Behörden Spiegel November 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. XI / 36. Jg / 45. Woche

Berlin und Bonn / November 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

OZG beflügelt

Einiges Europa

Fragiles Gleichgewicht aus Leben und Tod

Randolf Stich zur Umsetzung in Rheinland-Pfalz ���� Seite 10

Tomás̆ Petr̆ íc˘ek und Lubomír Metnar zur EU-Verteidigungspolitik ������������� Seite 55

Stefan Lott ist Revierförster für Bäume – und Gräber ������� Seite 56

Kaum Spielraum für US-Anbieter (BS/stb) Die Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder lassen wenig Spielraum für die Verwendung von Videokonferenzsystemen US-amerikanischer Anbieter. Auftraggeber müssten vor der Nutzung die Anbieter sorgfältig prüfen und zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um ein gleichwertiges Schutzniveau wie innerhalb der EU sicherzustellen. Konkrete Aussagen zu ausreichenden Schutzvorkehrungen bedürften noch weiterer Analysen, heißt es in einer aktuellen Handreichung der Datenschutzkonferenz (DSK). Auftraggeber können sich nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht mehr wie bisher auf das Privacy-ShieldAbkommen als Garant für Datenschutzkonformität der USAnbieter berufen. Informationen zum Umgang mit Datenschutzanforderungen bei Online-Veranstaltungen des Behörden Spiegel auf Seite 2.

Extremismusbeauftragte vorgestellt (BS/bk) Kriminaloberrätin Svea Knöpnadel wurde als Extremismusbeauftragte der Berliner Polizei vorgestellt. Sie soll die Zusammenarbeit mit Netzwerkpartnern ausbauen, die Aus- und Fortbildung intensivieren sowie die Sensibilisierung aller Kräfte innerhalb der Polizei Berlins vorantreiben. Die Extremismusbeauftragte wird neben dem Antisemitismusbeauftragten und den Ansprechpersonen für LSBTI und interkulturelle Aufgaben als fester Bestandteil bei der Zentralstelle für Prävention des Landeskriminalamtes (LKA) angesiedelt. Hintergrund der Einrichtung der Beauftragten ist das von der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport erstellte Konzept zur Extremismusbekämpfung und der polizeiinternen Vorbeugung.

Arbeitszeit: Ost-WestAngleichung (BS/jf) Die regelmäßige Arbeitszeit im Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) zwischen Ost und West wird angeglichen. In den Kommunen Brandenburgs, MecklenburgVorpommerns, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens beträgt sie ab dem 1. Januar 2022 durchschnittlich 39,5 Stunden und ein Jahr später 39 Stunden pro Woche. Für Krankenhäuser gilt eine Sonderregelung. Hier sinkt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 39,5 Stunden zeitverzögert erst zum 1. Januar 2023. In den zwei Folgejahren 2024 und 2025 wird sie um eine weitere halbe Stunde reduziert. Darauf einigten sich die Tarifparteien in den diesjährigen Verhandlungen (mehr dazu auf Seite 3).

Abzug aus Afghanistan Wie lange bleibt der Schutzschirm der US-Streitkräfte? (BS/df) Mit dem Abkommen, das die USA im Februar dieses Jahres mit den Taliban schlossen, stand das Abzugsdatum fest: Bis zum 30. April 2021 werden die US-Streitkräfte Afghanistan verlassen haben. Nun sind Zeitangaben mit “bis zum” aus planerischer Sicht eher ungenügend, da sie eine doch sehr große Grauzone besitzen. Schließlich könnte es auch den Abzug aller amerikanischen Truppen vor Weihnachten beinhalten, was wiederum aus deutscher Sicht wenig wünschenswert wäre. Seit die Taliban ihr festes Abzugsdatum erhalten haben, ist Ruhe in Afghanistan. Einige wenige Anschläge lassen sich noch dem IS oder anderen Terrororganisationen zuordnen, die Taliban halten den Frieden. Zumindest für ausländische Truppen. Unter einer deutlichen Verstärkung der Angriffe mit entsprechend steigenden Opferzahlen leiden hingegen die afghanischen Sicherheitsorgane, allen voran die Polizei und das Militär. Das für Afghanistan zugebilligte Kontingent der Bundeswehr wird den afghanischen Sicherheitskräften allerdings kaum helfen können. Es ist zudem stark zu bezweifeln, dass die Bundeswehr sich selbst helfen könnte, um nach einem Abzug der USA die Stellung zu halten. Angesichts der aktuellen Ruhe seit dem Friedensabkommen ist davon auszugehen, dass die Taliban über eine funktionierende und durchsetzungsfähige Führungsstruktur verfügen, die ihre “Truppen” unter Kontrolle hat. Ausnahme ist natürlich der IS, der nicht dazugehört und wohl auch zurzeit den Taliban selbst erhebliche Schwierigkeiten bereitet, insbesondere was mögliches “State Building” anbelangt. Dementsprechend ist es aus deutscher Sicht notwendig, dass die Bundeswehr rechtzeitig vor den Amerikanern – spätestens jedoch bis zum 30. April

Eigentlich gilt für NATO-Missionen der Grundsatz “Die USA als erste rein und als letzte raus”. In Afghanistan könnte diese Norm durchbrochen werden. Foto: BS/Bundeswehr, Lars Koch

2021 – aus Afghanistan heraus ist. Allerdings: Die USA können ihre Feldlager innerhalb weniger Tage bis Wochen räumen und werden dies auch durchführen, sobald sie die politische Order dazu erhalten. Die Bundeswehr braucht für den Abzug hingegen sechs Monate. Dies hat mehrere Gründe, unter anderem, dass die Bundeswehr ihre Feldlager “sauberer” und für die Afghanen nutzbar übergibt oder sie

komplett zurückbaut: so werden zum Beispiel sämtliche Munitionsreste entfernt oder die Energieversorgung auf ein wartbares Niveau umgerüstet. Rechnet man allerdings vom 30. April 2021 zurück, dann hätte der deutsche Abzug schon Ende Oktober beginnen müssen. Aktuell befinden sich noch 4.500 amerikanische Soldaten in Afghanistan. Die große Sorge bei der Bundeswehr ist nun,

dass die USA noch vor Weihnachten entweder eine weitere große Reduzierung, etwa auf 2.500 Soldaten, vornehmen oder sogar vollständig abrücken. Wobei bisher noch keine Hinweise auf einen Abzug vor Weihnachten vorliegen – dies kann sich aber nach der Wahl durchaus ändern. Sicher ist nur: Wenn die USA in zwei Wochen abziehen wollen, dann ziehen sie auch in zwei

Kommentar

Reiz und Risiko – Homeoffice (BS) Mit der Pandemie kam das sog. Homeoffice in die Fläche. Bei genauerer Betrachtung ist es allerdings nur ein Behelf, um Kontakte am Arbeitsplatz und damit die Ansteckung im ÖPNV zu vermeiden. Die reine Arbeitsplatzverlegung vom Büro in die Küche oder ins Wohnzimmer kann jedoch nicht die Lösung sein. Eine neue Arbeitsorganisation muss nicht nur geplant und akzeptiert werden, sondern ist eigentlich Voraussetzung – mobiles Arbeiten ist erforderlich. Ansprüche der Arbeitgeber bestehen weiter: Erreichbarkeit sicherstellen, Einhaltung von Terminen und Arbeitsergebnissen. Demgegenüber wollen die Mitarbeitenden nicht ständig im Homeoffice erreichbar sein müssen und auch nicht im Detail kontrolliert werden. Hier gibt es eindeutig eine Unsicherheit, wie zu verfahren ist. Zumal im Homeoffice ohne jegliche Konvention gearbeitet wird, die Arbeitsstättenverordnung gilt in den eigenen vier Wänden nur theoretisch. Außerdem sind Führungskräfte des Öffentlichen Dienstes unerfahren, wie sie ihre Abteilungen führen sollen, die sich zu großen Teilen im Homeoffice befinden. Dazu braucht es eine andere Kommunikations- und Verantwortungskultur. Hierarchische

Strukturen und Mitzeichnungsverfahren degenerieren in einer Homeoffice-Arbeitswelt. Es stellt sich aber noch eine weiter reichende Frage. Auch ohne die Anwesenheit Zigtausender im Büro läuft alles weiter. Das böse Wort der “Wasserköpfe” macht die Runde. Sind sie überhaupt notwendig, um den Behörden- oder Unternehmenszweck zu erfüllen? Nach Corona wird diese Frage virulent. Das zeigen die Beispiele Post oder Telekom. Dort befinden sich Tausende von Mitarbeitenden im Homeoffice. Dennoch wird telefoniert und es werden E-Mails verschickt. Dennoch werden Briefe zugestellt und vor allem Päckchen. Die Telekom hat bereits 70.000 m2 gemietete Fläche gekündigt und will dies im großen Stil noch

weiterbetreiben. Der operative Betrieb wird aber nicht nur bei Post und Telekom, sondern auch bei Feuerwehr, Polizei, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Organisationen weiterhin aufrechterhalten. Diese Erkenntnis könnte verheerende Folgen haben, den Öffentlichen Dienst eingeschlossen. Wer ist wirklich wichtig für das Behörden- oder Unternehmensziel? Ganz offenkundig lehrt uns gerade Corona, dass es die systemrelevanten Kräfte vor Ort sind, nicht die “Wasserköpfe”. Also Vorsicht vor der Begeisterung über Homeoffice (siehe hierzu Seite 29). Es könnte für den Einzelnen der Einstieg in den Ausstieg werden, spätestens wenn die Krise im Arbeitsmarkt ankommt. Uwe Proll

Corona-Surfing

Wochen ab. Selbst ohne Räumarbeiten und gesetzlich vorgeschriebenen Rückbau könnte die Bundeswehr ein solches Tempo nicht mithalten. Dementsprechend sind auch die Aussagen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim NATO-Gipfel Ende Oktober zu verstehen, als sie betonte: “Ich erwarte weiterhin, dass die Partner gemeinsam das Land verlassen und man sich dazu untereinander abstimmt.” Es gelte weiterhin der Grundsatz: “Gemeinsam rein, gemeinsam raus.” Im Grunde gilt allerdings für nahezu alle NATO-Missionen der Grundsatz “Die USA als erste rein und als letzte raus”. Damit dies gelingt, müssen nun die politischen Rahmenbedingungen geschaffen und ein Abzugsplan für die Bundeswehr genehmigt werden, mit dem die Kräfte tatsächlich rechtzeitig und würdevoll zurück nach Deutschland verlegen können. Und dieses innerhalb der im NATO-Rat genehmigten und im Militärausschuss abgestimmten “Exit Strategy” der Operation “Resolute Support”, die durchführbar und sicher sein muss. Die zivilen Kräfte haben Afghanistan schon vor Jahren verlassen. Nun folgt konsequenterweise das Militär. Hoffentlich unter dem Schutzschirm der amerikanischen Luft- und Spezialkräfte.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / November 2020

Stürmische Zeiten stehen bevor: Die in großen Teilen sowieso schon schwer beanspruchten Finanzetats von Bund, Ländern und Kommunen werden durch die Corona-bedingten Verluste zwangsläufig noch eine ganze Weile auf Sparflamme laufen. Erste Auswirkungen wurden nicht zuletzt im Rahmen der Einigung zum Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst deutlich. Zudem stehen einige Entscheidungen im Bereich von Beschaffung und Vergabe bevor, die ebenfalls weitreichende finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen werden. Foto: BS/i-picture, stock.adobe.com

Finanzen, Beschaffung und Vergabe Komplexer, kluger Kompromiss

Sparzwang in der Pandemie

Zweite Tarifrunde fast überflüssig ............................................................................ Seite 3

Vierte Kommune in Thüringen in Haushaltsnotlage .............................................. Seite 23

Darf der Bund Kommunen unterstützen?

Vertragsunterzeichnung STH noch in diesem Jahr

Ausnahmen vom Direktinvestitionsverbot sind möglich ......................................... Seite 11

Bundeswehr kauft Schweren Transporthubschrauber von der Stange .................. Seite 51

“Wir wollen größtmögliche Flexibilität!”

Das nicht neue Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr

Bernd Düsterdiek über die Ausgestaltung des Vergaberechts .............................. Seite 13

Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe zur G36-Nachfolge ...................................... Seite 55

“2021 wird es für Köln düster werden” Kölns Stadtkämmerin sieht das Schlimmste noch kommen .................................. Seite 17

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Teilnehmerrekord erreicht Über 100.000 User auf Digitaler Staat Online (BS/Dr. Eva-Charlotte Proll/Michael Harbeke) Auf unserer Plattform Digitaler Staat Online haben wir die 100.000-Teilnehmerinnen- und Teilnehmer-Marke geknackt. Die Digitalisierung zieht sich nicht nur Corona-bedingt durch alle Branchen, sondern war längst notwendig und überfällig. Mit dem Digitalen Staat Online nehmen wir nicht nur unsere bisherigen Themen digital auf und übertragen diese virtuell, sondern sorgen auch für Nachhaltigkeit. Außerdem sind wir zu 100 Prozent datenschutzkonform nach der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). 102.318 User schauten sich insgesamt 19.200 Sendeminuten auf www.digitaler-staat.online an. Tendenz steigend! Seit Anfang Juni haben sich über 300 Referentinnen und Referenten und 71 Partner mit ihrer Expertise eingebracht und sind weiterhin maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt. Gerade in der Pandemie ist die Digitalisierung ein Fortschrittsmotor – auch im Öffentlichen Dienst ist dieser Trend zu spüren. Der Digitale Staat Online beleuchtet die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen im Public Sector und hat die innovativen Themen im Blick. Die vielseitigen Inhalte finden sich in modernen Formaten auf unserem virtuellen Stundenplan wieder. Bei unseren Online-Diskussio- Am 10. Juni 2020 startete Digitaler Staat Online mit der Diskussionsrunde “Digitalisierung in und nach der Krise”, an nen kommen Vertreterinnen und der namhafte Expertinnen und Experten wie u. a. Bundes-CIO Dr. Markus Richter und Dr. Annette Schmidt, Präsidentin Vertreter aus Politik, Verwaltung, der Föderalen IT-Kooperation (FITKO), teilnahmen. Screenshot: BS/Harbeke Wirtschaft und Wissenschaft zu verschiedensten Themen der Di- Spiegel werden die multimedialen tise und den Background von stellt. Alle Folgen können über gitalisierung zu Wort. Zuschauer Inhalte gestreamt. Entscheiderinnen und Entschei- die Mediathek abgerufen werden. Über die Digitale Akademie dern aus Politik, Wirtschaft und können sich in unseren interakDie Serie “Der lernende Staat” bieten wir Webinare als Fort- Verwaltung zu aktuellen Themen. deckt auf, wo sich Deutschlands tive Live-Chats einbringen. In Partner-Webinaren diskutie- bildungsveranstaltungen an, Die Video-Serie über das Grü- Verwaltung verbessern muss. ren Expertinnen und Experten für die man sich kostenpflichtig ne Sofa liefert Eindrücke vom Neue Transparenz, neue Stannamhafter Unternehmen und anmelden kann. Kongress Digitaler Staat. Refe- dards und neue Prozesse braucht Dienstleister. Unser Veranstalrentinnen und Referenten geben das Land, um mit den Kriterien tungstool ermöglicht den direkten Mediathek liefert fundierte ihr Statement zur Digitalisierung einer modernen digitalen Behörde Inhalte Austausch mit den Fachleuten. ab und äußern sich zu ihren Schritt zu halten. Und die Teilnahme ist kostenfrei. Unter dem Reiter WebkonferenAber damit nicht genug: Die spannenden Projekten. Alle Videos werden nach ihrem Online-Mediathek bietet weitere Im Podcast “Public Sector In- zen werden Online-VeranstaltunErscheinen in der Online-Media- Formate rund um die Digitalisie- sider Stichwort” werden Digital- gen wie der Münchener Cyber thek veröffentlicht. Auch in den rung des Public Sectors an. So expertinnen und Digitalexperten Dialog oder Neue Mobilität kosSozialen Medien sowie auf dem setzt die Serie “Chefgespräche drei Fragen zu einem aktuellen tenlos gestreamt. Dieser Content YouTube-Kanal des Behörden – das Interview” auf die Exper- Trend aus ihrem Fachgebiet ge- bietet der Community mehrere

Stunden fundiertes Wissen zu gesellschaftsrelevanten Themen. Zudem sind wir zu 100 Prozent datenschutzkonform nach der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). Das unterscheidet uns! Im Gegensatz zu anderen Plattformen setzen wir auf Digitaler Staat Online auf deutsche und einen polnischen Technologieanbieter, die selbst dem Geltungsbereich der EU-DSGVO unterliegen.

Datenschutz wird großgeschrieben Jegliche personenbezogenen Daten werden ausschließlich zweckgebunden für den Zutritt zu den Online-Formaten genutzt. Darüber hinaus werden die Daten in einem angemessenen Zeitraum bei unseren Auftragnehmern gelöscht und es ist ausgeschlossen, dass diese an unbefugte Dritte weitergegeben werden. Mit unserer neuen Videokonferenzlösung kann man nicht nur die Diskussionen verfolgen, sondern sich interaktiv und datenschutzkonform mit Fragen sowie Anmerkungen beteiligen. Wir freuen uns über Ihre aktive Teilnahme!

Einer Teilauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage der Technischen Akademie Wuppertal bei. Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/MdL, Torsten Silz Fotos 2 und 3: BS/Tschechische Botschaft Foto 4: BS/Orth

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITKPolitik, Haushalt), Michael Harbeke (OnlineRedaktion), Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / November 2020

KNAPP

Komplexer, kluger Kompromiss

Gesetz statt Erlass

Zweite Tarifrunde fast überflüssig (BS/Jörn Fieseler) Die Leistungszulage oder -prämie im kommunalen Öffentlichen Dienst kann künftig für alternative Entgeltanreize genutzt werden. Dies ist nur eines von zahlreichen Details des ausgehandelten Tarifvertrages zwischen dem Bund, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und den Gewerkschaften. 4,9 Milliarden Euro kostet der Abschluss. Während die VKA am Ende mehrere ihrer Forderungen durchsetzen konnten, setzten Verdi und der DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB) ein deutliches Signal der Solidarität.

V

ier Tage teilweise bis nach Mitternacht verhandelten die Tarifparteien über einen Abschluss. Doch anders als von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am frühen Abend des zweiten Verhandlungstages verkündet, befand man sich nicht so schnell auf der Zielgeraden. Am dritten Tag lag erst nach 14 Verhandlungsstunden ein Einigungsvorschlag vor, jedoch musste Seehofer diesen noch mit der Bundesregierung abstimmen. Erst am Folgetag konnte der langwierig ausgehandelte Kompromiss geschlossen werden. Dieser sieht ab dem 1. April 2021 eine Erhöhung von 1,4 Prozent, mindestens aber um 50 Euro vor (siehe Tabelle 1). Ab dem 1. April 2022 steigen die Entgelte um weitere 1,8 Prozent. Diese Erhöhungen gelten auch für die tariflichen Zulagen. Auszubildende erhalten in beiden Jahren jeweils 25 Euro mehr. Zudem ist die Übernahmeregelung bis zum 31. Dezember 2021 verlängert worden. Damit liegt der Abschluss deutlich näher am Angebot der Arbeitgeberseite als an den Forderungen der Gewerkschaften. Erstere hatten bei einer 30-monatigen Laufzeit zweimal ein Prozent und einmal 1,5 Prozent angeboten und im ersten Jahr einen Mindestbetrag von 30 Euro. Demgegenüber lautete die Forderung von Verdi und DBB 4,8 Prozent für zwölf Monate. “Das Machbare haben wir erreicht”, bilanzierte deshalb Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, nicht nur gegenüber den eigenen Mitgliedern. Trotzdem sei es ein respektabler Abschluss, der für unterschiedliche Berufsgruppen, die “im Fokus der Tarifrunde standen, maßgeschneidert” sei, sagte Frank Werneke, Bundesvorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi). Mehr noch: Dieser Abschluss ist ein besonderer Ausdruck der

Auswirkung der Mindesterhöhung von 150 Euro Entgeltgruppe

Erfahrungsstufe 1

E 15 Ü

2

3

4

5

6

84,10

93,22

101,60

107,62

108,96

zahlung gestaffelt nach Entgeltgruppen ausgezahlt (siehe Tabelle 2). Für den Nahverkehr und die Wasserwirtschaft muss die Sonderzahlung separat verhandelt werden. Anders bei den Beamten des Bundes. Hier hat Seehofer bereits zwei Tage nach dem Tarifabschluss einen Eilgesetzentwurf vorgelegt. “Wir erleben hier tatsächlich den Gleichklang der Entwicklung im Tarif- und Beamtenbereich”, freut sich Friedhelm Schäfer, Zweiter DBB-Bundesvorsitzender und Fachvorstand Beamtenpolitik. Darüber hinaus wird auch der Tarifvertrag zur Kurzarbeit (TVCovid) um ein weiteres Jahr bis Ende 2021 verlängert. “Damit wird der besonderen Situation der Flughäfen Rechnung getragen”, erklärte Niklas Benrath, Hauptgeschäftsführer der VKA. Aufgrund der finanziellen Not­

2021 beträgt dieser 81,77 Prozent, ein Jahr später nur noch 74,77 Prozent. Im Gegenzug werden den Beschäftigen weitere Urlaubstage als Kompensation gewährt. Beim Arbeitsvorgang konnte hingegen kein Ergebnis erzielt werden, wie es die VKA es gefordert hatte (siehe Behörden Spiegel/ Oktober 2020, Seite 4). Und die alternative Leistungszulage? Die kann in einen Zuschuss für Fitnessstudiobesuche, ÖPNV-Tickets oder für Kitabeiträge umgewandelt werden. Auch Wertgutscheine können ausgestellt werden, voraus­gesetzt es besteht eine einvernehmliche Dienstvereinbarung in den Städten und Gemeinden. Gesamt betrachtet hätten die Verhandlungen auch anders laufen können. Die zweite Runde ist rückblickend kaum nötig gewesen, was die Kürze dieser Runde belegt.

E 15

68,04

72,67

77,83

84,88

92,13

96,89

E 14

61,61

65,80

71,28

77,35

84,12

88,97

E 13

56,79

61,38

66,61

72,29

78,97

82,59

E 12

50,90

56,18

62,36

69,21

77,25

81,06

E 11

49,11

53,99

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63,51

70,29

74,10

E 10

47,33

51,17

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60,20

65,42

67,14

E 9c

45,93

49,37

53,07

57,05

61,33

64,40

E 9b

43,05

46,27

48,30

54,24

57,74

61,80

E 9a

41,51

44,29

47,00

52,98

54,32

57,75

E 8

39,32

42,00

43,85

45,70

47,68

48,64

E 7

36,90

39,98

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43,67

45,41

46,35

E 6

36,20

38,74

40,52

42,28

44,01

44,89

E 5

34,73

37,19

38,85

40,61

42,25

43,09

E 4

33,08

35,57

37,66

38,96

40,26

41,02

E 3

32,56

35,24

35,89

37,38

38,50

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E2Ü

30,40

33,52

34,63

36,13

37,15

38,65

600 Euro

1 bis 8

5 bis 8

2 bis 8b

E 2

30,14

32,84

33,50

34,44

36,50

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400 Euro

9a bis 12

9 bis 16

9 bis 18

27,02

27,48

28,05

28,58

29,96

300 Euro

13-15

E 1

Blau markiert die Entgeltgruppen und -stufen, die von der Mindesterhöhung profitieren. Grafiken: BS/Hoffmann, Quelle: eigene Berechnungen auf der Grundl. der Entgelttabelle TVöD VKA

Solidarität bei den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes. Viele Bereiche haben auf ein höheres Ergebnis verzichtet, damit von der Corona-Pandemie besonders betroffene Berufsgruppen, wie der Krankenhaus- und Pflegebereich, berücksichtigt werden konnten. Für Letzteren gibt es eine monatliche Pflegezulage in Höhe von 70 Euro ab dem 1. Januar 2021. Ein Jahr später wird sie um 50 Euro auf insgesamt 120 Euro pro Monat erhöht. Zudem wird im Kran-

kenhausbereich die monatliche Intensivzulage zum 1. März 2021 auf 100 Euro mehr als verdoppelt. “Ich bin froh, dass wir für diese Beschäftigtengruppen weitreichende Verbesserungen erzielen konnten”, sagte VKA-Präsident Ulrich Mädge.

Neue Corona-Sonderzahlung Im Gegenzug konnten die Gewerkschaften bei der Corona-Sonderzahlung punkten. Ursprünglich hatten die Arbeitgeber 300 Euro angeboten. Jetzt wird die Sonder-

Corona-Sonderzahlungen Höhe der ­ onderzahlung S

TVöD-Entgeltgruppe (EG)

P-Engeltgruppe (Pflegebereich)

S-Entgeltgruppe (Sozial- & ­Erziehungsdienst)

Quelle: Tarifvertrag Corona-Sonderzahlung 2020

lage werden die Flughäfen zudem von der Einkommensentwicklung ausgenommen. Dafür soll ein eigenständiger Notlagentarifvertrag geschlossen werden.

Absenkung bei Sparkassen Zwar profitieren auch die Beschäftigten der Sparkassen von der linearen Erhöhung. Allerdings zeitverzögert um drei Monate und im zweiten Jahr nur in Höhe von einem Prozent. Außerdem sinkt der garantierte Teil der Sparkassensonderzahlung. Zum 1. Januar

Wahrscheinlich hätte man sogar ganz auf sie verzichten können. Ebenso auf die Warnstreiks und Kundgebungen der Gewerkschaften. Dass diese zu erfolgreicheren Verhandlungen auf Gewerkschaftsseite beigetragen haben, ist in diesem Jahr zu bezweifeln. Dennoch: In Zeiten, in denen Gastronomie- und Tourismusbetriebe um die Existenz kämpfen und sogar Hausverbote für Regierungsmitglieder aussprechen, ist es ein maßvoller Abschluss, der genau in die Zeit passt.

(BS/jf) Regelungen zum zulässigen Ausmaß von Tätowierungen bei Beamtinnen und Beamten benötigen eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung – so sieht es das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 17. November 2017). Die bisherige Praxis, das Vorschreiben des Erscheinungsbilds der Beamten per Verwaltungsvorschrift oder Runderlass, erfüllt diese Anforderung nicht. Das Bundesinnenministerium hat nun mit einem Gesetzentwurf zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten reagiert. Zugleich sollen weitere dienstrechtliche Vorschriften geändert werden. So soll für Beamte, die freiwillig vorzeitig aus dem Bundesdienst ausscheiden, gegenüber den vormaligen Dienstherren ein Anspruch auf Gewährung von Altersgeld unter nunmehr erleichterten Bedingungen gewährt werden. Außerdem sollen bei Dienstreisen künftig die Aspekte Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Diese Änderung dient der Umsetzung des Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung und soll zur Reduzierung von Emissionen beitragen.

Großbaustelle ­Personalausstattung

(BS/jf) “Das Leitbild des schlanken Staates hat sich in dieser Krise blamiert”, sagte Elke Hannack, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), anlässlich der Präsentation des Personalreports 2020. Ein zentrales Ergebnis des Reports: Die Personalausstattung sei weiterhin auf Kante genäht, bindende Bedarfsanalysen würden fehlen. Von einer Trendwende könne keine Rede sein. Hannack fordert deshalb eine Neujustierung staatlicher Aufgaben, bei der insbesondere die Personalplanung thematisiert werden müsse. Außerdem müsse die “skandalöse Befristungspraxis” beendet werden. Laut Report waren 2019 genau 444.445 Menschen befristet beschäftigt. Das entspreche einer Quote von 14,8 Prozent.

Zukunft Dienstrecht

Arbeits-, tarif- und beamtenrechtliche Entwicklungen 17.–18. November 2020

§

WEBKONFERENZ

Mit Beiträgen u. a. von:

Prof. Dr. Svenja Karb, Fachbereich Bundeswehrverwaltung und Arbeitsrecht, Hochschule für öffentliche Verwaltung Mannheim Aktuelles Urlaubsrecht und die Auswirkungen auf den TVÖD/TV-L

Karin Spelge, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht (6. Senat) Aktuelle Rechtsprechung des 6. Senats

Dr. Stefan Brink, Datenschutzbeauftragter des Landes Baden-Württemberg DSGVO und der Schutz von Beschäftigten – eine Zwischenbilanz Foto: LfDI, Kristina Schäfer, Fotografie Mainz

Weitere Informationen zur Tagung „Zukunft Dienstrecht“ sowie das Anmeldeformular finden Sie unter: www.zukunft-dienstrecht.de

Eine Veranstaltung des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

Seite 4

Bad Leadership (K)ein Thema in der öffentlichen Verwaltung? (BS/Prof. Dr. Jürgen Weibler) Die öffentliche Verwaltung hat eine Führungstradition, die über die von Unternehmen weit hinausreicht. Dennoch ist sie kein Vorreiter hinsichtlich einer zeitgemäßen Führung. Und leider gibt es auch hier Verwerfungen, die Thomas Kuhn und ich in unserem Buch “Bad Leadership” eingehend beschrieben haben. Es geht da um eine Art der Führung, die aus moralischen Gründen heraus als “schlecht” zu bewerten ist, gleichsam Attribute wie unethisch, ungerecht, destruktiv, ausbeuterisch und Ähnliches mehr verdient. Bad Leadership ist damit etwas deutlich Negativeres als eine eben “nur” ineffektive Führung, die vielfach alleiniger Gegenstand beklagenswerter Zustände ist. zumindest Mitverantwortliche, im Rahmen eines Bad Leadership.

NARZISSMUS

Welche Konsequenzen sind zu ziehen?

Prinzipiell ist einer der drei ein Bad Leadership begünstigenden Faktoren, die Situation, in der öffentlichen Verwaltung weniger brisant. Dies liegt daran, dass manches, was den Öffentlichen Dienst ausmacht – und was zuantiosozialer Kern weilen sicher auch mit guten niedrige Gründen kritisiert wird –, hier Verträglichkeit als eine Art “Schutzmechanismus” gegenüber dem Bad Leadership MACHIAVELLISMUS PSYCHOPATHIE wirkt: So gilt das Leistungsprinzip manupulatives Empathielosigkeit Ausnutzen nur beschränkt, finden leistungsorientierte Anreizsysteme entsprechend nur begrenzte Anwendung und sind psychischer Druck und Stress als häufige Ursache de­ struk­tiver Verhaltensweisen wohl Die “Dunkle Triade” der Persönlichkeit und ihre prototypischen Kerne (nach weniger strukturell vorbestimmt Externbrink/Keil, 2018) Darstellung: BS/Weibler als in vielen Kapitalgesellschaften, in denen Quartalszahlen häufig Sinnvollerweise können zwei be- sich subtiler Methoden der Ma- über das Wohl und Wehe von deutsame Spielarten eines Bad nipulation und Indoktrination Führenden entscheiden. Sicher, der politische Druck, Leadership unterschieden wer- bedienen und die Geführten so durch die mediale Schnell­lebigkeit den: Zunächst jene, die assoziativ bewusst “verführen”. vehement in die Spitzenverwalvermutlich am häufigsten hiermit verbunden wird: Vorgesetzte, die Wie ist das Problem zu tung hineingetragen, wirkt hier erklären? sich gegenüber einzelnen oder gegenläufig. Jenseits dieser situaauch mehreren Mitarbeitern in Bad Leadership verweist unmit- tiven Komponente ist mit Blick auf einer feindselig-aggressiven Wei- telbar auf die sogenannten Bad die individuellen Bestimmungsse verhalten – und zwar nicht nur Leader. Überaus populär ist in größen von schlechter Führung an schlechten Tagen, sondern in diesem Zusammenhang derzeit allerdings davon auszugehen, regelmäßiger Wiederkehr. Hier die sogenannte “Dunkle Triade” dass weder Führende noch Gesprechen wir von destruktivem führte in der öfFührungsverhalten – was dem fentlichen VerwalProf. Dr. Jürgen Weibler Wohlbefinden, der Zufriedenheit tung per se besser hat einen Lehrstuhl für Beund langfristig häufig auch der gegen ein Bad Leatriebswirtschaftslehre an der Leistung der Mitarbeiter abträgdership gefeit sein FernUniversität Hagen. Seine lich ist. Die zweite Spielart eines sollten als solche gegenwärtigen SchwerpunkBad Leadership bezeichnen wir in anderen Konte sind Leadership und die digitale Transformation von als destruktive Führungsziele, die texten. Konkret Organisationen. Auf der Ingesprochen: Nardann vorliegen, wenn Führung ternetplattform Leadership systematisch Gewinner und Verzisstische, machiInsiders verbindet er die lierer produziert. Sicheres Indiz avellistische oder Führungsforschung mit der hierfür sind die vielfach beklagten gar psychopathiFührungspraxis. Foto: BS/privat sche Persönlich“Spaltungstendenzen”, sei es im keitsmuster werTeam, in der Abteilung oder auch innerhalb der gesamten Beleg- der Persönlichkeit (siehe Abbil- den unter den Führenden in der schaft. Wichtig dabei ist, dass dung), bestehend aus Narzissten, öffentlichen Verwaltung ebenso eine solche “Win-lose”-orientierte Machiavellisten und Psychopa- vorzufinden sein wie die verschieFührung nicht notwendigerweise then, die allesamt erwiesenerma- denen Varianten eines schlechten mit den oben angesprochenen ßen überdurchschnittlich häufig Geführtenverhaltens – seien es feindselig-aggressiven Verhal- in (auch obersten) Führungspo- Ängstlichkeit, Gehorsamsbereittensweisen einhergehen muss – sitionen anzutreffen sind. schaft oder das eigennützige Kalsie kann auf der Verhaltensebene Bad Leadership entsteht aber kül auf einen schnelleren Aufstieg durchaus auch schmeichelnd- auch situationsbedingt, bei- in der Hierarchie. charmant daherkommen und spielsweise wenn eine vormals Deshalb erscheint es auch hier verantwortungsbewusste Füh- notwendig, die Gefahren klar zu rungskraft infolge entgrenzter benennen und für eine ethische materieller Anreizsysteme zu- Führung als legitime Form des nehmend in verantwortungsloser Umgangs miteinander zu werben. Weise zu agieren beginnt. Last Dabei tritt die Integrität als Subut not least gilt es aber immer pertugend in den Vordergrund, auch die verschiedenartigen Bei- die sich nicht zuletzt durch eine träge der Geführten zur Entste- Standhaftigkeit der guten Sache hung und zum Fortbestand einer gegenüber auszeichnet, auch schlechten Führung nicht zu wenn dies unpopulär ist und Kosübersehen. Diese reichen von ten für einen selbst verursachen zu viel Ängstlichkeit oder Ge- würde. Bedenke aber: Man führt horsamsbereitschaft gegenüber ethisch, nicht weil man persönder Führungskraft bis hin zur lich erfolgreich sein will, sondern ebenso glühenden wie kritiklosen weil man gerecht sein will. Und Verehrung des bzw. der Führen- Gerechtigkeit auszuüben und zu den. Die Mitarbeiter sind so ge- wahren, wir erinnern uns, ist ein sehen durchaus nicht nur Opfer, unverrückbarer Daseinszweck sondern auch potenzielle Täter, der öffentlichen Verwaltung. grandioses Selbst

Behörden Spiegel / November 2020

Java ist auch eine Insel!

Als Leiterin der Anwendungsentwicklung sollte ich zumindest wissen, dass Java neben einer Insel auch eine Programmiersprache ist. Die Frage hinter dieser Aussage lautet jedoch – wie viel fachliche Kompetenz braucht es in Führung?

Die Frage der richtigen Flughöhe im Umgang mit fachlichen Themen beschäftigt mich, seitdem ich auf diversen Führungsebenen Erfahrungen mit Mitarbeiter(inne)n gemacht habe. Wieviel fachliche Nähe ist gut – wo braucht es eher Distanz, um ausreichend Raum für persönliche Weiterentwicklung zu geben? Sicherlich gibt es auch hier nicht nur eine richtige Antwort. Vielmehr ist es ein permanentes Justieren, um den jeweilig richtigen Abstand zu finden. Mein eigenes Kompetenzfeld ist in vielen Dienstjahren und unterschiedlichen fachlichen Domänen eher breit und nur punktuell tief. Wenn ich mir die Belegschaft meiner Abteilung ansehe, dann ist es dort ähnlich verteilt. Es gibt “Generalisten” und Spezialisten; es gibt Be-

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom.

Foto BS/privat

rufsanfänger und “alte Hasen”. Eine gute Mischung insgesamt. Da ich einen regen Kontakt mit vielen Mitarbeitenden pflege, treffe ich immer wieder auf die unterschiedlichsten Erwartungen an mein Verständnis, wenn mir Situationen, Komplikationen oder Lösungen aufgezeigt werden. Manchmal verblüffe ich mit erstaunlich tiefem

Sachverstand, ein anderes Mal “rette” ich mich mit geschickter Fragetechnik und gebe dann jedoch ganz bewusst dediziert zu, dass ich das nicht in der Tiefe durchdringe. Aber mein breites – über viele Dienstjahre erworbenes – Grundverständnis zeigt mir immer wieder, mit wie vielen Analogien selbst komplexeste Zusammenhänge oder technische Fragen vom Grunde her bewertbar sind. Das Entscheidende bleibt für mich: Durch die offene Art zuzugeben, es nicht selbst in der Tiefe durchdringen zu müssen, schaffe ich einen Raum, um so sowohl den Generalisten als auch den Spezialisten Anerkennung für ihr Wissen geben zu können. Eine stabile Plattform für gegenseitigen Respekt kann über alle Ebenen hinweg entstehen.

Prämierung der besten Arbeiten Hochschulen für den Öffentlichen Dienst zeigen wissenschaftliches Potenzial (BS/Prof. Dr. Jürgen Stember*) Die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst (HöD) haben Mitte Oktober an der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben nun schon zum vierten Mal die Prämierung der besten wissenschaftlichen Abschlussarbeiten vorgenommen. Diesmal unter Corona-Bedingungen. Aus 13 Arbeiten, die sich allesamt durch ihre hohe wissenschaftliche Qualität auszeichneten, musste die Jury im laufenden Jahr 2020 auswählen.

Herausragende Lösungen Der dritte Preis ging an Lukas Baumann von der Hochschule Kehl aus dem Bundesland Baden-Württemberg für seine Bachelor-Arbeit “Entwicklung eines “Quick-Checks” des Kehler Management-Systems© am Beispiel der Gemeinde Willstätt und Untersuchung einer Erweiterung des Systems um die Außensicht” (Erstprüfer: Prof. Dr. Roland Böhmer). Ziel der Bachelor-Arbeit war es, die Ergänzung des bereits bestehenden Kehler Management-Systems (KMS) um einen sog. “QuickCheck” zu vollziehen, welcher eine kompakte Testversion zur Selbstbewertung für interessierte Gemeinden darstellt. Der zweite Preis wurde an Dennis Raab von der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt für seine BachelorArbeit “Todeszeitbestimmung/ Leichenliegezeit – neue Methoden zur Verbesserung der Todeszeitbestimmung – eine Stichprobenuntersuchung zur

Überprüfung der Anwendbarkeit” verliehen (Erstprüfer: POR Martin Wiechmann, Dozent für Kriminalwissenschaften). Raab hat sich in seiner BachelorArbeit der Beantwortung der Frage gewidmet, ob neue wissenschaftliche Möglichkeiten bei der genaueren Bestimmung des postmortalen Intervalls hilfreich sein können. Der erste Preis letztlich ging an Robin Radom von der Hochschule Harz in Sachsen-Anhalt für seine Master-Arbeit “Netzwerke der Arbeitsmarktintegration in einem integrierten Flüchtlingsmanagement. Herausforderungen und Lösungsansätze in Sachsen-Anhalt im Kontext aktueller rechtlicher und konzeptioneller Entwicklungen” (Erstprüferin: Prof. Dr. Birgit Apfelbaum). Das Ziel dieser Arbeit war es, aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze, insbesondere im Kontext aktueller konzeptioneller und rechtlicher Entwicklungen, der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Sachsen-Anhalt zu identifizieren.

Selbstbewusster Auftritt Zu den ersten Gratulanten gehörten der Parlamentarische Staatssekretär im Bun-

desinnenministeriums Stephan Mayer, der vor allem die Vielfalt und die Leistungsfähigkeit aller Absolventen der HöD hervorhob (per Videobotschaft), Dr. Beate Bettecken, Abteilungsleiterin im Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, und Friedhelm Schäfer, zweiter Vorstand des DBB Beamtenbunds und Tarif­ union, der die Preisgelder zur Verfügung stellte. Er nutzte die Gelegenheit, um die Hochschulen für den Öffentlichen Dienst zu einem offensiveren, selbstbewussteren und aktiven Auftreten zu ermuntern. Außerdem gratulierte auch der Rektor der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt, Frank Knöppler, als Gastgeber der Herbstkonferenz der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst. Die besten Arbeiten werden in einer Publikation des NomosVerlages erscheinen, die durch die BBBank in Karlsruhe gesponsert wird und in der alle eingereichten Arbeiten jedes Jahres in zusammengefasster Form publiziert werden. *Prof. Dr. Jürgen Stember ist Präsident der Rektorenkonferenz der Hochschulen für den Öffentlichen Dienst.

Die prämierten Absolventen der HöD vor der Mensa der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt mit den ersten Gratulanten (v.l.n.r.): Prof. Dr. Stember, Robin Radom (Platz 1; HS Harz), Dennis Raab (Platz 2; FH Polizei SachsenAnhalt), Lukas Baumann (Platz 3; HS Kehl), Friedhelm Schäfer (Zweiter Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion) und Michael Lutz (BBBank). Foto: BS/RKHöD


Behörden Spiegel / November 2020

R

und 20.000 Volljuristinnen und Volljuristen haben mittlerweile von dieser Möglichkeit der Zulassung Gebrauch gemacht, die meisten in Unternehmen, aber viele auch in Verbänden und Vereinen. Als das Gesetz am 01.01.2016 in Kraft trat, überlegten Juristen, die im Öffentlichen Dienst tätig waren oder in den Öffentlichen Dienst wechseln wollten, ob für sie eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt in Betracht kommen könnte. Bisher war die Zulassung als niedergelassener Rechtsanwalt im Öffentlichen Dienst kaum möglich. Für Beamte ist dies gesetzlich ausgeschlossen. Für Angestellte im klassischen Öffentlichen Dienst haben dies die Anwaltsgerichtshöfe und der Anwaltssenat beim Bundesgerichtshof fast immer abgelehnt, weil der niedergelassene Rechtsanwalt eine Staatsferne einzuhalten habe und der Bürger sich von einem Rechtsanwalt, der auch im Öffentlichen Dienst tätig sei, besondere Einflussmöglichkeiten erhoffen könne, was mit einem freien Beruf nicht zu vereinbaren sei.

Sechs Voraussetzungen Doch bei dem Syndikusrechtsanwalt ist die Rechtslage eine andere: Er hat nur einen Mandanten, nämlich seinen Arbeitgeber. Diesen darf er wie ein Rechtsanwalt vertreten und ist damit Verfahrens- und Prozessbevollmächtigter. Einzige Ausnahme: Wenn eine anwaltliche Vertretung etwa beim Landgericht oder höheren Instanzen notwendig ist, darf der Syndikus nicht auftreten. In der Praxis sind Syndikusrechtsanwälte etwa in Rechtsabteilungen tätig, beraten und vertreten im Arbeits- und Sozialrecht oder im öffentlichen Recht.

BGH: Zulassung bei Rechtsberatung, keine Zulassung bei jeder hoheitlichen Tätigkeit

Sechs Voraussetzungen sind für eine Zulassung, die durch eine der regionalen Rechtsanwaltskammern ausgesprochen wird, erforderlich: Es muss die fachliche Unabhängigkeit (also in rechtlichen Angelegenheiten) arbeitsvertraglich gesichert sein, die anwaltliche Tätigkeit muss insgesamt die Arbeit prägen (der BGH verlangt mindestens 65 Prozent) und der Antragsteller muss Rechtsfragen prüfen, Rechtsrat erteilen, rechtsgestaltend und verhandlungsführend gestalten sowie verantwortlich nach außen auftreten können. Warum sollten diese Voraussetzungen nicht auch bei Angestellten im Öffentlichen Dienst zu erfüllen sein, fragten sich gerade Rechtsanwälte aus Kanzleien und Unternehmen, die ein Vertragsangebot aus dem Öffentlichen Dienst erhielten.

Unterschiedliche Sichtweisen Daher stellten viele von ihnen entsprechende Zulassungsanträge bei der für sie zuständigen Rechtsanwaltskammer. Und die meisten der 27 regionalen Kammern prüften offen die Voraussetzungen und kamen zu dem Ergebnis, dass eine Zulassung möglich ist, wenn der Antragsteller selber keine hoheitliche Tätigkeit ausübt. Sie ließen dabei z. B. Arbeitsrechtler in Universitätsklinken, Juristen in Industrie- und Handelskammern und

(BS/jf) Die Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) fordert den Berliner Senat auf, die sogenannte Hauptstadtzulage nicht länger zu zahlen. Andernfalls muss Berlin die Arbeitgebervereinigung der Bundesländer verlassen.

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desrichter. Mit zwei einschränkenden Urteilen scheint jetzt die Rechtsprechung des BGH abgeschlossen zu sein.

Rechtslage geklärt

(BS/Martin W. Huff) Seit fünf Jahren gibt es für Unternehmensjuristen die Möglichkeit, sich als sogenannte Syndikusrechtsanwälte (§ 46 Absatz Jede noch so geringe hoheitliche 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung) zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. Verbunden ist damit sowohl eine fachliche Unabhängigkeit gegenüber Tätigkeit, auch wenn sie selten dem Arbeitgeber als auch die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten des anwaltlichen Ver- vorkommt und nicht prägend ist, sorgungswerks. führt dazu, dass keine Zulas-

TdL beschließt harte Sanktion

Verwarnt: Aufgrund der beschlossenen Hauptstadtzulage hat die TdL gegen das Land Berlin die gelbe Karte gezückt. Bis Oktober 2025 hat das Land nun Zeit, die Zahlung einzustellen. Sonst droht die rote Karte und der Rauswurf aus der Gemeinschaft.

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Syndikusrechtsanwälte in der Verwaltung

Gelbe Karte für Berlin

Der Beschluss der TdL ist eindeutig. Entweder fällt die Hauptstadtzulage für die Tarifbeschäftigten oder die Mitgliedschaft in der TdL endet. Bis 31. Oktober 2025 hat der Berliner Senat nun Zeit, sich für eine der beiden Optionen zu entscheiden. Bis dahin wird der Rauswurf aus der Arbeitgebergemeinschaft ausgesetzt. “Berlin konnte die Aussetzung des Beschlusses nur dadurch erreichen, dass es für die Dauer der Zahlung der Hauptstadtzulage auf sein Stimmrecht in der TdL verzichtet”, erklärte der Vorstandsvorsitzende der TdL, Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU). Mit dem Beschluss hätten die Länder Berlin die gelbe Karte gezeigt. Sollte die Zulage über die nächsten fünf Jahre hinaus gezahlt werden,

Aktuelles Öffentlicher Dienst

folge unweigerlich und automatisch Gelb/Rot und damit der Ausschluss. Als erste Reaktion legte Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz (SPD) sein Amt als erster stellvertretender Vorsitzender mit sofortiger Wirkung nieder. Sein Nachfolger wird der Senator der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Thomas Dressel (SPD).

Abstrafen ist keine Lösung Hilbers wertet den Beschluss als starkes Signal für den Zusammenhalt der TdL, die nicht bereit sei, Verstöße gegen ihre Satzung ungestraft hinzunehmen. Dagegen kommentiert Volker Geyer, Fachvorstand Tarifpolitik und stellvertretender Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion: “Die TdL hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.” Anstatt die Aufhebung der Hauptstadtzulage zu fordern, solle man lieber überlegen, wie es zu dieser Abweichung gekommen sei und ob sie nicht Ausdruck struktureller Probleme sei. Der Gewerkschafter fordert die TdL auf, den für die Länder gültigen Tarifvertrag (TV-L) gemeinsam mit den Gewerkschaften weiterzuentwickeln und Verbesserungen bei den Entgelten und den Eingruppierungsregelungen zu verhandeln. “Ein neuerlicher Ausschluss Berlins aus der TdL ist unbedingt zu vermeiden”, ergänzt der DBBLandesvorsitzende Frank Becker. Dazu seien jedoch beide Seiten gefragt. Die Probleme Berlins beim Fachkräftemangel hätten andere Länder auch. Abstrafen würde die Probleme nur verdecken, sie jedoch nicht lösen.

füllen, meinte die DRV. Sie machte Rechtsanwalt Martin W. Huff ist Geschäftsführer der in einer Vielzahl Rechtsanwaltskammer Köln von Fällen von und Rechtsanwalt in der ihrem Klagerecht, Kanzlei LLR in Köln. Jahredas ihr die Bunlang war er für die Frankdesrechtsanwaltsfurter Allgemeine Zeitung ordnung verleiht, als Redakteur sowie als Gebrauch. Chefredakteur der Neuen Doch zur ÜberraJuristischen Wochenschrift schung vieler satätig und sammelte Erfahrungen als Ministerialrat hen die Anwaltsund Pressesprecher im Hessischen Justizministerium. gerichtshöfe und der BundesgeFoto: BS/privat richtshof dies im viele andere Syndikusrechtsan- Grundsatz wie die Antragsteller wälte zu. und die Rechtsanwaltskammern. Diese Zulassungen waren der Wenn der Syndikusrechtsanwalt, Deutschen Rentenversicherung so der BGH, nur einen MandanBund aber ein Dorn im Auge. Im ten, seinen Arbeitgeber, habe, Öffentlichen Dienst dürften keine bestünden die Bedenken wie bei Rechtsanwälte tätig sein, sie sei- niedergelassenen Rechtsanwälen nie fachlich unabhängig und ten nicht, denn sie dürften ja würden die Merkmale nicht er- nicht andere Mandanten als ih-

ren Arbeitgeber vertreten. Daher entschied der BGH bereits mit Urteil vom 15.10.2018 (AnwZ [Brfg] 68/17), dass eine nach dem TV-L angestellte Juristin bei einer Kommune, die als Arbeitsrechtlerin für Tarifangestellte zuständig war, zu Recht als Syndikusrechtsanwältin zugelassen worden war. Auch die Tätigkeit in einer Stabsstelle des Landratsamts sei, so der BGH, eine Syndikustätigkeit, da keinerlei hoheitliche Tätigkeit ausgeübt werde (Urt.v. 06.05.2019 – AnwZ [Brfg] 31/17). Er bestätigte dies noch einmal mit Urteil vom 30.09.2019 (AnwZ [Brfg] 38/18) für eine Juristin, der bei einer Krankenkasse unter anderem für die Prozessführung zuständig war. Alleine die Vertretung vor den Gerichten sei keine hoheitliche Tätigkeit meinten die Bun-

sung erteilt werden kann (Urt. v. 22.06.2020 – AnwZ [Brfg] 81/18. Als hoheitliche Tätigkeit sieht es der BGH aber auch an, wer zwar nicht selber hoheitlich tätig ist, aber hoheitlich tätige Mitarbeiter hat und diesen Weisungen erteilen kann (BGH, Urt. v. 03.02.2020 – AnwZ [Brfg] 36/18). Damit gilt für angestellte Juristen im Öffentlichen Dienst folgende Checkliste: Eine Zulassung ist möglich, wenn die sechs zuvor beschriebenen Merkmale erfüllt sind und keinerlei hoheitliche Tätigkeit selber und auch nicht von Mitarbeitern ausgeübt wird. Für den Öffentlichen Dienst und die potenziellen Mitarbeiter ist die Syndikuszulassung damit durchaus attraktiv, gerade im Wettbewerb um gute Juristen kann dies ein wichtiger Vorteil sein.


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SONDERBEILAGE des Behörden Spiegel

zum 50-jährigen Bestehen des Bundesinstituts für Sportwissenschaft Berlin und Bonn / November 2020

m 10. Oktober 2020 feierte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) seinen 50. Geburtstag. Corona-bedingt mussten wir leider auf eine Präsenzveranstaltung verzichten. Um dennoch das Geleistete zu würdigen und allen Partnern unseren ausdrücklichen Dank für die Zusammenarbeit aussprechen zu können, haben wir die Feierlichkeiten in einen digitalen Rahmen verlegt. Hierzu wurde ein Videoformat unter dem Titel “Sport-Wissen-Schaf(f)t-Erfolg” produziert. Darin wird aus verschiedenen Perspektiven sowohl das bisherige Wirken des BISp beleuchtet als auch der Blick in die Zukunft gerichtet. 50 Jahre sind eine kurze Zeitspanne. Dennoch kann das Bundesinstitut für Sportwissenschaft auf eine bewegte und erfolgreiche Geschichte zurückblicken. Hintergrund für die 1970 erfolgte Errichtung als Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) war die erfolgreiche Bewerbung Deutschlands um die Austragung der Olympischen Spiele 1972 in München und die Erkenntnis, dass es ohne wissenschaftliche Unterstützung deutschen Athletinnen und Athleten nicht mehr länger möglich war, im internationalen Wettbewerb zu konkurrieren. Seine originären Aufgaben vor 50 Jahren, “die wissenschaftliche Zweckforschung auf dem Gebiet des Sports durch Planung, Koordination und Auswertung zu fördern, Konzeptionen für den Bau moderner Sportanlagen zu entwickeln sowie eine bundeszentrale Dokumentation und Information auf dem Gebiet des Sports einzurichten”, finden sich neben vielen neuen Aufgaben auch heute noch im Aufgabenportfolio des BISp wieder.

Das BISp im Jahr 2020 Heute hat das BISp als Ressortforsch un gsein richtung des Bundes die Aufgabe, Forschungsbedarf zu ermitteln und Forschungsvorhaben auf dem Gebiet des Leistungssports zu initiieren, zu fördern, zu koordinieren und die Ergebnisse auszuwerten. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Spitzensport einschließlich Nachwuchsförderung und Talentsuche, Sportstätten, Sportgeräte, Sporttechnologie und Dopingprävention. Daneben werden im BISp Fragestellungen zur Sportentwicklung, die für die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes von Bedeutung sind, bearbeitet. Im Rahmen des Wissensmanagements werden alle für den Leistungssport relevanten Erkenntnisse der Sportwissenschaft nachhaltig dokumentiert und mithilfe geeigneter Transfermaßnahmen für die Zielgruppen bereitgestellt. Darüber hinaus unterstützt das BISp seit 2017 die Potenzialanalyse-Kommission (PotAS) durch das Betreiben derer Geschäftsstelle. Die PotAS-Kommission analysiert die olympischen Spitzenverbände disziplinscharf nach ihren Potenzialen und liefert eine Datengrundlage für die Verteilung der öffentlichen Fördergelder. Das BISp nimmt durch seine Vernetzung in den Bereichen

Sport bewegt Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft feiert sein 50. Jubiläum (BS/Ralph Tiesler) Als Berater und Dienstleister an der Schnittstelle zwischen Sport, Wissenschaft und Politik unterstützt das Bundesinstitut für Sportwissenschaft seit 50 Jahren gemeinsam mit seinen Partnerinnen und Partnern den deutschen Spitzensport. Sport, Wissenschaft und Politik eine einzigartige Rolle ein. Zum einen, indem es Forschungsprojekte in einem Umfang fördern kann, zu dem einzelne Bundesländer oder privatwirtschaftliche Institute nicht in der Lage wären. Und zum anderen, weil es durch seine Vernetzung und Zusammenarbeit mit allen Einrichtungen und Stakeholdern des deutschen Leistungssports im sogenannten Wissenschaftlichen Verbundsystem Leistungssport alle Zielgruppen erreicht.

logie und die Sportinfrastruktur, Online-News und eigene Recherchedienste erweitert. 2014 wurde auch der werktägliche E-MailNewsletter “BISp Online-News: Sport in Politik und Gesellschaft” gestartet. Ein eigener BISp-YouTube-Kanal verstärkt die Internetpräsenz des BISp.

Digitaler Wandel im Sport

Fundiertes Wissen als Weg zum Erfolg In unserem Selbstverständnis sehen wir uns dabei nicht nur als Forschungsförderer und Wissensmanager, sondern auch als Netzwerker, Berater und auch als Visionär. Nur so ist es möglich, die unterschiedlichen Bedarfe unserer Partner in Sport, Wissenschaft und Politik mit fundiertem Wissen möglichst schnell und passgenau zu bedienen und möglichst frühzeitig neue Herausforderungen, aber auch Potenziale im und für den Leistungssport zu erkennen. Wie erfolgreich das BISp dabei ist, möchte ich nur allein für die letzten zehn Jahre an einigen Projekten hervorheben. 2011 wurde das Projekt “Ran Rücken” vom BISp (zusätzlich mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums) gefördert, damit Befunde aus der Spitzensportforschung zum Thema Rückenschmerz und Prävention auch für die gesamtgesellschaftliche Nutzung verfügbar gemacht werden können und umgekehrt. 2012 wurden die Ergebnisse des dreijährigen Forschungsprojekts “Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historischsoziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation” (DiD) präsentiert. Hier hat sich das BISp einer kritischen Betrachtung mit seiner eigenen Rolle und der entsprechenden Aufarbeitung in diesem Zusammenhang ge-

“In unserem Selbstverständnis sehen wir uns dabei nicht nur als Forschungsförderer und Wissensmanager, sondern auch als Netzwerker, Berater und auch als Visionär.” Ralph Tiesler, Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft Foto: BS/BISp

stellt und das Thema auch später durch weitere Forschungen begleitet. Mit dem Anspruch der Förderung eines dopingfreien und humanen Spitzensports liegt heute der Fokus beim BISp bei der Dopingbekämpfung auf der Weiterentwicklung der nationalen Dopingpräventionsarbeit. So wurde neben zahlreichen Forschungsprojekten auch aktuell eine App zur digitalen Athletenbeteiligung in der Dopingprävention in enger Kooperation mit der Nationalen Antidoping Agentur Deutschlands (NADA) veröffentlicht.

Das BISp als Impulsgeber Mit Blick auf sein Selbstverständnis, Impulsgeber und Vorreiter zu sein, startete das BISp 2014 zur Aufklärung und Sensibilisierung zu den bis dahin bagatellisierten Gefahren des leichten Schädelhirntraumas (SHT) wegweisende Maßnahmen und Kampagnen, die bis heute mit seinen Partnern fortgeführt

werden: Diese reichen von der Einrichtung eines Forschungsschwerpunktes zu SHT, eines Themenportals (bisp-sht.de), zahlreichen Handreichungen, Broschüren, Veranstaltungen bis zur Zurverfügungstellung von bislang über 100.000 Pocketcards für die Sportpraxis, die beim Erkennen eines leichten Schädelhirntraumas schon auf dem Spielfeld hilft. Um die Innovationsbereitschaft noch stärker und gezielter zu fördern und Innovationen zu generieren, haben wir gemeinsam mit dem Sport Innovationsnetzwerke zwischen Sport, Wissenschaft und Industrie initiiert. Als zentrale Netzwerkplattform zur Unterstützung der Akteure bei der Entwicklung passgenauer und innovativer Lösungen fungiert hierbei das WISS-Netz (www. wiss-netz.de). Für ein besseres Wissensmanagement wurden die Informationsdienstleistungen wie SURF ausgebaut und um Themenportale für die Sportpsycho-

Zu den aktuellen Herausforderungen gehört vor allem, immer am Puls der Zeit zu bleiben. Die Welt um uns herum verändert sich in atemberaubender Geschwindigkeit und stellt uns auch vor unerwartete Herausforderungen. Dies gilt aktuell für das Thema Corona. Noch in diesem Jahr werden mehrere Forschungsprojekte mit Covid19-bezogenen Fragestellungen im deutschen Sport gefördert. Auch das Thema Digitalisierung ist für den Sport wichtig. Hier wollen wir gerade mit und für alle Akteure im öffentlich geförderten Leistungssport für Training, Gesundheit, Wettkampf oder Verwaltung eine digitale Systemlandschaft schaffen, damit unsere Athletinnen und Athleten und ihre Trainer und Trainerinnen ihre Potenziale voll ausschöpfen können – auch unter Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Besonders am Herzen liegt uns der Behindertensport: Mit zunehmender Professionalisierung des paralympischen Sports hat der Bedarf an wissenschaftlicher Unterstützung sowohl in der Forschung und Entwicklung als auch im Bereich der Service- und Beratungsleistungen in den letzten Jahren rasant zugenommen. Für das BISp ist es ein wichtiges Anliegen, diese Bedarfe stärker zu berücksichtigen. Um die Politik bei der Beurteilung des Finanzierungsbedarfs für die Sanierung der Sportstätten zu unterstützen, entwickeln wir gerade gemeinsam mit der Praxis und der Wissenschaft ein Konzept für einen digitalen Sportstättenatlas. Schließlich haben

Ein Institut für den Sport in ganz Deutschland (BS) Über fünf Dekaden hinweg ist das Bundesinstitut für Sportwissenschaft nun schon für den Sport in Deutschland aktiv. Dabei markiert die Gründung des Instituts am 10. Oktober 1970 lediglich den Schlusspunkt einer weit zurückreichenden Diskussion, die in den 1960er-Jahren ihren Anfang nimmt. Vor dem Hintergrund des Leistungswettstreits zwischen West und Ost entwickelt sich in der damaligen Bundesrepublik die angewandte Sportwissenschaft als wirkmächtige Disziplin. Maßgeblicher Befürworter einer nationalen Sportfördereinrichtung ist der damals neu ernannte Bundesminister des Innern, Hans-Dietrich Genscher, der den Deutschen Bundestag am 27. November 1969 über die Planung eines “Bundesinstituts“ als unselbst ständige Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums (BMI) unter Beteiligung der Länder, des Deutschen Sportbunds (DSB) sowie der kommunalen Spitzenverbände unterrichtet.

Foto: BS/Petersdorff

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Von Genscher stammt auch die Weisung, dass sich das BISp in seiner Funktion als Sportförderorgan des Bundes nicht allein auf den Leistungssport beschränken dürfe, sondern zugleich auch den Breiten- und Freizeitsport miteinschließen müsse.

Mit Blick auf seine Gründung mag das BISp damit zwar ein Kind des Kalten Krieges sein, heute jedoch ist das Institut eine Einrichtungen für Sportlerinnen und Sportler in ganz Deutschland. Dieser Aufgabe kommt das BISp von seinem Hauptsitz in Bonn aus nach.

wir auch das Thema Sportgroßveranstaltungen im Blick. Dabei geht es um die Frage, wie wir in Sport und Politik Grundlagen für gesellschaftliche Akzeptanz von Sportgroßveranstaltungen schaffen können, denn Deutschland hat hier eine große Tradition. Andererseits müssen wir aber auch den veränderten gesellschaftlichen Erwartungen und Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Die letzten beiden Themen sind einige Beispiele für unseren Auftrag, die Politik wissenschaftlich zu beraten.

Sportberatung ist Teamarbeit Das alles “bewegt” ein modernes, innovatives und junges 42-köpfiges Team, dessen Spezialqualifikationen mehrheitlich eng mit dem Themenfeld Sportwissenschaft verknüpft sind. Das führt zu einer ungleich höheren Identifikation mit der täglichen Arbeit und macht den Wechsel zu anderen Einrichtungen unattraktiv. Gleichzeitig ermöglicht dies aber vor allem eine kontinuierliche sportwissenschaftliche Beratung des BMI und der Sportpolitik, insbesondere des Parlaments. Organisatorisch ist das BISp in drei Fachbereiche unterteilt, um die vielfältigen Aufgaben in der Forschung und Entwicklung, im Wissensmanagement und in der Beratung der Sportpolitik, des Sports und der Wissenschaft zu bewältigen. Der Gesamthaushalt des BISp beträgt im Jahr 2020 10,89 Millionen Euro, davon entfallen 6,68 Millionen Euro auf die Forschungsförderung. Insgesamt werden rund 150 Neuanträge pro Jahr über überwiegend universitäre Einrichtungen eingereicht und beim BISp begutachtet und beschieden. Aktuell werden vom BISp 104 sportwissenschaftliche Projekte gefördert.

Sport ist Teil der Gesamtgesellschaft Letztlich ist die Sportwelt nicht isoliert zu betrachten, sondern bewegt sich mitten in der Gesellschaft. Damit sieht sie sich den dortigen Herausforderungen gegenüber. Und so vielfältig wie unsere gesellschaftlichen He­ rausforderungen sind, so ist es auch die Sportwelt. Das, was die Zukunft dabei an wissenschaftlichen und technologischen Möglichkeiten aufzeigt, ist das Versprechen an eine spannende und gleichsam herausfordernde Zeit. Herausfordernd vor allem deshalb, weil sie deutlich macht, dass sich das Spannungsfeld zwischen fast unerschöpflichen Möglichkeiten und Verantwortung bewegt. Denn wir wollen gesunde Sportlerinnen und Sportler, faire Wettkämpfe und nicht zuletzt auch, dass der Sport für Werte einsteht, die diese Gesellschaft zusammenhalten. Dies ist auch der Maßstab für das BISp. Das BISp stellt sich dieser Vielfalt. Modern, innovativ, kreativ und partnerschaftlich. Immer auf der Suche nach der besten Lösung für unsere Athletinnen und Athleten, Trainerinnen und Trainer, aber auch für Verbände und Politik. Für einen erfolgreichen, dopingfreien und humanen Leistungssport in Deutschland.


50 Jahre Bundesinstitut für Sportwissenschaft

Behörden Spiegel / November 2020

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ine Voraussetzung für erfolgreichen Leistungssport ist die qualifizierte Beratung. Das fängt bei einer bedarfsgerechten Sportinfrastruktur an. Fehlen moderne und funktionale Sportstätten, fehlt die Basis, um sich international behaupten zu können. Damit deutsche Athletinnen und Athleten weiter auf höchstem Niveau agieren können, ist es ein zentrales Anliegen des BISp, sicherzustellen, dass Sportanlagen in Deutschland nach neuesten Erkenntnissen konzipiert werden. Eine komplexe Herausforderung, bei der es mehrerlei zu beachten gilt: Denn Planung, Bau und Sanierung von Sportstätten steht nicht nur unter dem Eindruck funktionaler Erfordernisse, sondern muss auch ökologische, ökonomische und soziale Gesichtspunkte berücksichtigen. Dabei nimmt das BISp aktiv an der Normung und Gütesicherung teil und spiegelt die Erkenntnisse aus Sport- und Materialforschung in die jeweils verantwortlichen Ausschüsse. Das BISp befasst sich dabei mit unzähligen Anlagen im Bundesgebiet: von den ersten Schritten der Planung über den Betrieb bis hin zum Rückbau am Ende eines Zyklus. Um diese Infrastruktur zu stärken, bereitet das BISp derzeit ein Projekt zur Erstellung eines digitalen Sportstättenatlas‘ vor, in dem Anzahl und Zustand aller Anlagen notiert sind. Doch ist der Sportstättenbau lediglich ein Beispiel eines viel

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Ein umfassendes Portfolio

samtrechnung mit Sportbezug erlauben, um die Dimensionen der deutschen Sportwirtschaft auf Grundlage valider Daten zu beziffern.

Das BISp an der Schnittstelle zu Politik, Forschung und Sport

Gemeinsam gegen Doping

(BS/Thomas Petersdorff) Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) versteht sich als Wissensmanagementeinrichtung rund um das Thema Sport und gewährleistet den Wissenstransfer für seine Zielgruppen aus Sportwissenschaft, Politik und Sportpraxis. Wissen schaffen, selektieren, In seiner beratenden Funktion dokumentieren, aufbereiten und weitergeben – all das ist Teil eines umfangreichen Aufgabenportfolios, das von einer nachhaltigen und funktionalen arbeitet das BISp nicht nur für die stete Verbesserung der RahSportstättenplanung bis hin zur Dopingprävention reicht. umfassenderen Portfolios. Als Schnittstelle zur Politik nimmt das BISp die zentrale Rolle in der Sportberatung des Bundes ein. Als nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) unterstützt es Entscheidungsträger bei allen Fragestellungen sportpolitischer Natur. Adressaten des BISp sind, neben dem BMI, der Sportausschuss des Deutschen Bundestages sowie weitere sportpolitische Entscheidungsträger. Strategischer Hebel der Beratung sind umfassende Themendossiers, die das BISp in Form einer klassischen Publikation oder im Digitalformat zusammenträgt.

Sport und Recherche im Fokus Heutigentags geht das vor allem digital. Bei seinen Recherchen greift das BISp auf das hauseigene Sportinformationsportal SURF (“Sport Und Recherche im Fokus”) zurück, welches u. a. mit SPOLIT die größte sportwissenschaftliche Literaturdatenbank Europas enthält. SURF bietet

Bei seiner Arbeit für den Sport setzt das BISp auch auf digitale Angebote.

die Möglichkeit, mit nur wenigen Klicks nach Literatur, Forschungsprojekten, audiovisuellen Medien und Internetquellen mit Sportbezug zu suchen. Wie der Sport selbst ist die thematische Bandbreite des Portals vielfältig und reicht von der Sportsoziologie über die Trainingswissenschaft bis hin zur Sportmedizin. Wegen seiner umfassenden und

neutralen Datenlage wird SURF außerhalb der Politik von Hochschulen und anderen Einrichtungen des Sports für Zwecke der Evaluation oder bibliometrische Analysen genutzt.

Einzigartige Datenbasis Mehr als das Informationsangebot von SURF richten sich die “Sportentwicklungsberichte”

Grafik: BS/BISp

(SEB) und das “Sportsatellitenkonto” (SSK) explizit an sportpolitische Entscheidungsträger. Zusammen bilden die beiden Kooperationsprojekte eine europaweit einzigartige Referenzdatenbasis, die Aussagen zu Entwicklungen in der deutschen Sportvereinslandschaft sowie zur Bedeutung einzelner Sektoren der volkswirtschaftlichen Ge-

menbedingungen des Sports. Es sorgt auch dafür, dass die Inte­ grität des sportlichen Wettkampfes gewahrt bleibt. Das berührt nicht zuletzt das Vorgehen gegen leistungssteigernde Pharmazeutika, besser bekannt als Doping. In seinem Kampf gegen den DopingMissbrauch fährt das BISp eine Doppelstrategie, die zum einen auf eine Kooperation mit der Nationalen Anti Doping Agentur Deutschland (NADA) setzt. Ein Ergebnis der engen Zusammenarbeit ist das Leuchtturmprojekt “Digitale Athletenbeteiligung in der Dopingprävention”, eine App, die durch Aufklärung Nachwuchsleistungssportler in den Kampf gegen Doping miteinbezieht. Der andere Strang zielt auf die finanzielle Förderung universitärer Forschung. Dabei werden gezielt Themen adressiert, die wichtige Anknüpfungspunkte und Bausteine in der Anti-Doping-Arbeit darstellen. Dabei ist Doping selbst nur ein Teil einer Wertedebatte, die Phänomene wie Korruption oder Gewalt im Sport einschließt – alles Themen, derer sich das BISp im Rahmen seines Portfolios annimmt.

Covid-19 und die Folgen

Hilfe rückt an

Auswirkungen für den deutschen Sport

Forschungsprojekt “Ran Rücken” sagt Volkskrankheit den Kampf an

(BS/Bennet Klawon) Die Corona-Pandemie hat große Auswirkungen auf den deutschen Sport und in naher Zukunft wird sich daran wohl leider nichts ändern. Deshalb hat das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) im Rahmen seiner Forschungsförderung dazu aufgerufen, verstärkt Projektanträge zur Erforschung von Corona-bedingten Folgen für den Sport einzureichen oder die Bearbeitung der Thematik durch eine Ausweitung des Forschungsgegenstands in laufende Projekten zu integrieren. Denn die Folgen können mannigfaltig sein.

(BS/Kilian Recht) Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer eins und so gut wie jeder ist im Laufe seines Lebens davon betroffen. Unspezifische Rückenschmerzen sind im Gesundheitssystem von großer Bedeutung. Sie sind einer der häufigsten Gründe für krankheitsbedingte Arbeitsausfälle sowie für Fehlzeiten im Hochleistungssport.

Wie andere Bereiche des sozialen Lebens ist auch der Sport von der derzeitigen Corona-Pandemie betroffen. Aktuelle Berichte aus dem Robert Koch-Institut (RKI) deuten darauf hin, dass sich die Krankheitssymptome von Covid-19 nicht ausschließlich auf die Atemwege beschränken. Vielmehr können alle Organsysteme betroffen sein. Im Hinblick auf den Sport ist dabei insbesondere das Herz-Kreislauf-System zu erwähnen. Aber auch Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit und sozioökonomische Folgen der Pandemie müssen zwingend beachtet werden. Eine Infektion mit dem CoronaVirus kann mit nur wenigen bis keinerlei Symptomen einhergehen, jedoch auch schwerwiegend und sogar tödlich verlaufen sowie chronische Folgeschäden verursachen. Auf der einen Seite zählen Wettkampfsportlerinnen und -sportler nach derzeitigen Erkenntnissen zwar nicht zu einer Risikogruppe, die bei einer Infektion mit Corona häufiger mit einem schweren Verlauf rechnen muss. Andererseits stellt sich die Frage, inwieweit die derzeit bekannten Organschäden oder Funktionsstörungen auch bei nur mäßiger Ausprägung die Belastbarkeit für den Leistungs- und Wettkampfsport einschränken.

Nach Corona-Erkrankung zurück in den Sport Genau mit dieser Fragestellung beschäftigt sich ein bundesweites Konsortium aus sportmedizinischen Einrichtungen unter der Projektleitung von Prof. Dr. Andreas Nieß von der Universität Tübingen. Mithilfe des Projektes sollen konkrete Fragen zum “Return-to-Sport”, also die

Therapie nach einer Corona-Erkrankung, zur Risikoeinschätzung möglicher Folgeschäden und zu Effekten auf die sportliche Leistungsfähigkeit ebenso wie zur Immunitätsentwicklung beantwortet werden. Die derzeitige Corona-Pandemie bringt für alle einschneidende Veränderungen und Herausforderungen mit sich. Im Leistungssport führen die deutlichen Beschränkungen der Trainingsmöglichkeiten und die Absage bzw. Verschiebung von sportlichen Großereignissen bei nicht wenigen Sportlern zu einer massiven Verunsicherung in der Lebensplanung im sportlichen und außersportlichen Bereich. Mitunter kommen “gefühlte” oder auch tatsächliche Beeinträchtigungen der Karriereverläufe und eine erhöhte sozioökonomische und psychosoziale Belastung hinzu. Hier gilt es, die Sportlerinnen und Sportler bestmöglich bei der Bewältigung der Krise zu unterstützen Am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln beschäftigt sich deshalb das Forschungsteam von Dr. Dr. Sylvain Laborde und Dr. Babett Lobinger in einem Projekt mit der Entwicklung und Erprobung eines innovativen, App-basierten systematischen Entspannungstrainings. Auf der psychischen Ebene zielt dieses Atem- und Biofeedback-Training auf eine Erhöhung des subjektiven Wohlbefindens ab, um möglichen psychischen Auswirkungen und Belastungen der Krisensituation entgegenzuwirken. Auf der Ebene der sportlichen Leistungsfähigkeit fokussiert das Atemtraining auf eine Optimierung der Ausdauerleistung durch die Erhöhung der Lungenkapazität. Auf

lange Sicht können von einer solchen App nicht nur Leistungsund Breitensportler profitieren, sondern auch systemrelevante Berufsgruppen wie Pflegekräfte, Polizei und Feuerwehr, welche einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind und körperliche Arbeit verrichten.

Faktenbasierte Sportpolitikberatung Im Rahmen der faktenbasierten Sportpolitikberatung befassen sich drei Forschungsvorhaben mit Covid-19- Aspekten. Prof. Dr. Christoph Breuer (Deutsche Sporthochschule Köln) wird zum einen die Effekte der Pandemie auf die Einkommenssituation von Sportlern erheben, die von der Stiftung Deutsche Sporthilfe finanziell gefördert werden. Daraus sollen Erkenntnisse abgeleitet werden, inwieweit Sponsorenund sonstige Einnahmen während der vergangenen Monate zurückgegangen sind. Zum anderen wird derselbe Wissenschaftler mit seinem Team mögliche Corona-Auswirkungen auf die bundesdeutschen Sportvereine untersuchen und somit die im dreijährigen Turnus durchgeführten “Sportentwicklungsberichte“ um Fragen zu dieser Ausnahme­situation ergänzen. Zudem werden Prof. Dr. Sebastian Braun und Prof. Dr. Ulrike Burrmann (beide HumboldtUniversität Berlin) mögliche Covid-19-bedingte Effekte auf das ehrenamtliche und freiwillige Engagement im Sport im Wege einer Bevölkerungsbefragung ermitteln. Die Resultate sollen mit den Ergebnissen der sportbezogenen Sonderauswertung der letzten sogenannten Freiwilligensurveys (vor der Pandemie) verglichen werden.

Mindestens 90 Prozent der Bevölkerung leidet irgendwann im Leben an Rückenschmerzen. Bei Sportlerinnen und Sportlern ist das Risiko sogar höher: Bis zu 94 Prozent klagen über Rückenschmerzen, die oft zu einem vorzeitigen Karriereende führen. Der Arbeitszeitausfall sowie daraus resultierende medizinische und soziale Leistungen verursachen enorme Kosten. Initiiert durch den damaligen Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, hat das BISp 2010 ein Projektvorhaben zu “Entwicklung, Evaluation und Transfer einer funktionsbezogenen Diagnostik, Prävention und Therapie bei Rückenschmerz für den Spitzensport und die Gesamtgesellschaft” – “Ran Rücken” – ausgeschrieben. Die Bearbeitung erfolgt seit 2011 durch das National Research Network for Medicine in Spine Exercise (MiSpEx-Netzwerk) unter Leitung von Prof. Dr. Frank Mayer von der Universität Potsdam. Mit dem Forschungsprojekt “Ran Rücken“ sollen Diagnose, Prävention und Therapie von unspezifischen Rückenschmerzen verbessert werden. Das nationale Forschungsnetzwerk arbeitet an Trainingsprogrammen unter Berücksichtigung von Einflussgrößen wie dem Trainingszustand, dem Schmerzempfinden oder dem psychophysischen Stress. Insgesamt wurden rund 8.000 Gesunde sowie Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen aus der Bevölkerung und dem Spitzensport in 34 Projekten wissenschaftlich und klinisch betreut. Während der achtjährigen Projektlaufzeit konnte das Team bedeutende Erkenntnisse zur Behandlung von Rückenschmerzen gewinnen. Unter anderem ging daraus ein konkretes

Im Kampf gegen die Volkskrankheit Nummer eins: Mit Projekten wie “Ran Rücken” versucht das BISp, undefinierten Rückenschmerzen präventiv und therapeutisch entgegenzutreten. Foto: BS/Ruhr-Universität Bochum

Programm zur Prävention und Therapie hervor. Dabei sind besonders die Rumpfmuskulatur und das sensomotorische System gefordert. Das Programm besteht aus vier Grundübungen und zwölf Schwierigkeitsstufen. Im Vordergrund steht der Einsatz von Störreizen, sogenannte Perturbationen. Solch ein Reiz entsteht z. B. durch die Verwendung einer instabilen Unterlage. Das Training sollte zwei bis drei Mal pro Woche über 20 bis 30 Minuten durchgeführt werden. Das Programm wurde von der Zentralen Prüfstelle Prävention zertifiziert. Somit können Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Zudem kehrte das Projekt an seinen Ursprungsort zurück und findet im Betrieblichen Gesundheitsmanagement des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) Anwendung. Die Erkenntnisse wurden dort auf ihre Anwendbarkeit in der Praxis überprüft. Dabei standen Programme zur Verbesserung der Rückenstabilität im Fokus. Zudem wurden Übungsleiter ausgebildet, die die Übungen

in das bestehende Kursangebot des BMI integrieren. Neben dem Transfer in die Bevölkerung erfolgte eine intensive Vermittlung im Spitzensport. Eine erfolgreiche Kooperation kam etwa mit dem Dortmunder Ruderleistungszentrum zustande. Mit dem Ziel, aktiv als auch vorbeugend dem Rückenschmerz entgegenzutreten sowie neue Trainingsinhalte einzuführen, die eine Kraftübertragung im Boot begünstigen, entstand eine Kooperation zwischen den Ruderern und der Ruhr-Universität Bochum. Ähnliche Leuchtturmprojekte kamen mit weiteren Spitzenverbänden wie dem Deutschen Boxsport- und dem Deutschen Volleyball-Verband zustande. Insgesamt konnte im Rahmen des Projekts ein kostengünstiger und effektiver Weg der Prävention und Therapie von unspezifischem Rückenschmerz wissenschaftlich abgesichert aufgezeigt werden. Um diese Erkenntnisse zu verbreiten, ist in Kooperation mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) der Transfer in die Berufsgenossenschaften im Gange.


