Behörden Spiegel Januar 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. I / 37. Jg / 2. Woche

Berlin und Bonn / Januar 2021

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Entlastung im Fokus

Anpassung der Fähigkeiten

Situation macht demütig

Christine Behle zur Verdi-Tarifarbeit 2020 und 2021 ............................................................ 4

GenLT Martin Schelleis zu DEFENDER-Europe 2020 �������������������������������������� 39

Ärztin Sarah Caroli über ihre Arbeit während der Corona-Pandemie.......................... 44

Es ist Zeit, zu handeln

Bundesamt gegründet (BS/mfe) Das Auswärtige Amt hat erstmals eine nachgeordnete Behörde im Inland eingerichtet. In Brandenburg an der Havel ist das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) entstanden. Weitere Dienstsitze befinden sich in Bonn und Berlin. Die Mitarbeiter des BfAA sollen insbesondere nicht-ministerielle Aufgaben wahrnehmen. Dazu gehören unter anderem die Verwaltung von Fördermitteln und die Unterstützung der Auslandsvertretungen bei der Visabearbeitung. Gleiches gilt für die Personalverwaltung, den zen­ tralen Einkauf und das Management der Auslandsimmobilien. Die neue Bundesoberbehörde verfügt zunächst über rund 75 Mitarbeiter. Deren Zahl soll noch im Jahresverlauf auf mehr als 400 anwachsen.

Neu ausgeschrieben (BS/mfe) Die Vergabe eines Auftrags zur Ausstattung der nordrhein-westfälischen Polizei mit Stoffmasken im Kampf gegen das Coronavirus wird rückabgewickelt. Es kommt zu einer europaweiten Neuausschreibung, wie aus dem Düsseldorfer Innenministerium bestätigt wurde. Es geht dabei um 1,25 Millionen Schutzmasken und ein Auftragsvolumen von rund zwei Millionen Euro. Aufgrund der Rückabwicklung könnte es nun jedoch bis März dauern, bis das neue Vergabeverfahren abgeschlossen ist. Das vorherige Verfahren hatte eine Unternehmerin aus Wuppertal erfolgreich vor der Vergabekammer Rheinland gerügt. Kritisiert wurde dabei, dass es kein reguläres Vergabeverfahren gegeben habe, sondern sich behördlicherseits auf Dringlichkeit berufen wurde.

Kooperativer Straßenbau (BS/wim) In Hamburg ist im Januar das erste kooperative Straßenbauprojekt gestartet. Für das Projekt schließen sich der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), Hamburg Wasser (HW), Stromnetz Hamburg (SNH) und Gasnetz Hamburg (GNH) zur sogenannten Infracrew Hamburg zusammen, um gemeinsam zunächst die Elbchaussee zu sanieren. Dabei werden sie im Rahmen ihrer Zusammenarbeit alle verschiedenen Baumaßnahmen bündeln und erstmals ihre Leistungen in einer gemeinsamen Baustelle erbringen. Durch die Kooperation der Baulastträger verkürzt sich die Bauzeit um mindestens drei Jahre. Die umfangreiche Grund-instandsetzung der Elbchaussee beginnt im Mai 2021. Im Rahmen der Arbeiten wird unter anderem die über 100 Jahre alte Wasserleitung instand gesetzt, die existenziell für die Wasserversorgung des Hamburger Westens ist.

Geldwäschebekämpfung muss dringend verbessert werden (BS/Marco Feldmann) In Deutschland werden pro Jahr mindestens 100 Milliarden Euro “gewaschen”. Und bei dieser Summe handelt es sich um wissenschaftliche Schätzungen. Das vermutete Dunkelfeld ist deutlich größer. Denn pro von den Behörden konfisziertem einem Euro werden 100 gewaschen und fließen in den Geldkreislauf. Hinzu kommen erhebliche Probleme bei der Aufsicht von Juwelieren, Autohändlern und Immobilienmarklern sowie bei der Unterstützung durch Notare.

D

ie Kontrolle in diesem sogenannten Nicht-Finanzsektor ist äußerst zersplittert. Mehrere Zuständigkeiten in den einzelnen Bundesländern lassen sich fachlich nur schwer begründen. Hinzu kommen massive konzeptionelle und strukturelle Probleme bei der “Financial Intelligence Unit” (FIU). Diese war früher beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt, wechselte dann allerdings zur Generalzolldirektion (GZD), in den Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums (BMF). Nun fehle es dort an Personal mit kriminalistischem Sachverstand, kritisiert der stellvertretende Vorsitzende und finanzpolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag, Fabio de Masi. Die Sprecherin der Grünen-Fraktion Lisa Paus hält die FIU in ihrer derzeitigen Ausgestaltung, auch aufgrund mangelnder Zugänge zu polizeilichen Datenbanken, sogar für nicht funktionsfähig und bezeichnet Geldwäsche als “schleichendes Gift”. Verstärkt wird das Problem darüber hinaus durch immer neue Kryptowährungen. Doch die Politik sage der Geldwäsche nun verstärkt den Kampf an, meint Sepp Müller (CDU), Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Der finanzpolitische Sprecher der Freidemokraten im Deutschen Bundestag, Dr.

Bei der Geldwäschebekämpfung in Deutschland liegt einiges im Argen. Der politische Handlungsdruck ist hoch und die Zeit läuft gegen die Verantwortlichen. Denn wenn jetzt nicht agiert wird, geht das kriminelle Handeln unvermindert weiter. Foto: BS/stock.adobe.com, Jo Panuwat D

Florian Toncar, will deshalb eine deutliche personelle und informationstechnische Aufrüstung der FIU. Ersteres soll nun erfolgen, ändert aber nichts an den strukturellen Problemen (mehr zum Thema Geldwäsche auch auf einem Führungskräfte Forum des Behörden Spiegel im April sowie auf www.digitaler-staat.online). Erfolgversprechender dürfte deshalb die von der Bundesregierung geplante Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung

von Geldwäsche sein. Dazu soll ein All-Crimes-Ansatz eingeführt werden, wie es ihn unter anderem bereits in Italien, Frankreich und den Niederlanden gibt. Der im Strafgesetzbuch enthaltene Katalog von Vortaten zur Geldwäsche würde nicht vorab notwendig sein. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) begrüßt diesen Verzicht ausdrücklich. Sein Bundesvorsitzender Sebastian Fiedler unterstreicht: “Die Ein-

führung eines All-Crimes-Ansatzes vereinfacht die praktische Handhabbarkeit und entspricht den Empfehlungen der Financial Action Task Force.” Vom Vorsitzenden der Bezirksgruppe Zoll innerhalb der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Frank Buckenhofer, ist zu hören: “Bisher gilt für die Strafbarkeit von Geldwäschetaten der Grundsatz des doppelten Vorsatzes. Zudem müssen bislang für eine Verurteilung vor Gericht sowohl die Geldwä-

Kommentar

Es braucht einen starken und intelligenten Staat (BS) Pandemien sind historisch mächtigste Wirkfaktoren. Rom, Azteken, Napoleon – ihr aller Fall hatte auch pandemische Ursachen. Wie mächtig nun ist Covid-19? Wird das neue Virus die Weltordnung, die politischen Systeme, die wirtschaftlichen Verhältnisse oder das gesellschaftliche System verändern und somit auch den Staat beziehungsweise den Öffentlichen Dienst hierzulande? Dass sich vieles verändern wird, ist schon jetzt absehbar. Doch die Diskussionen über die Post-Corona-Modelle sind kontrovers. Es kursieren zahlreiche Vorschläge. Sie bewegen sich vom starken Staat über den vorsorgenden und klugen bis zum Modell eines im Interesse der Ökologie repressiven Staates. Und dies alles geschieht zu einer Zeit, in der Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit irrlichtern und derzeit ohne fundamentale Erkenntnisbasis für weitere Generationen nachhaltige tiefgreifende Entscheidungen treffen. Pandemien verursachen radikale Umbrüche, lösen vor allem aber kollektive Ängste und soziale Spannungen aus. Im Moment erleben wir daher vor allem Unruhe, Alarmismus und Apokalypse. Die drei geteilten Gewalten sehen dabei in Deutschland derzeit nicht gut aus. Die Legislative hätte sich beinahe selbst aus dem Entscheidungsprozess herausgenommen,

die Exekutive sieht sich unter Entscheidungszwang und produziert widersprüchliche Verordnungen und Allgemeinverfügungen im Akkord. Die Judikative hebt dann am Maßstab von vor Corona das eine oder andere wieder auf. Die sogenannte vierte Gewalt – also die Medien – hat sich in einer kritischen Rolle gegenüber der Exekutive in Sachen Corona-Krise bis heute nicht eingefunden. Die neue fünfte Gewalt ist kritisch zu betrachten: Die Wissenschaft (Epidemiologie, Virologie) macht Politik, sie regiert. “Des Volkes Stimme” – ein weiterer Faktor – die Sozialen Medien, vor Jahren noch als ein Hype für mehr Demokratie gefeiert, verstärken vor allem Verschwörungstheorien. Wissenschaft und Soziale Medien eint, dass sie zu sehr in den eige-

nen Echo-Kammern verhaftet sind. Also was wird sich Post-Corona ändern? Die Macht der Sozialen Medien muss eingeschränkt werden, zumindest kontrolliert, denn ihre Selbstkontrolle funktioniert nicht. Der Staat sollte in jedem Falle stark sein. Dies aber nicht im Sinne von viel mehr Personal und repressiven Befugnissen, sondern im Sinne von intelligent, fähig und klug lenkend. Die jetzigen Grundrechtsbeschränkungen sehen manche als die Instrumente in der Umweltkatastrophe. Sie sind Befürworter eines repressiven Staates. Lieber Staat: Sei stark, sei klug, sei kreativ – aber bitte nicht repressiv gegen die, die kein Verbrechen begangen haben! Uwe Proll

Im Gleichschritt

schehandlung an sich als auch die Vortat nachgewiesen werden. Das würde beim neuen Ansatz entfallen.” Um in Deutschland aber tatsächlich effektiver gegen Geldwäsche vorgehen zu können, brauche es eine Neuausrichtung der FIU. “Sie muss zu einer tatsächlich selbständigen und unabhängigen Behörde mit ausreichenden polizeilichen Datenzugängen und stärkerem kriminalistischem Sachverstand fortentwickelt werden.” Zudem komme es entscheidend darauf an, die Einheit strategisch hin zu einem Intelligence-Dienst auszurichten. Nur so – und durch einheitlichere Zuständigkeiten im Nicht-Finanzsektor – ist der risikobasierte Verfolgungsansatz, den auch die Politiker Paus und Toncar verlangen, umzusetzen. Und ohne Technikeinsatz funktioniert es ebenfalls nicht. Hier ist kürzlich NordrheinWestfalen vorangegangen. Dort wurden für die Landespolizei 200 Lizenzen einer speziellen Finanzanalysesoftware erworben. Diese sollen vorrangig in die Kreispolizeibehörden, also in die Fläche gehen. Diese technische Unterstützung kann aber nur der Anfang einer effektiveren Geldwäschebekämpfung sein. Es braucht dringend organisatorische Reformen und mehr Personal.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Januar 2021

Nach wie vor ist Corona das beherrschende Thema. Mit der Impfkampagne scheint der Weg aus der Pandemie geebnet, doch er wird lang und beschwerlich. Und: Die Folgen der Gesundheitsund Wirtschaftskrise werden uns noch über das zweite Corona-Jahr hinaus beschäftigen. Foto: BS/surasak, stock.adobe.com

Corona-Jahr zwei “Die Dosis macht das Gift”

Covid-Isolierungsgesetz für NRW-Kommunen

Das Für und Wider von Homeoffice ................................................................................ Seite 3 Luftbuchungen statt wirklicher Hilfe? ........................................................................... Seite 19

Das große Impfen

Corona-Test per Stimme

Die Impforganisation in den Ländern ............................................................................. Seite 7 Augsburger Forscher erkennen Infizierung per KI-Software ........................................... Seite 28

Staatsverschuldung während der Pandemie

Nicht zu spät versorgen

Experten warnen vor zu frühem Schuldenabbau ............................................................ Seite 8 Zahlreichen BOS fehlen noch Impfstrategien gegen Corona ......................................... Seite 35

Ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt

Die Zukunft nach der Krise

Städtischen und ländlichen Raum gemeinsam denken ................................................ Seite 13 Covid-19 – Auswirkungen und Lernerfahrungen ........ Seite 42

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Hilfe durch die Bundeswehr Leistungen für die Kommunen in der Pandemie ........................................................... Seite 14 Innen Spiegel

Voices of Defence

→ WEBKONFERENZ

Tag der Beteiligungsverwaltung 23. Februar 2021

Neuer Podcast des Behörden Spiegel (BS/df) Print und digital sind keine Gegensätze. Es handelt sich immer um Kommunikation, um den Transport von Fakten und Wissen, egal ob das Gegenüber nun Leser, Hörerin oder Zuschauer genannt wird. Der Behörden Spiegel hat mit seinem jungen Team zur Unterstützung aller aktuellen Kommunikationswege verschiedene Themencluster gebildet. Der Cluster Verteidigung, in dem die Themen Bundeswehr, Wehrtechnik, Verteidigungspolitik und äußere Sicherheit gebündelt sind, startet in das neue Jahr auch mit einem neuen Format: dem Podcast “Voices of Defence”.

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Vom passiven Verwalten zum aktiven Steuern DER Treffpunkt für das Beteiligungsmanagement, öffentliche Unternehmen, Politik und Aufsichtsrat Herausforderungen der Covid-19-Pandemie für den Konzernverbund Stadt Dr. Sibylle Roggencamp, Amtsleitung Vermögens- und Beteiligungsmanagement, Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg Warum eigentlich Töchter? – die Beteiligungsverwaltung und die Stadtwirtschaftsstrategie der Wissenschaftsstadt Darmstadt Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend, Vorstand HEAG Holding AG – Beteiligungsmanagement der Wissenschaftsstadt Darmstadt Praxis-Dialog: Neuausrichtung der Beteiligungssteuerung – zukunftsfähig, nachhaltig, krisenfest Moderation: Dr. Martin Schellenberg, Rechtsanwalt und Partner, Kanzlei HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

Workshops u. a. zu den Themen: • Stadtwirtschaftsstrategie der Freien und Hansestadt Hamburg • Herausforderung der Covid-19-Pandemie aus Sicht des Beteiligungsmanagements • Nachhaltigkeit in der Beteiligungssteuerung • Analyse und Steuerung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften • Inhouse-Fähigkeit von Beteiligungsgesellschaften • Liquiditätsmanagement und Cash-Pooling • Übergeordnetes Controlling von Bauprojekten • Berichtserstellung auf Knopfdruck • D-PCGM – wie können die Regelungen nutzenstiftend in die Praxis umgesetzt werden? • PCG als Mittel zur Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit

www.beteiligungsverwaltung.org

Foto: ©Daniel Fröhlich - stock.adobe.com

Fachvorträge und Key-Notes u. a. von:

Aktuelle Themen werden hierbei durch Experten aus der Bundeswehr, dem Öffentlichen Dienst, der angeschlossenen Wissenschaft, Industrie und Politik in Form eines Interviews beleuchtet. Dabei steht immer auch die Person im Mittelpunkt. Voices of Defence erscheint alle vierzehn Tage und ist kostenlos über die Internetseiten des Behörden Spiegel sowie alle bekannten Streamingplattformen verfügbar. Als Verbindung von Print und digital erscheint zudem unser Newsletter im PDF-Format mittlerweile in einem wöchentlichen Rhythmus. Das PDF hat sich bewährt, um ein auf allen digitalen Geräten lesbares Format anbieten zu können, dass dennoch die Wertigkeit von Print behält und sich im Intranet oder der Bibliothek – beispielsweise der Bundeswehr – ablegen und verbreiten lässt, im Gegensatz zu Newslettern mit reinen Linksammlungen. Auch dieser Newsletter ist kostenlos über die Page des Behörden Spiegel bestellbar.

Ergänzende digitale Angebote im Web Noch weiter in Richtung Digitales reichen unsere Homepage und die daran angeschlossenen, auf Verteidigung, Wehrtechnik und Sicherheitspolitik spezialisierten Social-Media-Kanäle.

Hier bedienen wir LinkedIn, Facebook, Twitter und Instagram. Mit Digitaler Staat Online (DSO) gründete der Behörden Spiegel Mitte des vergangenen Jahres eine zusätzliche Plattform, um die User (Leserinnen, Hörer, Zuschauerinnen) in der digitalen Welt so abzuholen und mitzunehmen, wie es mit der Print-Zeitung in der analogen Welt gelungen ist. Das Angebot reicht von hybriden über virtuelle Kongresse, Online-Diskussionsrunden, Defence Talks bis hin zu virtuellen Ausstellungen. Präsenzveranstaltungen, von dem Defence Pitch Day mit Start -ups bis zur bekannten Berliner Sicherheitskonferenz mit Ministern aus vielen europäischen Ländern, runden das Informationsangebot ab. Der Cluster Verteidigung geht 2021 mit einem umfangreichen Programm für alle Leser, Hörer und Zuschauer an den Start, um auch das zweite Pandemiejahr interessant zu gestalten. Mit Voices of Defence als jüngster Ergänzung.

Einer Teilauflage des Behörden Spiegel liegt eine Beilage der NRW.Bank bei. Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Kay Herschelmann Foto 2: BS/PIZ SKB Foto 3: BS/privat

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Januar 2021

KNAPP

“Die Dosis macht das Gift” Das Für und Wider von Homeoffice in der öffentlichen Verwaltung / Recht auf mobiles Arbeiten

Digitalpakt Verwaltung gefordert (BS/jf) Im letzten Jahr seien wäh-

(BS/Jörn Fieseler) Die Corona-Pandemie ist alles andere als überwunden. Doch während das politische Krisenmanagement weiter diskutiert wird, haben Behörden und Verwaltungsein- rend der Pandemie für die Digitarichtungen weitestgehend schnell und effektiv auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert, so das Ergebnis einer Studie. Manche Behörden waren deutlich besser aufgestellt als lisierung der Verwaltung rund 3,3 andere, wenn es um das mobile Arbeiten oder um Homeoffice geht. Dennoch: Viele Punkte sind noch ungeklärt. Mrd. Euro bereitgestellt worden, zeitgleich nehme die Entgrenzung zu. Das Arbeitszeitende und die Phase “Privatleben” würden nicht mehr klar voneinander getrennt. Im Familienministerium hat man deshalb nachgesteuert. Mit dem Personalrat wurde eine weitere Corona-Dienstvereinbarung geschlossen, in der unter anderem die Nichterreichbarkeit nach 19 Uhr festgeschrieben ist.

Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gibt es seit drei Jahren eine Dienstvereinbarung zum mobilen Arbeiten und zum Homeoffice. “Schon vor der Corona-Pandemie haben rund 90 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses von den Möglichkeiten zum mobilen und flexiblen Arbeiten Gebrauch gemacht”, berichtet Staatssekretärin Juliane Seifert aus dem BMFSFJ. Das Haus wollte damals als Arbeitgeber attraktiver werden, zudem sollte die Leistungsfähigkeit verbessert werden, nennt die Staatssekretärin die Ziele der Dienstvereinbarung, die mit dem Personalrat geschlossen wurde. Noch vor Corona wurden die Beschäftigten des Hauses hinsichtlich des Nutzens der Vereinbarung befragt. Das Ergebnis viel insgesamt positiv aus. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei gestiegen, Wegzeiten würden entfallen und die Motivation habe zugenommen.

Mehr Belastung und mehr Leistung Dennoch sind in den letzten neun Monaten auch im Familienministerium noch Verbesserungspunkte sichtbar geworden. An erster Stelle bei der technischen Ausstattung. Dabei ging es weniger um Laptops, als um schnelle und einfache Kommunikation innerhalb der einzelnen Teams. Dazu sind wie vielerorts Videokonferenzsysteme angeschafft worden. Zum anderen haben sich neue Aufgaben hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit gestellt. “Bei guten Teams funktioniert das, die Herausforderung besteht in der Integration von neuen Teammitgliedern und dem Umgang mit unterschiedlichen Charakteren”, so Seifert.

Trotz aller Chancen auch Risiken

Schlangengift gilt in der Medizin durchaus als Heilmittel, etwa zur Bekämpfung von Rheuma. Doch je höher die Dosis, desto größer der Schaden für den Menschen. Gilt diese Aussage aus der Medizin auch für das mobile Arbeiten? Foto: BS/Alexander Limbach, stock.adobe.com

So gut wie das Familienministerium waren jedoch nicht alle Behörden aufgestellt. Dennoch: “Die große Mehrheit der Befragten ist überzeugt, dass Deutschland und seine Verwaltung die Covid19-Pandemie gut bewältigt haben”, nennt Thilo Zelt, Managing Director und Partner der Boston Counsulting Group (BCG), ein Ergebnis aus der Studie “Die Verwaltung als Gewinnerin der Corona-Krise?”, für die BCG zusammen mit der Hertie School of Governance 300 Führungskräfte im Öffentlichen Dienst befragt hat. Zugleich fühlte sich die Hälfte der

Teilnehmenden von der Pandemie und ihren Auswirkungen betroffen, was mit einer entsprechend erhöhten Arbeitsbelastung einhergehe. Darüber hinaus haben 46 Prozent angegeben, dass die Leistungsfähigkeit der Verwaltung in dieser Zeit zugenommen habe. Erfahrungen, die Staatssekretärin Seifert aus ihrem Hause bestätigen kann: Die Arbeitszeitgestaltung habe sich laut Aussagen der Mitarbeiter positiv in Richtung von mehr Flexibilität verändert. “Für die Verwaltung ist das sehr gut, weil die Beschäftigten mehr leisten können.” Aber

Insgesamt wird die Corona-Pandemie Spuren im Arbeitsalltag hinterlassen. Eine Rückkehr zu einem “Pre-Covid-Zustand” werde es nicht geben, sagt Zelt mit Blick auf die Studie. Stattdessen werde sich die Krise als wichtiger Beschleunigungsfaktor für viele seit Jahren geplante Modernisierungsprozesse erweisen, insbesondere in den Bereichen Digitalisierung und Flexibilisierung. Allerdings würden viele der Befragten auch nicht von einem Strategiewechsel ausgehen. Mobiles Arbeiten, virtuelle Zusammenarbeit sowie mehr Flexibilität würden als die wichtigsten Errungenschaften der Pandemie angesehen, die auch künftig den Arbeitsalltag prägen würden. Entsprechend müsse es für jede Dienststelle eine Digitalisierungsoffensive geben. Dazu gehöre auch ein massiver Ausbau der Möglichkeiten des Homeoffice. Gemeinsam mit den Personalvertretungen müsse nun eine Flexibilisierung überall dort angestrebt werden, wo sie sinnvoll und durchführbar sei, um eine zukünftige Arbeitsorganisation voranzutreiben, so eine Handlungsempfehlung der Studie. Damit verbunden sind jedoch auch Risiken. Neben dem Dilemma bei der Vermischung von Arbeit und Privatleben werden soziale Kontakte abnehmen oder ganz entfallen, ebenso die infor-

melle Kommunikation, wenn das Homeoffice die Regel wird. “Diese Risiken gilt es zu erkennen und zu minimieren”, so der Berater von BCG.

