Behörden Spiegel September 2020

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. VI / 36. Jg / 36. Woche

Berlin und Bonn / September 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

“Möchte beides nicht missen”

Einfacher, schneller, flexibler

“Hier beginnt der Einsatz”

Ashok Sridharan über die Zukunft Bonns ......................... Seite 13

Prof. Dr. Andreas Pinkwart zur digitalen Verwaltung als Partner der Wirtschaft ����� Seite 22

Steffen Demuth über seine Arbeit als Leitstellendisponent in München ....... Seite 48

BMI muss TwitterChats herausgeben (BS/stb) Das Bundesminsterium des Innern (BMI) muss vom offiziellen Konto aus versandte Twitter-Direktnachrichten veröffentlichen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Geklagt hatte ein Journalist und Aktivist des Online-Portals “Frag den Staat”, nachdem das BMI es abgelehnt hatte, angefragte Nachrichten aus dem Zeitraum von Mai 2016 bis Mai 2018 herauszugeben. Das Gericht hat entschieden, dass Twitter-Direktnachrichten unter das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) fallen. Es handle sich dabei um amtliche Informationen, auch wenn sie nicht in Form offizieller Akten vorlägen. Das Urteil könnte auf andere elektronische Nachrichtendienste wie Facebook und WhatsApp übertragbar sein.

Wiedererrichtung verfassungsgemäß (BS/mfe) Die Wiederrichtung der Bayerischen Grenzpolizei ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt allerdings nicht für die Zuweisung grenzpolizeilicher Befugnisse an sie. Das entschied der Verfassungsgerichtshof des Freistaates in München. Nach Auffassung der Richter verstößt die Regelung zur Wiedererrichtung der Einheit nicht gegen das Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes. Die Aufgabe des grenzpolizeilichen Fahndungsdienstes, die sogenannte Schleierfahndung, sei unbestritten eine Aufgabe des Landes. Die Zuweisung grenzpolizeilicher Aufgaben hingegen beanstandeten die Verfassungsrichter. Dadurch werde unter Verletzung der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes materielles Grenzschutzrecht geregelt.

In die Zeit stellen Bund novelliert Bundespersonalvertretungsgesetz (BS/Jörn Fieseler) Schon lange fordern Gewerkschaften eine grundlegende Überarbeitung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG). Jetzt, nach Jahren der Diskussion, ist es so weit. Der Bund hat einen ersten Referentenentwurf vorgelegt. Der löst erwartungsgemäß Kritik aus. Doch auch die Personalvertreter müssen sich diese gefallen lassen. Und: Dieser Entwurf kann nur der Auftakt sein. Eine grundlegende Novellierung des BPersVG ist seit Jahren überfällig. Seit 1974 hat das Gesetz keine wesentlichen Änderungen mehr erfahren. Das könnte für die Qualität der Normen sprechen, weshalb Anpassungen nicht nötig waren – doch so ist es nicht. Die Arbeitsbedingungen haben sich in vielen Punkten grundlegend geändert. Arbeitszeitmodelle sind deutlich flexibler geworden, neue Formen außerhalb der Dienststelle haben Einzug in die Arbeitsorganisation gehalten. Und nicht zuletzt haben sich die Arbeitsmittel gravierend verändert. Hinzugekommen sind neue Themen wie das behördliche Gesundheits- und Eingliederungsmanagement. Vieles davon war in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht vorhersehbar. Das soll nun mit dem neuen Entwurf geändert werden. Dennoch sparen die Gewerkschaften nicht mit Kritik. Vor allem beim Letztendscheidungsrecht parlamentarisch verantwortlicher Entscheidungsträger. Oberste Dienstbehörden sollen künftig einen Beschluss der Einigungsstelle aufheben können. Diese schlichten Meinungsverschiedenheiten zwischen Dienststellen und Personalvertretungen. “Damit wird der Grundgedanke des BPersVG untergraben”, moniert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).

Das Bundespersonalvertretungsgesetz besteht zu großen Teilen aus den Regelungen von 1974. Nach über 45 Jahren wird es Zeit, dieses Gesetz zu novellieren und an die modernen Arbeitsbedingungen und Kommunikationsformen anzupassen. Foto: BS/shaiith, stock.adobe.de

Außerdem werden die Mitbestimmungstatbestände neu geordnet. Die Mitbestimmung bei ressortübergreifenden Maßnahmen bleibe aber außen vor. Hier wünschen sich die Beschäftigtenvertreter die Einbeziehung der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften für alle Angelegenheiten, die über den Geschäftsbereich einer obersten Bundesbehörde hinausgehen und nicht über andere Ins­ trumente zu regeln sind. Auch

Themen, die nicht durch einen Tarifvertrag vereinbart werden können, sollen nach der Forderung von DGB, Verdi und DBB Beamtenbund und Tarifunion über diesen Weg geregelt werden. Hier müsse sich der Gesetzgeber bewegen. Bewegen müssen sich ebenso die Personalvertreter. Die Einführung von Telefon- und Videokonferenzen im Rahmen der Corona-Krise zeitlich zu befristen, ist angesichts der neuen

Kommunikationsmittel schon verwunderlich gewesen. Diese neuen Kommunikationsmittel mit dem Hinweis abzulehnen, dass dadurch eine Abhör-Gefahr bestehe, ist absurd. Die Personalräte sollen über neue Formen der Arbeit mitreden dürfen und auch mit der Dienststelle einfach per Mail kommunizieren können, aber bei ihren Sitzungen ist weiterhin Präsenz vor Ort gefordert. Das ist antiquiert. Auch hier muss die Arbeitsweise in die Zeit

Kommentar

Geteilte Verhandlungen

Weniger Wasserköpfe

(BS/jf) Die Verhandlungen für einen Tarifvertrag im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sollen gesplittet werden. Einerseits verhandelt die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) in mehreren Bundesländern, darunter Berlin, über die Entgelte. Diese Gespräche sind nun in der Hauptstadt vertagt worden. Denn andererseits will Verdi mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in Verhandlungen zu einem Rahmentarifvertrag ÖPNV eintreten. “Wir warten die weitere Entwicklung auf Bundesebene ab”, sagte Claudia Pfeiffer, Geschäftsführerin des Kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV) Berlin, hinsichtlich der ausgesetzten Entgeltverhandlungen. Wann die Prüfung durch die VKA abgeschlossen ist, steht noch nicht fest. Sie befindet sich derzeit mit dem Bund, Verdi und dem DBB in Tarifverhandlungen zum TVöD. Mehr dazu auf Seite 3.

(BS) Es stellen sich doch Sinnfragen, die der normale Menschenverstand nicht ohne kognitive Dissonanz lösen kann. Warum sind vor allem Verwaltungsebenen der Behörden nach wie vor im Homeoffice, obwohl sie dort ihre Aufgaben nicht erledigen können, weil sie mit Blick auf sichere Kommunikationsmittel entweder gar nicht oder mangelhaft ausgestattet sind? Bei Polizei, Bundeswehr, THW und Feuerwehr ist das völlig anders. Da sind nicht nur notwendigerweise die Einsatzkräfte vor Ort, auch die Stäbe und große Teile des inneren Dienstes vollziehen nach vielleicht kurzer Homeoffice Phase wieder ihren Dienst im Büro, natürlich unter strengen Hygienevorschriften. Große zivile Behörden lassen ihre Mitarbeiter nach wie vor daheim, jedoch häufig ohne dass sie dort arbeiten können. Das gilt auch für Unternehmen wie Post oder die Telekom. Bei diesen beiden Unternehmen sei noch unterstellt, dass deren Beschäftigte mit dem notwendigen Equipment ausgestattet sind. Das gilt leider für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung häufig nicht. Sie können

nicht den Dienst von zu Hause aus tun, weil der Kundenkontakt nicht stattfindet, oder weil sie nicht das Equipment, besonders nicht die sicheren Übertagungstechniken haben. Es wird sich also notwendigerweise die Frage bei Behörden, aber auch bei vielen Unternehmen stellen, ob das Verhältnis zwischen operativen Kräften und der allgemeinen Verwaltung in den letzten Speckjahren völlig aus dem Ruder gelaufen ist? Wenn öffentliche Aufgaben auch ohne einen großen Verwaltungsapparat funktionieren, wenn bei Unternehmen auch weiterhin die Zustellung funktioniert, wofür brauchen wir dann die gigantischen Wasserköpfe? Eine bittere Erkenntnis. Eine unangenehme Frage, aber

nach Corona wird man sie stellen müssen. Mehr noch: Corona wird die Diskussion erzwingen. Die Verwaltung verwaltet sich vor allem selbst. Das gilt für alle Großorganisationen, ob öffentlich oder privat. Öffentliche Dienstleistungen laufen Großteils weiter, wie nach Aufhebung des Lockdowns auch die industrielle Produktion. Die Antworten waren im Öffentlichen Dienst in der Vergangenheit des Spardiktats so falsch wie sie es jetzt auch bei der Industrie sind: Es wurde z. B. bei der Polizei gespart statt an der inneren Verwaltung, bei den Unternehmen geschieht es jetzt im Moment genauso, es werden Techniker entlassen, statt überflüssige Verwaltungsmitarbeiter. R. Uwe Proll

Wahl-Wettlauf

gesetzt werden. Dazu wird es mit Sicherheit noch Möglichkeiten geben. Entweder im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im Parlament oder bei einer späteren Aktualisierung. Denn das Gesetz beinhaltet überwiegend das, was im Rahmen eines konstruktiven Vorab-Dialoges bei allen Beteiligten auf Konsens gestoßen ist – den Dienststellen, den Personalvertretungen und den Gewerkschaften. Das zeigt einen oft gewünschten Pragmatismus. Ein Gesetzesentwurf muss nicht so lange abgestimmt werden, bis eine 100-Prozent-Lösung erarbeitet ist. Es ist richtig, erst eine 80-prozentige Lösung umzusetzen und die übrigen Punkte mit einem längeren Dialogprozess zu klären. Das bedeutet aber auch: Die Aussage “Die Fortentwicklung des Bundespersonalvertretungsgesetzes unter Berücksichtigung der sich stetig verändernden Organisationsund Arbeitsbedingungen in der öffentlichen Verwaltung bleibt ein kontinuierlicher Prozess” muss mit Leben gefüllt werden. Es darf nicht dazu führen, dass dieses Gesetz gemacht wird, um einen Punkt der Vorhabenliste aus dem Koalitionsvertrag abzuhaken. Die Fortentwicklung muss sich in der nächsten Legislatur auf der politischen Agenda wiederfinden.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / September 2020

Beim Spieleklassiker Pacman ging es darum, möglichst schnell alle Punkte aufzufressen, ohne sich von den Gegnern fangen zu lassen, um das nächste Level zu erreichen. Das gleiche Ziel, mit ähnlicher Geschwindigkeit muss sich auch die öffentliche Verwaltung setzen. Foto: BS/p2722754, pixabay

Das nächste Level erreichen Innovationsschub genutzt

Erfolgreich digitalisieren? Modernisieren!

Märkte unseres Vertrauens

Corona-Pandemie setzt in Baden-Württemberg Dr. Frank Nägele zur Verwaltungsmodernisierung .... Seite 28 Wo sichere Informationstechnik kaufen? ................. Seite 34 zusätzliches Potenzial frei ........................................... Seite 6

App statt Amtsstube Mehrgleisig fahren Baden-Württemberg vereinbart Doppelstrategie für OZG-Umsetzung .................................................... Seite 21

Entwurf verfassungswidrig?

Österreich entwickelt digitale Anwendungen Kritik an Plänen zur Registermodernisierung .............. Seite 36 für die Verwaltung der Zukunft ................................... Seite 29

Digitale Souveränität – Von “Users first” bis Machine Learning

Impressum

vom strategischen Umgang mit Abhängigkeiten ...... Seite 33

Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Bremens neuer CIO zu Leitbildern, Lehren und künftigen Trends ....................................................... Seite 23

Innen Spiegel

Oberste Priorität: Datenschutz Der Behörden Spiegel macht΄s (BS/bk) Der Behörden Spiegel arbeitet sowohl bei seinen Webinaren wie auch bei den Online-Diskussionen, Partner- und Informationsseminaren sowie weiteren Formaten auf der Plattform Digitaler Staat Online nur mit europäischen Technologieanbietern zusammen, die selbst dem Geltungsbereich der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) unterliegen. Diese Unternehmen sind verpflichtet, die Regularien des Europäischen Datenschutzes einzuhalten und keine personenbezogenen Daten auf Rechnern oder in Clouds außerhalb der Europäischen Union zu bearbeiten, zu hosten oder außerhalb der EU umzuleiten. Darüber hinaus hat der Behörden Spiegel mit diesen Unternehmen, deren technologische Plattformen für den Digitalen Staat Online genutzt werden, Auftragsdatenvereinbarungen (ADV) geschlossen. Die Vereinbarungen stellen sicher, dass die personenbezogenen Daten ausschließlich zweckgebunden für den Zutritt zu den OnlineFormaten genutzt werden. So können Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ohne Sicherheitsbedenken die neue digitale Plattform besuchen und an Live-Veranstaltungen teilnehmen. Der Digitale Staat Online erfreut sich darüber hinaus großer Beliebtheit. Seit seinem Start am 10. Juni beträgt die gesamte Sendedauer aller Formate über 194 Stunden. Insgesamt beteiligten sich über 73.000 Teilnehmer an den Formaten. Aber auch in den kommenden Wochen erwarten die Teilnehmer des Digitalen Staates Online viele Veranstaltungen. Neben etablierten Diskussionsrunden und Webinaren starten zwei neue Reihen. Anfang September startet die

Video-Reihe “Chef-Gespräche – Das Interview”. In dem Format stellen sich Führungspersönlichkeiten aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft den Fragen der Chefredaktion des Behörden Spiegel. Den Beginn macht der Oberbürgermeister Bonns, Ashok-Alexander Sridharan. Die zweite Neuerung kommt mit der Reihe DSO Defence. Bei dieser erwarten die Teilnehmer Online-Veranstaltungen rund um die Themen Verteidigung, Wehrtechnik und Streitkräfte. Dies bedeutet keineswegs, dass es keine Präsenzveranstaltungen mehr gibt. Diese starten zunächst im kleinen Rahmen mit der Veranstaltung “Zukunft Personalmanagement” in Bonn Anfang September. Zudem findet mit dem KI-Innovationssymposium am 29. September die erste Hybrid-Veranstaltung des Behörden Spiegel in Berlin und Web statt.

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Stadt Bonn Foto 2: BS/MWIDE Foto 3: BS/Klawon


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Berlin und Bonn / September 2020

Ärger bei der Arbeitszeit absehbar Außergewöhnliche Tarifrunde für Bund und Kommunen ist gestartet / schwierige und lange Verhandlungen

KNAPP Unterschiedliche Wahrnehmung (BS/jf) Die Fraktion der Linken

(BS/Jörn Fieseler) Die Positionen liegen weit auseinander: 4,8 Prozent lineare Steigerung, mindestens aber 150 Euro sowie 100 Euro für Praktikanten- und Ausbildungsentgelte, fordern im Bundestag erhält nach eigener die Gewerkschaften. Zusätzlich sollen weitere Verhandlungstische eingerichtet werden und es geht auch um ddie Verlängerung der Regelungen zur Altersteilzeit und die Angleichung Aussage immer wieder Zuschrifder Arbeitszeit zwischen Ost und West. Aber auch die Arbeitgeberseite hat Forderungen gestellt. ten von Versicherten im BasistaAllein die Mindestforderung bedeutet für die unterste Entgeltgruppe (EG 1) eine lineare Steigerung von sieben bis 7,7 Prozent. Zudem wirkt sie im Einstiegsgehalt bis zur Gruppe EG 9b (siehe rechts). “Der Öffentliche Dienst und seine Beschäftigten halten das Land zusammen”, unterstreicht Frank Werneke, Bundesvorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi). Das habe die Corona-Krise gezeigt. “Klatschen allein hilft niemandem, schon gar nicht den Beschäftigten und der Konjunktur.” Der Tarifrunde komme in diesem Jahr eine entscheidende Rolle bei der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu. “Wir haben einen robusten Binnenmarkt und die Chance auf dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung. Das wird sich nur dann realisieren lassen, wenn die Binnennachfrage dauerhaft belebt wird”, argumentiert Werneke.

Auswirkung der Mindesterhöhung Entgeltgruppe

Unterschiedliche Sichtweisen “Die Forderungen der Gewerkschaften sind völlig überzogen und würden zu Mehrkosten in Höhe von mindestens 5,7 Mrd. Euro führen”, entgegnet Ulrich Mädge, Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) – und das angesichts der schlimmsten Rezession seit Gründung der Bundesrepublik. Die Lage für die Kommunen sei dramatisch, die finanziellen Einbrüche massiv und die Kassen leer. “Einen Verhandlungsspielraum sehe ich nicht”, so Mädge. Demgegenüber betrachten die Gewerkschaften die vergangenen Jahre und die zukünftigen Entwicklungen. “Acht Jahre infolge wurden in den Kommunen Finanzüberschüsse erwirtschaftet. Im Jahr 2017 lag der Überschuss

Erfahrungsstufe 1

2

3

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E 11

168,39

185,09

200,75

217,74

240,98

254,06

E 10

162,26

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190,29

206,38

224,31

230,19

E 9c

157,46

169,27

181,97

195,61

210,28

220,80

E 9b

147,59

158,65

165,60

185,95

197,96

211,88

E 9a

142,31

151,85

161,13

181,63

186,24

198,00

E 8

134,83

144,00

150,35

156,69

163,49

166,76

E 7

126,51

137,07

143,36

149,71

155,70

158,92

E 6

124,13

132,82

138,92

144,95

150,87

153,89

E 5

119,08

127,51

133,20

139,24

144,84

147,74

E 4

113,43

121,96

129,12

133,58

138,04

140,64

E 3

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120,82

123,05

128,16

131,99

135,50

E2Ü

104,24

114,91

118,75

123,86

127,37

132,53

E 2

103,32

112,61

114,86

118,07

125,14

132,53

92,63

94,21

96,17

98,00

102,72

E 1

4

Blau markiert die Entgeltgruppen und -stufen, bei denen die Mindestforderung von 150 Euro wirkt.

Grafik: BS/Hoffmann, Quelle: eigene Berechnungen auf der Grundl. der Entgelttabelle TVöD VKA

bei 9,4 Milliarden Euro. Im Folgejahr 8,7 und in 2019 bei 4,5 Milliarden Euro”, sagt Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbund sund Tarifunion (DBB). Zudem würden die Gewerbesteuern laut der jüngsten Steuerschätzung von 41,7 Mrd. Euro auf 51,55 Mrd. Euro im Jahr 2021 steigen, während für 2022 Einnahmen in Höhe von 52,7 Milliarden Euro zu erwarten seien. “Im Herbst feiern wir den 30. Jahrestag der Deutschen Ein-

heit”, erinnert Volker Geyer, Fachvorstand Tarifpolitik beim DBB. Deshalb müsse es ein klares Signal für mehr Gerechtigkeit geben und die Arbeitszeit zwischen Ost und West auf 39 Stunden vereinheitlicht werden. “Das bedeutet für die ostdeutschen Arbeitgeber ein Volumen von 2,6 Prozent und würde sie mit über 330 Millionen Euro belasten”, entgegnet Niklas Benrath, Hauptgeschäftsführer der VKA. Zudem seien die kommunalen Arbeitgeber im Tarifbereich Ost

ohnehin besonderes durch die in der vergangenen Tarifrunde vereinbarte stufenweise Angleichung der Jahressonderzahlung auf das Niveau des Tarifbereichs West belastet. Mehr noch: Durch die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit müsste ein Personalausgleich erfolgen. Bei einer Stadt mit 25.000 Einwohnern und 150 Beschäftigten müssten vier zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Für die Stadt Dresden mit über 5.150 Stellen im Haushaltsplan 2020 müssten allein für die Kernverwaltung also rund 130 zusätzliche Stellen geschaffen werden.

Differenzierte Betrachtung notwendig Darüber hinaus sollen die Pausen im Pflegebereich als Arbeitszeit gerechnet werden, um so die Arbeits- und Entgeltbedingungen zu verbessern. Auch die Zulagen für Samstagsarbeiten müssten angepasst werden, zudem die Regelung zur Übernahme von Azubis verlängert werden. Dafür wollen Verdi und der DBB einen gesonderten Verhandlungstisch für den Gesundheits- und Pflegebereich einrichten. Auch die VKA besteht auf einen Extra-Verhandlungstisch für die Sparkassen. Die Corona-Krise treffe die Sparten der kommunalen Arbeitgeber sehr unterschiedlich. Dies müsse sich in den Betrachtungen widerspiegeln. In den letzten zehn Jahren waren die Betriebsergebnisse der Sparkassen durch die lang anhaltende Niedrig- und Minuszinsphase rückläufig. In diesem Zeitraum wurde der Personalbestand um 17 Prozent reduziert. Im Gegenzug seien die vergangenen Tarifabschlüsse hoch gewesen. “Es ist erforder-

lich, die Wettbewerbsfähigkeit der Sparkassen mittels eines wirtschaftlich vertretbaren Tarifabschlusses weiterhin zu gewährleisten”, sagte eine Sprecherin der VKA. Deshalb müsse das Thema gesondert behandelt werden, an einem eigenen Verhandlungstisch. Auch die Flughäfen seien besonders betroffen, der Flugverkehr sei fast komplett zusammengebrochen. Wenn überhaupt, werde das Verkehrsaufkommen von 2019 frühestens 2023 erreicht werden. “Die Flughäfen können angesichts existenzieller Einnahmeverluste und massiver Kurzarbeit keine Entgelterhöhungen verkraften”, heißt es seitens der VKA. Zudem würden Verhandlungen über einen Notlagentarifvertrag geführt, mit dem Arbeitsplätze gesichert und ein Beitrag zur Stabilisierung der Flughäfen geleistet werden sollen.

Weitere Attraktivitätssteigerung Darüber hinaus will die VKA die Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst moderner und attraktiver gestalten und dazu tarifliche Regelungen für das E-Bike- und Fahrrad-Leasing treffen. Außerdem soll ein Teil der leistungsorientierten Bezahlung geöffnet werden. Damit sollen Leistungen lohnsteuerfrei ausgezahlt werden können, z. B. Kita-Zuschüsse, Fahrtkostenzuschüsse für den ÖPNV oder Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. Angesichts dieser Themenfülle werden die Verhandlungen nicht sehr leicht und die einzelnen Runden am 19./20. September sowie am 22./23. Oktober in Potsdam langwierig werden. Und: Mit Abstandsregelungen und Maskenpflicht lässt sich nicht sehr gut demonstrieren.

rif der Privaten Krankenversicherung (PKV), wonach diese sich als Patienten dritter Klasse fühlten, da ihnen notwendige gesundheitliche Leistungen nicht erbracht würden. Für die Abgeordneten ist es daher unverständlich, dass es nach elf Jahren seit Bestehen des Basistarifs noch immer keine Regelung gebe, die eine Versorgung auf dem Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit freier (Zahn-) Arztwahl ermögliche. Dem widerspricht die Bundesregierung. Sie beobachte regelmäßig die Umsetzung des gesetzlichen Sicherstellungsauftrages bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Dabei zeige die geringe Zahl vorliegender Beschwerden, dass die Erfüllung dieses Auftrages sichergestellt sei. Deshalb sehe die Bundesregierung keinen Anlass, die Angaben der KVen und der KBV infrage zu stellen.

Nur bei konkreter Gefahr (BS/jf) Lehrerinnen darf das Tragen eines Kopftuches als Ausdruck ihrer Religionszugehörigkeit im Unterricht nur dann untersagt werden, wenn dadurch eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder für die staatliche Neutralität entsteht. Ein generelles Verbot, wie es im Berliner Neutralitätsgesetz geregelt ist, ist daher nicht verfassungskonform, urteilten die Richter vom Bundesarbeitsgericht. Geklagt hatte eine Diplom-Informatikerin, die im Rahmen ihrer Bewerbung beim Land Berlin erklärt hatte, als gläubige Muslima im Unterricht ein Kopftuch tragen zu wollen. Dem Neutralitätsgesetz fehle es an der unionsrechtlich erforderlichen Kohärenz.


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Behörden Spiegel / September 2020

Unklare Lage bei Zulage Droht Berlin der Rausschmiss aus der TdL?

Haltung zur Vielfalt etablieren

(BS/jf) Berlins Beamte bekommen ab November 2020 einen Zuschuss von 150 Euro pro Monat bis zur Besoldungsstufe A 13, die sogenannte Hauptstadtzulage. Ein Teil des Geldes kann in eine Monatskarte für den ÖPNV umgewandelt werden. Auch die Tarifbeschäftigten sollen in diesen Genuss kommen, doch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ist mehrheitlich dagegen.

(BS) Teams weisen häufig eine ausgeprägte Vielfalt an Identitäten, Wertestrukturen und Sichtweisen auf. Das darin liegende Potenzial ist nicht leicht zu heben.

Berlin muss mehr unternehmen in Sachen Arbeitgeberattraktivität. Diese Einsicht des Senats findet ihren Ausdruck in der Hauptstadt- oder Berlinzulage. Vorbild ist die in Bayern existierende Ballungsraumzulage für die Landeshauptstadt München und deren Umgebung. Diese wurde einerseits im Bayerischen Besoldungsgesetz (BayBesG) sowie andererseits in einem Tarifvertrag zwischen der Landeshauptstadt und dem VerdiLandesverband festgeschrieben. Für die Tarifbeschäftigten ist dieser Gehaltszuschuss für die steigenden Lebenskosten zu Beginn des Jahres 2020 von 135 auf 270 Euro pro Monat angehoben worden. Auch die Zahl der Bezugsberechtigten ist erhöht worden. Galt die Zulage im letzten Jahr nur bis zu den Entgeltstufen E 9c, P 12 und S 14, so erhalten die höheren Gehaltsgruppen seit Januar einen Betrag von 135 Euro. Demgegenüber sieht Art. 94 BayBesG für Landesbeamte, Anwärter und Dienstanfänger einen gestaffelten monatlichen Grundbetrag von 130,67/65,33 und 39,20 Euro vor. Allerdings wird die Zulage nur bis zu einem monatlichen Grundbetrag von knapp 3.800 Euro gewährt, bei Anwärtern und Dienstanfängern bis zu einem Grenzwert von rund 1.433 Euro. Daran anlehnend hat der Berliner Senat die Zulage

für die eigenen Landesbeamten gestaltet, um der zunehmend schwierigeren Personalgewinnung im Landesdienst und den in den nächsten Jahren erheblichen, altersbedingten Ausscheidungszahlen von Beschäftigten entgegenzuwirken. Damit auch die Tarifbeschäftigten in der unmittelbaren Landesverwaltung an der Spree von dieser Zulage profitieren, muss die Tarifgemeinschaft deutscher Länder einer außertariflichen Regelung als Rechtsgrundlage zustimmen. Jedoch: “Die Mitgliederversammlung der TdL hat den Antrag Berlins zu einer übertariflichen Hauptstadtzulage für die Tarifbeschäftigten des Landes Berlin mit deutlicher Mehrheit abgelehnt”, teilte ein Sprecher des TdL-Vorstandsvorsitzenden, des niedersächsischen Finanzministers Reinhold Hilbers (CDU), mit.

Satzungskonformes Verhalten erwartet Nun gehe die Mitgliedsversammlung davon aus, dass sich Berlin satzungskonform verhalte und den Beschluss befolge. Wenn nicht, kann die TdL zwar keine Sanktionen wie eine Geldstrafe aussprechen, sie kann jedoch Berlin erneut aus der Gemeinschaft ausschließen. Dafür müssten sich zwei Drittel der 15 Mitglieder, also mindestens neun, aussprechen und ei-

nem entsprechenden Beschluss zustimmen. Dazu ist es 1994 schon einmal gekommen. Erst 2013 wurde Berlin wieder in die Gemeinschaft aufgenommen.

Für Klarheit sorgen Derweil hat Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD), gegenüber dem DBB Beamtenbund und Tarifunion Berlin versichert, dass sich keiner im Senat von der Zulage für die rund 125.000 Landesbeamten und -tarifbeschäftigten verabschieden wolle. “Die Berliner Senatsfinanzverwaltung führt derzeit noch Gespräche mit den Gewerkschaften über die Hauptstadtzulage”, ergänzte ein Sprecher von Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz (SPD). Auch mit der TdL werde man noch einmal sprechen, um Möglichkeiten auszuloten und eine praktikable Lösung zu finden. Spätestens Anfang September werde Klarheit für die Beschäftigten herrschen – so die Prognose. “Die Grundidee war, die Beschäftigten des Landes Berlin finanziell zu entlasten, um die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten in der Hauptstadt abzufedern. Sich hierfür die Ballungsraumzulage des Freistaates Bayern im Verdichtungsraum München als Vorbild zu nehmen, ist weder unreflektiert noch dilettantisch”, heißt es aus der Senatsverwaltung für Finanzen weiter.

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Die Finanzierung der kommunalen Beamtenpensionsverpflichtungen Durch die Umstellung der öffentlichen Haushalts- und Finanzwirtschaft auf ein doppisches Rechnungswesen sind die Versorgungsverpflichtungen aus der Beamtenversorgung in Form von Pensionsrückstellungen in der Bilanz der Kommunen auszuweisen. Zahlreiche versicherungsmathematische Berechnungen belegen dafür einen erheblichen zukünftigen Finanzierungsbedarf. Die steigenden Pensionslasten können damit künftig zu einer großen Herausforderung für die Handlungsfähigkeit der Öffentlichen Hand werden. Zudem löst die Bildung von bilanziellen Pensionsrückstellungen an sich noch nicht das Problem der Finanzierung der künftigen Auszahlungen der Beamtenpensionen. Somit stellt sich für jede Kommune die Frage nach der Finanzierung der künftigen Pensionslasten. Die derzeit überwiegend praktizierte Finanzierung aus den laufenden kommunalen Haushalten bzw. über rein umlagefinanzierte Versorgungskassen kann vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung durchaus infrage gestellt werden. Ein Rückgriff auf das kommunale Vermögen scheidet in aller Regel aus, weil insbesondere das von den Kommunen vorgehaltene Infrastrukturvermögen kaum veräußerbar ist. Für die Finanzierung der künftigen Pensionszahlungen sollte folglich mit dem Aufbau eines Kapitalstocks begonnen werden. In Betracht kommen hierfür insbesondere kapitalbildende

Finanzierungsmodelle, d. h klassische Fonds und/ oder Versicherungslösungen. Klassische Fondslösungen bieten den Vorteil, dass sie sich hinsichtlich der Dotierung durch entsprechende Flexibilität auszeichnen. Hinsichtlich des Anlagerisikos steht bei klassischen Fonds der Chance auf eine Wertsteigerung der Anteile das Risiko von nicht unwesentlichen Wertverlusten gegenüber. Diese Abhängigkeit vom Kapitalmarkt hat sich zuletzt im Rahmen der Finanzmarktkrise eindrucksvoll gezeigt. Das Verlustrisiko lässt sich jedoch durch Diversifikation begrenzen. Der Gesetzgeber stellt hohe Anforderungen an die Sicherheit dieser Anlageformen und fordert zudem, dass eine zusätzliche Eigenkontrolle der Fondsentwicklung durch die Kommunen ständig sichergestellt ist. Weiterhin ist zu beachten, dass Anlagen in Fonds nur mit eigenen, frei verfügbaren finanziellen Mitteln zulässig sind. In diesem Zusammenhang stellt die Absicherung aller biometrischen Risiken im Zeitpunkt der erstmaligen Dotierung eine große Herausforderung dar. Diese ist jedoch notwendig, um eine ausreichende Liquidität zur Erfüllung der Versorgungsverpflichtungen in der Zukunft sicherzustellen. Ansonsten können nicht unerhebliche Finanzierungslücken entstehen. Die Verantwortung für die biometrischen Risiken bleibt hier bei der Kommune. Rückdeckungsversicherungen weisen ebenfalls eine hohe Flexibilität bezüglich der individuellen Gegebenheiten einer

Kommune auf und ermöglichen maßgeschneiderte Finanzierungskonzepte. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang garantierte Versorgungsleistungen sowie die Anpassungsfähigkeit an die zukünftige Personalentwicklung. Zudem können Rückdeckungsversicherungen in Abhängigkeit des Versicherungsumfangs eine umfassende Absicherung der biometrischen Risiken gewährleisten. Im Falle einer Kündigung wird der jeweilige Rückkaufswert der Versicherung (aktivierter Zeitwert abzüglich Stornogebühr) an die Kommune ausgezahlt. Um eine damit gegebenenfalls verbundene sachfremde Verwendung auszuschließen, sollten geeignete Zugriffsschranken vereinbart werden. Zugleich besteht bei Versicherungslösungen die Möglichkeit der Beleihung. Vor dem Hintergrund der Vorgaben an die Sicherheit einer Finanzanlage mit angemessenem Ertrag erfüllen Rückdeckungsversicherungen in besonderer Weise die haushaltsrechtlichen Anforderungen der Gemeindeordnungen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Sicherheit der Kapitalanlage, denn ein Verlust des eingesetzten Kapitals ist aufgrund der besonderen, an Versicherungen gestellten Anforderungen des VAG ausgeschlossen. Die Allianz Gruppe bietet seit vielen Jahren erfolgreich flexible Finanzierungsmodelle für die Finanzierung der kommunalen Beamtenpensionsverpflichtungen an. Bei Fragen steht Ihnen Sabine Duffner unter +49 711 663 4174 oder sabine.duffner@ allianz.de gerne zur Verfügung.

Der Umgang mit Diversität erfordert von Führungskräften ein hohes Maß an Selbstreflexion bezüglich eigener Vorurteile sowie Sicht auf Stereotypen Offenheit, unterschiedliche Sichtweisen zu akzeptieren und Konfliktfähigkeit, um auftretende Differenzen wie mögliche Diskriminierungen aktiv managen zu können. Sich selbst und das Team immer wieder für unterbewusst vorhandene Denkmuster und mögliche Vorurteile zu sensibilisieren, ist eine herausfordernde Daueraufgabe im Führungsalltag. Am besten lassen sich diese Denkmuster aufbrechen, wenn an konkreten Fragestellungen gemeinsam gearbeitet wird und die unterschiedlichen Standpunkte ausreichend Raum bekommen. Das kann im Einzelfall auch dazu führen, dass es

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom.

Foto BS/privat

keine einheitliche Regelung in einer konkreten Fragestellung gibt, wenn unterschiedliche Standpunkte valide Aspekte aufweisen. Um mit dieser uneinheitlichen Vorgehensweise klarzukommen, müssen alle Beteiligten bereit für einen Perspektivwechsel sein und versuchen, die jeweils andere Sichtweise auf sich wirken zu lassen. Dann ist erkennbar, dass bei-

spielsweise die Zahl “sechs” aus der anderen Perspektive wie eine “neun” aussieht. In solchen Auseinandersetzungen respektvoll und wertschätzend miteinander umzugehen, erfordert von allen Akteuren ein Verhalten, welches die natürlich vorhandene Vielfalt in die jeweils eigene Sicht mit einbeziehen will. Kommt es stattdessen zur bewussten Grenzüberschreitung oder Diskriminierung, sind diese mit einer Null-ToleranzHaltung zu behandeln und deutlich in die Schranken zu weisen. Verhaltensmuster im Einzelfall zu spiegeln, die Wechselwirkungen gemeinsam zu bewerten und die Erkenntnisse für eine divers geprägte Teamkultur daraus abzuleiten, sind wichtige Führungsaufgaben und erfordern eine konsistente wie klar erkennbare Haltung zur Vielfalt.

(K)eine Relevanz im Öffentlichen Dienst Weite Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs im Entgelt-Transparenzgesetz (BS/Jürgen Kutzki) Auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte haben einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber nach dem Entgelttransparenzgesetz. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) erstmalig im Fall einer freien ZDF-Redakteurin, die eine Übersicht über die Gehälter ihrer Kollegen verlangte. Die Entscheidung könnte zu einer stärkeren Nutzung des Auskunftsanspruchs führen. Das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) formuliert einen Auskunftsanspruch über vergleichbaren Lohn bei vergleichbarer Tätigkeit. Erklärtes Ziel ist, “das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen”, wie es in § 1 EntgTranspG heißt. Wendet der Arbeitgeber ein Entgeltsystem an, muss dieses Entgeltsystem als Ganzes sowie auch die einzelnen Entgeltbestandteile geschlechtsneutral ausgestaltet sein. Diese Anforderungen gelten für alle betrieblichen oder kollektivrechtlichen Bewertungs-, Einstufungs- oder sonstigen Entgeltsysteme, die in irgendeiner Form das Entgelt der Beschäftigten bestimmen oder beeinflussen, heißt es in § 4 Abs. 4 EntgTranspG. Diesem Erfordernis kommen die Besoldungsgesetze und die Tarifverträge (z. B. TVöD, TV-L, TVV, TV-Hessen) nach. Alles sei somit vergleichbar, man wisse ja, was jeder Beschäftigte “verdiene” bzw. wie er/sie eingruppiert oder besoldet sei. Deshalb sind die Kommentatoren des Gesetzes davon ausgegangen, dass das Gesetz keine Bedeutung für den Öffentlichen Dienst entfalte.

Änderung der Sichtweise Das könnte sich durch das Urteil des BAG vom 25.06.20, 8 AZR 145/19, nun ändern. Geklagt hatte eine Redakteurin, die seit 2007 bei einer Fernsehanstalt des öffentlichen Rechts tätig ist. Zunächst kam sie als OnlineRedakteurin auf der Grundlage befristeter Verträge zum Einsatz.

als freie Mitarbeiterin nicht unter das Entgelttransparenzgesetz falle und deshalb keinen Auskunftsanspruch habe. Rechtsanwalt Jürgen Kutzki ist Dipl.-Verwaltungswirt und Nach § 10 Abs. Mediator in Karlsruhe. 1 Satz 1 EntgTranspG haben Foto: BS/Fieseler “Beschäftigte” zur Überprüfung der Einhaltung Seit Juli 2011 befindet sie sich des Entgeltgleichheitsgebots in einem unbefristeten Vertrags- im Sinne dieses Gesetzes einen verhältnis, nach dem sie “bis auf Auskunftsanspruch nach MaßWeiteres” als freie Mitarbeiterin gabe der §§ 11 bis 16. Nach § gemäß einem bei der Beklagten 5 Abs. 2 EntgeltTranspG sind geltenden Tarifvertrag beschäf- u. a. Arbeitnehmerinnen und tigt ist. Aufgrund rechtskräftiger Arbeitnehmer Beschäftigte im Entscheidung des Landesarbeits- Sinne dieses Gesetzes. gerichts (LAG) steht fest, dass die Die Begriffe “Arbeitnehmerin” Klägerin nicht Arbeitnehmerin und “Arbeitnehmer” in § 5 Abs. im Sinne des innerstaatlichen 2 Nr. 1 EntgTranspG sind nicht Rechts ist. Die Klägerin wünschte eng im Sinne des Arbeitnehmervom Personalrat Auskunft nach begriffs des innerstaatlichen § 10 Abs. 1 EntgTranspG. Dieser Rechts, sondern unionsrechtsantwortete nach Rücksprache konform in Übereinstimmung mit der Personalabteilung der mit dem Arbeitnehmerbegriff Beklagten, dass die Klägerin der Richtlinie 2006/54/EG weit auszulegen. Danach können im Einzelfall auch arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des innerstaatlichen Rechts Arbeitnehmer im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgeltTranspG sein. Was der Öffentliche Dienst beim Entgelttransparenzgesetz Auswirkungen für die Praxis beachten muss, erläutert der Autor in einem Webinar des Der Öffentliche Dienst und die Behörden Spiegel am 9. OktoBehörden werden zunehmend ber 2020. (bei freien Mitarbeitern) damit Weitere Informationen und rechnen müssen, dass diese Anmeldung unter: www. Anfragen zunehmen. Auch die fuehrungskraefte-forum.de, Mitarbeitervertretungen sollten Suchwort “Entgelttransparenz” sich daher mit dieser neuen BAGEntscheidung beschäftigen.

Mehr zum Thema


Behörden Spiegel / September 2020

D

er Öffentliche Dienst hat ein demografisches Defizit. Die Überalterung ist fast im gesamten öffentlichen Sektor ein gewaltiges Problem. Und zwar keines, welches erst in Jahrzehnten dräut: Die geburtenstärksten Jahrgänge in West wie Ost erreichen in dieser Dekade das Rentenalter. Der Rückzug der größten Kohorte in der Wirtschaft, den Sozialversicherungen und nicht zuletzt in der Verwaltung wird eine klaffende Lücke hinterlassen, die kaum gefüllt werden kann.

Wenig attraktiv für Nachwuchs Auch der Digitalisierungsrückstand ist hierzulande ein universelles Problem: Trotz erfolgreicher Konzerne und zahlreicher Hidden Champions hinkt die Deutschland AG auf diesem entscheidenden Zukunftsfeld hinterher. In der Verwaltung dominieren noch immer der Brief und das Faxgerät die Kommunikation untereinander und nach außen. Die E-Akte ist die Ausnahme. Wo es sie gibt, ist sie oft nur ein Zwilling der parallel geführten papiernen Akten. Für die Generationen Y und Z, die von den 80er- bis in die Zehnerjahre Geborenen, ist das wenig attraktiv, obwohl hier das hauptsächliche Nachwuchspotenzial liegt. Es ist dies aber auch ein Spiegel des Generationenkonflikts, der in Deutschland droht: Weil die Älteren eine viel größere Gruppe darstellen als die Jüngeren, liegt der Fokus eher nicht auf Innovation, sondern mehr auf Festschreibung des Status quo. Darüber hinaus ist die regionale Leistungsfähigkeit sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das gilt sowohl für die Wirtschaft der Bundesländer und Regionen als auch deren Verwaltung. Das ist eigentlich Ausdruck eines gelebten Föderalismus. Wenn

Bund

Bloß keine Rückkehr zur alten Normalität!

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von allein zahlreiche, schlimmstenfalls infektiöse, Interaktionen wegfallen. Provisorien und Notfallmaßnahmen müssen nun durch eine zielgerichtete und strategisch (BS/Prof. Dr. Markus Karp) Über den Öffentlichen Dienst wird in Deutschland gern und nicht immer ohne Grund geschimpft. Dabei gerät aber oft angelegte Modernisierung abaus dem Blick, dass er letztlich ein verkleinertes Abbild des Landes und seiner Gesellschaft ist. Somit steht er vor ganz ähnlichen Problemen und gelöst werden, die nicht ständig Herausforderungen wie Deutschland als Ganzes. an Kosten und Datenschutzbedenken scheitert. So wie dievanz des Öffentli- wünscht sich kaum jemand die sich, dass beispielsweise im se Hindernisse auch bei der chen Dienstes in Zeiten ohne Ganztagsschulen Bürgerverkehr der traditionelle Corona-Warn-App ausgeräumt der Krise ins Ram- und Kitaplatzgarantie zurück, Gang aufs Amt immer noch die worden sind, ohne dass es zu Staatssekretär a. D., Prof. Dr. Markus Karp lehrt und penlicht gerückt obwohl beides noch vor einiger wichtigste Möglichkeit ist, mit einem autoritären Wegwischen forscht im Fachbereich ist. Die Mitarbei- Zeit höchst umstritten war. In- öffentlichen Stellen zu kommuni- von Bedenken gekommen wäre, Wirtschaft, Informatik und ter werden nun zwischen ist die Systemrelevanz zieren. Vielerorts ist es nicht ge- muss das künftig auch in der Zeit Recht an der TH Wildau des Öfteren als im allgemeinen Bewusstsein ver- lungen, mit Innovationen Abhilfe und nicht nur in Not gelingen. unter anderem im SchwerDas entstandene Vertrauen in “stille Helden” und ankert. in der Corona-Krise zu schaffen. punkt Public Management. Gewährleister der Stattdessen kam es vielerorts die Exekutive und eine neue poDaseinsvorsorge Grenzen durch “digitale zum Verwaltungs-Shutdown. sitive Stimmung gegenüber dem Foto: BS/TH Wildau Schulden” wahrgenommen. Der Mangel an E-Government- Öffentlichen Dienst dürfen nicht Allen voran das Die Exekutive ist in der Corona- Lösungen, die andernorts längst gleich wieder verspielt werden. sich die administrativen und Gesundheitswesen, dessen gu- krise der oft eher selbstreferen- erfolgreich etabliert sind, führte Der innovative Schwung muss in ökonomischen Leuchttürme aber tes Funktionieren dafür gesorgt ziellen Legislative voraus gewe- erst zur Notwendigkeit proviso- Bewegung gehalten werden. Nur dauerhaft auf den Süden des hat, dass sich die dramatischen sen. Unter Druck ist auch eine rischer Lösungen, derer es an- dann wird der Öffentliche Dienst Landes und einige Ballungsräu- Szenen aus Norditalien und New Modernisierung gelungen, die dernfalls gar nicht bedurft hätte. bei der Gewinnung von NachEine bereits eingeführte One- wuchs, der nicht allein Sicherme konzentrieren, wohingegen York nicht wiederholt haben. sonst wohl Jahrzehnte gebraucht andernorts Stagnation die Norm Aber auch andere Verwaltungs- hätte. Telefon- und Videokonfe- Stop-Verwaltung, bei welcher heit, sondern auch Sinnhaftigkeit ist, wird dies der Bundesrepu- zweige können eine beachtliche renzen haben sich ebenso etab- sich Bürger, Unternehmen und sucht, erfolgreich sein. Diese aus Institutionen an einen koordi- Überzeugung Engagierten wieblik als Ganzes nicht guttun. Bilanz vorweisen: Den kurzfris- liert wie das Homeoffice. Allerdings wurden auch die nierenden Ansprechpartner wen- derum braucht es, damit der Zumal es leichter ist, Stärken tigen Aufbau von Krankenverzu stärken als aus der Position sorgungskapazitäten, das nach Grenzen der Leistungsfähigkeit den können, anstatt zahlreiche Öffentliche Dienst als integraler des Abgehängtseins aufschließen einigen Pannen schlussendliche der Verwaltung deutlich. Die verschiedene staatliche Stellen Bestandsteil des Gemeinwesens Funktionieren der Gesundheits- bestehenden “digitalen Schul- ansteuern zu müssen, hätte und der öffentlichen Sache wahrzu müssen. ämter, den erfolgreichen Launch den”, also der Rückstand der ebenfalls viele Probleme abmil- genommen wird, mit dem sich Chance zur Ansehensder Corona-Warn-App, die Be- Verwaltungsmodernisierung, ist dern können. Schließlich würden die Mitarbeiter wie Bürger gern steigerung reitstellung von Hilfen, Zuschüs- nun grell beleuchtet. Es rächt mit einem solchen Modell ganz identifizieren. Während sich also die Pro­ sen und Kurzarbeitergeld: – all blemstellungen für Deutschland das ist eine herausragende Leisim Allgemeinen und den Öffent- tungen, trotz aller Rückschlä- MELDUNG lichen Dienst im Besonderen ge und Fehler, die ebenfalls in ähneln, könnte die anhaltende dieser präzedenzlosen Situation Sustainable Finance in Deutschland stärken und noch ungelöste Corona-Krise gemacht worden sind. sich unterschiedlich auswirken. Auch der Polizei ist es gelungen, (BS/jf) Die Bundesregierung hat Bund als Benchmark-Emittent im len damit der Übergang zu einer Während sie dem Land verdräng- die Eindämmungsverordnungen ihr erstes Rahmenwerk für Grü- Euroraum verschiedene Laufzeiten weitgehend mit Erneuerbaren te politische und ökonomische der Länder mit Augenmaß durch- ne Bundeswertpapiere jährlich anbieten, eine grüne Renditekurve Energien arbeitenden Wirtschaft Baustellen schonungslos offen- zusetzen. Hier hat sich der Wert veröffentlicht. Von nun an sollen für Green Bonds aufbauen und so und einem effizienteren Energiebart und deren Folgewirkungen einer guten Polizeiausbildung jährlich diese Wertpapiere emit- einen Mehrwert für den Sustai- verbrauch beschleunigt und die verschärft, besteht im Gefolge erwiesen. Die große Bedeutung tiert werden. “Damit setzen wir nable-Finance-Markt in Europa Forschung für eine nachhaltigere Zukunft unterstützt werden. der Krise für den öffentlichen von Kinderbetreuung und Päda- einen starken Impuls zur Stär- schaffen. Zudem leistet der Bund laut KuSektor die Chance einer Steige- gogik, eines weiteren vom Öffent- kung des Sustainable-Finance Die grünen Ausgaben dienten rung von Arbeitgeberattraktivität lichen Dienst dominierten Feldes Marktes”, unterstreicht Dr. Jörg vielfältigen Zielen. So sollen saube- kies so international einen bealso, dürfte selten augenfälli- Kukies, Staatssekretär im Bun- re Verkehrssysteme gefördert und deutenden Beitrag zum Schutz und Ansehen. Schon allein deshalb, weil die ger geworden als in den Zeiten desministerium der Finanzen CO2-Emissionen von Fahrzeugen des Klimas und der biologischen schon immer vorhandene Rele- des Shutdowns. Offensichtlich (BMF). Perspektivisch wird der reduziert werden. Außerdem sol- Vielfalt.

Der Öffentliche Dienst nach der Corona-Krise


Länder

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Innovationsschub genutzt

B

ehörden Spiegel: Wie hat sich die Corona-Krise auf die Arbeitsweise Ihres Ministeriums ausgewirkt?

Strobl: Die Corona-Krise ist ein Stresstest für alle Bereiche des Lebens, auch für die öffentliche Verwaltung. Während sich auch in meinem Ministerium die Arbeit in die heimischen Wohn- und Arbeitszimmer verlagerte, lief der Betrieb unvermindert weiter – und ich muss sagen, trotz aller Umstellungen: Er lief ausgezeichnet weiter. Das haben wir vor allem unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihrem Einsatz zu verdanken! Das war eine außergewöhnliche Leistung auf allen Ebenen und dafür danke ich allen Beteiligten. Es ist klar: Durch die digitale Zusammenarbeit sowie die Umstellung auf eine nunmehr VPNbasierte Arbeitskultur haben sich auch viele unserer Arbeitsweisen verändert. Gleich geblieben sind jedoch die Bereitschaft und der Wille, diese Herausforderungen auch weiterhin erfolgreich anzugehen. Bei allen Veränderungen sind unser Teamgeist, unsere Zielorientiertheit und auch unsere Achtsamkeit füreinander gleich geblieben. Diese Werte helfen uns auch in dieser schwierigen Zeit, die an uns gestellten Aufgaben zu bewältigen. Nach mehreren Monaten intensivierter Homeoffice-Nutzung kann ich erfreut feststellen, dass der tägliche Betrieb erfolgreich und nahezu störungsfrei aufrechterhalten werden konnte. Die gemeinsamen Prozesse haben sich nach einer Phase der Eingewöhnung vollumfänglich eingespielt und auch der interministerielle Krisenstab, der hier im Innenministerium angesiedelt wurde, war in jeder Phase der Pandemie vollständig arbeitsfähig. Behörden Spiegel: Konnte allen Beschäftigten im Homeoffice ad hoc das geeignete technische

Behörden Spiegel / September 2020

Corona-Pandemie setzt in Baden-Württemberg zusätzliches Potenzial frei (BS) Die Corona-Pandemie stellte und stellt auch das Haus von Thomas Strobl, Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration in BadenWürttemberg, vor besondere Herausforderungen. Im Interview mit dem Behörden Spiegel zeigt er sich jedoch sehr zufrieden damit, wie die Krise in seinem Ministerium, aber auch im Land Baden-Württemberg insgesamt gemeistert und vielfach auch genutzt wurde, um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung weiter voranzutreiben. Die Fragen stellte Guido Gehrt. rungen gründlich analysieren. Wir wollen aus dem Erlebten lernen und schauen, wo wir Dinge noch besser machen können und wo wir bereits jetzt gute Leistungen erbracht haben. Daran gilt es dann gemeinsam anzuknüpfen. Denn nur so lassen sich fundierte Entscheidungen im Hinblick auf die künftige Arbeitsrealität treffen – und wie immer gilt auch hier: Wir tun das gemeinsam! Denn im Mittelpunkt stehen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – jede und jeder Einzelne! Behörden Spiegel: Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um Bürger/-innen und Unternehmen im Corona-Lockdown und danach den digitalen Zugang zur Verwaltung zu erleichtern?

Thomas Strobl ist stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration in BadenWürttemberg. Er ist zudem Schirmherr des Kongresses “Baden-Württemberg 4.0”, den der Behörden Spiegel am 1. Oktober in Stuttgart veranstaltet. Foto: : BS/Laurence Chaperon

Equipment zur Verfügung gestellt werden oder gab es hier temporäre Engpässe? Strobl: In meinem Ministerium haben wir bereits sehr früh, genau genommen bereits seit 2015, mit der Einführung eines multimedialen Standardarbeitsplatzes eine sehr weitsichtige Entscheidung getroffen. So wurden damals im Rahmen der IT-Neuordnung moderne Notebooks angeschafft und damit die Grundlage für eine mobile und

agil arbeitende Landesverwaltung gelegt. Als sich dieses Jahr ab März die Corona-Krise zuspitzte, konnte somit bereits ein Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das technische Equipment in die Tasche packen, ins Homeoffice gehen und flexibel von dort arbeiten. Nur in den Fällen, in denen aus organisatorischen oder sonstigen Gründen das Homeoffice nicht geeignet war, bestand auch weiterhin eine Präsenzpflicht. Die rasche und erfolgreiche Migra-

Bundeskongress

Öffentliche Infrastruktur 2020

Heimat – vernetzt, sozial, modern 2. Dezember 2020, Hotel Adlon Berlin

www.oeffentliche-infrastruktur.de

#infra2020 Eine Veranstaltung des

tion eines Großteils der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den heimischen Arbeitsplatz ist einerseits eine Leistung der sehr flexibel agierenden Organisationseinheiten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses. Andererseits beruht sie auch auf den technischen Maßnahmen und den innovativen Ansätzen, die die IT-Referate der jeweiligen Dienststellen und die BITBW bereits deutlich vor Corona erbracht haben. Behörden Spiegel: Wird es nach Ende der Krise ein Zurück in den “Normalbetrieb” geben oder wird sich die Arbeitsrealität in Ihrem Hause nachhaltig wandeln? Strobl: Bis März 2020 wurde die Möglichkeit der Arbeit “von zu Hause aus” vor allem von Beschäftigten in Sondersituationen genutzt, beispielsweise von Pflegenden, von jungen Eltern oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in besonderen Lebenslagen. Wir wollten damit denen, die Flexibilität wünschen oder brauchen, diese auch gewähren und ihnen in ihren individuellen Lebenssituationen die Werkzeuge an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, Familie und Dienst erfolgreich unter einen Hut zu bekommen. Ich glaube, dass das von besonderer Bedeutung ist, denn so geht gelebte Fürsorge – gemeinsam und miteinander! Diesen Ansatz haben wir nach Ausbruch der Corona-Pandemie konsequent weiterverfolgt. Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, als sich das Homeoffice im Zuge der Corona-Krise von der individuellen Lösung zum Massenphänomen entwickelt hat. Die Akzeptanz gegenüber dem Homeoffice ist hoch. Wir gehen davon aus, dass es über die Zeit der Pandemie hinaus die Arbeitswelt in der Landesverwaltung nachhaltig prägen wird. Der Anteil der Arbeit, die auch im Homeoffice erledigt werden kann, ist hoch – mit der schrittweisen Rückkehr zur Normalität wird es aber dennoch keine “Homeofficeonly”-Arbeitswelt geben, denn der persönliche Kontakt vor Ort bleibt weiterhin zentraler Bestandteil unseres täglichen Miteinanders. Fest steht aber auch: Es wird flexiblere Angebote geben, die einen echten Mehrwert für den Arbeitsalltag mit sich bringen. Nach dem Ende der Krise werden wir außerdem die Auswirkungen und gemachten Erfah-

Strobl: Als zu Beginn der CoronaPandemie immer mehr Kommunen gezwungen waren, ihre Türen für den Publikumsverkehr zu schließen, war meinem Haus schnell klar, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen in Baden-Württemberg rasch Verwaltungsleistungen in verstärktem Umfang auch online anbieten müssen. Wir waren bereits vor der Krise auf einem hervorragenden Weg in Baden-Württemberg und konnten darauf aufbauen. Nur so ist zu erklären, dass wir binnen kürzester Zeit zusammen mit motivierten Kommunen einen Universalprozess entwickeln konnten (mehr zu

Beispiel: Dieses Projekt ist nicht nur vorbildlich umgesetzt und wegweisend für weitere Digitalisierungsprojekte in unserem Land, sondern ist eine Gemeinschaftsleistung, bei der wir die jeweiligen Fähigkeiten und Bedarfe miteinander in Einklang bringen und einen echten, spürbaren Mehrwert leisten konnten. Digitale Verwaltungsleistungen, E-Government, das ist einer der Megatrends in der Weiterentwicklung der öffentlichen Verwaltung. Wir konnten gleich zu Beginn der Pandemie, d. h. im März, auf die Fachexpertise mehrerer sehr motivierter Kommunen zurückgreifen, die uns wertvolle Hinweise lieferten und mit sehr viel Einsatz als Betatester zur Verfügung standen. So konnten wir den Universalprozess bereits im April nach einer ersten Pilot-Phase binnen kürzester Zeit für über 30 Kommunen ausrollen und damit erfolgreich für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort nutzbar machen. Das ist nicht nur moderne Verwaltung, sondern Innovation und gemeinsamer Erfolg, der begeistert! Mittlerweile nutzen bereits mehr als 120 Kommunen den Universalprozess, um bis zu 300 Verwaltungsleistungen auch online anzubieten. In diesem Zuge haben wir eine Doppelstrategie beschlossen, mit der wir einfachere Verwaltungsleistungen zügig unter Zuhilfenahme des Universalprozesses digitalisieren, zugleich jedoch die komplexeren Verwaltungsleistungen anhand spezifisch designter, nutzerzentrierter Standardprozesse entwickeln und diese in eigens aufgesetzten Digitalisierungslaboren umsetzen. So schaffen wir in allen Bereichen echtes E-Government und kommen unserem Ziel des barrierefreien Verwaltungswe-

“ Wir waren bereits vor der Krise auf einem ­hervorragenden Weg in Baden-Württemberg und konnten darauf aufbauen.” diesem Thema auch auf Seite 21). Dieser ermöglicht es allen Behörden, den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen nahezu alle Verwaltungsleistungen auf unserer E-Government-Plattform www. service-bw.de digital anzubieten. Wir sind damit schon jetzt an der Spitze aller Länder, was die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes anbetrifft und gehen weiter voran! Flankiert wird das Ganze von unseren Förderprogrammen, mit denen wir Kommunen bereits vor der Krise gezielt dabei unterstützt haben, digital und direkt mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu treten. Vielerorts sind z. B. Kommunal-Apps bereits sehr frühzeitig entstanden, die auf die jeweilige Kommune zugeschnittene Informationen anbieten. An dieser Stelle darf auch unser Chatbot “Corey” nicht unerwähnt bleiben, der auf Methoden der Künstlichen Intelligenz aufbaut. “Corey” steht allen Bürgerinnen und Bürgern bereits seit einiger Zeit an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr auf vielen Webseiten des Landes zur Verfügung, um diesen umgehend eine Antwort auf die drängendsten Fragen zu Covid-19 zu geben. In der Gesamtschau haben wir in allen Bereichen unsere Erfolge weiter ausgebaut und das bisher Erreichte konsolidiert. Wir bleiben nicht stehen, sondern analysieren und entwickeln unsere Konzepte, Methoden und Umsetzungen jeden Tag weiter. Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie diesbezüglich die Zusammenarbeit mit den Kommunen im Lande? Strobl: Die Zusammenarbeit mit den Kommunen in Baden-Württemberg und den kommunalen Spitzenverbänden ist ausgezeichnet – und das in mehrerlei Hinsicht. Nehmen wir die Entwicklung des Universalprozesses als

sens auch im digitalen Raum mit jedem Tag näher. Behörden Spiegel: Kann man derzeit schon ein Zwischenfazit aus der Krise ziehen, was mit Blick auf die Digitalisierung gut gelaufen ist und wo man zukünftig noch besser werden muss? Strobl: Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung in BadenWürttemberg zweifelsohne einen Innovationsschub gegeben. Alle Beteiligten sind hoch motiviert und haben mit viel Engagement in einem agilen Prozess an der Entwicklung von weiterführenden Lösungen gearbeitet. Als großer Erfolg daraus lässt sich knapp sechs Monate später die bereits angesprochene Doppelstrategie für Baden-Württemberg verbuchen. Sie ermöglicht eine Digitalisierung mit Augenmaß und zugleich mit mehreren Geschwindigkeiten. Alle Beteiligten im Land und in den Kommunen ziehen an einem Strang. Unser gemeinsames Ziel ist es, digitale Anträge der Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen durchgängig medienbruchfrei mit den jeweiligen Verwaltungsfachverfahren zu verknüpfen und mit einer elektronischen Bezahlfunktion zu versehen. Selbstverständlich müssen wir aber an der ein oder anderen Stelle noch besser werden. So lassen sich beispielsweise die nach wie vor bestehenden Herausforderungen in Bezug auf Medienbrüche und Schnittstellenanbindung nur gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen meistern. Wir benötigen kompatible Schnittstellen zu den Fachverfahren, aber auch eine verbesserte Integration der großen Register des Bundes. Wir sind hier auf jeden Fall bereit, unseren Beitrag zu leisten und auch weiterhin die Entwicklung an der Spitze anzuführen!


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / September 2020

Formal notwendig

D

ie §§ 68 Abs. 4 Vergabeverordnung (VgV) und 59 Sektorenverordnung (SektVO) beinhalten eine fakultative Rückausnahme, erläutert Rechtsanwalt Günther Pinkenburg, geschäftsführender Gesellschafter der Mayburg Rechtsanwalts GmBH. Diese gilt es, für Einsatzfahrzeuge zu streichen oder hilfsweise die Rückausnahme bei Einsatzfahrzeugen nur im Grundbetrieb anzuwenden.

Klare Zustimmung “Die von Rechtsanwalt Pinkenburg vorgelegten Vorschläge zur Neufassung der §§ 68 Abs. 4 VgV und 59 SektVO zielen aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) in die richtige Richtung und sind – gerade aus Sicht der Kommunen mit ihren Einsatzfahrzeugen – unterstützenswert”, sagt Bernd Düsterdiek, Referatsleiter beim DStGB. Mit Änderung der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge im Jahr 2019 habe sich unzweifelhaft ein Anpassungsbedarf der Vergabevorschriften ergeben. “Nach der erfolgten Richtlinienänderung haben wir es nunmehr mit einem erweiterten Einsatzfahrzeugbegriff (“Fahrzeuge, die (…) für den

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Energieeffiziente Beschaffung von Einsatzfahrzeugen kaum möglich (BS/Jörn Fieseler) Eigentlich sollen öffentliche Auftraggeber nur Straßenfahrzeuge beschaffen, die energieeffizient sind. Das sieht die CleanVehicles-Directive (CVD), die Richtlinie 2009/33/EG, vor. Für Einsatzfahrzeuge von Feuerwehren und dem Technischen Hilfswerk (THW) sieht die Richtlinie Ausnahmen vor. Doch die sind nicht praktikabel. Nun liegt ein Vorschlag vor, der Abhilfe schaffen soll (siehe Behörden Spiegel August 2020, Seite 9). Die Reaktionen sind nicht nur positiv. stoß von Günther Pinkenburg bei den Fachministerien wurde daher von den entsprechenden Fachgremien der Feuerwehr auf Bundesebene wie dem Fachausschuss Technik der deutschen Feuerwehren (DFV/AGBF) ausdrücklich unterstützt.” “Um den kommunalen Beschaffungsstellen eine klare Linie aufzuzeigen, bedarf es daher einer redaktionellen Anpassung an die Richtlinienvorgaben”, fordert Düsterdiek. Hinzukommen müsse eine Streichung der fakultativen Rückausnahme des § 68 Abs. 4 Satz 2 VgV; jedenfalls aber eine nähere Er- Im Einsatzbetrieb ist der Dieselverbrauch um ein deutliches höher als von den läuterung dessen, was unter Herstellern angegeben. Im Rahmen der Beschaffung können diese Daten aber den dort aufgeführten Tatbe- nicht erhoben und genannt werden. Foto: BS/Bernd Ege, stock.adobe.com standsmerkmalen (“soweit es der Stand der Technik zulässt” zukünftig unter den Ausnah- formal richtig, aber für die Praund “hierdurch die Einsatzfä- mebereich der vorgenannten xis kaum relevant. Schon ein higkeit der Einsatzfahrzeuge zur Vorschriften fällt oder ob die Sonder­signalbalken auf einem Erfüllung des Satz 1 genannten Vorgaben über die Förderung Pkw-Dach führe alle Verbrauchshoheitlichen Auftrags nicht be- sauberer und energieeffizienter angaben des Basismodells ad abeinträchtigt wird”) zu verstehen Straßenfahrzeuge verbindlich surdum und zu großen Schwiesei. zu beachten sind. Der DStGB rigkeiten bei der Umsetzung der hat sich daher an das Bundes- sogenannten WLTP-Vorschriften Verbrauchsdaten werden ad wirtschaftsministerium (BMWi) im Sonderfahrzeugbereich. “Fakt absurdum geführt gewandt und eine zeitnahe An- ist zudem, dass die bei Feuer“Gerade im Bereich der kommu- passung des Rechtsrahmens wehren und Rettungsdiensten nalen Feuerwehren und auch der gefordert”, so Düsterdiek weiter. sehr binäre Fahrweise – maxiKatastrophen- und Hilfsdienste Noch deutlicher wird der Fach- mal schnell zur Einsatzstelle, ist es wichtig zu wissen, ob eine ausschussvorsitzende Schwar- beim Rettungsdienst dann oft geplante Fahrzeugbeschaffung ze. Die Diskussion sei zwar auch noch maximal schnell zum

Einsatz konstruiert und gebaut wurden oder dafür angepasst wurden (…))” zu tun, der aus kommunaler Sicht grundsätzlich zu begrüßen ist. Mithin würden im Ergebnis fast alle denkbaren Einsatzfahrzeuge unter die Ausnahmeregelung des § 68 Abs. 4 Satz 1 VgV fallen”, so der Referatsleiter für Vergaberecht weiter. Die derzeit noch divergierenden Ausführungen der EU-Richtlinie und des § 68 Abs. 4 Satz 1 VgV würden in der Beschaffungspraxis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Das sieht auch Christian Schwarze, Dipl.-Ing. Fahrzeugtechnik, Leiter der Abteilung Technik der Branddirektion Stuttgart und Vorsitzender des Fachausschusses Technik der Deutschen Feuerwehren, so: “Rein formal ist es richtig, dass hier Klarheit geschaffen wird. Der entsprechende Vor-

Beratung für Bewerter und Bieter

Krankenhaus, dann “normale” Rückfahrt – dazu führt, dass alle Verbrauchsangaben der Fahrgestellhersteller ohne jede tatsächliche Aussagekraft sind.” Schnell werde das drei- bis fünffache des für das Basisfahrgestell angegebenen Durchschnittsverbrauchs erreicht. Deshalb müsse die Frage gestellt werden, nach welchen Verbrauchswerten bei einer Ausschreibung gefragt werden solle, wenn für das “fertige”, individuell auf- und ausgebaute Feuerwehrfahrzeug keine halbwegs belastbaren Verbrauchsangaben vorliegen könnten? Zudem habe der weitaus größte Teil der Feuerwehrfahrzeuge sehr geringe Jahreslaufleistungen. Jeder Einsatzort solle nach wenigen Minuten von dem ersten Feuerwehrfahrzeug erreicht werden. Lange Fahrstrecken kämen da sehr selten zustande. Und schlussendlich: “Die Feuerwehren lassen ihre Fahrzeuge fast ausschließlich als “SonderKfz Feuerwehr” zu. Die Fahrgestellhersteller haben dafür Sonder-Codes wie beispielsweise “Fahrzeug für behördliche Aufgaben”, die durch bestimmte technische Ausnahmen hinterlegt sind”, beschreibt Schwarze die Praxis. Daher sei eine spätere Verwendung im zivilen Bereich meist nicht mehr möglich, weil die weitaus meisten modernen Feuerwehr-Fahrgestelle zivil nicht zulassungsfähig seien. In den Fachministerien wird der Vorschlag noch erwogen, bis Redaktionsschluss lag noch keine Reaktion vor.