Zahlen & Daten

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Höher, schneller, weiter (BS/pet/jf) Gemäß dem Motto der Olympischen Spiele kennt der Sport nur eine Entwicklungsrichtung: Damit Athletinnen und Athleten ihr ganzes Potenzial heben und auf Wettkampfebene bestehen können, braucht es jedoch eine gezielte Förderung und Finanzierung. Der Bund setzt dabei auf die Sportförderung bei Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll. Knapp 1.000 Sportlern, deren sportliche Leistungen auf höchstem Niveau liegen, wie die Erfolgsbilanz zeigt, wird so eine Karriere ermöglicht.

Zahl der geförderten Sportlerinnen und Sportler

160

66 Dienstposten bei der Bundeswehr 2020

40

Gesamt

48

970

744

850 Bundeswehr

Bundespolizei

Für Sportlerinnen und Sportler*

Zoll

Individualverträge für Sportler im paralympischen Bereich

21

Für Regie-/Stammpersonal

Für Militärsportarten

*inklusive 50 Trainer, inkl. 4 Athleten im paralympischen Bereich. Die Erhöhung auf insgesamt 938 Dienstposten hat der Bundestag im April 2020 beschlossen.

Erfolge der Athleten der Sportförderung bei Olympischen Sommer- und Winterspielen 2012-2018 Pyeongchang 2018

24 18 10 Rio de Janeiro 2016

14 6 Erfolge der Athleten von Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll bei den letzten vier Olympischen Spielen

9 Sotschi 2014

11 9

22

24

4 12

London 2012

22

20

11

13

9

7

11 10

Erfolge bei den Weltmeisterschaften in den letzten drei Jahren (2017/2018/2019)

Bundeswehr

65/69/26 28/16/38

Erfolge bei den Europameisterschaften in den letzten drei Jahren (2017/2018/2019)

49/27/19

45/27/10

Verteilung der Europameisterschafts-Platzierungen auf Bundeswehr/Bundespolizei/Zoll* in den letzten drei Jahren

47/31/23 31/39/35

Zoll

Verteilung der Weltmeisterschafts-Platzierungen auf Bundeswehr/Bundespolizei/Zoll in den letzten drei Jahren

66/42/52 33/20/42

Bundespolizei

56/45/0 32/43/25

52/52/1

63/36/1

Quellen: BS/14. Sportbericht der Bundesregierung (Bundestags-Drucksache 19/9150), eigene Recherchen bei der Bundeswehr, der Bundespolizei und der Generaldirektion Zoll Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von KirillS – stock.adobe.com; martialred – stock.adobe.com; happyvector071 – stock.adobe.com

*Europameisterschaften werden im Wintersport ausschließlich in der Disziplin Biathlon ausgetragen. Im Besonderen ist zu beachten, dass der Stellenwert dieser Veranstaltung nicht mit Europameisterschaften in Fußball, Leichtathletik o. ä. Sportarten verglichen werden kann. Die Europameisterschaften im Biathlon werden vorrangig mit Nachwuchssportlern besetzt und bieten für junge Athleten die Möglichkeit, sich für höherrangige Rennen zu empfehlen.

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Bund

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Meilenstein für Satellitennavigation 2021 entsteht das Exzellenzzentrum der Geodäsie auf dem UN-Campus in Bonn (BS/Prof. Dr. Paul Becker) Mitte September wurde die Nachricht verkündet: Deutschland hat den Zuschlag für die Einrichtung eines Exzellenzzentrums der Geodäsie (‘Global Geodetic Centre of Excellence – GGCE’) erhalten. Das GGCE soll auf dem UN-Campus in Bonn eingerichtet werden, wie das Expertenkomitee der Vereinten Nationen für globales Geoinformationsmanagement beschloss. Die Eröffnung des Exzellenzzentrums ist für Frühjahr 2021 geplant. Das ist für die Geodäsie – die Wissenschaft von der Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche – ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der UN-Resolution “Global Geodetic Reference Frame for Sustainable Development” aus dem Jahr 2015 zum Aufbau einer resilienten und weltweit abgestimmten geodätischen Infrastruktur zur Erdbeobachtung. Aktuell werden die Grundlagen zur Erdbeobachtung und hochgenauen Positionsbestimmung mittels Satellitennavigation im internationalen Verbund aus Nichtregierungsorganisationen unter dem Dach der Internationalen Assoziation für Geodäsie (IAG) bereitgestellt. Die so gewonnenen Daten sind jedoch nicht verbindlich und werden nicht nachhaltig gesichert. Der Aufbau einer staatlich abgestimmten geodätischen Infrastruktur ist damit von zentraler Bedeutung für gesellschaftspolitisch relevante Themen wie stabile Lebensbedingungen, Klimawandel, Landnutzung oder auch sicheres autonomes Fahren.

Teil eines internationalen Netzwerkes Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) die Bewerbung zur Einrichtung eines Exzellenzzentrums der Geodäsie in Deutschland auf den Weg gebracht. Die Einrichtung einer UN-Organisationseinheit für die Koordinierungs- und Überwachungsaufgaben einer weltweit staatlich abgestimmten geodätischen Infrastruktur zur Erdbeobachtung ist essenziell. Deutschland schafft mit der Einrichtung des GGCE einen elementaren Baustein zur Verbesserung der Erdbeobachtung und Positionsbestimmung.

Durch eine hervorragende Infrastruktur zur Erdbeobachtung, wie hier das geodätische Observatorium Wettzell im Bayerischen Wald, hat das BKG eine Schlüsselposition bei der Auswertung von weltweiten Erdbeobachtungsdaten inne.

hat durch den Betrieb von Datenzentren für die Satellitennavigation, die Ableitung Prof. Dr. Paul Becker ist Prävon Erdrotationssident des Bundesamtes für parametern und Kartographie und Geodäsie. zur Bestimmung des ErdschwereFotos: BS/BKG feldes eine Schlüsselposition bei der Auswertung von Das BKG mit Hauptsitz in weltweiten ErdbeobachtungsFrankfurt am Main ist mit seinen daten inne. Durch seine weltweit drei Observatorien bereits jetzt anerkannte Fachkompetenz im federführend beim Aufbau einer Bereich der Geodäsie kann das internationalen Infrastruktur zur BKG die Aufgaben des GGCE Erdbeobachtung beteiligt. Die fachlich unterstützen und mitBodenstationen in Wettzell (Baye- gestalten. Mit dem GGCE manifestiert die rischer Wald), AGGO (Argentinian German Geodetic Observatory, La Bundesregierung ihre Absicht, die Plata/Argentinien) und O’Higgins Umsetzung der Agenda 2030 der (Antarktis) sind Teil dieses in- Vereinten Nationen für nachhalternationalen Netzes. Das BKG tige Entwicklung mitzugestalten,

um so einen wertvollen Beitrag hinsichtlich einer sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und verantwortungsvollen Zukunft leisten zu können. Das Verständnis in den UN-Mitgliedsstaaten, Geodaten zur nachhaltigen Entwicklung und zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele einzusetzen, soll stärker gefördert und geprägt werden.

System mit über 170 Partnern Im GGCE werden die globalen Aktivitäten der UN-Mitgliedsstaaten zum Aufbau und zur Verbesserung der geodätischen Infrastruktur zur Erdbeobachtung gebündelt. Viele geodätische Fragestellungen, wie z. B. die Satellitennavigation, können nur global abgestimmt gelöst werden. Das GGCE wird insbesondere Entwicklungsländer beim Aufbau

und der Verbesserung der nationalen Infrastrukturen unterstützen und den offenen, globalen Austausch der Daten und der Beobachtungsergebnisse fördern. Durch die Einrichtung des GGCE im UN-Campus in Bonn, welcher als Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung bezeichnet wird, ist das GGCE in ein funktionierendes System von ca. 20 UN-Organisationen und 150 Nicht-Regierungsorganisationen sowie sechs der in Bonn ansässigen Bundesministerien eingebunden. Zunächst ist der Betrieb des GGCE für fünf Jahre geplant. Das GGCE wird eine Entität der United Nations Statistics Division (UNSD), Department for Economic and Social Affairs (DESA), in New York. Die Bundesregierung verpflichtet sich, für die Jahre 2021 bis 2025 jährlich Beiträge von 800.000 Euro für das GGCE zur Verfügung zu stellen. Starten wird das Exzellenzzentrum mit vier UN-Mitarbeitern, die aus dem Haushalt des BKG finanziert werden. Des Weiteren stellt das BKG zwei eigene Mitarbeiter durch Abordnung zur Verfügung, um das GGCE fachlich zu unterstützen. Für den Zeitraum ab 2026 wird die Bundesregierung eine dauerhafte Perspektive für das GGCE im UN-Campus Bonn prüfen. Wir freuen uns sehr darauf, das Exzellenzzentrum der Geodäsie auf dem UN-Campus in Bonn nächstes Jahr zu eröffnen.

MELDUNG

Knapp 4.500 neue Stellen (BS/jf) Die Bundesverwaltung soll im nächsten Jahr personell aufwachsen. Abgesehen von den Haushalten für den Bundestag und den Bundesrechnungshof (BRH) enthalten die Etats aller anderen Ressorts neue Stellen. An der Spitze der Zuwächse stehen die Bundesministerien des Innern (+ 1.791 Stellen) und der Finanzen (+ 1.584) sowie das Bundesverkehrsministerium (+ 1.110,7). Diese machen fast 70 Prozent aller Zuwächse aus. Davon entfällt bei den beiden erstgenannten ein Großteil auf die Verstärkung von Bundespolizei (+ 990), Bundeskriminalamt (+ 148) und Zoll (+ 1.066,5), die vor einigen Jahren beschlossen wurde und in deren Zuge der Bund insgesamt 7.500 neue Posten schafft. Beim Verkehrsministerium geht der Zuwachs fast vollständig auf das Fernstraßenbundesamt zurück, das zum 1. Januar 2021 vollumfänglich an den Start geht. Auf den nächsten Plätzen liegen das Verteidigungsressort (+ 494), das Gesundheitsressort (+ 237,8) und der Geschäftsbereich des Umweltministeriums (+ 117,2). Bei den anderen Ressorts fallen die neu zu schaffenden Stellen deutlich kleiner aus. So verzeichnet das Bundeswirtschaftsministerium einen Zuwachs von 79 Stellen. In vergleichbarer Menge steigt der Personalhaushalt im Landwirtschaftsressort (+ 72). Weitere rund 45 Stellen entfallen auf die Haushalte des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Den Abschluss bilden das Bundeskanzleramt (+ 26,8), das Bildungsministerium (+ 23,4) und das Entwicklungsministerium (+ 18).


Bund / Länder

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Missachtung aller Grundsätze NKR kritisiert Bundesregierung und fordert: Verwaltung modernisieren und resilient machen (BS/Dr. Eva-Charlotte Proll) Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) kritisiert in seinem diesjährigen Jahresbericht den häufigen Regelbruch der Bundesregierung beim Thema bessere Rechtsetzung. Auch unnötige Bürokratie und langsame Verfahren hinderten Unternehmen daran, geplante Investitionen schnell umzusetzen. Die Pandemie habe erheblichen Aufholbedarf der Verwaltungen offengelegt.

Mit Abstand: Die diesjährige Übergabe des NKR-Jahresberichtes stand ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Foto: BS/Bundesregierung, Sandra Steins

U

nter dem Titel “Krise als Weckruf: Verwaltung modernisieren, Digitalisierung nutzen, Gesetze praxistauglich machen” bilanziert der NKR die geprüften Gesetzesentwürfe der Bundesregierung, den Bürokratieabbau und die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland. Insbesondere “in Krisenzeiten brauchen Unternehmen Vertrauen in staatliche Regelungen, Flexibilität und Zugang zu Liquidität – Hand in Hand mit einem konsequenten Abbau unnötiger Bürokratie und mit praxistauglichen Gesetzen, die digital umgesetzt werden können”, so Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des NKR, bei der Übergabe des Jahresgutachtens an die Bundeskanzlerin.

Einerseits lobt der NKR, dass die Bundesregierung mit dem Dritten Bürokratieentlastungsgesetz einen Erfolg erzielt hat: Minus 13 Prozent Kostenbelastung aus laufendem Erfüllungsaufwand zeigten, dass die richtigen Maßnahmen ergriffen worden seien. Dazu gehöre zum Beispiel die Einführung der elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsmeldung, so Dr. Rainer Holtschneider, Mitglied des NKR. Dennoch seien viele Gesetze beschlossen worden, die hohe einmalige Kosten verursachten und Umstellungsaufwände für Unternehmen bedeuten würden, bemängelt Ludewig. Auch plädiert der NKR für Verbesserungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie

bei sich anschließenden Gerichtsverfahren. Nach wie vor kritisiert der NKR die steuerlichen Aufbewahrungsfristen.

bei der digitalen Beantragung von Kurzarbeitergeld habe die Regierung zügig und flexibel Lösungen ermöglicht.

Doppeltes Legislatur-Ende

Fristverkürzungen

Seit 14 Jahren gehören zu den Tätigkeiten des NKRs die Beobachtung der Folgekosten von Gesetzen sowie Initiativen für bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau. Zeitgleich zur kommenden Bundestagswahl endet die fünfjährige Amtsperiode des Gremiums. Um diese Lücken und Herausforderungen auch in Zukunft aufzuzeigen zu können, braucht es den NKR weiterhin. Nur eine unabhängige Instanz könne der Regierung weiter Ratschläge geben, auch wenn dies als zusätzliche Arbeit empfunden werde, so Holtschneider. Neben diesen Themen weist der NKR zudem seit einigen Jahren immer wieder auf die mangelnde Digitalisierung im Kontext der Verwaltungsmodernisierung hin. “Viele Probleme bei der Bewältigung der Pandemie wären vermeidbar gewesen”, betont Ludewig und mahnt langsame Meldewege bei Gesundheitsbehörden, Faxgeräte und Papierverfahren zur Bewältigung der Krise an. “Soforthilfen hätten die Unternehmen schneller erreichen können, ihr Missbrauch wäre weitestgehend vermeidbar gewesen – mit konsequenter Digitalisierung und modernen, vernetzten Registern”, so der NKR-Vorsitzende. Dennoch müsse man den jetzt entstandenen Digitalisierungsschub nutzen, denn zum Beispiel

Dennoch fordert der NKR die Bundesregierung zu mehr Transparenz, regulären Verfahren sowie ausreichenden Beteiligungen auf, wenn es um die Rechtsetzung geht. So lägen bestimmte Beteiligungsfristen bei vier Wochen und

in den vergangenen zwei Jahren sei es häufiger vorgefallen, dass nur wenige Tage zur Stellungnahme geblieben seien, so Holtschneider. Dies sei bei der Grundrente der Fall gewesen, ergänzt Ludewig: “Unter Missachtung nahezu aller Grundsätze besserer Rechtsetzung hat die Bundesregierung ein außerordentlich bürokratisches Verfahren mit hohen Folgekosten geschaffen, ohne relevante Alternativen ausrei-

chend geprüft zu haben.” Anstelle einer Bedürftigkeitsprüfung sollte nachträglich eine automatisierte Einkommensprüfung in Zusammenarbeit mit den Finanzämtern umgesetzt werden. Hier seien keine Experten eingebunden worden, auch habe die Finanzverwaltung nichts mit Grundsicherungsfragen zu tun. Die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe seien dahingehend nicht beachtet worden, ergänzt Holtschneider. Bei einem so hohen Bürokratieaufwand hätte klar sein müssen, dass die Auszahlungen nicht im Januar 2021 würden erfolgen können. Damit sich dies nicht wiederholt, enthält das Jahresgutachten nachhaltige Verbesserungsvorschläge bei der Vorbereitung gesetzlicher Regelungen.

Das OZG beflügelt Umsetzung bringt auch den Breitbandausbau voran (BS/Randolf Stich) Mit der Gigabit-Strategie für Rheinland-Pfalz geben wir mit einer Vielzahl von Maßnahmen Antworten auf die herausfordernden Fragen im Zusammenhang mit dem Ausbau flächendeckender Glasfaserinfrastrukturen. Der Netzinfrastrukturwechsel von Kupfer auf Glasfaser steht im Mittelpunkt der Anstrengungen. Bei der Umsetzung gelten kommunale Genehmigungsprozesse als kritischer und wesentlicher Erfolgsfaktor. Genau hier befinden wir uns an der Schnittstelle zum vielleicht ambitioniertesten und die deutsche Verwaltungskultur am nachhaltigsten verändernden Projekt der letzten Jahrzehnte, wenn nicht sogar überhaupt: dem Onlinezugangsgesetz, kurz OZG. Rheinland-Pfalz hat zur Umsetzung des OZG bereits frühzeitig mit den erforderlichen Arbeiten zur Organisation, sowie der Projektplanung begonnen. Mit den kommunalen Spitzenverbänden wurde eine Kooperation geschlossen und es wurde ein Lenkungskreis unter meiner Leitung eingerichtet. Im jüngst verabschiedeten E-GovernmentGesetz des Landes wurden bereits wesentliche Vereinbarungen zur Bereitstellung der technischen Infrastruktur, die das OZG benötigt, beschrieben. Darüber hinaus kooperiert Rheinland-Pfalz mit Hessen und dem Saarland bei der gemeinsam genutzten Infrastruktur und lebt damit aktiv den kooperativen Gedanken, der dem OZG generell zugrunde liegt. Bestehende Kooperationen, wie zum Beispiel im Rahmen des Modellvorhabens zu E-Government in föderalen Strukturen in der Metropolregion Rhein-Neckar (MRN wurden) ebenfalls in die Umsetzungsarbeiten eingebunden. Die Umsetzung des OZG in Rheinland-Pfalz erfolgt nach dem Vorbild der föderalen Konzeption, unter Einbeziehung des föderalen Ergebnisses. Landes- und Kommunalverwaltung haben jeweils ein Projekt eingerichtet, welches dieselbe Basisinfrastruktur nutzt. Neben der technischen Basisinfrastruktur wird auch die organisatorische Infrastruktur gemeinsam betrieben und genutzt. Dazu gehören das Kompetenzzentrum OZG (CC-OZG) und die Projektstruktur im Landesbetrieb Daten und Information (LDI), die alle Umsetzungsmaßnahmen zum OZG begleiten.

OZG-Digitalisierungslabor Breitband Anfang 2019 hat RheinlandPfalz gemeinsam mit Hessen die Federführung für das OZG-Digitalisierungslabor Breitbandausbau übernommen. Kernanliegen war hierbei, gezielt Synergien bei der Optimierung und Digitalisierung von Verwaltungsprozessen mit dem Breitbandausbau zu nutzen. Frühzeitig wurde die MRN mit ins Projekt aufgenommen. Das Modellvorhaben “Kooperatives E-Government in föderalen Strukturen”, welches die Metropolregion Rhein-Necker gemeinsam mit den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz sowie dem Bund initiiert hat, gilt bereits heute als Best-Practice-Beispiel der ebenen- und länderübergrei-

folgreich um die Finanzierung durch das Digitalisierungsbudget Randolf Stich ist Staatssekretär im Ministerium für Indes IT-Planungsneres und Sport sowie CIO rates und der Kodes Landes Rheinland-Pfalz. ordinierungsstelle für IT-Standards Foto: BS/MdI, Torsten Silz (KoSIT) bemüht. Sowohl die Erweiterung als auch fenden Verwaltungszusammen- die Pflege und der Betrieb des arbeit. Somit liegt auch die für Standards sind so gesichert. das Projekt wichtige Expertise Technische Implementierung vor. Die Beteiligten arbeiten unter sowie Projektleitung durch die anderem auch an der Vereinfa- ekom21, das größte kommunale chung des Baugenehmigungs- IT-Dienstleistungsunternehmen verfahrens, wo ein besonders in Hessen, übernommen und großer Abstimmungs- und Koor- durch das Land Hessen finandinationsbedarf der öffentlichen ziert. Verwaltungen besteht. Aufgrund Ein sogenannter “Klickprototyp” dieser Erfahrungen und der ide- skizzierte bereits 2019 ein länalen institutionellen Rahmenbe- der- und verwaltungsübergreidingungen wurde die MRN von fend nutzbares Serviceportal zur Rheinland-Pfalz als prädestiniert Beantragung der für den Breitangesehen, um die verwaltungs-, bandausbau notwendigen Geressort- und ebenenübergrei- nehmigungsprozesse. Bei dessen fende Zusammenarbeit für die Überführung in eine tatsächlich OZG-Umsetzung zu nutzen. Im nutzbare, digitale Anwendung “OZG-Digitalisierungslabor Breit- und Implementierung in rheinbandausbau” wurde die MRN land-pfälzische und hessische mit der Projektleitung betraut Pilotkommunen wurden sowohl und wird dabei durch Rheinland- potenzielle Antragsteller der TePfalz und Hessen unterstützt. lekommunikationswirtschaft als Hierbei leitet die Metropolregion auch Vertreter der Pilotkommunicht nur das Projekt, sie stellt nen aktiv eingebunden. Anfang auch sicher, dass alle relevanten Oktober 2020 fand das “Go-Live” Stakeholder wie Bund, Länder in rheinland-pfälzischen und und die Wirtschaft mit deren hessischen Pilotkommunen Expertisen kontinuierlich ein- statt. Im nächsten Schritt soll gebunden werden. Die Relevanz nun der transferfähige Prototyp des Projektes zeigt sich auch da- hinsichtlich bundesweiter Nutdurch, dass Länder außerhalb zung geprüft und in der Praxis der Metropolregion Rhein-Neckar erprobt und weiterentwickelt bereits heute Interesse an einer werden. Erfreulicherweise gibt frühzeitigen Nachnutzung haben. es bereits aus mehreren BunVorrangiges Ziel des Kompetenz- desländern Interesse an der verbundes ist es aber, die Kom- entwickelten Lösung. So gilt es, munalebene in Rheinland-Pfalz sukzessive weitere Parallelgeund Hessen umfassend in den nehmigungen wie beispielsweise OZG-Prozess einzubinden. Au- Denkmal- oder Umweltschutz ßerdem werden ein einheitlicher oder die Kampfmittelräumung di(digitaler) Zugang zur Verwaltung rekt zu integrieren. Auch Fragen geschaffen, schnellere Verwal- anzubindender Register und Katungsprozesse etabliert sowie die taster können und sollen im Zuge Verbindung bestehender IT-Sys- der Implementierung eine Rolle teme und Prozesse angestrebt. spielen. Ziel ist es, mit einem Neben den technischen und orga- guten, akzeptierten und funknisatorischen Aspekten während tionierenden Grundkon­strukt der Umsetzung spielt auch die zu starten und es dann nach Erweiterung des Standards xPla- und nach weiterzuentwickeln. nung/xBau durch die Leitstelle in Auch dieser Prozess wird eine Hamburg eine zentrale Rolle, um Daueraufgabe sein. eine mittelfristige Verknüpfung Mehr Informationen und Dismit bestehenden Systemen und Verfahren sicherzustellen. Die kussionen rund um die digitale Kosten bei der Metropolregion Transformation der öffentlichen Rhein-Neckar GmbH für die Leis- Verwaltung in Rheinland-Pfalz: tungsverantwortung werden im Kongress “Digitale Verwaltung Rahmen einer CIO-Patenschaft RLP” am 24. November 2020 durch das Land Rheinland-Pfalz (Online). Weitere Details zum übernommen. Ebenso hat sich Programm und eine Anmeldedas Land Rheinland-Pfalz er- möglichkeit unter: www.dv-rlp.de


Finanzen

Behörden Spiegel / November 2020

D

ie Länder betreten damit verfassungsrechtliches Neuland. Laut Dietmar Strehl, Finanzsenator von Bremen, befinde man sich mit der Corona-Pandemie in einer noch nie dagewesenen Situation, die bei der Formulierung der Schuldenbremse noch nicht im Blick gewesen sei. Man müsse nun die Ausnahmenregel korrekt anwenden. Mit einem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Stefan Korioth von der Universität München habe man deshalb klären wollen, wie weit die Ausnahmeregel reiche, was sich mit ihr finanzieren lasse und wie lange man diesen Ausnahmezustand geltend machen könne.

Schuldenbremse in der Corona-Pandemie Wird die Ausnahme zur Regel?

P

rof. Dr. Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, beantwortet die Frage nach den Direktinvestitionen mit einem klaren Nein – außer, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich erlaubt. Die verfassungsrechtliche Begründung hierfür sei jedoch nicht so einfach, wie der Jurist auf dem kommunalen Finanzgipfel des Behörden Spiegel erläuterte. Denn zunächst stünde die Frage im Raum, warum es eigentlich einer verfassungsrechtlichen Begründung für Direktinvestitionen in Kommunen bedürfe. Im Grundgesetz (GG) müsste es folglich ein Verbot solcher Investitionen geben, von dem abzuweichen es eine eigene Ermächtigung erforderlich mache. Ein solches Verbot finde sich jedoch dort nicht explizit. Das Verbot der Direktinvestitionen folgte laut di Fabio aber aus dem föderalen Verfassungsprinzip. Auch aus der Selbstverwaltungsautonomie der Kommunen könne ein Verbot der Direktinvestitionen des Bundes abgeleitet werden. Das Bundesstaatsprinzip kenne nur Bund und Länder. Die Gemeinden seien Gebietskörperschaften mit Selbstverwal-

Leitplanke verstanden werden. Die Politik habe zum Beispiel bei der Höhe der Verschuldung wie auch bei den Tilgungsraten Spielraum. “Aber in die Leitplanken darf man nicht hineinfahren”, warnt der Verfassungsrechtler.

(BS/lkm) Die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie stellt die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen vor erhebliche Herausforderungen. Der Bund und fast alle Länder haben für das Jahr 2020 den Ausnahmetatbestand der Schuldenbremse geltend gemacht und ihre Kreditaufnahme deutlich ausgeweitet. Anders als zu Jahresbeginn erwartet, ist das Jahr 2020 damit nicht die Bewährungsprobe für den Regelfall der Länder- Disput um Rücklagen Schuldenbremse, sondern direkt zum ersten Praxistest der Ausnahmeregelung geworden. Ein Thema, das bei der Anwen-

Trittbrettfahrer ausschließen Doch nicht nur Bermen, auch der Bund und die Länder nutzten bekanntermaßen die Ausnahmeregelung und stellten Nachtragshaushalte mit erheblicher Neuverschuldung auf. “Im Frühjahr dieses Jahrs ging das noch relativ geräuschlos. Jetzt im Herbst wird der Burgfriede jedoch brüchig. Man fragt genauer nach, was eigentlich möglich ist”, so Prof. Korioth. Der Verfassungsrechtler stellte in seinem Gutachten fest, dass die Schuldenaufnahme während der Corona-Pandemie im Rahmen der Schuldenbremse eindeutig erlaubt sei, denn es läge hier unstrittig eine Notsituation vor, die sich der Kontrolle des Staates entziehe. Er betonte, dass die Ausgaben im Rahmen dieser Notsituation immer im Bezug

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Eigentlich sollte die Schuldenbremse im Jahr 2020 das erste Mal in den Ländern voll greifen, nun kam alles anders. Anstatt auf die schwarze Null zuzusteuern, wurde die Ausnahme von der Schuldenbremse zur Tagespolitik. Für die Länder war diese Situation verfassungsrechtliches Neuland. Foto: BS/Kevin Schneider, pixabay

zur Pandemie stehen müssten. “Finanziert werden dürfen nur Maßnahmen oder Projekte, die Folge der Pandemie sind oder die die Auswirkungen der Pandemie abmildern sollen. Laufende Staatsausgaben gehören nicht dazu.” Trittbrettfahrerprojekte müssten ausgeschlossen werden. Auch Sarah Ryglewski, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesfinanzminister,

sieht die Gefahr von Trittbrettfahrern. “Viele Leute versuche, pandemiebedingt alles Mögliche rein zu bekommen”, so Ryglewski. Das Konjunkturpaket des Bundes knüpfe hierbei relativ deutlich an die Folgen der Pandemie an. Unterstützt würden hier vornehmlich die Kernwirtschaftsbereiche, um diese pandemiebedingt durch die Zeit zu bringen. Die Staatssekretärin betont, dass

man Maßnahmen im Rahmen der Schuldenbremse politisch immer erklären können müsse. Zudem müssten sie schnell wirksam, zielgenau und zeitlich befristet sein. Auch Klaus-Dieter Gröhler, Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, betonte, dass man mit der Ausnahmeregel einer Aushölung der Schuldenbremse nicht Tür und Tor öffnen wolle. “Wir haben eine Sondersituation. Auf diese muss man ganz besonders reagieren. Danach kehren wir wieder zurück zur Ausgangssituation, das sieht die langfristige Haushaltsplanung des Bundes so vor.” Laut Korioth müssten Investitionen im Rahmen der Ausnahmeregel immer hinterfragt werden. Hätte man die Aufgabe auch ohne die Pandemie finanzieren wollen, sei sie nicht pandemiebedingt und somit nicht über die Ausnahmeregel finanzierbar. Es gebe aber auch Grenzfälle wie die Schul-Digitalisierung. “Das ist ein längerfristiges Projekt. Aber im Zuge der Pandemie ist es jetzt fällig”, erklärt der Jurist. Hier sei eine Abgrenzung schwierig.

Korioth bemängelte, dass bei aller Detailliertheit des Gesetzes, keine expliziten Tilgungsfristen vorgesehen seien. “Es gab keine Angaben, nach welchen Grundsätzen sich die Fristen zu bemessen haben”, so der Jurist. Bund und Länder müssten hier den Spagat meistern, einerseits die Kredite möglichst schnell zurückzuführen, andererseits müssten die Tilgungsraten aber auch tragbar sein und dürften die Verwaltung nicht strangulieren. Bund und Länder hätten für die Tilgung sehr unterschiedliche Fristen gesetzt. Die Spanne reiche von 20 bis 50 Jahren. In den meisten Ländern liege der Tilgungszeitraum bei 30 Jahren. Ein Zeitrahmen, den Korioth für angemessen hält.

Schuldenbremse gibt ­Leitplanken vor Insgesamt seien die Verfassungsvorgaben für Kreditaufnahmen jedoch sehr detailliert. “Sie sind aber nicht als Anleitung zu verstehen, die keine Spielräume zulässt”, so der Jurist. Die Schuldenbremse solle vielmehr als eine

Darf der Bund Kommunen unterstützen? Ausnahmen vom Direktinvestitionsverbot sind möglich (BS/lkm) In der aktuellen Situation kommt immer wieder neu die Frage auf, ob der Bund die Kommunen nicht direkt finanziell unterstützen kann. Gelder könnten so zielgerichteter und schneller fließen – so die Vorstellung der Befürworter. Doch nicht alle – allen voran die Länder – sehen nur die Vorteile solcher Direktinvestitionen. Zum Schutz der Länder, aber auch der Kommunen, gibt es in der Rechtsprechung daher hohe Hürden für Direktinvestitionen des Bundes an die Kommunen. tungsrecht, gehörten aber zum Verfassungsraum der Länder. Die Kommunen seien im Staatsaufbau damit kein Bestandteil des Bundes. Laut Grundgesetz haben die Kommunen eine finanzielle Eigenverantwortung. Dies kann dem Verfassungsrechtler zufolge dafür sprechen, dass der Bund zur Stärkung der kommunalen Finanzautonomie eigentlich befähigt sein müsse, besondere Mittel an die Gemeinden zu geben. “Das geschieht anders, über das finanzverfassungsrechtliche System bei der Verteilung der Steuern”, so di Fabio. Man könnte aber auch an Ausgleichsleistungen zur Erhaltung der kommunalen Finanzautonomie denken, wenn der Bund so etwas wie eine Gewährleistungsverantwortung für die Kommunen im Verfassungsraum der Länder hätte. Laut di Fabio können hier zwei Gründe gegen eine direkte

Finanzbeteiligung des Bundes ins Feld geführt werden.

Schutz kommunaler ­Selbstverwaltungsautonomie Aus kommunaler Perspektive wird dem Juristen zufolge ein Durchgriffsverbot bereits angenommen. Art. 84 Abs. 1 Satz 7 des GG besage, dass den Kommunen durch Bundesgesetz keine Aufgaben vom Bund übertragen werden dürften. Kommunen sollten so gegenüber Durchgriffen des Bundes im Kokon der Länder geschützt werden. Die kommunale Selbstverwaltungsautonomie könne damit nicht durch den Bund mittels Aufgabenübertragung gestört werden. “Art. 84 Abs. 1 Satz 7 des Grundgesetztes ist auch ein Schutz der gemeindlichen Finanzautonomie vor Aufgabenübertragung durch den Bund, der seinerseits für den Erhalt der kommunalen Finanzautono-

mie keine Finanzverantwortung trägt”, erklärt di Fabio. Oftmals werde als Konstruktionsfehler des unitarischen Bundesstaates beklagt, dass das Konnexitätsprinzip – wer bestellt, der bezahlt – nur innerhalb der Länder gelte, während eine solche Konnexität in Bezug auf die Bundesgesetzgebung und Auf­ gabenübertragung auf die Kommunen nicht gelte. “Der Bund soll deshalb Aufgaben nicht direkt übertragen, weil er hier nicht zur Zahlung verpflichtet ist”, erklärt der Verfassungsrechtler.

Schutz der Landesstaatlichkeit

Geklärt sei somit, dass der Bund keine Aufgaben direkt an Kommunen übertragen könne. “Ob der Bund aber nicht auch Zuwendungen direkt an die Kommunen geben kann, ist damit nicht beantwortet”, so di Fabio. Das Problem finanzieller Direktzuweisungen des Bundes an Kommunen liege tief in der föderalen Struktur verankert. Denn die Länder sollen davor geschützt werden, dass der Bund die Kommunen mit dem gol­denen Zügel in eine unmitBedeutung der Cum-Ex-Geschäfte für die Justiz telbare Position des Bundes (BS/Fine Dortmann*) Während das Landgericht Bonn bereits im März 2020 festgestellt hat, dass Cum-­ bringe und damit die Länder Ex-Geschäfte zulasten der Staatskasse und zulasten des Bürgers gehen, werden andere Prozesse noch an den Rand gedrängt würden eine Weile andauern. Dabei geht es um mehr als die Aufdeckung des vermuteten Schadens von 55 Mil- und schlimmstenfalls ihre Lanliarden Euro. deshoheit durch die kommunale Ebene verlören. Auch vertikale FinanztransDie laufenden Verfahren sind für Aufarbeitung sei insofern von angewiesen. Im Zuge dessen bedie Politik, die Wirtschaft und einem eminent rechtsstaatlichen tont Weismann die Dringlichkeit, fers vom Bund an die Länder nicht zuletzt für die Glaubwür- Interesse. Diese wird jedoch im eine ordentliche, rechtsstaatliche würden, gemessen am Bundesdigkeit der Justiz von enormer Falle der Cum-Ex-Verfahren noch Abarbeitung zu gewährleisten, staatsprinzip, kritisch gesehen Bedeutung, erläuterte Dr. Stefan einige Zeit in Anspruch nehmen, die den besonderen Problemen werden, da sie den VerfassungsWeismann, Präsident des Land­ wie es ein anderer Strafprozess dieser Fälle gerecht wird. raum der Länder durchdrängen Nach Aussage des Gerichts- und damit den Grundsatz der gerichts (LG) Bonn bei einer vor dem Landgericht Wiesbaden Veranstaltung des Bonner Ju- verdeutlicht: Drei Jahre nach präsidenten wird das LG Bonn Etathoheit verletzten könnten. ristischen Forums. Dem Straf- dem Eingang der Anklage wird voraussichtlich mindestens zehn Dies gelte vor allem, wenn Firecht komme eine sittenbildende das Verfahren erst im Oktober Jahre mit den Verfahren beschäf- nanzhilfen in Bereichen möglich Funktion zu. Dabei stehe die dieses Jahres beginnen. tigt sein und insgesamt etwa zehn seien, in denen der Bund gar Das Tempo der strafrechtlichen Kammern hierfür beanspruchen. keine Gesetzgebungskompetenz Justiz unter dem Verdacht, die Großen laufen zu lassen und Aufarbeitungsverfahren hänge besitze, wie dies bei Art. 104c *Fine Dortmann arbeitet am Rhei- GG der Fall sei. Hier könne der nur die Kleinen zu bestrafen. jedoch nicht nur von der Arbeit Dagegen mahnte Weismann: des Landgerichts ab. Diese seien nischen Institut für Notarrecht und Bund beispielweise in der Schul“Die Justiz hat nur eine große auf die Zuarbeit des Bundeszen- studiert Rechtswissenschaften politik in den Kompetenzkern Währung, die Währung des Ver- tralamts für Steuern und die an der Rheinischen Friedrich- der Länder eingreifen und mit trauens.” Eine strafrechtliche Arbeit der Staatsanwaltschaft Wilhelms-Universität in Bonn. dem goldenen Zügel lenken,

Probe für den Rechtsstaat

erklärt der Jurist. “Aber weder Art. 104b oder Art. 104c GG erlauben einen Direktfinanzierung der Kommunen durch den Bund”, so di Fabio. Bundesmittel dürften nur ausweißlich des Wortlauts an Länder weitergegeben werden. Über den Wortlaut könne man sich hier allerding nicht interpretatorisch hinwegsetzen, da das System der Durchgriffsverbote und des Funktionsschutzes der Länder einer extensiven Auslegung eindeutig im Wege stehe. Stattdessen sei, so di Fabio, eine restriktive Auslegung geboten. Zuwendungen an einzelne Länder würden durch Art. 104c GG ebenso wenig erlaubt sein wie unmittelbare Zahlungen an Kommunen, da es sich um Leistungen an die Länder handeln müsste Es bleibe damit bei der Zweistufigkeit der bundesstaatlichen Ordnung und damit auch beim Wortlaut der Vorschrift. “Die Durchbrechung ist im Einzelfall nur möglich, wenn die Verfassung dies explizit gestattet, wie dies mit Art. 91e des GG der Fall ist”, sagt di Fabio.

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio war Richter am Bundesverfassungsgericht (Zweiter Senat) und lehrt am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn. Foto: BS/Fieseler

dung der Ausnahmeregelung von der Schuldenbremse auch immer wieder in der Kritik stand, waren die Rücklagen. So kritisierte der Bundesrechnungshof, dass der Bund erst einmal seine Rücklagen nutzen sollte, anstatt die Verschuldung auszuweiten. Haushälter Gröhler sieht hier jedoch keinen Disput. Die Rücklage sei mit guten Argumenten begründet. Wenn man sie auflöse, sei das Geld dann nicht für eine andere Aufgabe da und man habe eine Verschuldungssituation in anderen Jahren, so Gröhler. Auch Prof. Korioth ist mit dem Umgang der Rücklagen nicht ganz glücklich. Wenn die Rücklage jedoch dazu diene, gesetzlich verpflichtende Ausgaben zu finanzieren, dann sollte man sie tatsächlich nicht angreifen. Es gäbe aber Rücklangen, da sei es durchaus fraglich, ob man diese nicht nutzten sollte, bevor man neue Schulden aufnehme. Eine Kreditaufnahme sollte immer erst in Erwägung gezogen werden ,wenn nichts anderes mehr helfe und man kein Geld mehr habe. Frei verfügbares Geld für vielleicht unsichere Ausgaben in der Zukunft sollte man dann aber nutzen.

Der Bund darf also generell keine Direktinvestitionen an Kommunen leisten, außer wenn das GG dies für den Ausnahmefall ausdrücklich erlaubt. “Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann sich hier etwas einfallen lassen. Aber nicht in der Fläche und nicht zu viel”, warnt der Jurist. Sonst werde das föderale Prinzip, das als Bundestaatsprinzip durch die Ewigkeitsgarantie des Artikel 79 Abs. 3 GG für den verfassungsändernden Gesetzgeber im Kern gesperrt ist, möglicherweise berührt. “Dann haben wir verfassungswidriges Verfassungsrecht”, so der Verfassungsrechtler.

Verfassungsänderung nicht ausgeschlossen Auch warnt der Jurist davor, die Gesetze wieder mehr und mehr zu verflechten. Man werde so immer kleinteiliger. Di Fabio bezweifelt, dass damit die Rechtslage am Schluss besser werde. “Das Grundgesetz liest sich an manchen Stellen schon wie eine Verwaltungsvereinbarung”, kritisiert di Fabio. Es sei aber nicht vorteilhalft, wenn das Grundgesetz so ausgelegt werden müsse. “Wir sind jetzt offenbar wieder auf dem Weg in die ewige Falle des verflochtenen bundesstaatlichen Mehrebenensystems geraten, weil praktische Erfolge gewollt sind und man die Verfassungsänderung als probates Mittel und als Überwindung von Hindernissen in den Blick nimmt. Wenn man sich das vor Augen führt, dann wäre auch eine Verfassungsänderung zugunsten kommunaler Direktinvestitionen des Bundes keineswegs ausgeschlossen”, schlussfolgert der Jurist. Aber die Länder müssten mitmachen. “Dafür muss man ihnen einen finanziellen Benefit anbieten. Dann kann alles gehen. Durch die Corona<-Krise wird noch mehr gehen, weil der Finanzbedarf erhöht wird und der goldene Zügel noch straffer wird.” Wenn man ehrlich sei, wäre die direkte Kooperation zwischen einer zuständigen Bundesbehörde und den Kommunen womöglich sogar eine Komplexitätsreduktion und damit ein Gewinn an demokratischer Transparenz. “Aber so ist der Föderalismus des Grundgesetzes nicht angelegt”, betont di Fabio.


Beschaffung / Vergaberecht

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Qualität angemessen vergüten!

D

er EuGH hat in seiner Entscheidung die HOAI nicht “gekippt” – wie vielerorts zu lesen war –, sondern der Bundesregierung auferlegt, zeitnah eine Änderung der umstrittenen Regelungen zu den verbindlichen Mindest- und Höchstsätzen vorzunehmen. In der Folge erarbeitete das federführende Bundeswirtschaftsministerium zusammen mit dem Bundesverkehrs- und dem Bundesbauministerium Vorschläge für eine Anpassung sowohl der HOAI, als auch der entsprechenden Ermächtigungsgrundlage, des Ingenieur- und Architektenleistungsgesetzes (ArchLG). Aufgrund der engen zeitlichen Vorgaben für die Umsetzung der Vorgaben des EuGHUrteils sollten die Änderungen nur “minimal-invasiv” sein. Die Auftragnehmerseite, vertreten durch die Bundesingenieurkammer, die Bundesarchitektenkammer und den Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e.V. (AHO) sowie die Auftraggeberseite waren in den Umsetzungsprozess eng eingebunden. Nachdem es zunächst danach aussah, dass die künftige HOAI keinerlei Vorgaben im Hinblick auf ein ausgewogenes Verhältnis von Leistungserbringung und angemessener Honorierung enthalten sollte, konnte in der Folgezeit erreicht werden, dass die HOAI ihre Orientierungsfunktion nun auch künftig beibehält.

Qualität hat ihren Preis Die Hoffnung ist, dass durch die Aussage des Verordnungsgebers,

Behörden Spiegel / November 2020

Auf dem Weg zur HOAI 2021 (BS/Martin Falenski) Mit seinem Urteil vom 4. Juli 2019 erklärte der EuGH die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure als für mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Dem Urteil vorangegangen waren umfangreiche Verhandlungen mit der EUKommission. Damit verbunden war der Versuch, Brüssel die Besonderheiten des deutschen Bau- und Planungswesens zu erläutern – insbesondere die im Gegensatz zu anderen EU-Ländern in Deutschland hervorgehobene Verantwortung der Planerinnen und Planer. ihrer Dienstleistung bewusster werden. Mit der Anpassung der HOAI ist daher auch der Appell an die Planerinnen und Planer selbst verbunden, sich nicht auf ruinöses Preisdumping einzulassen.

Begleitende Erlasse der ­Bundesministerien

Qualität hat ihren Preis, das muss sich auch in der HOAI widerspiegeln und diese im nächsten Jahr umfassend novelliert werden. Foto: BS/Csaba Nagy, Pixabay

was ein “angemessenes Honorar” ist, das befürchtete und für alle Beteiligten nachteilige Preisdumping verhindert werden kann. Klar ist, dass Qualität ihren Preis hat und haben muss. Die Planerinnen und Planer müssen in die Lage versetzt werden, die übernommene Aufgabe entsprechend der damit übertragenen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft auch adäquat erfüllen zu können. Damit wird keiner Verbindlichkeit der Honorierung Tür und Tor geöffnet, sondern lediglich verdeutlicht,

dass eine zu geringe Vergütung der qualitätvollen Leistungserbringung entgegenstehen kann. Planungsleistungen beinhalten oftmals auch die Gewährsübernahme für Leib und Leben der Menschen – daher müssen in diesem Zusammenhang zwingend die Leistung und deren Qualität die Entscheidungskriterien sein, nicht ein niedriger Preis. Damit faire Honorare jedoch tatsächlich dauerhaft gute Planungsqualität gewährleisten, müssen sich die Planerinnen und Planer aber auch selbst der Hochwertigkeit

Lizenzmanagement im Aufbau

Die HOAI und ihre Ermächtigungsgrundlage, das ArchLG, sind mittlerweile auf einem guten Weg. Inkrafttreten sollen beide zum 1. Januar 2021. Flankiert wird die angepasste HOAI dann wieder durch Erlasse, die die zuständigen Bundesministerien für ihre Zuständigkeitsbereiche veröffentlichen. In diesen muss zwingend noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die HOAI bei der Auftragsvergabe eine Orientierung dahingehend bieten soll, was der Verordnungsgeber als angemessen ansieht. Dem Auftraggeber muss klar vor Augen geführt werden: Ein Abweichen nach unten widerspräche der Intention des Verordnungsgebers und würde eine Preisspirale nach unten befördern – mit

allen mittel- bis langfristigen Konsequenzen für die Qualität im Planungsbereich.

Evaluierung der neuen ­Regelungen Auch muss aus Sicht der Planerinnen und Planer zwingend eine Evaluierung der neuen Regelungen der HOAI 2021 erfolgen. Bereits 2013 hat der Bundesrat nach der letzten Überarbeitung eine Evaluierung angemahnt, die bis heute nicht umgesetzt wurde. Vor diesem Hintergrund ist es erst recht nicht verständlich, dass der Entwurf für die HOAI 2021 ausdrücklich keine Evaluierung vorsieht. Eine solche ist bereits im Hinblick auf den grundlegenden Paradigmenwechsel von verbindlichen Honorarsätzen hin zu Honorarorientierungen und die d a m i t v e r b u ndenen Auswirkungen auf die Planungspraxis unerlässlich und sollte als Maßgabe

für die nächste Bundesregierung im Wortlaut festgehalten werden. Nach Abschluss des laufenden Anpassungsverfahrens der HOAI an die Vorgaben des EuGH-Urteils muss zudem zeitnah die umfassende Novellierung der HOAI folgen. Viele berechtigte und bereits seit Jahren bestehende Anliegen, die ohne Weiteres auch schon jetzt hätten umgesetzt werden können, müssen baldmöglichst angegangen werden. Hierzu gehören insbesondere die Einordnung der örtlichen Bauüberwachung für Ingenieurbauwerke und Verkehrsanlagen als Grundleistung oder etwa die Korrektur der Honorartafel der Vermessungsleistungen. Zudem ist eine Aktualisierung der Leistungsbilder insbesondere im Hinblick auf zunehmend digitale Planungen (BIM) ebenso erforderlich wie eine Überprüfung der seit 2013 unveränderten Tafelwerte. Spätestens in der nächsten Legislaturperiode muss daher aus Sicht der Bundesingenieurkammer eine umfassende Novellierung der HOAI erfolgen.

Martin Falenski ist Haupt­ geschäftsführer der Bundesingenieurkammer. Foto: BS/BIngK

Worauf zu achten ist Aktuelles zur Vergabe von Postdienstleistungen

(BS/Daniel Dr. Soudry) Die Vergabe von Postdienstleistungen folgt eigenen Regeln und hat mit “klassischen” Vergabeverfahren häufig wenig zu tun. Einerseits handelt es sich um weitgehend standardisierte, gut beschreibbare Leistungen. Andererseits ist der Postmarkt umfassend reguliert und folgt seinen eigenen Regeln. (BS/jf) Dezentrale Beschaffung und Nutzung von Software und Lizenzen verursachen erhebliche Kosten. Durch Kein Wunder, dass Vergabenachprüfinstanzen regelmäßig mit der Thematik befasst sind. die Zentralisierung der Beschaffung und die Optimierung des Lizenzmanagements lassen sich diese um ein Drittel reduzieren. Auf Bundesebene lassen sich Effizienzvorteile noch nicht beziffern. Verträge über die Erbringung von grundsätzlich Sache des Auf- Bleibt unklar, zu welchen The-

Offene Standards gewünscht / Zentralstelle IT-Beschaffung fehlt Personal

Für die Quantifizierung von Einsparungen fehlen ressortübergreifende Daten. Deshalb wurde bei der Zentralstelle IT-Beschaffung (ZIB) im Beschaffungsamt des BMI (BeschA) vor zwei Jahren das Projekt “Lizenzmanagement Bund” im Rahmen der IT-Konsolidierung initialisiert. Bislang ist ein Soll-Konzept verabschiedet worden, auf dessen Grundlage weitere Schritte folgen sollen.

Fünf Ziele Fünf zentrale Ziele stehen im Fokus. Erstens soll eine Steuerbarkeit des Lizenzmanagements im Bund erreicht werden. Zweitens ist beabsichtigt, die ressortübergreifende Zusammenarbeit im Lizenzmanagement zu stärken und drittens durch ein integriertes Software-Beschaffungsmanagement Wirtschaftlichkeitseffekte zu realisieren. Darüber hinaus soll viertens das dezentrale Lizenzmanagement in den Behörden und bei den IT-Dienstleistern besser miteinander verknüpft und abgestimmt werden, um Wirtschaftlichkeitseffekte zu ermöglichen. Und letztlich sollen die IT-Dienstleister bei der Übernahme zunehmend zen­

Wo immer es sinnvoll und wirtschaftlich ist, sollen (quell-)offene oder herstellerunabhängige Softwarelösungen beschafft werden, um damit die digitale Souveränität zu stärken. Foto: BS/Imillian, stock.adobe.com

tralisierter LizenzmanagementFunktionen unterstützt werden. Weiterer Bestandteil des Lizenzmanagements ist die Beschaffung quelloffener Software zur Stärkung der digitalen Souveränität. Dazu sollen IT-Lösungen gemäß Europäischem Interoperabilitätsrahmen (COM/2017/0134)19 herstellerunabhängige / (quell-) offene Standards und Technologien nutzen, soweit dies sinnvoll und wirtschaftlich ist. Dies gilt sowohl für Standardlösungen als auch für die Entwicklung von Individuallösungen und bei der

MELDUNG

113. Mio. Euro offene Forderungen (BS/jf) Im Zusammenhang mit der Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung im OpenHouse-Verfahren des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sind mit Stand 30. September 2020 beim Landgericht Bonn 56 Klagen anhängig. Die gegenwärtige Forderungssumme der Klagen beträgt rund 113 Millionen Euro. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung (Drucksache 19/23487) auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke im Deutschen

Bundestag zurück. Insgesamt sind über das Open-House-Verfahren bis zum genannten Datum Artikel zur PSA wie Masken in Höhe von 1,68 Milliarden Euro beschafft worden. Anhand der gestellten Rechnungen sind davon 39 Mio. Euro Auftragsvolumina bezahlt worden. Demgegenüber beläuft sich der Gesamtbetrag aller Rechnungskürzungen und Lieferverträge in diesem Kontext auf eine Summe von 758 Mio. Euro.

Implementierung von Schnittstellen zwischen IT-Lösungen. Für die Behörden stehen zu diesem Thema über die ZIB Rahmenverträge zur Verfügung, über die Beratungsleistungen zu IT-Standards, offenen Standards sowie Open-Source-Software abgerufen werden können.

Projektlaufzeit bis 2023 Bis diese Ziele zum Lizenzmanagement erreicht werden, sind diverse Abstimmungen mit den anderen Ressorts und den IT-Dienstleistern notwendig. In diesem Kontext wird das SollKonzept weiter verfeinert und in ein Umsetzungskonzept gegossen. Die Arbeiten sollen erst im Jahr 2023 abgeschlossen werden. Solange wird der Prozess auch mindestens dauern, da bei der ZIB im BeschA von den vorgesehenen Stellen Planstellen nur zwei Drittel besetzt sind (46). Zwar werden die noch offenen Stellen weiter besetzt, dennoch soll die Aufgabenstellung und -erfüllung der ZIB entsprechend der Soll-Konzeption IT-Beschaffungsbündelung 2.0 in diesem Jahr evaluiert werden. Erst wenn diese Ergebnisse vorliegen, wird über weitere personelle Bedarfe entschieden.

Postdienstleistungen sind klassische Rahmenvereinbarungen im Sinne des § 21 VgV. Dabei ist schon die Bedarfsermittlung ein erster Streitpunkt. Es geht um die Frage, wie genau Auftraggeber ihren künftigen Bedarf angeben müssen. Denn die realistische Angabe der Sendungsmengen und ihrer Zielgebiete ist eine wichtige Größe für die Kalkulation der Bieter. Das OLG Celle (19.03.2019, 13 Verg 7/18) stellt klar, dass die Angabe bisheriger Erfahrungswerte und Mengengerüste ausreicht, wenn weitergehende Angaben nur unter unverhältnismäßigem Aufwand gemacht werden können. Das ist häufig so, wenn der Auftraggeber die Sendungsmengen und Zustellgebiete nicht laufend erfasst. Dann kann es genügen, prozentuale Spannen für die regionale oder bundesweite

traggebers, ihm steht dabei ein weiter Spielraum zu. Überhöhte Anforderungen an die Angebote können die Wettbewerber des ehemaligen Monopolisten aber leicht benachteiligen. Formuliert der Auftraggeber aber Qualitätskriterien, die nur ein Unternehmen realistisch erfüllen kann, verstößt dies gegen das Diskriminierungsverbot des § 97 Abs. 2 GWB. So ist die Bewertung der Menge zugestellter Sendungen innerhalb eines Tages nach der Einlieferung (“E+1Quote”) dem Grunde nach sachgerecht und auch dann zulässig, wenn die Sendungsmengen und Zustellgebiete nicht abschließend bezeichnet werden können. Nicht mehr zulässig ist es aber, wenn dieses Kriterium gegenüber dem Preis und ggf. weiteren Kriterien ein derart hohes Gewicht erhält, dass nur ein oder einzelne Unternehmen realistische Aussichten auf den Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Fachanwalt für Vergaberecht Zuschlag haben, und Partner der Sozietät während MitbeSOUDRY & SOUDRY Rechtswerber trotz obanwälte, Berlin. jektiver Eignung von vornherein Foto: BS/privat chancenlos wären. Häufig erzielt ein Bieter in diesen Fällen einen Zustellung zu benennen. Hinzu Wertungsvorsprung, der selbst kommen datenschutzrechtliche durch gute Leistungen in anderen Hindernisse. Daher ist Auftragge- Wertungskriterien nicht mehr bern zu empfehlen, von ihren Auf- auszugleichen ist. tragnehmern die Erhebung und Übermittlung möglichst präziser Klare Konzepte Angaben hierzu zu verlangen. Häufig verlangen Auftraggeber die Ausarbeitung von Konzepten. Zuschlagskriterien zentral Zwar hat die Rechtsprechung Zentrale Bedeutung haben au- zuletzt große Spielräume bei der ßerdem die Zuschlagskriterien. Formulierung offener WertungsDie Vergabenachprüfungsin- kriterien und der Wertung von stanzen haben häufig betont, Konzepten anerkannt (vgl. BGH, dass der Postmarkt noch “im 04.04.2017, X ZB 3/17). Aus Aufwuchs” ist. Zwar ist die Festle- Bietersicht muss aber zumindest gung der Kriterien zur Ermittlung klar sein, welche Anforderungen des wirtschaftlichsten Angebots die Konzepte erfüllen müssen.

men Ausführungen zu machen sind, ist eine transparente Angebotswertung nicht möglich. Die VK Bund (18.04.2020, VK 2-28/18) stellt außerdem klar: Zwingende Vorgaben der Leistungsbeschreibung müssen in Konzepten grundsätzlich nicht wiederholt werden, da sie ohnehin einzuhalten sind. Bewertbar sind Ausführungen überhaupt nur, soweit die Bieter eigene Prozesse entwickeln oder anpassen. Das Weglassen selbstverständlicher Anforderungen darf deshalb nicht negativ bewertet werden. Eine weitere Quelle von Auseinandersetzungen sind unklare Vorgaben in der Leistungsbeschreibung. Das Gesetz ist insoweit unmissverständlich: Nach § 121 Abs. 1 GWB ist der Auftragsgegenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, damit alle Unternehmen dasselbe Verständnis haben. Nur dann sind die Angebote auch miteinander vergleichbar. Hierzu ist die Rechtsprechung eindeutig: Weicht ein Angebot von den Vergabeunterlagen ab, darf es nur ausgeschlossen werden, wenn der Auftraggeber unmissverständliche Vorgaben gemacht hat. Unklare Vorgaben gehen stets zulasten des Auftraggebers (vgl. etwa EuGH, 02.06.2016, Rs. C-27/15).

Mehr zum Thema Wie Auftraggeber die zahlreichen Vorgaben einhalten und trotzdem qualitativ hochwertige und zugleich wirtschaftliche Leistungen beschaffen können, thematisiert der Autor in einem Webinar des Behörden Spiegel am 8. Dezember 2020 von zehn bis 12:30 Uhr. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-­ forum.de, Suchwort “Post”


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / November 2020

B

ehörden Spiegel: Herr Düsterdiek, wie sind die Coronabedingten Vergabeerleichterungen aus kommunaler Sicht zu bewerten? Düsterdiek: Positiv! Sowohl was die Auslegungshinweise vom Bund und von europäischer Ebene betrifft als auch die Wertgrenzenerhöhungen und Erleichterungen der Länder für den Unterschwellenbereich. Gerade Letztere haben wichtige Impulse gesetzt. Zumal sie stellenweise nicht nur auf Corona-bedingte Beschaffungen ausgelegt sind, sondern auch für sonstige Beschaffungen von Bau-, Lieferund Dienstleistungen gelten. Das hat für die Kommunen große Flexibilisierungsmöglichkeiten gebracht. Leider gibt es aufgrund des föderalen Flickenteppichs sehr viele Unterschiede.

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“Wir wollen größtmögliche Flexibilität!” Bernd Düsterdiek über die Ausgestaltung des Vergaberechts

(BS) In Zeiten der Corona-Pandemie haben Bund und Länder verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die öffentliche Beschaffung zu beschleunigen. Der Behörden Spiegel sprach mit Bernd Düsterdiek, Referatsleiter Städtebaurecht, Stadtentwicklung, Städtebauförderung, Denkmalschutz, Behörden Spiegel: Wäre die Vergaberecht, Geodaten, Wasser und Abwasser und Beauftragter Bauangelegenheiten HGST beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB), Gründung eines Zweckverbands über die kommunalen Erfahrungen der Corona-bedingen Vergaberechtserleichterungen, die Anpassung der Honorarordnung für Architekten und eine Alternative? Ingenieure (HOAI) und die Ausgestaltung von interkommunalen Kooperationen (IKZ). Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

“Ein Hoflieferantentum wird damit nicht ­unterstützt.” Aber “mehr Einheitlichkeit wäre wünschenswert”, meint Bernd Düsterdiek, Referatsleiter unter anderem für Vergaberecht beim Foto: BS/Fieseler Deutschen Städte- und Gemeindebund.

Behörden Spiegel: Welches Vorgehen ist aus Ihrer Sicht besonders positiv? Düsterdiek: Ich nenne zwei Beispiele. Erstens, NordrheinWestfalen. Das Land hat per Runderlass das Vergaberecht flexibilisiert und für alle Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträge bis Ende des Jahres 2021 vereinfacht. Der Schwellenwert für den Direktauftrag ist von 5.000 Euro auf 15.000 Euro angehoben worden, das ist gerade für kleinere Gemeinden sehr hilfreich. Zudem ist im Baubereich bei einer funktionalen Betrachtung der Wert für eine beschränkte Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb (TNW) auf 1,25 Mio. Euro angehoben worden. Freihändige Vergaben sind bis zu 125.000 Euro möglich. Bei einer gewerkeweisen Vergabe sind beschränkte Ausschreibung ohne TNW bis zu 750.000 Euro und freihändige Vergaben bis zu 75.000 je Gewerk möglich. Zudem hat das Land die Regelungen des Bundes zur vereinfachten Beschaffung von Bauleistungen zu Wohnzwecken übernommen. Und freiberufliche Leistungen dürfen bis zu einem Wert von 25.000 Euro direkt vergeben werden. Ein zweites Beispiel: RheinlandPfalz hat, wenn auch für Coronabedingte Beschaffungen, bis zum 30. Juni 2020 Direktaufträge für die Kommunen sogar bis zur H­öhe der EU-Schwellenwertgrenzen zugelassen. Dies war ein mutiger und richtiger Schritt hin zu einer zügigen und flexiblen Beschaffung.

insbesondere die Länder gefordert, einen einheitlichen und praxisgerechten Rechtsrahmen abzustecken. Ungeachtet dessen plädieren wir dafür, sinnvolle Erleichterungen dauerhaft ins Vergaberecht zu übertragen. Wir haben einen enormen Investitionsbedarf in Deutschland und nach wie vor eine nicht gelöste Pandemiesituation. Schon allein aus diesen Gründen sollten die vorgenannten Maßnahmen und vergaberechtlichen Erleichterungen zumindest mittelfristig fortgesetzt werden. Behörden Spiegel: Und was ist mit der Dringlichkeit? Zu Beginn der Pandemie konnten Verfahrenserleichterungen damit begründet werden, das scheint nach siebenmonatiger Dauer der Pandemie aber nicht mehr möglich zu sein? Düsterdiek: Das ist richtig. Viele Beschaffungen sind davon nicht mehr erfasst. An dieser Systematik sollte man jedoch nicht rühren. Das Vergaberecht sieht eindeutige Ausnahmetatbestände vor, die waren zu Beginn der Pandemie gegeben. Jetzt sollte der Fokus auf einer dauerhaften Flexibilisierung und Vereinfachung des Vergaberechts liegen, zumal die Länder für den Unterschwellenbereich den Sachverstand und die Kompetenz haben.

Behörden Spiegel: Trotzdem bleibt der föderale Flickenteppich.

Behörden Spiegel: Gehört zur Flexibilisierung auch die Anhebung der europäischen Schwellenwerte (siehe Behörden Spiegel Oktober 2020, Seite 9)?

Düsterdiek: Ja, das stimmt. Mehr Einheitlichkeit wäre wünschenswert. Hier sind Bund und

Düsterdiek: Ja, unbedingt! Wir brauchen auf europäischer Ebene höhere Schwellenwerte.

214.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungen sind nicht mehr zeitgemäß. Und fünf Millionen Euro für den Baubereich auch nicht. Es ist dringend erforderlich, diese Werte sachgerecht anzupassen. Im Verhältnis zu den EU-Schwellenwerten im Baubereich sind insbesondere die Schwellenwerte für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen überproportional gering. Folge ist, dass etwa die Beschaffung kommunaler Feuerwehrfahrzeuge regelmäßig eine EUweite Ausschreibung erfordert. Dies gilt, obwohl es Angebote aus dem EU-Ausland in der Regel gar nicht gibt. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte daher für die Erhöhung der EU-Schwellen für Liefer- und Dienstleistungen auf 500.000 Euro genutzt werden. Behörden Spiegel: Entsteht dadurch nicht eine Gefahr für den Wettbewerb und eine Möglichkeit, das sogenannte Hoflieferantentum zu etablieren? Düsterdiek: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Wir bewegen uns mit unserer Forderung in einem Rahmen, der mit dem Vergaberecht grundsätzlich kompatibel ist. Wenn wir etwa bei freiberuflichen Leistungen eine Grenze von 750.000 Euro andenken, dann sehe ich keine Wettbewerbsbeschränkungen. Ganz im Gegenteil! Die Möglichkeiten von Bewerbern und Bietern sind nach wie vor ungebrochen. Tatsächlich bekommen kommunale Auftraggeber nur wenige oder gar keine Angebote. Das ist der eigentliche Knackpunkt. Mehr Flexibilität ist sowohl für

Wirtschaft durch Beschaffung ankurbeln Vergabestatistik ist gestartet (BS/jf) Die vergaberechtlichen Grundsätze sind über Jahrzehnte entwickelt worden. Doch in Zeiten einer ­Pandemie müsse man sehen, was bei der öffentlichen Beschaffung unternommen werden könne, um diese Krise zu überstehen, ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier überzeugt. Der öffentlichen Beschaffung komme eine zentrale Rolle zu. Nicht nur bei der Pandemie-Bewältigung, sondern auch bei anderen gesellschaftlichen Aufgaben oder strategischen Zielen wie dem digitalen Wandel oder dem Wandel zu einer klimafreundlichen Wirtschaft. Dem stimmte Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, in einer Webkonferenz des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zu. Die öffentliche Auftragsvergabe könne vielfältige Effekte erzielen, sowohl auf strategischer Ebene als auch auf wirtschaftlicher. Die Wirtschaft könne beim Klimawandel nur erfolgreich sein, wenn Schlüsselindustrien unterstützt würden, so Altmaier

erfordert aber stets, dass kein privates Unternehmen bessergestellt wird als seine Wettbewerber. Diese Aspekte müssen nun in der kommunalen Praxis beachtet werden.

weiter. Allein in Deutschland laufe sich das Beschaffungsvolumen von Bund, Ländern und Kommunen auf jährlich rund 500 Mrd. Euro. Das seien etwa 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Dieses Volumen müsse genutzt werden und die öffentliche Hand ihre Verantwortung wahrnehmen und noch stärker als bisher nachhaltig beschaffen. Dazu entwickle die EU-Kommission neue Handlungsleitfäden, so Breton. Zugleich müsse das öffentliche Auftragswesen effizienter werden, betonte Hubert Gambs, stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmen und KMU (DG GROW). Dies gelinge jedoch nur, wenn umfassendes Daten-

material vorliege. In Deutschland sei dies dank der neuen Vergabestatistik bald möglich, betonte Philipp Steinberg, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik im BMWi. Mit der Statistik sollten Informationen gewonnen werden, wie sich die Aufträge und Konzessionen der öffentlichen Hand über Bund, Länder und Kommunen verteilten, in welchen Bereichen Nachhaltigkeitskriterien bei den Vergabeverfahren eine Rolle spielten oder in welchem Umfang öffentliche Aufträge an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erteilt würden. Am Rechtsrahmen müsse hingegen nichts geändert werden, so Steinberg. Allerdings könne die grenzüberschreitende Beschaffung gestärkt werden.

die Auftraggeber- als auch für die Bieterseite ein Mehrwert. Ein Hoflieferantentum wird damit nicht unterstützt. Das widerspricht unseren Erfahrungen aus der Praxis. Wichtig bleibt aus meiner Sicht auch, die Chancen und Möglichkeiten zu nutzen, die das Vergaberecht selbst bietet, wie zum Beispiel den Abschluss von Rahmenvereinbarungen. Diese werden vorab in den Wettbewerb gegeben, ermöglichen im Ergebnis aber eine praxisgerechte Beschaffung und längerfristige Planungssicherheit. Behörden Spiegel: Und was ist mit einer Einschränkung des europaweiten Wettbewerbs? Düsterdiek: Wie ich schon erwähnt habe, haben wir im kommunalen Bereich kaum Angebote aus dem EU-Ausland, lediglich in grenznahen Kommunen gibt es gelegentlich Angebote aus anderen Mitgliedsstaaten. Für klassische Auftragsvergaben wie etwa den Neubau eines Kindergartens, die Sanierung eines Verwaltungsgebäudes oder die Anschaffung von Informationstechnik gibt es in aller Regel nur Angebote von nationalen Bietern. Allerdings dürfen auch die Länder flexible Beschaffungsverfahren nicht durch andere Maßnahmen torpedieren. So haben zum Beispiel einige Landesregierungen, wie etwa Niedersachsen, Thüringen, Schleswig-Holstein oder auch Sachsen, den Kommunen spezielle Informationspflichten vorgegeben. Auch bei Auftragsvergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte müssen hier alle nicht berücksichtigten Bewerber und Bieter über deren Nichtberücksichtigung zeitlich vor der Zuschlagserteilung informiert werden. Derartige Regelungen sind abzulehnen, weil sie zu einem Mehr an Aufwand und Bürokratie bei den Kommunen führen. Noch wichtiger aber ist: Sie sind auch rechtlich wie tatsächlich überflüssig. Behörden Spiegel: Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) und das Architektenleistungsgesetz (ArchLG) sind vom Bundestag und Bundesrat in Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) angepasst worden. Es wird jedoch davon gesprochen, sie komplett neu zu fassen. Sehen Sie hier weiteren Handlungsbedarf? Düsterdiek: Nein, den sehe ich nicht. Eine wie auch immer geartete “Honorarerhöhungsnovelle” wäre derzeit fehl am Platz. Die aktuell geplanten Anpassungen der Regelungen an das EuGHUrteil sind eigentlich ganz gut gelungen. Forderungen der Architektenverbände nach einer

weitergehenden Ergänzung des Regelwerks um den Aspekt der Angemessenheit der Honorare sind aus kommunaler Sicht indes strikt abzulehnen ist. Wir sehen die Gefahr, dass dadurch das EuGH-Urteil durch die Hintertür wieder ausgehebelt würde. Das kann nicht richtig sein. Der ursprüngliche Entwurf war sehr gut, könnte nun aber wieder verwässert werden. Behörden Spiegel: Ein weiteres Thema betrifft die interkommunale Zusammenarbeit (IKZ). Hier hat sich der EuGH in zwei Urteilen klar positioniert. Wie sind diese Urteile zu bewerten? Düsterdiek: Die Anforderungen an eine IKZ sind nochmals präzisiert worden. Eine Leistungserbringung gegen schlichte Entgeltzahlung ist für eine vergabefreie interkommunale Kooperation weiterhin nicht ausreichend. Der EuGH hat allerdings klargestellt, dass auch in einer “kostenlosen” Übertragung einer Leistung zwischen Kommunen eine für einen öffentlichen Auftrag erforderliche Entgeltlichkeit liegen kann, falls die Parteien gegenseitige Pflichten im Sinne eines Synallagmas übernehmen. Der EuGH hält zudem vergaberechtsfreie horizontale Kooperationen zwischen öffentlichen Auftraggebern auch bei sog. Hilfstätigkeiten – hier ging es um Software-Entwicklung – für zulässig, falls diese Tätigkeiten zur wirksamen Erfüllung öffentlicher Aufgaben beitragen. Eine vergaberechtsfreie öffentlich-öffentliche Kooperation

Düsterdiek: Ja, das ist immer eine Option. Es wäre jedoch misslich, wenn man vom Vergaberecht in eine Organisationsform “hineingetrieben” würde. Das kann nicht die Lösung sein. Wir wollen größtmögliche Flexibilität! Dazu gehört die Möglichkeit, sich auch in Verträgen abzustimmen, um interkommunal zusammenzuarbeiten. Es wäre kaum vermittelbar, dass das gemeinsame kommunale Handeln in einem Zweckverband vergaberechtlich OK ist, das vergleichbare Handeln, über einen gegenseitigen Vertrag abgebildet, im Ergebnis aber nicht. Wie gesagt: Die Praxis muss hier Lösungen finden und auf der Grundlage der vergaberechtlichen “Eckpfeiler” agieren. Behörden Spiegel: Muss der Rechtsrahmen auf Bundes- und Landesebene angepasst werden?

Düsterdiek: Vergaberechtlich braucht man meines Erachtens nichts zu verändern. Die Rechtsprechung hat mittlerweile recht klare Vorgaben zur IKZ definiert. Man muss sich nun in der Vergabepraxis an diesem roten Faden orientieren, der vorliegt. Behörden Spiegel: Der DStGB hat sich in der Vergangenheit stark für eine Vereinheitlichung der Vergabeverordnung (VgV) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – allgemeiner Teil (VOB/A) eingesetzt. Politisch ist das Thema abgehandelt, was glauben Sie, kommt es noch einmal zurück auf die Tagesordnung? Düsterdiek: Die Vereinfachung im Vergaberecht durch eine strukturelle Zusammenfassung der Regelungsbereiche bleibt eine wichtige Aufgabe. Wenn derzeit über Planungsbeschleunigung und Verfahrensvereinfachungen diskutiert wird, müsste das Thema auch wieder auf die Agenda kommen. Aus unserer Sicht wäre es wünschenswert, wenn zumindest im Oberschwellenbereich eine Vereinheitlichung gelänge. Das wäre ein weiteres wichtiges Mosaiksteinchen für mehr Flexibilität im Vergaberecht.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 14

Modell der Zukunft

Behörden Spiegel / November 2020

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Wettbewerblicher Dialog mit Bürgerbeteiligung bei Planervergaben (BS/Markus Ruhmann*) Wie soll die Stadt der Zukunft aussehen? Hierüber lassen Städte und Gemeinden nicht selten hinter verschlossenen Türen entscheiden. Beteiligt sind in der Regel Spezialisten, Politiker und Investoren. Die Methoden der Verhandlung sind unterschiedlich. Doch es geht auch anders: mit Bürgerbeteiligung im kooperativen wettbewerblichen Dialog von Stadt- und Landschaftsplanern. Hamburg macht es in der Entwicklung der neuen Stadtteile Grasbrook und Oberbillwerder mit großem Erfolg vor.

Leistungen für die Planung einzelner Gebäude oder ganzer Stadtteile können im wettbewerblichen Dialog vergeben werden. Dabei können auch die Bürger beteiligt werden. Foto: BS/yolvin pizan, pixabay.com

Planungsleistungen – seien es Planungen für einzelne Objekte oder ganze Stadtteile – werden meistens in einem Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Planungswettbewerb beschafft. Das geschieht nach den Richtlinien für Planungsleistungen (RPW 2013 oder 2015, §§ 74, 17, 78-80 VgV). Diese sehen verschiedene Wettbewerbsverfahren (mit Preisgeldern nur für die Gewinner) – aber keine Bürgerbeteiligung vor. Vielmehr ist nach wie vor die Anonymität der Wettbewerbsteilnehmer und Wettbewerbsbeiträge bis zur Entscheidung der Jury die Regel. Die unter erheblichem Aufwand teilnehmenden Planungsbüros dürfen nicht wissen, wer außer ihnen noch am Verfahren teilnimmt. Sie dürfen auch nicht mit den anderen Teilnehmern oder den Bürgern zusammenarbeiten (außer im kooperativen Verfahren). Die Jurys sind überwiegend mit Fachleuten (anderen Planern) besetzt; Auftraggeber oder Investoren sind in der Unterzahl. Die Bürger bleiben draußen. Dies führt regelmäßig zu Jury-Entscheidungen, die die Bürger nicht verstehen oder die sich nicht (wirtschaftlich) umsetzen lassen. Der Aufwand für die teilnehmenden Büros ist hoch und risikoreich – eine Aufwandsentschädigung erhalten nur die (ersten drei) Preisträger des Wettbewerbs.

Alternative: wettbewerblicher Dialog (mit Bürgerbeteiligung) Ein (Aus-)Weg kann die Beschaffung von Planungsleistungen im wettbewerblichen Dialog mit vo­ rangegangene Teilnahmewettbewerb – und Bürgerbeteiligung – sein (§§ 74, 18 VgV). Bis zur letzten Vergaberechtsreform 2016 führte das Regime der Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) allein zum Verhandlungsverfahren mit vorangegangenem (Planungs-) Wettbewerb nach RPW. Nun heißt es in § 74 VgV, dass Architektenund Ingenieurleistungen in der Regel im Verhandlungsverfahren oder im wettbewerblichen Dialog vergeben werden. Vorbei sind die Zeiten, in denen der wettbewerbliche Dialog nur für “besonders komplexe Vorhaben” infrage kam. Deren Voraussetzung war, dass der öffentliche Auftraggeber objektiv nicht in der Lage war, die technischen Mittel anzugeben, mit denen seine Bedürfnisse und Ziele erfüllt werden können. Eine weitere Begründung war die Einschätzung, rechtliche und finanzielle Mittel des Vorhabens könnten nicht angegeben werden (§§ 101 Abs.5 GWB, 6 a VgV a. F.). Hinzu kam, dass in jedem Fall

eine Aufwandsentschädigung an jeden Teilnehmer zu zahlen war (und nicht nur an die Preisgewinner eines Wettbewerbs). Der wettbewerbliche Dialog wurde fast ausschließlich für Vergaben bei Public Private Partnerships (PPP) und vereinzelt auch bei der Investorenauswahl im Zusammenhang mit öffentlichen Grundstücksverkäufen eingesetzt. Die Voraussetzungen für beide Verfahren wurden in § 14 Abs. 3 VgV angeglichen. Sowohl das Verhandlungsverfahren als auch der wettbewerbliche Dialog sind also möglich, wenn die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers nicht ohne die Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden können. Zudem muss der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfassen oder aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammenhängen, nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden können. Diese Voraussetzungen liegen üblicherweise bei der Vergabe von Planungsleistungen – und insbesondere Stadtplanungsleistungen – vor.