Psychologische Auswirkungen unbekannt Denn sie wirken sich auf die Gesundheit der Beschäftigten aus. Überhaupt kommt dieser Punkt für Prof. Dr. Verena Nitsch von der RWTH Aachen University in den Debatten um Homeoffice meistens zu kurz. Dabei geht es nicht nur um einen adäquat ausgestatteten Arbeitsplatz, den es laut der Studie von Boston Consulting in lediglich 23 Prozent der Fälle gegeben habe. Für Nitsch bedeutet das, dass ein ergonomisch richtiges Arbeiten nicht möglich ist. Viel wichtiger sind für die Direktorin des Instituts für Arbeitswissenschaft an der RWTH neben den physiologischen die psychologischen Auswirkungen. “Die Dosis macht das Gift”, so Nitsch. Das mache es für die Arbeitgeber schwieriger, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen. Zudem seien mittel- und langfristige Auswirkungen noch nicht absehbar. Ebenso ist noch nicht klar, wie sich der Wunsch nach Homeoffice seitens der Beschäftigten gestaltet. Vor Corona haben laut einer Befragung von Verdi 62 Prozent angegeben, sie wollten nicht mobil arbeiten, berichtet Frank Werneke. “Ein Großteil der Beschäftigten wünscht es nicht”, konstatiert der Verdi-Vorsitzende. Deshalb müsse es auch kein gesetzlich normiertes Recht auf Homeoffice geben, wohl aber auf die Erörterung und ein Recht auf mobiles Arbeiten. Damit es auf Ebene der Betriebe ergänzend und freiwillig durchgeführt werden kann und dort geregelt wird, wie es organisiert wird. Dazu müssten parallel die Mitbestimmungsrechte der Personalräte ausgeweitet werden.

sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beim traditionellen Schlagabtausch mit dem Bundesvorsitzenden des DBB Beamtenbunds und Tarifunion Ulrich Silberbach im Rahmen der DBB-Jahresveranstaltung 2021, die unter dem Motto “Staat neu denken!” stand. Insgesamt sieht der CSU-Politiker die Verwaltungsdigitalisierung auf einem guten Weg. So werde der Bund bis Jahresende auch seine 100 Verwaltungsdienstleistungen im Rahmen des OZG digital umgesetzt haben. Damit sei es jedoch nicht getan, mahnte Silberbach. Denn die internen Arbeitsweisen seien viel entscheidender als die Kommunikation mit dem Bürger. Was nütze es Bund und Ländern, wenn sie die E-Akte eingeführt hätten, diese in den Kommunen aber nicht etabliert sei? Der DBB Bundesvorsitzende fordert daher einen Digitalpakt Verwaltung. Damit sollen erstens die Mitarbeiter aus- und weitergebildet werden, zweitens massiv in die Digitalisierung investiert und drittens die Digitalisierung in die Fläche gebracht werden. Unterstützung bekommt der Gewerkschafter vom Bundesverfassungsrichter a. D. Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio: “Die Verwaltung muss schlagkräftig sein! Dazu gehören eine gute Ausbildung, klare Führung und eine gute Ausstattung.” Ein weiterer Diskussionspunkt war die Wochenarbeitszeit von Beamten. Während Silberbach eine Abkehr von der 41-Stunden-Woche um zwei Stunden forderte, machte Seehofer deutlich, dass dafür aktuell und in den kommenden Jahren kein Spielraum sei. Der Bund als Dienstherr setze wie in den vergangenen Jahren erst auf Stellenerhöhungen. Im gleichen Zug die Wochenarbeitszeit abzusenken, würde diesem Ziel zuwiderlaufen.

→ 21. Januar 2021 WEBKONFERENZ

Praxis-Workshops: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Keynotes u.a. von:

Wettbewerblicher Dialog Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Angebotswertung Die vergaberechtskonforme Beschaffung von Verpflegungsleistungen Die Wahl der Verfahrensart und ihr Einfluss auf den Markt Lieferantenmanagement Vergaberecht und Insolvenz Die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen Häufige Fehler im Vergabeverfahren Aktuelle Rechtsfragen zur Vergabe von Wegenutzungsrechten IT-Beschaffung konkret Nutzung der Inhouse-Vergabe Ausschlussgründe und Selbstreinigung im Vergaberecht Dringlichkeit, Rügen, Kostenexplosion und Co. Beschaffung gebrauchter Software-Lizenzen

Veranstalter:

Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Düsseldorf

Bettina Lentz, Staatsrätin, Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg

Dr. Gundula Fehns-Böer, Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M.

Hamburger Vergabetag – DER Treffpunkt für öffentliche Einkäufer, Auftragnehmer und Vergaberechtler Diskutieren Sie über aktuelle Rechtsfragen und einschlägige Spruchpraxis und erfahren Sie, wie digitale Einkaufsstrategien wirksam und zugleich rechtskonform umgesetzt werden können. Die insgesamt 14 Workshops mit einem stark praxisorientierten Ansatz sowie die Möglichkeit zum virtuellen Erfahrungsaustausch in der Behörden Spiegel-Weblounge runden den Hamburger Vergabetag weiter ab.

Mit fachlicher Unterstützung von:

→ Online-Anmeldung unter www.hamburger-vergabetag.de

Foto Hamburg: © John Smith, stock.adobe.com

Hamburger Vergabetag 2021


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Entlastung im Fokus

B

ehörden Spiegel: Frau Behle, 2020 liegt hinter uns. Wie bewerten Sie rückblickend die Tarifverhandlungen in CoronaZeiten? Behle: Es war ein hartes Jahr. Nicht nur wegen der Pandemie, sondern auch wegen der Tarifrunden. Zwar waren die Verhandlungen zum TVöD auf unserer Seite so harmonisch wie nie, das gelang aber nur, weil wir sehr viel Wert daraufgelegt haben, Beteiligung unter erschwerten Rahmenbedingungen zu organisieren. Nach jeder Verhandlungsrunde haben wir unzählige Videokonferenzen mit jeweils über 1.000 Menschen durchgeführt. Dadurch haben wir eine unglaubliche Transparenz bei diesem Flächentarifvertrag herstellen können. Infolgedessen war die Akzeptanz für das Ergebnis deutlich höher.

(BS) Es ist eine Vielzahl von Fragestellungen aufgekommen, die bislang nicht abschließend geklärt sind. U. a. dazu äußert sich mit Christine Behle, Stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und Leiterin des Fachbereiche Bund/Länder und Gemeinden, Sozialversicherungen, Verkehr, Besondere Dienstleistungen sowie für Tarifpolitik Öffentlicher Dienst und die Personengruppen Beamte und Arbeiter. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

Behle: Das war eine ungewollte Kollision, die sich durch die Verhandlungsverläufe der letzten Jahre und die daraus resultierenden Termine ergeben hat. Das will keine Seite wiederholen, weder die Arbeitgeber noch wir. Behörden Spiegel: Bleiben wir im ÖPNV. In elf Bundesländern ist inzwischen der Spartentarifvertrag Nahverkehr (TV-N) verlängert worden. Wie bewerten sie Abschlüsse mit Blick auf die Harmonisierung?

Behörden Spiegel: Die unterschiedlichen Ausgangslagen fußen doch auf regionalen Unterschiede. Zum Beispiel sind die Anforderungen im ÖPNV in Berlin andere als in Brandenburg. Kann man überhaupt alles vereinheitlichen?

Behle: Wir haben auf Landesebene bei vielen Bereichen eine sehr breite Spreizung der Regelungen. Sei es bei Arbeits- und Urlaubszeiten, Überstundenregelungen, den Umgang mit verlängerten Einsatzzeiten im

Behle: Was Sie beschreiben, stimmt natürlich. In den ländlichen Regionen in Brandenburg spielen geteilte Dienste eine andere Rolle als in Berlin, wo jemand seine Schicht durchfahren kann. Deshalb können nicht alle

Behle: Das ist unsere Absicht. Unsere Aktivitäten waren so hoch wie noch nie, wir haben es geschafft, zusätzlich andere Beschäftigtengruppen zu erreichen. Und wir wollen weitere Modelle entwickeln, um den Menschen die Tarifrunden näherzubringen. Behörden Spiegel: Parallel zur Tarifrunde mit Bund und Kommunen liefen die Verhandlungen zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). War das ein Knackpunkt, dass beide Runden medial teilweise vermischt wurden?

D

ie Impfbereitschaft etwa beim Pflegepersonal ist gering. Dies scheint vielen Menschen verdächtig, die in Pflegern medizinisch geschultes Fachpersonal und somit quasi Ärzte sehen. Dabei konnte nachweislich die Impfbereitschaft beim Pflegepersonal durch Informationskampagnen deutlich erhöht werden. Während die Bereitschaft vor dem Informationsbesuch durch einen Facharzt oft unter 50 Prozent lag, stieg sie danach auf 70 bis 80 Prozent, so die Beobachtung in Krankenhäusern und Pflegeheimen deutschlandweit. Die Ablehnung der Impfung heizt sich vor allem am Begriff

Behörden Spiegel: Wäre das dann ein Thema für die diesjährige Tarifrunde mit den Ländern?

Christine Behle über die Tarifarbeit 2020 und 2021

Fahrdienst durch Verspätungen oder beim Entgelt. Deshalb sind wir auf zwei Ebenen vorgegangen. Zum einen wollten wir die Themen aus dem Mantelteil des jeweiligen TV-N unter dem Begriff Entlastung bundesweit vereinheitlichen und einen Rahmen schaffen. Das hat die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) bekanntermaßen abgelehnt. Parallel haben wir auf der Länderebene verhandelt. Dort haben wir in elf Ländern Abschlüsse mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2023. In Bayern, Berlin, Bremen, dem Saarland und Sachsen-Anhalt haben wir einen Vergütungsabschluss oder Teilabschlüsse erzielen können, dort werden die Entlastungsthemen in diesem Jahr weiterverhandelt. Dort wollen wir ebenfalls gleichlautende Regelungen schaffen. Insgesamt haben wir in den einzelnen Ländern viel erreicht, wir sind der Harmonisierung ein großes Stück nähergekommen. Wir sind von Anfang an mit unterschiedlichen Forderungen auf der Länderebene in die Verhandlungen gegangen, haben aber versucht, gemeinsame Akzente zu setzen, indem wir zum Beispiel als Erstes den Urlaubsanspruch auf 30 Tage vereinheitlicht haben. Das wirkt erst mal wie ein Sammelsurium, ist aber den unterschiedlichen Ausgangslagen geschuldet. Unsere Verhandlungskommissionen sind auf jeden Fall sehr zufrieden, wir sind auf dem richtigen Weg.

Behörden Spiegel: Werden diese Beteiligungsmodelle bei Verdi verstetigt?

Behörden Spiegel / Januar 2021

“Wir haben eine Vielzahl von tariflosen Gesellschaften des Bundes”, kritisiert Christine Behle, stellvertretende Verdi-Vorsitzende. Foto: BS/Kay Herschelmann

Themen vereinheitlicht werden. Aber die zugrunde liegenden Regeln lassen sich vereinheitlichen und es lassen sich einheitliche Standards herstellen. Die Details müssen differenziert auf Betriebsebene zum Beispiel in Dienstvereinbarungen geregelt werden. Daran sind auch die Arbeitgeber interessiert. Denn auch im ÖPNV gibt es unter den Arbeitgebern einen Wettbewerb um Nachwuchskräfte. Behörden Spiegel: Die VKA hat trotz ablehnender Haltung ihre Bereitschaft zum Dialog signalisiert. Ist man hier schon getroffen? Behle: Ja, wir haben eine Verabredung getroffen und hatten bereits im November 2020 einen ersten Termin. Dabei wurde ein gemeinsames Vorgehen vereinbart, wobei die VKA hier mehrere Möglichkeiten aufzeigen wollte. Denn in bestimmten Bereichen sind sich die einzelnen Tarifverträge sehr ähnlich, etwa bei der Entgeltanpassung, die an den TVöD gekoppelt ist. Eine grundsätzliche Bereitschaft zur Vereinheitlichung ist da, deshalb wollen wir gerne mit der VKA eine Prozessvereinbarung abschließen. Andernfalls werden wir ab dem 31. Dezember 2023 die Fragen zur Harmonisierung der Bedingungen erneut diskutieren. Behörden Spiegel: Anfang 2020 stand auch ein Digitalisierungstarifvertrag auf Bundesebene zur

Diskussion. Braucht man diesen angesichts der Corona-Pandemie noch? Behle: In jedem Fall. Das hat die Corona-Pandemie mehr als deutlich gemacht. Die Debatte ist im Vorfeld intensiv geführt worden. Doch durch die letzten Monate gibt es auch neue Erfahrungen. Es sind eine Vielzahl von Fragestellungen aufgekommen, die bislang nicht abschließend geklärt sind. Zum Beispiel beim mobilen Arbeiten. Dazu zählt nicht nur die technische Ausstattung, sondern auch die Frage nach den Rahmenbedingungen zu Hause, wo vielleicht am Küchentisch oder mit paralleler Kinderbetreuung gearbeitet wird. Was heißt das aber für die Arbeitserledigung? Behörden Spiegel: Und haben sie Antworten auf diese Fragen gefunden? Behle: Wir hatten bereits zwei Runden mit der Arbeitgeberseite. Zuerst haben wir ein Eckpunktepapier und die zentralen Themen vereinbart: Qualifizierung der Beschäftigten, Beschäftigungssicherung und als drittes die Rahmenbedingungen rund ums mobile Arbeiten. Im zweiten Treffen haben wir uns vornehmlich um das Thema Qualifizierung gekümmert, welche Bedarfe bestehen und welche Regelungen dafür notwendig sind. Was muss ein Arbeitgeber an Qualifizie-

rungsmaßnahmen anbieten, wer bezahlt diese und zählt die Zeit als Arbeitszeit? Wir stellen leider immer wieder fest, dass man im Öffentlichen Dienst nur die formalen Qualifikationen der Beschäftigten kennt. Welche Qualifikationen künftig gebraucht werden, ob die Beschäftigten diese bereits haben und wie sie entwickelt werden können, wissen die wenigsten Behörden. Bei diesem Thema sind wir inzwischen sehr weit gekommen. Im Januar geht es mit zwei Videokonferenzen zu den anderen beiden Themenblöcken weiter. Da die Pandemie wie ein Beschleuniger gewirkt hat und die Regelungen gebraucht werden, bin ich zuversichtlich, dass wir zeitnah zu einem Ergebnis kommen. Behörden Spiegel: Das wäre ein Digitalisierungstarifvertrag für den Bund. Und was ist mit den Ländern und Kommunen? Behle: Die VKA und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) haben Verhandlungen bislang abgelehnt. Wir beabsichtigen, zunächst mit den Kommunen solche Regelungen zu vereinbaren. Wenn es nicht mit der VKA oder den einzelnen Kommunalen Arbeitgeberverbänden (KAVen) klappt, können wir uns auch vorstellen, das Thema über Haustarifverträge voranzutreiben. Das gilt ebenso für die Länder.

Beginn der “Gen-Impfung” Wie sicher sind die neuen Mittel? (BS/df) Die Frage, wie weit sich der Staat in das Leben seiner Bürger einmischen darf, entfacht sich aktuell weniger am Lockdown an sich, sondern an einer möglichen Impfpflicht. Es sind nicht nur Verschwörungstheoretiker, die eine Corona-Impfung ablehnen. DNA auf, der aus dem Begriff “mRNA-Impfstoff” herausgelesen wird. DNA-Impfung klingt nach gentechnisch verändertem Gemüse – und von dort ist es bis zum Klon-Schaf nicht mehr weit. Oder nach dem Film “Die Fliege”, wo ein Wissenschaftler seine DNA mit der einer Fliege mischt und dadurch selbst

zur Fliege mutiert. Und wer will schon ein Coronavirus werden? Dabei ist die Aufnahme fremder DNA durch den Körper normal. Jeder Erkältungsvirus bringt Erkältungsvirus-DNA in das Blut. Viren pflanzen ihre DNA in menschliche Zellen zur Reproduktion. Bei Impfungen gab es bisher nur zwei Versionen:

Lebend- und Totimpfstoff. Beim Totimpfstoff reichen abgetötete Viren, um das Immungedächtnis zu schulen. Dieser ist die beste Variante, weil durch die toten Viren keine Komplikationen ausgelöst werden können. Bei Lebendimpfstoffen wird eine so geringe Menge des Virus in den Körper gebracht, dass die Immunabwehr damit problemlos fertig werden sollte. Es ist eine kontrollierte Infektion. Beide Impfmethoden sind seit Jahrzehnten bekannt und erprobt, allerdings nicht leicht herzustellen, da die Immunreaktion und das Immungedächtnis hochkomplexe Gebilde sind. Gegen einige Krankheiten kann mit dem bevorzugten, weil harmloseren, Totimpfstoff immunisiert werden. Andere erfordern Lebendimpfstoff, der immer etwas riskanter ist, weil er eher zu unerwünschten Immunreaktionen führen kann. Und natürlich gibt es auch sehr selten Menschen, deren Immunsystem mit diesem

Erreger doch nicht klarkommt, deren Immungedächtnis sich dieses eine besondere Virus nicht merken will oder dessen Immunantwort übertrieben ist.

Zwitter mRNA-Impfung Die mRNA-Impfung ist ein Zwischending. Es ist weder Lebendnoch Totimpfstoff. Es wird nicht das ganze Virus geimpft, sondern nur ein Teil der Virus-DNA. Dieser Teil verhält sich vorerst wie ein Lebendimpfstoff, indem er sich in den umliegenden Zellen reproduziert. Da es aber nicht das ganze Virus ist, können diese DNA-Teile weder überleben noch den Menschen komplett infizieren. Sie sollen allerdings ausreichen – und das war die hohe Kunst –, um das Immungedächtnis gegen das Coronavirus zu schulen. MdB Peter Tauber zitierte: “Als am 12. April 1955 bekannt wurde, dass Wissenschaftler einen Impfstoff gegen die Kinderlähmung (Polio) gefunden hatten,

Behle: Das könnte sein, wir haben uns aber noch nicht entschieden. Wir haben auch andere große Themen bei der TdL, etwa die Einkommensentwicklung der Pflegekräfte, die Arbeitsbelastungen in Behörden, den Fachkräftemangel. Wir wollen hier Dinge tarifieren und nicht den Arbeitgebern überlassen, mit Zulagen zu arbeiten. Ein anderer Bereich sind die Beschäftigten in den Landesbauverwaltungen, die nicht zur Autobahn GmbH des Bundes gewechselt sind. Dort existiert ein Tarifvertrag, der materiell über den TVöD hinausgeht. Wir werden sehen, welche Forderungen wir aufstellen. Wir werden die Schwerpunkte gemeinsam mit unseren Mitgliedern festlegen. Nach jetziger Planung soll unsere Tarifkommission die Forderungen am 26. August 2021 beschließen. Behörden Spiegel: Was steht 2021 noch auf der Agenda? Behle: Eine Menge. Einerseits der Sozial- und Erziehungsdienst. Auch hier hat Corona neue Schwerpunkte hervorgebracht, sodass wir aktuell über eine Neuaufstellung unserer Forderungen nachdenken. Andererseits haben wir eine Vielzahl tarifloser Gesellschaften des Bundes. Aktuell wollen wir die HIL Heeresinstandsetzungslogistik GmbH der Bundeswehr zu Tarifverhandlungen auffordern. Und drittens haben wir das Thema Entlastung und Personalbemessung im Gesundheitswesen. Die ersten Verträge, etwa mit der Charité, laufen aus, in den nachfolgenden sind bessere Regelungen vereinbart worden, die gilt es jetzt nachzuzeichnen. Langfristig wollen wir das Thema Personalbemessung auch in anderen Bereichen tarifieren. Und wir müssen uns, das ist meine persönliche Meinung, mehr auf qualitative Aspekte fokussieren. Wir haben im Öffentlichen Dienst zehn bis 15 Prozent unbesetzte Stellen, nicht nur bei IT-Fachkräften oder Ingenieuren, sondern auch bei Verwaltungsfachangestellten. Da müssen wir mehr tun, beispielsweise bei der Nachwuchsförderung oder der Schaffung von Anreizen für die Stellenbesetzung.

da – so heißt es in einem Bericht – “verharrten die Menschen eine Weile in Schweigen, läuteten Glocken, hupten, ließen Fabrikpfeifen schrillen, feuerten Salutschüsse ab, nahmen sich den Rest des Tages frei, schlossen ihre Schulen und trafen sich darin zu ausgelassenen Feiern, prosteten sich zu, herzten ihre Kinder, gingen in die Kirche, lächelten Fremde an und vergaben ihren Feinden.” Im 20. Jahrhundert sind 300 Millionen Menschen an den Pocken gestorben. Zum Vergleich: In beiden Weltkriegen starben ungefähr 90 Millionen Menschen. Die Pocken sind dank der Impfung ausgerottet. Es braucht keine Konfettiparade für die Erfinder des Corona-Impfstoffs heute, wie sie die Stadt New York für den Erfinder der Polio-Impfung durchführen wollte (er lehnte ab). Aber ich wäre schon froh, wenn durch die Medien heute nicht ständig wirre Impfgegner ein Forum bekommen.” Tauber betonte: “Das Impfen abzulehnen und gar zu verteufeln, ist menschenfeindlich. Es wird Zeit, die Fackel der Aufklärung wieder höher zu halten, um das Licht so hell strahlen zu lassen, dass die dunklen Gestalten wieder in die Löchern verschwinden, aus denen sie gekrochen kamen.”


Bund

Behörden Spiegel / Januar 2021

Schlechte Noten oder mehr Sensibilität?

D

ie nähere Lektüre des BKALagebildes nimmt der Statistik ein Stück weit ihre Dramatik, sowohl im Hinblick auf die erfassten Deliktszahlen als auch – was noch wichtiger ist – hinsichtlich der Betroffenheit der Verwaltung und auch der Qualität der den Amtsträgern gewährten Vorteile. Die Deliktsentwicklung der letzten fünf Jahre zeigt: Der Trend ist nach wie vor leicht sinkend und die Steigerung des Jahres 2019 sticht hauptsächlich deshalb heraus, weil das Jahr 2018 außergewöhnlich geringe Fallzahlen auswies (siehe nebenstehendes Diagramm). Man kann daher wohl eher von einer Stabilisierung auf, allerdings nach wie vor hohem, Niveau sprechen. Lohnend ist auch eine Analyse der Fallzahlen in Bezug auf die Frage, inwieweit die öffentliche Verwaltung Zielbereich der Korruption war. Hier macht das BKA einen erfreulich rückläufigen Trend aus.

