Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
Nr. XI / 36. Jg / 45. Woche
Berlin und Bonn / November 2020
G 1805
www.behoerdenspiegel.de
OZG beflügelt
Einiges Europa
Fragiles Gleichgewicht aus Leben und Tod
Randolf Stich zur Umsetzung in Rheinland-Pfalz ���� Seite 10
Tomás̆ Petr̆ íc˘ek und Lubomír Metnar zur EU-Verteidigungspolitik ������������� Seite 55
Stefan Lott ist Revierförster für Bäume – und Gräber ������� Seite 56
Kaum Spielraum für US-Anbieter (BS/stb) Die Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder lassen wenig Spielraum für die Verwendung von Videokonferenzsystemen US-amerikanischer Anbieter. Auftraggeber müssten vor der Nutzung die Anbieter sorgfältig prüfen und zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um ein gleichwertiges Schutzniveau wie innerhalb der EU sicherzustellen. Konkrete Aussagen zu ausreichenden Schutzvorkehrungen bedürften noch weiterer Analysen, heißt es in einer aktuellen Handreichung der Datenschutzkonferenz (DSK). Auftraggeber können sich nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht mehr wie bisher auf das Privacy-ShieldAbkommen als Garant für Datenschutzkonformität der USAnbieter berufen. Informationen zum Umgang mit Datenschutzanforderungen bei Online-Veranstaltungen des Behörden Spiegel auf Seite 2.
Extremismusbeauftragte vorgestellt (BS/bk) Kriminaloberrätin Svea Knöpnadel wurde als Extremismusbeauftragte der Berliner Polizei vorgestellt. Sie soll die Zusammenarbeit mit Netzwerkpartnern ausbauen, die Aus- und Fortbildung intensivieren sowie die Sensibilisierung aller Kräfte innerhalb der Polizei Berlins vorantreiben. Die Extremismusbeauftragte wird neben dem Antisemitismusbeauftragten und den Ansprechpersonen für LSBTI und interkulturelle Aufgaben als fester Bestandteil bei der Zentralstelle für Prävention des Landeskriminalamtes (LKA) angesiedelt. Hintergrund der Einrichtung der Beauftragten ist das von der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport erstellte Konzept zur Extremismusbekämpfung und der polizeiinternen Vorbeugung.
Arbeitszeit: Ost-WestAngleichung (BS/jf) Die regelmäßige Arbeitszeit im Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) zwischen Ost und West wird angeglichen. In den Kommunen Brandenburgs, MecklenburgVorpommerns, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens beträgt sie ab dem 1. Januar 2022 durchschnittlich 39,5 Stunden und ein Jahr später 39 Stunden pro Woche. Für Krankenhäuser gilt eine Sonderregelung. Hier sinkt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 39,5 Stunden zeitverzögert erst zum 1. Januar 2023. In den zwei Folgejahren 2024 und 2025 wird sie um eine weitere halbe Stunde reduziert. Darauf einigten sich die Tarifparteien in den diesjährigen Verhandlungen (mehr dazu auf Seite 3).
Abzug aus Afghanistan Wie lange bleibt der Schutzschirm der US-Streitkräfte? (BS/df) Mit dem Abkommen, das die USA im Februar dieses Jahres mit den Taliban schlossen, stand das Abzugsdatum fest: Bis zum 30. April 2021 werden die US-Streitkräfte Afghanistan verlassen haben. Nun sind Zeitangaben mit “bis zum” aus planerischer Sicht eher ungenügend, da sie eine doch sehr große Grauzone besitzen. Schließlich könnte es auch den Abzug aller amerikanischen Truppen vor Weihnachten beinhalten, was wiederum aus deutscher Sicht wenig wünschenswert wäre. Seit die Taliban ihr festes Abzugsdatum erhalten haben, ist Ruhe in Afghanistan. Einige wenige Anschläge lassen sich noch dem IS oder anderen Terrororganisationen zuordnen, die Taliban halten den Frieden. Zumindest für ausländische Truppen. Unter einer deutlichen Verstärkung der Angriffe mit entsprechend steigenden Opferzahlen leiden hingegen die afghanischen Sicherheitsorgane, allen voran die Polizei und das Militär. Das für Afghanistan zugebilligte Kontingent der Bundeswehr wird den afghanischen Sicherheitskräften allerdings kaum helfen können. Es ist zudem stark zu bezweifeln, dass die Bundeswehr sich selbst helfen könnte, um nach einem Abzug der USA die Stellung zu halten. Angesichts der aktuellen Ruhe seit dem Friedensabkommen ist davon auszugehen, dass die Taliban über eine funktionierende und durchsetzungsfähige Führungsstruktur verfügen, die ihre “Truppen” unter Kontrolle hat. Ausnahme ist natürlich der IS, der nicht dazugehört und wohl auch zurzeit den Taliban selbst erhebliche Schwierigkeiten bereitet, insbesondere was mögliches “State Building” anbelangt. Dementsprechend ist es aus deutscher Sicht notwendig, dass die Bundeswehr rechtzeitig vor den Amerikanern – spätestens jedoch bis zum 30. April
Eigentlich gilt für NATO-Missionen der Grundsatz “Die USA als erste rein und als letzte raus”. In Afghanistan könnte diese Norm durchbrochen werden. Foto: BS/Bundeswehr, Lars Koch