Einsatzmöglichkeiten und Vorteile Im wettbewerblichen Dialog kann der öffentliche Auftraggeber während der Dialogphase mit ausgewählten Teilnehmern alle Aspekte des Auftrags erörtern. Die Dialogbedingungen sind gestaltbar. Sie haben sich nicht an die “starren” RPW zu halten. Damit kann eine Erörterung der Aspekte des Auftrags auch mit der Öffentlichkeit erfolgen. Er kann aber auch Lösungsvorschläge von Teilnehmern (mit deren vorheriger Zustimmung) an andere Teilnehmer weitergeben. Das ermöglicht auch Kollaboration (§ 18 Abs.5 VgV). Er kann damit auch Planer verschiedener Fachrichtungen (wie Stadt- und Landschaftsplaner) während der Dialogphase kollaborieren lassen. Die für Planungswettbewerbe typische “Geheimhaltung” kann so im wettbewerblichen Dialog durchbrochen werden. Hierbei sind natürlich Urheberrechte der Teilnehmer zu wahren. Werden die Teilnehmer aufgefordert, Entwürfe (z. B. auch anhand der BIM-Methode) zu gestalten und sie zu präsentieren, ist das mit erheblichem (Mehr-)Aufwand verbunden. Der öffentliche Auftraggeber ist daher gut beraten, wenn er für jeden Teilnehmer eine angemessene Aufwandsentschädigung vorsieht; auch wenn er es nicht (mehr) muss (§ 18 Abs.10 VgV).

Ist die – eventuell mehrphasige und kollaborative – Dialogphase (einschließlich Präsentation der Entwürfe gegenüber der Öffentlichkeit) abgeschlossen, sind vergleichbare Angebote anhand der zuvor veröffentlichen Wertungskriterien abzugeben. Hier sind Leistungsbeschreibungen (z. B. mit Leistungsbildern aus der Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen, HOAI) vorzugeben, da im wettbewerblichen Dialog grundsätzlich nicht mehr zu verhandelnde Angebote abzugeben sind. Das ist bei Planervergaben aber in der Regel nicht nachteilig. Werden Fest- oder Höchstpreise und Mengengerüste vorgegeben (wie nach dem Honorarmodell der HOAI) verbleibt ohnehin wenig Verhandlungsspielraum.

Beispiel Hamburg Stadtplanungen wie der Masterplan für den Hamburger Stadtteil Oberbillwerder oder die kollaborative Kombination von Funktionsplan und Landschaftsplan für den Hamburger Stadtteil Grasbrook (ehemaliges Olympiagelände) wurden mittels wettbewerblichem Dialog durchgeführt. Dabei arbeitete man mit vorgelagerter und andauernder Bürgerbeteiligung mit Pitches (zu Beginn). Es folgten Bürgerwerkstätten (während der Dialogphase) und eine Schlusspräsentation (vor der Zuschlagsentscheidung) zu den Entwürfen der teilnehmenden Büros. Denkbar sind auch Investorenwettbewerbe. So können für städtische Grundstücke neben einem Nutzungskonzept auch die Architektur in der Dialogphase präsentiert und – mit Bürgerbeteiligung – erörtert werden. Die deutsche Stadtentwicklung profitiert vom Dialog – auch vom wettbewerblichen Dialog, Blockaden werden abgebaut und Transparenz und damit Akzeptanz erhöht. *Markus Ruhmann ist Rechtsanwalt und Mediator, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Partner bei der Kanzlei BUSE.­

► VK-BESCHLUSS

Schriftform missachtet Unterschrift nicht auf der Kopie! Immer wieder wird vor den Nachprüfungsinstanzen über die korrekte Unterschriftsleistung in den Vergabedokumenten gestritten. Kurios allerdings mutet es an, wenn die Unterschriften unter dem Beschluss einer Vergabekammer zum Thema eines Beschwerdeverfahrens werden. Aber genau dies trug sich vor dem OLG Koblenz zu, welches bekanntermaßen großen Wert auf formale Korrektheit legt. Der Nachprüfungsantrag war bereits zurückgezogen. Die Vergabekammer hatte also nur noch über die Kosten zu entscheiden und das Verfahren damit zu beenden. Das nahm man auf der Geschäftsstelle offenbar zu sehr auf die leichte Schulter. Der Beschlusstext wurde entworfen, mehrere Kopien gefertigt und je eine Kopie der Vorsitzenden und den Beisitzern zur Unterschrift zugeleitet. Den sieben Seiten umfassenden Beschluss zusammenzuheften, hat man vergessen. So fand sich in der Akte der Vergabekammer schließlich eine Loseblattsammlung, in der Seite sieben mit jeweils einer Unterschrift dreimal vorhanden war. Das genügt nicht! Der Vergabesenat stellt fest: Die vorgeschriebene Schriftform bedeutet, dass die Urschrift der Urkunde gemeinsam zu unterschreiben ist. Der Beschluss ist mangels korrekter Unterzeichnung rechtlich deswegen schlicht nicht existent. Die Vergabekammer muss ihn zunächst erneut fassen – erst dann kann er überhaupt inhaltlich angegriffen werden. OLG Koblenz (Beschl. v. 17.06.2020, Az.: Verg 1/20)

► VERSPÄTUNG

Nur fünf Minuten Keine Gnade in der E-Vergabe Früher war das noch möglich: Der Bieter, der mit einigen Minuten Verspätung in den Submissionsraum gestürmt kommt, hatte noch die Chance, dass sein Angebot gewertet wird, solange bei keinem anderen bereits der Brieföffner angesetzt war. In Zeiten elektronischer Kommunikation gibt es diese Grauzone nicht mehr. Ein heutiger Bieter, dessen Angebot elektronisch wenige Minuten nach Antragsschluss eingeht, bleibt chancenlos. Der Fall lag so: Das Angebot war 28 Minuten vor dem Schlusstermin signiert worden. Dann sollte es hochgeladen werden, doch siehe da: Jetzt verlangte die Plattform erst noch ein Update des Bieterclients. Das dauerte 17 Minuten, das Hochladen selbst brauchte ebenso lange, und so war die Frist verstrichen. Der Auftraggeber schließt das Angebot aus, die Vergabekammer gibt ihm Recht. Die Verspätung sei dem Bieter zuzurechnen, weil er die Aktualität der Software erst kurz vor Schluss geprüft habe. VK Bund

Fragen mit diesem Schlusssatz stellt ein Bieter zuhauf. Als Antwort erhielt er jedes Mal, dass die Auftraggeber diese Ansicht nicht teile. Einmal sogar antwortete er: “Die gewünschte Abhilfe erfolgt nicht.” Als dem Bieter rund acht Wochen später (und gut zwei Wochen nach Angebotsschluss) mitgeteilt wurde, dass er den Zuschlag nicht erhalten werde, rügte er genau diejenigen Punkte, die er zuvor als Fragen gestellt hatte. Nach erneuter Nichtabhilfe beantragte er die Nachprüfung. Das kommt allerdings zu spät, befindet die Vergabekammer des Bundes. Schon die Fragen zielten auf konkret benannte Vergabefehler. Sie seien also trotz Fragezeichens als Rügen zu verstehen. Die Antworten ließen erkennen, dass der Auftraggeber nicht abhelfen wolle. Demnach hätte der Bieter spätestens nach 15 Tagen die Nachprüfung beantragen müssen. Selbst wenn man sie nur als Fragen verstanden haben wollte, zeigten sie doch, dass der Bieter die Verstöße bereits erkannt hatte. Dann wären die Rügen zumindest vor Angebotsschluss zu stellen gewesen. Welche Frist man auch zugrunde legt: Der Bieter hat sie versäumt und bleibt ohne Erfolg. VK Bund (Beschl. v. 28.05.2020, Az.: VK 1-34/20)

VK Bund (Beschl. v. 25.05.2020, Az.: VK 1-24/20)

► ABFALL

Keine Ökobilanz nötig Auftraggeber bestimmt den Entsorgungsweg Früher hat man Straßen “geteert”, also eine pechhaltige Deckschicht aufgebracht. Bei der Straßensanierung fällt diese Schicht als Abfall an, der seit Kurzem auch nicht mehr beim Straßenbau wiederverwendet werden darf. Wohin also damit? Ein hessischer Auftraggeber hat sich auf der Grundlage einer Fraunhofer-Studie dafür entschieden, mindestens 80 Prozent thermisch zu entsorgen und maximal 20 Prozent im Deponiebau zu verwenden. Beide Entsorgungswege sind nach dem KrWG gleich eingestuft. Welchem Weg der (relative) Vorrang zu geben ist, muss der Auftraggeber abwägen. Diese Abwägung sei ohne Ökobilanz unzureichend, meint hingegen ein Bieter, der einen geringeren Teil thermisch entsorgen will. Das OLG Frankfurt sieht diese Notwendigkeit nicht. Eine solche Anforderung sei im Hinblick auf ein Vergabeverfahren unverhältnismäßig und auch vom KrWG nicht zwingend gefordert. Die eigene Abwägung des Auftraggebers genüge, wenn sie auf hinreichender Tatsachengrundlage erfolgt ist. Dazu genüge die zitierte Studie. Sie zeige auch, dass eine Verwendung im Deponiebau höchstens dann ökologisch günstiger ist, wenn die Deponie um mindestens 240 Kilometer näher an der Abfallentstehungsstelle liegt als die thermische Anlage. Das aber konnte der Bieter nicht vorbringen. Sein Nachprüfungsantrag blieb erfolglos.

(Beschl. v. 29.05.2020, Az.: VK 2-19/20)

OLG Frankfurt (Beschl. v. 21.07.2020, Az.: 11 Verg 9/19)

Mehr zum Thema Wie das Verfahren eines wettbewerblichen Dialogs mit Bürgerbeteiligung gelingen kann und was sich bei Planungswettbewerben ändern muss, beleuchtet ein Webinar des Behörden Spiegel am 1. Dezember 2020. Mehr unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Wettbewerb”.

► ZULÄSSIGKEIT

Frage = Rüge Früher Beginn der ­Nachprüfungsfrist “Die Risikoexponierung des Auftragnehmers erscheint fragwürdig. Wie stellt sich der Auftraggeber zu dieser Problematik?”

Prüfung auf einen unangemessen niedrigen Preis nicht erforderlich wäre, fielen dem Auftraggeber aber einige Einzelpreise auf. So war die Baustelleneinrichtung mit über zwei Millionen Euro erstaunlich hoch angesetzt, andererseits verlangte der Bieter für Betonstahl gerade einmal 1,16 Euro. Um eine Mischkalkulation auszuschließen, fordert der Auftraggeber wie bekannt gemacht die Aufgliederung der Einheitspreise nach VHBFormblatt 223 an. Der Bieter legt seine interne Kalkulation für die Baustelleneinrichtung offen, trägt sie aber nicht getrennt nach Lohnund Materialkosten ins Formblatt ein, sondern in Gänze beim Material. Für die meisten weiteren Positionen gibt er ebenfalls keine Lohnkosten an – auch dort, wo das LV eindeutig Arbeitsleistungen ausweist. Die niedrigen Einheitspreise erklärt der Bieter nur mit seiner Kalkulationsfreiheit. Allein die Tatsache, dass die Löhne nicht an der im Formblatt vorgesehenen Stelle eingetragen waren, hätte für den Ausschluss genügt, meint die Vergabekammer. Hinzu kommt aber, dass das Fehlen der Lohnangaben in den anderen Positionen das Formular unvollständig macht. Auch konnte so der Eindruck der Mischkalkulation nicht ausgeräumt werden. Die Angebotsaufklärung ist damit gescheitert, der Ausschluss unabwendbar.

► FORMBLATT 223

► INSOLVENZ

Pleite während der Nachprüfung Besteht das Auftragsinteresse fort? Manch ein Vergabeverfahren findet ein kurioses Ende, wie der Streit um die Vergabe von ÖPNV-Linienbündeln in Köln. Das Verfahren startete mit einer Bekanntmachung im September 2015 und wurde teilweise im März 2019 vom EuGH entschieden. Eine weitere Rechtsfrage war noch vom OLG Düsseldorf zu klären. Im Mai 2020 wurde über das Vermögen des damaligen Bieters ein Insolvenzverfahren eröffnet. Das OLG Düsseldorf forderte den Insolvenzverwalter auf, zu erklären, ob das operative Geschäft fortgeführt werde und ob er an der Beteiligung an dem Vergabeverfahren festhalte. Der Insolvenzverwalter hat nicht geantwortet. Er erschien auch nicht zur mündlichen Verhandlung. Ihm war wohl nicht klar, dass auch ein Anspruch auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens Teil der Insolvenzmasse ist, weil er grundsätzlich die Aussicht auf ein gewinnbringendes Geschäft enthält. Das OLG Düsseldorf entscheidet auf Ablehnung des Nachprüfungsantrages. Durch die Insolvenz entfällt die Antragsberechtigung, wenn der Insolvenzverwalter nicht ausdrücklich am Auftragsinteresse festhält. Die Kosten gehen zulasten des insolventen Bieters. Der Insolvenzverwalter wird sich unangenehme Fragen der Gläubiger gefallen lassen müssen. Hätte er den Nachprüfungsantrag nicht ignoriert, sondern zurückgenommen, wären die Kosten geringer gewesen. OLG Düsseldorf (Beschl. v. 08.07.2020, Az.: Verg 17/16)

Leere Spalten Ohne Lohnkosten keine Aufklärung Das Angebot des Bestbieters lag knapp sechs Prozent unter dem des Zweitplatzierten. Obwohl eine

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄


Abteilung Z Zentralabteilung

-1831

Z3 Zentrales Controlling

-1605

M2 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Michael Schaich

-1660

-1190

-1571

-1100 -1079

-1555

M1 Persönliche Referentin Sina Klose

-1610

-1480

MRin Elke Rauch

Z9 Zentrale Dienste

Ltd. MR Olaf Rohde

Z8 Hochschulentwicklung Polizei / Allgemeine Verwaltung

MR Marco Krause

Z7 Zentrale Fortbildung

MRin Dr. Claudia-Simone Rohde

-1436

-1079

-1558

-1582

Z6 Referat Personal Ministerium und nachgeordneter Bereich, Geschäftsstelle des Direktors des Landespersonalamts und der Landespersonalkommission

MR Tilo Münster

Z5 Finanzwesen

MRin Susanne Reul

-1485

-1450

-1469

-1474

-1550 -1460

-1683

-1499

-1664

-1320

-1205

Ltd. MRin Ilona Jung

II 9 Justiziariat

MRin Rahela Welp

II 8 Waffenrecht, Melderecht, Kampfmittelräumdienst

N.N.

II 7 Ordnungsrecht, Staatsanzeiger

MR Norbert Mag

-1575

-1236

-1302

II 6 Datenschutz, Informationsfreiheitsrecht

RD Lutz Köhler

II 5 Glücksspiel und Gemeinsame Geschäftsstelle Glücksspiel

MRin Ehrentrude Ruf-Hilscher

II 4 Aufenthaltsrecht

– kommisarisch –

PD Torsten Krückemeier

II 3 Versammlungsrecht, Vereinsrecht, Verfassungsschutz

MRin Ute Frerichs-Zunker

II 2 Verwaltungsverfahren, Pass- und Personalausweisrecht

MR Thomas Lammers

II 1 Wahlen, Hoheitsangelegenheiten

-1680 -1575

-1529

LPP 2 Recht

LPP 1 Einsatz

LPP 5 Technik

-2601

-2501

-2801

-2301

-2201

-2110

-2011

-2002

-2001

MR Thomas Völkel

-9901

LPP 7 Informationsstrategie und -technik der Polizei

– kommisarisch –

MRin Dr. Susanne Stewen

LPP 6 Rückführung

LPD Frank von der Au

LKD Schweitzer

LPP 4 Prävention

MRin Katrin Thaler

LPP 3 Personal

RD Frederik Stoecker

IdP Hans Knapp

KDin Ute Jacobs

LPP Ast Abteilungsstab

LPP Roland Ullmann Ständiger Vertr.: LPVP Andreas Röhrig

Abteilung LPP Landespolizeipräsidium

Claus Spandau

Kommunales Beratungszentrum Hessen – Partner der Kommunen

-1530 -1536

-1528

-1510

-1536

-1470

-9933

-1423

-1425

-1400

Sebastian Poser

V5 Ehrenamtsförderung, Finanzen

Ltd. MR Dr. Tobias Bräunlein

-1324

-1402

V4 Katastrophenschutz, Krisenmanagement, Krisenstab der Landesregierung

ROR Joscha Rasch

V3 Recht, Zivile Verteidigung, Verteidigungswesen

Dr.-Ing. Richard Georgi

V2 Informations- und Kommunikationstechnik, Brandschutz, Katastrophenschutz und Rettungsdienst

LBD Harald Uschek

V1 Brandschutz, Einsatz, Förderwesen

ARin Christine Brieger

KDin Ute Jacobs KDin Carina Lerch OARin Sabine Schubert

Gleichstellungsbeauftragte für die Personalstellen des höheren Dienstes bei der hessischen Polizei: Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen:

RR Matthias Schmidt

MR Norbert Mag ROR Markus Hermenau

Gleichstellungsbeauftragte:

Vorsitzender des Personalrats:

Behördlicher Datenschutzbeauftragter: IT-Sicherheitsbeauftragter:

Abteilung VI Sport -1800 -1530

-1809

-1808

-1800

-1805

-1812

VII 2 IT-Recht

VII 11 Projektreferat IV (Verwaltungsprojekte)

– kommissarisch –

VPin HLKA Vera Lindenthal-Gold

VII 12 Hessen CyberCompetenceCenter

ROR Udo Fahrion

N.N.

VII 10 Projektreferat III (DMS)

ROR Martin Woitschell

VII 9 Projektreferat II (OZG)

MR Andreas Schlicher

VII 8 Projektreferat I (DMB)

MRin Dr. Anja Syring

VII 7 Programmreferat Verwaltungsdigitalisierung HMdIS

RR Dr. Marco Schärfke

VII 6 Informations- und Kommunikationstechnik im HMdIS

RDin Miriam Marbach

VII 5 IT-Koordination im Innenressort

MR Dirk Dohn

VII 4 Innovationsmanagement Cyber-Sicherheit

– kommisarisch –

Frau Tanja Bossert

VII 3 Zentrales Informationssicherheitsmanagement

MR Lars Bostelmann

– kommisarisch –

ROR Dr. Frank Zielsdorf

VII 1 Grundsatz, Koordinierung

Geschäftsstelle IT

-9901

-1996

-1984

-1300

-1980

-1927

-1569

-1920

-1929

-1993

-1961

-9901

-1900

Personelles

-2343

-2111 -069-75 53 20 00

-1681

-1566

-1302 -1991

RRin Meike Freitag

VI 5 Integration und Prävention im und durch den Sport

RRin Marina Mohnen

VI 4 Sport für Menschen mit Behinderungen, Inklusion

RD Oliver Palme

VI 3 Leistungssport, Breiten- und Gesundheitssport

– kommissarisch –

Min. Dirig Jens-Uwe Münker

VI 2 Sportstättenförderung

Dirk Dirbach

Min.Dirig. Ralf Stettner Chief Information Security Officer Vertr.: VPin HLKA Vera Lindenthal-Gold – kommisarisch –

Abteilung VII Cyber- und IT-Sicherheit, Verwaltungsdigitalisierung

Email:Poststelle@hmdis.hessen.de

Telefon: 0611/353-0 Telefax: 0611/353 1766

Postfach: 3167 65021 Wiesbaden

Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Friedrich-Ebert-Allee 12 65185 Wiesbaden

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Stand: Oktober 2020

VI 1 Grundsatzfragen des Sports, Sportent­ wicklung, Ehrenamt und Vereinsförderung

Kommissarische stellv. Leitung

Min.Dirig. Jens-Uwe Münker Min.Dirig. Matthias Graf

Marco Herbert -3090

Stabsstelle Corona / Koordinierung Verwaltungsabläufe

Abteilung V Brand- und Katastrophenschutz, Informations- und Kommunikationstechnik, Brandschutz, Katastrophenschutz und Rettungsdienst, Verteidigungswesen, Krisenmanagement Min.Dirig. Gunnar Milberg -1270 Vertr.: Ltd.MR Dr. Tobias Bräunlein -1402

LKD Bodo Koch

Stabsstelle hessenWARN / KOMPASS

1) soweit Tarifverhandlungen betroffen fachlich unmittelbar Herrn Minister unterstellt 2) unabhängige Ansprechperson (berichtet direkt dem Innenminister und dem Innenstaatssekretär) 3) fachlich unmittelbar der Behördenleitung unterstellt

MR Reinhard Mann-Sixel

IV 4 Kommunale Abgaben, Versorgungskassen und Standardabbau

MRin Andrea Reusch-Demel

IV 3 Kommunale Strukturen und Interkommunale Zusammenarbeit

MR Thorsten Hardt

IV 2 Kommunale Finanzen, Haushalt und Wirtschaft

Ltd. MR Ulrich Dreßler

IV 1 Kommunales Verfassungsrecht Kommunalaufsicht und kommunale Personalangelegenheiten

Min.Dirig. Matthias Graf Vertr.: Ltd. MR Ulrich Dreßler

Abteilung IV Kommunale Angelegenheiten

MRin Dr. Susanne Stewen -1243

Stabsstelle Rückführungsmanagement

Dr. Stefan Heck

Ständiger Vertreter des Ministers Direktor des Landespersonalamtes

Staatssekretär

Foto: BS/Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

Peter Beuth

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.

1

Abteilung II Rechtsabteilung

LKD Christian Vögele -1620

Geschäftsstelle Expertenkommission

-1150

-1603

-1507

Min.Dirig. Dr. Wilhelm Kanther Vertr.: Ltd. MRin Ilona Jung

M5 Bundesrat Prof. Dr. Petra Kolmer

M4 Grundsatzangelegenheiten Marc-André Link kommissarisch

M3 Parlamentsangelegenheiten, IMK, EU-Koordination Hendrik Schultz

Arbeits- und Tarifrecht, Tarifpolitik Ltd. MRin Tanja Eichner -1460

I4

MR Christoph Malachinski

I3 Versorgung

MRin Jutta Dobelmann

I2 Besoldung

MRin Ursula Friedrich – koordinierend – MRin Karin Elsäßer

I1 Beamtenrecht, Personalvertretungsrecht

Min.Dirig. Stephan Gortner Vertr.: Ltd. MRin Tanja Eichner

Abteilung I Dienstrecht, Tarifrecht

-1502

LMB Leiter Ministerbüro Dr. Roland Wagner

Referatsgruppe M – Ministerbüro

Z4 Personalentwicklung, Aus- und Fortbildung

MR Andreas Dietzel

3

MR Ralf-Jürgen Liebeck

Z2 Interne Revision

MRin Stefanie Soucek

Z1 Organisation und Verwaltungsmodernisierung

RRin Susanne Hoffmann-Fessner -1410

Geschäftsstelle Gütesiegel Familienfreundlicher Arbeitgeber Land Hessen

Min. Dirig. Wilfried Schmäing Vertr.: Ltd. MR Olaf Rohde

2

LPD Jürgen Begere

Ansprechpartner der Polizei

Minister

Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

Behörden Spiegel / November 2020 Seite 15


Diplomaten Spiegel

Seite 16

Bollwerk des Abendlandes

J

ahrzehnte überschattet von den deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs, beginnt ein “Wandel durch Annäherung” erst ab 1969 mit einer neuen Ostpolitik der Regierung Brandt. Oder und Neiße sind nun die Westgrenze Polens und die Nachbarschaft mit Deutschland regt sich, prosperiert und ist heute eine auf “Augenhöhe”. Besonders erfreulich – der deutsch-polnische Handel, seit über zwanzig Jahren der mit Abstand wichtigste des Landes in Mittel- und Osteuropa. Sein Botschafter in Berlin, Dr. Andrzej Przyłębski, 62, mag nicht klagen, außer es gehört zum “Handwerk” oder ist, wie derzeit, Corona-bedingt.

Behörden Spiegel / November 2020

Ein Gespräch mit dem polnischen Botschafter Prof. Dr. Andrzej Przyłębski (BS/ps) Die Beziehungen unserer Staaten sind von herausgehobener Bedeutung. Gute Nachbarschaft, übereinstimmende Interessen in vielen Bereichen, regelmäßige Regierungskonsultationen und Partnerschaft in EU und NATO sind das Fundament. Regionale und grenzüberschreitende Kontakte, über 600 Städtepartnerschaften und der Jugendaustausch florieren. Schreiben wir also über Polen und darüber, dass die Beziehungen nicht immer so waren.

“Wir stehen gut da” “Die polnische Wirtschaft steht vor ähnlichen Herausforderungen wie anderswo auch. Unser Finanzministerium sagt für das laufende Jahr ein um 4,6 Prozent niedrigeres BIP und für 2021 einen Anstieg um ca. vier bis 4,5 Prozent voraus. Die finanzielle Lage Polens ist bislang besser als in anderen Ländern der Region, seine Wirtschaft hält den Folgen der Pandemie dank ihrer Diversifikation und Wettbewerbsfähigkeit besser stand. Durch umfangreiche Hilfsmaßnahmen der Regierung wurden viele Arbeitsplätze gerettet, wodurch auch der Arbeitsmarkt nicht allzu sehr unter der Corona-Krise gelitten hat. Insofern stehen wir also gut da, vielleicht mit am besten in der EU”, berichtet Botschafter Przyłębski. Die politische Situation ist stabil. Zum erneuten Mal haben die republikanisch-konservativen Kräfte in Polen die Wahlen gewonnen, obwohl die Wahlergebnisse zeigen, dass die Gesellschaft gespalten ist. Der Kommunismus, der sich vom Post-Kommunismus zur Postmoderne wandelte, findet viele Anhänger, vor allem in Großstädten und an den Universitäten, was zu heftigen Auseinandersetzungen um den Erhalt des kulturellen Erbes führt. “Neulich”, so Przyłębski, “hat das zu Diskussionen um die Rolle der LGBT-Ideologie (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgender) geführt. Proteste gegen ihre Einführung in die schulischen Programme wurden von linken Medien als Angriff auf konkrete Personen dargestellt, was wiederum im Westen einen gänzlich falschen Eindruck geweckt hat, man würde in Polen Menschen wegen ihrer sexuellen Präferenzen verfolgen. Völliger Unsinn!”

Recht der Eltern Was in der Europäischen Union nicht überall so gesehen wird und auch nicht unbemerkt bleibt: Wie sich die Begeisterung bei den einst von der EU so überzeugten Polen nach und nach legt. “Diese entwickelt sich in eine Richtung, die uns sehr besorgt. Sie ist aus dem Gleichgewicht geraten. Linke und liberale Weltanschauungen dominieren alles, die konservativen Kräfte (z. B. EVP) versuchen,

Seit vier Jahren Chefdiplomat der Republik Polen: Botschafter Dr. Andrzej Przyłębski

Rezept des Botschafters Apfelkuchen

In unserer Familie hat sich meine Frau mit Kochen beschäftigt und ich war immer fürs Backen zuständig. Deshalb habe ich damit einige Erfahrung und kann Ihnen von Herzen ein Rezept für meinen Lieblingskuchen empfehlen, der in Polen „Szarlotka“ [ʃarlotka] oder „Jabłecznik“ heißt. In Deutschland natürlich auch als Apfelkuchen bekannt. Für diese Wahl sprechen zwei zusätzliche Argumente. Zum einen ist Polen ein bedeutender Produzent von Äpfeln. Zum anderen fand am 25. Oktober zum ersten Mal in Deutschland, nämlich in Essen, ein Festival des polnischen Apfelkuchens statt, wo ich in der Jury saß. Die Teilnehmer kamen von hier, Belgien, Frankreich, die Äpfel aus Polen und die Gewinner aus Essen und Wuppertal. Zutaten für den Kuchen Teig: 300 g Mehl, 3 EL Zucker, 2 TL Vanillin, 2 TL Backpulver, 250 kalte Butter 1 Ei Teig.

sich anzupassen. Der links-liberale Druck führt dazu, dass Polen sich oft gezwungen sieht, sich ideologisch anzupassen”, erläutert der Botschafter. Als Beispiel könne die soeben erwähnte “LGBT-Ideologie” gelten, die in ganz Europa das Erziehungsprogramm der Jugend prägen solle. “Das raubt den Eltern das grundsätzliche Recht, selbst darüber zu entscheiden. Im Westen hat es schon zu einer kinderlosen Gesellschaft geführt, Polen will da nicht mitmachen und hat das Vertragsrecht der EU auf seiner Seite. Dennoch stehen wir unter einem immensen Druck, unsere christlichen, abendländischen

Alle Zutaten zu einem Teig kneten und zu einer Kugel formen, in Frischhaltefolie wickeln und für 1 Stunde in den Kühlschrank stellen. Apfelmus: ca. 1,5 kg Äpfel, 2 EL Zucker, 1 TL Zimt, ev. Puderzucker zum bestreuen. Apfelmus vorbereiten. Äpfel waschen, schälen, entkernen, in kleine Würfel schneiden. Zucker hinzufügen und in einer Pfanne erhitzen und gelegentlich umrühren bis ein Mus entsteht. Zimt dazugeben. Eine Backform einfetten und mit Backpapier auslegen und die Hälfte des Teigs darauf verteilen. Den Teig mit dem Apfelmus bestreichen. Den restlichen Teig mit einer Reibe gleichmäßig auf dem Apfelmus verstreuen. Bei 180 °C ca. 50-60 Minuten backen, bis der Kuchen leicht gebräunt/goldbraun ist. Den Kuchen abkühlen lassen. Vor dem Servieren ev. mit Puderzucker bestreuen. Viel Spaß beim Backen und guten Appetit. Smacznego!

Werte und Ideale preiszugeben. EU, Kommission und Parlament müssen umdenken, wenn Europa als Kulturgröße bestehen will”, so der 62-Jährige.

Keine Flüchtlinge Umdenken ist seiner Meinung nach auch bei der Klimapolitik der Gemeinschaft sinnvoll. “Ich persönlich finde die Überzeugung, dass Menschen das Klima kon­ trollieren können, eine ungeheure Anmaßung, glaube aber, dass einige dieser Schritte zu dem beitragen können, was wirklich zur Schonung der Umwelt nötig ist. Dass wir durch EU-Maßnahmen die Temperatur der Erde um zwei

Die Tage des Botschaftsgebäudes in der Lassentrasse im Grunewald sind gezählt. Polens Botschafter Andrzej Przyłębskii unterzeichnete den Vertrag mit dem Bauunternehmen "Strabag Poland". Die Firma, die zum europäischen Technologiekonzern für Baudienstleistungen STRABAG gehört, wird die neue polnische Botschaft "Unter den Linden" errichten.

Grad reduzieren können, wenn andere Erdteile kaum mitmachen wollen, ist Irrsinn. Wir leben in einer merkwürdigen Zeit der Narrative, die die Wahrheitssuche verdrängt und über unser Denken und Handeln entscheidet. Wir haben die freie Urteilsbildung verlernt. Meine Bezeichnung dafür heißt “Postmoderne””, sagt Przyłębski. “Einen Teil davon macht das “Political Framing” aus, d. h. die Aufdrängung einer Sprache, die den Diskurs dominieren soll. Das Wort “Flüchtlinge”, gebraucht für alle Migranten, gehört hinzu. Diese Umbenennung gilt vor allem in Deutschland. Wir Polen weigern uns, alle, die aus Afrika oder Asien zu uns kommen wollen, als Flüchtlinge zu betrachten. Wo sind die Kriege, die diese Wortwahl begründen? In Afghanistan, in Marokko? Wenn einige Länder einen Mangel an Arbeitskräften feststellen, dann sind sie auch berechtigt, diesen Mangel durch Import aus Drittländern zu beheben. Aber nicht unter dem Vorwand, sie nehmen “Flüchtlinge” auf. Denn das ist eine Lüge. Wir nehmen zurzeit ca.1,3 Millionen Ukrainer (teilweise aus dem Donezk-Gebiet) und 500.000 Belarussen auf, nennen sie aber nicht Flüchtlinge. Sie selbst möchten es nicht, denn sie wollen arbeiten, anstatt auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Daher gilt für uns das Prinzip: Vor Ort helfen. Zweitens: Afrika und Asien brauchen diese jungen Männer (denn es sind

Fotos: BS/Dombrowsky

vor allem junge Männer, die fliehen), um sich wirtschaftlich entwickeln zu können. Wir, die so moralisch handelnden Europäer, dürfen keinen “Braindrain”, die Abwanderung des Humankapitals (Akademiker, Unternehmer, Wissenschaftler) betreiben”, so der Botschafter. Das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass auch der Osten nach einer von Brüssel 2015 beschlossen Quote Flüchtlinge aufnehmen soll, was von den meisten Osteuropäern als Zumutung angesehen wird. Die Mehrheit vermutet, diese kämen vor allem, weil unsere Kanzlerin sie eingeladen habe, weniger ob der Bürgerkriege im Libanon und Syrien.

Bild Deutschlands hat ein Janusgesicht Seit über 80 Jahren immer noch im polnischen Bewusstsein gegenwärtig ist der Angriffskrieg der deutschen Wehrmacht gegen Polen ab 1. September 1939 an der Westerplatte bei Danzig. Dies wird jedes Jahr feierlich begangen. “In diesem Kontext ist der Gedanken der Kriegsreparationen aufgetaucht. Andererseits wissen die Polen, dass sich die BRD entscheidend verändert hat und seit Jahren mit uns wirtschaftlich so verbunden ist, dass auch Polen davon profitiert. Das Bild Deutschlands hat also ein Janusgesicht: Ausgezeichnete wirtschaftliche Kooperation und kein Interesse an einer Lösung des Problems der Entschädigungen für die totale, barbarische Zerstörung Polens im Zweiten Weltkrieg. Auch die Idee der Errichtung eines Denkmals für die Opfer der deutschen Besatzung stößt im Bundestag auf Widerstand. Das sagt viel über den deutschen Kenntnisstand über Gräueltaten, die in Polen von NS-Deutschland begangen wurden, aus.” Soweit, so nicht gut, was unser Ansehen dort anbelangt. Was das seines Landes bei uns betrifft, so ist Botschafter Dr. Przyłębski genau: “Wirtschaftlich ist das Image gut. Politisch ist es aber bei der Mehrheit der Deutschen schlecht, wegen der unberechtigten Kritik an der konservativen Regierung, die seit 2015 an der Macht ist. Diese so erfolgreiche Regierung passt einfach nicht in den politischen Mainstream der EU. Für eine kluge Minderheit der deutschen Gesellschaft gilt Polen

dennoch – ich erfahre es sehr oft bei meinen Treffen – als das (neben Ungarn) letzte Bollwerk des Abendlandes und der christlich geprägten Kultur. Man verbindet mit unserer Linie große Hoffnungen”, berichtet der Botschafter. Von Kultur versteht Dr. Andrzej Przyłębski viel. Er studiert Philosophie und Sozialwissenschaften, schreibt 1982 eine Magisterarbeit zu Martin Heidegger, die Doktorarbeit über Emil Lask (Vertreter des Neukantianismus) und arbeitet 1994 an der HumboldtUniversität Berlin. Ab 2001 ist er Kultur- und Wissenschaftsattaché an seiner Botschaft in Berlin, 2002 Professor an der Universität Posen, bis 2007 Gastprofessor an der TU Chemnitz und stellvertretender Vorsitzender der Internationalen Hegel-Gesellschaft. Im Juli 2016 wird er Botschafter bei uns. Der “Schuster bleibt insofern nicht bei seinen Leisten” und verzweifelt nicht an den Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit, auch nicht in der Diplomatie. “Nein! Menschen sollten sich dieser Grenzen bewusst werden, statt Gott zu spielen. Die Epoche der Aufklärung und die damit verbundenen Hoffnungen der Menschheit auf Kontrolle über die Wirklichkeit und auf Fortschritt in jeder Hinsicht werden in Westeuropa weit überschätzt. Die Menschheit sollte bescheidener werden: Sowohl die kleinsten (z. B. Viren), als auch die größten (z. B. Dürren, Hitzewellen, Orkane) Elemente der Wirklichkeit sind für uns kaum kontrollierbar, was uns die gegenwärtige Pandemie deutlich vor Augen führt”, so Przyłębski. Seit vier Jahren ist der Philosoph Przyłębski als Diplomat “bei uns” was viel mit seiner Frau zu tun hat, die ihn zu seiner wissenschaftlichen Karriere überredete, welche letztlich zu der Akkreditierung in Berlin führte. Prägend für seine “Politisierung” war, außer Willy Brandts Kniefall im Dezember 1970 in Warschau, “die Entstehung der “Solidarność”, u. a. als Folge der Wahl von Karol Wojtyła zum Papst (was Lech Wałęsa neulich anzweifelte).Und die Begegnung mit Jarosław Kaczyński (Partei-Vorsitzender der Prawo i Sprawiedliwość – PIS), einem der letzten Staatsmänner Europas. Die philosophischen und politischen Gespräche mit ihm haben zur Korrektur vieler meiner Ansichten geführt. Und die Wirklichkeit gibt ihm recht”, erzählt Przyłębski.

Letzte Frage Mit wem würden Sie gerne mal tauschen? “Ich bin mit meinem Leben zufrieden, denn ich habe mein Potenzial gut in Gang gesetzt. Die beruflichen Alternativen, die ich mir vor Jahren vorstellen konnte, waren Tennislehrer und Musiker. Mein Traum aber ist, dass unsere Völker nicht nur Nachbarn, sondern wirklich auch Freunde werden. Manches wurde in dieser Richtung bereits getan, es mangelt aber in Deutschland am wirklichen Interesse an dem Reichtum der polnischen Kultur und am Willen zum Kennenlernen der polnischen Lebenswelt (die in Film und Literatur so gut getroffen ist). Das gilt auch für die Politik: Wahre Freunde sollten Polen vor irreführenden Vorwürfen der Europäischen Kommission schützen, anstatt immer wieder zu sagen: Wir müssen abwarten, wir warten mal ab. Von einem Freund erwartet man nicht, dass er zuschaut. Es hätte gereicht, sich in den Geist und die Buchstaben der neuen polnischen Gesetze hineinzulesen, um festzustellen, dass sie keine Verletzung der Rechtstaatlichkeit darstellen. Das gleiche gilt für die Haltung gegenüber der LGBTIdeologie, die mit Geringschätzung bzw. Ablehnung konkreter Personen nichts zu tun hat. Wir haben ein Recht, im Einklang mit unseren historischen Werten zu leben”, mahnt der Botschafter.


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / November 2020

“2021 wird es für Köln düster werden” Kölns Stadtkämmerin sieht das Schlimmste noch kommen

KNAPP Open Data kommt in der Fläche an

(BS/Lora Köstler-Messaoudi) Mehr als eine Milliarde Euro ist das finanzielle Loch der Stadt Köln groß. Bevor Corona kam, rechnete man in der Stadt am Rhein noch damit, 2022 den (BS/wim) Immer mehr KomHaushaltsausgleich zu schaffen. Dieses Ziel ist nun in weite Ferne gerückt. In diesem Jahr sei Köln noch mit einem blauen Auge davongekommen, für die kommenden Jahre aber sieht munen in Deutschland stellen die Prognose Kölns Kämmerin Prof. Dörte Diemert zufolge düster aus. ihre Daten offen zur Verfügung. “Wir wissen noch nicht, wie die Zukunft aussieht und wo die Reise in Köln hingeht”, sagte Stadtkämmerin Diemert auf dem Finanzgipfel des Behörden Spiegel in Bonn. Im zweiten Quartal dieses Jahrs sank das BIP der Stadt Köln um mehr als zehn Prozent. Die Finanzmarktkrise machte im Vergleich dazu nur einen Rückgang von 5,7 Prozent aus. Die Mai-Steuerschätzung rechnet mit einem Corona-bedingen Rückgang der Gewerbesteuer von 25 Prozent. Zudem befürchtet man eine erhöhte Anzahl an Insolvenzen. Mittelfristig rechnet man in Köln mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, verbunden mit dem erhöhten Aufwand für die Sozialsysteme. Hier rechnet man in der Kämmerei mit einem Mehraufwand in Höhe von 40 bis 60 Millionen Euro. Die Steuerungsmaßnahmen für die Wirtschaft und Strukturen vor Ort haben laut Diemert zu einem Liquiditätsabfluss von rund 200 Millionen Euro geführt. Hinzu kamen die Beschaffung und Verteilung von Hygienematerial und Schutzausrüstung für rund 16 Mio. Euro. Auch die Schaffung von Testzentren sowie von Reserve- und Ausweichkapazitäten im Bereich Pflege, Jugendschutz und in den Krankenhäusern musste finanziert werden. Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) musste auch gestützt werden. “Im April haben wir einen Einbruch von 80 Prozent bei den Fahrgastzahlen zu verzeichnen gehabt”, erklärt Diemert. Die Kölner Verkehrsbetriebe rechnen in diesem Jahr mit Mindererträgen von 50 Mio. Euro. Die Messe sei, mit kleinen Ausnahmen, komplett zum Erliegen gekommen – hier ist die Stadt Köln mit 80 Prozent neben dem Land beteiligt. Beim Flughafen Köln/Bonn sieht es ähnlich aus. “Mit einem

Dunkle Wolken ziehen über Köln auf. Fehlende Planungssicherheit und düstere Prognosen lassen Kölns Stadtkämmerin Dörte Diemert mit Sorgen in die Zukunft blicken. Foto: BS/S. Hermann & F. Richter, Pixabay

Einbruch von über 90 Prozent hatten wir hier Zahlen, die unter dem Worst-Case-Szenario lagen”, erklärt die Stadtkämmerin.

Massiver Verschuldungszuwachs erwartet “2021 wird es für Köln düster werden”, so Diemert. Geringere Ausschüttungen in den Folgejahren machen der Kämmerin Sorgen: “Die eine oder andere Quittung werden wir erst mit Verspätung bekommen.” Erste erschütternde Zahlen lägen ihr bereits vor. Die kommenden Jahre sind es auch, die die Stadtkämmerin die größte Sorge bereiten. Viele Erleichterungen oder Zusagen vom Land gelten nur für 2020. Bislang gebe es keine Zusage für die Gewerbesteuereinbrüche im Jahr 2021. Auch haushaltsrechtliche Erleichterungen gelten nur

dieses Jahr. So kann die Stadt dieses Jahr auf einen Nachtragshaushalt verzichten, nicht aber im kommenden Jahr. Vom Land wünscht sich Diemert deshalb bessere Planungssicherheit. Auch der Finanzausschuss des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) mahnte eine bessere Planungssicherheit an: “Die Kommunalfinanzen und kommunale Investitions- und Handlungsfähigkeit müssen weiter stabilisiert und gestärkt werden, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch 2021 und 2022”, forderte Oberbürgermeister Dr. Bernhard Gmehling als Vorsitzender des Gremiums. “Nur mit finanziell handlungsfähigen Kommunen wird Deutschland die Krise bewältigen.” Der besorgniserregend hohe kommunale Investitionsrückstand von zuletzt 147 Mrd. Euro dürfe, gerade auch

mit Blick auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, nicht noch weiter anwachsen. “Wenn wir jetzt den Kommunen keine Planungssicherheit über das Jahr 2020 hinaus geben, setzen wir nicht nur die konjunkturelle Erholung nach der CoronaPandemie aufs Spiel, sondern gefährden mit der notgedrungen bröckelnden kommunalen Infrastruktur den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt”, warnte Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine.

Projekte stehen auf der Kippe “Die Unsicherheit ist der Feind von Investitionen mit mehrjährigen Finanzierungsverpflichtungen”, betonte auch Kölns Kämmerin. Wichtig sei es auch, echte Hilfen vom Land zu bekommen und nicht nur Kreditierung. So

müsse das Land den Einbruch der Steuererträge auch über 2020 hinaus abfedern und die Hilfen für den ÖPNV verlängern. Wichtig sei es aber auch, die Einbrüche beim kommunalen Finanzausgleich zu kompensieren. Auch die Flüchtlingsfinanzierung müsse angegangen und eine Lösung für die Altschulden der NRW-Kommunen gefunden werden, denn “die Corona-Krise befördert einen massiven Verschuldungszuwachs”, warnt Diemert. Vorbild bei der Schuldentilgung, so Uwe Zimmermann, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DStGB, seien die Länder Hessen und das Saarland. Beide übernehmen die Hälfte der Schulden ihrer Kommunen mit entsprechenden Entschuldungsprogrammen. Es sei aber fraglich, ob auch andere Länder diesem Vorbild folgen würden. Auch Bremens Finanzsenator sieht eine Diskussion um die Altschuldenübernahme von Kommunen vor der Bundestagwahl als chancenlos. Aus der Welt ist das Problem damit aber nicht, denn die kommunalen Schulden nehmen im Zuge der Pandemie drastisch zu: Im ersten Halbjahr 2020 betrug das kommunale Finanzierungdefizit bereits knapp zehn Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2019 hatte das Defizit im Vergleich dazu nur knapp 0,3 Milliarden Euro betragen. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, warnte, dass viele Projekte, die über mehrere Jahre liefen, jetzt auf der Kippe stünden. “Bund und Länder müssen auch für die Jahre 2021 und 2022 Hilfen bereitstellen. Es geht darum, die Investitionskraft der Kommunen zu stärken, damit die Konjunktur wieder besser in Gang kommt”, betonte Dedy.

In einer neuen Studie, die das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung durchgeführt hat, befürworten mehr als 90 Prozent der befragten kommunal Verantwortlichen die politischen Bestrebungen, offene Daten verstärkt zur Verfügung zu stellen. Das Hauptproblem für viele von ihnen sind jedoch die hohen Hürden, die sich ihnen durch mangelnde personelle Ressourcen und einem fehlenden gesetzlichen Auftrag in den Weg stellen. Auch die Angst vor Datenmissbrauch und datenschutzrechtliche Bedenken bremsen die Kommunen bei der Bereitstellung offener Daten aus.

Toolbox für effizientes Energiemanagement (BS/wim) In Baden-Württemberg ist ein neues digitales Werkzeug vorgestellt worden, mit dem Kommunen ihre Energie und Wärme effizienter steuern können. „Hotmaps“ nennt sich die von Forschenden des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe mitentwickelte Open-Source-Toolbox. Sie ist kostenlos, einfach im Netz zugänglich (www. hotmaps.eu/) und soll es Städten, Gemeinden und Regionen in ganz Europa leichter machen, etwa die Verteilung der Wärme- und Kältenachfrage zu analysieren. So können sie effizientere Strategien und Modelle entwickeln, um diese Nachfrage zu decken. Zusätzlich zeigt die Anwendung auch die nächstgelegenen verfügbaren Quellen für Erneuerbare Energien an, sodass Szenarien zur klimaneutralen Wärmeversorgung entwickelt werden können.

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

HEIMAT, DIE STADT

8. 8.–9. Dezember 2020 Leonardo Le e Hotel, Weimar W

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des

Foto: Matthiass Ecker ckkert

Eröffnungsredner: Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar


Kommunalpolitik

Seite 18

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ine Sondersendung jagte die nächste. Die Landesregierung wartete sehr lange mit offiziellen Verlautbarungen. Hieran habe ich mich eigentlich nie gewöhnt, dass beispielsweise mittwochs der Ministerpräsident die Presse informierte, um die Vollzugsbehörden irgendwann am anschließenden Wochenende offiziell zu unterrichten. Mein “freies Wochenende” nutzte ich mit Gedankenspielen aus dem Eishockey. Wie wirst du “dein” Gemeindeteam organisieren? Am Sonntag, den 15. März verkündete ich dann via Facebook, dass das Rathaus als erste Behörde im Kreis Euskirchen bis auf Weiteres für den Publikumsverkehr geschlossen bleibt. Mit einem kleinen Shitstorm musste ich zurechtkommen: “Die Obrigkeit schottet sich ab” war noch eine gemäßigtere Reaktion.

Mit zwei Reihen im Krisenfall Und nun zum Eishockey: In dieser Sportart wird die Mannschaft meist in vier Reihen aufgeteilt, Die Reihen spielen meist immer mit den gleichen Spielern. So wird gewährleistet, dass die Spieler gut harmonieren. Und so würde ich auch das Rathaus organisieren; aber weniger wegen des harmonischen Miteinanders, sondern um “Reihen” zu bilden, die das gesamte Aufgabengebiet “auf dem Spielfeld” bedienen. Wir bildeten Reihe A und B. Wochenweise wechselten sich die Reihen ab. Die eine Woche war Reihe A im Rathaus und B im Homeoffice. In der nächsten Woche gab es dann den fliegenden Wechsel. Dieses System hatten wir innerhalb von zwei Tagen zum Laufen gebracht. Ich muss gestehen: So ganz wohl fühlte ich mich mit meiner Entscheidung nicht. Immerhin reduzierte sich nicht das Aufgabengebiet der Gemeinde um die Hälfte, wohl aber das Personal, welches präsent vor Ort

Behörden Spiegel / November 2020

Mit Eishockeytaktik gegen Corona Ein Erfahrungsbericht aus der Gemeinde Blankenheim (BS/Rolf Hartmann) Freitag, der dreizehnte: Es war im März dieses Jahres. Nordrhein-Westfalen machte die Kindertagesstätten und Schulen dicht. Ein Seniorennachmittag am Sonntag, auf dem der Bürgermeister die Gemeinde repräsentieren sollte, war bereits abgesagt. Ich hatte zunächst einmal ein freies Wochenende. Ein seltsames Ereignis für einen Bürgermeister. Dafür beschäftigte mich das Virus rund um die Uhr. war. Es funktionierte, wir boten weiterhin das komplette Portfolio der Gemeindedienstleistungen an und Reihe A begegnete über Monate nicht Reihe B. Um als Kommunalverwaltung im Krisenfall schnell und effektiv reagieren zu können, hatten wir bereits im Vorfeld festgelegt, welche kommunalen Leistungen im Krisenfall eine besondere Relevanz haben sollten. Ich hielt es auch vor Corona für hilfreich, wenn im Krisenfall auch die zurückzustellenden Aufgaben vorab klar festgelegt sind und die frei werdenden Ressourcen verstärkt für akute Aufgaben zur Bewältigung der Krise eingesetzt werden können. Der gesetzlich vorgeschriebene Stab für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) war schon vor Jahren personell definiert worden. Allein um die erdachten Szenarien zu simulieren, fehlte jedoch bisher die Zeit. Dennoch waren die bereits feststehenden Strukturen und Gedankenspiele sehr hilfreich.

Tägliche Stabs-Telefonkonferenzen Der SAE wurde aufgrund der aktuellen Lage teilweise ergänzt aber auch reduziert, weil sich z. B. herausstellte, dass die Gefahrenabwehr durch die Feuerwehr speziell für diese Lage der Pandemie eher nicht relevant ist. Dieser Stab tagte sodann fast jeden Tag via Telefonkonferenz. Er ersetzte quasi in Zeiten der Pandemie die aufgrund seiner Allzuständigkeit basierende Entscheidungshoheit des Gemeinderates. Unzählige

Allgemeinverfügungen wurden erlassen, die wie noch nie in die Grundrechte der Bürger eingriffen und daher alles andere als das Geschäft der laufenden Verwaltung darstellten. Das erste Verwaltungshandeln nach der Schließung des Rathauses orientierte sich an folgenden Kriterien: • Leib und Leben der Bevölkerung und des Personals retten und schützen und • wirtschaftliche Schäden für einzelne und die Gemeinschaft abwenden bzw. zur Kompensation beitragen. Sofort nahm ich mit dem Gewerbe Kontakt auf und begleitete es kontinuierlich auch in den Weg der Lockerungen.

Hilfsangebote für besonders Schutzbedürftige Hier ging es zunächst darum, die regelmäßigen sozialen Transferleistungen, für deren Auszahlung die Kommune zuständig ist, aufrechtzuerhalten. Aber auch die drei Seniorenheime, die nicht in der Trägerschaft der Gemeinde sind, standen im besonderen Fokus des Bürgermeisters. Eine ständige Kommunikation zu den Leitungen der Senioreneinrichtungen war erforderlich.

Sicherheit und Ordnung aufrechterhalten Der kommunale Vollzugsdienst wurde mehr als verdoppelt. Beschäftigten aus dem Tourismussektor und Küchenkräfte der Mensa unserer Gesamt-

eingesetzt. Diese waren in der Lage, aufkommende Fragen selbst zu beantworten Rolf Hartmann war von 2004 bis Ende Oktober 2020 Bürbzw. ohne große germeister der Gemeinde Rückfragen eine Blankenheim. Foto: BS/privat Lösung zu entwickeln. So ganz nebenbei wurde dadurch die operative Ebene des schule war plötzlich die Arbeit Ordnungsamtes von diesen weggebrochen. Sie wurden im Fragestellungen ferngehalten. Crashkurs als Vollzugskräfte Kommunikationskanäle wie die ausgebildet und machten ihre Sozialen Netzwerke wurden verSache sehr gut. Das Ordnungs- stärkt eingesetzt. Social-Mediaamt wurde ebenfalls personell Aktivitäten sind nicht nur für aufgestockt. Nicht so einfach eigene Informationen wichtig. für eine Kernverwaltung von Auch auf Falschmeldungen und ca. 50 Kräften. Schließlich war Fehleinschätzungen aus der Beunser Vollzugsdienst rund um völkerung kann zügig reagiert werden. Da ich für den Bürger die Uhr verfügbar. plötzlich nicht mehr so greifbar Infrastrukturen aufrechterwar, richtete ich mich regelmähalten und informieren ßig via Videobotschaft an die Schwere Störungen und Schä- Bevölkerung. Hier konnte ich mit den in Einrichtungen der Ver- einfacher Sprache die Situation sorgung und der Entsorgung erklären, aber auch der Bevöl(Wasser, Abwasser und Abfall), kerung Mut zusprechen. soweit die Kommune zuständig ist, mussten unbedingt vermie- Ressourcen bereitstellen den werden. Insofern hatte die Der Betrieb von IT-Lösungen Ausfallsicherheit dieser Kriti- hatte hohe Priorität. Die Gemeinschen Infrastrukturen hohe de hat für diese Aufgabe nur zwei Priorität. Konkret zeigte sich, Mitarbeiter, die sich über Monadass die Bevölkerung über die te nicht mehr analog begegnen Besonderheiten bei der Abfall­ durften. Post- und Botendienste entsorgung sehr kurzfristig zu sicherten bei eingeschränkter informieren war. elektronischer KommunikatiSehr zur Beruhigung der Be- on den Informationsfluss. Ervölkerung trug eine zeitnahe schwerend kam hinzu, dass unInformation durch eine kompe- sere Allgemeinverfügungen zur tente Hotline bei. Hierfür wurden Wirksamkeit in den jeweiligen zwei fachkompetente Mitarbeiter Aushangkästen aller 17 Orte

bekannt gemacht werden mussten. Hierfür war ein Mitarbeiter für eine Strecke von rund 90 km mehrere Stunden unterwegs. Aufgrund des anzunehmenden hohen Mitarbeiterausfalls im Pandemiefall werden auch relevante Prozesse in der bisherigen Form eventuell nicht fortgeführt werden können und ggf. angepasst werden müssen. Die Absenkung von Prozessstandards wurde bereits im Vorfeld diskutiert und festgelegt. Bisher hatten wir jedoch noch keine nennenswerten Personalausfälle.

Gerechtigkeit des Lockdowns Mit den Lockerungen zur “verantwortungsvollen Normalität” wurde unsere Arbeit jedoch nicht einfacher. Im Gegenteil: Die Gerechtigkeit des Lockdowns führte dazu, dass weitgehend alle gleichermaßen eingeschränkt waren. Diese Gerechtigkeit verschwand mit den ersten Lockerungen. Jetzt galt es beispielweise zu erklären, warum die Sportvereine schon trainieren durften, der Übungsbetrieb der Musikvereine jedoch nur sehr eingeschränkt möglich war. Das Wirken der Gemeindeverwaltung stieß trotz aller Restriktionen auf eine positive Resonanz in der Bevölkerung. Dabei ist eine offensive Öffentlichkeitsarbeit unabdingbar. Wie so oft waren die Kommunen das staatliche Gesicht für den Bürger und haben einen großen Beitrag geleistet, dass die Krise bisher relativ gut beherrschbar ist. Wie noch nie musste ich als Bürgermeister in die Grundrechte meiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Es musste aufgrund einer Erkenntnislage entschieden werden, die noch wenig belastbar ist. Dabei können Fehler lebensbedrohlich sein; eigentlich eine unzumutbare Situation für die Entscheider.

Alles für die moderne Arbeitswelt Breite Palette für Büro und Homeoffice (BS/jf) Arbeiten ist Veränderung. Nicht nur die Digitalisierung, sondern auch neue Arbeitsweisen wie Homeoffice oder mobile Office und nicht zuletzt das Coronavirus stellen neue Anforderungen an moderne Arbeitswelten. Der Möbelhersteller Assmann reagiert darauf nicht nur mit Produktneuheiten, sondern auch mit Smart-Office-Lösungen und bietet verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten an. Im Büroalltag sind höhenverstellbare Schreibtische heute ebenso ein Muss wie Drehstühle mit ergonomischen Eigenschaften und guter Sitzqualität. Deshalb verbindet das neue StehSitz-Schreibtischsystem Tensos Ergonomie mit modernem Design und ermöglicht durch seine elektrische Höhenverstellung maximale Flexibilität für die optimale Arbeitsposition im Stehen oder Sitzen. Die elektromotorische Höhenverstellung von 620 – 1.270 mm ermöglicht eine schnelle und komfortable Anpassung der Arbeits- und Sitzhöhe an die individuelle Körpergröße.

Zahlreiche Varianten beim Drehstuhl Passend dazu bietet Assmann den neuen Bürodrehstuhl “Streamo” an. Dieser lässt sich in jedes Raumkonzept integrieren, bietet eine leichte und selbsterklärende Handhabung und sorgt durch die Syncro-Mechanik mit Autolift-System für die ideale Unterstützung ohne weitere Feinjustierung. Die Rückenlehne ist wahlweise als Polster- und Netzrückenausführung erhältlich. Zur Basis-Ausstattung gehören eine Sitztiefenverstellung sowie 3D-Armlehnen. Optional bestellbar sind darüber hinaus eine höhenverstellbare Lordosenstütze zur Steigerung der ergonomischen Sitzeigenschaften und weitere Accessoires wie Kopfstütze und Fußkreuz in polierter Aluminium-Ausführung. Komplettiert wird die neue Produktkollektion durch bequeme Besucher- und

Konferenzstühle als Vierfuß- oder Freischwinger-Variante mit breitgefächerter Bezugsstoffauswahl und umfangreicher Farbvielfalt.

Digitale Büroarbeitssysteme für das Smart Office Zudem schaffen neue SmartOffice-Lösungen vielfältige Möglichkeiten im Arbeitsalltag. Egal, ob intelligent einstellbare Büroarbeitsplätze, sensorunterstütze Buchungssysteme oder softwaregesteuerte elektronische Schließfachsysteme, das Arbeiten wird in Raum und Zeit flexibler. Mit den smarten Arbeitsplätzen kann – trotz Desk Sharing und geringerer Anwesenheitszeiten im Büro – stets auf auf persönliche Bedürfnisse abgestimmte Konfigurationen zugegriffen werden. Bei der Buchung eines elektromotorischen Schreibtischsystems wird die individuelle Sitz- und Stehhöhe des Nutzers automatisch hinterlegt. Die Sensortechnologie überprüft die jeweiligen Buchungen und liefert verlässliche Daten für die Büroflächen-Optimierung. Das softwaregesteuerte Schließfachsystem bietet eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten: vom individuellen persönlichen Stauraum über die temporäre Nutzung bis hin zur intelligenten Warenausgabe ohne Personaleinsatz.

Einrichtungslösungen für das Homeoffice Angesichts moderner, mobiler und flexibler Arbeitszeitmodelle, verstärkt durch die aktuellen Herausforderungen der Corona-

Pandemie, wird das Homeoffice immer zentraler für die Beschäftigten. Doch für das feste oder temporäre Arbeiten von zu Hause sind professionelle und vor allem ergonomische Einrichtungslösungen wie am Büroarbeitsplatz unverzichtbar. Der niedersächsische Möbelhersteller bietet deshalb Schnelllieferprogramme mit einer umfangreichen Auswahl von optisch ansprechenden Einrichtungslösungen und qualitativ hochwertigen Möbelsystemen für die schnelle und professionelle Realisation ergonomischer Homeoffice-Arbeitsplätze an.

Leasing-Konzepte für passgenaue Arbeitsplatzlösungen Aktuell sind Investitionen für neue Büromöbel nicht immer einfach zu leisten. Die Assmann Büromöbel GmbH & Co KG bietet deshalb ein neues Möbel-Leasing-Konzept an. Das Prinzip ist das gleiche wie beim FahrzeugLeasing. Der Kunde konfiguriert seine gewünschten Produkte nach individuellen Bedürfnissen und zahlt dafür eine monatliche Rate über einen flexiblen Zeitraum. Im Anschluss können die Möbel übernommen werden oder der Kunde entscheidet sich für eine neue attraktive Arbeitswelt. “Mit maßgeschneiderten Angeboten zu attraktiven Konditionen können wir jetzt noch besser passgenaue Bürolösungen für jeden Anspruch realisieren und dabei das Eigenkapital unserer Kunden schonen”, erklärt dazu der geschäftsführende Gesellschafter Dirk Aßmann.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / November 2020

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ehörden Spiegel: Frau Pfeiffer, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat beim ÖPNV versucht, auf Bundes- und Landesebene parallel zu verhandeln (siehe Behörden Spiegel Oktober 2020, Seite 3). Wie ist Ihre Meinung dazu?

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Umfangreiche Themenkomplexe Claudia Pfeiffer über die Aufgaben eines modernen kommunalen Dienstleisters

(BS) Die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen sind abgeschlossen (siehe Seite 3), doch für die Spartentarifverträge zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), den TV-N, gehen die Verhandlungen weiter. Claudia Pfeiffer, die scheidende Geschäftsführerin des Kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV) Berlin, sprach mit dem Behörden Spiegel über den Verhandlungsstand im Berliner Nahverkehr sowie Pfeiffer: Inhaltlich habe ich Ver- beim Universitätsdienstleister uni-assist e. V. und zieht eine Bilanz über ihre Tätigkeit. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

ständnis dafür, einen bundesweiten Rahmentarifvertrag in Angriff zu nehmen. Wir haben auch in den entsprechenden Gremien der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) dafür votiert. Aber es gibt einen demokratischen Willensbildungsprozess in der VKA. An dessen Ende ist die Entscheidung getroffen worden, keine Tarifverhandlungen auf Bundesebene aufzunehmen. Dagegen kann eine Gewerkschaft streiken, doch in Zeiten von Corona ist das kein gutes Signal. Das Verständnis in der Bevölkerung für diese Streiks ist nicht sehr ausgeprägt. Und seien wir mal ehrlich, kaum einer außerhalb des Öffentlichen Dienstes versteht, worum es bei diesen Streiks wirklich geht. Behörden Spiegel: Wie ist der aktuelle Stand, bezogen auf Berlin?

Pfeiffer: Der Spartentarifvertrag TV-N für die rund 14.600 Beschäftigten der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) und deren Tochter BT GmbH ist in Gänze gekündigt worden. Hinzu kommt der Tarifvertrag Demografie, der ebenfalls zur Verhandlung steht. Das sind umfangreiche Themenkomplexe. Wir haben uns mit Verdi auf einen Verhandlungstermin Anfang November geeinigt. Für die einzelnen Schwerpunktthemen haben wir Arbeitsgruppen gebildet, in denen Forderungen erörtert und erste Vorschläge erarbeitet werden sollen. Wir müssen jedoch auch die Finanzkraft der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG)

“Und seien wir mal ehrlich, kaum einer außerhalb des Öffentlichen Dienstes versteht, worum es bei diesen Streiks wirklich geht”, sagt Claudia Pfeiffer, Geschäftsführerin des KAV Berlin, über die Tarifverhandlungen zum ÖPNV. Foto: BS/Fieseler

berücksichtigen. Zumal wir im letzten Jahr einen sehr teuren Tarifabschluss hatten. Behörden Spiegel: Ein anderes Tariffeld betrifft die Hochschulen, speziell den Verein uni-assist e.V. Zeichnet sich hier eine Lösung ab? Pfeiffer: Da kann ich eine erfreuliche Nachricht verkünden. Uns ist eine Tarifeinigung gelungen, nachdem sich die kontrovers geführten Verhandlungen für diese verhältnismäßig kleine Einheit mit rund 160 Mitarbeitern über einen ungewöhnlich langen Zeitraum von eineinhalb Jahren hingezogen haben. Verdi hat hier einen harten und erbitterten Kampf geführt. Angesichts unseres Angebotes war dieser Kampf für uns unverständlich. Wir haben angeboten, den Tarifvertrag der Länder (TV-L) dynamisch einzuführen. Das heißt mit allen Entgelterhöhungen, die von der TdL verhandelt werden sowie einer Altersvorsorge in der VBL. Also das ganze Paket für einen vorher nicht tarifgebundenen Ar-

beitgeber. Andernorts wird sehr für ein solches Angebot gekämpft, aber hier reichte es Verdi nicht. Es wurden weitere Forderungen erhoben. Dazu ist uni-assist einfach finanziell nicht in der Lage gewesen. Das hat Verdi am Ende des Tages eingesehen und so haben wir jetzt eine Tarifeinigung, die unserem Angebot entspricht, zuzüglich einer differenzierten Einmalzahlung für verschiedene Beschäftigtengruppen sowie kleineren Änderungen bei der Überleitung. Behörden Spiegel: Zuletzt ging es um das Thema Befristungen. Was ist daraus geworden? Pfeiffer: Befristungen gehören nicht in einen Tarifvertrag. Es ist als Thema nicht von der Hand zu weisen, aber das muss der Arbeitgeber vor Ort mit dem Betriebsrat regeln. Es gibt grundsätzliche Regelungen im Flächentarifvertrag TV-L und im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Darüber hinausgehende Regelungen haben wir immer abgelehnt.

Behörden Spiegel: Sie sind seit fast 16 Jahren im Amt als Geschäftsführerin der KAV Berlin. Nun scheiden Sie zum Jahreswechsel aus dem Amt. Welche Bilanz ziehen Sie? Pfeiffer: Es sind 16 Jahre als Geschäftsführerin. Die ersten fünf Jahre als stellvertretende Geschäftsführerin, in denen ich den Verband aufbauen konnte, insgesamt also 21 Jahre seit Gründung des KAV Berlin in der Selbstständigkeit im Jahr 1999. Vorher war der Verband ein Bestandteil der Senatsverwaltung für Inneres. Zur Bilanz: Ich bin sehr, sehr zufrieden! Es ist gelungen, den KAV Berlin als modernen, vorwärts gewandten und interessanten Dienstleister für unsere Mitglieder zu etablieren. Das spiegelt sich in den Zahlen. Wir sind 1999 mit 50 öffentlichen Arbeitgebern gestartet, inzwischen haben wir 100 Mitglieder. Das ist eine sehr gute Zahl für einen Stadtstaat. Zumal es sehr bedeutende Mitglieder sind, wie beispielsweise die

Charité oder eben die BVG, die das öffentliche Leben der Hauptstadt Deutschlands prägen. Aber auch viele kleinere, hochinteressante Arbeitgeber. Das erfüllt mich ein Stück weit mit Stolz. Behörden Spiegel: Wie hat sich die Verdoppelung der Mitgliedszahlen entwickelt? Kamen die öffentlichen Arbeitgeber zu Ihnen oder mussten Sie intensiv um Ihre Mitglieder werben? Pfeiffer: Die Werbung möchte ich nicht in den Vordergrund stellen. Natürlich machen wir auch Akquise. Das geht aber nur, wenn man etwas anbieten kann, was einen Wert hat. Der KAV Berlin hat sich über die Zeit als Dienstleister entwickelt und etabliert, als ernstzunehmender und ernstgenommener Partner in der Politik. Wir haben ein gutes Standing, eine sehr solide Rechtsberatung, wir machen viele Tarifverhandlungen, die wir mit unserem Sozialpartner Verdi zum Abschluss bringen können. Das alles weckt Vertrauen und überzeugt andere öffentliche Arbeitgeber, hier Mitglied zu sein. Hinzu kommt das große Thema Vernetzung, etwa durch eine Vielzahl von Veranstaltungen, die wir organisieren. Das ist ein großer Mehrwert für unsere Mitglieder. Behörden Spiegel: Was waren aus Ihrer Sicht die besonderen Highlights? Pfeiffer: Dazu gehört sicherlich der Start im Jahr 1999, als wir vor der Existenzgründung standen.

Selbstständig zu agieren, war zwar eine enorme Herausforderung, hat aber auch sehr viel Spaß gemacht. Das ging aber nur, weil unser Vorstand uns immer vertraut hat, wofür ich immer noch sehr dankbar bin. Zudem haben wir ein exzellentes Team in der Geschäftsstelle. Für die Zukunft sind wir sehr gut aufgestellt. Wir bleiben aber auch nicht stehen. Wir suchen ständig die Themen, die unsere Mitglieder berühren und prüfen, was wir an dieser Stelle unternehmen können. Das treibt uns immer weiter an. Ich kann einen in vielerlei Hinsicht sehr solide aufgestellten Arbeitgeberverband in neue Hände legen und hoffe, dass wir auch die jetzige Pandemie gemeinsam mit unseren Mitgliedern überstehen. Behörden Spiegel: Und inhaltlich, was waren herausragende Ereignisse? Pfeiffer: Da ragen zwei Tarifverhandlungen besonders heraus. Zum einen die große BVG-Verhandlung 2012, die von wochenlangen Streiks begleitet wurden, schon so sehr schwierig waren und zudem immer wieder von politischer Seite enorm beeinflusst worden sind. Letzteres hat die Verhandlungen mit unserem Sozialpartner enorm erschwert. Die zweiten Verhandlungen betrafen den gemeinsamen Tarifvertrag für unsere Hochschulen 2010. Es kann nicht sein, dass in der Hauptstadt mit vielen namhaften Universitäten ein Konkurrenzkampf um die besten Arbeitskräfte entstanden wäre und Verdi an jeder Hochschule andere Arbeitsbedingungen aushandelt. Deshalb haben wir das unter unserem Dach gebündelt. Das hat einiges an Arbeit und Nerven gekostet, weil auch die Hochschulen überzeugt werden mussten, die selbstständige und selbstbewusste Arbeitgeber waren und sind.


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Personelles

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Kommunalpolitik / Personelles

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Eine Chance für Sie als Zukunftsgestalter, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt ist in der Gemeinde Wandlitz die Stelle Amtsleitung Hochbau (m/w/d) in Vollzeit zu besetzen. Das Hochbauamt betreut mit seinen 17 Mitarbeiter/innen baufachlich die gemeindeeigenen Gebäude. Personalführung, fachliche Führung zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen und landschaftlichen Entwicklung sind herausfordernde Aufgabe des Hochbauamtes, die wir gemeinsam mit Ihnen lösen wollen. Wir brauchen Sie, kommen Sie zu uns. Die ausführliche Stellenausschreibung finden Sie unter www.wanditz.de.

MELDUNG

Zunehmend genutzt (BS/lkm) Im Jahr 2019 wurden 358 direktdemokratische Verfahren auf kommunaler Ebene neu gestartet. Am intensivsten nutzt man das Mitbestimmungsrecht in Bayern. Hier fanden über 40 Prozent aller Verfahren statt. Zu diesen Ergebnissen kommt der aktuelle Bürgerbegehrensbericht des Vereines Mehr Demokratie.

Klimaschutz als Anlass für Bürgerbegehren Im Vergleich zu den Vorjahren stieg die Zahl neuer Verfahren stark an. 2017 zählte der Bericht 278 neu initiierte Verfahren, 2015 waren es 293. Der Verein gibt als Grund unter anderem die vermehrte Nutzung von Bürgerbegehren für klimapolitische Ziele an. In den Jahren 2013 bis 2016 gab beispielsweise jährlich nur ein neues Bürgerbegehren zum Radverkehr. 2017 waren es sieben, 2018 vier und 2019 bereits 15. “Mit der direkten Demokratie können Bürgerinnen und Bürger in ausnahmslos allen Bundesländern eine Sache selbst in die Hand nehmen und sich so von Verwaltung und Politik unabhängig machen. Das spornt die Politik an, drängende Probleme anzugehen sowie Kritik und Ideen aus der Bevölkerung ernst zu nehmen”, meint Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie.

Starkes Gefälle zwischen den Ländern Mehr als die Hälfte aller Verfahren konzentrierte sich auf zwei Bundesländer. 42 Prozent der Verfahren (152) wurden in Bayern und etwa 13 Prozent (49) in Baden-Württemberg ausgelöst. Die Plätze dahinter belegen Nordrhein-Westfalen mit 36, Niedersachsen mit 33 und Hessen mit 20 Verfahren. Schlusslichter mit keinem bzw. einem Verfahren sind das Saarland (eins), Bremen und Berlin (beide null). Das Gefälle zwischen den Ländern führt der Verein auf die unterschiedlichen Regelwerke in den Ländern zurück. Reformbedarf sieht der Verein vorwiegend in Ländern mit noch immer hohen Hürden für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, so im Saarland und in Brandenburg.

Spannendster Job Deutschlands als Leiter/in des Bauamts (m/w/i/t)* einer Stadt Wer möchte eine Innenstadt zu einem touristischen Zentrum entwickeln, einen Schlossberg mit Schlossmuseum, Lindenaumuseum und naturkundlichem Museum bei der Entwicklung zu einem europaweit kulturellen Leuchtturm begleiten, ein Teichareal zum Lieblingsort einer ganzen Region gestalten und die Stadt zu einer möglichen Landesgartenschau 2028 führen? Altenburg gehört zu den Städten, in denen sich Altes und Neues, Historisches und Modernes zu einer harmonischen Einheit fügen. Die Silhouette der Stadt ist von besonderem Reiz. Als ehemalige Residenzstadt kann Altenburg auf eine über 1025-jährige Geschichte zurückblicken und verfügt über ein entsprechend wertvolles bauhistorisches Erbe. Ihre Position: • Sie leiten das Bauamt als Referat Stadtentwicklung und Bau, zu welchem die Bereiche Hochbau, Stadtentwicklung, Bauverwaltung, Bauordnung sowie Liegenschaftsverwaltung zählen. • Sie führen in dieser Position ca. 30 Mitarbeiter/innen und sind dem Bürgermeister direkt unterstellt. • Mit Ihren kreativen und nachhaltigen Ideen zur Gestaltung des öffentlichen Raums steuern Sie aktiv die stadtplanerische Entwicklung der Stadt Altenburg und die damit verbundenen Veränderungsprozesse. • Sie vertreten die Interessen der Stadt Altenburg und Ihres Referates kompetent und kooperativ in den städtischen und überregionalen Gremien sowie gegenüber der Verwaltungsspitze und der Öffentlichkeit. • Ihre Kenntnisse und Ihre Position innerhalb unserer Verwaltung befähigen Sie zur Analyse innerbetrieblicher Prozesse hinsichtlich Optimierungspotenzialen und Synergieeffekten, besonders im Bereich der Gebäudeverwaltung.

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Wir bieten: • ein breit gefächertes, vielseitiges Aufgabengebiet • eine unbefristete Vollzeitstelle nach Entgeltgruppe 14 TVöD bzw. bis zur Besoldungsgruppe A 14 bei Erfüllung der beamtenrechtlichen Voraussetzungen • vielseitige Weiterbildungsmöglichkeiten • flexible Arbeitszeiten (Gleitzeit) • jährliche Sonderzahlung und leistungsorientierte Bezahlung (LOB) gemäß TVöD • eine betriebliche Zusatzversorgung gemäß TVöD • Zahlung vermögenswirksamer Leistungen • Unterstützung bei der Wohnungssuche in Altenburg • Unterstützung bei der Kita-Platz-Suche Nähere Informationen zum Ausschreibungstext sowie zum Bewerbungsverfahren erhalten Sie auf unserer Website www.altenburg.eu unter der Rubrik „Stadtrat und Verwaltung“ – „Stellenangebote“ Auskünfte erteilen Ihnen der Oberbürgermeister, Herr Neumann (03447/594101) sowie der Bürgermeister, Herr Rosenfeld (03447/594121).

ZEHN GEBOTE FÜR KOMMUNEN Der öffentliche Sektor ist zu einem freien Markt geworden. Altes Denken ist da wenig hilfreich. Die Kommunen haben es inzwischen mit Kunden und nicht mehr mit Einwohnern zu tun. Es geht um Zielgruppen und Erlöse. Schrumpfen diese, hat das weitreichende Folgen und das vor dem Hintergrund angespannter Haushalte, steigender Verwaltungsaufgaben und voranschreitender Digitalisierung. Zehn Gebote liefern Lösungsansätze für Kommunen.

Gebot 8: Kommunen müssen denken wie Unternehmen So befremdend das für “kommunale Ohren” klingen mag: Eine Kommune unterscheidet sich in ihrer Arbeitsweise kaum von Unternehmen. Nur hat die Wirtschaft über einen sehr langen Zeitraum gelernt, sich stetig weiterzuentwickeln und neuen Anforderungen anzupassen. Machen Unternehmen das nicht, fegt sie der Wettbewerb vom Markt. Im Gegensatz dazu gefallen sich Kommunen derzeit noch in ihrer Rolle als verwaltendes Organ. Viele von ihnen erachten es auch besonders vor dem Hintergrund ihrer hoheitsrechtlichen Aufgaben als nicht notwendig, sich weiterzuentwi-

Dominic Multerer ist Marketingexperte und Gründer des Instituts für Wachstumschancen und Innovation (IWCI). Foto: BS/privat

ckeln. Aber anstatt “stolz” darauf zu sein, nichts zu verändern, ist zukünftig Gestaltung und Veränderung angesagt. Dazu gehören eben auch die Digitalisierungen, Neustrukturierungen oder kundenorientiertes Handeln. Hierfür müssen Mitarbeiter durch Fortbildungen auf den neusten Stand gebracht und alle Entwicklungsthemen auch ernst genommen werden. Nur wer das begreift, kann Kommunen langfristig nach vorne bringen. Angesichts der künftigen Aufgaben, des wachsenden Wettbewerbs, einer pluralistischen Gesellschaft, der Globalisierung und immer neuen, intelligenter werdenden Technologien kommen Städte und Gemeinden gar nicht um marktorientiertes Denken herum. Dafür sind aber alte, teilweise über Jahrzehnte

gewachsene und gepflegte Zöpfe abzuschneiden. Fakt ist: Nur wer selbst sein Schicksal in die Hand nimmt, kann es auch eigenverantwortlich bestimmen. Sonst machen es andere. Dazu gehört beispielsweise das Hinterfragen des Leistungsangebots der Gemeinde im Zusammenhang mit den Kernkompetenzen. Schon hier beginnt unternehmerisches Denken. Ist es sinnvoll, alles vorzuhalten oder wird man durch Auslagerung und Kooperationen effizienter, weil dadurch Leistungen verbessert und kostengünstiger werden? Als Kommune nun aber als marktwirtschaftliches Unternehmen anzutreten und der Privatwirtschaft Konkurrenz zu machen, ist falsch verstandenes Handeln. Denn: Erwerbswirtschaftlich-fiskalische Unternehmungen sind den Kommunen laut Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts untersagt. Im Mittelpunkt kommunaler Aktivitäten steht die Erfüllung eines “öffentlichen Zwecks”. Städte und Gemeinden können sich aber sehr wohl an den Grundsätzen unternehmerischen Handelns orientieren und sich NGOs als Vorbild nehmen, die ebenfalls nicht gewinnbringend arbeiten dürfen, aber genauso im Wettbewerb um Euros und Sichtbarkeit stehen.


