Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
Nr. V / 36. Jg / 19. Woche
G 1805
Berlin und Bonn / Mai 2020
www.behoerdenspiegel.de
In der Zange
Das Momentum nutzen
“Geräusche sind allgegenwärtig”
Prof. Dr. Dörte Diemert zu kommunalen Haushalten ������������������������������������������������������������� 9
Prof. Dr. Kristina Sinemus über die Digitalisierung in Hessen ................................. 26
Steffen Körper zum Lärmlabor im Umweltbundesamt ............................................. 47
Tatverdächtiger identifiziert (BS/stb) Der Generalbundesanwalt hat beim Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen den Russen Dmitriy Badin erwirkt. Der 29-Jährige wird verdächtigt, in entscheidender Funktion am Cyber-Angriff auf IT-Systeme des Deutschen Bundestages 2015 beteiligt gewesen zu sein. Badin soll für den russischen Militärgeheimdienst GRU arbeiten. Beim sogenannten “Bundestags-Hack” hatten die Täter zunächst über gefälschte E-Mails Rechner einzelner Bundestagsabgeordneter übernommen und sich von dort weiter durch die IT-Systeme bewegt. Über 16 Gigabyte an Daten waren gestohlen worden. Badin wird ebenfalls verdächtigt, an Angriffen auf die Demokratische Partei in den USA und auf die Welt-Anti-Doping-Agentur im Jahr 2016 beteiligt gewesen zu sein. In diesen Fällen wurde 2018 Anklage erhoben.
GETEX wird verschoben (BS/mfe) Die Gemeinsame Terrorismusabwehr-Übung GETEX wird ins kommende Jahr verschoben. Grund dafür ist die CoronaPandemie. Das bestätigten die neue schleswig-holsteinische Innenministerin Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und der Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein der Bundeswehr, Oberst Axel Schneider. Schleswig-Holstein richtet die GETEX aus. Teilnehmen wollen zudem Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland. In die Vorbereitungen involviert waren zudem unter anderem das Bundesinnenministerium (BMI), das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) und die federführende schleswigholsteinische Landespolizei.
Gespannt und gefordert (BS/lkm/jf) Die Sächsische Staatsregierung und die kommunalen Spitzenverbände haben einen Schutzschirm für Kommunalfinanzen vereinbart. Insgesamt stehen rund 750 Millionen Euro zur Bewältigung der Corona-Krise zur Verfügung. Damit soll den durch die Corona-Krise zu erwartenden Einbrüchen der Steuereinnahmen und den zusätzlichen Ausgaben auf kommunaler Ebene begegnet werden. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordern bundesweit einen Rettungsschirm für die Kommunen. “Einnahmen aus Gewerbe- und Einkommenssteuer werden drastisch sinken”, begründet die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle die Forderung. Und Frank Vogel, Präsident des Sächsischen Landkreistages, unterstreicht: “Land und Kommunen müssen sich fortan auf das beschränken, was wirklich zählt und was unser Land in Zukunft wieder voranbringt.”
Disruption und Kontinuität Was kann sich ändern? (BS/Uwe Proll) Der Schreck in den letzten Wochen war so gewaltig – wenn auch mehr ausgelöst durch den sogenannten Lockdown denn durch das Virus selbst –, dass die übliche Projektion eigener politischer Meinungen und Vorurteile bis Ende April brauchte um zu wirken. Waren es 2015 noch die Flüchtlinge, die mit so ziemlich allem – z. B. einer erwarteten Kriminalitätsexplosion – in Verbindung gebracht wurden, so ist es jetzt COVID-19. Das bisher Unbekannte ist Projektionsfläche für Gutes und Böses: für Chinas Expansionsgelüste, für soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten und natürlich für die Luftverschmutzung, also die Umwelt. Auch die Wünsche nach Disruption und Kontinuität werden durch das Virus inspiriert.