Weniger massiv, mehr situativ Und schließlich sollte man sich auch die gemessenen Schäden einerseits und die Qualität der erlangten Vorteile andererseits genauer ansehen. Hier zeigt sich, dass die Summe der ermittelten Schäden durch Korruption im Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um 61 Prozent auf einen historischen Tiefstand von 47 Mio. Euro zurückgegangen ist. Obschon man zu berücksichtigen hat, dass dies nur ein Näherungswert ist, da das BKA überhaupt nur in ca. einem Fünftel der Fälle konkrete Schä-

Massiver Anstieg der Korruptionsdelikte in Deutschland (BS/Ingo Sorgatz) Das BKA wartete im November 2020 anlässlich der Veröffentlichung seines Lagebildes zur Korruptionskriminalität in Deutschland mit einer alarmierenden Nachricht auf: Im Jahr 2019 ist es bei den Korruptionsdelikten zu einem Anstieg um 42,7 Prozent gekommen. Passend dazu rügte der Europarat am 15. Dezember 2020 die Qualität der Korruptionsbekämpfung in Deutschland. Was steckt hinter solchen Zahlen? Wie ist die signifikante Steigerung der erfassten Delikte zu interpretieren? Und welche Risiken ergeben sich möglicherweise für die Zukunft?

Korruptionsstraftaten gesamt

Quelle: BS/BKA, Darstellung: Sorgatz

den beziffern kann, so ist dies jedenfalls der niedrigste Wert seit Beginn der Veröffentlichung der erfassten Schäden im Jahr 2009. Zusammengefasst ist ein Anstieg der Delikte bei gleichzeitigem Rücklauf der Schäden zu verzeichnen. Das lässt den Schluss zu, dass nicht die massive Schäden anrichtende strukturelle Korruption zugenommen hat, sondern die sogenannte situative Korruption, die “petty corruption”. Und tatsächlich – bei der Art der angenommenen Vorteile handelte es sich laut Lagebild zu 75 Prozent um die kostenlose Teilnahme an Veranstaltungen. Mit einer Freikarte besticht man in der Regel nicht, mit ihr pflegt man Kontakte. Es

Dilemma der Korruptions­ vorsorge Das BKA-Lagebild 2019 führt uns einmal mehr ein Dilemma der Korruptionsvorsorge vor Augen. Mehr Sensibilität und die konsequente Verfolgung auch “kleinerer Vorteile” ist zu begrüßen, findet aber nicht unbedingt Beifall, führt sie doch gleichzeitig zu erhöhten Fallzahlen und damit zu schlechten Schlagzeilen. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass bei vielen Bediensteten offen-

bar noch immer eine gewisse “Sorglosigkeit” im Umgang mit kleineren Zuwendungen und Gefälligkeiten herrscht. Dies wiederum macht es den Gebern leicht, mit geringem Aufwand informelle Netzwerke aufzubauen, die als Eingangstor für spätere, massiv schädliche Kartellstrukturen genutzt werden können. Aktuell ist in vielen Bereichen eine Reduktion der Verwaltungskontrolle im Zuge der Digitalisierung, des umfäng-

Lehrgang zum Thema Der Behörden Spiegel veranstaltet hierzu vom 8. bis 12. März 2021 in Berlin seinen nächsten Zertifikatslehrgang für Anti-Korruptionsbeauftragte. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.fuehrungs kraefte-forum.de, Suchwort: “Antikorruption”

kann es gelingen, trotz aller Verwaltungseffizienz, die in den kommenden Jahren sehr weit oben auf der Agenda stehen wird, ein gesundes Verhältnis zur für das Ansehen der Verwaltung ebenso wichtigen Korruptions- und Betrugsvermeidung zu wahren.

MELDUNG

Amtsantritt im Januar

(BS/har) Veronika Keller-Engels wurde von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Christine Lambrecht (SPD), zur neuen Präsidentin des Bundesamtes für Justiz in einer Feierstunde in Berlin ernannt. In ihrer Antrittsrede betonte KellerEngels, das Bundesamt getreu seines Leitsatzes “modern, digital ausgerichtet und leistungsstark” führen zu wollen. Sie trägt Verantwortung für über 1.250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an fünf Standorten in Bonn beschäftigt sind. Keller-Engels folgt auf ihren Vorgänger HeinzJosef Friehe, der Ende Dezember in den Ruhestand getreten ist. Die Juristin war seit 2018 beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof im Grundsatzreferat der Abteilung für Terrorismus tätig. Außerdem war sie bis 2013 Referentin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Weitere Stationen ihrer Karriere führten sie u. a. an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Brüssel sowie die Landesjustiz Bayern und das Bundesverfassungsgericht.

netzagentur gemeinsam mit dem BSI und dem Datenschutz-Bundesbeauftragten.

Erheblicher Klärungs- und Nachbesserungsbedarf bei TKG-Novelle

Regulierungserleichterungen für die Telekom

(BS/Gerd Lehmann) Ein im Dezember 2018 in Kraft getretener Europäischer Kodex für die elektronische Kommunikation (EECC) hätte bis zum 21. Vielen ist es ein Dorn im AuDezember 2020 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Nun droht nach EU-Recht ein Vertragsverletzungsverfahren. Denn das Bundeska­ ge, dass die TKG-Novelle Regubinett hat erst am 16. Dezember 2020 den Entwurf eines Telekommunikationsmodernisierungsgesetzes verabschiedet. Doch der Entwurf ist nicht lierungserleichterungen für die ohne Kritik. Telekom zum Anschub des Glas-

faserausbaus vorsieht, aber den Zugang zur passiven Infrastruktur der Telekom – z. B. den Kabelschächten – nicht konsequent verlangt. Die Verbände sind der Ansicht, dass die Regelungen den Glasfaserausbau eher verzögern als beschleunigen. Sie fordern eine exakte Umsetzung der EUVorgaben.

Frequenzauktionen in der Kritik

Der Entwicklung der Technik vom alten Telefon hin zu modernen Kommunikationsanlagen muss die Modernisierung des Rechts folgen. Aktuell steht eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes in der Diskussion. Fotos: BS/Emphyrio (links), Michal Jarmoluk (rechts), beide pixabay.com

Umstrittenes Nebenkosten­ privileg Auf Widerspruch stößt die

Konsultation zeitlich und sub­ vorgesehene Abschaffung des stanziell eine Zumutung Nebenkostenprivilegs. Das BM-

Das Gesetzesvorhaben beinhaltet erhebliche Änderungen am Regulierungsrahmen im Bereich der Telekommunikation und beeinflusst den Ausbau von Gigabitnetzen und die digitale Transformation. Die für die Stellungnahme gewährte Frist von zwei Wochen zu dem rund 430 Seiten umfassenden und bis dato noch unfertigen Gesetzesentwurf wurde allseits scharf kritisiert. Zahlreiche Divergenzen und offene Probleme bestehen. Streitpunkte sind unter anderem das Nebenkostenprivileg, die Mindestvertragslaufzeiten für Telekommunikationsdienste und die Möglichkeit von Ausnahmen vom passiven Netzabschlusspunkt (Routerzwang).

handelt sich um einen klassischen “Einstiegsvorteil” auf dem Weg in eine korruptive Netzwerkstruktur, ohne zunächst wirklich sichtbaren finanziellen Schaden.

lichen Auskehrens von Subventionen und Transferleistungen sowie auch der Schwächung des Wettbewerbs angesichts vergaberechtlicher Erleichterungen zur Pandemiebewältigung zu beobachten. Eine Zunahme doloser Handlungen ist wahrscheinlich und zeigt sich in bestimmten Bereichen bereits. Korruptionsvorsorge, Interne Revision und Rechnungsprüfung dürfen nicht Opfer von Prozessoptimierung und Verwaltungsverschlankung werden. Gleichzeitig müssen aber auch diese klassischen Elemente der Verwaltungskontrolle die Digitalisierung nutzen und “intelligenter” werden. Nur so

Ingo Sorgatz, Erster Kriminalhauptkommissar und Dipl.-Verwaltungswirt (FH), ist nach langer Tätigkeit im kriminalpolizeilichen Bereich seit mehreren Jahren für Interne Revision und Korruptionsprävention zuständig. Foto: BS/privat

Die Zeit drängt

N

eben der Umsetzung der europäischen Regelungen des Kodex für die elektronische Kommunikation sollen mit der TKGNovelle wichtige Weichen für den Breitbandausbau in Deutschland gestellt und der rechtliche und regulatorische Rahmen für die Transformation von der digitalen in eine Gigabit-Gesellschaft geschaffen werden. Bedeutsame Themenbereiche sind Marktregulierung, Frequenzpolitik, Schutz der Endnutzer, das institutionelle Gefüge und der Universaldienst. Erste Vorschläge zu den notwendigen Änderungen im deutschen Telekommunikationsgesetz (TKG) enthielt ein im Februar 2019 erschienenes Eckpunktepapier. Seitdem ist die anstehende TKGNovellierung Gegenstand umfangreicher Diskussionen. Ende Juli 2020 wurde ein von Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und -verkehrsministerium (BMVi) gemeinsam verfasster Gesetzesentwurf zur Neufassung des TKG in die Ressortabstimmung gegeben, der kurz vor Weihnachten vom Kabinett verabschiedet wurde. Bundesländern, Kommunen, Unternehmen und Verbänden lag der Gesetzentwurf seit Anfang November 2020 als “Diskussionsentwurf” zur Kommentierung vor.

Seite 5

Wi und die Telekom halten die Umlage von Kabelgebühren auf die Mietnebenkosten für wettbewerbshinderlich und nicht mehr zeitgemäß. Dagegen plädieren die Wohnungswirtschaft und andere für die Beibehaltung des “bewährten” Umlagesystems, das für die Beteiligten Vorteile bietet. Kabelnetzbetreiber haben ein modifiziertes Nebenkostenprivileg zur Unterstützung des Glasfaserausbaus zur Diskussion gestellt.

Umstrittene Mindestvertrags­ laufzeiten Nach dem Diskussionsentwurf sollen Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet werden, neben den obligatorischen Zweijahresverträgen auch Einjah-

resverträge anzubieten. Obwohl der EU-Kodex ausdrücklich auch eine zweijährige Mindestlaufzeit von Verträgen zulässt, sperrt sich das Bundesjustizministerium (BMJV) gegen eine flexible Regelung, die auch längere Laufzeiten vorsieht. Das BMJV will durchsetzen, dass Neuverträge maximal ein Jahr laufen dürfen. Die Unternehmen lehnen eine Verkürzung der Vertragslaufzeit ab. Sie sehen die Planungssicherheit beeinträchtigt und warnen vor einem Dämpfungseffekt auf den Glasfaserausbau.

Aushebelung der Endgeräte­ freiheit befürchtet Seit 2016 legt das Telekommunikationsgesetz fest, dass Kunden ihren Router selbst wählen dürfen. Mehrere Verbände und die Telekom wollen den Routerzwang wiederbeleben und plädieren für eine Abschaffung des

liberalisierten Endgerätemarkts. Insoweit birgt die neu in die TKGNovelle aufgenommene Regelung, dass die BNetzA Ausnahmen vom passiven Netzabschlusspunkt zulassen kann, das Risiko, dass Verbraucherrechte eingeschränkt und die freie Endgerätewahl de facto abgeschafft wird. Die RouterHersteller und deren Verband fürchten durch einen neuen Passus im Entwurf der TKG-Novelle eine Aushebelung der Endgerätefreiheit durch die Hintertür und lehnen diese Regelung ab.

Weiterer Klärungs- und Nach­ besserungsbedarf Auch in anderen Punkten wird Klärungs- und Nachbesserungsbedarf reklamiert. Noch völlig offen ist der genaue Umfang des Rechts auf schnelles Internet und die Höhe der Bußgelder, wenn Provider die zugesagten Leistungsparameter nicht einhalten.

Gleiches gilt für die Informationsund Transparenzpflichten von Anbietern sowie die Regeln für einen Providerwechsel. Unklar ist auch, ob die Befugnisse der Sicherheitsbehörden und die Regelungen für den Behördenfunk weiterhin Gegenstand des TKG sind oder in das BDBOSGesetz aufgenommen werden.

Sicherheitskritische Netz- und Systemkomponenten Im Diskussionsentwurf heißt es, dass sicherheitsrelevante Netzund Systemkomponenten, die kritische Funktionen erfüllen, nur eingesetzt werden, wenn sie von einer anerkannten Prüfstelle überprüft und von einer anerkannten Zertifizierungsstelle zertifiziert wurden. Das betrifft unter anderem Bauteile des umstrittenen Netzwerkausrüsters Huawei. An Einzelheiten zur Zertifizierung arbeitet momentan die Bundes-

Netzbetreiber bedauern, dass der Gesetzgeber bei der Frequenzvergabe weiterhin Auktionen als bevorzugtes Modell festschreiben will und nicht die vom EU-Recht gedeckte Möglichkeit nutzt, auf alternative Verfahren zu setzen. Dabei zeigen Studien, dass Länder mit niedrigen Lizenzgebühren über eine deutlich bessere Netzversorgung als Länder mit hohen Lizenzgebühren verfügen. Deshalb wird ein Kurswechsel gefordert. In einem Positionspapier heißt es: “Wir sollten aufhören, der Telekommunikationsindustrie Milliarden Euro für ein Stück Papier zur Frequenznutzung zu entziehen und Jahre später dann feststellen, dass die Netze schlecht sind. Die Unternehmen der Branche können jeden Euro nur einmal investieren. Entweder in den Erwerb ihrer “Licence to operate” oder in den Ausbau. Beides geht nicht.”

Parlamentarisches Verfahren hat noch nicht begonnen Noch ist der Gesetzentwurf nicht in der Parlamentsdatenbank des Deutschen Bundestages aufgeführt. Doch die Zeit drängt. Spätestens im Sommer muss das parlamentarische Verfahren abgeschlossen sein, sonst fällt das Gesetz dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer.


Zahlen & Daten

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Juni Landtagswahl in Sachsen-Anhalt

Behรถrden Spiegel / Januar 2021


Länder

Behörden Spiegel / Januar 2021

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Das große Impfen

Strukturen verändern

Die Impforganisation in den Ländern

DPolG will zweiteilige Laufbahn bei Hamburger Polizei

(BS/bk) Nach den ersten Impfmaßnahmen durch die mobilen Impfteams in den Alten- und Pflegeheimen sollen die über 400 Impfzentren im Land nach und nach hochgefahren werden. Aus der viel diskutierten und kritisierten Impfpriorisierung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), nach der sich die Länder richten wollen, geht nur eine grobe Reihenfolge hervor. Doch wie werden die Corona-Schutzimpfungen organisiert? Wie erfährt der Einzelne, wann er an der Reihe ist?

(BS) Er tritt ein schweres Erbe an: Thomas Jungfer folgt als Hamburger Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) auf den langjährigen Amtsinhaber Joachim Lenders. Welche Ziele er verfolgt, verrät Jungfer im Interview. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Redakteur Marco Feldmann.

Zunächst werden die Impfungen von den jeweiligen Landesregie­ rungen organisiert. Den Impf­ stoff erhalten die Länder zen­ tral über den Bund. Innerhalb Deutschlands wird das Vakzin anteilig nach der Bevölkerung an die Bundesländer verteilt. Die erste Etappe ist dann er­ reicht, wenn den rund 800.000 Bewohnerinnen und Bewohnern der Alten- und Pflegeheime ein Impfangebot unterbreitet wurde. Die Sozialbehörde Hamburg, die in der Hansestadt die Impfungen plant, rechtfertigt das Vorgehen mit zwei Gründen. Einerseits werde der Priorisierung gefolgt, andererseits sei die Impfmenge der ersten Lieferung sehr gering, sodass ohnehin eine “gezielte Verimpfung” vorgenommen wer­ den müsse.

“Feststellung der Berechtigung ist hoheitlicher Akt” Eine Impfpflicht soll es nicht geben. Dies betonen das BMG und die Gesundheitsministeri­ en der Länder besonders. Nach den Plänen des BMG sollen bis zum Sommer jede Bundesbürge­ rin und jeder Bundesbürger ein Impfangebot bekommen haben. Dazu stehen dann die 400 Impf­ zentren zur Verfügung. Unter die höchste Priorisie­ rungsgruppe fallen auch beson­ ders exponierte Berufsgruppen oder vorerkrankte Personen, die sich als erste in den Zentren imp­ fen lassen können. Damit diese Personengruppen in Hamburg berücksichtigt werden können, werden Bescheinigungen des Ar­ beitgebers bzw. Nachweise der Vorerkrankung in Form eines Attestes oder eines vergleichba­ ren medizinischen Nachweises benötigt. Die hamburgische Sozi­ albehörde macht aber unmissver­ ständlich klar: “Die Feststellung der Impfberechtigung ist ein ho­ heitlicher Akt.” Selbst wenn die impfwillige Person eine geplante Terminvereinbarung hat, wird die

A

m ersten Oktober 2017 startete das Projekt “TraRa – Modellprojekt zur Implemen­ tierung von Transferstrategien als Radikalisierungsprävention”, des Landesarbeitskreises Mo­ bile Jugendarbeit Sachsen e. V. Gefördert wurde es durch das Bundesprogramm “Demokra­ tie leben!” und das Landespro­ gramm “Weltoffenes Sachsen”. Fachkräfte Mobiler Jugendar­ beit (MJA) bzw. Streetwork (SW) und deren Partner sind in ihrer Arbeit mit jungen Menschen mit demokratiealternativem Verhalten und deren Äußerun­ gen konfrontiert, Welche vom Rechtspopulismus über latent rechtsorientierte Handlungswei­ sen bis zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit reichen.

Populismus sorgt für härtere Fronten Unsere Gesellschaft ist im Um­ bruch. Dies überträgt sich auf Familien und vor allem auch auf junge Menschen in ihrer Entwicklung und in Verände­ rungsprozessen. Populismus sorgt zudem für härtere Fron­ ten. Sowohl verbale als auch habituelle Feindseligkeiten bis hin zu aggressiven Auseinander­ setzungen und Gewalt in Szenen, im öffentlichen Raum, bei Fuß­ ballspielen oder gegen bestimmte

Wie schon bei den Eindämmungsmaßnahmen ergibt sich ein heterogenes Bild bei der Organisation der Impfungen in den Ländern. Die Bürgerinnen und Bürger müssen selbst prüfen, wie in ihrem Bundesland vorgegangen wird. Foto: BS/torstensimon, pixabay.com

letztlich gültige Feststellung der Impfberechtigung im Impfzen­ trum durch staatliches Personal durchgeführt. Aber nicht alle 400 Zentren wer­ den gleichzeitig hochgefahren. Während man in Sachsen gleich alle 13 Impfzentren Mitte Januar öffnen will, geht man in anderen Bundesländern die Sache ruhiger an. Das Land Hessen plant, nur mit sechs von seinen 28 Zentren zu starten. Grund dafür seien die noch zu geringen Impfstoffmen­ gen, um den Betrieb konstant aufrechtzuhalten.

Unterschiedliches Vorgehen in den Ländern Ebenso unterschiedlich voran­ geschritten ist die Terminvergabe in den Ländern. In Sachsen setzt man auf die Eigenverantwortung seiner Bürger. Dort werden diese aufgerufen, sich eigenständig einen Impftermin sowie den Fol­ getermin in einem Impfzentrum ihrer Wahl zu vereinbaren. Die Vereinbarung für einen Impfter­ min soll dabei telefonisch oder online durchgeführt werden. Im Freistaat Bayern werden die “notwendigen Kontaktdaten” der Impfzentren den berechtigten

Personen zeitnah nach der Ver­ fügbarkeit des Vakzins über die “gewohnten Kommunikations­ wege” bekanntgegeben, heißt es aus dem Bayerischen Staatsmi­ nisterium für Gesundheit und Pflege (StMGP). In Bayern ist die Terminvereinbarung nur telefo­ nisch möglich. In der Hansestadt Hamburg würden die Benach­ richtigungen über “unterschied­ liche Kanäle je nach zu adres­ sierender Zielgruppe” versendet. Während sich die Länder um die Kontaktaufnahme zu den Bür­ gern kümmern, übernehmen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) bundesweit die IT bei der Or­ ganisation und das Terminmana­ gement der Impfzentren. Zudem stellen die KVen das ärztliche und nicht- ärztliche Personal für das Impfen, die Registrierung und die Dokumentation. Die KV Nordrhein geht je nach Größe des Zentrums von einem Bedarf von zehn bis 40 Personen pro Impf­ einrichtung aus. Zu den Kosten konnten noch keine genauen An­ gaben gemacht werden. Die Stadt Hamburg schätzt jedoch je nach Auslastung und Nutzungsdauer die Kosten zwischen 15 und 30 Millionen Euro für seine Zentren.

Behörden Spiegel: Was steht auf Ihrer Agenda als neuer Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Hamburg? Welche Themen Ihres langjährigen Vorgängers Joachim Lenders wollen Sie fortsetzen; wo neue Akzente setzen?

das Personal auf den Po­ lizeiwachen entsprechend mitwachsen und aufge­ stockt werden. Bislang ist das noch nicht der Fall. Die Bürger wollen aber ih­ re Polizei, die für sie auch Dienstleister ist, im Stadt­ bild sehen.

Jungfer: Mein Vorgänger Behörden Spiegel: Wie Joachim Lenders hat vieles stehen Sie zum Einsatz des “Es muss darum gehen, den angestoßen für die DPolG in Distanzelektroimpulsgeräts Hamburg und sie zur größ­ bei der Polizei? Polizeiberuf auch in Zukunft ten Polizeigewerkschaft in attraktiv zu halten.” der Hansestadt gemacht. Jungfer: Ich bin ganz klar Ich will aber auch selbst für die Einführung des Dis­ Thomas Jungfer steht künftig an der Spitze neue Projekte starten. So tanzelektroimpulsgerätes der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in haben wir von der DPolG bei der Hamburger Poli­ Hamburg. Foto: BS/DPolG Hamburg Hamburg unmittelbar zei, zusammen mit einem nach meinem Amtsantritt vorhergehenden Pilotver­ eine neue Kampagne zur Wert­ für brauchen wir bei der Polizei such. Denn dieses Einsatzmittel schätzung des Polizistenberufs Hamburg aber zwingend auch schließt die Lücke zwischen dem gestartet. Sie soll uns wie ein ein vernünftiges Stellenkonzept. Pfefferspray und der Schuss­ roter Faden begleiten und war waffe. Außerdem wirkt bereits so erfolgreich, dass sie von der Behörden Spiegel: Vor wel- die Androhung der Nutzung des DPolG bundesweit übernommen chen aktuellen Herausforderun- Distanzelektroimpulsgerätes de­ wurde. Eine “zweite Welle” der gen steht die Hamburger Polizei? eskalierend. Kampagne ist für das Frühjahr Welchen Einfluss hat die Coronageplant. Es muss darum gehen, Pandemie? Behörden Spiegel: Sehen Sie den Polizeiberuf auch in Zukunft Reformbedarf im Personalvertreattraktiv zu halten. Jungfer: Bei der Hamburger tungsrecht? Polizei darf trotz und gerade auch Behörden Spiegel: Was ist Ih- wegen der Corona-Pandemie Jungfer: Mit Blick auf Ham­ nicht gespart werden. Hamburg burg sollte die Legislaturperiode nen noch wichtig? ist vielmehr bereits seit Jahren eines Personalrates von vier auf Jungfer: Ich möchte die drei­ eine wachsende Stadt. Darauf fünf Jahre verlängert werden. In teilige Laufbahn, die wir bei der müssen wir reagieren. Wenn einigen Bundesländern ist das Hamburger Polizei noch haben, Stadtteile wachsen oder sogar bereits der Fall, aber noch nicht in eine zweiteilige ändern. Da­ gänzlich neu entstehen, muss bei uns in Hamburg.