Kommunaler Haushalt

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Hilfen für 2021/22 gefordert

Sparzwang in der Pandemie

Ostdeutsche OBs befürchten drastische Investitionsausfälle

Vierte Kommune in Thüringen in Haushaltsnotlage

(BS/gg) Die ostdeutschen Städte befürchten, dass sie wegen der Corona-Krise bei ihren Investitionen in den (BS/lkm) Seit Mitte Oktober steht fest, dass die Universitätsstadt Jena in eine Haushaltsnotlage geraten ist. kommenden Jahren deutlich kürzen müssen. Sie fordern deshalb von Bund und Ländern zusätzliche Hilfen. Grund sei die Corona-Pandemie. Jena ist damit bereits die vierte Kommune in Thüringen, für die eine Haushaltsnotlage bestätigt wurde. Betroffen sind auch Eisenach, Suhl, Nordhausen sowie der Unstrut-Hainich-Kreis. Nach einer Konferenz des Deut­ schen Städtetages mit ostdeut­ schen Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern in Leip­ zig erklärte Gastgeber und Ober­ bürgermeister Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städ­ tetages: “In diesem Jahr können wir trotz Corona noch in Schulen, Kindergärten und Digitalisierung investieren. Die geplanten Investi­ tionen laufen dank der Hilfen von Bund und Ländern. Vor allem der Ausgleich der Gewerbesteueraus­ fälle in diesem Jahr ist wichtig.” Die Ergebnisse der Sondersteu­ erschätzung im September hatten ergeben, dass die Steuereinnah­ men der Städte und Gemeinden durch Corona nicht nur in diesem Jahr, sondern auch 2021 und 2022 viel niedriger sein werden. Für die kommenden beiden Jahre werden bundesweit 8,9 bzw. 9,7

Milliarden Euro weniger pro­g ­ nostiziert als ursprünglich ange­ nommen. Vor diesem Hintergrund erhob Jung für die ostdeutschen Städte von Bund und Ländern fol­ gende Forderung: “Wir brauchen konkrete Hilfszusagen für 2021 und 2022. Die Investitionen der Kommunen sind unverzichtbar, wenn der Wirtschaftsaufschwung aus der Krise führen soll. Die Hälf­ te der öffentlichen Sachinvestitio­ nen sind Aufträge der Kommunen. Im vergangenen Jahr waren das bundesweit 32 Milliarden Euro. Jetzt stehen viele Projekte auf der Kippe. Wenn Ausschreibungen gestoppt werden müssten, wäre das schlecht für die Bürgerin­ nen und Bürger, aber auch für Handwerk und Wirtschaft”, so der Städtetag-Präsident. Beim Investitionsniveau müss­ ten gerade die ostdeutschen

Kommunen noch aufholen. So konnten sie im vergangenen Jahr nur durchschnittlich 364 Euro je Einwohner investieren, in Bayern waren es dagegen 699 Euro und in Baden-Württemberg 511 Euro. Wie stark die einzelnen Städte finanziell durch Corona-Folgen betroffen sind, ist regional sehr unterschiedlich. Dafür aus­ schlaggebend ist, wie stark Kri­ senbranchen, vor allem Gastro­ nomie, Unterhaltung, Tourismus und Einzelhandel, in der Stadt be­ heimatet sind. Hohe Umsatzver­ luste durch Corona verzeichnet besonders der stationäre Handel mit Bekleidung und Schuhen. Hinzu kommen Umsatzeinbrü­ che bei einzelnen Branchen des verarbeitenden Gewerbes. Zudem drohen im Herbst und Winter mehr Firmeninsolvenzen und soziale Kosten können steigen.

Erste Kommune verlässt Hessenkasse Hünfelden ist raus aus dem Dispo (BS/lkm) 2017 hat das Land Hessen mit der Hessenkasse ein kommunales Entschuldungsprogramm ins ­Leben gerufen. Dem Finanzministerium zufolge wurden damit bislang 179 Kommunen im Land um insgesamt fast fünf Milliarden Euro an Kassenkrediten entschuldet. Hünfelden ist nun die erste Kommune, die das Entschuldungsprogramm verlassen kann. Die Gemeinde hat ihren Eigenanteil gezahlt, die Hessenkasse den Rest übernommen. “Durch das Entschuldungspro­ gramm der Hessenkasse wurden Hünfelden rund 700.000 Euro an Kassenkrediten abgenommen und diese damit auf null gesetzt. Die Gemeinde Hünfelden ist raus aus dem Dispo und ihr Konto­ auszug bei der Hessenkasse so­ mit ausgeglichen”, gratulierte Hessens Finanzminister Michael Boddenberg.

Besser durch die Krise Hünfelden hatte Ende Septem­ ber die letzten Zahlungen an die Hessenkasse geleistet. “Die Corona-Krise hat die finanziel­ le Situation in den Kommunen nun leider erneut verschärft und das selbstverständlich nicht nur in Hessen. Aber auch dank der

Hessenkasse sehe ich hessische Kommunen grundsätzlich in der Lage, diese Krise besser zu be­ wältigen”, sagte Finanzminister Boddenberg.

Neue Weichenstellung “Es konnten Kassenkredite in Höhe von 700.000 Euro abgelöst und 2019/2020 der Eigenan­ teil in Höhe von 350.000 Euro vollständig an die Hessenkasse zurückgezahlt werden”, so Silvia Scheu-Menzer, Bürgermeistern von Hünfelden. Laut ScheuMenzer war es der Gemeinde mit dem Entschuldungspro­ gramm möglich, finanzielle Weichen neu zu stellen sowie den sich ständig verändernden Herausforderungen “positiv und

zukunftsorientiert entgegenzu­ blicken”. Hünfelden profitiert als eine von zehn Kommunen in Hessen über das Entschuldungsprogramm hinaus auch vom Investitionspro­ gramm der Hessenkasse. “Mög­ lich ist dies, da die Gemeinde bereits kurz vor der Teilnahme am Entschuldungsprogramm aus eigener Kraft massiv Kassen­ kredite abbaute, und zwar von 2,5 Millionen Euro auf 700.000 Euro”, berichtete Boddenberg. Mit dem Investitionsprogramm soll Kommunen geholfen werden, die sparsam gewirtschaftet haben und trotz begrenzter Mittel ohne oder nahezu ohne Kassenkredi­ te ausgekommen sind, wichtige Projekte anzupacken.

Nachlässige Doppik führt zu Fehlallokation Studien zeigen viel Nachholbedarf (BS/lkm) Eine aktuelle Evaluierung zur Umsetzung der Doppik in den sächsischen Kommunen zeigt, dass man hier immer noch nicht sehr weit gekommen ist. Der Freistaat ist damit leider kein Einzelfall. Frühere Evaluationen anderer Länder kamen zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen. Für eine gerechte Mittelverteilung unter den Kommunen kann sich das nachteilig auswirken, warnt der Landesrechnungshof Sachsen-Anhalt. In Sachsen fehlt einer Untersu­ chung der Bertelsmann Stiftung zufolge in den Kommunen der Jahresabschluss auch im Jahr 2020 fast überall. Zudem ha­ be der Großteil der Gemeinden nur die gesetzlich zwingenden In­ strumente der Doppik umgesetzt. “Bedenklich ist, dass die Mehrheit der Gemeinden an diesem recht geringen Umsetzungsstand auch zukünftig nichts mehr ändern will”, sagt René Geißler, Professor für öffentliche Wirtschaft und Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau und einer der Mitautoren der Studie. Laut Studie warteten die Kom­ munen bis zum letzten Tag mit der Umsetzung der Reform. Oft würden sie dabei nur das gesetz­ lich Nötige umsetzen. Eine grund­ sätzliche Ablehnung der Doppik ist laut Studie jedoch nicht der Grund für die schleppende Umsetzung, sondern vielmehr praktische Pro­ bleme. Jahresabschlüsse stellen hierbei offenbar eine große Hürde

dar. Auch sei die Lokalpolitik kein Hindernis bei der Einführung der Doppik – aber auch kein Treiber. Hier gäbe es wenig bis kein Inte­ resse an der Doppik. Nicht erst seit dieser Studie ist klar, dass es in Sachen Doppik in Sachsen nicht besonders gut aussieht. Der Landesrechnungs­ hof moniert Jahr für Jahr die Verzögerungen und Fehler bei der Umsetzung.

Erleichterungen, aber auch Sanktionen Auch in Sachsen-Anhalt gibt es laut Landesrechnungshof “gravie­ rende” Rückstände bei der Doppik. Diese seien der Grund, warum Gelder aus dem kommunalen Fi­ nanzausgleich suboptimal auf die Kommunen verteilt würden. “Ohne verlässliche Daten ist keine seriöse Ursachenanalyse möglich. Und ohne Ursachenanalyse sind weder Aussagen zu einer angemessenen Finanzausstattung noch zu einer gerechteren Mittelverteilung mög­

lich”, moniert Rechnungshofpräsi­ dent Kay Barthel. Das Innenminis­ terium müsse hier seiner Rolle als oberste Kommunalaufsicht besser gerecht werden. Gegebenenfalls auch mit stärkeren Sanktionen, so Barthel weiter. Das Land müsse deshalb “unver­ züglich” die notwendigen Entschei­ dungen treffen, um die entstande­ nen Rückstände aufzuholen. Die geplanten Erleichterungen bei der Aufstellung der Jahresabschlüsse sollten dabei, wie in Hessen und Nordrhein-Westfalen, mit kommu­ nalrechtlichen Maßnahmen (u. a. Versagung des Haushalts, Einset­ zung eines Zwangsverwalters) für Kommunen ohne aktuellen Jah­ resabschluss verbunden werden. “Ohne eine valide Datengrundlage lassen sich keine verlässlichen Aussagen zur Finanzausstattung der Kommunen beziehungsweise zu effizienten Maßnahmen zur Bekämpfung kommunaler Haus­ haltsdefizite ableiten”, betonen die Prüfer.

Die kommunalen Haushalte sind von der Corona-Pandemie stark betroffen. Aktuellen Zahlen des Statischen Bundesamtes zufolge weisen die Kommunen im ersten Halbjahr 2020 ein Finanzierung­ defizit von 9,7 Milliarden Euro auf. Im Vergleich dazu: Im Vor­ jahreszeitraum hatte das Defizit nur knapp 0,3 Milliarden Euro betragen. Auch die Thüringer Kommunen haben im Jahr 2020 deutliche Haushaltsverschlech­ terungen zu verkraften. Allein die Steuerausfälle betragen nach der aktuellen Steuerschätzung 209 Millionen Euro. In Eisenach wurde die Haus­ haltssperre bereits Ende Sep­ tember beschlossen. Mithilfe der Sperre sollen rund 2,94 Millionen Euro eingespart werden. “Wir haben die Sparliste so zusam­ mengestellt, dass es möglichst wenig schmerzhafte Einschnitte gibt”, erläuterte Ingo Wachtmeister, Hauptamtlicher Beigeordne­ ter der Stadt Eisenach. Auch in Jena wird man nun schmerzhafte Einschnitte vornehmen müssen: “Die kommunalen Haushalte sind durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Schieflage geraten”, erklärt Benjamin Koppe, Finanzdezernent der Stadt Jena. Nachdem die aktuellen Ergebnis­ se der Steuerschätzung und der zu planenden Zuwendungen des Landes und des Bundes vorgele­ gen hätten, sei deutlich gewor­ den, dass die Stadt mit länger

aufgebraucht und die Liquidität bereits 2022. Man habe jetzt ein Projektteam gebildet, das wöchentlich tage und Vorschläge für Einsparun­ gen erarbeite. Denn Jena sei jetzt verpflichtet, ein Haushaltssiche­ rungskonzept vorzulegen. Heißt, die Stadt muss darlegen, welche Maßnahmen in einem Zeitraum von maximal zehn Jahren unter­ nommen werden, um zurück zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. “Uns ist wichtig, dass wir ausge­ wogen vorgehen und nicht erfolg­ reiche und etablierte Institutionen und Vereine sowie zukunftszuge­ wandte Stadtratsbeschlüsse dem Rotstift anheimfallen”, sagt Dr. Margret Franz, Vorsitzende des Finanzausschusses Der aktuelle Sparkurs bedeute jedoch nicht, dass die Stadt sich nicht weiterentwickeln werde, betont Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche. “Es gilt, städti­ sche Pflichtaufgaben zu sichern und auch ein hohes Niveau an freiwilligen Leistungen zu erhal­ ten. Darüber hinaus müssen wichtige Zukunftsprojekte, die das langfristige Wachstum der Stadt sichern, auch trotz Haus­ haltssicherungskonzept möglich sein”, so Nitzsche weiter.

Pauschale Auszahlungen verursachen Schieflage Während einige Kommunen nun den Gürtel enger schnallen

Aufgrund der aktuellen Haushaltslage und der prognostizierten Entwicklungen wird in Jena ein ausgeglichener Haushalt für die Jahre 2021 bis 2025 nicht mehr möglich sein. Foto: BS/Dr. Horst-Dieter Donat, pixabay.com

andauernden Einnahmeausfällen rechnen müsse. Ein ausgegliche­ ner Haushalt für die Jahre 2021 bis 2025 sei nicht mehr möglich. Die Stadt rechnet für die Jahre 2021 und 2022 mit Defiziten von jeweils 30 Mio. Euro, da­ nach mit Defiziten von jährlich etwa 20 Mio. Euro. Damit wären die bilanziellen Rücklagen 2023

müssen, könnten sich andere sogar über zu viele Gelder freuen. Sowohl der Bund als auch der Freistaat Thüringen haben für die finanziellen Ausfälle der Kom­ munen Kompensationszahlun­ gen beschlossen. “Die pauschale Ausreichung hat allerdings dazu geführt, dass in einigen Kommu­ nen eine Überkompensierung

erfolgt ist, in anderen Kommu­ nen aber Einnahmeausfälle nicht ausgeglichen werden konnten. Dies soll durch eine Spitzabrech­ nung im nächsten Jahr erfolgen”, erklärt Bernhard Schäfer, VizeGeschäftsführer des Gemeindeund Städtebundes Thüringen. Mit Blick auf die Gesamtsumme kann laut Schäfer ein finanzieller Ausgleich der Corona-bedingten Ausfälle 2020 möglich sein. Vor diesem Hintergrund hätten auch weiter gehende haushaltsrecht­ liche Ausnahmeregelungen im Jahr 2020 zu keinem anderen Ergebnis geführt, so der Kom­ munalvertreter.

Haushaltsrechtliche ­Erleichterungen sollen ­ausgeweitet werden Aufgrund der Corona-Pandemie hat das Land Thüringen haus­ haltsrechtliche Erleichterungen für die Kommunen geschaffen. Allerdings nur für das Jahr 2020. Dies betrifft unter anderem ge­ lockerte Voraussetzungen für über- und außerplanmäßige Ausgaben. Diese dürfen auch geleistet werden, wenn keine aus­ reichenden Deckungsmittel zur Verfügung stehen. Zudem wurde die Verpflichtung zum Erlass ei­ ner Nachtragshaushaltssatzung für den Fall eines sich abzeich­ nenden Fehlbetrages außer Kraft gesetzt. “Liegt noch keine Haushalts­ satzung vor, können auch in der vorläufigen Haushaltsführung die zur Sicherstellung der Auf­ gabenerfüllung aus Gründen des öffentlichen Wohls, insbesondere der Daseinsvorsorge und der Ge­ sundheitsversorgung, notwendi­ gen Ausgaben geleistet werden. Daneben werden erweiterte Aus­ gabemöglichkeiten für kulturelle oder soziale Zwecke geschaffen”, erklärte eine Sprecherin des Thü­ ringer Innenministeriums gegen­ über unserer Zeitung. In anderen Ländern gehen die Lockerungen deutlich weiter. Hier müssen in Schieflage ge­ ratene Kommunen nicht in die Haushaltssicherung gehen. Der rigorose Sparzwang während der Pandemie soll vermieden wer­ den. Laut Schäfer diskutieren die Kommunalverbände auch in Thü­ ringen mit dem Land hinsichtlich flexiblerer, haushaltsrechtlicher Vorschriften wie auch zusätz­ licher finanzieller Leistungen. Denn “nach aktuellem Stand stellt sich die finanzielle Lage der Kommunen im kommenden Jahr 2021 deutlich schlechter dar”, so Schäfer.

Corona-Konjunkturpaket in Offenbach Einzelhandel soll wieder in Schwung kommen (BS/lkm) Ende Oktober stimmten die Stadtverordneten von Offenbach in einer Sondersitzung für ein Konjunktur- und Hilfspaket, mit dem der Wirtschaft der Stadt unter die Arme gegriffen werden soll. Kosten wird das Hilfspaket der Stadt zufolge rund 3,6 Millionen Euro. Mit Gutscheinaktionen, Veranstaltungen, Rabatttagen und einem Hygienesiegel soll der Einzelhandel unterstützt werden. “Wir haben früh erkannt, dass neben den Hilfspaketen des Bun­ des und der Länder auch wir als Kommune im Rahmen der bescheidenen Offenbacher Mög­ lichkeiten gefragt sind”, erklärt der Fraktionsvorsitzende der Of­ fenbacher SPD, Martin Wilhelm. Laut Stadtkämmerer Peter Freier kann die Stadt das Hilfspaket für die Wirtschaft finanzieren, da sie in diesem Jahr zusätzlich elf Millionen Euro vom Bund zu den

Unterkunftskosten für Hartz-IVEmpfänger erhalte. Das Konzept schlägt ein Cash­ back-System vor, über das Kunden bis zu 40 Prozent des Einkaufswerts als Gutschein zu­ rückerhalten können. Bedürf­ tige erhalten sogar 50 Prozent. Gedeckelt sind die Gutscheine auf maximal 125 Euro. Sie kön­ nen in Geschäften oder auf einer noch einzurichtenden OnlineGutscheinplattform eingelöst werden. Der Wochenmarkt soll mit einer Stempelkarte ähnlich gefördert werden. Gleichzeitig ist eine Online-Plattform vor­ gesehen, über die Gutscheine fürs Einkaufen und Ausgehen in Offenbach erworben und ver­

schenkt werden können. Damit die Menschen zum Einkaufen einfacher nach Offenbach kom­ men können, sind kostenlose Parkplätze und die freie Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs je­ weils für die Samstage auf Of­ fenbacher Stadtgebiet geplant. Weitere Anreize für den Ein­ zelhandel setzt das Konzept mit einer Frühjahrstombola. Kunden erhalten nach ihrem Einkauf ­Lose abhängig vom Einkaufs­ wert. Außerdem sollen sogenann­ te Pop-up-Stores die Innenstadt beleben. Dabei geht es um die Zwischennutzung leerstehender Läden, in denen Kreative, Initia­ tiven oder Vereine sich oder ihre Waren präsentieren können.


Kommunale Infrastruktur

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Behörden Spiegel / November 2020

Ulm beschließt Datenethikkonzept

Roboter erledigt digitale Fließbandarbeit

Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger als Faustpfand der Digitalisierung

Neue Technologie übernimmt selbstständig Arbeitsabläufe

(BS/Benjamin Stiebel) Die Stadt Ulm gibt sich Regeln zum ethischen Umgang mit Daten, die zum Beispiel durch (BS/Jana Wendig*) Wohl jeder Verwaltungsmitarbeiter kennt sie, die unliebsamen Aufgaben, die zwar wenig Sensoren im öffentlichen Raum gesammelt werden. Damit soll der Weg zu einer digitalisierten und intelligent Gehirnschmalz, dafür aber umso mehr Zeit kosten. Tatsächlich machen sogenannte “wertschöpfungsarme vernetzten Stadt verantwortungsvoll beschritten werden. Routinetätigkeiten” einen wichtigen Teil des Arbeitsalltages aus. Doch dafür gibt es nun eine Lösung. Der Gemeinderat hat das kommunale Datenethikkonzept im Oktober beschlossen. Dieses soll die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz um eine Selbstverpflichtung der Stadt und der kommunalen Beteiligungen ergänzen. So soll eine zielgerichtete Datennutzung unter Einhaltung ethischer Anforderungen ermöglicht werden. Das Konzept definiert Leitlinien und Grenzen, wie und zu welchen Zwecken Daten genutzt werden dürfen. So ist der Verkauf personenbezogener Daten generell ausgeschlossen. Grundsätzlich sollen personenbezogene Daten nur dort erhoben werden, wo sie benötigt werden. Die Stadt positioniert sich als Vorreiterstadt der digitalen Transformation. Zahlreiche Sensoren und die geplante Datenplattform sollen helfen, Entscheidungen zu treffen und die Stadt effizienter und effektiver zu steuern. “Die Ulmer Bürgerin-

nen und Bürger sollen Vertrauen in die zunehmende Digitalisierung ihrer Stadt haben, daher entwickeln wir selbst Leitlinien zum Umgang mit städtischen Daten”, betont Oberbürgermeister Gunter Czisch. Die Leiterin der Geschäftsstelle Digitale Agenda, Die Stadt Ulm (Foto: Ulmer Münster) positioniert sich Sabine Meigel, als digitale Vorreiterstadt. Foto: BS/moerschy, www.pixabay.com ergänzt: “Hiermit tritt die Stadt Ulm entschie- von der Zeppelin Universität den etwaigen Konzepten eines in Friedrichshafen im Rahmen Überwachungsstaates entgegen. der Zukunftsstadt Ulm 2030+. Letztlich kann die Digitalisierung “Ich freue mich, dass wir nach der Stadt nur gelingen, wenn Monaten intensiver Diskussidie Bürger diese unterstützen on nun ein vom Gemeinderat und auf ein rechtmäßiges wie beschlossenes Datenethikkonethisches Handeln vertrauen.” zept vorliegen haben, das auch Erarbeitet wurde das Kon- Signalwirkungen weit über Ulm zept gemeinsam mit Prof. Jörn hinaus entwickeln wird”, so von von Lucke und seinem Team Lucke.

Innovationsbericht vorgestellt Corona-Krise zeigt Wichtigkeit nachhaltig angelegter Investitionen (BS/wim) Nachdem der letzte Innovationsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen inzwischen bereits zehn Jahre zurückliegt, hat Innovationsminister Prof. Andreas Pinkwart nun eine Neuauflage des Berichtes vorgestellt. Die umfassende Analyse war im Auftrag des Innovationsministeriums NRW vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung – gemeinsam mit dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW), der Wissenschaftsstatistik GmbH des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft und dem Centrum für Entrepreneurship, Innovation und Transformation (CEIT) der Ruhr-Universität Bochum erstellt worden. Das Fazit der Studie: NordrheinWestfalen kann im Bereich der Innovationen auf viele Stärken setzen: Auf einen innovativen Mittelstand, innovative Großunternehmen, wie etwa in der chemischen Industrie, der Elektro­ technik oder im Maschinenbau, innovative Dienstleister sowie leistungsfähige Hochschulen, die im intensiven Austausch mit der Wirtschaft stehen und auch selbst erfolgreiche Ausgründungen schaffen. Zahlreiche Forschungseinrichtungen beschäftigen sich zudem mit Zukunftsfeldern wie Bioökonomie, IKT oder Elektromobilität. Seit 2018 hat zudem die Entwicklung der Innovationsausgaben durch Unternehmen deutlich zugelegt, auch im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Voraussetzung für digitalisierte Geschäftsmodelle und Investitionen ist natürlich eine flächendeckend gute Infrastruktur. Bei Breitbandanschlüssen sowie bei den Mobilfunkstandards LTE und 5G ist Nordrhein-Westfalen laut dem Bericht führend, was einen wichtigen Standortvorteil für Unternehmen bedeutet. Für

In der DVZ Datenverarbeitungszentrum Mecklenburg-Vorpommern GmbH wurde im Rahmen eines Projektes der neue Service “Robotergesteuerte Prozessautomation” (RPA) entwickelt. Er verspricht den nächsten großen Schritt in Richtung Digitalisierung und Automatisierung der Verwaltung. Bei RPA imitiert ein Roboter den Nutzer am PC und führt selbstständig Aufgaben aus, die wiederkehrend sind und immer dem gleichen Muster folgen. Also zum Beispiel das Ausfüllen von Formularen oder das Einfügen und Verschieben von Dateien. In der RPA werden für solche Tätigkeiten Prozessabläufe modelliert, die dann automatisiert von einem Softwareroboter ausgeführt werden. Für den Mitarbeiter bedeutet diese Automatisierung eine erhebliche Entlastung und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, denn die Softwareroboter laufen rund um die Uhr auf einem Server und erledigen ihre Aufgabe unmittelbar nach dem Aufkommen. Das Anfang 2020 gestartete RPA-Projekt steht mittlerweile kurz vor seinem Abschluss. Ab Januar wird der Service auch für Kunden angeboten. Zuletzt wurde ein Prozess bei Interamt umgesetzt. Das Stellenportal und Bewerbermanagementsystem, das Ämter und Behörden in ganz Deutschland für die Personalsuche verwenden, wurde ursprünglich von der Deutschen Telekom AG entwickelt. Seit 2020 wird Interamt vollumfänglich vom DVZ betrieben.

Bei der “Robotergesteuerten Prozessautomation” imitiert ein Roboter den Nutzer am PC und führt selbstständig Aufgaben aus, die wiederkehrend sind und immer dem gleichen Muster folgen. Foto: BS/DVZ M-V GmbH; shutterstock©TierneyMJ

Dank RPA können Nutzer, die ihr Passwort zum Einloggen bei Interamt vergessen und auch die Sicherheitsfrage falsch beantwortet haben, einfach ein neues anfordern. Wegen der ursprünglichen Programmierung des Systems und der Datenschutzvorgaben des Öffentlichen Dienstes war dies zuvor nur durch Mitarbeiter vom Service-Desk möglich. Denn es mussten vorher stets die Nutzerdaten abgeglichen und sichergestellt werden, dass es sich bei der Anfrage wirklich um einen registrierten Nutzer handelt. Diesen Prozess übernimmt nun der Roboter. Klingt einfach, aber funktioniert es auch? “Zu Beginn gab es schon noch recht viele Fehler”, gesteht Projektleiter Stefan Parge. “Aber das ist normal. Der Roboter muss erst auf den Menschen vorbereitet werden.” Der Erfolg gibt ihm Recht: Bereits nach wenigen

Monaten konnte der “Return of Invest” erreicht werden, also der Punkt, an dem die Ersparnisse durch den Roboter seine Einrichtungskosten wieder reinholen. Außerdem läuft er rund um die Uhr, an Wochenenden und Feiertagen und bieten daher auch den Nutzern einen hohen Mehrwert. Bald profitieren nun auch externe Kunden von der neuen Technologie. Stefan Parge bestätigt: “Wir haben durch die Projektphase viel gelernt und sind bereit, das Produkt auch unseren Kunden anzubieten. Wir freuen uns auf Ihre Anfragen!” Weitere Informationen gibt Stefan Parge, Abteilungsarchitekt Fachapplikationen, unter: s.parge@dvz-mv.de . *Jana Wendig arbeitet im Bereich Redaktion & Marketing der DVZ M-V GmbH.

Jobcenter bekommen Lack ab Das Hygienekonzept wird zum Schutz aller erweitert Das innovative Aushängeschild von NRW: Besonders bekannt für erfolgreiche Innovationen und Ausgründungen ist die RWTH Aachen. Foto: BS/ Peter Winandy, RWTH Aachen

Innovationsminister Pinkwart zeigen die Ergebnisse des Berichtes: “Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Innovationsland. Die positiven Entwicklungen bei Hochschulausgründungen, bei Forschungskapazitäten für Zukunftsthemen, bei der digitalen Infrastruktur und innovativen kleinen und mittleren Unternehmen sind Stärken, die wir nutzen und ausbauen können. Gerade die Corona-Krise zeigt, wie wichtig langfristig angelegte Investitionen sind, damit unsere Unternehmen auch in Zukunft

innovativ und wettbewerbsfähig bleiben können.” Bis zum nächsten Bericht soll es diesmal nicht wieder ein Jahrzehnt dauern, so das Ministerium: So sind bis Januar 2022 noch zwei weitere Innovationsberichte zu den Themen “Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen” sowie “technologie- und wissensintensive Gründungen” angekündigt. Den Innovationsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2020 gibt es online unter: www.inno vationsbericht.nrw.

(BS/Manuel Schneider*) Das Jobcenter Märkischer Kreis hat sein Hygienekonzept ausgeweitet. Neben den bisherigen Aufwendungen haben sich die Verantwortlichen dazu entschieden, sich ein kompetentes Team in die Häuser zu holen. Wenn die letzten Arbeitssuchenden und Angestellten die Räumlichkeiten verlassen haben, kann am Wochenende die neue Erfindung “Clean it” aufgetragen werden. Clean it wurde von Chemikern der Firma itCoating entwickelt, um gegen die Schmierinfektion – ein wichtiger Infektionsweg neben der Tröpfcheninfektion – bei der Verbreitung von Viren vorzugehen. Die Funktionsweise des kaum sichtbaren, dünnschichtigen Hygienelacks Clean it beruht auf drei Eigenschaften: Die porendichte Oberfläche verhindere, dass Viren wie Influenza und Corona hineindiffundieren können. Die Oberfläche sei so glatt, dass weder Viren noch Bakterien sich darauf beziehungsweise darin festsetzen könnten, verspricht das Unternehmen. Zudem habe die Beschichtung eine sehr niedrige Oberflächenspannung, sodass Viren keinen Halt fänden. Zusätzlich griffen biologisch aktive Verbindungen die Virenhülle an. Dadurch werde die Hülle porös und die Viren würden deaktiviert, erläutert einer der Chemiker. “Alle drei Eigenschaften führen zu einer signifikanten Reduzierung von Viren und Bakterien in kürzester Zeit. Bei unserer Beschichtung werden 99,98 Prozent – nachgewiesen in namhaften Laboren – aller Viren in weniger als zwei Stunden deaktiviert.” Das sei sehr wichtig, denn Coronaviren könnten bis zu neun Tagen auf Oberflächen infektiös sein, Bakterien noch viel länger. Das bedeute ein sehr großes Infektionsrisiko. Um die zehn Dienststellen des Jobcenters Märkischer Kreis fit gegen Viren und Bakterien zu machen, legten am Wochenende – um die Trocknungs- und

Der beste Schutz neben der Verwendung der Mund-Nasen-Maske ist Hygiene, vor allem auch auf Oberflächen, die von vielen Menschen berührt werden. Foto: BS/Clean IT

Aushärtezeiten einzuhalten – zwei Teams à zwei geschulter Fachkräfte Hand an. Nach der gründlichen Reinigung der zu beschichteten Flächen wurde der Lack aufgetragen. Alle Flächen und Gegenstände, mit denen die Jobcenter-Besucher und Angestellten in Kontakt kommen, das heißt circa 1.400 Türklinken, alle Lichtschalter auf den Fluren, Stühle im Kundenbereich, Beistelltische der Kundenberater, Aufzüge inklusive Bedienknöpfe und sämtliche Handläufe wurden behandelt. Die viruzide und bakterizide Beschichtung schützt die Oberflächen auch zwischen den Reinigungs- und Desinfektionszyklen mindestens zwölf bis 36 Monate. Das Jobcenter Märkischer Kreis entschied sich für Clean it als Ergänzung des bestehenden Hygienekonzeptes, weil die Beschichtung zusätzliche Sicherheit schafft und zudem ein ständiges

Anreichern der Atemluft mit Lösungsmitteln aus Desinfektionsmitteln verhindert. Zusätzlich rechnet man mit einer Kostenersparnis, denn in Zukunft könnten Flächendesinfektionsmittel eingespart werden. Der Beschichtungspartner bestätigt, dass ein Liter Speziallack circa 1.000 Liter Desinfektionsmittel und zudem Arbeitskraft einspart. “Übertragungswege können vielfältig sein und wir dürfen in der jetzigen Situation keine ausschließen. Der beste Schutz neben der Verwendung der Mund-Nasen-Maske ist Hygiene, vor allem auch auf Oberflächen, die von vielen Menschen berührt werden”, so die Erklärung der Firma itCoating. In den Dienststellen des Jobcenters Märkischer Kreis wurde mittels des Lacks das Risiko der Virenübertragung per Schmierinfektion minimiert und der Hygieneschutz für Mitarbeitende und Kunden um eine weitere schützende Maßnahme ergänzt. Aber natürlich können sich Privatverbraucher auch zuhause schützen. Mit einem Reinigungs- und Beschichtungstuch von Clean it können kleine beschichtete Flächen wie Türklinken oder auch Handläufe für ein sicheres Umfeld sorgen und für größere Flächen gibt es Clean it auch in verschiedenen Flascheneinheiten. Weitere Informationen und Bestellungen unter: www.clean-it. info *Manuel Schneider ist Geschäftsführer der Firma Clean it.


Behörden Spiegel / November 2020

Kommunale Infrastruktur

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Nachhaltig bauen mit Glasdächern in Bildungsbauten

Sanierung statt Neubau

Drei kommunale Beispiele zeigen Gestaltungsmöglichkeiten

Marl investiert rund 70 Millionen Euro in sein Rathaus

(BS/Sabrina Fröhlich*) Auf dem Weg zum klimaneutralen Bauen gilt es, Erneuerbare Energien effizient zu nutzen. Entscheidend für den Nachhaltigkeitsaspekt: Tageslicht. Eine repräsentative Möglichkeit: Glasdächer. Nahezu-Nullenergiegebäude, Niedrigstenergiegebäude und Passivhäuser – was genau ist das eigentlich und wo liegen die Unterschiede? Die Grenzen verlaufen ineinander, sodass es hierfür seitens der Regierung keine allgemeinen Definitionen gibt. Eines ist jedoch sicher: Ab 2021 werden alle Neubauten in der EU dem Standard eines Niedrigstenergiegebäudes entsprechen.

(BS/wim) Über das Gebiet der alten Bundesländer verteilt ist es überall dasselbe Bild: Das Gros der öffentlichen Gebäude, die in der Nachkriegszeit aus dem Boden gestampft wurden, ist heute in die Jahre gekommen. Während meist ein Abriss mit anschließendem Neubau billiger als eine Restaurierung ist, geht man in Marl einen anderen Weg.

Bei Niedrigstenergiegebäuden handelt es sich schlichtweg um Gebäude, die ihre Energie und Materialien zu einem wesentlichen Teil aus erneuerbaren Quellen erhalten. Passivhäuser senken darüber hinaus ihren Energiebedarf durch optimale Wärmedämmung, bestmögliche Verglasung und intelligente Lüftungstechniken auf ein Minimum. Teil des Konzepts: Tageslicht in Niedrigstenergiegebäuden und Passivhäusern. Folgende Projekte zeigen, wie einfach nachhaltiges Bauen mit Glasdächern in Bildungsbauten wie Kitas, Kindergärten und Schulen sein kann.

In der Ruhrgebietsstadt hat man auch kaum eine andere Möglichkeit, denn die beiden Rathaustürme stehen unter Denkmalschutz, sodass die Stadt nun den Startschuss für die grundlegende Sanierung des Komplexes gegeben hat. Die 70 Millionen Euro teure Runderneuerung ist das Herzstück eines umfassenden Handlungskonzeptes, mit dem Marl in den kommenden Jahren auch das Stadtzentrum baulich erneuern will. “Wir freuen uns, dass wir nach intensiver und sorgsamer Vorbereitung mit der Sanierung unseres Rathauses beginnen können”, erklärte der Marler Bürgermeister Werner Arndt zur Aufstellung des Bauschildes. Das Rathaus sei “das Wahrzeichen unserer Stadt” und stehe für die „Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg in Marl und der Region”. Arndt: “Die Sanierung ist eine Investition von regionaler Bedeutung und ein ermutigendes Signal für einen viel versprechenden Aufbruch in schwierigen Zeiten.”

Himmel aus Glas: Vier stählerne Bäume tragen die Glasdachkonstruktion und sind der Blickfang des Innenhofes der International Business School Bonn. Foto: BS/Lamilux

Frischluft und Brandschutz im weniger Sekunden vollständig Darum entschlossen sie sich oberfränkischen Hof holt durch Passivhausstandard öffnen, sodass Wärme und Rauch die Glasdachkonstruktion von bodentiefe Fenster und ein gro-

Um die Anforderungen der Energieeinsparverordnung zu erfüllen und zu übertreffen, setzten die Planer des WillibaldGluck-Gymnasiums in Neumarkt auf zwei passivhauszertifizierte Glasdachkonstruktionen. In Kombination mit einer Betonkernaktivierung zur Kühlung und Beheizung der Klassenräume hält das Niedrigstenergiegebäude bereits die Standards für 2030 ein. Über den beiden Pausenhallen sitzen zwei Lamilux Glasdächer “PR60 Passivhaus”, die dank ihrer enormen Größe von jeweils 260 Quadratmetern viel Tageslicht ins Gebäude bringen. Die integrierten Lüftungsflügel lassen außerdem viel Frischluft in das Gebäude, sodass sich auch hierdurch die Wärme reguliert und ein angenehmes Raumklima entsteht. Im Brandfall lassen sich die Klappen innerhalb

nach draußen abziehen. Somit erfüllt das Gebäude also nicht nur den Passivhausstandard, sondern auch die erforderlichen Vorgaben für den vorbeugenden Brandschutz.

Stahlbäume stützen Himmel aus Glas Direkt auf den ersten Blick fällt das naturverbundene Design der International School in Bonn auf. Das Dach des 340 Quadratmeter großen Lichthofs ist ein Projekt der Lamilux-Tochterfirma Mirotec, einem Stahl-, Metall- und Glasspezialisten. Das Glasdach bringt das Draußen nach drinnen und gibt den Schülern und Lehrern das Gefühl, unter freiem Himmel zu sitzen. Bei der Planung des Glasdachs über dem Mensahof inspirierte ein großer Baum, der dem Gebäude weichen musste, die Architekten.

Stahlbäumen tragen zu lassen. Vier Stahlstützen mit jeweils vier abgehenden Ästen bilden nun den Blickfang des Innenhofs. Die da­rüberliegende Glasfläche beleuchtet das Atrium auf eine natürliche Weise und bietet Schülern und Lehrern eine kleine Auszeit vom Schulalltag. Geschützt von Wind und Wetter können sie ihre Umwelt beobachten, Tageslicht tanken und dank der eingebauten Lüftungsklappen frische Luft atmen. Die Glasdachkonstruktion ist schlagregendicht, wärmegedämmt und schallgeschützt. Zusätzliche RWA-Klappen und die F30-Brandschutzbeschichtung der Stahlteile schützen Klein und Groß im Brandfall.

Lichtdurchflutete Räume in einer Kindertagesstätte Die Kindertagesstätte des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) im

ßes Glasdach die Natur ins Gebäude. Dank der natürlichen Beleuchtung kann Kitaleiterin Tanja Steinhäuser fast gänzlich auf Kunstlicht verzichten, wodurch eine wesentlich angenehmere Lernatmosphäre herrscht. “Es ist nachgewiesen, dass hierdurch das Glücksempfinden extrem positiv beeinflusst wird”, erklärt der Kreisgeschäftsführer des BRK Hof, Stefan Kögler. Doch nicht nur die Stimmung der Kinder und Mitarbeitenden profitiert vom Einsatz der Tageslichtsysteme. Mit dem Lamilux Glasdach PR60 gelangt genug Tageslichts ins Gebäude, um den Raum nachhaltig zu beleuchten. So reduziert sich der Energieverbrauch deutlich. *Sabrina Fröhlich arbeitet bei der Firma Lamilux Heinrich Strunz GmbH.

Der Zahn der Zeit nagt unaufhörlich am Rathaus Die beiden Rathaustürme wurden nach dem Krieg als Mittelpunkt des Marler Stadtzentrums gebaut, das in den 1960er- und 70er-Jahren auf der grünen Wiese entstand. Damals habe das von niederländischen Architekten entworfene Ensemble laut der Stadt für internationale Schlagzeilen gesorgt. Im Laufe der Zeit wurde die Konstruktion aus Stahlbeton durch einen fortwährenden Verfall im Inne-

ren und Äußeren jedoch immer unansehnlicher, sodass der Rat der Stadt schließlich vor ziemlich genau fünf Jahren, im Oktober 2015, den Grundsatzbeschluss zur Sanierung verabschiedete.

Abriss bis auf das Skelett Ab November werden nun, auf den Monat genau 60 Jahre nach der Grundsteinlegung, zunächst das Zentralgebäude und die beiden Türme grundsaniert. Dabei werden Betonelemente saniert, Fenster sowie die komplette Elektrik und Technik und die Heizungsanlage nach aktuellen energetischen Standards erneuert. Insgesamt rechnet die Stadt vor, dass rund 4.500 qm Böden, zirka 9.700 m2 Decken und ungefähr 500 Türen ersetzt und 11.300 m2 Wände neu erstellt werden müssen. Hinzu kommen Gerüste im Umfang von 7.800 m2. Die beiden Rathaustürme, die damals als erste Bauten ihrer Art in der Bundesrepublik Deutschland in einer Konstruktion als sogenannte Hängehochhäuser errichtet wurden, werden komplett entkernt. Nach Entfernung der Fenster und der Außenfassade werden nur noch die tragenden Gebäudeelemente und die betonummantelten Stahlbänder der Hängekonstruktion als Skelett in den Himmel ragen. Damit die Gesamtkosten von rund 70 Mio. Euro nicht aus dem Ruder laufen, hat die Stadt drei Kontrollebenen eingezogen. Neben zwei externen Controlling-Partnern wurde auch das städtische Rechnungsprüfungsamt mit dem Projektcontrolling betraut.


Kommunale Infrastruktur

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o konnte sich die Rheinmetropole Köln beim Bitkom-Index beispielsweise bei den Großstädten um fünf Plätze verbessern und liegt nun knapp hinter Hamburg und München auf einem Treppchen-Rang des Index, der Strategien und Lösungen der deutschen Großstädte in fünf thematischen Kategorien bewertet. Es reicht also nicht mehr, nur gute Infrastrukturen oder nur gute Apps anzubieten. Stattdessen braucht es ein gutes Ökosystem, in dem alle Akteure von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung eng miteinander arbeiten, um die jeweilige Stadt voranzubringen. In Köln sieht man sich dabei auf dem richtigen Weg. “Und das ist Ansporn zugleich, die Digitalisierung weiter mit voller Konzentration und Nachdruck anzugehen. So arbeiten wir neben unserem eigenen umfassenden “Digitalisierungsprogramm 2019–2022” auch auf Bundesebene und Landesebene mit an der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Hier stehen vor allen Dingen der Nutzen für die Kölnerinnen und Kölner, die Vereinheitlichung von IT-Lösungen und die Vereinfachung von bisher gesetzlich vorgeschriebenen Abläufen im Fokus”, so die frisch wiedergewählte Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Nachdem man beim Thema “ITInfrastruktur” bereits im Vorjahr punkten konnte ist den Kölnern vor allem in der Kategorie “Gesellschaft” ein Sprung nach vorn gelungen – hier überzeugt die Stadt unter anderem mit Konzepten zur Bürgerbeteiligung, mit der Stärkung und Einbindung der stadtgesellschaftlichen Digitalszene sowie mit digitalen Angeboten im Kulturbereich. Aber auch Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimawandel stehen aktuell im Fokus der Kölner Stadtpolitik, wie der Behörden Spiegel bereits im (März) berichtete.

Behörden Spiegel / November 2020

… wer ist die smarteste im ganzen Land? Wettbewerbe und Förderaufrufe bringen Schwung in Smart-City-Projekte (BS/Wim Orth) Der Anfang Oktober veröffentlichte Smart City Index des Digitalverbands Bitkom und die kurz zuvor bekannt gegebenen Sieger für die Förderung als “Modellprojekt Smart City” des Bundesministeriums des Innern (BMI) schlagen in den Kommunen der Republik hohe Wellen. Das zeigt: Es tut sich was bei der “Smartifizierung” der deutschen Klein-, Mittel- und Großstädte. Die digitale Erschließung wird immer mehr als Standortfaktor verstanden, der im interkommunalen Wettbewerb um Anwohner und Unternehmensansiedlung eine wichtige Rolle spielt. Und die Entwicklung scheint so langsam erst richtig an Fahrt zu gewinnen. Im Anschluss an die offizielle Verkündung der diesjährigen Platzierungen starteten einige Städte zusätzliche Projekte, um sich weiter von der Konkurrenz abzuheben und individuell zu verbessern. Ein Beispiel hierfür ist die Stadt Köln, die einen großen Sprung bei Digitalisierungsthemen verzeichnen konnte und nun, angeführt von Oberbürgermeisterin Henriette Reker, in die Vollen geht, um die Stadt digital aufzustellen. Aber nicht nur beim Smart City Index schneidet die Stadt gut ab, sondern auch im BMI-Wettbewerb um die Förderung als “Modellprojekt Smart City”, wo man im September mit dem Projektantrag “un:box cologne” den Zuschlag für einen der 20 Förderplätze gewinnen konnte. Mit dieser Förderung, die insgesamt rund 15 Millionen Euro schwer ist, will die Stadt “die Digitalisierung in allen Lebensbereichen weiter vorantreiben”. Hierfür hat man stadtintern einen Zusammenschluss von mehr als 30 Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft aufgebaut, der in der ersten Phase einen Raum nach Vorbild vieler, deutschlandweit bereits bestehender “Stadtlabore” für die Einwicklung von digitalen Lösungen aufbauen soll. Die in dieser Ideenwerkstatt entwickelten Vorschläge sollen anschließend auf Umsetzbarkeit geprüft und in der zweiten Phase Schritt für Schritt über einzelne Projekte realisiert werden.

Smart und nachhaltig Das soll aber nicht alles sein, denn der Innovationsdruck kommt von ganz oben. So sind unter Federführung von Oberbürgermeisterin Henriette Reker Anfang Oktober zwei weitere Projekte gestartet, die zum Ziel haben, die Weichen für Köln als “Stadt der Zukunft” zu stellen. Großes

Auch Darmstadt wieder dabei

Überall in Deutschland basteln die kommunalen Macher an den smarten Städten der Zukunft. Durch verschiedene Förder- und Ranglistenwettbewerbe ist in den letzten Jahren ordentlich Schwung in die Entwicklung von Smart Cities gekommen. Foto: BS/SasinParaksa, stock.adobe.com

Gesamtziel der Projekte: Köln soll als attraktive, smarte und innovative Stadt und gleichzeitig moderne, leistungsstarke und zukunftsfähige Verwaltung weiterentwickelt werden, so Reker: “Wir sind bereits auf einem guten Weg, aus unserer erfolgreichen Reformstrategie wird immer mehr eine Innovationsstrategie. Smart City liefert heute schon wichtige Impulse für ein lebenswertes und wettbewerbsfähiges Köln. Wir wollen Köln zur modernen Metropole weiterentwickeln, die für Innovationen steht, für Vielfalt und wirtschaftliche Stärke.” Das erste Projekt nennt sich “Köln 21 – Smart City” und soll, gesteuert aus dem Rathaus, eine gezielte Verknüpfung von Akteu-

ren aus Verwaltung, Stadtgesellschaft, Wirtschaftsunternehmen und wissenschaftlichen Institutionen bewirken, um gemeinsam eine übergreifende und attraktive Zukunftsvision zu entwerfen. Eine solche Strategie sei wichtig, denn die “erfolgreiche Umsetzung der “Smart City” wird auch ein wichtiger Faktor für die zukünftige wirtschaftliche Dynamik am Technologie- und Medienstandort Köln sein”, so die Stadt in einem Statement. Die Einbindung der Öffentlichkeit sei dazu in verschiedenen Projektstufen sichergestellt: Im Projektverlauf sind laut Stadt Beteiligungsformate vorgesehen, um Bürgerinnen und Bürgern die Teilnahme am Gestaltungsentwurf zu ermöglichen.

Das Projekt “Verwaltung – innovativ und digital” ist hingegen eher nach innen orientiert und konzentriert sich auf Potenziale, Entwicklung sowie die Nutzung innovativer Ideen und digitaler Technologien, die fast überall in der kommunalen Verwaltung wirksam werden können. Wie wichtig Digitalisierung und Innovation sind, zeigen dabei auch die Corona-bedingten Anforderungen an die Verwaltung. Um die Kölner Verwaltung für die Zukunft zu positionieren, soll im Rahmen des Projektes ein Zielbild als lernende, leistungsstarke, innovative und digitale Organisation entwickelt werden. Die bereits vorhandenen Ideen und Initiativen werden anschließend in

Webkongress

Öffentliche Infrastruktur 2020

Heimat – vernetzt, sozial, modern 2. Dezember 2020 | www.oeffentliche-infrastruktur.de

#infra2020

eine Gesamtstrategie integriert. Die Zukunftsstrategien der Stadt beleuchten dabei die Themen Digitalisierung und Innovation ebenso wie Nachhaltigkeit und Faktoren für eine lebenswerte Umgebung. Mit den beiden Visionsprojekten will die Stadt Köln Digitalisierung und Innovation strategisch im Sinne einer integrierten, nachhaltigen Stadtentwicklung gestalten und mit bereits bestehenden Elementen, beispielsweise den “Kölner Perspektiven 2030+”, verknüpfen.

Eine Veranstaltung des

Während man in Köln mit seinem Projektantrag einen futuristischen Namen wählte, geht man es in Darmstadt, seit einer ganzen Weile schon als digitaler Vorreiter bekannt und im Smart City Index einen Platz hinter der Domstadt, etwas traditioneller, aber durchaus mit Selbstbewusstsein an: “Zukunft gestalten ist unsere Tradition” nennt sich der Antrag, mit dem sich die hessische Stadt einen der Plätze auf der Siegerliste des BMI sichern konnte. Das erfolgreiche Antragskonzept beinhaltet laut den Autoren zentral den Gedanken, dass die urbane Digitalisierung noch stärker als zuvor die städtischen Daseinsebenen miteinander stimmig verknüpfen sollte. Denn so könne die Digitalisierung ihre volle Wirkung entfalten: “Nach rund drei Jahren haben wir intensiv gelernt, wie im öffentlichen Raum bereichsübergreifende Digitalisierungsprojekte angegangen werden. Diese “Lessons Learned” geben wir gerne an andere Kommunen weiter und wir können jetzt weitere, bereichsübergreifende Vorhaben angehen”, erklären die beteiligten Geschäftsführer der stadteigenen Digitalstadt Darmstadt GmbH, Simone Schlosser und José David da Torre Suárez, in einem gemeinsamen Statement. Fortsetzung auf Seite 27


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / November 2020

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und 42 Stunden verbrachten Stuttgarter Autofahrerinnen und Autofahrer 2019 durchschnittlich im Stau, so das Ergebnis einer Studie des Verkehrsdatenanbieters Inrix. Zwar ist die Verkehrsbelastung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt damit gegenüber 2015 rückläufig – damals war Stuttgart mit 73 Stunden Deutschlands unangefochtene Stau-Kapitale –, doch will man im Ländle durch intelligente Vernetzung der Mobilitätsoptionen noch mehr erreichen. Das Motto lautet: “Teilen statt Besitzen”. Gegenwärtig sind fünf SharingAnbieter im Raum Stuttgart vertreten, zählt man die Elek­ tro-Kleinstfahrzeuge (E-Scooter) hinzu, sind es insgesamt acht. Für Michael Hagel von der Koordinierungsstelle Elektromobilität der Landeshauptstadt Stuttgart bestehen die Chancen intermodaler Lösungen in einer Flächenumverteilung im öffentlichen Raum: statt großangelegter Parkplätze festinstallierte Stellplätze für Fahrräder oder Motorroller. Das spare nicht nur Platz, der im kommunalen Raum Mangelware sei, sondern führe im Idealfall zu einer nachhaltigen Änderung im Verhalten der Bürgerinnen und Bürger, so die Einschätzung des Experten.

Mehr Raum für neue Mobilität Wie die Landeshauptstadt Stuttgart die Verkehrswende einleiten will (BS/pet/wim) Wie nur wenige andere Regionen der Republik stehen Baden-Württemberg und vor allem die Landeshauptstadt Stuttgart stellvertretend für den Automobilbau in Deutschland. Daimler und Porsche lenken von hier aus die Geschicke eines bedeutenden Teils der deutschen Industrie. Auf eigenem Boden will die Stadt jedoch andere Wege einschlagen, will nachhaltiger, grüner und innerstädtisch autoärmer werden. Mit dem Verkehrsentwicklungskonzept 2030 soll die Verkehrswende gelingen. Probleme gibt es hingegen bei verfügbaren Flächen im öffentlichen Raum.

Zugriff aufs gesamte Portfolio Den Zugriff auf das Mobilitätsportfolio ermöglicht die “PolygoCard”, eine Universalkarte mit Bezahlfunktion, die neben öffentlichen auch privatwirtschaftliche Angebote miteinschließt. Vor allem für Bewohner des Speckgürtels im Raum Stuttgart sollen mit der “Polygo-Card” Anreize geschaffen werden, bei der Arbeitsanfahrt auf das Auto zu verzichten und stattdessen mittels Park and Ride den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu nutzen. Ergänzend

Fortsetzung von Seite 26 Mit dem Fördergeld aus Berlin will die Stadt ihre Zusammenarbeit mit den vielen Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Stadtwirtschaft und -verwaltung nun weiter intensivieren und zudem weitere Kooperationen, unter anderem mit den hiesigen Digitalisierungs-Inkubatoren der ansässigen Hochschulen und der Start-Up-Szene, eingehen. “Großes Thema für uns wird jetzt die ökologische Nachhaltigkeit sein. Wir möchten ein Projekt für das smarte Wassermanagement aufsetzen. Unsere Stadt liegt an keinem Fluss, Sommerund Hitzeperioden werden wahrscheinlich intensiver, die Wasserverteilung also zunehmend zur Aufgabe. Also machen wir uns Gedanken über die smarte Wasserversorgung von morgen”, so die Geschäftsführer hierzu. Weitere innovative Projektideen des Antrags: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz zum besseren Management von Energieverbräuchen, die Entwicklung innerstädtischer Multifunktionsbereiche wie beispielsweise Co-Working-Spaces analog dem Darmstädter Hub 31 für die Erschließung neuer

Die Mobilitätswende braucht neue Räume, doch ist Fläche in Baden-Württembergs Landeshauptstadt eine Mangelware. Foto: BS/einszweifrei, pixabay.com

zu den Maßnahmen im Bereich Intermodalität soll Letzterer ausgebaut werden. Dabei setzt das Verkehrsentwicklungskonzept der Stadt auf eine Kombination aus Flexibilisierung durch OnDemand-Angebote, Expresslinien und E-Taxis, die in Stuttgart als Teil des ÖPNV behandelt werden; um emissionsärmer unterwegs zu sein, soll bei der Busflotte

vermehrt Wasserstoff- und Elektrotechnik zum Einsatz kommen. Für den eigenen Fuhrpark der Stadt sind alternative Antriebe bei der Neubeschaffung schon seit 2016 Pflicht.

Formen der Zusammenarbeit und Zusammenkunft sowie, für das etwas andere Bürgerengagement, die Erstellung kostenfreier Online-Spiele in der Smart City, die die Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu bestimmten Handlungen auffordern sollen, etwa zum Gießen von Straßenbäumen bei extremer Dürre, und so gleichermaßen Gemeinwohl und Gemeinschaftsgefühl steigern. Mit der neuen Strategie konnten die Stadtplaner aber nicht nur die Entscheider im BMI überzeugen, sondern auch die hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Prof. Dr. Kristina Sinemus: “Digitalisierung dient primär den Menschen. Sie daher im urbanen Lebensraum mit der Stadtentwicklung zu synchronisieren, ist ein Muss – und immer mit dem Ziel, den Alltag der Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern. Die Smart City Darmstadt wird hierfür hoffentlich viele Fallbeispiele entwickeln, die wir hessenweit ausrollen können.”

vergangenen Jahr kreative Ansätze, wie mit den Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung eine moderne Stadtentwicklung funktionieren kann. Die Erkenntnisse, die durch das Förderprogramm in den Modellprojekt-Städten als Reallabors gesammelt werden, sollen später in die Breite getragen werden und allen Kommunen bundes- und auch EU-weit zur Verfügung stehen. Grundlage dieser Idee ist die sogenannte Smart City Charta der Nationalen Dialogplattform Smart Cities des BMI. Ihr zufolge sind Smart Cities der nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung verpflichtet. Die Charta wird seit Mitte 2016 in der BMI-Dialogplattform von 70 Stadtentwicklungsexpertinnen und -experten aus der ganzen Bundesrepublik erarbeitet und beschäftigt sich unter anderem mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung für Städte und Gemeinden. Für die nun anlaufende, zweite Förderrunde Smart Cities stehen über 150 Millionen Euro zur Verfügung; insgesamt will das BMI in vier Staffeln rund 750 Millionen Euro in 50 Modellprojekte fließen lassen.

BMI fördert in Höhe von rund 750 Millionen Euro Mit dem Förderprogramm “Modellprojekt Smart Cities” fördert die Bundesregierung seit dem

Corona erschwert Einschätzung Doch die Schritte in Richtung Mobilitätswende haben ihren Preis: Nicht nur müssen die

MELDUNG

Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur gestartet (BS/wim) Im Oktober hat die aus der bereits bestehenden Bund-Tochter NOW GmbH neu gegründete Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur ihre Arbeit aufgenommen. Die Leitstelle koordiniert und steuert im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Aktivitäten zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland. Hauptauftrag ist dabei die Unterstützung aller

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beteiligten Akteure beim Planen, Umsetzen und Fördern der La­ de­infrastruktur. Um den Bedarf an Ladesäulen besser zu verstehen, erfasst sie mithilfe eines digitalen Planungswerkzeuges relevante Daten und berechnet die Bedarfe bis zum Jahr 2030. Neben einer Vernetzungsfunktion soll die Leitstelle zudem an der Vereinheitlichung von Technik und einer engmaschigen Ladenetzinfrastruktur arbeiten.

Die zentralen Ziele der Leitstelle: Die nächste Schnellladesäule muss in zehn Minuten erreichbar sein und das Ladenetz soll bis Ende 2021 auf insgesamt 50.000 öffentlich zugängliche Schnellund Normalladepunkte ausgebaut werden. Zudem soll der Aufbau von öffentlicher, privater und gewerblicher Ladeinfrastruktur durch finanzielle Förderung und bessere rechtliche Rahmenbedingungen beschleunigt werden.

entsprechenden Fahrzeuge erst einmal beschafft werden, sie benötigen überdies eine eigene Infrastruktur, was bei Angeboten des ÖPNV auch eine Umrüstung der Betriebshöfe bedeutet. Die zusätzlichen Investitionen treffen die kommunalen Nahverkehrsbetriebe – die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) – in einer unglücklichen Zeit. Denn seit Einsetzen der Corona-Pandemie sind die Fahrgastzahlen beim ÖPNV drastisch eingebrochen. Der Rückgang zahlender Kundschaft hinterlasse dabei nicht nur ein Loch in der Kasse der SSB, sondern erschwere zugleich eine Erfolgsmessung der bereits implementierten Lösungen, erklärt Hagel. Komplikationen gebe es da­rüber hinaus beim Ausbau der Infrastruktur, da der öffentliche Raum langfristig nur rund 15 bis 20 Prozent aller Ladevorgänge abdecken könne. Deutlich mehr Potenzial bestehe im nichtöffentlichen bzw. halböffentlichen Raum, der etwa Parkhäuser, Einkaufszentren oder Autohäuser einschließt. Dieser aber werde nicht durch das Verkehrsentwicklungskonzept erfasst. Trotz fehlender Fläche will die Landeshauptstadt den Bestand ihrer Ladepunkte bis 2023 um 600 auf 1.000 im öffentlichen Raum steigern, zwei neue Wasserstofftankstellen inklusive. Not mache bekanntlich erfinderisch, zumal im kommunalen Raum, wo Ressourcen wie Geld, Personal und Fläche nie ausreichend zur Verfügung stünden, so Hagel.

Ganz allein im Regen steht die Stadt allerdings nicht, denn das Land Baden-Württemberg hat sich ebenfalls einen Umbau seiner Mobilität auf die Fahne geschrieben und unterstützt die Kommunen des Landes mit einer breit aufgestellten Förderung. Ziel der Maßnahmen ist es, per­ s­pektivisch zum Leitmarkt für E-Mobilität in Deutschland zu werden, erklärt Christoph Erdmenger, Abteilungsleiter Nachhaltige Mobilität, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg: “Da der öffentliche Raum allein die benötigten Laderessourcen nicht leisten kann, wollen wir es attraktiv machen, auch im privaten Raum Lademöglichkeiten zu schaffen. Das kann zum Beispiel auf Mitarbeiterparkplätzen von Firmen sein oder in neuen und bestehenden Tiefgaragen, in denen Wohnungsbaugesellschaften für ihre Mieter Ladestationen schaffen können”, so Erdmenger. Hierfür habe man das Förderprogramm “Charge@BW” aufgelegt, das öffentliche und private Maßnahmen gleichermaßen mit bis zu 2.500 Euro unterstützt.

Weg von den Pilotprojekten Zwar wird auch in Baden-Württemberg, ähnlich wie in vielen anderen Ländern, aktuell weiterhin auch die Einzelbeschaffung von neuen Fahrzeugen gefördert, grundsätzlich brauche es aber eine Normalisierung in der Beschaffungskultur, die direkt ganze Flotten oder zumindest Teilflotten

mit klimaneutralen Antrieben neu einkauft. Um dies zu erreichen, wolle man unter anderem mit Anpassungen im Ordnungsrecht, aber auch mit der Schaffung von Benutzervorteilen arbeiten, um die breite Anschaffung attraktiv zu machen. Aber nicht nur Verkehrsbetriebe müssen sich umstellen, sondern die ganze Gesellschaft, wenn man die Ziele des Landes bis zum Ende des Jahrzehnts erfüllen will. Denn das Land hat aus den abstrakten Zahlen zur Verkehrswende konkrete Ziele abgeleitet: “Um die viel zitierten 40 Prozent weniger CO2 im Verkehr zu erreichen, braucht es fünf Wandlungen gleichzeitig: Eine Verdopplung der ÖPNVFahrgastzahlen, ein Drittel weniger Autoverkehr in den Städten, jedes dritte Auto im Verkehr und jede dritte Tonne Last auf Straße und Schiene müssen klimaneutral laufen und jeder zweite Weg der Menschen muss mit dem Rad oder zu Fuß absolviert werden.” Dass diese Ziele ein ehrgeiziges Unterfangen darstellen, dessen ist sich Erdmenger bewusst: “Und dafür brauchen wir dringend eine spürbare Steigerung im Markthochlauf, sonst wird allein das Thema ein Drittel klimaneutrale Autos nicht umsetzbar sein.” Denn laut aktuellen Zahlen gibt es in Baden-Württemberg mit Stand Juli 2020 rund 35.000 Kraftfahrzeuge mit reinem E-Antrieb. Die Hürde, die ein Drittel aller Fahrzeuge in Baden-Württemberg bedeuten würde, liegt allerdings bei mehr als zwei Millionen Autos. Es muss sich also noch viel tun bis zum Jahr 2030, weswegen das Land bereits vor einigen Jahren einen “Strategiedialog Automobilwirtschaft” ins Leben gerufen hat, um im direkten Austausch mit Automobilindustrie, sonstiger Mobilitätsbranche und anderen Stakeholdern für ein gemeinsames Verständnis und Handeln im Sinne der Verkehrswende zu sorgen.


Kommunale Sicherheit

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Behörden Spiegel / November 2020

Ein Buch, das nirgendwo fehlen darf

Interaktive “Corona-Ampel” für Deutschland

Verkehrspolizeiliche Wahrheiten deutlich ausgesprochen

Vfdb veröffentlicht tagesaktuelle Übersicht für alle Landkreise

(BS/Prof. Dieter Müller*) Wenn ein Buchtitel eine polizeiliche Tätigkeit personifiziert, merkt der in polizeilichen Belangen erfahrene Leser auf. Kommt das Buch dann auch noch in edlem Hardcover und mit einem gezeichneten Konterfei des Autors daher, wird deutlich, dass das Schreiben dieses Buches dem Verfasser ein Herzensanliegen gewesen ist. Aber warum wählt ein Autor gerade die Verkehrspolizei als Inhalt seines Buches und damit aus Sicht zahlreicher Polizeibeamter eine Polizeisparte, die von der Öffentlichkeit oft ungeliebt ist?

(BS/bk) Die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) stellt eine tagesaktuelle Übersicht zur Infektionslage für alle deutschen Landkreise und kreisfreien Städte bereit. Die Karte soll den Zugang für Einsatzkräfte sowie Bürgerinnen und Bürger zu raumbezogenen Daten vereinfachen.

Diese Frage beantwortet sich nach der Lektüre der 230 Seiten des Buches “Der Verkehrspolizist” von Dieter Schäfer quasi von selbst, wenn, ja wenn der Leser sich auf den sehr persönlichen Schreibstil des Verfassers einlässt. Das aber sollte er unbedingt, weil er sonst etwas verpasst. Der Autor ist inzwischen Polizeidirektor a. D. und zur Zeit des Verfassens seines Werkes, eines Sachbuches mit deutlich autobiographischen Zügen, der erste und letzte Chef der Verkehrspolizeidirektion beim Polizeipräsidium Mannheim. In sieben Kapiteln behandelt er Themen, die seine letzten Berufsjahre entscheidend geprägt haben, weil er sich dieser Problembereiche verkehrspolizeilicher Tätigkeit angenommen hat. Ein- und ausgeleitet werden diese Sachinhalte durch zwei inhaltlich sehr persönlich gehaltene Kapitel, mit denen der Autor seine Leser mitnimmt in die historischen und regionalen Eigenheiten seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches. Nicht der schlechteste Ansatz, um gleich zu Beginn die historisch gewachsene Klientel der Verkehrspolizei kennen- und deren Verhalten verstehen zu lernen, damit das polizeiliche Ermessen punktgenau eingesetzt werden kann.

Immer eine Einleitung Allen neun Kapiteln wird eine dreiseitige Einleitung voran­ gestellt, die punktgenau den fachlichen Ansatz des Autors beschreibt, die “Drei E” der verkehrspolizeilichen Tätigkeit fachlich mit Leben zu füllen – und dabei auch als Polizist immer noch Mensch zu bleiben. Dass er dem Ganzen zusätzlich noch den Diensteid eines badenwürttembergischen Polizeibeamten voranstellt, beweist mehr als eine persönliche Note, nämlich sein Pflichtbewusstsein als Landesbeamter und damit einen Gutteil seines in allen Kapiteln

schonungslose Fehleranalyse, gekoppelt mit einer Untersuchung der Schwachstellen polizeilicher Arbeit, die Grundlage für deutliche Qualitätssteigerungen zugunsten der Verkehrssicherheit sein können. Verkehrsjuristisch wohl am interessantesten ist das Buchkapitel, in dem sich der Autor des juristisch noch nicht abgeschlossenen politischen (und Korruptions)Skandals der kriminellen Verbreitung von Kurzzeitkennzeichen durch Mitarbeiter des Rhein-Neckar-Kreises annimmt. Dieter Schäfer: “Der Verkehrspolizist”, Verlag Waldkirch, Mannheim 2019, ISBN 978-3-86476-127-0, 22 Euro Foto: BS/Verlag Waldkirch

immer wieder mitschwingenden Berufsethos. Die sieben fachlichen Kapitel behandeln verkehrspolizeiliche Problembereiche, die auf der Agenda der Polizei in allen Bundesländern stehen, aber allesamt nicht von der Polizei allein gelöst werden können. Dabei gelangt der Autor zu teils verblüffenden, fachlich stets überzeugenden Ansätzen. Dass eine faire Kommunikation zwischen Polizist und Bürger – sprich: Verkehrsteilnehmer – ein Schlüssel für die Lösung sein kann, erfährt man anhand von fehlerhaftem Eingriffshandeln der Polizei, das in dem betreffenden Bereich Baden-Württembergs eine Zeit lang beim Fahren ohne Führerschein durch die nachfolgende Beschlagnahme des Fahrzeugschlüssels, einhergehend mit dem Verdacht des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und der Untersagung der Weiterfahrt, geprägt war. Ein weiteres, immer noch wachsendes Problem, nämlich die Beeinflussung durch Drogen im Straßenverkehr, fesselt den Leser ebenfalls. Er lernt dabei, dass eine konsequente und

Trotz der entwaffnend offenen und sehr persönlichen Attitüde des Buches handelt es sich zusammenfassend um echte polizeiliche Fachliteratur, die auch als ein Lehrbuch verkehrspolizeilicher Arbeit verstanden werden kann. Dem Autor gelingt es mit seiner plakativen und authentischen Schreibe spielend, seine Leser thematisch zu fesseln. Der Autor bleibt nicht bei einer nüchternen Zustandsbeschreibung der behandelten Probleme stehen, sondern beschreibt vielmehr Schritt für Schritt systematisch aufeinander aufbauende Problemlösungsprozesse, jeweils erarbeitet auf der Grundlage einer sorgfältig auf wissenschaftlicher Basis vorgenommenen Lagebeurteilung. Er nimmt seine Leser in jedem Schritt seiner Überlegungen mit und setzt mit seinem Buch neue Maßstäbe für die Aus- und Fortbildung im Erfahrungsberuf eines Polizeibeamten. Dieses Buch hat eine große Leserschaft verdient. Es sollte in keiner Bibliothek einer polizeilichen Aus- und Fortbildungseinrichtung fehlen und auch in jeder Dienststelle mit verkehrspolizeilichen Aufgaben zur Standardliteratur gehören. *Prof. Dr. Dieter Müller lehrt an der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg.

te zeigt sich das Referat Sieben “Informations- und Kommunikationstechnik” der Vereinigung verantwortlich. Vfdb-Vizepräsidentin Anja Hofmann-Böllinghaus würdigte die Arbeit: “Was zuerst für Projekte innerhalb des Referats gestartet wurde, konnte im September 2020 durch die Übernahme und Integration der Plattform NPGEO (Nationale Plattform für geographische Daten) für alle Mitglieder der vfdb ausgebaut werden.” Die Karte wurde in Zusammenarbeit mit dem Software-Hersteller Esri realisiert. Esri stellte die

Digitale Lehrgänge auf Kreisebene möglich (BS/bk) Das E-Learning-Angebot der Hessischen Landesfeuerwehrschule (HLFS) wird deutlich ausgebaut. Dabei werden auch die Lehrgänge und Seminare auf Kreisebene miteinbezogen. Dies kündigte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) an. Dem Ausbau ging der Pilotlehrgang “e-Gruppenführer” voran. Der digitale Lehrgang wird seit 2018 an der HLFS angeboten. Zusätzlich zu diesem Lehrgang wird jetzt auch das Modul “Leiter einer Feuerwehr” online angeboten. In der Planung befinden sich momentan die Einführung des Lehrgangs “e-Zugführer” sowie die Integration der Kreisausbildung. Dabei wird Landkreisen die Möglichkeit geboten, selbst E-learning-Angebote anzubieten. Ebenso wird für die Ausbildung von Führungskräften für den

ABC-Einsatz die Nutzung von Virtual-Reality(VR)-Technologie getestet. “Die Erweiterung des E-Learning-Angebots an der Hessischen Landesfeuerwehrschule macht die Aus- und Fortbildung hessenweit flexibler und örtlich unabhängiger. Damit ist diese Entwicklung nicht nur ein großer Gewinn für die Feuerwehrangehörigen selbst, sondern auch für deren Familien und Arbeitgeber. Insgesamt machen wir das Ehrenamt in den Freiwilligen Feuerwehren in Hessen mit den neuen Angeboten noch

attraktiver“, sagte Dr. h.c. Ralf Ackermann, Präsident des Landesfeuerwehrverbandes Hessen (LFV Hessen). Die Feuerwehrschule bietet seit 2018 den Lehrgang zum Gruppenführer in einer digitalen Variante an. Mit ihrem Lernkonzept gewann die HLFS den “eLearning Award 2020” des E-learning-Journals in der Kategorie “Blended Learning”. Bei Blended Learning, zu deutsch integriertes Lernen, werden die Formen von Präsenzveranstaltungen und ­E-learning kombiniert.

das herkömmliche Notizbuch ersetzen. Die App @rtus-Mobile bietet einen mobilen Zugriff auf das Vorgangsbearbeitungssystem Artus. So können schon vor Ort Vorgänge angelegt und Fotos sowie Sprachnachrichten hinzugefügt werden. Dazu kann der durch GPS lokalisierte Standort gespeichert werden. Alle erfass-

ten Informationen werden in dem Vorgang gespeichert und sind auf der Wache sofort einsehbar. Durch die App fällt somit die Übertragung von Daten in das System weg. Mit der App können zudem auch Fahndungsabfragen vorgenommen werden. Bei Verlust oder Diebstahl der Geräte werden die Daten ferngelöscht.

MELDUNG

App ersetzt Notizbuch (BS/bk) Die Bremer Polizei testet zehn Wochen die Polizei-App “@rtus-Mobile”. Dazu wurden Beamtinnen und Beamte des Einsatzdienstes in der Vahr und der Bremer Verkehrsbereitschaft sowie der Bremerhavener Abteilungen Nord und Verkehr mit 25 Smartphones samt der App ausgestattet. Die Applikation soll

Corona fordert technische Lösungen (BS/Matthias Kreuz*) Luftfilter und Masken ja, Frieren nein. Mit technischen Lösungen für Veranstaltungs- und Besuchersicherheit hat MOVETOS in den vergangenen Jahren einen neuen Standard in der Eventbranche gesetzt.

Grafiken und Fotos: BS/MOVETOS

fektionsketten über Aerosole in der Luft. Verlässliche Lösungen für Schulen, Kitas, Rathäuser, Gerichte und öffentliche Einrichtungen, die den Regelbetrieb der Einrichtungen ermöglichen, haben wir ebenfalls im Programm”, so von Nordeck. Technische Lösungen zur Innenraum-Luftreinigung sind nach Aussage vieler Experten eine effektive Maßnahme zur Pandemiebekämpfung, so z. B. Prof. Dr. Kähler von der Universität der Bundeswehr in München. Das gilt insbesondere für Umgebungen, in denen Lüftungskonzepte unter Corona-Bedingungen nur eingeschränkt oder nicht möglich sind. Das können z. B. Konferenz-, Sitzungs- oder Tagungsräume von Stadt- und Kreistagen

sein, genauso wie Bereiche mit Publikumsverkehr in (Berufs-) Schulen, Verwaltungen oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen.

Plattform NPGEO bereit, auf der die “Corona-Ampel” implementiert wurde. “Seit Jahren schon haben wir die zentrale und einheitliche Bereitstellung von Geodaten für Geoanwendungen im Bereich der Feuerwehren, Rettungsdienste und des Katastrophenschutzes unterstützt. Ziel war und ist es, den Zugriff auf raumbezogene Daten zu vereinfachen und für informative Darstellungen zu nutzen.”, sagte vfdb-Präsident Dirk Aschenbrenner. Die Karte lässt sich über die Homepage der vfdb aufrufen.

E-Learning-Angebot in Hessen ausgebaut

Sicherheit hat viele Gesichter

“I

nnovative Sicherheitslösungen sind unsere Themen. Jetzt müssen wir Sicherheit auch bis zu Gesundheit und Hygiene von Besuchern weiterdenken”, so der Geschäftsführer Guntram von Nordeck. Mit solchen Herausforderungen kennt sich das Team von MOVETOS bestens aus. Die technische Umsetzung bei Veranstaltungen durch MOVETOS, wie Besucher- und Flächenmanagement, wird jetzt unter CoronaBedingungen vorgeschrieben und zur Bekämpfung von Infektionsrisiken oder Nachverfolgung von Infektionsketten extrem wichtig. So sind z. B. Weihnachtsmärkte angewiesen, die Besucher DSGVO-konform zu erfassen, um mögliche Infektionsketten einfach und rasch nachverfolgen zu können und zugleich müssen die zulässigen Besucherzahlen geregelt und gemanaged werden. Geschäftsführer Guntram von Nordeck sagt: “Viele Städte vertrauen auf unsere Lösungen, wenn der Wunsch, Weihnachtsmärkte stattfinden zulassen, von den Behörden weiterhin begleitet wird.” Zurzeit drohen dennoch in vielen weiteren Bereichen aufgrund der steigenden Corona-InzidenzWerte erneute Lockdowns, zumindest aber stark verschärfte Verhaltensregeln im Alltag. Auch hier hat MOVETOS für Sicherheit im Hinblick auf Gesundheit und Hygiene Antworten gefunden: “Problematisch sind u. a. die In-

Trotz allem Fachliteratur

Die Karte stellt die aktuelle Corona-Lage anhand der Sieben-TageInzidenzwerte, die das Robert Koch-Institut (RKI) bereitstellt, dar. Ein Inzidenzwert beschreibt den Mittelwert der täglichen Infektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage. Für die unterschiedliche Einstufung der Landkreise und kreisfreien Städte markiert die Karte die Körperschaften grün für Inzidenzwerte unter 35, orange für Werte zwischen 35 und 50, rot für Werte über 50 und dunkelrot bei mehr als 100 Fällen pro 100.000 Einwohner. Für die Kar-

Besonders betroffen sind vor allem Zusammenkünfte vieler Personen in geschlossenen Räumen. Abstand halten und das Masketragen sind inzwischen

überall Grundvoraussetzungen. Doch reicht das nicht aus! Ohne die Akzeptanz technischer Maßnahmen, wie u. a. Besucherdatenerfassung und Luftfilter,

werden Schulen, Behörden, Hotels, Gaststätten etc. starken Einschränkungen unterworfen sein – bis hin zu einem weiteren Lockdown. Grundsätzlich ist es zwingend erforderlich, dass Corona- und DSGVO-konforme Lösungen für das Besucher- und Personenmanagement zur Nachverfolgung von Infektionsketten und auch Innenraum-Luftreiniger oder Hygiene-Schleusen eingesetzt werden. Nur so ist es möglich, das öffentliche und soziale Leben deutlich risikoärmer zu gestalten und die notwendigen Corona-Einschränkungen auf ein Minimum zu reduzieren. Neben den unterschiedlichen technischen Lösungsangeboten aus der Wirtschaft sind jedoch auch die Behördenvertreter in Städten und Kommunen gefragt, sich mit den möglichen Technologien auseinanderzusetzen und gemeinsam mit Vertretern von Bund und Ländern die Grundlagen zu schaffen, diese Techniken in ihren Verantwortungsbereichen einzusetzen. Es gibt Möglichkeiten, aktiv den pandemischen Infektionsszenarien von Corona entgegenzutreten, ohne das öffentliche Leben gänzlich zum Stillstand zu zwingen. Dazu gilt es, technische Lösungen dort einzusetzen, wo es möglich ist. *Matthias Kreuz ist Generalbevollmächtigter bei der MOVETOS GmbH & Co.KG.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / November 2020

Aufzeichnungen aus dem Homeoffice Umfrageergebnisse nach einem halben Jahr der Heimarbeit (BS/Kilian Recht) Noch Anfang dieses Jahres war die Arbeit von zu Hause aus in vielen Behörden die Ausnahme. Das Homeoffice galt als Privileg, als schwer durchsetzbar bis unmöglich zu realisieren. Mit dem Lockdown zu Beginn der Corona-Krise wurde aus diesem vermeintlichen Luxus jedoch schlagartig eine schlichte Notwendigkeit, um die Arbeitsfähigkeit aufrecht erhalten zu können. Nach einem halben Jahr der Pilotphase haben wir Sie nach Ihren Erfahrungen gefragt. Über 700 Antworten kamen auf unserer Homepage zwischen Mitte September und Mitte Oktober 2020 zusammen. Die Ergebnisse liegen nun vor und zeigen, neben einer positiven Grundeinstellung, drei Bereiche mit Verbesserungspotenzial auf. Das effiziente Homeoffice beginnt mit dem richtigen technischen Equipment. Wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der FDP hervorgeht, schaffte die Bundesregierung zwischen März und September mehr als 40.000 PCs, Laptops und Tablets für Mitarbeitende von Ministerien und Behörden an. Über die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Umfrage profitierten unmittelbar von dieser Investition. Sie gaben an, ihnen habe die erforderliche technische Ausstattung sofort und vollumfänglich beim Gang ins Homeoffice zur Verfügung gestanden. Ein Drittel der Befragten musste entweder etwas länger auf entsprechendes Equipment warten oder teilweise auf private Ausstattung zurückgreifen. Zehn Prozent der Befragten konnten während des Befragungszeitraumes nur mit privaten Geräten ihre Arbeit verrichten (siehe Grafik).