Ausschreibungen · Submissionen

Breite Basis für digitale Planungsmethode BIM Gemeinsames Vorangehen bei Weiterbildung beschlossen (BS/jf) Mit Building Information Modelling (BIM) können Planer und die an der Bauausführung beteiligten Personen ihre Leistungen noch besser aufeinander abstimmen als im Analogen. Dafür bedarf es jedoch qualifizierter und interdisziplinärer Fortbildungsangebote für die Berufsstände. Die soll es nun geben. Die Bundesingenieurkammer (BIngK), der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) und die Bundesarchitektenkammer (BAK) wollen kooperieren und künftig BIM-Fortbildung nach dem “BIM Standard Deutscher Architekten- und Ingenieurkammern” anbieten. “Mit den gemeinschaftlich konzipierten Fortbildungen nach einheitlichen Standards ist ein weiterer Meilenstein erreicht, um eine transparente und effiziente Abstimmung aller an Planung und Bau Betei-

ligten mit Hilfe digitaler Methoden zu verbessern”, sagt Dr. Tillman Prinz, Bundesgeschäftsführer der BAK. Qualität entstehe nur, wenn sie gemeinschaftlich angestrebt und umgesetzt werde. Eine intensive Kooperation der an einem Bauwerk Beteiligten setze voraus, dass Architekten, Planer und Bauunternehmer die Sichtweise des jeweils anderen kennen würden, ergänzte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des ZDB. Gerade durch das Arbeiten mit BIM könnten auf-

grund frühzeitiger Abstimmung kostenträchtige Fehler und Kollisionen vermieden werden. “Wie das effizient geschehen kann, erfahren die Beteiligten in den gemeinsamen Fortbildungen. Dass diese Abstimmung künftig digital stattfindet, macht den ganzen Prozess erst effizient.” Der Erfolg von BIM-Projekten stehe und falle mit der Kooperation der Beteiligten. BIM setze eine Interdisziplinarität voraus, ohne aber die Rollen von Planenden und Ausführenden in

Frage zu stellen, fügte Martin Falenski, Hauptgeschäftsführer der BIngK hinzu. Bei der Methode BIM werden auf der Grundlage digitaler Bauwerksmodelle alle relevanten Informationen und Daten erfasst und verwaltet. Sie sind somit über alle Lebenszyklusphasen eines Bauwerks aktualisiert für alle Beteiligten verfügbar. Seit 2018 erarbeiten BIngK und BAK gemeinsame Curricula zum BIM Standard Deutscher Architektenund Ingenieurkammern.

Leipziger Vergabetag 5.–6. Oktober 2020, Leipzig » Der Treffpunkt für öffentliche Einkäufer, Vergaberechtler und -berater sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verbänden. » Diskutieren Sie aktuelle Rechtsfragen und einschlägige Spruchpraxis und erfahren Sie, wie Einkaufsstrategien wirksam und zugleich rechtskonform umgesetzt werden können. » Gestalten Sie Ihr persönliches Programm in den vergaberechtlichen Sprechstunden: hier erhalten Sie in kleiner Runde Antworten auf Ihre individuellen Fragen und Lösungsansätze für Ihre vergaberechtlichen Probleme. » Der Abendempfang zum Erfahrungsaustausch und Networking zwischen Beschaffungsexperten runden den Leipziger Vergabetag weiter ab. » Weitere Informationen zum Programm und Anmeldung unter: www.leipziger-vergabetag.de

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Eine Veranstaltung des

Mit fachlicher Unterstützung von


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 8

Letzte Möglichkeit

Behörden Spiegel / September 2020

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Bewerbungsschluss zum Ende des Monats (BS/jf) Zum zehnten Mal soll der International Public Procurement Award (IPA) durch das forum vergabe e. V. vergeben werden. Damit werden herausragende wissenschaftliche Arbeiten zum nationalen, europäischen oder internationalen Vergaberecht gewürdigt. Bis zum 30. September 2020 können sich junge Autoren aus Europa im Alter bis zu 35 Jahren bewerben, die in der Zeit vom 1. April 2020 bis eben zum 30. September 2020 ihre Masteroder Diplomarbeit, Dissertation, Habilitationsschrift oder Monografie fertiggestellt haben. Als Datum der Fertigstellung gilt bei Arbeiten zur Erlangung eines Abschlusses oder wissenschaftlichen Grades entweder das Datum der mündlichen Prüfung oder des Zweitgutachtens, für Monografien das der erstmaligen Einsendung des Manuskriptes an einen Verlag. Die Arbeiten müssen in zweifacher Ausfertigung in englischer oder deutscher Sprache beim

forum vergabe e. V. eingereicht werden. Ebenso vorliegende Gutachten sowie ein Lebenslauf. Sämtliche eingereichten Arbeiten werden von einer fünfköpfigen, international besetzten Jury unter Leitung von Dr. Volker Wissing, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz, oder

seines Nachfolgers als Vorstandsvorsitzendem des forums vergabe e. V. bewertet. Der von Ministerialdirigentin a. D. Brigitte Krause-Sigle und dem forum vergabe e. V. ins Leben gerufene Award ist mit 5.000 Euro dotiert und wurde erstmals im Jahr 2004 vergeben. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen der forum vergabe Gespräche im April 2021 in Fulda. Im Rahmen der Veranstaltung erhält der Preisträger die Möglichkeit, die Ergebnisse seiner Arbeit den Teilnehmern aus Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Anwaltschaft vorzustellen. Weitere Informationen unter: www.tinyurl.com/IPA2021

EU-Kommission hat Wächterpflicht Europäisches Beihilfenrecht durch Rechtsprechung weiterentwickelt (BS/jf) Überall dort, wo sich ein Markt gebildet hat, soll der Staat sich zurückhalten. Sowohl bei der Auf­ gabenwahrnehmung als auch bei der Finanzierung. Auf diesen einfachen Satz lässt sich das europäische Beihilfenrecht reduzieren. Doch wer prüft und entscheidet, ob es sich um eine Beihilfe handelt? Vor allem, wenn die sogenannte Gruppenfreistellungsverordnung zur Anwendung kommt? “Das EU-Beihilfenrecht ist ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt”, fasst Dr. Hanns Peter Nehl, Rechtsreferent im Kabinett von Richter Dr. Viktor Kreuschitz am Gericht der Europäischen Union (EuG), zusammen. Erschwerend komme hinzu, dass das Thema vor allem durch die Rechtsprechung der europäischen Gerichte geprägt sei. Neben den rechtlichen Grundlagen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und den Urteilen des EuG und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gibt es noch das sogenannte “soft law” der Kommission. Dazu zählen Bekanntmachungen, Leitlinien oder Mitteilungen, in denen die Kommission das Ausüben von Ermessen strukturiert, sodass es vorausschauender angewendet wird. “Sämtliche Vereinbarkeitsbeschlüsse werden ausschließlich durch die Kom-

Die Kommission kann die Entscheidung über eine staatlliche Beihilfe nicht delegieren. Foto: BS/s-motive, stock.adobe.com

mission gefasst”, so Nehl. Das wird besonders bei den Gruppenfreistellungsverordnungen (GVOen) deutlich. Diese ermöglichen es den nationalen Stellen, zu überprüfen, ob eine Beihilfe mit dem gemeinsamen Markt vereinbar ist und damit von der

qanuun-aktuell Bunde, König, Dame 2020 von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Dass (Wirtschafts-)Kriminalität und besonders die darin involvierten Personen auch einen gewissen Unterhaltungswert haben, wissen Zuschauer wie Leser der Yellow Press nicht erst seit dem Fernsehfilm “Der König von Köln”, der Ende 2019 über die Bildschirme flimmerte. So ist es nicht erstaunlich, dass auch Prinzen und Könige mit Eskapaden von sich reden machen, für die sich Staatsanwälte und Richter interessieren. Während der eine seinen Inselstaat – aus Angst vor zu engagierten US-Justizbehörden – keinesfalls verlassen will, muss der andere fliehen, um sich noch etwas von der Würde zu bewahren, die er sich einmal hart als König bei seinem Volk erkämpft hat. Dem Prinzen wird nachgesagt, er habe mit einem US-Unternehmer das Hobby zweifelhafter Partys geteilt, an denen auch minderjährige Frauen – wohl eher unfreiwillig – beteiligt gewesen sein sollen. Dem König wird zur Last gelegt, er habe für die Vermittlung von lukrativen Geschäften mit dem Morgenland Provisionen kassiert, die definitiv nicht zu seiner Apanage gehört haben. Von Korruption und Geldwäsche ist die Rede und davon, dass er sich

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

einem justiziellen Zugriff nur durch einen neuen Wohnsitz im Ausland entziehen konnte. Auch wenn – zynisch betrachtet – der Unterhaltungswert dieser Storys, die zweifelsohne irgendwann ein Drehbuchautor aufgreifen wird, nachdem Journalisten Magazine mit exklusiven Enthüllungen gefüllt haben, hoch ist, so bleibt doch weitaus mehr als ein bitterer Geschmack. Man findet keine Antwort auf die Frage, warum Menschen, die alles zu haben scheinen, wonach andere streben, ihre Lebensleistung und ihr öffentliches Ansehen einfach wegwerfen. Der König war einmal Vorbild, als er Volk und Demokratie verteidigte, aber das ist lange her.

Anmeldepflicht freigestellt ist. Das bedeute jedoch nicht, dass die nationalen Stellen endgültig über die Anmeldepflicht entscheiden. “Vielmehr hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zu “Esti Pagar” klargestellt, dass die Kommission eine Wächterfunktion behält”, unterstreicht Nehl. Die Pflicht zur Anmeldung bleibe bestehen. Das hätten die Richter in einem zweiten Verfahren, diesmal gegen Deutschland, bestätigt (Urteil vom 29.07.2019, C-654/17 P, BMW/Kom). Den nationalen Stellen obliegen zwar die primäre Prüfungspflicht der GVO-Voraussetzungen, eine Befreiung von der Anmeldepflicht komme aber nur in Betracht, wenn sämtliche Voraussetzungen erfüllt seien, wobei diese eng auszulegen seien. Dabei trügen die nationalen Stellen und auch die potenziellen Beihilfeempfänger das Risiko. Heißt konkret: Stellt die Kommission einen Verstoß gegen die Anmeldepflicht fest, kann sie die Rückzahlungen der bewilligten Gelder verlangen. “Letztlich dienen die Gruppenfreistellungsverordnungen der Priorisierung. Die Kommission möchte über die binnenmarktrelevanten Fälle entscheiden, die kleineren Fälle sollen die Mitgliedsstaaten klären”, verdeutlicht Nehl.

Zwischen Anwendung und Anwendbarkeit Darüber hinaus hat die Rechtsprechung sich mit dem Grundsatz des Privaten Wirtschaftsteilnehmers befasst. “Die Anwendung ist zulasten der Kommission verschoben worden”, sagt Nehl. Dabei ist künftig zwischen der Anwendung und der Anwendbarkeit zu unterscheiden, so der Rechtsreferent mit Blick auf ein jüngst gefälltes Urteil des EuGH im Fall “Larko” (C-244/18 P). Es reiche nicht mehr, dass sich ein Mitgliedsstaat auf diesen Grundsatz berufe und geltend mache, er habe eine Maßnahme in seiner Eigenschaft als privater Marktteilnehmer getroffen. Vielmehr müsse er eindeutig und anhand objektiver und nachprüfbarer Nachweise belegen, dass er nicht von hoheitlichen Befugnissen Gebrauch gemacht habe. Anhand dieser Nachweise müsse die Kommission die Anwendbarkeit dieses Prinzips prüfen. Gelte es als anwendbar, so gehöre es zu den Faktoren, die die Kommission berücksichtigen muss, um das Vorliegen einer Beihilfe festzustellen.

► BRIEFPOST

Gesamtkosten maßgeblich Porto gehört zum Auftragswert Seit vielen Jahren hatte der Auftraggeber ein Unternehmen damit beauftragt, seine Post zu sammeln, zu sortieren und zuzustellen. Mit dessen Leistung war er nicht mehr zufrieden und kündigte den Vertrag kurzfristig. Bis zur Durchführung eines Vergabeverfahrens hat er interimsweise einen anderen Dienstleister freihändig, aber unbefristet beauftragt. Mit ihm war keine Zustellung der Sendungen vereinbart, sondern die Einlieferung aller Sendungen bei der Deutschen Post AG. Das Porto dafür war zwar an den Dienstleister zu entrichten, der aber weist es als “Auslagen” aus und nicht als Werklohn. Der bisherige Auftragnehmer sieht hier eine unzulässige Defacto-Vergabe und wird darin durch die Vergabekammer bestätigt. Obwohl der Interimsauftrag zwischenzeitlich wieder gekündigt wurde, müsse der Schwellenwert für eine vierjährige Laufzeit berechnet werden, denn im Zeitpunkt der Auftragsvergabe war der Vertrag unbefristet. Als Schwellenwert maßgeblich ist derjenige für allgemeine Dienstleistungen, denn dem Wesen nach geht es darum, dass der Auftragnehmer sicherstellt, dass die Briefe den Empfänger erreichen. Damit umfasst der Auftrag mehr als nur die besondere Dienstleistung der rein hausinternen Postkonsolidierung. Ist der Beschaffungsgegenstand letzten Endes also die Zustellung, so ist auch das verauslagte Porto Bestandteil des Auftragswertes. Ob der Dienstleister oder der Auftraggeber selbst in dieser Konstellation Vertragspartner der Post wird, ist bei dieser am Beschaffungszweck orientierten Betrachtung unerheblich. VK Lüneburg (Beschl. v. 19.03.2020, Az.: VgK-02/2020)

► NACHFORDERUNG

Vertauschte Umschläge Post-it-Kennzeichnung untauglich Im Zuge der Angebotswertung hat das vom Auftraggeber beauftragte Ingenieurbüro entsprechend der Bekanntmachung einige Unterlagen – darunter die Urkalkulation im verschlossenen Umschlag – von den aussichtsreichsten Bewerbern nachgefordert. Der in der Wertung führende Bewerber reicht einen Tag vor Ende der Nachreichungsfrist seine Urkalkulation ein. Am nächsten Morgen bemerkt er, dass in dieser Urkalkulation ein Fehler enthalten ist. Er informiert das Ingenieurbüro telefonisch von dem Irrtum und legt noch vor Ablauf der Frist einen weiteren verschlossenen Umschlag mit der berichtigten Kalkulation vor. Der Auftraggeber schließt das Angebot aus, weil er nicht habe feststellen können, welcher der beiden Umschläge der gültige sei. Der Ausschluss war unzulässig. Das Ingenieurbüro hatte pflichtwidrig keine Eingangsstempel auf den Umschlägen angebracht, sondern deren Eingangsreihenfolge mit anheftenden Post-it-Zetteln markiert. Dieser Fehler dürfe nicht dem Bewerber zugerechnet werden. Zudem hätte die Eingangsreihenfolge auch an der Gestalt

der Umschläge nachvollzogen werden können, denn der zweite war anders beschriftet als der erste, was sogar protokolliert war. Ohne diesen Ausschluss hätte der Bieter zweifelsfrei den Zuschlag in diesem nationalen Vergabeverfahren erhalten müssen. Der Auftraggeber muss ihm daher den gesamten entgangenen Gewinn ersetzen. OLG Koblenz (Urt. v. 07.05.2020, Az.: 1 U 772/19)

► E-VERGABE

Drehende Sanduhr Nicht auf die leichte Schulter nehmen! Bei Windows-Anwendungen war sie früher gefürchtet: Die drehende Sanduhr, die zu erkennen gab, dass der Rechner im Hintergrund arbeitet, aber aus der man nicht erkennen konnte, womit das System beschäftigt war. Heute finden sich dafür laufende Punkte, drehende Kreise und ähnliche Symbole, das Grundproblem aber bleibt das gleiche. So geschah es auch dem Bieter, der für einen Auftrag mit dem Volumen eines zweistelligen Millionenbetrages die Angebote am Schlusstermin bis um 10 Uhr morgens einzureichen hatte. Er begann am Vorabend gegen 16 Uhr mit der Übertragung seiner umfangreichen Angebotsunterlagen. Nach Start der Übertragung zeigte sich ein solches Wartesymbol. Auch um 20 Uhr abends drehte sich das Symbol unverändert. Der verantwortliche Mitarbeiter des Bieters führte das auf ein hohes Datenaufkommen kurz vor Angebotsschluss zurück und entschied sich, den Rechner zwar nicht herunterzufahren, aber in den Feierabend zu gehen. Am nächsten Morgen werde die Übertragung sicherlich durchgelaufen sein. Weit gefehlt: Um 7:30 Uhr morgens drehte sich das Symbol noch immer. Die Zeit wird knapp. Es gehen hektische EMails und Telefonate hin und her. Letzten Endes bekommt der Bieter eine Fristverlängerung – und wird dennoch wegen Fristversäumnisses ausgeschlossen. Zu Recht, sagt die Vergabekammer. Die gescheiterte Übertragung ist dem Bieter zuzurechnen. Denn er hat fahrlässig lange die Untätigkeit seines Rechners hingenommen und war genau deswegen nicht in der Lage, noch rechtzeitig nach dem Fehler zu suchen. VK Sachsen (Beschl. v. 27.02.2020, Az.: 1/SVK/041-19)

► DOKUMENTATION

Elektronischer Vermerk Aktenintegrität beachten! Das Vergabeverfahren für den Rohbau eines Krankenhauses wurde vollständig mithilfe einer elektronischen Vergabeplattform geführt. Das erschien für den Auftraggeber praktisch: Der Vergabevermerk entsteht dabei ganz automatisch, weil in der Plattform ja jeder Schritt dokumentiert wird. Ob das gelingt, hängt aber ganz entscheidend von der Qualität der Plattform ab. Wie immer, wenn die Software dem Benutzer zu viel Arbeit abnehmen will, kann es dabei auch zu Fehlentscheidungen des Systems kommen. So war es auch hier. Als die Vergabekammer die Akte angefordert hatte, bekam sie acht Aktenordner angeliefert,

die sehr schön übersichtlich thematisch gegliedert waren, nur leider nicht chronologisch. Offensichtlich handelte es sich dabei um den Ausdruck des gesamten in der Plattform gespeicherten Inhaltes. Die Vergabekammer war sichtlich über die Gestalt der Akte ungehalten. Ihr fehlte eine fortlaufende Nummerierung der Aktenblätter, aus der die Vollständigkeit zu erkennen gewesen wäre. Einzelne Aktenbestandteile trugen offenbar anstelle des Erstellungsdatums fälschlich das Datum des Ausdruckens. Auch waren Formulare aus der Plattform enthalten, die wohl gar keine Verwendung gefunden hatten. Zudem füllt die Software offenbar einzelne Inhalte des Vergabevermerkes mit Standard-Texten als Platzhalter selbsttätig aus. So war schon bei Übergabe der Akte an die Vergabekammer im Vermerk ein Ergebnis des Nachprüfungsverfahrens verzeichnet. Der Auftraggeber ist der vollständigen Aufhebung des Verfahrens nur deswegen entgangen, weil gerade noch alle für die Nachprüfung relevanten Aktenbestandteile aufgefunden werden konnten. VK Saarland (Beschl. v. 09.09.2019, Az.: 2 VK 01/19)

► ABFALL

Zusammenarbeit gewünscht? Gemeinsame Planung erforderlich! Das Kreislaufwirtschaftsgesetz des Landes Rheinland-Pfalz fordert die Entsorgungsträger ausdrücklich zur Zusammenarbeit über ihre Gebietsgrenzen hinweg auf. Das wurde von einem ländlichen Abfallzweckverband und einem benachbarten Landkreis dahingehend interpretiert, dass der Verband einen Teil seines Mülls in der Restabfallbehandlungsanlage des Kreises gegen Erstattung der reinen Kosten aufarbeiten lassen kann. Im Gegenzug verpflichtete sich der Verband zu einer Unterstützungsleistung für die Stadt, zu der er aber gar nicht in der Lage war. Ein privater Müllentsorger griff diese Kooperationsvereinbarung an. Er sieht darin keine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit, sondern eine echte Auftragsvergabe, die hätte ausgeschrieben werden müssen. Der Europäische Gerichtshof bestätigt diese Auffassung. Auch wenn beide Parteien öffentliche Auftraggeber sind, so ist dennoch eine Dienstleistung gegen Kostenersatz noch keine Zusammenarbeit im Sinne der Vergaberichtlinie. Dazu gehöre vielmehr, dass bereits der Bedarf gemeinsam erfasst und die Strategie zur Bedarfs­deckung gemeinsam geplant werde, was hier gerade nicht der Fall war. Völlig unzureichend ist es, wenn eine gegenseitige Hilfeleistung vereinbart wird, die aber mangels Kapazität von einer der Parteien gar nicht erbracht werden kann. EuGH (Urt. v. 04.06.2020, Rs. C-429/19)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Organigramm

Behörden Spiegel / September 2020

Seite 9

Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr

Pressestelle, Öffentlichkeitsarbeit, Pressesprecher

Wilhelm-Buck-Straße 2 01097 Dresden Tel: 0351/564-0 Fax: 0351/564-89490 Internet: www.smwa.sachsen.de E Mail: poststelle@smwa.sachsen.de

Jens Jungmann

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Stand: August 2020

Büroleiter

Staatsminister

Kay Uwe Birkigt

Martin Dulig

-80600

-80003

Ministerbüro Vorzimmer

-80001

Foto: BS/© Götz Schleser

PG INTERREG A Kooperationsprogramme CZ/PL

Staatssekretär für Wirtschaft und Arbeit Amtschef Dr . Hartmut Mangold -80200

PG Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Persönlicher Referent Ahner, Andreas -80202

Persönlicher Referent Lucas Schiller -80102

Vorzimmer -80201

Vorzimmer

Staatssekretärin für Digitalisierung und Mobilität Ines Fröhlich

-80101

PG ÖPNV

-80100

Leitungsstab Planung / Strategie, Koordinierung, Landtag, Kabinett

Referat BR EU Bundesrats und Europaangelegenheiten -80700 Bernhard Grimmer

Stephan Berger

-80300

Abteilung 1

Abteilung 2

Abteilung 3

Abteilung 4

Abteilung 5

Zentrale Dienste und Recht

Arbeit und Europäische Strukturfonds

Wirtschaft , Innovation und Mittelstand

Digitalisierung, Bergbau und Marktordnung

Mobilität Dr. Jens Albrecht

Dr . Wolfgang Harz

-89000

Dr . Katrin Ihle

Referat 11

Referat 21

Personal

Grundsatzfragen, Arbeits und Tarifrecht

Susann Kreutz

-89100 N.N.

-82000

Barbara Meyer

-83000

Dr . Dirk Orlamünder

-84000

-85000

(komm. mdWdGb)

Referat 31 Grundsatzfragen, Wirtschafts-, Innovations- und Mittelstandspolitik -82100

Heinrich Hünting

-83100

Referat 51

Referat 41

Grundsatzfragen, Mobilitätsstrategien

Grundsatzfragen, Digitalisierung Yvonne Kieselbach

-84100

N.N.

-85100

Referat 12 Referat 22

Referat 32

Arbeitsmarkt und Beschäftigung

Außenwirtschaft, Ansiedlungen, Messen

Haushalt , Finanzcontrolling Gunther Helfrich

-89200

Helmut Stier

-82200 Stephan Brauckmann

-83200

Referat 42

Referat 52

Digitale Infrastruktur

Recht, Finanzplanung, Haushalt

N.N.

-84200

Stephan Graf von Bullion

-85200

Referat 13 Referat 23

Justiziariat, Öffentliches Auftragswesen, Wirtschaftsrecht Marion Nonnenberg

-89300

Referat 33

Fachkräfte Isabel Marth

Regionale Wirtschaftsentwicklung -82300

Stephan Stein

-83300

Referat 44

Referat 53

Marktordnung

Verkehrsplanung, Straßen und Ingenieurbau

Kerstin Meißner Referat 14 Organisation, IT, Innerer Dienst Silke Richter

-89400

Referat 24

Referat 34

Berufliche Bildung

Handel, Handwerk, Dienstleistungen, Kultur und Kreativwirtschaft

Uwe Bartoschek

Matthias Reichenbach

-83400

Landesregulierungsbehörde beim SMWA Kerstin Meißner

Referat 25

Bescheinigungsbehörde ESF / EFRE -89500

-84400

-82500

-83500

Referat 45

Referat 15

Monika Weskamm

-89500

-85400

Referat 55

Europäisches Beihilferecht

Matthias Reichenbach

Nahmobilität, Verkehrssicherheit

Mittelstandsfinanzierung, Bürgschaften und Existenzgründungen Claudia Weber

-84500

Referat 26

Bescheinigungsbehörde ESF / EFRE

-85300

Referat 54

Mario Bause

Referat 35

Sicherheit und Gesundheit in der Arbeitswelt Sabine Majehrke

Dietmar Pietsch

-82400 N.N.

Referat 15

-84400

Luft-/ Schiffsverkehr, Güterverkehr / Logistik Dr . Peter Galiläer

Referat 36

-85500

Grundsatzfragen Marktüberwachung Industrie N.N.

-82600 Christoph Zimmer-Conrad

-83600 Referat 46

Referat 16

Bergbau und Ressourcen

Aufgabenorientierte Personalbedarfsplanung Innenrevision Wolfgang Buchner

-89600

Referat 27 Verwaltungsbehörde ESF Uwe Korzen-Krüger

Ralph Weidner

Referat 37

-82700

-84600

Schienenverkehr Hubertus Schröder

Technologie Heike Hempel

Referat 56

-85600

-83700 Referat 47 Referat 57

Referat 17

Referat 28

Referat 38

Zentrale Prüfgruppe ESF / EFRE

Verwaltungsbehörde EFRE

Wirtschaftsanalyse

Nicolas Meves

-89700

Reinhard Flaskamp

-82800

Michael Knoblich

Strukturentwicklung, wirtschaftsrelevante Umwelt und Energiefragen -83800

Peter Nothnagel

-84700

Öffentlicher Personennahverkehr, Personenbeförderung Stephan Gerstenberg

-85700


Diplomaten Spiegel

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D

er 46-jährige Jurist kennt unser Land sehr gut. Er ist in den 2000er-Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen, Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Südkaukasus, Gastprofessor in Speyer und 2010 in Heidelberg tätig. Nach Professuren in Georgien wird er stellvertretender Innenminister, Verteidigungsminister und, bis zu seiner Akkreditierung in Berlin, Leiter des Nachrichtendienstes. Nun, als Frontmann seines Landes, sind bilaterale Lösungen gefragt, die in Berlin wie Tiflis gefallen. Ein weites Aufgabenfeld, um sich von Wirtschaft, Handel, Energie, Umweltschutz bis hin zu Bildung, Wissenschaft und Forschung zu kümmern.

Behörden Spiegel / September 2020

Unser Ziel ist und bleibt Europa Ein Gespräch mit dem georgischen Botschafter Prof. Dr. Levan Izoria in Berlin (BS/ps) Georgien gilt als Brücke zwischen Abendland und Asien. Es wird auch schon mal “Balkon Europas” genannt, denn 87 Prozent des Landes, so groß wie Bayern, sind bergig, gleichsam hoch droben über Europa, dem es sich fest verbunden fühlt. Vor allem mit Deutschland, das es als erstes Land der Europäischen Gemeinschaft nach der Unabhängigkeit 1991, am 23. März 1992, völkerrechtlich anerkennt, am 13. April 1992 diplomatische Beziehungen aufnimmt und eine Botschaft eröffnet. Die Verbindung hat eine über 200-jährigeTradition, die zurückgeht auf die Einwanderung schwäbischer Siedler ab 1817. Dies in allen strategisch wichtigen Bereichen zu vertiefen und auch nach anderen Formaten der Zusammenarbeit zu suchen, dafür ist Prof. Dr. Levan Izoria im April dieses Jahres als Botschafter in Deutschland angetreten.

Erfolgreiche Zusammenarbeit “Weitere Schwerpunkte sind”, so Botschafter Izoria, “aktiv über unsere erfolgreichen Reformen und Fortschritte auf dem Weg der europäischen Integration wie auch die künftige Teilnahme meines Landes an NATO-geführten Friedensmissionen zu informieren. Durch die Diskussion der uns betreffenden Themen lässt sich im Übrigen eine breitere Akzeptanz und Unterstützung hierzulande gewinnen und so für ein demokratisches, sicheres Georgien, seine uralte Kultur, schöne Natur, die Besonderheit der Küche und als Heimat des Weins zu werben, damit es für die deutschen Touristen attraktiver wird.” Von großem Vorteil wird in Georgien die weitere europäische und transatlantische Integration des Landes, die entsprechend in der Verfassung verankert ist, gesehen. Rechtsgrundlage der Beziehungen mit der EU sind das Assoziierungsabkommen einschließlich des Freihandelsabkommens (DCFTA). Es erschließt den georgischen Unternehmen einen einfacheren Zugang zum gemeinsamen Markt und sorgt für ein “dynamisches Wachstum” des Handels mit der EU, die mit einem Anstieg des gesamten Handelsumsatzes, unser größter Handelspartner bleibt. Es gibt rund 800 georgische Unternehmen, die ihre Produkte in die EU-Länder exportieren.”

Besser als mancher EUMitgliedsstaat Zur weiteren erfolgreichen Zusammenarbeit mit der EU zählen Visafreiheit für den Schengen-Raum, Beitritt zur Energiegemeinschaft, Aufnahme in das erweiterte transeuropäische Verkehrsnetz TEN-T, verstärkte Kooperation mit den EU-Agenturen einschließlich Europol und Eurojust. “Unsere Teilnahme an den Missionen und Operationen an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ein Beweis für unser starkes Engagement zur Friedenssicherung und Gewährleistung der Stabilität

nicht davon geprägt, sondern von Corona, und leider auch nicht davon, wie kompetent die 44-jährige georgische Gesundheitsministerin Ekaterine Tikarade die Pandemie managt. Die frühere Zahnärztin hat unter anderem in Deutschland und Österreich studiert und verordnet Land und Leuten präventiv Schutzmaßnahmen, bevor der erste Corona-Fall im Land bekannt wird. Flüge von China werden bereits Ende Januar gestoppt, Verbindungen aus Iran, Iran und anderen Risikogebieten konsequent gekappt, Reisende in Quarantäne geschickt und Fieberkontrollen eingerichtet. Über Wochen gelten Ausgangssperren, Abstandsregeln, Maskenpflicht, für georgische Bürger werden kostenlose Tests angeboten und die Corona-App empfohlen. Folge: bemerkenswert niedrige Fallzahlen. Hätte die Welt nur auf diese Frau gehört! “Der Rückkehr zur Normalität dient auch ein am 24. April von der georgischen Regierung angekündigter Anti-Krisen-Plan, durch den 3,5 Milliarden GEL (ca. eine Milliarde Euro) mobilisiert werden konnten. Parallel wurde ein Paket zur Milderung der sozioökonomischen Auswirkungen der Coronavirus-Krise geschnürt”, erläutert Izoria.

Gelungene Premiere

Seit einem halben Jahr präsentiert er die Republik Georgien in Berlin: Botschafter Prof. Dr. Levan Izoria.

weltweit. Auch die “Östliche Partnerschaft” (ÖP) betrachten wir als ein erfolgreiches politisches Projekt und einen Impulsgeber für die osteuropäischen Partner”, so Izoria. “Georgien nimmt die Vorreiterrolle unter den ÖP-Ländern wahr und zeigt in einigen Bereichen bessere Leistungen als manche Beitrittskandidaten oder gar Mitgliedsstaaten der EU”, unterstreicht der Botschafter.

wurde das Land als NATOAspirant anerkannt und 2014 in die Gruppe der “Enhanced Opportunities Partner” (EOP) eingeladen. “Das ist eine eindeutige Anerkennung unseres besonderen Beitrags zur gemeinsamen euro-atlantischen Sicherheit und zu einer hohen Interoperabilität oder der Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit verschiedenen Systemen, Techniken und Organisationen

strategische Kommunikation umfasst”, betont Izoria.

Ziel: Vollmitgliedschaft “Seit zwei Jahrzehnten beteiligen wir uns an den NATO-Operationen im Kosovo und Irak, 2001 bis 2016 in der Operation “Active Endeavour” im Mittelmeer-Raum und seit 2004 mit den meisten Truppen der ISAF-Mission. 2015 ist Georgien in der “Resolute Support Mission” in Afghanistan mit

Botschafters Rezept: Georgischer Eintopf

hacken und die Paprika zerkleinern. Das Fleisch in einem großen Topf mit Zwiebeln, Lorbeerblatt und etwas Wasser kochen. Kartoffeln, Paprika, Knoblauch, Tomatenmark und geriebene Tomaten zugeben und fertigkochen. Gelegentlich umrühren. Zum Schluss alles mit Salz, Pfeffer, Adschika, oder mit Chilipulver abschmecken und das Lorbeerblatt herausnehmen. Vor dem Servieren mit gehackter PeZubereitung: tersilie, Dill oder Koriander bestreuen. Dazu passen Das Fleisch zerschneiden, Kartoffeln schälen, wür- Wein, Bier und der eine und andere Wodka. Gaumarfeln, Zwiebeln klein schneiden, Knoblauch fein jos – გაუმარჯოს – Prost. Zutaten: 1 kg Rindfleisch, 8 große Kartoffeln, 6 Zwiebeln, 150 g Tomatenmark, 4 Tomaten, 2 Knoblauchzehen, 2 rote Paprikaschoten, Petersilie, Dill oder Koriander, Georgische Gewürzmischung “Adschika” (Paste aus scharfen Peperoni), 1 Lorbeerblatt, Salz und Pfeffer.

Auch die Mitgliedschaft in der NATO ist für Georgien von größter sicherheits- und außenpolitischer Priorität. 2011

Schmückt den Eingangsbereich der Botschaft: Das große Staatswappen Georgiens,mit dem Schutzpatron des Landes, dem Heiligen Georg auf einem roten Schild. Darüber die georgisch-iberische Krone. Gehalten von zwei goldenen Löwen, steht der Schild auf einem stilisierten Weingarten, in den ein Spruchband mit dem Nationalmotto und zwei roten Kreuzen der Flagge Georgiens eingeflochten ist. Das Motto lautet: “Die Kraft liegt in der Einheit”.

wie der NATO, die z. B. die Sicherheit am Schwarzen Meer, Cyber-Fragen, die Bekämpfung von hybriden Gefahren und die

870 Soldaten präsent und stellt die meisten Soldaten gemessen an seiner Bevölkerungszahl. In Masar-i-Sharif sind circa 140

Fotos: BS/Dombrowski

Mann georgisches Militär unter dem Kommando der Bundeswehr eingesetzt. “Die Aufnahme NordMazedoniens in die Allianz zeugt von der Glaubwürdigkeit ihrer Politik der offenen Tür. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Vollmitgliedschaft in der NATO nur eine Frage der Zeit ist.”

Schwelender Konflikt Eher pessimistisch sieht Dr. Izoria die Lage im AbchasienSüdos­setien-Konflikt mit Russland, der, zwölf Jahre nach in der militärischen Intervention der georgischen Regionen durch die Russische Föderation und dem von der EU 2008 vermittelten Waffenstillstand, immer noch schwelt. Die Russen stellen Stacheldrahtzäune, Barrieren‚ “Grenzschilder” und Raketen entlang der Okkupationslinie auf, berichtet der frühere Verteidigungsminister. “Entführungen und willkürliche Verhaftungen von Bewohnern sind alarmierend; die humanitäre Situation verschlechtert sich weiter und die ethnische Diskriminierung georgischer Bewohner nimmt dramatisch zu: Entzug von Eigentumsrechten, Verhinderung von Ausbildung in der georgischen Muttersprache, durch willkürliche Schließung der sog. Grenzübergänge hervorgerufene strenge Einschränkungen der Freizügigkeit und andere ethnisch motivierte Menschenrechtsverletzungen, schaffen die Voraussetzung für eine weitere Welle der Vertreibung der Menschen aus den eigenen Häusern”, beschreibt er das Geschehen vor Ort und betont: “Die dezidierte Unterstützung der Souveränität und territorialen Integrität Georgiens durch die internationale Gemeinschaft, insbesondere Deutschlands, ist von entscheidender Bedeutung. Die Solidarität unserer Partner ist eines der wichtigsten Mittel gegen Moskau, um der Okkupation ein Ende zu setzen.”

Vorbildliche Prävention Seit circa 8.000 Jahren wird in Georgien Wein angebaut. Traditionell wurde der Wein in Ton-Amphoren wie dem Qvevri (hier im Bild) fermentiert und angebaut. 2013 erklärte die Unesco diesen Weinausbau zum immateriellen Weltkulturerbe.

Zu dem Zeitpunkt, als Dr. Izoria seinen Dienst als Botschafter antritt, ist die internationale Agenda

Ein halbes Jahr ist Dr. Izoria nun in Berlin, wobei der Job sein Debut als Botschafter ist und eine weitere gelungene “Premiere” jenseits seiner bisherigen Arbeit und Profession. “Ich hatte das Glück und die Chance, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik tätig zu sein. Die wissenschaftliche Grundlage ermöglichte mir, das erworbene Wissen später als Politiker praktisch umzusetzen. Mit Recht sagt Goethe: “Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldener Baum.” In diesem Kontext ist meine in Deutschland verbrachte Zeit von enormer Bedeutung, weil ich durch die deutschen Universitäten ein festes Fundament aufbauen konnte, auf das ich mich seither stützen kann. Die Bildung ist der Ausgangspunkt für die Innovation, die Entwicklung und den Fortschritt, weshalb ich die an den deutschen Hochschulen verbrachte Zeit sehr schätze”, sagt der georgische Chefdiplomat über seine frühere Zeit in Deutschland. “Die Verbindung theoretischen Wissens mit der praktischen Berufserfahrung ist ausschlaggebend für jeden Erfolg und die Demokratie. Jede Karrierestation in meinem Leben war eine besondere Herausforderung und zugleich eine wunderbare Möglichkeit, etwas zu entwickeln oder zu reformieren. Ich bin gerne da, wo mein Land mich braucht und freue mich über die herausragende Möglichkeit, in einem der wichtigsten Partnerländer Georgiens Botschafter zu sein und die gegenseitigen Beziehungen mitgestalten zu dürfen.” Ein zufriedener Mann, der gerne allenfalls noch ein Talent hätte: “Ich wäre gerne Fußball-Profi geworden.” Letzte Frage: Was fehlt unserer Gesellschaft? “Meines Erachtens sollten wir der Nachdenklichkeit mehr Aufmerksamkeit schenken. Unsere Geschichte und historischen Erfahrungen mehr reflektieren, um die Errungenschaften der demokratischen Welt schätzen, erhalten, verteidigen und verbessern zu können.”

Zum Schluss ein Dank Letztes Wort: “Ich halte die Dankbarkeit für eine sehr wichtige Eigenschaft und deshalb möchte ich mich bei unseren deutschen Freunden und Partnern für die Unterstützung bedanken, die Deutschland für Georgien leistet. Die deutsch-georgischen Beziehungen sind historisch gewachsen und ich freue mich sehr, dass ich nun die Möglichkeit habe, mich für die Festigung und Vertiefung dieser Beziehungen zu engagieren.”


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / September 2020

“Befreiungsschlag für die kommunalen Haushalte” Breite Zustimmung für Föderalismusurteil des Bundesverfassungsgerichts (BS/Wim Orth) Neu aufzubauende Aufgabenbereiche oder tiefgreifende Erweiterungen bestehender Aufgaben dürfen den Städten, Gemeinden und Kreisen der Bundesrepublik nicht vonseiten des Bundes oktroyiert werden. Dieses Grundsatzurteil, das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im August beschlossen und verkündet wurde, schafft Klarheit zur Auslegung eines zentralen Artikels aus der Föderalismusreform, die bereits im Jahr 2006 verabschiedet worden war. Die Entscheidung, die klar zugunsten der Kommunen ausfällt, sorgte für breite Zustimmung in den kommunalen Gremien und Verbänden – aber auch in Teilen der Bundespolitik selber. Das Urteil war nötig geworden, da eine Reihe von kreisfreien Städten aus Nordrhein-Westfalen (NRW) im Jahr 2013 eine Kommunalverfassungsbeschwerde eingereicht hatte. Den Städten war laut eigener Aussage im Zuge des Bildungs- und Teilhabepaketes vom Bund eine deutliche Erweiterung ihrer Aufgabenbereiche, insbesondere in Bezug auf die in kommunaler Trägerschaft finanzierte Sozialhilfe, aufgetragen worden. “Das Bundesverfassungsgericht stärkt mit seiner Entscheidung die kommunale Selbstverwaltung”, fasst Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, die Sicht seines Verbandes auf das nun zugunsten der Kommunen gefällte Urteil zusammen. Auf eine ähnliche Art und Weise beschreiben es auch die drei großen kommunalen Spitzenverbände in ihren Reaktionen auf das Urteil. Nicht der Bund habe die Weisungsbefugnis bei der Aufgabenübertragung gegenüber Städten, Gemeinden und Landkreisen, sondern die jeweiligen Bundesländer, die diese Mehrbelastung dann auch finanziell auszugleichen hätten, wie das BVerfG nun bestätigt hat. Und dennoch versuche der Bund es immer wieder, beklagt Dedy: “Das ist deshalb problematisch, weil für den Mehraufwand der Kommunen in der Regel kein Kostenausgleich erfolgt und so der finanzielle Handlungsspielraum stetig kleiner zu werden droht. Immer wieder sind die Kommunen durch Regelungen des Bundesgesetzgebers mit erheblichen Kostenbelastungen aufgrund neuer oder erweiterter Aufgaben konfrontiert.” Durch die Bestätigung der kommunalen Rechtsauslegung durch das Bundesverfassungsgericht gebe es nun endlich eine durch-

Anspruch darauf haben. Es ist zudem stark vom Wohnort abhängig, welche kulturellen oder sportlichen Aktivitäten für Kinder und Jugendliche angeboten werden. Das ist ungerecht. Zwar ist es die Aufgabe der Kommunen, sicherzustellen, dass alle Kinder mobil sein können oder ein warmes Mittagessen in Kitas und Schulen bekommen. Der Bund darf sie dabei aber nicht alleine lassen oder bürokratische Lasten auferlegen.”

Klare Überschreitung der gesetzlichen Grundlage Ohne Moos nix los: Der Bund darf Städten, Gemeinden und Landkreisen keine neuen Aufgaben erteilen, ohne für eine angemessene finanzielle Entlastung zu sorgen. Diese Entscheidung sorgt unter den vielen klammen Kommunen in Deutschland für großes Aufatmen. Foto: BS/Capri23auto, pixabay.com

setzbare Rechtssicherheit für die kommunalen Akteure. Für den Präsidenten des Deutschen Landkreistages und Landrat des Kreises Ostholstein, Reinhard Sager, ist das Urteil ebenfalls ein Erfolg; vor allem wichtig ist ihm aber, “dass sich die Entscheidung nicht gegen die Kinder und Jugendlichen richtet”, die von dem Paket profitieren sollen. Denn: die “Regelungen bleiben bis zum 31.12.2021 in Kraft. Bis dahin muss der Bundesgesetzgeber eine Neuregelung schaffen”, erklärt der Landrat: “Die Kinder und Jugendlichen haben keinen Nachteil. Das Bildungspaket wird weiter erbracht.”

Nicht nur Kommunen kritisieren den Bund Die in dem Bildungs- und Teilhabepaket versprochenen Leistungen sind vielfältig und umfassen unter anderem Zuschüsse zu Artikeln des Schulbedarfs, aber auch zur Lernförderung und für die mittägliche Verpflegung der Schüler sowie Kosten für Klassenfahrten. Der Städte- und Gemein-

debund (DStGB) hebt im Zuge der Urteilsverkündung hervor, dass die Entscheidung mit großer Sicherheit “auch Ausfluss auf weitere Gesetzgebungsverfahren haben” werde, beispielswiese “den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder”, so der DStGB in einem Statement. Aber nicht nur aus Reihen der Kommunen wird das Urteil als dringend benötigter Erfolg gegenüber dem Bund wahrgenommen, sondern auch von Vertretern der höchsten föderalen Ebene selbst. Für Christian Haase, MdB und kommunalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat das Urteil “das Zeug zum Befreiungsschlag für die kommunalen Haushalte”. Denn die Finanzierung von erweiterten Angeboten aus Bildung und Teilhabe sei nur ein Fall von vielen weiteren, in denen kommunalen Akteuren Aufgaben unberechtigterweise übertragen würden, ohne den Mehraufwand finanziell zu begleichen, so der Abgeordnete: “Dies ist zum Beispiel aktuell

beim Angehörigenentlastungsgesetz nicht der Fall. Der Bund ist nach diesem Urteil klug beraten, das Durchgriffsverbot endlich konsequent umzusetzen. Auch bei der Umsetzung des geplanten Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern sind die vom Bundesverfassungsgericht normierten Grundsätze zwingend einzuhalten. Die Kommunen können diese Aufgaben nur stemmen, wenn auch die dafür erforderlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden.” Grundsätzliche Zweifel an der Wirksamkeit des Bildungs- und Teilhabepakets der Bundesregierung äußert zudem der sozialpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Sven Lehmann. Er sieht das Urteil als “eine Klatsche für die Bundesregierung. Sie hat mit dem Bildungs- und Teilhabepaket vor fast zehn Jahren ein Bürokratiemonster geschaffen und hält seitdem eisern daran fest. Dabei kommen die Leistungen nur bei etwa einem Drittel der Kinder an, die einen

Konkret ging es in der Verfassungsklage um das Bildungspaket für Kinder und Jugendliche im Sozialhilfebezug. Dessen Finanzierung sowie die konkrete Umsetzung übertrug der Bund an die Städte – ein deutlicher Verstoß gegen den Ausschluss der Aufgabenübertragung durch den Bund, wie die Kommunen argumentierten. In seinem Urteil gibt das Bundesverfassungsgericht dieser Auslegung nun Recht und konkretisiert zudem, was der Bund darf und was eben nicht. So liege eine “Anpassung bundesgesetzlich bereits zugewiesener Aufgaben an veränderte ökonomische und soziale Umstände” im Bereich des Erlaubten, solange “damit keine materiell-rechtlichen Erweiterungen verbunden sind, die den Aufgaben eine andere Bedeutung und Tragweite verleihen”, so das BVerfG in seiner Erklärung des Urteils. Im konkreten Fall sei jedoch den Kommunen “als örtlichen Trägern der Sozialhilfe nur die Aufgabe übertragen, Bedarfe der Bildung und Teilhabe abzudecken”; da es darüber hinausgehende Regelungen nicht gegeben habe, sei die Pflicht der Kommunen “mit den Regelbedarfen abgegolten”.

KNAPP ÖPNV-Unterstützung von EU genehmigt (BS/wim) Die EU-Kommission hat das Hilfsprogramm der Bundesregierung für öffentliche und private Verkehrsunternehmen im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) für beihilferechtskonform erklärt. Das Finanzpaket mit dem Titel “Bundesrahmenregelung Beihilfen für den Öffentlichen Personennahverkehr” war vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) erarbeitet worden, um den Unternehmen beim Auffangen ihrer finanziellen Ausfälle sowie bei den notwendigen Investitionen in Fahrzeugumbauten und den Kosten für Hygienemaßnahmen durch die Corona-Pandemie zu helfen. Die Hilfen können von allen ÖPNV-Unternehmen beantragt werden, die “direkt im Zuge der Corona-Pandemie entstandene Schäden nachweisen können”, so das BMVI. Als Antragsfrist gilt der 30. September.

Sofortprogramm zur Bahnhofserneuerung (BS/wim) Mit 40 Millionen Euro will der Bund die Instandsetzung von insgesamt 167 Bahnhöfen noch in diesem Jahr subventionieren. Die Finanzspritze, die über das Bundesverkehrsministerium (BMVI) an die Deutsche Bahn ausgezahlt wird, stammt aus dem Konjunkturpaket der Bundesregierung zur Stärkung der deutschen Wirtschaft und Bekämpfung der Corona-Folgen und soll mittelbar auch das regionale Handwerk in der Bundesrepublik unterstützen, indem dieses von der DB Station&Service AG beautragt wird. Mit der Fördersumme sollen unter anderem Treppen erneuert, Wände gestrichen, Vandalismusschäden ausgebessert und die Barrierefreiheit und energetische Sanierung vorangetrieben werden.

Fotos: Toby Giessen, Behörden Spiegel;

Neue Mobilität

Strategien für Kommunen und öffentliche Fuhrparks 7. Oktober 2020, Stuttgart

Top-Referenten:

THEMEN DER KONFERENZ, u. a.:

► Moderne Mobilitätskonzepte für die Kommunen ► Elektromobilität in BaWü

► Nachhaltige Mobilitätsstrategien und klimafreundliche Verkehrsentwicklung Michael Schramek Vorstandsmitglied Netzwerk intelligente Mobilität e. V., Fachlicher Leiter der Tagung Eine Veranstaltung des

Michael Hagel Koordinierungsstelle Elektromobilität, Landeshauptstadt Stuttgart

Christoph Erdmenger Abteilungsleiter Nachhaltige Mobilität, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg

► Flächendeckende Infrastrukturen für Elektromobilität ► E-Busse: viel Potenzial für deutsche Innenstädte

► Intermodalität: ÖPNV und Individualverkehr integrieren

www.kommunale-mobilitaet.de


Kommunalpolitik

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Sorge ja, Führung nein

ZEHN GEBOTE FÜR KOMMUNEN

Frauen in Top-Managementorganen öffentlicher Unternehmen (BS/kh) In den Spitzenpositionen von öffentlichen Unternehmen sind Frauen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert – insbesondere in den Chefetagen von Stadtwerken und kommunalen Energieversorgern. In 69 Städten und 1.469 öffentlichen Unternehmen ist ein Frauenanteil in Top-Managementpositionen von lediglich 19,7 Prozent zu verzeichnen – mit einem marginalen Anstieg um 0,4 Prozentpunkte zum Vorjahr. Zwischen den Kommunen gibt es allerdings große Unterschiede. Zu einem Großteil wurden zwischen April 2019 und April 2020 vakante Positionen in den TopManagementorganen öffentlicher Unternehmen durch ein männliches Mitglied neu besetzt (78,0 Prozent / 145 Fälle). Nur bei 22,0 Prozent der Neubesetzungen (41 Fällen) wurde die zuvor männlich besetzte Position durch eine Frau besetzt. Dies geht aus der als Langzeitanalyse konzipierten “FIT-Public Management-Studie 2020” der Zeppelin Universität Friedrichshafen hervor. “In der aktuellen Covid-19-Krise wird die strukturelle Bedeutung der Repräsentation und Teilhabe von Frauen in systemrelevanten Berufen und insbesondere auch in Spitzenorganen öffentlicher und privater Organisationen weiter als ein wichtiges Thema für die Gesellschaft, Politik, Praxis und Wissenschaft hervorgehoben und diskutiert”, heißt es dort. Die am 8. Juli 2020 beschlossene Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Wirtschaft unterstreiche die besondere gesellschaftspolitische Relevanz des Themas.

Zunehmende Spreizung Allerdings ist noch einiges zu tun. Die Entwicklung der Repräsentation von Frauen in Top-Managementorganen zwischen den Städten gestaltet sich weiterhin sehr unterschiedlich und mit einer zunehmenden Spreizung zwischen Gebietskörperschaften mit hoher und sehr niedriger Frauenrepräsentation. Auf der einen Seite gibt es eine Spitzengruppe von 14 Städten mit einer Repräsentation von über 30 Prozent weiblich besetzter Positionen. Dazu gehören etwa Norderstedt (33,3 Prozent), Chemnitz (32,4 Prozent), Magdeburg (31,4 Prozent) und Düsseldorf (31,3 Prozent). Auf der anderen Seite ist in Städten, die bereits im Vorjahr eine geringe Frauenrepräsentation zeigten, eine weitere Verringerung unter die Fünf-Prozent-Grenze festzustellen. So etwa in Osnabrück (3,6 Prozent), Bitterfeld-Wolfen

I

n einer Ende Juli veröffentlichten Studie zur digitalen Teilhabe zeigt die Aktion Mensch Chancen und Risiken des digitalen Wandels für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen auf. Die Chancen überwiegen dabei eindeutig. Denn viele Beeinträchtigungen können durch Software und Apps zumindest teilweise kompensiert werden, wie zum Beispiel durch Spracherkennung, Audio-Beschreibung, Umstellung auf Leichte Sprache oder eine Beschreibung von Bildern. Durch digitale Medien bekommen viele Menschen mit Behinderung auch erst die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren oder Veranstaltungen mitzuerleben. Technologische Hilfsmittel bringen mehr Selbstständigkeit und Unabhängigkeit in das täglichen Leben: Geräte lassen sich digital steuern, Orientierungssysteme erleichtern die Bewegung im öffentlichen Raum. All das führt zu einem enormen Gewinn an Lebensqualität. Und schließlich ermöglichen die Sozialen Medien auch Menschen mit Behinderung eine Vernetzung, die ihnen vorher nicht möglich war. Neueste Entwicklungen und Tipps zur Barrierefreiheit der eigenen Inter-

Behörden Spiegel / September 2020

Der öffentliche Sektor ist zu einem freien Markt geworden. Altes Denken ist da wenig hilfreich. Die Kommunen haben es inzwischen mit Kunden und nicht mehr mit Einwohnern zu tun. Es geht um Zielgruppen und Erlöse. Schrumpfen diese, hat das weitreichende Folgen – und das vor dem Hintergrund angespannter Haushalte, steigender Verwaltungsaufgaben und vo­ranschreitender Digitalisierung. Zehn Gebote liefern Lösungsansätze für Kommunen. Gebot 6: Digitalisierung ist die Aufgabe aller Beteiligten – nicht nur der IT

Frauen sind zwar in der Sorgearbeit stärker repräsentiert, aber auch hier haben meist Männer die höher dotierten Positionen inne. Foto: BS/ElisaRiva, pixabay.com

(null Prozent) und Heidelberg (null Prozent).

Branchenabhängige Unterschiede “Neben vielen weiteren Maßnahmen sollte in allen Gebietskörperschaften in diesem Kontext auch das Thema Public Corporate Governance Kodex auf die Tagesordnung von allen Stadt- und Gemeinderäten beziehungsweise entsprechenden politischen Organen gesetzt werden”, resümiert Studienautor Prof. Dr. Ulf Papenfuß, Inhaber des Lehrstuhls für Public Management & Public Policy an der Zeppelin Universität. “Wie im Deutschen Public-CorporateGovernance-Musterkodex der Expertenkommission sollte in allen Public-Corporate-Governance-Kodizes vor Ort formuliert sein, dass das Top-Management auch für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Unternehmensspitze Zielgrößen festlegen und jährlich darüber auf der Unternehmenshomepage berichten soll.” Betrachtet man die unterschiedlichen Branchen bzgl. der Frauenrepräsentation, ist festzustellen, dass in den als

besonders systemrelevant eingestuften Branchen “Gesundheit & Soziales” (33,1 Prozent) und “Krankenhäuser” (25,2 Prozent) Frauen weiterhin deutlich häufiger im Top-Management repräsentiert sind. Aber auch in den sogenannten “Sorgeberufen” – gilt: je höher die Position, desto niedriger der Frauenanteil. Bei Stadtwerken und Unternehmen der Abfallwirtschaft ist ein leichter Anstieg festzustellen (je 9,1 Prozent), gleichwohl teilen sie sich die hintersten Plätze im Ranking mit der kommunalen Energiewirtschaft (13 Prozent). Des Weiteren sind Frauen überwiegend häufiger in den TopManagementorganen kleiner Unternehmen tätig; ihre Repräsentation ist in den größten Unternehmen mit nur 15,7 Prozent am geringsten. Prof. Dr. Klaus Mühlhahn, Präsident der Zeppelin Universität, betont: “Viele Studien haben gezeigt, dass diverse Teams und Unternehmen erfolgreicher agieren. Eine Erhöhung des Frauenanteils im Top-Management ist daher nicht nur aus Gründen der Fairness wichtig, sondern auch für den unternehmerischen Erfolg der Firmen.”

Ob man will oder nicht, die Digitalisierung ist unausweichlich! Die Verantwortung dafür auf einige wenige abzuschieben, nur weil sie in der ITAbteilung arbeiten oder Systemadministratoren sind, ist natürlich einfach und bequem. Das ist jedoch eine Sackgasse! Gerade beim Thema Digitalisierung geht es in Zukunft nicht mehr darum, Verantwortungen und Aufgaben zu delegieren, sondern darum, alle an einem Prozess zu beteiligen und jedem seine Rolle, seine bestimmte Funktion zuzuordnen. Denn die Digitalisierung verbindet jeden und alles. Aus diesem Grund dürfen die Digitalisierung und die damit verbun-

Dominic Multerer ist Marketingexperte und Gründer des Instituts für Wachstumschancen und Innovation (IWCI). Foto: BS/privat

denen Maßnahmen nicht nur Aufgabe der IT-Abteilung sein! Jeder Bereich des Lebens ist von der Digitalisierung betroffen. Egal ob Arbeitsplatz, Verkehr, Gesundheit, Politik, Wirtschaft, Konsum, Kommunikation oder Gesundheit - überall hat die Digitalisierung schon jetzt Einzug gehalten. Die kommunale Verwaltung und die örtliche Politik können sich davon nicht ausklammern. Sie sind schon Teil dieses Prozesses. Grundlage, um neue Wege gehen zu können, ist die Akzeptanz der Entwicklung. Die Digitalisierung bietet der kommunalen Verwaltung die Chance, vom Bremser zum Gestalter zu werden. Als Erstes gilt es, Ängste und Vorbehalte abzubauen. Gleichzeitig sind die Vorteile der Digitalisierung klarzustellen und positiv zu vermitteln. Es geht darum, jeden in der kommunalen Verwaltung

Tarifstreit bei uni-assist e. V. geht weiter (BS/jf) Gegenseitige Schuldzuweisungen und fortdauernde Streiks prägen derzeit die Verhandlungen über einen Haustarifvertrag bei dem bundesweit tätigen Dienstleister für Universitäten, uni-assist e. V. Eine Lösung scheint nicht in Sicht. “Verdi verhindert durch Forderungen, die weit über den Flächentarifvertrag hinausgehen, immer wieder einen Tarifabschluss für uni-assist e. V.”, kritisiert Claudia Pfeiffer, Geschäftsführerin des kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV) Berlin und Verhandlungsführerin auf Arbeitgeberseite. Bei dem Dienstleister, der ausländische Schul- und Hochschulzeugnisse auf deren Vergleichbarkeit mit dem deutschen Bildungssystem überprüft, gibt es bislang noch keinen gültigen Tarifvertrag.

Neben der Anwendung des Tarifvertrages für den Öffentlichen Dienst, der Gewährung einer Jahressonderzahlung und einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit fordert Verdi ein verlässliches und transparentes tarifvertragliches Regelwerk im Umgang mit Befristungen und Entfristungen. Doch diese letzte Forderung lässt sich nach Ansicht von Pfeiffer nicht erfüllen “Wir haben wiederholt klargestellt, dass die immer wieder geforderten Beund Entfristungen auf betriebli-

Digitale Barrierefreiheit und Engagement als Schlüssel zu mehr Inklusion (BS/Alexander Westheide/Sandra Vukovic*) Seit dem Beginn der Corona-Krise erleben wir, dass digitale Teilhabe gleichzeitig auch soziale Teilhabe bedeutet. Für viele Menschen mit Behinderung ist das nicht neu. Ihnen bieten die digitalen Medien schon viele Jahre lang die Möglichkeit, zum Beispiel Sinnesbehinderungen auszugleichen: Blinde Menschen lassen sich Texte und Befehle von einem Programm vorlesen, oft in atemberaubender Geschwindigkeit. Auf Fotos finden sie akustische Beschreibungen, wenn sie mit der Maus darüber fahren. Gehörlosen Nutzerinnen und Nutzern helfen Transkriptionen von Audio-Dateien und Untertitel bei Filmen. Und wer Lernschwierigkeiten hat, hat Anrecht auf Texte in Leichter Sprache. hilfe oder auch in Schulen sind oft nur unzureichend geschult; die Ausstattung ist teils veraltet. So besteht auch die Gefahr einer wachsenden Ungleichheit durch die Digitalisierung.

Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal

Der Sport ist inklusiv. Menschen mit und ohne Behinderung können einfach zusammen Fußball spielen. Außerhalb des Sports bietet die digitale Teilhabe die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe. Doch die digitale Engagementsvermittlung ist noch lange nicht inklusiv. Foto: BS/Aktion Mensch e.V., Produktion Sterntag

einiger an der Studie beteiligter Experten bergen die digitalen Medien aber auch Risiken: Durch die hohen Kosten für Geräte und Schulungen seien nicht alle in

Mehr zu den zehn Geboten für Kommunen, mit denen Städte und Gemeinden die Zukunft als Chance nutzen können, unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “10 Gebote”.

