Behörden Spiegel Februar 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. II / 37. Jg / 7. Woche

Berlin und Bonn / Februar 2021

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Der Personalaufwuchs geht weiter

Sapere aude, Deutschland

Helfer für Betroffene von Hatespeech

Doris Drescher und Steffen liney zu Plänen für das Fernstraßen-Bundesamt.................7

Ammar Alkassar zu Experimentierräumen, Mut und Kulturwandel �����������������������������������������26

Klaus-Dieter Hartleb zu Hass und Hetze im Internet......................................................... 43

Fluch und Segen

Bundesbedienstete mit Wirecard-Aktien (BS/stb) Zwei Mitglieder der mit der Wirecard AG befassten Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) haben mit Aktien des Skandalunternehmens gehandelt, ohne dies mitzuteilen. So die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag. Zum einen handelt es sich um den derzeit beurlaubten APASLeiter. Dieser hatte zu seinen Aktiengeschäften im WirecardUntersuchungsausschuss des Bundestages ausgesagt. Ein weiterer Mitarbeiter habe zwischen Februar 2019 und Juni 2020 mehrfach Aktien des Finanzdienstleisters erworben und veräußert. Eine Meldepflicht habe in dem Fall nach APASGeschäftsordnung nicht bestanden, weil der Wert der Aktien nach Angaben des Mitarbeiters unter fünf Prozent seines Vermögens gelegen habe.

Keine rein digitalen Ratssitzungen (BS/stb) Im Freistaat Bayern soll es auch in Zukunft keine rein digital durchgeführten Gemeinderatssitzungen geben. Zwar bereitet das Innenministerium ein Gesetz vor, das es Ratsmitgliedern erlauben würde, sich per Videokonferenz zuzuschalten und abzustimmen. Dabei müsse aber mindestens der Vorsitzende im Sitzungsraum anwesend sein. Grundsätzlich solle kein Mitglied gezwungen werden, digital teilzunehmen. Um in der Pandemie Kontakte einzuschränken, hatte Baden-Württemberg im Mai 2020 digitale Gemeinderatssitzungen erlaubt. Die brandenburgische Landesregierung erarbeitet derzeit ebenfalls ein entsprechendes Gesetz.

Bär fordert Zukunftsministerium (BS/pet) Die Frage, ob ein eigenständiges Digitalressort entscheidende Impulse für die Digitalisierung geben könnte, ist umstritten. Nun meldete sich Staatsministerin Dorothee Bär zu Wort: In einem Interview mit dem Behörden Spiegel plädiert Bär statt für ein Digitalisierungsfür ein Zukunftsministerium. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Digitalisierungsministerium schon in der nächsten Legislaturperiode komme. Für Bär weitaus attraktiver wäre jedoch ein Zukunftsministerium, das sich neben Fragen der Digitalisierung auch anderer Querschnittsbereiche annehme. Tendenziell nehme die Anzahl der Themen, die ausschließlich in einem Ministerium behandelt würden, eher ab. Vor allem aber sollte sich die Politik davon verabschieden, in Legislaturperioden zu denken und sich stattdessen die Frage stellen, wo Deutschland in 20 oder gar 30 Jahren stehen solle.

Wie schlägt sich der Föderalismus in der Krise? (BS/Jörn Fieseler) Die Diskussion über den Föderalismus in Krisenzeiten und dessen Tauglichkeit reißt nicht ab. Uneinheitlichkeit, Unübersichtlichkeit und Unfähigkeit sind nur drei Schlagworte, die Föderalismuskritiker nennen. Doch der Umgang mit der Krise hat mit dem staatlichen Organisationssystem als solchem wenig zu tun. Entscheidend sind die jeweiligen Akteure. Beispiele für die Argumentation der Kritiker gibt es in der CoronaKrise genug. Man erinnere sich an die unterschiedlichen landesspezifischen Regelungen zum Tragen von Masken im Öffentlichen Personennahverkehr oder an die differenten Regelungen, für welche Schülerinnen und Schüler Präsenzunterricht gilt oder nicht, ob Homeschooling verordnet wird oder der Schulbesuch auf freiwilliger Basis möglich ist. Das Bild setzt sich bei den Vorschlägen zu einem Stufenplan fort. Mit Thüringen hat nun nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein das dritte Land einen Plan erarbeitet, welche Lockerungen abhängig von der Infektionsentwicklung möglich sein sollen oder nicht. Alle weisen sie in die gleiche Richtung, doch hat jeder eigene Akzente gesetzt. Zu meinen, dass durch eine Zentralisierung beim Bund alles besser werde, ist ein “zen­ tralstaatlicher Irrglaube”, wie es Prof. Dr. Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, formulierte. Dazu reicht ein Blick nach Frankreich. Zudem ist die föderale Staatsordnung für das Selbstverständnis der Bundesrepublik essenziell. Dazu genügt ein Blick ins Grundgesetz (GG). Einerseits ist der Föderalismus Bestandteil der Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 GG, die die Gliederung

Beim ewigen Streitthema “Föderalismus versus Zentralismus” prallen Welten aufeinander. In der aktuellen Pandemie sehnen sich Kritiker nach mehr zentraler Entscheidungsgewalt. Dabei entfaltet ein richtig verstandener und gelebter Föderalismus gerade in der Krise seine Stärke als Garant der Demokratie. Foto: BS/Creativeshot, stock.adobe.com

des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung festschreibt. Andererseits haben die Länder nach Art. 70 GG das allgemeine Recht zur Gesetzgebung, eingeschränkt durch den Zusatz “wenn nicht dem Bund die Gesetzgebungskompetenzen zugestanden werden”. Fehlt dem Bund die Gesetzeskompetenz, kann er den Ländern nur Empfehlungen geben, die diese annehmen und umsetzen müssen. Doch gerade darin liegt

auch die Stärke des Systems: in der zügigen, angemessenen, verhältnismäßigen, aber auch regional zugeschnittenen Handlungsmöglichkeit. Denn gerade die regionale Differenziertheit Deutschlands macht unterschiedliche Lösungen erforderlich. So sind beispielsweise in Nordrhein-Westfalen mit einer Einwohnerdichte von 526 Einwohnern pro km2 andere Maßnahmen erforderlich als in Mecklenburg-Vorpommern mit 69 Menschen pro km2 (Stand 31.