Wunsch nach mehr Arbeitsschutz Wie steht es um die Sicherheit dieses kurzfristig eingerichteten Provisoriums? Neue Einfallstore, mangelnde Sicherheitsarchitektur im Heimnetzwerk und die gestiegene Aktivität von Cyber-Kriminellen erfordern besondere Maßnahmen für die neue Situation. Knapp zwei Drittel der Befragten gaben an, dass in ihrem Arbeitsumfeld besondere Maßnahmen getroffen wurden, um die IT-Sicherheit im Homeoffice zu gewährleisten. Nach Einschätzung eines Drittels der Befragten wurden solche Maßnahmen nicht ergriffen. Neben der Sicherheit der Netzwerke wurde auch nach der Sicherheit der Angestellten gefragt. Auf die Frage, ob zu-

Homeoffice: Ein- und Ausblicke Vorbereitung: Bereitstellung erforderlicher technischer Ausstattung

Praxis: Einfluss von Homeoffice auf Qualität und Geschwindigkeit bei der Arbeit

Ausblick: Wunsch nach mehr Homeoffice nach der Pandemie?

7,6

10,6 27,3 22,7

Baustellen identifiziert

53,1 7,6

65,1 92,4

13,6

Sofort und vollumfänglich Komplette Nutzung privater Ausstattung Teilweise Nutzung privater Ausstattung Mit Verzögerung bereitgestellt

Positiv Negativ Kein Einfluss

Ja Nein

Drei der Ergebnisse einer Umfrage zur Arbeit im Homeoffice, durchgeführt unter den Leserinnen und Lesern des Behörden Spiegel. Die Daten wurden zwischen März und Oktober erhoben. 700 Antworten kamen zusammen. Grafik: BS/Marvin Hoffmann

sätzliche Maßnahmen getroffen wurden, um den Arbeitsschutz im heimischen Arbeitszimmer zu gewährleisten, antworteten lediglich 18 Prozent mit “ja“. 45 Prozent aller Befragten aber wünschen sich besondere arbeitsrechtliche Regelungen für die Arbeit im Homeoffice.

Daheim effektiver als im Büro Die überwiegende Mehrheit der Befragten ist überzeugt: Im Homeoffice lassen sich die anfallenden Aufgaben vollumfänglich erledigen – über 80 Prozent sind dieser Meinung. Darüber hinaus attestieren die Befragten dem Modell sogar gesteigerte Effizienz, was die Erledigung der anfallenden Aufgaben anbelangt. 65 Prozent stellen fest, dass sich das Homeoffice insgesamt positiv auf die Qualität und Geschwindigkeit der Aufgabenerledigung

Angaben das Arbeitspensum auf 60 bis 80 Prozent der regulären Arbeitszeit. Für zehn Prozent der Befragten entfiel ein großer Teil der normalerweise anfallenden Stunden. Sie leisteten zwischen einem und 20 Prozent ihrer regulären Arbeitszeit im Homeoffice.

ausgewirkt habe (siehe Grafik). Noch besser fällt die Bewertung der Heimarbeit insgesamt aus: 82 Prozent der Teilnehmenden beschreiben ihre Erfahrungen im Homeoffice mit überwiegend bis uneingeschränkt positiv. Die verbliebenen 18 Prozent haben teils positive, teils negative Erfahrungen gemacht. Überwiegend oder sogar uneingeschränkt negativ erlebte keiner der Teilnehmenden die Zeit im Homeoffice. Daraus resultiert ein klarer Wunsch für die Zukunft. Beinahe alle Befragten wünschen sich persönlich zukünftig mehr Homeoffice, auch nach der Corona-Pandemie (siehe Grafik).

Homeoffice als Dauerzustand Während der Pandemie zumindest konnte dieses Verlangen erfüllt werden. Der Großteil der Befragten, fast 60 Prozent,

verbrachte mehr als 13 Wochen im Homeoffice. Weitere elf Prozent zwischen neun und zwölf Wochen und 18 Prozent zwischen fünf und acht Wochen. Eine kurze Erfahrung machten zwölf Prozent der Befragten. Sie blieben lediglich für eine bis vier Wochen ihrem angestammten Arbeitsplatz fern. 58 Prozent gaben ihre Erfahrungen zum Homeoffice aus ebendiesem ab. Sie befanden sich im Zeitraum der Befragung noch im heimischen Büro. 42 Prozent waren vor Oktober bereits zurück an ihre alten Wirkungsstätten gekehrt. Doch nicht nur die Dauer des Aufenthalts unterscheidet sich unter den Teilnehmenden. Auch die geleistete Arbeitszeit variiert stark. Lediglich 35 Prozent der Befragten gaben an, 100 Prozent ihrer regulären Arbeitszeit genauso auch im Homeoffice zu erbringen. Ein Viertel reduzierte nach eigenen

Aus der Umfrage gehen klare Appelle an die Entscheidungsträger hervor. Besonders ausdrücklich sind die Angaben der Teilnehmenden in Bezug auf Arbeitsschutzmaßnahmen im Homeoffice. Daneben sind Schwachstellen in der IT-Sicherheitsstruktur erkennbar, die nun für den Heimbetrieb angegangen werden müssen. Außerdem gilt es, die letzten Lücken in der Beschaffung von IT-Ausstattung zu schließen, um allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mobiles Arbeiten zu ermöglichen. Trotz der Schwierigkeiten in diesem flächendeckenden Pilotprojekt ist die Stimmung insgesamt dennoch positiv. Die gesammelten Erfahrungen des letzten halben Jahres werden sich mit Blick auf den Winter als äußerst wertvoll erweisen. Während sich die Pandemie zum Ende des Sommers aus dem kollektiven Bewusstsein verabschiedete, fanden vereinzelte Beschäftigte den Weg zurück in ihre Büros. Mit den nun wieder dramatisch ansteigenden Corona-Fallzahlen, den verschärften Regelungen und Kontaktbeschränkungen wird auch der Anteil der im Homeoffice Beschäftigten wieder steigen. Wenn die Angestellten des Öffentlichen Dienstes dann auf der zweiten Welle wieder in die heimischen Arbeitszimmer gespült werden, schwimmen sie dank einer erfolgreichen Experimentierphase hoffentlich oben auf.

KNAPP Enquete-Kommission KI schließt Arbeit ab (BS/wim) Nach knapp über zweijähriger Arbeit hat die EnqueteKommission Künstliche Intelligenz (KI) ihren gemeinsamen Abschlussbericht verabschiedet. Der mit Anlagen über 800 Seiten starke Bericht enthält Sondervoten aller Fraktionen zu einzelnen Punkten. Die Kommission stellt den Bericht unter das Leitbild einer “menschenzentrierten KI”. Die Technologie sei “die nächste Stufe einer durch technologischen Fortschritt getriebenen Digitalisierung”, heißt es in dem Bericht. Mit der Entwicklung gehe ein Wertewandel einher, der “nicht per se schlecht” sei, aber einer “demokratischen Gestaltung” bedürfe. Der Fokus auf den Menschen bedeutet für die Kommission dabei, “dass KI-Anwendungen vorrangig auf das Wohl und die Würde der Menschen ausgerichtet sein und einen gesellschaftlichen Nutzen bringen sollten”. Mehr zum Thema KI auf Seite 30.

Smart Country virtuell (BS/stb) Die Smart Country Convention hat 2020 erstmals rein digital stattgefunden. Der Behörden Spiegel ist Medienpartner der Veranstaltung von Bitkom und Messe Berlin. 10.600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben das Programm mit 150 Sprechern verfolgt. Unerwartet hohe Zugriffszahlen hatten zunächst zu Stabiliätsproblemen beim Streaming geführt. Am ersten Tag drehte die Veranstaltung sich um das Thema E-Government, der zweite Tag war Smart Cities gewidmet. “Deutschland hat Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung, das haben uns die vergangenen Tage eindrücklich gezeigt”, resümiert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. Die Vorträge sind weiterhin on demand abrufbar. Die nächste Smart Country Convention wird vom 26. bis 28. Oktober 2021 in Berlin stattfinden.


Informationstechnologie

Seite 30

Behörden Spiegel / November 2020

Regelmäßige Themenseite in Kooperation mit:

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

November 2020

Kompetenzzentrum Öffentliche IT

KI in der Verwaltung auf gutem Kurs Künstliche Intelligenz (KI) erscheint als die nächste Stufe der digitalen Transformation. Dabei lauern jedoch viele Fallstricke. Wie werden diese bei aktuellen Beispielen aus der Verwaltung vermieden? Was lässt sich daraus für den KI-Einsatz hinsichtlich Effektivitäts- und Sicherheitsanforderungen als auch mit Blick auf ethische Maßstäbe lernen? Mit künstlicher Intelligenz verbinden sich große Erwartungen ebenso wie Skepsis und tiefsitzende Befürchtungen – gerade auch beim Einsatz in der öffentlichen Verwaltung. Um hier die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, wurden in den letzten Jahren weltweit zahlreiche Strategien und Leitlinien erarbeitet. Inwiefern werden diese Vorgaben beim KI-Einsatz in der deutschen öffentlichen Verwaltung bereits berücksichtigt? Anhand von Fallbeispielen hat das iRightsLab im Auftrag des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer FOKUS KI-Anwendungen aus allen Bereichen der öffentlichen Leistungserbringung auf Bund-, Länder- und Kommunenebene analysiert. Entstanden ist eine systematische Bewertung der KI-Landschaft in der deutschen Verwaltung, die viele praktische Hinweise liefert, wie der KIEinsatz unter den besonderen Erfordernissen der öffentlichen Verwaltung gestaltet werden kann. Anhand der Beispiele werden diese Gestaltungskriterien deutlich.

tes zur Krisenvorhersage werden die Daten bei jedem Durchlauf neu geprüft. Trainingsund Betriebsdaten werden in versionierten Repositorien festgehalten, um die Nachvollziehbarkeit zu erhöhen und ein potenzielles Re-Training zu ermöglichen.

Beim KI-Einsatz lauern viele Fallstricke. In der Verwaltung wird deshalb auf starke menschliche Kontrolle gesetzt. Grafik: BS/geralt, pixabay.com

Der Mensch entscheidet KI-Systeme entscheiden sehr konsistent und behandeln gleiche Fälle gleich. Umso stärker wirken sich jedoch auch Fehler systematisch aus. Entsprechend empfehlen einschlägige Leitlinien eine rein entscheidungsunterstützende Funktion. Daran orientieren sich auch die untersuchten Beispiele: Vorschläge der KI werden von Menschen überprüft, ggf. korrigiert und weiterverarbeitet. Beispielsweise werden bei der Profilanalyse von Gesprächsprotokollen des BAMF die Entwicklungsergebnisse wöchentlich geprüft. Die KI fungiert im Verwaltungsprozess lediglich als Ent-

scheidungsunterstützung und unterliegt zugleich menschlicher Kontrolle. Dazu ist das System mit diversen Rückmeldekanälen für Anwender/-innen ausgestattet, deren Eingaben zur Optimierung der Entscheidungsunterstützung genutzt werden. Solche Rückkopplungsschleifen wurden auch beim Beispiel der Handwerksstatistiken des Statistischen Bundesamts genutzt. Die Ausgaben des Klassifizierungssystems werden stets von Menschen geprüft. Nur manuell aufbereitete Ergebnisse werden für das weitere Training des Systems genutzt und dabei wird die Fehlerquote regelmäßig ermittelt.

Sicherheit wird großgeschrieben Wird IT zur Unterstützung in der öffentlichen Leistungserbringung genutzt, ist Sicherheit immer ein wesentlicher Faktor. Bei KI-Systemen ergeben sich neue Angriffsvektoren etwa durch den Bedarf an großen Datenmengen. In der Stadt Lemgo werden deshalb Lagebilder der KI für Lichtsignalanlagen auf Basis mehrerer Datenquellen erstellt, um mögliche Störfaktoren auszugleichen. Verteilte Systeme sorgen dafür, dass Angriffe auf einzelne Lichtsignalanlagen nicht zum Ausfall des Gesamtsystems führen. „Securityby-Design“ wird konsequent umgesetzt. Beim Beispiel PREVIEW des Auswärtigen Am-

KI schafft Innovationen Durch KI können Prozesse beschleunigt und Mitarbeitende entlastet werden, es können aber auch gänzlich neue Anwendungen und Angebote entstehen. Ein Beispiel ist die Zustandserfassung von Autobahnen des BMVI. Die Anwendung ermöglicht es erstmalig, Abschnitte vorausschauend und bedarfsgesteuert Instand zu setzen, bevor kostenintensive Langzeitschäden entstehen. Als ein Beispiel für eine schnelle Umsetzung kann der Covid19-Chatbot des ITZBund dienen, der in kürzester Zeit unter Einbindung zahlreicher Ministerien entwickelt wurde und als Blaupause für verschiedenste Behörden und für die unterschiedlichsten Zwecke dienen soll. Die langfristige Vision ist ein personalisierter Assistent für staatliche Auskünfte gegenüber den Bürger/-innen, der eine Verschmelzung von Chatbot und der digitalen Einreichung von Formularen nach dem OZG darstellt. Leitlinien für ethischen KI-Ansatz werden weitgehend berücksichtigt Die Analyse zeigt, dass der KI-Einsatz in der deutschen öffentlichen Verwaltung äußerst reflektiert und unter Beachtung nachahmenswerter Leitlinien erfolgt. Die genannten Ziele werden durch verschiedene Mechanismen sichergestellt. Unter diesen Voraussetzungen kann KI in der öffentlichen Verwaltung ihr Potenzial entfalten, während Risiken und potenzielle negative Nebenwirkungen beherrschbar bleiben. Die vollständige Publikation finden Sie in Kürze hier: www.oefit.de/publikationen/

Europäischer Wertekanon als Basis

Erfolgreiche Digitalisierung durch KI

KI kann den Menschen nie voll ersetzen

BAFA nutzt Künstliche Intelligenz bei der Prüfung von Anträgen

(BS/Wim Orth) Wie soll der öffentliche Sektor mit dem innovativen Potenzial Künstlicher Intelligenz (KI) umgehen? Und welche Bedeutung kommt der KI in der digitalen Gesellschaft von morgen zu? Umso besser die neue Technologie erforscht wird, desto mehr zeigen sich deren Stärken und Schwächen. Dabei wird immer deutlicher: Ohne wird es in Zukunft nicht gehen, aber die Anforderungen an die intrinsische Sicherheit der Systeme steigen immer mehr.

(BS/Franz Kögl) Ein erfolgreiches Digitalisierungsprojekt unterstützt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bei der Bearbeitung von Anträgen zur Begrenzung der EEG-Umlage im Rahmen der Besonderen Ausgleichsregelung über das Behörden-Portal ELAN-K2. Möglich wurde dies durch den Einsatz einer KI-basierten Lösung der IntraFind Software AG.

Die frischgebackene Leiterin der Abteilung “Digitale Gesellschaft, Informationstechnik” im Bundesministerium des Innern (BMI), Pia Karger, sieht die Diskussion als gesamtgesellschaftliches Phänomen. Es gebe hohe Potenziale, gleichzeitig aber aufgrund der möglichen Risiken auch viele Bedenken bei Mitarbeitern und in der Bevölkerung. Auf diese Aspekte müsse man proaktiv eingehen, damit das Thema von einer möglichst breiten gesellschaftlichen Basis mitgetragen werde: “Dafür wollen wir eine möglichst gesamteuropäisch gestaltete KI-Politik, die auf den europäischen Werten basiert. Es braucht also einen menschenzentrierten Ansatz bei Nutzung und Entwicklung”, so die Abteilungsleiterin. Gleichzeitig solle die staatliche Regulierung aber möglichst wenig hemmende Wirkung auf mögliche Innovationen haben, damit diese Form der KI dennoch international konkurrenzfähig sein könne. Im BMI gebe es bereits eine Reihe von konkreten Anwendungsfällen, in denen KI oder deren Vorstufe, das Machine Learning, zum Einsatz kommen: “Das geht vom Wissensmanagement im Parlamentarischen Fragewesen, in dem Antworten mithilfe von KI vereinfacht ausformuliert werden können, über Hilfsprogramme für Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks in Einsatz und Übung bis hin zur Analyse und Auswertung von Satellitendaten der Erdbeobachtung, in denen Umweltphänomene immer greifbarer werden”, erläutert Karger. Einen wesentlichen Aspekt des gesamten Themas betont sie aber beim Einsatz von Analyseprogrammen im Rahmen des BMI-Projektes “Polizei 2020”, denn “KI kann den Menschen bei seiner Arbeit immer nur unterstützen. Der Mensch

Durch die großen Potenziale für Gesellschaft und die Verwaltungsarbeit wird es ohne die Künstliche Intelligenz in Zukunft nicht mehr gehen, erklärte Pia Karger, Abteilungsleiterin “Digitale Gesellschaft, Informationstechnik” im Bundesinnenministerium, auf dem KI-Symposium des Behörden Spiegel in Berlin. Wichtig sei es daher, bei der Ausgestaltung den Fokus auf Menschenzentriertheit zu legen und alle Bedenken mitzunehmen, um eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Foto: BS/Tim Dechent

ist und bleibt das zentrale Element, der die KI steuert”. KI müsse immer rechtskonform zuverlässig und erklärbar sein und bleiben, vor allem dann, wenn sie mit ihren Entscheidungen in Freiheitsrechte der Menschen eingreife erklärt die BMI-Frau zum Abschluss.

Hilfsmittel für Abwehr und Angriff So vielseitig die neuen Technologien also als Hilfsmittel sind, so interessant sind sie auch für digitale Angreifer. Die leitende Direktorin des Forschungsinstituts CODE und Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationssysteme

und Netzsicherheit an der Universität der Bundeswehr in München, Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek, weist darauf hin, dass laut der bereits 1946 gegründeten Computer Society des Washingtoner Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) drei der wichtigsten fünf Cyber-Risiken von KI-Systemen unterstützt werden oder über die Störung derselben Schaden anrichten können. So können KI und Machine Learning einerseits zur Verteidigung genutzt werden, indem Sicherheitsrichtlinien auf Basis von maschinellen Beobachtungen abgeleitet oder Phishing-Angriffe detektiert werden; andererseits kann die Technologie aber auch Angriffe unterstützen, indem eine Tarnung im digitalen Hintergrundrauschen verankert wird oder genau zugeschnittene Angriffs-Softwares erstellt werden, die mit KI und Machine Learning auf höchste Effektivitätslevel kommen. Das Fazit der Professorin: “Unsere Verteidigungsstrategien müssen sich ändern und genauso anpassen wie die Technik selbst. Die Regeln und Signaturen aus Sicherheitssystemen sind zu statisch für heutige Angreifer, wir brauchen adaptive und gehärtete Systeme und Moving Target Defence, um die Asymmetrie des Angriffs zu verlagern.” Solche dynamischen Systeme könnten mit Machine Learning und KI, aber natürlich auch mit Deep-Learning-Anwendungen gestaltet werden, aber die Technologie müsse dafür selbst sicher sein. Daher seien Prinzipien wie “Security by Design” und “Security by Default” zwingende Voraussetzung für den Betrieb solcher Systeme nicht nur in der Verwaltung, sondern grundsätzlich in allen Bereichen der Gesellschaft, so Dreo Rodosek.

KI optimiert und beschleunigt Prozesse Die Künstliche Intelligenz der zugrundeliegenden Software iFinder der Münchner Firma IntraFind wurde gemeinsam mit dem BAFA für die spezifischen Bedürfnisse des Antragsverfahrens trainiert und optimiert. KI-basierte Textklassifikation für die Themenerkennung sowie intelligente Erkennung von relevanten “Datenpunkten” wie Antragsjahr, Begrenzungsjahr, Antragsteller und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unterstützen dabei die Bearbeitung von Anträgen. Zudem ist eine Abgleichsuche mit anderen Dokumenten möglich. Das BAFA verfolgt mit diesem Projekt das Ziel, Fehler bei der Antragstellung und die Zahl von vermeidbaren Verfristungen deutlich zu reduzieren. Dies erreicht die Behörde mit dem erstmaligen Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Das Digitalisierungsprojekt des BAFA ist ein klassisches Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von KI-basierter Software. IntraFind sieht die Aufgabe von Software-Spezialisten darin, Kunden nach ihren Bedürfnissen bei der Prozessoptimierung mithilfe intelligenter Technologie zu begleiten. Die Software iFinder von IntraFind ist bereits bei mehreren Bundes- und Landesbehörden, Verwaltungsgerichten sowie Regionalträgern der Deutschen Rentenversicherung im Einsatz. Das deutsche Unternehmen ist ein führender Spezialist für unternehmensweite Suche und KI-basierte Informationsvernetzung. Weitere Informationen unter www.intrafind.de

Franz Kögl ist Vorstand der IntraFind Software AG Foto: BS/IntraFind

Bei einem Antrag zur Begrenzung der EEG-Umlage (EEG = Erneuerbares-Energien-Gesetz) im Rahmen der Besonderen Ausgleichsregelung müssen alle wichtigen Unterlagen fristgerecht vor einer bestimmten Ausschlussfrist vorliegen. Beim Verpassen dieser Frist droht den stromkostenintensiven Unternehmen die unkorrigierbare Ablehnung des Antrags und damit die Zahlung der vollen EEG-Umlage.

Höhere Benutzerfreundlichkeit bei der Antragstellung Um dieses Risiko für Unternehmen zu minimieren, hat das BAFA das Antragsverfahren grundlegend modernisiert: Mithilfe von Künstlicher Intelligenz wird in den über ein Portal hochgeladenen Antragsunterlagen automatisch nach Fehlern gesucht. Wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit festgestellt wird, dass möglicherweise die falschen Unterlagen hochgeladen wurden, gibt das Antragsportal eine Warnmeldung aus. Antragssteller erhalten so bereits während der Dateneingabe einen Hinweis, dass Unterlagen korrigiert oder ergänzt werden müssen und können damit die Antragsstellung und -bearbeitung beschleunigen.


Behörden Spiegel / November 2020

Seite 31

Baden-Württemberg 4.0 B

ehörden Spiegel: Wie eine Fußballmannschaft so befindet sich auch die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mit ihren vielfältigen Strategien und Projekten in einem fortwährenden Transformationsprozess mit wechselnden Aufstellungen, Taktiken – mal mit Sieg, mal mit Unentschieden, mal mit Niederlage. Welchen Zwischenstand hat Team Baden-Württemberg bei der OZG-Umsetzung erreicht?

Krebs: Um bei Ihrer Analogie zu bleiben: In einem ersten Schritt haben wir unsere Mannschaft zusammengestellt und eruiert, wo wir die unterschiedlichen Akteure auf dem Feld platzieren, damit diese ihre Stärken bestmöglich ausspielen können. Ein Torhüter braucht beispielsweise andere Kompetenzen als ein Mittelfeldspieler. Nach einiger Zeit im Trainingslager und ausführlicher Testung haben wir uns schließlich auf eine gemeinsame Strategie geeinigt: die Doppelstrategie. Mit ihrer Hilfe ist es bereits gelungen, erste Siege einzufahren. So haben wir erst kürzlich mit unserem Universalprozess den ersten Preis beim E-Government-Wettbewerb gewonnen. Mit Blick auf die Zukunft wird es darum gehen, diese Leistung konsequent über die ganze Saison hin zu stabilisieren und es nicht bei diesem einmaligen Erfolg zu belassen. Dabei dürfen wir auch nicht davor zurückschrecken, uns selbst immer wieder zu analysieren, um noch besser auf die sich wandelnden Bedingungen eingestellt zu sein. Wichtig ist darüber hinaus ein intaktes Vereinsgefüge, ohne das eine Fußballmannschaft nicht bestehen kann. Ausreichende Ressourcen und Unterstützung durch den Vorstand sind sicherlich hilfreich.

D

ass die Corona-Pandemie als ein Brennglas der Digitalisierung gewirkt hat, ist dieser Tage ein stehendes Bild der Digitalpolitik. Fraglos hat die Krise eine Entwicklung angestoßen, die zuvor für unmöglich gehalten wurde. Dabei traf die Pandemie das digitale BadenWürttemberg nicht unvorbereitet: Um Bürgerservices erfolgreich zu digitalisieren, brauche es Freiheit und einfache Strukturen, meint Stefan Krebs, CIO und CDO Baden-Württembergs. Beides habe man in der Anfangszeit der Pandemie gehabt. So entstand im März dieses Jahres der Universalprozess. Eingebettet in die Plattform service-bw und für alle Kommunen nutzbar, ermöglichte das Verfahren, schnell Bürgerservices ins Digitale zu übertragen. Nach dem Baukastenprinzip können Kommunen aus einmal entwickelten Leistungen, Formularen und Modulen eigenständig Online-Verwaltungsleistungen zusammensetzen und anbieten. Darin enthalten ist auch die Möglichkeit zur Individualisierung der Formulare. Diese würde laut Krebs jedoch kaum eine Kommune nutzen. Eher würden fertige Prozesse einfach nachgenutzt. Aktuell wendeten bereits 120 aller Kommunen (15 Prozent) in Baden-Württemberg den Universalprozess an. Einige Kommunen hätten sogar schon alle anzubietenden Leistungen, über 200 an der Zahl, digitali-

Zwischen Aufbau- und Offensivspiel Landes-CIO Stefan Krebs zur Digitalisierungsstrategie Baden-Württembergs (BS) Auch wenn es nicht sofort ins Auge springen mag: Digitalisierung und Fußball haben mehr Gemeinsamkeiten, als man gemeinhin annehmen mag. Die Parallelen erschöpfen sich nicht nur in der Wahl des Leitspruches – man denke an das Prinzip “Einer für alle” (EfA) –, sondern reichen bis tief in die taktischen Feineinstellungen hinein. Im Gespräch mit Dr. Eva Charlotte Proll erläutert Stefan Krebs, Beauftragter für Informationstechnik des Landes Baden-Württemberg (CIO), welchen Matchplan man im Ländle verfolgt und was für Trainingsmethoden notwendig sind, damit Team Deutschland der Anschluss an die Champions League gelingt. des Landes vertreten sind und auch die Dienstleister BITBW und Komm.ONE Gehör finden.

“Eine agile Fehlerkultur ist Grundbedingung für ein erfolgreiches Arbeiten.”

Behörden Spiegel: Gleichzeitig ist Baden-Württemberg Teil des föderalen Puzzles. Betrachtet man internationale Benchmarks, spielt Deutschland digital eher Regionalliga als Champions League. Was fehlt dem Team in Deutschland zum Aufstieg?

Stefan Krebs ist Chief Information Officer (CIO) und Chief Digital Officer (CDO) von Baden-Württemberg. Fotos: BS/Thomas Petersdorff

Behörden Spiegel: Viele Mannschaften haben Probleme, eingespielte Taktiken unter Wettkampfbedingungen abzurufen. Wo liegen die Vorteile der Doppelstrategie und wer trägt als Spielführer dafür Sorge, dass sie auf dem Platz auch konsequent umgesetzt wird? Krebs: Sie müssen bedenken, dass unsere Strategie zwar Doppelstrategie heißt, aber keine doppelte, sondern eine Strategie mit mehreren Ausprägungen ist. Um im Bild zu bleiben: Auf dem Feld verfügen wir über einige schnelle Spieler, die sich hervorragend für den Konterfußball eignen und auch den ein oder anderen Abstauber ins Tor tragen. Das ist die eine Seite. Für ein kontinuierliches Spiel

braucht es hingegen ein gut organisiertes Mittelfeld, das Struktur auf den Platz bringt und die Bälle umsichtig verteilt. Mit der Doppelstrategie bedienen wir beides, den einfachen Ball nach vorne – kick and rush, wie es die Eng­länder nennen –, aber auch das sorgsam geplante Aufbauspiel aus dem Mittelfeld heraus. Stellvertretend für die offensive Variante steht der Universalprozess mit seinen kurzen Entwicklungszyklen und partizipativen Räumen, die es auch Kommunen gestatten, eigene Projekte zu realisieren und mit anderen zu teilen. Der Universalprozess kommt immer dann zum Zuge, wenn Verwaltungsleistungen nicht allzu kompliziert ausfallen. Mit ihm erreichen wir eine hohe Quali-

tät in kurzer Zeit und entlasten gleichzeitig diejenigen Spieler, die für das Aufbauspiel und damit die komplizierteren Themen verantwortlich sind. Dieses Aufbauspiel ist unser Standardprozess, der grundsätzliche Struktur in der übrigen Breite generiert. Das ist zugleich die Besonderheit der Doppelstrategie: ein attraktives und überzeugendes Spiel in der Fläche mit gleichzeitigem und punktgenauem Torerfolg, also sowohl gute als auch nutzerorientierte Online-Prozesse in der Fläche. Getragen wird das Ganze von einem Spielführer. Im Falle Baden-Württembergs ist das der Lenkungskreis der E-Government-Vereinbarung zwischen Land und Kommunen, in dem die kommunalen Spitzenverbände

Krebs: Ob wir Regionalliga oder Champions League spielen, würde ich an dieser Stelle nur bedingt bewerten wollen. Sich verbessern, kann man immer. Natürlich muss unser Team auf allen Ebenen – ob auf der kommunalen oder Landesebene wie auch länderübergreifend sowie mit dem Bund – noch enger zusammenwachsen, wozu insbesondere auch ein auf uns optimierter Spielmodus zählt. Mit dem Portalverbund und der OZG-Umsetzung ist das bisher ganz gut gelungen und wir konnten in der Kooperation mit unseren Kommunen überzeugende Synergien bilden. Um das vorhandene Potenzial aufs Feld zu bringen, müssen wir weiter mutig aufspielen. Das schließt ein, positiv nach vorne zu denken und sich nicht davon entmutigen zu lassen, wenn der ein oder andere Ball ins Seitenaus springt. Fehler gehören dazu und helfen uns, Potenziale aktiv zu erkennen und proaktiv

Digitalisierungshotspot Baden-Württemberg Trotz Corona-bedingten Forschritts steht die Digitalisierung noch am Anfang (BS/kr/pet) Das landeseigene Verwaltungsportal service-bw, der Universalprozess, die Doppelstrategie, der OZG-Hub: Baden-Württemberg hat seit Beginn der Corona-Pandemie bedeutende Sprünge gemacht. Die Entwicklungen ebnen den Weg für eine erfolgreiche Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Doch kennt man auch im Ländle die notorischen Stolpersteine und Widrigkeiten der digitalen Entwicklung. Trotz aller Fortschritte befinde man sich erst am Anfang, sind sich die Referenten des Behörden Spiegel-Kongresses “Baden-Württemberg 4.0” einig. siert, lobt Krebs. Dabei handele es sich zumeist um kleinere Kommunen, da dem Entwickler dort weniger Leute hereinredeten als in großen Kommunen,

Transparenz, Teilhabe und Mitgestaltung: Für Markus Losert ist die Smart City eine Form der politischen Daseinsvorsorge.

so Krebs. In Planung sei außerdem die Implementierung von maschinenlesbaren Webformularen, E-Payment und einer Schnittstelle zu Registern und Fachverfahren. Eine vollständige Ende-zu-Ende-Digitalisie-

rung sieht Krebs erstmalig im Jahr 2021 erreicht. Dazu trage auch die vom Land mit den kommunalen Spitzenverbänden und den beiden IT-Dienstleistern Komm.ONE und BITBW vereinbarte Doppelstrategie bei. Flankiert wird die Digitalisierung im engeren Sinne durch eine umfassende Beratung. Um aufseiten der Kommunen die notwendigen Kompetenzen aufzubauen, unter­stützt die Komm.ONE Städte und Gemeinden im Ländle bei der Strategieentwicklung und -durchführung. Das Motto: Hilfe zur Selbsthilfe. Um die Kommunen auf den Weg in Richtung digitaler Zukunft mitzunehmen, müssten diese erst einmal wissen, wo sie heute stehen, sagt William Schmitt, Vorstandsvorsitzender der Komm.ONE. Oft hätten die Akteure vor Ort jedoch kein genaues Bild davon, welchen Digitalisierungsgrad sie bereits erreicht hätten. Um für Abhilfe zu sorgen, habe die Komm.ONE ein standardisiertes Reifegradmodell erarbeitet, das Kommunen die Möglichkeit gebe, mittels Ja-Nein-Befragung in insgesamt zehn Kategorien den eigenen digitalen Standort

zu bestimmen. Eine Einordnung erfolge in fünf Reifegraden, die von “Non-Digital” bis “Smart” in der Spitze reichten. Diese Hürde hat die Smart City Karlsruhe bereits genommen. In Anbetracht des demographischen Wandels sei die intelligente Stadt von morgen nicht nur “nice-to-have”, sondern eine Form politischer Daseinsvorsorge, erklärt der CIO und CDO Karlsruhes, Markus Losert. Dabei ruht die Strategie der Stadt auf fünf Säulen, die neben intelligentem Wachstum und Klimaneutralität auch Kooperation, Forschung und gesellschaftliche Verbundenheit umschließen. Welche konkreten Maßnahmen das mit sich bringt, zeigt sich im Bereich der Mobilität. Um den innerstädtischen Verkehr zu entlasten, sorgt ein intelligentes Leitsystem, das “Smart City Cockpit” der Stadtwerke, dafür, dass bei Staube­ lastung auf die Nutzung von Park-and-Ride-Optionen ver­wie­ sen wird. Möglich machen es fünf Kameras, die mithilfe von Wärmebildsensoren den Verkehrsfluss ermitteln und analysieren. Das System ist einer der Grün-

de, weshalb Karlsruhe noch im letzten Jahr Platz zwei des vom Bitkom veröffentlichten Smart City Index belegte. Doch ist die Umsetzung von Smart-­ CityKonzepten darum kein leichtes Unterfangen. Auch nicht im digitalen Karlsruhe. Ein großes

Es geht nur gemeinsam: Bei der OZG-Umsetzung plädiert William Schmitt für mehr Kooperation.

Pro­ blem stellten die Städte selbst dar, genauer: Deren In­ frastruktur, die sich der Implementierung smarter Lösungen entgegenstelle, so Losert. Für

anzugehen. Grundsätzlich müssen wir Tempo aufnehmen, was auch heißt, Lösungen früh zu testen – dann aber auch zu verwerfen, sollte die Idee nicht zum Ziel führen. Eine agile Fehlerkultur ist Grundbedingung für ein erfolgreiches Arbeiten. Klar ist aber auch, dass am Ende gewinnt, wer die meisten Tore schießt. In die Champions League schaffen wir es deshalb nur, wenn wir zusätzlich zur nachhaltigen Prozesslandschaft auch eine zuverlässige Infrastruktur aufbauen und dadurch zugleich eine breite Palette an Online-Verwaltungsleistungen in der Fläche anbieten können. Behörden Spiegel: Erfolgreiche Mannschaften verdanken ihre Qualität nicht zuletzt dem internen Wettbewerb. Würde eine stärkere Konkurrenz nicht auch bei der Digitalisierung für mehr Fortschritt sorgen? Krebs: Da bin ich mir nicht sicher. Ich bin der Meinung, dass Wettbewerb und Zusammenhalt Hand in Hand gehen müssen. Ein Top-Stürmer muss sich sicher sein können, dass er nicht gleich auf die Bank gesetzt wird, sollte er eine klare Chance vergeben, und zugleich muss auch der Mittelfeldspieler für sein Organisations- und Strukturierungspotenzial gewürdigt werden. Wir wollen also mit unserer Doppelstrategie bewusst das Beste aus beiden Welten miteinander kombinieren. Aus dem Grund arbeiten wir in Baden-Württemberg eng mit unseren Partnern zusammen und fördern sehr viele kommunale Projekte. Darüber hinaus gibt es den Wettbewerb zwischen den Ländern. Und einen solchen haben wir gerade erst gewonnen, wie man am ersten Platz beim EGovernment-Wettbewerb sieht.

Prof. Dr. Jörn von Lucke vom “The Open Government Institute” der Zeppelin Universität lenkt das den Blick auf Fragen grundsätzlicher Natur: Zwar sei inzwischen bis zur Politik durchgedrungen, dass ein Schritt hinter die neuen Technologien zurück nicht mehr möglich sei, eine ganzheitliche Vision für das heranbrechende Digitalzeitalter lasse sich darum aber nicht erkennen. Zu oft würden Maßnahmen am politischen Kalender festgemacht. Ein kapitaler Fehler, wie der Experte meint. Statt sich an der engen Taktung von Legislaturperioden zu orientieren, müsse die Politik dazu übergehen, in Generationen zu denken. Was es brauche, sei ein umsichtiges Vorgehen, das schon jetzt potenzielle Risiken heutiger Maßnahmen für die Zukunft in Rechnung stelle. Ein Beispiel: die Registermodernisierung, die durch Verwendung der Steuer-ID als zentraler Identifikationsnummer der zunehmenden Profilbildung Vorschub leiste. Um digitale Fehlentwicklungen wie den “gläsernen Bürger” bereits im Keim zu ersticken, müsse jeder Beschluss mit Blick auf die Frage getroffen werden, wie die smarte Welt von morgen eigentlich auszusehen habe. Datenerhebungen seien kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, das im Sinne des Bürgers genutzt werden müsse. Hier sei die Politik zu mehr Engagement aufgerufen. Auch in Baden-Württemberg.


Informationstechnologie

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Der digitale Arbeitsplatz von morgen Effizientes Arbeiten im Homeoffice braucht richtige Ressourcen und Technologien (BS/Christoph Treubert) Angetrieben durch die Corona-Pandemie wird die Arbeitswelt in Deutschland zunehmend mobiler – zeit- und ortsflexibles Arbeiten gewinnt an Bedeutung. Das hat auch die Bundesregierung erkannt, die in ihrem Programm zur “Digitalen Verwaltung 2020” von einem digitalen Arbeitsplatz der Zukunft ausgeht. Doch was in der freien Wirtschaft immer besser funktioniert, stellt die öffentliche Verwaltung und Behörden vor große Herausforderungen. Der allgemeine Trend zum Homeoffice, der in der Privatwirtschaft mit der Einführung von flexi­ blen Arbeitsplatzmodellen schon vor Jahren einsetzte, ist in den Behörden und der öffentlichen Verwaltung noch nicht richtig angekommen. Effizientes Arbeiten im Homeoffice setzt die richtigen Ressourcen und Technologien voraus, nur die wenigsten Verwaltungsangestellten können auf solche zugreifen. Das liegt zum einen an nicht vorhandener Hardware (z. B. Laptops) und zum anderen an fehlenden sicheren Zugängen zu verwaltungsinternen Netzwerken sowie zu Telefonoder Videokonferenzen. Wer seine Beschäftigten außerhalb der abgesicherten ITUmgebung mit sensiblen Daten arbeiten lässt oder ihnen gar einen Fernzugriff auf wichtige Systeme und Anwendungen ermöglichen will, muss vieles

Datenträgern als auch den Umgang mit Informationen (z. B. bei der Vernichtung von DaChristoph Treubert ist Busiten). Neben den ness Development Manager BSI-Richtlinien bei der PASS Consulting greifen zudem Group. Vorgaben der Foto: BS/PASS landeseigenen Rechenzentren, der entsprechenden beachten. Das gilt v. a. beim Um- Landesämter und gegebenenfalls gang mit besonders schützens- auch des Verfassungsschutzes. Der Einsatz von Digitalisiewerten persönlichen, vertraulichen und sensiblen Daten. Die rungslösungen war im öffentöffentliche Verwaltung unterliegt lichen Sektor zuletzt deutlich den Vorgaben des Bundesamts weniger stark ausgeprägt als in für Informationssicherheit (BSI). der freien Wirtschaft. Doch die Eine Anforderung des BSI sind Erfahrungswerte von PASS zeizum Beispiel die verpflichten- gen, dass aus technischer Sicht den Sicherheitsrichtlinien. Diese eine Homeoffice-Tätigkeit für Mitsollen für die Gefahren sensibi- arbeiter des Öffentlichen Dienslisieren, die mit dem mobilen tes einfach und unter Einhaltung Arbeiten verbunden sind. Das aller Anforderungen realisiert betrifft sowohl den Zugang zu werden kann. Der PASS Digital Workplace ist eine echte Alternative zu den üblichen VPN- und VDI-LösunMELDUNG gen und kann diese entlasten und/oder ablösen. Für BehörThüringen weitet Homeoffice aus den bietet er unkomplizierte (BS/gg) Die Thüringer Landes- rund 8.000 Notebooks für die und hochsichere Remote- und verwaltung erweitert die tech- allgemeine Landesverwaltung, Homeoffice-Arbeitsplätze bei nischen Kapazitäten für Tele- die Thüringer Polizei sowie die minimalem Aufwand für IT-Adund Heimarbeit. Ein Drittel Justizverwaltung. Informations- ministratoren. Maßgeschneidert der 17.000 landesweiten PC- sicherheit soll dabei die höchste und schnell, mit Lösungen für Arbeitsplätze kann alternativ Priorität haben, wie der Thü- das mobile Arbeiten können die für Heimarbeit genutzt werden. ringer Landes-CIO Dr.Hartmut Beschäftigten von überall sicher Gegenwärtig beschafft das Land Schubert erklärte. auf die Netzwerke und somit auf

E-Mails, Kontakte, Kalender, Dokumente, Netzlaufwerke sowie virtuelle Desktops zugreifen. In der sicheren Umgebung lassen sich sogar die privaten Endgeräte der Beschäftigten einbinden. Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es sich lohnt, in eben jene Digitalisierungsleistungen zu investieren und so auch in Krisenzeiten auf eine Infrastruktur zurückgreifen zu können, die es erlaubt, weiterhin für die Bürgerinnen und Bürger erreichbar zu sein. Der Servicegedanke steht dabei im Mittelpunkt, gleichzeitig sorgt die DSGVO-Konformität aber dafür, dass die Daten sich immer unter voller Kontrolle der entsprechenden Behörde befinden. Hier kann sogar eine zertifizierte Zulassung bis “VS NFD” (Verschlusssachen – nur für den Dienstgebrauch) sichergestellt werden. Klar ist, dass die technischen Möglichkeiten zur Einführung des mobilen Arbeitens vorhanden sind. Durch den Einsatz der PASS-Digital-Workplace-Lösung lässt sich die Produktivität und Effizienz der Mitarbeiter im Homeoffice und unterwegs sicherstellen. Sollte sich die öffentliche Verwaltung für solch eine Lösung entscheiden, ist es sinnvoll, dass die Umsetzung unter Einbindung aller Stakeholder erfolgt, um deren Akzeptanz sicherzustellen.

Behörden Spiegel / November 2020

Kommunalportale

Digitale Eingangstüren zur Verwaltung von Dr. Ulrich Keilmann Kommunalportale sind die digitalen Eingangstüren zur Verwaltung. Sie sind so heterogen und bunt wie die Kommunen selbst. Auch wenn mit dem Hessischen E-GovernmentGesetz (HEGovG) die Vorgaben für alle gleich sind, werden die Anforderungen beispielsweise zur elektronischen Erreichbarkeit der Verwaltung oder der elektronischen Information über Verwaltungsleistungen ganz unterschiedlich umgesetzt. Positiv fiel das Kommunalportal von Kronberg im Taunus (www.kronberg.de) auf. Es zeigt, wie umfassend Bürger und Unternehmen über Verwaltungsleistungen informiert werden können. Alle angebotenen Verwaltungsleistungen werden ausführlich fachlich mit Informationen über Umfang der Leistung, die rechtlichen Grundlagen, die zuständigen Mitarbeiter, die notwendigen Kontaktdaten, die benötigten Unterlagen, die anfallenden Gebühren und die zuständigen Abteilungen aufgeführt. Auch über die Rubrik “Aufgaben von A bis Z” gelangt man in alphabetischer Reihenfolge zu allen Leistungen der Verwaltung. Dabei greift die Stadt auf die Beschreibungen des Landesportals “Hessen-Finder” zurück und integriert sie nahtlos in das Design des Kommunalportals. Der Bürger nimmt die fundierten Informationen als Angebot der Stadt wahr. Auch der Bund hat mit seinem Onlinezugangsgesetz (OZG) die Bedeutung des Kommunalportals nochmals aufgewertet. Das OZG formuliert das Ziel, die Fachverfahren der Verwaltung an das Kommunalportal anzuschließen – sofern sie direkte Schnittstellen zu Bürger- oder Unternehmensbelangen aufweisen. Dabei ist wichtig, dass bei der Integra-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­ schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

tion von Online-Diensten in die Kommunalportale auf die Verfügbarkeit von geeigneten Schnittstellen in die Fachverfahren geachtet wird. Die Integration und damit die Bereitstellung digitaler Dienste von Bund und Land auf der kommunalen Plattform war von Anfang an das Ziel der Gesetzgeber. Mit der damit angestrebten Win-win-Situation können erstens Aufgaben des Bundes (z. B. Beantragung eines Führungszeugnisses), des Landes (z.B. Wirtschaftsförderung) und der Kommunen (z. B. Kita-Anmeldung) ohne großen Verwaltungsaufwand auf einer einzigen Plattform abgebildet und abgewickelt werden. Zweitens potenziert man damit den unmittelbaren Nutzen für Bürger und Unternehmen, die sämtliche Informationen auf einem einzigen Portal abrufen können und gerade nicht mehr von einer Stelle zur nächsten gehen müssen. Lesen Sie mehr zum Thema “Digitalisierung, OZG und Kommunalportal” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1309 vom 8. November 2019, S. 237 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rech nungshof.hessen.de abrufbar.

Open Data Bund-Länder-Zusammenarbeit verbessern (BS/Till Röger*) Ende Oktober fand der erste Runde Tisch Open Data, initiiert durch das Kompetenzzentrum Open Data (CCOD), statt. Gemeinsam mit Teilnehmenden aus der Bundes- und Landesverwaltung wurden konkrete Handlungsfelder identifiziert und priorisiert, die im nächsten Jahr in Form sogenannter “Fachforen” vertieft werden sollen. Thilak Mahendran, Leiter des CCOD, erklärt: “Uns ist es wichtig, Bund und Länder näher zusammenzubringen und den Netzwerkgedanken bei Open Data zu stärken. Den Anfang machen der Bund und die Länder, mittelfristig ist die Einbindung der Datennutzenden aus allen Bereichen unser Ziel. Die Fachforen werden sich mit jeweils einem konkreten Handlungsfeld befassen, was eine sehr gute Möglichkeit bietet, die Expertise und die Bedarfe der Community aktiv einfließen zu lassen.” Die Datenstrategie der Bundesregierung, viele Initiativen in den Ländern und der wachsende Datenhunger aufseiten der Wirtschaft und Zivilgesellschaft machen eines deutlich: Daten sind eines der zentralen Handlungsfelder der Digitalisierung. Durch die immer größer werdende Bedeutung von Daten für unterschiedlichste Anwendungsbereiche rückt auch Open Data immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Aufbau eines nachhaltigen Daten-Ökosystems für die deutsche Verwaltung erfordert eine einheitlich hohe Datenqualität

und ein Umdenken in den Behörden im Umgang mit den dort erhobenen und verarbeiteten Daten. Auffällig ist der stark unterschiedliche Umsetzungsstand in den einzelnen Bundesländern und im Bund.

Mehr Austausch gewünscht “Wir haben im Vorfeld viele Gespräche geführt und gemerkt, da ist ein Bedarf, sich auszutauschen und gemeinsam am Thema zu arbeiten. Die große Offenheit und die Diskussionsfreude, die wir beim Runden Tisch erleben durften, haben noch einmal den Bedarf bestätigt, dass mehr Sensibilisierung und Wissen über die Einführung von Open Data gewünscht ist”, resümiert Nada Fischle, Beraterin im Kompetenzzentrum Open Data. Die Ergebnisse stellt das Kompetenzzentrum Open Data auf www.opendata.bund.de öffentlich zur Verfügung. Dort werden auch die weiteren Schritte angekündigt. *Till Röger ist Teil des Kompetenzzentrums Open Data (CCOD) beim Bundesverwaltungsamt.



Organisations- und Prozessgestaltung

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er Standardisierung von Verwaltungsverfahren wird ein hohes Maß an Optimierungspotenzial unterstellt, da die vereinheitlichte Nutzung von Geschäftsprozessen und Antragsformularen Einführungsaufwände bei nutzenden Behörden signifikant reduzieren kann. Das empfohlene Rahmenwerk zur Standardisierung von Verwaltungsverfahren in Deutschland und seit 2017 Anwendung des IT-Planungsrates ist das FIM. Die Nutzung der FIM-Methodik ist insbesondere bei der Umsetzung des OZG anzustreben. Das FIM stellt standardisierte und rechtskonforme Geschäftsprozessmodelle bereit, die nachgenutzt werden können. Bei der behördenspezifischen Nutzung steht der Stammprozess im Fokus, da dieser die wesentlichen Aktivitäten zur rechtssicheren Durchführung eines Verwaltungsverfahrens vorgibt. Der Stammprozess wird einmal für eine Vielzahl gleichförmiger Prozesse definiert und anschließend durch zuständige, vom Prozess betroffene Stellen ausgestaltet. Diese ergänzen die Stamminformationen durch behördenspezifische Aktivitäten, die vorwiegend aus Rechtsquellen oder auch aus bewährtem Verwaltungshandeln hervorgehen. Das Feedback bzgl. Anwendbarkeit, Vollständigkeit und fachlicher Korrektheit der Stamminformationen melden die FIM-nutzenden Behörden an die zuständige FIM-Redaktion zurück, um die Qualität der Stamminformationen stetig zu verbessern.

Behörden Spiegel / November 2020

Managementinstrument by Design FIM – Das Föderale Informationsmanagement (BS/Axel Drengwitz/Danilo Sydow*) Seit der Etablierung des New Public Managements stehen Managementinstrumente für die Steuerung von Organisationen im Mittelpunkt. Dazu gehört auch ein zielgerichtetes Prozesscontrolling mit einer ablauforientierten Ende-zu-Ende-Betrachtung von Verwaltungsverfahren. Das Föderale Informationsmanagement (FIM) unterstützt diese ablauforientierte Betrachtung und kann durch eine Erweiterung als Managementinstrument genutzt werden. fügung gestellt. Diese ergänzen und erweitern das Stammprozessmodell der Bundesredaktion um landesspezifische Parameter und stellen es anschließend den kommunalen Redaktionen zur Verfügung. Auf Grundlage des Feedbacks der nutzenden Behörden werden Stammprozessmodelle stetig an die Gegebenheiten des Verwaltungshandelns angepasst. Wenn darüber hinaus auch Managementinformationen in Form von Kennzahlen als Feedback an Bund und Länder mitgeliefert werden, können diese dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit von Verwaltungen gem. Art. 91d GG festzustellen.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das FIM ist ein harmonisierter Redaktionsprozess. Die Stamminformationen werden

über das FIM-Portal (www.fimportal.de) heruntergeladen und behördenspezifisch angepasst. Stamminformationen sind z. B. Leistungsbeschreibungen, Stammformulare, standardisierte Datenstrukturen, Prozesssteckbriefe oder Stammprozessmodelle. Die Nachnutzung bereitgestellter Stamminformationen durch Behörden und die Meldung von Feedback führt zu Synergieeffekten zwischen den am Redaktionsprozess beteiligten Stellen. Nach dem “Einer-füralle-Prinzip” werden bereits im Zuge der Konzeptionsphase eines IT-Projekts fachliche und technische Länderspezifika adressiert und die Umsetzung eines Online-Dienstes auf viele Schultern verteilt. Ein Online-Dienst wird somit einmal gemeinsam entwickelt und betrieben. Die redundante Entwicklung von IT-Lösungen wird verhindert und die Nachnutzung vorhandener und bewährter Online-Dienste gefördert. Durch das Stammprozessmodell werden standardisierte Verfahrensabläufe auf Basis aktuell zugrunde liegender Rechtsquellen vorgegeben. Auf Basis der Bundesgesetzgebung wird das Stammprozessmodell initial erstellt und nach einer Qualitätssicherung durch die FITKO (Ebene “FIM-Föderal”) den Landesredaktionen zur Ver-

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Digitalisierung braucht Perspektivwechsel

Der FIM-Redaktionsprozess

ie Landeshauptstadt München (LHM) hat sich 2019 unter dem Motto “München. Digital. Erleben” mit ihrer Digitalisierungsstrategie u. a. die digitale Transformation der Organisation zum Ziel gesetzt, um auch künftig leistungsfähig und attraktiv für Bürger/-innen, Unternehmen und Beschäftigte zu sein (siehe auch http://muenchen.digital). Digitalisierung soll dabei zur Neugestaltung von Abläufen und Strukturen führen, mit dem Ziel, Potenziale im Sinne von Qualität, Effizienz und Effektivität bestmöglich auszuschöpfen. IT-induzierte Transformation ist kein neues Thema. Wie viele andere Kommunen hat die LHM in der Vergangenheit zahlreiche Fachverfahren eingeführt, um die Aufgabenbearbeitung in den Fachbereichen zu unterstützen und die zwischenbehördliche Zusammenarbeit, beispielsweise im Meldewesen, zu erleichtern. Die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft und das OZG haben den Fokus der IT-Vorhaben zuletzt stark auf die Neugestaltung von Online-Diensten gelenkt. Auch die LHM arbeitet mit Hochdruck an deren Bereitstellung, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Die dargestellten Handlungsschwerpunkte führen dazu, dass fachliche Workflows IT-gestützt bearbeitet werden können und ein breiteres Angebot an OnlineDiensten zur Verfügung steht – aber nicht zu einer digitalen Transformation der Verwaltung: Abläufe und Strukturen und damit Effizienz, Geschwindigkeit und Service-Erlebnis werden kaum verändert. Wie schon in früheren Phasen der “virtuellen Rathäuser” droht Enttäuschung bei allen Beteiligten, wenn sich zeigt, dass die Online-Fassaden zwar mehr Funktionen enthalten, sich aber an der Customer Journey bzw. der Leistungserbringung im Kern nichts geändert hat. Umso mehr, wenn die Online-Zugän-

FIM als Management­ instrument

Erweiterung des FIM-Redaktionsprozesses erforderlich An einer Nutzung interessierte Behörden müssen allerdings Voraussetzungen schaffen, um das FIM nutzen und zum Managementinstrument ausbauen zu können. Zunächst muss Wissen zur Anwendung des FIM-Frameworks behördenintern aufgebaut werden. Darüber hinaus müssen behördeninterne Prozesse möglicherweise angepasst werden, um das FIM im Rahmen der Anforderungsanalyse von IT-Projekten zu berücksichtigen. Es ist notwendig, Zuständigkeitsfragen zu klären, bevor der Prozess analysiert und optimiert werden kann. Voraussetzung

Der FIM-Redaktionsprozess

für eine Anwendung des FIM als Managementinstrument ist die Etablierung eines organisationsweiten Prozesscontrollings bei den Behörden. Die Umsetzung eines übergreifenden Prozesscontrollings im öffentlichen Sektor erfordert eine Erweiterung des FIMRedaktionsprozesses. Im Zuge der Feedback-Meldungen durch FIM-nutzende Behörden an die zuständige FIM-Redaktion müssen behördenspezifische Kennzahlen mitgeliefert werden.

Grafik BS/msg

Basiskennzahlen als Voraussetzung Ein praktikables Vorgehen für einzelne Behörden bei der Definition und Gewinnung von Prozesskennzahlen ist es, konkrete operative Ziele aus ihrer Strategie abzuleiten. Dies ermöglicht eine Bewertung von Geschäftsprozessen und ihren Ergebnissen. Managementin­ strumente wie z. B. Zielvereinbarungen, Kostenrechnungen und Risikoanalysen können hierbei weitere wertvolle Informationen

Von der Digitalisierung der Kund/-innenschnittstelle zu digitalen Ende-zu-Ende-Prozessen (BS/Dr. Michael Bungert/Dr. Petra Wolf) Viele Behörden konzentrierten sich in der Vergangenheit auf die Einführung von Fachverfahren zur ITUnterstützung von Fachaufgaben und Workflows. Mit dem OZG steht heute die Kund/-innenschnittstelle mehr im Fokus. Digitalisierungsziele wie Effizienzsteigerung, Beschleunigung von Durchlaufzeiten und die Verbesserung des Service-Erlebnisses können so nur zum Teil erzielt werden. Dazu ist ein Perspektivwechsel nötig.

Dr. Michael Bungert leitet im IT-Referat der Landeshauptstadt München die Abteilung “Digitalisierung und IT-Strategie”. Foto: BS/privat

Wie sieht der Perspektivwechsel aus?

Schauen wir uns ein generisches Beispiel einer antragsbezogenen Verwaltungsleistung mit einer durchaus signifikanten Fallzahl an, ein idealtypischer Kandidat für das OZG. Ein gut designter OnlineZugang zu dieser Verwaltungsleistung (z. B. über ein sehr gut gemachtes digitales Formular) wird im Sinne des OZG hoffentlich dazu führen, dass die Bürger*innen und Unternehmen dieses Angebot gerne und vielfach zu beliebigen Zeiten nutzen. Dies wird einen nicht mehr gleichmäßigen Eingang von Anträgen in der Verwaltung zur Folge haben, da eine Steuerung über begrenzte Öffnungszeiten nicht mehr möglich ist. Wenn der Online-Dienst erst einmal live gegangen ist, wird ein Run entstehen und eine Vielzahl von Anträgen in kurzer Zeit bei der Verwaltung eingehen, die deutlich über der Anzahl der Anträge liegt, die bislang üblicherweise vor Ort gestellt werden konnten. Wie gesagt, wir gehen von einem idealtypischen Beispiel aus, das echten Nutzen bei

Dr. Petra Wolf ist Expertin für Digital Government, Digitalisierung, Strategie bei der digital@M GmbH. Das Unternehmen berät als einhundertprozentige Tochter der Landeshauptstadt München die Verwaltung in der Digitalisierung. Foto: BS/privat

ge den Anschein erwecken, dass Verwaltungsleistungen genauso modern und unmittelbar funktionieren sollten wie Bürger/-innen dies vom Online-Banking oder -Shopping bereits gewöhnt sind. Ein Blick hinter die Kulissen der vielzitierten Digitalisierungsvorbilder zeigt: Ein wesentlicher Faktor für erfolgreiche Digitalisierung ist ein Wechsel der Perspektive von der Kund/-innen-Schnittstelle zum kompletten Ende-zu-EndeProzess. Das bedeutet, dass über fachliche und organisatorische Grenzen hinweg alle Aktivitäten in den Blick genommen und digitalisiert werden, die nötig sind, um ein Kund/-innen-Anliegen vollständig zu erledigen (vgl. z. B. Maddern, H.; Smart, P.A.; Maull, R.S.; Childe, S. (2014): End-toend process management: Impli-

cations for theory and practice. In: Production Planning & Control, Vol. 25, Nr. 16, S. 1303-1321).

zur Definition von Kennzahlen liefern. Die entscheidende Frage, welche Auswertungen konkret benötigt werden, ist immer organisationsabhängig. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass eine Grundzusammenstellung an Basis-Kennzahlen erforderlich ist. Dies sind z. B. Prozesskosten, Fallzahlen, Prozessdurchlaufzeiten oder Transport- & Liegezeiten. Weiterführende Prozess-Metriken können dann durch die Kombination der Basis-Kennzahlen ermittelt werden.

Bürger*innen und Unternehmen erzeugen soll. Diese ungewöhnlich hohe Zahl an Anträgen wird sehr wahrscheinlich zu einem Bearbeitungsstau führen und damit sowohl bei den Mitarbeitenden in der Verwaltung als auch bei den Antragsteller/-innen eher zu Unmut als zu Begeisterung führen. Es sei denn, bei der Erstellung des Online-Angebotes wurde nicht nur die Kund(innen) schnittstelle digital neu gestaltet, sondern zumindest große Teile des gesamten Verwaltungsablaufs, der zur vollständigen Bearbeitung des Antrags erforderlich ist. Nur wenn die Leistungserstellung als Ganzes betrachtet wird, können mögliche Bottlenecks im Gesamtprozess identifiziert und vermieden werden. Eine ganzheitliche Betrachtung des Ablaufs wird noch weitere Optimierungsmöglichkeiten auftun. Die genaue Analyse des Ablaufs wird aufzeigen, wo und wie Arbeitsschritte optimiert, automatisiert oder auch nur teil­ automatisiert werden können. Hierbei können sowohl rechtliche als auch prozessuale oder technische Einschränkungen identifiziert und mit optimalen Lösungen versehen werden. Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden müssen dabei eine wichtige Rolle spielen, da die Digitalisierung die Arbeitsbedingungen verbessern und die Attraktivität der Verwaltung auch als Arbeitgeberin steigern soll. Verfolgt man diesen Weg, kann man zudem an den richtigen Stellen eine direkte und digital abgebildete Interaktion zwischen Antragsteller/-innen

und Mitarbeitenden der Verwaltung integrieren. Die Reduktion oder Vermeidung von Liege- oder Transportzeiten und unnötigen Medienbrüchen führt zu einer weiteren Beschleunigung der Verwaltungsvorgänge. Auch Querverbindungen zwischen Services und Prozessen passend zum jeweiligen Anliegen oder Kontext können hergestellt werden und so das Service-Erlebnis maßgeblich verbessern. All diese Schritte sollten in einem engen Diskurs zwischen Fachlichkeit und IT durchlaufen werden, um die Potenziale für Effizienz und Effektivität der Verwaltungsleistung heben zu können. Die Bürger/-innen, Unternehmen und die Mitarbeitenden werden eine deutlich modernere und leistungsfähigere Verwaltung wahrnehmen, die so die Zufriedenheit aller Beteiligten steigert. Werden die Verwaltungsabläufe jedoch nur in Teilen betrachtet

Aktuell befindet sich das FIMRahmenwerk noch im Aufbau und eine Nutzung als Managementinstrument ist gegenwärtig noch nicht vorgesehen. Sofern jedoch das “Einer-für-Alle-Prinzip”, u.a. durch die Anwendung von FIM, weiter gestärkt wird, kann das FIM mittel- bis langfristig als ebenenübergreifendes Managementinstrument verankert werden. Die beschriebene Erweiterung des FIM-Redaktionsprozesses bildet hierfür die zentrale Voraussetzung, um zukünftig das FIM nicht nur als Standardisierungs-Rahmenwerk, sondern auch als Managementinstrument nutzen zu können. *Axel Drengwitz und Danilo Sydow sind bei msg als Business Consultants für die öffentliche Verwaltung tätig. Aus ihrer Beratungstätigkeit verfügen sie über umfassende Expertise zu Fragen der Organisationsgestaltung. Axel Drengwitz ist als Bereichsleiter für das Beratungsangebot der msg zur Optimierung der Aufbau- und Ablauforganisation in der Öffentlichen Verwaltung insgesamt verantwortlich.

und digitalisiert, können diese Ziele mit überschaubarem Aufwand an Zeit und Ressourcen aus unserer Sicht nicht erreicht werden. Wir plädieren also dafür, nicht Teile bestehender Prozesse losgelöst zu digitalisieren, sondern aus Prozess-Sicht einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, mit dem Ziel, die Prozesse dabei Ende-zu-Ende zu optimieren, damit Digitalisierung keine halbe Sache bleiben muss.

Fazit Dass die Digitalisierung eine fundamentale Neugestaltung der Prozesslandschaft erfordert, scheint unstrittig, anders als die Frage, wann und wie diese Aufgabe angegangen wird. Wir verstehen die Optimierung von Ende-zu-EndeProzessen als Kern der digitalen Transformation. Es liegt in der Natur der Endezu-Ende-Prozesse, dass sie über organisatorische und auch Behördengrenzen hinweg reichen können. Daher ist ein gemeinsames, ebenenübergreifendes Verständnis dieser Prozesse in der Verwaltung wünschenswert, um darauf aufbauend Schnittstellen und Standards zu vereinbaren und die Optimierungen nicht auf eine lokale Betrachtung zu beschränken.

MELDUNG

Digitales Verwaltungsmanagement lernen (BS/wim) An den Verwaltungshochschulen in Ludwigsburg und Kehl ist im Wintersemester ein neuer Bachelor-Studiengang “Gehobener Dienst im digitalen Verwaltungsmanagement” mit insgesamt 48 Studienanfängerinnen und -anfängern angelaufen. Im Rahmen der sechssemes­ trigen Hochschulausbildung sollen die Studierenden in die Lage versetzt werden, den digitalen Wandel in den Landes- und Kommunalverwaltungen künftig

anwendungsbezogen auf wissenschaftlicher Grundlage zu gestalten und voranzutreiben. Das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg unterstützt den Studiengang mit zusätzlichen Personal- und Sachmitteln. Hochschulübergreifend werden im Endausbau rund 620.000 Euro pro Jahr bereitgestellt. Ein Teil dieser Mittel wird auch dazu verwendet, um die technische Ausstattung zielgerichtet für den neuen Studiengang zu erweitern.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / November 2020

Google Cloud Public Sector Summit Öffentlicher Sektor: mit der Cloud in die digitale Zukunft Mit den Herausforderungen der letzten Monate erlebte der öffentliche Sektor einen enormen Aufschwung von Fortschritt und Innovation. Von einem Moment auf den anderen waren physische Behördengänge nicht mehr möglich und zahlreiche Schulen sowie Universitäten blieben geschlossen. Behörden und Bildungsakteure mussten in kürzester Zeit neue Wege finden, um weiterhin funktionsfähig zu bleiben. In Rekordzeit wurden Testzentren aufgebaut, Bürger-Hotlines eingerichtet und digitale Klassenzimmer ins Leben gerufen. Die Situation in diesem Jahr zeigt, wie wichtig die Einführung digitaler Prozesse und Projekte in Verwaltung und Wissenschaft ist.

Der Handlungsbedarf ist weiterhin groß: Im Vordergrund steht die Frage, wie sich der digitale Kontakt zu den Bürger(inne)n verbessern lässt – und das nicht nur in Krisenzeiten. Eng damit verbunden ist das Thema ITSicherheit durch die digitale Verwaltung sensibler und personenbezogener Daten. Eine weitere Herausforderung ist es, sicherzustellen, dass die Beschäftigten auch im Homeoffice produktiv zusammenarbeiten können. Und übergreifend stellen sich Verantwortliche die Frage, wie bei all diesen Einsatzszenarien die digitale Souveränität gewährleistet werden kann. Der erste Google Cloud Public Sector Summit am 8. und 9. Dezember 2020 gibt Antworten und zeigt Lösungsszenarien auf. Seien Sie bei der virtuellen Premiere dabei und erhalten Sie von unseren Google-CloudKolleg(inn)en, -Partnern und Kund(inn)en wertvolle Erkenntnisse aus 2020 und spannende Ausblicke in die Zukunft der

Digitalisierung im öffentlichen Bereich. Renommierte Branchenexperten bringen Ihnen in informativen Keynotes und Panels die neuesten Cloud-Trends näher. Cloud Computing kann mithilfe von intelligenten Analysen und Künstlicher Intelligenz die Bürgerdienste verbessern und zudem erheblich dazu beitragen, die Effizienz und Sicherheit in der Organisation zu erhöhen sowie Innovationen zu fördern. Vernetzen Sie sich mit unseren Google-

Cloud-Kolleg(inn)en und -Partnern in Breakout Sessions und Live Q&As und tauschen Sie sich über Ihre individuellen Herausforderungen, innovative IT-Projekte und Erfolge aus. Es erwarten Sie zahlreiche Keynotes sowie Kunden- und Anwendungsbeispiele aus dem öffentlichen Sektor. Wir freuen uns darauf, mit Ihnen über die digitale Zukunft zu sprechen!

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Altanwendungen modernisieren Nur so gelingt die umfassende Verwaltungsdigitalisierung (BS/Irene Grabsdorf*) Das Onlinezugangsgesetz (OZG) wird in den nächsten Jahren den Bürgern einen digitalen Zugang zu den Fachverfahren des öffentlichen Sektors gewähren. Die öffentliche Verwaltung muss hierfür zeitnah die Modernisierung von Alt-Anwendungen realisieren. VMware unterstützt dabei mit technologischen Lösungen und einem individuellen Ansatz zur schnellen Erreichung der Ziele. Bis 2022 soll der digitale Zugang zu den gängigen Verwaltungsdienstleistungen für Bürger und Wirtschaft eröffnet sein – ein ehrgeiziges Ziel, das bei der Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben die Verwaltung vor vielfältige und individuell unterschiedliche Herausforderungen stellt. Im Rahmen der gesetzlichen Grundlage wird derzeit ein Portalverbund geschaffen, der die Connectivity zu bestehenden Anwendungen sicherstellt, aber lediglich eine Zwischenlösung sein kann. Denn die Alt-Anwendungen, die dahinterstehen, sind damit noch nicht nachhaltig modernisiert – die eigentliche Digitalisierung steht noch bevor. Ziel ist es, die Fachverfahren so zu modernisieren, dass sie den Anforderungen der Bürger an eine moderne Verwaltung gerecht werden. VMware unterstützt Verwaltungseinrichtungen bei dieser

technologisch komplexen Aufgabe. Diese erhalten neben einer skalierbaren Infrastruktur eine darauf abgestimmte Containerplattform mit modernen OpenSource-basierten Entwicklerwerkzeugen. Die Plattform bietet ein hohes Maß an Flexibilität, sodass ältere Anwendungen, die unverändert bestehen bleiben sollen, parallel zu überarbeiteten Applikationen und völlig neuen Apps laufen können. Damit kann auch in Zukunft auf heute noch nicht absehbare Veränderungen rasch reagiert werden.

Individuelle Umsetzung mit VMware Pivotal Labs VMware Pivotal Labs unterstützen Behörden dabei, auch bei komplexen Modernisierungsvorhaben schnell zu herausragenden und innovativen Ergebnissen zu kommen. Die spezielle Methode bezieht von Beginn an die An-

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Einige Highlight-Sessions* • Improving the Citizen Experience with Sentiment Analysis • Chart a Course to Greater Digital Sovereignty • Grappling Legacy Infrastructure for a Modernized Future with Apigee • Secure vs. Open – The Cloud Conundrum

wender direkt in den Entwicklungsprozess ein, wodurch eine enorm hohe Nutzerakzeptanz für die neue Lösung erreicht wird. Dabei skizziert VMware auf Basis eines Discovery Workshops mit anschließender Portfolioanalyse nicht nur die zu schaffende Lösung, sondern begleitet Verwaltungseinrichtungen auch konkret in der Umsetzung. Das reicht von der Identifikation der geeigneten Applikationen über die Priorisierung der Aufgaben und Aufsetzen der Teams bis hin zur Ausgestaltung der Workflows. Ziel ist es, die IT-Teams einer Verwaltung beim ersten Durchgang zu begleiten und so in die Lage zu versetzen, die Modernisierung weiterer Fachanwendungen selbstständig umzusetzen. Hierfür setzt VMware auf ein Pair-Programming, bei dem ein Experte der VMware Pivotal Labs gemeinsam mit dem Entwickler der Verwaltungs-IT am gleichen Programmierprojekt arbeitet. VMware steht als kompetenter und aus Infrastruktur und Virtualisierung bekannter Marktführer bereit und kann mehr als 2.000 erfolgreiche Projekte weltweit vorweisen. Mit unserer vielfach erprobten ProjektmanagementExpertise ermöglichen wir der öffentlichen Verwaltung innovative Lösungen mit einer kurzen Time-to-Market. Weitere Informationen unter: tanzu.vmware.com/industries/ government

• Is it possible to innovate and drive operational efficiency? * Die Inhalte werden in englischer Sprache sein. Über die YouTube-Untertitel-Funktion können Sie den Inhalt in Ihrer bevorzugten Sprache sehen. Die Anwendungsmodernisierung ist ein zentrales Element der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung. Foto: BS/stock.adobe.com, Sashkin

*Irene Grabsdorf arbeitet als Head of CEMEA Government & Healthcare für VMware Tanzu.


Informationstechnologie

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or diesem Hintergrund lud die Kanzlerin am 22. September 2020 zum Schulgipfel ins Kanzleramt ein. Obwohl die Bundesregierung auch weitere Programme ins Leben gerufen hat, schafften es bei der Diskussion der Ergebnisse die “Laptops für Lehrer” in die Schlagzeilen. Weniger im Fokus jedoch waren die erforderlichen Infrastrukturen als Fundament der Digitalisierung. Gerade hier agieren Schulen unter besonderen Bedingungen: WLAN ist in Schulen kaum verfügbar; Zugang benötigen aber nicht nur Schüler/-innen sowie das Lehrpersonal, sondern auch Eltern oder Teilnehmer von Volkshochschulkursen. Und sie alle haben unterschiedliche Ansprüche an das Netzwerk: Eltern wollen bei ihren Terminen in der Schule “nur” mal kurz eine E-Mail checken; im Unterricht kommen aber wesentlich datenintensivere Anwendungen zum Einsatz. Manche Schulen wollen den Zugang zu Sozialen Medien im Schulnetzwerk auch komplett verbieten oder wünschen sich eine Priorisierung von Anwendungen (mit YouTube oder WhatsApp an letzter Stelle). Gleichzeitig erhöhen “bring-yourown-device”(BYOD)-Konzepte nicht nur die Komplexität, sondern erschweren auch die Absicherung der Schulnetzwerke. Verwaltung und Wartung von Infrastrukturen an Schulen sind demnach nicht trivial; vor diesem Hintergrund hat auch die Politik

Behörden Spiegel / November 2020

Digitalisierung der Schulen Warum “Laptops für Lehrer” keine Strategie sind (BS/Katja Herzog*) Der Nachholbedarf Deutschlands bei der Digitalisierung unserer Schulen ist deutlich. Erst kürzlich ergab eine Sonderauswertung der OECD zur PISA-Studie von 2018: Nur 33 Prozent der Schüler/-innen in Deutschland besuchten eine Schule mit einer Online-Lernplattform, demgegenüber taten dies mehr als 50 Prozent in anderen OECD-Ländern. 2019 hatte die Bundesregierung deshalb den Digitalpakt verabschiedet; der Abruf der Mittel lief bislang jedoch schleppend. Aufgrund der Corona-Krise verlangsamte sich der nötige Auf- und Weiterbau digitaler Infrastrukturen zusätzlich. mit ihrem Programm die fehlende Verfügbarkeit von NetzwerkTechnikern und IT-Spezialisten adressiert. Aber sollte die Konsequenz daraus nicht darin bestehen, nutzerfreundliche Infrastrukturen einzurichten, die den Bedarf an diesen Spezialisten reduzieren?

Was Schulen – und nicht nur angesichts der Pandemie – nun vor allem brauchen, sind skalierbare und robuste WLAN-Infrastrukturen, die zuverlässig und auch bei Auslastungsspitzen einen störungsfreien Unterricht ermöglichen. Angesichts der begrenzten personellen und fi-

nanziellen Ressourcen sollten diese Infrastrukturen zentral und leicht zu administrieren sein. Um für die verschiedenen Zielgruppen Netzwerk-Zugänge zu schaffen und gleichzeitig Einfallstore für Cyber-Angriffe verschlossen zu halten, muss zudem das Thema Sicherheit ganzheitlich mitgedacht werden: In Zeiten von BYOD und Internet der Dinge müssen sie in der Lage sein, rollenbasiert verschiedene Nutzergruppen und unterschiedlichste Geräte vom Tablet bis hin zu Gebäudetechnik ins Netzwerk einzu-

binden. Wer wann mit welchem Gerät ins Netz kommt und welche Anwendungen gegebenenfalls auszuschließen sind: Das sollten die Schulen entscheiden. Dafür brauchen sie WLANs, die nach Benutzern und Zugriffsnetzen getrennt sind. Außerdem müssen Infrastrukturen ebenso wie die Endgeräte selbst natürlich den Schutz sensibler Daten entsprechend den geltenden Regelungen garantieren. Hier sind Netzwerkanbieter wie Aruba, ein Unternehmen der Hewlett Packard Enterprise, vorzuziehen, deren

Technologien nach dem Prinzip “Traue niemandem” (Zero Trust Security) entwickelt sind. In einem ersten Schritt robuste, flexible, sichere und einfach verwaltbare Netzwerke zu schaffen, hat demnach Vorteile für alle Beteiligten: Schulen können digitale Lernangebote (ob im Präsenz-Unterricht oder von zu Hause aus) machen, Lehrer und Schüler haben einen sicheren Zugriff auf Daten und Systeme auch von zu Hause aus. Wer moderne pädagogische Konzepte mit Datensicherheit und einem optimalen Nutzererlebnis, das alle Beteiligten längst aus ihrem Alltag gewohnt sind, kombinieren will, muss erst in die entsprechende Infrastruktur investieren. Das ist zwar kein Medien-Highlight, sorgt aber vielleicht zukünftig wieder für positive Schlagzeilen im Kontext der PISA-Studie. *Katja Herzog ist Manager Public Sector Germany bei HPE Aruba.

Corona-Effekt bleibt aus D21 und TUM präsentieren neuen “eGovernment Monitor” (BS/pet) Die Initiative D21 und die Technische Hochschule München (TUM) haben den “eGovernment Monitor 2020” vorgelegt. Trotz zarter Zuwächse bei der Nutzung digitaler Verwaltungsleistungen bleibt das Fazit der StuEin WLAN-Pionier in Deutschland ist das Kommunale Rechenzentrum Niederrhein die verhalten. Zwar habe die Pandemie dazu geführt, dass die Offenheit in der Bevölkerung gegenüber digitalen (KRZN) in NRW. Es versorgt bereits heute ca. 450 Schulen mit rund 200.000 Lösungen der Verwaltung zugenommen habe, ein messbarer “Corona-Effekt” sei jedoch ausgeblieben. Auch im Schülern und 8.000 Lehrern. “Ein flächendeckendes WLAN ist eine Voraussetzung Vergleich der DACH-Staaten (Deutschland, Österreich, Schweiz) liegt Deutschland hinter seinen Nachbarn zurück. für das mobile Lernen und den flexiblen Einsatz von Medien im Unterricht”, sagt Andreas Zboralski vom KRZN. Zum Einsatz kommen Arubas Access Points sowie die Aruba-AirWave-Software für das Netzwerkmanagement. Foto: BS/Shutterstock

Zunächst das Positive vorweg: Im Jahr 2020 nutzt erstmals mehr als die Hälfte aller Onliner und Onlinerinnen das digitale Leistungsportfolio der öffentlichen Verwaltung – so das Ergebnis des mittlerweile zehnten “eGovernment Monitors”. Zwar legt das Nutzungsverhalten in Deutschland damit gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent zu, liegt aber mit einer Gesamtpunktzahl von 52 deutlich hinter den Nachbarstaaten Schweiz (60) und Österreich (72) zurück, die um jeweils zwei Prozent zulegen. Größte Barriere bleibt laut Studienmachern der Faktor Bequemlichkeit, der – trotz Bekanntsein einzelner Digital-Optionen – unter Bürgerinnen und Bürgern noch immer dazu führe, dass der Gang zum Amt einer OnlineAlternative vorgezogen werde. 78 Prozent der Studienteilnehmer favorisieren zudem derzeit noch den persönlichen Kontakt. Doch könnte sich das in Zukunft ändern, zumal die Offenheit gegenüber Angeboten des E-Governments in diesem Jahr zugenommen hat: In Deutsch-

land können sich 75 Prozent der Befragten vorstellen, Behördengänge demnächst online durchzuführen, in Österreich sind es 81, in der Schweiz 70 Prozent. In den aktuellen Zahlen schlägt sich dieser Mentalitätswechsel hingegen noch nicht nieder: Lediglich sieben Prozent der Studienteilnehmer gaben an, aufgrund der Corona-bedingten Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens ihre Behördengänge auf digitalen Wegen durchgeführt zu haben. Im Vergleich zu den anderen DACH-Staaten – in der Schweiz lag der Zuwachs bei zwölf, in Österreich sogar bei 13 Prozent – bildet Deutschland damit abermals das Schlusslicht.

