bernadette Bader ist neue Leiterin des Aachener Hauptzollamtes. Sie folgt auf Mario Lambertz. Dieser hatte den Posten 13 Jahre lang inne. Bader trat ihren Dienst in der Zollverwaltung am 1. Juli 2004 bei der Oberfinanzdirektion Köln an. Anschließend wechselte sie nach Aachen, wo sie die Leitung der Strafsachen- und Bußgeld­ stelle sowie die Vertretung der Dienststellenleitung übernahm.

Danach folgte eine Verwendung im Servicecenter Versorgung. Später wechselte sie zum Bun­ desfinanzministerium und war dort acht Jahre lang als Referen­ tin in den Bereichen Innenrevi­ sion und Korruptionsvorsorge, Prüfungsdienst und Kontroll­ einheiten sowie genießbare Ver­ brauchsteuern tätig. Seit Grün­ dung der Generalzolldirektion zum 1. Januar 2016 war Bader dort in Bonn als Referentin in den

Bereichen Personalhaushalt und Organisation eingesetzt.

rade begonnenen Dekade sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt nicht Opfer sexu­ alisierter Gewalt werden”, sagt der Leiter der Geschäftsstelle der Kinderschutzallianz, Thorsten Nowak. Um das zu erreichen, verfolgt er einen ganzheitlichen Ansatz. Zum einen geht es Nowak um eine umfassende Prävention. Da­ bei stehen nicht nur die Kinder selbst im Fokus, sondern auch deren Eltern, Erzieher und Pä­ dagogen. “Außerdem setzen wir uns für Täterprävention ein. Wir wollen verhindern, dass jemand, der in seiner eigenen Kindheit selbst Gewalt- oder Missbrauchs­ erfahrungen gemacht hat, zum Täter wird”, erläutert er. Zum anderen solle im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs (mehr dazu siehe auch Behörden Spiegel, Dezember 2019, Seite 51) die Strafverfolgung vereinfacht und verbessert werden. “Uns geht es darum, bürokratische Hürden abzubauen und Denkmuster zu verändern”, erklärt Nowak. Au­ ßerdem wolle man den Informati­ onsaustausch zwischen den ver­ schiedenen Behörden verbessern und hier einen Kulturwandel er­ reichen. “Zudem möchten wir den Ermittlern wirksame technische Unterstützung anbieten und die gesetzlichen Rahmenbedingun­ gen weiter verbessern helfen”, so

noch etwas ist ihm wichtig: ei­ ne möglichst schnelle Opferhilfe durch smarte Lösungen. “Denn nur so gelingt es, betroffene Kin­ der rasch aus ihren Familien zu holen und ihnen eine wirksame Therapie zuteilwerden zu lassen”, findet Nowak.

Projekte gestartet Die Kinderschutzallianz, der inzwischen unter anderem die Gewerkschaft der Polizei (GdP), das Land Niedersachsen, IT.Niedersachsen, die Internati­ onal Police Association (IPA), die “Initiative D21” sowie der Behör­ den Spiegel beigetreten sind, hat bereits mehrere Projekte aufge­ legt. Dazu gehören etwa die “Kin­ derschutzinseln”. Daran können Geschäfte teilnehmen, in deren Räumlichkeiten Kinder sich vor sexuellen Übergriffen retten und schützen können. Bei “KinderOnlineSchützen” handelt es sich um eine Smart­ phone-Applikation. Dabei wird zwischen den Eltern und dem Kind eine Art digitaler Vertrag zum Umgang mit deren Nutzung digitaler Medien geschlossen. Die Anwendung überprüft den Datenverkehr auf dem Mobiltele­ fon des Kindes mit Blick auf die Einhaltung dieses Vertrages und warnt etwa vor der Weitergabe der Privatadresse. Dazu meint Nowak: “Dieses plattformüber­

Ratgeber für die Kinder und für den Bereich der sexuellen Selbst­ bestimmung kostenfrei nutzbar.”

Stiftung geplant Nächstes Ziel der Allianzpartner, bei denen es sich laut Nowak um eine “Koalition der Willigen” handelt, ist die Gründung einer Kinderschutzstiftung. Sie soll parallel zur Allianz existieren und noch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gegründet werden. Vorgesehen ist keine Landesstiftung, sondern eine pri­ vatrechtliche, als gemeinnützig anerkannte Verbrauchsstiftung. Außerdem sollen die internatio­ nale Vernetzung des Zusammen­ schlusses intensiviert und die bereits vorhandenen Ansprech­ partner im Ausland um weitere Länder ausgebaut werden. Da­ rüber hinaus sind zusätzliche Kinderschutzallianzvertretungen vorgesehen, unter anderem in London und Südafrika. Ange­ strebt ist weiter, eine wissen­ schaftliche Studie zur einheit­ licheren Definition des Begriffs der Kinderpornografie durch die Stiftung in Auftrag zu geben. Weitere Informationen: www. kinderschutzallianz.org

MELDUNG

Präsenter sein Dr. Bernadette Bader (l.). ist neue Leiterin des Hauptzollamtes Aachen. Foto: BS/Zoll

(BS/mfe) Die Polizeibehörden sollten im Kampf gegen Cyber Crime deutlich stärker als bis­ her im digitalen Raum Präsenz zeigen. Außerdem sollten mehr

finanzielle Mittel in auf diese De­ liktsform spezialisierte Polizeiein­ heiten fließen. Das geht aus ei­ ner Umfrage des Digitalverbands Bitkom unter mehr als 1.000

Internetnutzern in Deutschland hervor. Für die Schaffung spezi­ eller Einheiten im Kampf gegen Cyber-Kriminalität plädieren 87 Prozent der Befragten.


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / März 2020

Nachwuchswissenschaftler geehrt

Weiterentwicklung vorgesehen

“Zukunftspreis Polizeiarbeit” für richtungsweisende Themen verliehen

Konzept “Mobile Police” in Bayern wird fortgeschrieben

(BS/Marco Feldmann) Deutschland verfügt über talentierten, innovativen polizeilichen Nachwuchs. Die jungen Beamtinnen und Beamten der unterschiedlichen Fachhochschulen befassen sich in ihren Bachelor- und Master-Arbeiten oftmals mit Themen, die für den künftigen polizeilichen Alltag und die Ermittlungstätigkeit von erheblicher Bedeutung sind. Da geht es nicht selten um Machine Learning oder die onlinebasierte Auswertung von Datenverkehren.

(BS/Marco Feldmann) Moderne Technik bietet auch für die Polizeibehörden erhebliche Potenziale. In Bayern ist das erkannt worden. Dort wurde ein Konzept “Mobile Police” entwickelt (siehe auch Behörden Spiegel Dezember 2019, Seite 54). Dieses wird nun immer weiter mit Leben gefüllt und an aktuelle Entwicklungen angepasst.

Retrograde Auswertung möglich Wellekötters Anwendung erlaubt es, Datenverkehr flexibel und effizient auszuwerten. Das von ihm entwickelte System gestattet die retrograde Analyse von Netzwerkverkehr. Dabei inte­ griert die Anwendung verschiedene etablierte und quelloffene Softwarekomponenten. Vorgelagerte Filter machen es möglich, die auszuwertende Datenmenge effektiv einzuschränken, zum Beispiel durch die Angabe vorab bekannter Verbindungsdaten. Die auf diese Art und Weise selektierten Daten werden dann vorverarbeitet. Anschließend werden sie in ein performantes Analyse- und Visualisierungssystem geladen. Dies erleichtert polizeilichen Sachbearbeitern die Arbeit enorm. Wellekötter erhielt ein Preisgeld von 1.500 Euro.

Deutlich höhere Quote Auf Platz zwei in der Kategorie der Master-Arbeiten (Preisgeld: 1.000 Euro) kam Daniel Haake. Er setzte sich in seiner Abschlussarbeit, die ebenfalls an der Hochschule Albstadt-Sig-

Wurden von den Innenministern Nordrhein-Westfalens und Brandenburgs, Herbert Reul (ganz links) und Michael Stübgen (ganz rechts), mit dem “Zukunftspreis Polizeiarbeit” ausgezeichnet: Duresa Miftari (2. v. l.), Alexander Schiele (3. v. l.), Henrike Lübbers (4. v. l.), Maika Nordmeyer (4. v. r.), Daniel Haake (3. v. r.) und Axel Wellekötter (2. v. r.). Foto: BS/Giessen

maringen verfasst wurde, mit der Prognose von Wohnungseinbrüchen mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen auseinander. Besonders im Fokus stehen dabei neuronale Netze, die mit Einbruchsdaten der badenwürttembergischen Polizei aus dem Zeitraum zwischen 2010 und 2018 trainiert wurden. Bei der Analyse zeigte sich, dass mit dem entwickelten System nach einem Wohnungseinbruchdiebstahl künftige Taten innerhalb von sieben Tagen und in einem Radius von 600 Metern rund um die ursprüngliche Tat mit einer Präzision von circa 60 Prozent vorhergesagt werden können. Dies stellt – im Vergleich zu bisher genutzten Prognoseprogrammen, die unter vergleichbaren Bedingungen nur eine Präzisionsquote von etwa 25 Prozent erreichen – eine massive Verbesserung dar.

Legitimität könnte verlorengehen 700 Euro erhielt zudem Maika Nordmeyer für ihre an der Deutschen Hochschule der Polizei gefertigte Master-Arbeit “Blackout – erfolgskritische Faktoren für die polizeiliche Handlungsfähigkeit”. Darin beschäftigt sie sich mit der Frage, inwieweit sich ein Blackout auf die Polizei auswirkt und wie in einem solchen Fall deren Handlungsfähigkeit trotz der Eigenbetroffenheit als Kritische Infrastruktur (KRITIS)

gesichert werden kann. Nordmeyer kommt zu dem Ergebnis, dass es zur Resilienzsteigerung der Polizei der Erstellung evidenzbasierter und belastbarer Konzepte bedarf. Diese müssten alle erfolgskritischen Faktoren berücksichtigen. Gelinge dies nicht und sei die Polizei als Garantin für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung künftig nicht in der Lage, einem Stromausfall angemessen zu begegnen, drohten ein Legitimitätsverlust für die Organisation sowie ein Vertrauensverlust der Bevölkerung in das Gemeinwesen, warnt die Preisträgerin.

Sprachassistenten bieten neue Ermittlungsansätze Im Bereich der Bachelor-Arbeiten kam Duresa Miftari auf Platz eins. Sie erhält 1.000 Euro für ihre Ausarbeitung zum Thema “Sprachassistenzsysteme als neuer polizeilicher Ermittlungsansatz”. Darin analysierte sie, welche für die Polizei ermittlungsrelevanten Daten durch das Sprachassistenzsystem “Alexa” mittels “Amazon Echo” erhoben werden. Dazu wertete Miftari neben Literatur auch die Datenschutzsowie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen von Amazon aus. Zudem führte sie eigene technische Tests durch, um diese Angaben zu verifizieren und festzustellen, ob und unter wel-

chen Bedingungen “Alexa” Daten erhebt, obwohl das Aktivierungswort nicht genutzt wurde. Dabei interessierte sie auch, wo und in welcher Form diese Daten gespeichert werden. Darüber hinaus beleuchtete Miftari anhand zweier Praxisbeispiele, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ein polizeilicher Zugriff auf diese Daten erlaubt ist. Alexander Schiele landete auf Platz zwei (Preisgeld: 700 Euro). Er setzte sich an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung mit sozialer Netzwerkanalyse und der Rolle von Brokern in Terrorzellen auseinander. Hierfür wurden Daten zu islamistischen Terrorzellen in der Bundesrepublik analysiert. Es zeigte sich, dass Broker für den Informationsfluss innerhalb einer solchen Zelle besonders wichtig sind. Der Wegfall eines Brokers, der mit diesem Ansatz von den Sicherheitsbehörden allerdings nur ex-post und nicht ex-ante oder in Echtzeit identifiziert werden kann, wirkt sich negativ auf den Informationsfluss aus. Gleiches kann auch für die Operationsfähigkeit der Gruppe gelten. Mit der Europäisierung der Inneren Sicherheit auf polizeilicher Ebene und einer eventuellen Weiterentwicklung von Europol hin zu einem europäischen FBI schließlich beschäftigte sich Henrike­ Lübbers von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Sie erhielt ein Preisgeld in Höhe von 300 Euro. Die Festlegung der Ehrungen erfolgte durch eine hochkarätig besetzte Jury. Dort sind unter anderem die Innenminister Bayerns und Mecklenburg-Vorpommerns, Joachim Herrmann (CSU) und Lorenz Caffier (CDU), sowie die Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) sowie des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) vertreten. Bewerbungen für die Preisverleihung 2021 sind noch bis zum 15. Oktober per E-Mail an congress@ behoerdenspiegel.de möglich. Weitere Informationen: www. europaeischer-polizeikongress.de