Knackpunkt Be- und Entfristungen

Die Chancen überwiegen

netseite gibt die Aktion Mensch auf ihrer Seite www.inklusion. de unter dem Stichwort “digitale Barrierefreiheit”. Aus Sicht von Menschen mit Behinderung und

für diesen Weg zu motivieren, damit er sich aktiv beteiligt und mitgestaltet. Dazu sollten Personen in Schlüsselpositionen zu “Helden der Digitalisierung” gemacht werden, wie es Georg Beuler im sechsten Kapitel auf den Punkt brachte. Um überhaupt diesen Weg zu beschreiten, muss die Digitalisierung zur Chefsache gemacht und die IT als Stabsstelle definiert werden, bei der alles zusammenläuft. Ferner ist eine digitale Strategie mit realistischen Etappenzielen und einem entsprechenden Finanzierungsplan zu entwickeln. Im Zentrum aller Überlegungen stehen dabei die Anwender. Mit der Implementierung digitaler Prozesse geht die Schaffung einer “digitalen” Kultur einher. Das bedeutet: voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Auch das Nutzen von Synergieeffekten ist wichtig, ebenso wie ein Feedback über Erfolge und positive Fortschritte – und das nicht nur intern, sondern auch extern. Denn der Bürger ist ebenfalls ein Teil dieses kontinuierlichen Prozesses und muss deshalb eingebunden werden!

der Lage, sich den Standard zu leisten, der für eine echte Teilhabe nötig wäre, heißt es in der aktuellen Studie. Mitarbeiter in Einrichtungen der Behinderten-

Viele Menschen in Deutschland engagieren sich bereits freiwillig und ehrenamtlich. In den ersten Monaten der Corona-Pandemie war eine große neue Solidaritätswelle erkennbar. Aber die digitale Engagementvermittlung ist oft noch weit davon entfernt, inklusiv zu sein – was angesichts ihres Anspruchs, gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, ein schwerwiegender Mangel ist. Mehrsprachigkeit, die Darstellung in leichter Sprache, Lese- oder Hörmöglichkeiten für Menschen mit Sehbehinderung sind kaum zu finden. Auch die Adressierung von Menschen mit Beeinträchtigungen oder von ge-

cher Ebene geklärt werden müssen.” Sowohl der TV-L als auch das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) enthalten bereits klare Regelungen. Das sehen die Beschäftigten anders. Mit 86 Prozent votierten sie gegen die Annahme des letzten Angebotes und machten den Weg frei für weitere Streiks. Sie werfen der Arbeitgeberseite vor, eine Kamikaze-Strategie zu fahren, nach dem Motto “friss oder stirb”. Doch deren Verhandlungsspielraum ist erschöpft.

sellschaftlichen Minderheiten als zukünftig Engagierte bleibt weit hinter den (auch technischen) Möglichkeiten zurück. Sogenannte Randgruppen bleiben auch in der digitalen Engagementvermittlung als Nutzer am Rand. Auch das Thema Digitalisierung als Gegenstand von Engagement findet nur unzureichend Beachtung. Wichtigster Anspruch aller Bemühungen muss bei der Weiterentwicklung digitaler Angebote deshalb die Benutzerorientierung sein. Damit sich mehr Menschen für Inklusion einsetzen, macht die Sozialorganisation mit ihrer am 19. August 2020 gestarteten Engagement-Initiative “Das echt soziale Netzwerk” darauf aufmerksam, wie vielfältig die Möglichkeiten des freiwilligen Einsatzes sind: vor Ort, digital, im Freizeit- oder sozialen Bereich, häufig oder unregelmäßig. Auf der Webseite können Interessierte zudem in einem Test herausfinden, welcher Engagement-Typ sie sind und welche freiwillige Tätigkeit zu ihnen passt. Mehr unter: www.aktionmensch.de/dein-engagement *Alexander Westheide und Sandra Vukovic arbeiten bei Aktion Mensch e.V.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / September 2020

B

ehörden Spiegel: Herr Ober­ bürgermeister, die Kommu­ nalwahlen am 13. September ste­ hen ganz im Zeichen Coronas. Gibt es ausreichend Wahlhelferinnen und Wahlhelfer vor Ort, um nicht doch auf das demokratisch um­ strittene Modell einer reinen Brief­ wahl ausweichen zu müssen? Sridharan: Da wir uns früh an die Vorbereitungen begeben haben, ist uns das Problem seit Längerem bekannt. Tatsächlich sind wir rechtzeitig an die Öffentlichkeit gegangen und haben um Unterstützung gebeten. Glücklicherweise befinden wir uns in der komfortablen Situation, dass wir uns auf die Mitwirkung vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden mit Sitz in Bonn verlassen können. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass wir am Wahltag ausreichend Personal zur Verfügung haben, um die Wahl ohne größere Störungen durchführen zu können. Behörden Spiegel: Es heißt, Krisen seien die Stunde der Exe­ kutive. Erwarten Sie sich einen Bonus durch die derzeitige Co­ rona-Pandemie? Sridharan: Das müssen Sie die Wählerinnen und Wähler fragen. Zunächst bin ich als Oberbürgermeister nicht Teil der Exekutive im engeren Sinne. Das ist eher die Ebene von Landesregierungen und Bund. Unabhängig davon bin ich der Überzeugung, dass ich die Bewältigung der Krise gemeinsam mit dem Team im Verwaltungsvorstand, mit dem Krisenstab und mit der Verwaltung gut organisiert habe. Teil unserer Strategie war es, stets dafür zu sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt informiert gefühlt haben. Dass hier gerade in den Anfängen ein großes Bedürfnis bestand, zeigen unsere ersten beiden Pressekonferenzen, die jeweils von mehr als 100.000 Zuschauerinnen und Zuschauern wahrgenommen wurden. Sofern das von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt auch so gesehen wird, ist das sicherlich nicht nachteilig. Behörden Spiegel: Verweilen wir beim Thema Organisation. In Ihre Amtszeit fallen einige Groß­ projekte, die bei der Umsetzung nicht recht vom Fleck zu kommen scheinen: Die Sanierung der Beet­ hoven-Halle oder das geplante Seilbahnprojekt sind in diesem Zusammenhang zwei prominente Beispiele. Woran liegt es, dass Vorhaben dieser Größenordnung so schwer durchzusetzen sind? Sridharan: Die Gründe liegen je nach Fall unterschiedlich. Um konkret zu werden: Bei der Beethovenhalle verhält es sich so, dass die Sanierungsarbeiten voraussichtlich noch bis 2024 andauern. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Doch obwohl einiges mit Sicherheit nicht so gelaufen ist, wie ich es mir vorgestellt habe, befinden wir uns mittlerweile auf Kurs und ich bin zuversichtlich, dass wir bis Ende des Jahres so weit sind, die bisher angenommenen Angaben über Bauzeit und Kostenhöhe verbindlich festlegen zu können. Ähnlich komplex stellt sich die Lage auch beim Seilbahnprojekt dar, an dem wir nun schon rund zwei Jahre arbeiten. Grund für die Verzögerung ist, dass Seilbahnen bisher nicht vom Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz erfasst wurden. Derzeit befinden wir uns aber in einer Abstimmung mit dem Bund und Land NRW, um zu ermitteln, welche Parameter für eine Kosten-Nutzen-Analyse maßgeblich sind, damit ein solches Projekt förderfähig ist, was bisher nicht der Fall war. Hinzu kommen Bürgerinitiativen, die ggf. im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden wollen. All das verlangt Zeit. Es ist Teil

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“Letztlich möchte ich beides nicht missen” Ashok-Alexander Sridharan über die Zukunft des politischen Standorts Bonn (BS) Seit 2015 ist Ashok-Alexander Sridharan (CDU) Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn. Am 13. September stellt er sich erneut zur Wahl, die, allen Corona-Widrigkeiten zum Trotz, regulär stattfinden wird. Im Interview mit Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll spricht er über kommunales Krisenmanagement in Zeiten der Pandemie, verzögerte Großprojekte und darüber, welche Schritte geplant sind, um die Zukunft des politischen Standorts Bonn zu sichern.

“Meiner Meinung nach gibt es viele Bereiche, in denen eine Verlegung nach Berlin mehr Nach- als Vorteile in sich birgt”, sagt Bonns Oberbürgermeister, Ashok Sridharan, zur BonnBerlin-Beziehung. Foto: BS/Petersdorff

der Demokratie, dass Beschlüsse nie einstimmig, sondern im Dialog gefunden werden. Das bietet unterschiedlichen Stimmen Raum. Aufgabe der Politik ist es, die vorgetragenen Argumente in die eigene Urteilsfindung miteinzubeziehen. Allein so lässt sich gewährleisten, dass der finale Entscheid dann auch von einem möglichst breiten Konsens getragen wird. Behörden Spiegel: Die Bundes­ stadt Bonn ist die einzige Stadt Deutschlands, die Gastgeber für zahlreiche UN-Organisationen ist. Mehr als 1.000 UN-Angehörige arbeiten hier. Was gedenken Sie zu unternehmen, damit sich dieser Status künftig weiter verfestigt? Sridharan: Zunächst versuchen wir, ein guter Gastgeber für die Vereinten Nationen zu sein, die in Bonn ansässig sind oder erwägen, sich am Rhein niederzulassen. Aber auch persönlich halte ich die UN für eine tragende Säule unserer kleinen kosmopolitischen Stadt. Darum halte ich engen Kontakt zu den Chefs der Sekretariate. Ich höre zu und beteilige mich aktiv an deren Aktionen. Darüber hi­ naus befinde ich mich in regem Austausch mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen in New York und Genf, um daran zu erinnern, wie attraktiv der Standort Bonn ist. Mit der Unterstützung des Bundes wie auch des Landes Nordrhein-Westfalen ist es uns so gelungen, allein in den vergangenen fünf Jahren acht neue UN-Büros nach Bonn zu bringen. Damit liegen wir gegenwärtig bei über 20 Einrichtungen der Vereinten Nationen mit Sitz am Rhein. Und es könnten noch mehr werden: Derzeit laufen Gespräche mit weiteren Organisationen. Behörden Spiegel: Schicksal­ haft ist die Beziehung Bonn-Ber­ lin. Es soll noch weitere Verhand­ lungen zur Rolle Bonns geben. Wie ist der aktuelle Sachstand? Sridharan: Es ist so, dass wir 2016 ein Positionspapier erarbeitet haben, in dem wir darlegen, warum eine Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin nicht nur für die Region, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland gut und sinnvoll ist. Dieses Positionspapier haben wir überparteilich und überregional mit Unterstützung der Länder Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz entwickelt, in den jeweiligen Gremien verabschiedet und der Bundesregierung vorgelegt. Darauf aufbauend haben wir ein Leitbild erstellt und der Bundesregierung im vergangenen Jahr vorgelegt, das darauf abzielt, die Stärken unserer Region zu fördern und die Zusammenarbeit mit der Bundeshauptstadt auf einer vertraglichen Grundlage zu definieren. Das berührt ganz unterschiedliche Bereiche wie die Cyber-Sicherheit, den UNund Wissenschaftsstandort Bonn

oder auch den Kultursektor, der mit Ludwig van Beethoven sicher ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. In erster Linie wird es aber darum gehen, die Arbeitsplätze auf ministerieller und behördlicher Ebene zu erhalten. Unser Ziel ist es, zu einer Formulierung zu kommen, die am Ende von beiden Seiten – von Bonn und Berlin – getragen werden kann.

Ursprünglich waren Gespräche für das Frühjahr vereinbart, die dann aufgrund der Corona-Krise leider abgesagt werden mussten. Ich gehe aber davon aus, dass die Gespräche demnächst wieder aufgenommen werden können. Behörden Spiegel: Vor 15 Jah­ ren kam die Idee auf, in Bonn täti­ ge Bundesbedienstete in Obersten

Bundesbehörden anzusiedeln, die Ministerialfunktion aber nach Berlin zu verlegen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag? Sridharan: Das eben ist der Grund, weshalb wir mit der Bundesregierung bzw. dem Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) ins Gespräch kommen wollen. Meiner Meinung nach gibt es viele Bereiche, in denen eine Verlegung nach Berlin mehr Nach- als Vorteile in sich birgt. Nehmen wir nur zum Beispiel das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das für die UN und die ebenfalls in Bonn ansässige Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) den unmittelbaren ministeriellen Ansprechpartner vor Ort darstellt. Ähnlich verhält

es sich beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das in Bonn mit der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), dem Max-Planck- und Fraunhofer Institut sowie unserer Exzellenzuniversität ein in Deutschland einzigartiges Wissenschaftscluster bildet. Nicht zu vergessen das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das aufgrund der geografischen Nähe zu Brüssel sehr viel besser in Bonn aufgehoben ist. Schließlich wäre da noch das Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR) der Bundeswehr, das mit dem Cyber Security Cluster Teil einer Struktur in diesem Themenfeld ist, die es sonst nirgends in Europa gibt. Man sieht: Es gibt viele gute Gründe, weshalb eine ministerielle Präsenz in Bonn auch weiterhin unbedingt erforderlich ist. Dessen ungeachtet freuen wir uns natürlich über die Neuansiedlung von Bundesbehörden, derer es bekanntlich viele gibt. Letztlich möchte ich beides nicht missen, aber genau darüber will ich mit der Bundesregierung ja ins Gespräch kommen.


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Personelles

Behรถrden Spiegel / September 2020


Behรถrden Spiegel / September 2020

Personelles

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Kommunaler Haushalt

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Behörden Spiegel / September 2020

Der Konzern Stadt in Corona-Zeiten

Internes Kontrollsystem

Auswirkungen der Covod-19-Pandemie auf das Beteiligungsmanagement

IKS als Bestandteil des Risikomanagements

((BS/Lars Scheider*) Die Covid-19-Pandemie verstärkt und beschleunigt die Veränderungen bei der Kommunalverwaltung und öffentlichen Unternehmen vor dem Hintergrund der Megatrends Digitalisierung und demografischer Wandel.

von Dr. Ulrich Keilmann

Mit einer klugen Organisation der internen Prozesse auf Basis moderner, datenbankorientierter Software konnte in Frankfurt am Main eine nachhaltige Steuerungsfunktion für den Konzernverbund Stadt auch in Corona-Zeiten aufrechterhalten werden. Foto: BS/Leonhard Niederwimmer/pixbay

Wie wichtig die konsequente Digitalisierung der Arbeitsprozesse ist, haben nicht zuletzt auch ganz aktuell die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Beteiligungsmanagement gezeigt. In Frankfurt am Main konnte jedoch durch kluge Organisation der internen Prozesse mithilfe moderner, datenbankorientierter Software eine nachhaltige Steuerungsfunktion für den Konzernverbund Stadt zu jeder Zeit aufrechterhalten werden. Dabei war die Ausgangslage mit nur 12,5 Prozent Homeoffice-Kapazität im Beteiligungsmanagement denkbar schlecht. Neben der Organisation des Dienstbetriebs werden im Vortrag (siehe Info rechts unten) insbesondere auch die Anforderungen bei der digitalen Personalführung erläutert. Die Führungsverantwortung über Distanz orientiert sich stärker an Arbeitsergebnissen als an Präsenz. Zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitenden sind Anforderungen, Aufgaben und Erwartungen so zu formulieren und abzustimmen, dass die Führungskräfte die Arbeitserledigung ergebnis-orientiert steuern und begleiten können.

Gestiegene Anforderungen an Kommunikation Neben den gestiegenen Anforderungen an die Kommunikation und die Stärkung der internen Strukturen kommt insbesondere dem mobilen Arbeiten eine Schlüsselrolle zu. Dabei sind Aspekte wie Mindestpräsenz in der Dienststelle, Regelungen für die Zusammenarbeit und Digitali-

sierungstand der Arbeitsprozesse zu berücksichtigen. Welche Tätigkeiten sind für mobiles Arbeiten geeignet, welche Tätigkeiten sind es nicht? Was sind die persönlichen Voraussetzungen für mobiles Arbeiten? Auch die technische Voraussetzung bzw. Beschaffungsstrategie des Beteiligungsmanagements der Stadt Frankfurt am Main wird erläutert.

Gestiegene Anforderung an Konzernsteuerung Auch die Konzernsteuerung unterliegt in der Covid-19-Pandemie gestiegenen Anforderung. Neben dem Thema der Liquiditätssicherung für die Beteiligungsunternehmen bekommt auch die Kommunikation im Rahmen der Gremienbetreuung der Aufsichtsräte und Betriebskommissionen und das Beteiligungscontrolling mit dem Quartals-Reporting eine zunehmend wichtigere Steuerungsfunktion. Wie darauf vom Beteiligungsmanagement in Frankfurt reagiert wurde, wird ebenfalls erläutert. Aspekte, wie zum Beispiel die Automatisierung vieler arbeitsintensiver Prozesse sowie die Erhöhung der Datenzugriffsgeschwindigkeit, werden vor dem Hintergrund der vom Beteiligungsmanagement der Stadt Frankfurt a. M. eingesetzten Datenbanklösung (Anteilsbesitz- Management-Informationssystem (kurz: AMI) dargelegt. Um die Kernfunktion einer Beteiligungsverwaltung – die sog. Gedächtnisfunktion – zu erfüllen, werden in AMI alle beteili-

gungsrelvanten Informationen der städtischen Beteiligungen in einem System zusammengeführt. Dazu sind neben dem sog. Kernmodul acht weitere Module im Einsatz, wie z. B. das Modul Dokumenten­archiv und das Modul Mandate. Jedoch bietet die Covid-19-Pandemie auch große Chancen für den öffentlichen Sektor in Deutschland. Die Bedeutung des Staates und seiner Verwaltung in Deutschland wurde durch die Covid-19-Pandemie dem Bürger eindrucksvoll verdeutlicht. Somit steigt auch die Attraktivität als Arbeitsgeber, was aktuelle Bewerberzahlen auf offene Stellen deutlich zeigen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine nicht zu unterschätzende Chance für den gesamten öffentlichen Sektor. *Lars Scheider ist Abteilungsleiter Beteiligungsmanagement der Stadtkämmerei der Stadt Frankfurt am Main. Diese Expertise bringt er am 25. September 2020 in ein Online-Seminar zum Thema “Beteiligungscontrolling der öffentlichen Hand” ein, durch welches er führen wird. Weitere Informationen sowie eine Anmeldemöglichkeit zu diesem und weiteren Seminaren finden sich unter:www.fuehrungskraefteforum.de .

Gemeinden, Städte, Landkreise und sonstige kommunale Körperschaften sind angehalten, bestmöglich und frühzeitig alle denkbaren Risiken zu erkennen, um ihnen rechtzeitig mit geeigneten Maßnahmen begegnen zu können. Allerdings gibt es keine “Blaupause” für ein allgemeinverbindliches kommunales Risikomanagementsystem. Vielmehr ist je nach Aufgabenportfolio, finanzieller Lage und individuellen Risiken ein passgenaues System in die Kommune zu integrieren. Ein Teil dieses Risikomanagementsystems sollte aber jedenfalls das Interne Kontrollsystem (IKS) sein (s. Abbildung 1). Es sorgt dafür, dass mögliche Prozessrisiken risikorelevanter Bereiche durch Kontrollaktivitäten innerhalb und außerhalb des Finanzwesens positiv beeinflusst werden. Im Rahmen der 208. Vergleichenden Prüfung “Haushaltsstruktur 2018: Landkreise” untersuchten und bewerteten wir das IKS bei sieben hessischen Landkreisen. Abbildung 2 stellt die zusammenfassende Beurteilung des IKS für wesentliche Untersuchungsfelder dar. Alle Landkreise hatten Schwachstellen im IKS. Beispielsweise wurde die Wirksamkeit des Internen Kontrollsystems durch die Zugriffsrechte für die jeweils eingesetzten Programme beeinflusst. So verfügten die Kassenmitarbeiter in zwei Landkreisen über weitergehende Bearbeitungsrechte. Damit war es ihnen theoretisch möglich, Zahlungsdatensätze zu erzeugen und Zahlungsempfänger zu verändern. Auch bei den Subsystemen waren die Zugriffsberechtigungen teilweise nicht begrenzt. Darüber hinaus waren echte Kontrollmaßnahmen, die in den Arbeitsprozess integriert sind und von unabhängigen Personen vorgenommen werden, nur wenig ausgeprägt oder fehlten ganz. Vorhandene Maß-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

nahmen, die technisch nicht unterstützt wurden, konnten teilweise umgangen werden. Dagegen wurden regelmäßig prozessunabhängige Überwachungsmaßnahmen wie analytische Prüfungshandlungen oder stichprobenartige Fallprüfungen eingesetzt. Solche Maßnahmen können zwar zur Aufdeckung doloser Handlungen beitragen und dadurch das Risiko verringern, sie aber nicht ganz ausschließen. Noch während der Prüfung wurden die individuellen Handlungsempfehlungen zur Verbesserung des IKS positiv aufgenommen und umgesetzt. Das Risiko von Vermögensschädigungen infolge von dolosen Handlungen kann nur durch eine strikte Trennung von

Einrichtungs-, Bearbeitungsund Zahlungsfunktionen minimiert werden. Dazu sollten in allen aufgezeigten Bereichen die Zugriffsrechte im Rahmen eines darauf abgestimmten Rechtekonzepts auf die erforderlichen Bearbeitungsfunktionen beschränkt werden. Weiter sollte die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips durch prozessintegrierte Kontrollen mit technischer Unterstützung sichergestellt werden. Lesen Sie mehr zum Thema “IKS” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1309 vom 8. November 2019, S. 77 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungs hof.hessen.de abrufbar.

Risikomanagementsystem (Abb. 1) Risikomanagementsystem Risikofrüherkennungssystem

IKS

Controlling

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von https://www.kgst.de/risikomanagement

Zusammenfassende Beurteilung des IKS (Abb. 2) Hochtaunus

Lahn-Dill

DarmstadtDieburg

HersfeldRotenburg

Kassel

LimburgWeilburg

MarburgBiedenkopf

Sachgerechte Regelungen bei EDV-Zugriffsrechten

Ordnungsgemäßes IKS bei Kasse

IKS bei Subsystemen Personal Sozialhilfe Jugendhilfe Sonstige

= erfüllt, = nicht erfüllt, = teilweise erfüllt

k. A.

Quelle: Eigene Erhebungen; Stand: Oktober 2018

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Kommunaler Finanzgipfel 26. – 27. Oktober 2020, Rheinhotel Dreesen

Referenten, u. a.: Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen

Dirk Käsbach, Erster Beigeordneter und Kämmerer, Stadt Königswinter

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln

Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. (Zweiter Senat)

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / September 2020

Seite 17

Licht und Schatten

Für eine krisenfeste Bildung

Restmüllmengen sinken, aber Problemfälle bleiben

Merkel und Karliczek treffen Kultusminister im Kanzleramt

(BS/Wim Orth) Geht es um den Müll und seine Verwertung in Deutschland, zeichnet die Situation ein Bild mit zwei Seiten. Auf der einen Seite freut sich das Bundesumweltministerium (BMU) darüber, dass die Menge des Restmülls sich hierzulande seit 1985 um fast die Hälfte reduziert hat und schreibt den kommunalen Wertstoffhöfen einen großen Anteil daran zu. Auf der anderen Seite musste Umweltministerin Svenja Schulze nur wenige Tage später eine Studie vorstellen, nach der die Kosten und Folgen des sogenannten “Littering” analysiert wurden. Bei diesem Ergebnis verfliegt die Freude über historische Erfolge zügig wieder. 700 Millionen Euro müssen die Städte und Gemeinden in Deutschland jährlich dafür aufwenden, um ihre Straßen, Parks und sonstigen öffentlichen Flächen von Unrat zu säubern und die öffentlichen Abfalleimer zu leeren. Zu diesem Ergebnis kommt die bundesweit erste repräsentative Analyse zu Reinigungskosten der Kommunen für den lokalen Müll. Beim sogenannten “Littering”, also dem achtlos weggeworfenen oder stehen gelassenen Abfall, der nicht ordnungsgemäß entsorgt wird, gibt es mit Zigarettenkippen und To-go-Kaffeebechern zwei unrühmliche Spitzenreiter, die aus dem Müllberg hervorstechen und 20 Prozent der Gesamtvolumens ausmachen. Allein für die vielen Millionen kleiner Zigarettenstummel fallen dabei 225 Millionen Euro Entsorgungskosten an, während es für die etwas größeren, aber nicht minder umweltschädlichen Kaffeebecher immer noch 120 Millionen Euro sind. Insgesamt sind billig produzierte und kaum verfallende Einwegkunststoffe der Kern des Problems, wie Umweltministerin Svenja Schulze erklärt. Um dieser Entwicklung zu begegnen, fordert sie einen neuen Verteilungsschlüssel für die Finanzierung der Reinigung: “Bisher müssen alle Bürgerinnen und Bürger über ihre Steuern und Gebühren für die Reinigung von Straßen und Parks zahlen. Es ist nur gerecht, wenn wir künftig die Kosten anders verteilen, die Bürger entlasten und im Gegenzug die Einwegplastik-Hersteller zur

(BS/wim) Nachdem die Sommerferien in den ersten Bundesländern zu Ende gegangen sind und nicht nur in Berlin, sondern auch in weiteren Bundesländern bereits die ersten Schulen wegen Corona-Infektionen wieder schließen mussten, zeigt sich die unverminderte Dringlichkeit, das Bildungssystem mit einer höheren Krisenresilienz auszustatten. Um hier bundesweit an einem Strang zu ziehen und eine größtmögliche EinFolgen ihrer umweltschädlichen jährlich knapp 240 Kilogramm heitlichkeit der Bildungsumstände zu schaffen, wollen Bundesregierung Geschäftsmodelle aufkommen Restmüll pro Einwohner an, sind und Länder eng zusammenarbeiten.

Es wird besser, aber das Ziel ist noch weit: Während der Restmüll in Deutschland stetig weniger wird und auch die Wertstofftrennung weitestgehend funktioniert, ist der wilde Müll weiter eine große Baustelle für die Kommunen und ihre Abfallwirtschaftsbetriebe. Foto: BS/MarcWinter, pixabay.com

Kasse bitten. Neben mehr Kostengerechtigkeit sollte aber auch ein Plus für die Umwelt dabei herauskommen. Ich bin dafür, dass das neue System die Kommunen auch dabei unterstützt, mehr Reinigungspersonal einzustellen, neue Kehrmaschinen anzuschaffen oder zusätzliche Papierkörbe und Aschenbecher aufzustellen”, so die Ministerin. Damit greift sie schon vorab die neue Einwegkunststoff-Richtlinie der Europäischen Union auf, nach der Hersteller von Einwegplastik zukünftig an den Kosten der Entsorgung beteiligt werden sollen. “Dass in Zukunft die Hersteller bestimmter Einwegprodukte finanziell für die

sollen, ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Kosten”, erklärt zu diesen Planungen der Oberbürgermeister von Mainz und Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), Michael Ebling. Insgesamt entfallen auf jeden Einwohner Deutschlands jährlich 140 Liter Straßenmüll, die von den kommunalen Reinigungsdiensten aufgelesen und entsorgt werden müssen. Die Kosten für diese Mühen machen laut der Studie etwa ein Viertel aller Kosten für die Abfallentsorgung in Deutschland aus. Rund die Hälfte des Abfallvolumens auf den Straßen, in Parks und Grünanlagen speist sich übrigens aus Grünabfällen, Straßensplit oder Sand – also Materialien, die für den Winterdienst benötigt werden oder bei der Pflege der Anlagen anfallen. Klammert man diese unvermeidbaren Abfälle aus der Gesamtrechnung aus, entfallen rund 80 Prozent des gesamten Mülls im öffentlichen Raum auf Artikel aus Einwegplastik.

Restmüllvolumen sinkt stetig Während der achtlos weggeworfene Müll im öffentlichen Raum also nach neuen Lösungswegen verlangt, sieht es beim Restabfall deutlich erfreulicher aus. Dessen Menge hat sich innerhalb der vergangenen 35 Jahre, also seit dem Jahr 1985, in etwa halbiert, wenn man die Werte der “alten Bundesländer” vergleicht. Fielen Mitte der 80er-Jahre noch

es 2018 noch 128 Kilogramm gewesen. Vor allem beim Altpapier, Altglas sowie bei Metallen und Kunststoffen gebe es Verringerungsquoten von bis zu 80 Prozent. Neben der grundsätzlichen Verringerung habe sich auch die Trennung von Wertstoffen erheblich verbessert, so das Umweltbundesamt. Dennoch sei man bei der Verbesserung der Abfallverwertung “noch längst nicht am Ende dieses langen Weges”, erklärt Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth, der den Müll als solches am liebsten ganz aus der Rechnung nehmen würde: “Immer noch landen wertvolle Rohstoffe in der Restmülltonne. Um das zu ändern, muss das Trennen noch leichter werden. Unser Ziel ist eine echte Kreislaufwirtschaft, in der kaum noch Restmüll anfällt und die Rohstoffe wiederverwendet werden.” Um dies zu erreichen, brauche es jedoch beim Bioabfall ein weitergehendes Umdenken in der Bevölkerung, denn von diesem werde immer noch ein Drittel über den Hausmüll entsorgt, was knapp 40 Prozent des Gesamtvolumens ausmache. Aber auch Wertstoffe wie Holz, Kork, Altelektronik und Textilien haben mit mehr als einem Viertel einen großen Anteil am Restmüll und sollten stattdessen in die jeweiligen Wertstoffsammlungen gegeben werden. Insgesamt gehöre laut Umweltbundesamt nur ein Drittel des gesamten Restmüllvolumens auch wirklich dort hinein.

Da die Pandemie vor allem die Möglichkeit des digitalen Lernens in den Fokus der Aufmerksamkeit gebracht hat, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sich mit einer Reihe von Kultusministern und -ministerinnen der Länder zu einem informellen Austausch über die Herausforderungen des Schulsystems in der CoronaPandemie getroffen. Im Rahmen des Treffens wurde zunächst vereinbart, dass Bund und Länder die Digitalisierung als gemeinsame Aufgabe definieren. Um nun weitere Bewegung in die Digitalisierung des Bildungssystems zu bekommen, wurden als erste Punkte vereinbart, schnellstmöglich alle Schulen in der erforderlichen Weise an das schnelle Internet anzuschließen sowie alle Lehrer mit Endgeräten auszustatten. Zudem soll flächendeckend dafür gesorgt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland zu Hause über einen bezahlbaren Zugang zum Internet verfügen. In ihrer Zuständigkeit für das Schulwesen hatten die Länder im Juni die Wiederaufnahme des Regelbetriebs nach den Sommerferien unter Einhaltung der bestehenden und für den Unterricht klar zu definierenden Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen beschlossen. Das Rahmenkonzept dafür sowie die ersten Erfahrungen nach den

Während des Lockdowns mussten die meisten Lehrer in Deutschland auf ihre privaten Endgeräte zurückgreifen, um den Schülern digital Unterricht geben zu können. Dies soll sich nach einer Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Ländern nun möglichst bald ändern. Foto: BS/panitan, stock.adobe.com

Ferien wurden bei dem Treffen besprochen. Grundsätzlich bestehe Einigkeit über das gemeinsame Ziel, erneute komplette und flächendeckende Schließungen von Schulen und Kitas möglichst zu vermeiden. Das hohe Gut der Bildung solle auch in Zeiten der Pandemie politische und gesellschaftliche Priorität genießen. Neben Kanzlerin Merkel, Bildungsministerin Karliczek und SPD-Chefin Esken nahmen an dem Treffen folgende Landesvertreter teil: Stefanie Hubig (Rheinland-Pfalz und KMK-Präsidentin), Prof. Alexander Lorz (Hessen), Bettina Martin (Mecklenburg-Vorpommern), Ties Rabe (Hamburg), Prof. Michael Piazolo (Bayern), Christian Piwarz (Sachsen) und Karin Prien (Schleswig-Holstein). Abschließend wurde vereinbart, den Austausch zukünftig fortzusetzen.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / September 2020

Geld ist nicht alles

E

s geht schon auf dem Weg in die Stadt los. Fährt man aus dem Nordosten auf die Kölner Stadtgrenze zu, wird man auf Höhe des Leverkusener Fußballstadions kurz vor der Zufahrt zur Rheinbrücke von einem groß angelegten Informationssystem begrüßt. Dieses existiert in der aktuellen Form seit einigen Jahren und ist nicht etwa Teil eines modernen Leitsystems für ortsunbekannte Gäste oder Berufspendler, sondern dient lediglich dem Aussieben von Lkws und sonstigen Schwertransportern, die den Rhein an dieser Stelle nicht über die heruntergewirtschaftete Brücke passieren dürfen. Immerhin: Inzwischen haben Bauarbeiten für einen Neubau an gleicher Stelle begonnen, die Fertigstellung des ersten Neubauabschnittes ist für 2023 angepeilt – wenn alles gut geht. Aber nicht nur auf den großen Straßen rund um die Stadt sieht es schlecht aus; auch im Inneren der größten Kommune im deutschen Westen sind die Rheinbrücken Dauerpatienten der städtischen Pflege, zudem bröckelt der Asphalt von Straßen sowie der Beton von den städtischen Gebäuden. Und auch die U- und Straßenbahnen sind bekannt für ihre teils willkürliche Taktung. Dazu kommen Straßen, die von inzwischen mehr als einer Million Einwohner tagsüber dauerhaft überfüllt sind; Staus sind die Folge, die durch ständig notwendige Ausbesserungsarbeiten an Brücken, Straßen und sonstigen Infrastrukturen weiter in die Länge gezogen werden. So oder so ähnlich sieht es nicht nur in Köln aus, sondern in einem Großteil der deutschen Städte. Hinzu kommen die schlecht versorgten ländlichen Regionen, in denen die Digitalisierung bis heute nur in homöopathischen Dosen Einzug gehalten hat. In seiner Studie unter dem Titel “Öffentliche Infrastruktur in

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Neues Gutachten legt Missstände der öffentlichen Infrastrukturen offen (BS/Wim Orth) Es ist keine Neuigkeit: Die Infrastrukturen in deutschen Städten und Gemeinden sind nicht modern und zusätzlich an vielen Stellen marode. Dieser häufig subjektiv wahrgenommene Umstand bekommt nun neues Futter – und das von höchster Ebene. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat ein Gutachten zur öffentlichen Infrastruktur in Deutschland erstellt, in dem der Status quo analysiert wird. Fazit: Der subjektive Eindruck täuscht nicht, es gibt große Defizite bei den bundesdeutschen Infrastrukturen und für die Zukunft noch viel zu tun. Deutschland: Probleme und Reformbedarf” zeichnet der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi ein realistisches, wenn auch nicht sehr optimistisches Bild: So haben die fehlenden Investitionen laut dem vom Gremiums-Vorsitzenden Prof. Dr. Klaus Schmidt unterzeichneten Papier “dazu geführt, dass sich die bestehende Infrastruktur deutlich verschlechtert hat, selbst wenn sie im internationalen Vergleich immer noch relativ gut dasteht”. Nicht nur im sichtbaren Bereich des öffentlichen Raumes und im Bereich der digitalen Infrastrukturen brauche es nun große finanzielle Anstrengungen für die Zukunft, sondern auch bei Ausbau und Instandhaltung von Gas- und Stromnetzen. Weitere Gründe für den schlechten Zustand seien die Begünstigung von staatlichen “Konsumausgaben” statt nachhaltiger Investitionen durch die politischen Finanzprozesse sowie die falschen Anreize in den Governance-Strukturen: “Die politökonomischen Gründe weisen auf die mangelnde Langfristorientierung der Politik hin, während die Fehlanreize in den Governance-Strukturen vor allem dann auftreten, wenn die Entscheidung über Finanzierung und Investitionstätigkeit und die damit verbundene Verantwortung auseinanderfallen, so z. B. im Rahmen des föderalen Staats, in dem Bund, Länder und Gemeinden zusammenwirken”, so das Gutachten. Auch die aktuelle

schlägt der Beirat eine regelmäßige Investitionsbedarfsanalyse für die Infrastrukturen vor, “die deutlich über den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung hinausgeht”. Zudem brauche es eine weitere finanzielle Entlastung der Kommunen durch den Bund, was die Länder aber nicht davon entbinden solle, “eine angemessene Finanzausstattung der Gemeinden zu gewährleisten” sowie bestehende Förderprogramme fortzusetzen und neue Programme einzurichten. Abschließend müssten Strukturen aus Politik und in Gesetzen korrigiert werden, die Investitionen hemmen könnten.

Es braucht Milliardeninvestitionen Marode Brücken und volle Straßen wie hier auf der Deutzer Brücke in Köln sind nicht nur im Rheinland ein bekanntes Ärgernis. Um die sichtbaren und unsichtbaren Infrastrukturen instand zu setzen, braucht es Investitionen in hoher Milliardenhöhe. Foto: BS/Didgeman/pixabay.com

Corona-Krise sei ein Faktor, der sich negativ auf öffentliche Investitionen auswirke. Aber der Beirat listet nicht nur Versäumnisse auf, sondern analysiert diese und ihre Herkunft auch, um Lösungsmöglichkeiten zu bieten.

Über die Mittelfristigkeit hinausdenken Um im öffentlichen Raum besser auf einen vernünftigen Stand der Infrastrukturen zu kommen, schlagen die Wissenschaftler um Prof. Dr. Schmidt eine Reihe von Maßnahmen vor: “Wichtigstes

Ziel ist die langfristige Erhöhung und Verstetigung der öffentlichen Investitionen, damit die öffentlichen Investitionen nicht länger die Residualgröße der Haushaltspolitik sind. Dazu könnten Bund und Länder Investitionsfördergesellschaften (IFGs) einrichten, deren Finanzierung aus den Kernhaushalten langfristig garantiert wird.” Deren Governance müsse anschließend derart gestaltet werden, dass sie ausschließlich Finanzierungen für wirkliche Innovationsprojekte gewähren könnten. Als weitere Schritte

Um Engpässe in den Energienetzen zu beheben, brauche es zudem eine “Anrechenbarkeit von Investitionen in Flexibilisierungsoptionen” für einen besseren Netzausbau sowie eine integrierte Infrastrukturplanung für die bislang separat geplanten Bereiche Strom, Gas und Wasserstoff, die ebenfalls weit über die Mittelfristigkeit hinaus geplant sein müssten. Gerade beim Thema Entlastung unterstreicht der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) die Sichtweise des Beirates, denn gerade die auch im Gutachten genannten “steigenden Sozialausgaben führen vielerorts unweigerlich zu einem explodierenden kommunalen Investitionsrückstand”, so

der Kommunalverband. Dieser sei mit einem Gesamtvolumen von rund 147 Milliarden Euro “weiter besorgniserregend hoch”. Auch in Köln kennt man sich mit dem Thema Investitionsrückstand aus. Laut einer Studie, die die Stadt vor rund zwei Jahren vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) und dem Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Universität Köln hat durchführen lassen, müsste die Stadt in den nächsten 20 Jahren ein Gesamtvolumen in Höhe von rund 16 Milliarden Euro investieren, damit die aktuelle Infrastruktur instandgesetzt, erhalten und fit für eine Zukunft gemacht werden könnte, in der bis 2030 voraussichtlich mehr als 1,1 Millionen Menschen in der Metropole ihr Zuhause haben werden. Rund zwei Drittel davon, also etwa elf Milliarden Euro, würden dabei nur dafür benötigt, die veraltete Straßen- und Gebäudeinfrastruktur auf den heutigen Stand zu bringen. Einer der gravierendsten Gründe in Köln ist das Fehlen von Investitionen in ebenjene Infrastrukturen in der Vergangenheit. Und genau dieses Problem sieht Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), nicht nur in den großen Metropolen, sondern durch die Bank als größtes Versäumnis in Kommunen. Dabei liege es oft nicht am fehlenden Geld, sondern an den Regularien: “Geld ist dabei nicht alles: Eine Modernisierung und Weiterentwicklung der Infrastruktur braucht politische Entscheidungen, um durch Rechtssicherheit Innovationen und Investitionen anzureizen, und schnellere Planund Genehmigungsverfahren. Kurzum: Buddeln und Baggern für Deutschland stärkt den Wirtschaftsstandort nachhaltig, macht ihn resilienter – davon profitiert auch die junge Generation.”

Das Klima wartet nicht Modellkommunen in BaWü ausgewählt (BS/kh/wim) Die Jury des Kompetenznetzes Klima Mobil hat 15 baden-württembergische Modellkommunen für die Umsetzung von hochwirksamen Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr ausgewählt. Drei zentrale Handlungsfelder stehen dabei im Fokus: die Bevorrechtigung umweltfreundlicher Verkehre, das Parkraummanagement und die Verkehrsberuhigung bzw. Straßenraumgestaltung. “Das Interesse war noch größer, als wir es erwartet hatten. Die Kommunen haben erkannt, dass der Klimaschutz nicht warten kann. Sie wollen anpacken, sie wollen vorangehen”, so BadenWürttembergs Verkehrsminister Winfried Hermann zur Auswahl. Die ausgewählten Modellkommunen Althengstett, Burgstetten, Freiburg, Hechingen, Heidelberg, Karlsruhe, Kehl, Ludwigsburg, Ravensburg, Reutlingen, Rottweil, Sachsenheim, Schorndorf, Simonswald und Waldkirch tra-

gen nun zu den fünf Zielen des Bundeslandes bei: Verdopplung des ÖPNV, jeder zweite Weg zu Fuß oder per Rad, ein Drittel weniger konventionelle Kfz in den Städten, jedes dritte Auto klimaneutral und jede dritte Tonne klimaneutral transportiert. Das Kompetenznetz Klima Mobil wird die Kommunen bei der Planung und der Akquise von Fördergeldern unterstützen. Ziel ist, dass mit Ende der Projektlaufzeit im Sommer 2022 möglichst viele der Projekte umgesetzt

sind. Insgesamt sollen tragfähige Strukturen und Netzwerke für die Zukunft geschaffen werden. Ergänzend zur Beratung der Kommunen ist im Kompetenznetz Klima Mobil die Gründung eines erweiterten Kommunennetzwerkes vorgesehen, welches sich an Städte, Gemeinden, Landkreise und kommunale Zusammenschlüsse richtet, deren Bewerbungen nicht ausgewählt wurden oder die sich grundsätzlich für die Planung von Klimaschutzmaßnahmen interessieren.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / September 2020

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Heute das Fundament für morgen bauen

“Zukunft gemeinsam gestalten”

Eltville am Rhein gewinnt Deutschen Nachhaltigkeitspreis der Kleinstädte

Hansestadt Buxtehude erhält Deutschen Nachhaltigkeitspreis für mittelgroße Städte

(BS/Julia Übelhör*) Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis hat die Stadt Eltville als Sieger in der Kategorie Kleinstädte und Gemeinden ausgezeichnet. Eltville war bereits 2017 und 2018 unter den “TOP3”-Kommunen. “Dieser Preis ist die Anerkennung unseres kontinuierlichen Bestrebens, unser Handeln auf die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) auszurichten”, betont Bürgermeister Patrick Kunkel, “noch mehr ist die Verleihung des Prädikates ein Ansporn für mein Team und mich, genau diesen Weg weiterzugehen.”

(BS/Katja Oldenburg-Schmidt) Die Welt verändert sich derzeit dramatisch. Das Denken und Handeln einer Verwaltung muss damit Schritt halten: In der jüngsten Vergangenheit haben wir es mit unterschiedlichen Herausforderungen zu tun. Waren es bis Ende 2019 zunächst eher Fragen des demografischen Wandels, der Globalisierung, der Digitalisierung, des Klimawandels sowie der weltweiten Migrationsbewegungen, die uns beschäftigt haben, so ist seit Anfang des Jahres 2020 jedem bewusst, dass durch Pandemien weitere, nicht geahnte Herausforderungen auf uns zukommen.

In Eltville wurde 2017, nach einstimmigem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, die Musterresolution “Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung: Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene gestalten” unterzeichnet. Zur institutionellen Verankerung der Aktivitäten entstand die Nachhaltigkeits-AG “Eltville 2030”, die ämterübergreifend Maßnahmen entwickelt und umsetzt. In der DNP-Bewerbung präsentierte Eltville drei LeuchtturmProjekte: Erstens das Quartierskonzept zur Stärkung der Sozialen Netzwerke: Im Fokus der FamilienStadt Eltville steht vor allem die soziale Dimension der Nachhaltigkeit. Dies reflektiert sich auch durch maßgeschneiderte Angebote zweier Standorte der Mehrgenerationenhäuser, seit Anfang 2019 in städtischer Trägerschaft, sowie des “NetzwerkBüros”: Von der Frauenwoche zum Seniorennetzwerk, von flächendeckender Kinderbetreuung zu Integrationslotsen oder Patenschaften für Arbeitslose – Eltville unterhält ein umfassendes Portfolio sozialraumorientierter, niedrigschwelliger und generationenübergreifender Angebote.

Starke Einbindung des Ehrenamtes Ermöglichungsstrukturen aktivieren Mitbestimmung und Kreativität, so etwa beim “Jugendpark der Kulturen” der Philipp-Kraft-Stiftung. Zusammen mit der Stadt hat die Stiftung einen Kulturraum für Begegnung und Teilhabe für einheimische und Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund geschaffen. Auch das MGH ist ein Begegnungsort, an dem Menschen jedes Alters und jeder Herkunft durch ihr Engagement aktiver Teil der Stadtgemeinschaft werden. Die zentrale Rolle des Einsatzes für Eltville wird durch Engagement-Lotsen im NetzwerkBüro koordiniert. Angebote zur Professionalisierung der Ehrenamtlichen, organisatorische Unterstützung und regelmäßige Veranstaltungen wie der Tag des Ehrenamts sorgen für ein starkes Fundament und vermitteln den aktiven Bürgern viel Wertschätzung. Als zweites Leuchtturmprojekt hat die Stadt “Your City for Future” (#YCFF) vorgestellt: Als sich die weltweite Klimabewegung “Fridays for Future” in Eltville formierte, hat der Bürgermeister die jungen Leute eingeladen, gemeinsam ganz konkret für ihre Stadt zu überlegen, welche Maßnahmen und Veränderungen hin

Eines der Projekte aus der Eltviller Agenda 2030 ist das “Autofreie Rheinufer”, das mit Fokus auf Beteiligung aus der Bürgerschaft neu gestaltet wurde. Foto: BS/Hermann Heibel

Grafik: BS/Stadt Eltville am Rhein

zu mehr Klimaschutz und zu nachhaltigem Tun beitragen können. Schon beim ersten Treffen im April 2019 entstanden handfeste Vorschläge, die der Kinderund Jugendbeirat beraten und an den Magistrat weitergegeben hatte. Die Idee, “Elterntaxis” einfach abzuschaffen, wurde kurzerhand umgesetzt, ebenso wie die Trenn-Mülleimer, die im Stadtgebiet aufgestellt wurden. Die Jugendlichen setzen sich darüber hinaus für die Förderung des Radverkehrs und des ÖPNV ein. Weil junge Menschen, die sich für den Klimaschutz einsetzen, von der Politik vor Ort ernst genommen werden und an lokalen Entscheidungsprozessen teilhaben, kann #YCFF Eltville als Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit verstanden werden. Als drittes Leuchtturmprojekt präsentierte die Stadt das Netzwerk- und Forschungsprojekt KliA-Net zur Förderung der Zukunftsfähigkeit von WeinbauLandschaften unter Berücksichtigung des Klimawandels. Im Projekt geht die Stadt Eltville gemeinsam mit der Hochschule Geisenheim und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie der Frage nach, wie sich die Winzer im Rheingau auf die Auswirkungen des Klimawandels einstellen können.

Zahlreiche Initiativen von Stadt und Lokalwirtschaft Eltville engagiert sich darüber hinaus intensiv in weiteren Bereichen für eine nachhaltige Entwicklung: Der städtische Klimaschutzmanager widmet sich etwa dem Ausbau Erneuerbarer Energien sowie der energetisch intelligenten Modernisierung städtischer Liegenschaften. Zur

Förderung der Biodiversität gibt es zahlreiche städtische Initiativen wie die Prämierung privater bienenfreundlicher Balkone und Gärten und den konsequenten Verzicht auf Glyphosat bei der Bewirtschaftung städtischer Grünflächen. Charakteristisch für Eltville ist das autofreie Rheinufer, welches beteiligungsorientiert (um)gestaltet wurde. Eltville legt großen Wert auf die Kooperation mit Städten in der Region und europäischen Partnern, beispielsweise auch bei der Förderung eines sanften Tourismus. Beim halbjährlichen Eltviller Wirtschafts-Dialog (EWD )werden vor allem mit Unternehmensrepräsentanten Empfehlungen für die regionale Wirtschaft und den lokalen Handel erarbeitet; in Corona-Zeiten entstand der digitale Marktplatz “Eltville liefert”, der EWD fand digital statt. Beim kürzlich gestarteten CSRProzess werden zudem systematisch Eltviller Unternehmen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren vernetzt. Nachhaltige Start-ups (z. B. “Du bist hier der Chef”) werden unterstützt und gefördert. Die Stadt bereitet für die kontinuierliche Weiterentwicklung einer nachhaltigen Stadtentwicklung aktuell mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung einen digitalen Bürgerdialog vor. Dabei erhalten am 2. September 2020 bis zu 60 Eltviller Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich in eine Online-Diskussion zu Fragen der Stadtentwicklung einzubringen. Hervorzuheben ist weiterhin die nachhaltige Stadtrallye, bei der die Fairtrade Kommune Eltville im September an elf Stationen deutlich sichtbar das lokale Engagement zur Umsetzung der 17 SDGs vorstellen wird. *Julia Übelhör ist als Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik bei der Stadt Eltville am Rhein tätig.

Digitale Innovation aus dem Pott “Smart City Duisburg Innovation Center” eröffnet (BS/wim) Denkt man an die Digitalisierung größerer Städte in Deutschland, war Duisburg bislang nicht unbedingt auf den ersten Plätzen zu finden. Doch in der Stadt im Ruhrgebiet tut sich eine ganze Menge beim Thema, vor allem im Hinblick auf Smart-City-Aktivitäten. Ein neuer Schritt im Rahmen des Masterplans Digitales Duisburg ist nun die Aufwertung des bereits 2018 gegründeten Innovation Centers. Diese bislang virtuell betriebene Ideenschmiede, die von der Stadt gemeinsam mit der Universität Duisburg-Essen und weiteren Partnern initiiert wurde, ist nun in den analogen Raum überführt worden und soll im FraunhoferinHaus-Zentrum als neues “Smart City Duisburg Innovation Center” (SCDIC) zur zentralen Anlaufstelle für Smart-City-Lösungen werden. Dabei soll das Haus zukünftig als Innovation-Hub für Forschungsinstitute, Start-ups, Unternehmen,

Organisationen und interessierte Bürger fungieren. So sollen neue Smart-City-Forschungsprojekte mit unterschiedlichen Partnern entstehen und mithilfe von Workshops und weiteren Veranstaltungen für ein besseres öffentliches Verständnis der digitalen Stadtentwicklung gesorgt werden. Dabei ist es besonders wichtig, Innovationen im Stadtgebiet sichtbar zu machen, so Oberbürgermeister Sören Link: “Auf dem Weg zur Smart City haben wir schon einige Pro-

jekte realisiert, viele weitere sind in Planung. Mit dem Innovation Center haben wir nun eine zentrale Anlaufstelle, die alle Akteure vernetzt, Bürger und Unternehmen einbindet und in der zukunftsweisende Projekte entwickelt und vorgestellt werden. Und wo sonst könnte digitale Innovation besser stattfinden als hier in direkter Nachbarschaft zur Uni und zu zahlreichen Forschungseinrichtungen.” Mehr Infos unter: www.scdic.de

Die Pandemie hat die 40.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Hansestadt Buxtehude in der Metropolregion Hamburg mitten in einem Prozess erwischt, der fit machen soll, auf neue Herausforderungen ganzheitlich zu reagieren: Seit knapp zwei Jahren arbeitet die Stadtverwaltung an einer umfassenden und partizipativen Nachhaltigkeitsstrategie, der Agenda Buxtehude 2030. Das hat die Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises überzeugt und die Hansestadt Buxtehude mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis (DNP) in der Kategorie Städte mittlerer Größe ausgezeichnet: “Besonderes Augenmerk liegt auf den Themen Klima- und Ressourcenschutz sowie sozialer Teilhabe. Das prozessorientierte, integrierte Vorgehen wird vor allem bei der engen Verzahnung ökonomischer, ökologischer und sozialer Maßnahmen deutlich. Eine projekt- statt ressortorientierte Zusammenarbeit ist hierbei gelebte Organisationsstruktur.”

Netzwerkes und Modellprojektes Global Nachhaltige Kommune Niedersachsen. Beim Prozess “Zukunft – Made in Buxtehude”, den strategischen Überlegungen zur künftigen Technologie-, Innovations- und Gründungsförderung, sind die SDGs verbindliche Leitlinie. Wir sind dieses Jahr der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen beigetreten, denn das Bewusstsein endlicher Ressourcen und des Klimawandels soll die Entwicklung städtischer Bauvorhaben, aber auch die Bestandspflege prägen.

Corona beschleunigt den Wandel Auf Kurs Richtung Nachhaltigkeit: Der Fußball enthält alle Themenkomplexe der Agenda Buxtehude 2030 und soll diese spielerisch in die Stadt tragen. Foto: BS/Hansestadt Buxtehude

mal formuliert: “In den Städten, Kreisen und Gemeinden wird sich letztendlich entscheiden, ob nachhaltige Entwicklung ein Erfolg wird.” Wir glauben an einen Erfolg. Nachhaltige ÜberzeugungsDieser Glaube treibt uns schon arbeit ist gefragt seit gut zwei Jahrzehnten an: AnDie Hansestadt hat es sich zur fang der 2000er-Jahre ist der PräAufgabe gemacht, die 17 Nach- ventionsrat gegründet worden, haltigkeitsziele der Vereinten Na- dessen Wirken von Anfang an tionen (Sustainable Development auf Verbesserung der LebensbeGoals /SDG) auf die kommunale dingungen der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet war und sich nicht auf kriminalpolitische Aspekte reduziert. Er bündelt noch heuKatja Oldenburg-Schmidt ist te ehrenamtliches Bürgermeisterin der Hansestadt Buxtehude. Engagement, unterstützt und setzt Foto: BS/Hansestadt Buxtehude, sich u. a. ein für Daniela Ponath Fotographie mobile Jugendarbeit, für gelingende Integration, Ebene herunterzubrechen und positioniert sich gegen sexuelle diese als Kompass für die stra- Gewalt, gegen Diskriminierung. tegische Entwicklung zu nutzen. Aktuell hat der Präventionsrat Erfolgsbedingung ist eine ein- aus seinem Selbstverständnis deutige Haltung aller Akteure heraus auch das Thema des Klizum nachhaltigen und damit mawandels als Handlungsfeld ressourcenangepassten Handeln. aufgenommen. Vor fünf Jahren wurde ein KliDas geschieht nicht über Nacht, sondern ist ein umfangreicher maschutzmanagement installiert, Kommunikations- und Beteili- das seitdem mit Projekten wie gungsprozess, der sowohl Ver- “ener.kita”, “Sauberhaftes Buxwaltung als auch Politik und die tehude”, Gewerbeforum “WirtStadtgesellschaft umfasst. schaft – Mensch – Umwelt” oder Mehr Teilhabe und soziale Ge- Mehrweg-Aktionen rund um den rechtigkeit, ressourcenschonen- “Buxbüdel” und der Ökomesde Weiterentwicklung der Stadt se “Vor Ort Fair-Ändern” Tipps und nachhaltiges Wirtschaften und Tricks zum Ressourcen– all das wird “unten” gestaltet; und Energiesparen vermittelt. der Deutsche Städtetag hat ein- 2019 wurde Buxtehude Teil des

Diese vielfältigen Maßnahmen und Projekte stehen nicht solitär nebeneinander, sondern sind über die Säulen der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie und Soziales) miteinander verzahnt. Zielkonflikte sind selbstverständlich und müssen im Diskurs unter den Akteuren geklärt werden. Der Kommunikations- und Diskussionsbedarf ist komplex, intensiv, aber unumgänglich. Dazu gehört, dass die Hansestadt früh die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Information und Kreativ-Workshops eingebunden und beteiligt hat. Die Beteiligung und Information der Ratsmitglieder mit externer Begleitung führte zu einem einmütigen Bekenntnis zu den SDGs. Die aktuelle Situation der Pandemie hat deutlich gemacht, dass Veränderungsprozesse nun eine neue Dimension erreichen, unumgänglich sind und an Geschwindigkeit zunehmen. Die Hansestadt strebt deshalb ein neues Leitbild an, das unter Einbindung der Stadtgesellschaft diskutiert und erarbeitet werden muss. Für die Gestaltung dieses Prozesses werden, gerade in Zeiten der Pandemie, neue Beteiligungsformen und -formate erprobt werden müssen. Für dieses “integrierte und zukunftsweisende Vorgehen u. a. in den Bereichen Klimaschutz, Wirtschafts- und Innovationsförderung sowie sozialer Teilhabe” ist die Hansestadt vor den Toren Hamburgs mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Städte mittlerer Größe ausgezeichnet worden. Die Auszeichnung macht uns stolz und ist Ansporn zugleich für unser zukünftiges Handeln. Denn die Kommunen sind der Motor einer nachhaltigen Entwicklung.

Denkmäler erhalten digitalen Zwilling Baden-Württemberg fördert digitale Zeitreisen (BS/wim) Über die Jahrhunderte haben Kaiser und Könige so einige Baudenkmäler gebaut. Seien es Schlösser, Standbilde oder sonstige Monumente, der Kreativität waren kaum Grenzen gesetzt, solange es sich in Stein hauen oder in Bronze gießen ließ. Um diese Kulturdenkmäler auch für die digitale Welt erlebbar zu machen, baut das Land Baden-Württemberg für seine kulturellen Hotspots virtuelle Zwillinge auf. Mit diesen soll die Geschichte der Denkmäler – und somit auch des heutigen Bundeslandes – auf moderne Weise erlebbar gemacht werden. Neben der Geschichte werden dem User in der digitalen Welt auch wissenswerte Daten und Fakten vermittelt. Das Digitalisierungsprojekt ist Teil der Digitalisierungsstrategie des Landes, die auf den Namen digital@bw hört. Den Beginn des Projektes machen virtuelle Rekonstruktionen von Kulturdenkmälern der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg sowie der Gartengeschichte im Blühenden Barock Ludwigsburg. Von besonderem Wert sind diese,

da einige der Denkmäler heute nicht mehr in ihrem Ursprungszustand erhalten sind. So kann man als Nutzer beim Besuch vor Ort erleben, wie es einmal im Originalzustand aussah. Die virtuelle Besuchsmöglichkeit von auch mittelfristig nicht barrierefrei erschließbaren denkmalgeschützten Räumen und Arealen kann zudem Menschen mit Bewegungseinschränkung ein intensives Besuchserlebnis vermitteln und gleichzeitig die kulturelle Teilhabe sicherstellen. Der elektronische Eintrittskartenverkauf soll außerdem den Kundendienst in den Anlagen verbessern.

Die Arbeiten an den Visualisierungen laufen seit Sommer 2019 und werden sukzessive erweitert. Seit Juli steht die Mobilanwendung BlüBa Rundgang des Blühenden Barocks zum kostenlosen Herunterladen bereit. Damit sind digitale Entdeckungsreisen durch die Geschichten der Anlagen möglich. Per App kann man die realen Gegebenheiten vor Ort um realistische Eindrücke aus der Vergangenheit ergänzen oder ganz bequem von zuhause aus in die barocke Gartenanlage und ihre Historie eintauchen. Wer über kein Smartphone verfügt, für den gibt es vor Ort Touchscreens und Filmbeiträge.


Kommunale Sicherheit

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Behörden Spiegel / September 2020

Berlin reagiert

Bundesweite Befragung geplant

Bearbeitungsstau wegen Corona abarbeiten

Erkenntnisse zu Sicherheitsgefühl sollen vertieft werden

(BS/Marco Feldmann) Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat ein Maßnahmenpaket zum Abbau des Corona-bedingten Bearbeitungsstaus in zahlreichen Behörden vorgelegt. Dies betrifft die bezirklichen Bürgerund Ordnungsämter sowie die Kraftfahrzeug-Zulassungsstellen. Wobei die Senatsinnenverwaltung nur für die Zulassungsstelle ein direktes Durchgriffsrecht besitzt. Die anderen Behörden fallen in die Zuständigkeit der Bezirke.

(BS/mfe) Zur besseren Erforschung des subjektiven Sicherheitsgefühls, das vor allem durch die jeweilige Situation in der einzelnen Kommune geprägt wird, ist im Herbst dieses Jahres eine bundesweite Umfrage vorgesehen. Mithilfe der “Befragung der Bevölkerung zur Sicherheit und Kriminalität in Deutschland” (SKiD) sollen Erkenntnisse, die bereits im 2019 veröffentlichten deutschen Viktimisierungssurvey gewonnen wurden, erhärtet werden.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) will den Bearbeitungsstau in einigen Behörden verringern und beheben. Foto: BS/Dombrowsky

In den Bürgerämtern, in denen immer noch nicht das komplette Terminangebot wie vor der Pandemie bereitgestellt werden kann und wo auch noch nicht alle Raumkapazitäten genutzt werden können, sind An- und Ummeldungen einer Wohnung ab sofort auf schriftlichem Wege möglich. Diese Erleichterung, bei der dann kein persönliches Erscheinen erforderlich ist, ist zunächst bis Jahresende befristet. Den Änderungsaufkleber auf dem Personalausweis erhält der Bürger dann erst beim nächsten Bürgeramtstermin. Weigert er sich, die Behörde aufzusuchen, kann er gegebenenfalls dazu aufgefordert werden. Dazu sagte die Staatssekretärin in der Innenverwaltung, Sabine Smentek: “Wir nehmen die Ungenauigkeit auf dem Ausweisdokument in Kauf, weil das Melderegister maßgeblich ist.” Darüber hinaus werden die Öffnungszeiten der Bürgerämter berlinweit auf mindestens 35 Stunden pro Woche mit Einsatz aller verfügbaren Sachbearbeiter vereinheitlicht. Dies schafft die Möglichkeit für bis zu 35.000 weitere Termine bis Jahresende.

Fokussierung bei Dienstleistungen Des Weiteren erfolgt bei der Terminvergabe und Bearbeitung eine Fokussierung auf die Kerndienstleistungen. Dazu gehören

Meldeangelegenheiten, Personaldokumente, Registerauskünfte und Führerscheine, damit Bürger ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen können. Vorbild für diese Vorgehensweise ist Hamburg. Außerdem wird der Online-Vorbuchungszeitraum für Bürgeramtstermine von 14 auf 28 Tage erweitert. Und: Die Termine werden weiterhin um 20 Prozent überbucht, um einen Leerlauf durch nicht wahrgenommene Termine auszugleichen. Senator Geisel: “Ich weiß, dass die Bürgerämter in der Verantwortung der Bezirke liegen. Ich erwarte aber, dass sich alle der großen Verantwortung bewusst sind.” Erforderlich sei eine funktionierende Stadt, die den Servicegedanken für die Bürger in den Mittelpunkt stelle. “Dazu zähle ich die Ausweitungen der Öffnungszeiten, Mehrarbeit und auch – wenn nötig – Samstagsarbeit.” Freie Stellen müssten unverzüglich besetzt werden. “Für weiteres benötigtes Personal kann man auch auf Personaldienstleister zurückgreifen.” Im Bezirk FriedrichshainKreuzberg ist dies bereits der Fall.

Teilweise schon Samstagsarbeit Bereits seit einiger Zeit an Samstagen gearbeitet wird in den Kraftfahrzeug-Zulassungsstellen. Für diesen Extradienst erhalten die Beschäftigten je-

weils pro Samstag 150 oder 200 Euro. So sollen Bearbeitungsrückstände abgebaut und Wartezeiten verkürzt werden. Eine Ausweitung der Öffnungszeiten sowie eine Aufstockung des Personals wird noch geprüft. Auch in diesen Dienststellen findet eine Überbuchung der Termine im Privatkundenbereich statt. Hier sogar um 30 Prozent. Im Bereich der Ordnungsämter sollen aus dem Kreis der bezirklichen Parkraumüberwachungskräfte 240 Mitarbeiter gewonnen werden, die den Allgemeinen Ordnungsdienst befristet bis zum 30. September 2021 unterstützen sollen. Dafür durchlaufen sie eine zehntägige Fortbildung an der Verwaltungsakademie. Die ersten zusätzlichen Kräfte, die sich um die Verkehrsüberwachung kümmern werden, sollen ab Ende September aktiv sein. Ihr Einsatz findet allerdings in der Eigenverantwortung der Bezirke statt. Ziel ist es, die Ordnungsämter zu entlasten, da es sich bei der Verkehrsüberwachung bislang um eine Zugleichaufgabe von ihnen handelt. So sollen mehr Kapazitäten für die Kontrolle der Infektionsschutzverordnung zu Verfügung stehen. Denn, so Geisel: “Wir müssen eine zweite Corona-Welle verhindern.”

Darüber hinaus ist damit eine Verstetigung der Erhebung geplant. Die Umfrage soll periodisch als bundesweit repräsentative Befragung etabliert werden. Künftig soll es alle zwei Jahre eine neue SKiD-Befragung geben. Zur Umsetzung der Studie kooperiert das Bundeskriminalamt (BKA) mit den Polizeien aller Bundesländer. Kofinanziert wird das Vorhaben aus Mitteln des Fonds für die Innere Sicherheit durch die Europäische Union. Ziel der Befragung ist es, langfristig über das subjektive Sicherheitsgefühl, die Kriminalitätsangst, das Anzeigeverhalten sowie die Einstellungen gegenüber der Polizei in der Bevölkerung Aufschluss zu geben. Außerdem soll so geholfen werden, Opfer­ erlebnisse besser zu erfassen. Dafür werden zufällig ausgewählte Bundesbürger im Herbst um ihre Teilnahme an der Studie gebeten. Um eine hohe Stichproben- und Datenqualität zu erhalten, kann

Um das subjektive Sicherheitsgefühl der Deutschen noch besser einschätzen zu können, soll es im Herbst eine bundesweite Umfrage geben.

Foto: BS/derateru, pixelio.de

der Fragebogen entweder schriftlich-postalisch oder im Internet ausgefüllt werden. Die erhobenen Informationen werden anonymisiert und dann zwecks Analyse ans Bundeskriminalamt (BKA) weitergegeben. Grundgesamtheit für die Befragung bilden alle in Deutschland in Privathaushalten lebenden Personen, die zum Zeitpunkt der Erhebung mindestens

16 Jahre alt sind. Daraus wurde eine bundesweite, proportional zur Bevölkerung nach Bundesland geschichtete Basisstichprobe gebildet. Sie umfasst 28.200 Personen. Hinzu kommen etwa 95.000 Bürger, mit denen die Bundesländer Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen die Stichprobenanteile erhöhen.

Viele Kräfte, viele Verstöße Überprüfung von Maskenpflicht im ÖPNV (BS/bk) Der Pflicht, in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske zu tragen, wird vom Großteil der Bevölkerung nachgekommen. Trotz eines Bußgelds verstoßen immer wieder Fahrgäste gegen die Maskenpflicht. Doch nach Kontrollaktionen in mehreren Bundesländern ziehen die zuständigen Polizeipräsidien positive Bilanz. Allein über 1.500 Polizeibeamtinnen und -beamten waren an der bayernweiten Kontrollaktion zur Einhaltung der Maskenpflicht beteiligt. In Bus, Bahn, U-Bahn und Bahnhöfen kontrollierten die Einsatzkräfte von morgens bis abends die Fahrgäste und konnten dabei größtenteils auf die Einsicht der überprüften Personen setzen. Die Polizisten sprachen bei über 3.000 geringfügigen Übertretungen mündliche Ermahnungen aus. Aber in über 260 Fällen mussten die Beamten Anzeigen wegen der Missachtung der Tragepflicht einer Mund-NasenBedeckung auf den Weg bringen. In einem Fall musste sogar wegen Fälschung eines ärztlichen Attests zur Entbindung von der Tragepflicht Anzeige erstattet werden. Im Freistaat sind

Ausnahmen der Maskenpflicht aufgrund von gesundheitlichen Gründen möglich. Dafür wird jedoch ein ärztliches Attest benötigt. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), kündigte an, dass die bayerische Polizei zukünftig im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit die Bevölkerung weiterhin sensibilisieren und die Polizeipräsenz dort erhöhen werde, wo es notwendig erscheine. Insgesamt sei die Kontrollaktion jedoch zufriedenstellend verlaufen. Ähnliche Erfahrungen konnten die Behörden in Baden-Württemberg machen. In der Auftaktaktion kontrollierten unter Federführung des Polizeipräsidiums Aalen insgesamt 100 Polizeibeamte über 3.600 Personen und konnten dabei fast 1.000 geringfügige Verstöße feststel-

len. In nur sieben Fällen wurden Verstöße zur Anzeige gebracht. Die Kontrollaktionen werden bis in den Oktober fortgesetzt. Dazu hat das Innenministerium Baden-Württemberg die 13 regionalen Polizeipräsidien beauftragt, jeweils mindestens drei Schwerpunktkontrollen zur Einhaltung der Maskentragepflicht im Öffentlichen Personennahverkehr durchzuführen. Die Festlegung und Durchführung der Kontr­ olltage und -örtlichkeiten obliegt den regionalen Polizeipräsidien in Abstimmung mit den zuständigen Ortspolizeibehörden sowie den Verkehrsbetrieben. In Bayern und Baden-Württemberg werden Verstöße mit bis zu 250 Euro geahndet. Bei wiederholtem Verstoß können die bayerischen Behörden Bußgelder in Höhe von 500 Euro verhängen.