MELDUNG

Brandenburg weiterhin stark kampfmittelbelastet (BS/bk) Auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Kampfmittelbelastung in Brandenburg hoch. Bis Ende November 2020 hat der Kampf­ mittelbeseitigungsdienst (KMBD) rund 285 Tonnen Kampfmittel gefunden und rund 92 Hektar Land als nicht mehr kampfmittel­ belastet klassifiziert. Es konnten trotz mehrwöchiger Unterbre­ chung aufgrund der CoronaPandemie mehr Kampfmittel

gefunden werden als im Jahr zuvor. Dies geht aus der vorläu­ figen Bilanz des Dienstes für das Jahr 2020 hervor. Der KMBD bearbeitete zudem über 5.600 Anfragen von Grundstückseigen­ tümerinnen und -eigentümern zur Prüfung von Grundstücken auf eine Kampfmittelbelastung. Außerdem rückte der Beseiti­ gungsdienst rund 2.600 Mal zu einem Kampfmittelfund aus. Das Land Brandenburg musste

Mit TraRa und ReMoDe gegen rechts Populismus und Radikalisierung professionell begegnen (BS/Sascha Rusch/Antje Schneider/Dieter Wolfer*) Mobile Jugendarbeiterinnen und -mitarbeiter arbeiten mit jungen Menschen, die sich latent rechtsorientiert äußern und/oder verhalten. Mit dem Programm TraRa wurden die Fachkräfte, die mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen konfrontiert sind, geschult und unterstützt. Gruppen und Ethnien sind deut­ lich. Die nationale Fokussierung wird verstärkt geprägt. TraRa unterstützte Multipli­ katoren der Jugendarbeit und bot Beratung und Begleiten an. Denn: Der Umgang mit demo­ kratiealternativen Handlungs­ weisen und verhärtete Diskus­ sionen fordern in der täglichen Arbeit einen hochprofessionellen Umgang. Pauschalisierungen, Ablehnungskonstruktionen werden genutzt. Legitim werden Konstruktionen als “alternative Fakten”. Es werden theoretische Überlegungen zum Umgang mit Radikalisierung, Beratungsme­ thoden und “Best-Practice”-Bei­ spiele empfohlen. Zentrales Ergebnis des Modell­ projektes ist die “Handlungsemp­ fehlung (HE) für Fachkräfte der Mobilen Jugendarbeit/ Street­ work, die mit pauschalisieren­ den Ablehnungskonstruktionen konfrontiert werden”. Der ak­ tuelle Forschungsstand (2019) zum Thema sowie Erkenntnisse der wissenschaftlichen Beglei­

tung von TraRa werden berück­ sichtigt, die wiederum auf den fachlichen Standards Mobiler Jugendarbeit/ Streetwork ba­ sieren. Soziale Arbeit trägt zur außerschulischen Demokratie­ bildung bei und hat im weitesten Sinne einen gesellschaftspoliti­ schen Auftrag und Relevanz. In der Schlussphase ergeben sich verschiedene Grundsatzfragen: • Welche Möglichkeiten gibt es für Jugendarbeit, mit als “rechts, rechtsaffin oder rechtsextrem” gelabelten Ju­ gendlichen zu arbeiten? • Lassen sich hier Grenzen ope­ rationalisieren? • Welche pädagogische Zielstel­ lung lässt sich bei der Arbeit mit Jugendlichen formulieren, die pauschalisierende Ableh­ nungskonstruktionen haben? • Ist die pädagogische Zielstel­ lung eine Verhaltens- oder eine Einstellungsänderung? • Empowert Mobile Jugendar­ beit/ Streetwork mit “rechten” Jugendlichen diese? • Wie können Träger und Ange­

bote auf Herausforderungen reagieren, die sich durch ver­ änderte politische Mehrheits­ verhältnisse ergeben (Anfein­ dungen, Infragestellen etc.)? Aufbauend wurde ein weiteres Modellprojekt bewilligt. “ReMo­ De – Regional und Mobil für Demokratie” stärkt weiter die Argumentations- und Hand­ lungssicherheit der Fachkräfte, die oft mit pauschalisierenden Ablehnungskonstruktionen (PA­ KOs) konfrontiert sind. Wichtig in sozialpädagogischer Arbeit ist die Akzeptanz der Lebens­ welt der jungen Menschen. Mit den Fachkräften werden weiter sozialpädagogische Strategien erarbeitet. Sie sollen in provo­ zierenden Situationen hand­ lungsfähig sein und bleiben. Gerade weil im sozialen Umfeld die problematischen Einstellun­ gen und Werte unterstützt und gefördert werden. Sozialpädago­ gische Fachkräfte nehmen sich selbst oft jedoch defensiv wahr, da Diskussionen schnell zu pola­ risierenden Auseinandersetzun­

gen und zum “Gegeneinander” führen. Reden und Gegenreden werden so eindimensional und emotional. Demgegenüber ist die moderne Welt komplex und mehrdimensional und dies sollte rational und ruhig vermittelt werden.

Erfahrungen aus den 1990erJahren werden genutzt Es wird das Harvard-Konzept für die Jugendarbeit adaptiert. Es bietet ein Verhandlungskon­ zept an und stellt Einigung in der Kooperation und Verständnis für die Lebenswelt her. Gerade weil die Beteiligten unterschiedliche Positionen haben, wird dies als Grundlage notwendig. Dennoch sind die Grenzen sozialpädago­ gischen Handelns zu operati­ onalisieren bzw. aufzuzeigen. Erfahrungen wurden bereits in den 1990er-Jahren durch Bun­ desprogramme wie das Aktions­ programm gegen Aggression und Gewalt (AgAG) und den Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit gesammelt. Die aktuelle gesell­

für Räumungen Kosten in Höhe von insgesamt 12,9 Millionen Euro tragen. Von diesen entfie­ len 7,5 Millionen Euro auf die Beseitigung der Kampfmittel und 5,4 Millionen Euro auf Personalund Sachkosten. Brandenburg ist weiterhin das Bundesland mit dem höchsten Anteil an munitionsbelasteten Gebieten in Deutschland. Rund 350.000 Hektar Fläche stehen unter Kampfmittelverdacht.

schaftliche Situation wird nun durch dieses Forschungsprojekt reflektiert. Es werden Fachpu­ blikationen gesichtet und syste­ matisch zusammengeführt. Die damalige Sicht der Profession Soziale Arbeit auf die Zeit, auf Lebenslagen und auf das beson­ dere sozialpädagogische Agieren soll gebündelt und vergleichen werden. Es werden Interviews mit Protagonisten dieser Zeit geführt, um den ersten Teil des Forschungsprojektes qualitativ zu untermauern. Erfahrungen und Ergebnisse werden heraus­ gearbeitet und zusammenge­ fasst.ReMoDe – Regional und Mobil für Demokratie startete am ersten Januar 2020. Mit der Praxis der Jugendarbeit werden alte Erfahrungen ausgewertet, nach neuen Wegen gesucht, um mit demokratiealternativen Hal­ tungen und mit pauschalisieren­ den Ablehnungskonstruktionen gut und besser umzugehen zu lernen. Grundsätzlich steht ei­ ne zugewandte und menschen­ rechtsorientierte Haltung Sozi­ aler Arbeit als Profession immer im Mittelpunkt. *Sascha Rusch und Antje Schneider sind Bildungsreferenten, Dieter Wolfer ist Pressesprecher im Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V.


Finanzen

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ie Schulden der öffentlichen Hand legten im vergangenen Jahr exorbitant zu. Im Zuge der Corona-Pandemie und der dadurch bedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben haben im letzten Jahr alle Bundesländer zusätzliche Kreditermächtigungen im Rahmen der Ausnahmeregelung der Schuldenbremse beschlossen. Bis auf Bremen, das den aktuellen Haushaltsplan erst im Juli 2020 verabschiedet hatte, haben alle Länder hierfür von Nachtragshaushalten Gebrauch gemacht. Die jeweiligen Kreditaufnahmen variierten dabei zwischen 259 Millionen Euro in Sachsen-Anhalt (entspricht 2,1 Prozent des Gesamthaushalts 2020) bis zu 25 Milliarden Euro in Nordrhein-Westfalen, was in etwa 31,2 Prozent des Gesamthaushaltes entspricht. “Insgesamt umfassen die aktuellen Haushaltspläne der Länder inklusive der jeweiligen Nachtragshaushalte und der neu geschaffenen Sondervermögen eine Ausweitung der Nettokreditaufnahme von über 100 Milliarden Euro im Vergleich zur Planung vor der Pandemie”, stellen die Wirtschaftsweisen in ihrem jüngsten Gutachten fest. Auch in diesem Jahr ist noch kein Abwärtstrend in Sicht. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat ausgerechnet, dass die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden aktuell um 6.855 Euro pro Sekunde steigen. Für das Jahr 2021 rechnet der Verband mit einem Schuldenzuwachs um 216 Milliarden Euro. Allein der Bund rechnet für seinen Bundeshaushalt 2021 mit einer Neuverschuldung in Höhe von knapp 180 Mrd. Euro. Möglich ist diese Kreditaufnahme durch eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse in diesem Jahr. Die Wirtschaftsweisen im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen

Staatsverschuldung während der Pandemie Experten warnen vor zu frühem Schuldenabbau (BS/lkm) Zur Staatsverschuldung gibt es derzeit keine Alternative. Viele Experten sind sich darin einig, denn sie ist angesichts der niedrigen Zinskosten auch ökonomisch rational. Auch der Stabilitätsrat attestierte Bund und Ländern in der aktuellen Pandemie eine “verantwortungsvolle Haushaltspolitik”. Dennoch muss mittel- und langfristig die Frage beantwortet werden, wie die jetzt aufgenommenen Staatskredite getilgt werden und wie erste Schritte in eine finanzpolitische Normalität aussehen können. Wie das am besten gelingen kann, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. höchst problematisch. Sie würden strukturelle Löcher in den öffentlichen Haushalten reißen und zu unnötigem ausgabenseitigen Konsolidierungsdruck führen”, warnt Truger. Hier kommt die sogenannte “Reichensteuer” ins Spiel. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dazu vor Kurzem konkrete Berechnungen vorgelegt. Demnach könnten beispielsweise 310 Milliarden Euro durch eine einmalige Vermögensabgabe bei den reichsten Deutschen (0,7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung) vereinnahmt werden.

Wann ist der richtige Zeitpunkt? Steuern rauf oder Staatsausgaben runter? Die Wirtschaftsweisen konnten sich in ihrem jüngsten Gutachten zu keiner einheitlichen Meinung durchringen. Foto: BS/Gerd Altmann, Pixabay.com

Entwicklung (SVR) – die in der Vergangenheit eine eher kritische Position zur Staatsverschuldung einnahmen – loben in ihrem Gutachten dieses Mal sogar, dass die Schuldenbremse auch 2021 ausgesetzt bleiben soll. Uneins sind sie sich jedoch beim Umgang bzw. dem Abbau der Staatsverschuldung.

Mehr Sparen oder Steuern und Abgaben erhöhen? Die Mehrheit der fünf Wirtschaftsweisen schlägt einen Abbau der Staatsverschuldung über die Reduzierung der Staatsausgaben vor. Der Staat soll also

mehr sparen. Ausgabenseitige Konsolidierungen würden mit höherem Wachstum einhergehen, so die Sachverständigen. Studien würden zeigen, dass eine ausgabenseitige Reduzierung des Staatsschuldenstandes das BIP weniger stark belastet als eine Konsolidierung mithilfe höherer Steuern. Sie räumen in ihrem Gutachten aber auch ein, dass andere Studien nahelegten, “dass eine Reduktion der Staatsausgaben in einer Rezession stärker negativ wirken kann als eine Steuererhöhung”. Einer der Wirtschaftsweisen, Achim Truger, Professor an der

Potenzielles Scheitern des GlüStV 2021 Besteuerungsvorschlag der Länder gefährdet Glückspielreform (BS/Renatus Zilles*) Im vergangenen Jahr haben sich die Politik und die “Bettertainment**-Branche” mit vereinten Kräften für einen neuen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) eingesetzt. Alle an diesem Prozess Beteiligten haben dem nun zur Ratifizierung stehenden Vertrag unter erheblichen Zugeständnissen zugestimmt. Mit dem Vertrag soll nicht nur Rechts- und Planungssicherheit in einem liberalisiertem GlücksspielMarkt, sondern insbesondere eine Optimierung von Jugend-, Verbraucher-, und Datenschutz mittels einer Kanalisierung von mindestens 88 Prozent erreicht werden, wie dies z. B. von Dänemark erzielt wurde. Alles bisher Erreichte und alle gemeinsamen Bemühungen stehen jetzt kurz vor dem Scheitern. Grund hierfür ist, dass während der Corona-Krise ohne Involvierung von Branchenexperten eine Arbeitsgruppe der Finanzministerkonferenz einen ersten Besteuerungsvorschlag auf Basis der Spieleinsätze unterbreitet hat. Dieser ist weltweit beispiellos. Branchenexperten sind sich einig, dass mit diesem Vorschlag eine Kanalisierung von deutlich unter 50 Prozent erreicht wird und nicht wie avisiert 88 Prozent sowie die geplanten Steuereinnahmen nicht eintreten werden. Der GlüStV 2021 würde final scheitern und es gäbe nur Verlierer auf allen Seiten. Die Besteuerung hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob die Ziele des GlüStV 2021 erreicht werden können. Die deutsche und internationale Glücksspielbesteuerung kennt zwei verschiedene Modelle: die Besteuerung der Spieleinsätze und die Besteuerung der Bruttospielerträge, mithin Spieleinsatz minus Gewinnauszahlung. Eine Arbeitsgruppe der Finanzministerkonferenz schlägt nunmehr vor, virtuelle Automaten mit acht Prozent und Online-Poker mit 5,3 Prozent auf den Spieleinsatz

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zu belasten. Die Arbeitsgruppe geht selbst davon aus, dass die vorgeschlagene Besteuerung zu einer mehr als zehnfachen Besteuerung im Vergleich zur jetzigen Umsatzbesteuerung führen würde. Anders ausgedrückt: Eine Belastung der Einnahmen von 200 Prozent und mehr, was einem Verbot gleichkäme. Begründet wird dies damit, dass man die Anbieter zwingen wolle, die Angebote durch geringere Gewinnausschüttungen unattraktiver zu machen. Suchtgefahren soll so entgegengewirkt werden. Überdies erwarte man dadurch auch entsprechend höhere Steuereinnahmen.

Bruttospielertrag sollte besteuert werden Der Vorschlag vernachlässigt, dass die jetzige Umsatzbesteuerung sich bereits in dem schmalen Korridor von 15 bis 20 Prozent auf den Spielertrag bewegt. Dieser Korridor, durch Studien belegt, erreicht eine optimale Kanalisierung und Besteuerung. Es verwundert daher auch nicht, dass sich sämtliche Länder mit einer Online-Glücksspielregulierung in Europa für eine Besteuerung auf Grundlage des Bruttospielertrags von durchschnittlich 19 Prozent entschieden haben. Experten haben vorgerechnet, dass selbst eine entsprechende Reduzierung der Gewinnauszahlungen an die Spieler zur Kompensation der Einsatzsteuer z. B. bei virtuellen Automaten immer noch wie eine 66,67 prozentige Bruttospielertragssteuer wirken würde. Dies wäre fast dreimal so viel wie bei Sportwetten. Bei einem Festhalten

am Vorschlag der Arbeitsgruppe würde der GlüStV 2021 scheitern, da bei einer 200-Prozent-Besteuerung die Anbieter ihr Angebot streichen müssten oder bei einer unattraktiven Ausschüttung die Spieler in den Schwarzmarkt abwandern werden, insbesondere zu Anbietern aus Asien, Russland und der Karibik, womit die von uns immer wieder drohende “Gelbe Gefahr” Realität würde. Sämtliche internationale Erfahrungswerte mit Online-Glücksspielen kommen zu einem anderen Ergebnis. Es ist daher auch ein Trugschluss, dass man die vorgegebenen Kanalisierungsziele und höhere Steuereinnahmen mit einer zehnfach höheren Besteuerung als im Rest der Welt erreichen könnte. Aus diesem Grund schlägt das Expertenteam des Deutschen Verbandes für Telekommunikation und Medien (DVTM) folgende Lösungsansätze vor: entweder Beibehaltung der Umsatzsteuer auf den Bruttospielertrag oder Einführung einer neuen Glücksspielsteuer in Höhe von 15-20 Prozent auf den Bruttospielertrag. *Renatus Zilles ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Verbandes für Telekommunikation und Medien (DVTM). **Bettertainment umfasst insbesondere: Sportwetten, Poker/Casino, Lottovermittlung & E-Sport. Der Begriff steht auch für eine “Konvergenz-Strategie” entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Ziel eines volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen.

Universität Duisburg-Essen, schlägt deshalb eine einnahme­ seitige Konsolidierung mittels höherer Steuern oder Abgaben vor. “Dauerhafte Steuersenkungen für Haushalte und Unternehmen, wie sie von der Ratsmehrheit angesprochen oder als mögliches weiteres Element eines neuen Konjunkturprogramms diskutiert werden, sind finanzpolitisch

Die Bundesregierung plant, ab dem Haushalt des Jahres 2022 die Vorgaben der Schuldenbremse wieder einzuhalten. Dies könnte verfrüht sein, wie die Mehrheit der Wirtschaftsweisen findet. Dem SVR zufolge ergibt sich für Bund, Länder und Kommunen im Jahr 2022 damit eine zulässige Neuverschuldung von rund 61 Milliarden Euro. Dieser Wert reduziere sich bis zum Jahr 2024 auf rund 19 Milliarden Euro. “Aufgrund der besonderen finanzpolitischen

Herausforderungen im Rahmen der Corona-Pandemie könnte zu deren Bewältigung eine erneute Übergangsphase der Schuldenbremse erwogen werden”, so die Sachverständigen. Die Experten warnen, dass ein frühzeitiges Inkrafttreten der ausgesetzten Schuldenbremse ab 2022 den Aufschwung gefährden kann. Der SVR empfiehlt deshalb, eine mehrjährige Übergangsphase einzuführen, in der die Schuldenbremse die erlaubte Kreditaufnahme und die Handlungsfähigkeit des Staates zunächst weniger stark einschränkt. Der Bund der Steuerzahler mahnt hingegen eine möglichst rasche Rückkehr zur Schuldenbremse an. Bund und Länder sollten “schnellstmöglich” wieder die Kriterien der Schuldenbremse einhalten, fordert der Verband. Zudem dürfe die Schuldenbremse nicht aufgeweicht werden: “Die Schuldenbremse lässt dem Staat ausreichend Spielraum, um auf Notlagen zu reagieren”, betont BdSt-Präsident Reiner Holznagel. Doch in der aktuellen Situation gerät auch die Schuldenbremse wieder in die Diskussion. Truger sieht hier Reformbedarf: “Zwar ist eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei gefestigter Konjunkturerholung sinnvoll und notwendig. Dabei muss es aber nicht unbedingt um die Rückkehr zur Einhaltung eines unveränderten fiskalischen Regelwerks gehen. Vielmehr kann der deutschen Schuldenbreme durchaus ein grundlegender Reformbedarf attestiert werden.”

4,2 Milliarden Euro mehr zusätzliche Zinsen Rechnungshof Hessen fordert Änderung im Haushaltsgesetz (BS/lkm) Hessen hat mit dem Abschluss von Finanz-Derivaten mehr als vier Milliarden Euro Verlust gemacht. Zu diesem Ergebnis kommt der Hessische Rechnungshof in seinem aktuellen Derivate-Sonderbericht. Das Derivate-Management des Landes sei zwar rechtmäßig, aber nicht wirtschaftlich. Für die Zukunft raten die Prüfer daher vom Einsatz dieser Finanzinstrumente ab. 2011 hatte sich das Land die aus damaliger Sicht historisch niedrigen Zinsen mit einer langfristigen Zinssicherungsstrategie für 20 Prozent seiner Schulden gesichert. Vorausgegangen war ein jahrzehntelanger Verfall der Zinsen, der damals zu einem Ende gekommen schien. So habe der Zinssatz von zehnjährigen Bundesanleihen im Januar 1990 noch bei 7,7 Prozent, im Januar 2010 aber nur noch bei 3,5 Prozent gelegen. Hessens damaliger Finanzminister, Thomas Schäfer, hatte in den Jahren 2011 bis 2014 versucht, sich mit Derivaten für den Fall abzusichern, dass die historisch niedrigen Zinsen wieder steigen. Mit Derivaten lassen sich die Zinsen für künftige Darlehen festlegen. Tatsächlich jedoch sanken die Zinsen noch weiter ab, sodass später ein Abschluss günstigerer Darlehen möglich gewesen wäre. Hessens Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) verteidigte die Derivate-Abschlüsse unter seinem Amtsvorgänger: “Mit dem Wissen von 2011 war es völlig richtig, so zu handeln. Das haben viele getan: ob Institutionen oder private Häuslebauer.” So, wie man die Entscheidung für die Zinssicherung 2011 nur mit dem Wissen von damals bewerten könne, so werde man auch das wirtschaftliche Ergebnis erst nach Ablauf der langfristigen Strategie in rund 40 Jahren feststellen können, relativiert Boddenberg die aktuellen Verluste. “Da diese Verträge noch Laufzeiten von bis zu 40 Jahren haben, ist es völlig verfrüht, heute schon von Verlusten zu sprechen. Niemand weiß, wie sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren die Zinsen entwickeln werden und es ist durchaus möglich, dass am Ende ein positives Ergebnis erreicht wird”, zeigte sich

Hessens Finanzminister Michael Boddenberg verteidigt die Derivate-Strategie des Landes. Zum damaligen Zeitpunkt hätte man es nicht besser wissen können.

Foto: BS/Annika List, Hessisches Ministerium der Finanzen

der amtierende Finanzminister optimistisch.