So soll es im Freistaat künftig möglichst in jedem Streifenwagen WLAN für dienstliche Smartphones und Convertibles geben. Die entsprechende Testphase, bei der auf LTE-Router gesetzt wird, läuft derzeit. Das berichtet Georg Ringmayr, Sachgebietsleiter IuK der Bayerischen Polizei im Münchner Innenministerium. Zugleich unterstreicht er die Relevanz der Konnektivität für die Idee von “Mobile Police”, bei der es sich um einen integrativen Ansatz handelt. “Es braucht einfach ein gutes WLAN, um Softwareupdates auf den dienstlichen Smartphones der Polizeibeamten durchführen zu können”, so Ringmayr. Um dies ständig zu gewährleisten, wählten sich die mobilen Endgeräte der Polizisten bayernweit automatisch in das WLAN der Dienststelle ein, wo sich der jeweilige Beamte gerade aufhalte.

phase. Weitere Apps sind gerade in der Entwicklung. Ringmayr ist darüber hinaus voll des Lobes für den im Freistaat genutzten Messengerdienst der Polizei. “Die Anwendung erleichtert das mobile Einsatzmanagement enorm, auch für die einzelnen Beamten vor Ort.” Im Rahmen von “Mobile Police”, das laut Ringmayr vor über drei Jahren unabhängig vom Programm “Polizei 2020” auf Bundesebene entwickelt wurde, verfügt die Bayerische Polizei derzeit über rund 30.000 Endgeräte für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), 13.500 Smartphones, 2.000 Convertibles und circa 3.500 Notebooks. In diesem Jahr sollen mindestens 2.000 weitere Smartphones dazukommen.

Pilot startet “Zudem entwickeln wir die genutzten Applikationen kontinuierlich weiter”, erläutert der Sachgebietsleiter. Gerade ist die Pilotierung der mobilen Abfrage von Sachfahndungen in Erweiterung der bisherigen Personenabfrage gestartet. In Kürze geht die digitale Fotografie in die Test-

In Bayern sollen alle polizeilichen Streifenwagen mit WLAN ausgerüstet werden. Foto: BS/Anne Garti, pixelio.de

MELDUNG

Bremen will härter vorgehen (BS/bk) Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hat angekündigt, das Vorgehen gegen rechten Terrorismus verstärken zu wollen. Dazu sollen neue Stellen bei der Polizei und dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) eingerichtet werden. Im Landeskriminalamt (LKA) der Hansestadt soll die “Sonderkommission Rechtsextremismus” gebildet werden. Zu ihrem Aufgabenschwerpunkt soll die Verstärkung des Austausches von Informationen zwischen den Behörden des Bundes und der Länder zählen. Im Bereich des Verfassungsschutzes plant man, die “Analyseeinheit Hass und Hetze” auszubauen. Die Einheit

soll den Fokus auf die Aufklärung von Straftaten im Internet legen und mit zusätzlichem Personal und neuen Analysein­ strumenten unterstützt werden. Eine Schlüsselfunktion soll die “Task Force Rechten Terror in Bremen verhindern” beim Innensenator einnehmen. Neben Polizei und Verfassungsschutz würden auch alle anderen relevanten Institutionen und Behörden miteinbezogen werden, hieß es. So soll beispielsweise eine Überprüfung der waffenrechtlichen Erlaubnis und Zuverlässigkeit von Personen durchgeführt werden, wenn diese durch ihr Verhalten im Internet auffällig geworden sind.

Foto: to: © ©eyetronic , stock.ado adobe.c be.com om

Diese Innovationskraft zeigte sich auch wieder im Rahmen der Verleihung des “Zukunftspreises Polizeiarbeit”. Dabei wurden insgesamt sechs Arbeiten mit Preisgeldern in Höhe von 5.000 Euro prämiert. Es wurden jeweils drei Bachelor- und drei Master-Arbeiten ausgezeichnet. Die Preise wurden von den Innenministern Nordrhein-Westfalens und Brandenburgs, Herbert Reul und Michael Stübgen (beide CDU), übergeben. Den ersten Platz bei den MasterArbeiten errang Axel Wellekötter mit seiner an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen verfassten Ausarbeitung zur zielgerichteten Online-Analyse von Netzwerkdatenverkehr. Diese wird für die moderne Polizeiarbeit immer wichtiger. Bisher vorhandene Softwarelösungen in diesem Bereich sind oftmals entweder auf stark eingeschränkte Untersuchungsfragen zugeschnitten oder skalieren nicht mit der Menge des Datenverkehrs, obwohl diese immer weiter zunimmt.

2. Mannheimer Sicherheitstag Urbane Sicherheit – lebenswerte Stadt 8. Mai 2020, Mannheim

Keynotes: Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.mannheimer-sicherheitstag.de Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister Stadt Mannheim

Polizeipräsident Andreas Stenger, Polizeipräsidium Mannheim

Christian Specht, Erster Bürgermeister Stadt Mannheim

(Quelle: MVV)

(Quelle: Polizeipräsidium Mannheim)

(Quelle: Stadt Mannheim)

Veranstaltungspartner:


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / März 2020

Seite 47

Massive Kritik an Referentenentwurf

Verordnungen erforderlich

Bundesgesundheitsministerium will Notfallversorgung reformieren

Sicherheit zehn Jahre nach der Loveparade

(BS/Marco Feldmann) Überfüllte Notaufnahmen, lange Wartezeiten für Patienten und ein ungebremster Anstieg der Rettungsdiensteinsatzzahlen: All diese Probleme wollen die Verantwortlichen im Bundesgesundheitsministerium (BMG) um Ressortchef Jens Spahn (CDU) angehen. Dafür sollen die Strukturen der Notfallversorgung in Deutschland grundlegend überarbeitet werden. Der entsprechende Referentenentwurf steht jedoch aus den unterschiedlichsten Gründen im Kreuzfeuer der Kritik.

(BS/Nils Witte) Bei der Loveparade im Juli 2010 kamen 21 Menschen ums Leben. Wenn man nun zehn Jahre nach dem Ereignis die Frage stellt, ob die Rechtsgrundlagen für Veranstaltungen so verändert wurden, dass derartige Unglücksfälle zukünftig ausgeschlossen werden können, muss diese klar verneint werden. Die Risiken sind eher gestiegen.

So verlangt etwa die niedersächsische Gesundheits- und Sozialministerin Dr. Carola Reimann (SPD), dass der Rettungsdienst im Zuständigkeitsbereich der Landkreise und kreisfreien Städte bleiben müsse. Das BMG-Papier sieht hingegen eine Verankerung des Rettungsdienstes als eigenständigen Leistungsbereich im Sozialgesetzbuch V vor. Dies würde aus Reimanns Sicht einen nicht zu rechtfertigenden Übergang vom Gefahrenabwehrrecht, das in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, in die Bundeszuständigkeit bedeuten. Die niedersächsische Ministerin sagt: “Der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums ist ein massiver Eingriff in die Kompetenzen von Ländern und Kommunen.” Sie befürchtet, dass bei einem Übergang ins SGB V bundeseinheitliche Vorgaben für den Rettungsdienst gemacht würden, die den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort jedoch nicht gerecht würden. Des Weiteren rechnet die Sozialdemokratin mit erheblichen Kostensteigerungen und Verschlechterungen bei der Notfallversorgung im ländlichen Raum.

Vorgaben aus Berlin. Meyer sieht die Gefahr, dass bei einer Überführung des Rettungsdienstes in den Geltungsbereich des SGB V die Krankenkassen nur noch die Kosten für die Notfallrettung am Einsatzort und die Rettungsfahrt tragen würden. Vorhalte- und Investitionskosten, die bisher ebenfalls von den Krankenkassen übernommen werden, würden dann die Landes- und Kommunalhaushalte belasten und dem Rettungsdienstsystem zunächst entzogen. Bundesweit ist in diesem Zusammenhang von einem Betrag in Höhe von drei Milliarden Euro jährlich die Rede. In Niedersachsen wären es 300 Millionen Euro, wie der Staatssekretär im Hannoveraner Innenministerium, Stephan Manke, sagt. Auch er

gerungen finanzieren”, prognostiziert Selbach.

Unterschiedliche Auffassun­ gen innerhalb des DRK Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das DRKGeneralsekretariat den Referentenentwurf völlig anders bewertet als der niedersächsische Landesverband. Aus dem Generalsekretariat ist zu hören, dass es zwar noch terminologische Unklarheiten im Entwurf gebe. So müsse der Gesetzgeber etwa klarer regeln, was unter einer aufsuchenden notdienstlichen Versorgung zu verstehen sei. Man zeigt sich jedoch überzeugt, dass diese begrifflichen Schwierigkeiten noch ausgebessert werden. Grundsätzlich wird das Vorhaben dort positiv gesehen.

Streit über Zustimmungs­ bedürftigkeit Außerdem würde dann der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) eine deutlich stärkere Rolle im Bereich des Rettungsdienstes und der Krankenhausplanung einnehmen. Dort verfügen die Bundesländer allerdings nur über eine beratende Position, die Kommunen sind gar nicht vertreten. Angesichts all dessen sagt Reimann: “Mir ist schleierhaft, weshalb das Bundesgesundheitsministerium den Referentenentwurf im Bundesrat für nicht zustimmungspflichtig erachtet.” Aus Spahns Ministerium, wo man sich zu anderen Detailfragen derzeit nicht äußern will, heißt es dazu, dass ein Gesetz nur dann im Bundesrat zustimmungsbedürftig sei, sofern es im Grundgesetz ausdrücklich für zustimmungspflichtig erklärt werde. Der Gesetzentwurf zur Reform der Notfallversorgung enthalte keine Regelungen, die einen der im Grundgesetz vorgesehenen Tatbestände der Zustimmungsbedürftigkeit erfüllten.

Zentralismus nicht notwendig Ebenfalls Kritik am BMG-Vorhaben übt der Hauptgeschäftsführer des niedersächsischen Landkreistages, Prof. Dr. Hubert Meyer. Er sagt: “Wenn die Pläne des Bundes Wirklichkeit werden, wird ohne Not in Landeskompetenzen eingegriffen und der funktionierende Rettungsdienst massiv gefährdet.” Der Rettungsdienst sei auf der Landkreisebene gut aufgehoben und brauche keine zentralistischen

S

o liege teilweise bereits bei fünf Verletzten ein MANV vor, in anderen Fällen erst bei zehn oder mehr Betroffenen, berichtet Fritjof Brüne von der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katas­ trophenhilfe (BBK). Aufgrund dieser Uneinheitlichkeit plädiert er für die Einrichtung eines nationalen MANV-Registers. “Bisher muss ich noch automatisiert das Internet auswerten und Pressemitteilungen von Polizei und Feuerwehren im ganzen Bundesgebiet analysieren”, erzählt Brüne. Außerdem seien polizeiliche Da-

nur noch die Hälfte der Kosten erstattet bekommen sollen. Dies würde häufiger zu Ablehnungen führen und Patienten könnten möglicherweise nicht mehr immer in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus gebracht werden. “Das bedeutet für uns möglicherweise auch ein Haftungsrisiko”, so Poloczek.