Bundes-CIO Dr. Markus Richter versteht die Bilanz des eGovernment Monitors dahingehend nicht zuletzt auch als einen Appell, die Mammutaufgabe Digitalisierung in Zukunft noch transparenter und im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer zu gestalten: “Ich sehe die Studienergebnisse als Auftrag, noch stärker im Sinne der Menschen zu denken. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger bei der digitalen Transformation mitnehmen. Nur wer den digitalen Anwendungen vertraut und sie versteht, wird sie später auch nutzen. Ein Schritt dazu war das kürzlich vorgestellte Dashboard zur digitalen Verwaltung, diesen Weg wollen wir weitergehen”, so die Einschätzung Richters.

Trotz steigender Akzeptanzwerte bleiben die Nutzerzahlen bei Lösungen des E-Governments verhalten. Grafik: BS/Initiative D21


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Illustration: denisismagilov, stock.adobe.com

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Zukunftskongress Bayern


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IT-Sicherheit / PITS 2020 online

Behörden Spiegel / November 2020

Kein Aufatmen möglich IT-Sicherheitslage bleibt angespannt (BS/stb) Die Sicherheitslage im Cyber-Raum ist auch im Krisenjahr weiterhin auf hohem Niveau angespannt. Die Pandemie hat sogar zu einer zusätzlichen Verschärfung geführt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das Bundekriminalamt (BKA) melden steigende Zahlen bei SchadsoftwareVarianten und Angriffen auf Wirtschaft und Verwaltung. Die Methoden der Täter werden zudem raffinierter. Laut dem BSI-Bericht zur Cyber-Sicherheitslage 2020 haben Homeoffice und Kommunikation über Videokonferenzen im Zuge der Corona-Krise stark zugenommen. Bei der spontanen Einrichtung dieser Digitalisierungsmaßnahmen hätten IT- und Datensicherheit aber oft nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dazu BSI-Präsident Arne Schönbohm: “Nachdem sich vieles eingespielt hat, gilt es, dieses “neue Normal” nachhaltig und sicher zu gestalten. Tun wir dies nicht, dann werden wir die Folgen in einigen Wochen oder Monaten spüren.” Gefahr geht weiterhin vor allem von Angriffen mit Schadsoftware aus. Inzwischen sind über eine Milliarde Varianten bekannt. Allein im Berichtszeitraum (Juni 2019 bis Mai 2020) sind 117,4 Millionen neue dazugekommen, etwa 320.000 pro Tag. Seit Jahren beobachtet das BSI zudem einen Trend zu immer ausgefeilteren Angriffsmethoden. Dominant ist nach wie vor Emotet. Der Schädling ermöglicht Kriminellen im großen Stil Zugriff auf IT-Netze und nutzt dabei Strategien, die zuvor nur von wenigen professionellen Hackergruppen bekannt waren. Getroffen hatte es im Berichtszeitraum unter anderem die Automobilindustrie, Flughäfen sowie Kommunalverwaltungen, Krankenhäuser und Hochschulen. Dem BSI sind von Betreibern Kritischer Infrastrukturen 419 IT-Sicherheitsvorfälle und -Störungen gemeldet worden.

BSI und BKA berichten jährlich über die Lage bei Cyber-Kriminalität und ITSicherheit in Deutschland. Foto: BS/Ralf Kalytta, www.pixabay.com

Der Großteil ging auf interne Störungen der IT-Infrastruktur zurück. Im Berichtszeitraum hat das BSI rund 52.000 zusätzliche schädliche Webseiten für die Netze des Bundes gesperrt – ein Zuwachs um fast die Hälfte. Monatlich seien rund 35.000 schädliche EMails abgefangen worden, 9.200 davon nur aufgrund von selbst erstellten Signaturen. Ein System zur Erkennung von gezielten Angriffen und neuartigen Schadprogrammen im Datenverkehr der Regierungsnetze habe da­ rüber hinaus im Schnitt weitere 4.900 Angriffe erkannt, die von kommerziellen Lösungen nicht blockiert worden waren. Die vom BSI beobachtete Zunahme von Schadsoftware geht mit einer steigenden Zahl von Kriminalitätsfällen und geschätzten Schäden einher. So registrierte

die Polizei laut Bundeslagebild Cyber Crime 2019 des BKA einen Höchststand von über 100.500 Fällen von Cyber-Kriminalität im engeren Sinne – ein Anstieg von über 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Festgestellt wurden 22.574 Tatverdächtige. Die Dunkelziffern liegen deutlich höher, denn zur Anzeige kommen nur die wenigsten Straftaten im Netz. Die größte Gefahr geht laut BKA weithin von Ransomware aus. Dabei werde seit dem letzten Jahr zunehmend ein neues Vorgehen unter dem Begriff “Double Extortion” beobachtet. Die Täter verschlüsseln nicht nur IT-Systeme ihrer Opfer, sondern erbeuten bei ihrem Angriff auch gleichzeitig sensible Daten. Dann fordern sie Lösegeld nicht nur für die Freigabe der verschlüsselten Systeme, sondern drohen mit der Veröffentlichung der Daten.

Für den Ernstfall gewappnet Krisensicher durch IT-Risikomanagement und -Notfallplanung (BS/Theo Nick) Unternehmen können beim Aufbau von Krisenstäben einiges von Behörden lernen: Ein Krisenstab bringt die notwendige Struktur in die Abläufe zur Krisen- und Notfallbewältigung. Behörden hingegen können ihr Krisenmanagement um die Methoden des IT-Risikomanagements und der -Notfallplanung ergänzen. Der Schutz einer IT-Infrastruktur ist nie Selbstzweck. Prozesse und Verfahren von Behörden und Unternehmen sind in hohem Maße abhängig davon, dass die genutzten IT-Services und die verarbeiteten Informationen verfügbar und geschützt sind. Stehen einer oder mehrere dieser IT-Services nicht mehr zur Verfügung, hat dies schwerwiegende Auswirkungen. Vom Ticketsystem im Bürgeramt bis hin zu Informationssystemen der Polizeien. Ab dem Moment, da diese nicht mehr verfügbar sind, stehen Abläufe still. Bei einem Cyber-Angriff bleibt es in der Regel nicht beim Ausfall einzelner Prozesse. Vielmehr eskaliert die Schadenslage in diesem Szenario rasant. Externe Service Provider, CloudLösungen, Homeoffice-Arbeitsplätze und viele weitere Faktoren schaffen eine komplexe Lage mit einer Vielzahl von Herausforderungen. Der Aufbau von Managementsystemen zum Schutz der IT-Infrastruktur ist mit Aufwand verbunden, aber lohnenswert. Jedoch wird nicht selten die Arbeit den bestehenden Aufgabenbereichen von Mitarbeitenden hinzugefügt, ohne notwendige Freiräume zu schaffen. Diese Überbelastung kann dazu führen, dass blinde Flecken hinsichtlich der IT-Infrastruktur und der damit verbundenen Risikoexposition entstehen. Wird eine Institution dann von einem Cyber-Angriff getroffen, fehlen essenzielle Informationen zu Abhängigkeiten zwischen Prozessen, IT-Services und IT-Infrastruktur. In einem solchen Ernstfall können Methoden des IT-Risikoma-

Entscheidungen zur Lagebewältigung treffen und diese an M.Sc. Theo Nick ist Senior die Arbeitsebene Sicherheitsberater bei der HiSolutions AG und Dozent weitergeben. Die der Cyber Akademie. erprobte Aufbauorganisation eines Foto: BS/privat Krisenstabs wird somit um grundlegende Prinzipien des IT-Risikomanagements und der -Notfallpla- nagements und IT-Notfallmanung signifikant zur Bewältigung nagements ergänzt. beitragen und helfen, “vor die Eine solche Übersicht ist Lage” zu kommen. Dies gilt sogar, schnell verschafft, entweder im wenn blinde Flecken die Arbeit Verlauf der Krisenbewältigung erschweren. Ein Blick in die nahe oder besser noch vorher. ZuZukunft anhand weniger Leitfra- nächst müssen dafür die Kerngen hilft dabei: prozesse, Aktivitäten oder die 1. Was ist der größte Schaden, wichtigsten Produkte identifider für Ihre Institution ent- ziert werden. Durch eine klein stehen kann? angelegte Befragung der Beleg2. Der Ausfall welcher Kernpro- schaft kann mit überschaubazesse verursacht den größ- rem Aufwand ermittelt werden, ten Schaden und wie schnell welche Werkzeuge und Informüssen diese wieder laufen, mationen notwendig sind, um um ihn zu vermeiden? diese zu erstellen. Dabei sollte 3. Welche IT-Services sind un- im Blick behalten werden, wo abdingbar zur Durchführung Informationen gespeichert und dieser Kernprozesse? gesichert sind. Die gesammelten 4. Welche IT-Infrastruktur ist für Erkenntnisse sollten unbedingt den Betrieb dieser IT-Services gut dokumentiert werden, damit notwendig und bestehen si- sie im Bedarfsfall schnell verfügchere Back-ups der verarbei- bar sind. Sicherlich erfüllt die Vorgehensweise noch nicht die teten Daten? Die priorisierten Kernprozesse Anforderung an ein umfassendes geben für die weitere Lagebe- Sicherheitsmanagementsystem wältigung den Zeitplan vor, der – im Ernstfall kann sie dennoch von notwendigen IT-Services und eine solide Bewältigungshilfe deren Infrastruktur strukturiert bieten. wird. Es ist empfehlenswert, die Ein umfangreiches Kursangebot Abhängigkeiten tabellarisch und in einem bereinigten Netzplan zum Thema Krisenmanagement zu skizzieren. Auf der Grund- finden Sie unter www.cyberlage dieser Informationen kann akademie.de/event, Kategorie die Leitungsebene strategische Business Continuity.


Behörden Spiegel / November 2020

IT-Sicherheit / PITS 2020 online

Daten ins Zentrum rücken Souverän ist, wer den Datenzugriff kontrolliert (BS) Auf Rufe nach mehr digitaler Souveränität folgt häufig die Antwort, Europa müsse seine Basis-IT-Infrastrukturen selbst bauen (siehe auch den Artikel auf Seite 41). Dabei reicht es schon, die Daten innerhalb dieser Infrastrukturen mit vertrauenswürdigen Produkten abzusichern. So Dr. Falk Herrmann, Geschäftsführer von Rohde & Schwarz Cybersecurity, im Interview mit Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll. Behörden Spiegel: Herr Dr. Herrmann, in der Politik wird intensiv über die digitale Souveränität Deutschlands diskutiert. Was verstehen Sie unter dem Begriff? Herrmann: Wenn man sich mit dem Thema näher beschäftigt, stellt man schnell fest, dass es ein sehr breites Spektrum von Definitionen oder Ansätzen gibt. Oftmals wird digitale Souveränität damit gleichgesetzt, dass Bürgerinnen und Bürger die Autorität über ihre persönlichen Daten behalten können. Die Datenschutzgrundverordnung hat in diesem Bereich einiges bewirkt, gemeinsam mit anderen Gesetzen und Standards für IT-Produkte. Aber gewährleisten wir damit auch die digitale Souveränität eines Staatenverbunds wie Europa oder eines Einzelstaats wie Deutschland? Ich denke nein. Im Kontext einer digitalisierten und vernetzten Gesellschaft müssen wir einen deutlich weiteren Ansatz verfolgen und digitale Souveränität im Sinne der Staatshoheit definieren. Am Ende des Tages sollte ein Staat oder ein Staatenverbund in der Lage sein, seine eigenen Regeln bezüglich digitaler Infrastruktur und Daten nicht nur aufzustellen, sondern auch durchzusetzen. In dieser Hinsicht sind wir sowohl in Deutschland als auch in Europa noch ein ganzes Stück von digitaler Souveränität entfernt. Behörden Spiegel: Ist digitale Souveränität in diesem Sinne überhaupt noch zu erreichen? Herrmann: Grundsätzlich ja. Wenn ein Konsens über die Ziele und Werte in der Gesellschaft gefunden wird, wenn die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden und wenn mittels angemessener IT-Sicherheitstechnologien Kontrolle gewonnen wird. Letzteres ist aber weniger eine technische Frage, denn es gibt bereits sehr gute Lösungen aus vielen Quellen. Es ist vor allem eine Frage der Vertrauenswürdigkeit der Quelle. Es kommt darauf an, dass meine technologische Basis, die mir als Staat oder Staatenverbund digitale Souveränität ermöglichen soll, meiner eigenen Gerichtsbarkeit unterliegt. Das ist heute oft nicht der Fall. Weltweit führende Cyber-Sicherheitsanbieter sind außereuropäisch. Wir müssen uns fragen, ob es mittel- oder langfristig der richtige Weg ist, dass solche Vertrauensanker außerhalb der deutschen und europäischen Jurisdiktion liegen und damit den Regeln von Drittstaaten entsprechen müssen. Es bräuchte eine starke europäische IT-Sicherheitsindustrie. Es gibt sicher Forschungsprogramme, viele Start-ups und lokale Champions wie uns. Das Potenzial ist groß, aber fairerweise muss man sagen, dass es noch keinen europäischen Akteur von globaler Bedeutung gibt oder auch nur europäische Champions. In anderen Regionen sieht die Situation ganz anders aus. China beschränkt Cyber-Sicherheit und staatliche IT-Beschaffung im Wesentlichen auf einheimische Anbieter. Die US-Anbieter haben einen sehr großen einheimischen Markt mit 50 Bundesstaaten und der Bundesregierung und können entsprechend schnell und nachhaltig skalieren. In Europa ist der Markt dagegen sehr stark fragmentiert durch verschiedene Sicherheitsanforderungen und Beschaffungsbedingungen. Eine starke und

zu vorübergehenden Lösungen, die den Sicherheitsvorgaben und den eigenen Ansprüchen nicht genügen. Wir sehen auch ganz unabhängig von Corona einen Zielkonflikt für viele dieser Anwender. Es ist für Behörden und die öffentlichen IT-Dienstleister eine große Herausforderung, eine komplexe IT-Infrastruktur zu betreiben, mit teilweise tausenden von Nutzern und Endgeräten. Dabei müssen sie Kosten genauso berücksichtigen wie Funktionalität und Zuverlässigkeit. Gemessen werden sie an Standards, die über das hinausgehen, was in der Wirtschaft üblich ist. Ich spreche zum Beispiel über Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik bezüglich der Arbeit mit VerschlusssaDr. Falk Herrmann ist Geschäftsführer chen. Hier sehen wir eine Chance der Rohde & Schwarz Cybersecurity und eine Hauptaufgabe für die GmbH. deutsche Krypto-Industrie, mit Foto: BS/Rohde & Schwarz Cybersecurity GmbH innovativen Ansätzen zu unterstützen. Übrigens beobachten wir in jünglobal wettbewerbsfähige IT-Sicherheitsindustrie kann sich so gerer Zeit mit Sorge Tendenzen, kaum etablieren. Notwendig wäre die eigentlich etablierten und bedaher eine Harmonisierung der währten IT-Sicherheitsstandards europäischen IT-Sicherheitsge- aufzuweichen, um dem Wunsch setzgebung, aber auch der Zulas- nach billigeren und bequemesungs- und Beschaffungsregeln. ren Lösungen nachzukommen, die oft auf außereuropäischen Behörden Spiegel: Wie posi- Standardlösungen aus dem tionieren Sie sich als deutsches Enterprise-Bereich basieren. Unternehmen in Europa? Und haDas ist eine Gefahr für die Inben Sie auch globale Ambitionen? formationssicherheit und die Erreichung von digitaler Souveränität, und natürlich auch für die “Notwendig wäre eine Harmonisierung der europäischen IT-Sicherheits- Geschäftsgrundlage einer unabhängesetzgebung, aber auch der Zulasgigen und innovativen deutschen sungs- und Beschaffungsregeln.” IT-Sicherheitsindustrie. Herrmann: Unser Schwerpunkt Behörden Spiegel: Sie haben als Rohde & Schwarz Cybersecurity liegt auf Deutschland und die Rolle von VerschlüsselungsEuropa. Im Zusammenspiel mit lösungen angesprochen. Denken Rohde & Schwarz als Mutter- sie, dass zu viel Augenmerk auf konzern sind wir aber auch in die Absicherung der Netzwerkausgewählten globalen Märkten und Server-Infrastruktur gelegt unterwegs, insbesondere dort, wo wird, statt stärker auf Verschlüs“Made in Germany” oder “Made in selung zu setzen, die ja am EnEU” ein Entscheidungsfaktor ist. de des Tages vor Ausspähung Rohde & Schwarz Cybersecurity schützt? bildet zusammen mit Lancom Herrmann: Es ist absolut Systems und der SIT GmbH den Geschäftsbereich Netzwerke und notwendig, die Infrastruktur Cyber-Sicherheit im Konzern ab. abzusichern. Trotzdem reicht Wir fokussieren uns dabei ganz es natürlich nicht, einen Zaun klar auf Kunden mit Sicherheits- um das eigene Grundstück zu standards, die über allgemeine ziehen und mich darin sicher Industriestandards hinausge- zu fühlen. Vielmehr braucht es hen und bei denen oftmals auch eine Vorstellung, wie die Daten, besondere Zertifizierungs- und die durch meine Infrastruktur Zulassungsvoraussetzungen laufen, abgesichert werden. Dagelten. Das sind deutsche und ten sollten ins Zentrum von ITeuropäische Behörden und Sicherheitskonzepten gerückt Regierungseinrichtungen, Ver- werden. teidigungsindustrie, Betreiber Das gilt auch in Bezug auf Cloud Kritischer Infrastrukturen und Computing. Es wird langfristig der Gesundheits- und der Ban- nicht nachhaltig möglich sein, kensektor. Im internationalen komplett abgeschottete privaUmfeld bedienen wir ausgewählte te Systeme zu betreiben, wenn Kunden im hoheitlichen Sektor. es um komplexe, skalierbare Lösungen für tausende Nutzer Behörden Spiegel: Die Corona- geht. Das wäre langfristig weder Krise hat viele Behörden auch in wirtschaftlich tragfähig noch im eine Sicherheitskrise gestürzt. Si- Ergebnis anwenderfreundlich. cherheit wurde zwar schon vorher Das führt uns wieder zur Frage großgeschrieben, aber zeitweise nach digitaler Souveränität zuwar Homeoffice gar nicht sicher rück. Die erfordert nicht etwa, machbar, weil die Behörden vor Basistechnologien komplett von allem im zivilen Bereich das mobi- A bis Z in eigener Hand zu bele Arbeiten bis dato nicht im Blick treiben. hatten. Denken sie der NachholDer Fokus muss vielmehr darbedarf beim Zusammenspiel von auf liegen, die Daten selbst abmobil und sicher ist jetzt erkannt? zusichern, um die Kontrolle zu bewahren, wenn man auf Dienste Herrmann: Davon gehe ich in Cloud-Umgebungen zugreift. aus. Nachholbedarf besteht si- So kann der Anwender sicher cherlich. Allerdings haben viele sein, Herr seiner Daten zu bleiben Behörden in den letzten Monaten und nicht in eine Abhängigkeit zu auch wichtige Erfahrungen ge- geraten, wenn er Dienste von Anmacht und eine steile Lernkurve bietern bezieht, die nicht seiner hinter sich. Um grundlegende Hoheit unterliegen. Das ist techArbeitsfähigkeit herzustellen, nisch möglich und nach unserer kam es dabei allerdings auch Überzeugung der richtige Weg.

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IT-Sicherheit / PITS 2020 online

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CERTs für alle?

D

ort, wo Kommunen sich an ein CERT wenden können, sind die Betreiber fast immer die Länder. Das kommunale civitecCERT ist eine Ausnahme. Das Team in der regio iT GmbH ist Anlaufstelle für rund 40 Kommunen und kommunale Betriebe im Süden Nordrhein-Westfalens, darunter Großstädte wie Solingen (160.000 Einwohner) und kleine Gemeinden wie Ruppichteroth (10.000 Einwohner). Begonnen hatte das civitec-CERT vor fünf Jahren mit einem zentralen Patchmanagement. “Wir haben das Thema an die Kunden he­ rangetragen, weil mit dem zügigen Nachhalten wichtiger Sicherheitspatches schon eine Menge Risiken vermieden werden können”, erinnert sich der Leiter des CERTs Thomas Stasch. “Ein systematisches Patchmanagement hatte damals noch niemand.” Der Einer-für-alle-Ansatz hat überzeugt, weitere Bedarfe wurden festgestellt, heute fungiert das CERT mit sechs Mitarbeitern als Meldestelle, berät zu Sicherheitsthemen und organisiert Schulungen. Die Kernaufgabe ist der Warn- und Informationsdienst.

Flächendeckender CERT-Betrieb für Kommunen noch Zukunftsmusik (BS/Benjamin Stiebel) Informationssicherheit lebt von guter Organisation, Wissen und Vernetzung. Ein Grundpfeiler sind daher Computer Emergency Response Teams (CERTs) als Koordinationsstellen und Informationsdrehscheiben. In der Bundes- und Landesverwaltung sind sie längst etabliert. Die kommunale Ebene dagegen hat zu einem flächendeckenden CERT-Betrieb noch ein gewaltiges Stück Weges vor sich. Gerade dort ist aber mit den Teams, die meist Ansprechpartner und Wissensplattform zugleich sind, viel zu gewinnen. Bremsend wirkt sich aus, dass CERTs auch ausreichend finanziert und fachlich besetzt werden müssen, wenn sie viel leisten sollen. Neben Meldungen über wichtige Patches informiert das Team über relevante neue Sicherheitsrisiken. Stasch ist dabei wichtig, die technischen Informationen auch mit eigenem Erfahrungswissen anzureichern. Hilfreich seien dabei auch das Feedback aus anderen CERTs und Meldungen über konkrete Vorfälle von den Kunden. Stasch: “Wir konsolidieren die Meldungen und leiten konkrete Risikofaktoren und einfach umsetzbare Schutzmaßnahmen für alle ab.” Das civitec-CERT unterstützt auch selbst bei der Vorfallsbearbeitung. Dann rückt ein kleines “mobiles Einsatzteam” aus und hilft vor Ort bei der Koordination von Maßnahmen: Wiederherstellung des Betriebs,

IT-Forensik, Zusammenarbeit mit der Polizei. Bei größeren Vorfällen werden bedarfsweise auch externe kommerzielle Dienstleister hinzugezogen. Zu Beginn der Arbeit des CERTs wurden die Kosten solidargemeinschaftlich aus den Umlagen der Mitglieder finanziert. Mittlerweile handelt es sich um ein etabliertes Produkt der regio iT GmbH.

CERT-Betrieb für ganz NRW? Nachahmer hat das rein kommunale CERT bisher nicht gefunden. Interesse an einem gebündelten Angebot gibt es aber durchaus bei den über 30 kommunalen IT-Dienstleistern in NordrheinWestfalen. Der Dachverband KDN hatte 2018 ein Konzept für

IT-Grundschutz und Sensibilisierung IT-Sicherheit und Security-Awareness-Training für Behörden (BS/Krzysztof Paschke*) Ein wirksames Informationssicherheitskonzept gemäß BSI 200-x setzt voraus, dass neben der Umsetzung von Maßnahmen auf der IT-Ebene auch organisatorische Sicherheitsvorkehrungen wie Schulung und Sensibilisierung getroffen werden. Hierfür steht interessierten Organisationen DocSetMinder zusammen mit der Awareness Plattform Layer8 zur Verfügung. Die innovative Security-Awareness-Plattform Layer8 bietet mit ihren in Modulen zusammengestellten Präsentationen, interaktiven Trainings und Infografiken fertige, praxisnahe E-Learning-Inhalte für Behörden. Die Einheiten sind in einem pädagogischen Gesamtkonzept aufbereitet. Mit kompakten SecurityAwareness Videos wird der Zuschauer für ein konkretes Thema und damit zusammenhängende Sicherheitsprobleme sensibilisiert. Die Videos enthalten dabei konkrete Lösungen und Sicherheitsempfehlungen. Auf den Warnungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) basierende Phishing-Templates bieten realistische Simulationen, um die Beschäftigten auf ähnlich geartete Angriffe vorzubereiten. Über den zwischen Allgeier und der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung bestehenden Rahmenvertrag “Sicher gewinnt” können Behörden ihre Mitarbeiter mittels zielgruppenspezifischen Präsenzveranstaltungen professionell für aktuelle Sicherheits-

Behörden Spiegel / November 2020

ein kleines Lagezentrum vorgelegt. Dieses hätte als eine Art Sammel- und Verteilstelle für IT-Sicherheits-bezogene Informationen gedient. Mittelfristig sollte es Keimzelle für eine dezentrale CERT-Struktur für alle Kommunen in NRW werden. Das Konzept sieht als Anstoß eine initiale Förderung durch das Land vor. Eine Alternative wäre die Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs des Landes-CERTs. Diesen Weg sind schon einige andere Länder wie Bayern, Niedersachsen und Sachsen gegangen – mit unterschiedlichem Aufgabenumfang und Beteiligungsgrad. Für NRW wäre dieser Weg ein schwieriger, gibt der Leiter des CERTs NRW, Jens Vieweg, zu bedenken. “In unserem Zuständigkeitsbereich würden dann statistisch mehr als doppelt so viele Vorfälle passieren wie vorher”, prognostiziert er. Das heißt nicht, dass er grundsätzlich gegen einen CERT-Betrieb für die Kommunen ist. “Ich bin sehr dafür, dass diese Lücke geschlossen und die Informationssicherheit auf kommunaler Ebene verbessert wird. Vor allem wäre durch den Informationsaustausch zwischen den CERTs viel für die Übersicht über die Gesamtlage getan.” Doch die Aufgabenliste des beim Landesdienstleister IT.NRW angesiedelten Teams

ist bereits lang. Zu den klassischen Leistungen wie Warndienst und Lagebilderstellung kommen noch operative Tätigkeiten wie die individuelle technische Beratung und regelmäßige Penetrationstests für Fachverfahren und andere Anwendungen im IT-Betrieb des Landes. Mit sieben Stellen stemmt das Team derzeit die werktägliche Erreichbarkeit. Demnächst soll 24/7-Erreichbarkeit mit Bereitschaftsdienst geleistet werden, dafür gibt es eine Erweiterung auf 15 Stellen. Das geht aber nicht von heute auf morgen, denn IT-Experten sind bekanntlich hart umworben. Im Schnitt könne eine Stelle pro Quartal besetzt werden, erzählt Vieweg. Unter diesen Umständen wäre eine Ausweitung des gesamten Angebots auf alle Kommunen des Landes schwer leistbar. Der zusätzliche Beratungsbedarf ist zudem kaum kalkulierbar. Denn so unterschiedlich die Kommunen aufgestellt sind, so unterschiedlich ist auch der Unterstützungsbedarf.

Fehlende Standards Das weiß auch Civitec-CERTLeiter Stasch. “Viele Hauptamtsleiter sind mit dem Thema IT-Sicherheit regelmäßig überfordert.” Einige riefen dann schon wegen Kleinigkeiten an – z. B. ob eine

bestimmte verdächtige Mail geöffnet werden dürfe. Andere wiederum würden das Thema stark vernachlässigen und selbst bei konkreten Sicherheitsvorfällen so lange wie möglich versuchen, das Problem unter den Teppich zu kehren. Längst nicht alle könnten oder wollten sich ein gutes ITSicherheitsmanagement leisten. Während größere Städte meist Informationssicherheitsbeauftragte und grundlegende Konzepte haben, hat das Thema in kleinen Gemeinden mehr oder weniger Freiwilligkeitscharakter. Klare Regelungen gibt es nicht – Maßnahmen werden eher aus datenschutzrechtlichen Verpflichtungen abgeleitet. Hinzu kommt: Die IT-Musik spielt vor allem in den vielen Fachverfahren. Häufig handelt es sich dabei um Nischenlösungen, die zudem gerne mal aus der Überwachung durch IT-Sicherheitstools ausgenommen werden. Kurz gesagt: Kommunale IT ist voller Sonderfälle, vielfach anfällig für Lücken und in der Gesamtheit schwer zu überblicken. Ein flächendeckener CERT-Betrieb wäre also ein ambitioniertes Vorhaben. Aber es ist notwendig, gerade weil die Informationssicherheit ein kommunales Sorgenkind ist. Wünschenswert wäre ein schrittweises Herantasten an einen koordinierenden CERTBetrieb. Dabei muss aber auch klar sein: Ein CERT ist kein Allheilmittel. Den Weg zu mehr Sicherheit müssen die Kommunen mitgehen. Sie müssen in der Lage sein, aus Warnungen und Hinweisen sinnvolle Maßnahmen für die eigene IT abzuleiten. Dafür braucht es auch hier Kapazitäten und Know-how. Und auch hier gibt es die nicht umsonst.

Das Plus für die IT-Sicherheit Google Cloud in der öffentlichen Verwaltung (BS) Die Digitalisierung bringt zahlreiche Vorteile für Behörden und Bürger/-innen. Doch einhergehend mit der digitalen Verwaltung sensibler und personenbezogener Daten kann auch der öffentliche Sektor zu einem Ziel für Angriffe werden.

themen sensibilisieren lassen. Die hohe Akzeptanz des BSIGSTool-Nachfolgers DocSetMinder resultiert vor allem aus der innovativen Umsetzung der BSI-Standards 200-x, der kurzen Einführungszeit und dem niedrigen Lizenzpreis. Durchdachte Softwarefunktionen unterstützen die Anwender aktiv in jeder Phase des Sicherheitsprozesses; von der Planung über die Umsetzung bis hin zum Audit. Die besondere Effizienz der Software wird deutlich bei einer parallelen

Etablierung der BSI-Standards 200-x, der EU-DSGVO und des BSI-Standards 100-4 durch die gemeinsame Planung und Umsetzung von Strukturanalyse, Risikoanalyse und Sicherheitsmaßnahmen. DocSetMinder und Layer8 bilden zusammen eine geeignete Grundlage, um Behörden nicht nur nachhaltig sicher, sondern auch “Ready for Audit” zu machen. *Krzysztof Paschke ist Geschäftsführer der Allgeier CORE GmbH.

Aus diesem Grund ist es für Behörden unabdinglich, frühzeitig Sicherheitsmaßnahmen einzuführen und die entsprechende technologische Infrastruktur für höchste IT-Sicherheit aufzubauen. Google Cloud inte­ griert Sicherheitsmechanismen als festen Bestandteil in all seine branchenführenden Tools und intelligenten Technologien, um Organisationen vor unbefugten Zugriffen oder Manipulation effektiv zu schützen. Dabei unterstützt Google Cloud aktiv dabei, die jeweiligen Anforderungen an digitale Souveränität umzusetzen. Erfahren Sie in der Expertenrunde der

PITS am 12. November zum Thema “Cloud-Strategien: ITSicherheit und Souveränität” mit Florian Opitz, Customer Engineer bei Google Cloud, mehr zu diesem Thema. Flori-

an Opitz erklärt, wie Ämter und Behörden ihre IT-Sicherheit mit der Cloud erhöhen und ihre Anforderungen an die digitale Souveränität umsetzen können.


Informationssicherheit

Behörden Spiegel / November 2020

I

n der 5G-Debatte hat zuletzt Schweden mit dem Ausschluss von Huawei Fakten geschaffen. Hierzulande ist mit dem Entwurf eines Sicherheitskatalogs von Bundesnetzagentur und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein wichtiger Schritt geschafft. Ob Huawei noch aus den deutschen Mobilfunknetzen verbannt wird, ist zwar nicht ganz sicher. Zumindest stehen aber Kriterien, anhand derer ein Ausschluss begründet werden kann. Die Abhängigkeit von nur einem Lieferanten wichtiger Komponenten solle in den Telekommunikationsnetzen verhindert werden, betonte BSI-Präsident Arne Schönbohm auf dem Münchner Cyber Dialog. Den Ansatz will die Bundesregierung mit dem anstehenden IT-Sicherheitsgesetz 2.0 auf alle Kritischen Infrastrukturen ausweiten. Kritische Komponenten sollen generell durchs BSI zertifiziert werden, Hersteller sollen ihre Vertrauenswürdigkeit erklären. Doch genau da liegt die Schwierigkeit. Auch wenn öffentlich keine Beweise vorliegen – der Verdacht steht im Raum, chinesische Lieferanten könnten aus politischem Opportunismus oder staatlichem Zwang ihre große Marktmacht gegen Europa missbrauchen oder IT-Netze kompromittieren.

Wege zur Datensouveränität Kontrolle ist gut – selber machen ist besser? (BS/stb) Wertschöpfung und Daseinsvorsorge hängen heute weitgehend von funktionierender IT ab. Und die kommt zumeist nicht aus Europa. Seit sich die wirtschaftspolitischen Fronten zwischen USA und China verhärten, ist digitale Souveränität zum zentralen Gegenstand europäischer Digitalpolitik geworden. Symptomatisch ist die Debatte um die Beteiligung von Huawei an den 5G-Netzen. Unter Druck stehen aber alle Organisationen, die sensible Informationen verarbeiten. nicht nur ein Thema für die große weltpolitische Bühne, sondern beschäftigt längst auch Unternehmen und Behörden im Rahmen ihrer normalen Geschäftsprozesse. Besonders groß ist das Bedürfnis nach Kontrolle dort, wo sensible Unternehmensdaten oder geheimhaltungspflichtige Informationen im Spiel sind. Wer personenbezogene Daten verarbeitet, ist außerdem aufgrund des verschärften europäischen Datenschutzrechts in der Pflicht. Nach dem Fall des EU-US-Privacy-Shields im Sommer herrscht weiterhin Ratlosigkeit. Europäische Alternativen zu US-amerikanischen Cloud-Anbietern sind rar und der Umstieg aufwendig. Ob und wie bisherige Datentransfers aufrechterhalten werden können, ist vielen unklar. Dazu kommt: Selbst die Datenschutzaufsicht ist sich nicht in allen Belangen einig. “In der EU sind die

Auf dem Münchner Cyber Dialog wurde über Perspektiven für souveränen IT-Betrieb in Europa diskutiert. Screenshots: BS/Cyber Akademie

Datenschutzbehörden von 27 Ländern für die Auslegung des Datenschutzrechts zuständig. In Deutschland haben wir noch dazu einen Flickenteppich mit

Datenschutz als Treiber Technischer Sachverstand kann Vertrauen ein Stück weit ermöglichen. “Wir sind nicht im Glaubensbusiness”, so Schönbohm. “wir wollen nicht nur vertrauen, wir wollen nachvollziehbar überprüfen können.” Entsprechend sollen die Fähigkeiten zur Prüfung und Auditierung weiter ausgebaut werden. “Die erste wesentliche Grundvoraussetzung für Datensouveränität ist die Beurteilungsfähigkeit.” Datensouveränität ist aber

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Sieht Beurteilungsfähigkeit als Grundvoraussetzung für Datensouveränität: BSI-Präsident Arne Schönbohm.

den Datenschutzbehörden von Bund und Ländern”, stellt Dr. Julia Zirfas, Datenschutzbeauftragte der 1&1 Drillisch AG fest. “Hier muss dringend Rechtssicherheit geschaffen werden”, fordert Armin Barbalata, Chief Digital Officer der Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern. Bis klare Verhältnisse bestehen, erwartet er von den Aufsichtsbehörden Rücksicht: “Unternehmen dürfen jetzt nicht sanktioniert werden, sonst wird die gesamte digitale Wirtschaft bedroht.” So oder so: Vertrauen allein ist mittlerweile auch bei der Zusammenarbeit mit US-Anbietern nicht mehr hinreichend. Was langfristig aus der misslichen Situation helfen könnte, ist

so naheliegend wie ambitioniert. Europa müsste so viele digitale Produkte und Dienstleistungen wie möglich selbst entwickeln.

Europäischen Wettbewerb fördern Dafür bräuchte es einen Wettbewerb, in dem europäische Marktneulinge bestehen können. “Wir müssen dafür sorgen, dass Markteintrittsbarrieren sinken”, sagt Dr. Hans-Joachim Popp, Vorsitzender des Präsidiums beim VOICE-Bundesverband der ITAnwender. Das könne Europa erreichen, indem es stabile technische Standards fördere und mitentwickle. Die Idee dahinter: So könnten einzelne Komponenten regionaler Hersteller in bestehende Netzwerkinfrastrukturen inte-

griert werden. Bisher dominieren Vollsortiment-Anbieter aus den USA und Asien mit mehr oder weniger geschlossenen Systemen. Der skizzierte Weg ist ein schwieriger, weiß der Europaabgeordnete Axel Voss (CDU, EVP). Denn einheitliche Standards seien schon innerhalb der EU schwer erkämpft. “Wir brauchen zumindest im Binnenmarkt gleiche Voraussetzungen für die Marktteilnehmer, damit flexibel und agil miteinander gearbeitet werden kann”, so Voss. Mit seinen 27 Mitgliedern mit verschiedenen Sprachen und kulturellen Hintergründen sei die EU als Markt gegenüber anderen Regionen im Nachteil. Dennoch sieht Popp Grund für Optimismus: “Wir haben die Technologien und das Knowhow.” Nun müsse die europäische Industrie wieder schrittweise Praxiserfahrung mit der Entwicklung von Basis-IT sammeln. Für die Förderung von Wettbewerb in Europa plädiert auch Senatsdirektor a. D. Matthias Kammer. Bei Zukunftstechnologien könnten hiesige Anbieter von Anfang an mit eigenen Innovationen punkten. Aber auch der Staat könne helfen. Kammer: “Es sollte ernsthaft überlegt werden, ob man europäische Anbieter in der Vergabe nicht grundsätzlich privilegiert.” Der Münchner Cyber Dialog 2020 online ist im Oktober von der Cyber Akademie veranstaltet worden. Entscheiderinnen und Entscheider, Expertinnen und Experten sowie die Partner Bechtle, Bundesdruckerei und SoSafe diskutierten über Datensouveränität in IT-kritischen Zeiten. Schwerpunkte waren u. a. Cyber-Sicherheit, Datenschutz sowie IT-Strategie. Der Münchner Cyber Dialog 2020 steht unter www.muenchner-cyber-dialog.de on demand zur Verfügung.

NEUES AUS DER CYBER AKADEMIE

In den Remote-Modus und wieder zurück (CAk) Angesichts der sich erneut zuspitzenden Covid-19-Lage wird das Seminar-Portfolio der Cyber Akademie wieder verstärkt auf standortunabhängige Angebote konfiguriert. Dank “Lessons learned” während des ersten Lockdowns sind die Online-Formate interaktiver und ermöglichen dieselben Lernerfolge wie Präsenzkurse. Vor allem bei komplexen Thematiken, wie sie häufig im Bereich der IT-Sicherheit zu finden sind, reichen klassische zwei- bis dreistündige Webinare häufig nicht über die Grundlagen oder das “Kratzen an der Oberfläche” hinaus. Zudem bleiben aufgrund beschränkter Interaktionsmöglichkeiten die Lernerfahrungen auf die eigenen Horizonte beschränkt, schließlich fehlt der Austausch mit den Mitstreiterinnen und Mitstreitern während der Pausen und Diskussionsrunden. Vor diesem Hintergrund werden die noch für dieses Jahr geplanten Seminare als Web-Workshops konzeptioniert. Entsprechend sehen die tagesfüllenden Sessions – in der Regel von 9 bis 16 Uhr bei circa 5,5 Stunden Netto-Unterrichtszeit – ausreichend Zeit für Erläuterungen, Hilfestellungen, praktische Übungen und Gruppenarbeiten vor. Screensharing, Break-out-Sessions und Webcam-Schaltungen mit allen Teilnehmenden sind neben dem standardmäßigen Präsentationsmodus fester Bestandteil des Lernmethodik-Instrumentariums. Von dem Lernerlebnis können Sie sich dieses Jahr noch selbst überzeugen, z. B. in den Online-Kursen “Grundlagen der Datenbanksicherheit” am 19. November sowie “Incident Re-

sponse” vom 24.–25. desselben Monats. Die klassischen Webinare bleiben für Themen erhalten, die sich kompakt oder zumindest auf der Einstiegsebene innerhalb von zwei bis drei Stunden vermitteln lassen. Dazu gehört etwa “Angreifermodelle verstehen und Maßnahmen anhand der Cyber Kill Chain treffen” am 16.11. Auch die Datenschützerinnen und -schützer kommen nicht zu kurz: in der Woche vom 23.–27. November findet der Online-Zertifizierungskurs “Datenschutzbeauftragte/r in der öffentlichen Verwaltung” statt, deren Module auch als Einzelfortbildung gebucht werden können.

Münchner Cyber Dialog Doch nicht nur die Seminare konnten erfolgreich in WebFormate gewandelt werden. Vom 21. bis 22. Oktober fand der ursprünglich als PräsenzKongress geplante Münchner Cyber Dialog komplett online statt. Auf die beiden Halbtage verteilt nahmen mehr als 200 Interessierte an der Veranstaltung teil und diskutierten gemeinsam mit den Inputgebenden und Partnern Bechtle, Bundesdruckerei und SoSafe das Leitmotiv Datensouveränität in IT-kritischen Zeiten. Die durchweg hohe Teilnehmendenzahl als auch Interak-

tion des virtuellen Publikums untereinander sowie mit den Keynotespeakerinnen und -speakern, Panelistinnen und Panelisten zeugte von der hohen Qualität des Formats. Auch hier wurde bei der Konzeption auf Abwechslung gesetzt, um Spannung und Aufmerksamkeit hochzuhalten.

Ausblick auf laufendes und kommendes Jahr Trotz aktueller Corona-Turbulenzen und darüber hinaus bestehenden Planungsunsicherheiten intensivieren sich die Ausarbeitungen des Seminarprogramms 2021, welches ein Angebot von Präsenz- und Online-Angeboten beinhaltet. Der aktuelle Stand kann jederzeit auf der Homepage www. cyber-akademie.de aufgerufen werden. Monatlich ergänzt wird außerdem die “Webbie”-Serie der Cyber Akademie, bestehend aus circa fünfminütigen, aufgezeichneten Expertengesprächen über Cyber-Sicherheit und Datensouveränität der Endnutzer. Im Laufe des Novembers erwartet Sie auf www.cyber-akademie. de/webbies die zweite Folge, in der Dr. Philipp Amann, Head of Strategy des Europol European Cybercrime Centre (EC3), darlegt, was zu tun ist, wenn man selbst Opfer eines Online-Verbrechens wurde. Wie generell

kriminellen Energien begegnet werden kann, ist Thema der Winter School “Das Böse verstehen, erkennen, entkräften”, zu der die Cyber Akademie und die ASW Akademie – vorbehaltlich behördlicher Auflagen und der Entwicklung der Covid-19-Lage – vom 26.-28. November in das Future Safe House Essen einladen. Insgesamt wird in den nächsten Monaten die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern verfolgt. Hier sei etwa das Awareness-Startup SoSafe zu nennen, mit dem gemeinsam individuell konfigurierte E-Learning-Plattformen und Phishing-Simulationen angeboten werden (Informationen unter info@cyber-akademie.de). Im Feld der Cyber-Kriminalität stehen weitere Aktionen mit dem German Competence Centre against Cyber Crime e.V. (G4C) an. G4C war nicht nur Anfang des Monats auf der Pressekonferenz des Bundeskriminalamts bei der Vorstellung des Lageberichts Cybercrime vertreten, sondern schloss jüngst eine Kooperationsvereinbarung mit der Polizeidirektion Göttingen ab. Ziel der Vereinbarung ist es, den Schutz vor Straftaten im Internet oder unter Nutzung informationstechnischer Systeme zu fördern sowie ITgestützte Ermittlungsmethoden zu entwickeln und anzuwenden.

Jahresendspurt remote: Unsere Online-Workshops ■ Angreifermodelle verstehen, Maßnahmen treffen – Cyber Kill Chain und MITRE ATT&CK FRAMEWORK 16. November, 13–14:00 Uhr ■ Grundlagen der Datenbanksicherheit 19. November, 9:00–16:00 Uhr ■ Online-Zertifizierungskurs: Datenschutzbeauftragte/r in der öffentlichen Verwaltung 23.–27. November, jeweils 9:00–12:00 und 13:00–16:00 Uhr ■ Incident Response: Richtig reagieren beim IT-Sicherheitsvorfall 24.-25. November, 9:00–16:00 Uhr ■ Auftragsverarbeitung und Datenschutzfolgeabschätzung 24. November, 13:00–16:00 Uhr ■ DSGVO-Crossover: Beschäftigtendatenschutz, Personalrat und Videoüberwachung 25. November, 13–16:00 Uhr ■ Grundlagen IT-Sicherheit für Datenschutzbeauftragte 26. November, 9:00–12:00 Uhr

Anmeldungen und Programm 2021: www.cyber-akademie.de Grafik: BS/Dach unter Verwendung von ribkhan, stock.adobe.com


Webinar-Highlight im Januar 2021 Kurz und knackig auf den Punkt gebracht

WEBINAR-REIHE zu den Grundlagen des Prozessmanagements Diese Webinar-Reihe besteht aus insgesamt drei Webinaren à drei Stunden. Im ersten Webinar geht es um die Entwicklung eines Konzeptes zur Einführung von Prozessmanagement. Sie bekommen einen Überblick über die Inhalte des Konzeptes und welche Entscheidungen zur Einführung getroffen werden müssen. Der zweite Teil behandelt die zu schaffenden Grundlagen für die Einführung. Insbesondere werden die Durchführung eines Prozess-Screenings und die Priorisierung von Prozessen besprochen. Die Durchführung einzelner Prozessprojekte wird im dritten Teil besprochen. Anhand des Phasenmodells der Prozessoptimierung werden alle Phasen eines Projektes behandelt und die erfolgskritischen Faktoren für die einzelnen Phasen herausgearbeitet. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

THEMENÜBERBLICK: Teil 1: Konzept entwickeln 19. Januar 2021, 10:00–13:00 Uhr • Ziele des Prozessmanagements • Rollen im Prozessmanagement • Vorgehensmodell • Modellierungstool und -sprache • Kommunikationsstrategie

Teil 2: Grundlagen schaffen 21. Januar 2021, 10:00–13:00 Uhr • Strukturen schaffen • Prozess-Screening durchführen • Prozesse priorisieren

Teil 3: Ein Prozessprojekt durchführen 28. Januar 2021, 10:00–13:00 Uhr • Phasenmodell der Prozessoptimierung • Ist-Modelle erstellen und analysieren • Soll-Modelle entwickeln • Soll-Modelle umsetzen

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort “Prozessmanagement”

Foto: ©Milan, stock.adobe.com


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / November 2020

Wer gewinnt das Tauziehen?

KNAPP Indischer Ozean im Fokus

Studien zu Rassismus und Extremismus umstritten

(BS/Bennet Klawon) Immer neue Chats mit rechtsextremem und rassistischem Inhalt erschüttern die Bundesrepublik. Der Lagebericht “Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden”, der (BS/por) “Das neue “Mare Nosvom Bundesinnenministerium (BMI) veröffentlicht wurde, brachte nicht den erhofften Befreiungsschlag. Immer noch steht die Frage nach strukturellen Problemen in den Behörden im trum” der Welt ist der Indische Raum. Die nächste Runde im Umgang mit Extremismus und Rassimus in den Behörden hat mit der angekündigten Studie begonnen. Ozean”, so Vizeadmiral Andreas Nach langem Ringen in der Bundesregierung soll nun doch eine Untersuchung durchgeführt werden. Dabei sollen zwei Studien Klarheit schaffen. Mit einer gesamtgesellschaftlichen Studie soll der Alltagsrassismus in Wirtschaft, öffentlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft untersucht werden, Eine zweite Studie nimmt sich des Polizeialltags an. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte bei der Vorstellung der Pläne: “Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei richtet.” Dem schloss sich auch die Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann (SPD) während einer Diskussionsveranstaltung auf dem Digitalen Staat Online (Die Diskussionsrunde findet sich in der Mediathek unter www. digitaler-staat.online/mediathek) an. “Eine Studie mit dem Thema oder der Fragestellung “Gibt es rassistische Strukturen in der Polizei?” ist eine Vorverurteilung, wenn die Fragestellung schon die Antwort impliziert. Strukturen in der Polizei, die Rassismus fördern, gibt es nicht. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht auch Menschen gibt, die Fehler machen”, stellte Lühmann Klar. Eine Fokussierung sei bei einer solchen Untersuchung fehl am Platz. Welche inhaltliche Ausgestaltung die beiden Studien schlussendlich haben werden, müsse jedoch noch ausdiskutiert werden, deshalb stünden ein Titel und eine Strukturierung noch nicht fest, so die Innenpolitikerin. Es sei jedoch noch ein weiter Weg zu einer solchen Untersuchung. Lühmann fügte aber hinzu, dass die Durchführung der Studie nur in Zusammenarbeit mit den Polizeigewerkschaften geschehen könne, sonst scheitere die Studie. Und von diesen kam nach der Ankündigung der Studien ein

beim Verfassungsschutz für Polizeianwärter machte sich auch der sächsische Landespolizeipräsident, Horst Kretzschmar, stark. Man kämpfe dafür schon seit Jahren. Kritik kommt aus der Opposition. Die Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen, Dr. Irene Mihalic, bezeichnet den Kompromiss als “herbe Enttäuschung”. “Mit einer Studie, die aus politischen Gründen relevante Fragen ausklammert, ist niemandem geholfen”, kritisierte Mihalic. Eine Untersuchung des Polizeialltags sei sicherlich lohnend, jedoch könne sie keine Antworten dazu geben, ob bei den Behörden vor Ort stets keine Toleranz für Extremismus und Rassismus gelte. Das Tauziehen um die Studie zu Extremismus und Rassismus in den Sicherheitsbehörden geht mit der Ankündigung in eine neue Runde. Foto: BS/falco, pixabay.com

geteiltes Echo. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte den Kompromiss, auf den sich die Koalitionspartner geeinigt haben. Der stellvertretene GdPBundesvorsitzende Jörg Radek sagte, dass “unser Vorschlag als Gewerkschaft im politischen Berlin aufgegriffen” worden sei. Eine Untersuchung des Polizeialltags ermögliche es, die Ursachen für extremistisches Handeln zu ermitteln. Radek erwartet jedoch auch, dass die GdP an der Studie beteiligt wird. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) bezeichnete die erzielte Einigung als einen “faulen Kompromiss”. Zudem gebe es kein “strukturelles Problem im Zusammenhang mit Rassismus” in der Polizei. Der Vorsitzende der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, betonte aber: “Jeder einzelne Fall von Rassismus in unserer Organisation ist einer zu viel! Das Bundesdisziplinargesetz bietet

jedoch alle Möglichkeiten, solche Polizeibediensteten umgehend aus dem Dienst zu entfernen.”

“Begründeter Verdacht durch Chats” Es sei für viele Menschen beruhigend, dass es eine solche Studie gebe. Dennoch seien Vertreter der migrantischen Community noch zurückhaltend, da der Inhalt der Untersuchung noch nicht feststehe, so Souad Lamroubal von der Behörden Spiegel-Stiftung. Sie widerspricht aber Lühmann und versteht nicht, warum man von einer Vorverurteilung durch eine Rassismusstudie spreche. Es gebe schließlich auch einen begründeten Verdacht durch die aufgedeckten Chats. In anderen Fällen würden jedoch kleine bzw. vermeintliche Verdachtsmomente ausreichen, um Untersuchungen durchzuführen. “Dass sich die Polizei gegen diese Untersuchung wehrt, finde ich übertrieben, weil so ein Ungleichgewicht innerhalb

der Gesellschaft entsteht und die Spaltung vorangetrieben wird”, sagte Lamroubal. “Wir müssen deutlicher hinschauen. Wir müssen mehr auf Einstellungstest setzen, um rechtsextremistische Tendenzen schon frühzeitig zu erkennen. Ebenso muss der Lehrinhalt bei der Ausbildung von Polizisten verbessert werden”, fordert Lamroubal. Genauer hinsehen will auch Jörg Müller, Abteilungsleiter Verfassungsschutz im Innenministerium Brandenburg. Müller sagte auf der Nachrichtendienst-Konferenz des Behörden Spiegel (weiteres zur Konferenz findet sich auf Seite 45), dass man keinesfalls eine Vorverurteilung von Staatsbediensteten wolle, jedoch könne sich ein Verfassungstreuecheck im Beamtenrecht als sinnvoll erweisen. Durch einen solchen Check ließen sich wesentlich schneller Erkenntnisse als durch eine wissenschaftliche Studie gewinnen. Für eine Regelabfrage

Die Deutung hat längst begonnen Die Erwartungen an beide Studien sind nach allen Vorkommnissen groß. Wie aber schlussendlich eine oder mehrere Studien zu Extremismus und Rassismus in den Sicherheitsbehörden und in der Gesellschaft aussehen könnten, wird sich aufgrund der vielfältigen Akteure aus Polizei, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die ein Wort mitreden wollen und werden, und der zweiten Welle des Coronavirus wahrscheinlich erst in einigen Monaten zeigen. Ebenso werden die Studienmacher sich auf die Kritik von mehreren Seiten einstellen müssen. Noch bevor der Name oder gar die inhaltliche Fragestellung der Studien bekannt oder diskutiert werden, sind die Sorgen auf allen Seiten groß. Noch bevor Ergebnisse feststehen, scheinen für Vertreter aus Politik, Polizei und Gesellschaft, die Studie(n) entweder zu einseitig oder zu schwammig zu sein. Noch bevor die Studie(n) fertig sind, hat die Deutung schon längst begonnen.

Krause, Inspekteur der Deutschen Marine, gegenüber dem Behörden Spiegel. Die wachsende Bedeutung dieses Meeres als Transitstrecke für den Welthandel haben bereits die “Leitlinien zum Indo-Pazifik” der Bundesregierung vom August hervorgehoben. Dies sehen auch andere Akteure so: Die USA und Indien haben Ende Oktober ein “Basic Exchange and Cooperation Agreement” (BECA) im Verteidigungsbereich vereinbart. Für November ist das Seemanöver “Malabar” geplant, an dem neben den USA und Indien auch Australien und Japan teilnehmen sollen. Diese vier Staaten, deren gemeinsames Ziel die Eindämmung der Macht Chinas ist, bilden das sog. “Quad”, das von Beobachtern schon als künftige “asiatische NATO” gehandelt wird.

Covid-19-Test in unter 20 Minuten (BS/df) Die Bundeswehr erhält 256 PCR-Diagnose-Systeme nebst Zubehör und Ausbildung, die eine Diagnose von Covid-19 in unter 20 Minuten erlauben. “Die PCR-Systeme und die Testkits für die SARS-CoV-2 Dia­gnostik werden im Oktober und November ausgeliefert”, meldete der Sanitätsdienst der Bundeswehr. Bei den Systemen handelt es sich um VitaPCR des Herstellers Credo Diagnostics, die in Deutschland durch A. Menarini Diagnostics vertrieben werden. “Der mit dem VitaPCR-Instrument durchgeführte VitaPCR-SARS-CoV-2-Assay ist ein molekularer In-vitroSchnelltest unter Verwendung einer RT-PCR-Technologie”, so die Beschreibung des Herstellers. Zunächst werden die Einsatzkontingente in Afghanistan und Mali mit den neuen Systemen ausgestattet.

POLIZEITAGE 2020/21 4. Dezember 2020 | Online Digitaler Polizeitag Bundespolizei Weitere Informationen und Programm unter: www.digitaler-staat.online/programm

15. Dezember 2020 | Düsseldorf Polizeitag Düsseldorf Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte Weitere Informationen und Programm unter: https://www.polizeitage.de/

Eine Veranstaltung des

23. Februar 2021 | Kiel Polizeitag Kiel Polizei der Zukunft - rechtlich, technisch, digital und taktisch gut vorbereitet – bürgernah, wertgeschätzt und mitarbeiterorientiert Weitere Informationen und Programm unter: https://www.polizeitage.de/

und der


Innere Sicherheit

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B

ehörden Spiegel: Herr Kubiessa, vor welchen aktuellen Problemen stehen Sie als Präsident der Polizeidirektion Dresden?

Jörg Kubiessa: Meine Direktion, zu deren Zuständigkeitsbereich neben der Landeshauptstadt Dresden auch die beiden Landkreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Meißen gehören, ist derzeit vor allem durch die Bewältigung der Corona-Pandemie sowie die Extremismusbekämpfung gefordert. Dabei geht es vor allem darum, frühzeitig Örtlichkeiten zu identifizieren, wo sich Rechtsextreme treffen. Außerdem ist es entscheidend, rechtzeitig Personen auszumachen, die mit ihren extremistischen Bestrebungen darauf abzielen, unsere Gesellschaft zu destabilisieren und die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzugreifen. Außerdem geht es um die Terrorismusbekämpfung. Behörden Spiegel: Gibt es in Dresden als sächsische Landeshauptstadt besondere Herausforderungen bei der Extremismusprävention und -bekämpfung? Kubiessa: Aus meiner Sicht ist die Bekämpfung von Extremismus ein zentrales Thema für alle Polizeibehörden im Freistaat Sachsen. In Dresden, das als Landeshauptstadt eine besondere Bedeutung und Ausstrahlung auch über die Grenzen Sachsens hinaus hat, liegt der Schwerpunkt besonders auf der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Behörden Spiegel: Welche weiteren polizeilichen Spezifika gibt es in Dresden? Kubiessa: Dresden ist als Landeshauptstadt das politische Zentrum des Freistaats. Dadurch haben wir es mit verschiedensten versammlungsrechtlichen Belangen zu tun, die teilweise aufgrund ihrer Größe sogar über Sachsen hinausstrahlen. Außerdem haben wir hier in Dresden regelmäßig mit internationalen Gästen zu tun. Behörden Spiegel: Wie steht es um die Pegida-Bewegung in Dresden?

Behörden Spiegel / November 2020

Rechtzeitig tätig werden Auch Polizei muss eine Art Frühwarnsystem sein (BS) Die Polizei ist nicht nur in den Bereichen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr gefordert. Es komme auch entscheidend darauf an, dass die Sicherheitsbehörde Trends und Entwicklungen früh- und rechtzeitig entdecke, findet der Dresdner Polizeipräsident. Das Interview mit Jörg Kubiessa führten Uwe Proll und Marco Feldmann. Kubiessa: Dort demonstrieren weiterhin regelmäßig 800 bis 1.000 Personen bei uns in Dresden. Zu bestimmten Anlässen sind es sogar noch deutlich mehr. Jegliche Unterschätzung der Pegida-Bewegung wäre falsch, gerade weil auf deren Bühne Extremisten wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz sprechen. Wir dürfen sie zugleich aber auch nicht überbetonen.

Behörden Spiegel: Werden die ausländischen Kräfte nur beratend tätig oder werden sie beliehen?

Jörg Kubiessa ist Präsident der Polizeidirektion Dresden. Zuvor war er unter anderem in Chemnitz tätig. Foto: BS/Feldmann

Behörden Spiegel: Momentan gibt es große Diskussionen um vermeintliche Polizeigewalt und Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden. Was verursacht dieses “Polizei-Shaming” bei Ihren Mitarbeitern?

“Jegliche Unterschätzung der Pegida-Bewegung wäre falsch.” Behörden Spiegel: Stehen all Ihre Beamten hinter den Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus? Kubiessa: Ja, davon bin ich überzeugt. Aber wir haben schon gemerkt, dass wir mehr erklären mussten als früher. Das lag aber sicher auch daran, dass sich die Verordnungslage in Sachsen mehrfach und teilweise sehr rasch veränderte. Ungeachtet dessen sind meine Mitarbeiter immer mit Augenmaß und verhältnismäßig vorgegangen.

Behörden Spiegel: Wie sind die Erfahrungen mit der deutschtschechischen Kooperation? Wie leben die Tschechen den Vertrag? Kubiessa: Wir haben ein sehr enges Vertrauensverhältnis zu den tschechischen Kollegen. Deshalb können wir mit ihnen so gut kooperieren. Das ist auch sehr stark von den jeweils handelnden Personen abhängig. Die müssen sich kennen, ansonsten ist keine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich. Da braucht es Gespräche, Zeit und den Austausch von Positionen. Im Vertrag ist bereits vieles geregelt. Inzwischen tauschen wir – etwa bei Veranstaltungslagen – sogar gegenseitig Beamte aus und lassen sie im jeweils anderen Land zum Einsatz kommen. Dadurch können Sprachbarrieren abgebaut und das polizeiliche Handeln der jeweils anderen Seite besser erklärt werden.

Behörden Spiegel: Ist die Polizei ein Querschnitt der Bevölkerung? Kubiessa: Ich tue mich mit dem Gleichnis, die Polizei sei ein Querschnitt der Bevölkerung, schwer. Denn so stellen wir nicht ein. Die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst erfolgt nach Eignung, Leistung und Befähigung. Dadurch muss die Polizei nicht zwangsläufig ein Querschnitt der Bevölkerung sein. Vielmehr erhalten wir damit die Personen, die wir gut zu Polizisten aus- und fortbilden können und die dem hohen Anspruch an einen Beamten gerecht werden.

es gibt gemeinsame Projekte, die von der Europäischen Union unterstützt werden. Dazu gehören unter anderem gemeinsame Streifen. Des Weiteren arbeiten wir an der Grenze eng mit der Bundespolizei zusammen.

Kubiessa: Diese Entwicklungen machen erneut deutlich, dass polizeiliche Arbeit noch nie so transparent war, wie es momentan der Fall ist. Und das wird sich in Zukunft noch verstärken. Meine Mitarbeiter müssen immer davon ausgehen, dass sie nicht mehr unbeobachtet sind und jede polizeiliche Maßnahme unter Kontrolle stattfinden kann. Das war bislang nur aus der Fort-

bildung bekannt, gilt nun aber auch für den Einsatzalltag und die Öffentlichkeit. Das macht mir allerdings keine Sorgen. Denn grundsätzlich gibt es keine

auch bei Einsätzen in anderen Bundesländern. Behörden Spiegel: Wie gehen Sie gegen grenzüberschreitende Kriminalität vor?

“Ich tue mich mit dem Gleichnis, die Polizei sei ein Querschnitt der Bevölkerung, schwer.” strukturellen Probleme bei der Polizei. Das weise ich von uns, schließe aber nicht aus, dass es in Einzelfällen zu Fehlverhalten kommt. Dennoch habe ich jeden Tag Vertrauen in das Handeln meiner Kolleginnen und Kollegen,

Kubiessa: Wir haben seit Langem enge und gute Kontakte zu den Sicherheitsbehörden in unseren Nachbarländern. Seit 2015 existiert ein deutsch-tschechischer Polizeivertrag. Zudem gibt es Treffen der Dienststellenleiter sowie auf der Arbeitsebene und

Kubiessa: Gehandelt wird nach den rechtlichen Bestimmungen des Einsatzlandes, in dem sich die Beamten jeweils befinden. Außerdem wird dann immer ein Einsatzleiter bestimmt. Tschechische Polizisten können bei Einsätzen bei uns zum Beispiel Identitätsfeststellungen vornehmen – nach unseren Regeln. Andersherum ist das auch möglich. Einsatztaktisch handelt aber in der Regel jeder in seinem Zuständigkeitsbereich. Das ist übrigens oftmals auch im Verhältnis zwischen Landes- und Bundespolizei der Fall. Es macht schlicht Sinn, wenn die tschechische Polizei tschechische Störer anspricht, die sich in Deutschland befinden. Da ist eine viel zielgerichtetere Ansprache möglich.

Kriminalitätsentwicklung in der Corona-Krise Kriminalitätsniveau unter 2019

Mehr Kompetenzen für die Polizei

(BS/bk) Dass die Corona-Krise Einfluss auf die Arbeit von Polizistinnen und Polizisten hatte und hat, war schon nach den ersten Infektionsschutzmaßnahmen klar. Vielfach mussten der Dienst umgestellt, die Arbeitsteilung neu strukturiert und weitere Aufgaben übernommen werden. Aber ebenso stellten sich Kriminelle auf die neue (BS/leh) Nach langem Hin und Her hat der baden-württembergische Landtag mit seiner grün-schwarzen Situation ein. Wie sich die Kriminalität in der Krise entwickelt hat, haben Beamte des Bundeskriminalamts Mehrheit nun die Neufassung des Polizeigesetzes des Landes beschlossen. Kritik kam bis zuletzt von der (BKA) untersucht. Opposition.

Neues Polizeigesetz in Baden-Württemberg verabschiedet

Über eine Änderung des erst 2017 novellierten Polizeigesetzes war zunächst lange in der grünschwarzen Regierungskoalition gestritten worden. Im Dezember 2019 hatten beide Parteien einen Kompromiss erzielt. Im Juli 2020 befasste sich erstmals der Landtag mit der Entwurfsfassung des neuen Polizeigesetzes. Mitte September folgte eine Expertenanhörung. In der 127. Plenarsitzung des Landtages am 30. September 2020 stand der Regierungsentwurf schließlich zur Abstimmung. Weitgehend kritikfrei waren dabei lediglich die vorgesehenen Anpassungen des Polizeigesetzes an die EU-Datenschutzrichtlinie 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie an das Landesdatenschutzgesetz vom 12. Juni 2018 (GBl. 2018, 173). Beides Anpassungen, die dem Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung dienen. Auch die Notwendigkeit der Anpassung des Polizeigesetzes an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

zum Bundeskriminalamtsgesetz vom 20.04.2016 sowie die zum Einsatz automatischer Kennzeichenlese-systeme vom 18. Dezember 2018 wurde von den Oppositionsparteien (SPD, FDP und AfD) nicht bestritten.

Opposition lehnt Kompetenz­ erweiterungen ab Auf Ablehnung stießen bei der Opposition aber – wie schon zuvor – die vorgesehenen erneuten Kompetenzerweiterungen der Polizei. Teile der Neuregelung werden weiterhin als verfassungsrechtlich zumindest bedenklich angesehen. Bestritten wurde aber auch die Notwendigkeit einer erneuten Verschärfung des Polizeigesetzes. Unter dem Eindruck islamistischer Terroranschläge waren der Polizei bereits 2017 erheblich erweiterte Kompetenzen zugestanden worden. Dazu gehörten neben der vorbeugenden Telekommunikationsüberwachung unter anderem auch die automatische Auswertung der Videoüberwachung, Aufenthaltsvorgaben für sogenannte Gefährder sowie deren Kontrolle mittels elektronischer Fußfessel. Auch der Einsatz von Körperkameras, sogenannten Bodycams, wurde erlaubt – allerdings nur

außerhalb von geschlossenen Räumen.

Keine Mehrheit für die Positi­ on der Opposition Nach eingehender Beratung stimmte der baden-württembergische Landtag in seiner 127. Plenarsitzung dem Entwurf des “Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 für die Polizei in Baden-Württemberg und zur Änderung weiterer polizeirechtlicher Vorschriften” mehrheitlich zu. Änderungsanträge der Opposition fanden keine Zustimmung. Nach der Verabschiedung des Gesetzes ist es der Polizei nunmehr erlaubt, Bodycams auch in Wohnungen, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen einzusetzen, wenn Gefahr droht. Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Ausweitung von Grundrechtseingriffen unterliegt die Auswertung der Aufnahmen aber dem Richtervorbehalt. Zu den Neuerungen gehört unter anderem auch, dass die Polizei befugt ist, bei öffentlichen Veranstaltungen, die ein besonderes Gefährdungsrisiko aufweisen, Personenfeststellungen und Durchsuchungen von Personen und Sachen durchzuführen.

Einbrüche, Taschendiebstähle und andere Eigentumsdelikte sind zwischen Mitte März und Ende September im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stark zurückgegangen. Teilweise gingen die Pkw-Diebstähle in den östlichen Bundesländern auf fast null zurück. Einzig der Diebstahl von Medizinprodukten nahmen vor allem zu Beginn der Corona-Krise massiv zu. Außerdem nahm im Bereich der Cyber-Kriminalität Phishing-Mails mit Corona-Bezug und Angriffe mit Ransomware stark zu. Insgesamt ließen sich jedoch allgemein rückläufige Zahlen feststellen. Zu diesen Ergebnissen kommt das Team um Dr. Mathias Weber und Fred-Mario Silberbach vom BKA. Die Beamten aus Wiesbaden nutzten zur Erstellung dieses Lagebilds das Vorgangsbearbeitungssystem der Polizeien. Deshalb betonte Weber: “Wir sind noch nicht in der Lage, ein qualitätsgesichertes Lagebild zu erstellen.” Da für die Erstellung von Kriminalstatistiken normalerweise auf abgeschlossene Verfahren zurückgegriffen werde könne für die Kriminalitätslage in der Corona-Krise nur ein vorläufiges Bild dargestellt werden. Außerdem könnten in dem Lagebild nur Hellfeldzah-

len, also nur Straftaten, von denen die Polizeien Kenntnis erlangt hätten, abgebildet werden.

2019 noch nicht normalisiert. Dies bestätigte eine Studie der Universität Mannheim.

Veränderte Alltagsroutine verhindert Kriminalität

Belastungen durch die Krise

Dennoch könnten fallende bzw. stark fallende Kriminalitätszahlen beobachtet werden. Als Gründe zu den Veränderungen führte Weber zwei Hauptgründe an. Zunächst hätten sich durch die stark veränderte Alltagsroutine der Bürger/-innen keine Gelegenheiten für bestimmte Straftaten ergeben. Besonders im Lockdown, als die Bürger ihre Wohnungen kaum verlassen hätten, hätten Eigentumsdelikte kaum stattfinden können. Mit der Verlagerung von Freizeitaktivitäten und beruflicher Tätigkeit ins Internet sei aber ein besonderer Boden für Betrug und Cyber-Kriminalität bereitet worden. Auf diese neue Situation hätten sich Kriminelle jedoch schnell eingestellt und sich dynamisch angepasst. Als Beispiel nannte Silberbach eine neue Variante des sogenannten Enkeltricks oder die Umstellung bei Betrugsdelikten auf Medizinprodukte. Aber auch nach dem Lockdown habe sich die Alltagsroutine von vielen Bundesbürgern im Vergleich zu

Der Belastungszustand innerhalb der Bevölkerung begünstige als zweiter Grund, die Veränderung der Kriminalität. So könnten finanzielle und gesundheitliche Sorgen sowie Stress zu einem niedrigeren Frustrationsniveau führen und Betrug leichter ermöglichen. Nach Studienlage sind rund 20 Prozent in der Krise besonders belastet. Die sinkenden Zahlen im Hellfeld bedeuteten jedoch nicht automatisch einen Rückgang auch im Dunkelfeld. Als Beispiel nennt Silberbach dabei das Feld der Häuslichen Gewalt. Hier bestehe das Problem der geringen Anzeigenwahrscheinlichkeit sowie ein geringes Entdeckungsrisiko, da die sozialen Kontakte durch die Eindämmungsmaßnahmen und die Krise minimiert seien. Deshalb sei die Datenlage in manchen Deliktbereichen nur bedingt aussagekräftig, so Silberbach. Eine gesicherte Grundlage könne wahrscheinlich erst im kommenden Jahr erstellt werden.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / November 2020

Seite 45

Kreatives Recruiting

Handlungsfähig und rechtssicher

Rechtsextreme wissen neue Medien zu nutzen

Neues BND-Gesetz muss Widerspruch auflösen

(BS/stb) Die Debatte um den Umgang mit rechtsextremen Umtrieben in Sicherheitsbehörden wird nach wie vor hitzig geführt (mehr dazu auf Seite 43). Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, in welchen Kontexten Rechtsextreme in der Hauptsache aktiv sind und auf welche sozialen Gruppen sie dabei zielen. Besonders neue Medien bieten effektive Möglichkeiten für Austausch untereinander und Rekrutierung neuer Anhänger.

(BS/stb) Wie viel Kontrolle braucht ein Auslandsnachrichtendienst? Und wie kleinteilig müssen seine Handlungsspielräume abgesteckt werden? Im Bezug auf die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) hatte das Bundeverfassungsgericht klare Anforderungen formuliert (siehe auch Behörden Spiegel Oktober 2020, Seite 48). Mit der nun anstehenden Änderung des BND-Gesetzes soll der schwierige Spagat zwischen Arbeitsfähigkeit und einem hohen rechtsstaatlichen Anspruch gelingen.

Dass Rechtsextreme sich im Netz austauschen und versuchen, Anhänger zu finden, ist per se nichts Neues. In jüngerer Zeit lassen sich jedoch zunehmend strategische Herangehensweisen beobachten. Der Umgang mit neuen Medien wird kreativer, zielgerichteter und leider auch effektiver. Besonders junge Menschen, die mit Sozialen Netzwerken aufgewachsen sind, stehen im Fokus. Ein typisches Rekrutierungsmuster spielt sich in drei Stufen ab: Über große Netzwerke wie Twitter oder die Gaming-Plattform Steam erfolgt die Kontaktanbahnung: Posts werden gelikt, geteilt und kommentiert, kurze politische Diskurse wecken das Interesse. Im zweiten Schritt werden Interessierte zu exklusiveren Kanälen eingeladen, um Themen zu vertiefen. Das können geschlossene Gruppen, Messenger-Dienste wie WhatsApp oder alternative Plattformen rechtsextremer Gruppen sein. Dort erfolgt dann die Radikalisierung und Einführung in extremistische Kreise. “Alternative Plattformen wie BitChute zeichnen sich durch einen verstärkten Filterblasen-Effekt für radikale Ansichten aus”, erklärte Jörg Müller, Abteilungsleiter Verfassungsschutz im Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg, auf der

Der brandenburgische Verfassungsschutzchef Jörg Müller beobachtet eine Professionalisierung bei der Nutzung neuer Medien durch Rechtsextreme.

Foto: BS/Stiebel

NachrichtendienstKonferenz des Behörden Spiegel in Berlin. Die Nutzer würden nur noch mit der eigenen Ideologie umschwärmt. Es fehle die Gegenrede, die normaler Teil eines demokratischen Diskurses sei (mehr dazu im Artikel unten rechts auf dieser Seite). Eine Spielwiese für die Rekrutierung haben Rechtsextreme auch in Bereich Videospiele entdeckt. Chats in Spielen und über Spiele, Let’s-Play-Videos und Gruppen auf Gaming-Plattformen bieten Anknüpfungspunkte. “Spielinhalte, z. B. in Weltkriegs-Spielen, werden mit rechter Ideologie verknüpft und so Diskussionen angestoßen”,

warnt der brandenburgische Verfassungsschutzleiter Müller. Einen Schritt weiter ging der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestufte Verein “Ein Prozent” mit der Veröffentlichung des kostenlosen Videospiels “Heimat Defender: Rebellion”. Spieler schlüpfen in die Rolle bekannter Vertreter rechtsextremer Bewegungen und sollen als Widerstandskämpfer gegen “Globalisten” antreten, die rechten Feindbildern wie Jan Böhmermann und Politikern wie Heiko Maas und Angela Merkel nachempfunden sind. Stilistisch greift das Spiel aktuelle Trends der Videospielszene auf und kann so als leichter Einstieg in neu-rechte bzw. rechtsextreme Ideologie dienen. “Diese Entwicklungen müssen uns Sorge bereiten”, betont Müller. Gegen die kreativen Rekrutierungsstrategien im Netz helfe vor allem eines: Prävention durch Stärkung der Medienkompetenz. “Wir müssen frühzeitig und intensiv mit den Menschen ins Gespräch kommen und eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten”, fordert Müller. Dabei denkt er an Schulen, aber auch an Sportvereine, freiwillige Feuerwehren und andere Organisationen, in denen junge Menschen vernetzt sind.

Raum für Innovation in Sachsen InnoLab soll digitale Lösungen für die Polizeipraxis fördern (BS/Benjamin Stiebel) Innovation entsteht selten von allein, zumindest nicht in fest strukturierten Hierarchien. Damit Probleme zu Einfällen und Einfälle zu neuen Lösungen führen, braucht es Gelegenheit und Freiräume. Diese hat sich die Polizei im Freistaat Sachsen geschaffen. Im InnoLab beim Polizeiverwaltungsamt werden Bedarfe gesammelt, Ideen entwickelt und innovative Lösungen erdacht. So befasst sich das InnoLab mit Anwendungsmöglichkeiten von virtueller Realität. Der Gedanke: Dreidimensionale Umgebungen könnten fotorealistisch und exakt digitalisiert werden. Lagen ließen sich für Trainingszwecke realitätsnah simulieren. Auch im echten Einsatz könnte die Technik helfen. Auf Grundlage digitalisierter Räume, z. B. des Hauptbahnhofs oder der zentralen Einkaufsmeile einer Stadt, wäre eine bessere Lageübersicht möglich: ein Gewinn für die Einsatzplanung. Das InnoLab arbeitet auch daran, die mobile Polizeiarbeit zu verbessern. “Gemeinsam mit einer Hochschule des Landes arbeiten wir an einer Software zur Objekterkennung”, erzählt Ralf Köhler. Im nächsten Jahr soll ein Prototyp stehen. Köhler ist Leiter des InnoLabs beim Polizeiverwaltungsamt (PVA) des Freistaats Sachsen. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeiten stehen für den Kriminaloberrat die konkreten Bedarfe der Kolleginnen und Kollegen: Die Digitalisierung bringe viele Chancen für die Po-

lizeiarbeit mit sich. Damit seien aber auch Herausforderungen und zusätzliche Anforderungen verbunden. “Wir wollen an Lösungen arbeiten, die konkreten Mehrwert in der täglichen Arbeit bringen”, betont Köhler. “Überlastung durch übermäßig komplexe Technologien wollen wir vermeiden.” Als einen der ersten Schritte nach der Einrichtung des InnoLabs zum 1. Januar 2020 etablierten Köhler und sein Team einen Intranet-Auftritt mit einem elektronischen Ideenbriefkasten. Jede von den Polizeikollegen eingebrachte Idee mit Potenzial werde anhand einer Bewertungsmatrix eingeschätzt und auf ihre Umsetzbarkeit hin geprüft. So entstehe eine Art Prioritätenliste für Innovationsvorhaben. Welche Ideen weiterverfolgt werden sollen, legen ein Entscheidungsboard im Innenministerium fest.

