Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
Nr. VI / 36. Jg / 36. Woche
Berlin und Bonn / September 2020
G 1805
www.behoerdenspiegel.de
“Möchte beides nicht missen”
Einfacher, schneller, flexibler
“Hier beginnt der Einsatz”
Ashok Sridharan über die Zukunft Bonns ......................... Seite 13
Prof. Dr. Andreas Pinkwart zur digitalen Verwaltung als Partner der Wirtschaft ����� Seite 22
Steffen Demuth über seine Arbeit als Leitstellendisponent in München ....... Seite 48
BMI muss TwitterChats herausgeben (BS/stb) Das Bundesminsterium des Innern (BMI) muss vom offiziellen Konto aus versandte Twitter-Direktnachrichten veröffentlichen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Geklagt hatte ein Journalist und Aktivist des Online-Portals “Frag den Staat”, nachdem das BMI es abgelehnt hatte, angefragte Nachrichten aus dem Zeitraum von Mai 2016 bis Mai 2018 herauszugeben. Das Gericht hat entschieden, dass Twitter-Direktnachrichten unter das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) fallen. Es handle sich dabei um amtliche Informationen, auch wenn sie nicht in Form offizieller Akten vorlägen. Das Urteil könnte auf andere elektronische Nachrichtendienste wie Facebook und WhatsApp übertragbar sein.
Wiedererrichtung verfassungsgemäß (BS/mfe) Die Wiederrichtung der Bayerischen Grenzpolizei ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt allerdings nicht für die Zuweisung grenzpolizeilicher Befugnisse an sie. Das entschied der Verfassungsgerichtshof des Freistaates in München. Nach Auffassung der Richter verstößt die Regelung zur Wiedererrichtung der Einheit nicht gegen das Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes. Die Aufgabe des grenzpolizeilichen Fahndungsdienstes, die sogenannte Schleierfahndung, sei unbestritten eine Aufgabe des Landes. Die Zuweisung grenzpolizeilicher Aufgaben hingegen beanstandeten die Verfassungsrichter. Dadurch werde unter Verletzung der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes materielles Grenzschutzrecht geregelt.
In die Zeit stellen Bund novelliert Bundespersonalvertretungsgesetz (BS/Jörn Fieseler) Schon lange fordern Gewerkschaften eine grundlegende Überarbeitung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG). Jetzt, nach Jahren der Diskussion, ist es so weit. Der Bund hat einen ersten Referentenentwurf vorgelegt. Der löst erwartungsgemäß Kritik aus. Doch auch die Personalvertreter müssen sich diese gefallen lassen. Und: Dieser Entwurf kann nur der Auftakt sein. Eine grundlegende Novellierung des BPersVG ist seit Jahren überfällig. Seit 1974 hat das Gesetz keine wesentlichen Änderungen mehr erfahren. Das könnte für die Qualität der Normen sprechen, weshalb Anpassungen nicht nötig waren – doch so ist es nicht. Die Arbeitsbedingungen haben sich in vielen Punkten grundlegend geändert. Arbeitszeitmodelle sind deutlich flexibler geworden, neue Formen außerhalb der Dienststelle haben Einzug in die Arbeitsorganisation gehalten. Und nicht zuletzt haben sich die Arbeitsmittel gravierend verändert. Hinzugekommen sind neue Themen wie das behördliche Gesundheits- und Eingliederungsmanagement. Vieles davon war in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht vorhersehbar. Das soll nun mit dem neuen Entwurf geändert werden. Dennoch sparen die Gewerkschaften nicht mit Kritik. Vor allem beim Letztendscheidungsrecht parlamentarisch verantwortlicher Entscheidungsträger. Oberste Dienstbehörden sollen künftig einen Beschluss der Einigungsstelle aufheben können. Diese schlichten Meinungsverschiedenheiten zwischen Dienststellen und Personalvertretungen. “Damit wird der Grundgedanke des BPersVG untergraben”, moniert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).
Das Bundespersonalvertretungsgesetz besteht zu großen Teilen aus den Regelungen von 1974. Nach über 45 Jahren wird es Zeit, dieses Gesetz zu novellieren und an die modernen Arbeitsbedingungen und Kommunikationsformen anzupassen. Foto: BS/shaiith, stock.adobe.de
Außerdem werden die Mitbestimmungstatbestände neu geordnet. Die Mitbestimmung bei ressortübergreifenden Maßnahmen bleibe aber außen vor. Hier wünschen sich die Beschäftigtenvertreter die Einbeziehung der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften für alle Angelegenheiten, die über den Geschäftsbereich einer obersten Bundesbehörde hinausgehen und nicht über andere Ins trumente zu regeln sind. Auch
Themen, die nicht durch einen Tarifvertrag vereinbart werden können, sollen nach der Forderung von DGB, Verdi und DBB Beamtenbund und Tarifunion über diesen Weg geregelt werden. Hier müsse sich der Gesetzgeber bewegen. Bewegen müssen sich ebenso die Personalvertreter. Die Einführung von Telefon- und Videokonferenzen im Rahmen der Corona-Krise zeitlich zu befristen, ist angesichts der neuen
Kommunikationsmittel schon verwunderlich gewesen. Diese neuen Kommunikationsmittel mit dem Hinweis abzulehnen, dass dadurch eine Abhör-Gefahr bestehe, ist absurd. Die Personalräte sollen über neue Formen der Arbeit mitreden dürfen und auch mit der Dienststelle einfach per Mail kommunizieren können, aber bei ihren Sitzungen ist weiterhin Präsenz vor Ort gefordert. Das ist antiquiert. Auch hier muss die Arbeitsweise in die Zeit
Kommentar
Geteilte Verhandlungen
Weniger Wasserköpfe
(BS/jf) Die Verhandlungen für einen Tarifvertrag im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sollen gesplittet werden. Einerseits verhandelt die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) in mehreren Bundesländern, darunter Berlin, über die Entgelte. Diese Gespräche sind nun in der Hauptstadt vertagt worden. Denn andererseits will Verdi mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in Verhandlungen zu einem Rahmentarifvertrag ÖPNV eintreten. “Wir warten die weitere Entwicklung auf Bundesebene ab”, sagte Claudia Pfeiffer, Geschäftsführerin des Kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV) Berlin, hinsichtlich der ausgesetzten Entgeltverhandlungen. Wann die Prüfung durch die VKA abgeschlossen ist, steht noch nicht fest. Sie befindet sich derzeit mit dem Bund, Verdi und dem DBB in Tarifverhandlungen zum TVöD. Mehr dazu auf Seite 3.