Unterfinanzierung möglich Ähnlich wie der Ärztliche Leiter Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr bewertet Markus Bensmann, Bereichsleiter Notfallvorsorge beim Malteser Hilfsdienst, die Situation. Auch er sieht die Rettungsdienstfunktionalität gefährdet, weil Vorhalte- und Investitionskosten künftig nicht mehr durch die Krankenkassen, sondern durch die öffentliche Hand zu tragen wären. Er hält deshalb eine strukturelle Unterfinanzierung des Rettungsdienstes für denkbar und geht gleichsam ebenfalls von einer längeren Gebundenheit der Rettungswagen aus. Des Weiteren kritisiert Bensmann: “Stärkere Regelungen durch den G-BA sind für den Rettungsdienst nicht zielführend. Es besteht die Gefahr, dass die durch den Bund vorgegebenen Strukturen vor Ort nicht mehr lebbar sind.”

Doppelrolle geht verloren Durch auf Bundesebene angedachte Reformen der Notfallversorgung könnten Rettungswagen (Foto) künftig möglicherweise länger als bisher in Einsätzen gebunden sein. Foto: BS/Opposition 24, CC BY 2.0, flickr.com

sieht die Gefahr, dass das Vorhaben die existierenden und funktionierenden Strukturen des Rettungsdienstes und Katastrophenschutzes zerstören könnte. Manke plädiert dafür, dass im Bereich der Notfallrettung weiterhin die Länder “den Hut aufhaben” müssten. Bundesvorgaben seien hier nicht hilfreich.

Perspektivische Zerstörung des Rettungsdienstes? Noch deutlicher fällt die Kritik des niedersächsischen Landesvorsitzenden des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Dr. Ralf Selbach, aus. Er unterstreicht: “Das, was Herr Spahn plant, ist lebensgefährlich.” Aus seiner Sicht würde der Rettungsdienst – sollte der Entwurf so Gesetzesform erlangen – per­spektivisch zerstört. Außerdem wären die Hilfsorganisationen dann mittelfristig nicht mehr in der Lage, den Rettungsdienst zu gewährleisten. Zudem würde dessen enge Verknüpfung mit dem Katastrophenschutz zerrissen, so Selbach. Der DRK-Landesvorsitzende kritisiert weiterhin: “Hochproblematisch wäre die im Gesetzentwurf gegenwärtig vorgesehene Grundlohnsummenbindung. Dann könnten wir auf Dauer nicht einmal mehr die Tarifstei-

Die Kritik aus Niedersachsen – etwa am geplanten Übergang ins SGB V – kann man nicht nachvollziehen, weil sich die Regelungsinhalte nicht unterscheiden würden und der Entwurf keine Auswirkungen auf die Krankenhausplanung habe. Es sei nur mit Konsequenzen für den Krankenhausbetrieb zu rechnen, heißt es.

Probleme für Feuerwehr und Hilfsorganisationen Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr, Dr. Stefan Poloczek, bemängelt am BMG-Referentenentwurf, dass die Krankenkassen künftig keine Vorhalte- und Investitionskosten mehr tragen müssten. Allein in der Bundeshauptstadt gehe es dabei um einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Poloczek sagt: “Eine Reduzierung der Finanzierung bei gleichzeitigem Anstieg der erforderlichen Ressourcen kann nicht funktionieren.” Zudem macht er darauf aufmerksam, dass die geplante Einführung Integrierter Notfallzen­ tren (INZ) zu längeren Fahrtwegen und Einsatzzeiten der Rettungswagen führen würde. Denn es ist vorgesehen, dass Krankenhäuser ohne angeschlossenes INZ für eine notdienstliche Versorgung

Gleichfalls von längeren Wegen und Fahrten der Rettungswagen geht Kevin Grigorian, Fachbereichsleiter Rettungsdienst bei der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH), aus. Denn in Zukunft dürften Notaufnahmen nur noch angefahren werden, wenn absolut sicher sei, dass der Patient stationär im Krankenhaus aufgenommen werde. Anderenfalls müssten entweder INZs angesteuert werden oder es komme zu höheren Krankentransportaufwänden zwischen den Kliniken und den INZs. Grigorian bemängelt darüber hinaus: “Der Rettungsdienst nimmt bisher eine Doppelrolle ein und ist sowohl Teil der Gefahrenabwehr als auch der Patientenversorgung. Diese Stellung geht im Referentenentwurf verloren.” Eine Trennung von Notfallrettung und Krankentransport sei nicht zielführend, da es sich um ein Gesamtsystem handele. Des Weiteren bewertet der JUH-Vertreter es kritisch, dass sich im G-BA bisher keine Notfallkompetenz widerspiegele. All diese mahnenden Stimmen zeigen, dass es dringend noch redaktionelle und inhaltliche Nacharbeiten am Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung braucht. Außerdem müssen die Verantwortlichen im BMG noch zahlreiche Entscheidungsträger von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit ihres Vorhabens überzeugen.

Veranstaltungen sind in der Mehrzahl der Länder an sich nicht genehmigungspflichtig. Einzelne Rechtsbereiche, wie die Gewerbeordnung für (Spezial-)Märke, die Straßenverkehrsordnung für mehr als verkehrsübliche Inanspruchnahme von Straßen oder kommunale Sondernutzungssatzungen für die Nutzung öffentlicher Flächen lassen zu, die jeweiligen Genehmigungen mit Nebenbestimmungen zu versehen, wenn die Veranstaltungen die öffentliche Sicherheit gefährden könnten. Veranstaltungen auf Privatflächen entziehen sich im Wesentlichen jedoch diesen Regelungen. Die oben genannten Vorschriften beinhalten zudem keine konkreten Regelungen, wie veranstaltungsbezogenen Gefahren begegnet werden soll. Die Rechtsauslegung liegt im Ermessen der Beteiligten. Dies führt zu inhomogenem Verwaltungshandeln, längeren Abstimmungsprozessen, Rechtsunsicherheiten bei allen Beteiligten und Streit. Auch ist ein nach allgemeinen Maßstäben zu geringes Sicherheitsniveau nicht auszuschließen. Konkretere Anforderungen sind nur im Baurecht der Länder festgelegt, das sich diesbezüglich an der Musterversammlungsstättenverordnung orientiert. Die baurechtlichen Vorgaben regeln jedoch in erster Linie den Bau und Betrieb von Gebäuden, hier Versammlungsstätten, und nicht die Veranstaltungen an sich. Nach der Loveparade 2010 wurde daher der Geltungsbereich der Musterversammlungsstättenverordnung so angepasst, dass temporäre Versammlungsstätten, zu denen auch das Veranstaltungsgelände der Loveparade zählte, nicht mehr in den Geltungsbereich fallen. Damit wurde die ohnehin bestehende Regelungslücke vergrößert, da eine Überführung der Anforderungen an Veranstaltungen in das Ordnungsrecht ausblieb.

Oft mangelhafte Sicherheits­ konzepte Jedoch sind auch die Vorgaben für Veranstaltungen in dauerhaft bestehenden Versammlungsstätten nicht ausreichend: Für gefahrengeneigte Veranstaltungen, spätestens bei mehr als 5.000 Besuchern, sind Sicherheitskonzepte im Einvernehmen mit den Sicherheitsbehörden aufzustellen. Jedoch sind die Inhalte sehr allgemein gefasst und es gibt keine Anforderung an die Qualifikation der Verfasser dieser Sicherheitskonzepte. Aufgrund des fehlenden

Nationales Register wäre hilfreich MANV aber noch nicht einmal bundeseinheitlich definiert (BS/mfe) Bei der Erfassung von Massenanfällen von Verletzten (MANV) gibt es in Deutschland noch einiges zu tun. So existieren derzeit weder ein deutschlandweites Register hierzu noch eine in allen Bundesländern gleichlautende Definition eines derartigen Ereignisses. Vielmehr legen die einzelnen Gebietskörperschaften – in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Ressourcen – die Kriterien für einen MANV eigenverantwortlich fest. Das erschwert die Vergleichbarkeit und Katalogisierung enorm (siehe auch Behörden Spiegel, Dezember 2019, Seite 1). ten für ihn nur schwer nutzbar, da Leicht- und Schwerverletzte dort anders kategorisiert würden als beim Rettungsdienst. Da es zudem keine Meldepflicht der Bundesländer für MANVs gebe, müsse er die jeweiligen Gebietskörperschaften anschreiben, um mehr Informationen über online entdeckte potenzielle Massen-

anfälle zu erhalten. Momentan befinde er sich in Verhandlungen mit verschiedenen Universitätskliniken, um ein Register möglicherweise dort zu implementieren. “Denn aufgrund der gesetzlichen Aufgabenteilung fällt der “alltägliche” Massenanfall von Verletzten in die Hoheit der Länder. Der Bund ist nur für

den MANV im Zivilschutzfall zuständig”, so Brüne. Des Weiteren müssten noch einige Parameter für ein mögliches nationales Verzeichnis definiert werden. Auch sei noch nicht völlig geklärt, welche Daten wo abgegriffen werden könnten. Aus diesem Grunde sagt Brüne: “Es kann sein, dass ein nationales MANV-Register

erst 2022 geschaffen wird. Außerdem ist eine schrittweise Einführung denkbar.” Dr. Jens Bickelmayr vom Bundeswehrkrankenhaus Berlin­ spricht sich dafür aus, bei MANV-Lagen zwischen einem klassischen MANV einerseits und einer militärischen Lage oder einem Terroranschlag anderer-

Qualitätsmaßstabes werden oftmals mangelhafte Sicherheitskonzepte vorgelegt, die nur mit erheblichem behördlichem Mitwirken die Schwelle zur Zustimmungsfähigkeit überwinden. Damit wird jedoch die Trennung zwischen Planung und Prüfung aufgeweicht und der Behörde beziehungswesise dem einzelnen Mitarbeiter werden erhebliche Haftungsrisiken zugeordnet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Besuchersicherheit aus der Fortbildung zum Meister für Veranstaltungstechnik mit der zum 31. Dezember letzten Jahres in Kraft getretenen Prüfungsverordnung praktisch gestrichen wurde. Damit wird sich auch die mit der Veranstaltungsdurchführung betraute Personengruppe zukünftig nicht mit der Sicherheit als Gesamtpakt befassen.

Auf temporäre Veranstaltun­ gen übertragen An die Sicherheit von temporären und dauerhaften Veranstaltungen unterschiedliche Sicherheitsmaßstäbe anzulegen, wäre willkürlich. Daher muss der von den Landesparlamenten legitimierte Maßstab der Versammlungsstättenverordnungen durch die Kommunalverwaltung auch auf temporäre Veranstaltungen übertragen werden. Diesem Maßstab entsprechende behördliche Forderungen der präventiven Gefahrenabwehr können jedoch mangels Rechtsgrundlage derzeit nicht durchgesetzt werden. Das allgemeine Polizeirecht erlaubt den Eingriff erst bei konkreter Gefahr, präventive Forderungen sind jedoch naturgemäß gegen abstrakte Gefahren gerichtet. Um ein einheitliches Sicherheitsniveau für Veranstaltungen zu erreichen, unabhängig davon, ob sie in temporären oder dauerhaften Versammlungsstätten durchgeführt werden, ist es erforderlich, Veranstaltungsverordnungen mit materiellen Regelungen losgelöst vom Baurecht zu erlassen. Zudem muss die Mindestqualifikation der Verfasser von Sicherheitskonzepten gesetzlich festgelegt werden. Es müssen rechtsverbindliche Vorgaben zu den Inhalten der Sicherheitskonzepte gemacht werden. Bis dahin bleibt die Veranstaltungssicherheit oftmals Glückssache und ist nicht Ergebnis einer schutzzielorientierten Planung.

Nils Witte ist Leiter der Abteilung Vorbeugender Brandund Gefahrenschutz bei der Branddirektion Leipzig. Foto: BS/privat

seits zu unterscheiden. Während es beim klassischen MANV eine klare Raumordnung, eine statistische Lage, klar geregelte Zuständigkeiten sowie vorbereitete Konzepte gebe, sei dies bei einem Attentat nicht der Fall. Dort handele es sich in aller Regel um mobile Lagen mit mehreren Einsatzorten und einer latenten Gefahrenlage. Außerdem sähe sich das Rettungsdienstpersonal dann mit Verletzungsbildern konfrontiert, die ansonsten nur aus Kriegsgebieten bekannt seien. All dies zeigt: Es ist noch ein langer Weg bis zum bundesweiten Verzeichnis über Massenanfälle von Verletzten.