Vom Ankommen zur Integration

Fachforum Flucht, Migration und Integration 12. – 13. November 2020, Düsseldorf

Themen der Veranstaltung u. a.: • Rassismuskritik in Gesellschaft und Bildungswesen

• Mythos Bildung – Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft

• Ursachen und Folgen von Bildungsungleichheit Jugendlicher mit Migrationshintergrund • Hürden und Hindernisse für eine nachhaltige Migrationsarbeit in Kommunen • Herausforderungen für die Migrationsarbeit in Kommunen

• Erfolgreiche Fördermittelbeschaffung

• Antirassismusarbeit – aktueller Stand und wichtige Ansätze

Eine Veranstaltung des

www.fluechtlingskongress.de


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / September 2020

Mehrgleisig fahren

KNAPP Föderale Digitalisierungsarchitektur

Baden-Württemberg vereinbart Doppelstrategie für OZG-Umsetzung (BS/Guido Gehrt) In Baden-Württemberg setzt man bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) auf eine Doppelstrategie. Das Land, die drei kommunalen Spitzenverbände und die beiden zentralen IT-Dienstleister Komm.ONE und BITBW haben nun eine gemeinsame Vereinbarung geschlossen. Gemeinsames Ziel der Partner ist es, die digital gestellten Anträge der Bürger und Unternehmen durchgängig medienbruchfrei mit den jeweiligen Verwaltungsfachverfahren zu verknüpfen und mit einer elektronischen Bezahlfunktion zu ­versehen. So soll “ein echtes E-Government” zum Nutzen aller gewährleistet werden. Auf Basis des vom Land bereits eingeführten Universalprozesses will man in kürzester Zeit mehrere hundert “einfache” Verwaltungsleistungen, die oft nur wenige Prüfschritte beinhalten und in der Regel keine Anbindung an komplexe Fachverfahren voraussetzen, rechtssicher digital anbieten. Aktuell haben bereits über 100 Kommunen in BadenWürttemberg auf Basis des Universalprozesses bis zu mehrere hundert ihrer Verwaltungsleistungen digitalisiert, darunter etwa Ulm (Führerscheinumtausch, Jagdscheinbeantragung), Heilbronn (Wohnsitzabmeldung) oder Waiblingen (Bauvorbescheid, Kinderreisepassantrag).

Gemeinsame Standardprozesse entwickeln Für die verbleibenden Verwaltungsdienstleistungen mit vielen einzelnen Verfahrensschritten und unterschiedlichen Prozessbeteiligten, für die eine Nutzung des Universalprozesses nicht infrage kommt, sollen gemeinsam sogenannte Standardprozesse entwickelt werden. Dabei soll der Verwaltungsprozess vor der Digitalisierung grundlegend überarbeitet und möglichst auf wenige Verfahrensschritte gestrafft werden. Bei ersten OnlineVerwaltungsleistungen – u. a. Ausstellung einer Wohnungsgeberbescheinigung, Beantragung einer Meldebescheinigung oder Plakatierungserlaubnis – wurden bereits Erfahrungen gesammelt, wie komplexe Verwaltungsprozesse standardisiert, digitalisiert und online verfügbar gemacht werden können. Weitere komplexe Prozesse, etwa die Hilfe zum Lebensunterhalt oder die Grundsicherung, werden aktuell erarbeitet. Aktuell prüft man, inwieweit sich der Universalprozess für die

Zwei Gleise, ein Ziel: Digitale Verwaltungsservices sollen in Baden-Württemberg mit einer Doppelstrategie aus Universalprozess und Standardsprozessen erreicht werden. Foto: BS/Michael Gaida, Pixabay

Nutzung bei komplexeren Verwaltungsfachverfahren und als Ausgangsbasis für die schnellere Entwicklung von Standardprozessen eignet. Ziel ist in allen Fällen eine Ende-zu-Ende-Verarbeitung mit Anbindung an eine elektronische Bezahlmöglichkeit. Die Bereitstellung der OnlineVerwaltungsdienstleistungen erfolgt auf der zentralen Serviceplattform www.service-bw.de, die von den Kommunen des Landes kostenfrei genutzt werden kann.

Breiter Konsens der Akteure “Der Städtetag sieht im Universalprozess eine große Chance, mit der Digitalisierung der Rathäuser schnell voranzukommen”, erklärte Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags BadenWürttemberg. Einige Mitglieds-

städte hätten in den vergangenen Monaten die Chance genutzt, ungeduldig und kreativ zugleich, um für einfache Verwaltungsdienstleistungen das digitale Rathaus erlebbar zu machen. Genauso wichtig, aber komplexer sei es, manch einen gewachsenen Verwaltungsprozess neu zu denken, zu vereinfachen und durchgängig digital verfügbar zu machen, so Bluhm weiter. Für den Hauptgeschäftsführer des Landkreistages BadenWürttemberg, Prof. Dr. Alexis von Komorowski, steht fest: “Wir müssen die Corona-Krise beherzt als Chance für die Digitalisierung der Verwaltung nutzen. Denn die letzten Monate haben zum einen unbarmherzig bestehende Digitalisierungsdefizite offengelegt.” Not mache erfinderisch, sodass man in der öffentlichen

Verwaltung einen digitalen Innovationsschub sondergleichen habe beobachten können. “Aus Sicht der Landkreise ist entscheidend, dass die Digitalisierung der Verwaltung ganzheitlich gedacht wird, der Bürger seine Anträge also nicht nur elektronisch einreichen, sondern die Verwaltung sie auch medienbruchfrei digital verarbeiten kann”, stellt von Komorowski klar.

Zusammenarbeit für weitere Entwicklungen nutzen Der Erste Beigeordnete des Gemeindetags Baden-Württemberg, Steffen Jäger, zeigte sich erfreut, “dass wir in Baden-Württemberg einen Weg gefunden haben, über die bereits bestehende und konstruktive Zusammenarbeit mit Land und der Komm.ONE hinaus, weitere Entwicklungen

voranzutreiben, die so vor wenigen Monaten noch nicht absehbar waren.” Die Ergänzung des bisherigen Vorgehens um den Universalprozess ermögliche eine effizientere Umsetzung des Onlinezugangsgesetztes bis Ende 2022, ohne dabei vom Ziel einer vollständigen Ende-zu-Ende-Digitalisierung abzuweichen. “Eine entsprechende Fortschreibung der E-Government-Vereinbarung zwischen dem Land und den kommunalen Landesverbänden ist uns daher ein großes Anliegen”, erklärte Jäger. “Durch den Universalprozess ist das von uns technisch betriebene Serviceportal Baden-Württemberg (“service-bw”) von einer Informationsplattform zu einem Servicetool für digitale Verwaltungsleistungen geworden” stellt Christian Leinert, Präsident des IT-Dienstleisters der Landesverwaltung IT BadenWürttemberg (BITBW) fest. Für William Schmitt, Vorstandsvorsitzender der Komm.ONE AöR, des kommunalen IT-Dienstleisters in Baden-Württemberg, ist die medienbruchfreie Bereitstellung und Abwicklung von Verwaltungsdienstleistungen nicht nur die konsequente Umsetzung der letzten OZG-Stufe für eine echte Digitalisierung der Verwaltung, sondern auch ein ganz zentraler Bestandteil für die Sicherung der digitalen Souveränität der Gesellschaft. “Die vereinbarte Doppelstrategie ist hierfür der richtige Weg und wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen”, so Schmitt. Digitalisierungsminister Thomas Strobl ist sich sicher, dass BadenWürttemberg auf Grundlage der Doppelstrategie das OZG bereits deutlich vor der gesetzten Frist (Ende 2022) erfüllen werde, “im Unterschied zu anderen Ländern”, so der Minister.

(BS/gg) Der Deutsche Landkreistag und Vitako haben ein Positionspapier zur Konzeption und Umsetzung einer föderalen Digitalisierungsarchitektur vorgelegt. In dieser Synthese bereits erarbeiteter Vorschläge wird ein Architekturbild gezeichnet, welches gut funktionierende Infrastrukturen, Systeme und Komponenten einbezieht. Dafür seien gemeinsame Standards sowie einheitliche, medienbruchfreie und interoperable Schnittstellen zu konkretisieren und stärker zu etablieren. Ziel sei es, den Grad der Nachnutzung bereits vorhandener Lösungen möglichst hoch zu setzen, um Redundanz und zeitliche Verzögerung zu vermeiden. Dabei werde es auch zu einer Reduktion der verschiedenen Instanzen kommen, wobei ein Zielbild derzeit noch offengelassen wird. Das Papier steht unter www.vitako.de zum Download zur Verfügung.

Viele Start-ups meiden Ausschreibungen (BS/gg) Bislang hat sich gerade einmal jedes dritte Start-up auf einen öffentlichen Auftrag beworben (36 Prozent). Und das, obwohl von denjenigen, die bislang darauf verzichtet haben, nur jedes dritte (33 Prozent) angibt, dass die eigenen Produkte oder Dienstleistungen sich nicht für öffentliche Einrichtungen eigneten. Das ist das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag des Bitkoms unter rund 200 Start-ups. Als Hauptgründe für den Verzicht auf eine Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen nennen Start-ups vor allem, dass der Vergabeprozess zu lange dauere (40 Prozent), es an der Zeit fehle, sich mit Ausschreibungen zu beschäftigen (36 Prozent), die Unterlagen zu kompliziert seien (31 Prozent) und die geforderten Nachweise etwa zur Bonität oder zu Referenzkunden das eigene Start-up ausschlössen (31 Prozent).


Informationstechnologie

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D

ie Corona-Pandemie hat uns alle unerwartet und plötzlich getroffen, viele Unternehmen in existenzieller Weise. Die Wirtschaft sieht sich der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gegenüber, die gesamte Gesellschaft steht vor enormen Herausforderungen. Der Lockdown, die pandemiebedingten Abstandsregeln und die erhöhten Anforderungen an Schnelligkeit und Effizienz stärken digitale Verfahren und fordern sie gleichzeitig heraus. Die Krise richtet den Blick wie durch ein Brennglas auf Strukturen: Die digitalen Infrastrukturen und die digitale Modernisierung sind während dieser Zeit verstärkt ins Bewusstsein und in den Praxistest gerückt. Entscheidend ist, die Erfahrungen zu nutzen und den Digitalisierungsschub jetzt nachhaltig wirken zu lassen. Bei dem, was in der Krise akut gebraucht wird – schnelle, unbürokratische Hilfe –, spielen digitale Verfahren ihre Stärken aus. Mit der NRW Soforthilfe 2020 wurde in kürzester Zeit ein komplett digitales Antrags- und Bearbeitungsverfahren installiert. Mehr als 426.000 Solo-Selbstständigen, Freiberuflern und Kleinunternehmen konnte damit durch die bislang schwersten Monate der Corona-Krise geholfen werden. Insgesamt wurden in NordrheinWestfalen 4,5 Milliarden Euro ausgezahlt.

“Dienstleister” für Unternehmen und Bürger Der Blick wurde durch Corona geschärft –das Projekt Digitalisierung der Verwaltung hatte in Nordrhein-Westfalen aber schon vorher Fahrt aufgenommen. Die Digitalisierung der Verwaltung ist die größte Verwaltungsreform seit Jahrzehnten. Dabei geht es nicht allein um die Einführung technischer Komponenten wie der elektronischen Akte. Sondern es geht darum, die Prozesse in der Verwaltung so zu gestalten, dass die medienbruchfreie elektronische Abwicklung von Dienstleistungen möglich wird. In der Umsetzung des Leitbilds einer Verwaltung als “Dienstleister” müssen die Prozesse so gestaltet werden, dass die Ansprüche der “Kunden” – Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen – berücksichtigt werden. Bei aller Heterogenität aufseiten der Nachfragenden können doch Anforderungen an das Angebot formuliert werden. Gewünscht sind im Wesentlichen drei Dinge: • im Internet abrufbare, gebündelte, leicht auffindbare, aktuelle, verständliche und übersichtliche Angaben über Zuständigkeiten, Ansprechpartner, Erreichbarkeiten, Verfahrensabläufe und -stände, benötigte Unterlagen/ Formulare, ggf. Gebühren; • medienbruchfreie, ortsunabhängig, komfortabel und vollständig elektronisch abzuwickelnde elektronische Verwaltungsdienstleistungen und Verwaltungsverfahren auf sicheren Übertragungswegen; • nach Möglichkeit nur ein für den gesamten Prozess verantwortlicher Ansprechpartner aufseiten der Verwaltung. Diese Anforderungen umzuset-

Behörden Spiegel / September 2020

Einfacher, schneller, flexibler Die digitale Verwaltung als Partner der Wirtschaft (BS/Prof. Dr. Andreas Pinkwart) Verwaltung im 21. Jahrhundert heißt: digitale Verwaltung. Die Digitalisierung der Verwaltung ist eine technische, organisatorische und finanzielle Herausforderung, bei deren Umsetzung Nordrhein-Westfalen eine Führungsrolle einnimmt. Die pandemiebedingte Krise macht die Relevanz dieses Vorhabens noch eindrücklicher. zen, ist eine Aufgabe, die uns die Zeit und der Anspruch eines modernen Standorts stellen: Eine zunehmend digitale Gesellschaft verlangt eine Verwaltung, die mit dieser Entwicklung Schritt hält. Service- und Kundenorientierung der Verwaltung sind keine Erfindung der letzten Jahre, aber die daraus zu Recht abgeleiteten Ansprüche an die Verwaltung ändern sich im digitalen und digital-mobilen Zeitalter rapide. Deshalb macht NordrheinWestfalen Tempo bei der Digitalisierung der Verwaltung und bietet Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen schnelleren Service. Mit der Novellierung des E-Government-Gesetzes NRW erweitern wir dessen Geltungsbereich auf Schulen, Hochschulen und nahezu alle Landesbehörden, sodass mehr Behördengänge noch bequemer von zu Hause aus oder unterwegs erledigt werden können. Das Land stellt dafür in den kommenden Jahren Investitionsmittel in Höhe von einer Milliarde Euro – und damit zusätzlich zu den bereits geplanten 400 Millionen weitere 600 Millionen Euro – bereit. Erwartungen an eine “digitale Dividende” sind berechtigt, wir müssen zunächst jedoch bereit sein, für den Transformationsprozess sachliche und personelle Ressourcen bereitzustellen. “Rechnen” wird es sich aber am Ende: Den Investitionen stehen geplante Einsparungen durch die Digitalisierung bis zum Jahr 2030 in etwa gleicher Höhe gegenüber; bis 2025 sind bereits die nun zusätzlich aufgebrachten 600 Millionen Euro durch Effizienzgewinne eingespart. Die Digitalisierung der Verwaltung erfordert ein Ziel und einen Fahrplan mit überprüfbaren Zwischenschritten. Einen solchen Fahrplan haben wir mit der “Strategie für ein digitales Nordrhein-Westfalen” und mit der E-Government-Strategie vorgelegt. Bei der Umsetzung sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen, wie der aktuelle Fortschrittsbericht zur Digitalstrategie deutlich macht. Drei für die Wirtschaft besonders relevante Beispiele zeigen den konkreten Nutzen:

1. Wirtschafts-Service-Portal Mit dem Wirtschafts-ServicePortal.NRW (WSP.NRW) schaffen wir eine zentrale Dienstleistungsplattform für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Was im Juli 2018 mit dem GewerbeService-Portal.NRW für elektronisch medienbruchfreie Gewerbeanmeldungen, -ummeldungen und -abmeldungen begann, entwickelt sich zur Plattform, über die künftig eine Vielzahl wirtschaftsbezogener Verwaltungsleistungen länderübergreifend digital abgewickelt werden soll. Bis Ende 2020 werden wir mindestens 50 Verwaltungsleis-

Prof. Dr. Andreas Pinkwart hält auch in diesem Jahr die Keynote des Kongresses “e-nrw”, den der Behörden Spiegel am 5. November 2020 in der Stadthalle Neuss veranstaltet. Foto: BS/Giessen tungen für die Wirtschaft als als ein vollständiges elektroni- Modernisierung der deutschen Einzelleistungen oder als Leis- sches Dienstleistungsangebot bis Registerlandschaft und zur Etabtungsbündel in Formularen im zum Jahr 2022. Das Angebot lierung eines Basisregisters treiben WSP.NRW bereitstellen. muss über Verwaltungsportale wir gemeinsam mit den anderen Mit Inkrafttreten des Wirt- abrufbar sein und die Portale Ländern und dem Bund weiter schafts-Portal-Gesetzes NRW müssen bundesweit miteinander voran. Insbesondere die Aussicht, (WiPG) und der Durchführungs- verknüpft sein. das “Once-only-Prinzip”, also den Nordrhein-Westfalen hat alle Grundsatz der einmaligen Erfasverordnung (WiPG-DVO) ist das vorbereitenden Maßnahmen zur sung von Unternehmensdaten, WSP.NRW nun • das zentrale digitale Zu- erfolgreichen Umsetzung des OZG effizient umzusetzen, verspricht gangstor für die Wirtschaft abgeschlossen. Zuständigkeiten, Erleichterungen für Unternehmen. im Sinne eines zentralen ein tragfähiges FinanzierungsDienstleistungsportals modell, technische Standards Zentrales Portal und Best Practice für die Kommunen nach der Single-Digital- sowie ein einheitliches Vorgehen Gateway-Verordnung der bei der Umsetzung wurden unter Mit einer koordinierten PortalEU, Einbeziehung aller Ministerien Landschaft bestehen in Nordrhein• “technischer” Einheitli- sowie der Kommunen und der Westfalen die besten Voraussetcher Ansprechpartner zur kommunalen IT-Dienstleister zungen für die OZG-Umsetzung im Umsetzung von Vorgaben vereinbart. Sinne des “Einer-für-alle”-Prinzips. für einen “digitalen BinMit unserem Konzept der “Digi- Neben der Etablierung eines zennenmarkt”, insbesondere talisierungsstraßen” im Rahmen tralen Portals für die Landesverder Dienstleistungs- und einer vollständig standardisierten waltung finanziert das Land ein B e r u f s a n e r k e n n u n g s - Digitalisierung von Verwaltungs- zentrales Serviceportal für die Richtlinie der EU und leistungen von der Prozessmo- nordrhein-westfälischen Kommu• “Einheitliche Stelle” nach dellierung bis zur technischen nen. Es wird noch in diesem Jahr dem VwVfG. Integration schaffen wir nun im allen Gemeinden, Städten und Wirtschafts-Service-Portal.NRW Kreisen zur Mit- und Nachnutzung 2. Digitale Vergabe seit Anfang Juli die Grundlage für bereitgestellt. Die Kommunen unterstützen wir Nordrhein-Westfalen digitali- eine beschleunigte Umsetzung der siert als erstes Bundesland den Vorgaben des OZG, aber auch der zudem mit einem auf Kooperation Prozess zur Vergabe öffentlicher Single-Digital-Gateway-Verord- und Best-Practice-Lernen gestützAufträge. Das Portal “vergabe. nung der EU. Wir gehen hier bei ten Ansatz. E-Government und NRW” bündelt alle Bestandteile der Digitalisierung von Verwal- Smart-City-Entwicklungen sind eines Vergabeprozesses von der tungsleistungen für die Wirtschaft Teil jeder kommunalen Agenda. Bedarfsmeldung bis zur Rech- bundesweit neue Wege. In den Deshalb werden nicht Insellönung. Seit April können alle letzten neun Monaten wurde auf sungen, sondern wechselseitiges Unternehmen ihre Rechnungen Basis von XÖV-Fachstandards Voneinander-Lernen, eine Bestein neues, vollständig standar- Practice-Kultur und interkomelektronisch einreichen. disiertes Konzeptvorgehen mit munale Kooperation die besten 3. Open Data dem Ziel einer Digitalisierung Ergebnisse bringen. Die vom Land Nordrhein-Westfalen ist das ers- von Onlinediensten in nur vier geförderten “Digitalen Modellregiote Bundesland, das seine Geoba- Wochen entwickelt. Die erste Di- nen” folgen dieser Erkenntnis: Als sisdaten von Landesvermessung gitalisierungsstraße ist Anfang digitale Pioniere erschließen die und Liegenschaftskataster unter Juli gestartet. Ab Mitte Septem- fünf Modellregionen um Aachen, der Datenlizenz Deutschland 2.0 ber werden bereits in fünf und ab Gelsenkirchen, Paderborn, Soest in der Variante “zero” kostenfrei Januar 2021 in weiteren Digita- und Wuppertal Lösungen für alle und ohne Einschränkungen für lisierungsstraßen Online-Dienste Kommunen. Sie digitalisieren ihre die Weiternutzung bereitstellt. parallel voll integriert mit einer Verwaltungen schneller, um BürBislang wurden schon 1,4 Pe- Anbindung an das Servicekonto. gern und Unternehmen attraktive tabyte amtlicher Geobasisdaten NRW, mit einem automatisierten Angebote zu bieten und mit der von den Servern heruntergeladen Bezahldienst (ePayBL) und mit Wirtschaft innovative Projekte – das ist echtes Big Open Data, einem medienbruchfreien elek- zur Stadtentwicklung umzusetvon dem Start-ups wie etablierte tronischen Rückkanal bereitge- zen. Was in den Modellregionen Unternehmen bei der Entwick- stellt sein. Ab 2021 werden wir erarbeitet wird, steht zum Beilung digitaler Tools und neuer in der Lage sein, jährlich rund spiel bei den neu entwickelten Geschäftsmodelle profitieren 250 Leistungen als Online-Dienste Serviceportal-Lösungen in Form zu entwickeln und automatisiert von standardisierten und lizenzkönnen. im Portal per Knopfdruck bereit- freien Komponenten allen anderen Digitalisierungsstraßen bei zustellen. Als Landesregierung Kommunen zur Anwendung zur der OZG-Umsetzung setzen wir uns auch weiter für Verfügung. 62 Projekte mit einem Das Onlinezugangsgesetz (OZG) einfache, digitale und bürokratie- Investitionsvolumen von mehr als verlangt von Bund, Ländern arme Erhebungen in der amtlichen 100 Millionen Euro sind bereits und Gemeinden nicht weniger Statistik ein. Die Vorschläge zur an den Start gegangen.

Unterstützung für den Digitalstandort NRW Nordrhein-Westfalen will aber nicht nur den Unternehmen sein “digitales Gesicht” zeigen, sondern die Wirtschaft auch ermuntern und unterstützen, sich selbst noch stärker digital aufzustellen. Auch für die Unternehmen ist der eigene Digitalisierungsgrad in der Corona-bedingten Krise als entscheidender Faktor deutlich geworden. Unternehmen, deren Digitalisierungsgrad bereits hoch ist, sind besser durch die erste Phase der Krise gekommen. Es ist zu erwarten, dass sie sich auch besser davon erholen werden. Deshalb wollen wir Unternehmen unterstützen, Potenziale zu erkennen und Strategien zu entwerfen. Mit dem gerade gestarteten Programm “Mittelstand Innovativ & Digital (MID)” fördern wir gezielt Digitalisierungs- und Innovationsmaßnahmen in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Nordrhein-Westfalen. Mit unserer Initiative “Digitale Wirtschaft NRW” stärken wir den Digitalstandort und wollen die Dynamik unseres starken Startup-Ökosystems und der Netzwerkstrukturen wie der DWNRW-Hubs unterstützen und erhöhen. Viele etablierte Unternehmen in Nordrhein-Westfalen haben erkannt, wie wichtig der Kontakt zur digitalen Gründungsszene ist, um bestehende Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, neue Geschäftsfelder zu erschließen und technologischen Fortschritt frühzeitig aufgreifen zu können. Gemeinsam mit Branchenakteuren wie dem Beirat Digitale Wirtschaft haben wir verschiedene Unterstützungsmaßnahmen mit einem jährlichen Finanzvolumen von über fünf Millionen Euro entwickelt, mit denen die Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft in NordrheinWestfalen verbessert werden.

E-Government: Technik und Kulturwandel Bei der digitalen Verwaltung reden wir von “einfacher, schneller, flexibler”. Aber wir sprechen auch über “transparenter, partizipativer und kooperativer”. Digitalisierung ist mehr als Technik und Effizienzgewinne. Mit der digitalen Verwaltung geht – Stichwort “Open Government” – auch ein Kulturwandel einher, bei dem das klassische Top-down-Prinzip abgeflacht und eine funktionierende Rückkanal-Möglichkeit eingeführt wird. Dazu gehört auch eine neue (Fehler-)Kultur: Bei der Digitalisierung muss die deutsche Mentalität eines Vorbereitungs-Perfektionismus zugunsten lernender Systeme mit (gut vorbereitetem) Trial und (möglichst geringem, aber lehrreichem) Error aufgebrochen werden. Angesichts der massiven gesundheitlichen Auswirkungen und der gravierenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ist ein “die Krise als Chance” zu schlicht. Aber richtig ist: Krisen sind Katalysatoren für Veränderungen, denen man bestmöglich eine zukunftsorientierte Perspektive geben muss. Bei der Digitalisierung kann und muss der aus der Krise resultierende Schub jetzt in einer beschleunigten Transformation von Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft aufgehen. Chancen und Perspektiven des E-Governments in NordrheinWestfalen sind auch Thema im digitalen Informationsformat “MWIDE Zoom”: www.wirtschaft. nrw/mwidezoom.

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 5. November 2020 Düsseldorf/Neuss www.e-nrw.info


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / September 2020

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ehörden Spiegel: Sie haben jahrelang eng mit Henning Lühr zusammengearbeitet. Wollen Sie dessen Arbeit, die zu großen Teilen auch Ihre Arbeit ist, kontinuierlich fortsetzen oder an der einen oder anderen Stelle vielleicht andere Impulse setzen als Ihr Amtsvorgänger? Hagen: Henning Lühr und ich waren nicht umsonst ein gutes Team. Wir verfolgen das gemeinsame Leitbild “Users first”, also den Umbau der Verwaltung aus Kundensicht. Meine Berufung als Staatsrat und sein Nachfolger kann man auch als Signal verstehen, dass in Bremen die Themen Haushalt, Personal und Digitalisierung weiterhin eng miteinander verknüpft sein sollen. Somit kann man das als Fortsetzung des begonnenen Umbaus der Verwaltung und der Digitalisierungsstrategie sehen. Für mich ist dabei absolut zentral, dass die Nutzerorientierung das entscheidende Kriterium unseres Tuns ist. Einen Wettlauf, wer soundso viele Leistungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) wann umgesetzt hat, finde ich weniger spannend. Es kommt vielmehr darauf an, welche Entlastung in den Behörden und bei den Kunden ankommt. Mir ist es lieber, die Umsetzung eines Vorhabens dauert etwas länger, wenn dann am Ende eine erfolgreiche Lösung steht, die nachhaltig wirkt. Behörden Spiegel: Welche Lehren lassen sich mit Blick auf die Verwaltungsdigitalisierung heute bereits aus der Corona-Krise ziehen? Hagen: Das lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Alles, was zum Beginn der Krise digitalisiert war, hat uns geholfen und alles, was nicht digitalisiert war, hat uns behindert. Hier hat sich gezeigt, dass die Digitalisierungsprozesse rund um das OZG vollkommen richtig sind. Allerdings muss man konstatieren, dass wir alle in Deutschland ein bisschen Pech hatten und dieses Engagement für das OZG ein bisschen zu spät für diese Krise gekommen ist. Die digitalisierten Prozesse sind maßgeblich dafür verantwortlich gewesen, dass die Verwaltung funktionsfähig durch den Lockdown gekommen ist. Dies hat gezeigt, dass eine umfassende Digitalisierung weiter ganz oben auf der Agenda bleiben muss. Insgesamt hat sich auch im internationalen Vergleich gezeigt, dass die deutsche Verwaltung in der Krise funktioniert, weil wir, bei allem Verbesserungspotenzial,

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Von “Users first” bis Machine Learning Bremens neuer CIO zu Leitbildern, Lehren und künftigen Trends (BS) Dr. Martin Hagen hat Anfang August als Staatsrat für Haushalt, Personal und IT beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen die Nachfolge seines langjährigen Amtsvorgängers Henning Lühr angetreten. Über diesen Wechsel, aber insbesondere über eine Reihe aktueller und zukünftiger Digitalisierungsvorhaben der öffentlichen Verwaltung, sprach er im Interview mit Behörden Spiegel-Redakteur Guido Gehrt. auch heute schon sehr viel digital abwickeln können. Dies wird in einer Art deutscher Selbstkasteiung gerne übersehen.

sehr begrenzten Zahl an Angeboten auswählen. In einzelnen Fachbereichen gibt es nur noch monopolartige Anbieter-Strukturen. Jegliche Art von rechtlicher Änderung oder Innovation lässt sich somit nur noch mit einem einzigen Anbieter umsetzen. Wenn dieser mitmacht, ist alles prima, weil man dann schnell in den Rollout gehen kann. Wenn das aber nicht der Fall ist, hat man ein Problem. Deswegen ist die Verwaltung gut beraten, die digitale Souveränität im Sinne von mehr Wettbewerb zu verstehen. Dies bedeutet für mich auch, dass bei der Beschaffung auch Lösungen von kleinen, regionalen Anbietern zum Zuge kommen können.

Behörden Spiegel: Das Konjunkturpaket sieht u. a. zusätzliche Mittel in Höhe von drei Milliarden Euro für die OZG-Umsetzung vor. War dieses Großprojekt zuvor unterfinanziert? Wie sollte dieses Geld nun eingesetzt werden, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen? Hagen: Ich glaube nicht, dass die Umsetzung des OZG unterfinanziert war. Wir haben die Situation, dass auf Bundes-, Landes- und auf kommunaler Ebene seit Jahren die IT-Haushalte steigen. Allen Beteiligten ist bewusst, dass man in die Digitalisierung investieren muss. Da wir aber, wie gesagt, etwas spät dran sind, lässt sich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass wir nun wesentlich schneller sein müssen. So verstehe ich die zusätzlichen Mittel im Konjunkturprogramm. Die Investitionen, die ohnehin später hätten erfolgen müssen, werden nun im Sinne einer Konjunkturbelebung vorgezogen. Es ist eine banale Wahrheit, dass auch bei der Digitalisierung ohne Geld alles nichts ist. Am Ende braucht man hier mehr Speicher, dort noch einen Server, da noch ein Projekt, hier noch zwei Leute, um die Einführung zu begleiten. Dies alles kostet Geld. Ich glaube, dass in den strategischen Verwaltungen häufig unterschätzt wird, wie die Umsetzung der Digitalisierung oftmals an trivialen Ausgaben hängt.

Dr. Martin Hagen ist seit August neuer Staatsrat für Haushalt, Personal und IT beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen und Vertreter des Landes im IT-Planungsrat. Foto: BS/Senator für Finanzen Bremen

Haushaltsrunde gar nicht zugelassen. Solche vermeintlich kleinen Dinge sind aber ganz wichtig für den Gesamtprozess der Digitalisierung und ich glaube, dass die drei Milliarden an dieser Stelle hilfreich sein können, wenn sie nun schnell verteilt werden. Behörden Spiegel: Bremen zählt zu den Vorreitern bei der Einführung der E-Rechnung. Wie sind die Erfahrungen seit der Einführung? Hagen: Bei vielen Unternehmen müssen wir derzeit noch Aufklärungsarbeit leisten, dass eine ERechnung nicht ein elektronisches

“Für mich ist (…) absolut zentral, dass die ­Nutzerorientierung das allein entscheidende Kriterium unseres Tuns ist.” Da fehlt zum Beispiel irgendwo ein Serverraum, da sind Fachverfahren nicht modernisiert worden, weil die fachliche Leitstelle über Jahre nicht besetzt war und immer noch die alte Software-Version eingesetzt wird, die aber mit dem neuen Online-Tool des Herstellers gar nicht kommunizieren kann und man deshalb eine neue Lizenz braucht. Deren Beschaffung hat aber der Kämmerer in der letzten

Dokument oder ein PDF-Dokument ist, sondern ein strukturierter Datensatz. Nur dieser führt am Ende zu Effizienzverbesserungen. Bei der Umstellung auf diesen vollautomatisierten Datenaustausch haben wir gelernt, dass aufseiten der Verwaltung die Adressierung nicht zu unterschätzen ist. Es gibt Leitweg-IDs, die alle systematisch mit entsprechenden regionalen Schlüsseln verteilt wurden. In der

Bremer Verwaltung ist es uns nicht so leicht gefallen wie eigentlich erwartet, zu klären, welches Amt und welche Dienststelle welche Leitweg-ID hat. Das ist eine am Anfang unterschätzte Herausforderung gewesen. Ich kann jeder Verwaltung nur empfehlen, sich über die Zuteilung der Leitweg-IDs jetzt schon Gedanken zu machen. Auch die Rechnungssteller müssen wissen, welche Leitweg-IDs es gibt, um den Rechnungsempfänger durch diese ersetzen zu können. Wir stellen auch fest, dass die Unternehmen viel länger brauchen, um auf elektronische Rechnung umzustellen, als gedacht, denn auch deren Software und Prozesse sind nicht immer up to date. Behörden Spiegel: Digitale Souveränität ist aktuell ein viel diskutiertes Thema. Was bedeutet diese mit Blick auf die öffentliche Verwaltung für Sie? Hagen: Digitale Souveränität bedeutet für mich, dass die Verwaltung in der Lage ist, selbstbestimmt zu handeln. Wir müssen feststellen, dass es einen unheimlichen Konzentrationsprozess in der Software- und auch in der Hardware-Industrie gibt. Die Verwaltung kann nur noch aus einer

Behörden Spiegel: Das Bremer Projekt ELFE (Einfach Leistungen für Eltern) ist ein bundesweit viel beachtetes Musterbeispiel für bürgerorientiertes E-Government. Wie ist hier der aktuelle Stand der Umsetzung? Hagen: Aktuell kommen wir gut voran. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Digitale-Familienleistungen-Gesetz liegt derzeit in den entsprechenden Ausschüssen in Bundestag und Bundesrat zur Beratung. Wir hoffen, dass dieser Entwurf Ende November durch beide Parlamente verabschiedet wird. Dann haben wir endlich die gesetzliche Grundlage, um diesen Kombiantrag auch tatsächlich scharf zu schalten. Die technische Lösung erarbeiten wir gerade mit Dataport und verschiedenen Software-Lieferanten und weiteren Beteiligten wie der Deutschen Rentenversicherung, der Familienkasse und dem Standesamt in Bremen. Im Hintergrund wird es viele technische Schnittstellen geben, um bspw. beim Elterngeldantrag die Daten von Elterngeld Online im Hintergrund in das entsprechende Fachverfahren zu spielen. Wir arbeiten auch daran, das Nutzerkonto des Bundes hier nutzbar zu machen. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass die erste Lösung gar nicht für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen wird, sondern wir die Zielgruppen erst Stück für Stück freischalten können.

Behörden Spiegel: Was können andere Projekte im Zuge der OZGUmsetzung von “der ELFE” lernen? Hagen: Man kann aus den Erfahrungen mit ELFE lernen, dass es wichtig ist, einen Bereich grundsätzlich anzugehen, auch wenn dieses Gesetzesänderungen erforderlich macht. Dieser Mut hat sich gelohnt. ELFE zeigt auch, dass eine echte Digitalisierung einen langen Atem braucht und nicht, wie es sich die Politik vielleicht wünscht, innerhalb von drei Jahren umgesetzt werden kann. Der heutige Stand der Digitalisierung in Dänemark, der hierzulande zu Recht bewundert wird, ist das Ergebnis einer fünfzehnjährigen strategischen Entwicklung. Daher plädiere ich für einen langen Atem, trotz des großen Interesses, welches auch ich an kurzfristigen Ergebnissen habe. Behörden Spiegel: Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ist ja nicht das Ende der Verwaltungsdigitalisierung. Was kommt danach? Hagen: Danach kommen Machine Learning und Künstliche Intelligenz (KI). Ich glaube, dass wir in drei Jahren nur noch darüber reden werden – und das völlig zu Recht, denn deren Potenziale werden zurzeit unterschätzt. Die Verwaltung ist vor allem ein regelbasierter Entscheidungsapparat. Ähnlich wie man in der Fabrik durch Roboter die Fließbänder ersetzen konnte, kann man in der Verwaltung auch reihenweise regelbasiertes Arbeiten vollautomatisieren. Wir werden am Ende Entscheidungen, bei denen es um das Wohl und Wehe von Menschen geht, immer durch Menschen treffen lassen. Dass wir uns einer KI ausliefern, ist nicht die Frage. Aber diese menschliche Entscheidungsfindung werden wir in Zukunft ganz anders elektronisch, automatisiert unterstützen können. Hierdurch sind unter dem Strich Effizienzgewinne möglich, die weit über dem liegen, was wir derzeit im Zusammenhang mit der OZGUmsetzung diskutieren. Ich denke, dass dies zwingend nötig ist, denn die Verwaltung wird in den kommenden Jahren, bei einem absehbar geringeren Steueraufkommen, immer mehr Aufgaben bekommen. Diese Gleichung lässt sich nur lösen, wenn es gelingt, mit noch mutigeren und kreativen Lösungen bei weniger Ressourceneinsatz mehr zu leisten. Dazu werden wir Machine Learning und KI noch viel stärker einsetzen müssen, als wir das derzeit planen.

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Illustration: denisismagilov, stock.adobe.com

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Smart Country Convention 2020

Behörden Spiegel / September 2020

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Smart Country Convention

Foto: ©Stefan Körber, stock.adobe.com

27. bis 28. Oktober 2020 live von der Messe Berlin

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ehörden Spiegel: Die aktuelle Krise hat uns gezeigt, welche Vorteile durchgehend digitale Abläufe haben können. Sie hat aber auch gezeigt, wo noch Defizite liegen. Wo sehen Sie derzeit die größten Baustellen in der digitalen Verwaltung?

Mit Schwung in die digitale Zukunft Smart und robust aus der Kriste hervorgehen

(BS) Im Krisenjahr treibt es Staat und Verwaltung mehr denn je ins digitale Zeitalter. Die Notwendigkeit, interne Abläufe und Dienstleistungen effizient, robust und agil aufzustellen, ist offenkundig. Finanzspritzen erweitern Spielräume für die Modernisierung. Wie der aktuelle Schwung am besten genutzt wird und wie Vernetzung und Austausch auch in Pandemiezeiten funktionieren, erklärt Achim Berg, Präsident des Bitkoms, im Berg: Die Krise war für die öf- Interview mit dem Behörden Spiegel.

fentliche Verwaltung ein Weckruf, jetzt muss von A bis Z durchdigitalisiert werden. Durchgehend digitale Abläufe sind aber aufgrund der Schriftformerfordernis oft noch nicht möglich: Anträge werden online ausgefüllt und müssen dann noch umständlich ausgedruckt, unterschrieben und entweder eingescannt oder per Post verschickt werden. Damit sich das ändert, müssen wir die Online-Ausweisfunktion und das Thema elektronische Identität in Deutschland noch stärker nach vorne schieben. Das Onlinezugangsgesetz muss fristgerecht und zügig umgesetzt werden. Auch die Registermodernisierung muss vorangebracht werden. Dabei müssen wir Digitalisierung weiterdenken als bis zum nächsten Behördengang: Wir haben 11.000 Kommunen und leider fast genauso viele Wege, Digitalprojekte anzugehen. Die interkommunale Zusammenarbeit muss gefördert und nicht das Rad jedes Mal neu erfunden werden. Wir müssen verhindern, dass es zu einer digitalen Spaltung zwischen digitalen Städten und Gemeinden und ländlichen, strukturschwachen Regionen kommt, die Startschwierigkeiten bei Digitalthemen haben und so im Analogen gefangen bleiben. Es wird in den nächsten Jahren nicht langweilig. Behörden Spiegel: Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung umfasst erhebliche Posten für die Digitalisierung. Fließt das Geld an den richtigen Stellen? Berg: Mit dem Konjunkturpaket will die Bundesregierung ins digitale Deutschland investieren und das ist zunächst einmal gut.

Das wird unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Das Geld muss aber nicht nur bereitgestellt werden, sondern auch dahin fließen, wo es gebraucht wird: In die beschleunigte Digitalisierung von Bildung und Verwaltung, in die vernetzte Mobilität und in die Forschung zu Künstlicher Intelligenz. Im Hinblick auf den Public Sector geht es insbesondere um zusätzliche drei Milliarden für die Umsetzung des OZG und das Förderprogramm Smart Cities mit einem Volumen von 500 Millionen Euro. Wichtig ist, nicht nur Metropolen zu fördern, sondern das Geld auch in ländliche Regionen fließen zu lassen. Behörden Spiegel: Was müssen Bund, Länder und Kommunen jetzt tun, um das Beste aus der aktuellen Begeisterung für die Digitalisierung und den zusätzlichen Mitteln zu machen? Berg: Klug investieren, weiter Gas geben und ein digitales Mindset entwickeln. Zu oft werden gerade auch in den Verwaltungen Digitalisierungsprojekte eher als Bedrohung wahrgenommen. Die Digitalisierung ist aber kein Gegner, sondern sie kann uns auf vielfältige Weise helfen. Wir sollten jetzt alles daran setzen, unsere Wirtschaft, unsere Schulen, unser Gesundheitssystem und unsere Verwaltung konsequent zu digitalisieren, auch um sie robuster gegen globale und lokale Krisen zu machen. Wir müssen unsere Städte und Gemeinden von Grund auf neu denken – als bürgernah, nachhaltig, intelligent und digital. Die zusätzlichen Mittel dürfen

nicht nur Haushaltslöcher stopfen, sondern müssen investiert werden, um die Kommunen dauerhaft krisenfest zu machen und auf digitales Rathaus umzuschalten. Behörden Spiegel: Die Auswirkungen der Pandemie haben die Digitalwirtschaft hierzulande hart getroffen. Kann dies im weiteren Verlauf der Krise zu einer größeren Zahl an Insolvenzen und einer deutlichen Schwächung der heimischen IT-Branche führen? Berg: Die Pandemie hat die gesamte Wirtschaft hart getroffen, auf der ganzen Welt. In Deutschland sind wir verglichen mit anderen Ländern bislang relativ gut durch die Krise gekommen. Der langanhaltende Aufschwung der Wirtschaft und der Schuldenabbau der letzten Jahre haben uns Spielräume verschafft, die den meisten anderen Ländern fehlen. Aber auch die Digitalwirtschaft hat den Corona-Einbruch deutlich gespürt, kann sich inzwischen jedoch etwas erholen. Dennoch wird es noch dauern, bis wir die Corona-Krise konjunkturell überwunden haben.

(BS) Die Smart Country Convention Convention (SCCON) ist Deutschlands Leitmesse für die digitale Transformation im Public Sector. Der Behörden Spiegel ist Partner der Veranstaltung. Dieses Jahr findet die SCCON erstmals mit exklusiven und digitalen Formaten statt. Das Programm wird für alle zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer live von der Messe Berlin übertragen. Am 27. Oktober 2020 dreht sich alles rund um E-Government und am 28. Oktober 2020 liegt der Fokus auf Smart Cities. Erwartet werden Digitalexperten und Innovationstreiber aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Zu den diesjährigen Speakern gehören Staatssekretär und Bundes-CIO Dr. Markus Richter,

Innenstaatssekretärin Anne Katrin Bohle (siehe auch ihren Gastbeitrag auf der folgenden Seite), Verteidigungsstaatssekretär Benedikt Zimmer, NRWDigitalisierungsminister Prof. Andreas Pinkwart (seinen Gastbeitrag finden Sie auf Seite 22), der Berliner Staatsekretär für Verwaltungsmodernisierung Dr. Frank Nägele (Gastbeitrag auf Seite 28), die Digitalisierungsbeauftragte des Deutschen Städtetages, Frauke Janßen, und VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Online-Tickets für die Smart Country Convention 2020 können jetzt kostenlos erworben werden. Mehr Infos zur Veranstaltung und die Möglichkeit zur Anmeldung unter: www.smartcountry.berlin/

Handlungsdruck bei der Einführung der E-Rechnung nimmt zu (BS/Petra Waldmüller-Schantz*) Bereits seit April 2020 müssen laut EU-Verordnung 2014/55/EU Einrichtungen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene einen Eingangskanal bereitstellen, über den Lieferanten elektronische Rechnungen im Format XRechnung einreichen können. Eine Auflage, die nicht nur die öffentliche Verwaltung betrifft: Auch andere öffentliche Auftraggeber stehen in der Pflicht. wie beispielsweise die Anwendungen des IT-Planungsrates, Governikus MultiMessenger und Governikus (konkret Governikus Autent), berücksichtigt, wodurch zugleich die Harmonisierung mit bereits laufenden Projekten fokussiert wurde.

Fristen laufen ab Am 27. November 2020 läuft nun eine der letzten Fristen der E-Rechnungs-Verordnung ab: Lieferanten öffentlicher Auftraggeber sind dann verpflichtet, Rechnungen ab 1.000 Euro ausschließlich elektronisch einzureichen – also auch im sogenannten Unterschwellenbereich. Betroffen sind kommunale Einrichtungen, aber beispielsweise auch viele Hochschulen und Kranken-

kassen. Doch hier gibt es auf Länderebene unterschiedliche Regelungen. Nichtsdestotrotz bedeutet dies hohen Handlungsdruck für alle, bei denen noch keine Lösung in der Umsetzung ist. Denn die Anforderungen an die technische Lösung sind nicht unerheblich. Eine zukunftssichere Lösung erfordert eine ständige Weiterentwicklung und Pflege. Hier lohnt der Blick auf die Bremer Lösung und auch der Blick auf die ERechnungsplattform des Bundes. In beiden Plattformen kommt die IT-Planungsratsanwendung Governikus MultiMessenger zum Einsatz. Die Anwendung fungiert als eine Art Drehscheibe, die alle relevanten Eingänge technisch, juristisch verarbeitet.

Berg: Wir konzentrieren uns am ersten Tag der Smart Country Convention ganz auf E-Government und werden Sessions zum Stand der OZG-Umsetzung, ITSicherheit in der Verwaltung und zur digitalen Souveränität auf die Bühnen bringen und prominent besetzen. Am zweiten Tag legen wir den Fokus auf Smart City. Unsere Foren zur Digitalisierung von Städten und ländlichen Regionen kommen als Publikumslieblinge auch digital zurück. Wir stellen den neuen “Smart City Index” vor und küren Deutschlands digitalste Städte, werfen aber auch einen Blick auf die internationale Smart-City-Landschaft. An beiden Tagen verleihen wir den “Smart Country Startup Award” an die innovativsten Lösungen für den Public Sector – in diesem Jahr entscheidet das Publikum per Online-Abstimmung, wer gewinnt. Ich verspreche also nicht zu viel, wenn ich sage, dass für jeden, der sich mit der Digitalisierung im Public Sector beschäftigt, bei unseren Themen etwas dabei ist. Noch nie war Digitalisierung so wichtig und noch nie war es so einfach, an der Smart Country Convention teilzunehmen. An Ihre Leser gerichtet: Seien Sie dabei!

Teilnahme so leicht wie nie

Der Countdown läuft …

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ckpfeiler und Kernelemente des E-Rechnungs-Gesetzes stammen dabei aus Brüssel. Festgelegt in der Richtlinie 2014/55/EU für ein einheitliches Rechnungsformat in den öffentlichen Verwaltungen, war es das Ziel, die Entwicklung von zweckmäßigen, benutzerfreundlichen, flexiblen und kosteneffizienten Systemen zur elektronischen Rechnungsstellung zu ermöglichen, um auch spezielle Bedürfnisse kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie von subzentralen Auftraggebern zu berücksichtigen. Unter Federführung des Bundes und des Landes Bremen entstand daraufhin ab 2016 im Planungsprojekt “E-Rechnung” ein Architekturkonzept, in dem anhand der Anforderungen der EU-Richtlinie und unter Berücksichtigung der deutschen Verwaltungsstrukturen eine Eingangsplattform konzipiert wurde. Dafür wurde innerhalb des Konzeptes die mögliche Nachnutzung bereits vorhandener IT-Komponenten

Berg: Die Smart Country Convention findet am 27. und 28. Oktober 2020 als Special Edition virtuell statt und bringt alle Akteure im digitalen Raum zusammen. Der Public Sector Achim Berg ist Präsident des braucht jetzt unBitkoms. Foto: BS/Bitkom bedingt Informationen über die Gerade für Start-ups waren die neuesten technologischen Löletzten Monate sehr hart und ich sungen, Know-how zum Projekthoffe für die jungen Unterneh- management und den Austausch men, dass die Maßnahmen der zwischen allen Beteiligten. Auf Politik greifen. Das gemeinsame unserer Eventplattform wird es Ziel muss sein, innovative Tech- daher viele Möglichkeiten geben, nologie-Start-ups in Deutschland sich mit Teilnehmern, Sprechern und Partnern zu vernetzen und durch die Krise zu bringen. ins Gespräch zu kommen. Wir Behörden Spiegel: Die Smart legen den Fokus auf die KombiCountry Convention bringt jährlich nation aus Kongressprogramm die Akteure aus Politik, Verwal- und Networking. Jeder, der dabei tung und Wirtschaft zusammen. ist, wird wichtige Impulse und Wir funktioniert die Netzwerkbil- wertvolle Kontakte für seine tägliche Arbeit mitnehmen. dung im Krisenjahr?

“Wir müssen unsere Städte und Gemeinden neu denken – bürgernah, nachhaltig, intelligent und digital.”

Behörden Spiegel: Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzen Sie dieses Jahr?

Zudem eröffnet die Anwendung einen Zugangsweg zur in den Beschaffungsprozessen bereits etablierten Peppol-Infrastruktur, welche als einheitliche, sichere Webservice-Schnittstelle fungiert. Zugleich wird ein Zugang zu grenzüberschreitenden Beschaffungsprozessen via AS4 eröffnet.

Interoperabilität durch Basiskomponenten Das E-Rechnungsgesetz, das Onlinezugangsgesetz, das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, Multikanal, Plattformen und Gateways, Interoperabilität sowohl im Bereich von E-Delivery als auch bei eID: Die Aktivitäten und Entwicklungen haben sowohl in Deutschland als auch bei

unseren europäischen Nachbarn rasant an Fahrt aufgenommen. Etliche Gesetze und Vorhaben zur Förderung der Digitalisierung wurden verabschiedet bzw. ins Leben gerufen, der Einfluss aus Brüssel hat nicht zuletzt durch die eIDAS-Verordnung zugenommen. Interoperabilität und Standardisierung gewinnen weiter an Bedeutung. Gleichzeitig ist der erkennbare und begonnene Trend zur Konsolidierung zwingend notwendig, um entstandene Silos aufzubrechen. Die immer größer werdenden Datenplattformen erfordern ein Höchstmaß an Interoperabilität und auch Föderation, was uns alle vor allem auch aus Datenschutzgründen vor neue Herausforderungen stellt.

Basisdienste und Webservices, und diese in wachsende und vernetzte Infrastrukturen zu integrieren und den vielen einzelnen Prozessworkflows gebündelt “vor der Klammer” zur Verfügung zu stellen, sind wichtige Bestandteile auf dem Weg in die digitale Zukunft der Verwaltung. Das Governikus-Portfolio liefert viele solcher Dienste und Services, die in vorhandene Infrastrukturen integriert werden können. Ein Großteil davon steht über die Anwendungen des IT-Planungsrates Governikus und Governikus MultiMessenger zur Nutzung zur Verfügung. Die Einsatzszenarien sind vielfältig, offene Industriestandards erlauben dabei ein Höchstmaß an Integrationsfähigkeit in vorhandene Infrastrukturen, grenzübergreifende Szenarien und – föderierte Systeme werden ebenfalls unterstützt. *Petra Waldmüller-Schantz ist Director Communications bei der Governikus GmbH & Co. KG.


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Smart Country Convention

Behörden Spiegel / September 2020

Die Modellprojekte Smart Cities Digitalisierung im Sinne der integrierten Stadtentwicklung (BS/Anne Katrin Bohle) Die Corona-Pandemie führt uns deutlich vor Augen: Die digitale Transformation ist weit mehr als ein technischer Prozess. Sie beeinflusst alle Lebensbereiche: unsere Art zu arbeiten, zu kommunizieren, zu konsumieren, unser Freizeitverhalten. Deshalb ist es wichtig, dass Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung diesen grundlegenden Transformationsprozess aktiv und am Gemeinwohl orientiert mitgestalten. Das klappt am besten dort, wo der Alltag stattfindet – in den Städten und Gemeinden. Mit den Modellprojekten Smart Cities unterstützt die Bundesregierung Kommunen dabei, die Digitalisierung strategisch und zielgeleitet im Sinne einer integrierten, nachhaltigen Stadtentwicklung zu gestalten. Für die Stadtentwicklung einer kleinen Landgemeinde ist das genauso wichtig wie für eine wachsende Großstadt, eine schrumpfende Region oder eine florierende Mittelstadt. Für die Förderung stehen die Modellhaftigkeit des Vorgehens, die an den Standort angepasste Auswahl der Schwerpunkte einer Strategie, die breite Einbindung der Stadtgesellschaft sowie eine schlüssige Gesamtkonzeption im Vordergrund. Wir wollen dabei solche Ansätze f­ördern, die im Einklang mit der “Smart City Charta” und der integrierten Stadtentwicklung stehen. Das ist wichtig, weil sich daraus sowohl bestimmte Werte, wie Gemeinwohlorientierung, Teilhabe und Daseinsvorsorge, als auch das Verständnis eines interdisziplinären, prozesshaften Vorgehens unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ableiten.

Wissenstransfer und Vernetzung Die Förderung der Modellprojekte Smart Cities ist keine Breitenförderung im Sinne einer flächendeckenden Strukturförderung. Sie hat aber sehr wohl eine Breitenwirkung! Denn die Modellprojekte bilden ein vielfältiges Bündel von Lernbeispielen für die Breite der kommunalen Landschaft ab, in dem unterschiedliche regionale, räumliche und strukturelle Ausgangssituationen deutscher Kommunen Berücksichtigung finden. Durch einen Wissenstransfer profitieren von den einzelnen Förderprojekten alle Kommunen in Deutschland. Dieser Wissenstransfer ist ein zentraler Bestandteil der Modellprojekte Smart Cities: So erfolgt die gemeinsame Entwicklung innovativer Lösungen mit loka-

steigt die Erwartung, den digitalen Raum im gesellschaftlichen Dialog zu gestalten und digitale Teilhabe und digitale Inklusion rücken in den Vordergrund. In allen Modellprojekten Smart Cities wird die Digitalisierung deshalb als ein mit der Stadtgesellschaft zu entwickelnder und auszuhandelnder Prozess verstanden. So werden digitale Beteiligungsformate entwickelt, die auch Bürgerinnen und Bürger einbinden – und darunter nicht nur diejenigen, die zur Generation der Digital Natives gehören.

Digitalisierung am Gemeinwohl orientiert gestalten

In der ersten Staffel der Modellprojekte Smart Cities wurden 13 Kommunen bzw. kommunale Zusammenschlüsse gefördert. Grafik: BS/BMI

ist ein gemeinsames Merkmal in der Community der ModellproAnne Katrin Bohle ist Staatsjekte Smart Cities. sekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau Das gilt nicht nur und Heimat. für die ModellproFoto: BS/BMI jekte selbst, sondern für alle an diesem Thema interessierten Kommunen. Für len Akteuren aus der Zivilge- diese richten wir mit unserer sellschaft, Unternehmen und Website www.smart-city-dialog. Wissenschaft in einem iterativen de eine Wissens- und VernetProzess. Lokale Netzwerke, der zungsplattform ein, auf der wir Wissensaustausch und die Zu- die Kommunen auf ihrem Weg sammenarbeit mit anderen Kom- in die Digitalisierung begleiten. munen ermöglichen ein stetiges voneinander Lernen und bringen Im Dialog mit der Stadtgesellschaft neben den Modellprojekten auch andere Kommunen und BeteiDie Erfahrungen aus dem ligte voran. Allen Akteuren ist Corona-bedingten Lockdown bewusst, dass uns die digitale zeigen dabei die Möglichkeiten Transformation vor neue Heraus- der Digitalisierung bei der Bewälforderungen stellt, die mit Unsi- tigung von Herausforderungen cherheiten verbunden sind. Doch auf. Neben den Stärken zeigen gerade die Bereitschaft, Neues sich aber auch die Grenzen eines zu lernen und Wissen zu teilen, digital geprägten Alltags. Damit

Die vergangenen Monate haben auch gezeigt, dass die Bedeutung räumlicher sozialer Beziehungen wieder zunimmt. Das zeigt sich insbesondere an nachbarschaftlichen Netzwerken und Austauschplattformen. Diese haben gerade zu Beginn der Corona-Krise einen wichtigen Beitrag zivilgesellschaftlichen Engagements geleistet und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in der direkten Nachbarschaft gestärkt. Die vielen Beispiele zeigen eine aktive und engagierte Gesellschaft, in der Menschen das Internet und digitale Tools nutzen, um gemeinsam Lösungen für ein soziales Miteinander in den Kommunen zu finden. Diese Entwicklung bietet die Chance, soziale Aspekte der Digitalisierung in den Fokus zu rücken und smarte Technologien zur Verbesserung der Lebensqualität von Bürgerinnen und Bürgern zu entwickeln. Die Bundesregierung hat daher im Konjunktur- und Zukunftspaket die Fortführung der Modellprojekte Smart Cities mit einer Aufstockung der Mittel auf insgesamt rund 820 Millionen Euro beschlossen. Das ist ein wichtiges Signal dafür, dass wir die digitale Transformation auch im Bereich der Stadtentwicklung angehen und die Potenziale, die in diesem Bereich liegen, ausschöpfen wollen.

Google Cloud bei der Smart Country Convention 2020 E-Government für Smart Cities – mit der Cloud die Digitalisierung vorantreiben (BS) Die Entwicklungen der letzten Monate haben deutlich gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung auch im öffentlichen Sektor ist. In allen Bereichen finden sich zahlreiche Vorteile, wie zum Beispiel smarte Mobilitätslösungen im Nahverkehr, vernetzte Ampelsysteme zur Reduktion von Staus und weitere IoT(Internet der Dinge)-Systeme. Auch in der öffentlichen Verwaltung wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger vermehrt einen digitalen Austausch. Die rechtlichen Vorgaben, wie das Onlinezugangsgesetz oder die Datenschutzgrundverordnung, bestätigen die Notwendigkeit der Digitalisierung. Um diese Vorteile zu erreichen, muss der öffentliche Bereich zunächst einige Herausforderungen meistern. Wie können Behörden Online-Dienste anbieten, gleichzeitig rechtliche Vorgaben einhalten sowie Datensouveränität und Datenschutz gewährleisten? Welche Möglichkeiten bieten neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) für die digitale Verwaltung? Welche Lösungen eignen sich am besten für die individuellen Bedürfnisse des öffentlichen Sektors und der jeweiligen Städte, Behörden und Kommunen? Wer soll die Systeme einführen und am Laufen halten angesichts des Fachkräftemangels, unter dem der IT-Markt leidet? Google Cloud ist in diesem Jahr bei der Smart Country Convention am 27. und 28. Oktober 2020 als Premiumpartner vertreten. Unsere Experten liefern

Verpassen Sie nicht die informativen Vorträge mit Google-Cloud Experten: Im Digital Forum: “Sicherheit in der Cloud – worauf muss geachtet werden?” am 27. Oktober 2020.

Antworten auf all diese Fragen sowie Impulse und praxisnahe Anwenderberichte. Guido Massfeller, Leiter Öffentlicher Sektor bei Google Cloud, spricht über Agilität und Flexibilität in der digitalen Verwaltung und gibt konkrete Beispiele für den Einsatz von KI und ML. Sie erhalten von unseren Experten wertvolle Einsichten rund um das Thema

Datenschutz und Datensouverä­ nität. Zudem stellen wir Ihnen erfolgreiche Smart-City-Projekte vor. Finden Sie heraus, welchen Herausforderungen wir auf dem Weg hin zur Smart City gegenüberstanden und wie wir diese mit den richtigen Cloud-Lösungen gemeistert haben. Wir freuen uns, mit Ihnen über die Zukunft der Digitalisierung zu sprechen!

Auf dem Smart Plaza: “Google Cloud – Anwendungsbeispiele sicherer Cloud-Lösungen im öffentlichen Auftraggeberumfeld” mit Guido Massfeller, Leiter Öffentlicher Sektor, am 28. Oktober 2020. Im Digital Forum: “Mit der Cloud zur Smart City – praktische Anwendungsbeispiele aus der Mobilität” am 28. Oktober 2020. Die genauen Uhrzeiten entnehmen Sie bitte dem offiziellen Programm. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!



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in Blick nach Berlin: Mit Inkrafttreten des E-GovernmentGesetzes Berlin (EGovG Bln) im Mai 2016 wurde die Modernisierung und Digitalisierung der Berliner Verwaltung auf eine grundlegend neue rechtliche Basis gestellt. Mit hoher Priorität für die digitale Wende ist die Umsetzung des EGovG Bln das komplexeste Digitalisierungsprogramm in der Deutschen Verwaltung. Das Gesetz ist die wesentliche Grundlage auf dem Weg in die digitale Hauptstadtverwaltung – und der Beginn eines hochkomplexen Umsetzungsprozesses. Polizei, Standesamt, Schulen: So vielfältig wie die Aufgaben, so unterschiedlich sind Tätigkeiten, Organisation und Abläufe. Jugendämter, Baugenehmigungsstellen oder Friedhofsverwaltungen zeigen die unterschiedlichen Facetten von Verwaltungstätigkeit: beratend, gestaltend, genehmigend, eingreifend, ordnend. Das alles ist Verwaltung. Aber die Verwaltung gibt es nicht. Und so gibt es auch nicht die Digitalisierung als gleichermaßen zu verordnendes Allheilmittel und zu erfüllenden Selbstzweck.

Prozesse im Blick Digitalisierungsprojekte in Verwaltungen sind zuvorderst Organisationsentwicklungsprojekte. Das heißt: • Abläufe und Prozesse kommen auf den Prüfstand. Vor der Digitalisierung steht die Optimierung und Vereinheitlichung von Prozessen. Für Berlin wurde ein landesweites Geschäftsprozessmanagement aufgebaut, in dem Senat und Bezirke gemeinsam Verantwortung nach Politikfeldern übernehmen. • Die Qualität der Dienstleistungserbringung rückt in den Mittelpunkt. Sowohl für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen wie auch für Mitarbeitende soll

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nitiativen wie das Onlinezugangsgesetz, das E-Government-Gesetz, die Gründung der FITKO, der DigitalPakt Schule oder die IT-Professionalisierung -und Konsolidierung verändern den öffentlichen Sektor in den nächsten Jahren nachhaltig. Im optimalen Fall setzt die Digitalisierung aber nicht nur legislative Anforderungen um, sondern ist reproduzierbar und entwickelt sich ständig weiter. Es warten vielfältige Herausforderungen, die nur realisierbar sind, wenn Services und deren Erbringung möglichst effizient gebündelt und digital erbracht werden. Kritischer Erfolgsfaktor ist dabei die föderale Zusammenarbeit aller Beteiligten, die Services und Modelle gemeinsam entwickeln und nutzen. Heißt: Vertreter aller Ebenen aus Bund, Land und Kommunen setzen anspruchsvolle digitale Projekte einheitlich und strukturell um.