Chancen ausloten Das InnoLab verlässt sich aber nicht ausschließlich auf Eingaben. “Zu den Aufgaben gehört auch die Beobachtung des Mark-

MELDUNG

Sichere Ausweise (BS/bk) Ab dem kommenden Frühjahr werden die Beamtinnen und Beamten der niedersächsischen Polizei mit neuen elektronischen und fälschungsicheren Dienstausweisen ausgestattet. Dazu verfügen sie unter anderem über Sicherheitsmerkmale wie Mikroschriften, in Sicherheitsfolie eingelassene Hologramme und einen Druck, der erst unter UV-Licht sichtbar wird. Neben den Sicherheitsaspekten können mit den eingearbeiteten Chips Arbeitszeiten erfasst und die Ausweise als Zugangskarte

genutzt werden. Die Ausweise sollen eine Gültigkeit von zehn Jahren haben und deshalb keine Angaben über den Dienstgrad machen. Die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen wird die Dienstausweise im kommenden Jahr produzieren. Die Kosten je Ausweis liegen voraussichtlich unter 15 Euro. Das niedersächsische Innenministerium hatte die Pläne schon im vergangenen Jahr vorgestellt und schafft damit als eins der letzten Bundesländer den Dienstausweis aus Papier ab.

tes und der Forschung”, so PVAPräsident Dr. Jörg Michaelis. Eine Art Technologie-Monitoring, um im Blick zu haben, welche digitalen Trends in den nächsten Jahren relevant werden und welche vielleicht schon den Reifegrad für eine praktische Umsetzung erreicht haben. Michaelis: “Wenn sich Bedarfe und Chancen auftun, soll das InnoLab Partner in Industrie und Forschung suchen, um die Nutzungsmöglichkeiten von Technologien auszuloten und ggf. Prototypen als Nachweis der Produktfähigkeit zu entwickeln.” Entscheidend ist für den PVAPräsidenten, dass die Initiative für Innovationen von der Nutzerseite kommt. So sind Anforderungen aus der polizeilichen Praxis von Anfang an ausschlaggebend für die Technikgestaltung. Dieser praktischen Ausrichtung entspricht auch die personelle Besetzung. Neben Leiter Ralf Köhler arbeiten derzeit drei Polizisten im InnoLab. Dazukommen sollen eine wissenschaftliche Fachkraft und eine, die sich um die Verwaltung von Projektmitteln kümmert. Das schlanke Team solle als eine Art Thinktank von sonstigen Aufgaben unabhängig Ideen nachgehen können, erklärt Michaelis. Die nötige Rückenfreiheit dürfte gegeben sein: Die Einrichtung des InnoLabs geht auf die Initiative des Staatsministers des Innern, Prof. Roland Wöller, zurück – angesiedelt ist es als Stabsstelle direkt beim Präsidenten des Polizeiverwaltungsamtes. Der ist stolz auf die Pionierarbeit. “Sachsen ist das erste Land, das eine Innovationsstelle für die Polizei eingerichtet hat”, sagt Michaelis. Erfahrungen mit dem Lab und aus konkreten Innovationprojekten wolle man gerne mit anderen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben teilen.

Der Gesetzentwurf des Bundeskanzleramts sieht konkrete Eingriffsvoraussetzungen für die Fernmeldeaufklärung vor. Für die Einhaltung der Vorgaben soll ein als oberste Bundesbehörde neu zu schaffender “Unabhängiger Kontrollrat” sorgen. Die neue Rechtsgrundlage für die strategische Aufklärung sei “zum größten Teil die Kodifizierung von Best Practices, die bisher schon im Dienstalltag befolgt worden sind”, so Dr. Gerhard Conrad vom Verein Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland. Problematisch wäre es, wenn die verfassungsmäßigen Ansprüche auch für die Gewinnung von Informationen internationaler Partner gelten müssten. “Wir können uns unter den gegebenen machtpolitischen Verhältnissen nicht erlauben, Forderungen zu stellen, wenn wir von nachrichtdienstlichen Informationen unserer Partner profitieren wollen. Für uns heißt es: Love it or leave it,” sagte Conrad auf der Nachrichtendienstkonferenz des Behörden Spiegel. Für einen positiven Blick warb Dr. Konstantin von Notz (Grüne), stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr): “Lassen Sie uns jetzt die Chance nutzen, den Dienst grundrechtskonform und rechtssicher, aber auch modern und schlagkräftiger aufzustellen.” Bei der Gelegenheit könne die Aufklärung auch technisch auf Stand gebracht werden. So ließe sich auch Kontrolle transparenter und effektiver gestalten, stimmte Dr. Thorsten Wetzling von der Stiftung Neue Verantwortung zu. Beispielsweise durch

Auf der Nachrichtendienstkonferenz wurde über die geeigneten Schlussfolgerungen aus dem BND-Urteil diskutiert. Foto: BS/Stiebel

automatisierte Musteranalyse in protokolierten Nutzeraktivitäten, um missbräuchliche Zugriffe frühzeitig zu erkennen. Bei einer Neuaufstellung der Kontrollstrukturen warnte von Notz vor einer Vorabkontrolle. “Ich rate dringend davon ab, Aufklärungsmaßnahmen im Vorfeld absegnen zu wollen. Sonst geraten wir für naturgemäß riskante Maßnahmen in die Mithaftung.” Das Problem sieht auch Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU), ebenfalls PKGr-Mitglied. Besonders die parlamentarische Kontrolle dürfe nicht in den operativen Bereich hinein regieren. “Das muss die Fachaufsicht leisten, wo es klare Verantwortlichkeiten dafür gibt”, forderte Sensburg. Er warnt davor, im Streben nach Rechtssicherheit immer mehr Kontrollinstanzen zu schaffen. “Ich mache mir Sorgen, dass zwischen bald sieben Kontrollin­ stanzen sowie Ausschüssen und der Fachaufsicht der BND bald die die Hälfte seiner Arbeitskraft nur im Rahmen der Kontrolle aufwendet.” Sensburg plädiert

daher eher für eine Bündelung von Kontrollbefugnissen. Anders sieht es PKGr-Mitglied Uli Grötsch (SPD). “Die bestehende Struktur hat schon ihre Berechtigung, denn die vier Kontrollgremien haben je einen anderen Auftrag, genau wie der Bundesrechnungshof und der Bundesdatenschutzbeauftragte als Aufsichtsbehörden.” Diese Instanzen seien notwendig und könnten auch nicht zusammengeführt werden. Aber: “Verbesserungspotenzial sehe ich in der Zusammenarbeit und Kommunikation. Wir sollten für eine bessere Vernetzung der Gremien untereinander sorgen, um die Kontrolle effizienter gestalten zu können.” Worin sich alle einig sind: Keiner will die Nachrichtendienste an ihrer Arbeit hindern. Noch gibt es Spielraum für eine Neuorganisation der BND-Kontrolle. Vor der parlamentarischen Befassung steht noch die Ressortabstimmung an. Auch eine Verbändeanhörung wäre noch möglich.

Bauernfänger in den Sozialen Netzen Rechtextremismus auf Instagram (BS/df) Über Rechtsextremismus wird in etwa so gern gesprochen wie über Filzläuse bei der Marine. Aber ebenso wie medizinisch geschulte Soldaten vor jedem Landgang über mögliche Folgen zwischenmenschlichen Kontaktes referieren, muss auch die Diskussion über mögliche Folgen des Kontaktes in den Sozialen Medien stattfinden. Correctiv hat eine entsprechende Analyse von Instagram vorgelegt und zeigt dabei auf, wie leicht sich Menschen in rechten Netzwerken verlieren können und dadurch mit den entsprechenden Filterblasen indoktriniert werden, auch wenn sie von Haus aus keinerlei rechtsradikale Tendenzen mitbrachten. Der Fall des ehemaligen Leiters der Social-Media-Abteilung der Bundeswehr, Marcel B., dessen Karriere durch Liken von zweifelhaften Instagram-Fotos ins Stocken kam, hat kaum Lehren hinterlassen. Viel zu schnell wurde ein Schutzschirm um den – wahrscheinlich – unschuldigen und einfach unbedarft handelnden Soldaten gezogen. Dabei wäre eine Analyse viel interessanter, wie er in solche Kreise gelangen konnte. Wie die Kreise der Rechtsradikalen, der Identitären Bewegung, arbeiten, sodass diesen Bauernfängern sogar bisher eher liberal und freiheitlich eingestellte Soldaten ins Netz gehen konnten. Die Gefahr besteht schließlich nicht in ein paar Likes unter Buchfotos, sondern darin, sich zunehmend mit von Rechtsradikalen gesteuerten Informationen zu umgeben. Es bildet sich eine Filterblase, durch die dann vermehrt nur noch Informationen aus dem rechten Spektrum angezeigt werden. Was der Mensch allerdings häufiger sieht, das beginnt er auch für die Wahrheit zu halten. So werden dann Flüchtlinge beispielsweise für Schmarotzer oder Drogendealer gehalten, Muslime für gewalttätig und Muslimas für unterdrückt. Ohne ein korrigierendes Element bestimmt irgendwann das rechte Denken die Timeline und somit

Durch Soziale Medien können Beamtinnen und Beamte von Bundeswehr und Sicherheitsbehörden schnell in rechtsextremistische Kreise gelangen. Foto: BS/Thomas Ulrich, pixabay.com

auch die Weltwahrnehmung des Menschen. Gefördert durch die Algorithmen der Sozialen Netzwerke, die dem Leser nur das zeigen wollen, was er vermeintlich interessant findet und was Menschen mit ähnlichen Interessen oder aus dem “Freundeskreis” – bei zunehmendem Liken von rechtsextremen Accounts also völkische Inhalte – ebenfalls geliked haben. Mit der Erforschung und Analyse genau dieser Vorgänge, der hierfür entscheidenden Accounts, Hashtags und Pläne der rechtsradikalen Verbindungen, befasste sich ein Journalistenteam des Mediums Correctiv.

Über ein Jahr lang wurden Verbindungen hergestellt, Insider und Aussteiger befragt, Hashtags analysiert. Das Ergebnis zeichnet eine sehr gut geplante und professionell durchgeführte InfoOp, mit der junge Rechtsextremisten neue Jünger rekrutieren. Der Beitrag ist allein schon deshalb lesenswert, um zu begreifen, wie schnell sich auch eigentlich politisch neutrale Beamte in diese Netzwerke verstricken können. Hier hilft kein Weggucken, sondern nur ein Sensibilisieren, damit die Beamten in der Lage sind, erste Anzeichen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend auf Distanz zu gehen.


70 Jahre GDP

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Vertreter des Rechtsstaats

B

ehörden Spiegel: Herr Malchow, “Die Polizei, dein Freund und Helfer” war früher Leitbild für das Verhältnis von Polizei und Bürgerinnen und Bürgern. Was ist davon heute noch übrig? Malchow: Bei einem Zuspruch von über 80 Prozent in der Bevölkerung ist das Leitbild, Freund und Helfer zu sein, immer noch gesellschaftlich akzeptiert. Wenn man die jungen Bewerber nach ihrer Motivation dazu fragt, zur Polizei zu wollen, lautet die Antwort oft, sie wollen einen Beruf ausüben, bei dem sie für die Bürgerinnen und Bürger da sein können. Es geht Ihnen nicht darum, eine Uniform zu tragen oder mit Waffen ausgestattet zu werden und körperliche Gewalt anwenden zu können. Das ist überhaupt nicht das Ziel. Die meisten wollen wirklich Freund und Helfer sein. Natürlich ist das schwer in Situationen, in denen man Aggression und Hass ausgesetzt ist. Aber grundsätzlich gibt es eine positive Grundeinstellung der Bürger gegenüber der Polizei und die Kolleginnen und Kollegen identifizieren sich nach wie vor mit dem Bild des Freund und Helfers. Wir haben immer viel Wert auf einen Demokratisierungsprozess hin zu einer Bürgerpolizei gelegt, die hohe Akzeptanz genießt, deeskalierend eingreift und ihre Gewaltkompetenzen nur dann einsetzt, wenn nichts anderes mehr möglich scheint. Die Polizei benötigt Vertrauen in der Bevölkerung, damit sie gut arbeiten kann. Behörden Spiegel: Entwicklungen zu mehr Bewaffnung und zur Ausstattung mit Tasern und Bodycams begünstigen physische Distanz. Geht damit die Nähe zum Bürger verloren? Malchow: Genau aufgrund dieser Befürchtung haben wir intensive Debatten über Bodycams und Taser geführt. Wie können wir verhindern, abschreckend zu wirken? Wie können wir die Nähe zum Bürger aufrechterhalten? Weil uns das Bild der Bürgerpolizei sehr wichtig ist, sind unsere Antworten sehr differenziert. Es sollte nicht immer jeder Kollege mit Tasern ausgestattet werden, sondern es sollte abgewogen werden, wann das Mitführen wirklich sinnvoll oder notwendig ist. Ähnliche Diskussionen hatten wir über Schutzwesten, weil auch diese Distanz fördern. Dazu kommt, dass Polizisten heute auch aus Gründen der Eigensicherung mehr Distanz in Einsatztrainings üben und dann auch im Einsatz eher Abstand halten. Entscheidend ist, wie man auf den Bürger zugeht, wie man mit ihm kommuniziert, mit welchem Gesichtsausdruck man ihm begegnet. Das bekommen unsere Kollegen nach wie vor gut hin und können damit die Distanz

Behörden Spiegel / November 2020

“Die meisten wollen Freund und Helfer sein” (BS) Fälle von rechtsextremistischen Umtrieben haben zuletzt ein schlechtes Licht auf die Polizei geworfen. Dabei hat der überwiegende Teil nichts für dieses Gedankengut einiger weniger übrig, so die feste Überzeugung des Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow. Benjamin Stiebel sprach mit ihm über das Berufsethos von Polizistinnen und Polizisten.

Oliver Malchow ist Kriminaloberrat und seit 2013 Bundesvorsitzender der GdP.

gut überbrücken, die vielleicht durch die Schutzausstattung und die Einsatzausrüstung entstehen könnte. Behörden Spiegel: Trotz Verschärfungen im Strafgesetzbuch nehmen Angriffe auf Polizisten zu. Was muss zum Schutz noch getan werden? Malchow: Tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte mit dem § 114 Strafgesetzbuch unter Strafe zu stellen, war ein wichtiger Schritt, der auf eine Initiative der GdP zurückgeht. Damit hat der Staat deutlich gemacht, dass er Angriffe auf Vollzugsbeamte und Rettungskräfte nicht akzeptiert. Mit bis zu fünf Jahren hat das Strafmaß auch eine empfindliche Höhe angenommen. Jetzt kommt es darauf an, dass Gerichte diesen Straftatbestand auch wahrnehmen und noch stärker zur Anwendung bringen. Natürlich werden auch Straftaten begangen, obwohl es das Strafgesetzbuch gibt. Insofern kann das nicht die einzige Maßnahme sein. Die Ausstattung mit Schutzausstattung und Bodycams muss weitergehen. Wir müssen sicherlich auch die Personaldisposition bei Einsätzen im Auge behalten. In bestimmten Brennpunkten müssen wir mehr Personal einsetzen, um durch Demonstration von Stärke Aggressionen von vornherein zu unterbinden und um zu zeigen, wer das Sagen auf der Straße hat: Nämlich diejenigen, die für die Sicherheit der Bürger zuständig sind und das Gewaltmonopol haben. Behörden Spiegel: Was kann die Polizei noch tun? Malchow: Wir müssen lernen, mit Gewalt gegen die Polizei besser umzugehen und Angreifer schneller in den Griff zu bekommen. Darauf müssen wir in Einsatz-

Foto: BS/GdP, Hagen Immel

trainings noch mehr Wert legen. Letztlich stehen uns auch nur die Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die gesetzlich vorgesehen sind. Die Polizei muss auch bei Angriffen auf sie selbst auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit bleiben. Das ist die Messlatte, an der das Vertrauen der Bürger festgemacht wird. Das wird das Entscheidende sein: Den Kurs nicht zu verlieren, rechtstaatlich zu agieren und den Angriffen einiger weniger selbstbewusst gegenüberzustehen, in dem Wissen, dass wir dafür ausgebildet sind. Die steigende Aggressivität nicht nur gegen die Polizei, sondern auch in der Bevölkerung, sehen wir mit Sorge. Dieses Problems müssen wir uns als Gesellschaft bewusst werden. Es ist wichtig, sich als Bürger gegen Gewalt und Hass zu erheben und das müssen wir deutlich zum Ausdruck bringen und unterstützen. Da sind schon einige Dinge auf den Weg gebracht worden. So hat der Bundesinnenminister eine entsprechende Kampagne gestartet und auch wir als Gewerkschaft der Polizei haben eine Kampagne auf den Weg gebracht. Das sind nur einzelne Schritte und man wird sich keine schnellen Erfolge versprechen können. Wir werden diese Debatte in den nächsten Jahren weiterführen müssen. Behörden Spiegel: Jüngst wurden immer wieder Fälle von extremistischen Umtrieben in der Polizei bekannt. Nun soll es eine großangelegte Studie zu Rassismus in der Gesellschaft und in der Polizei geben. Ist das der richtige Weg? Malchow: Wir wollen uns einer Überprüfung nicht entziehen. Aber es kann jetzt nicht um die Frage gehen, ob es Extremismus in der Polizei gibt. Den gibt es, wie jeder einzelne aufgedeckte Fall zeigt. Ein strukturelles Pro-

blem, wie von einigen Politikern vermutet, sehe ich aber nicht. Denn das würde ja heißen, dass die polizeilichen Strukturen so aussehen, dass Menschen in der Organisation zu rechtsextremistischem Gedankengut kommen. Das ist vollkommen verkehrt. Ich glaube, die weit überwiegende Mehrheit meiner Kollegen vertritt die Rechtsstaatlichkeit und hält von diesem extremistischen Gedankengut überhaupt nichts. Da gibt es ein Berufsethos und das wollen wir als Gewerkschaft der Polizei auch weiterhin stärken. Die Frage ist doch eher: Wie kommt es –, obwohl es ein Auswahlverfahren gibt, obwohl es eine entsprechende Aus- und Fortbildung gibt – dass Leute im Laufe ihres Berufslebens derartige Denkweisen entwickeln? Wir denken, dass da auch die Belastung der Kollegen in den Blick genommen werden muss. Wie können sie eigentlich Herz und Kopf freikriegen nach ihren Einsatzbelastungen? Wie viel Zeit ist für die Nachbearbeitung da und um in der Dienstgruppe oder mit Vorgesetzten über Problemlagen zu sprechen? Behörden Spiegel: Denkbar ist auch, dass solches Gedankengut in die Organisation hineingetragen wird. Das versuchen einige Länder mit einer Regelabfrage von Polizeianwärtern bei den Verfassungsschutzämtern zu verhindern. Ein hilfreiches Instrument?

Malchow: So eine Anfrage kann man machen, aber ich glaube nicht, dass das viel Erfolg verspricht. Wo die Fachhochschulreife gefordert ist, fangen in der Regel 18- bis 19-Jährige bei der Polizei an. Da, wo wir noch den mittleren Dienst haben, sind sie sogar erst 16. Ich glaube nicht, dass diese Anfrage uns bei diesen jungen Leuten viele Treffer bringen wird. Als Polizist ist man ein Vertreter des Staates und schwört einen Amtseid auf die Verfassung. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass man dann nicht Rechtsextremist oder Reichsbürger sein kann. Warum diese Menschen dann trotzdem eintreten, erschließt sich mir überhaupt nicht. Vielleicht wollen sie Macht ausüben oder sich über andere stellen können. Aber es wird meiner Meinung nach eine verschwindend geringe Zahl sein, die man aufgrund der Regelabfrage ausschließen muss. Ich denke, dass extremes Gedankengut in der Regel nicht in die Polizei hineingetragen wird, sondern sich eher aufgrund belastender Situationen entwickelt, die vielleicht mit dem Dienst selbst zu tun haben, aber genauso auch im privaten Umfeld vorliegen können. Behörden Spiegel: Gewerkschaften ziehen ihre Stärke im Wesentlichen aus der Zahl ihrer Mitglieder. Wie will die GdP in den kommen

Jahren neue Mitglieder gewinnen, besonders in den nachrückenden Generationen? Malchow: Wir sind jetzt bei rund 194.000 Mitgliedern. Nach meiner Prognose schaffen wir noch dieses Jahr 195.000 oder 196.000. Wir haben viel Zuwachs, was auch mit den hohen Einstellungszahlen der letzten Jahre zusammenhängt. Dazu kommt, dass im Vergleich zu anderen Gewerkschaften bei uns nicht viele mit Beginn des Ruhestands austreten. Eine Gewerkschaftsmüdigkeit ist auch nicht zu erkennen bei den jungen Leuten. Der Wunsch, eine Interessenvertretung zu haben, ist groß. Wir sind gerade auch bei jungen Leuten ziemlich gut organisiert. Ich denke, wir Punkten da mit unseren Werten. Wenn sie Freund und Helfer sein wollen, müssen sie demokratische Werte vertreten und genau das tun wir auch als Gewerkschaft der Polizei. Das ist viel wichtiger als geringe Mitgliedsbeiträge oder Werbegeschenke, mit denen andere locken, aber keine Inhalte haben. Wir wollen den jungen Leuten neben dem Beruf eine Gewerkschaft bieten, bei der sie auf die Mitgliedschaft stolz sein können und auf das, wofür man damit steht und wofür man damit kämpft. Nämlich für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit und für Menschenrechte, wie es auch in unserer Satzung festgehalten ist. Insofern denke ich, wir bieten ein attraktives Angebot unabhängig von Rechtsschutz oder Beratungsleistungen. Bei uns stimmt das Grundfundament und wenn wir das an die jungen Leute heranbringen, sind wir auch ein Garant dafür, dass wir weiter eine rechtsstaatliche Polizei haben.

Neue Aufgabengebiete Polizei als attraktiver Arbeitgeber (BS/Niels Sahling) Es wird für Polizeibehörden immer schwieriger, ausreichend geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Die Versäumnisse der letzten zehn Jahre versucht die Politik mit aktuell hohen Einstellungszahlen aufzuholen. Durch den generellen Fachkräftemangel müssen sich die Polizeien der Länder und des Bundes neue Wege überlegen, um am freien Arbeitsmarkt für neue Polizistinnen und Polizisten attraktiv zu sein. Dabei sollen weiterhin die Anforderungen, die für unseren Berufszweig notwendig sind, beibehalten werden. Neue Wege der Bewerberansprache werden mittlerweile durch öffentlichkeitswirksame Werbekampagnen und die verschiedenen Sozialen Medien umgesetzt. Eben da, wo sich die jungen, potenziellen Bewerber aufhalten. Haben wir dann Interessentinnen und Interessenten für unseren Beruf begeistert und sind bei den Einstellungsverfahren vorstellig, sollten sich die Bewertungen der einzelnen Einstellungstests nach den heutigen Anforderungen als Polizist richten. Es sollen schließlich nicht Bewertungskriterien der Vergangenheit den ausschlaggebenden Punkt geben. Zum Beispiel das Verbot von Tätowierungen, welches in der PDV 300 geregelt ist, wie auch gesundheitliche Kriterien. Fähigkeit und Fertigkeit sollten im Vordergrund stehen und nicht, ob der Interessent ein Tattoo hat. Nichtsdestotrotz muss jedes sichtbare Tattoo einzeln bewertet werden, auch danach, wie die Interpretation in der Gesellschaft sein könnte. Persönlich empfinde ich eine Reduktion eines Menschen als ungeeignete Person für den Polizeivollzugsdienst aufgrund kleinerer Abweichungen von der “Norm” als nicht mehr zeitgemäß. Individualität im beruflichen Alltag fördert ein gutes Arbeitsklima, so habe ich es zumindest während meiner Zeit bei der Hamburger Polizei erlebt. Eine weitere Veränderung ist die Rekrutierung von sogenannten MINT-Spezialistinnen und Spezialisten. Damit sind die Berufsgruppen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gemeint. Diese Bereiche spielen in den Polizeien der Länder und des Bundes durch die fortlaufende Digitalisierung und neue Metho-

2019 “Eine Generation meldet sich zu Wort”, in der knapp über 2.500 Niels Sahling ist Bundesjugendvorsitzender der JUNGEN junge Menschen GRUPPE der GdP. im Alter von 12 bis 25 Jahren Foto: BS/GdP, Hagen Immel befragt wurden. 90 Prozent sprechen sich hier für ein “Gutes Familienleben” aus, wasas bedeutet, den in der Verbrechensbekämp- dass gerade junge Erwachsene fung eine immer wichtigere Rolle. Familien gründen wollen und Gerade in der Fallaufklärung in dafür das nötige Kleingeld benöden verschiedenen Bereichen, wie tigen. Jeder Dritte möchte sich Cyber Crime, Wirtschaftskrimi- auch in seinem persönlichen nalität, Terrorismusbekämpfung Lebensstandard verwirklichen und der kriminaltechnischen Un- und das auch im höheren Segtersuchung, um nur ein paar ment, also ein Eigenheim bauen, wenige Bereiche zu benennen. vielleicht auch in den eigenen Formell sollten die MINT-Spe- Pkw investieren oder doch eher zialisten mindestens doppelte in das Lastenfahrrad, da das Anwärterbezüge und ein höheres “Umweltbewusste Verhalten” bei Einstiegsamt bekommen, um 71 Prozent noch vor dem “Hoviele neue geeignete Kolleginnen hen Lebensstandard” liegt. Ich für meinen Teil möchte lieber in und Kollegen zu erreichen. jungen Jahren mehr verdienen Zeitgemäße Besoldung notund dafür auf einen stärkeren wendig Anstieg im Alter verzichten. Es sollte außerdem überdacht Wir müssen anfangen, uns zu werden, ob die aktuellen Arbeits- verändern, bevor wir verändert bedingungen und Besoldungs- werden. strukturen noch zeitgemäß sind. Für Veränderung steht die Junge Am Anfang der polizeilichen Kar- Gruppe (GdP) mit ihren knapp riere wird aktuell wenig verdient. 56.000 Mitgliedern. Und das Höhere Gehälter werden erst bereits seit 54 Jahren. Auch durch Beförderungen und Erfah- in Zukunft stehen wir für eine rungsstufen ermöglicht. Häufig angenehme Brise (wie der Nordwird jedoch in jungen Jahren deutsche sagt) von Veränderung mehr Geld benötigt. Belege da- in der Polizei, Politik und Gesellzu findet man beispielsweise in schaft. Kollegial, offensiv und der 18. Shell Jugendstudie von solidarisch!


70 Jahre GDP

Behörden Spiegel / November 2020

Gut gewappnet?

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ehörden Spiegel: Herr Radek, die Große Koalition hatte sich die Überarbeitung des Bundespolizeigesetzes vorgenommen. Nun gibt es viel Streit über die Inhalte und das Vorhaben droht zu scheitern. Was wäre Ihnen lieber: eine “Novelle light” ohne die strittigen Punkte oder ein neuer Anlauf in der nächsten Legislaturperiode?

Radek: Wir haben als Gewerkschaft der Polizei eine ganz klare Erwartungshaltung. Wir brauchen ein zeitgemäßes Gesetz für die Bundespolizei, weil ihre Aufgaben sich in den letzten Jahren verändert haben. Wir sind heute wesentlich präsenter im internationalen Einsatz. Dafür brauchen wir solide Rechtsgrundlagen. Außerdem stehen wir neuen Herausforderungen im Digitalen gegenüber – auch in dem Bereich brauchen wir rechtssichere Grundlagen für unser polizeiliches Handeln. Das sind schon mal zwei wichtige Gründe für eine Novelle des Bundespolizeigesetzes. Leider wird es nicht der große Wurf werden. Als Polizeipraktiker muss ich sagen, dann ist es mir lieber, den kleinsten gemeinsamen Nenner umzusetzen, als am Versuch des großen Wurfs gänzlich zu scheitern. Behörden Spiegel: Ein Streitthema betrifft die Videoüberwachung mit Gesichtserkennung. Es gab dazu einen Pilotversuch der Bundespolizei am Bahnhof Südkreuz in Berlin. Damit konnten aber nicht alle von der Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit überzeugt werden. Können Sie das Misstrauen nachvollziehen? Radek: Einerseits sind die Bürgerinnen und Bürger bereit, ihre intimsten Daten im Netz preiszugeben, wenn es um Konsum geht. Aber wo es Sicherheit und Ordnung dient, haben sie Vorbehalte. Ich könnte mich jetzt in Kulturkritik üben und sagen: Liebe Bürger, das passt nicht zusammen. Meine Haltung ist aber eine andere. Wenn dieser Widerspruch besteht, dann ist der Staat in der Pflicht, besser zu kommunizieren, warum wir diese Technologie brauchen und in welchem Maße wir sie brauchen, um Gefahren abzuwehren. Wir müssen darüber aufklären, warum wir diese Daten erheben wollen und was genau damit passiert. Das müssen wir dem Bürger verständlich machen, aber auch im Dialog seine Sorgen ernstnehmen. Als Polizist möchte ich eines auf

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Voraussetzungen für gute Polizeiarbeit schaffen (BS) Aufgaben und Herausforderungen für die Polizei nehmen zu. Um die Qualität der Polizeiarbeit weiter hochzuhalten, müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Das fordert Jörg Radek, Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei der Gewerkschaft der Polizei (GdP), im Gespräch mit Benjamin Stiebel. Neben der Personalstärke geht es ihm um Kompetenzen, klare Rechtsgrundlagen und eine zeitgemäße Interessenvertretung.

Jörg Radek ist Polizeihauptkommissar und seit 2010 stellvertretender Bundesvorsitzender der GdP. Vorstand des Bezirks Bundespolizei ist er seit 2014.

keinen Fall: Dass eine Technik zum Einsatz kommt, ohne dass die rechtlichen Grundlagen klar definiert sind. Wenn uns am Ende gesagt wird, Daten seien widerrechtlich erhoben worden, bringt uns das als Polizei in Misskredit. Behörden Spiegel: Uneinigkeit besteht auch bezüglich der Zuständigkeitsgrenzen der Bundespolizei. Braucht es eine Ausweitung der Kompetenzen? Radek: Als Sonderpolizei des Bundes hat uns das Verfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben, dass dieser Charakter gewahrt bleiben muss. Und das ist auch richtig so, denn Polizei ist Ländersache. Aber Kriminalität macht nicht an Grenzen Schluss und ist auch nicht vorbei, wenn ich Zuständigkeitsbereiche überschreite. Als Bundespolizei bekämpfen wir insbesondere die grenzüberschreitende Kriminalität und ich glaube, wir tun gut daran, über eine Ausweitung der Zuständigkeit von 30 auf 50 Kilometer nachzudenken. Es wäre sinnvoll, in Kooperation mit den Ländern viel stärker in die Fahndung gehen zu können. Unsere Kollegen haben den Fachverstand und wollen die Fälle endermitteln. Das sollten wir ihnen ermöglichen. Behörden Spiegel: Gibt es denn Unterstützung aus den Ländern für eine Ausweitung?

Foto: BS/Stiebel

Radek: Das ist unterschiedlich. Es gibt Länder, die es als Entlastung sehen und als Plus für das Sicherheitsgefühl. Andere, wie Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, sehen das eher skeptisch und lehnen aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Ich kann das verstehen und nehme die Vorbehalte sehr ernst. Man muss den Dingen Zeit zum Reifen geben. Eine Möglichkeit wäre, das Thema individuell unterschiedlich in Staatsverträgen zu regeln. Behörden Spiegel: Ebenfalls erneuert wird das Personalvertretungsgesetz. Das erste Mal seit 40 Jahren. Sind sie mit dem Ergebnis zufrieden? Radek: Ein großer Wurf ist auch das nicht geworden, weil die Ansprüche der Arbeitgeberseite und der Gewerkschaften zu unterschiedlich waren. Man hat sich auf einen Minimalkonsens verständigt. Ich hätte mir gewünscht, dass man eine größere Teilhabe bei der Mitarbeitervertretung im Öffentlichen Dienst organisiert und Mitbestimmungsrechte stärker verankert. Jede Aufgabe, die Verwaltung und Polizei haben, wird von Menschen erfüllt. Deswegen müsste man die sozialen Belange viel stärker berücksichtigen. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir die Möglichkeit von Sanktionen im

Personalvertretungsrecht stärker hätten betonen müssen. Wenn Arbeitgeber sich immer wieder gegen Mitbestimmung versperren, kann es nicht sein, dass Personalräte sich ihr Recht erst über Gerichte erstreiten müssen. Das ist nicht mehr zeitgemäß und hat erst recht nichts mit Demokratieförderung in der öffentlichen Verwaltung zu tun. Jetzt hat man sich bei der Novelle aber eher auf pandemiebedingte Punkte konzentriert, wie die Organisation von Videokonferenzen. Und auch da stoßen Gegensätze aufeinander. Die einen sehen darin Einsparpotenzial. Dabei verkennt man, dass es für den Meinungsbildungsprozess

eine Gremienarbeit, einen Dialog und den demokratischen Widerspruch braucht. Das kann eine Videokonferenz nicht leisten. So oder so, dass man sich auf solche organisatorischen Fragen beschränkt, ist mir deutlich zu wenig. Behörden Spiegel: Die öffentliche Hand wendet während der Corona-Pandemie enorme Summen für Wirtschaftshilfen auf. Zudem ist in den nächsten Jahren mit geringeren Steuereinnahmen zu rechnen. Befürchten Sie finanzielle und personelle Einschränkungen für die Polizei? Radek: Die Sorge besteht durch-

aus. Es gab schon vor der Pandemie Einsparungen. Was wir jüngst an neuem Personal bekommen haben und was uns noch zusätzlich an Aufwuchs bis 2025 versprochen wurde, ist zum größten Teil die Kompensation dafür, was zuvor nicht eingestellt worden war. Ich hoffe, dass entsprechend erkannt wird, das nun nicht nachgelassen werden darf. Pandemie hin oder her, wir müssen nach wie vor unsere Aufgaben erfüllen. Und die sind nicht nur vielfältiger, sondern auch umfangreicher geworden, davon künden schon unsere Überstundenzahlen. Wir müssen uns am europäischen Außengrenzschutz beteiligen. Wir müssen für die Flughafensicherheit und für die Luftsicherheit sorgen. Wir hatten vor der Pandemie einen Anstieg an Flugreisen, der sich mit der Erholung der Wirtschaft auch fortsetzen wird. Das alles muss bewältigt werden und dafür muss die personelle Mehrung

Der große Unterschied Frauen in Führungspositionen bei der Polizei (BS/Erika Krause-Schöne) Nach wie vor ist das Thema Frauen in Führungspositionen der Polizei ein hitzig diskutiertes Thema. Als zu Beginn der 80er-Jahre erstmals Frauen in den Polizeivollzugsdienst eingestellt wurden, ging man davon aus, dass das bereits zu erahnende Problem fehlender weiblicher Führungskräfte sich im Laufe der Zeit “herauswachsen” – sich also von selbst lösen – würde. Dass auch heute, ganze vierzig Jahre später, Frauen in Spitzenpositionen nach wie vor die Ausnahme bilden, zeigt eindrucksvoll, dass dies nicht der Fall ist. Zahlreiche Statistiken und Studien belegen, dass Frauen deutlich seltener in Führungspositionen aufsteigen als ihre männlichen Kollegen. Während junge Polizistinnen am Anfang ihrer Laufbahn oft zu den Leistungsträgerinnen gehören, wird dieses Potenzial offenkundig nicht fortführend genutzt. Dieses Phänomen, das auch als “gläserne Decke” bekannt ist, lässt sich in vielen Branchen beobachten. Aber wie kann es gelingen, mehr Frauen in polizeiliche Führungspositionen zu bringen? Verschiedene Wege sind denkbar, aber ohne eine zielorientierte, geförderte Karriereentwicklung geht es nicht! Verbindliche gesetzliche Regelungen sind nötig, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen nachhaltig zu erhöhen. Transparente, vergleichbare und verpflichtende Beurteilungskriterien sind eine Möglichkeit, um die strukturelle Benachteiligung von Frauen bei Beurteilungen zu minimieren. Dies belegen auch die beiden von der GdP initiierten Studien der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) zum Thema gendergerechte Beurteilung in der Polizei. Eine weitere Option stellt eine Quotenregelung dar, die darauf zielt, Frauen gemäß ihres Anteils an der Gesamtzahl der Beschäftigten zu befördern. Auch standardisierte Potenzialanalysen können dazu beitragen, objektive Förderungs-

Teilzeit – Möglichkeiten und Grenzen im PolizeivollErika Krause-Schöne ist zugsdienst” hin, Bundesfrauenvorsitzende welche ebenfalls der GdP. auf Initiative der GdP durchgeführt Foto: BS/GdP, Hagen Immel wurde. Alle Studienergebnisse zeigen deutlich: an Frau allein liegt es entscheidungen zu treffen. Durch nicht, wenn nur wenige Frauen gezielte Ansprache, kombiniert in Spitzenpositionen ankommen. mit organisatorischen Anpas- Niedersachsen und Schleswigsungen, können auch “Unent- Holstein zeigen exemplarisch, schlossene” motiviert und für wie strukturelle Frauenförderung Führungspositionen gewonnen – beispielsweise durch Mentowerden. Organisationskulturelle ringprogramme – gelingen kann. Veränderungen und neue Mo- Frauen in Führungspositionen delle, wie beispielsweise Füh- der Polizei sollten genauso selbstrung als Tandem (Frau/Mann), verständlich werden, wie Frauen bilden die Basis für eine höhe- in der Polizei. Deshalb legen wir re Vereinbarkeit. Darauf weist als GdP bei dieser Fragen beauch die HBS-Studie “Führen in ständig den Finger in die Wunde.


70 Jahre GdP

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Behörden Spiegel / November 2020

Eine für alle Gewerkschaftsarbeit in sieben Jahrzehnten (BS) Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist mit über 194.000 Mitgliedern die größte Polizeigewerkschaft der Welt. Sie vertritt die beruflichen und gesellschaftlichen Interessen aller Beschäftigten und ehemals Beschäftigten der Polizei, also der Polizistinnen und Polizisten, der Verwaltungsbeamten und der Tarifbeschäftigten. Kernanliegen der GdP sind die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie das Beamten- und Arbeitsrecht. Dazu beteiligt sie sich an politischen Diskussionen, wirkt auf die Gesetzgebung ein, schließt Tarifverträge ab, verhandelt mit Dienstherren und unterstützt Personalräte.

Altersstruktur

Frauenanteil

Beamte und Tarifbeschäftigte

Bund und Länder

22.552 Tarifbeschäftigte

29.352 Mitglieder auf Bundesebene (Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Zoll)

34.411 Senioren 51.262 Frauen

55.432 Junge 104.505 übrige Mitglieder

143.085 Männer

164.996 Mitglieder aus den Landesbezirken

171.796 Beamte

Quelle Mitgliederzahlen: BS/GdP (zum Stichtag 30. September 2020)

-Meilensteine

1950 Die GdP wird in Hamburg gegründet.

1951 Auf dem 1. Delegierten-Kongress der GdP wird der Grundstein für die Einheitslaufbahn der Polizei gelegt.

1957 Nach einer zwei Jahre andauernden Protestwelle in vielen Städten beschließt der Bundestag die von der GdP geforderte Höherstufung der Polizei.

1959 Die GdP wird offiziell als Spitzenorganisation nach § 94 Bundesbeamtengesetz anerkannt. Fortan ist sie an Gesprächen zu beamtenrechtlichen Gesetzesvorhaben beteiligt.

Foto: BBS/vDP GmbH

1978 Die GdP wird Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund.

1960 Erster Abschluss von Anschlusstarifverträgen für die Polizei. Damit ist die Tariffähigkeit der GdP ausdrücklich bestätigt.

1971

Die GdP mobilisiert 30.000 Mitglieder, nachdem die Übertragung der Besoldungszuständigkeit auf den Bund Hoffnung auf strukturelle Verbesserungen enttäuscht hat. In der Folge beschließt der Bundesrat nachträglich Verbesserungen. Foto: BS/DP

1987 Der gewerkschaftliche Einsatz für eine angemessene Entschädigung des Dienstes zu ungünstigen Zeiten führt zur Einführung einer Stunden­ pauschale für Polizeivollzugsbeamte.

1990 Der überwiegende Teil der Mitglieder der in der DDR nach der Wende neu gegründeten Gewerkschaft der Volkspolizei (GdVP) schließt sich der GdP an.

2002 Gemeinsam mit der Innenministerkonferenz stellt die GdP eine Studie zur Gewalt gegen Polizeibeamte vor.

2006 Auf Ersuchen der GdP beginnt die Bundes­anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ein dreijähriges Forschungsprojekt zu Posttraumatischen Belastungsstörungen im Polizeidienst.

2010 Mit dem Behörden Spiegel konzipiert und veranstaltet die GdP den ersten gemeinsamen Polizeitag. (mehr zum Veranstaltungsformat auf Seite 49)

2015

1991 In den neuen Bundesländern demonstriert die GdP für den schnelleren Aufbau demokratischer Polizeistrukturen.

1998

Die GdP setzt sich für die Angleichung der Ostgehälter an das Westniveau ein. Foto: BS/DP

Der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow (r.) übergibt auf der Frühjahrs-IMK eine Petition zur Einführung eines Straftatbestandes zur Ahndung tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte. Dieser wird 2017 als § 114 in das Strafgesetzbuch eingeführt. Foto: BS/Holecek

2017 Nach dem Austritt aus EuroCOP eröffnet die GdP in Brüssel eine Verbindungsstelle.


70 Jahre GDP

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Kommentar

Moderne Politik für das Alter 47 Jahre Seniorenvertretung in der GdP

Seit 70 Jahren im Einsatz

(BS/H. Werner Fischer) Jubiläen werden genutzt, um Bilanz zu ziehen, Erreichtes zu loben, aber auch kritisch die Vergangenheit zu überprüfen und Ideen für künftige Aufgaben zu entwickeln. Seit 1973, also 23 Jahre nach Gründung der Gewerkschaft der Polizei (GdP), wird dem besonderen Umstand Rechnung getragen, dass sie die Interessen und Anliegen der Ruheständlerinnen und Ruheständler vertritt, die sich von denen der “Aktiven” im Beruf in vielen Bereichen unterscheiden. Am Anfang war die Seniorenarbeit oft geprägt vom Einsatz für die beamten- und versorgungsrechtlichen Belange der “Ruheständler” und die “Fachvertretung” von Interessen einzelner Betroffener. Besonderes Augenmerk wird aber seither auf eine aktive Seniorenarbeit vor Ort gelegt. Die GdP-Mitglieder, die der Seniorengruppe angehören, sollen erfahren, dass ihre GdP auch nach dem Berufsleben noch für sie und ihre Interessen da ist. Aber es gilt eben auch, gerade in einem Jubiläumsjahr, nach vorn zu blicken und künftige Aufgaben zu formulieren. Wir Seniorinnen und Senioren in der GdP wollen eine moderne Politik für das Alter, die die Potenziale und Herausforderungen des demografischen Wandels aufgreift und nutzt. Wir setzen auf eine stärkere Beteiligung lebensälterer Menschen an der (gewerkschafts-)politischen Willensbildung.

Seniorenarbeit zeitgemäß und zukunftsfähig gestalten Der GdP-Bundesseniorenvorstand (BSV) arbeitet auch daran, eine Vision von einer zeitgemäßen und zugleich zukunftsfähigen Seniorenarbeit in der GdP zu verwirklichen. Alle unsere Mitglieder, aber auch alle Beschäftigten in der Polizei sowie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Anregungen. Wir lassen uns leiten vom Gedanken der Begleitung unserer Mitglieder während ihres Berufslebens in der H. Werner Fischer ist Mitglied des Geschäftsführenden VorPolizei, aber auch stands der Seniorengruppe nach dem Eintritt der GdP. in den Ruhestand. Foto: BS/privat Als politische Organisation vertreten wir die beruflichen, sozialen und kultu“Die größte Kulturleistung rellen Interessen eines Volkes sind unserer Mitglieder. Wir bieten die zufriedenen Alten.” Leistungen, die Japanisches Sprichwort unsere Mitglieder absichern und auf und unsere Kooperationspartner ihre Bedürfnisse zugeschnitten sollen unser Handeln daran mes- sind. Die Zukunft stellt uns dasen können. Im Zentrum unseres bei vor mächtige Aufgaben. Die diesbezüglichen Einsatzes sollen Veränderungen in der Gesellfür uns insbesondere diejenigen schaft erfordern neues Denken. Mitglieder stehen, die kurz vor Unsere Arbeit orientiert sich an dem Ruhestand stehen oder sich den Interessen unserer Mitgliebereits im Ruhestand befinden. der und deren Problemen. Wir Die Wünsche und Bedürfnisse laden jeden ein, uns auf diesem dieser Mitglieder sollen Grund- Weg zu begleiten. Miteinander ist lage unserer Arbeit sein. Ihre der Schlüssel zum gemeinsamen Zufriedenheit ist für uns oberster Erfolg. Damit wir in der größten Qualitätsmaßstab. Darüber hi- Polizeigewerkschaft unseres Lannaus laden wir alle Kolleginnen des Kraft und Durchsetzungsverund Kollegen im Polizeidienst und mögen haben und die Politik an im Ruhestand – auch wenn sie uns nicht vorbei regieren kann, nicht Mitglieder der GdP sind – brauchen wir weiterhin die Sodazu ein, sich mit uns solidarisch lidarität aller Kolleginnen und zu zeigen und sind offen für deren Kollegen.

Foto: BS/DGB, Detlef Eden

Behörden Spiegel / November 2020

Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

(BS) Fragt man die Menschen in Deutschland, welche Berufsgruppen bei ihnen ein besonders hohes Ansehen genießen, dann landen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zu Recht regelmäßig auf einem der vorderen Plätze. Ohne die Kolleginnen und Kollegen wäre ein Leben in Sicherheit nicht möglich. Obwohl ihr Arbeitsalltag geprägt ist von Überstunden, Personalmangel, maroden Dienstgebäuden und einer mangelhaften Ausrüstung, stehen sie mit großem Einsatz für Recht und Ordnung in diesem Land ein. Und dennoch, Polizistinnen und Polizisten gehören zu jenen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die tagtäglich angefeindet oder angegangen werden. Das liegt auch daran, wie wir in Deutschland mit dem öffentlichen Dienst insgesamt umgegangen sind in den letzten Jahren. Für eine Gesellschaft bleibt es nicht ohne Folgen, wenn Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge gestrichen, eingeschränkt, privatisiert oder gebührenpflichtig werden. Wir haben immer wieder davor gewarnt, im Öffentlichen Dienst Personal einzusparen und notwendige Investitionen in Gebäude, Ausrüstung und Weiterbildung zu unterlassen. Wenn sich der Staat aus der Fläche zurückzieht, hinterlässt

das gefährliche Leerstellen. Die Idee des “Schlanken Staates” hat sich längst überholt. Die CoronaPandemie macht das deutlich. Denn vor allem dem Engagement der Beschäftigten ist es zu verdanken, dass sich Deutschland in den letzten Monaten handlungs- und leistungsfähig gezeigt hat. Das Mehr an Arbeit konnte bislang mit vereinten Kräften bewältigt werden. So unterstützt beispielsweise die Bundespolizei die Bahn und die Polizeien der Länder bei der Kontrolle der Maskenpflicht in Bahnhöfen und Zügen. Doch auf Dauer kann dies den Beschäftigten nicht zugemutet werden. Es braucht dringend mehr Schultern, auf denen die Last verteilt werden kann. Dies galt schon vor der Pandemie, jetzt erst recht. Die Bürgerinnen und Bürger wollen darauf vertrauen können, dass auf ihre Polizei, ihren Staat Verlass ist. Dass es gerecht zugeht in unserem Land, dass alle Menschen teilhaben können, dass Missstände beseitigt werden, niemand zurückgelassen und geltendes Recht konsequent angewandt wird. Dort, wo der Staat seine Aufgaben nur noch schlecht erfüllt, drohen seine Beschäftigten die Blitzableiter der mit der Situation unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger

zu werden. Das merken Polizistinnen und Polizisten täglich. Hinzu kommt, dass dadurch auch unser gesellschaftlicher und politischer Grundkonsens und die Solidarität als Prinzip unseres Miteinanders immer wieder infrage gestellt werden. Ein funktionierender und leistungsfähiger Öffentlicher Dienst ist ein wichtiger Baustein für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Dabei kommt einer bürgernahen und in der Mitte der Gesellschaft verankerten Polizei eine wichtige Funktion zu. Die Lebensqualität der Menschen im Land hängt auch von der Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge ab. Diese Qualität kann nur hoch sein, wenn die Politik bereit ist, die erforderlichen Gelder in die Hand zu nehmen: für genügend Personal, angemessene Gehälter und gute Arbeitsbedingungen. Dafür setzt sich der DGB, dafür setzt sich die GdP seit 70 Jahren ein. Die GdP als Deutschlands größte Interessenvertretung der Polizistinnen und Polizisten legt den Finger in die Wunde und macht deutlich: Die Beschäftigten bei den Polizeien, aber auch die des gesamten Öffentlichen Dienstes haben Anerkennung und Wertschätzung verdient. Reiner Hoffmann

Vernetzung ist das neue Stichwort

Zehn Jahre Polizeitage

Axel Kukuk über die neue Generation Digitalfunkgeräte

GdP und Behörden Spiegel setzen Zusammenarbeit fort

(BS) “Sprache war, ist und bleibt die Kernfunktionalität des Funkgerätes”, betont Axel Kukuk, verantwortlich bei Motorola Solutions für die Länder (BS/stb) Im 70. Jahr des Bestehens der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Deutschland, Österreich, Luxemburg und die Schweiz. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel thematisiert er die neuen Anforderungen an Digi- ist auch die Zusammenarbeit mit dem Behörden Spiegel ein Meilenstein. talfunkgeräte und stellt das neue Motorola Solutions MXP600 vor. Die Fragen stellte Jörn Fieseler. Vor zehn Jahren wurde in Hannover der erste gemeinsame Polizeitag durchgeführt. Seitdem ist die Reihe neben dem “großen Bruder” Eurochen Einsatzkräfte überhaupt päischer Polizeikongress zur festen Größe im Veranstaltungskalender Behörden Spiegel: Die Pande- einzigartig aufgestellt. Wir sind noch mehrere Geräte? mie hat die Aufgabenbereiche der das einzige Unternehmen, das derjenigen geworden, die sich regelmäßig über aktuelle innenpolitische Sicherheitsbehörden erweitert. die komplette Bandbreite an Themen und für die Sicherheitsbehörden relevante Entwicklungen inforKukuk: In Gefahrensituationen mieren und austauschen wollen. Welche Rolle spielt die Kommu- Kommunikationslösungen zur nikation?

Verfügung stellen kann.

Kukuk: Die Herausforderungen waren schon vorher groß: Eine Flut von Daten, die analysiert werden muss, komplexere Einsatzlagen und die steigende Zahl von Angriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter. Durch Corona haben sich die Anforderungen nochmals verschärft. Weitere Aufgaben sind hinzugekommen, wie die Durchsetzung der Corona-Regeln. Auf der anderen Seite steht die Ressourcenfrage. Fest steht, dass Krisenlagen nicht ohne eine sichere und zuverlässige Kommunikation bewältigt werden können.

Behörden Spiegel: Welche Bedeutung hat der deutsche Markt für Ihr Unternehmen?

Behörden Spiegel: Motorola Solutions beliefert weltweit viele Sicherheitsbehörden und Militärs. Wo liegen die Stärken des Portfolios? Kukuk: Wir haben drei Überzeugungen: Erstens, Kommunikation entscheidet über den Ausgang von Lagen. Zweitens, Entscheidung sind dann besser, wenn man sich auf ein möglichst klares Lagebild berufen kann. Das heißt, nicht alle Informationen müssen vorhanden sein, aber die richtigen Informationen zur richtigen Zeit. Und drittens, die beste Situationsanalyse und Entscheidung hat keinen Wert, wenn sie nicht sicher kommuniziert werden kann. Das ist die Grundüberzeugung von Motorola Solutions. Daran ist das gesamte Portfolio des Unternehmens ausgerichtet. Zudem folgt unser Portfolio den Anforderungen unserer Kunden. Und: Wir sind

Kukuk: Deutschland ist ein sehr wichtiger Markt für uns und wir sind seit über 50 Jahren in Deutschland zu Hause. Der TETRA-Standard ist hauptsächlich in Europa verbreitet. Das deutsche TETRA-System hat rund 900.000 Endgeräte bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten im Einsatz. Alles, was wir für den deutschen Markt brauchen, wird an Standorten in Deutschland oder in den Nachbarländern der Bundesrepublik produziert. Die Wertschöpfung findet an unseren eigenen Standorten und denen unserer 16 Partner für den BOSFunk statt. Aber: Das alles wäre nicht möglich, wenn nicht jeder unserer Mitarbeiter verstehen würde, in welchem Bereich wir uns bewegen. Für Einsatzkräfte darf es keinen Zeitverzug bei Lieferungen geben. Auch nicht in Pandemiezeiten. Unsere Mitarbeiter haben in den letzten Monaten einen enormen Einsatzwillen und eine sehr große Leistungsbereitschaft gezeigt und die hohen Serviceansprüche erfüllt, die wir an uns selbst stellen. Das ist eine großartige Leistung und darauf bin ich sehr stolz. Behörden Spiegel: Motorola Solutions hat ein neues TETRAFunkgerät vorgestellt. Welche Anforderungen haben die Kunden an die Geräte der nächsten Generation?

Axel Kukuk ist Country Manager von Motorola Solutions in Deutschland und verantwortet darüber hinaus das Geschäft in Österreich, der Schweiz und Luxemburg. F oto: BS/Motorola Solution

Kukuk: Die Anforderungen unserer Kunden lassen sich auf folgende Schlagworte herun­ terbrechen: Audio-Qualität, Größe, Gewicht, Akkulaufzeit, Empfangsleistung sowie Handhabung. Hinzu kommt heute der wichtige Aspekt der Vernetzung. Ein Funkgerät muss sich mit dem übrigen Equipment der Einsatzkräfte sicher vernetzen können. Dazu gehören Bodycams oder Smartphones. Gerade die jüngeren Generationen sind es gewohnt, vernetzt und mobil zu arbeiten. Unser neues MXP600TETRA-Funkgerät wird diesen Anforderungen gerecht. Über die M-RadioControl-App kann ein Polizist das Funkgerät sogar über sein Smartphone bedienen, sodass er beispielsweise im Bereich verdeckter Ermittlungen sein Funkgerät nicht sichtbar tragen muss, aber dennoch Zugriff auf alle Funktionen hat. Der Bluetooth-5.0-Standard bietet dazu eine sichere Verbindung. Darüber hinaus forderten unsere Kunden, Software-Updates von unterwegs aus durchführen zu können. Behörden Spiegel: Wozu brau-

ist die ausfallsichere Sprachübertragung über das Funkgerät mit seiner intuitiven Bedienung immer die erste Wahl. Durch das MXP600 können andere Anforderungen reduziert werden. Zum Beispiel wird ein Handmikrofon durch die neue Trageweise überflüssig. Und statt mehrere Geräte gleichzeitig bedienen zu müssen, können Einsatzkräfte je nach Situation intuitiv das für sie richtige wählen, um auch die andere Geräte zu aktivieren. Behörden Spiegel: Unterscheiden sich die Anforderungen von Polizei und Militär und wie reagieren Sie darauf? Kukuk: Selbstverständlich variieren die Anforderungen. Die Technik darf dabei kein Selbstzweck sein, sondern muss die Menschen bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen – egal welche Uniform sie tragen. Aufgrund unserer Marktführerschaft im Bereich der Blaulicht-Kommunikation können wir allerdings auch viele Lösungen als sogenannte MOTS-Produkte, also “Military-off-the-Shelf-Produkte” anbieten. Wir nutzen hier Plattformvorteile, die die Verwendung eines Standards wie beispielsweise TETRA bietet. Die MOTSProdukte sind dann zusätzlich speziell auf die Bedürfnisse des Militärs angepasst und entsprechend gehärtet. Hierdurch ergeben sich dann für die Bundeswehr Vorteile in der Inter­ operabilität auf Ebene der NATO und der EU sowie erhebliche Kostenvorteile bei gleichzeitiger Steigerung des Einsatzwertes.

Die Polizeitage wandern durch die Republik und werden abwechselnd in verschiedenen Städten durchgeführt, immer in Kooperation mit dem jeweiligen GdP-Landesbezirk. Entsprechend werden regelmäßig länderspezifische Themen aufgegriffen, ohne aber die großen Diskussionslinien im Bereich Polizei und Innere Sicherheit in Deutschland aus dem Blick zu verlieren. Wiederkehrende Schwerpunktthemen der Veranstaltungen sind die personelle und technische Ausstattung, rechtliche Grundlagen der Polizeiarbeit, Wertschätzung und der Umgang mit Gewalt gegen Vollzugsbeamte. Zu den Referenten gehören Innenministerinnen und -minister bzw. Senatorinnen und Senatoren genauso wie Behördenleiterinnen und -leiter und Vertreterinnen und Vertreter aus der Polizeipraxis, aus der Gewerkschaftsarbeit, aus der Politik und aus der Industrie. Seit 2010 haben über 3.000 Teilnehmerin-

nen und Teilnehmer bei rund 25 Polizeitagen die Gelegenheit zum fachlichen Austausch genutzt. Damit ist längst nicht Schluss. Noch im Jahr 2020 finden drei weitere Polizeitag statt. Am 23. Februar 2021 geht es in Kiel um die “Polizei der Zukunft: rechtlich, technisch, digital und taktisch gut aufgestellt”. Am 15. Dezember ist der Polizeitag in Düsseldorf dem Thema “Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte” gewidmet. Für die Sicherheit sorgt jeweils ein umfangreiches Hygienekonzept, das unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten entworfen und mit den lokalen Gesundheitsbehörden abgestimmt wird. Weitere Informationen unter www.poli zeitage.de. Neben den beiden Präsenzveranstaltungen gibt es im Jubiläumsjahr außerdem eine Premiere. Am 4. Dezember wird der erste rein digitale Polizeitag stattfinden. Weitere Informationen zum neuen Format folgen.

Fortbilden, austauschen, diskutieren: Die Polizeitage des Behörden Spiegel und der GdP sind Anlaufpunkt für Polizeipraktiker und alle, die für die Innere Sicherheit arbeiten. (Foto: Polizeitag Erfurt 2019) Foto: BS/Feldmann


Katastrophenschutz

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Behörden Spiegel / November 2020

“Wer wird behandelt, wer nicht?”

Neuer Wahltermin beim DFV

Erster Brand- und Katastrophenschutztag in Wiesbaden

Feuerwehrverband: digitale Versammlung 2021

(BS/bk) Mit den steigenden Infektionszahlen, der begrenzten Anzahl an Intensivbetten in deutschen Krankenhäusern und den Bildern aus Italien (BS/bk) Nachdem die Wahl des Präsidenten des Deutschen Feuerwehr­ und Frankreich vom Anfang dieses Jahres wird nun eine unangenehme, aber wichtige Frage wieder stärker diskutiert: Welche Patienten sollen bei verbands (DFV) aufgrund der Corona-Pandemie im Oktober abgesagt begrenzten medizinischen Ressourcen prioritär behandelt werden? wurde, steht nun ein neuer Termin fest. Die 67. Delegiertenversammlung des DFV soll am 27. Februar 2021 als digitale Sitzung stattfinden. Dies fallmedizin (DIVI), betrachtet die haben die Ordentlichen Mitglieder des Verbands beschlossen. Für die Triage, also die Einteilung von medizinischen Hilfeleistungen bei knappen Ressourcen, gibt es keinerlei gesetzliche Normen, wie bei Extremsituationen vorzugehen ist. Der Pandemieplan, der zu Beginn der Corona-Krise aus der Schublade gezogen wurde, gibt dabei nur Empfehlungen. Juristen haben zu dem Einteilungsverfahren mehrere mögliche Standpunkte formuliert. So könnte unter anderem nach dem Prinzip “first come, first serve” nach Losverfahren oder nach zu erwartender Lebensdauer des Patienten die Triage durchgeführt werden.

Entscheidung liegt bei den Medizinern Gegen diese Einteilung wehrte sich Prof. Dr. med. Leo Latasch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM), auf dem Brand- und Katastrophenschutztag in Wiesbaden massiv. Die DGKM vertrete die Auffassung, dass eine prognostische Aussage zur Erfolgsaussicht der Behandlung in der Anfangsphase auf keinen Fall möglich sei. Ebenso seien die Entscheidungskriterien von Alter, Herkunft oder Behinderung sowie die genannten juristischen Standpunkte aus Medizin-ethischer Sicht nicht vertretbar. Latasch ist der Überzeugung: “Der Patient, der am schlimmsten betroffen ist, soll auch die maximale therapeutische Behandlung erhalten.” Weiter stellt er klar: “Juristen

B

ehörden Spiegel: Frau Dr. Helmerichs, warum gab es diesen Konsensus-Prozess in der Psychosozialen Notfallversorgung, und was ist das?

Dr. Jutta Helmerichs: Um das zu erklären, muss ich ein paar Jahrzehnte zurückgehen. Große Schadenslagen wie das Flugschau-Unglück in Ramstein oder das Zugunglück in Eschede haben damals zu der Erkenntnis geführt, dass die gute technische Ausstattung und das gute medizinische Know-how im Einsatzwesen durch eine psychosoziale Hilfe ergänzt werden muss. Dass die psychosoziale Versorgung der Betroffenen von Schadenslagen und von belasteten Einsatzkräften elementar wichtig ist, um psychische Folgeschäden zu vermeiden. Eine bundesweit vernetzte Community von Praktikern fing damals an, dieses Thema zu bearbeiten. Ich selbst habe damals in Eschede die psychosoziale Nachsorge für die Einsatzkräfte geleitet. Es wurde uns bald klar, dass wir einheitliche Qualitätsstandards gewährleisten und eine wissenschaftliche Grundlage schaffen mussten. So entwickelte sich die Idee für den Konsensus-Prozess. Behörden Spiegel: Welche Rolle hat das BBK dabei gespielt? Dr. Helmerichs: Unser Amt hat den Konsensus-Prozess angestoßen und moderiert. Nachdem die wissenschaftlichen Grundlagen gelegt wurden, startete er über einen Zeitraum von 2007 bis 2010. In drei Konferenzen wurden die Ergebnisse, die in Arbeitsgruppen erarbeitet wurden, diskutiert und abgestimmt. Am Ende standen die gemeinsamen bundeseinheitlichen Qualitätsstandards und Leitlinien: Eine Leistung von insgesamt 40 beteiligten Organisationen mit ihren 120 Delegierten. Nach meiner heutigen Einschätzung war es ein sehr gelungener Prozess. Ein wesentlicher

Prof. Dr. med. Leo Latasch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM), sieht die Entscheidungskompetenzen bei Medizinern. Er sprach auf dem Brand- und Katastrophenschutztag in Wiesbaden. Foto: BS/Klawon

haben nicht über eine Behandlung zu entscheiden, sondern Mediziner.” Eine Entscheidung darf nur aufgrund rein medizinischer Basis getroffen werden. In ihrer Orientierungshilfe schreibt die DGKM: “Klinisch-ethisch empfehlen wir, auf Behandlung derer zu verzichten, bei denen keinerlei Erfolgsaussicht gegeben ist.” Für eine Behandlung müsse jede Entscheidung individuell und patientenzentriert durchgeführt werden. Außerdem müsse die Therapie von mehreren Personen entschieden werden. Grundsätzlich müsse zudem das Entscheidungsverfahren transparent und nachvollziehbar sein.

Latasch sieht jedoch nicht den Mangel an medizinischen Ressourcen wie Beatmungsgeräten, als problematisch an, sondern den Mangel an Ärzten, Sanitätern und Pflegekräften. Es gebe nicht genügend Personal, um ein hohes Patientenaufkommen zu versorgen. Der Mediziner sieht dabei die Bundes- und die Landesregierungen in der Pflicht, für eine bessere Versorgung und Personalausstattung zu sorgen.

Sorge um intensiv­ medizinische Versorgung Prof. Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Not-

aktuelle Entwicklung mit Sorge: “Wir Intensivmediziner befürchten, bei weiter steigenden Infektionszahlen die intensivmedizinische Versorgung in Deutschland bald nicht mehr in vollem Umfang gewährleisten zu können!” In der überarbeiteten Fassung zum Thema Triage mit dem Titel “Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der Covid-19-Pandemie” schreiben die Mediziner, dass sich die Behandlung von Patienten einerseits am Bedarf des einzelnen Patienten orientieren müsse, jedoch komme bei Mittelknappheit zusätzlich eine überindividuelle Perspektive hinzu. Die DIVI empfiehlt deshalb, eine Intensivtherapie nicht durchzuführen, wenn der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen hat, die Therapie als “medizinisch aussichtslos” eingeschätzt wird oder ein Überleben an den dauerhaften Aufenthalt auf einer Intensivstation gebunden ist. Bei einer Ressourcenknappheit soll sich die Priorisierung von Patienten am “Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht” orientieren. Dabei darf weder Alter, Grunderkrankung oder Behinderung eine Rolle spielen. “Es geht darum, Gerechtigkeit in der Ungerechtigkeit zu finden”, so Latasch zum Dilemma bei der Verteilung von knappen Mitteln. Eine Entscheidung auf einer rein medizinischen Grundlage sei der einzig richtige Weg.

Als Konsequenz der Verschiebung muss jedoch das Wahlverfahren erneut eröffnet werden, sodass sich auch die Fristen verlängern und die Wahl zu keinem früheren Zeitpunkt stattfinden kann. Die neue Wahlausschreibung soll zeitnah geschehen. Eine digitale Delegiertenversammlung sieht das Regelwerk des DFV nicht vor, diese kann jedoch aufgrund des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie aus dem März dieses Jahres durchgeführt werden. Nach diesem Gesetz können virtuelle Versammlungen auch ohne entsprechenden Passus in der Satzung stattfinden. Schon für den letzten Termin wurde eine digitale Versammlung geprüft, aber nicht realisiert. “Die überwiegende Mehrheit der Ordentlichen Mitglieder hätte

MELDUNG

Katretter-App eingeführt (BS/bk) In Berlin wurde die Smartphone-App “Katretter” eingeführt. Die Applikation alarmiert registrierte Ersthelferinnen und -helfer, die sich in der Nähe eines Notfalles aufgrund eines Herz-Kreislaufstillstandes befinden. Die App wird von der Leitstelle der Berliner Feuerwehr ausgelöst und übermittelt die Koordinaten der Einsatzstelle

“Eine Bewegung aus der Praxis heraus” Psychosoziale Notfallversorgung nach zehn Jahren Konsensus-Prozess (BS) Neben der guten medizinischen Behandlung nimmt die psychosoziale Betreuung von Verletzten und Einsatzkräften bei großen Schadens­ lagen eine besondere Rolle ein. Aber auch zehn Jahre nach dem Konsensus-Prozess gebe es noch Handlungsbedarf in der Qualitätssicherung der Psychosozialen Notfallversorgung, meint Dr. Jutta Helmerichs, Referatsleiterin für Psychosoziales Krisenmanagement im Bundesamt für Bevöl­ kerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Volontär Bennet Klawon. Grund für den Erfolg lag darin, dass das BBK ein institutionelles Zentrum gebildet hat und Neutralität mitbrachte. Trotz so vieler Akteure, die natürlich auch unterschiedliche Standpunkte vertraten, konnten wir auf diese Weise einen wichtigen gemeinsamen Meilenstein der Qualitätssicherung schaffen.

“Wir brauchen eine ­ echtsgrundlage für die R ­Psychosoziale Notfallversorgung.” Dr. Jutta Helmerichs ist Soziologin und Referatsleiterin für Psychosoziales Krisenmanagement im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Foto: BS/privat

Behörden Spiegel: Warum ist Psychosoziale Notfallversorgung überhaupt wichtig? Dr. Helmerichs: Der etwas sperrige Begriff Psychosoziale Notfallversorgung, abgekürzt PSNV, bezeichnet eine Versorgungsstruktur im Kontext von Notfällen, schweren Unglücksfällen und Katastrophen, die sich seit den 1990er-Jahren entwickelt hat. Auch durch internationale Erfahrungen und Studien hatte man erkannt, dass es wichtig ist, schon sehr früh, entweder präventiv oder in der Akutsituation selbst, Hilfe anzubieten. Das ist der Grundgedanke. Damals etablierten sich Notfallseelsorge, Krisenintervention, Notfallpsychologie oder – bezogen auf Einsatzkräfte – ein sogenanntes unterstützendes Peer-System: Einsatzkräfte im Haupt- und Ehrenamt aus allen Bereichen

sprechend ausgebildete Kollegen bzw. Kameraden sowohl präventiv als auch akut und mittelfristig vor dem Hintergrund potenziell belastender Schadenslagen unterstützt. Es wurden Versorgungsangebote sowohl für die Betroffenen als auch für die Einsatzkräfte aufgebaut. Das war eine Bewegung aus der Praxis des Einsatzwesens heraus. Behörden Spiegel: Was hat das BBK neben der Moderation des Konsensus-Prozesses zur Qualitätssicherung der PSNV unternommen? Dr. Helmerichs: Das BBK hat verschiedene Forschungsprojekte

“Ein wesentlicher Grund für den Erfolg lag darin, dass das BBK ein institutionelles Zentrum gebildet hat.” – Feuerwehr, Rettungsdienst, Polizei, letztlich auch die Bundeswehr, das THW – und deren Angehörige werden durch ent-

zur Wirksamkeit von Nachsorge und zur Qualifizierung in der PSNV in Auftrag gegeben, damit man eine Grundlage für die

Qualitätssicherung hat. Schließlich waren die Angebote der psychosozialen Betreuung sehr heterogen. Die Anbieter aus den Kommunen, den Ländern, den Einsatzorganisationen suchten nach einer fachlichen Orientierung. Bis heute bildet das BBK eine Plattform für Austausch und Fachentwicklung der PSNV und führt die Akteure, die die PSNV in Deutschland verantworten und umsetzen, regelmäßig zusammen. B ehörden Spiegel: Was hat sich dann noch in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich getan? Dr. Helmerichs: Sehr vieles. Zum einen ist der Ausbau der sogenannten Landeszentralstellen PSNV vorangetrieben worden. Wir haben mittlerweile elf Länder, in denen die Innenbehörden Stellen eingerichtet haben, die möglichst alle PSNV-Belange in dem jeweiligen Land bündeln: die Qualitätssicherung vorantreiben, die Akteure immer wieder an einen Tisch bringen und das Fach weiterentwickeln. Das ist

die Durchführung im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid19-Pandemie mitgetragen. Um hier jedoch ein rechtssicheres Verfahren zu gewährleisten, war eine neue Entscheidung erforderlich”, erklärte Hermann Schreck, DFV-Vizepräsident und Ständiger Vertreter des Präsidenten. Die Präsenzwahl sollte eigentlich am 24. Oktober mit 172 Delegierten in Fulda stattfinden. Eine Wahl ist nötig geworden, nachdem Ende vergangenen Jahres der damalige DFV-Präsident Hartmut Ziebs zurückgetreten war. Es ging ein langer interner Streit im Verband voran. Der Konflikt entzündete sich an Personalentscheidungen und Ziebs‘ Warnung vor rechtsnationalen Tendenzen in der Feuerwehr.

eine echte Erfolgsgeschichte. Auf Basis der Konsensus-Ergebnisse wurden erste Standards für die Ausbildung in der PSNV erarbeitet, eine wichtige Orientierung für alle Einrichtungen, die PSNVKräfte ausbilden. Als Drittes hat das BBK die Ausbildung von PSNV-Führungskräften, also der Leiter für PSNV vor Ort oder der Fachberater in den Stäben, vorangetrieben. Die formulierte Leitlinie aus dem Konsensus-Prozess hat das BBK in Train-the-Trainer-Schulungen an unserer Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) umgesetzt. So werden Multiplikatoren für die Feuerwehrschulen und Hilfsorganisationen ausgebildet. Behörden Spiegel: Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der PSNV in der Praxis? Dr. Helmerichs: Wir haben ein flächendeckendes System der PSNV in Deutschland. Jede Kommune verfügt über ein Angebot. Dort arbeiten engagierte

an die App. So sollen die Ersthelfer schnell vor Ort sein und Reanimationen durchführen. Die Berliner Feuerwehr begann 2019 mit dem Probebetrieb der App. Zum Ende der Erprobungsphase waren bereits 1.500 Menschen registriert. In den Anfangsmonaten waren bei fast einem Drittel der Reanimationsalarme auch Ersthelfende am Notfallort.

Kolleginnen und Kollegen. In den Hilfsorganisationen, in den Feuerwehren, dem THW, in allen Einsatzorganisationen gibt es eine hohe Akzeptanz für die Systeme – sowohl für die Einsatzkräfte als auch für die Betroffenen. Die Systeme sind zwar aufgrund von regionalen Besonderheiten unterschiedlich ausgestaltet, orientieren sich aber an den Ergebnissen des Konsensus-Prozesses. Das ist ein großer Erfolg. Behörden Spiegel: Gibt es denn weiteren Handlungsbedarf im Bereich der PSNV? Dr. Helmerichs: Ja. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Zertifizierung der Qualifizierung der PSNV-Kräfte. Außerdem haben große Schadens- und Terrorlagen der jüngsten Vergangenheit gezeigt, dass wir nicht nur die Akutversorgung im Bereich PSNV ausarbeiten müssen, sondern auch die mittel- und langfristige Versorgung nach Anschlägen und Katastrophen verbessern müssen. Hier braucht es dann eine sogenannte anlassbezogene und auf einige Monate befristete Koordinierungsstelle PSNV am Schadensort bzw. im betroffenen Bundesland, die dann als zentrale Stelle mit anderen unterstützenden Stellen, auch den zurzeit entstehenden Opferschutzstellen auf Länderebene, kooperiert. Diese Koordinierungsstellen müssen verbindlich für die Länder und Kommunen sein. Aber vor allem: Es muss eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Wir brauchen eine Rechtsgrundlage für die Psychosoziale Notfallversorgung bezogen auf alle Ebenen: für die Betroffenen in einer Notsituation und für die Einsatzkräfte. Das bezieht sich auf die Akutsituation, aber auch auf die mittel- und langfristige Betreuung. Wenn wir diese Grundlage haben, dann sind wir einen großen Schritt weiter.


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Behörden Spiegel / November 2020

Vertragsunterzeichnung STH noch in diesem Jahr

MELDUNG

NATO Space Center in Deutschland (BS/df) Ramstein wird der Sitz des neuen NATO Space Centers, dessen Aufstellung die Verteidigungsminister Ende Oktober beschlossen haben. Es wird in die Ramstein Air Base integriert, die bereits das Hauptquartier des Allied Air Command der NATO ist. Dieses Space Center wird laut NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg “unsere wichtigste Anlaufstelle, um NATO-Missionen mit Kommunikation und Satellitenbildern zu unterstützen, Informationen über potenzielle Gefahren für Satelliten auszutauschen und unsere Handlungen in dieser entscheidenden Domäne zu koordinieren”. Stoltenberg konkretisierte: “Unser Ziel ist nicht die Militarisierung des Weltraums, sondern die Schärfung des Bewusstseins für die Herausforderungen im Weltraum innerhalb der NATO.” Ein Vertreter der NATO ergänzte gegenüber dem Behörden Spiegel: “Der Weltraum wird für die NATO immer wichtiger, auch für unsere Fähigkeit zur Navigation, zur Sammlung von Informationen, zur Kommunikation und zur Erkennung von Raketenstarts. Daher ist es wichtig, dass das Bündnis über ein gutes Wissen zu den Geschehnissen im Weltraum verfügt, dass wir weiterhin einen zuverlässigen Zugang zu Weltraumdiensten haben und dass das Bündnis seinen technologischen Vorsprung bewahrt. Das Zentrum wird unter Nutzung der bestehenden Infrastruktur eingerichtet und zunächst Personal einsetzen, das bereits beim Alliierten Luftwaffenkommando in Ramstein arbeitet. Wir gehen davon aus, dass das Zentrum in den kommenden Monaten seine Arbeit aufnehmen kann.”

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Bundeswehr kauft Schweren Transporthubschrauber von der Stange (BS/Dorothee Frank) Die Beschaffung des neuen Schweren Transporthubschraubers für die Bundeswehr schien nach dem Ausstieg aus dem Wettbewerb ins Stocken zu geraten, dabei erweist sich gerade dieser Ausstieg als Beschleuniger, weil es den Weg frei macht, tatsächlich von der Stange zu kaufen. Die Zielsetzung ist, bis Ende dieses Jahres einen Vertrag zu haben. Das BMVg plant, in einen Foreign Military Sales (FMS) Case einzutreten. Dies bedeutet, dass marktverfügbare Hubschrauber aus den USA gekauft werden. Es bedeutet allerdings auch, dass die durchgehende Kontrolle aller Hubschrauber und des dazugehörenden Materials gegeben sein muss. Amerika behält sich das Recht vor, jederzeit zu kontrollieren, ob ihr Gerät nicht heimlich verkauft oder verändert wurde. Hinzu kommen strenge Auflagen in Bezug auf die Verwendung der Waffensysteme. Trotz dieser Nachteile bedeutet ein FMS-Case, dass die Bundeswehr schnell einen neuen einsatzfähigen Transporthubschrauber erhält, statt dass sich Verhandlungen und Vertragsausarbeitungsprozesse über weitere Jahre hinziehen. Es wäre nicht der erste FMS-Case für Deutschland. Von Ausbildung und logistischer Unterstützung für die Tornados über unbemannte Systeme (MQ-9 und MQ-4C Triton), bemannte Flugzeuge (C-130J und KC-130J) bis zu den Interceptors PAC-3 MSE reicht die Bandbreite jüngste FMS-Cases mit Deutschland. Durch dieses Einsteigen in einen FMS-Case können die Landstreitkräfte somit die Luftbeweglichkeit erhalten, mit modernem und einsatzerprobtem Gerät. Schließlich wartet die Bundeswehr bereits seit Jahren auf die Nachfolger der veralteten CH-53G.

Zu lange und zu teuer Schon im Dezember 2017 hatte der damalige Generalinspekteur General Volker Wieker die CH-47

Haubitze wird von einer CH-47 Chinook in Afghanistan abgeholt. Foto: BS/Mark Doran, U.S. Army

Chinook von Boeing und die CH53K King Stallion von Sikorsky als die einzigen infrage kommenden Modelle für den Schweren Transporthubschrauber (STH) festgelegt, um den dringenden Bedarf an Lufttransportkapazitäten für die Landstreitkräfte zu decken. Die Ausschreibung begann allerdings erst im Juni 2019, Lockheed Martin (Sikorsky) und Boeing gaben ihre Angebote bis Januar 2020 fristgerecht ab, das Vergabeverfahren wurde im September 2020 gestoppt. Zu hoch waren die Preisvorstellungen der beiden Anbieter. Diese enorme Preissteigerung – die Bundeswehr hatte knapp sechs Milliarden Euro für bis zu 60 Hubschrauber veranschlagt, die Industrie legte Entwürfe mit über zehn Milliarden Euro vor – ergab sich allerdings aus den gewünschten Zusatzfunktionen. Besonders auf die Luftwaffe und das Kommando Spezialkräfte ist zurückzuführen, dass der STH

auch den Bereich Combat Search and Rescue sowie Special Forces abdecken sollte. Beides erfordert Funktionalitäten und Anpassungen, die sich am oberen Ende der technischen Leistungsskala befinden und dementsprechend kosten. Beim nun anstehenden Kauf gilt hingegen “back to the basics”. Es wird ein Transporthubschrauber, der “nur” Truppen transportiert. Damit wäre die Frage auch implizit wieder offen, wer diesen Hubschrauber, der auf die Landoperationen ausgerichtet sein wird, zukünftig fliegen und betreiben wird. Denn es handelt sich nicht um Luftoperationen.