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D

er Begriff KI wurde bereits in der Mitte der 1950er-Jahre geprägt, in einer Zeit, als in Adenauers Nachkriegsdeutschland die Bundeswehr entstand, die aus den Schrecken des “totalen Krieges” lernte. Vielleicht verfügt heute kaum eine andere Armee über eine derart zeitgemäße Konzeption. Denn dass “die Verwissenschaftlichung und Technisierung des militärischen Handwerks” zur “Entgrenzung und Beschleunigung” militärischen Handelns führen würde, zum “Hyerwar” also, war dem späteren NATOGeneral Wolf von Baudissin, dem visionären Gestalter der Bundeswehr, bewusst. “Das aufs höchste technisierte Gefecht” verlange, “dass die Verantwortung an sehr vielen unteren Stellen gesehen und getragen wird”. Daher müsse alles getan werden, um “den Menschen vor Situationen zu stellen, die seine Verantwortung herausfordern und ihn die Folgen von Tun und Unterlassen erleben lassen”. Was ist technisch erforderlich, um seiner Forderung aus dem Jahr 1954 zu entsprechen? Wie kann die Digitalisierung so ausgelegt werden, dass sie ihre verantwortungsvolle Nutzung nicht nur ermöglicht, sondern erleichtert und nahelegt? Diese Fragen bewegen Wissenschaftler und Ingenieure, die für die Bundeswehr forschen und Technologien entwickeln. Antworten sind umso dringlicher, da die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde, Grundlage jeder Ethik, in vielen Bereichen hinterfragt wird. Die Grenzen zwischen “Jemand” und “Etwas” scheinen zu verschwimmen.

Antworten Jede Antwort darauf muss zwei Wissensbereiche im Gleichgewicht halten. “Denn Wissen ist Macht …”. Francis Bacons be-

Wehrtechnik

Behörden Spiegel / März 2020

“Denn Wissen ist Macht …” Zur digitalen Ethik der Wehrtechnik (BS/Prof. Dr. Wolfgang Koch) “Hyperwar”, “Fighting at Machine Speed”, Digitalisierung des Gefechtsfelds, Schwärme bewaffneter Drohnen, hypersonische Flugkörper: Trifft uns die digitale Revolution wirklich so unerwartet? Wie gehen wir verantwortlich mit ihr um? Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung, die Welt der Algorithmen ermöglichen die Digitalisierung der Streitkräfte. Die wahrnehmende Vernunft und den wirkenden Willen handelnder Menschen steigern sie weit über natürliches Maß. Aber dennoch – trotz aller KI und Automatisierung – sind es allein Menschen, die bewusst wahrnehmen und verantwortlich wirken. dere verantwortlich. … Gerade so und nur so vollProf. Dr. Wolfgang Koch zieht sich wahre ist IEEE-Fellow (Institute menschliche Freiof Electrical and Electroheit.” Sobald aber nics Engineers), forscht am die Freiheit auf Fraunhofer FKIE und lehrt dem Spiel steht, an der University of Bonn. sollten wir nervös werden. Foto: BS/FKIE Es öffnen sich auch psychologirühmter Satz markiert den Be- sche Dimensionen. Eine Googleginn des neuzeitlichen Projekts. Suche nach Bildern, die KI illus­ Macht zu erlangen sei die Bedeu- trieren, erzeugt ein Psychogramm tung allen Wissens, behauptet der vernetzten Menschheit. In dieser einflussreiche Philosoph Schwarz, Türkis, Blau oder Weiß und Lordkanzler des elisabe- erheben sich intelligent erscheithanischen Englands. Bislang nende Kreaturen aus Schaltsind Wissenschaft und Technik, kreisen und Datensymbolen, zum Wohle der Menschheit ge- kühl und überlegen, anders als meint, hauptsächlich von Bacon wir, aber doch “nach dem Bilde inspiriert. Spätestens seit dem des Menschen”. Michelangelos Aufkommen der KI im Gefecht Schöpfungsmotiv symbolisiert kann sich diese Sicht jedoch auch “emergente Intelligenz”, Roboter gegen die Menschheit richten. Am posieren als Rodins “Denker”. rein instrumentellen Wissen, am Dieses kollektive Unbewusste beBeispiel KI, zeigt sich die Krise einflusst Forscher und Entwickdes modernen Projekts wie im ler, Beschaffer und Entscheider. Und es zeigt sich ein BedrohungsBrennglas. Offenbar muss ethisches Wissen gefühl: “Mark my words – A.I. is über den Menschen und seine far more dangerous than nukes”, Natur Bacons Wissen ergänzen formuliert Elon Musk. und auch die Systemtechnik Brauchen wir eine neue Aufkläprägen. 2011 sprach Benedikt rung, um reif und ethisch mit KI XVI. im Deutschen Bundestag umzugehen, einen “Ausgang des von der “Ökologie des Menschen” Menschen aus seiner selbstverund wandte sich an deutsche schuldeten Unmündigkeit”? In Politiker, aber auch an die Zivil- der Biosphäre sind Intelligenz gesellschaft: “Es gibt auch eine und Autonomie allgegenwärtig. Ökologie des Menschen. … Der Vor jeder wissenschaftlichen Mensch macht sich nicht selbst. Reflexion oder technischen Re… Er ist für sich selbst und an- alisierung fusionieren Lebewe-

sen Sinneseindrücke mit selbst Erlerntem und Mitgeteiltem. So schaffen sie ein Umweltmodell, die Grundlage für angemessenes Wirken. In der Technosphäre verstärkt die Digitalisierung die wahrnehmende Vernunft und den wirkenden Willen derer, die für ihre Wahrnehmung und ihr Wirken verantwortlich sind. Die Begriffe “Vernunft”, “Wille” und “Verantwortung” erweisen den Menschen als Person, als einen “Jemand”, der kein “Etwas” ist, und öffnen ethische Dimensio­ nen.

Entschleunigung durch Rüstungskontrollpolitik ist ehrenhaft, aber angesichts der nahezu uneingeschränkten Verbreitung und des “dual use” digitaler Technologien unrealistisch.

Verantwortung Gerade weil (!) Streitkräfte auch im “Hyperwar” bestehen müssen, darf sich wehrtechnische Digitalisierung nicht auf Führung, Aufklären, Wirken und Unterstützen beschränken, sondern muss gleichermaßen technische Beherrschbarkeit und

Immer die “sittlichen Bereiche” im Blick: Wolf Graf von Baudissin – hier noch als Oberst der Bundeswehr. Foto: BS/Bundeswehr, Munker

Da potenzielle Gegner digitale Technologien nutzen, werden räumliche Entgrenzung und zeitliche Beschleunigung künftige Gefechte kennzeichnen. Die Hoffnung auf Eingrenzung und

verantwortungsvollen Einsatz gewährleisten. “Je tödlicher und weitreichender die Waffenwirkung wird, umso notwendiger wird es, dass Menschen hinter den Waffen stehen, die wissen,

was sie tun”, konstatiert von Baudissin. “Ohne die Bindung an die sittlichen Bereiche droht der Soldat zum bloßen Funktionär der Gewalt und Manager zu werden.” Dabei kann der Einsatz vollautomatischer Waffen verantwortungsvoll und geboten sein, aber ihr technisches Design muss Verantwortbarkeit nahelegen und erleichtern. Nachdenken über rechtes Handeln in diesem Kontext ist digitale Ethik. Sie impliziert ein Menschenbild, das Verantwortung gedanklich zulässt. Digitales Ethos benennt die Haltung von Entscheidern: “Je folgenschwerer Entschlüsse und Handlungen der einzelnen Soldaten sind, desto stärker muss ihr Ethos von der Verantwortung bestimmt sein. Falls diese nur funktional und juristisch gesehen wird, d. h. die Sache in jedem Fall über dem Menschen steht, werden Streitkräfte zur Gefahr”, stellt von Baudissin fest, der Konzeptionär der Inneren Führung der Bundeswehr. “Nur-Soldaten sind in der Dschungelsituation entgrenzter Kriege auf die Dauer nicht mehr kriegstüchtig.” Digitale Moral umfasst konkrete Regeln für den Umgang mit KI, nicht nur im Gefecht, sondern auch in Forschung, Entwicklung und Beschaffung. Offenbar muss ethisches Bewusstsein von Anfang in das wehrtechnische Technologiedesign einfließen. Ein vielversprechendes und ermutigendes Beispiel ist die Arbeitsgruppe “Technologieverantwortung”, die das “Future Combat Air System” (FCAS) begleitet. Letztlich wird die Künstliche Intelligenz durch “natürliche Dummheit” zur Gefahr, durch die Weigerung, im vollen Sinne Mensch zu sein. “Sapere aude” – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Dies war das Motto der Aufklärung.

Verteidigung und Sicherheit

Nationaler Champion

Gesetz zur beschleunigten Beschaffung verabschiedet

Deutschland tritt dem ESSOR bei

(BS/Dr. Daniel Soudry) Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat dem Gesetzentwurf der Bundesregierung “zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik” zugestimmt. Das Gesetzt dürfte nun kurzfristig ratifiziert und verkündet werden. Wesentliche Ziele sind die vereinfachte Beschaffung von Schlüsseltechnologien und eine Beschleunigung von Vergabeverfahren in dringenden Fällen.

(BS/por) Mitte Dezember hat der Deutsche Bundestag dem Beitritt zum ESSOR (“European Secure Software Defined Radio”) zugestimmt, der transeuropäischen Interoperabilitätsinitiative für Streitkräfte auf der taktischen Ebene.

Bislang galt das Vergaberecht nach § 107 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in zwei Fällen nicht: Zum einen für Beschaffungen, bei denen ein Vergabeverfahren den öffentlichen Auftraggeber zur ungewollten Preisgabe sicherheitsrelevanter Informationen zwingen würde. Zum anderen sind Aufträge über Waffen, Munition und Kriegsmaterial ausgenommen, sofern dies zur Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist.

Vereinfachte Beschaffung von Schlüsseltechnologien Diese Möglichkeiten zur Auftragsvergabe ohne Vergabeverfahren wurden nun mit Blick auf die Beschaffung verteidigungsund sicherheitsindustrieller Schlüsseltechnologien erweitert: Danach können wesentliche Sicherheitsinteressen in den beiden vorgenannten Fällen insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft. Die Preisgabe wesentlicher Sicherheitsinteressen bei Durchführung eines Vergabeverfahrens kann außerdem auch sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betreffen oder Fälle, die entweder Verschlüsselungstechnik oder Leistungen für den Grenzschutz, die Terrorismus-/Kriminalitätsbekämpfung oder verdeckte Tätigkeiten betreffen, soweit ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.

Da es sich insoweit um Ausnahmetatbestände Dr. Daniel Soudry, LL.M., handelt, gilt auch ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der hier: Die RegeSozietät Soudry & Soudry lungen sind eng Rechtsanwälte in Berlin. auszulegen und Er bloggt laufend zum VSim Zweifel trägt Vergaberecht unter www. der öffentliche VSVgV.de. Auftraggeber die Foto: BS/Soudry Beweislast für die Zulässigkeit eines VerhandlungsverBeschleunigte Vergabeverfahren bei Dringlichkeit fahrens ohne TeilnahmewettDie zweite Gesetzesänderung bewerb (vgl. EuGH, Urteil vom betrifft die Dauer und Form- 10.04.2003, Rs. C-20/01 und strenge von Vergabeverfahren. Rs. C-28/01). Nach dem schon bislang geltenden § 12 Abs. 1 Nr. 1 b) aa) der Schnellere Nachprüfungsverfahren Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) dürfen Schließlich sollen auch Veröffentliche Aufträge in einem gabenachprüfungsverfahren Verhandlungsverfahren ohne deutlich beschleunigt werden. Teilnahmewettbewerb vergeben Denn während die Vergabekamwerden, wenn wegen dringlicher mer innerhalb von fünf Wochen Gründe im Zusammenhang mit über einen Nachprüfungsantrag einer Krise selbst die Fristen entscheiden muss, gilt der Beeines beschleunigten Verfah- schleunigungsgrundsatz in der rens nicht einzuhalten sind. Die Beschwerdeinstanz nicht. Die Neuregelung nennt nun Regel- Folge: Verfahren vor den Vergafälle, in denen dieses abgekürzte besenaten der OberlandesgerichVerfahren möglich sein soll, und te können sich leicht über sechs bis zwölf Monate hinziehen. So zwar, “wenn 1. mandatierte Auslandseinsätze lange bleibt der Auftrag in der oder einsatzgleiche Verpflich- Schwebe. Zeit, die der Beschaffer tungen der Bundeswehr, in dringenden Fällen nicht hat. 2. f riedenssichernde MaßnahStellt der öffentliche Auftraggeber vor der Vergabekammer men, 3. die Abwehr terroristischer An- oder dem Vergabesenat einen griffe oder Eilantrag auf Vorabgestattung 4. eingetretene oder unmittelbar des Zuschlags, wägt das Gericht drohende Großschadenslagen dessen Beschleunigungsintekurzfristig neue Beschaffungen resse gegen das Interesse des erfordern oder bestehende Be- klagenden Bieters ab. Die neuen Regeln legen nun fest, dass das schaffungsbedarfe steigern”.