Behörden Spiegel / September 2020

Erfolgreich digitalisieren? Modernisieren! Verwaltungsmodernisierung in Zeiten der Digitalisierung (BS/Dr. Frank Nägele) Sie haben lange auf einen Termin gewartet? Persönliche Vorsprache ist erforderlich? Der Stapel Papier zur Mitnahme liegt schon bereit? Ein Behördentermin steht an. Unsere zuverlässige, rechtssichere und im besten Sinne bürokratische Verwaltung lässt im Zeitalter der Digitalisierung manchen ratlos, bisweilen frustriert zurück. Noch gibt es keine Parkvignetten mittels QR-Codes oder Geburtsurkunden online im Mail-Postfach. Während Unternehmen sich übertreffen, um Kundinnen und Kunden bequeme, intuitive, schnelle und optisch ansprechende digitale Lösungen bereitzustellen, scheint die Verwaltung der Entwicklung hinterherzulaufen. Ist das so? Gibt es Gründe dafür? Und wie sehen die nächsten und übernächsten Schritte der politisch Verantwortlichen aus, um Verwaltung und Digitalisierung zur digitalen Verwaltung zu modernisieren? sen und werden die Verwaltungskultur nachhaltig verändern. Dr. Frank Nägele ist Staatssekretär für Verwaltungs- und Diese Gedanken Infrastrukturmodernisierung legt auch der “Zuin der Berlin Senatskanzlei. kunftspakt Verwal tung” zugrunde. Foto: BS/Lena Giovanazzi Der vor gut einem Jahr vom Berliner Senat und den zwölf Bezirksbürgermeisterinnen das Verwaltungshandeln schnel- und -meistern geschlossene ler, kostensparender und trans- Modernisierungspakt ist ein Beparenter und – wo immer möglich kenntnis der politischen Führung – online erfolgen. Die Prozesse zur Berliner Verwaltung. Er hat und Abläufe orientieren sich am zum Ziel, die Verwaltung und ihre Ziel und an den Bedürfnissen Dienstleistungsqualität zu stärken von Bürgerinnen und Bürgern. und die Bedingungen für die Be• Basis aller Digitalisierungspro- schäftigten zu verbessern. Auch jekte ist eine standardisierte komplexe Digitalisierungsvorhaben und moderne technische Infra­ werden durch gezieltes Verändestruktur. Das kostet Zeit und rungsmanagement flankiert und Geld – ohne eine leistungsfähige in der praktischen Umsetzung Verkabelung der Verwaltungen begleitet. Zwei Beispiele: und eine einheitlich betriebene • Das CityLAB Berlin ist seit der Standard-Hard- und -Software Eröffnung im Juni 2019 ein Ort funktioniert auch in Privatunfür kooperative Arbeitsformate ternehmen Digitalisierung nicht. und die Vernetzung von VerwalAuch an diesem Handlungsfeld tung, Wissenschaft, Stadtgesellschaft und Wirtschaft, den es arbeitet das Land Berlin intensiv in dieser Form zuvor nicht gab. – in allen Verwaltungen und mit Gemeinsam werden Themen wie erheblichen Haushaltsmitteln. • Ein Zusammenwirken der BeSmart City, Digitalisierung und schäftigten vor Ort und der poliVerwaltungsmodernisierung vo­ tisch Verantwortlichen trägt den rangebracht – den Blick über den Erfolg von DigitalisierungsprojekTellerrand inklusive. ten. Fortschritt kann nur gemein- • D urch die Etablierung einer sam erreicht werden. Kooperation internen Beratungseinheit soll auf Augenhöhe und gemeinsame die Berliner Verwaltung bei der erfolgreichen Gestaltung von VerVerantwortungsübernahme müs-

änderungsprozessen unterstützt werden. Die Beraterinnen und Berater werden ausschließlich Beschäftigte des Landes sein und müssen ausgewiesene Methodenkompetenz, zum Beispiel in Organisationsentwicklung und Digitalisierung, einbringen. Digitalisierung als komplexes Multi-Organisationsprojekt ist die Generationenaufgabe zur Modernisierung der Verwaltung. Sie verfolgt nicht den Anspruch, in wenigen Monaten oder Jahren vollbracht zu sein. Entscheidend ist: Es geht stetig voran. Das zeigt auch die

In Kontakt bleiben Neuer Messenger-Dienst für NRW-Schulen gestartet (BS/wim) Um die Digitalisierung des Bildungswesens voranzutreiben und sich für Krisen resilient aufzustellen, stellt das Land Nordrhein-Westfalen seinen öffentlichen Schulen, den Ersatzschulen und den Zentren für schulische Lehrerausbildung (ZfsL) ab sofort kostenlos einen neu entwickelten Messenger-Dienst zur Verfügung. Der Dienst mit dem Namen ­“LOGINEO NRW Messenger” soll eine einfache, schnelle und sichere digitale Kommunikation an Schulen möglich machen, sei es in Phasen des Präsenzunterrichts oder im Rahmen des Unterrichts auf Distanz, um auch im erneuten Krisenfall für eine zeitgemäße Lernberatung der Schülerschaft zu sorgen und Ausfälle wie in diesem Frühjahr zu vermeiden. Der Messenger soll ein geschlossenes System bieten, in dem sich Lehrkörper und Schülerschaft

austauschen können. Direkte Kommunikation von einer Person zur anderen sei dabei genauso möglich wie der Gruppenunterricht in Chat-Räumen. Zudem soll das Teilen verschiedener Dokumente sowie von Bildern und Videos möglich sein. Schulen können kostenfrei Zugriff erhalten, auch unabhängig von dem im November 2019 bereitgestellten Hauptsystem, der Schulplattform LOGINEO NRW. Zur Nutzung des Messengers wird keine Telefonnummer be-

nötigt. Kompatibel sind internetfähige Android- und iOS-Geräte sowie PCs. Mithilfe des LOGINEO NRW Messengers sollen alle Nutzerinnen und Nutzer rechtssicher und datenschutzkonform mit Einzelpersonen oder Gruppen kommunizieren können. Zudem zeichne sich die Anwendung durch eine sichere Verschlüsselung aus, so die Landesregierung. Perspektivisch soll das Programm auch Sprach- und Videochats möglich machen.

Den kulturellen Wandel orchestrieren Prozessgetrieben digitalisieren statt elektronifizieren (BS) Die Digitalisierung fordert die öffentliche Verwaltung. Politik und Verwaltung müssen sich rund um öffentliche Dienstleistungen grundlegend neu ausrichten. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist dabei der Maßstab, an dem die Verwaltung gemessen wird: Es verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 ihre Leistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen sollen Verwaltungsdienstleistungen zukünftig schneller, effizienter und nutzerfreundlicher beziehen können. stark vorwärtsbringen”, sagt Timo Wörner, Teamleiter Pu­blic Sector Consulting, Bechtle AG.

Bechtle-Vision fokussiert Erfolg der Kunden

Foto: BS/Bechtle AG

tung, der Unternehmen und im

Strategie, Zielsetzung, Organi-

tungsebene, feiner spezifiziert

duellen und gesetzlich geregelten Datenschutzanforderungen und der Usability sowie Aspekten wie digitaler Souveränität und Daseinsvorsorge. Digitalisierte Prozesse sollen unkompliziert funktionieren und in möglichst hohem Maße reproduzierbar sein. In diesem Umfeld konnten wir auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene bereits Kunden im öffentlichen Umfeld unterstützen und bauen zunehmend unsere Kompetenz aus, mit der wir Projekte oder auch ganze Digitalisierungsprogramme organisatorisch, fachlich und technologisch begleiten dürfen”, erklärt Heiko Logemann, E-Government Consultant, Bechtle AG.

Unternehmen Bechtle begleitet die digitale Transformation öffentlicher Auftraggeber seit vielen Jahren und unterstützt sie bei der Umsetzung bürgernaher und zukunftsfähiger IT-Architekturen mit konkreten Lösungen. Bechtle ist gleichermaßen Berater wie Innovations- und Technologiepartner, kennt Methoden für den Unterricht der Zukunft und meistert Herausforderungen im Beschaffungsprozess. Um die Digitalisierung nachhaltig zu realisieren, hat der ITPlanungsrat das Föderale Informationsmanagement, kurz FIM, ins Leben gerufen. FIM hat das erklärte Ziel, eine standardisierte Übersetzung der Rechtssprache in eine vollzugs- und bürgerfreundliche Formulierung zu liefern. Ebenfalls entstehen durch FIM nachnutzbare Prozessmodelle, die, angepasst an die Verwal-

Methoden wie FIM und mit Unterstützung kompetenter Technologiepartner ihre Prozesse modernisieren und zukunftssicher gestalten. Über allen Maßnahmen sollte der Anspruch stehen, manuelle betriebliche Vorgänge in digitale Prozesse umzuwandeln. Eine schlichte Elektronifizierung oder technologische Modernisierung bestehender Verfahren ist hier nicht ausreichend. Wir empfehlen unseren Kunden, dass sie schnelle Lösungen, die nur in Richtung Bürger und Unternehmen digital erscheinen und damit die Digitalisierung lediglich hinauszögern, möglichst vermeiden. Der Wandel, weg vom klassischen Verwaltungsakt hin zu prozessualem Denken, muss mit strategischem Changemanagement begleitet werden. Dann können viele Dinge entstehen, die die Verwaltung agil, smart und zukunfts-

Silodenken durchbrechen, privaten Umfeld. Und all das un- sation, Prozesse, Anwendungen werden können. “Verwaltungen Zusammenarbeit orchestrieren ter Berücksichtigung der indivi- und IT-Infrastrukturen. Das IT- können durch den Einsatz von

Mit dem Beschluss des Onlinezugangsgesetzes ist spürbar mehr Dynamik in die Digitalisierung der Verwaltung gekommen. Das OZG fordert die Umsetzung des durch digitale Prozesse und Medien getriebenen gesellschaftlichen und technologischen Wandels. Es verpflichtet die öffentliche Verwaltung 575 Leistungsbündel online umzusetzen und rund um die Uhr für die Bürger verfügbar zu machen. Der DigitalPakt Schule schafft zeitgleich infrastrukturelle Grundlagen für die digitale Bildung. Um den Wandel der beiden Konzepte erfolgreich zu gestalten, müssen der öffentliche Sektor und die Industrie eng verzahnt zusammenarbeiten. “Das wesentliche Moment als Garant für die Umsetzung solcher Konzepte ist und bleibt der Mensch – innerhalb der Verwal-

aktuelle Pandemie-­Bewältigung. In kurzer Zeit wurde die Anzahl der mobilen Geräte für Beschäftigte auf ca. 14.000 erhöht. Ein landeseinheitliches Videokonferenzsystem wurde eingeführt. Eine beim Bürgertelefon 115 eingerichtete Corona-Hotline konnte innerhalb von drei Monaten fast 80.000 Anrufe bewältigen und die Corona-Hilfen für Selbstständige wurden mithilfe des Basisdienstes “Digitaler Antrag” komplett online abgewickelt. Bei allen Rufen nach mehr Digitalisierung gilt, dass wir bereits eine gute, leistungsstarke Verwaltung

haben. Richtig ist aber auch: Unsere Rahmenbedingungen haben sich massiv verändert. Jahrelanger Personalabbau und Sparzwänge der Vergangenheit sind heute konfrontiert mit einer ungebremsten BerlinDynamik: mehr Menschen, mehr Digitalisierung, mehr Beteiligungswille in einer vielschichtigen und modernen Hauptstadtgesellschaft. Nicht überall konnte die Verwaltung Schritt halten. Anpassungsprozesse an gesellschaftliche und technologische Herausforderungen sind die Folge. Digitalisierung ist und bleibt wesentliches Handlungsfeld einer jeden Verwaltungsmodernisierung. Für die politisch Verantwortlichen gilt: Sie müssen den Rahmen schaffen, beharrlichen Veränderungswillen an den Tag legen und eine kooperative Verwaltungskultur fördern. Denn Digitalisierung ist in erster Linie Modernisierung – und umgekehrt. Beides gemeinsam zu denken, ist und bleibt der Schlüssel zum Erfolg.

Prozessgetrieben digitalisieren Im Prozess braucht es demnach verlässliche Digitalisierungspartner mit viel Erfahrung rund um

Über allen Maßnahmen steht der Anspruch, Mehrwerte für alle Beteiligten zu schaffen – strategisch und konzeptionell. Das IT-Unternehmen denkt hier als Berater das gesamte Umfeld der Leistungserbringung der öffentlichen Verwaltung weiter, integriert Produkte von Partnerunternehmen sinnvoll zu einer Lösung für unterschiedliche Szenarien und erarbeitet mit den Kunden den optimalen Ablauf eines Verwaltungsprozesses. Konzepte integrieren die FIM-Methodik, neue Technologien, die Umsetzung von OZGLeistungen sowie Operatoren, die Mehrwerte bieten können. Mit dem Ziel, dem Ideal einer Smart City, eines Smart Country oder sogar eines vollständigem Smart Life langfristig näher zu kommen. Ausgangspunkt sind dabei immer die Anforderungen von Verwaltungsorganisationen, aber eben auch der Leistungsempfänger wie Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen. Als größtes IT-Systemhaus in Deutschland wird Bechtle vor allem als Partner für professionelle IT-Themen geschätzt, ist aber auch im Feld der strategischen Beratung stark aufgestellt. “Wir kooperieren mit eID-Lösungsanbietern und bieten eIDAS-konforme Technologien an. Das Portfolio wird mit Lösungen

zu Signaturen und Siegelungen, Postfachfunktionen, mit Rechtssicherheit in der Zustellung, Formular-Management-Systemen bis zu Enterprise-ContentManagement-Plattformen und vollumfänglichen Kollaborationslösungen ergänzt. Auch wenn wir dabei das Rad nicht neu erfinden, sind wir dennoch überaus motiviert, die Integration einzelner hochqualitativer Produkte zu einer ganzheitlichen Lösung zielführend zu orchestrieren”, so Steven Handgrätinger, Leiter Public Sector, Bechtle AG. Bechtle verfügt über geeignete Methoden, um den notwendigen Kulturwandel bestmöglich zu begleiten. Dazu gehören Prozessmodellierungstools – mit Fokus auf der öffentlichen Verwaltung –, aber auch Workshop-Formate für die kollaborative Erhebung von Ist-Zuständen und die Ableitung von Soll-Zuständen. Dabei sind nicht nur interne Prozesse zu betrachten, sondern auch solche, die den Bürger einbinden. Die Bestrebungen der Verwaltung, näher an standardisierten Prozessen zu arbeiten, hat das IT-Unternehmen jedenfalls längst verinnerlicht – festgehalten in der Bechtle-Vision 2030: “Der Erfolg unserer Kunden ist unser Ziel. Wir kennen und verstehen unsere Kunden und bieten ihnen zukunftsorientierte Informationstechnologien, die erfolgsentscheidend sind.” Mehr unter: bechtle.com/ueberbechtle/public-sector


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / September 2020

App statt Amtsstube

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ehörden Spiegel: Herr Professor Dr. Posch, Österreich gilt in Europa als einer der Vorreiter in Sachen Digitalisierung von Staat und Verwaltung. Worauf fußt Ihr Erfolg und was bietet die Verwaltung in Österreich ihren Bürgern und Unternehmen in der digitalen Welt an?

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europäische Produkte sinnvoll nutzbar sein können. Wir müssen ehrlich gestehen, dass CloudDienste innerhalb der Verwaltung aktuell fast nicht existent sind. Kaum ein Land hat seine (BS) Ob die Niederlande im Westen oder Dänemark im Norden, von den Nachbarn der Bundesrepublik kann man sich hierzulande beim Thema Verwaltung, seine FinanzverwalDigitalisierung viel abschauen. Auch im Alpenraum wird die Digitalisierung mit Nachdruck vorangetrieben. Damit die Bürger der Bundesrepublik tung oder seine Haushaltsvorihre Verwaltungsanliegen möglichst unkompliziert erledigen können, wurde im vergangenen Jahr die Verwaltungs-App “Das Digitale Amt” veröf- lagen in der Cloud liegen, das fentlicht. Prof. Dr. Reinhard Posch ist seit 2001 als Bundes-CIO der Alpenrepublik im Amt. Wie man den Schritt in die mobile Welt angegangen ist, liegt stattdessen alles auf örtlich Posch: Wir sehen die Digitali- welche Themenkomplexe als zentrale Kernelemente für die App definiert wurden und wie man für die Sicherheit der sensiblen Bürgerdaten sorgt, begrenzten Rechnern und Resierung in Österreich nicht als erklärt der Informatikprofessor im Interview mit dem Chefredakteur des Behörden Spiegel, Uwe Proll. chenzentren. Und da haben wir reine Aufgabe, um auf der Höhe jetzt durch Corona einiges in der Zeit zu bleiben, sondern als unsere Diensten integriert haben, in eine Spitzenpo- Bewegung gesetzt, um uns über bedeutenden Faktor in der Wirt- gibt es da dementsprechend auch sitionen gelangt. die Cloud mal intensiv Gedan“Wir haben durch schafts- und Standortpolitik. Am keine offiziellen Zahlen zu. Was Sehen Sie das als ken zu machen und Richtlinien Corona in Europa einen Rückschritt für die für die Verwaltung festzulegen, wichtigsten ist dabei, dass die aber generell sehr gut ankommt, enormen Trigger-Effekt Diskussion um eine wie die Cloud genutzt werden Verwaltung für alle Beteiligten so ist die Kopplung von Verwalzugänglich ist wie möglich. Das tungsebenen. Ein Beispiel wären europäische digita- kann. Gleichzeitig müssen wir erfahren.” bedeutet einerseits, dass der Bür- dabei die Justiz und die allgemeiuns aber auch Gedanken dale Souveränität? ger jederzeit auf die wichtigsten ne Verwaltung, die ja normalerrum machen, wie wir mit den Prof. Dr. Reinhard Posch ist bereits seit 19 Jahren als Chief Digital Officer Dienste zugreifen können muss, weise durch die GewaltentrenPosch: Sie haben bestehenden Plattformen aus der Bundesregierung von Österreich aber vor allem bedeutet das an- nung strikt auseinan­dergehalten natürlich Recht Übersee umgehen können, um aktiv. Zudem leitet er die Plattform dererseits, auch einen speziellen werden. Aber im digitalen Raum damit, dass sich an der Stelle die Hoheit des “Digitales Österreich” sowie den in der aktuellen Staates auch im digitalen Raum Blick auf die Unternehmen zu geben wir dem Bürger die Möggemeinnützigen Verein “Zentrum Situation wieder wiederherzustellen. Dass in viehaben, denn die haben nun mal lichkeit, zu entscheiden, dass für sichere Informationstechnologie vieles in Richtung len Angeboten wahllos private viel öfter Kontaktbedarf mit der die verschiedenen Verwaltungs– Austria”. amerikanischer Kommunikation und Daten euVerwaltung als der Bürger, der aspekte zentral und kombiniert Foto: BS/Dombrowsky Plattformen bewegt ropäischer Bürger mitgeschnitten im Durchschnitt nur auf rund erfasst werden, sodass er auch hat, aber ich den- und auf amerikanischen Servern 1,5 Behördenkontakte im Jahr für seine eigene Reaktion auf kommt. Als wichtigsten Kontakt- juristische Anfragen nicht mehr help.gv.at als Basis nutzen. Aber dem wir aktuell davon ausgehen, ke, dass das nur ein Zwischen- gespeichert werden, da muss komplex haben wir in unserer jedes Amt einzeln aufsuchen irgendwann müssen die Daten ja dass wir außerhalb von Öster- schritt in eine bessere Zukunft endlich allen bewusst werden, Analyse die Finanzverwaltung muss. Stattdessen kann man mal aus Registern kommen. Wie reich ein sehr geringes Risiko ist. Wir haben durch Corona in dass das an den Grundfesten identifiziert und daher ent- sämtliche Informationen gesam- sieht es in Österreich mit der Di- haben, angegriffen zu werden, Europa einen enormen Trigger- unseres Staatsverständnisses schieden, dass melt an einer gitalisierung dieser Register aus da es anderswo deutlich leichtere Effekt erfahren, der uns allen und unserer Souveränität rüt“Was aber generell digitalen Stel- und wo sind diese beheimatet? Ziele gibt. Um da weiter voranzu- gezeigt hat, dass wir ein massives telt. Deswegen hoffe ich, dass die Elemente le einreichen, kommen, sind wir gerade beim Defizit bei der Arbeit mit Metada- wir diese Themen zukünftig auf rund um diesehr gut ankommt, ist von wo sie sen Bereich bei Posch: Grundsätzlich vorab: Studierendenausweis in einer ten, aber auch in der Arbeit mit europäischer Ebene gemeinsam die Kopplung von den digitalen anschließend Wenn ich von Registern rede, Pilotphase für das digitale Aus- der Cloud und den dort angebo- angehen können. Dass der EuroVerwaltungsebenen.” a u t o m a t i s c h dann meine ich immer elektro- weisen, von wo wir das Prinzip tenen Diensten haben. Wenn wir päische Datenschutzbeauftragte Angeboten im zu diesen Thean die entspre- nische Register, denn Papier- dann in den Regelbetrieb bringen diesen Effekt Vordergrund stehen müssen. Das haben wir chenden Adressen innerhalb der register sollte es in der heuti- wollen. nun aufnehmen einige kla“Sicherheit ist anschließend mit Finanz online öffentlichen Verwaltung verteilt gen Zeit nicht mehr geben. Die men und in re Meinungen der absolut Behörden Spiegel: Durch die die Zukunft sowie einer Reihe weiterer Dienst- werden. Früher hatten wir dafür meisten dieser Digitalregister geäußert hat, wichtigste Aspekt.” leistungen realisiert und ermög- die Homepage help.gv.at, deren haben wir entweder beim Bund neuen Lösungen, die im Zuge der bringen, dann stimmt mich lichen so für einen sehr großen Erkenntnisse heute alle mit in angesiedelt oder in kooperativen aktuellen Corona-Situation ent- haben wir ein da aber zuverTeil der Bevölkerung und der die Entwicklung unserer App mit Strukturen. Das Einwohnermel- standen sind, wird derzeit wieder großes Potenzial, endlich einen sichtlich, dass wir Corona nutzen Unternehmenslandschaft, ihre einfließen. Die Zentralisierung ist deregister ist beispielsweise eine deutlich häufiger auf die Systeme europäischen Weg zu finden, der können, um in ganz Europa ein Finanzangelegenheiten online der eine Aspekt, den die Bürger Kooperation zwischen allen Ver- der amerikanischen Kommunika- ohne amerikanische Plattformen höheres Bewusstsein für diese und Unternehmen gut finden, waltungsebenen. Um dabei die tionsplattformen zurückgegriffen. auskommt. Projekte wie Gaia-X Problematik zu generieren und durchzuführen. und der zweite Aspekt ist, dass Zugangsberechtigungen, die es Es gibt zwar auch europäische sind ja schon auf dem Weg und gemeinsam mit den Bürgern zu Behörden Spiegel: Online- man eben für die meisten Ver- beispielsweise beim Strafregister Anbieter, durch das bessere An- werden das Bewusstsein in der Lösungen zu kommen, die die Dienste sind gut und schön, aber fahren nicht mehr extra aufs geben muss, richtig managen zu gebot und die hohe Verfügbarkeit Verwaltung sowie bei Bürgern Souveränität der europäischen Bürger und Unternehmen gleicher- Amt muss, sondern stattdes- können, haben wir einen soge- sind die amerikanischen Diens- und Unternehmen hoffentlich Rechtsstaaten auch im digitalen maßen wollen heutzutage mobile sen die Ummeldung in die neue nannten Portalverbund, Register- te allerdings in der Krise weiter positiv beeinflussen, dass auch Raum wiederherstellt. Anwendungen. Wie gehen Sie auf Wohnung oder die Kinderbeihilfe und Systemverbund aufgebaut. über die App ganz einfach von zu- Da war die wichtigste Aufgabe, dieses Bedürfnis ein? hause oder sonst wo beantragen ein für alle Ebenen praktikables Posch: Der Trend geht natürlich kann. Dabei haben wir die App Format für die Verwaltungsakte absolut zu mobil verfügbaren An- so gestaltet, dass der Bürger mit aufzusetzen und für Kompatibigeboten. Wir haben mittlerweile seinem Anliegen startet und dann lität zwischen den Schnittstellen einen Anteil von mehr als 70 automatisiert durch die entspre- zu sorgen, damit alle Behörden Prozent in der Bevölkerung, der chenden Prozesse geleitet wird. medienbruchfrei und unkomplikeine Lust mehr hat, für jeden Die App ist dabei der Anfang, ziert miteinander kommunizieKontakt extra den PC hochzu- aber es gibt noch eine Menge ren können. Dazu gehören auch fahren und im schlimmsten Fall Möglichkeiten, die wir zukünf- Legitimierungsverfahren in den noch mit irgendwelchen Lesege- tig nutzen wollen. Da gehen die Portalschnittstellen, damit ein räten den Personalausweis veri- Gedankenspiele über die Vernet- solches System, was automatifizieren zu müssen. Zudem gibt zung von Sozialversicherung und siert überwacht wird, jederzeit es in Bevölkerung und Industrie digitaler Gesundheitsakte bis weiß, dass die jeweils eine Ingleichermaßen kein Verständnis hin zur Einbindung von Künst- formation anfragende Behörde mehr dafür, von einer föderalen licher Intelligenz zur Reaktion auch wirklich eine Behörde ist Ebene zur anderen geschickt auf Contra-Indikationen bei Me- und die Zugriffsberechtigung zu werden. Darum versuchen dikamenten. auf jene Informationen besitzt. wir, alle Dienstleistungen und Besonders sensibel muss man Prozesse, die die Verwaltung zu Behörden Spiegel: Und bei da vor allem in medizinischen bieten hat, zentral in einer für all der Digitalisierung haben die Bereichen, dem Strafregister und ier te Zer tif iz ach die mobile Nutzung optimierten Bürger weiterhin die Möglichkeit, beispielsweise auch dem elek­ en r a Softw App anzubieten. Und das mit trotzdem alle Amtsprozesse auch tronischen Akten- und Beschaferungen rd fo n den A einem ebenenübergreifenden analog durchzuführen? fungswesen vorgehen. tlichen im öffen Ansatz, damit man sich bei der n Die st Nutzung keinerlei Gedanken maPosch: Wir haben grundsätzlich Behörden Spiegel: Ein es-

Österreich entwickelt digitale Anwendungen für die Verwaltung der Zukunft

Software leistungsstark, Partnerschaft langfristig – genau die

Zuverlässigkeit, die ich brauche.

Behörden Spiegel: Sie setzen ja nun schon eine Weile auf mobile Dienstleistungen. Welche Dienste werden von Bürgern und Unternehmen besonders gut angenommen und genutzt?

keinerlei reguläre Verfahren, die es nur auf digitalem Wege gibt. Es gibt ja auch weiterhin Menschen, die komplett auf all diese Technik verzichten, und denen müssen wir es natürlich möglich machen, dass sie sämtliche Prozesse weiterhin auf Papier abwickeln können. Aber nicht nur Technikverweigerer haben an der althergebrachten Form ein gesteigertes Interesse, sondern auch viele Menschen in kleineren Gemeinden, die für ihre Anliegen ganz bewusst in die örtliche Verwaltung gehen möchten. Da wird dann ebenfalls alles mit Papier durchgeführt. Übrigens ist das in den kleinen Gemeinden auch umgekehrt sehr beliebt; es gibt an vielen Stellen durchaus ein Inte­resse daran, viel direkten Kontakt mit dem Bürger zu haben und entsprechend gibt es dort dann auch mehr direkten Kontakt zwischen den Behörden.

Posch: Da wir aus Datenschutzgründen keine Überwachungsoder Trackingmöglichkeiten in

Behörden Spiegel: Sie haben erklärt, dass Sie für die App die Daten aus Ihrer alten Webseite

chen muss, ob man gerade zum Land, zur Bezirksverwaltung oder zum Finanzamt geht, sondern einfach einen einzelnen Zugang zur öffentlichen Verwaltung hat, über den sich alle Angelegenheiten regeln lassen. Um diese Ideen auch über Österreich hinaus voranzutreiben, hatten wir im Rahmen unserer EU-Präsidentschaft auch das Thema “Mobile First” mit eingebracht, damit wir in ganz Europa dahin kommen, dass wir alle regulären Verwaltungsangelegenheiten digital anbieten und die Papierform nur noch als Ausweichmöglichkeit für seltene Ausnahmen im Angebot behalten.

senzieller Aspekt bei digitalen Dienstleistungen ist immer auch die Sicherheit der Bürgerdaten. Umso tiefer die Anwendungen gehen, desto breiter wird auch immer die Angriffsfläche. Wie sorgen Sie dafür, dass trotz aller Gefahren die Sicherheit der Daten gewährleistet bleibt?

Posch: Das stimmt, das Thema Sicherheit ist der absolut wichtigste Aspekt an dem ganzen Unterfangen. Wir sind leider bei der eIDAS-Notifizierung noch etwas im Rückstand, obwohl wir da eigentlich ganz vorne dabei sein wollten. Aber wir setzen grundsätzlich ganz klar auf einen qualifizierten Eingang mit entsprechenden Zugangsmechanismen. Dabei geht es dann nicht mehr nur um das Vorweisen von Standardattributen, sondern auch um sicherheitsrelevante Attribute, sodass man sich quasi digital ausweisen muss, um in das System zu kommen. Wir arbeiten da mit einem Verfahren, das wir die Handysignatur nennen und bei

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Informationstechnologie

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ie Antwort Deutschlands war die Corona-Warn-App, herausgegeben vom Robert KochInstitut. Kernstück ist die Software am Smartphone, die aus der App und dem von Google und Apple entwickelten Exposure Notification Framework besteht. Dieses Framework setzt auf komplexe kryptografische Vorgänge, um den Datenschutz zu gewährleisten. Dabei wird ein zufälliger “Tagesschlüssel” generiert und über ein Hashverfahren zur Generierung des sogenannten Rolling Proximity Identifier Key (RPIK) verwendet. Jedes Mal, wenn das lokale Bluetooth-System ein neues Intervall setzt, wird aus RPIK, dem Intervall und weiteren Feldern ein Rolling Proximity Identifier (RPI) erzeugt, der dann via Bluetooth ausgestrahlt wird. Damit erhält man zwei den Datenschutz sichernde Ergebnisse: (i) Vom RPIK kann nicht auf den Tagesschlüssel rückgeschlossen werden; (ii) jede Begegnung zweier App-Nutzer ist neu, d. h. auch auf ein häufig aufeinandertreffendes Ehepaar kann nicht rückgeschlossen werden, weil es stets neue RPI hat. Kommen sich zwei App-Nutzer nahe, werden die RPI und Metadaten ausgetauscht. Alle diese Funktionen werden nicht von der App des RKI, sondern vom Framework Googles bzw. Apples bereitgestellt. Im Falle einer Infektion kann der Besitzer des Smartphones freiwillig seine Tagesschlüssel für den fraglichen Zeitraum freigeben.

It’s the statistics, stupid! Corona-Warn-App der Bundesregierung ist der falsche Ansatz (BS/Prof. Dr. Robert Müller-Török/Prof. Dr. Alexander Prosser*) Eine Pandemie ist immer auch ein Informationsproblem: Ist mein Gegenüber infiziert? Bin ich infiziert? Wen haben Infizierte getroffen? Es ist heute naheliegend, diese Informationsprobleme mit IT zu lösen. Das ist auch einer der zentralen Unterschiede zur Pandemiesituation “Spanische Grippe” vor hundert Jahren. Die Tagesschlüssel der Infizierten werden jeden Tag im Hintergrund von der App nachgeladen und die RPIs aus den Tagesschlüsseln wie oben geschildert abgeleitet und mit den lokal gespeicherten Kontaktdaten abgeglichen. Damit wird klar, mit wie vielen Infizierten der Nutzer Kontakt hatte. Hier kam es zu einem erheblichen technischen Problem durch die Energiesparfunktion mancher Smartphones. Dieses Problem betraf das Nachladen der Tagesschlüssel der Infizierten durch die App im Hintergrund, das durch die Battery-low-Funktion vor allem bei Samsung- und Huawei-Smartphones verhindert wurde. Damit erhielten die AppNutzer mit solchen Geräten keine Daten über Kontakte mit Infizierten und wurden nicht gewarnt. Diese Battery-low-Funktion ist dokumentiert, daher verwundert dieser Fehler, zumal einer der Entwicklungspartner die Deutsche Telekom AG ist, von der man annehmen sollte, dass ihr die Funktionsweise von Smartphones bekannt ist. Das eigentliche Problem der Corona-Warn-App der Bundesregierung ist allerdings viel fun-

damentaler. Die Wirksamkeit der App hängt davon ab, dass (bei Betrachtung von Zwei-PersonenTreffen) beide Kontaktpartner die App verwenden. Bei ca. 16,5 Millionen Downloads im Juli 2020 sind dies ca. 20 Prozent der Bevölkerung, damit beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Kontakt zweier Personen beide die App verwenden, gerade einmal vier Prozent (=0,2 mal 0,2). Und dabei wird unterstellt, dass alle einmal downgeloadeten Apps ständig verwendet werden und korrekt funktionieren.

Hier werden Kontakte mit Menschen aus Nachbarländern wie in Grenzregionen, Urlaubern, Flughafenbegegnungen etc. nicht berücksichtigt. Damit kann diese Corona-Warn-App als statistisch irrelevant bezeichnet werden. Um auch nur eine fünfzigprozentige Abdeckung aller (Zweier-) Kontakte zu erreichen, müssten über 70 Prozent der Bevölkerung diese App verwenden. Ein Wert, der anhand der Downloadentwicklung als völlig unrealistisch angesehen werden muss. Dies trifft übrigens auch auf die Apps

Neue Plattform für unabhängige Gesundheitsinformationen (BS/Christian Klose) Anfang September ging das erste unabhängige nationale Gesundheitsportal gesund.bund.de online. Bürgerinnen und Bürger sollen auf diesem zentralen deutschen Internetportal Informationen rund um die Fragen zur Gesundheit finden. Ein Mammutprojekt. Ein Beitrag über den Nutzen, die Herausforderungen und die besondere Rolle eines solchen Portals in Zeiten von Covid-19. das Portal und die elektronische Patientenaktezu verknüpfen. Wann das sein wird, ist Christian Klose ist Leiter allerdings noch der Unterabteilung “gemanicht ganz abtik, Telematikinfrastruktur, E-Health” im Bundesminissehbar. terium für Gesundheit. Wie stellen wir die UnabhängigFoto: BS/BMG keit der Informationen sicher? Das rade beim Thema Gesundheit, Gesundheitsportal gesund.bund. bei dem die meisten Menschen de ist auf Initiative des Bundesauf einen Rat angewiesen sind, ministeriums für Gesundheit ist es uns wichtig, die Bürgerin- entstanden, das auch als Henen und Bürger zu unterstützen. rausgeber fungiert. Das Portal Wir möchten ihnen dabei helfen, verfolgt keinerlei kommerzielle ihre Gesundheitskompetenz zu oder politische Interessen. Die fördern, ihre Selbstbestimmung Redaktion von gesund.bund.de als Patientin und Patient zu stär- ist nicht Bestandteil des Bunken und sie bei unterstützen, desministeriums für Gesundheit. dass sie aktiv an der eigenen Sie besteht aus Redakteurinnen Behandlung und damit auch am und Redakteuren mit mediziniBehandlungserfolg mitwirken schen, gesundheits- und wiskönnen. senschaftlichem Hintergrund Wird über das Portal auch die und aus Redakteuren mit Erelektronische Patientenakte (ePA) fahrung bei der Erstellung von verfügbar sein? Ja, es ist geplant, anschaulich gestalteten Medien

und gut verständlichen Inhalten. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen und die Prüfung durch Expertinnen und Experten sind ein wichtiger Bestandteil der redaktionellen Arbeit und Qualitätssicherung. Die Redaktion von gesund.bund.de ist verpflichtet, wissenschaftlich fundierte, neutrale und allgemein verständliche Gesundheitsinformationen für Bürgerinnen und Bürger anzubieten. Um diesem hohen Qualitätsanspruch umfassend gerecht zu werden, arbeitet die Redaktion eng mit ausgewählten wissenschaftlichen Einrichtungen und Partnern zusammen. Wie erfolgt die Contenterstellung und welche Partner sind involviert? Wir werden mit einer kleinen Anzahl an wissenschaftlichen Partnern starten. Dazu zählen das Robert Koch-Institut (RKI), das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) sowie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-

heitswesen (IQWiG). Nach und nach werden wir den Kreis der Partner erweitern. Wie hat die Pandemie das Projekt beeinflusst? Die Pandemie hat uns in der Notwendigkeit des Portals bestätigt, da es wohl kaum mehr Fragen und Verunsicherung sowie Falschinformationen im Netz gab wie seit Beginn der Pandemie. Zudem sprechen wir hier ja von einem digitalen Projekt, sodass wir bis auf das Umplanen einiger Abstimmungen von Konferenzräumen in Videokonferenzen nur inhaltlich um das Thema Covid-19 anpassen mussten. Zudem ist noch ein multimediales Themen-Special hinzugekommen, das sehr anschaulich und interaktiv die wichtigsten Fragen beantwortet. Durch ein interaktives Tool werden die für Laien sehr abstrakten und teils schwer verständlichen Vorgänge des Infektionshergangs visuell veranschaulicht und einfach verständlich erklärt. Inhalte solcher Art werden in Zukunft

Erfolge in Modellkommunen

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ie steht es mit dem digitalen Bürgerservice für Kinder, Jugend und Familie, wie mit der Serviceportallösung für Ein- und Auswanderung, mit dem Digitalen Melde- und Standesamt, dem digitalen Aktenplan, der KIgestützten Mobilität von morgen in Wuppertal? Anspruchsvolle Lösungen, die in gemeinsamer Arbeit im Bergischen “Städtedreieck” von Wuppertal, Remscheid und Solingen entstehen sollen. Der Wuppertaler CDO Jörg Weidemann wird dazu vortragen. Wie geht es voran mit der Smartphone-Bürger-ID, mit dem Open Innovation Lab, dem Digital Twin der Smart-Region Gelsenkirchen? Bewohnerparkplätze oder den Personalausweis vom Smartphone aus beantragen – Voraussetzungen dafür soll schließlich die “Smartphone-Bürger-ID” mit einer sicheren Authentifizierung

Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Kontakt zweier Personen beide die Corona-Warn-App der Bundesregierung verwenden, liegt bei lediglich vier Prozent. Foto: BS/Soeren, stock.adobe.com

zahlreicher anderer Länder, wie etwa Österreich, zu. Eine freiwillig zu installierende App ist daher ganz grundsätzlich kein geeigneter Weg zum Contact Tracing und fällt eher in die Kategorie “Symbolpolitik”. Welche anderen Möglichkeiten gäbe es? Die effektivste und effizienteste Lösung wäre das Speichern der Mobiltelefon-Bewegungsdaten im Seuchenfall. Hier könnte es eine gesetzliche Grundlage inklusive Verordnungsermächtigung für eine rasche Umsetzung im Seuchenfall geben. Wird ein Mobiltelefon-Nutzer – ein Smartphone ist nicht erforderlich – als Covid-19-positiv eingestuft, so können aus den Standortdaten alle Kontakte herausgefiltert werden. Bei Verwendung von In-Memory-Datenbanken ist dies auch in nahezu Echtzeit ermittelbar. Vor allem bei weiterer Verbreitung von 5G können Standorte im städtischen Bereich auf einen Meter genau ermittelt werden, was eine exzellente Basis für die Kontaktverfolgung gibt. Problem dieser Variante sind die vorhersehbaren Bedenken in Bezug auf den Datenschutz, die aber durch den Gesetzgeber

Launch von gesund.bund.de

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wei Drittel der Deutschen “googeln” nach ihrem Arztbesuch Informationen zu den Befunden. Die Zahl der Anbieter von Gesundheitsinformationen im Netz ist groß, die Qualität aber höchst unterschiedlich. Fehlinformationen und falsche, selbstgestellte Diagnosen sind dabei häufig die Folge. Hinzu kommt ein wachsender Markt mit kommerziell genutzten Gesundheitsdaten, bei dem die Nutzer oft nicht erkennen, was mit ihren Daten geschieht. Die Notwendigkeit für ein unabhängiges Gesundheitsportal ist daher groß. Ende 2019 erfolgte der Startschuss für die Konzeption und die Umsetzung eines derartigen Portals in einer ersten Ausbaustufe. Was ist das Besondere an gesund.bund.de und was sind die Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger? Gerade die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig seriöse Gesundheitsinformationen sind. Daher wollen wir eine zentrale Plattform schaffen, die verständliche, zuverlässige und vor allem unabhängige und werbefreie Gesundheitsinformationen enthält. Es gibt mehr und mehr Portale und Foren, die eine Orientierung auf der Suche nach Antworten sehr schwierig machen. Und ge-

Behörden Spiegel / September 2020

– und eine strikte Reduktion auf den Seuchenfall – gelöst werden können. Einen weiteren Weg hierbei könnte das isländische System “Rakning C-19” weisen. In einer freiwillig installierten App werden die Positionsdaten lokal gespeichert, sei es auf Basis von GPS oder Funkzellenortung. Im Falle einer Infektion kann der Betreffende diese Daten sowie Kontakte und Gesprächsdaten an das “Contact Tracing Team” weitergeben. Südkorea setzt eine Tracing App, Kameras mit Gesichtserkennung, Handyortungsdaten und Kreditkartentransaktionen ein, um Kontakte nachzuverfolgen. Zusammenfassend: Die CoronaWarn-App der Bundesregierung ist ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung der Pandemie, da sie sogar unter optimistischsten Annahmen und fehlerfreier Programmierung, d. h. wenn sie so funktioniert wie beabsichtigt, nur einen Bruchteil der für eine Ansteckung relevanten Kontakte erkennen kann. Dass hierbei keine deutsche oder wenigstens europäische Technologie entwickelt wurde, sondern man außereuropäische Technologie nicht fehlerfrei anzuwenden konnte, lässt für die digitale Zukunft nichts Gutes erwarten. *Prof. Dr. Robert Müller-Török, Hochschule für Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, Prof. Dr. Alexander Prosser, Wirtschaftsuniversität Wien

vermehrt auf der Plattform zu finden sein, denn sie sind attraktiv, unterhaltsam und bürgernah aufbereitet. Den Grundsatz der Wissenschaftlichkeit haben wir selbstverständlich auch weiterhin im Blick. Was ist die größte Herausforderung für die Realisierung eines solchen Portals? Die Komplexität und die Möglichkeiten der Digitalisierung und Individualisierung sind enorm groß. Daraus ergeben sich nicht nur eine Vielzahl an Möglichkeiten sondern auch die Herausforderung, gleich zu Beginn alles abdecken zu wollen und damit den Start des Projektes weiter in die Zukunft verschieben zu müssen. Daher haben wir entschieden, den Auf- und Ausbau des Portals stufenweise zu planen. Auf diese Entscheidung folgte die Definition von Mindestanforderungen und Partnern, die Teil einer ersten Ausbaustufe sein müssen, ohne Abstriche bei Mehrwert und Qualität bei der Nutzung machen zu müssen. In den folgenden Monaten und Jahren werden wir das Portal um weitere Informationsangebote und Funktionen ergänzen. Im Mittelpunkt stehen hierbei immer die individuellen Bedürfnisse und Fragen der Bürgerinnen und Bürger.

Neuss werden diese (und weitere) Themen im Mittelpunkt stehen und hoffentlich viele weitergehende Impulse und Anstöße ermöglichen.

Fortschritte in den Prozessen für die digitale Zukunft

(BS/Wilfried Kruse*) Seit gut zwei Jahren arbeiten viele engagierte Menschen in den NRW-Modellstädten und -Regionen; höchste Zeit, darüber mehr zu hören und Neues zu erleben, vor allem für die Kommunen und ihre IT Dienstleister, die nicht direkt in die Landesförderung einbezogen sind. Was haben die vielen Landesmillionen bislang erbracht? Wie können neue Ergebnisse in die bestehende kommunale IT-Landschaft, in vor- *Wilfried Kruse, Geschäftsfühhandene Strukturen und IT-Lösungen wirklich transferiert werden und positiven Eingang finden? Fragestellungen, die nicht zu unterschätzen sind. render Gesellschafter IVM², ist für kommunale Web-Dienste per App, möglich machen. Mit Spannung wird der Vortrag des Gelsenkirchener CDOs Manfred vom Sondern zu diesem anspruchsvollen Projekt erwartet. Und in Paderborn: Was sind die nachnutzbaren Features der digitalen Bürgerbüros? Wie weit ist die intelligente Verkehrsflusssteuerung, die Stabilisierung der Energienetze, die regionale Gesundheitsplattform und Weiteres? Bürgermeister Michael Dreier wird nach seinem ersten Vortrag auf “e-nrw 2018” über die in zwei

Jahren erreichten Fortschritte berichten. Ebenso der Ibbenbürener Bürgermeister Dr. Marc Schrameyer, der über die in seiner (Bundes-) Modellstadt erzielten Ergebnisse berichten wird. Auch er ist nach 2018 zum zweiten Mal auf “e-nrw”, sicher spannend zu hören und zu verstehen, was in zwei Jahren in seiner Stadt mit Übertragungspotenzial für andere entwickelt werden konnte. Klappen die digitalen (übertragbaren) Services z. B. bei Umzügen, bei der Hundeanmeldung?

Gibt es schon Nachnutzer? Wie weit sind die KI-gestützte Straßenzustandserfassung, die intelligenten Lösungen des ÖPNV, der Chatbot und das 3-D- Stadtmoell in Soest? Wie das alles mit dem Projektpartner, der Südwestfalen IT (SIT) gelingen kann und soll, werden Joerg Radandt, Projektleiter in der Stadt Soest, und Kerstin Pliquett, die Projektleiterin und Geschäftsführerin der SIT, berichten. E-Akte, DMS und Workflow in der Verwaltung 4.0 umfassen die zentralen “inneren” Themen,

Geschäftsprozessoptimierung, DMS, Verfahrensanbindung und Mitarbeitersichten in der Landesverwaltung und im kommunalen Sektor, auch als zentrale Aufgabe der kommunalen IT Dienstleister. Dazu werden u. a. Dr. Markus Brakmann, Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, und Dr. Bodo Karnbach, Vorsitzender der Geschäftsführung der ITK Rheinland, Neuss, auf dem Kongress vortragen. Auf “e-nrw” am 05.11.2020 in

fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”, den der Behörden Spiegel am 5. November in Neuss veranstaltet. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.enrw.info

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 5. November 2020 Düsseldorf/Neuss www.e-nrw.info


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / September 2020

Bericht übergeben

“D

ie permanente Verfügbarkeit digitaler Geodaten bis auf die Ebene des privaten Smartphones ist heute selbstverständlich. Für eine effiziente Nutzung dieser Daten im professionellen Umfeld benötigen wir einen fachneutralen Basisdienst. Dies zeigt die zügig umgesetzte Voruntersuchung. Das Projekt ist ein sehr wichtiger Baustein der ressortübergreifenden Strategie für das digitale Leben in Rheinland-Pfalz”, so Staatssekretär und Landes-CIO Randolf Stich.

Studie untersucht Geodatenmanagement in Rheinland-Pfalz (BS/gg) Wie ein modernes und effizientes Geodatenmanagement in Rheinland-Pfalz funktionieren kann und welche Entwicklungen dabei berücksichtigt werden müssen, untersuchte ein Projekt der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer gemeinsam mit dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer (FÖV) und der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH (MRN) im Auftrag des Innenministeriums Rheinland-Pfalz. den gewonnenen Erkenntnissen besonders profitieren könne. Im übergebenen Untersuchungsbericht wird die hohe Relevanz der Geodatennutzung und eines Basisdienstes Geodatenmanagement festgestellt. Zur Vereinfachung der Zusammenarbeit der Behörden wird ein standardisierter Workflow empfohlen. Zudem bestätigt sich die große Bedeutung eines Basisdienstes als zentralen Einstiegspunkt für relevante Geodaten.

Kompletter Fokus auf Nutzerorientierung Für das Projekt hatten die Projektpartner mit dem Innenministerium einen außergewöhnlichen Ansatz vereinbart: Durch ein nutzungsorientiertes Vorgehen sollten Varianten für die zukünftige Ausgestaltung des Geodatenmanagements in Rheinland-Pfalz erarbeitet und zugleich erprobt werden, auf welche Weise innovative Methoden dazu beitragen können. Grundlage hierfür war eine Bestandsaufnahme des derzeitigen Geodatenmanagements im Land, die unter anderem auf wissenschaftlichen Interviews und Umfragen, vergleichenden Analysen und Trendreports sowie (Online-)Workshops mit CoDesign-Ansätzen basierte.

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or der Krise war das Arbeiten von zu Hause in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wenig verbreitet. Führungskräfte fürchteten um den Kontrollverlust über die Arbeitszeiten. Weiter gab es Befürchtungen, die Produktivität und interne Kommunikation würden leiden. Diese Befürchtungen stellten sich aber als weitgehend unbegründet heraus und zahlreiche private Unternehmen, aber auch Arbeitgeber aus dem öffentlichen Sektor wollen nun auch nach der Krise verstärkt auf Homeoffice setzen. Doch Produktivität ist nur eine Seite der Medaille, es stellt sich auch die Frage, wie sich die neue Situation auf die unmittelbar Betroffenen, die Mitarbeiter, auswirkt.

Arbeitszeiten überwiegend gleich Um bessere Erkenntnisse darüber zu gewinnen, hat Citrix 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland befragt, wie sie mit dem Homeoffice während der Corona-Zeit zurechtgekommen sind. Eine oft vorgebrachte Kritik am Homeoffice lautet, dass abseits von Strukturen und Stundenerfassung oft mehr gearbeitet werden muss. Und tatsächlich: Ein

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Der wissenschaftliche Bericht, der die hohe Relevanz eines einheitlichen Geodatenmanagements in Rheinland-Pfalz bestätigt und Empfehlungen dazu formuliert, wurde Mitte August an den CIO der Landesregierung, Staatssekretär Randolf Stich, (4. v. l.) übergeben. Foto: BS/Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz

“Es zeigt sich, dass nutzerorientierte Ansätze sich bewähren, da eine große Bandbreite an Personen eingebunden werden kann”, betont Dr. Rubina Zern-Breuer, Koordinatorin des WITI-Projekts

und Leiterin des dazugehörigen Innovationslabors an der Universität Speyer. Sie freue sich, dass sich das Innenministerium “offen und mutig” für das Vorgehen gezeigt habe und nun von

Schlüsselwort Interoperabilität Diese Erkenntnisse werden durch die Analyse des Rechtsrahmens gestützt, wie Prof. Dr. Margrit Seckelmann, Geschäftsführerin des Forschungsinstituts für Öffentliche Verwaltung Speyer, erläutert: “Das Schlüsselwort lautet in den neuen Rechtsnormen: Interoperabilität. Insofern

ist das Angebot eines Basisdienstes eine sinnvolle Maßnahme, die auch im Sinne der europäischen INSPIRE-Richtlinie wäre.” Voraussetzung hierfür sei jedoch Standardisierung, sodass eine ressortunspezifische bzw. -übergreifende Basisinfrastruktur mit gemeinsamen Basis- und Querschnittsdiensten im Bereich der verwaltungsspezifischen IT aufgebaut werden müsse. Durch weitere ergänzende Maßnahmen, wie beispielsweise eine Synchronisierung und Vereinheitlichung der Geodatenanwendungen/ -portale, seien Effizienzgewinne zu erwarten. “Digitalen Daten und insbesondere Geodaten kommt eine fundamentale Bedeutung für die Modernisierung des öffentlichen Sektors zu. Im Rahmen des Projekts konnten wichtige empirische und konzeptionelle Vorarbeiten geleistet werden, um die organisatorischen Rahmen-

Mitarbeitergesundheit im Homeoffice Belastende Vermischung von Berufs- und Privatleben?

duktivität und intuitive Kommunikation mit den Kollegen ermöglicht, ohne Abstriche bei der Sicherheit zu machen.

Freiheit stärken, soziale Räume bieten

(BS/Oliver Ebel) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice zu senden, fällt vielen Behörden nicht leicht. Zum Verwaltungs- und TechnikAufwand gesellt sich die wichtige Frage: Wie gesund ist das Homeoffice wirklich? Gibt es dort nicht eine belastende Vermischung von Berufs- und Im Homeoffice teilen sich MitarPrivatleben? Oder leidet die Produktivität? Oliver Ebel von Citrix präsentiert aktuelle Zahlen, die überraschen. beiter ihre Zeit selbstständiger Drittel der Befragten arbeitete mehr, im Schnitt 1,5 Stunden. Allerdings arbeiteten die meisten Menschen ebenso lange im Homeoffice wie im Büro (47 Prozent) und sparten sich dabei die An- und Abreise. Für Pendler bedeutet das dann mitunter einen großen Gewinn an nutzbarer Freizeit. Hinzu kommen noch Kostenersparnisse durch den Wegfall des täglichen Weges zur Arbeit. Jeder Fünfte konnte im Homeoffice sogar Zeit sparen und arbeitete im Schnitt 1,5 Stunden weniger! Die gewonnene Zeit verbrachten die meisten Menschen mit mehr Schlaf, mehr Sport oder mit Hingabe an ihre Hobbies.

Flexibler und vermischter Alltag Gegen Homeoffice wurde oft vorgebracht, dass die Mitarbeiter dort alles Mögliche tun würden, außer produktiv zu arbeiten. Ein weiteres Vorurteil lautet

dementsprechend, im Homeoffice vermische sich Privates mit Geschäftlichem. Darunter leidet aber, wenn, dann nicht die Arbeit – wie von vielen Führungskräften befürchtet –, sondern eher das Privatleben. In der Citrix-Umfrage zeigt sich tatsächlich: Für einige Menschen stellt das Abschalten eine Herausforderung dar, wenn es keine räumliche Trennung mehr von zu Hause und Arbeitsplatz gibt: 28 Prozent haben Probleme, rechtzeitig Feierabend zu machen. Jeder Fünfte schafft es nicht – und verschiebt den Arbeitsschluss in den späten Abend. Auf der anderen Seite kommt mit der Freiheit auch der Vorteil, dann zu arbeiten, wenn es gut in den Tag passt: Die Mehrheit der Befragten (51 Prozent) freute sich über die große Flexibilität, die 24 Prozent dazu nutzten, effizienter zu arbeiten und mehr Zeit für andere

Dinge im Leben zu schaffen.

Produktivität steigt, Kontrolle schwindet 77 Prozent arbeiten im Homeoffice gleich produktiv oder produktiver als im Büro. Das ist ein weiterer Effekt der gewonnenen Freiheit, Arbeiten sinnvoll zu erledigen statt nach einem starren Hie­ rarchiemuster: Knapp ein Drittel der Befragten (30 Prozent) gab an, die temporäre Abschaffung der traditionellen Bürohierarchie habe sie deutlich produktiver gemacht. Sicherlich trägt dazu auch bei, dass es zu Hause in der Regel weniger Ablenkung gibt und nicht bereits morgens Stress beim Pendeln entsteht. Allerdings verliert der Arbeitgeber auch leichter die Kontrolle

Oliver Ebel ist Area Vice President DACH bei Citrix.

Foto: BS/Citrix

über die Art und Weise, wie gearbeitet wird. Über ein Drittel der von Citrix befragten Arbeitnehmer (36 Prozent) nutzten im Homeoffice Software und Tools, die von der IT-Abteilung nicht genehmigt oder sogar explizit verboten wurden. Produktivität und Effizienz sind den Nutzern also meist wichtiger als Sicherheit – das zeigt das Homeoffice einmal mehr. Unternehmen und Behörden sind daher gefordert, ihren Angestellten Software zur Verfügung zu stellen, die Pro-

“Der digitale Aktenschrank to go”

Über 300 Digitallotsen

(BS) Vor mehr als 2000 Jahren gegründet, ist Trier die älteste Stadt Deutschlands und kann mit neun UNESCO-Weltkulturerbestätten aus nahezu allen Epochen auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken. Alt bedeutet aber nicht gleich von gestern. In Sachen Digitalisierung ist die Verwaltung der Universitätsstadt nämlich sehr gut aufgestellt.

Dirk Eis ist Beteiligungsmanager bei der Stadt Trier. Foto: BS/privat

Jahren weiter in den Fokus des Beteiligungsmanagements gerückt ist. Bereits Anfang der 2000er-Jahre hatte Trier die Notwendigkeit einer zentralen Datenablage für alle wichtigen Unternehmensdaten erkannt. Zunächst nutzten die Mitarbeiter eine intern programmierte Lösung.

Im Laufe der Zeit zeigte sich jedoch, dass die zunehmende Flut an Daten in keinem ausgewogenen Verhältnis zum Aufwand und der gewünschten Performanz stand. Der Umstieg zu einem professionellen Softwareanbieter wurde unausweichlich. Doch bereits die Beschaffung stellte Kommune und

Beteiligungsmanager vor Herausforderungen. Dirk Eis, Beteiligungsmanager der Stadt, berichtet: “Die Suche nach einer professionellen Software als Ersatz für die Eigenlösung verlief zunächst sehr ernüchternd. Nur wenige Softwarelösungen konnten alle von uns gewünschten Funktionen abbilden. Auch wichen die von den Anbietern aufgerufenen Preise in Teilen sehr stark voneinander ab.” Dennoch wurde die Stadt Trier fündig. “Wir haben uns am Ende für die Lösung entschieden, die gemäß unseren Anforderungen die größte Kosten-Nutzen-Relation unter den Anbietern

liefert”, so Eis. Fidas Software biete neben einer vollumfänglichen Verwaltung von Stammund Finanzdaten einen hohen Anpassungsgrad im Berichtswesen. “Die Erstellung des Beteiligungsberichts wird stark vereinfacht. Nach der Dateneingabe lässt sich das inzwischen über 300 Seiten starke Werk nahezu auf Knopfdruck generieren”, erklärt Eis. Auch die klar vorgegebenen Strukturen des Programms unterstützten die Bedienbarkeit und Übersicht im Alltag. Eis findet klare Worte: “Fidas ist für uns der ideale Begleiter rund um alle Beteiligungsdaten. Die webba-

ein, viele mit Gewinn. Andere leiden unter fehlenden Strukturen. Hier kann der Arbeitgeber helfen – etwa mit Rahmenvorgaben, die auch im Homeoffice gelten. Doch was Menschen im Homeoffice am meisten vermissen, das sind ihre Kollegen: 64 Prozent denken gerne an die soziale Atmosphäre im Büro. Am Ende zählt das Gleichgewicht: Zwischen Vertrauen und Kontrolle, zwischen Struktur und Freiheit, zwischen Arbeit und sozialem Beisammensein. Daher wird es in den seltensten Fällen zu einer vollständigen Schließung von Büros kommen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich in Zukunft flexiblere Arbeitsmodelle etablieren werden, in denen Mitarbeiter zwischen Homeoffice und Büro individuell wechseln können. Ausgerüstet mit moderner Technologie können sie dennoch überall produktiv sein – sei es im Büro, zu Hause oder unterwegs.

MELDUNG

Modernes Beteiligungsmanagement bei der Stadt Trier

Als Teil der städtischen Kernverwaltung besteht das Beteiligungsmanagement aus vier Mitarbeitern, die über 60 mittelbare und unmittelbare Beteiligungsunternehmen betreuen. Darunter fallen Aufgaben der Beteiligungsverwaltung und des Beteiligungscontrollings, der Mandatsträgerbetreuung sowie des Risikomanagements. Ursprünglich als reines Beteiligungscontrolling konzipiert, hat sich der Bereich in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt. Die Komplexität des wachsenden Beteiligungsportfolios führte dazu, dass die strategische Beteiligungssteuerung in den letzten

bedingungen für ein leistungsfähiges landesweites Geodatenmanagement zu schaffen”, stellt Marco Brunzel, Leiter Digitalisierung und E-Government der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, zusammenfassend fest. Das auf zwei Jahre angelegte Projekt “Voruntersuchung zur Einführung eines einheitlichen Geodatenmanagements in Rheinland-Pfalz (rlp-GDM)” (Übergabe des Projektauftrags: April 2019) soll unter Federführung der IT-Zentralstelle im Ministerium des Innern und für Sport Basis- und Querschnittsdienste für Geodaten entwickeln. Im Mittelpunkt steht dabei die Konzeption eines Sollzustands insbesondere in organisatorischer, IT-technischer und verwaltungswirtschaftlicher Hinsicht. Durch verbindliche, ressortübergreifende Standards sollen vielfältige Synergieeffekte im Geodatenmanagement erzielt werden. Der Kongress “Digitale Verwaltung RLP” (www.dv-rlp.de), den der Behörden Spiegel in Kooperation mit Innenministerium am 24. November 2020 in Mainz veranstaltet, wird dem Thema “Geodatenmanagement” ein eigenes Fachforum widmen, in dem u. a. auch von diesem Projekt berichtet wird.

sierte Software dient uns während Sitzungen als eine Art digitaler Aktenschrank to go. Auch haben wir die Möglichkeit, schnell und einfach Datenmaterial zu erfassen und nach unseren Wünschen auszuwerten.” Der webbasierte Zugriff bietet für die Stadt Trier zusätzlich klare Vorzüge. “Fidas ist unser ständiger Begleiter in Gremiensitzungen und Beratungsterminen. Über Tablet und Laptop sind wir in der Lage, jederzeit auf die aktuellen Daten zuzugreifen. Diese Möglichkeit hat sich insbesondere während der corona-bedingten Homeoffice-Phasen als äußerst hilfreich erwiesen.”

(BS/gg) Zur Unterstützung der Digitalisierung in den bayerischen Kommunen ist im Oktober 2019 das Projekt “Digitallotsen” auf den Weg gebracht worden. Diese sollen mit den wichtigsten Grundlagen zu Digitalisierungsfragen in der Kommunalverwaltung ausgestattet werden, um den Kolleginnen und Kollegen in ihren Behörden mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Mittlerweile haben rund 320 Teilnehmer die viertägige Schulung absolviert. Digitalministerin Judith Gerlach freut sich, “dass das Programm so gut angenommen wird. Die Digitallotsen sind wichtige Multiplikatoren bei der Digitalisierung der Verwaltung in den bayerischen Kommunen. Sie können notwendige Transformations- und Veränderungsprozesse anstoßen und dienen so als Impulsgeber für Digitalisierungsprojekte in den Gemeinden, Städten, Landkreisen und Bezirken.”


Informationstechnologie

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ut ein Jahr liegt es zurück, dass die erste Förderrunde des vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) aufgelegten Digitalisierungsprogrammes Modellprojekte Smart Cities gestartet wurde. Zwar befindet sich das Gros der insgesamt 13 designierten Kommunen noch in der zweijährigen Strategiephase, doch laufen inzwischen vereinzelt schon die Pilotprojekte an. Zu den Vorreitern zählt die “herzlich digitale” Stadt Kaiserslautern, wo bereits 2019 mit der Umsetzung des Teilvorhabens “Smarte Lichtmasten: Sicherheit durch Beleuchtung” begonnen wurde. Seitdem ist die Teststrecke am Fauthweg in Betrieb. Der Clou: Die in den Straßenlaternen verbauten LEDs sind nicht nur energieeffizienter als traditionelle Leuchten, über ein Gateway können sie zudem mit einem zentralen Server kommunizieren, der eine individuelle Anpassung der Lichtintensität ermöglicht. Was sich zunächst nach einer technischen Spielerei anhören mag, hat sicherheitsrelevante Funktionen, beispielsweise bei der Ausleuchtung potenzieller Einsatzstellen für Polizei und Feuerwehr. Doch das Anwendungsfeld ist breiter. Denn die LEDs verfügen zusätzlich über Sensoren, die Temperaturschwankungen wahrnehmen und für den Fall, dass ein Abfall unter null Grad gemessen wird, gleich einen Warnhinweis auf den Boden projizieren. Aufgrund der enormen Vorteile, die eine digitale Vernetzung von Objekten schon heute biete, werde sich der Stellenwert von IoTAnwendungen bei der Städte-

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Ein Licht aufgegangen In Kaiserslautern sollen IoT und IT-Sicherheit Hand in Hand gehen (BS/pet) Stand die Smart City bereits vor der Corona-Krise hoch im Kurs, sind ihre Aktien seither noch gestiegen. Doch ist bekanntlich nicht alles Gold, was glänzt. Denn so groß der Komfort sein mag, den das Leben in der digital vernetzten Stadt bietet, die Smart City birgt Risiken eigener Art. Vermehrt betroffen sind dabei Geräte des Internet of Things (IoT), also smarte Apparaturen zur Messung von Wetterdaten oder zur Regulation von Licht- und Ampelanlagen. In Kaiserslautern, wo derzeit im Rahmen des Bundesförderprogrammes Modellprojekte Smart Cities ein eigenes IoT-Vorhaben umgesetzt wird, versucht man, Sicherheit und digitale Innovation miteinander zu verbinden. Seit diesem Jahr ist die Stadt auch Teilnehmer der vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) durchgeführten Studie SMIoTI.

Intelligente Lichtkonzepte sind nur eine Spielform des Internets der Dinge, dessen Anwendungen bei der Planung der intelligenten Stadt von morgen immer wichtiger werden. Foto: BS/Fotorech, pixabay.com

planung künftig noch vergrößern, prognostiziert Dr. Martin Verlage, Geschäftsführer der mit der Projektumsetzung betrauten KL.digital GmbH, eine Tochter der Stadt Kaiserslautern. Große Potenziale sieht der Smart-CityExperte überdies bei der Regulierung des Verkehrsflusses oder der sensorischen Kontrolle des Feuchtigkeitsgehaltes im Erdreich: mit Blick auf die Wasserarmut der vergangenen Monate ein besonders dringliches Problem.

Verspätung als Chance Doch will man in der Pfalz durch Einsatz des Internets der Dinge nicht nur smarter werden, sondern seine technischen Helfer gleich auch gegen Cyber-Angriffe aus dem Netz abschirmen. Und erkennt damit die Zeichen der Zeit: Denn laut Threats-Report des IT-Dienstleisters McAfee soll die Anzahl der auf IoT-Geräte spezialisierten Malware im ersten Quartal 2020 um 58 Prozent gestiegen sein. Vor dem Hintergrund, dass die Menge smarter

Geräte im öffentlichen Raum beträchtlich zugenommen habe, komme dem Faktor “Verlässlichkeit im Sinne von Cyber Security” heute eine immense Bedeutung zu, bestätigt Kaiserslauterns Oberbürgermeister, Dr. Klaus Weichsel. Seit dem Frühjahr ist das Lichtprojekt seiner Kommune Teil der BSI-Studie “Secure Municipal Internet of Things Infrastructures”, kurz SMIoTI, an der außerdem die Städte Haßfurt, Solingen, Wolfsburg, Delbrück, Paderborn, Dresden und Ulm mitwirken. Ziel der noch bis Mitte 2021 andauernden Studie ist es, Smart-City-Projekte auf sicherheitstechnische Erfordernisse hin zu analysieren. Wie bei den Modellprojekten, von denen – Kaiserslautern hinzugerechnet – insgesamt vier Kommunen an der BSI-Studie teilnehmen, liege der Fokus auf dem Prinzip der Nachnutzbarkeit und des Wissenstransfers, erklärt BSI-Präsident Arne Schönbohm. Dabei könne sich der Umstand, dass die allermeisten SmartCity-Infrastrukturen noch “in den Kinderschuhen” steckten, beim Thema Sicherheit als eine Chance erweisen: Statt im Nachgang Anpassungen vornehmen zu müssen, könne man, ausgehend

von den im Rahmen der Studie gesammelten Erkenntnissen, Empfehlungen als Basis für zukünftige Standards entwickeln, führt Schönbohm aus. Eine erste Auswertungsphase konnte bereits gestartet werden. Sie dient zunächst der Charakterisierung der Einzelvorhaben, bevor es in den Detailuntersuchungen an die Analyse der Lösungen vor Ort geht. Für Kaiserslautern, wo neben den intelligenten Lichtmasten jüngst noch drei weitere smarte Infrastrukturprojekte in Betrieb genommen wurden, dürften die bis dato erzielten

Ergebnisse schon relevant werden. Von der zweiten Staffel der Modellprojekte Smart Cities ganz zu schweigen. Diese ist trotz Corona-bedingter Verschiebungen bereits im Mai unter dem Motto “Gemeinwohl und Netzwerkstadt / Stadtnetzwerk” angelaufen. Dieser Tage wird nun eine Jury darüber befinden, welche Kommunen die überzeugendsten Konzepte für die digitale Stadt der Zukunft vorlegen konnten. Die rund 150 Millionen Euro, die der Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ursprünglich für Staffel zwei in Aussicht stellen wollte, wurden durch das Konjunkturpaket nochmals deutlich aufgestockt. Wie aus der Antwort auf eine kleine Umfrage der FDP (Drucksache 19/20830) hervorgeht, stehen damit für die Jahre 2019 bis 2021 insgesamt rund 820 Millionen Euro zur Verfügung. Ob mit der finanziellen Aufstockung auch ein Upgrade für die IT-Sicherheit einhergeht, bleibt indes abzuwarten.