Anhäufung von Risiken geschaffen Zudem habe sich Hessen nur bei 20 Prozent seiner Schulden für eine langfristige Versicherung entschieden. “Für 80 Prozent kann man kurzfristiger reagieren”, so Boddenberg. Der Finanzminister betonte, dass sich Hessen im Vergleich mit anderen Ländern bei der Gesamtportfolioverzinsung mit einer Durchschnittsverzinsung von 2,15 Prozent und einer Zinsbindungsdauer von 10,2 Jahren im Mittelfeld der Länder bewege. Dies zeige, dass sich Hessen nicht grundlegend anders verhalte. “Für alle diese staatlichen Kreditverwaltungen ist Planungssicherheit ein hohes Gut”, so der Finanzminister. In ihrem Bericht erklären die Rechnungsprüfer, dass sie die Motivation des Landes zur langfristigen Zinssicherung grundsätzlich nachvollziehen, wiesen aber drauf hin, dass das das Land durch den Abschluss zahlreicher Forward-

Vereinbarungen mit einem großen Gesamtvolumen, einer langen Laufzeit und einem ähnlichen Zinsniveau eine Anhäufung von Risiken geschaffen habe. Zwar habe das Land Hessen so Planungssicherheit gehabt, habe jedoch in den letzten Jahren bei seinen Anschlussfinanzierungen nur eingeschränkt vom niedrigen Marktzins profitieren können. “Vergleicht man die gesicherten Zinssätze mit den zum Starttermin aktuellen Zinssätzen, entstehen dem Land nominale Mehrkosten von mehr als vier Milliarden Euro über die gesamte Laufzeit”, konstatieren die Prüfer. Zinsderivate sollten deshalb nicht mehr im Schuldenmanagement des Landes eingesetzt und das Haushaltsgesetz entsprechend angepasst werden. Hessen setzte seit 1992 Derivate ein. Bereits seit 2014 verzichte das Land auf den Einsatz von Derivaten. Ein weiterer Einsatz sei, so Boddenberg, nicht vorgesehen – außer um zu vermeiden, dass das Land Negativzinsen zahlen müsse.


Beschaffung / Vergaberecht

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Vorhandene Spielräume ausnutzen

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Zwischen Leistungsbestimmungsrecht und funktionaler Beschreibung ► NEBENANGEBOT

Wirre Vergabeunterlagen Widersprüche erfordern Rückversetzung Die Sanierung einer Schleusenanlage beinhaltet unter anderem den Korrosionsschutz an den Stahlflächen und die Instandsetzung der Pumpen. In den Vergabeunterlagen hat der Auftraggeber angekreuzt, es seien Nebenangebote zugelassen, und zwar für anschließend aufzuzählende Teile des LV. Er hat aber nichts aufgezählt. Auch Mindestanforderungen für Nebenangebote waren nicht aufgestellt. In der LV-Position Korrosionsschutz hieß es jedoch, es sei der Einsatz eines alternativen Strahlmittels zu prüfen und ggf. als Nebenangebot anzubieten. Auf eine Bieterfrage hin hieß es: Anstelle der Instandsetzung der alten dürfe als Nebenangebot auch der Einbau neuer Pumpen angeboten werden. Ein Bieter rügte die Einbeziehung eines Nebenangebotes. Nachdem seiner Rüge stattgegeben wurde, rügte ein anderer die Nichteinbeziehung. Die Vergabekammer gelangt zu dem Ergebnis: Nebenangebote waren nicht zugelassen, weil die Mindestbedingungen fehlten. Die eingegangenen Nebenangebote dürfen aber auch nicht ignoriert werden, denn die Unterlagen waren in sich (vielfach) widersprüchlich. Bieter hätten ihr Hauptangebot eventuell anders berechnet, hätten sie kein Nebenangebot abgeben dürfen. Deswegen kann auch auf keines der Hauptangebote der Zuschlag erteilt werden. Stattdessen muss das Verfahren zurückversetzt werden. VK Bund (Beschl. v. 07.09.2020, Az.: VK 1-68/20)

► EIGNUNG

Einer für alle Mehrfache Einreichung ist entbehrlich Der Auftraggeber hat als Nachweis der Eignung unter anderem in den Vergabeunterlagen gefordert, die Bieter sollten eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft in ihrer Berufsgenossenschaft vorlegen. Darüber hinaus stellte er für jedes Los seines Auftrages in den losbezogenen Unterlagen weitere Eignungskriterien auf. Über die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Berufsgenossenschaft kommt es zum Streit: Die vorgelegte Bescheinigung eines Bieters war nämlich zeitlich befristet und deren Befristung bereits abgelaufen. Der Bieter will sein Angebot retten und zieht alle argumentativen Register: Der Auftraggeber habe nur eine Bescheinigung gefordert. Dass diese noch gültig sein müsse, habe nirgendwo gestanden. Und außerdem: Die Forderung hätte gemeinsam mit den anderen losbezogenen Eignungskriterien erhoben werden müssen. Dass die Nachweise an zwei verschiedenen Stellen in den Unterlagen erwähnt seien, sei intransparent und deswegen unwirksam. Die kuriose Argumentation führt dazu, dass sich die Vergabekammer auf Verlangen des Bieters damit auseinandersetzen muss, ob die Forderung von Nachweisen minimiert werden dürfte. Das darf sie: Nachweise, die sich auf das Unternehmen an sich und nicht spezifisch auf ein Los beziehen, muss der Bieter nur einmal vorlegen. Deswegen müssen sie auch nur einmal

gefordert werden – und nicht für jedes Los einzeln. Ebenso erfolglos bleibt der Bieter hinsichtlich der Gültigkeit. Eine Bescheinigung, deren Gültigkeit abgelaufen ist, sei rechtlich ein Nullum, meint die VK. Sie hätte deswegen nachgefordert werden dürfen – wenn sich der Auftraggeber nicht von vornherein darauf festgelegt hätte, bei fehlenden Bescheinigungen die Angebote ohne Nachforderung auszuschließen. VK Nordbayern (Beschl. v. 15.11.2019, Az.: RMFSG21-3194-4-50)

► ERV

Vom beA zum beBPo NPA ohne QES möglich Manche Begriffe passen ohne Abkürzung einfach nicht in die Überschrift – insbesondere solche aus dem Elektronischen Rechtsverkehr (ERV). Aber genau um dessen Details ging es bei einem Nachprüfungsantrag (NPA) vor der Vergabekammer Südbayern. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt hatte den Antrag elektronisch erstellt und statt mit seiner Unterschrift mit einer fortgeschrittenen elek­ tronischen Signatur versehen. Den Ausdruck davon hat er an die Vergabekammer gefaxt, das elektronische Dokument von seinem besonderen Anwaltspostfach (beA) an das besondere Behördenpostfach (beBPo) der Vergabekammer übermittelt. Die Antragsgegnerin warf die Frage auf, ob damit das Schriftformerfordernis aus § 161 GWB erfüllt und der Antrag zulässig sei. Die Antwort lautet “ja”, aber die Begründung dafür ist komplex. Denn eigentlich ist die Schriftform nur gewahrt, wenn das elektronische Dokument die sicherere qualifizierte elektronische Signatur (QES) trägt. Bei Einführung des elektronischern Rechtsverkehrs wurde für Zivilprozesse, Verwaltungsgerichte, Patent- und Markenstreitigkeiten auch die fortgeschrittene Signatur für die Kommunikation zwischen beA und beBPo zugelassen. Eine entsprechende Änderung im GWB ist jedoch unterblieben. Die Vergabekammer sieht eine planwidrige Regelungslücke: Das GWB ist damals wohl schlicht vergessen worden, weil für Anträge in den meisten Kartellverfahren gar kein Schriftformerfordernis besteht. Dass ausgerechnet dort, wo es auf maximale Beschleunigung ankommt, diese Erleichterung absichtlich unterlassen wurde, sei nicht erkennbar. Deswegen wendet die Vergabekammer die Zivilprozessordnung analog an und lässt den Antrag trotz Schriftformmangels zu. VK Südbayern (Beschl. v. 28.09.2020, Az.: 3194.Z3-3_0120-11)

► TRANSPARENZ

Vertrag mit Lücken Unterschiedliches Verständnis Das Krankenhaus will sein Labor outsourcen. Im Verhandlungsverfahren legt es den Bietern nacheinander zwei Versionen des Abrechnungsvertrages vor. Ein Bieter fügt die erste Version seinem finalen Angebot bei, der zweite die letzte, jedoch mit Änderungen. Bei alledem geht es um die Frage, in welchen Fällen der Labordienstleister und in welchen das Krankenhaus mit Privatpatienten abrechen soll. Zunächst wird der zweite Bieter wegen seiner Änderungen ausgeschlossen. Er beantragt

die Nachprüfung, die sich erledigt, weil der Auftraggeber seine Meinung ändert. Nun bleibt der Zweite im Rennen, stattdessen wird der Erste ausgeschlossen, weil er den alten Vertragstext beigefügt hatte. Es kommt die nächste Nachprüfung. Die Vergabekammer stellt fest, dass die beiden führenden Bieter den Vertrag hinsichtlich der Abrechung offenbar ganz unterschiedlich verstanden haben, mit erheblichen Auswirkungen auf die Kalkulation. Zu allem Überfluss stellte sich heraus, dass das Krankenhaus ein von beiden Interpretationen abweichendes drittes Verständnis des Vertragstextes hatte. Das spricht dafür, dass die Vergabeunterlagen nicht eindeutig waren, sagt die Vergabekammer, und verfügt wegen mangelnder Transparenz die Rückversetzung, ohne näher auf die komplexe Abrechnungsmaterie eingehen zu müssen. VK Lüneburg (Beschl. v. 14.07.2020, Az.: VgK-13/2020)

► NEWCOMER

Gesamtschau erlaubt Bewertung mehrerer Teil-Referenzen Zu vergeben war ein Auftrag zur Sammlung von Siedlungsabfall in mehreren Fraktionen. Mindestens zwei Fraktionen sollten jeweils gemeinsam abgeholt werden. Der Auftraggeber verlangte von den Bietern entsprechende Referenzen von mindestens zwei gleichartigen Aufträgen in den letzten drei Jahren. Newcomern wurde gestattet, stattdessen andere geeignete Unterlagen, darunter persönliche Referenzen ihres Führungspersonals, vorzulegen. Diese würden in einer Gesamtschau bewertet. Der Zuschlag sollte auf einen solchen Newcomer erteilt werden. Ein Konkurrent bezweifelte, dass dieser seine Eignung nachweisen konnte. Die Vergabekammer teilte die Zweifel, doch das OLG Frankfurt hebt deren Beschluss auf die Beschwerde des Newcomers hin auf. Gegen die positive Eignungsprognose bestehen keine Bedenken. Der Auftraggeber hatte eine Gesamtschau angekündigt und darf sie daher auch vornehmen. Der Newcomer hatte ein Referenzbündel vorgelegt, das eine gemeinsame Sammlung mehrerer Fraktionen nachwies. Anstelle der zweiten Referenz verwies er auf die persönliche Eignung des Geschäftsführers mit über 30 Jahren Berufserfahrung und über 40 Sammlungsaufträgen, die aber alle entweder nur eine Fraktion betrafen oder aber im Volumen zu klein waren. Der Auftraggeber hat stichprobenartig die Echtheit der Angaben überprüft. Bei dieser Fülle von ähnlichen, wenn auch nicht vergleichbaren, Aufträgen sei die positive Prognose nicht zu beanstanden. OLG Frankfurt (Beschl. v. 01.10.2020, Az.: 11 Verg 9/20)

ERRATUM

In der vergangenen Ausgabe hat sich eine falsche Fundstelle eingeschlichen. Zu dem Beitrag “Falscher Leistungsnachweis” muss es richtig heißen: VK Bund (Beschl. v. 19.08.2020, Az.: VK 2-59/20) Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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(BS/mfe/jf) Trotz aller Dringlichkeit handelt es sich bei der Einrichtung von Impfzentren um öffentliche Aufträge. Vergabestellen können bei der Ausschreibung von einigen Möglichkeiten des Vergaberechts wie beispielsweise dem Leistungsbestimmungsrecht profitieren, trotzdem sind Grenzen einzuhalten. Gemäß CPV-Codes fallen Beschaffungen für Impfzentren in den Bereich der sozialen und besonderen Dienstleistungen, unterstreicht Günther Pinkenburg, Fachanwalt für Vergaberecht und Geschäftsführer der Mayburg Rechtsanwaltsgesellschaft. Aber: Die Bereichsausnahme für Dienstleistungen des Katastrophen- und Zivilschutzes sowie der Gefahrenabwehr nach § 107 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) kann nicht zur Anwendung kommen. Und auch sonst gibt es keine Schlupflöcher, um das Vergaberecht zu umgehen.

Fristvereinfachungen Stattdessen können öffentliche Auftraggeber die vorhandenen Möglichkeiten nutzen. Einerseits gilt für Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens ein höherer Schwellenwert als die 214.000 Euro für Dienstleistungsaufträge. Bis zu 750.000 Euro können ohne europaweites Verfahren vergeben werden. Allerdings räumen Experten ein, dass für die Einrichtung und den Betrieb eines kompletten Impfzentrums ein siebenstelliger Betrag nötig sei. So sind in Berlin für die sechs Corona-Impfzentren rund 15 Millionen Euro vorgesehen, wie der ehemalige Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW), Albrecht ­Broemme, berichtet. Andererseits sind Änderungen des Auftragsgegenstandes bis zu einer Abweichung von 20 Prozent des Auftragswertes möglich, ohne ein neues Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Und auch die Fristenregelungen sind vereinfacht. Anstelle der normalen Fristvorgaben für offene und nichtoffene Verfahren müssen die Fristen laut § 65 Vergabeverordnung (VgV) nur noch angemessenen sein, erläutert Pinkenburg. Hinzu kommen die aktuellen Vergabeerleichterungen in Zeiten der Corona-Krise.

Eignung oder Zuschlag Außerdem wird der Grundsatz der Trennung von Eignungs- und Zuschlagkriterien durchbrochen, so der Fachanwalt für Vergaberecht. So haben öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit, den Erfolg und die Qualität erbrachter Leistungen des Bieters als Zuschlagskriterium zu benennen. Dies ist eigentlich eine Frage der Eignung und damit ein fakultativer Ausschlussgrund, zeigt Dr. Gundula Fehns-Böer, Richterin im Vergabesenat am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main, die eigentliche Rechtslage auf.

Weite Ermessensgrenze Davon unberührt bleibt das Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers. “Das Vergaberecht regelt lediglich, wie etwas zu beschaffen ist und nicht das Ob”, betont FehnsBöer. Weder Kammern noch Senate können vorschreiben, was beschafft wird. Das wiederum sei Aufgabe der Kommunalaufsicht oder der Rechnungshöfe. Dementsprechend gebe es eine weite Ermessensgrenze bei funktions- und verwendungsbezogenen Eigenschaften. Allerdings müssten die vier vergaberechtlichen Grundsätze Transparenz, Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Wirtschaftlichkeit beachtet werden. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, so Fehns-Böer. Ist eine Spezifikation wirklich erforderlich oder soll sie nur den Wettbewerb einschränken? “Wichtig ist,

die Gründe für eine technische Spezifikation zu dokumentieren. Denn in den Vergabesenaten ist das technische Wissen nicht sehr ausgeprägt”, mahnt und begründet die Richterin. Dadurch würden im Nachprüfungsverfahren Entscheidungen der Auftraggeberseite nachvollziehbarer werden. Dazu gehöre auch, bei der Beschaffungsentscheidung selbst zu beginnen. Den jedes Versäumnis in der Dokumentation gehe zulasten des öffentlichen Auftraggebers.

“Oder gleichwertig” Je nach Notwendigkeit einer technischen Spezifikation und deren sachlicher Rechtfertigung könne auch vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung abgewichen werden. Entschei-

dend seien die sachlichen Gründe. Eine Ausschreibung so zuzuschneiden, dass nur ein Anbieter infrage komme, sei rechtswidrig. Aber: “Verengungen des Kreises der Wettbewerber sind hinzunehmen, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind”, so Fehns-Böer. Anders ist es, wenn ein gewünschter Gegenstand nur mit einem System beschrieben werden kann. In dem Fall sollte die Bezeichnung “oder gleichwertig” angegeben werden. Hier sei jedoch Vorsicht geboten, meint Pinkenburg. Der Auftraggeber muss auf Nachfragen von Bietern nennen können, was er mit dieser Bezeichnung meint. Wenn jedoch schon beschrieben werden müsse, was ein gleichwertiges Produkt sei, sei es besser, funktional auszuschreiben.

qanuun-aktuell Mr. Jekyll and Dr. Hyde von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Die Novelle des schottischen Autors R.L. Stevenson gehört nicht nur zu den meistverfilmten Stoffen, sondern zu denjenigen, die sowohl die Phantasie als auch die Psychologie, Soziologie und Kriminologie umfassend inspiriert haben. Nachts kann der vorbildliche Spießbürger zum Kriminellen mutieren, wenn es ihn zum Abenteuer der Grenzüberschreitung und Machtausübung drängt. Zwar gelten öffentlich Bedienstete – besonders jene der Justiz – regelmäßig als tugendhaft und gefeit gegen Mutationen der eben genannten Art, aber es gibt Ausnahmen. Im Sommer 2020 fiel ein unerbittlicher Oberstaatsanwalt (OStA) auf, der den Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen erfolgreich bekämpft und sich zugleich rechtswidrig bereichert hat. Es ist nicht leicht, die Masse an elektronischen Abrechnungsdaten fachlich kompetent auswerten zu lassen. Den externen Sachverstand dafür kann die Justiz beauftragen und wenn der ermittelnde OStA das alleine tun kann, sind “Provisionen” der Beauftragten an ihn nicht ganz fernliegend. Wie es sein konnte, dass im-

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

mer wieder dieselben Sachverständigen zu Rate gezogen wurden und der OStA dabei ziemlich freie Hand hatte, bleibt der internen Klärung durch das Justizministerium vorbehalten. Der Fall zeigt aber auch, dass eine Person, die kriminelles Verhalten an den Tag legt, auf eine Organisation treffen muss, die es an der nötigen Kontrolle fehlen lässt. Wenn begleitende Kontrollen rechtlich oder tatsächlich schwierig sind, muss die nachträgliche Überwachung her. Wer jetzt denkt, das haben wir doch schon alles, dem empfehle ich die Gretchenfrage zu stellen: Sie fängt – in nicht wenigen Behörden – mit dem Vorhandensein einer (internen) Revision und deren personeller Besetzung an.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Diplomaten Spiegel

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er Sohn eines ruandischen Vaters und einer deutschen Mutter verbringt seine ersten vier Lebensjahre in Weimar und lebt ab 1971 mit den Eltern in Afrika. 1988 kehrt César bis 1993 nach Deutschland zurück. Danach studiert er bis 1999 Politikwissenschaften an der Universität von Alberta (Kanada) und ist nach seinem Bachelor-Abschluss zuletzt in Ruanda als Unternehmer in der Agrarwirtschaft und der Tourismusbranche tätig. Einer wie er, der sechs Sprachen, darunter natürlich Deutsch, fließend spricht, ist eigentlich eine Idealbesetzung als Botschafter. “Ich sehe meine Aufgabe”, erklärt er in einem Interview, “als eine Vermittlerrolle zwischen unseren beiden Ländern, indem ich die Interessen von Ruanda vertrete, aber auch Gemeinsamkeiten mit Deutschland finden möchte. Ich bin ja nun mal halb deutsch.” Es geht ihm dabei nicht um Entwicklungshilfe, sondern um eine wirtschaftliche Zusammenarbeit, eine Brücke für die bilaterale Zusammenarbeit, um Hilfe zur Selbsthilfe.

Behörden Spiegel / Januar 2021

Mein Land ist auf einem guten Weg Ein Gespräch mit Igor César, Botschafter von Ruanda in Berlin (BS/ps) Ruanda ist in etwa so groß wie Mecklenburg-Vorpommern und hat mit zwölf Millionen Einwohnern ungefähr so viele wie Bayern. Mit 468 Menschen pro Quadratkilometer (Deutschland: 233) ist es einer der dichtest besiedelten Staaten Afrikas. Es grenzt an Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Uganda und Tansania, besteht aus der Hauptstadt Kigali und etwa 30 Distrikten und war zwischen 1890 und 1918 auch einmal deutsche Kolonie. Seit seiner Unabhängigkeit von Belgien 1962 bestehen enge, pragmatische diplomatische Beziehungen zu Deutschland, das als Partner ohne eigennützige wirtschaftliche oder politische Interessen gilt. Die deutsche Kolonialzeit wird wegen der zeitlichen Ferne und in gewolltem Kontrast zur belgischen oft nostalgisch verklärt. Die rasche deutsche Hilfe nach dem Genozid und Bürgerkrieg 1994 ist nicht vergessen und wird von der ruandischen Seite weiter gewürdigt. In Berlin tut das, u. a. seit August 2015 Botschafter Igor César.

Enge Kooperationen Diese konzentriert sich, nicht erst in seiner Ägide, auf die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, berufliche Bildung sowie öffentliches Finanzmanagement in dem ostafrikanischen Binnenstaat. Daneben unterstützt die Bundesregierung Ruanda unter anderem in den Bereichen Energiegewinnung und -übertragung, Rohstoffzertifizierung sowie Frieden und Versöhnungsarbeit. Insbesondere Rheinland-Pfalz unterhält seit 1982 eine enge Partnerschaft auf dezentraler Ebene und ist mit einem eigenen Koordinationsbüro in Kigali vertreten. An ihr beteiligen sich Kirchen, Schulen und Universitäten. Verbände, Unternehmen, gesellschaftliche Gruppen wie Sportvereine und Bildungseinrichtungen ergänzen einzigartig die staatlichen Kooperationen. “Ruanda”, betont der 52-jährige Botschafter César, “ist auf dem Weg zu einer Wirtschaft mit mittlerem Einkommen und Dienstleistungen. In den letzten Jahren hat es einen erfolgreichen Wiederaufbau vollzogen, um sich als bevorzugtes Investitions- und Tourismusziel in Afrika zu definieren. Seine demokratische, politische Stabilität, gut funktionierende Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und null Toleranz gegenüber Korruption sind vorbildlich. Es hat die zweitschnellst wachsende Wirtschaft in Afrika, ist eines der sichersten Länder weltweit, mit niedriger Staatsverschuldung, stabilen Kreditratings und harter Währung.” Hinzu kommen überschaubare bürokratische Hürden für Investoren, die Unternehmen innerhalb eines Tages anmelden können. Das Development

Schon über fünf Jahre als Diplomat der Republik Ruanda in Deutschland: Botschafter Igor César

Rezept des Botschafters Amashaza mu gitoke – Erbsen mit Gemüsebananen

Zutaten (4 Portionen): 250 g Erbsen (getrocknet), 10 Kochbananen, 2 Zwiebeln, 2 Tomaten, 3 El Palmöl, Piri-Piri (Chilischoten) oder Cayennepfeffer, Salz Zubereitung: Erbsen über Nacht einweichen. Am nächsten Tag in etwa 30 Minuten gar kochen. Kochbananen schälen, in Stücke schneiden, zu den Erbsen

Board (RDB) steht allen beratend und begleitend zur Seite, falls irgendwelche Schwierigkeiten entstehen. Ruanda setzt auch erfolgreich auf Umwelt- bzw. Naturschutz. Plastiktüten sind seit 2004 verboten und der Tourismus mit 1,2 Millionen Reisenden nachhaltig, was nicht nur der großen Berg-Gorilla-Population auf den Virunga-Vulkanen zugute kommt. Lange hatte sich Ruanda wegen der Pandemie abgeschottet – jetzt dürfen Urlauber die Gorillas wieder besuchen. Mit Sicherheitsabstand. Doch am Ende entscheiden diese wohl, wie nahe sie die Menschen kommen lassen wollen.