Interesse des Auftraggebers “in der Regel überwiegen” soll, wenn der Auftrag im unmittelbaren Zusammenhang steht mit 1. “einer Krise, 2. einem mandatierten Einsatz der Bundeswehr, 3. e iner einsatzgleichen Verpflichtung der Bundeswehr oder 4. einer Bündnisverpflichtung”. Dasselbe gilt künftig im Rahmen der Entscheidung des Vergabesenats über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer. Die “Blockade” der Auftragserteilung durch ein langwieriges Nachprüfungsverfahren wird damit erschwert. Schließlich betrifft das neue Gesetz eine Reihe von Änderungen in Bezug auf die Vergabestatistikverordnung, die hier ausgeklammert werden.

Mehr zum Thema Dr. Daniel Soudry und Dr. Christian Siegismund, Rechtsanwalt der BwConsulting GmbH, sind Referenten des Seminars “Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Aufträge: das Beschaffungswesen der Bundeswehr aus Bietersicht”, das am 25. März 2020 in Bonn veranstaltet wird. Anmeldung und Programm unter www.fuehrungskraefteforum.de, Suchwort “Bietersicht”

Mit der erzielten Billigung der Beitrittsvorlage durch den Haushalts- und den Verteidigungsausschuss in Berlin wurde auch die nationale Realisierung der laufenden Stufe OC1 (“Operational Capability”) der ESSORBreitbandwellenform mit auf den Weg gebracht. OC1 ist ein wichtiger Bestandteil des Großvorhabens “Digitalisierung landbasierter Operationen” (D-LBO) des Deutschen Heeres.

Von OCCAR geführt ESSOR ist ein von der europäischen “Organisation Conjointe de Coopération en Matière d'Armement” (OCCAR) mit Hauptsitz in Bonn geführtes Langzeitprojekt: Italien, Spanien, Frankreich, Finnland, Polen und nun auch Deutschland führen mit je einem “nationalen Champion” das Gemeinschaftsunternehmen a4ESSOR S.A.S. mit Sitz in Gennevilliers bei Paris. Übergeordnetes Ziel ist die Weiterentwicklung der Fähigkeiten im Bereich der sicheren Kommunikationstechnologien zur Verbesserung der Interoperabilität der Streitkräfte. Konkret beschreibt ESSOR OC1 die gemeinsame Entwicklung und Fortschreibung einer interoperablen, vertrauenswürdigen, robusten und breitbandigen Funkwellenform für vernetzte Streitkräfte.

Der deutsche Champion Die Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG mit Hauptsitz in München ist dabei nun als deutscher

“Champion” benannt und in den Kreis der seit dem Jahr 2008 ESSOR realisierenden Unternehmen aus den Mitgliedsstaaten eingetreten. Die Partnerunternehmen sind Thales (Frankreich), Leonardo (Italien), Indra (Spanien), Radmor (Polen) und Bittium (Finnland), die seit November 2017 gemeinsam die Stufe OC1 entwickeln. Die im Rahmen von ESSOR OC1 entstehende Wellenform HDRWF (“High Data Rate Wave Form”) ist für die operative wie taktische Truppenführung und IP-Vernetzung (“Internet Protocol”) auf den Ebenen Brigade, Bataillon und darunter ausgelegt. Sie zeichnet sich durch eine flexible Konfiguration und Anpassungsfähigkeit an anspruchsvolle Szenarien aus. Außerdem soll HDRWF den Soldaten auf ihren nationalen Funkgerätesystemen flexible, robuste MANET-Netze (Mobile Ad-hoc-Netzwerke) für multinationale Einsätze und im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung bieten. ESSOR wird durch den Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) auch um weitere Wellenformen wachsen, etwa für spezielle Anwendungsfälle oder für luftgestützte Operationsführung. Im Rahmen des Entwicklungsprojekts SVFuA (streitkräftegemeinsame verbundfähige Funkausstattung) soll in diesem Jahr die Funkgeräteplattform “Soveron D” von Rohde & Schwarz zur Übertragung von Sprache und Daten erstmals in Serie der Bundeswehr zulaufen.


Wehrtechnik / Verteidigung

Behörden Spiegel / März 2020

Seite 49

Neues aus der Wehrtechnik “Lower Tier Air and Missile Defense Sensor”

90 Geländewagen für Schweden

Raytheon

Daimler

(BS) Die Raytheon Company hat den Bau der ersten Radarantennenanlage für den “Lower Tier Air and Missile Defense Sensor” (LTAMDS) der USArmee abgeschlossen. Die Arbeiten wurden nach Unternehmensangaben in weniger als 120 Tagen abgeschlossen, nachdem die US-Landstreitkräfte den entsprechenden Auftrag erteilt hatten. Mit dem LTAMDS-Radar der nächsten Generation sollen fortgeschrittene Bedrohungen wie z. B. Hyperschallwaffen auch noch auf kurzer Distanz bekämpft werden können. Die neu gebaute Primäranlage, die von ähnlicher Größe wie die bisherigen “Patriot”-Radaranlagen ist, soll allerdings mehr als doppelt so leistungsfähig sein. Die Anlage nutzt zur beschleunigten Herstellung fortschrittliche Design- und Konstruktionstechniken, um das Programm zur dringenden

(BS) Das schwedische Beschaffungsamt FMV (“Försvarets Materielverk”) erteilte im Rahmen der bestehenden Rahmenvereinbarung mit der Daimler AG einen Auftrag über 90 Einheiten der Mercedes-Benz G-Klasse. Die Fahrzeuge werden in Stützpunkten und Einrichtungen der schwedischen Luftwaffe im ganzen Land eingesetzt. Die Mercedes-Benz G-Klasse G 300 CDI 6X6 mit Doppelkabine hat eine Anhängelast von 2,5 bis 14 Tonnen am Heck und bietet Platz für vier Personen. Die Fahrzeugfront wird ebenfalls mit einer abnehmbaren Anhängerkupplung ausgestattet. Ein Stahl-Aluminium-Pritschenbett hinter der Mannschaftskabine und der Dachgepäckträger bieten Platz zum Verstauen von Ausrüstung wie Schneeketten, Feuerlöschern und anderem GFEMaterial (“Government Furnished Equipment”)

Ein maßstabsgetreues Radar-Modell des “Lower Tier Air and Missile Defense Sensors” (LTAMDS) Foto: BS/Raytheon

Materialfreigabe durch das amerikanische Heer einzuhalten.

Der Geländewagen G 300 CDI 6X6 mit Doppelkabine Foto: BS/Daimler

sowie für Wartung. Die Auslieferung der Fahrzeuge an das FMV soll von September dieses Jahres bis Februar 2022 erfolgen.

A400M-Laderaum-Simulator ausgeliefert

Plattform-Partnerschaft für KI-Anwendungen

Rheinmetall

Dataiku

(BS) Der neue Laderaum-Simulator der französischen Streitkräfte für das Transportflugzeug Airbus A400M hat die Abnahmeprüfung – den sog. “On-Site Acceptance Test” – absolviert und ist nun offiziell beim Kunden in Betrieb genommen worden. Dieser Simulator ist die modernste Ausbildungseinrichtung des Cargo Training Centers, das vom französischen Heer bei Toulouse betrieben wird. Damit stehen nun dem französischen Militär zwei unterschiedliche Trainingssysteme von Rheinmetall für die A400M-Laderaumbesatzungen zur Verfügung. Dabei handelt es sich neben dem Hardware-orientierten Laderaum-Simulator “Cargo Hold Trainer-Enhanced” auch um den überwiegend virtuellen Ladungsmeister-Trainer (“Load Master Work Station Trainer”). 2017 war das Unternehmen Rheinmetall von Airbus mit der Entwicklung, Herstellung und Lieferung des

(BS) Das Computer-Software-Unternehmen Dataiku mit Hauptsitz im US-amerikanischen New York gab Ende Februar die Partnerschaft mit dem NATO Allied Command Transformation (ACT) bekannt. Die Dataiku-Plattform wird zukünftig als eine der zentralen Plattformen zum Aufbau und Einsatz von Projekten der Künstlichen Intelligenz (KI) genutzt. Gemeinsam mit den Dataiku Data Scientists und Fachexperten möchte das ACT einige der herausforderndsten Anwendungsfälle in diesem Bereich lösen. Bereits 2018 hatte der NATO ACT Innovation Hub einen Wettbewerb in der französischen Hauptstadt Paris organisiert. Bei diesem sollten die Teilnehmer eine Lösung für “Datenfiltration und -zusammenführung” entwickeln. Dataiku gewann dabei damals zwei von insgesamt drei Auszeichnungen.

D

ie Übernahme militärischer Verantwortung zur Regelung internationaler Konflikte lehnen viele Politiker und Meinungsmacher ab. Diese Haltung ist seit 1990 jedes Jahr sinnloser geworden. Die Nachbarstaaten verstehen zumeist unsere komplexe Vergangenheitsbewältigung nach der schrecklichen Epoche der Hitler-Diktatur. Ausländische Politiker verstehen aber nicht mehr, dass das deutsche Schuldsyndrom 75 Jahre nach Kriegsende nach wie vor über Gebühr gepflegt wird. Die deutsche politische Klasse vermeidet es, sich mit der Realität von Krieg, Kampfkraft, Verteidigung, Einsatzwillen, Tapferkeit, nationaler Selbstbehauptung u. a. m. auseinanderzusetzen. Die Sicherheit unseres Staates ist vielen Bürgern völlig unklar, bis hin zum Gefühl der Angst vor der faktischen Wahrheit – und dies in einem der freiesten Länder der Welt! Das Totschlagargument ist wohlfeil: “National” oder “rechtskonservativ” zu argumentieren, führt ins Abseits, und geopolitische und geostrategische Zusammenhänge sind unbekannt. Dafür hört man in Europa einen neuen Vorwurf: “Deutschland lässt seine Westbindung verlottern.” Schlimmer geht‘s nimmer. Ein Schritt zur Normalität wäre die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft deutscher Streitkräfte als wesentlicher Baustein der europäischen Sicherheit. Dies wird von den Nachbarn wie auch von den “starken Männern” der Weltpolitik (das sind die, die nicht fragen, sondern handeln) seit vielen Jahren angemahnt. Tatsache ist, dass die brisante Weltlage mit mehr Konflikten und mit “hybrider Kriegsführung” schon am Rand von Europa steht. Von Wolfgang Ischinger hört man Klarsprache: “Die Welt wird ge-

Ausbildung im Laderaum-Simulator

Foto: BS/Rheinmetall

Ausbildungssimulators für den A400M “Atlas” für Heer und Luftwaffe der französischen Republik beauftragt worden.