Dezember 2019). Ebenso rechtfertigen Inzidenzen von über 250 im Süden der Republik nicht grundsätzlich Gastronomiebeschränkungen im Kreis Plön im Norden Deutschlands. Entscheidender ist das Zusammenspiel aller Gebietskörperschaften. Das bewerten 73 Prozent in Deutschland derzeit negativ, warnt Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, mit Blick auf eine demoskopische Studie. Deshalb fordert er eine

Kommentar

Homeoffice – Reiz & Risiko (BS) Die Schweizer Armee zeigte sich wieder vorbildlich. Sie ging schon vor ein paar Wochen ins Homeoffice, um die Eidgenossenschaft gegen feindliche Eindringlinge vom Partykeller oder der Küche aus zu verteidigen. Die Bundeswehr wollte nachziehen und vermeldete Erfolgsmeldung auf Erfolgsmeldung: Immer mehr Soldaten sind im Homeoffice. Auch die Polizeien in Thüringen und Nordrhein-Westfalen zogen nach. Sie bekämpfen ab sofort das Organisierte Verbrechen von zu Hause aus. Selbst das Regieren lässt sich problemlos von zu Hause aus organisieren. Die Bundesministerien gaben an, derzeit zwischen 70 bis 80 Prozent ihrer Arbeitenden im Homeoffice zu haben. Also ist Homeoffice ein kompletter Ersatz für Präsenz am Arbeitsplatz? In der Wirtschaft ist man schon seit Jahren viel weiter und hat Regelungen für “mobiles Arbeiten” geschaffen. Das ist etwas anderes. Das bedeutet nämlich, dass Mitarbeiter technisch so ausgestattet sind, dass sie zu jeder Zeit und an jedem Ort – z. B. auch auf Dienstreisen – am Unternehmensgeschehen teilhaben können. Aus der pandemiebedingten Notwendigkeit darf doch nicht ernsthaft jetzt eine dauerhafte Regelung über Homeoffice und womöglich sogar ein “Guthaben” von 20 Tagen entwickelt werden. Wir leben in einer Krise. Doch die Politik neigt dazu, in der Krise ihre Wunschvorstellungen ohne große Umschweife Realität werden zu lassen: Pop-up-Fahrradwege.

Es geht vielmehr darum, die Organisationen und ihre Mitarbeiter für mobiles Arbeiten nach der Krise zum einen technisch auszustatten und zum anderen auch zu befähigen: Equipment und Digitalkompetenz. Weder lässt sich der Feind noch der Kriminelle aus dem Homeoffice bekämpfen. Es ist also dringend geboten, die aktuelle Homeoffice-Diskussion von der strategischen Änderung der Arbeitsverhältnisse für die nächste Zukunft zu trennen. Das Arbeiten von zu Hause, aus der eigenen Werkstatt oder dem Bauernhof heraus sind ein Kennzeichen vor- und frühindustrieller Gesellschaften. Welche Bedeutung und welchen Umfang mobiles Arbeiten in der modernen post-

industriellen Dienstleistungsgesellschaft haben wird, bleibt ein Findungsauftrag für die Zukunft. Hinzu kommt, dass für die Beschäftigen hier auch ein Risiko entstehen könnte, denn die Leistungsbilanz der Einzelnen oder des Einzelnen werden durch Homeoffice transparent und messbarer. Im Homeoffice bleibt nur die nackte Beurteilung nach Arbeitsergebnissen, nicht nach Sozialkompetenz, Problemlösungen im Team usw. Homeoffice ist also nicht nur ein Vorteil, sondern auch ein Risiko. Das haben offensichtlich viele vehemente Befürworter bisher noch nicht bedacht. Homeoffice ist also Reiz, aber auch Risiko.

Uwe Proll

Druckluft

gemeinsame, langfristige Strategie. Die muss der Bund vorlegen, selbst wenn er den Ländern nur die Annahme empfehlen kann. Im Sinne der strategischen Steuerung müssen darin nicht sämtliche Verhaltensweisen bis ins kleinste Detail geregelt werden. Vielmehr geht es darum, Tatbestandsvoraussetzungen und Folgen so zu regeln, dass sie anschließend standardisiert über die Länder ausgebreitet werden und den Ländern, wenn möglich, sogar Spielräume im Sinne eines Korridors zur Verfügung stellen. Und noch ein anderer Aspekt spricht für das föderale System: “Die freiheitssichernden, demokratie- und effizienzsteigernden Vorteile föderaler Koordinationsund Entscheidungsprozesse werden in der öffentlichen wie in der wissenschaftlichen Diskussion gerne übersehen”, unterstreicht Nathalie Behnke, Professorin und Leiterin des Arbeitsbereichs “Öffentliche Verwaltung, Public Policy” am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Damit verbindet der Föderalismus Einheit mit Vielfältigkeit. Das mag für manchen ein Fluch, für andere ein Segen sein. Auf jeden Fall ist es, um es mit den Worten von Bundesinnenminister Horst Seehofer zu sagen: “das beste Modell für die Demokratie”.


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