Junge Führungskräfte Großes Augenmerk legt Kigali auch auf die Bildung der Bevöl-

Bei diesem Imigongo des Künstlers Nukwami handelt es sich um ein traditionelles Gemälde mit geometrischem Muster. Die Zusammenstellung einzelner Imigongo zu einem größeren Gemäldemosaik wird von der Vorstellung der Unendlichkeit geleitet. Dies wiederum beruht darauf, dass das Wort “Rwanda” in der Landesprache Kinyarwanda mit “Unendlichkeit” übersetzt werden kann.

geben und garen. In der Zwischenzeit Zwiebeln in gröbere Würfel schneiden und im Palmöl glasig dünsten. Die Tomaten stückeln, zu den Zwiebeln geben, umrühren 5 Minuten köcheln. Erbsen und Bananen durch ein Sieb abgießen und zu den Zwiebeln und Tomaten geben. Gut durchmischen und mit Salz und Piri-Piri würzen. Noch einmal kurz aufkochen und heiß servieren.

kerung, die zu 75 Prozent unter 30 Jahre alt ist. Es gibt Vorschulen, zwölf Jahre Schulpflicht und bei der Berufsausbildung setzt man auf die Erfahrungen unseres dualen Ausbildungssystems. Die Zahl der Studierenden hat sich 2008 von 46.000 auf 86.206 im Jahr 2018/19 nahezu verdoppelt. Vor diesem Hintergrund trifft es sich gut, dass die heimische Informationsund Kommunikationstechnologie sehr modern ist. 95 Prozent des Mobilfunknetztes hat bereits LTE (Long Term Evolution – 4G-Standard) und 7.000 km der Telefonleitungen sind aus Glasfasern zum täglichen Nutz und Frommen (nicht nur) der Digital Natives. “Das wirkliche Kapital Ruandas”, so Botschafter César,

“sind seine Menschen, die voll in die Entwicklung des Landes integriert sind. Bei uns ist die Stellung der Frau in der Gesellschaft sehr hoch, ich würde sogar sagen, dass wir hier momentan weltweit die absolute Spitze darstellen. Ähnliches gilt auch für die Jugend, die heute absolut in ein vernünftiges Alltagsleben eingebunden ist. Dafür wurde in den letzten Jahren sehr viel investiert und so kommt es, dass das Durchschnittsalter der Führungskräfte und Verantwortungsträger zwischen 23 und 35 Jahren liegt. Wer also in Ruanda jung ist, hat beste Karriereaussichten und fühlt sich sehr wertgeschätzt. Das trifft auch auf all jene zu, die zu uns immigrieren – in ein Land, in dem man sich auch als Ausländer heimisch

Dieses einst traditionelle Fortbewegungsmittel aus Ruanda, genannt Chukudu, findet sich nur noch in wenigen Gegenden des Landes. Im Alltag haben längst modernste Hightech-Fahrräder den Roller abgelöst.

Fotos: BS/Dombrowsky

fühlt. Man trifft eben Menschen aus aller Welt. Und wenn man sich die neu gebauten Gebäude in Kigali oder auch draußen auf dem Land anschaut, könnten diese auch in Amerika, Asien und Europa stehen.” Igor César steht für sein Land mit den vielen Freiheiten, sauberen Städten, schönen grünen Landschaften, wo jede und jeder Platz findet. Auch DeutschAfrikaner wie er, der dort eher als Weißer gilt und hierzulande als Schwarzer. Bemerkt hat er das auf einem deutschen Standesamt. Der Beamte sieht ihn, seine gültigen deutschen Papiere und mäkelt: “Sie sind kein Deutscher!” “Wie meinen Sie das, ich sei kein Deutscher?” “Sie sind nicht von hier!” “Aber aus meinen Papieren ist doch ersichtlich, dass ich deutscher Staatbürger bin.” “Ich musste dann tatsächlich drei deutsche Generationen nachweisen, um Deutscher sein zu dürfen. Sie fanden sich mütterlicherseits sehr schnell”, erzählt César.

Von Hutu und Tutsi zu Ruandern Ende gut, alles gut, hätte da nicht 1990 das Morden in seiner Heimat begonnen, bei dem es Ende 1993 bis April 1994 zum Genozid mit fast einer Milli-

on Toten kam. Für César war dies, obwohl er es nur mittelbar aus der Ferne mitbekommt, unendlich schwer – und die Welt schaute zu. Paul Kagame, heutiger Präsident von Ruanda, selbst Flüchtling und in Uganda aufgewachsen, nicht. Nachdem sich weder die UNO noch die USA für diese Massaker zuständig fühlen, setzt Kagame dem Blutvergießen durch einen Einmarsch in Ruanda ein Ende und lässt eine neue Verfassung verabschieden, in der es keine ethnischen Zugehörigkeiten mehr gibt. Von da an sind alle Ruander – nicht mehr Hutu oder Tutsi. Auch das sogenannte ethnische Gleichgewicht, das bei der Besetzung von Ämtern bis dahin immer noch gilt, ist Geschichte. Von nun an geht es bergauf: Die Armut sinkt erheblich, es gibt eine allgemeine Krankenversicherung und die Wirtschaft wächst stetig. Die Entwicklung ist schnell, zeitigt auch Fehler und Probleme, etwa bei der Produktqualität, die man dabei vernachlässigt. Damit aus Masse Klasse wird, dabei könnte Deutschland mit seinem “made in Germany” ein guter Partner für die ruandische Produktionen und Serviceleistungen sein. “Man muss wissen”, erläutert Botschafter César, “dass Ruanda Zugang zum kompletten ostafrikanischen Markt mit über 140 Millionen Menschen ebenso hat, wie zum Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA) mit 500 Millionen. Wir wollen auf diesem Markt der Qualitäts-Service-Provider sein.”

Von “made in Germany” zu “Ruanda made” Das deutsche “Know-how” soll es möglich machen und “Ruanda made” zu einem Modell und Marktgeber der gesamten Region. Der Erfolg gibt den Machern dort recht – die Nachbarn schicken mittlerweile ihre Hospitanten und die Ruander sind gesuchte Arbeitnehmer in ganz Afrika. In zwei Kontinenten hat Igor César gelebt, auf dem “alten”, in seiner zweiten Heimat Deutschland, ist er gerne, privat und als Botschafter, auch wenn er dabei eigentlich immer irgendwie im Dienst ist. “Wir Diplomaten sind ja ständig auf Abruf. Doch wenn es die Zeit erlaubt, versuche ich jedes Mal, neue Gegenden zu entdecken, Zeit mit der Familie zu verbringen und stets etwas Neues zu lernen. Es geht uns blendend. Unsere Kinder haben hier eine gute Schulbildung erhalten und einen erweiterten Blick auf die Welt gewonnen.” Letzte Frage: Mit wem würden Sie gerne für einen Tag tauschen? “Mit dem Formel1-Fahrer Lewis Hamilton.”

Traditionelle rwandische Körbe, sogenannte Uduseke zieren die Botschaft des Landes.


Personelles

Behörden Spiegel / Januar 2021

Seite 11

Rechnungshof Schleswig-Holstein Landesrechnungshof Schleswig-Holstein Berliner Platz 2, 24103 Kiel Postfach 31 80, 24030 Kiel

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Landesrechnungshof Schleswig-Holstein Stand: Januar 2021

Senat Präsidentin Dr. Gaby Schäfer Vizepräsident Bernt Wollesen MDgt Dr. Ulrich Eggeling MDgt Christian Albrecht MDgt Erhard Wollny

Präsidentin Dr. Gaby Schäfer

Telefon: 0431/988-0 (Zentrale) oder 988-(Durchwahl) Telefax (Poststelle): 0431/988-8686 Telefax (Pressestelle): 0431/988-8907 Telefax (persönlich): 0431/988-6-19-(Durchwahl) E-Mail: poststelle@lrh.landsh.de Internet: www.lrh.schleswig-holstein.de

Vorzimmer Heidrun Hellwig-Hansen Foto: BS/Thomas Eisenkrätzer, LRH SH

Vizepräsident Bernt Wollesen Vorzimmer Heidrun Hellwig-Hansen

Präsidialkanzlei

Abteilung P

Leiterin: Ltd. MR’in Ulrike Klindt Pressesprecherin

Leiterin: Präsidentin Dr. G. Schäfer

-8905

Prüfungsabteilung 1 -8900

Vertretung: VP Bernt Wollesen -8902

Vertretung: ORR’in Heike Schliesky

Interne Vertretung: MR Andreas Krüger

Vorzimmer: Diana Vogel

Vorzimmer: Heidrun Hellwig-Hansen

-8906

Leiter: VP Bernt Wollesen

Prüfungsabteilung 2 -8902

-8950

Vertretung: VP Bernt Wollesen -8902

Vertretung: MDgt Dr. Ulrich Eggeling -8950

Interne Vertretung: MR’in Gabriele Anhalt

Interne Vertretung: MR Siegfried Matthießen -8901

Prüfungsabteilung 3

Leiter: MDgt Dr. Ulrich Eggeling

Vorzimmer: Elke Harraß-Badad -8903

Vorzimmer: Susanne Matthießen -8951

Leiter: MDgt Christian Albrecht

Prüfungsabteilung 4 -8975

Leiter: MDgt Erhard Wollny

-8660

Vertretung: MDgt Erhard Wollny -8660

Vertretung: MDgt Christian Albrecht -8975

Interne Vertretung: MR Thorsten Hartmann

Interne Vertretung: MR Lutz Kaiser

Vorzimmer: Maureen Koselitz -8976

Vorzimmer: Kristin Fest -8661

Präsidialangelegenheiten; ­Presseangelegenheiten; Personal; Haushalt; Informations- und ­Kommunikationstechnik; ­Organisation; Innerer Dienst

Abteilungsübergreifende Grundsatz­ fragen; Öffentlichkeitsarbeit; ­Finanzministerium; Gesamthaushalt; Neue Steuerungsinstrumente; Finanzausschuss

Grundsatz- und Querschnittsangelegenheiten; Personal, Organisation; Informationstechnik; Steuerverwaltung; Rundfunk; Landwirtschaft und Umwelt; Wasserwirtschaft

Justiz; Landtag; Ministerpräsident; Staatskanzlei; Arbeit; Soziales Land; Schulen; Wissenschaft; Kultur

Wirtschaft; Beteiligungen; ­Gesundheit; Krankenhäuser; Technik; Energie; Hoch- und Tiefbau; EU-Kohäsions- und Strukturfonds; Ostsee- und Nordseeangelegenheiten

Innenministerium; Kommunale Angelegenheiten

PK 1

P 10

10

20

30

42

Presse-, Senatsangelegenheiten

Abteilungsübergreifende Grundsatzfragen, Öffentlichkeitsarbeit

Ltd. MR’in Ulrike Klindt -8905

MR Andreas Krüger

PK 10 Personal, Fortbildung AR Daniel Zeiser

P 20

-8910

Justiziariat, Dienstrecht, ­Europaangelegenheiten, Haushalt

MR Sven Leder

PK 11 ORR’in Heike Schliesky -8914

RD Lutz Berke

-8909

Finanzministerium, Gesamthaushalt, Neue Steuerungsinstrumente, Finanzausschuss

11

MR Siegfried Matthießen -8971 13

­Kommunikationstechnik

OAR Martin Kubatzki

14

-8919

-8925

Informationstechnik im Landes- und Kommunalbereich

-8931

PK 12 Informations- und

Personal, Personalhaushalt, ­Organisation im Landesbereich

PK 13 Organisation, Innerer Dienst

Justiz, Landtag, Ministerpräsident, Staatskanzlei

Beteiligungen, Stiftungswesen, Wirtschaft, Bürgschaften, EU-Kohäsions- und Strukturfonds, Ostsee- und Nordseeangelegenheiten

ORR Gunnar Spliedt

MR Thorsten Hartmann -8977

MR’in Gabriele Anhalt 21

22

-8952

-8957

Steuerverwaltung, Rundfunk

Öffentliche und private Schulen, Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen

RD’in Verena Kelm

RD’in Katharina Haag

-8938 23

Landwirtschaft und Umwelt, Wasserwirtschaft

MR’in Meike Brandt

Michael Worm (m.d.W.d.G.b.) -8922

Arbeit, Soziales Land

31 31E

43

MR Dr. Hendrik Glaser 31H

-8662

Kommunen Überörtliche Prüfung bei den Kommunen

RD’in Saskia Habelt 44

Prüfbereich Versorgungs- und Betriebstechnik, Technologie, Energie, Reaktorsicherheit

-8960 -8966

ORR’in Claudia Baden

Energie, Hochbau, Tiefbau

Wissenschaft, Kultur, Minderheiten

RD’in Doris Haye

Innenministerium

-8671

Wirtschaftsbetriebe der Kommunen, Kommunale Wirtschaftsförderung

MR Lutz Kaiser

-8681

-8983

Prüfbereich Hochbau, GMSH, Baurecht, Umweltrecht, Vertragsund Vergaberecht, Koordinierung von Beiträgen zu kommunalen Prüfungen

-8666

MR Volker Soblik 31T

-8992

Prüfbereich Tiefbau, Straßenbau, Verkehrsanlagen

RBD’in Stefanie Berkner -8996 32

Gesundheitswesen, Krankenhäuser, Universitätsklinikum

RR’in Dr. J. Liebthal-Michalski -8987

AGG-Beschwerdestelle: Heike Schliesky

8914

Personalratsvorsitzender: Dirk Koch

8928

Arbeitsmedizin: AMD Stadt Kiel

Inklusionsbeauftragter: Wolfgang Claußen

8929

Gleichstellungsbeauftragte: Sylta Seidel

8927

Fachkraft für Arbeitssicherheit: BAD GmbH

Vertrauensmann der Schwerbehinderten: Volker Soblik

8992

0431/901-2212 0461/141780

Sächsischer Rechnungshof Sächsischer Rechnungshof Schongauerstraße 31 04328 Leipzig

Tel.: 0341/3525-1600 Fax: 0341/3525-1999

Außenstelle Chemnitz Brückenstraße 10 09111 Chemnitz

E-Mail: poststelle@srh.sachsen.de Internet: www.rechnungshof.sachsen.de

Prüfungsbereich des Präsidenten PP LT (Epl 01), Sächsischer Datenschutzbeauftragter (Epl. 13), SMF (Epl. 04, ohne Kap. 0406, 0411, 0420, 0499), Allg. Finanzverwaltung (Epl. 15, ohne Kap. 1501, 1503 Stiftung “Fürst-Pückler-Park Bad Muskau”, Tit. 894 01, 1510 – Tit. 141 01, 359 03, 870 01, 919 03 –, 1520, 1521, 1540), Neue Finanzsysteme Sachsen (staatl.), haushaltsrechtliche Grundsatzfragen, Controlling, Innenrevision Dr. Günther Jury

Abteilung Zentrale ­Angelegenheiten 1900

Sekretariat Abteilung ZA Kerstin Verniest -1901 Referat ZA 1

Organisation, Strategische Planung, Recht, Haushalt und Beschaffung

Tobias Schnell

Prüfungsabteilung 1 Isolde Haag

Prüfungsabteilung 2 -1100

Sekretariat PA 1 Rika Eichhorn

-1101

Referat 11

Organisation, Informationstechnik, Personalprüfung

Dr. Klaus Arnoldt

-1110

Peter Teichmann

Referat 12

Sekretariat PA 2 Karin Pfau

-1201

Referat 21

Kommunalprüfung – Gebietskörperschaften –

Dr. Helmut Seidel

-1210

Skadi Stinshoff

-1920

Bernd Flaadt

-1120

SMWK (Epl. 12)

IT

-1930

Christiane Hirndorf

Kommunalprüfung – Grundsatzfragen, ausgelagerte Bereiche und ausgewählte Fachaufgaben –

Ruprecht-Karl Meier

Referat 13

Referat ZA 3 Rainer Buchwald

Referat 22

SMK (Epl. 05) SMJus (Epl. 06)

Referat ZA 2

Stabsstelle Presse/Kommunikation PK Lydia-Marie Popp Yvonne Scholz

-1130

1015 1016

Prüfungsabteilung 3 -1200

-1220

Tel.: 0351/212933-51 Fax: 0351/212933-65

Sekretariat des Präsidenten Cornelia Popp 1001

Foto: BS/© Steffen Giersch

-1910

Personal und Fortbildung

Außenstelle Dresden Ostra-Allee 23 01067 Dresden

Tel.: 0371/457-3809 Fax: 0371/457-3851

Präsident Prof. Dr. Karl-Heinz Binus

-1010

Leiterin: N.N.

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Sächsischer Rechnungshof Stand: Januar 2021

Vizepräsident Stefan Rix

Prüfungsabteilung 4 -1300

Gerold Böhmer

Sekretariat des Vizepräsidenten Antje Schumann -1301

Sekretariat PA 4 Angelika Gräfe

Referat 31

SMWA (Epl. 07)

Dr. Thomas Trousil Referat 42

Katja Bormann

-1310

-14201

Referat 43

SMI (Epl. 03), SMR (Epl. 10)

SK (Epl 02), Steuern (Kap. 1501), Betriebe und Beteiligungen (Kap. 1521), SMF (Epl. 04, Kap. 0406), Staatsbürgschaften (Kap. 1510 – Tit. 141 01, 359 03, 870 01, 919 03), MDR, SLM

-1320

Referat 33

Hochbau (Epl. 14, HGr. 7 und Gr. 519), Straßenbau, Bauausgaben aus allen Einzelplänen, Kommu­nale Großbauten ab sieben Mio. Euro

Manuela Winkler

-14101

SMS (Epl. 08), SMEKUL (Epl. 09)

Referat 32

Martin Sasse

-14011

Referat 41

SMF (Epl. 04, Kap. 0411, 0420), zentrales Liegenschaftswesen (Epl. 14, ohne HGr. 7 und Gr. 519), Allg. Finanzverwaltung (aus Epl. 15, Kap. 1503 Stiftung “Fürst-PücklerPark Bad Muskau”, Kap. 1520 ­Sondervermögen Grundstock)

Annett Schmidt

-14001

-1330

Ute Hein 1

esucheranschrift Prüfungsabteilung 4: B Schongauerstraße 5 04328 Leipzig

14301


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Ansprechpartner Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten erteilt: Benjamin Bauer Mitglied der Geschäftsleitung Tel.: 0228/970 97-0 E-Mail: benjamin.bauer@behoerdenspiegel.de

Illustration: denisismagilov, stock.adobe.com

Aug. 2021


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Januar 2021

Ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt Städtischen und ländlichen Raum gemeinsam und interdisziplinär denken (BS/Wim Orth/Jörn Fieseler) Seit einem knappen Jahr dreht sich die Welt gefühlt kaum noch um die Sonne, sondern stattdessen um eine Kugel, die man mit bloßem Auge nicht annähernd erkennt und die mit kleinsten Krönchen überzogen ist, die ihr den Namen “Corona” eingebracht haben. Das Coronavirus wurde schnell zum globalen Phänomen und durchzieht seitdem sämtliche Branchen. Am Ende des Tages geht es dabei aber vor allem um die Menschen. Sie verlieren ihre Jobs, ihre finanzielle Sicherheit und schlimmstenfalls sogar ihr Leben. Die Krise zeigt aber auch auf, wo es Defizite in der Versorgung, der Infrastruktur und im Gesundheitswesen gibt, die spätestens in der “Zeit danach” dringend behoben werden müssen. Vor allem in den Kommunen. Bevor man die Zeit danach aber komplett in den Fokus nehmen kann, ist Corona für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aktuell die Gegenwart – und der oberste Krisenkämpfer des letzten Jahres zeigt sich stolz darüber, was das Land und vor allem das Gesundheitswesen in dieser Zeit geleistet haben: “Diese Pandemie verlangt unserer Gesellschaft und vor allem unserem Gesundheitssystem alles ab, aber es zeigt sich auch immer wieder, dass wir unser System auf eine solche Pandemie vorbereitet haben und das Deutschland generell über ein starkes System verfügt.” So habe man es in kurzer Zeit geschafft, die Bettenkapazität in den bundesweiten Intensivstationen aufzustocken und neues, pandemiegerechtes Schutzmaterial für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Gesundheitssystem zu besorgen. “Aber auch das beste Gesundheitssystem kommt irgendwann an Grenzen – daher braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung von uns allen, damit die Patientinnen und Patienten hierzulande weiterhin versorgt werden können”, so der Minister zur anderen Seite der Medaille. Diese gemeinsame Kraftanstrengung bedeute im Konkreten, dass es regional je nach Pandemieaufkommen auch nötig sein könne, planbare OPs zu verschieben. “Dies wird aber wirklich nur regional passieren und nur, wenn es wirklich nötig ist, denn solche Verschiebungen sorgen natürlich genauso für Leid und Unsicherheit bei anderen Patienten, die ihre Krankheiten behandelt haben wollen”, so Spahn. Um das Gesundheitssystem in der Krise, die für viele Zweige der Gesellschaft ja auch eine finanzielle Krise ist, nachhaltig zu sichern, habe man neben den unmittelbaren Bemühungen innerhalb der Praxen und Kliniken zudem für eine finanzielle Absicherung betroffener Kliniken gesorgt, unter anderem beispielsweise durch die Verabschiedung des Krankenhaus-Zukunftsgesetzes, das als Schutzschirm für Kliniken helfen soll, diese arbeitsfähig zu halten.