V. l. n. r.: Jean-Philippe Dufour (ATC), Remi Meunier (Defense & Security Practice Manager Dataiku), General André Lanata (Supreme Allied Commander Transformation), Florian Douetteau (CEO Dataiku) und François du Cluzel (NATO ACT Innovation Hub) Foto: BS/Dataiku

Rettet die Bundeswehr! Große Koalition muss Verteidigungsfähigkeit wiederherstellen (BS/Oberst a. D. Wolf Poulet) Auch mit 50 Milliarden Euro (plus) pro Jahr ist die Bundeswehr nicht zu retten – ideologische Schranken verhindern eine Grundreform der Streitkräfte. Noch kann die Große Koalition aber die verlorene Verteidigungsfähigkeit Deutschlands wiederherstellen. Voraussetzung wäre, dass die Parteien der GroKo es wollen. Bislang ist kein belastbarer Wille erkennbar, um die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ”weltpolitikfähig” zu machen. Denn dazu müssten Artikel des Grundgesetzes (GG) geändert werden. Vor allem eine Partei scheint dem spezifisch "deutschen Pazifismus" ewiglich Treue geschworen zu haben. de Neustrukturierung der BundesWolf Poulet war 30 Jahre wehr beschließen. lang Berufssoldat, zuletzt Bis Ende 2021 als Oberst im Generalstabsverfügt sie noch dienst der Bundeswehr. über die MehrPoulet ist heute Geschäftsheit, um überfälführender Direktor einer lige Grundgesetzinternationalen Beratungsänderungen zur firma. Wiederherstellung Foto: BS/privat von funktionierenden Streitkräften planerisch einzufährlicher, von der klassischen militärischen Sicherheit und den leiten. Es käme darauf an, das regionalen Krisen bis zu moder- parlamentarische Gewicht zur neren Aspekten wie Klima, Ener- spezifischen Reform der deutgie, globaler Gesundheit.” Der schen Verteidigung einzusetzen: Politologe Herfried Münkler hat kleiner, beweglicher, entbürokrabereits den “Kleinen Weltkrieg” tisiert und auf Dauer bezahlbar. beschrieben. Voraussetzung für einen gemeinBisher ist nicht erkennbar, samen Regierungserfolg ist jedass die deutsche Regierung doch, dass die Sozialdemokratie diese Bedrohung begriffen hätte. ihren historisch überlebten PaStatt die Verteidigungsfähigkeit zifismus zurückstellt. Die GroKo Deutschlands voranzubringen, müsste auch bedenken, dass bei schummelt sie sich am NATO- Ablehnung namhafter Reformen Ziel für die Verteidigungsausga- auch vorgezogene Bundestagsben vorbei. Eine mögliche zwei- wahlen bis Ende 2020 möglich te Regierung Trump könnte die wären. Dies könnte den Verlust fortgesetzte Unterfinanzierung der GroKo-Regierungsmehrheit der deutschen Streitkräfte als und die beinahe Halbierung der Zerreißprobe der europäischen SPD-Fraktion bedeuten. Wie die Koalitionspartner sich Sicherheit ansehen, diesmal befeuert durch Defaitismus und der drängenden Probleme der mangelnde Solidarität der deut- Verteidigung annehmen, lässt nur wenig Hoffnung. Der starke schen SPD. Mann der SPD, FraktionsvorWas wäre konkret zu tun? sitzender Rolf Mützenich, gibt Die GroKo müsste in den nächs- die Richtung vor: Die SPD wolten 18 Monaten die rechtlichen le Vorstellungen von “militäriGrundlagen für eine umfassen- scher Dominanz” nicht mittra-

gen, sie wolle stattdessen “eine Dominanz der Diplomatie”. Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans fordert “Ausrüstung ja, Aufrüstung nein” und stellt fest, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO sei nicht sein Maßstab. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagt: “Wir akzeptieren keine undurchdachten Militäroffensiven und keine Redefinition der deutschen Außenpolitik aus dem Verteidigungsministerium.” Außenminister Heiko Maas schaut zurück: “Sozialdemokratische Außenpolitik ist eine, bei der die militärische Zurückhaltung ein Kernelement ist und auch bleiben wird.” Diese Formulierung galt, meiner Erinnerung nach, bereits während der 1960er-Jahre. Handelt es sich hier um pazifistischen Kollateralschaden? Prominente Sozialdemokraten, die der Landesverteidigung rational begegnen, sind an zwei Händen abzuzählen. Dazu gehören Sigmar Gabriel, vom Saulus zum Paulus mutiert, der Abgeordnete Johannes Kahrs und der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. Die klassischen Werke von Helmut Schmidt, z. B. “Verteidigung oder Vergeltung” von 1961, Meilensteine zum Verständnis deutscher und europäischer Sicherheitspolitik, werden nicht mehr gelesen. Was wäre nun zu tun, um die Sicherstellung einer namhaften Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit Deutschlands durch

modern ausgerüstete und bezahlbare kleinere Streitkräfte zu erreichen? Am wichtigsten wäre ein “Deal” zwischen CDU/CSU und SPD, um die Separierung der Bundeswehr in zwei gleichberechtigte Organisationsbereiche aufzuheben. Schon der Hinweis darauf gilt seit Jahrzehnten als Tabu. Die Bundeswehrverwaltung sieht sich nicht als Dienstleister der Streitkräfte, sondern als unabhängiger Zweig neben den Streitkräften. Dies wird aus Artikel 87b GG abgeleitet, der neben Art 87a GG (Streitkräfte) gleichrangig gilt. Die “Verwaltung” fungiert quasi als zivile Kontrolle gegenüber den Uniformierten. Diese Konstruktion ist gewählt worden, um eine allzu große Selbstständigkeit der Truppe, wie sie bei der früheren MilitärIntendantur angeblich vorlag, zu verhindern. Zur Gründung im Jahr 1955 war das historisch nachvollziehbar, damals wählte man eine zivile Gliederung der Bundesverwaltung. Dieses System ist nie reformiert worden. Es zeigt nach über sechzig Jahren ein ausgeprägtes Eigenleben mit extremer Schwerfälligkeit. So entstand eine Bundeswehr mit völlig veralteter und übergroßer bürokratischer Verwaltung. Solange diese Konstruktion nicht gründlich neu gestaltet und den Militärverwaltungen anderer Demokratien angeglichen wird, sind alle anderen Maßnahmen

wirkungslos. Das Konzept der geteilten Verantwortung ist kläglich an der Bürokratie erstickt. Mit der daraus folgenden geringen Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sind auch Ansehen (“Lachnummer”) und politische Bedeutung der Bundeswehr im In- und Ausland auf einem Tiefstand angelangt. Im Auslandseinsatz zumeist ohne Kampfauftrag, zeigen die fast ausnahmslos zusammengewürfelten Einheiten noch immer ihr Bestes. Ohne die überfällige Änderung der Wehrverfassung, vor allem Artikel 87a und b, können voll einsatzfähige Streitkräfte, die “ihr Geld wert sind”, jedoch nicht entstehen. Der Wehrbeauftragte hat sich im aktuellen Jahresbericht um eine konkrete Aussage “gedrückt” – etwas hilflos fordert er für die Materialbeschaffung das “IkeaPrinzip”. Er hat erkannt, dass die Malaise “offensichtlich auf den dysfunktional gewordenen Strukturen auf der Amtsseite” liegt. Die Frage ist nun, ob die GroKo ihre Verpflichtung zum Wiederaufbau der deutschen Verteidigungsfähigkeit annimmt?

Bundeskanzlerin hat zentrale Rolle Die zentrale Rolle für das Gelingen effektiver Reformen liegt bei der Bundeskanzlerin. Nur sie verfügt über die Gestaltungsmacht und das politische Gewicht, um die Politik der CDU/CSU-Fraktion und der Verteidigungsministerin zu unterstützen und den Kolleginnen und Kollegen der SPD die außenpolitischen Argumente zu erläutern. Als erster Schritt würde die Abstellung einer Fallschirmjägerkompanie nach Westafrika das Verständnis zwischen Frankreich und Deutschland auf kaum zu überschätzende Weise vertiefen.


Verteidigung

Seite 50

Behörden Spiegel / März 2020

Restriktive Politik bleibt bestehen

Okay für Investitionen

Rüstungsexporte in Drittstaaten weiterhin nur unter engen Voraussetzungen

Bundestagshaushaltsausschuss gibt grünes Licht

(BS/Marco Feldmann) Die Bundesregierung verfolgt auch weiterhin eine kontrollierte Rüstungsexportpolitik. Dies geht aus ihren politischen Grundsätzen hervor. So macht die Ausfuhr von Rüstungsgütern nur 0,6 Prozent aller deutschen Exporte aus. In den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres genehmigten das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sowie das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Einzelausfuhren in Höhe von insgesamt nur rund 5,33 Milliarden Euro. Und nun sollen die Kontrollen verschärft werden.

(BS/mfe) Die Bundeswehr kann ihren Modernisierungsprozess fortsetzen. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag stimmten kürzlich entsprechenden Investitionen zu. Es geht um einen Betrag von rund 500 Millionen Euro.

I

m kompletten Jahr 2019 belief sich der Wert der Einzel- und Sammelgenehmigungen auf acht Milliarden Euro. Dabei gilt es zu beachten, dass zum einen die größten Empfänger EU-Mitgliedsstaaten, NATO-Länder und den Bündnisländern gleichgestellte Staaten (wie etwa Australien, Neuseeland, Japan und die Schweiz) sind. Im ersten Halbjahr 2019 entfielen 60,1 Prozent aller Ausfuhrgenehmigungen auf diese Gruppe. Auch im Gesamtjahr war die Verteilung ähnlich. Zum anderen wird der Export von Kriegswaffen in Drittstaaten restriktiv gehandhabt. Die Ausfuhr von Kleinwaffen in diese Länder soll sogar grundsätzlich überhaupt nicht genehmigt werden.

Deutschland geht voran Des Weiteren führt die Bundesrepublik als bisher einziges EU-Mitglied sogenannte PostShipment-Kontrollen durch. Dabei kontrollieren Mitarbeiter des BAFA vor Ort, also im Empfängerland, ob die Angaben in den jeweiligen Endverbleibserklärungen der Rüstungsgüter auch tatsächlich zutreffen und eingehalten werden. Auch daran würden die hohen moralischen und ethischen Anforderungen an die deutsche Rüstungsexportkontrolle deutlich, sagt der Parlamentarische Staatssekretär beim BMWi, Thomas Bareiß. Geplant ist nun, die Post-Shipment-Kontrollen, die es bisher nur im Bereich der Kleinwaffen

Darüber hinaus spricht sich Atzpodien gegen eine Ausweitung der Post-Shipment-Kontrollen aus. Für den Bereich der Kleinwaffen hält er diese für hinnehmbar. Für Großgeräte seien sie hingegen nicht erforderlich, da deren Endverbleib auch anderweitig überprüft werden könnte.

Probleme mit Ausfuhren in bestimmte Drittstaaten Diskutierten über das Für und Wider von Rüstungsexporten und deren Kontrolle (v. l. n. r.): Dr. Arnold Wallraff, Dr. Julia Monar, Uwe Proll (Moderator, Behörden Spiegel), Thomas Bareiß und Dr. Hans Christoph Atzpodien. Foto: BS/Feldmann

gibt, auf andere Rüstungsgüter auszuweiten. Zudem wurden von der Bundesregierung mit dem Marineschiffbau und der elektronischen Kampfführung zusätzliche sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien festgelegt. Und: Der Reformprozess der für sogenannte DualUse-Güter einschlägigen Verordnung läuft derzeit. Laut Bareiß soll dort Fragen der Menschenrechte künftig eine größere Relevanz zukommen.

Beteiligung an Kriegen verhindern Solche Güter und deren entsprechende Ausfuhrgenehmigungen fordern das BAFA übrigens immer mehr, auch wenn das Bundesamt nur rund zwei Prozent des gesamten Warenverkehrs prüfe, wie BAFA-Präsident Torsten Safarik dem Behörden Spiegel sagte. Es ist von rund

24.000 solcher Anträge pro Jahr die Rede. Das soll rund die Hälfte aller derartigen Ersuchen in der gesamten EU sein. Wichtig sei, dass die Nutzung von aus Deutschland exportierten Rüstungsgütern in internationalen sowie in internationalisierten internen Konflikten wie etwa im Jemen oder in Libyen effektiv verhindert werde. Da sei neben dem BAFA auch ihre Behörde gefordert, so Dr. Julia Monar, Beauftragte für Exportkontrolle im Auswärtigen Amt. Auf die Bedeutsamkeit des Vertrauensschutzes für die jeweiligen Unternehmen nach der Ausfuhrgenehmigung weist hingegen der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Dr. Hans Christoph Atzpodien, hin. Ihm sind zudem die unterschiedlichen Rüstungsexportkontrollrichtlinien in Europa ein Dorn im Auge.