Moderne CH-53K King Stallion Ein Vorteil der CH-53K King Stallion ist, dass es sich um ein Design des 21. Jahrhunderts handelt. Der Hubschrauber wurde gemeinsam mit dem U.S. Marine Corps entwickelt und dort

erst im Jahr 2018 eingeführt, während die Chinook bereits 1966 in Dienst gestellt wurde. Der Hersteller wirbt zudem damit, dass es sich bei der King Stallion um einer mit intelligenten Systemen ausgestatteten, zuverlässigen und wartungsarmen Hubschrauber handele, der zudem als aktuell einziger Schwerstlasthubschrauber bis 2032 und darüber hinaus in Produktion bleiben werde. Dank der engen Entwicklungszusammenarbeit mir dem Marine Corps verfügt die King Stallion zudem über eine Ausrichtung auf Spezialeinsätze, der den meisten Chinook-Modellen fehlt. Hinzu kommen ein größerer Laderaum und eine höhere mögliche Zuladung. Die Anschaffungskosten der King Stallion liegen zwar über denen der Chinook, allerdings soll dies durch spätere günstigere Wartung und Modernisierungsmöglichkeiten ausgeglichen werden.

Vorteile der Chinook Die Chinook ist hingegen das Arbeitstier der Army für Landoperationen, kampferprobt und zuverlässig in allen Klimaregionen der Erde. Sie wurde stetig modernisiert und an neue Herausforderungen angepasst. So erhielt sie erst in diesem Sommer ein verstärktes Triebwerk, mit dem der Hubschrauber eine Leistungssteigerung um 25 Prozent bei einer Reduzierung des Kraftstoffverbrauches um zehn Prozent erhält. Dies nur als Beispiel für die stetigen Modernisierungen, die durch die U.S.

Army schon aus Eigeninteresse vorangetrieben werden. Die Funktionalitäten der Chinook beschränken sich allerdings nicht nur auf typische Hubschrauberoperationen, sie deckt für viele Special Operation Forces weltweit – aus Europa beispielsweise Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Spanien und die Türkei – diesen Bereich ab, weshalb zu hören ist, dass auch das Kommando Spezialkräfte die Chinook favorisiere. Die große Nutzerzahl weltweit ist – im Gegensatz zu der bisher nur im Marine Corps genutzten CH-53K – ebenfalls von Vorteil, da sich europäische oder einsatzbezogene Logistik und Wartung ergeben könnten. Es bleibt dementsprechend zu wünschen, dass dieser neue Zeitplan mit Vertragsschluss noch im Dezember auch durchgehalten wird, damit die Bundeswehr schnellstmöglich wieder über eine nennenswerte Luftbeweglichkeit der Landstreitkräfte verfügt. Aktuell liegt sie schließlich weit unter dem operationell notwendigen Minimum. Die Haushaltsmittel sind ebenfalls bereits reserviert. Der Eintritt in einen FMS-Case ist sicherlich keine ideale Lösung, bleibt allerdings als einziger Ausweg, um überhaupt noch einen Schweren Transporthubschrauber in dieser Legislaturperiode zu erhalten. Hierdurch könnte die Bundeswehr in absehbarer Zeit einen Hubschrauber erhalten, der innerhalb der Preisvorstellungen liegt und bereits vorhanden ist. Im Gegensatz zum ursprünglich erträumten germanisierten STH-Papierkonzept.


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Rüstungsvorhaben der kommenden Jahre D-LBO

Qualifizierte Fliegerabwehr

Die Digitalisierung landbasierter Operationen (D-LBO) ist die Klammer, die alle Vorhaben zur Modernisierung der Landstreitkräfte im Hinblick auf die Führungsfähigkeit der Zukunft und das gläserne Gefechtsfeld umfasst. Die Bandbreite der Vorhaben reicht von der Beschaffung entsprechend befähigter Funkgeräte bis hin zur Studie “Erzeugung eines gläsernen Gefechtsfeldes zur Unterstützung dynamischer Operationen” (ErzUntGlas), bei deren Szenario die mobile, in der Bewegung zeitgleich erfolgende Aufklärung des vor einem liegenden Gefechtsfeldes erfolgt. Ein weiteres wesentliches Element ist das System Panzergrenadier mit dem Schützenpanzer Puma als Mutterschiff bzw. Kommunikationsknoten.

FCAS soll als System alles enthalten, wovon Luftwaffen derzeit träumen, inklusive Remote Carriern, die als begleitende unbemannte Flugzeuge weitere Sensoren, Waffensysteme oder sogar Kleindrohnen transportieren. Mit den Remote Carriern soll das neue Kampfflugzeug – das Next Generation Weapons System (NGWS) – im Verband fliegen, sodass beim Gesamtsystem FCAS auch Manned-Unmanned-Teaming stark zum Tragen kommt.

Die Flugabwehrkapazitäten des Heeres wurden als Teil der sogenannten Friedensdividende komplett abgeschafft und die Heeresflugabwehrtruppe wurde aufgelöst. Ein wirklicher Ersatz für den Gepard, der 2000 ausgephast wurde, oder den Roland, ist nie in die Bundeswehr gekommen. Die zehn Kongsberg-ProtectorAnti-Drohnensysteme wurden wiederum nur beschafft, um die VJTF 2023 abzudecken. Als zweites Projekt gibt es das Vorhaben Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS), das die entsprechende Fähigkeitslücke in der mobilen Luftverteidigung schließen soll. Innerhalb des Teilprojektes 1 “Erstbefähigung Land” steht dabei die Beschaffung von Fahrzeugen zum Schutz vor Feuerwaffen, Lenkflugkörpern, Raketen, Marschflugkörpern und unbemannten Fluggeräten an. Vorgesehen ist ein Umfang von vier Feuereinheiten, die Ausschreibung erfolgt voraussichtlich 2022.

Schwerer Transporthubschrauber

Der Eurofighter befindet sich noch in der Beschaffung, es wird allerdings bereits über Nachfolger nachgedacht. Foto: BS/Bundeswehr Die Bundeswehr plant ein neues Standard-Sturmgewehr als G36-Nachfolger sowie mit D-LBO die digitale Ausrichtung der Landstreitkräfte. Foto: BS/Bundeswehr, Marco Dorow

Die Schaffung einer einheitlichen Architektur und dem Roll-out moderner Systeme in das Heer und in seine Ressourcenverbünde mit den anderen Teilstreitkräften und militärischen Organisationsbereichen ist das Ziel von D-LBO. Da es sich um viele verschiedene Vorhaben handelt, ist ein Gesamtvolumen schwer zu schätzen. Angesichts des aktuellen Ausstattungsstandes in der Bundeswehr dürfte es um die zehn Milliarden Euro liegen, die nach und nach in den kommenden Jahren unter Vertrag gehen werden.

Flottendienstboote Die aktuellen Flottendienstboote der Bundeswehr sind mittlerweile über 30 Jahre alt. Im Bundeswehrplan 2009 steht bereits: “Mittelfristig erfordert der Erhalt der Fähigkeit zur signalerfassenden Aufklärung auf See Lösungen für die ebenfalls auszuphasenden Flottendienstboote (ab 2018).” Seitdem ist wenig passiert, außer dass nun nach der Marine auch der Cyber- und Informationsraum (CIR) dringendsten Bedarf anmeldet. Die Modernisierung der bestehenden Klasse 423 ist weder rentabel noch durchgehend möglich.

Ersatz für die Flottendienstboote steht bereits seit Jahren auf der Wunschliste.

Foto: BS/Bundeswehr, PIZ Marine

Ursprünglich sollte Anfang 2021 eine Auswahlentscheidung getroffen werden, worauf die Indienststellung der ersten Einheit im Jahr 2027 folgen sollte. Allerdings ist es jüngst derartig ruhig um die neuen Flottendienstboote der Klasse 424 geworden, dass mit einer Verschiebung um Monate bis Jahre zu rechnen ist. Es sind wieder drei Schiffe vorgesehen.

G36-Nachfolge Das Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr G36 wird abgelöst. Nach der durchaus verkorkst zu nennenden bisherigen Vergabe bleibt offen, wie der weitere Weg aussehen könnte. Wahrscheinlich ist, dass erneut in den Bieterwettbewerb eingestiegen wird. Ob sich dann neben Heckler & Koch noch weitere Sturmgewehre (zu einem früheren Zeitpunkt befanden sich SIG Sauer und ein gemeinsames Rheinmetall-Steyr-Sturmgewehr im Rennen) bewerben, ist ungewiss. Ebenfalls ist ungewiss, ob nun wiederum C. G. Haenel gegen den Stopp des bisherigen Vergabeverfahrens Einspruch erhebt. 2017 begann das BAAINBw die europaweite Ausschreibung der rund 120.000 Sturmgewehre inklusive entsprechendem Zubehör. Der Auftragswert liegt bei rund 250 Millionen Euro. Die Ablösung der bisher von der Bundeswehr genutzten G36 drängt insofern, als dass diese G36 eigentlich für die neuen Reservisten genutzt werden sollten, die ab kommendem Jahr durch das neue Reservistenkonzept der Bundeswehr zulaufen. Wenn nun allerdings die aktiven Soldaten mangels Neubeschaffung weiterhin ihr G36 benötigen, stehen diesen Reservisten keine Sturmgewehre zur Verfügung. Was wiederum deren Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung deutlich verringern dürfte.

Kampfflugzeuge Für die Beschaffung Eurofighter sind aktuell noch jedes Jahr im Schnitt eine Milliarde Euro im Haushalt gebunden. Gleichzeitig wird aber bereits über ein Nachfolgemodell nachgedacht: Das Future Combat Air System (FCAS), das aktuell als deutschfranzösisches-spanisches Programm aufgesetzt ist.

Zum Zeitplan hatten die Luftwaffeninspekteure Deutschlands, Frankreichs und Spaniens in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der FAZ geschrieben: “Direkt nach der Unterzeichnung des Vertrages von Aachen durch Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron wurde eine erste deutsch-französische Konzeptstudie, an der nun auch das spanische Team beteiligt ist, am 31. Januar 2019 beauftragt. Im Oktober 2019 traf ein multinationales Team aus französischen, deutschen und spanischen Experten in Paris ein, um sich einen Überblick über die anstehenden umfangreichen Arbeiten in Form von Konzepten und F&T-Vorhaben zu verschaffen und die genauen Anforderungen an Erprobungssysteme für das NGWS gemeinsam zu definieren. Konkretere Schritte dieser Kooperation werden innerhalb der nächsten Monate eingeleitet. Wir erwarten die Bereitstellung eines Prototypes im Jahr 2026, um unser übergeordnetes Ziel einer ersten Fähigkeit in 2040 zu erreichen.” Eine Problematik ist die nukleare Teilhabe, hierfür sind aktuell noch die Tornados in Büchel stationiert. Die Anpassentwicklung der Eurofighter – oder eines FCAS – würde Grobschätzungen zufolge rund eine Milliarde Euro kosten, falls es überhaupt möglich ist. Statt ein europäisches Flugzeug auf amerikanische Vorgaben anzupassen, ist deshalb der Kauf amerikanischer F-18 im Gespräch.

Das entscheidende Projekt für die Luftbeweglichkeit der Landstreitkräfte, das allerdings jüngst ins Stocken kam. Zu viele potenzielle Nutzer hatten – aufgrund der überall fehlenden Lufttransportkapazitäten – zu viele notwendige Funktionen angemeldet, welche die Industrie zwar alle umgesetzt hätte, allerdings zu einem nicht mehr tragfähigen Preis. Nun soll von der Stange gekauft werden. Als Gesamtbetrag stehen fünf Milliarden Euro für den Kauf plus mehrere Milliarden für Wartungs- und Entwicklungsverträge im Raum. Die Entscheidung soll nach aktuellen Planungen noch Ende dieses Jahres verkündet werden.

TLVS Mit dem Taktischen Luftverteidigungssystem (TLVS) sollen die bisher genutzten Patriots abgelöst werden, bei gleichzeitiger Reduzierung der Systeme. Die genauen Kosten sind noch geheim, Angaben schwanken zwischen sechs und acht Milliarden Euro. Auch TLVS ist ein Vorhaben, das sich ämterseitig in die Länge zieht. Bereits im Juni 2015 gab die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bekannt, dass Deutschland ein neues taktisches Luftverteidigungssystem auf MEADS-Basis zur Ablösung der Patriots beschaffen wird. Seitdem wird verhandelt. Mit einem Vertragsschluss wird aktuell im Spätsommer nächsten Jahres gerechnet.

MGCS Das deutsch-französische Vorhaben Main Ground Combat System (MGCS) soll einen neuen europäischen Kampfpanzer für die deutschen und französischen Streitkräfte schaffen. Bei der Bundeswehr würde MGCS den Leopard, bei der Armée Française den Leclerc ablösen. Genau hier beginnt allerdings das Pro­ blem, da das deutsche Heer ein vollständig neues, digitales und dem gläsernen Gefechtsfeld angepasstes Kampfsystemkonzept einschließlich möglicher Robotik-Kampffahrzeuge im Kopf hat, während Frankreich einen verbesserten und modernisierten Leclerc wünscht. Die Reibungen beginnen bereits beim unbemannten oder doch lieber bemannten Turm. Im Mai dieses Jahres wurde die ARGE MGCS (Krauss-Maffei Wegmann (KMW), Nexter und Rheinmetall) durch das BAAINBw mit der Erarbeitung der “System Architecture Definition Study – Part 1” (SADS Part 1) für MGCS beauftragt. Dies war ein erster Schritt zur Zusammenfassung aller bisherigen Wünsche und Erkenntnisse mit dem Ziel, diese zu einem Gesamtsystem zu harmonisieren. Die daran anschließende und mit über 370 Millionen Euro dotierte Technologiedemonstrationsphase soll bis 2024 abgeschlossen sein. In dem idealen Zeitplan werden 2028 die ersten Prototypen zur Abnahmeprüfung hergestellt. Die ersten Seriensysteme sollen dann 2035 vom Band fahren. Dies alles vorbehaltlich der Einigung auf ein gemeinsames Kampfpanzerkonzept zwischen den beiden Nationen.

TLVS wird Deutschlands integriertes Luftverteidigungssystem der nächsten Generation. Foto: BS/MBDA Deutschland

TLVS entstand ursprünglich aus dem MEADS(Medium Extended Air Defense System)-Vorhaben, an dem auch noch die USA und Italien teilnahmen. Ziel war seinerzeit, einen mobilen Raketenschutz zu entwickeln, der die Truppen in Bewegung sowie die Feldlager schützen konnte. Somit sind auch die Kennzeichen von TLVS ein hoher Grad an Mobilität und Autonomie. Ursprünglich sollte TLVS zwei Flugkörper besitzen, den sehr teuren (mehrere Millionen pro Schuss) amerikanischen (Blackbox) PAC-3 MSE und die günstige deutsche IRIS-T SL. Es hätten hierfür sogar die bereits für den Eurofighter genutzten IRIS-T nach deren “Ablaufdatum” bei den Kampfflugzeugen verwendet werden können. Im aktuellen Entwurf soll TLVS erst einmal nur mit dem PAC-3 MSE eingeführt werden.

U-Boote

Das Main Ground Combat System (MGCS) wird – nach deutscher Lesart – ein neues Landkampfsystem und nicht nur ein Leopard-Nachfolger. Foto: BS/Bundeswehr, Carsten Vennemann

Pionierpanzer Der in die Jahre gekommene Pionierpanzer Dachs wird abgelöst. Im Rennen um die Nachfolge befinden sich der WiSENT 2 von der Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft (FFG) und der Kodiak von Rheinmetall. Beide basieren auf dem Leopard 2, sodass sie ähnliche Vorteile – beispielsweise verbessertern Schutz – gegenüber dem auf Leopard 1 basierenden Dach haben. Insgesamt sollen 44 Pionierpanzer beschafft werden und bis 2030 zulaufen. Die Entscheidung für WiSENT 2 oder Kodiak wird noch in diesem Jahr erwartet.

Das deutsch-norwegische Vorhaben U212 CD (Common Design) musste ebenfalls immer wieder mit Verzögerungen leben. Ursprünglich sollte ein Vertrag noch 2019 endverhandelt sein. Im September dieses Jahres schrieb die Bundesregierung allerdings als Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP: “Die parlamentarische Befassung mit dem Beschaffungsvertrag, die mittels einer 25-MioVorlage erfolgt, ist bis zum Sommer des Jahres 2021 geplant. Die beiden möglichst übereinstimmenden Beschaffungsverträge für Deutschland und Norwegen mit dem Auftragnehmer ThyssenKrupp Marine Systems GmbH für technisch nahezu identische U-Boote sollen daher im Frühjahr 2021 endverhandelt vorliegen.” Deutschland wird zwei U-Boote, Norwegen vier kaufen. Die Mittelfristplanung sah im Jahr 2016 für den deutschen Anteil einen Umfang von rund 1,7 Milliarden Euro brutto vor. Inwieweit diese Rechnung noch zutrifft, wird die 25-Mio-Vorlage zeigen. Für Deutschland sind diese beiden U-Boote auch eher ein Prestigeprojekt, schließlich können zwei U-Boote, so modern sie auch sein mögen, kaum als schlagkräftige U-Boot-Waffe für militärische Konflikte gegen hochgerüstete Gegner bezeichnet werden. Laut der Antwort der Bundesregierung ist folgender weiterer Zeitplan wahrscheinlich: “Der Zulauf des ersten U-Bootes kann nach Angaben der Werft, die sich mit den vorliegenden Erfahrungswerten für eigene Beschaffungen und Exportprojekte decken, acht Jahre nach Vertragsschluss erwartet werden. Das zweite U-Boot soll anderthalb Jahre nach dem ersten zulaufen, anschließend ist ein jährlicher Zulaufrhythmus geplant. Die U-Boote drei und fünf sollen für Deutschland gefertigt werden.”


Wehrtechnik

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D

ie Bestellung umfasst 150 Lkws der Zulassungsklasse fünf Tonnen und 850 Fahrzeuge der Zulassungsklasse 15 Tonnen, beides Mitglieder der HX-Familie von Rheinmetall. “Die Fahrzeuge zeichnen sich durch eine große Robustheit, ihre Geländegängigkeit und besondere militärische Ausstattungen aus”, beschreibt die Bundeswehr. “Sie dienen unterschiedlichen Aufgaben, etwa dem Transport von Stückgut, Munition, Betriebsstoffen, Kabinen oder Containern. Damit werden nicht nur die bestehenden Transportfahrzeuge aus den 1970er-Jahren ausgetauscht, sondern auch die Beweglichkeit der Streitkräfte verbessert. Der bestehende Rahmenvertrag für die ungeschützten Transportfahrzeuge soll dazu erweitert werden und die Lieferung der Fahrzeuge innerhalb der nächsten beiden Jahre erfolgen.” Lieferant der Lkws ist Rheinmetall, da es sich bei den Fahrzeugen zum Teil um den Abruf eines am 5. Juli 2017 durch das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw) erteilten und auf sieben Jahre angelegten Rahmenvertrages handelt. Dieser Rahmenvertrag umfasste die Gesamtzahl von 2.271 ungeschützten Transportfahrzeugen der HX-Familie im Wert von insgesamt rund 900 Millionen Euro (inklusive Sonderwerkzeugen und Ausbildungsleistungen). Dieser Vertrag wird nun um jene 600 Lkws erweitert, deren Finanzierung durch das Konjunkturpaket übernommen wird. Somit erhält die Bundeswehr deutlich mehr Lkws, als im ursprünglichen Rahmenvertrag vorgesehen. Mit diesen neuen Fahrzeugen der HX-Familie löst die Bundeswehr unter dem Projektnamen Ungeschützte Transportfahrzeuge (UTF) die alten Modelle der KAT-I-Generation ab, die

Aktuelle Beschaffungen der Bundeswehr Marder-Modernisierung sowie zusätzliche Lkws und Funkgeräte (BS/Dorothee Frank) Mitte Oktober wurden drei Vorlagen durch den Haushaltsausschuss bewilligt: Neue Lkws, neue Wärmebildzieleräte für die Marder und neue taktische Funkgeräte. Das Besondere an dem Lkw-Auftrag ist, dass ein Großteil der Mittel aus dem Corona-bedingten Konjunkturund Krisenbewältigungspaket der Bundesregierung stammen wird.

Mit der HX-Familie von Rheinmetall löst die Bundeswehr die alten Modelle der KAT-I-Generation ab. Foto: BS/Rheinmetall

teilweise schon vor 40 Jahren beschafft wurden. Neben den Lkws sollen ebenfalls 1.850 Wechselpritschen für 48 Millionen Euro aus dem CoronaKonjunkturpaket beschafft werden. “Eine Wechselpritsche ist ein genormter und austauschbarer Ladungsträger, der nicht fest mit dem Fahrzeug verbunden ist. Für die Truppe reduziert sich damit die Zeit bei Lade- und Entladevorgängen sowie ihre Flexibilität erheblich”, so die Bundeswehr. “In zwei Verträgen werden 950 Stück Wechselpritschen von 15 Fuß Länge und 900 Stück von 20 Fuß Länge beschafft, die 2022 genutzt werden sollen.”

Wärmebildzielgeräte Marder Die zweite bewilligte Vorlage beinhaltet 244 neue Wärmebildzielgeräte für den Schützenpan-

zer Marder. Hintergrund dieser Modernisierungsmaßnahme ist die Befürchtung, dass der Schützenpanzer Puma bis zur VJTF 2023 noch nicht die notwendige Einsatzreife erreicht haben könnte. Da Deutschland allerdings die Führung der NATO-Speerspitze VJTF 2023 übernommen hat – und somit in dem Jahr für die Erstverteidigung der Ostflanke des Bündnisses zuständig ist – wäre das Nichtvorhandensein von einsatzbereiten Schützenpanzern ein überaus peinliches Armutszeugnis für das reichste Land Europas. Also muss der bereits 1971 in die Truppe eingeführte Marder auf einen technologischen Stand gebracht werden, der ihn im Verbund mit den anderen an der VJTF 2023 teilnehmenden Nationen bestehen lässt.

Messenger der Bundeswehr DSGVO-konform und sicher (BS) Einerseits sind Messengerdienste besonders in Zeiten von Homeoffice und Reisebeschränkungen ein wichtiges Element, um die Beschäftigten als Team zu erhalten, andererseits besitzen die meisten Messengerdienste aufgrund undurchsichtiger Security einen berechtigt schlechten Ruf. Zumindest als Businessapplikation. “Wir standen in der Bundeswehr vor der Herausforderung, dass nicht jeder Soldat ein dienstliches mobiles Endgerät besitzt und gleichzeitig der Bedarf nach einem sicheren Kommunikationsmittel für jeden Soldaten sehr hoch war und ist. Daher stammt die Idee, ein solches Kommunikationsmittel auch auf private Endgeräte auszubringen, um eben möglichst alle zu erreichen” beschreibt Christian Wendland, Innovation Manager beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) die Ausgangssituation. Bereits seit November 2018 fanden durch die Bundeswehr und den CIHBw; seit 1. Januar 2020 als neue Abteilung in der BWI verankert, Tests mit dem marktreifen Messenger “stashcat” der Firma stashcat GmbH statt. Wichtige Prüfkriterien waren dabei der Datenschutz nach Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die Verschlüsselung und die Nutzerakzeptanz. Das Thema Datensicherheit hat eine besondere Bedeutung. Eingestufte, also besonders schützenswerte Informationen dürfen über den Messenger nicht geteilt werden. Dies beginnt bereits bei Verschlusssachen, die nur für den Dienstgebrauch vorgesehen sind, dem niedrigsten der vier Geheimhaltungsgrade. Mit BwChat lassen sich sowohl auf dem Computer im Büro als auch auf privaten Smartphones bestimmte offene Informationen nun verschlüsselt – und damit sicher – weitergegeben. Die App übernimmt eine Brückenfunktion

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die Bedürfnisse der Bundeswehr in puncto Sicherheit reagiert. Mit den Testergebnissen aus dem Innovationsvorhaben BwChat trugen CIHBw und stashcat zum Ziel eines einheitDer Messenger BwChat wurde sogar schon im Auslands­ lichen Bundeseinsatz erfolgreich genutzt. wehr-Messengers Grafik: BS/stashcat auf dienstlichen zwischen der dienstlichen Com- und privaten Endgeräten bei. Da puterausstattung sowie privaten das Innovationsvorhaben so gut Endgeräten. Es lassen sich unter angenommen wurde, entschloss anderem nicht als Verschluss- sich das BMVg, den “Bring-yoursache – also maximal OFFEN – own-device”(BYOD)-Ansatz weieingestufte Gruppennachrichten, terzuverfolgen. Aktuell kommt BwChat auch im Texte, Bilder, Videos und Termine in Echtzeit austauschen. Camp Marmal in Nord-AfghanisDank des schnellen Handelns tan zum Einsatz und wird unter aller Beteiligten wurden mithil- anderem auch bei den Landespofe zusätzlicher 42.000 Lizenzen lizeien Hessen und Niedersachfür zunächst sechs Monate ab sen flächendeckend eingesetzt – April 2020 temporär weitere die “schul.cloud” basiert ebenfalls Bereiche der Bundeswehr mit auf dieser Technologie. einem Zugang versorgt, um die Die Corona-Pandemie hat insZusammenarbeit in einer Phase besondere den Mehrwert digitaler vermehrten mobilen Arbeitens Lösungen unterstrichen, die sich deutlich zu verbessern. direkt am Soldaten-Alltag orien“Stashcat liefert ein sehr gu- tieren. Es hat sich gezeigt, dass tes Gesamtpaket”, so Christian das Thema BYOD eine immer Wendland, einer der Projektver- größere Rolle spielt, wenn man antwortlichen im CIHBw. “Unter wirklich die breite Masse erreianderem sind dies eine komplette chen möchte. Dabei ist aber niemand auf MesVerschlüsselung der Kommunikation, eine Zwei-Faktor-Authen- senger made in China oder USA tifizierung, die Datenspeicherung angewiesen, um seine Beschäfin Deutschland und die sichere tigten als Team zu erhalten. Es Infrastruktur, man kann den gibt Lösungen aus Deutschland, Messenger “on premise” hosten.” die nun sogar schon als einZudem würde – anders als wahr- satzerprobt bezeichnet werden scheinlich bei WhatsApp – auf können.

Die Marder erhalten “Saphir”-Wärmebildzielgeräte der Rheinmetall Electronics GmbH. Foto: BS/Bundeswehr, Marco Dorow

Hinzu kommt, dass das zweite Los Puma anscheinend nicht auf ganz so sicheren Füßen steht wie oftmals nach außen kommuniziert. Neben der Modernisierung des Marders gibt es noch weitere Alternativen. Die am Puma beteiligten Unternehmen haben das durch dieses Projekt erworbene Wissen mittlerweile genutzt, um eigene Schützenpanzer für den Export zu entwickeln. Besonders der Lynx von Rheinmetall konnte sich bereits in mehreren internationalen Wettbewerben – von Ungarn bis nach Australien – durchsetzen. Er passt zwar nicht in eine A400M, überzeugte dafür aber in den Testreihen der verschiedenen Streitkräfte. Zudem soll er laut Hersteller etwa 80 Prozent der Fähigkeiten des Pumas für rund 50 Prozent des Preises abdecken.

Bei den nun geordertem Wärmebildzielgerät aus der “Saphir”Familie handelt es sich um ein Produkt von Rheinmetall Electronics, das speziell für die Verwendung im Marder ausgelegt wurde. Die Detektoren entstanden in enger Zusammenarbeit mit der AIM-IR in Heilbronn, einem Joint Venture von Diehl Defence und Rheinmetall.

Funkgeräte Als dritte Modernisierung ging die 25-Mio.-Vorlage zu neuen Funkgeräten für die Bundeswehr erfolgreich durch den Haushaltsausschuss. Insgesamt 913 weitere Funkgeräte des Typs Army/ Navy Portable Radio Communications, Typ 117, Version G (AN/ PRC-117G) will die Bundeswehr für rund 91 Millionen Euro beschaffen.

Bei den AN/PRC-117G handelt es sich um taktische Software-Defined Radios (SDR) des amerikanischen Unternehmens L3Harris. Es verfügt über die verschiedensten für militärische Zwecke notwendigen Features wie Härtung gegen Umweltbedingungen, Möglichkeiten zur Satellitenkommunikation und – neben anderen – die Wellenformen Have Quick, SRW Soldier und NATO Saturn. Als einzig kritischer Punkt kann die Kryptografie genannt werden, sie ist Black Box, Made in USA, dort durch die NSA für Top Secret zugelassen. Laut BMVg gehört “Führung (vor allem Kryptotechnologie)” allerdings zu den nationalen Schlüsseltechnologien. Bisher erfuhren die Schlüsseltechnologien allerdings noch nicht die Sonderförderung, die sie laut Papieren erhalten sollten. Abgesehen von diesem Wehrmutstropfen handelt es sich bei den Funkgeräten allerdings um bewährte Systeme, die eine hohe Akzeptanz besitzen. “Die Bundeswehr beabsichtigt, zunächst 370 Funkgeräte zu kaufen. In den Jahren 2021 bis 2024 sollen dann weitere 543 Systeme folgen. Daneben sollen auch weitere Verträge über notwendiges Zubehör für die Geräte in diesem Jahr und in den Jahren 2021 bis 2024 geschlossen werden”, lautete die Mitteilung des BMVg. “Das Funkgerät AN/PRC-117G und entsprechende Vorgängerversionen nutzt die Bundeswehr bereits seit zehn Jahren. Mit den taktischen Satellitenkommunikationsverbindungen und terrestrischen Funkverbindungen können die Soldatinnen und Soldaten verschlüsselt mit den Verbündeten in der NATO kommunizieren. Derzeit werden 540 Geräte eingesetzt. Die Systeme werden auch für die VJTF 2023, NATO-Speerspitze den schnell verlegbaren, auch als bezeichneten Eingreifverband, genutzt.”


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enau diese Heron TP sind nun im Begriff, die ersten bewaffneten Drohnen der Bundeswehr zu werden. Vorteil einer Beschaffung noch in diesem Jahr ist, dass das Thema damit weit genug vor dem nächsten Wahlkampf liegt. Wirklicher Gegenwind aus der SPD ist zudem nicht zu erwarten. Die SPD ist zwar laut der SPD-Vizefraktionsvorsitzenden Gabriela Heinrich “kategorisch gegen extralegale Tötungen” und autonome Waffensysteme und werde bei einer Vorlage “genau prüfen, ob unsere strikten Anforderungen erfüllt sind”. Die Wehrbeauftragte Högl forderte zudem: “Die Drohnen in Afghanistan werden nicht von Berlin aus gesteuert und es gibt auch keine völkerrechtswidrigen Einsätze.” Die Einhaltung dieser Vorgaben ist allerdings für die Bundeswehr selbstverständlich. Schließlich kann eine dem Grundgesetz verpflichtete Parlamentsarmee gar keine völkerrechtswidrigen oder extralegalen Tötungen vornehmen, schon gar nicht ein extra Waffensystem dafür beschaffen. Auch könnten die Heron oder deren Einsatzgebiete kaum das Etikett “autonome Waffensysteme” erhalten, denn drei Menschen kontrollieren eine Heron. Weshalb die Drohnen von Afghanistan und nicht von Berlin aus gesteuert werden müssen, erläuterte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Fritz Felgentreu, gegenüber dem Behörden Spiegel: “Der Einsatz von Drohnen ist Teil des vom Bundestag beschlossenen Mandats, das immer nur für ein fest definiertes Einsatzgebiet gilt. Deshalb muss auch die Steuerung der Drohnen dort erfolgen. Das hat auch militärisch Sinn. Denn bewaffnete Drohnen dienen dem besseren Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Auch die Drohnenpiloten, die ein unbemanntes Flugsystem vom Boden aus steuern, sind Teil des Einsatzes und sollen deshalb vor Ort sein, um ihre verantwortungsvollen Aufgaben wahrzunehmen.” Aus Einsatzerfahrungen ergibt sich zudem, dass Drohnen von dort gesteuert werden müssen, wo der gewünschte Effekt am sichersten punktuell erzielt wird – unter voller Berücksichtigung des Mandats des Parlaments, der Rules of Engagement, der Verhinderung von Kollateralschäden etc. und der Situation vor Ort. Diese wird ohnehin durch die Entscheidung “Go-No-Go” herbeigeführt, durch den dort verantwortlichen Kommandeur. Der Einsatz kann und wird des-

Bundeswehr bewaffnet ihre Drohnen Vertrag noch in diesem Jahr erwartet (BS/Dorothee Frank) “Die Diskussion hat stattgefunden. Die Rahmenbedingungen sind klar. Ich halte das für entscheidungsreif”, sagte die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, Ende Oktober. Damit bestätigt sie Informationen aus dem BMVg, dass ein Vertrag zu bewaffneten Drohnen noch in diesem Jahr geschlossen werden soll. Auftragnehmer wird IAI, das bereits die Aufklärungsdrohnen Heron und später Heron TP für den Afghanistan-Einsatz lieferte. halb von einem Flugzeug, von einem Schiff, im Einsatzgebiet oder auch von Potsdam erfolgen. Einsatzbefehle für militärische Aktionen in der Krisenbewältigung und Konfliktverhütung – außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung – kommen zudem aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam.

Vollautomatisierte versus autonome Waffensysteme Die Frage nach den autonomen Waffensystemen bzw. deren Ablehnung ist allerdings eine ethisch wie praktisch interessante, wenn auch nicht in Bezug auf die Heron. Bisher hat die Bundeswehr argumentiert, dass selbstverständlich immer ein Soldat entweder das Ziel zuweist oder abbrechen kann. Dies gilt auch für die Heron. Nur wie viel sieht der Soldat im modernen Gefecht überhaupt noch? Wenn die Panzerhaubitze 2000 – wozu sie bereits heute in der Lage ist – 30 Kilometer weit schießt, besitzt der menschliche Richtschütze dann wirklich noch Informationen abseits der Zielkoordinaten, die ihm wahrscheinlich irgendwelche maschinellen Sensoren geliefert haben? Der Marschflugkörper Taurus fliegt über 500 km weit, der ihn abfeuernde Pilot wird sich vollständig auf die durch das System übermittelten Daten verlassen. Moderne Lenkflugkörper nutzen zudem im Endanflug eine eigene Zielerfassung. Wie autonom sind alle diese Missiles zu nennen? Für Felgentreu sind die Grenzen: “Vollautomatisierte Waffensysteme zeichnen sich dadurch aus, dass sie von Menschen bedient werden – sei es durch direktes Eingreifen über eine Fernsteuerung – Human in the Loop – oder durch eine Überwachung während des Einsatzes – Human on the Loop. Das ist eine wichtige Unterscheidung zu autonomen Waffensystemen, die ohne den Menschen auskommen können. Die von der Bundesehr eingesetzten Systeme sind alle auf menschliches Zutun angewiesen. Auch die Drohnen Heron 1 und Heron TP können automatisiert fliegen, werden aber von Menschen gesteuert: Die typische Crew für dieses System besteht

Die Bundeswehr wird noch in diesem Jahr bewaffnete Drohnen erhalten.

aus drei Soldatinnen und Soldaten, die sich um das Flugzeug, seine Sensorik und die Mission kümmern. Wir wollen, dass der menschliche Faktor auch in Zukunft immer mit im Spiel bleibt.” Durch die Bemühungen Deutschlands und Frankreichs, bei den Vereinten Nationen ein rechtsverbindliches Regelwerk zu erstellen, fand zudem der Begriff LAWS (Letale Autonome Waffensysteme) Eingang in die Debatte.

Ächtung der Drohnen Aus dem Auswärtigen Amt konnte der Behörden Spiegel erfahren, dass Deutschland seit 2014 in der VN-Waffenkonvention (CCW) in Genf daran arbeitet, LAWS international zu regulieren: “Am 15. November 2019 wurden dazu auf Initiative Deutschlands und Frankreichs Leitprinzipien innerhalb der VN-Waffenkonvention verabschiedet, die menschliche Kontrolle, Zurechenbarkeit und Verantwortung für die Verwendung künftiger Waffen als Prinzipien verankern. Die Initiative ist jetzt auf die Ausarbeitung eines umfassenden normativen und operativen Rahmenwerks gerichtet, mit dem Ziel, dazu bis 2021 konkrete Empfehlungen im Rahmen der VN-Waffenkonvention zu konsentieren.” Besonders dem Punkt Verantwortung kommt nun im Völkerrecht besondere Bedeutung zu. Es dürfen keine Selbstschussanlagen mehr entstehen, durch die dann Menschen getötet werden, ohne dass jemand verantwortlich ist. Es muss immer möglich bleiben, jedes menschliche Todesopfer einer auslösenden menschlichen Handlung zuzu-

Foto: BS/Airbus

ordnen. Im Grunde muss es einen menschlichen Täter geben, der dann nach Völkerrecht zwar schuldlos sein kann, aber doch benennbar bleiben muss. Außenminister Heiko Maas konkretisierte dies seinerzeit anlässlich der durch die deutschfranzösische Initiative entstandenen Leitlinien: “Killer-Roboter dürfen nie zur Realität werden. Nach fünf Jahren schwieriger Verhandlungen haben wir heute zum ersten Mal einen breiten internationalen Konsens über rote Linien für den Einsatz autonomer Funktionen in Waffensystemen erzielt. Die Verabschiedung der Leitprinzipien durch die 125 Vertragsstaaten in der Waffenkonvention der Vereinten Nationen in Genf bringt uns unserem Ziel einen großen Schritt näher: Der internationalen Ächtung vollautonomer letaler Waffensysteme. Die Leitlinien schreiben die uneingeschränkte Geltung des Völkerrechts über alle künftigen Waffensysteme und so zentrale Grundsätze wie menschliche Verantwortung und Zurechenbarkeit für den Einsatz von Waffen fest – das Ergebnis langer Verhandlungen, bei denen es zum Teil erheblichen Widerstand gab.”

und es bliebe dennoch ein leicht zu bekämpfender Luftballon. Die Heron verfügen weder über die Manövrierfähigkeiten noch über genügend Abwehrsysteme, um im Gefecht bestehen zu können. Sie sind Aufklärer mit langer Stehzeit und großer Signatur, deren Überlebensfähigkeit darin besteht, dass sie außerhalb der Kampfzonen bleiben und aus großer Höhe mit der entsprechenden Sensorik aufklären. Nicht umsonst gleicht die Optik eher einem Segelflugzeug als einem Eurofighter. Beschafft – oder besser gesagt geleast – wurden die Heron seinerzeit als Teil verschiedener deutsch-israelischer Freundschaftsbekundungen, es war eine politische Entscheidung, keine militärische. Die Luftwaffe hatte sich damals vehement für den Predator eingesetzt. Am Ende obsiegte aber das in jenen Sparjahren übliche Prinzip: Hauptsache wir bekommen überhaupt etwas. Damals war die Zeit zudem noch nicht reif für eine Beschaffung bewaffneter Drohnen und so fiel es nicht negativ ins Gewicht, dass die Heron kaum bei Kampfhandlungen gegen moderne Armeen würde bestehen können.

Tauglichkeit bewaffneter Heron in Einsätzen

Modernes Einsatzszenar

Auf einem anderen Blatt steht, wie einsatztauglich die bewaffneten Heron überhaupt sind oder ob sie nicht eher ein veraltetes Prinzip darstellen? Die Heron waren nie Combat UAS, im Gegensatz zum Predator. Die Zulast macht schließlich noch nicht das System. Auch unter einen Luftballon können Raketen gehängt werden

Diese Art bewaffneter Drohnen spiegelt somit weiterhin das Denken aus den Kriseneinsätzen wider und nicht das durch die Bundeswehr hauptsächlich betrachtete Einsatzszenar der Landes- und Bündnisverteidigung. Gegen moderne gegnerische Armeen können in der Luft nur durchsetzungsfähige Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber

Start-ups in die Truppe bringen

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ie Ausrüstung wird zunehmend auch von Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz beeinflusst”, beschrieb MdB Florian Hahn bei seiner Einführung in den Tag. Diese neuen Entwicklungen, Methoden und Systeme müssten immer schneller in die Bundeswehr kommen, um die Streitkräfte verteidigungsfähig zu halten. Hier käme den Start-ups und ihrer Kombination aus innovativen Lösungen mit rascher Anwendbarkeit eine besondere Bedeutung zu. “Der Sektor muss allerdings auch wirtschaftlich attraktiv für Start-ups sein”, sagte Hahn. Diese attraktiven Bedingungen seien durch die Politik zu schaffen, etwa durch den neuen Start-up-Fonds, der 2021 beginne. Hahn betonte: “Ein gesundes Start-up-Ökosystem braucht die richtigen Rahmenbedingungen. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten, damit die Bundeswehr über das beste und sicherste Gerät verfügt.” Eine dieser Stellen, die genau diese von Hahn angesprochene praktikable Innovation schnell

Behörden Spiegel / November 2020

Der Defence Innovation Pitch Day in München (BS/df) Mitte Oktober fand in München der Defence Innovation Pitch Day statt, mit dem die Brücke zwischen Start-ups und Bundeswehr geschlagen wurde. Veranstalter waren der Behörden Spiegel und die Universität der Bundeswehr München. in die Bundeswehr bringen soll, ist der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw). Innerhalb von nur 90 Tagen würden hier Lösungen analysiert und dann entweder der Bundeswehr empfohlen oder auch nicht, beschrieb der Leiter des CIHBw, Sven Weizenegger. “Für uns ist entscheidend, dass der User über das Produkt entscheidet”, so Weizenegger. “Wir arbeiten zudem als Trüffelschweine in der Bundeswehr. Die Bundeswehr hat unglaublich viele innovative Menschen.” Für diese innovativen Soldaten biete der Cyber Innovation Hub verschiedenste Hilfestellungen, von der praktischen Umsetzung bis hin zu Schulungen und Training. “Unser Ziel ist, die Soldaten zu befähigen, Lösungen zu präsentieren und in die Truppe zu bringen.” Auch Brigadegeneral Frank Pie-

“Die Ausrüstung wird zunehmend auch von Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz beeinflusst”, beschrieb MdB Florian Hahn beim Defence Innovation Pitch Day. “Diese Technologien müssen immer schneller in die Bundeswehr kommen.” Foto: BS/Dorothee Frank

per, Chief Digital Officer beim Deutschen Heer, sah keinen Mangel an Innovationskraft in der Bundeswehr, sondern bei der Überführung in Beschaffungsprozesse. “Am einen Ende des Kontinuums haben wir For-

schung, Start-ups, das BAAINBw, Universitäten, Fraunhofer, ich könnte diese Liste endlos fortsetzen. Diese ordne ich unter der Club-Mate-Fraktion ein. Auf der anderen Seite des Kontinuums stehen wir, der Nutzer,

das Heer. Und dazwischen ist das große große Nirvana der Beschaffungsprozesse”, beschrieb Pieper. Das größte Manko sei somit, dass Innovationen nicht in die Beschaffungsprozesse gelangten. “Oft genug werden diese fehlenden Übergänge dazu genutzt, dass wir veraltetes Gerät erhalten.” Das Heer wolle nun die Verbindung zur Überbrückung dieses Nirvanas schaffen. “Wir stellen professionelle Test- und Versuchsstrukturen auf, die schnell, abgestimmt und prozesskonform Innovationen in einen Experimentalbetrieb bringen können”, beschrieb Pieper das erste Element. Das zweite Element sei die Einbettung in das Systemzentrum Digitalisierung Land, das sich vor allem durch die Anwendung eines experimentellen Second-Life-Prozesses – analog

und Drohnenschwärme bestehen, nicht einzelne bewaffnete, langsame Großdrohnen. Während Deutschland sich nun zu bewaffneten Großdrohnen durchringen kann, geht die Entwicklung anderer Armeen bereits in Richtung bewaffneter Drohnenschwärme. Zu deren Aufbau und Bewaffnung besteht kaum eine Alternative. Schließlich ist das Primat der militärischen Beschaffung die Verteidigung Deutschlands und der NATO. Mit Pfeil und Bogen kann niemand gegen Gewehre gewinnen, mit den aktuellen Fähigkeiten könnte die Bundeswehr nicht gegen bewaffnete Drohnenschwärme bestehen. Der Politik bleibt als Alternative höchstens der Weg, eine völkerrechtliche Ächtung auch von Drohnenschwärmen zu erreichen. Allerdings gilt in der VN-Waffenkonvention das Konsensprinzip und bei den 125 Mitgliedsstaaten reichte bereits zu den LAWS die Bandbreite der Meinungen von der Befürwortung eines sofortigen Verbots bis hin zu einer Ablehnung jeglicher Regulierungen. Für eine Ächtung von bewaffneten Drohnenschwärmen besteht dementsprechend aktuell keinerlei Aussicht auf Erfolg. Deshalb wird sich die Bundeswehr rüstungstechnisch auf die Abwehr der physikalisch meist verletzlichen Mikrodohnen, die in Schwärmen auftreten, konzentrieren müssen. Die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel scheinen dementsprechend in der qualifizierten Fliegerabwehr in Kombination mit bewaffneten Drohnenschwärmen besser angelegt. Hier sind auch neue Wege denkbar. Im Nächstbereich sind Kleindrohnen beispielsweise einem Wasserwerfer oder dem gerichteten C-Rohr einer Feuerwehr, verbunden mit einem Jammer, nicht gewachsen. Eine begrenzte Fuel-Air-Explosion, gesteuert und ausgelöst von einem Sensor, würde den Angriff eines Drohnenschwarms ebenfalls beenden. In diese Richtung sollten die F&T-Mittel des BMVg – möglicherweise in Koordination mit anderen Ressorts wie dem Innenministerium – verstärkt eingesetzt werden. Das Heer macht hier bereits den Anfang mit der qualifizierten Fliegerabwehr für Verbände auf dem Marsch (VJTF 2023), die auch der Abwehr von Drohnenschwärmen dient. Die Großdrohnen – besonders die Herons – behalten hingegen ihre Bedeutung in der Aufklärung. Ein Feld, in dem die Bundeswehr ebenfalls genügend Fähigkeitslücken aufweist.

zum Vorgehen von Wirtschaftsgrößen wie Toyota – auszeichne. “Unser Ziel ist: Start small, ohne direkt in das Gesamtsystem einzudringen”, beschrieb Pieper. Der große Ansatz früherer Zeiten, bei dem eine Lösung für jeden einzelnen Soldaten beschafft worden sei, sei weder zeitgemäß noch umsetzbar. Pieper schloss, dass nur durch einen solchen Brückenschlag Innovationen auch tatsächlich in Beschaffungen für die Bundeswehr münden könnten. “Die derzeitige in der Politik erkennbare Tendenz, durch Finanzierungen und weiteren Aufbau die Club-Mate-Fraktion unglaublich zu vermehren, löst das Problem nicht”, betonte Pieper. “Wir haben kein Innovationsproblem in Deutschland, wir haben ein Umsetzungsproblem.” Im Vorfeld der Veranstaltung hatte der Behörden Spiegel ausgewählte Start-ups bereits in wöchentlichen“Defence Innovation Talks” dargestellt. Die Aufzeichnungen der Interviews sind auf www.digitaler-staat.online kostenlos abrufbar.


Verteidigung

Behörden Spiegel / November 2020

Einiges Europa

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ie aus der Pandemie he­ rorgegangene Krise ist kein Transformationsbruch der Welt­ ordnung. Sie hat jedoch Trends hervorgehoben, die seit einiger Zeit bestehen und eine gemein­ same Reaktion der EU erfordern: Sei es die Abschwächung des Multilateralismus, die zuneh­ mende Konfrontation und Bi­ polarität zwischen den USA und China oder die Verlangsamung der Globalisierung. Die Verände­ rungen, die in der Vergangenheit im Laufe der Jahre eingetreten sind, finden nun innerhalb we­ niger Wochen oder sogar Tage statt. Auch wir müssen nun die Suche nach Antworten auf diese Herausforderungen be­ schleunigen. Ein stärkeres und handlungsfähigeres Europa, das bereit ist, autonom in der Welt zu handeln, muss Teil einer solchen Antwort sein. Die Präsidentin der EU-Kom­ mission Ursula von der Leyen hat voriges Jahr ihr Team als geopolitische Kommission be­ zeichnet und damit ihre Ambition unterstrichen, die Stellung der EU als die eines relevanten inter­ nationalen Akteurs zu stärken. Dieses von der Tschechischen Republik eindeutig begrüßte Ziel darf nun wegen der Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise nicht unter den Tisch fallen. Im Gegenteil, sie wird dringender und aktueller denn je. Will die Europäische Union nicht nur in der Welt­ politik mitlaufen, sondern das eigene Schicksal gestalten, dann muss sie ihr Denken verändern und beginnen, stärker als geo­ politischer Akteur aufzutreten, ihre Interessen klarer zu defi­ nieren und zu ihrer Umsetzung ihre Stärken zu nutzen, sei es wirtschaftliche Stärke oder die Attraktivität ihres gesellschaft­ lichen Modells. Das Konzept der strategischen Autonomie der EU wurde häufig aus der engen Sicherheitsper­ spektive betrachtet, was auch weiterhin legitim ist. Die Reihe von Krisen in der unmittelba­ ren Nachbarschaft Europas, von der Ukraine über Georgien bis hin zum Nahen Osten und der Sahel-Zone, ist Realität und

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s stehen besonders drei Vor­ würfe im Raum: 1) Die Anforderungen an den Hersteller wurden in der Aus­ schreibung so weit herunter­ geschraubt, dass sich auch ein Neun-Mann-Unternehmen mit sieben Millionen Euro Jahres­ umsatz um den Vertrag zur Lie­ ferung von über 120.000 Sturm­ gewehren inklusive Lieferung von Ersatzteilen über mehrere Jahrzehnte bewerben konnte. Der Konkurrent Heckler & Koch hat rund 900 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 240 Millionen Euro. 2) Für die Prüfer im BAAINBw gewann das HK 416 von Heckler & Koch. Dieses HK 416 wird neben anderen auch von den französischen und norwegischen Streitkräften als Standardbewaff­ nung eingesetzt. Hinzu kommen mehrere Special Forces, unter anderem auch in den USA. So schlecht kann das HK 416 also nicht sein, was es auch in den Tests für die G36-Nachfolge im BAAINBw bewies. So berichtet der Business Insider, dem der Prüfbericht vorliegt: “Fielen zu­ nächst alle drei Waffen durch, erfüllten die drei Gewehre im Anschluss an Nachbesserun­ gen durch die Hersteller alle Forderungen der Leistungsbe­ schreibung. Aber: Laut des Ab­ schlussberichts war das HK 416 dennoch treffsicherer als das MK 556. So liegen nicht nur bei der Grundpräzision die TrefferbildWerte des HK 416 über dem des MK 556. Auch bei Schussabga­ ben unter heißen oder kalten Bedingungen lag das Modell von

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Für ein stärkeres und fähigeres Europa auf globaler Ebene (BS/Tomás̆ Petr̆ íc̆ek und Lubomír Metnar) Die aktuelle Zeit ist in einem gewissen Sinne außergewöhnlich, auch für Europa und dessen Sicherheit und Zusammenhalt. Die anhaltende Covid-19-Pandemie hat ein neues Kapitel in den internationalen Beziehungen geschrieben und eine Fortsetzung des “Business as usual” für die Zukunft unmöglich gemacht. hat unmittelbar bevorstehende Konsequenzen für unsere Si­ cherheit. Es liegt daher in un­ serem größten Interesse, uns unermüdlich für eine Stärkung der Stabilität dieser Länder ein­ zusetzen. Die revisionistische Politik Russlands, die durch die Anfechtung der Geschichte des 20. Jahrhunderts die Legitimi­ tät und Existenz von Ländern untergräbt, die einst hinter dem Eisernen Vorhang gestrandet waren, stellt eine immer stär­ ker zunehmende Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität des Kontinents dar. Dies sind stich­ probenhaft nur zwei Beispiele, die zeigen, dass “hard security” im traditionellen Sinn nicht an Relevanz verloren hat.

Stärkung der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsstrukturen Seit der Annahme der Europä­ ischen Globalen Strategie hat die EU mehrere grundlegende Entscheidungen zur Stärkung der Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit getroffen und eine Reihe von Programmen ins Leben gerufen, die erste Ergebnisse zeigen, wie z. B. PESCO bzw. EVF (Europäischer Verteidigungs­ fonds). Ab dem nächsten Jahr kommt noch die Europäische Friedensfazilität hinzu, die die Finanzierung der militärischen Aktivitäten der EU zur Unter­ stützung von Partnern deutlich erweitern und stärken wird. Auch die Zusammenarbeit mit der NATO wird vorangetrieben und ausgedehnt, was für uns von zentraler Bedeutung ist. All dies sind Schritte in die richtige Richtung, die unsere volle Unter­ stützung haben, wenngleich viele der angedeuteten Maßnahmen ambitionierter bzw. die Budgets einiger Programme robuster sein könnten.

für Verteidigung und den militäri­ schen Fähigkeiten zu schließen, die Europa von den Vereinigten Staa­ ten trennt. Tomás̆ Petr̆íc̆ek ist Außenminister der Tschechischen Eine große He­ Republik. raus­forderung auf dem Wege Euro­ pas zur Stärkung seiner eigenen militärischen Fä­ higkeiten besteht Lubomír Metnar ist Verteididarin, dass der gungsminister der TschechiVerteidigungs­ schen Republik. sektor bei der Entwicklung ei­ niger der neues­ Fotos: BS/Tschechische Botschaft ten Technologien zurückbleibt – all Die Notwendigkeit zur Stärkung diese sind (und werden) zur Un­ der europäischen Verteidigungs- terstützung der Sicherheits- und und Sicherheitsstrukturen muss Verteidigungskräfte der EU erfor­ darin bestehen, die Duplizität derlich, wie bereits der ehemali­ mit den Aktivitäten der Nordat­ ge EU-Kommissionsvorsitzende lantischen Allianz zu vermeiden. Jean-Claude Juncker festgestellt Die NATO bleibt für die Mehr­ hat. Die Tschechische Republik heit der europäischen Länder schätzt deshalb die Entstehung der Hauptgarant der territori­ gezielter Instrumente wie z. B. alen Sicherheit, insbesondere des Europäischen Verteidi­ für die Staaten an der Ostflanke gungsfonds. Wir betrachten es des Bündnisses und der EU, die als absolut wesentlich, sowohl am stärksten durch Russlands auf nationaler, als auch auf Machtambitionen gefährdet sind. NATO- und EU-Ebene darauf Wir sind davon überzeugt, dass zu achten, angemessene Mittel die Stärkung der europäischen für Forschung und Entwicklung Kapazitäten sowie der europä­ bereitzustellen und die Fähigkei­ ischen Säule des Bündnisses ten der Alliierten in Bereichen auch im Interesse der USA liegt, wie Weltraum, Cyber-Sicherheit, denn nur ein stärkeres Europa Künstliche Intelligenz (KI), La­ wird die Sicherheitsherausfor­ sertechnologien und Robotik zu derungen von morgen bewälti­ verbessern. gen und diese Last mit unseren Diese Bereiche bieten in abseh­ amerikanischen Partnern stärker barer Zeit ein enormes Potenzial, teilen können: Europas Engage­ um die menschliche Entwicklung ment in der Sahel-Zone oder in grundlegend zu beeinflussen und Nordafrika sind gute Beispiele das Gleichgewicht der Kräfte auf dafür. Die Erhöhung unserer der geopolitischen Bühne zu ver­ Verteidigungshaushalte unter­ ändern. Die NATO und die EU streicht außerdem unser ge­ müssen reagieren und mit den meinsames Interesse daran, die wichtigsten Herausforderern wie Lücke zwischen den Ausgaben Russland und China Schritt hal­

ten, die wesentliche Fortschrit­ te bei der Weiterentwicklung dieser neuesten Technologien machen und ihre Fähigkeiten deutlich ausbauen. Für die Tschechische Republik ist die fortgesetzte Unterstützung von Lösungen in Bezug auf die oben genannten Bereiche von oberster Priorität. Wir beabsichtigen, die europäische Zusammenarbeit und gemeinsame Projekte zu unterstützen, insbesondere im Rahmen des EVF und des damit verbundenen EDIDP (European Defense Industrial Development Programme).

Strategische Vision der EU Während militärische Fähigkei­ ten und modernisierte Armeen wichtig sind, werden sie ihren Zweck nur dann voll erfüllen, wenn die EU-Mitgliedsstaaten eine strategische Vision haben, wann und wie sie eingesetzt wer­ den sollen und sie dazu auch den notwendigen Willen besitzen. Das fünfzehnjährige Bestehen von EU-Kampfgruppen (EU Battle­ groups) ist ein Beleg dafür, dass die Existenz eines Instruments noch keine robustere Politik be­ deutet. Das Motto der diesjährigen Konferenz ist “a cohesive bond for stronger power”. Es verweist zu Recht auf das Bestreben der EU, sich von einem Sicher­ heitskonsumenten zu einem Sicherheitsanbieter zu entwi­ ckeln. Zu diesem Zweck muss sie nicht nur Fähigkeiten zum autonomen militärischen Han­ deln aufbauen. Ebenso müssen sich die Mitgliedsstaaten auf ihr strategisches Verständnis der Welt einigen, die gemeinsamen Interessen der EU definieren und sich auf die Ins­trumente einigen, die sie gemeinsam einzusetzen bereit (und in der Lage) sind, um

Das nichtneue Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe zur G36-Nachfolge (BS/Dorothee Frank) Je mehr Details über die Vergabe des neuen Standard-Sturmgewehrs der Bundeswehr bekannt werden, desto seltsamer mutet der gesamte Prozess an. Und desto mehr sind durchaus Korruptionsvorwürfe gegen eine oder mehrere Personen zur Begünstigung des Unternehmens C. G. Haenel zu erheben. Heckler & Koch bei der mittleren Trefferwahrscheinlichkeit vorn.” Hinzu seien Fehlfunktionen bei Tests mit der MK 556 gekom­ men, wie etwa Einzelfeuer statt Dauerfeuer oder Prellschläge im Abzug, welche die Prüfer zu dem Urteil veranlasst hätten, dass das Sturmgewehr von Haenel noch nicht vollständig ausgereift sei und Verbesserungspotenzial böte – im Gegensatz zu der Waffe von Heckler & Koch. In die offizielle Wertung seien diese Beobach­ tungen allerdings aufgrund der Vorgaben nicht eingeflossen. 3) Der knappe Preisunterschied von gerade einmal rund 27 Mil­ lionen Euro führte schnell zum Verdacht, der Konkurrent sei über das Angebot von Heckler & Koch informiert worden und habe daraufhin sein DumpingAngebot gemacht. Ein NeunMann-Unternehmen besitze schließlich kaum die notwen­ digen Herstellungsanlagen, müsse die Fabrik erst aufbau­ en, Zulieferer und Fachkräfte finden: alles Kostenstellen, die ein Großproduzent nicht besitzt.

Hinweise auf Unregelmäßigkeiten Alle, diese Hinweise auf einen doch eher ungewöhnlichen Ver­ gabeprozess beginnen im Grun­ de mit den Ausschreibungskri­

Die Vergabe ist wieder offen: Wer wird das neue Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr liefern? Foto: BS/Bundeswehr, Marco Dorow

terien. Wer forderte, dass die Ansprüche an sich bewerbende Unternehmen derart gering wa­ ren? Wer sorgte dafür, dass die Vorgaben so definiert waren, dass die Testergebnisse der BAAINBw-Prüfer nicht in die offizielle Wertung einflossen? “Insgesamt ist festzuhalten”,

zitiert Business Insider die Prüfer im Bericht zur Waffe von C.G. Haenel, “dass die Waffen der Fir­ ma Haenel noch Verbesserungs­ potenzial bei einzelnen Bauteilen aufweisen.” Warum sollte die Bundeswehr als neue Standard­ bewaffnung ein Sturmgewehr mit Verbesserungspotenzial erhalten

statt eines, das aufgrund seiner Leistung von anderen Nationen ebenfalls als Standardbewaff­ nung eingeführt ist? Ebenfalls überraschend war, dass die sonst so wichtige poli­ tische Kontrolle über Waffenex­ porte, mit deutschem Know-how entstanden, ebenfalls beiseite­ geschoben wurde, holt man sich mit C. G. Haenel doch den Staatskonzern der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Cara­ cal in die Bundeswehr. Hieraus hätten sich durchaus interes­ sante Konstellationen ergeben können, wenn Deutschland Rüs­ tungsexporte – beispielsweise aufgrund des Jemen-Krieges – Richtung VAE verbietet, in die andere Richtung allerdings das Standardsturmgewehr zur Bun­ deswehr kommt. Diese Gedan­ kenspiele stießen auch in der CDU auf wenig Begeisterung, es war von heftiger Kritik durch die eigenen Parteigenossen zu hören.

Vergabestopp Allerdings brachen nicht diese Unregelmäßigkeiten der Verga­ be an C. G. Haenel das Genick, sondern mögliche Patenrechts­ verletzungen. “Auf Grundlage des am 30. September 2020 bei der 1. Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt einge­ gangenen Nachprüfungsantrags

diese Interessen voranzutreiben. Und dies kann sich als genauso schwierig erweisen wie die Zuwei­ sung ausreichender finanzieller Mittel zur Stärkung der eigenen militärischen Fähigkeiten. Lasst uns an der Stärkung die­ ser gemeinsamen strategischen Vision arbeiten und die Konsul­ tationsmechanismen im Rahmen des Rates vertiefen. Lasst uns diskutieren, wie Nicht-EU-Länder in Europa und gegebenenfalls auch “Like-Minded Partner” aus der ganzen Welt in diese Kon­ sultationen einbezogen werden können. Einige Vorschläge liegen bereits vor, und auch wenn die Krise ihre Umsetzung auf Eis gelegt hat, kommen wir auf sie wieder zurück. Beginnen wir mit der Überprüfung unserer eigenen Positionen. Vermeiden wir ein­ seitige Maßnahmen, bei denen starke Positionen und Meinungen anderer Mitgliedsstaaten außer Acht gelassen werden, und unter­ lassen wir es, das Vetorecht bei der Aushandlung gemeinsamer Positionen oder bei Entscheidun­ gen übermäßig zu nutzen. Die Krise, die wir in diesem Frühjahr erlebt haben und die bei Weitem noch nicht zu Ende ist, hat gezeigt, dass die Sicherheit unserer Gesellschaften, heute mehr denn je, nicht nur eine Fra­ ge militärischer Kapazitäten ist. Die Pandemie hat uns die Not­ wendigkeit vor Augen geführt, gesellschaftliche Widerstands­ fähigkeit aufzubauen, die auf mehreren, sich gegenseitig er­ gänzenden Säulen beruht. Wir werden nie alle möglichen Kri­ sen oder ihre genauen Konturen vorhersehen können. Doch wir können mit Sicherheit vorher­ sagen, dass noch weitere Kri­ sen kommen werden. Und sie müssen nicht unbedingt eine weitere Pandemie sein. Es könnte sich um eine Reihe schwerwie­ gender Cyber-Angriffe oder um facettenreiche Auswirkungen des Klimawandels handeln. Deshalb müssen wir über funktionierende Mechanismen verfügen, die auf diese asymmetrischen Schocks reagieren können. Die diesjährige Krise hat deutlich gezeigt, dass eine Schließung für Europa keine lebensfähige Variante ist.

der Firma Heckler & Koch hat die Vergabestelle des Bundes erstmalig nachprüfbar von ei­ ner möglichen Patentrechtsver­ letzung durch die Firma C. G. Haenel GmbH Kenntnis erlangt”, teilte das BMVg mit. “Die da­ raufhin eingeleiteten internen Prüfungen haben zum Ergebnis geführt, dass eine entsprechende Patentrechtsverletzung durch den Bieter C. G. Haenel GmbH zulasten des Bieters Heckler & Koch nicht auszuschließen ist. Vor diesem Hintergrund war die Vergabestelle des Bundes angehalten, das Informations­ schreiben (§ 134 GWB) an die Bieter über die beabsichtigte Zu­ schlagserteilung an die Firma C. G. Haenel GmbH aufzuheben.” Angesichts des gesamten selt­ sam anmutenden Vergabeprozes­ ses sowie der möglichen Beteili­ gung der Vereinigten Arabischen Emirate an dem Gesamtprozess könnte die Patenrechtsverlet­ zung am Ende des Tages nur ein willkommener Anlass gewesen sein, um die bereits ungeliebte Entscheidung rechtssicher zu beenden. Eine solche Patent­ rechtsverletzung ist allerdings durchaus denkbar, da die ent­ scheidenden Waffenentwickler bei Caracal und C. G. Haenel ehemalige Mitarbeiter von Heck­ ler & Koch sind. Auch hierü­ ber ließe sich im Nachgang des gesamten Desasters durchaus diskutieren, ob nicht nur Waf­ fensysteme, sondern auch deren Entwickler gewissen “Export­ beschränkungen” in nur mäßig demokratische Länder unterlie­ gen sollten.


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s ist ein nasskalter Vormittag im sechstgrößten kommunalen Forstbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen. Stefan Lott steht auf einer großen Lichtung, an deren Rand der Grund für die vielen gerodeten Flächen liegt, die auf der Rundtour durch sein Forstrevier immer wieder auftreten werden: “Wir haben in den letzten Jahren einen Großteil unseres Fichtenbestandes verloren. Durch den Klimawandel fehlt den Bäumen die Wasserzufuhr, sodass der Harz nicht mehr ausreichend produziert werden kann, der die Bäume im Normalfall vor den Borkenkäfern schützt.” Ohne diesen Schutz können sich die Käfer nun problemlos in die Bäume hineinfressen und diese von innen aushöhlen. Der Förster rechnet damit, dass die letzten Bäume in den kommenden Jahren allesamt der Käferplage zum Opfer fallen werden – innerhalb von rund sieben Jahren wird dann eine halbe Million Bäume aus der Nachkriegszeit nicht mehr existieren. Doch im Wald der Stadt gibt es noch weitere Probleme: Während die Eichen mit ihren dicken, krustigen Rinden dem Klimawandel relativ robust trotzen, haben immer mehr Buchen Probleme mit einem durchaus menschlichen Problem: Sonnenbrand. Die dünne, flache Rinde trocknet vollkommen aus und platzt anschließend auf. In die Risse setzen sich sofort Pilze und machen das Holz größtenteils unbrauchbar. So muss der 49-jährige Förster im Friedwaldrevier, das seit 2006 im Wald existiert, nicht nur die nachhaltige Verjüngung des Baumbestandes mit hitzetoleranteren Arten umsetzen, sondern zusätzlich immer wieder Ersatz für Bäume pflanzen, an denen bereits Menschen bestattet wurden. Dabei versucht er sich in kreativen Alternativen mit Bäumen, die mit den neuen klimatischen Bedingungen besser umgehen können und den Grabflächen neues Leben einhauchen. Neben dem Waldgrab an einer abgestorbenen Buche hat er beispielsweise eine Baumart gepflanzt, die bereits 1937 der spätere Bundeskanzler und Pflanzenfreund Konrad Adenauer in seinem Rhöndorfer Garten pflanzte: einen Japanischen Blauglockenbaum. Diese Baumart ist laut Lott besonders robust gegenüber den neuen Umständen und wächst bislang gesund und munter aus dem runden Netz, das die Setzlinge im ganzen Wald vor Rotwild schützt. Denn die Hirsche und Rehe würden die jungen Bäume ansonsten in kürzester Zeit auffressen oder mit dem Geweih abbrechen. Aber auch mit gebietsheimischen Raritäten wie dem Speierling baut der Förster einen neuen Wald, der sich von der kriegsbedingten Monokultur der Fichten loslöst und stattdessen auf eine große Vielfalt setzt. Auf der Lichtung deutet Lott dabei auf den Speierling mit der Ordnungsnummer 1.000 im Friedwald, der für ihn ein ganz besonderes Exemplar darstellt. So erlitt ein guter Freund, der ihm erst kurz vorher beim Hausbau geholfen hatte, einen Herzinfarkt und verstarb aufgrund dessen plötzlich und unerwartet. Da Lott diese Baumart auch bei sich im Garten gepflanzt hatte und ein besonderes Faible für sie hegt, suchte er gemeinsam mit der Ehefrau seines Freundes jenen besonderen, am besten wachsenden Baum in einer neuen Pflanzung aus: “Er hatte damals eine junge Tochter und der Baum war damals ebenfalls noch frisch gepflanzt. Damit war es genau der richtige Baum, der mit seiner Tochter gemeinsam groß werden kann und die beiden somit auf ewig verbindet”, so der Förster, der nun fast jeden Tag an der Ruhestätte seines alten Kumpels vorbeikommt. Die Einbindung

Behörden Spiegel / November 2020

Fragiles Gleichgewicht aus Leben und Tod Stefan Lott ist Revierförster für Bäume – und Gräber (BS/Wim Orth) Nicht nur im Alltag, und vor allem in Zeiten von Corona, strömen die Menschen immer weiter zurück in die Natur. Auch bei den Planungen für die Zeit danach erfreut sich der Trend zur ewigen Ruhestätte in Friedwäldern überall in Deutschland großer Beliebtheit. Stefan Lott ist Amtsleiter im Forstbüro der Stadt Bad Münstereifel und gleichzeitig Revierförster für den dortigen Friedwald im Ortsteil Iversheim. In seinem Forstrevier kümmert sich der Amtsleiter um die Betreuung der rund 10.000 Urnengräber und kämpft gleichzeitig einen täglichen Kampf gegen die immer deutlicher zutage tretenden Auswüchse des Klimawandels. Denn diesen spürt man kaum so deutlich wie im Wald, in dem ein fragiles Gleichgewicht – und damit auch die grüne Lunge der Stadtbevölkerung – immer mehr ins Wanken kommt.

Der Klimawandel und seine Auswirkungen machen auch vor dem Friedwald nicht h alt. Sterben Bäume ab oder müssen aus sonstigen Gründen gefällt werden, gibt es ein Anrecht auf Ersatz. In Absprache mit den Angehörigen versucht Lott dabei, auch kreative Lösungen umzusetzen, in diesem Fall in Form eines Japanischen Blauglockenbaumes.

Stefan Lott in seinem "Märchenwald". Rund 200 Jahre – oder fünf Förstergenerationen – dauert es, bis aus einer der Eicheln in der Schüssel ein stolzer Eichenbaum gewachsen ist. Eine kerzengerade Eiche bringt je nach Beschaffenheit einige tausend Euro für den Forstbetrieb der Stadt Bad Münstereifel ein. Fotos: BS/Orth

von persönlichen Charakteristika ist für die Angehörigen bei der Auswahl der letzten Ruhestätte im Wald extrem wichtig, aber auch für die Verstorbenen selber. Denn man kann sich auch zu Lebzeiten bereits einen Baum aussuchen und diesen für die eigene Beisetzung reservieren, erklärt Lott. Fällt ein Baum dann durch Krankheit oder Sturm aus, haben die Angehörigen das Recht auf angemessenen Ersatz, wobei entweder dieselbe Baumart aufs Neue gepflanzt wird – oder eben kreative Neulösungen gesucht werden wie eben im Fall der Japanischen Blauglocke.

Vielfalt ist essenziell Da man sich in Zeiten eines extremer werdenden Klimas und sonstiger äußerer Einflüsse nicht mehr auf einzelne Baumarten verlassen kann, setzt Lott in seinem Wald auf eine gesunde Mischung vieler Baum- und Pflanzenarten. Besonders deutlich wird dies in einem Abschnitt, der nur durch einen Weg getrennt wird. Dort präsentiert der Förster gegenüber einer verbliebenen Fichten-Monokultur auf der anderen Seite des Weges einen Mischbestand, den er seit rund zehn Jahren sukzessive aufbaut. “In diesem Bestand haben wir mehr als zwölf verschiedene Mischbaumarten, die alle klimastabile Charakteristika mitbringen. Diese haben wir vor zehn Jahren angepflanzt und lassen sie nun wachsen. Später werden dann gezielt die gewünschten Baumarten für den Endbestand herausgepflegt”, erklärt Lott das Vorgehen hin zu einem Wald mit vielen verschie-

denen Pflanzen, die in Einklang leben sollen. Und da der Fichtenwald gegenüber durch den Borkenkäfer dem Tode geweiht ist, hat er mittlerweile auch in diesem Abschnitt begonnen, auf ähnliche Art einen Mischwald heranzuzüchten. Hier arbeitet er hauptsächlich mit Setzlingen der Weißtanne, aber sät zudem auch Eicheln der Traubeneiche, des Stolzes seines Waldes. Dieser Stolz stellt allerdings gleichzeitig auch eine enorme Herausforderung dar, denn die Verjüngung dieser bis zu 200 Jahre alten Baumflächen bedarf eines besonderen Fingerspitzengefühls. Ein besonderes waldbauliches Ziel ist dabei die Ernte der Eichen: “Da an der Pflege und Auslese dieser Bäume fünf Förstergenerationen beteiligt waren, ist das immer eine ehrfürchtige

Aufgabe. Wir fällen nur zehn bis maximal 15 Stück pro Jahr und submittieren diese als Furnierhölzer bei der Wertstammholzsubmission Rheinland in Bonn. Im Schnitt bringt der Festmeter um die 600 Euro, besondere Stämme sogar bis zu 2.000 Euro ein. Der naturkundliche Wert ist aber kaum bezifferbar, denn für einen Förster sind diese Bäume die Kronjuwelen des Waldes”, schwärmt Lott. Das Saatgut der Traubeneichen bezieht der Förster aus seinen eigenen, staatlich anerkannten Saatgutbeständen. Nach der Ernte der Eicheln lässt er die jungen Bäume in einer Forstbaumschule anziehen und pflanzt sie schließlich als zwei bis dreijährige Jungpflanzen wieder in den Stadtwald ein. Diese Jungbäume aus eigener Herkunft wachsen laut Lott

Der Forstbetrieb der Stadt Bad Münstereifel (BS) Der Forstbetrieb der Stadt Bad Münstereifel bewirtschaftet den sechstgrößten kommunalen Stadtwald in Nordrhein-Westfalen. Da der Wald – wie fast überall sonst auch – stark vom Klimawandel betroffen ist, müssen Stefan Lott und seine Kollegen in den drei Revieren (Nord, Süd und Friedwald) neue Strategien entwickeln, um die Zukunft des Forstes nachhaltig zu sichern und gleichzeitig die Grundlage für die Vermarktung des Holzes neu zu gestalten. Gerade die nach dem Krieg in großem Maße angepflanzten Monokulturen, wie bspw. die Fichte, werden daher sukzessive in klimastabile Mischbestände umgewandelt, sodass der Anteil der Baumarten an der ursprünglichen Waldzusammensetzung vergrößert wird. Neben der Verjüngung des Baumbestandes, der forsttechnischen Betreuung des Friedwaldes und dem Verkauf der Hölzer vermarktet der Forstbetrieb zudem die staatlich anerkannten Saatgutbestände. Außerdem werden die Jagd- und Landverpachtung, die Klimaschutzprojekte der Stadt sowie die Naturschutzstation als umweltpädagogische Einrichtung des Forstbetriebes über das Amt geregelt.

Nicht nur die Fichten leiden unter den neuen Bedingungen in einem extremer werdenden Klima. Viele Buchen im Revier des Försters haben durch die starke und direkte Sonneneinstrahlung mit Sonnenbrand zu kämpfen. Sobald erste Risse auftreten, setzen sich Pilze in der Rinde fest, die das Holz zerstören.

nachweislich besser an als die der Konkurrenz, denn “sie wissen einfach, wo sie herkommen und wo sie hingehören”. Ähnlich handhabt der Förster es auch mit der Weißtanne, deren Zapfenernte er kürzlich mit einer stolzen Masse von 407 Kilogramm abgeschlossen hat.

Von West nach Ost und wieder zurück Bei der Suche von Lösungen auf die drängenden Probleme von heute und morgen hilft dem verheirateten Vater eines erwachsenen Sohnes seine breite Erfahrung. Nach der Schule absolvierte er ab 1989 zunächst eine Lehre zum Forstwirt bei der Stadt Lemgo und ging anschließend, kurz nach der Wende, für sein Diplomstudium der Forstwirtschaft nach Thüringen, wo er im Anschluss auch sein Referendariat verbrachte und fünf Jahre in der Landesforschungsanstalt Thüringen in Gotha aktiv war, erst als Büroleiter, dann in der Standortskartierung. “Dort habe ich ganz wichtige Erfahrungen sammeln können, denn besonders die Standort- und Bodenkunde sind in Zeiten des Klimawandels wichtiger denn je, da jede neue Baumartenwahl eine Festlegung für Jahrhunderte bedeutet”, so der Förster. Nach einigen Jahren zog es Lott allerdings wieder in die Praxis. Im Jahr 2002 bot sich die Chance, wieder zurück nach Nordrhein-Westfalen zu gehen und mehr eigenverantwortliche Arbeit mit “einem wundervollen Naturraum und wertvollem Waldbestand zu verbinden”. Also bewarb er sich auf die Ausschrei-

bung als Revierförster in Bad Münstereifel und setzte sich gegen rund 250 Mitbewerber durch. Nach knapp 20 Jahren arbeitet er inzwischen schon wieder am nächsten Generationenwechsel. Die Bewerber sind nicht mehr ganz so zahlreich, denn auch im Forstberuf spiegelt sich der Fachkräftemangel wider, aber immer noch gibt es engagierte Studienabgänger für die Zukunft des Waldes. So konnte Lott einen Teil seines Revieres an eine 28-jährige Kollegin abgeben, die die Revierleitung für das Gebiet übernommen hat. Dabei ist der Beruf attraktiv, denn Förster werden im Regelfall verbeamtet und steigen vom Start in der Besoldungsstufe A9 sukzessive auf bis hin zu A13, wenn sie die Karriereleiter voll erklimmen. Ein Studium, heute im Format Bachelor und Master, ist jedoch zwingende Voraussetzung, um Revierförster bzw. -försterin werden zu können. Der Friedwaldförster selbst wurde nach der Einstellung der jungen Kollegin in die Amtsleitung berufen, wo er sich nun federführend um den Innendienst, die Ratsarbeit, zwei Revierleiter und Themen wie Wirtschaftlichkeit, Klimaschutz und Landverpachtung kümmert. Am liebsten ist Stefan Lott aber weiterhin in “seinem” Wald unterwegs, wohin ihn regelmäßig auch seine Frau begleitet, die scherzhaft zu sagen pflegt, dass sie in den Wald gehen muss, wenn sie ihren Mann mal sehen will. Dies tut sie aber zum Glück sehr gern, da sie seine Leidenschaft für den Wald teilt.


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