(BS) Es stellen sich doch Sinnfragen, die der normale Menschenverstand nicht ohne kognitive Dissonanz lösen kann. Warum sind vor allem Verwaltungsebenen der Behörden nach wie vor im Homeoffice, obwohl sie dort ihre Aufgaben nicht erledigen können, weil sie mit Blick auf sichere Kommunikationsmittel entweder gar nicht oder mangelhaft ausgestattet sind? Bei Polizei, Bundeswehr, THW und Feuerwehr ist das völlig anders. Da sind nicht nur notwendigerweise die Einsatzkräfte vor Ort, auch die Stäbe und große Teile des inneren Dienstes vollziehen nach vielleicht kurzer Homeoffice Phase wieder ihren Dienst im Büro, natürlich unter strengen Hygienevorschriften. Große zivile Behörden lassen ihre Mitarbeiter nach wie vor daheim, jedoch häufig ohne dass sie dort arbeiten können. Das gilt auch für Unternehmen wie Post oder die Telekom. Bei diesen beiden Unternehmen sei noch unterstellt, dass deren Beschäftigte mit dem notwendigen Equipment ausgestattet sind. Das gilt leider für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung häufig nicht. Sie können
nicht den Dienst von zu Hause aus tun, weil der Kundenkontakt nicht stattfindet, oder weil sie nicht das Equipment, besonders nicht die sicheren Übertagungstechniken haben. Es wird sich also notwendigerweise die Frage bei Behörden, aber auch bei vielen Unternehmen stellen, ob das Verhältnis zwischen operativen Kräften und der allgemeinen Verwaltung in den letzten Speckjahren völlig aus dem Ruder gelaufen ist? Wenn öffentliche Aufgaben auch ohne einen großen Verwaltungsapparat funktionieren, wenn bei Unternehmen auch weiterhin die Zustellung funktioniert, wofür brauchen wir dann die gigantischen Wasserköpfe? Eine bittere Erkenntnis. Eine unangenehme Frage, aber
nach Corona wird man sie stellen müssen. Mehr noch: Corona wird die Diskussion erzwingen. Die Verwaltung verwaltet sich vor allem selbst. Das gilt für alle Großorganisationen, ob öffentlich oder privat. Öffentliche Dienstleistungen laufen Großteils weiter, wie nach Aufhebung des Lockdowns auch die industrielle Produktion. Die Antworten waren im Öffentlichen Dienst in der Vergangenheit des Spardiktats so falsch wie sie es jetzt auch bei der Industrie sind: Es wurde z. B. bei der Polizei gespart statt an der inneren Verwaltung, bei den Unternehmen geschieht es jetzt im Moment genauso, es werden Techniker entlassen, statt überflüssige Verwaltungsmitarbeiter. R. Uwe Proll
Wahl-Wettlauf
gesetzt werden. Dazu wird es mit Sicherheit noch Möglichkeiten geben. Entweder im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im Parlament oder bei einer späteren Aktualisierung. Denn das Gesetz beinhaltet überwiegend das, was im Rahmen eines konstruktiven Vorab-Dialoges bei allen Beteiligten auf Konsens gestoßen ist – den Dienststellen, den Personalvertretungen und den Gewerkschaften. Das zeigt einen oft gewünschten Pragmatismus. Ein Gesetzesentwurf muss nicht so lange abgestimmt werden, bis eine 100-Prozent-Lösung erarbeitet ist. Es ist richtig, erst eine 80-prozentige Lösung umzusetzen und die übrigen Punkte mit einem längeren Dialogprozess zu klären. Das bedeutet aber auch: Die Aussage “Die Fortentwicklung des Bundespersonalvertretungsgesetzes unter Berücksichtigung der sich stetig verändernden Organisationsund Arbeitsbedingungen in der öffentlichen Verwaltung bleibt ein kontinuierlicher Prozess” muss mit Leben gefüllt werden. Es darf nicht dazu führen, dass dieses Gesetz gemacht wird, um einen Punkt der Vorhabenliste aus dem Koalitionsvertrag abzuhaken. Die Fortentwicklung muss sich in der nächsten Legislatur auf der politischen Agenda wiederfinden.