Bareiß hingegen hält die Kon­ trollen in allen Bereichen für sinnvoll. Auch Dr. Arnold Wallraff von der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung begrüßt deren geplante Ausweitung. Gleichzeitig ist er zwar nicht per se gegen Rüstungsexporte. Allerdings glaubt er, dass die Bundesrepublik weder aus wirtschaftlichen noch aus sicherheitspolitischen Gründen von solchen Ausfuhren abhängig sei. Er hat keine Probleme mit Exporten an EU-Mitgliedsstaaten, NATOLänder und den Bündnisländern gleichgestellte Staaten. Kritisch sieht der ehemalige BAFA-Präsident Wallraff jedoch Ausfuhren in bestimmte Drittländer wie zum Beispiel Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Diese Differenzierung zeigt erneut, in welchem Spannungsfeld Rüstungsexporte und ihre Kontrollen beziehungsweise Genehmigungen stattfinden. Es konkurrieren die Werte Wirtschaftlichkeit, Ethik und Souveränität miteinander.

WerteUnion im Fokus Der Verteidigungsministerin den Rücken stärken (BS/por) Mit dem angekündigten Rückzug von der Unions-Kanzlerkandidatur und vom CDU-Parteivorsitz durch Annegret Kramp-Karrenbauer ist die WerteUnion, die sich selbst als Basisbewegung konservativer Unions-Mitglieder versteht, vermehrt in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt. Karl-Heinz Gimmler, Leiter des Bundesarbeitskreises Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie Mitglied des Landesvorstandes Rheinland-Pfalz der WerteUnion, stellte sich dem Behörden Spiegel für ein Interview. Die Fragen stellte Dr. Gerd Portugall. Behörden Spiegel: Was sagen Sie zum angekündigten Rücktritt von Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz durch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer? Gimmler: Man kann diesen Schritt nachvollziehen. Allerdings begrüßen wir es ausdrücklich, dass sie Verteidigungsministerin bleibt. Immerhin wagte und wagt sie es, neue Ideen und Lösungen anzusprechen. Dafür hielt sie auch persönlich den Kopf hin und versteckte sich nicht hinter irgendwelchen Gremien. Das finden wir sehr gut. Hierbei sehen wir auch die große sicherheitspolitische Linie: Parteien wie Die Linke oder auch abgeschwächt die Grünen lassen für die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Katastrophenszenarien erwarten. Die Union stand immer für grundlegende Werte wie Freiheit und Sicherheit. Insbesondere die Sicherheit nach außen ist in der Kanzlerschaft von Angela Merkel erodiert. Die WerteUnion will nach wie vor AKK den Rücken beim Thema “Dienstpflicht” stärken. Es ist schon erstaunlich, dass die CSU, die sich unter Söder auf einem klaren Weg nach links befindet, die Verteidigungsministerin bei diesem Thema nicht unterstützt. Eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen wäre die gerechteste Lösung. Allerdings wäre dazu eine Änderung des Grundgesetzes (GG) erforderlich, die auf absehbare Zeit nicht geht. Jedoch ist über Artikel 12a GG faktisch eine allgemeine Dienstpflicht für Männer möglich. Au-

nicht russophil. Russland agiert ohne Moral und Stand dem Behörden Spiegel Rede und Antwort: Karl-Heinz Legitimität. Seine Gimmler, Leiter des BundesInteressen werden arbeitskreises Verteidigungseisern und brutal und Sicherheitspolitik der – siehe Syrien – WerteUnion. verfolgt. Deshalb braucht der WesFoto: BS/Gimmler ten Stärke gegen dieses Russland – auch militärische. ßerdem lässt Artikel 12a dazu Die Bundeswehr besondere Attraktivitäten für den ist zu schwach. Die ganze Welt Wehrdienst zu. lacht über die fehlende EinsatzEs ist aber auch entscheidend, bereitschaft ganzer Waffensysdass die junge Generation lernt, teme sowie über die insgesamt etwas für das Gemeinwesen zu minimalistische Stärke. Die tun, gleich ob als Soldat oder in Bundeswehr ist die Armee des der Pflege oder in vielen sozialen in jeder Hinsicht größten EUBereichen. Dies führt zu einem Landes! positiven Sozialisationserlebnis. Wie Kennedy 1961 sagte: “Frage Behörden Spiegel: Liegt die nicht, was dein Land für Dich Lösung bei mehr Geld für die tun kann, frage, was Du für dein Bundeswehr? Land tun kannst.” Gimmler: Auch. Die WerteUniBehörden Spiegel: Grenzen on spricht sich für die Stärkung Sie sich von der Alternative für der NATO aus – ausdrücklich Deutschland (AfD) ab? auch für den Beschluss von 2014, die nationalen VerteidiGimmler: Ja! Die WerteUni- gungsausgaben bis 2024 auf eion hat ihren festen Stand in nen Anteil von zwei Prozent am der CDU/CSU und auf beiden Bruttoinlandsprodukt wachsen zu lassen. Das diesbezügliche Grundsatzprogrammen. Im sicherheitspolitischen Be- Einknicken vor dem immer mehr reich grenzen wir uns von der nach links driftenden KoalitionsAfD z. B. dadurch ab, dass wir partner SPD geht nicht mehr. zu einer eigenen Militärgerichts- Abgesehen davon: Die zweibarkeit ganz klar “nein” sagen. Prozent sind für uns wichtig, Sinnvoll wäre hingegen eine wir tun dies nicht für Donald Ergänzung staatsanwaltlicher Trump. Mehr Geld zur Abwehr Ermittlungen mit militärischer neuer Bedrohungen: Wenn es Expertise, z. B. durch Reser- bald keine Staaten mehr gibt ohne Kampfdrohnen, ist es für visten. Ein weiterer wichtiger Unter- die Bundeswehr abwegig, dies schied zur AfD in der Außen- noch unter ethisch-moralischen und Sicherheitspolitik: Wir sind Diskussionen zurückzustellen.

Auch auf neue russische Rüstungsentwicklungen wie Hyperschallwaffen oder das Luftabwehrsystem S 400 müssen wir adäquate Antworten haben. Auch das unsägliche, von keinerlei Fachkenntnis getragene Gezerre um die Tornado-Nachfolge ist ein Beispiel. Die deutsche Luftwaffe ist auf dem besten Weg, nicht zweit-, sondern drittklassig zu werden – dies bedeutet aber, in jedem Ernstfall Blut und Leben der Soldaten und der Zivilbevölkerung zu opfern. Genauso wichtig ist jedoch, den Soldaten der Bundeswehr endlich wieder volle Anerkennung und Rückendeckung zu geben: Maßnahmen wie unter Ministerin von der Leyen – die Durchsuchung aller Kasernen nach dem Fall Franco A. – darf es nie wieder geben. Behörden Spiegel: Wie sieht es bei der Europäischen Union (EU) aus? Gimmler: Wir sind gegen eine Europa-Armee, die auf lange Sicht eine Illusion bleiben muss. Was ein brauchbares Modell wäre, ist vertiefte bilaterale Zusammenarbeit der europäischen Staaten, wie z. B. mit den Niederländern. Zwar ist in der EU die rechtliche Verbindlichkeit der Beistandspflicht hoch – siehe Artikel 42 Absatz 7 des EUVertrages von Lissabon. Aber der Organisationsgrad ist gering. Bei der NATO ist es genau umgekehrt: geringe rechtliche Verbindlichkeit, aber hoher Organisationsgrad. Daher ist die EU auf lange Sicht keine Alternative zur Atlantischen Allianz.

Fast 150 Millionen davon entfallen auf neue geschützte Transportfahrzeuge für den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Zwischen 2021 und 2024 sollen der Truppe 80 dieser Fahrzeuge zufließen. Dadurch werden die Fähigkeiten des Sanitätsdienstes und die sanitätsdienstliche Versorgung für die “Very High Readiness Joint Task Force” (VJTF) 2023 gestärkt. Im Waffensystem Tornado soll für rund 240 Millionen Euro das Head-up-Display digitalisiert werden. Der für die Ansteuerung der Anzeigeeinheit neu zu entwickelnde Computer kann künftig auch als Ersatz für den Hauptrechner des Flugzeuges dienen. Die Entwicklung der Systeme ist notwendig, um Auswirkungen von Obsoleszenzen zu vermeiden. Die veraltete Technik wird ausgetauscht, um die Fähigkeiten des Tornados bis zu seiner Ablösung weiterhin bruchfrei zu gewährleisten. Die Aufklärungsdrohne “Heron 1” soll

noch bis zum kommenden Jahr in Afghanistan im Einsatz sein. Danach ist vorgesehen, sie durch die moderne German Heron TP zu ersetzen.

Modernisierung bei C-130J Super Hercules Für rund 27 Millionen Euro sollen beim zukünftigen Transportflugzeug C-130J Super Hercules moderne Möglichkeiten zum Datenaustausch zwischen Flugzeugen und Kräften am Boden eingerüstet werden. Zudem wird das Raketenanflugwarnsystem des Flugzeugs modernisiert. Es wird auch ein zeitgemäßeres Kollisionswarnsystem installiert. Es fließen aber nicht nur finanzielle Mittel in Flugzeuge, Gerätschaften und Waffensysteme. Für rund 68 Millionen Euro sollen auch zunächst 85 neue Feldküchen für die Bundeswehr angeschafft werden. Aus dem geplanten Rahmenvertrag können sogar bis zu 400 Feldküchen bestellt werden.


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ei unserem Gespräch ist es bitterkalt. Auf dem weitläufigen Areal prasselt ein Buchenfeuer. Doch an diesem nebligen Novembertag scheinen die Flammenzungen gegen die niedrigen Temperaturen machtlos zu sein. Schnell verdrücken wir uns unter die Heizpilze im Innenraum des großflächig überdachten Stollensystems. Vor 1.700 Jahren bauten dort römische Legionäre Tuff für das Imperium Romanum ab. Menchen begrüßt mich mit einem festen Händedruck und lacht: “Die Römer, die hier damals schufteten, hatten es auch nicht wärmer.” Seit 2011 ist er Archäo-Techniker der beliebten Ausstellungsstätte. Er hat am Aufbau der Antiken Technikwelt federführend mitgewirkt. Die Technikwelt ist 2015 im Außenbereich des Römerbergwerkes (siehe Infokasten) entstanden. Menchen geht dort seiner Leidenschaft für Historie und Handwerk nach: “Geschichte hat mich schon immer fasziniert. Alte Kulturen sowieso. Hinzu kommt mein Faible für das Stein- und Bildhauerhandwerk, das ich mir autodidaktisch beigebracht habe.”

Mister Germany im Römerbergwerk Archäo-Techniker Kuno Menchen baut antike Industriezeugnisse nach

blikum in Berührung komme, seien Kontrollen verpflichtend. Jedes Projekt verlange nach einer Einzelabnahme – nicht selten ein aufwendiger Prozess! Dann gelte es, dicke Bretter zu bohren und Verhandlungsgeschick zu beweisen.

Arbeit mit Kindern ist ihm wichtig

Archäo-Techniker Kuno Menchen hat im Römerbergwerk Meurin seinen Traumjob gefunden. Der passionierte Steinund Bildhauer ist bekennender Autodidakt und Geschichtsfan. Fotos: BS/Michael Harbeke

Wasser testen wir, wie leistungsfähig die Steinsäge von Ephesos wirklich war. “Das drei Meter große Wasserrad ist ein wahrer Koloss: “Auf diesen Versuch freue ich mich ganz besonders, da ich gemeinsam mit den Wissenschaftlern Grundlagenforschung betreiben darf”, zeigt sich Menchen engagiert.

Sein Job – bisher eine OneMan-Show! Doch wie wird man eigentlich Archäo-Techniker? “Definitiv ist es kein Lehrberuf”, so Menchen. Um einer zu werden, brauche es Geschick, aber auch Glück, um eine der raren Stellen zu bekommen. “Ich bin da mehr oder weniger reingeschlittert. Schon in meinem vorherigen Job in Rheinbrohl, wo ich in drei Jahren das Außengelände der Römerwelt aufgebaut habe, konnte ich das tun, was mir wirklich Freude macht.” Menchen ist Angestellter im Öffentlichen Dienst. Beim Kompetenzbereich “Vulkanolo-

Das Römerbergwerk Meurin ist 1.700 Jahre alt. In den verwinkelten Gängen haben einst wohl römische Soldaten geschuftet.