Keine Insellösung Interamt bietet ein Komplettpaket (BS/Jana Wendig*) Behörden setzen immer öfter auf ein zentrales Bewerbermanagementsystem. INTERAMT bietet eine ganzheitliche Lösung für die Personalsuche im Öffentlichen Dienst.

Der Fachkräftemangel macht auch vor dem Öffentlichen Dienst nicht Halt. Viele Behörden und Ämter konkurrieren zunehmend mit der freien Wirtschaft. INTERAMT-Leiter Marco Prill erklärt: “Eine Hürde für den Einstieg im Öffentlichen Dienst ist für viele immer noch das Gehalt. Finanziell können wir im direkten Vergleich nicht immer mithalten. Deshalb müssen wir zusätzlich mit unseren Stärken punkten: Work-Life-Balance, Wohnortnähe und Relevanz sind Benefits, die gerade jungen Menschen immer wichtiger werden.” Doch auch die besten Arbeitsbedingungen erfordern ein effizientes Personalmanagement. Denn noch immer kommt es häufig zu internen Verzögerungen, die sich auf die Ausschreibung, den Bewerbungsprozess und zuletzt auch auf die Besetzung der Stellen auswirken. Wenn dann noch Bewerber lange auf eine Rückmeldung warten müssen, sind diese meist schon woanders fündig geworden. Deshalb entscheiden sich bereits jetzt immer mehr Arbeitgeber für ein zentrales Bewerbungsmanagement mit INTERAMT, das mit seinem ganzheitlichen Ansatz eine effiziente und datenschutzkonforme Komplettlösung bietet. “Schnelligkeit ist ein wichtiges Erfolgskriterium”, bestätigt Prill. “Wer schnell reagiert und direkt auf die Bewerber zugeht, hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.” Aus diesem Grund bringt Interamt Stellensuchende und Arbeitgeber auf einer gemeinsamen Plattform des Öffentlichen Dienstes zusammen und setzt dabei auf den direkten Kontakt zum

Foto: DVZ GmbH

Bewerber. Es können individuelle Textvorlagen automatisiert versendet werden - von der Eingangsbestätigung bis hin zur Einladung oder Absage. Das spart Zeit und erhöht die Zufriedenheit der Bewerber. Prill bestätigt: “Immer mehr Kunden des Bundes, der Länder und Kommunen entscheiden sich für INTERAMT, denn bei uns kommt alles aus einer Hand. Außerdem legen wir höchsten Wert auf Datenschutz.” Die Umstellung auf INTERAMT ist denkbar einfach, denn das Tool ist spezialisiert auf die behördlichen Personalprozesse. Spezifische Bewerbungsformulare können problemlos integriert und die Reichweite, der Geltungsbereich oder der Bewerberkreis flexibel eingestellt werden. Und das ganz ohne teure Investitionen in neue Technik oder Geräte. Interamt ist eine SaaS-Lösung (SaaS steht für Software as a Service) und kann daher einfach, digital und mobil bedient werden. “Das Corona-Virus hat für uns keine Einschränkungen bedeutet – unsere Kunden konnten einfach von zuhause aus arbeiten”, erinnert sich Prill an die vergangene Zeit des pandemiebedingten Lockdowns, der auch das Thema “Zukunftssicherheit” wieder mehr in den Vordergrund gerückt hat. Sicherheit ist aktuell wichtiges Kriterium für viele Arbeitnehmer. Gesucht werden Jobs mit Perspektive, Relevanz und eben einem geringen Risiko – also der perfekte Ansatzpunkt für den Öffentlichen Dienst. Jetzt gilt es, diesen auch zu nutzen. *Jana Wendig ist Marketing­ koordinatorin für INTERAMT.


Digitale Souveränität

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Regelmäßige Themenseite in Kooperation mit:

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

September 2020

Kompetenzzentrum Öffentliche IT

Digitale Souveränität – vom strategischen Umgang mit Abhängigkeiten Bei digitaler Souveränität geht es um den bewussten Umgang mit verschiedenen Abhängigkeitsgraden. Hierzu bedarf es deren systematischer Identifikation und Bewertung. Digitale Souveränität wird derzeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kontrovers diskutiert. Im Erhalt, Wiedererlangen und Vergrößern digitaler Souveränität lässt sich bereits eine neue Staatsaufgabe erkennen. Dabei soll digitale Souveränität dazu beitragen, dass der Staat seine Aufgaben auch bei zunehmender Digitalisierung erfüllen und öffentliche Leistungen verlässlich erbringen kann. Es gilt also zu vermeiden, dass der Staat durch fehlenden Zugang zu oder unzureichende Kontrolle über Digitaltechnologien in seiner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. Und tatsächlich sind Deutschland und die EU in kritischen gesellschaftlichen Bereichen auf digitale Dienste, Infrastrukturen und Komponenten angewiesen, deren Entwicklung, Produktion und Betrieb maßgeblich nicht der eigenen Kontrolle unterliegen. Derartige Abhängigkeiten wurden z. B. für proprietäre Softwareprodukte in der Bundesverwaltung und für außereuropäische Mikroelektronik in ganzen Branchen bereits problematisiert. Obwohl Abhängigkeiten in der Digitali-

sierung weder neu noch außergewöhnlich sind, blickt der Staat seit einigen Jahren zunehmend kritisch auf die damit einhergehenden Schmerzpunkte, also ihren potenziell negativen Folgen. Was passiert, wenn bestimmte Softwarefunktionalitäten durch Diensteanbieter einfach abgeschaltet werden oder hochspezifische digitale Komponenten durch die Intervention von Drittstaaten nicht mehr beschafft werden können? In der Folge entsteht ein stärkerer staatlicher Gestaltungsanspruch, der sich unter dem Label digitale Souveränität äußert. Schon der Begriff der Souveränität scheint zu der Annahme zu verleiten, es handle sich hierbei um einen absoluten, binären Zustand: der Staat ist souverän oder eben nicht. Die Gestaltungsaufgabe bestünde dann darin, sich durch die Beseitigung von digitalen Abhängigkeiten aus dem Zustand der Nicht-Souveränität in den der Souveränität zu versetzen. Schaut man sich jedoch an, wie voraussetzungsvoll schon einfache Aktivitäten wie das Aufrufen einer Website oder das Versenden einer E-Mail sind, wird deutlich, dass fast jede digitale Anwendung in ein ganzes Netz technischer Abhängigkeiten verwebt ist. Die Komponenten dieses Netzes werden wiederum in verschiedenen Konstellationen internationaler Arbeitsteilung und Kooperation bereitgestellt. Ein differenzierter Umgang mit digitalen Abhängigkeiten macht so sehr schnell deutlich, dass Abhängigkeiten weder komplett vermeidbar noch per se problematisch sein müssen. Bei einer differenzierten Be-

bis hin zur Betriebssouveränität, ob also digitale Systeme in eigener Regie aufgesetzt und betrieben werden können. Prinzipiell lassen sich für jede technische Komponente einer Leistung alle Souveränitätsdimensionen einzeln analysieren. In jeder Souveränitätsdimension ist mal mehr, mal weniger staatliche Gestaltungsmöglichkeit – also unterschiedliche Grade digitaler Souveränität – gegeben, nötig und möglich. Daraus ergeben sich Grundelemente einer Bewertungsmatrix, um für konkrete Leistungen sowohl Ist- als auch Soll-Grade digitaler Souveränität zu bestimmen. Hieran anknüpfend kann der Staat auf verschiedeDigitale Souveränität soll dazu beitragen, dass der Staat seine Aufgaben auch ne Instrumente zur Ausweitung bei zunehmender Digitalisierung erfüllen und öffentliche Leistungen verlässlich seiner Gestaltungsmöglichkeiten Grafik: BS/ÖFIT zurückgreifen. Das Spektrum der erbringen kann. Instrumente reicht vom kleinteiligen Abhängigkeitsmanagement trachtung sollte es also um die planvolle die eingesetzten Lösungen variieren und – z. B. durch verschiedene Arrangements Wahl von und den strategischen Umgang diverse Software- und Hardwarekompo- der Bereitstellung bis hin zur Eigenerstelmit verschiedenen Abhängigkeitsgraden nenten zum Einsatz kommen. Die Anforde- lung – bis zur Umsetzung übergeordneter gehen. Ausgangspunkt hiervon muss die rungen an digitale Souveränität variieren technologiepolitischer Strategien für den systematische Identifikation und Bewer- je nach betrachteter Stufe im Lebenszyklus Umgang mit Schlüsseltechnologien. tung von Abhängigkeiten sein – und zwar einer digitalen Komponente. So lassen sich Wie eine strukturierte Bewertung von jeweils mit Blick auf konkrete öffentliche auch verschiedene Souveränitätsdimensi- digitalen Abhängigkeiten im Detail Aufgaben und die zu ihrer Erfüllung einge- onen aufspannen. Diese reichen von der aussehen kann und welche weiteren setzten technischen Komponenten. Forschungssouveränität, ob also hinrei- Gestaltungsoptionen Staat und VerStartpunkt einer systematischen Analyse chende Fähigkeiten und Ressourcen für waltung offenstehen, erfahren Sie im muss daher die Identifikation aller für eine Forschungsarbeiten vorhanden sind, über demnächst erscheinenden ÖFIT-WhiteLeistungserstellung eingesetzten IT-Kom- die Produktionssouveränität, ob die Pro- Paper “Digitale Souveränität als strateponenten in allen Prozessstufen sein. In duktionsmittel und Fähigkeiten zur Ferti- gische Autonomie”: www.oeffentlicheden verschiedenen Prozessstufen können gung von digitalen Produkten existieren, it.de/publikationen.


Digitale Souveränität

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ach den USA haben auch Australien, Großbritannien und Frankreich Huawei formell vom Netzausbau ausgeschlossen. In Ländern wie Italien wird das Unternehmen schlicht nicht eingeladen, sich an Ausschreibungen zu beteiligen. In Deutschland haben sich Kanzleramt und Wirtschaftsministerium damit durchgesetzt, keine Anbieter pauschal auszuschließen. Stattdessen werden Sicherheitsanforderungen für die Netzbetreiber verschärft. Sie müssen in Netzen mit “erhöhtem Gefährdungspotenzial” kritische Komponenten identifizieren und für deren Zertifizierung Sorge tragen. Kriterien soll die Bundesnetzagentur gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) festlegen. Letzteres führt auch die Sicherheitszertifizierungen durch. Damit greift die Bundesregierung dem langerwarteten IT-Sicherheitsgesetz 2.0 vor, das im besten Fall noch im Herbst beschlossen wird (Vgl. Behörden Spiegel Juni 2020, S. 30). Das Bundesinnenministerium (BMI) sieht im Referentenentwurf für sicherheitskritische Komponenten in IT-Systemen aller Kritischen Infrastrukturen Zertifizierungszwang vor.

… Kontrolle ist besser Statt also die ewige politische Diskussion warmzuhalten, ob oder ob nicht Huawei Hintertüren für chinesische Spionage offenhält, versucht die Bundesregierung dort anzupacken, wo sie sich ein Stück Kontrolle verschaffen kann. Den Gedankengang erläutert Andreas Könen, Leiter der Abteilung Cyber- und Informationssicherheit im BMI: “Die europäischen Staaten hatten sich lange intensiv für freien, globalen Handel und weitgehende Vernetzung ausgesprochen. Jetzt stellen sich Fragen der Informationssicherheit dadurch, dass wir an vielen Stellen nicht Herr der Unternehmen sind, die unsere IT-Produkte herstellen und dass wir nicht tief in deren Organisation hineinschauen können.” Tieferen Einblick will man nun zumindest auf Produktebene zur Voraussetzung machen. So ließe sich zumindest feststellen, ob die Komponenten technisch sicher sind. Dass damit das Problem nicht aus der Welt ist, dürfte aber klar sein. “Die Interessenlagen sind in komplexester Weise verwoben. Natürlich geht es auch um Machtpolitik, das ist keine Frage”, so Könen weiter. “Mit Nordamerika und Ostasien befinden sich zur Zeit ausgerechnet die beiden

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ie Souveränität der Verwaltung hängt operativ stark mit dem Management von Daten zusammen. Dafür erstellen Menschen die Definition der Datenfelder, Logiken und Bearbeitungsschritte. Es geht um nicht weniger als die Erfassung der gesamten Fachlichkeit. So wurden in der Vergangenheit Bürger- und Unternehmensanliegen verwaltet, so wird es auch in der digitalen Zukunft sein. Gerade weil aber die Digitalisierung etwa mit den Möglichkeiten der Abfragen, Validierungen und automatischen Berechnungen komplex ist, müssen Behörden operativ souverän arbeiten können. Auch und gerade bei OZG-Umsetzungen. Geprägt sind die Branchendiskussionen um eine digitale Souveränität aber vielfach von Fragen wie “welcher Softwareanbieter?” und “wo liegen die Daten, wem gehören sie?”. Die Ziele sind ähnlich: weniger Abhängigkeit von einzelnen Anbietern und mehr Kontrolle über Daten.

Souveränität der Fachabteilung Bei diesen Souveränitätsrufen ist aber fast nie die Rede von den Mitarbeiterinnen und Mit-

Behörden Spiegel / September 2020

Märkte unseres Vertrauens Wo sichere Informationstechnik kaufen? (BS/Benjamin Stiebel) Mit neuen US-Sanktionen geht der Konflikt um den Einsatz von Huawei-Technik in 5G-Mobilfunknetzen weiter. Viele Staaten haben sich inzwischen für einen Ausschluss Huaweis vom Netzausbau entschieden. Die Bundesregierung scheut diesen Schritt. Sie setzt auf technische Prüfungen. Ob sich dieser Ansatz unter dem wachsenden Druck durchhalten lässt, ist fraglich. Der Konflikt zeigt: Informationssicherheit wird immer mehr zur geopolitischen Frage. Entsprechend werden Rufe nach Alternativen aus Deutschland und Europa lauter. Dazu müsste die hiesige Industrie aber konkurrenzfähige Angebote machen können. Hilfe erhofft sie sich vom Staat – durch Förderung und bewusstere Beschaffung.

Einmal hin, alles drin – und meistens das, was man kennt. So komfortabel kann Einkaufen sein, ob im Supermarkt oder beim Netzwerktechnik-Vollsortimenter. Wer dagegen besondere Ansprüche hat oder kleine lokale Anbieter unterstützen will, muss länger suchen und vergleichen. Das kostet Zeit und Geld. Foto: BS/Minerva Studio, stock.adobe.com

Regionen, die einen Großteil unserer IT liefern, in einer Auseinandersetzung, in deren Mitte wir uns befinden”, erklärt der Abteilungsleiter in einer Diskussionsrunde auf Digitaler Staat Online. Und diese Auseinandersetzung hat es ins sich. Jüngst hat das US-Handelsministerium die Beschränkungen für Huawei ausgeweitet. Dem Netzwerkausrüster ist damit der Zugang zu bestimmten Dienstleistungen und zu Computerchips entzogen. Damit könnte es schon bald zu Lieferengpässen bei Huawei-Produkten kommen. Netzbetreiber weltweit wären gezwungen auf andere Lieferanten umzusteigen. Das ist ein Problem, denn die deutschen 4G-Mobilfunknetze basieren zu über der Hälfte auf Huawei-Technik. Sie bilden auch das Grundgerüst für den 5G-Ausbau. Für Europa und Deutschland geht es aber längst nicht nur um 5G. Unsere ganze IT-Vernetzung und damit ein Großteil unserer Wertschöpfung und Daseinsvorsorge hängt von Produkten aus den USA und China an: Chips, Komponenten für Lokale und Weitverkehrsnetzwerke, Server, Betriebssysteme, Standardsoftware, IT-Sicherheitslösungen. Zumindest dort, wo sicherheitskritische Systeme oder sensible Daten im Spiel sind, wäre Vertrauen in die Lieferanten notwendig. Das ist aber nicht selbstverständlich, nicht gegenüber China und auch nicht gegenüber den

USA. “Die Prüfung der technischen Sicherheit reicht nicht aus, um Vertrauen in Hersteller oder Produkte zu garantieren”, betont Isabel Skierka, Forscherin am Digital Society Institute in Berlin. “Europa positioniert sich im Moment geopolitisch und strategisch in Fragen von 5G und anderen Schlüsseltechnologien.” Instrumente zur Regelung technischer Sicherheit seien in der Gemengelage nicht ausreichend. “Wir brauchen auch industriepolitische und Maßnahmen”, so Skierka weiter. Sie verweist auf die Toolbox zur 5G-Einführung, mit der die EU-Kommission den Mitgliedstaaten unter anderen wettbewerbsrechtliche Maßnahmen und die Überwachung von Lieferketten anempfiehlt.

Vertrauen als Vertragssache Die Bundesregierung will für kritische Komponenten Vertrauenserklärungen einfordern. Lieferanten sollen detaillierte Zusagen zur Integrität ihrer Produkte und zur Zusammenarbeit bezüglich Sicherheitsfragen machen. Sie sollen außerdem erklären, keine Informationen an Dritte oder Stellen im Ausland weiterzugeben und dass sie keinen Zwängen unterliegen, die zu so einer Weitergabe führen könnten. Die Einhaltung soll mit individuell auszuhandelnden Vertragsstrafen gesichert werden. Mit derlei Herstellererklärungen gibt es bereits Erfahrungen. Nach

dem NSA-Skandal 2013 wurden “No-Spy-Klauseln” bei Beschaffungen des Bundes verbindlich. In einem kritischen Fall verweigere das BMI deshalb seit Jahren neue Verträge, weil der Anbieter sei nicht zur Unterzeichnung bereit sei, erzählt Abteilungsleiter Könen. Das, obwohl die IT-Ausstattung im entsprechenden Segment nun schwierig sei. “Es gibt viele gut gemeinte Ansätze und Regeln, die klar Integrität und Vertraulichkeit fordern”, räumt auch Ralf Koenzen ein. Die Beschaffungspraxis sei aber trotzdem weitgehend unverändert geblieben, kritisiert der CEO des deutschen Netzwerkkomponentenanbieters Lancom Systems. “Im Zweifel wird auf Marktversagen verwiesen und gesagt, es gebe kein deutsches Produkt, das das ausländische eins zu eins ersetzt, damit man alte Produkte weiter beschaffen kann.” Es sei für hiesige Anbieter schon schwer, überhaupt nur in Beschaffungskataloge zu kommen. Die würden massiv von den etablierten amerikanischen und asiatischen Herstellern verteidigt. Die erhebliche Marktmacht der großen Player macht es den Kunden schwer, den Blick für Alternativen zu entwickeln. “Es spielt leider nicht immer die entscheidende Rolle, welcher Anbieter das technisch beste Produkt baut, sondern eher, wer das größere Budget für Marketing und Sales hat”, bestätigt auch Mario Jandeck,

CEO des Jenaer IT-Sicherheitsanbieters Enginsight GmbH. Bei Ausschreibungen werde zudem häufig nach Preis entschieden. Wo das Produkt herkommt und welche Sicherheitseigenschaften es hat, spiele meist keine Rolle. Auch das Vergaberecht steht der Sicherheit zuweilen im Weg. “Ich dränge darauf, Informationssicherheit im europäischen Vergaberecht endlich zum Ausschlusskriterium zu machen”, sagt Könen. Bei militärischen oder nachrichtendienstlichen Beschaffungen ginge das, im Informationssicherheitsbereich nicht. Könen: “Ich möchte mir nicht erneut von einem Vergabegericht sagen lassen, dass ich bestimmte Anforderungen in der Ausschreibung gar nicht hätte stellen dürfen.”

Regional einkaufen Aber gibt es überhaupt echte Alternativen zu den etablierten Playern aus Deutschland? In Teilen schon, sagt Könen. “Wir sind stark bei Hardware und Software für Sicherheitszwecke, insbesondere bei Halbleitertechnologien.” Das Problem: Die Produkte lassen sich oft nicht in bestehende Systeme und Netze einbinden, weil es an offenen Schnittstellen fehlt. Das Dilemma wird besonders im Netzwerksegment deutlich. Hier gibt einige deutsche Herstelle, die gute Lösungen für Vernetzung, Netzwerkmanagement und Verschlüsselung liefern können. Allerdings lässt sich nicht alles in Europa bekommen, einige Komponenten müssen in Amerika oder Asien gekauft werden. Die Platzhirsche verwehren aber in vielen Fällen den kleinen Anbietern die Integration in ihre geschlossenen Systeme. “Wir müssen dafür sorgen, dass sich viele verschiedene Hersteller so gegenseitig ergänzen können, dass daraus ein Vollsortiment zum Beispiel für die Netze des Bundes wird”, so Könen. Solange es an offenen Schnittstellenarchitekturen fehlt, werden europäische Anbieter es schwer haben, in Unternehmensund Verwaltungsnetze zu kommen. Und solange die Absätze gering bleiben, werden sie nicht

Fachlich souverän und unabhängig Modellbasierte Entwicklung schafft Unabhängigkeit (BS/Janos Standt*) Rund um Digitalisierungsprojekte im öffentlichen Sektor wird immer häufiger der Ruf nach der “Souveränität des Staates” laut. Dabei folgt die Verwendung keiner Linie: Mal ist es digitale Souveränität im Allgemeinen, mal Datensouveränität, mal Softwaresouveränität, im Zweifel vermischt mit dem Ruf nach “Open Source”. Eher vergessen scheint der Kern, wenn es um die Umsetzung geht: die Menschen in den Behörden. Sie sollten nicht nur selbstbestimmt mit den IT-Lösungen arbeiten, sondern sie auch gestalten. Damit stellen sie vor allem bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) einen großen Teil wirklicher Souveränität sicher – die Fachsouveränität. Das ELSTER-Team im Bayerischen Landesamt für Steuern (BayLfSt) macht es beispielhaft vor. arbeitern in den Behörden. Dabei sind sie der Schlüssel zur unterschätzten Fachsouveränität: Indem die Fachleute selbst einen entscheidenden Teil der digitalen Anwendung bauen und weiterentwickeln. Modellbasierte Lösungen bieten dafür die Werkzeuge, oft auch assoziiert mit dem Begriff Low-Code-Plattformen. Bei zukunftsfähigen Low-CodePlattformen sind Modelle zentrale Bausteine. Sie sind die eigentliche Brücke zwischen der Software und den Gesetzen und Verordnungen, die hinter Fachverfahren stehen. Zum Vergleich: Menschen können die Gesetzestexte lesen, inhaltlich verstehen und danach handeln, Software und Computer können dies nicht. Sie brauchen Code. Dieser Code entsteht in her-

kömmlichen Projekten über Anforderungsdokumentationen für Entwickler, dem Programmieren sowie anschließenden Tests. Naturgemäß wiederholt sich dieser oft langwierige Prozess bei allen Änderungen. In der modellbasierten Entwicklung formulieren und artikulieren dagegen Fachanwender selbst Modelle, die direkt von Maschinen lesbar sind. So entfallen wesentliche wiederkehrende Entwicklungsaufwände – und die Abhängigkeit von zeitaufwändigen IT-Projekten sinkt. Der Clou: Die fachlichen Expertinnen und Experten in den Behörden können mittels Datenmodellen flexibel und modular beide Seiten abbilden. Sowohl die Bearbeitungsmasken und der voll digitale, medienbruchfreie

Workflow der eigenen Verwaltungssicht lassen sich so gestalten, als auch der digitale Antrag für die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen. Dafür ist kein IT-Spezialwissen notwendig. Wer beispielweise intensiver mit den handelsüblichen Tabellenkalkulationen arbeitet, kann nach Schulungen ebenso Fachverfahren modellieren.

ELSTER: Millionen Codezeilen von Steuerexperten Als Beispiel lohnt ein Blick auf ELSTER, den elektronischen Diensten der Steuerverwaltung, betrieben vom BayLfSt. Von rund 18 Millionen Zeilen Programmcode der ELSTER-Anwendungen stammen nur knapp über eine Million Zeilen von Softwareent-

wicklern. Über 16 Millionen Zeilen Code sind durch Modelle generiert. Und jedes Jahr modellieren die Steuerexpertinnen und -experten im BayLfSt die meist sehr umfangreichen und komplexen Änderungen der Steuergesetzgebung. Zudem müssen die Änderungen oft mit wenig Vorlauf in den Datenfeldern, den Regeln und Berechnungslogiken umgesetzt werden. Mit einem herkömmlichen Entwicklungsprozess wäre dies nicht möglich.

Souveränität per Low Code mit Zukunftssicherheit Für den modellbasierten Ansatz gibt es kaum Grenzen. Neben Anträgen und den Fachverfahren aller Art ist der modellbasierte Ansatz für die Umsetzung von

zu konkurrenzfähigen Preisen produzieren und starke Marketing- und Vertriebsstrukturen aufbauen können. Was tun? Fördern und bewusster einkaufen, lautet die Antwort der deutschen Anbieter. “Es gibt schon gute Förderprogramme in Deutschland, die zum Beispiel innovative Start Ups unterstützen”, sagt Enginsight-CEO Jandeck. “Aber in anderen Ländern geht da wesentlich mehr, gerade wenn es um klassisches Wagniskapital geht. In den USA oder Israel kommen wesentlich schneller wesentlich größere Gelder zusammen, als hier bei uns.” Lancom-CEO Koenzen appelliert an die Kunden: “Kauft deutsche und europäische Produkte. Lasst die Firmen, die hier forschen und entwickeln, wachsen. So bekommen sie eine Chance durch Größe neue Kunden in Europa und vielleicht darüber hinaus zu gewinnen.” Natürlich lässt sich nicht der ganze IT-Bedarf mit hiesigen Produkten decken – wird er wahrscheinlich nie. Doch wäre für verlässliche und sichere Infrastrukturen und eine wirtschaftspolitisch starke Position in konfliktreichen Zeiten viel gewonnen, wenn Deutschland und Europa in sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien eigene Kompetenzen und Produkte vorhalten können. Wie digitale Souveränität im globalen Miteinander funktionieren kann, sieht man heute schon im Bereich der Netzwerkinfrastrukturen. In einigen Landes- und Bundesnetzen, die auf ausländischer Technik basieren, übernehmen schon länger deutsche Anbieter die komplette Transport- und Inhaltsverschlüsselung.

Wir diskutieren weiter Die vollständige Diskussionrunde “IT-Security made in Germany” ist abrufbar unter: www.digitaler-staat.online/ online-diskussionen/ Am 15. September findet auf Digitaler Staat Online der Thementag “Digitale Souveränität” statt. Auf ein Partner-Webinar folgt eine Diskussionsrunde zur technischen Souveränität Deutschlands. Teilnehmen wird unter anderen der Präsident der ZITiS, Wilfried Karl. Mehr dazu unter: www.digitaler-staat.online/ programm/

Registern prädestiniert. Fachexperten können Datenmodelle mithilfe spezieller Editoren selbst aufsetzen und pflegen und sie mit vordefinierten Design-Templates für Verwaltungs- und Bürger-bzw. Unternehmenssicht in Anwendungen bringen. Zudem müssen es nicht Formulare als Ausgangsbasis sein. Jede denkbare und vorhandene Eingabemaske, die Daten für Folgeschritte und Prozesse verarbeitet, ist auf diese Weise modellierbar. Nebenbei zeichnet sich eine modellbasierte Softwareentwicklung durch Zukunftssicherheit aus: Die Modelle sind in vielen Kontexten wiederverwendbar, beispielsweise für die Entwicklung von automatisierten Tests, Chatbots sowie Sprachsteuerung und anderen Zukunftsanwendungen. Denkt man den modellbasierten Plattformansatz zudem in Richtung Netzwerk weiter, eröffnet sich außerdem die Chance für eine Community, in der die Teilnehmer grundlegende Modelle teilen und austauschen. Das ist digitale Souveränität – als Fachsouveränität. *Janos Standt ist stellvertretender Leiter Public Sector bei mgm technology partners.


Digitale Souveränität

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Technische Souveränität fördern

Souveränität by Design

Innovationsagentur für Cyber-Sicherheit gegründet

Wahl- und Handlungsfreiheit sicherstellen

(BS/wim) Mit welcher inhaltlichen Ausrichtung, an welchem Standort und unter welchem Dach soll sie agieren? Lange wurde rund um die neue Agentur für Innovation in der Cyber-Sicherheit des Bundes geplant und diskutiert, nun ist sie offiziell in den Dienst gegangen. Mit der Unterzeichnung der Gründungsurkunde und der Bestellung der Geschäftsführung haben Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesinnenminister Horst Seehofer den Startschuss für das neue Haus gegeben, das mit vollen Namen “Agentur für Innovation in der Cybersicherheit GmbH” heißen wird und offiziell abgekürzt schlicht unter “Cyber-Agentur” laufen soll.

(BS/Dr. Stefan Tilmes) Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen – das ist ein formuliertes Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Zentrales Leitmotiv auf europäischer und nationaler Ebene ist hierbei die digitale Souveränität: Um Deutschlands Unabhängigkeit zu festigen, unsere Werte zu bewahren und diese zu schützen. Als IT-Systemhaus der Bundeswehr gehört es zu den Kernaufgaben der BWI GmbH, die digitale Souveränität der Streitkräfte im Sinne ihrer Anforderungen im täglichen Betrieb sicherzustellen und zu stärken. Dabei ist es notwendig, die Entscheidungsfreiheit sowie die Kontroll- und Handlungsfähigkeit zu erhalten und die Souveränität der Leistungserbringung ständig zu überprüfen und – wo erforderlich – auszuweiten.

In ihrer Gründungsphase wird die Agentur ihren Sitz in Halle (Saale) haben und von Professor Dr. habil. Christoph Igel als Geschäftsführer und Forschungsdirektor sowie Frank Michael Weber als Kaufmännischem Direktor und Geschäftsführer geleitet werden. Der endgültige Standort soll sich am Flughafen Leipzig/Halle befinden. Die Auswahl des Standortes im Mitteldeutschen Revier, der in den letzten rund zwei Jahren einige Diskussionen vorangegangen waren, ist Bestandteil der Heimatstrategie der Bundesregierung und soll etwa 100 neue Stellen in die Region bringen. Durch die aktuellen Einschränkungen wird der Regelbetrieb in relativer Stille aufgenommen; im Oktober ist aber eine feierliche Eröffnungsveranstaltung auf Ministerebene in Halle geplant, deren genaue Terminierung noch bekanntgegeben wird. Für Innenminister Seehofer ist die Gründung der Cyber-Agentur ein wichtiger Schritt zu mehr Technologie-Souveränität in der Cyber-Sicherheit: “Kernaufgabe der Cyber-Agentur ist es, die Entwicklung innovativer Technologien der Cyber-Sicherheit voranzutreiben. Wir wollen damit auch unsere digitale Sou-

Sobald die Räumlichkeiten fertiggestellt sind, wird die neue Cyber-Agentur vom Flughafen Halle/Leipzig aus ihre Arbeit aufnehmen. Foto: BS/Flughafen Leipzig/Halle GmbH, Uwe Schossig

veränität stärken.” Die Agentur soll dabei Innovationen auf dem Gebiet der Cyber-Sicherheit identifizieren und konkrete Aufträge für die Entwicklung von innovativen Lösungsmöglichkeiten vergeben. Hierbei plant, steuert und priorisiert die neue Einrichtung einzelne Programme und führt sie zusammen. Anschließend werden die gewonnenen Ergebnisse ausgewertet und der Bundesregierung zur Verfügung gestellt. Vorgesehen ist, das Gros der Projekte mit Partnern in Deutschland durch-

zuführen. Zusammenarbeit im europäischen Verbund ist aber nicht ausgeschlossen. Mit ihrer langfristigen Ausrichtung und dem Fokus auf die Äußere und Innere Sicherheit soll die Cyber-Agentur die anderen Initiativen der Bundesregierung ergänzen und verstärken. Der Agentur stehen zunächst bis 2023 insgesamt 350 Millionen Euro aus den Haushalten des Bundesministeriums der Verteidigung und des Bundesministeriums des Innern zur Verfügung.

Herausforderung OZG Personalausweis und Fernsignaturen haben einen gemeinsamen Nenner

Bereits die Gründung der BWI als 100-prozentige Gesellschaft des Bundes folgt der Logik digitaler Souveränität: Bundeswehr und Bund haben ihr eigenes IT-Systemhaus, das am Markt agieren kann. Das schafft Handlungsspielräume für die Bundesrepublik – nicht zuletzt durch die Größe der Gesellschaft mit über 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihrem Knowhow in der Entwicklung und dem Betrieb von IT-Systemen. Zusammen mit der BWI betreibt die Bundeswehr dieses selbst, hat Betrieb und Sicherheit somit in der eigenen Hand. Aufgrund der eigenen Fachkompetenz ist der Geschäftsbereich BMVg mit der BWI in der Lage, vertragliche Regelungen mit Lieferanten zu schließen, die für ein IT-System in dieser Komplexität und Größe nötig sind. Die digitale Souveränität wird gestärkt durch den Aufbau und die kontinuierliche Weiterentwicklung des IT-Systems der Bundeswehr (ITSysBw) hin zu einer durchgehenden Serviceorientierung auf der Grundlage neuer Trends, Architekturen und Technologien. Abwehrmöglichkeiten und Schutzmaßnahmen im Cyberund Informationsraum werden von Beginn an berücksichtigt und eingebaut – “Souveränität/ Resilienz/Sicherheit by Design”.

Herstelleralternativen, Standardisierung und Partnerschaften Die Wahrung der digitalen Sou-

(BS/Petra Waldmüller-Schantz*) Nutzerfreundlichkeit ist das Credo, dem sich das Onlinezugangsgesetz (OZG) veränität ist dabei weit mehr als und damit auch die Beteiligten in der öffentlichen Verwaltung verschrieben haben. Bis Ende 2022 gibt es eine Einteilung in vordergründig allerdings noch einiges zu tun. “böse” oder “gute” Hersteller oder Um OZG-Geschäftsvorfälle online durchführen zu können, kommen die sog. Nutzerkonten zum Einsatz. Mit diesen sollen sich Bürgerinnen und Bürger sowie Organisationen in den jeweiligen Portalen einloggen und die angebotenen Onlinedienstleistungen medienbruchfrei durchführen können. Mit dem Online-Ausweis – ob nun auf dem Personalausweis, dem elektronischen Aufenthaltstitel oder ab Ende dieses Jahres auch der sog. Unionsbürgerkarte – sind theoretisch (und auch praktisch) alle Bürger mit einem Token ausgestattet, der für sämtliche Online-Geschäftsvorfälle eine Lösung hinsichtlich der Authentisierung und, im Falle des Schriftformersatzes, zusätzlich noch ausreichend Integritätsschutz für eine Willenserklärung liefert. Insofern: Ja, mit dem Online-Ausweis können sämtliche OZG-Geschäftsvorfälle – auch diejenigen, die einer Schriftformwahrung bedürfen – umgesetzt werden. Und das ist gut so.

Reicht das? Wird der Online-Ausweis für den schnellen Durchbruch des OZG ausreichen? Erfahrungen aus anderen Branchen und Ländern zeigen deutlich, dass die Akzeptanz von Online-Angeboten durch Nutzerinnen und Nutzer weitaus höher liegt, wenn ihnen mehr als ein Verfahren angeboten wird. Nehmen wir als Beispiel E-Commerce. Nur sehr selten finden Sie hier nur ein Zahlverfahren zur Auswahl. Was wäre nun also ein solches weiteres Verfahren, das zudem den meisten Nutzern bereits vertraut ist? Die Antwort könnte “eIDAS-Fernsignatur” lauten. Diese ermöglicht schriftform-

wahrende und medienbruchfreie Online-Transaktionen. Allerdings benötigen sowohl Registrierung als auch Auslösung einer Fernsignatur eine starke Authentisierung – im Grunde also wieder den Online-Ausweis. Teil zwei der Antwort liefert allerdings ein Blick in europäische Nachbarländer: eine Kooperation mit den Banken. Mittels eines Bank-Kontos auf Basis einer stark geprüften Identität können eIDAS-Fernsignaturen ausgelöst werden. Der Vorteil: Das Online-Banking ist vielen Nutzern vertraut, denn sie verwenden dieses regelmäßig. Unsere europäischen Nachbarn machen es vor: Überall dort, wo die öffentliche Verwaltung mit der Kreditwirtschaft kooperiert, sind die Nutzungszahlen im EGovernment deutlich höher als hierzulande.

Wie würde das konkret aussehen? Die EU-Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste (eIDAS) ermöglicht mit der Fernsignatur, eine elektronische Signatur auch aus der Ferne auszulösen – also ohne Signaturkarte und Kartenlesegerät. Es bleibt natürlich auch beim Registrieren und Auslösen einer Fernsignatur vor allem die Frage nach der Identifizierung und Authentisierung. Nun kommen die sog. Identitätsprovider ins Spiel. Identitätsprovider können beispielsweise Elster, Verimi, die Deutsche Post oder Telekom sein, aber auch Banken und Sparkassen. Im Regelfall verfügen all diese Identitätsprovider über valide Daten ihrer Nutzer und somit über entsprechende Möglichkeiten, um ein ausrei-

chendes Niveau für Login- und Authentisierungsvorgänge zur Verfügung zu stellen. Mit der Integration von YES beispielsweise können Konten der Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken adressiert werden. Mittels der Zugangsmechanismen aus ihrem Online-Banking können Nutzer via YES eine Fernsignatur auslösen. Auch andere Online-Banken könnten über weitere Identitätsprovider angesprochen werden. Somit stünden den Nutzern einerseits mehr als ein Mittel für die Durchführung eines OZGGeschäftsvorfalls zur Verfügung und sie könnten im Zweifelsfall den Vorgang auch ohne den Online-Ausweis schriftformwahrend durchführen.

Warum also nicht? Diese Frage haben wir uns bei Governikus gestellt: Warum also nicht? Natürlich ist der OnlineAusweis einer der wichtigsten Bausteine bei den Identifizierungsverfahren im E-Government. Das soll auch so bleiben. Aber vor allem die Nutzerakzeptanz mittels bekannter Verfahren zu unterstützen, könnte den entscheidenden Unterschied ausmachen. Und genau aus diesem Grund kooperieren wir mit YES, arbeiten mit Verimi und den großen Fernsignaturanbietern zusammen, um eine solche “Multi-Lösung” bereitzustellen. Denn eines hat spätestens die Corona-Krise deutlich gezeigt: es muss noch mehr und vor allem in kürzerer Umsetzungszeit gehen, um online handlungsfähig zu werden. *Petra Waldmüller-Schantz ist Director Communications bei der Governikus GmbH & Co. KG.

“böse” oder “gute” Liefernationen – dies ist schon allein aufgrund

würdigen Partnern aufgebaut – und dabei sollten auch Synergiepotenziale in der öffentlichen Auftragsvergabe Dr. Stefan Tilmes ist Leiter Strategic Projects, CEO Innomit ihren Regulavation & Technology bei der rien aktiv genutzt BWI GmbH. und vollständig ausgeschöpft wer Foto: BS/BWI den. Die passgenauen Lösungen der vielfältigen internationalen für die Bundeswehr umzusetzen, Verflechtungen oftmals gar nicht ist dabei Aufgabe der BWI. einschätzbar. Wichtiger ist die Betrachtung verschiedener Di- BWI und digitale Souveränität mensionen: Steht für die Umsetzung einer Fähigkeit tatsächlich Digitale Souveränität bedeutet nur genau ein Produkt ohne Al- mehr als die Frage, ob und welternative zur Verfügung, dann che Produkte man einsetzt. Sie muss eine Strategie zur Mitiga- ist die Sicherstellung der Handtion der verbundenen Risiken, lungsfreiheit beim Design, bei zum Beispiel durch vertragliche der Entwicklung und dem Beoder besser technische Maßnah- trieb von IT-Lösungen sowie bei men, entwickelt und umgesetzt der Digitalisierung insgesamt. werden. Weitere Dimensionen Bewertungskriterium ist dabei sind unter anderem die Operati- immer die Gesamtresilienz eionalisierung von Innovationen zu nes IT-Systems, einer IT-Lösung. Services unter Berücksichtigung Mit der BWI als bundeseigener von “De-Facto-Standards”, die Gesellschaft hat der Bund den Skalierbarkeit der Leistungen Betrieb in der eigenen Hand. und die Sicherstellung der Inter­ Die Stärkung eines Ökosystems operabilität auch im multinatio- vertrauenswürdiger Partner, die nalen Kontext der Bündnispart- ständige Erhöhung des Reifener. Darüber hinaus müssen grades der IT-Architektur, der Schwächen von genutzten Pro- Organisation und des Knowdukten proaktiv durch eine resili- hows der Belegschaft sind bei ente IT-Architektur beherrschbar solchen komplexen und großen bleiben. Der Schlüssel ist stets, IT-Systemen elementar, um eine sich über technische, marktbe- Souveränität auch tatsächlich dingte und politische Abhängig- leben zu können. Ein integriertes keiten bewusst zu werden und die Innovations-, Portfolio-, Archiverbundenen Risiken zu identifi- tektur- und Technologiemanagement stellt sicher, dass sich das zieren und zu managen. Optimalerweise sollte im Rah- System immer auf dem aktuellsmen der Gesetzgebung mit Blick ten Stand der passenden Technik auf nationale Sicherheitsinteres- befindet und die nötigen Weichen sen und Schlüsseltechnologien für die Zukunft zur rechten Zeit ein Ökosystem mit vertrauens- gestellt werden.

IT-Security mit DocSetMinder und SCUDOS IT-Grundschutz, Strukturanalyse und Netzwerksicherheit für Behörden (BS/Krzysztof Paschke*) Eine Grundvoraussetzung für die Erstellung und Umsetzung eines IT-Sicherheitskonzeptes gemäß BSI 200-2 und BSI 100-4 ist eine detaillierte sowie lückenlose Strukturanalyse. Dafür steht den Anwendern neben den altbewährten DocSetMinder-Modulen “Organisation” und “IT-Dokumentation” die Sicherheitsmanagementlösung SCUDOS zur Verfügung. Die SCUDOS-Plattform ist eine adaptive Sicherheitsmanagementlösung für Netzwerkinfrastruktur und eine ideale Ergänzung für DocSetMinder. Durch den Einsatz von agentenlosen Mapping- und FingerprintingTechniken wird das Netzwerk vollständig gescannt und seine Topologie mit den inventarisierten IT-Komponenten in Echtzeit dargestellt (Netzplan). Die damit erreichte Transparenz liefert notwendige Informationen für die Durchführung der Strukturanalyse als Ausgangspunkt jedes IT-Sicherheitskonzeptes. Gleichzeitig deckt sie den Einsatz von nicht autorisierten Geräten auf und verhindert unbefugten Zugriff auf die Netzwerkinfrastruktur. Die automatischen Bedrohungsabwehrmechanismen initiieren proaktive Sicherheitsmaßnahmen, mit denen ein Gerät vom Netzwerk getrennt oder in die Quarantäne vorschoben wird. Die SCUDOS-Plattform kombiniert Netzwerkzugangskontrolle mit Geräteinventarisierung, Risikobewertung und Orchestrierung von Sicherheitsvorfällen und verwandelt so traditionelle Netzwerke in transparente und hochsiche-

re IT-Infrastrukturen. Formell erfüllen die genannten Softwarefunktionen diverse Sicherheitsanforderungen des BSI, IT-Grundschutz-Kompendiums (u. a.: NET.1.1, NET.1.2, NET.3.1, IND.1, IND.2.1 etc.). Die Planung, Dokumentation und Auswertung des Konzeptes nach BSI 200-2 erfolgt in DocSetMinder. Durchdachte Softwarefunktionen unterstützen die Anwender aktiv in jeder Phase des Sicherheitsprozesses von der Initiierung bis hin zum Audit. Die hohe Effizienz der Lösung manifestiert sich ins-

besondere in der Möglichkeit einer kombinierten Umsetzung von BSI-Standard 200-2/3, EU-DSGVO und BSI-Standard 100-4 auf Basis einer gemeinsamen Strukturanalyse, Risikoanalyse und Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen. DocSetMinder und SCUDOS bieten zusammen eine hervorragende Grundlage, um Behörden nicht nur sicher, sondern auch “Ready for Audit” zu machen. *Krzysztof Paschke ist Geschäftsführer der Allgeier CORE GmbH.


IT-Sicherheit

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Eine gute Chance

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atsächlich umfasst der aktuelle Gesetzesentwurf zahlreiche Vorschläge zum Umgang mit Cyber-Risiken im Bereich Kritischer Infrastrukturen und Komponenten. So müssen Risiken und Störungen künftig umfassender gemeldet werden und die Vertrauenswürdigkeit von Beschäftigten besser überprüfbar sein. Auch das Aufspüren von Sicherheitslücken soll zum künftigen Portfolio des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gehören. Im Zuge seiner neuen Verbraucherzuständigkeit sind ein neues Kennzeichen für geprüfte IT-Sicherheit geplant sowie die Unterstützung von Verbrauchern in Sicherheitsbelangen. Nicht zu vergessen: Für Unternehmen steigt der Bußgeld­ rahmen von 100.000 auf bis

Behörden Spiegel / September 2020

IT-Sicherheitsgesetz 2.0 als Impuls für gelebte Verantwortung (BS/Dr. Michael Littger) Unser Alltag ist weder digital noch analog, sondern eine Mischung aus beiden Welten, die zu einer neuen Realität erwachsen ist. Für Behörden, Unternehmen und jeden einzelnen Bürger entstehen daraus großartige Möglichkeiten. Es geht um effiziente Verwaltungsstrukturen, wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle und gesellschaftliche Teilhabe. Diese Chancen werden jedoch durch die Kehrseite der Digitalisierung erheblich eingetrübt: die IT-Sicherheitslage in Deutschland – und natürlich weltweit. Eine Verbesserung verspricht die zweite Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Erhöhung der IT-Sicherheit, deren ausdrückliche Devise lautet: IT-Sicherheit muss für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ausgeweitet werden. zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des Jahresumsatzes.

Grundproblem liegt in der Umsetzung Angesichts des bunten Straußes an Maßnahmen stellt sich die Frage, wie nachhaltig Deutschland für das 21. Jahrhundert in der IT-Sicherheit mit diesem Gesetz aufgestellt sein wird. Der Entwurf selbst spricht von einem ganzheitlichen Ansatz. Welche Erwartungen

aber bringen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft heute mit einer ganzheitlich ausgerichteten “IT-Sicherheit” in Verbindung? Laut des aktuellen DsiN-Sicherheitsindex sowie auch des DsiN-Praxisreports Mittelstand@IT-Sicherheit ist IT-Sicherheit in erster Linie von digitalen Kompetenzen der handelnden Personen abhängig. Auch die aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommu-

nikationsdienste zur Lage der IT-Sicherheit in KMU zeigt, dass nicht die bestehenden Angebote und Vorgaben für IT-Sicherheit, sondern ihre unzureichende Nutzung und Umsetzung das Grundproblem der IT-Sicherheit darstellen. Natürlich zeichnet das Sicherheitsgesetz im Bereich Kritischer Infrastrukturen und kritischer Komponenten neue Lösungsansätze und Pflichten auf. Für die Masse an Unternehmen, Selbstständigen und

Entwurf verfassungswidrig? Kritik an Plänen zur Registermodernisierung (BS/stb) Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern lehnen eine Nutzung der Steuer-Identifikationsnummer als übergreifende Personenkennziffer ab. Einen dahin gehenden Gesetzesentwurf halten sie für verfassungswidrig. Für die Bundesregierung ist eine solche zentrale ID Voraussetzung, um zeitgemäß mit Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren und Verwaltungsdienste anbieten zu können. Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) drängt auf eine verfassungskonforme Umsetzung der Registermodernisierung. In einer aktuellen Entschließung wiederholt sie ihre Auffassung, dass eine einheitliche und verwaltungsübergreifende Personenkennziffer die Gefahr berge, “dass personenbezogene Daten in großem Maße leicht verknüpft und zu einem umfassenden Persönlichkeitsprofil vervollständigt werden können”. Der Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Registermodernisierung sehe nicht genügend technische und organisatorische Sicherungen vor, um dies wirksam zu verhindern.

Das BMI will über 50 Register verknüpfen, indem eine eindeutige ID zu jedem Bürger in allen Registern hinterlegt wird. So werde eine medienbruchfreie, verwaltungsübergreifende und nutzerfreundliche Kommunikation ermöglicht, begründet das Ministerium. Ohne verlässliche Basisdaten und ein gemeinsames Ordnungskriterium sei das sog. Once-Only-Prinzip nicht umsetzbar. Laut Referentenentwurf soll auf vorhandene Strukturen der Steuer-Identifikationsnummer aufgebaut werden. Knotenpunkt für das Identitätsmanagement soll das Bundesverwaltungsamt werden. Es soll die beim Bundeszentralamt für Steuern hinterlegten Steuer-ID-

Daten automatisiert abrufen und verschlüsselt öffentlichen Stellen übermitteln. Für die Registervernetzung veranschlagt das BMI 915,7 Millionen Euro. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Volkszählungsurteil die Verwendung einer einheitlichen Personenkennziffer explizit als Beispiel für eine verfassungswidrige Verletzung der informationellen Selbstbestimmung genannt. Entsprechend warnen Datenschützer schon länger vor der Einführung. Für den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber enthalten die aktuellen Pläne der Bundesregierung keine ausreichenden strukturellen Hemmnisse, um Missbräuchen des Systems von innen oder außen vorzubeugen.

So könnten leicht Informationen aus den Melderegistern mit Daten aus dem Versichertenverzeichnis, dem Register für ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt oder dem Schuldnerverzeichnis verknüpft und zu einem Persönlichkeitsprofil zusammengefasst werden. Zudem zeigten Beispiele aus anderen Ländern, dass eine zentrale Kennziffer schnell durch die Privatwirtschaft übernommen werde, wodurch das Missbrauchsrisiko steige. Im BMIEntwurf fehle es an einer konkreten Zweckbindung, die dem einen Riegel vorschieben würde.

sonstigen Anwendern verzichtet der Gesetzentwurf jedoch weitgehend auf die Ausarbeitung nachhaltiger Lösungsansätze. Das ist insoweit konsequent, als die Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme im Zentrum des Entwurfs stehen soll. Legt man aber den Anspruch ganzheitlicher Ansätze zum Schutz von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zugrunde, so fallen die weißen Bereiche einer nachhaltigen IT-Sicherheitsarchitektur auf: Wie soll die Befähigung von über 80 Millionen Menschen in Deutschland und rund dreieinhalb Millionen kleiner und mittlerer Unternehmen in Deutschland gelingen, um steigende Sicherheitsrisiken jedes Einzelnen und der Gesamtheit zu reduzieren? Wie steht es um Grund und Grenze sicherheitsbehördlichen Wirkens im Verhältnis zu Akteuren, die digitale Kompetenzvermittlung für IT-Sicherheit und Selbstbestimmung in das Zentrum ihres Tuns stellen? Solche Unsicherheiten können Zweifel begründen, wie sie in einer Stellungnahme des IT-Verbandes Bitkom zum Ausdruck kommen, nämlich ob die vorgesehenen Auf-

gaben bei einer Behörde richtig aufgehoben sind oder nicht besser doch durch qualifizierte, vertrauenswürdige Organisationen erbracht werden sollten. Erfreulicherweise deutet der Gesetzesentwurf für den – hinsichtlich seiner Personalaufstockung – größten Einzelbereich des Gesetzesentwurfs der Verbraucheraufklärung einen Ansatz an, der an die technische Expertise der Sicherheitsverwaltung anknüpft. Dieser Grundgedanke könnte zum Ausgangspunkt einer kooperativ ausgerichteten Sicherheitsarchitektur für digitale Kompetenzvermittlung genommen werden. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren in diesem Bereich eine starke Position erarbeitet, die auch euro-

Dr. Michael Littger ist Geschäftsführer von Deutschland sicher im Netz e. V. (DSiN). Foto: BS/DSiN

paweit als Vorbild Anerkennung findet. Dabei geht es im Kern um eine gelebte Verantwortung für ITSicherheit, die von den Menschen aus denkt und durch Einbindung von Unternehmen und Zivilgesellschaft in Partnerschaft mit der Verwaltung und Bundesregierung enorme Kräfte aus der Mitte der Gesellschaft freisetzt und bündelt. Für den IT-Sicherheitsstandort Deutschland wäre es klug, an diese Erfolge und Erfahrungen anzuknüpfen und sie weiterzuentwickeln. Der aktuelle Gesetzesentwurf bietet dafür eine gute Chance.

Neuer Ansatz in Rheinland-Pfalz Landespolizei will Studierte zu IT-Kriminalisten ausbilden (BS/Roger Lewentz) Behörden sind heutzutage oftmals kaum mehr in der Lage, die sich ständig verändernden fachlichen Anforderungen lediglich mit intern aus- und fortgebildetem Personal vollumfänglich zu bedienen. Deshalb nimmt der Bedarf an zumindest extern ausgebildetem Fachpersonal in der öffentlichen Verwaltung stetig zu. Neben Psychologinnen und Psychologen, Betriebswirtinnen und Betriebswirten oder Soziologinnen und Soziologen sind insbesondere solche Fachkräfte gefragt, die besondere Fähigkeiten und Kompetenzen in der Informationstechnologie vorweisen können. Hier konkurrieren staatliche Stellen als öffentliche Arbeitgeber allerdings mit der freien Wirtschaft um die besten Köpfe. Eine erfolgreiche polizeiliche Aufgabenerfüllung erfordert heutzutage beispielsweise in nahezu allen strafrechtlichen Phänomenbereichen beziehungsweise nicht nur im Handlungsfeld

In Rheinland-Pfalz verfolgt die Polizei verschiedene Wege, um solches Fachpersonal zu gewinnen. Ebenso heterogen, wie es die Bewerberinnen und Bewerber ob ihrer Vita und den erworbenen Fähigkeiten sind, müssen auch unterschiedliche Zugangswege zur Polizei angeboten werden. Ab Oktober 2021 werden wir in Rheinland-Pfalz daher einen neuen Weg beschreiten. Erstmals werden wir bis zu 20 Personen mit einem förderlichen Studienabschluss bei der Polizei einstellen und im Rahmen einer einjährigen polizeifachlichen Unterweisung zu IT-Kriminalisten (gelegentlich auch Cyber-Kriminalisten oder “Cybercops” genannt) ausbilden. Die Einstellung von Roger Lewentz (SPD) ist Innenminister von RheinlandIT-Kriminalisten Pfalz. Foto: BS/MdI, Torsten Silz ist eine zielführende Maßnahme, um die ITKompetenzen in der Organisation zu stärken. Bei diesen IT-Krider Cyber-Kriminalität die Kom- minalisten wird es sich um Inforbination von kriminalistischen matikerinnen und Informatiker Handlungskompetenzen und (oder Personen mit vergleichbaIT-Fähigkeiten. Digitale Spuren rer förderlicher Qualifikation) fallen zwischenzeitlich im Grun- im polizeilichen Vollzugsdienst de in allen Deliktsfeldern an. handeln. Sie sollen nicht nur Diese müssen gefunden, aus- digitale Daten analysieren und gewertet und bewertet werden. technisch unterstützen, sondern Die hiermit verbundenen Tätig- eigenständig Ermittlungen mit keiten erfordern ein Know-how, ausgeprägten Bezügen zur Inwelches selbst gut ausgebildete formationstechnik führen. Sie Polizistinnen und Polizisten in sollen Spezialisten in der und ihrer Studienzeit nicht erwerben für die Organisation sein und zur (können). Die Polizei als Insti- qualitativen und quantitativen tution benötigt daher für diese Stärkung der polizeilichen ErTätigkeitsfelder dringend extern mittlungskompetenz beitragen. ausgebildete Fachkräfte. Nach der einjährigen polizeifach-

lichen Weiterbildung sollen sie Kriminalpolizistinnen und -polizisten mit allen hoheitlichen Befugnissen werden und unter anderem auch über eine eigene Dienstwaffe verfügen. Im Außenverhältnis würden sie sich somit nicht von Absolventinnen und Absolventen des BachelorStudiengangs Polizeidienst unterscheiden. In einer weiteren Säule wird im Rahmen eines Pilotprojekts ab Oktober 2020 der neue duale Studiengang “Angewandte Informatik” in Kooperation mit der Hochschule Mainz sowie verschiedenen Einstellungsbehörden der Polizei Rheinland-Pfalz und des Landesbetriebs Daten und Information – dort bestehen ähnliche Bedarfe – angeboten. Das Pilotprojekt soll ebenfalls dazu beitragen, die Fachkräftegewinnung und -sicherung für den Öffentlichen Dienst im technischen Bereich nachhaltig zu stärken. Staatliche Institutionen werden den Personalbedarf im IT-Sektor zukünftig nur dann decken können, wenn sie innovative Wege gehen, ausgetretene Pfade verlassen und kreativ versuchen, die nötigen Fachkräfte für die eigene Organisation zu gewinnen. Die beiden benannten Beispiele werden dabei wichtige Bausteine der Personalgewinnung von IT-Fachkräften für die Polizei Rheinland-Pfalz darstellen. Daneben wird ein besonderes Augenmerk auf die mittel- bis langfristige Bindung des zunächst gewonnenen Personals zu richten sein. Hierbei handelt es sich im Vergleich mit der Personalre­ krutierung mitunter sogar um die anspruchsvollere Aufgabe.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / September 2020

Seite 37

Open Source Intelligence in Deutschland

Digitale Bedrohungen in Krisenzeiten

Wie Informationsgewinnung aus offenen Quellen eingesetzt werden kann

Cyber-Resilienz und Remote Working vereinen

(BS/Samuel Lolagar) 80 Prozent aller nachrichtendienstlich relevanten Informationen sind für jeden zugänglich. Doch der Einsatz von Open Source Intelligence (OSINT) erfolgt in Deutschland viel zu oft unstrukturiert und vereinzelt. Die Nutzung von OSINT sollte nicht von einzelnen Personen und deren Kenntnissen abhängen, sondern zum Werkzeugkoffer eines jeden Ermittlers und Analysten gehören. Open Source Intelligence (OSINT) ist eine nachrichtendienstliche Disziplin der Informationsgewinnung. Im Gegensatz zu anderen Methoden der Geheimdienste werden hierbei jedoch offene Quellen genutzt. Dies umfasst beispielsweise Zeitungsartikel, Rundfunkbeiträge und natürlich das Internet. Durch die zunehmende Digitalisierung und die starke Nutzung von Sozialen Netzwerken bieten das Internet und Social Media eine riesige Menge an Daten, die für verschiedene Zwecke genutzt werden können.

Vielfältig anwendbar Doch wer nutzt OSINT? Die kurze Antwort: viele! Die grundlegenden Methoden der Informationsgewinnung werden von Kriminellen ebenso eingesetzt wie auch von Menschen verschiedenster Branchen mit redlichen Absichten. Obwohl OSINT so viele Anwendungsfälle hat, ist der Begriff in Deutschland nur wenig geläufig. Das liegt daran, dass die Methodik meistens anders genannt wird und die Anwender sich oftmals nicht bewusst sind, dass es den Begriff OSINT gibt. Die Bezeichnungen sind so vielfältig wie die Branchen, in denen die Methoden angewandt werden. Naturgemäß wird OSINT in Polizei- und Sicherheitsbehörden eingesetzt, hier wird es auch Internetermittlung, Internetrecherche, operative Internetbearbeitung oder Online-Aufklärung genannt. Aber auch in anderen Berufen werden die Techniken genutzt: Personalvermittlung,

(BS/Hans-Peter Bauer*) Im Zuge der Covid-19-bedingten Einschränkungen fand eine Massenwanderung in das Homeoffice statt, auf die viele deutsche Behörden nicht vorbereitet waren. Die Cloud-Nutzung im öffentlichen Sektor stieg zwischen Januar und April um 50 Prozent an. Dabei verließen sich sowohl Behörden als auch Unternehmen verstärkt auf digitale Kommunikations- und Kollaborations-Tools wie Microsoft Teams, Zoom oder Slack: Deren Einsatz stieg um 600 Prozent an. Das sind Ergebnisse einer Auswertung anonymisierter hat die Beantwor- Daten von 300 McAfee-Kunden. In diesem beschleunigten digitalen Wandel sahen auch Cyber-Kriminelle ihre tung einer speziel- Chance, die Verunsicherung und Neugier hinsichtlich der Epidemie auszunutzen.

len Fragestellung zum Ziel, zum Beispiel “Wo ist der aktuelle AufSamuel Lolagar ist freiberuflicher Dozent enthaltsort einer E-Mail: info@osintgeek.de; bestimmten PerTwitter: @OSINTgeek son?”, “Wer steckt hinter einem Foto: BS/Patrick Hummel Pseudonym?”, “Mit welchen GeJournalismus, Ermittlungs- und fahren müssen Einsatzkräfte vor Compliance-Abteilungen, Mar- Ort rechnen?”. Diese Frage war bereits Inhalt kenschutz, Cyber-Sicherheit, Personenschutz bis hin zu Re- des Forschungsprojekts SENTIcherchen in Großkanzleien oder NEL, das zu dem Ergebnis kam, dass mittels einsatzbegleitender Detekteien. OSINT-Recherchen das InformaMehr als tionsniveau erhöht wird, wodurch Informationssammlung die Sicherheit für die EinsatzkräfDoch die schlichte Suche nach te verbessert wird. Wir müssen Daten in offenen Quellen ist noch von Deutschland aus nicht weit nicht Open Source Intelligence. in die Ferne blicken, um festDie Informationssammlung ist zustellen, dass die Niederlande nur ein Teil des sogenannten bereits 2012 flächendeckend Real Intelligence Cycle. Um aus den Time Intelligence Center in allen Daten nützliche Informationen Leitstellen eingeführt haben. Hier und schlussendlich relevantes werden Ad-Hoc-Informationen Wissen (engl. Intelligence) zu aus mehr als 40 Quellen analygewinnen, braucht es Planung, siert, darunter sowohl behördliInformationssammlung, Verar- che Datenbanken (Closed Source) beitung der Daten, Analyse sowie als auch offene Quellen. die Präsentation der AnalyseerDie Cyber Akademie bietet gebnisse. OSINT kann einerseits strate- zum Thema OSINT Präsenz- und gisch und andererseits operativ Online-Schulungen mit Samuel eingesetzt werden. Beim strate- Lolagar in deutscher und engligischen Einsatz werden Trends scher Sprache an. Termine und und Entwicklungen über längere Anmeldungen unter www.cyberZeiträume betrachtet. Produk- akademie.de, Suchwort “OSINT”. Der Autor organisiert zudem eine te einer strategischen Nutzung von OSINT sind zum Beispiel kostenfreie virtuelle OSINT-KonfeLagebilder. Bei der operativen renz für den deutschsprachigen Verwendung liegt der Fokus auf Raum. Anmeldungen unter www. einem konkreten Ereignis oder gosintcon.de

21.–22. Oktober 2020

Die Anzahl externer Angriffe auf Cloud-Services ist um das Siebenfache gestiegen und die Anzahl anomaler Login-Versuche in Cloud-Services verdreifachte sich. Dabei standen vornehmlich Kollaborations-Tools im Visier der Angreifer. Doch auch nicht-verwaltete, private Geräte vergrößerten die Angriffsfläche für bedrohliche Übergriffe: Der Datenverkehr von solchen Geräten hat sich in allen Branchen verdoppelt. Die Gesamtzahl bedrohlicher Ereignisse wuchs im öffentlichen Sektor um 73 Prozent an. Selbst heute, nachdem die Beschränkungen gelockert wurden und die Menschen Schritt für Schritt in ihre Büros zurückkehren, finden weiterhin Bedrohungsereignisse statt. Die Forscher von McAfee konnten folgende Entwicklungen feststellen:

Phishing-Mails und Spoofing Tausende von Spam-Mails mit einem Bezug zu Covid-19-Themen wurden (und werden) täglich versendet. Sie locken mit angeblichen Heilmitteln, Maskenangeboten oder KrisenNeuigkeiten auf Webseiten, auf denen die Opfer ihre Daten angeben müssen.

Malware und Ransomware Durchschnittlich entstanden in den letzten Monaten 375 neue Bedrohungen pro Minute. Die Gesamtzahl von Malware stieg

Online-Event

über die letzten zwölf Monate hinweg um 27 Prozent an, die Anzahl von Ransomware-Angriffen um 32 Prozent allein im ersten Quartal dieses Jahres. Darüber hinaus stieg die Anzahl neuer mobiler Malware in den letzten Monaten um 71 Prozent.

Einfallstor: RDP-Ports Zwischen Januar und März stieg die Anzahl der Remote Desktop Protocol (RDP)-Ports von drei auf viereinhalb Millionen. RDP-Ports erlauben Mitarbeitern den Zugriff auf Firmendaten. Sobald diese Ports zum Internet hin geöffnet sind, bieten sich für Cyber-Angreifer weitere Möglichkeiten, in Netzwerke einzudringen.