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uerst erlebte die Demokratie selbst eine Disruption. Früher hörten Politiker wissenschaftliche Experten an, schon in den letzten Jahren ließen sie sich von diesen treiben und jetzt erlaubten sie den Experten, selbst zu regieren. Eine Expertenregierung ist jedoch ein anderes “Geschäftsmodell”, als es die Verfassung vorsieht und als es Wähler und Gewählte verabredet haben. Doch wir sind nun wieder zurück in die Kontinuität. Die Politik regiert wieder und lässt sich beraten. Die vorherigen Wochen waren ein riskantes Experiment mit Gewöhnungspotenzial. Eine disruptive Veränderung erlebte auch die Kommunikation, die private und die dienstliche. Die private war auf den Hausstand beschränkt und die dienstliche fand im Digitalen statt: Video- und Telefonkonferenzen sowie E-Mail statt Papierakte durchdrangen die öffentliche Verwaltung, wo es technisch nicht an Voraussetzungen mangelte. Zudem: Aus der Not wurden Medien und Plattformen, die bisher als unsicher (Vorsicht: “Feind hört mit!”) galten, sogar bei Sicherheitsbehörden genutzt. Bürger konnten Anträge plötzlich online stellen, sie wurden genehmigt, ohne Unterschrift und ohne Signatur. Diese digitale Disruption muss bleiben, weil sie effizient ist, weil sie ökologisch Vorteile bringt und vor allem, weil sie auch ökonomisch ist. Zudem
Disruptive Veränderungen auch bei der Polizei: Anstelle Kriminelle zu ermitteln, rückt die Einhaltung des Kontaktverbots mancherorts in den Vordergrund. Foto: BS/Bayerische Polizei
zeigte sich, dass Behördenkontakte mit Bürgern und Unternehmen auch ohne doppelten und dreifachen Sicherheitsboden möglich sind, so wie es unsere Nachbarn in Dänemark oder Österreich schon längst vormachen. Behördeninterne Kommunikation ist nicht per se vertraulich und vieles als VS-NfD Eingestufte ebenso wenig. Das lehrte COVID-19 ganz besonders. Verändern wird sich auch das “Dienstreisen”, denn das haben ja auch alle gelernt, meistens reicht die “Schalte”. Homeoffice wird es auch bei Verwaltungen zukünftig häufiger geben, wenn eine gesetzliche Regelung allerdings dieses kreative Instrument individueller Vereinbarung zwischen Beschäftigtem und Chef eher einschränken wird. Kontinuität ist aber ebenso wie die disruptive Veränderung gefragt, nämlich bei der raschen Wiederherstellung zusammengebrochener Wirtschaftsabläufe. Da muss Altes wieder aufgebaut werden. Dessen gleichzeitiger radikaler Umbau nach anderen politischen Zielen als dem der Wiederherstellung von Arbeit, Wohlstand und Sicherheit wäre eine Überforderung. Auf manches wird man jedoch verzichten können und es nicht wieder ausrollen müssen. Was verändert sich noch? Sprache! Lockdown, Reproduktionsrate, Triage. Politiker werden eines Tages sagen: “Wir brauchen kein neues Corona”. Hoffentlich!
Kommentar
Corona-Krise ist keine Föderalismuskrise (BS) Für Kritiker des Föderalismus ist Deutschland beim Umgang mit der Corona-Pandemie mal wieder ein “Flickenteppich”. Bund, Länder und Kommunen suchen nach dem bestmöglichen Weg durch die Krise – vielfach gemeinsam, mitunter aber auch individuell mit landes- bzw. kommunenspezifischen Verordnungen und Maßnahmen. Ist das nun gefährlicher Partikularismus? Kleinstaaterei zulasten der Bürger? Die aktuelle Regelungsvielfalt ist Ausdruck unserer grundgesetzlich manifestierten föderalistischen Tradition unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips, wonach die gesamtstaatliche Ebene nur jene Aufgaben übernehmen soll, die von den Teilstaaten nicht angemessen erfüllt werden können. Prominentes Beispiel für eine gesamtstaatliche Aufgabe ist die Landesverteidigung, verkörpert durch die Bundeswehr. Ist ein föderal aufgestellter Staat mit starken und selbstbewussten Ländern – und ihren Kommunen – somit bei der Bekämpfung eines gemeinsamen Feindes (Coronavirus) ein grundlegendes Manko? Würde ein unitaristischer Bundesstaat mit einer mächtigen Zentrale in Berlin oder gar ein Zentralstaat uns grundsätzlich besser durch
die Krise führen? Der Blick in die USA provoziert ein Gedankenspiel: Was wäre dort los, wenn die USA ein von Präsident Donald Trump geführter Zentralstaat wären und es bei der Bewältigung der CoronaPandemie die (im Vergleich zu Deutschland noch unabhängigeren) US-Bundesstaaten nicht gäbe? … Ein Gänsehaut-Moment der sehr bitteren Art! Doch zurück nach Deutschland: Der Föderalismus und die vom Subsidiaritätsprinzip gedeckte örtliche Zuständigkeit für die Gesundheit der Bürger erfordern zweifellos ein Mehr an Koordination und Kommunikation. Dies gehört, auch abseits der momentanen Krise, zum Markenkern unserer Bundesrepublik. Diese Vielfalt bietet uns aktuell nicht nur die Möglichkeit, auf regionale
Besonderheiten beim Umgang mit der Corona-Pandemie angemessen zu reagieren, denn MecklenburgVorpommern braucht andere Regelungen als Bayern, der ländliche Bereich mitunter andere als der städtische. Vielfalt bedeutet hier auch Wettbewerb um die besten Ideen und Strategien. Als die Stadt Jena im Alleingang die Maskenpflicht in Teilen des öffentlichen Raumes einführte, stieß dies hierzulande in Politik und Öffentlichkeit eher auf Zurückhaltung. Oberbürgermeister Thomas Nitzsche musste sich kritische Fragen gefallen lassen. Mittlerweile gibt es deutschlandweit eine solche Maskenpflicht. Trotz – oder vielleicht gerade auch dank – des Föderalismus. Guido Gehrt
Corona macht’s möglich!