Die ausgestellten Attraktionen zeugen vom Fortschritt einer hochentwickelten Epoche: “Die industriellen Artefakte sind alle funktionsfähig und dienen vor allem der Forschung. Internationale Wissenschaftler suchen Antworten auf Industrie-historische Fragen. Mit Quarzsand und

Menschen grundlegend verändert hat, sind alte Techniken immer noch präsent. All das, was wir heute tun, hängt von der Wurzel alter Kulturen ab.”

(BS/har) Auf Kuno Menchen (64) trifft die Beschreibung Tausendsassa voll und ganz zu. Mit vielen Talenten gesegnet, widmet sich der ehemalige Turbulente Vita Mister Germany in Vollzeit den Errungenschaften einer vergangenen Ära. In seinem handwerklich anspruchsvollen Job rekonstruiert er Zeugnisse Menchens Lebensweg gleicht eiaus einer untergegangenen Epoche. Uralte Kräne, Mühlen und Öfen entstehen in der Antiken Technikwelt am Römerbergwerk Meurin in Kretz. nem hollywoodreifen Stoff. Vie-

Kleiner Rundgang gefällig? Seine Tätigkeit als ArchäoTechniker ließe sich am besten bei einem kleinen Rundgang über das Gelände erklären. Gerne nehme ich das Angebot an und lasse mich von ihm in eine protoindustrielle Epoche versetzen. Herzstück der Ausstellung ist die byzantinische Steinsäge von Ephesos. Zur Fertigung von Marmorplatten für die Paläste der Mächtigen ist sie konstruiert worden. Weiter geht es zum künstlichen Steinbruch mit seiner Steinmetzwerkstatt, in der man Wissenswertes über den Abbau des Tuffs und Basalts, der ersten Leichtbausteine der Antike, lernt. Die Vulkaneifel, in der das Römerbergwerk liegt, ist vor 13.000 Jahren durch den Ausbruch des Laacher See-Vulkans reich beschenkt worden. Wertvolle Bodenschätze entstanden durch die Eruption. Viele tausend Jahre später entwickelte sich die Region zu einem antiken Industrierevier. Neben einer Schmiede, die die damalige Werkzeugherstellung vor Augen führt, gibt es in der Antiken Technikwelt auch eine römische Bäckerei. Sie versorgte die römischen Legionäre bei ihrer entbehrungsreichen Arbeit im Steinbruch mit Nahrung: “Eine römische Teigknetmaschine konnte innerhalb von zehn Minuten 35 Kilogramm Brotteig kneten. Das haben wir hier schon getestet”, so Menchen.

Behörden Spiegel / März 2020

gie, Archäologie und Technikgeschichte” (VAT) in der rheinland-pfälzischen Stadt Mayen ist er in Vollzeit beschäftigt. Diese Außenstelle gehört wiederum zum Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz (RGZM), welches seine Stelle nach TVÖD finanziert. Der VAT hat im Vul-

kanpark Osteifel, wozu auch das Römerbergwerk gehört, die wissenschaftliche Leitung. Sein Vorgesetzter ist der Leiter des VAT, der Archäologe Dr. Holger Schaaff, der mit ihm die historischen Bauvorhaben koordiniert. Obwohl der Archäo-Techniker in Mayen ein Büro hat, ist er überwiegend im Römerbergwerk anzutreffen: “Bis vor Kurzem war ich eine One-Man-Show, sozusagen der römische Haussklave des Römerbergwerkes! Nun lerne ich meinen Assistenten Andreas Wagner an, der in anderthalb Jahren meine Nachfolge antritt. Denn dann werde ich in den Ruhestand gehen.”

Muskelkraft und Köpfchen Menchen und Wagner sind ein eingespieltes Team. Kräftige Männer, die aus robusten Eichenstämmen Vergangenheit nachbilden. Gerade zerlegen sie ein sogenanntes Lateralgetriebe des antiken Krans, der winterfest gemacht werden muss. Jedes Artefakt der Außenanlage wird diesem mühevollen Prozess unterzogen. Die Nachbauten werden generalüberholt und sicher zwischengelagert. Denn das Römerbergwerk hält nun Winterschlaf. “Wenn wir im November schließen, heißt das für uns Anstrengung pur. Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt nicht. Denn schon im März muss alles wieder aufgebaut werden. Dann wiederholt sich alles in umgekehrter Richtung.” Doch wer meint, dass Muskelkraft die vorrangigste Eigenschaft eines Archäo-Technikers sei, irrt gewaltig. Präzision, historischarchäologische Kenntnisse und technischer Sachverstand seien nicht minder ausschlaggebend für den Erfolg eines Projektes. Authentizität spielt bei all seinem Tun eine übergeordnete Rolle, weiß Menchen aus langjähriger Erfahrung zu berichten: “Detailversessenheit musst du haben, sonst wird das nichts. Man muss sich in die Lebenswelt der Römer mit Haut und Haaren versetzen. Die lebten in einer echten Hochkultur, im Technischen sowieso. Deshalb baue ich die alten Werkzeuge nach dem Vorbild damaliger Konstrukteure und

Historiker wie Plinius nach, um ein Gefühl für die antiken Baustellen zu bekommen.”

Neben dem handwerklichen Anspruch muss ein Archäo-Techniker auch pädagogisch fit sein. Ob Studenten, Schulklassen oder Seniorengruppen – wenn ihm Gäste bei seiner Tätigkeit über die Schultern schauen, gilt es stets den richtigen Ton zu treffen. Insbesondere der Nachwuchs liegt Menchen am Herzen: “Kinder und Jugendliche bis zur Pubertät sind das dankbarste Publikum. Der Sinn und die Zukunft des Lebens spiegelt sich in ihnen wider. Die Begeisterungsfähigkeit ist bei Jungen und Mädchen gleichsam stark.” Menchen möchte mit seiner Bildungsarbeit das Gestern mit dem Heute verbinden und traditionelle Handwerkskunst vor dem Vergessen bewahren: “In unserer schnelllebigen Zeit, wo Digitalisierung den Fortschritt bestimmt, möchte ich einen Kontrapunkt setzen. Obwohl sich dank der Technisierung und Automatisierung die Arbeits- und Lebenswelt der

le “Letzte Seiten” könnten von außergewöhnlichen Stationen berichten. Dass der gebürtige Lahnsteiner (RLP) Archäo-Techniker werden würde, war keine ausgemachte Sache, kein fester Plan stand dahinter. Zunächst zog es Menchen, der alleinerziehender Vater und Großvater ist, auf die Sieben Weltmeere. Bei Hapag Lloyd hat er seine Lehre zum Matrosen absolviert. Auf großen Stückgutfrachtern lernte er Mittelamerika, Südamerika und Ostasien kennen. Er hat Touren nach Hongkong unternommen, ist durch Brasilien getrampt und hat den Sturz von Allende in Chile mitbekommen. Doch irgendwann war ihm das ständige Reisen zu viel. Menchen wurde sesshaft. Mehrere Lehren schlossen sich an. So absolvierte er eine Hotelfachschule am Tegernsee, bestand eine Metzgerlehre am Viktualienmarkt in München, wo er Innungsbester wurde. Eine Ausbildung zum Informationselektroniker für Datenverarbeitung bestand er ebenfalls erfolgreich. Und damit nicht genug: 1976 war er als Mister Germany ein Ass im Kraftsport und Bodybuilding. Der Archäo-Techniker schaut auf ein bewegtes Leben zurück, in dem vieles ungeplant kam: “Ich bin schon immer Autodidakt gewesen. Meine Kinder sagen immer: Papa, von Deinem Leben könnte man ein ganzes Buch schreiben.””

Römische Präzision trifft auf Digitalisierung Von der Kalkulation der Kosten bis zur Materialplanung und Anfertigung des Bauplanes reicht Menchens Tätigkeitsfeld. Trotz aller Historie haben die modernen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts längst Einzug gehalten: “Klar, die Digitalisierung hat auch im Römerbergwerk ihren Platz. Insbesondere die digitale Messtechnik liefert stichhaltige Ergebnisse, die den Nachbau erleichtern.” Nivelliergeräte, die mit Lasertechnik Objekte vermessen, um sie später in 3D-Technik darzustellen, liefern immer wieder erstaunliche Werte. Doch die Römer lebten nicht hinter dem Mond. Auch ihre Werte seien aufgrund exakter Berechnungen mit antiken Werkzeugen entstanden. Laut Menchen waren es Konstrukteure mit Vorbildfunktion: “Wissen wird von einer Generation zur anderen vererbt. Wir profitieren noch heute vom antiken Erbe. Das Bauen hat sich über die Jahrhunderte in seiner Kernsubstanz nicht verändert.” Auf die kritische Frage, ob man Vergangenheit überhaupt authentisch nachbauen könne, kontert Menchen: “Die hundertprozentige Nachbildung der Wirklichkeit bleibt ein frommer Wunsch. Doch mit der Rekonstruktion nähern wir uns realistisch dieser Ära an. Das Rad der Welt kann man nicht neu erfinden.” Nicht immer gestaltet sich die Umsetzung der Projekte als reibungslos. So ist die Abnahme der historischen Nachbauten durch den TÜV ein bürokratischer Akt. Dennoch weiß Menchen von der Notwendigkeit, die dahintersteckt. Sicherheit gehe vor, “auch wenn das schon einmal skurrile Formen annimmt”. Die Verordnungen bestimmen zum Beispiel, dass selbstgeschmiedete Nägel nicht verwendet werden dürfen: “Gerne würden wir authentischer arbeiten, doch es dürfen nur DIN-genormte Nägel verwendet werden.” Bei allen Objekten, mit denen das Pu-

In Stein gemeißelt: Kuno Menchen und sein Alter Ego

Vulkanpark Osteifel: historische Erlebnisstätten für Alt und Jung BS/ Das Römerbergwerk Meurin ist eine historische Erlebnisstätte, die im Vulkanpark Osteifel angesiedelt ist, der seit 1996 besteht. Die Erlebnisstätte gilt als eines der Highlights des Vulkanparks. Das 1.700 Jahre alte Stollensystem kann als herausragendes Exempel der Antiken Technikwelt einstehen. Seit 1998 wird an und in ihm über die Entwicklung eines vorindustriellen Industriereviers geforscht. Hier finden sowohl Wissenschaftler als auch Touristen ein großes Areal vor, das entdeckt werden will. Über Stege, Rampen und Treppen führt der Weg hinab in die Arbeitswelt römischer Bergleute. Es ist ein Treffpunkt für Alt und Jung. In ihm werden auch Eheleute standesamtlich getraut, historische Lesungen und geschichtliche Veranstaltungen gehalten. Zu Halloween findet eine Halloween-Party für Kinder in seinen verwinkelten Gängen statt. Der Landkreis MayenKoblenz (Landkreis MYK) und das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz (RGZM) haben sich vor mehr als 20 Jahren zusammengeschlossen, um die archäologische Forschungslandschaft der Region noch tiefer zu ergründen. Außerdem sollen Touristen die Vorzüge der geschichtsträchtigen Gegend und deren beeindruckende Landschaftsdenkmäler kennenlernen. Um dieses Vorhaben erfolgreich umzusetzen, wurde die Vulkanpark gGmbH gegründet, der sowohl das RGZM als auch der Landkreis MYK angehören. Während das RGZM sich ganz der Forschung widmet, organisiert die gGmbH das kulturtouristische Marketing sowie die touristische Qualitätssicherung. Förderer des Vulkanparks sind das Land Rheinland-Pfalz, der Landkreis Mayen-Koblenz, dessen Kommunen sowie private Sponsoren, die zumeist aus der Stein- und Erdenindustrie stammen. Der Vulkanpark Osteifel ist für sein wissenschaftlich-pädagogisches sowie touristisches Wirken mehrfach dekoriert worden. So ist er 2005 zum Nationalen Geopark ernannt worden. Außerdem erhielt er gleich zwei Mal den Europa Nostra Awards nämlich 2003 und 2011.



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