Elektronische Patientenakte soll Branche vernetzen Aber Spahn wagt auch schon einen Blick auf die Zeit nach der Corona-Krise. So habe die Pandemie gezeigt, “wo wir aufholen müssen, und das ist vor allem im Bereich der Digitalisierung. Die Akteure des Gesundheitswesens müssen untereinander vernetzt sein, damit Informationen zu Gesundheitszustand, Vorerkrankungen und Medikation des Patienten nicht mehr nur lokal bei einem Arzt liegen, sondern damit alle Behandelnden diese Infos abrufen können.” Hierbei soll die elektronische Patientenakte ab Beginn 2021 helfen. Um dieser einen besseren Start zu verschaffen, wurden Ärzte und Kliniken dazu verpflichtet, sich an die dazugehörige TelematikInfrastruktur anzuschließen. Denn nur so könne die Sicherheit der Daten und des digita-

Natürlich muss in der Krise zuvorderst für ein funktionierendes Gesundheitssystem gearbeitet werden. Daneben dürfen sozial schwache Gruppen wie alte, einsame oder finanziell schlecht aufgestellte Menschen aber nicht vernachlässigt werden. Foto: BS/stivog, stock.adobe.com

len Austauschs gewährleistet werden. “So gesehen ist auch die Telematik-Infrastruktur Teil unserer Daseinsvorsorge”, so der Gesundheitsminister. Grundsätzlich komme es auf alle Mitglieder der Gesellschaft an, um die Pandemie nachhaltig einzudämmen, so der Minister. Das vergangene Jahr habe dabei eindrücklich gezeigt, dass die öffentliche Infrastruktur ein zen­ traler Faktor für das Wohlergehen der Menschen in Deutschland ist. “Und sie ist wichtiger, als viele das vor der Pandemie wahrgenommen haben”, so Spahn. Aber nicht nur im Gesundheitsbereich an sich müssen die öffentlichen Infrastrukturen angepackt und für die Zukunft angepasst werden. Für die Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach, hat die Corona-Krise auch an vielen weiteren Stellen gesellschaftliche und soziale Verwerfungen durch ein Brennglas aufgezeigt. So sei in der Pandemie im Allgemeinen vieles gelungen und an vielen Stellen habe sich gezeigt, wo noch mal nachgesteuert werden müsse, aber dennoch sieht die Senatorin deutlich, “dass die soziale Frage in dieser ganzen Zeit nicht ausreichend diskutiert wurde”. In Berlin habe man zwar vonseiten der Politik mittlerweile eine ganze Reihe von Projekten angestoßen, aber dennoch wünscht sich Breitenbach, dass man dieser Thematik, die auch immer mit Solidarität zu tun habe, “jetzt, aber auch in Zukunft einen größeren Stellenwert” zugutekommen lasse. Ein zentraler Punkt ihrer Aussage: Die soziale Infrastruktur müsse als viel mehr wahrgenommen werden als nur die Ausstattung und das Funktionieren von Schule und Krankenhaus. Zur sozialen Infrastruktur gehören laut Breitenbach zusätzlich auch Jugendfreizeiteinrichtungen sowie Pflegeeinrichtungen, Stadtteilzentren oder auch Seniorentreffpunkte: “All diese Einrichtungen sind für jene Menschen extrem wichtig, die sie benötigen. Und unter diesen gibt es sehr viele Menschen, die entweder alt oder

krank sind und deren soziale Treffpunkte jetzt schlicht nicht mehr da sind.” Diese Problematik müsse man vor allem auch vor dem Hintergrund des Heimatbegriffes betrachten, denn Heimat in dieser Gesellschaft müsse für Menschen unterschiedlichster Herkunft gedacht werde. Da vor allem Menschen aus geringeren Einkommensgruppen sowie “Menschen, die alleine und alt sind” in besonderem Maße auf diese Infrastrukturen angewiesen seien, müsse sichergestellt werden, dass soziale Infrastrukturen und Einrichtungen für all diese Menschen bzw. Interessengruppen auch in der Krise zur Verfügung stünden, so die Senatorin.

Es scheitert oft an ­Sprachbarrieren Die Erfahrungen der letzten Monate sieht Breitenbach demnach als eher ernüchternd. So seien die Infrastrukturen tendenziell nicht ausreichend für die benannten Zwecke aufgestellt und häufig scheitere man bei der Versorgung einer multiethnischen, vielfältigen Gesellschaft. “Ein Beispiel sind hier die Gesundheitsämter, die an ganz vielen Stellen in diesem Land vollkommen überfordert und nicht in der Lage waren, mit allen Menschen zu kommunizieren. Das lag meistens nicht an einem Mangel von Mitarbeitern, sondern vielmehr an der fehlenden Möglichkeit, Menschen mit schlechteren Deutschkenntnissen in deren Muttersprache über die Situation und die dazugehörigen Gefahren und Herausforderungen aufklären zu können.” Da es hier um die Sicherheit und Gesundheit vieler Menschen gehe, fordert Breitenbach daher eine deutliche Verbesserung dieser Situation, um zukünftig in der Lage zu sein, alle Menschen auf adäquate Weise aufklären zu können. Diese Herausforderung gelte dabei nicht nur für Muttersprachler anderer Sprachen als Deutsch, sondern in gleicher Weise für deutsche Muttersprachler, die auf leichte Sprache angewiesen seien. Aber nicht nur im Bereich der Kommunikation durch die Gesundheitsämter sieht die Sena-

torin deutliche Luft nach oben, sondern gleichermaßen im gesamten Bildungssektor. So gebe es bis heute enorme Probleme in Schulen, Universitäten und sonstigen Bildungseinrichtungen, weil Menschengruppen nicht zusammenarbeiten könnten und die digitale Ausstattung sowie die dazugehörige Nutzungskompetenz nach wie vor nicht ausreichend gegeben sei. “Wir brauchen endlich Konzepte und eine angemessene Ausstattung in all diesen Bereichen, sodass wir auch in Zeiten einer Pandemie die Bildungsangebote für alle aufrechterhalten können”, so Breitenbach. Dies bedeute aber auch, “dass wir uns dafür einsetzen müssen und dass wir dafür sorgen müssen, dass alle Menschen einen Zugang zu Informations- und Telekommunikationstechnologien haben”. Die Herausforderungen für die Zukunft sieht sie hier zweigeteilt: Einerseits in der Ausstattung von Menschen und gerade von Jugendlichen mit Endgeräten und einem Internetanschluss für Bildungszwecke, aber gleichzeitig auch in einem nachhaltigen Ausbau der Infrastrukturen im ländlichen Raum, um dort für entsprechende Internetverfügbarkeiten zu sorgen, die für die allgemeine Daseinsvorsorge und den Einsatz in der Pandemie gleichermaßen genutzt werden könnten und müssten.

Stadt neu denken Damit nicht genug. Die Gesundheitsinfrastruktur und der Zugang zu Telekommunikationstechnologien sind das eine. Auf der anderen Seite bleibt der Umbau der Städte als zentrale Aufgabe. “In all seinen Facetten”, wie es Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW, verdeutlicht. Im Fokus steht die natürliche Stadt. Innenstädte sind nicht länger nur Einkaufsmeilen. Es braucht eine größere Durchmischung von Einkaufsmöglichkeiten, Gastro­ nomie, Kultureinrichtungen und Grün­flächen. Das bedeutet, schon bei der Quartiersentwicklung anzufangen und diese

neu zu denken, so Gero Gosslar, Geschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA). Gleichzeitig sei ein Quartiersmanagement einzufügen, dass nicht nur das einzelne Quartier als eine Insel betrachte sondern auch die verschiedenen Quartiere übergreifend in den Blick nehme. Zugleich weist Dr. Michael Frehse, Leiter der Abteilung Heimat im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), auf zwei weitere wichtige Faktoren hin, die mitgedacht werden müssten: die demografische Entwicklung einerseits und der ländliche Raum andererseits. Wenn nur die Ballungsräume in den Blick genommen würden, würden diese weiter überlaufen, die Mieten würden zwangsläufig weiter steigen. Das könne niemand wollen. Im Gegenzug müsse die Versorgung in der Fläche ausgewogen sein und dürfe nicht nur an betriebswirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet werden. Krankenhäuser in der Fläche zu streichen, führe zwar zu Einsparungen von mindestens einer Chefarzt-Stelle, doch die medizinische Erstversorgung sei ein zentraler Bestandteil für gleichwertige Lebensverhältnisse. Es müsse nicht überall ein Standard wie in der Berliner Charité vorhanden sein, wichtig sei, dass überhaupt eine medizinische Versorgung in der Nähe vorhanden sei, so der HeimatAbteilungsleiter aus dem BMI.

Stadt und Land – zwei Seiten einer Medaille “Ich hoffe, dass sich durch die Pandemie Arbeitsweisen verändern, zum Beispiel hin zu mehr Homeoffice, und sich damit die Lebensräume der Menschen mehr in die Fläche verlagern”, greift Michael Pegel, Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung in MecklenburgVorpommern, den Faden auf. Für ihn ist es jedoch nicht mit den beiden Feldern Gesundheit und Telekommunikation getan. Auch die Verkehrsanbindung sei ein wesentlicher Bestandteil, nicht zuletzt wegen des HeimatTourismus. Das alles könne nur gelingen, wenn “wir in Lebensketten denken und nicht in einer sektoralen Betrachtung verharren”, sagt Detlef Raphael, Dezernatsleiter beim Deutschen Städtetag (DST). Es bedürfe einer interdisziplinären Betrachtung, bei der nicht ein Vorgang in den Mittelpunkt gestellt werde, sondern die Lösung eines Problems. Und schließlich müssten Stadt und Umland für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe eine Lösung anbieten. Ein erster Schritt dahin sei der beim Bundesinnenministerium gebildete “Beirat Innenstadt”, in dem sämtliche Themen über alle Ressorts hinweg gedacht würden. Da aber Infrastrukturvorhaben nicht nur in der Planung und bei der Auftragsvergabe lange Zeit dauerten, müsse auch in der Ausführung mit konkreten Vorhaben zeitnah begonnen werden. “Wir brauchen let‘s walk anstelle von let‘s talk”, sagt Claus Ruhe Madsen, Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock.

KNAPP NST fordert Maßnahmen für Innenstädte (BS/wim) Der Niedersächsische Städtetag (NST) fordert eine Reihe von politischen Maßnahmen zur Rettung der Innenstädte. Man müsse sich erhebliche Sorgen machen, denn “die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie werden erhebliche Auswirkungen auf die niedersächsischen Innenstädte und Ortskerne haben”, so NSTPräsident und Oberbürgermeister der Hansestadt Lüneburg, Ulrich Mädge. Die Städte seien ein zentraler Akteur bei der Bekämpfung und Bewältigung der Corona-Krise, so Mädge: “Erfolgreich können sie dieser Herausforderung jedoch nur mit Unterstützung von Bund und Land begegnen.” Um eine massenhafte Schließung von Einzelhandel und Gastronomie zu vermeiden, brauche es ein Gegensteuern von staatlicher Seite. Das Präsidium des NST fordert die Politik daher auf, eine Reihe von kurz- und längerfristigen Maßnahmen zu beschließen, wie bspw. ein finanzielles Sofortprogramm, Maßnahmen zur besseren Digitalisierung sowie eine Ausweitung der regulatorischen Möglichkeiten für Kommunen im Umgang mit Problemimmobilien.

Heinrich ist “Bürgermeister des Jahres”

(BS/wim) Der Bürgermeister der niederbayerischen Kreisstadt Freyung, Dr. Olaf Heinrich, ist zu Bayerns “Bürgermeister des Jahres” gekürt worden. Heinrich wurde damit für sein Engagement und die von ihm initiierten Projekte geehrt, die Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung der Stadt Freyung zugutekommen. Wichtigstes Projekt für die Jury ist dabei das Projekt “freYfahrt: Digitalisiertes On Demand Ridepooling”, mit dem die Menschen der Stadt und angrenzender Gemeindeteile während der regulären Betriebszeiten per App oder Telefon kleine Busse ordern. Kein Fahrplan und keine festen Haltestellen ermöglichen hohe Flexibilität. “Diese moderne, digitale Lösung für den öffentlichen Nahverkehr hat eine Vorbildfunktion für andere Gemeinden im ländlichen Raum”, so Jurymitglied Dr. Franz-Stephan v. Gronau von der Münchner Steuerkanzlei LKC. Heinrich wertete die Auszeichnung als Würdigung für seine Stadt, aber auch als Anreiz für die gesamte Stadtverwaltung von Freyung, “unsere Arbeit weiter nach den alltäglichen Bedürfnissen der Bürger auszurichten”.

Preis für kommunale Einbindung der Bw

(BS/wim) Die Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer, verleiht im Jahr 2021 zum siebten Mal den “Preis Bundeswehr und Gesellschaft”. Ziel der Auszeichnung soll es sein, die Bundeswehr wieder besser in der Gesellschaft zu verankern. Der Preis würdigt bspw. Amtsträger oder Gemeinden, die sich in besonderem Maße für die Belange der Bundeswehr und ihrer Angehörigen in Öffentlichkeit und Gesellschaft einsetzen. Dieses Jahr werden Preisträger in den Kategorien Gebietskörperschaften, Vereine, Bildung und Kultur sowie Einzelpersonen gesucht.


Kommunalpolitik

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as Projekt “Regionale OpenGovernment-Labore” ist mit einer Projektlaufzeit von über zweieinhalb Jahren sowie vor allem im Vergleich zum Vorgängerprojekt “Open-GovernmentModellkommunen” mit zahlreichen und unterschiedlichen Akteuren ausgestattet. In diesem Projekt sind in den insgesamt 13 Laboren: • 42 Kommunen oder kommunale Einrichtungen, • 59 zivilgesellschaftliche Institutionen sowie • sechs Hochschulen und Universitäten vertreten, d. h. über 100 direkt Beteiligte. Die reine Zahl der Beteiligten einerseits wie auch die neue Form der “Labor-Arbeit” andererseits, wo das Experimentieren, Ausprobieren und Evaluieren zentrale Säulen der Aktivitäten sind, stellen nicht nur besondere Anforderungen an die Projektleitung, sondern auch an eine entsprechend ausgerichtete Evaluation und Wirkungsmessung.

Gewöhnungsbedürftig und dynamisch Aus den spezifischen Projektzielsetzungen eines Erfolgsnachweises von Open Government (verstanden als bewusste und systematische Öffnung von Lokal- und Regionalpolitik für die Interessen und Anforderungen einer komplexer werdenden Gesellschaft) leiten sich zentrale Ziele und Aufgaben für das Gesamtprojekt ab: • das systematische Sammeln von Erkenntnissen (Reflektieren) nach definierten, intersubjektiv gültigen Methoden, • der Einsatz von Methoden des institutionellen und projektbezogenen Lernens sowie die Schaffung von empirischen Grundlagen (“Lernprozesse”),

Behörden Spiegel / Januar 2021

Für eine bessere Regionalentwicklung Regionale Open-Government-Labore – ein Zukunftsprojekt (BS/Prof. Dr. Jürgen Stember*) Das Projekt “Regionale Open-Government-Labore” des Bundesministeriums des Innern, für Heimat und Sport (BMI) versucht, in 13 ausgewählten Regionen den Nachweis zur erfolgreichen Umsetzung von Open Government zu erbringen. Transparenz, Zusammenarbeit und Partizipation sollen nicht nur zu einer besseren Lokalpolitik, sondern auch zu einer optimierten Entwicklung ländlicher Räume führen. • das Herstellen von Vergleichbarkeiten zwischen den Laboren und Ansätzen, u. a. durch Bildung geeigneter Kategorien und Kriterien sowie • die Messung von Aktivitäten durch Identifikation von geeigneten Erfolgsparametern und -faktoren (Messung von Fortschritten, Erfolgen und Wirkungen). Die Laborarbeit ist innerhalb der Wissenschaft und der Praxis nicht neu, allerdings sind die meisten Aspekte dieser neuen Form der Erkenntnisgewinnung sicherlich noch für die meisten Projektteilnehmer gewöhnungsbedürftig. Dabei zählt nicht nur das gemeinsame Arbeiten von zahlreichen Akteuren aus Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft und das neue Verhältnis von Wissenschaft und Praxis, sondern es zählen auch dynamische Aufgabenentwicklungen u. a. in Form von Erfolgen, Scheitern und Neuentwicklungen. Die zeitliche Projektdynamik mit neuen externen und internen Rahmenbedingungen (z. B. durch die Corona-Krise und in der Folge die Krise kommunaler Finanzen) wird ergänzt durch eine Projektkomplexität mit zahlreichen, teils wechselnden Akteuren und vielen angesprochenen und adressierten Themen. So vielfältig die inhaltlichen Ausrichtungen, so zahlreich

tungsmodernisierung und Themen des Strukturwandels. Entsprechend komplex stellen sich auch die Zielstellungen dar, die z. B. in der Stärkung der Wirtschaft, einer verbesserten Stadt-UmlandBeziehung oder in der Motivation für verstärktes Engagement und Kooperation sowie der Aktivierung zivilgesellschaftlicher Akteure zu finden sind. Allen gemein sind die Zielstellungen • der Schaffung und Weiterentwicklung von Beteiligungsund Mitmachformaten für Bürger (Einbeziehung der Bürger), • der intensivierten Zusammenarbeit der Verwaltungen mit verschiedenen Die räumliche und inhaltliche Verortung gesellschaftlichen Gruppen der Regionalen Open-Government-Lasowie bore in Deutschland Grafik: BS/eigener Entwurf Stember 2020. • der allgemeinen beteiligungsorientierten Stärkung der Kosind auch die spezifischen Zieloperation in der Region. Auch das methodische Spektstellungen und methodischen Grundlagen der Labore. Die in- rum, dessen sich die regionalen haltlichen Sujets reichen von Labore bedienen, ist weit geder Kurorte-Thematik und der spannt und einerseits durch sehr regionalen Entwicklung über traditionelle und konventionelle die Einbindung digitaler Beteili- Methoden geprägt, z. B. Studien, gungstechnologien und Open Da- Regionalanalysen, Bürgerwerkta oder Datenportale bis hin zur stätten usw. Andererseits versu(grenzüberschreitenden) Verwal- chen sich nicht wenige Labore

auch an moderneren und agilen Methoden, z. B. Fishbowl, Open Space, Barcamps oder Hack­ athons. Allen voran wird das Design Thinking dazu genutzt, “Idealzustände” der regionalen Zusammenarbeit und Beteiligung aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger zu erstellen, um sie möglichst optimal in die Alltagsarbeit der Labore zu implementieren.

Corona-Pandemie als Beschleuniger Den Erläuterungen in den im Oktober 2020 eingebrachten Sachstandsberichten konnte entnommen werden, dass es in allen Laboren bereits sehr positive Entwicklungen und Fortschritte gab. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie führten bei den meisten Laboren zu einer Änderung der Planung, die den situationsbedingten Möglichkeiten angepasst wurde. Einige Labore führen in ihren Berichten an, dass die Krise den dynamischen Start in das Projekt sogar gefördert hat und auch eine größere Offenheit und Bereitschaft zur Nutzung digitaler Anwendungen zu erkennen war. Als übergeordnete, erfolgreiche Aspekte der Laborarbeit sind vor allem die gute Zusammenarbeit der Projektpartner, die Durchführung von Veranstaltungen in

verschiedensten Formen (Meetups, Workshops, analog, digital etc.), die Nutzung digitaler Kommunikationsformate sowie das positive Feedback der Akteure zu nennen. Alle Labore haben bereits erste Veranstaltungen durchgeführt und entsprechende Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den beteiligten Akteuren sammeln können. Allerdings beschränkte sich der Austausch nicht auf die digitale Form, sondern erfolgte z. B. auch in Form von Präsenzveranstaltungen, persönlichen Gesprächen oder Beteiligungen über Postkarten. In nahezu allen Laboren wurde ausdrücklich erwähnt, dass sie für ihre Arbeit positive Rückmeldungen aus der Verwaltung, den beteiligten Partnern oder der Bevölkerung erhielten. Auf dem jüngsten gemeinsamen Workshop Ende November wurden diese aktuellen Entwicklungen und Erfahrungen in einem neuen, vier Tage dauernden

Prof. Dr. Jürgen Stember ist Professor für Verwaltungswissenschaften an der HS Harz, Präsident der Hochschulen für den öffentlichen Dienst und Mitglied im Projekt “Regionale Open-GovernmentLabore” Foto: BS/privat

Workshop-Digitalformat mit allen Beteiligten sehr engagiert diskutiert. Darüber hinaus wurde innerhalb des Workshops auch die neue Kooperationsplattform vorgestellt, über die zukünftig alle projektbezogenen Austausche, die Kommunikation sowie die Kooperation erfolgen werden. Weitere Informationen unter: ­https://civitalis.iliasnet.de/

Hilfe durch die Bundeswehr

Perspektivisch mehr

Leistungen für die Kommunen in der Pandemie

Erstzugriffsrecht der Kommunen beim Grundstückskauf

(BS/df) Die Bundeswehr hilft und sie hilft gut, ist der Tenor, der aktuell in der Öffentlichkeit herrscht. Beides stimmt, obwohl gerade Kommunen (BS/jf) Über den Erwerb von 348 Liegenschaften im Besitz des Bundes und Landkreise oftmals auch erleben mussten, dass die Bundeswehr nicht hilft. Weil sie oftmals gar nicht helfen kann. verhandeln derzeit Landkreise, Städte und Gemeinden und deren Gesellschaften mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Beispielsweise sind aktuell mogung standen. Diese Zeiten sind Der Verkaufsprozess ist nicht einfach. Auf lange Sicht gibt es sehr viel schon seit Jahrzehnten vorbei. mehr Angebote. bile Impfteams der Bundeswehr unterwegs, um in den Alten- und Pflegeheimen die Impfungen vorzunehmen. Diese Impfteams bestehen aus einem Arzt bzw. einer Ärztin sowie zwei Pflegern. Diese drei Personen sind meistens Soldaten und werden vom Sanitätsdienst der Bundeswehr gestellt. Bei den Fahrzeugen und deren Fahrern handelt es sich hingegen oft um Angehörige des Deutschen Roten Kreuzes oder anderen Rettungsdienstorganisationen. Hier zeigt sich das Konzept, mit dem die Bundeswehr helfen kann: Mit fachlich sehr gut ausgebildetem und in der Fläche vorhandenem Personal. Hinzu kommt als weiterer Vorteil, dass die Standorte der Bundeswehr sich eher im ländlichen Raum befinden. Während die medizinische Versorgung in den wenig besiedelten Gebieten Deutschlands schon seit Jahrzehnten zu Recht als dringendes Problem angeprangert wird –, Kommunen allerdings mangels Geld und Infrastruktur wenig zur Lösung beitragen können – besitzt die Bundeswehr gerade in diesen Gebieten hervorragende Ärzte und Pfleger zur Versorgung der Soldaten.

Leitung übernommen Durch Umplanungen, Umstrukturierungen und leichte Qualitätseinbußen konnte der Sanitätsdienst der Bundeswehr Kräfte in der Fläche freisetzen, um die

Soldaten der Bundeswehr unterstützen die Kliniken Charité und Vivantes bei der Registrierung ankommender Reisender am Flughafen Tegel. Foto: BS/Bundeswehr, Tom Twardy

zivilen Kräfte zu unterstützen. Sie unterstehen in dieser Zeit den Planungen des durch den jeweiligen Landkreis betriebenen Impfzentrums, werden also von der Bundeswehr ausgeliehen. In Einzelfällen übernimmt die Bundeswehr allerdings auch die Leitung des Impfzentrums. So hat beispielsweise der Landkreis Vorpommern-Greifswald dieses Angebot angenommen. Hier koordinieren Soldaten den Einsatz der zivilen Kräfte, um die hochbetagten und pflegebedürftigen Menschen schnellstmöglich mit einer Impfung zu versorgen. Für diese Menschen bedeutet die Impfung schließlich die Rückkehr zu einem Grundmaß an Lebensqualität. Allerdings sind die Bedingungen schwieriger, etwa durch die Notwendigkeit zur Einholung der Einwilligung bei eventuell nur eingeschränkt geschäftsfähigen Menschen. Das

Nachhalten aller dieser Dokumente muss ebenfalls gesichert sein, da die Angehörigen eine andere Einstellung zur Impfung haben könnten als die Betroffenen selbst.