Ein umfassender CloudSicherheitsansatz muss her Aufgrund der dezentralen Verteilung der Teams verlassen sich viele Behörden ebenso wie Unternehmen auf den Einsatz von Cloud-basierten Lösungen. Daher gilt es, “Cloud-first” zu denken und sämtliche CloudArchitekturen und -Dienste umfassend in die IT-Sicherheitsstrategie einzubeziehen. So behalten beispielsweise mithilfe von Security-InformationEvent-Management-(SIEM)-Tools IT-Teams einen umfassenden Überblick über die gesamte ITLandschaft und werden über verdächtige Ereignisse informiert. Data-Loss-Prevention(DLP)-Programme verhindern

das Abfließen von Daten, indem sie das Netzwerk sowie CloudAnwendungen überwachen. Mit Cloud Access Security Broker (CASB) können sie ferner den Zugriff von Cloud-Diensten für bestimmte Nutzergruppen oder einzelne Anwender einschränken. Darüber hinaus sollten Behörden für die Sicherheit der Endgeräte und deren Zugang zum Internet Cloud-basierte Web-Gateways verwenden. Die Pandemie hat gezeigt, dass großflächige Krisenzustände sehr schnell und sehr effektiv von Cyber-Kriminellen ausgenutzt werden. Auch nach Covid-19 wird die Gesellschaft mit Sicherheit von anderen Ernstfällen heimgesucht. Darüber hinaus erleben wir einen Wandel der Arbeitswelt hin zu mehr Flexibilität in der Wahl des Arbeitsortes. Remote Worker gilt es ebenso zu schützen wie Mitarbeiter im Büro. Der öffentliche Sektor muss daher seine Cyber-Sicherheitsstrategie sowohl für den derzeitigen Wandel als auch für die Zukunft anpassen. Neben Schulungen von Mitarbeitern zur frühzeitigen Erkennung von Bedrohungen sollten Behörden ganzheitliche Cloud-Sicherheitslösungen wie zum Beispiel Unified Cloud Edge (UCE) von McAfee in ihre Strategie implementieren, um jeden Arbeitsplatz zu einem sicheren zu machen. *Hans-Peter Bauer ist Vice President Central Europe bei McAfee.

Münchner

CYBER Dialog

Datensouveränität in IT-kritischen Zeiten

2020 © Bernd Roselieb / BaFin

Unter anderem mit:

Arne Schönbohm Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik

Dr. Julia Zirfas Head of Legal Privacy und Datenschutzbeauftragte, 1&1 Drillisch AG

Dr. Kurt Kruber Leiter Medizintechnik und IT, Klinikum der Universität München

FORMATE: Keynotes, Live-Chats, Dialogforen und Web-Roundtables

Prof. Dr. Claudia Eckert Leiterin des Fraunhofer AISEC

Dr. Frank Grund Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, BaFin

THEMEN: IT-Sicherheit, Datenschutz, Cyber-Kriminalität und -Versicherungen, Regulierungen

Aktuelles Programm und Anmeldung unter: www.muenchner-cyber-dialog.de Eine Veranstaltung der Cyber Akademie – Ihr Zentrum für digitale Souveränität

Medienpartner:

Kooperationspartner:


Webinar-Highlights im Oktober 2020 Kurz und knackig auf den Punkt gebracht

Auch virtuell informiert bleiben und Wissensvorsprung sichern! WEBINAR: Das 3. Geschlecht im Arbeitsrecht – neue Herausforderungen für die Behörden? 01.10.2020, 10:00-11:30 Uhr WEBINAR: Top-Urteile zum Vergaberecht – verständlich vorgestellt 01.10.2020, 13:00-14:30 Uhr WEBINAR: Ausbildungsmarketing und Recruiting-Trends für Behörden 06.10.2020, 10:00-12:00 Uhr WEBINAR: Reputationsmanagement für Behörden – wenn der “gute Ruf” auf dem Spiel steht 06.-07.10.2020, jeweils 13:00-16:00 Uhr WEBINAR: Agile Softwareentwicklung mit den EVB-IT 08.10.2020, 09:00-16:00 Uhr WEBINAR: Der kommunale Personalhaushalt 08.10.2020, 10:00-16:00 Uhr WEBINAR: Onlinezugangsgesetz (OZG) und E-Government-Gesetze (EGovG) 08.10.2020, 13:00-15:00 Uhr WEBINAR: Führen in der Digitalisierung 12.10.2020, 09:00-12:00 Uhr WEBINAR: Agiles Arbeiten mit virtuellen Teams 12.10.2020, 13:00-16:00 Uhr WEBINAR: Die eigene Persönlichkeit überzeugend und gewinnend einbringen 13.10.2020, 10:00-12:00 Uhr WEBINAR: Visual Power – zum professionellen Flipchart mit „Wow-Effekt“ 13.10.2020, 13:00-15:00 Uhr

Detaillierte Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort „Webinar“ Fotos: ©bongkarn, ©Suradech , stock.adobe.com


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / September 2020

Berlin zieht nach

KNAPP Koordinierungsstelle kommt

Andere Bundesländer bei interner Extremismusprävention schon weiter (BS/Marco Feldmann) In der Berliner Polizei gilt künftig ein Konzept zur internen Vorbeugung und Bekämpfung möglicher extremistischer Tendenzen. Es umfasst elf unterschiedliche Maßnahmen. Dazu gehört unter anderem die Erweiterung der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Bewerbern für den Polizeidienst. Hier gehört die Bundeshauptstadt aber nicht zu den Vorreitern. In Nordrhein-Westfalen ist die Regelabfrage für Polizeianwärter beim Verfassungsschutz bereits seit 2018 gelebte Praxis. Und ob es sie in Berlin tatsächlich noch vor den nächsten Abgeordnetenhauswahlen im nächsten Jahr geben wird, ist nicht gänzlich sicher. Denn für die Erweiterung der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Bewerbern sowohl vor einer Einstellung bei der Polizei als auch in regelmäßigen Abständen während der dienstlichen Karriere muss zunächst noch die gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll laut Innensenator Andreas Geisel zwar noch in diesem Jahr ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Dann beginnt allerdings bereits der Wahlkampf. Sollte das Vorhaben noch verabschiedet werden, wäre dann eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz für Polizeianwärter möglich. Solche Abfragen sollen bei schon im Dienst befindlichen Kräften alle zehn bis 15 Jahre wiederholt werden. In Bayern sind sie bereits vor der Einstellung Usus. Gibt es dort Zweifel an der Verfassungstreue und damit an der Eignung eines Bewerbers, erfolgt keine Einstellung. In Schleswig-Holstein wiederum existiert noch keine Regelabfrage beim Verfassungsschutz. Dort willigen die Bewerber jedoch mit Einreichen ihrer Unterlagen ein, dass Auskünfte bei Polizeidienststellen eingeholt und Erkenntnisse aus Karteien, Aktensammlungen oder automatisierten Dateien genutzt werden, um eventuell vorhandene polizeiliche Erkenntnisse, die Zweifel an der Eignung für den Polizeivollzugsdienst begründen, auszuwerten. Ebenfalls einverstanden erklären sich die Interessenten laut Kieler Innenministerium mit der Einsichtnahme in eventuell vorhandene staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Akten. In Mecklenburg-Vorpommern sollen bei den Spezialkräften der Landespolizei Fragen zur persönlichen Grundhaltung und des

Berlin ist, was die interne Extremismusprävention bei der Polizei betrifft, nicht vorne mit dabei. Vielmehr hat die Bundeshauptstadt hier einen gewissen Abstand zu anderen Ländern und der Bundespolizei. Nun soll – wie bei einem Brettspiel – nachgezogen werden, um die Differenz zu verkleinern und im Vergleich aufzuholen. Foto: BS/Feldmann

aktiven Einstehens für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eine noch größere Rolle spielen. Dazu soll es für diese Beamten eine Regelabfrage bei der Verfassungsschutzbehörde geben. In Sachsen-Anhalt müssen alle Bewerber ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, es wird eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister eingeholt und es erfolgt eine Abfrage polizeilicher Auskunftsysteme. Zudem haben die Interessenten eine freiwillige Erklärung zu laufenden Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren abzugeben. Eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz erfolgt nicht. Dies geschieht nur anlassbezogen. Bei der Hamburger Polizei absolvieren Bewerber eine Sicherheitsüberprüfung. In diese werden seit Neuestem auch

Erkenntnisse des Verfassungsschutzes einbezogen.

Farbliche Kategorisierung umstritten In Berlin sollen des Weiteren zur Vereinheitlichung diszi­ plinarrechtlicher Maßnahmen disziplinarwürdige Sachverhalte mithilfe von Farben kategorisiert werden. Diese Klassifizierung ersetzt allerdings keineswegs die Einzelfallprüfung. Anhand der Kategorien Rot (gesicherte Erkenntnis), Orange (hinreichender Verdacht fehlender Verfassungstreue), Gelb (tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht), Grün (Vermutung begründet keinen Verdacht) sowie Blau (keine Anhaltspunkte) sollen künftig mögliche Verletzungen der Verfassungstreuepflicht als auch Verletzungen der Wohlverhal-

tenspflicht standardisiert eingestuft und bearbeitet werden. Vor allem in Fällen der Kategorien Rot und Orange soll auf eine Entfernung des Betroffenen aus dem Beamtenverhältnis hingewirkt werden. Weiter ausdefiniert sind die Kriterien laut Polizeipräsidentin Dr. Barbara Slowik allerdings noch nicht. Hier müssten noch Gespräche mit den Beschäftigtenvertretungen geführt werden. Bislang werden Disziplinarverfahren bei der Polizei Berlin an unterschiedlichen Stellen geführt. Vom Berliner Landesverband des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) kommt allerdings Kritik an dem geplanten Ampelsystem. Derartige schematische Vereinfachungen brächten die Gefahr mit sich, die erforderliche Einzelfallprüfung nicht konsequent genug

zu betreiben und möglicherweise vor Verwaltungsgerichten zu unterliegen. Ablehnend stehen die Gewerkschafter der Kategorie Blau gegenüber. Denn dadurch würden unbescholtene Polizisten in eine disziplinarrechtliche Einordnung aufgenommen, obwohl es keinerlei Grundlage für Disziplinarermittlungen gebe. Kritisch äußert sich dazu auch der Berliner Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Bodo Pfalzgraf. Er bemängelt zudem, dass bei dem Konzept generell “viel alter Wein in neue Schläuche gefüllt worden zu sein scheint”. Der Plan mache “den Eindruck eines hastig zusammengeschriebenen politischen Wunschzettels mit alten Ansätzen, neuen und guten Ideen und Vorschlägen aus der Hexenküche”.

Engere Verbindung mit Verfassungsschutz In dem Konzept ist für die Zukunft auch eine Beratung durch den Berliner Verfassungsschutz vorgesehen. Sofern bei einer Polizeidienststelle tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, dass Beschäftigte dort Bestrebungen unternehmen oder unterstützen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, müssen die entsprechenden Informationen auch der Verfassungsschutzabteilung in der Senatsinnenverwaltung mitgeteilt werden. Dies erfolgte laut Senator bislang nur in Einzelfällen, aber nicht regelhaft. Außerdem soll es einen Ex­ tremismusbeauftragten bei der Polizei geben. Wo innerhalb der Behörde er oder sie angesiedelt Fortsetzung auf Seite 40

(BS/mfe) In Nordrhein-Westfalen wird es künftig eine Koordinierungsstelle für Cyber-Sicherheit geben. Sie wird in der neuen Digitalisierungsabteilung des Düsseldorfer Innenministeriums angesiedelt. Als zentrale Servicestelle der Landesregierung soll sie in Zukunft dazu beitragen, das Schutzniveau der Cyber-Sicherheit im bevölkerungsreichsten Bundesland kontinuierlich zu erhöhen. In der Koordinierungsstelle werden demnächst für die Cyber-Sicherheit relevante Daten und Informationen für die Landesverwaltung zentral gebündelt und weitergeleitet. Außerdem soll die neue Einrichtung den Kontakt zum Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) halten. Von der Ansiedlung im Innenministerium versprechen sich die Verantwortlichen zahlreiche Synergien mit den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS).

Berlin vermittelt zwischen NATO-Partnern (BS/por) Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) ist nach Griechenland und in die Türkei gereist, um im eskalierenden Gasstreit zwischen beiden NATO-Partnern zu vermitteln. “Lösungen für die Streitfragen um die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer kann es nur auf Grundlage des Völkerrechts und im aufrichtigen Dialog miteinander geben”, so der deutsche Chefdiplomat. “Die Gesprächsfenster zwischen Griechenland und der Türkei müssen jetzt weiter auf- und nicht zugemacht werden. Dazu brauchen wir nun statt neuer Provokationen endlich Schritte der Entspannung und den Einstieg in direkte Gespräche.” Gleichzeitig macht das Auswärtige Amt deutlich: “Deutschland und die gesamte Europäische Union stehen in fester Solidarität an der Seite Griechenlands.”

Fotonachweise oben: ©Werner, stock.adobe.com; ©william87, stock.adobe.com; ©benjaminnolte, stock.adobe.com; ©Dr. N. Lange, stock.adobe.com


Innere Sicherheit

Seite 40

Fortsetzung von Seite 39 wird, ist jedoch noch offen. Auch hier ist Nordrhein-Westfalen bereits weiter: Dort hat Innenminister Herbert Reul (CDU) bereits im März die Einrichtung eines Extremismusbeauftragten in jeder der 47 Kreispolizeibehörden, in den drei Landesoberbehörden (Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten, Landeskriminalamt und Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste) sowie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung veranlasst. Im sächsischen Innenministerium existiert seit Kurzem eine Koordinierungsstelle für interne Extremismusprävention und -bekämpfung (siehe auch Behörden Spiegel August 2020, Seite 36).

Ausweitung noch nicht beschlossene Sache Zudem könnte in der Bundeshauptstadt das webbasierte Anonyme Hinweisgebersystem (AHS), das im Landeskriminalamt (LKA) angesiedelt ist und seit 2015 bislang ausschließlich im Bereich der Korruptionsbekämpfung genutzt wird, für die Aufnahme interner Hinweise zu extremistischen Tendenzen in der Polizei ausgeweitet werden. Während Polizeipräsidentin Slowik hierfür plädiert, muss aus Geisels Sicht zunächst noch geklärt werden, ob dieser Bereich in das bestehende System integriert oder ein eigenes System für Whistleblower geschaffen wird. Dazu meint Pfalzgraf von der DPolG: “Die Nutzung von anonymen Hinweisen, gar

B

ehörden Spiegel: Die Corona-Krise war bisher eine Gesundheitslage. Sie könnte aber auch zu einer Sicherheitslage werden. Wie schätzen Sie die Veränderung der Sicherheitslage nach Corona ein?

Nehammer: Ich habe Corona nie als eine reine gesundheitspolitische Herausforderung angesehen. Wir haben hier eine Gemengenlage – die sowohl gesundheitspolitische, aber auch sicherheitspolitische Aspekte – wie zum Beispiel die Kontrollen an den Grenzen – betrifft. Darüber hinaus konnten wir natürlich während der Ausgangsbeschränkungen einen Rückgang im Bereich bestimmter Deliktsgruppen erkennen – Körperverletzungsdelikte und Eigentumsdelikte sind beispielsweise zurückgegangen. Kriminalität im Cyber-Raum – vor allem Betrugsdelikte – haben hingegen zugenommen. Behörden Spiegel: Machen Grenzschließungen in Europa gegen das Virus Sinn? Nehammer: Grenzkontrollen machen natürlich Sinn. Das Ziel ist die Eindämmung der Ausbreitung des Virus – da ist eine Kontrolle an geografischen Grenzen auch eine von vielen wichtigen Maßnahmen. Behörden Spiegel: Wie wollen Sie weiter mit dem Thema der Ausbreitung des Corona-Virus umgehen und wie schätzen Sie die Gefahr einer zweiten Welle ein? Nehammer: Es ist immer ein Bündel an Maßnahmen, die – der Lage angepasst – getroffen und umgesetzt werden müssen. Niemand kann derzeit seriös die zukünftige Entwicklung antizipieren. Am wichtigsten wird es auch in Zukunft sein, die Eigenverantwortung der Menschen zu stärken. Wer Abstand hält, hilft auch, die die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die Menschen in unserem Land haben sich bisher an diese Vorgaben

die Etablierung eines anonymen Hinweisgebersystems, kann abseits der erprobten Pfade zur Korruptionsbekämpfung auch zu risikobehafteten, schwerwiegenden wie unhaltbaren Behauptungen führen.” Die Bundespolizei hat bereits im Mai 2015 eine Vertrauensstelle eingerichtet, die direkt dem Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums, Dr. Dieter Romann, unterstellt ist. Dort können – sofern gewünscht auch anonym – Hinweise zu möglichen Verdachtsfällen abgegeben werden. Ähnliches existiert in Bayern. Im Freistaat wurde beim Dezernat für interne Ermittlungen des LKA ein Bürgertelefon eingerichtet. Dort können Sachverhalte, die den Verdacht eines Fehlverhaltens jeder Art durch Polizeiangehörige begründen, auch in anonymisierter Form gemeldet werden.

Monitoring intensivieren In Berlin ist darüber hinaus eine weitere Stärkung des dienstaufsichtlichen Monitorings durch die Leitungsebene der Polizei sowie des fachaufsichtlichen Monitorings durch die Senatsinnenverwaltung vorgesehen. Dies soll mithilfe einer frühzeitigen und niedrigschwelligen Meldeverpflichtung von Vorfällen mit verfassungsfeindlichen Tendenzen sichergestellt werden. Sowohl der Polizeiführung als auch dem Haus von Senator Geisel sollen zudem regelmäßig Lageberichte vorgelegt werden. Niedrigschwellige Meldeverpflichtungen existieren auch bei der Bundespolizei. Dort sind Vorgänge, die darauf hindeuten,

dass es sich um Dienstpflichtverletzungen beziehungsweise Straftaten im Zusammenhang mit Extremismus handelt, dem Präsidium frühzeitig bekanntzumachen. Zudem ist bei der Hauptstadtpolizei vorgesehen, insbesondere für Führungskräfte in besonders belasteten Einsatzräumen das bereits vorhandene Supervisionsangebot deutlich auszubauen und standardisiert anzubieten. Bisher findet laut Slowik nur eine bedarfsorientierte Supervision statt, etwa beim Staatsschutz oder in Dienststellen, deren Mitarbeiter mit der Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch befasst sind.

Aus- und Fortbildung entscheidend In dem Konzept ist auch ein stärkerer Fokus auf die Vermittlung der Grundwerte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der polizeilichen Aus- und Fortbildung vorgesehen. Zudem sollen die Wahrnehmung sowie der Umgang mit Indikatoren für Extremismus und Radikalisierung geschult werden. An der Polizeiakademie wurden bereits – unabhängig vom Konzept – der Deutschunterricht sowie die Schulungen in Fragen der politischen Bildung und Ethik intensiviert. Es war zu hören, dass das Bewusstsein für die Relevanz dieser Fächer in der Vergangenheit bei der früheren Akademieleitung etwas verloren gegangen war. Die jetzige Ausweitung soll auch zu mehr Resilienz beitragen. Auch bei anderen Polizeien wird die Bedeutsamkeit der Aus- und

Fortbildung für die interne Ex­ tremismusprävention unterstrichen. So heißt es etwa aus Nordrhein-Westfalen, dass bereits in der Ausbildung großer Wert auf die Vertiefung ethischer und verfassungsrechtlicher Grundsätze gelegt werde. Gleiches gelte für interkulturelle Kompetenz. Zu dieser Thematik würden auch in der Fortbildung Seminare angeboten. Dort würden die Themen Rassismus und Diskriminierung besonders hervorgehoben. Mit einem Sensibilisierungserlass habe das Düsseldorfer Innenministerium außerdem bereits im Dezember 2018 alle Polizeibehörden nochmals darauf hingewiesen, dass jedem Hinweis auf extreme Einstellungen oder auf Zugehörigkeit zu extremistischen Netzwerken sofort nachzugehen sei. In Schleswig-Holstein werden die Anwärter für den mittleren und den gehobenen Polizeidienst in einer einwöchigen Qualifizierung an das Thema der interkulturellen Kompetenz herangeführt. Im Unterricht werden zudem die Komplexe “Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)”, “Entstehung und Merkmale von Diskriminierung”, “Rolle der Polizei in der Demokratie” und “Racial Profiling” behandelt. Besonderer Wert wird auch auf die politische Bildung gelegt, mit speziellem Fokus auf die Rolle der Polizei im Dritten Reich. Dieser Themenkomplex wird ab Anfang Oktober in Sachsen Teil des Bachelor-Studiums an der Polizeihochschule. Bereits seit Anfang 2016 besteht dort die Koordinierungsstelle “Interkulturelle Kompetenz, Prävention

Behörden Spiegel / September 2020

gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Inklusion”. Ziel der Einheit ist eine effizientere Koordinierung und inhaltliche Abstimmung der zentralen und dezentralen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen bei der Landespolizei. Des Weiteren wurde an der Hochschule 2017 eine Professur für gesellschaftspolitische Bildung eingerichtet. Auch in Bayern und bei der Bundespolizei unterstreichen die Verantwortlichen die Bedeutsamkeit der Vermittlung interkultureller Kompetenz im Rahmen der polizeilichen Aus- und Fortbildung. Und das Schweriner Innenministerium hat eine verstärkte Aus- und Fortbildung in den Bereichen politische Bildung, Demokratieverständnis sowie soziale und kulturelle Kompetenzen angekündigt.

Studie zu Einstellungsmustern geplant In Berlin wird die Senatsinnenverwaltung darüber hinaus eine wissenschaftliche Studie in Auftrag geben. In dieser, deren Vergabe noch öffentlich ausgeschrieben werden muss und deren Ergebnisse öffentlich gemacht werden sollen, werden Einstellungsmuster und Wertevorstellungen unter den Beschäftigten der Landespolizei untersucht. Zusätzlich soll untersucht werden, ob und wenn ja welche Aufgabenfelder und Einsatzgebiete besonders anfällig für die Entwicklung extremistischer Tendenzen sind. Laut Ressortchef handelt es sich dabei nicht um eine einmalige Erhebung. Vielmehr soll diese Studie alle zwei bis drei Jah-

Ganzheitlicher Ansatz gegen Corona erforderlich Virus-Bekämpfung kann nur mit Maßnahmenbündel gelingen (BS) Die Bewältigung der Corona-Krise erfordert staatliches Handeln in mehreren Bereichen. Neben der Gesundheits- ist inzwischen auch immer mehr die Sicherheitspolitik gefragt. Hier müsse mehr Hand in Hand gehen, findet der österreichische Innenminister Karl Nehammer. Die Fragen an den Wiener Ressortchef stellte der Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel, Uwe Proll. Nehammer: Die österreichische Polizei ist eine lernende Organisation, die sich ständig weiterentwickelt. Das bedeutet aber auch, Veränderungen in der Gesellschaft wahrzunehmen. Die Polizei ist Teil, ja vielmehr Garant unseres demokratischen Zusammenlebens. Das bedeutet eine ungeheure Verantwortung für jeden einzelnen Polizisten, der man durch Ausbildung, aber auch durch moderne Organisationsstrukturen gerecht werden muss. Das ist ein ständiger Kreislauf.

gehalten und werden das auch weiter tun. Behörden Spiegel: Die CoronaKrise wird zu neuem Migrationsdruck führen. Wie müsste es Ihrer Meinung nach zu einer einheitlichen und solidarischen europäischen Lösung zur Bewältigung dieser Herausforderung kommen? Nehammer: Aus meiner Sicht müssen wir an gemeinsamen Lösungen in den Herkunftsländern arbeiten. Hier müssen wir die Kräfte bündeln und akkordiert und gemeinsam vorgehen. Dieses Commitment ist ein unbedingtes Erfordernis – ohne Unterschied, wie sich die Situation um Corona entwickelt. Behörden Spiegel: 2015 und auch die Folgejahre haben gezeigt, dass die Migrationsströme durch ein Schlepperunwesen maßgeblich gesteuert werden. Was gedenken Sie in dieser Hinsicht zu tun und was erwarten Sie dabei von der EU?

“Schlepperei ist wohl eine der menschenverachtendsten Formen der Organisierten Kriminalität (OK).” Karl Nehammer (r.) ist Bundesminister für Inneres der Republik Österreich. Hier stellt sich den Fragen von Behörden Spiegel-Chefredakteur Uwe Proll (l.). Foto: BS/BMI, Jürgen Makowecz

schutzes, hier des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Was war die Ausgangslage für diese Diskussion und wie sind derzeit die Konsequenzen?

Nehammer: Schlepperei ist wohl einer der menschenverachtendsten Formen der Organisierten Kriminalität (OK). Österreich ist traditionell seit mehr als zwei Jahrzehnten eng mit den Staaten des Westbalkans verknüpft. In Wien wurde bereits 2016 das Joint Operation Office – kurz JOO – eingerichtet. Im Rahmen der Innenministerkonferenz Ende Juli haben Horst Seehofer und ich die Einrichtung einer Koordinationsplattform zur raschen Erkennung von Migrationsbewegungen forciert. Diese wird in den nächsten Monaten ihre Tätigkeit aufnehmen.

Nehammer: Wir stehen mitten im Reformprozess und haben bereits erste Teilschritte wie die Auswahl sowie die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffend vorgestellt. Im Herbst werden weitere Reformschritte präsentiert. Ein Kernstück der Reform wird jedoch die Weiterentwicklung des Verfassungsschutzes um eine nachrichtendienstliche Komponente sein.

Behörden Spiegel: In Österreich gab es heftige Diskussionen über eine Reform des Verfassungs-

Behörden Spiegel: Österreich war in der Vergangenheit bei UNMissionen immer sehr engagiert.

Wie konkret ist Ihr Engagement derzeit im Rahmen von Frontex und Europol? Nehammer: Österreich ist traditionell in Frontex-Einsätzen und aufgrund anderer bilateraler Vereinbarungen – vor allem am Westbalkan – seit Jahrzehnten engagiert. Aktuell befinden sich 65 Bedienstete in Frontex- und anderen bilateralen Einsätzen. Ich konnte erst kürzlich wieder zehn Bedienstete nach Serbien entsenden. Die internationale Zusammenarbeit ist einer der Schlüsselfaktoren in Fragen der Migration. Behörden Spiegel: In Deutschland gibt es aktuell eine Diskussion über den sogenannten latenten Rassismus bei der Polizei. Gibt es Vergleichbares in Österreich?

Behörden Spiegel: Wie ist das Beschwerdesystem in Österreich organisiert, wenn sich Bürger auch migrantischer Herkunft über Polizeimaßnahmen beschweren wollen? Nehammer: Je nach Intensität des behaupteten Vorwurfs untersuchen die Dienstbehörden bis hin zu den Staatsanwaltschaften die Sachlage. Derzeit läuft eine Reform des Bundesamtes für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsprävention. Im Herbst werden wir hier erste mögliche Varianten vorliegen haben. Behörden Spiegel: Wie ist die Nachwuchssituation für die österreichische Polizei? Nehammer: Die österreichische Bundespolizei hat wie viele öffentliche Organisationen eine demografische Struktur zu gewärtigen, die in den nächsten Jahren eine große Zahl von altersbedingten Pensionierungen mit sich bringen wird. Wir haben daher im aktuellen Regierungsprogramm eine Personaloffensive vereinbart, die 4.300 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten vorsieht. Der Beruf des Polizisten beziehungsweise der Polizistin ist für viele

re durchgeführt werden. Vom Berliner Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hieß es, man unterstütze den Kampf gegen Extremismus, im Öffentlichen Dienst sei kein Platz für Verfassungsfeinde. Der Landesvorsitzende Norbert Cioma erklärte: “Wir freuen uns, dass sich zahlreiche Ideen von uns in dem Konzept wiederfinden und der Innensenator uns mit ins Boot holt, um extremistischem Gedankengut jeglichen Nährboden zu entziehen.” Mit Blick auf eine Studie zu den Einstellungsmustern und Wertvorstellungen der Mitarbeiter signalisierte Cioma Gesprächsbereitschaft. Grundsätzlich sei man offen und versperre sich keiner wissenschaftlichen Untersuchung. Entscheidend seien neben der Motivation aber vor allem das Studiendesign sowie die anschließende differenzierte Einordnung der Ergebnisse.

Keinem Generalverdacht aussetzen Sind die Fragen unpassend oder zu allgemein gehalten oder werden die Resultate undifferenziert wiedergegeben, besteht eine große Gefahr: Dann schafft sich die Politik möglicherweise ein Problem, wo eigentlich keines vorhanden ist und bauscht das Thema eines vermeintlichen, und in den Augen einiger Politiker sogar latenten, Rassismus bei den Sicherheitsbehörden unnötig auf. Das gilt es unbedingt zu vermeiden. Einen Generalverdacht gegen unbescholtene Polizeibeamte, die das Gros der Mitarbeiter bilden, darf es nicht geben.

junge Menschen attraktiv und interessant. Wir haben für einen Ausbildungsplatz durchschnittlich zehn Anwärterinnen und Anwärter. Das ermöglicht uns, die besten auszuwählen. Behörden Spiegel: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die Innere Sicherheit in der Republik Österreich? Nehammer: Ich sehe – bei Betrachtung der Lage in Österreich in einem umfassenden Zusammenhang – mehrere Herausforderungen, die nebeneinander bestehen. Neben der aktuellen Corona-Lage sehe ich die illegale Migration als eine der größten Herausforderungen. Wir dürfen aber auch nicht die Entwicklungen im Bereich von Extremismus – in jeglicher Form – außer Acht lassen. Hier haben sich in den letzten Wochen auch in Österreich Erscheinungen gezeigt, die auf die Existenz von Parallelgesellschaften schließen lassen. Gerade hier muss man ganz genau hinsehen. Behörden Spiegel: Was war in Wien-Favoriten los? Kurden und Linke beziehungsweise Autonome wurden von Grauen Wölfen angegriffen. Immerhin waren Österreicher von der extremen Linken beteiligt, aber handelt es sich hier um eine Stellvertreterstraßenschlacht zwischen türkischer beziehungsweise kurdischer Opposition und Erdogan-Anhängern? Nehammer: Das meine ich mit dem genau hinsehen. In Österreich gibt es eine relativ große türkische Community. Eine Community, die aber in mehrere – zum Teil auch verfeindete Communities – zerfällt. Diese Konflikte werden somit nach Österreich “importiert” und gefährden unser friedliches Zusammenleben. Österreich ist eine gewachsene Demokratie. Wir tragen Konflikte nicht auf der Straße aus und dulden es auch nicht, wenn es Menschen tun, die ihre Wurzeln in anderen Kulturkreisen haben.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / September 2020

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SEK wird verlagert

Effektiver vorgehen

Umorganisation bei der Polizei Mecklenburg-Vorpommerns

Strafrechtliche Geldwäschebekämpfung verbessern

(BS/mfe) Das Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern wechselt vom Landeskriminalamt (LKA) in das Bereitschaftspolizeiamt (LBPA). In der Einheit hatte es rechtsextreme Umtriebe gegeben. Die neue Zuordnung der Einheit ist mit Veränderungen in der Aufbauorganisation verbunden. Dies gilt sowohl für das LKA als auch für das LBPA.

(BS/mfe) Geldwäsche soll auch mit den Mitteln des Strafrechts effektiver verfolgt werden. So könnte künftig jede Straftat eine Vortat der Geldwäsche sein. Bisher gilt dies nur für Delikte der schweren und Organisierten Kriminalität (OK). Diesen Paradigmenwechsel im deutschen Geldwäschestrafrecht sieht ein kürzlich präsentierter Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJV) vor.

Um den Wechsel auch rechtlich zu implementieren, wird es eine Änderung des Polizeiorganisationsgesetzes geben. Dieses befindet sich gerade in der Ressort- und Verbändeanhörung. Ebenfalls angepasst werden mehrere Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Dies soll bis Jahresende erfolgt sein. Neben dem SEK, das mittelfristig auch den Standort wechseln soll, werden auch die Aufgaben der Verhandlungsgruppe sowie des Konfliktmanagements auf das LBPA übertragen. Dieses soll zudem in Landesamt für polizeiliche Einsatzunterstützung (LPE) umbenannt werden. Dort soll

das SEK als eigene Dienststelle dem Behördenleiter unmittelbar nachgeordnet sein. Außerdem soll es verbindliche Regelungen über das Höchstalter und die Verwendungsdauer im SEK sowie die Fortbildung, die Karriereentwicklung und die Nachverwendung geben. Das Höchstalter wird künftig wohl 40 Jahre mit einer einmaligen Verlängerungsoption um fünf Jahre betragen. Die entsprechenden Dienstanweisungen befinden sich allerdings noch im Bearbeitungsverfahren. Im LKA, wo die Einheiten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) verbleiben, werden die für den SEK-Komplex eingerichteten Ermittlungsstruk-

turen in ein eigenes Dezernat für interne Ermittlungen überführt und so verstetigt.

Möglichst früh erkennen Innenminister Lorenz Caffier (CDU) erklärte: “Die Vorwürfe und Verfehlungen waren eine Zäsur für die Landespolizei, die Veränderungen unumgänglich machten. Der Blick in unserer Landespolizei ist jetzt nach vorn gerichtet und ich bin fest davon überzeugt, dass die Polizei gestärkt aus dieser Situation hervorgeht.” Gemeinsam werde man alles dafür tun, jegliche rechtsextremistische oder andere verfassungsfeindliche Bestrebung frühzeitig aufzudecken und im Keim zu ersticken.

Freistaat investiert Bayern modernisiert Landespolizei (BS/mfe) Die bayerische Staatsregierung steckt viel Geld in die Polizei. So beschafft der Freistaat acht neue Hubschrauber der Vier-Tonnen-Klasse mit Zusatzausrüstung. Die Gesamtkosten belaufen sich auf etwa 100 Millionen Euro. Zudem wird neue Ausstattung für Fahrradpolizisten erworben.

Würde er Gesetzeskraft erlangen, könnte dies die Kriminalitätsbekämpfung in diesem Bereich deutlich erleichtern. Denn aufgrund des sogenannten “Allcrime-Ansatzes”, der von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) seit Langem gefordert und nun ausdrücklich begrüßt wird, dürfte eine Geldwäschestrafbarkeit in Zukunft deutlich häufiger gegeben sein als bisher. Bislang ist der Vortatenkatalog sehr eng gefasst. Er beinhaltet alle Verbrechenstatbestände sowie einige Vergehen wie etwa Steuerhinterziehung oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Delikte wie Diebstahl, Unterschlagung, Raub, Betrug oder Untreue kommen dabei derzeit nur als Geldwäsche-Vortaten in Betracht, wenn sie gewerbs- oder bandenmäßig begangen werden. Dies lässt sich im Gerichtsprozess jedoch oftmals nur schwer nachweisen.

Keine höheren Strafen vorgeDie neuen Hubschrauber er- transportieren”, unterstrich der Landespolizei sowie die Be- sehen setzen acht Maschinen der Acht-Tonnen-Klasse vom Typ EC135. Diese sind bereits seit über zehn Jahren im Einsatz und arbeiten an ihrer Leistungsgrenze. Noch in diesem Jahr soll die europaweite Ausschreibung veröffentlicht werden. Die Zuschlagserteilung ist laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) für Mitte 2021 vorgesehen. Er betonte: “Unsere neuen hochmodernen Polizeihubschrauber werden deutlich leistungsfähiger sein. Nach unseren Planungen können wir die ersten beiden neuen Polizeihubschrauber bereits 2022 in den Dienst stellen.”

Zahlreiche Vorteile Von den Maschinen werden laut Ressortchef vor allem die Spezialeinheiten profitieren. Neben einer größeren Kabine verdoppeln sich die mögliche Zuladung und die Reichweite. “Wir können mit den neuen Hubschraubern doppelt so viele Einsatzbeamte

CSU-Politiker. Außerdem steige die Reisegeschwindigkeit um 30 auf rund 240 Stundenkilometer an. Dadurch könnten Einsatzorte noch rascher erreicht werden. Da sich die mitführbare Löschwassermenge mit bis zu 1.200 Litern ebenfalls verdoppelt, kann die Landespolizei die Feuerwehren auch noch besser bei der Bekämpfung von Waldbränden unterstützen. Unterdessen erhalten rund 500 Beamte, die als Fahrradstreifen und Verkehrserzieher tätig sind, schrittweise eine neue Dienstkleidung. Zunächst bekommen die Polizei-Radler für ihren Einsatz in der wärmeren Jahreszeit Zipp-off-Hosen, kurz- und langärmlige Radtrikots, einen Fahrradhelm sowie funktionale Unterbekleidung. Im kommenden Jahr folgt dann noch eine Softshelljacke für die kälteren Monate. Das Design der neuen Dienstkleidung, deren Anschaffung rund 200.000 Euro kostet, ist an das Uniformkonzept der

kleidung der Motorradstreifen angelehnt.

Längere Zeit getestet Der Beschaffung vorausgegangen war ein mehrmonatiger Trageversuch in Erlangen, München und Passau. Getestet wurden Trikots, Fahrradhosen, Softshelljacken und Helme aus dem Ausrüstungskonzept der österreichischen Polizei sowie die Kollektionen der badenwürttembergischen und der nordrhein-westfälischen Polizei. Innenminister Herrmann bezeichnete die neue Dienstkleidung als “hochfunktional und bestens auf den Einsatz abgestimmt”. Die Vorteile von Fahrradstreifen sieht er vor allem im städtischen Bereich. Dort sei das Fahrrad bei stockendem Verkehr schneller und wendiger als ein Auto. Auch in Grün- und Parkanlagen sei das Zurückgreifen auf Fahrradstreifen der Polizei sinnvoll.

Genau zur richtigen Zeit BKA-Sammelband zu Extremismus (BS/mfe) Im vergangenen Jahr sind deutlich mehr politisch motivierte, extremistische Delikte polizeibekannt geworden als noch 2018. Der Anstieg betrug 14,2 Prozent und war damit der zweithöchste seit Einführung dieser Statistik im Jahr 2001. Dabei dominieren eindeutig rechtsmotivierte Delikte. Sie machten 2019 54,3 Prozent aller extremistischen Straftaten aus. Zudem ist ihre Zahl 2019 um 9,4 Prozent angewachsen, wie aus dem aktuellen Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hervorgeht. Die Behörde von Präsident Thomas Haldenwang zählt bundesweit 32.080 Personen mit rechtsextremistischem Potenzial. 2018 waren es noch 24.100 Personen. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten beläuft sich hierzulande auf mindestens 13.000. Im Bereich des Linksextremismus schätzt das BfV jeden vierten der insgesamt 33.500 Linksextremisten als gewaltorientiert ein.

Mehr als 750 Seiten Angesichts dieser Dimensionen kann es eigentlich keinen besseren Zeitpunkt für die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Abhandlung zum Thema geben. Sie liegt nun mit dem “Handbuch Extremismusprävention” vor. Dieses wurde erstmals von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesinnenministerium (BMI) herausgegeben. Der über 750 Seiten starke Sammelband besteht aus drei Teilen. Ein

erster Abschnitt widmet sich den Grundlagen der Extremismusprävention. Darin werden nicht nur zentrale Begriffe, sondern auch unterschiedliche Phänomene der politisch motivierten Kriminalität erläutert. Dazu zählen unter anderem der Rechtspopulismus und -terrorismus, Salafismus und Islamismus sowie die verschiedenen Formen des Linksextremismus. Dabei handelt es sich jeweils um sehr gute, detaillierte, wissenschaftlich fundierte, aber dennoch leicht lesbare Überblicke über die jeweilige Szene. Allerdings gibt es einige kleinere Mängel im Lektorat. Im zweiten Teil des Sammelbandes steht dann die Praxis der Extremismusprävention im Mittelpunkt. Dabei werden unter anderem verschiedene Praxiskonzepte sowie die Koordination und Implementierung von Extremismusprävention auf den unterschiedlichen staatlichen Ebenen anhand konkreter Beispiele erläutert. Auch hier sticht wieder die gute Lesbarkeit der Artikel bei gleichzeitig hoher wissenschaftlicher Relevanz hervor. In einem dritten Teil, der das Bild sehr gut abrundet, geht

Spannend und gut zu lesen, bei dennoch hohem wissenschaftlichem Anspruch: Das “Handbuch Extremismusprävention. Gesamtgesellschaftlich. Phänomenübergreifend”, herausgegeben von Brahim Ben Slama und Uwe Kemmesies (2020). Foto: BS/Feldmann

es dann um komplementäre gesellschaftliche Handlungsfelder. Dabei wird etwa auf Herausforderungen im Bereich der politischen Bildung im Angesicht von Extremismus sowie Extremismus aus sprachwissenschaftlicher Perspektive eingegangen.

Eine Strafrahmenerhöhung sieht der Entwurf nicht vor. Geldwäsche soll auch weiterhin mit Geldstrafe oder Haft bis zu fünf Jahren geahndet werden. Auch in besonders schweren Fällen soll die Strafhöhe wie bisher zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Freiheitsentzug liegen. Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen oder Online-Durchsuchungen sollen weiterhin nur bei schwerwiegenden Fällen erlaubt sein. Zugleich sollen in Zukunft die Wirtschaftsstrafkammern der

Geldwäsche kann mit den Mitteln des Strafrechts bislang noch nicht optimal bekämpft werden. Das soll sich ändern. Die Ministerialbürokratie ist tätig geworden. Foto: BS/Alexas_Fotos, pixabay.com

Landgerichte für Geldwäscheverfahren zuständig sein, soweit zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) unterstrich: “Geldwäsche ist ein schwerwiegendes Problem, weil der Staat und damit alle ehrlichen Bürgerinnen und Bürger geschädigt werden.” Kriminelle Profite dürften keinen Weg in die Legalität finden. Oftmals sei es aber kompliziert, Geldwäsche zu bekämpfen, räumte der Sozialdemokrat ein. “Die grundlegende Reform des Geldwäschestraftatbestandes ist nun ein wichtiger Schritt, weil es das Vorgehen vereinfacht”, so Scholz weiter.

Einfacherer Nachweis Und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (ebenfalls SPD) ergänzte: “Durch Geld-

wäsche wollen Straftäter ihre kriminellen Profite verschleiern und schmutziges Geld in den legalen Wirtschaftskreislauf einschleusen. Wir müssen die Strafverfolgung hier deutlich effektiver machen, um Organisierte Kriminalität und schwerwiegende Wirtschaftsstraftaten besser bekämpfen zu können.” Der Nachweis von Geldwäsche solle künftig wesentlich einfacher sein. “Deshalb wollen wir den komplexen alten Tatbestand der Geldwäsche durch eine klare neue Strafvorschrift ersetzen und deutlich erweitern”, erläuterte die Sozialdemokratin. Es solle nicht mehr darauf ankommen, dass Vermögenswerte aus ganz bestimmten Straftaten stammten. “Entscheidend wird dann nur noch sein, dass Vermögenswerte durch Straftaten erlangt wurden”, betonte Lambrecht.

Neues Phänomen Immer öfter “movie money” sichergestellt (BS/mfe) Die deutschen Polizeibehörden beschlagnahmen seit vergangenem Jahr immer häufiger falsche Banknoten in Form des “movie money”. Ursprünglich wurden diese Geldscheine als Filmrequisiten hergestellt. Da sie echtem Geld jedoch zum Verwechseln ähnlich sehen können, werden sie zur Täuschung im Zahlungsverkehr verwendet und gelten als Falschgeld. Dessen Herstellung, Verbreitung und Einbringung in den Zahlungsverkehr ist strafbar. Bei den seit 2019 bundesweit innerhalb und außerhalb des Zahlungsverkehrs angehaltenen beziehungsweise sichergestellten “Veränderten Banknotenabbildungen” (VBNA), wozu auch das “movie money” zählt, handelte es sich häufig um Zehn-Euro- und 20-Euro-Scheine. Zwar stellte dieser VBNA-Typ wegen des überwiegenden Auftretens erst in den zweiten sechs Monaten des Jahres 2019 noch einen kleinen Anteil des gesamten Falschgeldaufkommens hierzulan-

de dar (sieben Prozent). Betrachtet man allerdings ausschließlich das zweite Halbjahr, lag der Anteil bereits bei rund 13 Prozent, wie aus dem neuesten “Bundeslagebild zur Falschgeldkriminalität” des Bundeskriminalamtes (BKA) hervorgeht.

Über 80.000 “Blüten” Demnach betrug das Gesamtaufkommen an festgestelltem Falschgeld in Deutschland im abgelaufenen Kalenderjahr rund 81.800 Noten. 2018 waren es noch rund 99.900 gewesen. Zwei Drittel (etwa 55.200 “Blüten”) wurden im

Zahlungsverkehr festgestellt. Im Jahr zuvor waren es etwa 58.000 Stück gewesen. Der Rest wurde unter anderem im Rahmen polizeilicher Durchsuchungen oder in aufgefundenen Gepäckstücken sichergestellt. Am häufigsten wurden 50-EuroBanknoten (49,4 Prozent) und 20-Euro-Scheine (20,1 Prozent) gefälscht. Der Nennwert der hierzulande registrierten EuroFalschnoten belief sich 2019 auf rund 7,5 Millionen Euro. Im Vergleich zum Vorjahr (etwa 17,2 Millionen Euro) entspricht dies einem Rückgang um 56,3 Prozent.

POLIZEITAGE 2020 17. November | Kiel www.polizeitage.de

1. Dezember | München Eine Veranstaltung des

15. Dezember | Düsseldorf und der


Persönliche Schutzausrüstung

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Tatsachen und Trends

W

ährend Feuerwehren im Ausland in den vergangenen Jahren bereits verstärkt auf eine Differenzierung von Einsatzfeldern und damit auch der PSA hingearbeitet haben, wurde die “Einheitsphilosophie” in Deutschland erst sehr spät geändert und eine “leichtere Schutzausrüstung” für die Technische Hilfeleistung standardisiert und eingeführt. Damit ging einher, dass sich auch Führungskräfte eingehend mit der Aufgabe von Gefährdungsbeurteilungen beschäftigen mussten, um unter Abwägung der einsatzspezifischen Risiken andere Formen des persönlichen Schutzes bereitstellen und anordnen zu können. Ein dabei in der Vergangenheit oft unterschätzter Faktor war die physiologische Belastung durch die gewichtsmäßig außerordentlichen und isolierenden Komponenten.

Universelle Schutzausrüstung nur bedingt geeignet Mit der klimatischen Entwicklung in Mitteleuropa rückte in den vergangenen Jahren das Thema “belastende PSA” durch die steigende Anzahl an Vegetationsbränden in den Vordergrund der feuerwehrinternen Diskussion. Häufigkeit und Ausdehnung

Behörden Spiegel / September 2020

Persönliche Schutzausrüstung für die Feuerwehren (BS/Dr.-Ing. Dirk Hagebölling) Die Vielfältigkeit der Einsatzaufgaben führt dazu, dass die Rahmenbedingen für die Durchführung häufig nicht kalkulierbar sind. Für bestimmte Einsatzfälle, zum Beispiel beim Umgang mit Gefahrstoffen, wurden besondere Schutzausrüstungen entwickelt, um eine adäquate Sicherheit für Einsatzkräfte zu gewährleisten. Bei der Vielzahl der übrigen Einsatzvarianten wurde nicht zuletzt aus Kostengründen auf eine möglichst universelle Persönliche Schutzausrüstung (PSA) gebaut, die letzten Endes aber immer nur einen Kompromiss aus notwendigen Schutzeigenschaften und vertretbarem Tragekomfort bedeutete. Hinblick auf den Tragekomfort und die Beweglichkeit für die Anwendung im Gelände nur bedingt geeignet ist. Mit dieser Erkenntnis stehen nun viele, vor allem freiwillige Feuerwehren in den Flächenländern, vor der Frage, ob neben der UniversalSchutzausrüstung noch zusätzlich eine leichtere Variante für Vegetationsbrände zu beschaffen ist. Unabhängig von den finanziellen Konsequenzen ergeben sich damit zwangsläufig auch taktische und logistische Fragestellungen. Zu leichteren PSA sind hinreichend internationale Standards verfügbar. Sie werden vornehmlich in Ländern ange-

Dr.-Ing Dirk Hagebölling war Direktor von Feuerwehr und Rettungsdienst der Stadt Bochum und ist Vorsitzender des Referats 8 der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) – Persönliche Schutzausrüstung für die Feuerwehr. Foto: BS/privat

dieser Einsätze durch lang andauernde Trockenheit erhöhten die Zeitspannen, denen sich Feuerwehren mit der Bekämpfung von Wald-, Unterholz- und Böschungsbränden widmen mussten. In diesem Zusammenhang war es absehbar, dass die universelle Schutzausrüstung mit ihren stark isolierenden Eigenschaften, die ursprünglich zum Schutz bei der Bekämpfung von Gebäudebränden konzipiert wurde, im

wendet, in denen die Feuerwehren seit jeher häufig zu Vegetationsbränden gerufen werden. Daher sind in Deutschland keine neuen nationalen Standards erforderlich, um ein etabliertes Schutzniveau bereitzustellen. Allerdings muss für ein Set auch ein Kostenansatz von etwa 1.000 Euro einkalkuliert werden.

Tragedauer ohne Verlust der Leistungsfähigkeit Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Problemstellung hat sich eine Arbeitsgruppe im Referat 8 der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) gebildet, die diese Standards sondiert und eine Empfehlung für die deutschen Feuerwehren ausarbeitet. Unabhängig davon galt es aber auch, einen methodischen Ansatz zu wählen, der in Kooperation mit

den Feuerwehrunfallkassen Anhaltspunkte liefern soll, in welchen Fällen die Bereitstellung zusätzlicher PSA überhaupt sinnvoll ist. Ausgangspunkt ist die Frage, wie lange mit der Universalschutzausrüstung typische Einsatztätigkeiten wahrgenommen werden können, ohne dass die Leistungsfähigkeit der Träger spürbar eingeschränkt wird. Diese Erkenntnis könnte das Indiz liefern, wann die zusätzliche Bereitstellung einer leichteren PSA angezeigt ist. Neben einer arbeitsmedizinischen Untersuchung und Bewertung der (zeitlichen) Belastungsfähigkeit von Feuerwehreinsatzkräften unter der Universalschutzausrüstung, die vom Institut für präventive Arbeitsmedizin (IPA, Bochum) durchgeführt werden soll, müssen auch die Einsatzstatistiken im Hinblick auf die Häufigkeit

von Vegetationsbränden und die Dauer der Intervention für eine Entscheidung herangezogen werden. Sollte sich bei einer solchen Erhebung herausstellen, dass eine zusätzliche Beschaffung für jede Einsatzkraft nicht verhältnismäßig wäre, müssen zumindest logistische Überlegungen zu einer bedarfsorientierten, zentral organisierten Bereitstellung angestellt werden. Die gegenwärtige Praxis zur sachgerechten Wahrung der Einsatzhygiene nach kontaminationslastigen Bränden bietet dafür erfolgsversprechende Ansätze. Mittlerweile haben die meisten Feuerwehren Regelungen getroffen, dass kontaminierte gegen saubere Gerätschaften und PSA noch am Einsatzort von Logistikteams getauscht werden. Es spricht also viel dafür, wenn unter Nutzung dieser Systematik auch bei lang währenden Vegetationsbränden die isolierende PSA gegen komfortablere Varianten vor Ort getauscht würde. Jetzt gilt es, die Ergebnisse dieser Studien abzuwarten. Denn damit werden Entscheidungskriterien für die deutschen Feuerwehren im Hinblick auf die zukünftige Gestellung ereignisangepasster PSA vorliegen.

Die Persönliche Schutzausrüstung schützt

Sichtbarkeit deutlich erhöht

Bewahrt die PSA Feuerwehrangehörige vor Krebserkrankungen?

Zentrale Servicedienststelle beschafft Schutzausstattung

(BS/Thomas Wittschurky) Die Persönliche Schutzausrüstung in den Freiwilligen Feuerwehren, kurz PSA genannt: ohne sie geht in keiner Wehr irgendetwas. Der technische Fortschritt auf allen Ebenen hat die PSA in vielen Einsatzsituationen zur “Ritterrüstung” gemacht. Eine prinzipiell gute Sache, auch wenn dadurch manchmal das Gespür für Gefahrensituationen zurückgedrängt wird – weil man sich ein Stück weit für “unverwundbar” hält. Wir wissen allerdings, dass die PSA ihre Grenzen hat. Schützt sie zum Beispiel wirksam vor krebserzeugenden Gefahrstoffen? Ich knüpfe da an die Debatte an, die unter dem zwar plakativen, aber doch sehr verkürzten Begriff “Feuerkrebs” geführt wird.

(BS/Nadine Perske*) Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Nordrhein-Westfalen ist als eine der drei Landesoberbehörden die zentrale Servicedienststelle für die Polizeibehörden vor Ort. Dabei kommt der Ausstattung der Polizistinnen und Polizisten eine besondere Bedeutung zu. Die Kolleginnen und Kollegen stellen sich vor Ort jeden Tag ihrem herausfordernden Job. “Wir wollen, dass sie dabei bestmöglich geschützt sind”, betont Behördenleiter Thomas Roosen. In den letzten Jahren hat sich im Bereich der Ausstattung viel getan.

BK zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Derartige Erkenntnisse gibt es. So werden beispielsweise durch Asbestfaserstaub verursachte Lungenkrebserkrankungen oder durch die Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen hervorgerufene Blasenkrebserkrankungen als BK entschädigt. Aus diesem Grund erhalten in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte freiwillige Feuerwehrmänner und -frauen Entschädigung, Erkenntnisse schon wenn sie an einer durch ihren vorhanden Dienst verursachten und in der Und da sind wir beim Kern des Berufskrankheiten-Verordnung Problems angelangt: Das deut- als BK bezeichneten Krebserkransche Sozialrecht entschädigt nur kung leiden. die Krankheiten als BK, die in der Ob es weitere medizinische ErBerufskrankheiten-Verordnung kenntnisse gibt – wie in der aktuals solche bezeichnet sind. Die ellen “Feuerkrebs”-Debatte unter Kompetenz hierzu hat die Bun- Hinweis auf ausländische Studien desregierung. Sie ist ermächtigt, bekräftigt wird – prüft derzeit der in der Berufskrankheiten-Ver- Spitzenverband der Unfallkasordnung solche Krankheiten als sen und Berufsgenossenschaften in dem Forschungsprojekt “Krebsrisiko im Feuerwehrdienst Thomas Wittschurky ist Leiter des Fachbereichs “So- Humanbiozialwesen” im Deutschen minitoring von Feuerwehrverband (DFV). Feuerwehrein satzkräften bei Foto: BS/FUK Niedersachsen Realbränden”, das vom an der Ruhr-Universität Bochum angesie-

Worum geht es? Dass Feuerwehrangehörige bei ihren Einsätzen sehr heterogenen Gefahren ausgesetzt sind, ist bekannt – und die PSA schützt ja auch zuverlässig vor den allermeisten Einflüssen. Erkrankt ein – und ich betrachte jetzt ausschließlich den ehrenamtlichen Feuerwehrdienst – Angehöriger einer Freiwilligen Feuerwehr an Krebs, stellt sich die Frage, ob die Ursache dieser Krebserkrankung im ehrenamtlichen Dienst liegt. Ist das der Fall, kommt eine Entschädigung der Erkrankung als Berufskrankheit (BK) im Sinne des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit der Berufskrankheiten-Verordnung in Betracht.

delten, DGUV-eigenen Institut für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA) durchgeführt wird. Das Projekt ist nicht zuletzt auch auf Initiative des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) und seiner Fachbereiche ins Leben gerufen worden: Der DFV ist im ProjektLenkungskreis mit einem seiner Vizepräsidenten hochrangig vertreten.

Studie bei den Feuerwehren Berlin und Hamburg In dem Forschungsprojekt wird untersucht, wie viel krebserzeugende Stoffe bei der Brandbekämpfung auch über die Haut aufgenommen werden – und ob und wie die PSA verbessert werden kann und muss. Durch das Humanbiomonitoring wird es möglich sein, Strategien und Verhaltensweisen für den Einsatzalltag so anzupassen, dass die Belastung der Einsatzkräfte weiter minimiert wird, BKen also gar nicht erst entstehen. Die Studie läuft derzeit bei den Feuerwehren in Berlin und in Hamburg. Ende dieses Jahres werden erste Projektergebnisse vorliegen. Dann werden wir hoffentlich zuverlässig wissen, ob es weitere Erkenntnisse über Krebsgefahren im Feuerwehreinsatz gibt, die über die derzeit gültige BK-Liste hinaus bewertet werden müssen. Die Forschungsergebnisse des IPA werden die Diskussion um eine mögliche Erweiterung der BK-Liste auf eine sachliche und fundierte Diskussionsebene hieven. Und sie werden wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Qualität der PSA bringen.

MELDUNG

Empfehlung veröffentlicht (BS/bk) Die Organisation @fire hat eine Fachempfehlung für Persönliche Schutzausrüstung (PSA) bei der Vegetationsbrandbekämpfung veröffentlicht. @fire unterscheidet bei seinen Empfehlungen zwischen Wehren, die gelegentlich mit dieser Einsatzlage konfrontiert sind, und Wehren, die häufig für diese Brandbekämpfung ausrücken. Feuerwehren der ersten Kategorie wird empfohlen,

einen Pool aus leichten Schutzjacken auf dem Fahrzeug für den ersten Angriff mitzuführen. Bei Wehren der zweiten Kategorie sollte jede Einsatzkraft über einen Satz leichter Schutzkleidung verfügen. Diese sollte möglichst hell sein, damit sie wenig Wärme speichert und die Sichtbarkeit erhöht. Der Atemschutz sollte durch eine FFP3Maske gewährleistet werden. Pressluftatmer sind in der Regel nicht zu empfehlen.

Die neueste Anschaffung hat es Anfang dieses Jahres für die Autobahnpolizei gegeben. Dabei handelt es sich um eine kombinierbare Wetterschutzkleidung aus reflektierendem Material in der Farbe neongelb. Die Erhöhung der Sichtbarkeit in Verbindung mit einem den Arbeitsbedingungen angepassten Wetterschutz sowie ein verbesserter Tragekomfort waren das oberste Ziel bei der Entwicklung der neuen Jacken und Hosen. “Das neue Outfit leuchtet strahlend gelb und hat damit eine Signalwirkung”, stellt Roosen fest. Alle Uniformteile eignen sich dabei zum Mitführen im Einsatzfahrzeug. So können die Einsatzkräfte unmittelbar am Einsatzort auf Wetter- oder veränderte Einsatzsituationen in kurzer Zeit angepasst reagieren. Auf eine zeitaufwendige Rückfahrt zur Wache, um die Bekleidung zu wechseln, kann dadurch verzichtet werden. Zusätzlich haben die Kleidungsstücke eine Wendefunktion und können auch “auf links” gedreht und dann in dunkelblau getragen werden. Alle Funktionalitäten bleiben dabei erhalten. “Das Beispiel der neuen Dienstkleidung zeigt, wie Vorschläge von der Basis und aus der Praxis umgesetzt werden”, erklärt der Behördenleiter. Die Idee zu der neuen Bekleidung kam aus der Mitarbeiterschaft der Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Auch der Wachdienst profitiert von der neuen Ausstattung. Die Softshell-Wendejacke steht nun auch hier den Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung. Die Jacke hat ebenfalls Signalwirkung, wenn sie in leuchtendgelb getragen wird. Sie kann aber ebenso in Dunkelblau gewendet werden, wenn es beispielsweise bei Fahndungen sinnvoll sein kann, nicht sofort erkannt zu werden. Außerdem ist die neue Jacke mit anderen Bekleidungsstücken kombinierbar und kann etwa im Winter auch unter der sogenannten Kurzjacke/Uniformjacke getragen werden.

Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Nordrhein-Westfalen prüft kontinuierlich die Schutzausstattung der Beamtinnen und Beamten. Foto: BS/oberaichwald, pixabay.com

Komfort und Schutz vereint Die sogenannte Außentragehülle (ATH) kombiniert Tragekomfort mit einem Höchstmaß an Schutz und Sicherheit. Die ballistischen Schutzpakete aus den Unterziehschutzwesten können in der Außentragehülle über der Oberbekleidung getragen werden. Gerade bei hohen Temperaturen bietet die ATH dadurch einen besseren Tragekomfort. Sie kann einfacher an- und ausgezogen werden und Ausrüstungsgegenstände, die sonst am Gürtel getragen wurden und die Hüfte belastet haben, finden nun genügend Platz in der praktischen Westenhülle. “Um ein Produkt zu beschaffen, das den vielen Anforderungen aus den betroffenen Arbeitsbereichen umfassend gerecht wird, hatten die Experten beim LZPD NRW die Ergebnisse eines Trageversuchs ausgewertet und noch einige Nähte verändert oder Schlaufen verschoben”, erklärt Roosen. Die Vorgaben für den Hersteller wurden mit den gewonnenen Erkenntnissen vervollständigt. Mehrere tausend ATH sind durch das LZPD NRW bereits vor zwei Jahren beschafft worden und stehen den Kolleginnen und Kollegen vor Ort in den Behörden zur Verfügung: ständige Entwicklung.

Das LZPD NRW prüft kontinuierlich die Ausrüstung der Polizei und passt sie bei Bedarf unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus vergangenen Einsätzen an. Auch Erkenntnisse aus internationalen Polizeieinsätzen, wie beispielsweise bei Terroranschlägen und Attentaten in Europa, fließen in diese Prüfungen und Entwicklungen ein. Um die Kolleginnen und Kollegen bestmöglich gegen bewaffnete Angriffe auch im Kopfbereich zu schützen, hat das LZPD NRW im Jahr 2018/2019 für alle Wachdienstkräfte ballistische Helme beschafft. Mit seiner Kombination aus akzeptablem Gewicht von rund 3,3 Kilogramm und sehr hoher Schutzwirkung bietet der Helm ein Maximum an Sicherheit verbunden mit dem notwendigen Tragekomfort. Bereits 2016 wurden die Kolleginnen und Kollegen mit Schutzwesten (Plattenträgern) mit hoher Schutzwirkung ausgestattet. Der ballistische Helm war ein weiterer Baustein in der Ausstattung, der für mehr Sicherheit bei gefährlichen Einsätzen sorgt. *Nadine Perske ist im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalens (LZPD NRW) tätig.


Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / September 2020

Viel hilft viel?

A

m Flughafen Berlin-Tegel kommen wieder Maschinen von Palma de Mallorca an. Die Ankunftszeit ist manchmal spät abends oder nachts. Doch wenn sich die Reiserückkehrer nach dem Ausstieg aus ihrem Urlaubsflieger testen lassen wollen, können die Passagiere vor verschlossenen Türen der Teststation stehen. Denn diese macht schon um 22 Uhr zu. Dabei soll den Reiserückkehrern aus Risikogebieten eine Testmöglichkeit auf das Corona-Virus angeboten werden. Am Flughafen Schönefeld sieht es nicht besser aus. Dabei gehören die Balearen seit Mitte August zu den vom Robert Koch-Institut (RKI) ausgewiesenen Risikogebieten für das Corona-Virus. Die Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) besagt, dass sich jeder nach Aufforderung des zuständigen Gesundheitsamtes testen lassen muss, der aus einem Risikogebiet eingereist ist oder sich in den letzten 14 Tagen in einem solchen aufgehalten hat. Nun soll die Testpflicht für Reiserückkehrer nach den Sommerferien wieder fallen. Stattdessen soll eine 14-tägige Quarantänepflicht eingeführt werden. Die Quarantäne kann frühstens nach fünf Tagen und einem negativen Corona-Test beendet werden. Das BMG arbeite zurzeit an einer Verordnung.

Überlastete Gesundheits­ ämter Ob die Quarantänepflicht flächendeckend überprüft werden kann, ist dabei fraglich. Bisher wurde die Quarantäne von den zuständigen Behörden nur stichprobenartig überprüft. Vielfach sind die Gesundheitsämter in den Kommunen durch die Flut der Aussteigekarten zusätzlich belastet. Die Karten werden meist analog von den Reisenden ausgefüllt und von Kräften der Hilfsorganisationen oder der Bundeswehr sortiert und an die zuständigen Ämter versendet. Allein für den Flughafen Tegel werden pro Tag mehrere Tausend Reiserückkehrer aus Risikogebieten erwartet. Diese müssen neben Rückverfolgung von Infektionsketten und ihren

Probleme mit den Reiserückkehrern und den Corona-Tests (BS/Bennet Klawon) Es war erwartet worden. Nach dem Abflachen der Infektionskurve stellen die Reiserückkehrer die Verantwortlichen in den Gesundheitsbehörden vor große Probleme. Der Betrieb der Teststationen läuft alles andere als rund. Doch nicht nur die Umsetzung der Tests gestaltet sich als Problem, sondern die Anzahl der Proben selbst stellt die Labore vor massive Schwierigkeiten. ginn der Krise die Versorgung mit Desinfektionsmitteln, Beatmungsgeräten und Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) schwierig gestaltete, sind nun verstärkt Verbrauchsmaterialien und Reagenzien die Achilles-Ferse in der Corona-Eindämmung. Diese Materialen können teilweise nur für einen kurzen Zeitraum aufgrund von begrenzter Haltbarkeit eingelagert werden. Ebenso können aufgrund der weltweit hohen Nachfrage die freien Kapazitäten für Tests stark sinken, denn innerhalb weniger Wochen stieg die Zahl der durchgeführten Tests von 150.000 Tests in der 20. Kalenderwoche auf über 190.000 in der 34. Kalenderwoche. Außerdem bestehen starke Abhängigkeiten von einzelnen Herstellern.

Verlängerung der Bearbei­ tungszeit

Die Labore kommen mit den Corona-Tests an ihre Grenzen.

sonstigen Aufgaben bearbeitet werden. In mehreren Kommunen Deutschlands würden sich jedoch viele Rückkehrer nicht bei den zuständigen Gesundheitsämtern melden, obwohl sie dazu verpflichtet sind.

Stau in den Laboren Aber es gibt nicht nur Probleme bei den Aussteigekarten und den Testzentren an den Flughäfen. Auch die kostenlosen Tests machen den Laboren immer mehr zu schaffen. Laut dem Lagebericht, den das RKI in regelmäßigen Abständen herausgibt, gibt es einen Stau von abzuarbeitenden Proben. 64 Labore meldeten noch über 17.000 ausstehende Testungen auf das Corona-Virus. 41 der Labore nannten Lieferschwierigkeiten für Reagenzien.