2021 – aus Afghanistan heraus ist. Allerdings: Die USA können ihre Feldlager innerhalb weniger Tage bis Wochen räumen und werden dies auch durchführen, sobald sie die politische Order dazu erhalten. Die Bundeswehr braucht für den Abzug hingegen sechs Monate. Dies hat mehrere Gründe, unter anderem, dass die Bundeswehr ihre Feldlager “sauberer” und für die Afghanen nutzbar übergibt oder sie
komplett zurückbaut: so werden zum Beispiel sämtliche Munitionsreste entfernt oder die Energieversorgung auf ein wartbares Niveau umgerüstet. Rechnet man allerdings vom 30. April 2021 zurück, dann hätte der deutsche Abzug schon Ende Oktober beginnen müssen. Aktuell befinden sich noch 4.500 amerikanische Soldaten in Afghanistan. Die große Sorge bei der Bundeswehr ist nun,
dass die USA noch vor Weihnachten entweder eine weitere große Reduzierung, etwa auf 2.500 Soldaten, vornehmen oder sogar vollständig abrücken. Wobei bisher noch keine Hinweise auf einen Abzug vor Weihnachten vorliegen – dies kann sich aber nach der Wahl durchaus ändern. Sicher ist nur: Wenn die USA in zwei Wochen abziehen wollen, dann ziehen sie auch in zwei
Kommentar
Reiz und Risiko – Homeoffice (BS) Mit der Pandemie kam das sog. Homeoffice in die Fläche. Bei genauerer Betrachtung ist es allerdings nur ein Behelf, um Kontakte am Arbeitsplatz und damit die Ansteckung im ÖPNV zu vermeiden. Die reine Arbeitsplatzverlegung vom Büro in die Küche oder ins Wohnzimmer kann jedoch nicht die Lösung sein. Eine neue Arbeitsorganisation muss nicht nur geplant und akzeptiert werden, sondern ist eigentlich Voraussetzung – mobiles Arbeiten ist erforderlich. Ansprüche der Arbeitgeber bestehen weiter: Erreichbarkeit sicherstellen, Einhaltung von Terminen und Arbeitsergebnissen. Demgegenüber wollen die Mitarbeitenden nicht ständig im Homeoffice erreichbar sein müssen und auch nicht im Detail kontrolliert werden. Hier gibt es eindeutig eine Unsicherheit, wie zu verfahren ist. Zumal im Homeoffice ohne jegliche Konvention gearbeitet wird, die Arbeitsstättenverordnung gilt in den eigenen vier Wänden nur theoretisch. Außerdem sind Führungskräfte des Öffentlichen Dienstes unerfahren, wie sie ihre Abteilungen führen sollen, die sich zu großen Teilen im Homeoffice befinden. Dazu braucht es eine andere Kommunikations- und Verantwortungskultur. Hierarchische
Strukturen und Mitzeichnungsverfahren degenerieren in einer Homeoffice-Arbeitswelt. Es stellt sich aber noch eine weiter reichende Frage. Auch ohne die Anwesenheit Zigtausender im Büro läuft alles weiter. Das böse Wort der “Wasserköpfe” macht die Runde. Sind sie überhaupt notwendig, um den Behörden- oder Unternehmenszweck zu erfüllen? Nach Corona wird diese Frage virulent. Das zeigen die Beispiele Post oder Telekom. Dort befinden sich Tausende von Mitarbeitenden im Homeoffice. Dennoch wird telefoniert und es werden E-Mails verschickt. Dennoch werden Briefe zugestellt und vor allem Päckchen. Die Telekom hat bereits 70.000 m2 gemietete Fläche gekündigt und will dies im großen Stil noch
weiterbetreiben. Der operative Betrieb wird aber nicht nur bei Post und Telekom, sondern auch bei Feuerwehr, Polizei, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Organisationen weiterhin aufrechterhalten. Diese Erkenntnis könnte verheerende Folgen haben, den Öffentlichen Dienst eingeschlossen. Wer ist wirklich wichtig für das Behörden- oder Unternehmensziel? Ganz offenkundig lehrt uns gerade Corona, dass es die systemrelevanten Kräfte vor Ort sind, nicht die “Wasserköpfe”. Also Vorsicht vor der Begeisterung über Homeoffice (siehe hierzu Seite 29). Es könnte für den Einzelnen der Einstieg in den Ausstieg werden, spätestens wenn die Krise im Arbeitsmarkt ankommt. Uwe Proll
Corona-Surfing
Wochen ab. Selbst ohne Räumarbeiten und gesetzlich vorgeschriebenen Rückbau könnte die Bundeswehr ein solches Tempo nicht mithalten. Dementsprechend sind auch die Aussagen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim NATO-Gipfel Ende Oktober zu verstehen, als sie betonte: “Ich erwarte weiterhin, dass die Partner gemeinsam das Land verlassen und man sich dazu untereinander abstimmt.” Es gelte weiterhin der Grundsatz: “Gemeinsam rein, gemeinsam raus.” Im Grunde gilt allerdings für nahezu alle NATO-Missionen der Grundsatz “Die USA als erste rein und als letzte raus”. Damit dies gelingt, müssen nun die politischen Rahmenbedingungen geschaffen und ein Abzugsplan für die Bundeswehr genehmigt werden, mit dem die Kräfte tatsächlich rechtzeitig und würdevoll zurück nach Deutschland verlegen können. Und dieses innerhalb der im NATO-Rat genehmigten und im Militärausschuss abgestimmten “Exit Strategy” der Operation “Resolute Support”, die durchführbar und sicher sein muss. Die zivilen Kräfte haben Afghanistan schon vor Jahren verlassen. Nun folgt konsequenterweise das Militär. Hoffentlich unter dem Schutzschirm der amerikanischen Luft- und Spezialkräfte.