Der Stau wird mit der Einrichtung der Corona-Testzentren an den Grenzübergängen und Flughäfen erklärt. Das RKI verfügt über keine genaue Übersicht aller Labore, die die Tests der Abstriche der Reiserückkehrer durchführen. Jedoch kann sie exemplarisch für die Testzentren an den Flughäfen Hannover, Hamburg, Frankfurt, Berlin-Tegel, Berlin-Schönefeld, Leipzig/Halle, den Bahnhöfen München und Nürnberg sowie den Autobahnraststätten Passau, Traunstein und Rosenheim die Testquoten abbilden. Die angebundenen Labore haben die Daten zu der Anzahl und der Positivenquote freiwillig bereitgestellt. Diese Zahlen bilden jedoch nur einen Ausschnitt der Testlandschaft ab. In nur einer Woche führten die

Auswirkungen von Hitze und Klimawandel Löschwasserversorgung bei lang anhaltender Trockenheit (BS/bk) Es gibt kaum etwas, das mehr erfrischt als kaltes Wasser an heißen Sommertagen. Doch was in an­ deren Teilen der Welt schon seit Jahren auftritt, passierte in einigen deutschen Kommunen: Es wurden, wie im niedersächsischen Lauenau oder der rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinde Simmern-Rheinböllen, die Trinkwasserreserven knapp. Dies alleine ist schon bedrohlich genug. Doch kann auch die Löschwasserver­ sorgung durch Hitze und Trockenheit bedroht sein? Die Löschwasserversorgung wird momentan überwiegend über das Trinkwasserrohrnetz sichergestellt. Über 60 Prozent des Trinkwassers in Deutschland stammen laut dem Statistischen Bundesamt aus dem Grundwasser. Der Rest stammt aus Talsperren, Seen und Flüssen. Wie weit das öffentliche Trinkwasserrohrnetz zur Deckung des Löschwasserbedarfs herangezogen werden kann, hängt vom Wasserangebot, der Leistungsfähigkeit des Rohrnetzes und der Versorgungssituation ab. Dirk Aschenbrenner, Präsident der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) und Direktor der Feuerwehr Dortmund, gibt Entwarnung für Löschwasserknappheit: “Die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering. Trotzdem kann es bei der Wasserverfügbarkeit zu regionalen Unterschieden kommen. Wenn irgendwo Trinkwasser knapp wird, wird auch Löschwasser knapp. Aber das ist kein Problem in der Fläche und ein äußerst geringes Restrisiko.” “Grundsätzlich ist Deutschland aber klimatisch in einer Zone, in der es höchst unwahrscheinlich ist, dass wir flächendeckende Trinkwasserprobleme durch

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Die Schreckensvorstellung aller Einsatzkräfte: kein Wasser an der Brandeinsatzstelle. Foto: BS/Nico Franz, pixabay.com

zu geringe Niederschläge bekommen” bekräftigt Dr. Ulrich Cimolino, Feuerwehrmann bei der Feuerwehr Düsseldorf und Vorsitzender des Arbeitskreises Waldbrand des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV). In vereinzelten Fällen könne es zu Trinkwasserproblemen kommen. Die häufigsten Gründe für Trinkwasserprobleme seien Verkeimung, falsch geplante Leitungen, dauerhaft oder punktuell zu hohe Einzelverbräuche und überalterte Leitungen mit laufenden Schäden. Aber auch der DFV macht sich Gedanken über

die Zukunft. “Gerade Tank- beziehungsweise Großtanklöschfahrzeuge werden zusammen mit Löschwasserförderzügen hier künftig wichtiger werden, wenn die Leitungsquerschnitte tendenziell eher verringert werden”, prophezeit Cimolino. Die Trinkwasserleitungen würden aufgrund des sinkenden Trinkwasserbedarfs der Bevölkerung mit einem geringeren Durchmesser verlegt. Als weitere Wassertransportmöglichkeiten bieten sich laut Cimolino Wassertankwagen der Gemeinden oder von Landwirten an.

Foto: BS/fernando zhiminaicela, pixabay.com

Abstrichzentren fast 80.000 Tests durch. Von diesen waren über 1.200 positiv auf das CoronaVirus. Dies sind über 1,5 Prozent. Im Vergleich dazu betrugen die Positivenraten aller Testungen in den vergangenen Wochen meistens unter einem Prozent. Ein Großteil der Tests erfolgte an den Flughäfen mit über 43.000 Testungen. In dem Lagebericht gaben die 157 teilnehmenden Labore an, eine Kapazität von über 190.000 Tests pro Tag zu haben.Während sich zu Be-

Deshalb warnt das RKI: “Mit steigenden Probenzahlen verlängern sich auch die durchschnittlichen Bearbeitungszeiten, mit möglichen Konsequenzen für die zeitnahe Mitteilung des Ergebnisses an die betroffenen Personen sowie einen größeren Verzug bei der Meldung an das Gesundheitsamt.” Dies habe starke Auswirkungen auf die Identifizierung von Corona-Infektionen und die damit zusammenhängende Einleitung von Eindämmungsmaßnahmen durch die zuständigen Gesundheitsbehörden. Das Institut fordert deshalb, dass der “Einsatz der Teste im Hinblick auf den angestrebten Erkennt-

nisgewinn in Abhängigkeit freier Testkapazitäten zu priorisieren” sei. Ebenso warnt der Verband “Akkreditierte Labore in der Medizin” (ALM), dass eine hohe Auslastung auf lange Dauer nicht möglich sei, und schlägt vor, eine Auslastung zwischen 65 bis 80 Prozent anzustreben. So könnten Reserven für lokale Ausbrüche gebildet werden. “Wir bekommen doch nicht mehr Sicherheit allein dadurch, dass sich alle testen lassen können, wie sie wollen”, sagt der erste Vorsitzende des ALM, Dr. Michael Müller.

Keine Tests für Reisende aus Nicht-Risikogebieten Zwar wurde von der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) beschlossen, die Möglichkeit für kostenlose Testungen für Reisende aus Nicht-Risikogebieten zu beenden und die 14-tägige Quarantänepflicht für Reisende aus Risikogebieten, die durch Vorlage eines negativen Tests auf fünf Tage verkürzt werden kann, bestätigt. Doch wird damit die Problematik der strapazierten Laborkapazitäten nur geringfügig angegangen. Die Reiserückkehrer aus Risikogebieten wird es auch noch nach den Sommerferien geben. Auch mit Blick auf die Positivenraten der Rückkehrer besteht eine Notwendigkeit der Testungen. Um der Austeigekarten-Problematik zu begegnen, wurde auf der GMK beschlossen, dass ein digitales Meldeportal für Aussteigekarten entwickelt werden soll. Mit den Erfahrungen der CoronaWarn-App werden aber auch bei diesem Portal die datenschutzrechtlichen Hürden extrem hoch sein und die Entwicklungszeit sehr lange dauern. Warten auf den Herbst wird nicht helfen. Auch ohne Reiserückkehrer bleiben die Probleme der begrenzten Kapazitäten von Laboren und Gesundheitsämtern bestehen.


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Zahlen & Daten

Brände und Explosionen Technische Hilfeleistungen Notfalleinsätze Krankentransporte Tierrettung Fehlalarmierungen sonstige Einsätze Katastrophenalarme

Behörden Spiegel / September 2020


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / September 2020

B

ehörden Spiegel: Wie groß war die Herausforderung, in der Corona-Pandemie durch das Koblenzer Beschaffungsamt (BAAINBw) medizinisches Schutzgerät für den Bund zu besorgen und zu verteilen?

Stawitzki: Ich denke, keiner von uns konnte sich vorstellen, dass eine derartige Krise global die gesamten Logistikketten, auf die gerade Produktion und Beschaffung in ganz Europa und natürlich auch in der Bundeswehr angewiesen sind, so massiv beeinträchtigen würde. In dieser außergewöhnlichen Situation hat das Amt in Koblenz sehr pragmatisch ganz Außerordentliches mit einer Task Force unter der maßgeblichen Führung der Vizepräsidentin geleistet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben bis zur Belastungsgrenze mit hohem Engagement und großer Flexibilität versucht, das Unmögliche möglich zu machen. Behörden Spiegel: Im BAAINBw gibt es technische Beamte neben Soldaten, also zwei unterschiedliche Laufbahnen. Wie organisieren Sie die Nachwuchsgewinnung für diese beiden Bereiche? Stawitzki: Das Personal ist für uns alle immer wieder die größte Herausforderung. Für die Beschaffung von Ausrüstung braucht man Projektmanagement-Fähigkeiten. Dafür kommen in der Beschaffung neben den Soldaten, die ganz maßgeblich im Nutzungsmanagement “zu Hause” sind, natürlich auch technische Beamte, also Ingenieure und Ingenieurinnen, aber vor allem auch Juristinnen und Juristen infrage. Die DNA der Ausrüstung besteht bildlich aus einer Medaille mit zwei Seiten: Während auf der einen Seite Techniker und Ingenieure zunächst Leistungsbeschreibungen erstellen und technische Lösungen erarbeiten, muss auf der anderen Seite anschließend das alles in einen rechtsverbindlichen, endverhandelten Vertrag “übersetzt” werden. Nur dadurch wird auf der Industrieseite die Produktionslogistik angestoßen und das produziert, was wir haben wollen. Insofern gilt die Herausforderung, nicht nur für Nachwuchs zu werben, weil der relativ lange braucht, bis er ausgebildet ist. Deswegen versuchen wir, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ganzen Palette der Möglichkeiten von Seiteneinsteigern, über gezielte Werbung im Internet, aber auch über sogenannte Karrieretage zu gewinnen. Wichtig ist und bleibt eine gezielte Ansprache des gesamten Arbeitsmarktes. Behörden Spiegel: Die Realisierung des ersten Schrittes der Streitkräfteplanung für 2023 hat Fortschritte gebracht. Damit verknüpft sind aber auch Beschaffungsvorhaben, die zeitgerecht abgeschlossen werden müssen. Dabei gibt es die Diskussion, dass nicht nur der Zeitpunkt der Einführung definiert werden muss, sondern dass auch das Handling der Ausbildungszeit im Umgang mit diesen Systemen garantiert sein muss. Wie sieht da der Plan aus? Stawitzki: Aufsetzend auf das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr, mit dem die Planer bis weit in die 2030er-Jahre die notwendige Modernisierung der Bundeswehr beschrieben haben, blicken alle aktuell vor allem auf die “Very High Readiness Joint Task Force” (VJTF) 2023. Die Stand-by-Phase, also 2023, wird durch eine Stand-up-Phase ergänzt, was wiederum ein Jahr davor als Ausbildungszeit bis zum Abschluss der Zertifizierung der Kräfte notwendig macht. Wenn also alle von 2023 sprechen, dann reden sie in

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“Es bleibt noch eine Menge zu tun!” Der Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg nimmt Stellung (BS) Vizeadmiral Carsten Stawitzki ist der Abteilungsleiter Ausrüstung im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) in Berlin. Damit ist er, verkürzt gesagt, sicherlich für einen der wichtigsten und größten Aufgabenbereiche, der die Bundeswehr umtreibt, zuständig. Die Fragen zur materiellen Entwicklung, Beschaffung und Ausrüstung der deutschen Streitkräfte stellte Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel.

arbeiten kann. Rein geografisch betrachtet, wird sich Großbritannien auch mit dem Brexit nicht aus Europa verabschieden. Bei Projekten wie dem Eurofighter oder dem A400M sind wir alle in multinationalen Verträgen auf langfristige Zusammenarbeit angewiesen. Behörden Spiegel: Wegen Corona wird die nationale Wirtschaft vermutlich auch weiterhin auf günstiges Staatsgeld angewiesen sein. Befürchten Sie, dass dann für die Ausrüstung der Bundeswehr nicht mehr genug Geld da sein wird?

Stand dem Behörden Spiegel Rede und Antwort: Vizeadmiral Carsten Stawitzki, Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg, hier mit Chefredakteur und Herausgeber Uwe Proll. Foto: BS/Stiebel

Wirklichkeit von spätestens Ende 2021. Wir haben versucht, so gut es geht aus der VJTF 2019 zu lernen, dass wir strategisch viel früher in die Planung einsteigen müssen. Insofern segeln wir hart am Wind mit allen Beschaffungsvorhaben, um die erforderlichen Kräfte rechtzeitig einsatzbereit zur Verfügung stellen zu können. Es war wichtig, alle relevanten Projekte finanzplanerisch bereits Ende 2019 unter Dach und Fach zu bekommen, damit wir ins Außenverhältnis gehen und vertraglich mit der Industrie umsetzen können. Das betrifft einerseits die Sicherstellung der Führungsfähigkeit. Stichwort ist hier die Digitalisierung des Gefechtsfeldes, d. h. das Battle Management System bzw. die Digitalisierung Landbasierter Operationen (DLBO). Das betrifft andererseits aber auch eine bedarfsgerechte Munitionsbevorratung, die Verbesserung des geschützten und ungeschützten Transportbedarfs, die bewegliche Unterbringung im Einsatz und vieles andere mehr. Behörden Spiegel: Die rechtzeitige Einführung eines zweiten Loses des Schützenpanzers Puma ist für die VJTF 2023 geplant. Stünden Alternativen zur Verfügung? Stawitzki: Aktuell sind wir – wie vertraglich mit der Industrie ausgemacht – dabei, unter Federführung des Heeres die taktische Einsatzprüfung für den Puma in den Konstruktionsstand VJTV 2023 durchzuführen. Die Bewertung seitens des Inspekteurs soll Mitte August vorliegen. Für uns ist das ein wichtiger Meilenstein, weil davon abhängt, ob die Beschaffung eines zweiten Loses für den Puma angezeigt ist. Dieses zweite Los käme aber ohnehin nach der VJTF 2023. Darüber hinaus dient dieser Konstruktionsstand auch für die Nachrüstungsplanung des ersten Loses – also der Gefechtsfahrzeuge, die wir bereits haben, damit wir alle auf einen einheitlichen Konstruktionsstand bringen können. Neben dem Konstruktionsstand, der für ein zweites Los maßgeblich ist, bedarf es aber einer signifikanten Verbesserung der materiellen Einsatzbereitschaft des Waffensystems gemeinsam mit allen Beteiligten und maßgeblich unserer industriellen Partner. Behörden Spiegel: Was ist mit den Überwasserkampfschiffen und U-Booten? Stawitzki: Im Bereich der Überwasserkampfschiffe blicke ich zunächst darauf, dass die

Marineschiffbauindustrie und hier im speziellen die ARGE die Fregatten der Klasse 125 bis spätestens Mitte des nächsten Jahres der Marine zur Verfügung stellt. Dann verfolge ich aufmerksam Baufortschritt und Auslieferungstermine des zweiten Loses der K130. Mit dem MKS 180 (bzw. der F126) haben wir die Nachfolgeplanung im Bereich der Überwasserkampfschiffe erfolgreich unter Dach und Fach bringen können. Und gemeinsam mit unseren norwegischen Freunden arbeiten wir gerade intensiv daran, gemeinsam insgesamt sechs (zwei davon für Deutschland) U-Boote der Klasse 212 CD bis zum Ende der aktuellen Legislatur unter Vertrag zu nehmen. Behörden Spiegel: Wie ist der Plan zur Ablösung des Tornados? Stawitzki: Es hat jetzt eine grundsätzliche Richtungsentscheidung für die Nachfolge dieses betagten Waffensystems gegeben. Die Tornado-Flotte soll allerdings nicht eins zu eins durch ein einziges Waffensystem ersetzt werden, sondern die Leitung des Hauses hat entschieden, dass wir einerseits F/A-18-Kampflugzeuge für die Rolle nukleare Teilhabe und EA18-Growler für den elektronischen Kampf vorsehen. Zur endgültigen Beschaffungsentscheidung sind zunächst die Untersuchungen mit unseren amerikanischen Verbündeten abzuschließen. Ergänzt werden sollen die US-Kampfflugzeuge mit weiteren Eurofightern in der nunmehr durch das Parlament gebilligten aktuellen Konfiguration mit dem AESA-Radar. Behörden Spiegel: Wohin wird die Reise bei der Nachfolge des Schweren Transporthubschraubers (STH) gehen? Stawitzki: Zu den laufenden Vertragsverhandlungen kann ich keine Details erläutern. Die möglichen Kandidaten sind ja bekannt: neben der CH53K die CH-47F. Wir warten jetzt darauf, dass wir im Wettbewerb das beste Angebot bekommen. Ich gehe davon aus, dass wir dem Parlament noch in dieser Legislaturperiode im Projekt STH einen endverhandelten Vertrag werden vorlegen können. Dazu bedarf es vor allem guter Zuarbeit durch die beteiligte Industrie, um auswertbare Angebote zu erhalten. Behörden Spiegel: Wie steht es um die Zukunft des Leopard 2A7+? Stawitzki: Wie bei der Kampfflugzeugflotte, so gilt das auch für die Landkampfsysteme: die

Abteilungen Planung und Ausrüstung arbeiten hier ganz eng und abgestimmt miteinander. Hier laufen aktuell Untersuchungen, auch gemeinsam mit dem Inspekteur des Heeres. In unseren Köpfen müssen wir einen Paradigmenwechsel vollziehen, indem wir nicht mehr die Frage stellen: Wie viel Geld nehmen wir in die Hand, um möglichst lange ein bestehendes Waffensystem in Dienst zu halten? Damit würden wir sonst in dieselbe Falle wie beim Tornado laufen. Letzten Endes muss es aus unserer Sicht um die Frage gehen: Wie rasch können wir die Modernisierung der Waffensysteme insbesondere auch durch Ersatz und Ablösung so vorantreiben, um nur noch so wenig Geld wie möglich für die Altsysteme in die Hand zu nehmen? Mit Blick auf den Leopard 2A7+ bedeutet das: Wie viel Geld wollen wir eigentlich noch investieren, bis das deutsch-französische Main Ground Combat System (MGCS) tatsächlich kommt? Behörden Spiegel: Wie wird es mit dem Luftverteidigungssystem weitergehen? Stawitzki: Das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) befindet sich mit dem dritten Angebot, zu dem wir jetzt aufgefordert haben, vor einem entscheidenden Meilenstein: Mit dem Angebot, das wir jetzt zeitnah erwarten, wollen wir eine Entscheidung zum weiteren Vorgehen vorbereiten. Behörden Spiegel: Dann kommen wir mal zum Thema FCAS (Future Combat Air System) versus Tempest. Ist da nicht die Notbremse zu ziehen in der aktuellen finanz- und sicherheitspolitischen Lage, dass Europa da endlich einen gemeinsamen Weg geht, der realistischer und wahrscheinlich auch preiswerter ist? Stawitzki: Am Ende müssen wir versuchen, aus all den Erfahrungen, die wir in den multinationalen Projekten – vom A400M über den NH90 bis zum Eurofighter – leidvoll gesammelt haben, zu lernen und gemeinsam den Weg in Europa mit Blick auf ein gemeinsames Kampfflugzeugsystem zu finden. Aus unserer Sicht macht es weder technologisch noch rüstungswirtschaftlich oder finanziell Sinn, am Ende mit zwei konkurrierenden Systemen innerhalb Europas auf den Markt zu treten. Ich denke, das wird uns am Ende auch gelingen. Die Herausforderungen sind vergleichbar mit dem MG-

CS: Wie arbeiten diese Systeme mit Remote Carriers, also unbemannten Systemen, zusammen? Darüber hinaus wird auch mit der Einführung eines FCAS die Eurofighter-Flotte nicht von heute auf morgen obsolet werden. Auch die müssen miteinander zusammenarbeiten können. Am Ende kommen wir also um alle Fragestellungen bezüglich der Digitalisierung dieser Waffensysteme, ihrer Vernetzung mit anderen Waffensystemen sowie nach “bemannten” bzw. “unbemannten” Anteilen nicht herum. Behörden Spiegel: Schon die britischen und spanischen Eurofighter sind so unterschiedlich, dass jeder seine eigene Infrastruktur mitbringen muss. Wie soll dann erst bei FCAS und MGCS eine gemeinsame Logistik funktionieren können? Stawitzki: Das ist eine ganz große Achillesferse multinationaler Projekte: ihre Interoperabilität. Es geht nämlich nicht nur darum, sich einmal gemeinsam auf ein Fähigkeitspaket zu einigen, schon das ist Herausforderung genug. Viel schwieriger bleibt es, auf der Zeitachse über Jahrzehnte auch beisammen zu bleiben. Betrachtet man beispielsweise das Radar beim Eurofighter, so müssen wir ganz nüchtern feststellen, dass es uns selbst hier nicht gelungen ist, die Entwicklung eines gemeinsamen Radars für die Zukunft weiter voranzutreiben, sondern die Briten sind ihren Weg gegangen, und wir gehen mit den Spaniern jetzt unseren Weg. Behörden Spiegel: Besonders die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben gezeigt, wie entscheidend Satellitenkommunikation ist. Kommt SATCOMBw 3 oder gibt es dann da eine Fähigkeitslücke? Stawitzki: Jede Fähigkeitslücke in diesem Bereich ist unter allen Umständen zu vermeiden. Insofern segeln wir auch in diesem Projekt hart am Wind. Behörden Spiegel: Ist absehbar, dass Frankreich und Deutschland, besonders jetzt nach dem vermutlichen erfolgreich durchgeführten Brexit, die Treiber von Projekten wie Eurodrohne, FCAS und MGCS sein werden? Stawitzki: Die europäische Zusammenarbeit ist für mich persönlich eine Raison d‘Être genauso wie die Zusammenarbeit mit unseren US-amerikanischen Verbündeten. Am Ende gibt es immer einen Weg, wie man pragmatisch miteinander zusammen-

Stawitzki: Die Modernisierung der Bundeswehr und die Herausforderungen, die sich aus der außen- und sicherheitspolitischen Lage ergeben, haben sich durch die Corona-Krise nicht verändert. Allenfalls haben sich die Rahmenbedingungen für deren Umsetzung erschwert. Letzten Endes wird es eine Frage der Politik sein, zu entscheiden, wie sie die Schwerpunkte mit Blick auf die Zukunft legt. Ich persönlich vermag überhaupt noch gar nicht abzuschätzen, wohin die Reise gehen könnte. Gerade mit Blick auf unsere industriellen Partner, denke ich, werden wir frühestens Anfang des nächsten Jahres ein klares Lagebild bekommen. Dann ist es die Aufgabe der Politik, mit der Haushaltsaufstellung im Herbst die Leitplanken so zu setzen, dass wir in der gesamtstaatlichen Fürsorge für unser Gemeinwesen den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen können. Behörden Spiegel: Leben Sie noch unter den Nachwirkungen der Berateraffäre? Stawitzki: Die Berateraffäre wird ihren Abschluss zeitnah durch den Untersuchungsbericht finden. Insgesamt hat das Ministerium in den zurückliegenden Monaten sehr intensiv seine Konsequenzen aus den Berateraktivitäten gezogen. Das führt dazu, dass wir die Dinge zwar pragmatisch, aber immer in den rechtstaatlichen Leitplanken nach vorne bringen müssen. Das sagt sich jetzt einfach daher: denn ein Stück weit ist uns die “Leichtigkeit des Seins”, die man auch braucht, um nicht zu verkrampfen, schon abhanden gekommen. Die richtige Balance halten – das ist wichtig. Denn Beratungs- und Unterstützungsleistungen für so einen großen Bereich wie die Bundeswehr werden wir immer brauchen, weil es keinen Sinn macht, für jede Spezialfrage ständig und permanent eigene Kapazitäten vorzuhalten. Behörden Spiegel: Wie viele Leute haben bei Ihnen im Homeoffice gearbeitet? Hat das geklappt und wie waren Sie vorbereitet? Stawitzki: Als Vorgesetzter sollte man auch hier als Vorbild vorangehen. Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, die Prä-Corona-Zeit nachher wieder in die Post-Corona-Zeit zu transferieren. Viele Dinge – das hat uns Corona gezeigt – funktionieren erstaunlich gut. Es gibt allerdings auch Grenzen, auch unerwartete. Das Ministerium selbst und meine Abteilung waren in der Lage, die persönliche Anwesenheit vor Ort bis auf knapp 20 Prozent zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu reduzieren. Gleichwohl haben wir dabei aber vor allem festgestellt, dass wir im nachgeordneten Bereich noch erheblichen Nachholbedarf haben, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der notwendigen IT-Ausstattung für die Arbeit von zu Hause aus zu versorgen. Auch hier bleibt also noch eine Menge zu tun.


Wehrtechnik / Verteidigung

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Großaufträge aus Budapest

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ngarn ist der erste Mitgliedsstaat von NATO und Europäischer Union (EU), der sich für den neu entwickelten Schützenpanzer “Lynx” von Rheinmetall entscheidet. “Im Rahmen seiner Verpflichtungen gegenüber der NATO stellt Ungarn die schwere Bewaffnung seines Heeres wieder her”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Ministers für Innovation und Technologie, László Palkovics, und Dr. Gáspár Maróth, des Regierungskommissars für Verteidigungsentwicklung, die das Abkommen in Unterlüß für die ungarische Seite unterzeichnet haben. “Als fortschrittlichstes Modell seiner Kategorie hat sich der “Lynx” als geeignet erwiesen, diese zentrale Rolle im Ausrüstungsspektrum des Heeres für die kommenden Jahrzehnte einzunehmen. Im Einklang mit dem Versprechen der ungarischen Regierung zur Entwicklung der Streitkräfte bedeutet diese Zusammenarbeit aber auch weit mehr als die militärtechnische Modernisierung. “Die Partnerschaft mit einem führenden europäischen Großunternehmen dient der Modernisierung der Militärindus­trie und damit der Erweiterung unseres Industrieportfolios”, so Palkovics und Maróth weiter. Im Gespräch war ursprünglich auch der Schützenpanter “Puma” gewesen, den die PSM GmbH, bestehend aus Rheinmetall und KMW, speziell für die Bundeswehr entwickelt hat.

Ungarn setzt auf Zusammenarbeit mit Deutschland Die “schwere Bewaffnung” des ungarischen Heeres wird künftig komplett aus deutscher Produktion kommen. Im Dezember 2018 hatten die Streitkräfte Ungarns 44 Exemplare des Kampfpanzers “Leopard 2” in der aktuellen Version “2A7+” in Deutschland bestellt. Diese sollen die betagten ursprünglich 44 Panzer aus sowjetischer Produktion vom Typ T-72 ersetzen, die bislang von der ungarischen Armee genutzt wurden. Hierzu gehörte auch die Lieferung von zwölf gebrauchten Exemplaren der älteren Variante “Leopard 2A4” aus KMWBeständen, um die ungarischen Panzerbesatzungen vorab für ihr neues Gerät ausbilden zu können. “Leopard-2”-Panzer werden seit

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och wer glaubt, es handle sich um eine temporäre Flaute ohne weitere Auswirkungen, täuscht sich gewaltig. Energiebewusster Verbrauch im Westen, alternative Stromerzeugung, Schieferöl sowie der immer stärker werdende interne Preiskampf werden die BarrelErlöse mittelfristig nicht wieder auf Rekordniveau katapultieren. Neben finanziellen Schwierigkeiten, welche aktuell auch europäische Industrienationen durchleben, droht das Ausbleiben der Öl-Einnahmen im Nahen Osten Monarchien zu stürzen und letztendlich die gesamte sicherheitspolitische Stabilität ins Wanken zu bringen! Dabei trifft die Krise die Staaten unterschiedlich schwer. Bis heute gelang den wenigsten unter ihnen eine Diversifizierung ihrer Wirtschaft. So hängen sie in großen bis größten Teilen vom “schwarzen Gold” ab, um ihren Haushalt auszugleichen. Während Algerien einen BarrelPreis von 157 US-Dollar benötigt, reichten 80 Dollar im Oman. Lediglich das gasreiche Katar kalkulierte mit 40 Dollar und betrachtet den aktuellen Markt (bei ca. 45 Dollar) derzeit etwas entspannter. Die Regierungen sind gezwungen, zu handeln. Algier kündigte eine Halbierung des Budgets an und Bagdad beabsichtigt, den Lohn der Staatsbeschäftigten drastisch zu kürzen. Auch wenn einige Länder über beträchtliche Dollarreserven verfügen, machen

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Enge deutsch-ungarische Zusammenarbeit bei Landstreitkräften (BS/Dr. Gerd Portugall) Mitte August vereinbarten die Rheinmetall AG, Deutschlands größter Rüstungskonzern, und die ungarische Regierung die Gründung eines Joint Ventures zur gemeinsamen Herstellung von Schützenpanzern des Typs “Lynx”. Die entsprechende bilaterale Vereinbarung im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro wurde in Unterlüß, dem Standort der Rheinmetall Landsysteme GmbH, unterzeichnet. Im Rahmen der bereits seit geraumer Zeit etablierten Zusammenarbeit zwischen dem Düsseldorfer Unternehmen und Ungarn werden die Partner ein Joint Venture und eine Produktionsstätte in Ungarn zur Herstellung des modernen Schützenpanzers gründen.

der Parlamentarische Staatssekretär. Er kündigte an, sich weiter für die enge militärische Zusammenarbeit beider Länder zu engagieren und damit auch den Zusammenhalt in Europa auf der Grundlage der Werte und Interessen der EU zu stärken. Erst kürzlich besuchte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ihren ungarischen Amtskollegen, Generaloberst a. D. Dr. Tibor Benkő, bei ihrer Reise durch die vier Visegrád-Staaten und betonte ebenfalls die hervorragende Zusammenarbeit beider Streitkräfte.

Militärische Kooperation

Wird künftig das Rückgrat der ungarischen Landstreitkräfte bilden: der deutsche Kampfpanzer “Leopard 2”.

1979 von der Münchener KraussMaffei Wegmann (KMW) GmbH & Co. KG hergestellt. Neben der Bundeswehr setzen ihn vor allem die europäischen Partner in verschiedenen Modellvarianten ein. Ungarn wird damit insgesamt der 19. “Leopard-2”-Nutzerstaat und der achte Nutzerstaat der “Panzerhaubitze 2000”. Neben den “Leopard 2A7+” und den “Leo­pard2A4”-Ausbildungspanzern hat Ungarn auch 24 “Panzerhaubitzen 2000” sowie je drei Bergepanzer FFG “Wisent 2” und Brückenlegesysteme “Leguan” bei KMW geordert. Der Auftragswert wird auf über eine Milliarde Euro geschätzt. Bis Ende 2024 sollen alle gepanzerten Fahrzeuge ausgeliefert sein.

Rheinmetall auch hier “mit im Boot” Bei diesen Vorhaben ist Rheinmetall Defence als Partner von KMW ebenfalls stark involviert:

So fertigt das Düsseldorfer Unternehmen Waffenanlagen und Feuerleittechnik für die 44 Kampfpanzer “Leopard 2A7+” sowie Waffenanlagen, Feuerleittechnik und Fahrgestelle für die 24 “Panzerhaubitzen 2000”. Ebenso gehören auch 13 HXund TGS-Lastkraftwagen als militärische Nutzfahrzeuge zum Auftragspaket. Ein entsprechender Liefervertrag wurde Mitte des vergangenen Jahres unterzeichnet. Der Auftragswert beläuft sich insgesamt auf rund 300 Millionen Euro netto. Die Lieferungen sollten nach ursprünglicher Planung, d. h. vor Covid-19, im kommenden Jahr beginnen und bis 2025 andauern. Vor allen Dingen ist die Rheinmetall AG der Entwickler und Originalhersteller der 120-mmGlattrohr-Technologie, die in allen Versionen des Kampfpanzers “Leopard 2” verwen-

det wird. Gleiches gilt für die 155-mm-L52-Waffenanlage der “Panzerhaubitze 2000”. Die 120-mm-Glattrohrtechnologie wurde sowohl waffen- als auch munitionsseitig stetig weiterentwickelt. Die für den “Leopard 2A7+” vorgesehene druckhöhere 120-mm-Waffenanlage L55A1 ist Ende 2017 erfolgreich qualifiziert worden und wird seit Mitte 2018 bereits für zwei “Leo­pard2”-Nutzerstaaten geliefert und eingerüstet. Die Waffenanlage L55A1 ist darüber hinaus zum Verschießen der programmierbaren Mehrzweckpatrone DM11 befähigt.

Erste “Leopard 2” übernommen Unterdessen sind Ende Juli dieses Jahres die ersten “Leopard-2”-Exemplare zu Ausbildungszwecken übergeben worden. Thomas Silberhorn (CSU),

Foto: BS/Bundeswehr, Marco Dorow

Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, war zur Übergabezeremonie nach Ungarn gereist. Die Panzer wurden in der Garnisonsstadt Tata 60 km westlich von Budapest von den ungarischen Streitkräften übernommen. “Ungarn modernisiert seine Landstreitkräfte und Deutschland ist dabei ein strategischer Partner”, sagte Staatssekretär Silberhorn aus diesem Anlass. Die Nutzung der gleichen Waffensysteme und die enge Zusammenarbeit bei der Ausbildung der Panzerbesatzungen steigere die Interoperabilität der deutschen und der ungarischen Streitkräfte. “Das ist ein wichtiger Bestandteil der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen der Europäischen Union und stärkt zugleich den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO”, so

Dem gesamten Orient droht Chaos Goldenes arabisches Ölzeitalter am Ende? (BS/Heino Matzken, M.Sc., Ph.D.) Die Besuche reicher Scheichs in den Luxusläden der Champs-Élysées, in den Kasinos Monacos oder im Beiruter Nachtleben lassen spürbar nach, nicht nur wegen Covid-19. Nein, über unbegrenzte finanzielle Mittel wie noch um die Jahrtausendwende verfügen die Herrscherhäuser am Persischen Golf schon seit einiger Zeit nicht mehr. Neben exorbitanten, zuweilen verschwenderischen Ausgaben und militärischen Auseinandersetzungen – wie z. B. dem irakisch-iranischen Krieg 1980 – 1988, den Golfkriegen 1991 und 2003 sowie der Jemen-Intervention – und einer stetig wachsenden Bevölkerung wirkt sich vor allem der sinkende Ölpreis verheerend auf die einst so wohlhabenden Staaten aus. wiederholte Haushaltsdefizite (Kuwait z. B. bis zu 40 Prozent) die internationalen Finanzmärkte nervös. Schlechte Stimmung bei den Rating-Agenturen “verteuern” für die Golfstaaten Kreditaufnahmen und verstärken mittelfristig das Problem noch.

Gegenmaßnahmen Überangebot und nachlassender Bedarf – aktuell auch aufgrund eingeschränkter Mobilität wegen Corona – werden den Preis weiter auf niedrigem Niveau belassen. Umso wichtiger sind “Gegenmaßnahmen”. Saudi-Arabiens zukünftiger Machthaber, Kronprinz Mohammed bin Salman (im Volksmund MBS genannt), dachte bereits in die richtige Richtung. Vor vier Jahren veröffentlichte er seine “Vision 2030”, welche auf die Unabhängigkeit vom Erdöl zielt. Aber um seine zukunftsträchtigen Träume umzusetzen und die Wirtschaft zu diversifizieren, benötigt MBS riesige Investitionen. Diese sollen aus dem Staatsfond PIF (Public Investment Fund), aus dem Börsengang der Erdölfördergesellschaft

ARAMCO und natürlich aus den Öleinnahmen kommen. Doch dieses Jahr rechnen die arabischen Länder mit Erlösen von lediglich 300 Milliarden Dollar (2012 war es noch eine Billion). Die Änderungen könnten jedoch zu spät kommen. Die Regierungen der ölreichen Länder – wie Iran, Irak und selbst SaudiArabien – sehen sich stärker werdenden Protesten gegenüber. Demonstrationen in Bagdad um die Jahreswende führten bereits zum Sturz des Premierministers. Im östlichen Nachbarstaat Iran sieht die Lage auch aufgrund der westlichen Sanktionen noch prekärer aus. Schon lange erzielt Teheran für sein Öl nur einen Bruchteil des offiziellen Marktpreises. Die über 80 Millionen Perser verspüren Zukunftslosigkeit und begehren mehr und mehr auf. Falls das MullahRegime keinen Ausweg findet, könnte dann die Bündelung aller Kräfte gegen einen “Feind von außen” die letzte Lösung sein. Eine militärische Auseinandersetzung gegen den Erzfeind Israel, gegen die verhassten USA oder den

Regionalrivalen Saudi-Arabien würden die gesamte Region ins Chaos stürzen.

Auch Nicht-Ölförder-Staaten betroffen Doch der niedrige Ölpreis belastet auch die “nicht fördernden” Staaten des Orients nachhaltig. Länder wie der Libanon, Jordanien, Ägypten oder Palästina finanzieren über zehn Prozent ihrer Budgets mit Geldern, welche ihre Staatsbürger auf den Ölplattformen, Baustellen oder in den Haushalten im Ausland erarbeiten und dann zurück überweisen. Mehr als 2,5 Million Menschen verdingen sich am Golf. Fünf Prozent der libanesischen und jordanischen Bevölkerung sowie zehn Prozent der Palästinenser haben ihr Auskommen in den Erdölfördergebieten. Waren diese Arbeiter in den 1980er-Jahren noch ungebildet, so handelt es sich heute vielfach um Universitätsabsolventen und Facharbeiter. Der sog. “brain drain” fällt besonders in Zeiten von Corona auf. Während Kairo über einen Mangel an Ärzten klagt, sind seit

2016 mehr als 10.000 ägyptische Doktoren emigriert – die meisten an den Persischen Golf. Eine Wirtschaftskrise könnte diese Experten in ihre Heimatländer zurücktreiben. Natürlich gegen ihren Willen, denn sie haben sich an das hohe Gehalt und den Lebensstandard gewöhnt. Darüber hinaus bilden die Ölexportierenden Länder einen entscheidenden Absatzmarkt für die Produkte der ärmeren arabischen Länder – zumeist arbeitsintensive landwirtschaftliche Erzeugnisse. Ein Wegfall dieses Marktes würde deren innere Probleme noch verstärken. Gleichzeitig sinkt auf der einen Seite das Interesse der Industrienationen an der Region. Während die USA seit vier Jahrzehnten entsprechend der “Carter-Dok­ trin” auch militärisch gegen jeden Versuch einer anderen Macht, Kontrolle über den Persischen Golf zu gewinnen, vorgingen, blieb der Angriff auf die saudischen Ölförderanlagen im September 2019 quasi unbeantwortet. Auf der anderen Seite kehrt Russland auf die orientalische Bühne zu-

Die ungarischen Streitkräfte planen dabei langfristig den großen Schritt von der Kooperation zur Integration, wie dies beispielsweise schon zwischen Deutschland und den Niederlanden realisiert sei, so Oberst i. G. László Hajnik, Verteidigungsattaché der ungarischen Botschaft in Berlin, gegenüber dem Behörden Spiegel. Digitale Dienstvorschriften zu Strategie und Taktik der Bundeswehr würden zurzeit übersetzt, um sich an diesen für neue Vorschriften der ungarischen Streitkräfte zu orientieren. Vorbild für den “digitalisierten Soldaten” Ungarns sei das deutsche Programm “Infanterist der Zukunft” (IdZ). Auch personell finde ein reger Austausch statt. So befinde sich u. a. ein ungarisches Verbindungsbüro im BMVg in Bonn und ein Verbindungsoffizier im Amt für Heeresentwicklung in Köln. Ein deutscher Austauschoffizier solle zum Generalstab in Budapest beordert werden und im dortigen Verteidigungsministerium solle ein deutsches Verbindungsbüro entstehen, so der Verteidigungsattaché.

Ungarn stark auf der BSC 2020 vertreten Neben dem Außenminister und dem Generalstabschef aus Ungarn wird u. a. auch Dr. Maróth auf der diesjährigen Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) des Behörden Spiegel erwartet, die am 24. und 25. November im Vienna House Andel΄s Berlin stattfindet.

rück und China nutzt besonders ökonomisch das von den USA hinterlassene Vakuum. Noch herrscht eine gewisse Solidarität zwischen den “reichen” und den “armen” arabischen Nationen. Doch schwindende und wohl auf Dauer nicht zurückkehrende Öleinnahmen würden das bereits heute volatile Gefüge noch weiter durcheinander bringen. Falls den Golfmonarchien nicht zügig ein wirtschaftliches Umdenken – wie von den Vereinigten Arabischen Emiraten bereits eingeleitet und von MBS beabsichtigt – gelingt, würde eine verschärfte Wirtschaftskrise im besten Fall zu innenpolitischen Unruhen und einer Politikänderung führen. Existenzbedrohende Szenarien könnten die betroffenen Herrscherhäuser jedoch zu überproportionalen Reaktion veranlassen, welche von Gewalt gegen die eigene Bevölkerung bis hin zu internationalen militärischen Konflikten führen könnten. Aus Eigeninteresse tut der Westen daher gut daran, schon frühzeitig wirtschaftliche und politische Reformen im Nahen Osten zu unterstützen. Denn nur Zukunftsperspektiven für die arabischen Nationen könnten die nicht perfekten, aber bislang relativ stabilen Staatsformen am Golf über einen kaum abwendbaren niedrigen Ölpreis hinwegretten. Militärische Konflikte in der Region aufgrund wirtschaftlicher Ausweglosigkeit wären ein Horrorszenario für alle Beteiligten – also auch für uns.


Verteidigung

Behörden Spiegel / September 2020

J

etzt ist es ein bisschen spät, sich aufzuregen. Aber man darf gespannt sein auf die Verhandlungen für den Einzelplan 14 für 2021 und die Folgejahre bis 2031. Soviel dazu. Der mögliche Abzug von US-Streitkräften muss differenziert betrachtet werden, und es geht um die Sicherheit und Verteidigung der EU- und der NATO-Staaten als Ganzes, nicht (nur) um Deutschland. Das Kollozieren des USEUCOM (United States European Command) mit dem Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) der NATO wird sehr teuer, ist operativ aber nachvollziehbar, ebenso die Verlegung des US-Spezialkräfte-Kommandos nach Mons/Chièvres. Dort ist ja das NATO Special Operations Headquarters stationiert. Für AFRICOM (United States Africa Command) suchte man seit seiner Aufstellung 2007 eine angemessene Stationierung. Stuttgart war eine Notlösung, weil man sich politisch nicht auf eine Stationierung in Afrika selbst festlegen konnte. Wirklich negativ für die Sicherheit vor allem unserer zentraleuropäischen Partner ist die Rückverlegung des 2nd Cavalry Regiment, eines brigadestarken Kampfverbandes als “Manoeuvre Force“ mit jahrzehntelanger Bindung an die NATO und Europa – und an Deutschland.

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Bevorstehender US-Truppenabzug

Hier wird eine erhebliche Lücke in der Verteidigungsfähigkeit der NATO im Zentralbereich entstehen. Ebenso ist die Verlegung des F-16-Verbandes aus Spangdahlem ein Rückschlag für Air Policing und die Luftverteidigung in Zentraleuropa – zugunsten Südeuropas.

neben der Präsenz des SACEUR (Supreme Allied Commander Europe der NATO) – durch den Vice Chairman (Stellvertreter!) der Joint Chiefs of Staff, General John Hyten (Luftwaffenoffizier mit Spezialisierung auf den Bereich Space Command), begleitet – und nicht durch den wirklich zuständigen Chairman der Joint Chiefs of Staff, den im Bereich Operative und Strategische Führung hochqualifizierten General Mark Milley, der über ganz erhebliche Einsatzerfahrung sowie über sehr großes militärhistorisches Wissen im Hinblick auf die Verteidigung Europas verfügt. Ein Zufall? Wohl kaum.

Lücken werden gerissen

Fazit

Die Zusicherung einer schnellen Verstärkungsmöglichkeit aus den USA unter anderem für den Operationsplan “Eagle Defender” ist angesichts der Anti-Access/ Aerial-Denial-Möglichkeiten (A2/AD) Russlands bis in die baltischen Staaten und Polen zweifelhaft. Also muss beides durch europäische Verbündete kompensiert werden. Hier ist Deutschland gefragt. Starke Kampfhubschrauberverbände und Luftstreitkräfte wären wegen ihrer schnellen Reaktions- und Verlegefähigkeit am geeignetsten. Am interessantesten ist aber vor allem eines: Die Pressekonferenz von Verteidigungsminister Mark Esper am 29. Juli: Er wurde –

Wichtig bleibt eins: Der Dialog Deutschlands und der EU mit unserem nach wie vor wichtigsten Partner im Sicherheits- und Verteidigungsbereich, den USA, der seit Jahrzehnten von Vertrauen geprägt ist, darf nicht abreißen – die Profis arbeiten weiter.

Hintergründe und Schlussfolgerungen (BS/Generalmajor a. D. Reinhard Wolski*) Es ist schon interessant zu beobachten, wer sich so alles in die Diskussion über den bevorstehenden Truppenabzug amerikanischer Streitkräfte einschaltet: Unter anderem Politiker und Experten, die jahrzehntelang die notwendige Erhöhung des Verteidigungsetats Deutschlands aktiv behindert haben und Fluglärmdiskussionen gegen US-Verbände geführt haben.

Historischer Besuch

Eine F-16C Block 50D des 52. Kampfflugzeuggeschwaders der US-Luftwaffe von der Spangdahlem (SP) Air Base in Rheinland-Pfalz Foto: BS/Portugall

BSC

Berlin Security Conference

1 9 th C o n g r e s s o n E u r o p e a n S e c u r i t y a n d D e f e n c e

Israelische Kampfflugzeuge über Deutschland

Melden Sie sich zu Europas führ ender Veransta Sicherheit und ltung für Verteidigung au f www.euro-defe nce.eu an

(BS/por) 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren erstmals israelische Kampfflugzeuge für zwei Wochen offiziell Gast der Luftwaffe der Bundeswehr. Rund 180 Soldaten der “Zahal” mit sechs General Dynamics F-16-Jets und einem Lockheed C-130 “Hercules”Transportflugzeug waren der Einladung des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, gefolgt. General Gerhartz war es ein besonderes Anliegen gewesen, gleich zu Beginn persönlich eine Willkommensformation von zwei Eurofightern anzuführen, um seinen israelischen Amtskollegen, Generalmajor Amikam Norkin, im deutschen Luftraum zu begrüßen. Das Taktische Luftwaffengeschwader 31 “Boelcke” auf dem Fliegerhorst in Nörvenich, südwestlich von Köln, beheimatete Personal und Material aus Israel für die Dauer des Besuches. In der ersten Woche übten beide Luftwaffen bei “Blue Wings 2020” gemeinsame Luftoperationen. In der zweiten Woche nahmen die israelischen Partner an den mehrmals im Jahr stattfindenden “Multinational Air Group Days” (MAG Days) teil. Diesmal waren auch fünf ungarische Saab JAS 39 “Gripen” an der trilateralen Übung beteiligt. (Mehr zur militärischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ungarn steht auf Seite 46 dieser Ausgabe.) Normalerweise, d. h. ohne Corona, finden die MAG Days viermal pro Jahr statt. Neben dem militärischen Training hatte die israelische Delegation einen weiteren wichtigen Punkt auf dem Programm: den Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau bei München. Dabei trafen die

Vertreter der beiden Luftwaffen auch mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zusammen. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels seien unverrückbare Ziele der deutschen Politik, betonte die Ressortchefin.

Etablierte Beziehungen Die deutsche Luftwaffe hat bereits zweimal an der in Israel beheimateten multinationalen Übung “Blue Flag” teilgenommen – zuletzt Anfang November des vergangenen Jahres. Damals waren rund 140 Bundeswehr-Soldaten sowie sechs Eurofighter auf den IAF-Luftwaffenstützpunkt (“Israeli Air Force”) Ovda in der Negev-Wüste verlegt worden, um sich an der internationalen Großübung “Blue Flag” zu beteiligen. Insgesamt waren mehr als 1.000 Soldaten und rund 50 Kampfflugzeuge bei “Blue Flag 2019” im Einsatz – auch Maschinen aus Italien und den USA. Außerdem arbeiten die beiden Luftstreitkräfte seit Jahren eng zusammen bei der Ausbildung von Drohnenpiloten, nachdem die Bundeswehr zuerst die “Heron 1” und dann die “Heron TP” geleast hat – beide vom Hersteller IAI (“Israel Aerospace Indus­ tries”).

*Generalmajor a. D. Reinhard Wolski ist Mitarbeiter des Behörden Spiegel und war in seiner letzten Verwendung Chef des Amtes für Heeresentwicklung.

24. – 25. November 2020 Vienna House Andel’s Berlin

Europe – a cohesive bond for strong power Partnerland BSC 2020: Tschechien Highlights im Hauptprogramm, u. a.: > > > >

HIGH-LEVEL-DEBATTE: Europäische Sicherheit und Verteidigung – Mittel- und Osteuropäische (Erwartungen) und Beiträge HIGH-LEVEL-INTERVIEW: Umsetzung der Gender-Politik in der Verteidigungsplanung von NATO und EU MILITÄRISCHES HIGH-LEVEL-FORUM: Stärkung der europäischen Sicherheit durch regionale militärische Zusammenarbeit FORUM ZUKÜNFTIGE STREITKRÄFTE: EU-Verteidigungsinitiativen für technologische Innovation und relevante Fähigkeiten

Fachforen, u. a. > > > > > > > >

Bewertung von CDP / CARD / EDF / PESCO Landstreitkräfte in einem gemeinsamen und verbundenen Umfeld – Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit Chinas militärischer Aufstieg und seine Auswirkungen auf den Westen Wie kann eine glaubwürdige nukleare Abschreckung in und für Europa aufrechterhalten werden? Abwehr von Cyber-Bedrohungen – der Fortschritt digitaler Kriegsführung bei Multidomain-Operationen Framework Nations Concept – wirksamer Katalysator für regionale Mil-Mil-Zusammenarbeit? Personalwesen – Rekrutierung und Bindung Covid-19 Lessons Learned – Aufrechterhaltung der Europäischen militärischen Fähigkeiten (und der Widerstandsfähigkeit) in Zeiten einer globalen Pandemie

140 Top-Referenten, u. a. Tomáš Petříček Minister für Äußere Angelegenheiten der Tschechischen Republik

Helga Maria Schmid Generalsekretärin Europäischer Auswärtiger Dienst (EEAS)

General Claudio Graziano Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union

Thomas Silberhorn MdB Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung

Lubomír Metnar Verteidigungsminister der Tschechischen Republik

Niels Annen MdB Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen

Péter Szijjártó Minister für Auswärtige Angelegenheiten von Ungarn

General Eberhard Zorn Generalinspekteur der Bundeswehr

Weitere Informationen und Anmeldung www.euro-defence.eu Ein israelisches Kampfflugzeug vom Typ F-16D “Barak” und ein Eurofighter vom Taktischen Luftwaffengeschwader 31 “Boelcke” fliegen in Formation. Foto: BS/Bundeswehr, Stefan Petersen

Veranstalter

Photo oben: Klaus Dombrowsky


Die letzte Seite

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D

er 38-Jährige wollte eigent­ lich schon immer zur Feuerwehr. Der Vater von einem sechs Jahre alten Sohn wählte dabei den klassischen und geraden Weg zu den Rettern. An den Beruf des Leitstellendisponenten dachte er bei seiner Berufswahl jedoch noch nicht. Zunächst absolvierte er eine Ausbildung zum Nutzfahrzeugtechniker und wechselte anschließend sofort zur Berufsfeuerwehr München. Das war 2002. Dort verfolgte Demuth die übliche Laufbahn innerhalb der Feuerwehr. Während eines Praktikums, das er in seiner Ausbildung zum Rettungsassistenten absolvieren musste, kam er das erste Mal in den direkten Kontakt mit der Leitstellenarbeit. Diese Arbeit und das Team haben ihn damals nachhaltig beeindruckt. Auch reizte ihn die Übernahme von mehr Eigenverantwortlichkeit. “Ich glaube, man braucht einen gewissen Spleen, um als Disponent zu arbeiten. Vielleicht gibt es auch so etwas wie ein LeitstellenSyndrom”, sagt Demuth lachend zu seinem Weg in die Leitstelle. Er startete als Feuerwehrbeamter im mittleren Dienst und darf sich nun Brandinspektor nennen. Aber dies ist nicht alles. Eine Besonderheit in München ist die spezielle Leitstellen-Laufbahn. Diese Einrichtung stellt sowohl in Bayern als auch in der Bundesrepublik ein Novum dar. Auf dieser nimmt er mittlerweile die Experten-Position ein, die in der dritten Qualifikationsebene ist (ehemals gehobener Dienst). Dies bedeutet, dass Demuth als erfahrener Disponent andere Kameraden in der Leitstelle schult und ihnen beratend zur Seite steht, wobei Kameradschaft und gegenseitige Hilfe selbstverständlich auf der Feuerwache 4 sind. “Wir sind eine große Familie und stützen uns gegenseitig. Bei den langen Diensten ist das aber auch besonders wichtig”, betont der Disponent. Derzeit wartet Demuth im Rahmen seines modularen Aufstieges auf einen Lehrgangsplatz, sodass er nach erfolgreichem Abschluss zum Brandoberinspektor befördert werden kann.

“Hier beginnt der Einsatz” Steffen Demuth ist Leitstellendisponent an der Feuerwache 4 in München (BS/Bennet Klawon) “Der Bürger, der Hilfe braucht, ruft die 112”, sagt Steffen Demuth. Hilfebedürftige in München haben eine gute Chance, ihn bei einem Notruf am anderen Ende der Leitung zu hören. Er ist Leitstellendisponent in der Integrierten Leitstelle (ILS) an der Feuerwache 4 in München. Am Nerv der Stadt bekommt er als erster die kleinen und großen Unglücke mit.

auch der persönliche Ausgleich ist für den 38-Jährigen besonders wichtig. Neben Motorradfahren im Münchner Umland fängt ihn seine Familie auf. Durch die 24-Stunden-Dienste kann er besonders viel Zeit mit seiner Frau und seinem Sohn verbringen. “Sonst genieße ich auch einfach mal die Ruhe und nicht jemanden im Ohr zu haben”, betont der Disponent lächelnd.

Hoher Beratungsbedarf in der Bevölkerung

Steffen Demuth ist Leitstellendisponent an der Feuerwache 4 der Berufsfeuerwehr München. Er und seine Kollegen nehmen rund 3.000 Notrufe täglich in der Landeshauptstadt Bayerns entgegen. Fotos: BS/Klawon

nächsten 24-Stunden-Dienst auf der Wache. Sein Arbeitsort befindet sich im obersten Stock der Feuerwache vier im Münchner Stadtteil Schwabing. Die erst 2017 in Betrieb genommene Leitstelle stößt mit ihren 30 Einsatzleitplätzen bei besonderen Einsatzlagen bereits jetzt schon an ihre Grenzen. Wie im Rest Deutschlands sei das Notrufaufkommen auch in München in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Der Arbeitsplatz von Demuth befindet sich in einem von natürlichem Licht durchfluteten großen Raum, in der eine ständige Geschäftigkeit herrscht. Immer wieder blinken Lampen auf, mehrere Personen reden durcheinander und ein großer Bildschirm an der Wand verkündet den neusten Stand in Sachen Corona. Trotzdem fällt die Gelassenheit und Routine auf.

In kürzester Zeit notiert Demuth alle wichtigen Informationen des Notrufs im System.

“Ich möchte den 24-Stunden- In kleinen Inseln stehen nebenDienst nicht eintauschen” einander die Arbeitsplätze der

Ein typischer Arbeitstag beginnt für Demuth um sieben Uhr morgens und dauert 24 Stunden. Davon sitzt er natürlich nicht 24 Stunden lang in der Leitstelle. Bei der Gestaltung des Dienstes orientieren sich die Feuerwehrleute in München am Betrieb von Fluglotsen im Tower. Während seiner Schicht nimmt Demuth in drei Blöcken zu je drei Stunden, der sogenannten “Tischzeit”, Notrufe in der Leitstelle entgegen. Zwischen den Blöcken widmet sich der 38-Jährige der Ausbildung und Schulung oder leistet Bereitschaftsdienst. “Ich möchte aber auf keinen Fall den 24-Stunden-Dienst abgeben. Durch eine andere Gestaltung des Dienstes könnte ich nicht so viel Zeit mit meinem Sohn verbringen. Der Dienstplan ist so für mich extrem flexibel. Der Ausgleich zwischen Freizeit und Arbeit passt einfach”, bekräftigt Demuth. Nach einem geleisteten Dienst hat der Feuerwehrmann anschließend einen gesamten Tag frei bis zum

Behörden Spiegel / September 2020

Disponenten. Der Leitstellendisponent blickt auf eine Front von sechs Bildschirmen. Mit ihnen hat Demuth den Überblick über die gesamte Situation in München und Umgebung. Auf einer Stadtkarte können die genaue Position von jedem Einsatzfahrzeug eingesehen und auf einer sich ständig aktualisierenden Liste alle offenen und beendeten Einsätze in der Landeshauptstadt nachvollzogen werden. Auf einem nächsten Bildschirm sieht er, verschiedenfarbig unterlegt, die Einsatzbereitschaft von jedem Fahrzeug mit Kennung. Auf dem zentralen Monitor befindet sich die Eingabemaske für die Einsätze.

Die Königsdisziplin: TelefonReanimation Mit ruhiger Stimme nimmt Demuth jeden Anruf entgegen. Auch wenn es manchmal viele auf einmal werden. Jeder Anruf wird mit der ihm gebotenen Aufmerksamkeit behandelt und beginnt

gleich: “Feuerwehr München, wie kann ich helfen?” Danach beginnen die klassischen W-Fragen: Wer, Wo, Was und wie viele. Dabei arbeitet der Münchner keinen vorgegebenen Fragebaum wie bei anderen Leitstellen ab, sondern kann das Gespräch freier gestalten. “Man braucht viel Bauchgefühl und Menschenkenntnis. Wir sagen den Auszubildenden immer: Hör auf deinen Bauch. Wenn du ein Zwicken bei einem Notruf hast, geh dem nach”, erläutert Demuth. Schon beim Melden der Personen notiert der Feuerwehrmann den Namen, den Ort des Geschehens, das Einsatzstichwort und Besonderheiten im System. Die Stichworte lernt jeder Leitstellendisponent in seiner Ausbildung, sie fassen in wenigen Worten die Art des Einsatzes zusammen. Natürlich wissen die Anrufer die genaue Bezeichnung des Einsatzes nicht selbst, sodass der Disponent sie aus dem Kontext des Gesprächs erschließen muss. Die Stichwörter sind im System mit vordefinierten Alarmierungsketten verknüpft. Auch wissen mit diesen Bezeichnungen Demuths Kollegen auf dem Wagen sofort, was sie am Einsatzort erwartet und können sich vorbereiten. Einige der schwersten Anrufe sind solche, bei denen der Leitstellendisponent den Anrufer für die Erste Hilfe anweisen muss. “Telefon-Reanimationen sind die Königsdisziplin”, führt Demuth aus. Zwar haben die Feuerwehrleute dafür erstellte Leitfäden, doch ist jeder dieser Notfälle einzigartig. Solche beschäftigen den Disponenten auch mal länger. “Da fragt man schon mal nach, ob der Patient es geschafft hat. Man freut sich natürlich ungemein, wenn man weiß, dass durch die eigenen Anweisungen ein Menschenleben gerettet wurde”, sagt Demuth.

Über eine Million Anrufe pro Jahr “Hier beginnen die Einsätze. Nicht erst, wenn die Einsatzfahrzeuge die Halle verlassen,” erzählt Demuth stolz. “Hier sind wir am Puls der Stadt. Eigentlich geht immer was.” Ein Blick auf die Zahlen gibt ihm Recht. Täglich gehen bei der Leitstelle rund 3.000 Anrufe ein. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 1,1 Millionen Anrufe. Zum Oktoberfest und zu Silvester steigt die Anzahl der Anrufe pro Tag nochmals stark. Für diese fordernde Tätigkeit braucht es ein dickes Fell und eine hohe Stressresilienz. Da Demuth am Telefon tätig wird,

kann er nur mit seiner Stimme arbeiten. “Man kann durch die Stimme viel steuern. Bei den Anrufen müssen wir das Gespräch übernehmen, damit möglichst schnell die richtige Hilfe dorthin kommt, wo sie gebraucht wird”, erläutert Demuth. “Manchmal braucht es Strenge, manchmal braucht es ein paar beruhigende Worte.” Grundsätzlich habe er Verständnis für die Aufregung und die teilweise Gereiztheit am anderen Ende der Leitung. Die Anrufer befänden sich in einer Ausnahme- und Stresssituation. Statistisch gesehen setze jeder Bürger in Deutschland nur einmal in seinem Leben einen Notruf ab. Jedoch würde sich Demuth mehr Verständnis bei den Bürgern wünschen. In den vergangenen Jahren hätten die Leute einen verstärkten und ausschließlichen Selbstbezug entwickelt und würden alle anderen Umstände sowie Notlagen komplett ausblenden. Auch er erlebt immer wieder verbale Gewalt am Telefon. Gefühlt würden die verbalen Attacken auf die Leitstellendisponenten auch mehr werden. Eine Statistik wird jedoch nicht geführt.

auch schon Suizide am Telefon miterlebt.

Besondere Stresssituation Einige seiner Kollegen hatten solch ein traumatisches Erlebnis und quittierten danach ihren Dienst in der Leitstelle. Andere konnten dem Zeitdruck und der Verantwortung nicht standhalten. “Vor allem bei Anfängern ist die erste Nacht alleine am Tisch besonders hart”, sagt Demuth. “Manche hören nach dieser Erfahrung mit der Tätigkeit auf.” Deshalb ist der Zusammenhalt innerhalb der Wache besonders wichtig und die Gesprächsangebote durch die Feuerwehrführung sowie die speziell ausgebildeten Kollegen sind von großer Bedeutung. Die Branddirektion München und die Leitstellenleitung bieten auf der Wache ein Beratungssowie ein vielfältiges Ausgleichsangebot an. In der Feuerwache in Schwabing können die Männer und Frauen unter anderem auf große Aufenthaltsräume und ein vielfältiges Sportangebot in Form von Fitnessräumen und einer Turnhalle zurückgreifen. Als Personalrat und Vertreter der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft (DFeuG) setzt Demuth sich dafür ein, dass dies auch so bleibt. Sein Arbeitgeber sei aber für diese Art der Probleme sensibilisiert und achte sehr auf die Gesundheit seiner Kräfte. Aber

Natürlich beschäftigt die Corona-Krise auch die Feuerwache 4. “In der Leitstelle bekommen wir solche Pandemien als erste mit. Das war damals auch bei der Vogelgrippe und SARS so. Die Leute hatten einen unglaublichen Beratungsbedarf, weil viele verunsichert waren”, resümiert Demuth. Während der ersten Phase der Pandemie und des Lockdowns ging zwar das Einsatzgeschehen aufgrund der verringerten Arbeitsunfälle zurück, das Aufkommen von Anrufen jedoch nicht. Zeitweise ließ sich sogar eine Erhöhung feststellen. Bevor es die Beratungs­ telefone der Landeshauptstadt gab, übernahmen auch die Feuerwehrfrauen und -männer in der Leitstelle diese Aufgabe. Der Disponent stellt rückblickend fest: “Die Leute hatten wirklich Angst.” Die Menschen in München haben sich vor allem wegen Atemwegserkrankungen bei Demuth und seinen Kollegen informiert. Er habe es teilweise erlebt, dass Personen, die ihn sprachen, eine halbe Stunde später hätten intubiert werden müssen. Die Lage normalisierte nach der Beendigung des Lockdowns wieder. Doch neben der erhöhten Arbeitsbelastung machten die sinnvollen Infektionsschutzmaßnahmen dem Leistellendisponenten und seinen Kameraden zu schaffen. So wurden feste Teams zusammengestellt, die sich gegenseitig in der Zeit nicht gesehen haben. Es wurden die Ausbildung und die gemeinsamen Abende komplett ausgesetzt. Dies sei natürlich schlecht für das Sozialgefüge der Wache, die sich als eine große Familie betrachte. In der Zwischenzeit wurden die Schutzmaßnahmen gelockert und der neue Normalbetrieb wieder aufgenommen. Demuth hat trotz allem in keinem Moment seine Entscheidung, Feuerwehrmann zu werden, bereut. “Es ist der beste Job der Welt, weil immer was los ist. Die Arbeit in der Leitstelle ist einfach das i-Tüpfelchen dabei. Ich sehe einfach beide Seiten des Geschäfts: ausrücken und alles, was dahintersteht.”

Über 88.000 Einsätze im Jahr 2019

Wenn das rote Licht leuchtet, geht der Notruf ein. Der Einsatz hat begonnen.

Aber auch die Masse der Anrufe kann die Feuerwehrkräfte unter erheblichem Zeitdruck setzen. In kürzester Zeit muss der Disponent entscheiden, wo was gebraucht wird. Hinzu kämen manchmal dann auch Sprachschwierigkeiten. Bei besonderen Notrufen, zu denen er einen Bezug hat, verfolgt Demuth das Einsatzgeschehen teilweise mit und fragt bei den Einsatzkräften nach, wie der Einsatz verlaufen ist. Aufgrund der Stresssituation und der teilweise belastenden Anrufe, wie bei größeren Schadenslagen wie Amokläufen, sei “Psychohygiene” auf der Wache besonders wichtig. Einige von Demuths Kollegen hätten

(BS/bk) Bei der Berufsfeuerwehr München arbeiten an zehn Wachen 2.100 Kräfte. Davon leisten 1.700 ihren Einsatzdienst als Beamtinnen und Beamten in 24-Stunden-Schichten. Von einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis ist die Feuerwehr München noch entfernt. Nur 16 der 1.700 Einsatzkräfte sind weiblich. Doch es wird ein leichter Anstieg verzeichnet. Die weiteren 400 Angestellten sind in der Verwaltung tätig oder befinden sich in der Ausbildung. Als Unterstützung kann die Berufsfeuerwehr München auf 1.148 Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr aus 22 Standorten zurückgreifen. 2019 wurde die Münchner Feuerwehr zu 88.382 Einsätzen alarmiert. Ein Großteil der Einsätze ging auf das Konto des Rettungsdienstes der Berufsfeuerwehr mit über 62.000 Einsätzen. Über 7.000-mal rückten die Kräfte aufgrund eines Brandalarms aus. Zur Einsatzbewältigung verfügt die Feuerwehr München über 217 Fahrzeuge. Die Integrierte Leitstelle (ILS) der Feuerwehr München befindet sich in Feuerwache 4. Das Gebäude wurde 2016 an die Branddirektion übergeben und ist im Stadtteil Schwabing gelegen. Ein Jahr später konnte die ILS in Betrieb genommen werden. In der ILS werden alle Einsätze der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr in der Stadt München und dem Umland koordiniert. An 30 Leitplätzen verrichten täglich Disponenten im Schichtsystem ihren Dienst.


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