Menschen, aber keine Betten Die Bundeswehr kann überall dort unterstützend tätig werden, wo es an Menschen, an Arbeitskraft fehlt. So unterstützte sie beispielsweise mit ihren Soldaten die Abstrichzentren sowie die telefonische Nachverfolgung bzw. Benachrichtigung der Kontakter der Infizierten. Womit die Bundeswehr in der Fläche allerdings nicht dienen kann, ist Material. Viele Bürgermeister erinnern sich noch an ihren Wehrdienst während oder kurz nach dem Kalten Krieg, wo Betten und Verpflegung – etwa Einmannpackungen (EPAs) – in sehr großer Stückzahl in Bundeswehrdepots zur Verfü-

Die Bundeswehr zahlte durch einen rigiden, von der Politik verordneten Sparkurs die Friedensdividende. Hierbei musste sie sich von allem nicht im täglichen Betrieb unbedingt Notwendigen verabschieden. Betten für einen Kriegsfall gehörten dazu. Dementsprechend steht auch im Katastrophen- oder Pandemiefall nichts mehr zur Verfügung. Keine Betten, keine Verpflegung, keine Zelte oder Decken. Selbstverständlich übernehmen die Bundeswehrkrankenhäuser auch zivile Patienten, aber es gibt nur fünf. Bei den mobilen Einheiten handelt es sich wiederum um fliegende oder fahrende Spezialkräfte, die für den Transport ausgelegt sind, nicht für die Unterbringung. So konnten mit dem Transportflugzeug A400M in seiner MedEvac-Ausstattung zwar Corona-Patienten isoliert nach Deutschland gebracht werden, eine längerfristige Unterbringung pandemischer Patienten wäre hingegen nicht möglich. Gerade in ländlichen Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte lohnt sich in schwierigen Situationen, wie aktuell zu Beginn der Impfung, ein Amtshilfeersuchen an die Bundeswehr, deren Planungsstäbe und Impfteams die örtlichen Kapazitäten sinnvoll unterstützen können. Auch Fachkräfte in der Organisation und Durchführung von komplexen Operationen sind schließlich ein durchaus wertvolles Gut.

Normalerweise haben Kommunen nach Wohnungseigentumsgesetz und Erbbaurechten kein Vorkaufsrecht beim Erwerb von Liegenschaften oder Grundstücken. Diese Option besteht nur bei den Flächen, die die BImA veräußert. Trotzdem ist der Kauf nicht in wenigen Monaten zu vollziehen. Damit die Kommunen neue Eigentümer werden können, müssen sie in einem ersten Schritt eine Zweckerklärung abgeben, dass die konkrete Liegenschaft der Erfüllung kommunaler Aufgaben dient. Anschließend ist ein verbindliches Nutzungskonzept als Vorstufe zur Bauleitplanung zu erstellen. Auf dieser Basis wird der Verkehrswert ermittelt und der Kaufpreis verhandelt. Insgesamt sind für diesen Ablauf zwei Jahre vorgesehen.

Berlin und Leipzig an der Spitze Aktuell laufen in 13 Bundesländern (außer Bremen, Saarland und Thüringen) Verhandlungen zur Veräußerung von Liegenschaften durch die BImA. Die meisten in Nordrhein-Westfalen (108), gefolgt von Berlin (53) und Bayern (46). In den übrigen Flächenstaaten laufen zwischen elf und 18 Verfahren. Insgesamt wollen 76 Kommunen und rund 30 kommunale Unternehmen oder sonstige Organisationen ein oder mehrere Grundstücke von der BImA erwerben.Die meis-

ten Liegenschaften wollen neben Berlin die Städte Leipzig (zehn), Münster (acht), Hamburg und Paderborn (beide sechs) sowie Recklinghausen (fünf) erstehen.

Effektives Instrument Mit der Erstzugriffsoption stehe den Kommunen ein effektives Instrument zur Verfügung, entbehrliche Liegenschaften der BImA zu erwerben, ohne sich der Konkurrenz privater Käufer in einem Bieterverfahren stellen zu müssen, ist auf man Bundesebene überzeugt. Darüber hinaus haben sie weitere Einflussmöglichkeiten auf die Verwertung dieser Grundstücke und Gebäude durch das Besondere Städtebaurecht oder im Rahmen von Umlegungsverfahren. Perspektivisch könnten seitens der BImA rund 5.000 Liegenschaften entbehrlich und damit den Kommunen zum Kauf angeboten werden, wie die Bundesregierung in einer Antwort an den Deutschen Bundestag (Drucksache 19/25092) mitteilt. Allerdings unterliege die Verkaufsplanung einem fortlaufenden Anpassungsprozess, beispielsweise durch den Wohnungsbau für Bundesbedienstete. Aktuell unterhält die BImA rund 1.700 Liegenschaften mit knapp 35.800 Wohnungen, von denen rund neun Prozent leer stehen. Damit beträgt ihr Anteil am Wohnungsmarkt weniger als 0,1 Prozent.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Januar 2021

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aut der Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), welche die Reihenfolge der Impfstoffverteilung regeln soll, fallen die Berufsgruppen der nichtpolizeilichen Abwehr in unterschiedliche Gruppen. (für die Impfstrategien von Polizei und Bundeswehr siehe Seite 35). Während Personen, die in Bereichen medizinischer Einrichtungen mit einem sehr hohen Expositionsrisiko in Bezug auf das Coronavirus tätig sind, wie Rettungsdienste, die höchste Priorisierung genießen, werden die Kräfte der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes zwei Stufen tiefer eingeordnet. Was dies konkret für die Angehörigen von Feuerwehr und Rettungsdienst, die teilweise zu beiden Gruppen gehören und First-ResponderEinsätze absolvieren, bedeutet, wird auf kommunaler Ebene unterschiedlich angegangen.

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Rettungsdienst priorisiert Impfstrategien bei den Feuerwehren (BS/Marco Feldmann/Bennet Klawon) Nicht erst seit der Zulassung der Impfstoffe von Biontech und Moderna durch die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) beschäftigt Menschen in Deutschland die Frage, wann sie mit einer Impfung rechnen können. Unklarheit herrscht dabei auch noch bei Beschäftigten der kommunalen Gefahrenabwehr von Feuerwehr und Rettungsdienst. Die offizielle Impfverordnung konnte diese Unklarheit nicht beseitigen.

Grobe Planungen stehen Bei der Feuerwehr Dresden wartet man noch hinsichtlich der Impfstrategie auf Vorgaben des Freistaates Sachsen. Weitere Planungen seien noch nicht vorgenommen worden. Aus dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt heißt es nur, dass man bei der Priorisierung dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz folge. Bei der Feuerwehr München hingegen existiert bereits schon eine Grobplanung zur Impfung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Planung ergebe sich “aus der Verwendung der einzelnen Mitarbeiter zwangsläufig”. Diese Grobplanung sieht vor, dass im ersten Durchgang die Mitarbeiter des abwehrenden Brandschutzes geimpft werden sollen. Erst danach sollen die Kameraden des rückwärtigen Dienstes geimpft werden. Die Impfungen sollen in einem Impfzentrum durchgeführt werden. In der hessischen Großstadt Frankfurt am Main ist man noch nicht soweit. Dort erarbeitet derzeit das Gesundheitsamt Frankfurt in Abstimmung mit der Branddirektion eine Impfstrategie. Man werde aber auch der bundesweiten Einteilung der Priorisierungsgruppen der Verordnung folgen. Dies bedeutet, dass die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes in der ersten Gruppe der Impfungen sein werden. Die Impfungen sollen in einem regionalen Impfzentrum stattfinden.

Kurzfristiges Agieren in Dortmund möglich Bei der Stadt Dortmund orientiert sich die Impfstrategie im Bereich der Feuerwehr an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) und den nationalen Vorgaben. Zusätzlich führte die Feuerwehr Dortmund eine “Freiwilligenliste” für die Mitarbeiter im Rettungsdienst ein, die nach der vorgegebenen Reihenfolge die Möglichkeit einer kurzfristigen Impfung erhalten können. Diese Liste umfasst Angehörige der Feuerwehr, der Hilfsorganisationen oder der Rettungsdienstunternehmen. Die Möglichkeit einer kurzfristigen Impfung kann zum Beispiel dadurch entstehen, wenn nicht alle bestellten Impfdosen in den Alten- und Pflegeheimen verabreicht wurden. So will man den sonst verfallenden Impfstoff kurzfristig sinnvoll einsetzen. Für Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), welches bundesweit bei der Planung, dem Aufbau und Betrieb der Impfzentren beteiligt ist, existiere “keine DRK-spezifische Impfstrategie”. Die Angehörigen des DRK würden

Kritik an der Impfpriorisierung hatte sich bei der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr an der Unterscheidung zwischen Rettungsdienst und Feuerwehr entzündet. Foto: BS/Hermman Kollinger, pixabay.com

gemäß der Prioritätenliste der Impfverordnung geimpft werden. Dabei sind gut 3.000 Rotkreuzler, zumeist ehrenamtliche, an 270 der über 400 Impfzentren beteiligt.

Berliner Feuerwehr geht voran Die Berliner Feuerwehr ist bei der Impfstrategie und der Umsetzung weit vorangeschritten. Die interne Projektgruppe, die eine Strategie erarbeiten sollte, hat schon ein Grundsatzpapier erstellt. Dieses könne sich jedoch aufgrund der sehr dynamischen Lage noch schnell ändern. Ebenso könne schon ab dem 11. Januar mit einem geordneten Impfvorgang bei der Hauptstadt-Feuerwehr begonnen werden. Dazu wurde der Berliner Feuerwehr ein mobiles Impfteam angeboten. Dadurch sind Impfungen von 50 Personen pro Tag möglich. Für die interne Organisation erhält die Feuerwehr dazu alphanumerische Codes, die für die Vereinbarung eines Impftermins und des Folgetermins benötigt werden. Diese Codes können innerhalb der Behörde frei verteilt werden. Gestartet wird im Rettungsdienst. Eigene Impfzentren wird die Berliner Feuerwehr nicht unterhalten. Kritik an den Impfprioritäten hatte es allerdings bei den nichtpolizeilichen BOS gegeben. So konnte dort nicht nachvollzogen werden, weshalb eine deutliche Unterscheidung zwischen Feuerwehr und Rettungsdienst vorgenommen wurde. In der STIKO-Priorisierungstabelle sei vergessen worden, dass der größte Teil der Berufsfeuerwehren in Deutschland aktiv im Rettungsdienst tätig sei. Zudem würden die Feuerwehren bei sogenannten First-Responder-Einsätzen täglich die Kräfte des Rettungsdienstes unterstützen, so der Bundesvorsitzende der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG), Siegfried Maier. Auch der Berliner Landesbranddirektor Dr. Karsten Homrighausen hatte sich für schnellere Impfungen seiner Mitarbeiter ausgesprochen. Aus dem Deutschen Feuerwehrverband (DFV) kam die Forderung, Feuerwehrangehörige bei der Corona-Impfung höher zu priorisieren. “Die stets gefahrengeprägte Arbeit der Feuerwehr ist von hervorzuhebender Systemrelevanz und das Rückgrat der Gefahrenabwehr in Deutschland. Insbesondere im Bereich des Rettungsdienstes, des Kranken-

transports und der Technischen Hilfe lässt sich trotz persönlicher Schutzausrüstung und konkreter Einsatzkonzepte der direkte Kontakt mit Menschen nicht verhindern. Darüber hinaus ist die Feuerwehr tragende Säule bei einer Vielzahl weiterer Aufgaben, wie vielerorts dem Aufbau von Impfzentren”, erklärte DFVVizepräsident Hermann Schreck. Der potenzielle Kontakt von Feuerwehrangehörigen zu vulnera­ blen Gruppen sei damit jederzeit gegeben. Die Erkrankung eines Feuerwehrangehörigen könne darüber hinaus aufgrund der gegenwärtig gültigen Quarantänevorschriften zu einem Ausfall der gesamten Feuerwehr führen. Feuerwehrangehörige sind gemäß der derzeitigen Priorisierungsliste des Vorschlags der Ständigen Impfkommission des RKI nur in Stufe fünf von sechs eingestuft. Sie gelten als “gering erhöhte Risikogruppe”. Dazu meint Schreck: “Dies wird der Gefährdung, der Bedeutung für die Daseinsvorsorge sowie der Verantwortung der Gesellschaft für den lebensnotwendigen Bereich der Gefahrenabwehr keinesfalls gerecht.”


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Personelles

Behรถrden Spiegel /Januar 2021


Behรถrden Spiegel / Januar 2021

Personelles

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Kommunalpolitik / Personelles

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Prüfe, wer sich (ewig) bindet

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onnten die Arbeitgeber von den Bewerbern eine aktivere Rolle (Suche nach Ausschreibungen u. a.) erwarten, so warten gerade die jungen Menschen heute auf die Ansprache durch die Unternehmen, um sich mit Personalmarketingmaßnahmen “zu bewerben”. Eine frühzeitige Strategie ist geboten – und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Viele Gründe sprechen dafür, anstelle vom auf “Fischen” im freien Markt auf Ausbildung zu setzen. Während der dreijährigen Ausbildung lässt sich gut erkennen, ob die Auszubildenden fachlich und charakterlich ins Team passen.

Ausbildungsstrategie in der Gemeinde Blankenheim (BS/Rolf Hartmann) Leistungs- und charakterstarke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ein rares Gut. Die Zeiten, in denen die jungen Menschen für eine Stelle im Öffentlichen Dienst Schlange standen, sind auch in dieser seltsamen Phase der Pandemie vorbei. Der demografische Wandel verschärft diese Situation. Immer weniger unter Achtzehnjährige stehen immer mehr Babyboomern aus den Sechziger-Geburtsjahren, die sich auf ihre Rente vorbereiten, gegenüber. Losgelöst von der aktuellen Pandemielage führt das starke wirtschaftliche Umfeld in der Region Köln-Bonn zu einer erheblichen Zunahme der Konkurrenz um Fachkräfte. Diese Konkurrenzsituation verändert die Machtverhältnisse.

“Über den Durst” ausbilden Häufig hat der Öffentliche Dienst den Reflex, (nur) bedarfsorientiert auszubilden. Idealerweise lässt sich eine frei werdende Stelle zeitnah besetzen. Meine Lebenserfahrung ist jedoch eine andere. Allzu oft waren schwere Krankheiten und frühere Renteneintritte zu unverhofft und ein Auszubildender stand noch nicht bereit, um den Mitarbeiter zu ersetzen. Aus diesem Grunde hatte ich mit dem Gemeindeparlament vereinbart, auch “über den Durst” auszubilden. Teilweise musste der Nachwuchs eine Zeitlang “geparkt” werden, da noch keine Stelle frei wurde. Es ist absurd, guten Nachwuchs einerseits “ziehen zu lassen” und andererseits, wenn noch kein Auszubildender bereitsteht, im freien Markt nach unbekannten Bewerbern zu suchen.

Lust statt Last Als Arbeitgeber muss man bereit sein, seinen Nachwuchs auf “Herz und Nieren” zu prüfen. Nur die jungen Menschen, die fachlich und charakterlich ins Team passen, dürfen übernommen werden. Umgekehrt muss man für die Jugend auch ein attraktiver Arbeitgeber sein, um sie zu binden. Wichtig war zunächst die Rekrutierung und Fortbildung von Ausbildungsverantwortlichen im Gemein-

Zur Arbeitgeberattraktivität gehört auch die besondere Wertschätzung der Auszubildenden. Das fängt schon bei der Begrüßung an. Foto:BS/Svitlana, stock.adobe.com

deteam. Ausbildung muss eine Lust und keine Last für die ausbildungsverantwortlichen Mitarbeiter sein. Über die leistungsorientierte Bezahlung wurde das besondere Engagement dieser Kollegen belohnt.

Zu wenig Wertschätzung Als Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung habe ich (leider) oft vom Beamtennachwuchs erfahren, dass sie sich in der Praxiszeit ihrer Behörde nicht ausreichend wertgeschätzt und gefordert fühlen. Allzu oft bleibt es dem Zufall überlassen, ob der ausbildungsverantwortliche Mitarbeiter auch eine Empathie und Kompetenz für die Ausbildung hat. Heutzutage nehmen gerade diese Mitarbeiter eine nicht zu unterschätzende Visitenkartenfunktion der Ausbildungsbehörde wahr. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass viele Behörden zwar viel Geld in die Ausbildung investieren, es aber dem Zufall überlassen,

ob der eigene Nachwuchs sich mit der Ausbildungsbehörde identifiziert. Was hat die Gemeinde Blankenheim neben der besonderen Wertschätzung der Ausbildungsverantwortlichen noch getan, um ein attraktiver Arbeitgeber für den Nachwuchs zu sein? Spezielle Azubi-Projekte fördern die Identifikation mit dem Arbeitgeber und heben sich vom Arbeitsalltag ab. Beispielsweise haben die Auszubildenden einen Imagefilm gedreht. Dieser ist auf YouTube eingestellt und präsentiert die Gemeinde Blankenheim als attraktiven Arbeitgeber aus der Sicht des Nachwuchses. “#Kurzerklärt” ist ebenfalls ein Videoprojekt der Auszubildenden. Hier erklären diese dem Bürger Verfahrensprozesse in verständlicher Form. Ebenso sind die Azubis für die Erstellung des regelmäßigen internen Newsletters zuständig. Dieser hat die Aufgabe, die Kollegen über wichtige Neuigkeiten zu informieren. Denkbar ist auch

KOLUMNE

Kraftvoll Führen ist angesagt (BS) Im Wort “Führungskraft” steckt sie schon, die Aufforderung wie Erwartung aller in der Organisation, genau das zu tun – kraftvoll zu führen! Innerhalb der Organisation gilt es gegen alte Muster zu kämpfen und – wo notwendig – verkrustete Strukturen aufzubrechen. Das ist eine echte Mammutaufgabe. Denn es ist leicht, auf bekannten Pfaden zu wandeln, auch wenn diese einen Umweg bedeuten. Es ist unbequem und anstrengend, Strukturen infrage zu stellen und neue etablieren zu wollen. Seien sie auch noch so verkrustet, so geben sie doch eine “scheinheilige” Stabilität. Schlimmer noch - sie bringen

Behörden Spiegel / Januar 2021

Beate van Kempen, leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom. Foto BS/privat

die Organisation nicht voran. Doch was hat das mit Führung zu tun? Es gehört für mich zur

Werden Sie Teil unseres Teams! Wir, die Universitätsstadt Marburg, suchen Sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt als Leiter*in des Fachdienstes Bauaufsicht innerhalb des Fachbereiches „Planen, Bauen, Umwelt“ zur Besetzung einer unbefristeten Vollzeitstelle. Sie verfügen über einen erfolgreichen Abschluss (Master oder Diplom) an einer Technischen Hochschule / Universität in der Fachrichtung Architektur oder Bauingenieurwesen (möglichst Vertiefung Hochbau). Alternativ verfügen Sie über ein erfolgreich abgeschlossenes erstes und zweites juristisches Staatsexamen mit fundierten Kenntnissen im öffentlichen Baurecht, insbesondere im Bauordnungs- und Verwaltungsrecht. Interessiert? Informieren Sie sich auf www.marburg.de/stellenangebote. Wir freuen uns über Ihre Online-Bewerbung unter Angabe der Kennzahl 63.00.01 bis zum 18.01.2021. Magistrat der Universitätsstadt Marburg Personalservice, 35035 Marburg

organisatorischen Gestaltungsaufgabe, die in Führungsverantwortung steckt. Kompetenzen abgeben – also echtes Loslassen wie begleitetes Delegieren – gehört ebenfalls zum kraftvollen Führen. Es ist ein bewusster Akt; beide Seiten müssen ihn wahrhaftig annehmen und ausprägen. Die abgebende Seite beschreibt, übergibt und lässt der annehmenden Seite Raum zur Gestaltung. Und gibt dennoch Feedback und Halt wenn erforderlich. Eine schwierige Gratwanderung. Vorbildhaftes Handeln ist anerkannte Führungsaufgabe – Klartext zur eigenen Haltung zu adressieren, verstärkt die Effekte. Also nicht nur Handeln, sondern die eigene Haltung dahinter sichtbar und damit diskutierbar zu machen, ist mindestens genauso wichtig. Denn wir wirken mit allem, was und wie wir es tun oder nicht tun. Dazu gehört auch, dass wir keinen Einfluss darauf haben, wie das gesehen wird. Nutzen wir also die Chance, unsere Beweggründe offenzulegen. Auch, wenn wir uns damit angreifbar machen. Es prägt die Organisation aus und wirkt auf die Kultur ein. Kraftvolle Führung verlangt viel – also bewegen wir uns aus den Führungs-Komfort-Zonen heraus. Führen wir in alle Richtungen, auch wenn wir selbst an eigene Grenzen kommen. Denn die Zeit des reinen Verwaltens ist vorbei – Gestalten ist angesagt. Tun wir es kraftvoll und mutig.

dass ihre Kollegen in anderen Beschäftigungsbehörden nicht Rolf Hartmann war von 2004 so interessante bis Ende Oktober 2020 Bürgermeister der Gemeinde Erfahrungen geBlankenheim. Foto: BS/privat macht haben. Wir legten Wert auf eine anspruchsvolle, erlebnisreiche und die ständige Aktualisierung von interessante Ausbildungszeit für Vordrucken als dauerhaftes Azu- unseren Nachwuchs. Wir führten aber auch Beurteilungsstandards biprojekt. ein. Das ist sehr wichtig. Zu oft Kontakt mit dem höchsten werden Auszubildende übernomRepräsentanten men, obwohl eine Trennung aus Ein querschnittsübergreifender sachlichen Gründen selbst bei Einsatz des Behördennachwuch- guten Abschlusszeugnissen geses ist wichtig. So ist die Beglei- boten wäre. Dies geschieht vor tung eines Sitzungsturnus durch allem deshalb, weil es keine BeProtokollierung von Sitzungen urteilungsstandards gibt und etc. ein interessanter Ansatz, um häufig Gefälligkeitsbeurteilungen den Auszubildenden die gesamte gefertigt werden. Diese fehlerBandbreite der Aufgabenpalette hafte Übernahmeentscheidung näherzubringen. Auch ich als ist vermeidbar, weil man den Bürgermeister hatte stets direkten Nachwuchs ja im Gegensatz zu dienstlichen Kontakt mit den Azu- den Bewerbern auf dem freien bis. So bereiteten diese hin und Markt über einen langen Zeitwieder Repräsentationstermine raum gut kennen sollte. Ein häuvor und schrieben u. a. die Reden figes Beurteilungsphänomen ist oder sorgten sich um die Öffent- der “Heiligenscheineffekt”. Wie lichkeitsarbeit für den Termin. ein Heiligenschein überstrahlen Natürlich muss man als Bürger- einzelne als positiv oder negativ meister dabei etwas Mut zum Ri- wahrgenommene Merkmale das siko mitbringen. Eingriffe, die zu- Gesamtbild. Hier werden Einzelsätzliche Ressourcen binden, sind aspekte auf die Gesamtperson vorprogrammiert. Aber es lohnte verallgemeinert. Aus einzelnen sich: Denn es entstand durchaus Eigenschaften wird oftmals eieine natürliche Bindung zwischen ne Kette von Folgeeigenschaften Verwaltungsnachwuchs und dem zu einer Gesamtassoziation abhöchsten Repräsentanten der Ge- geleitet (beispielsweise werden meinde. Dies motiviert die jungen weniger attraktiven Menschen Menschen, vor allem dann, wenn auch gleich eher negative soziale sie im Quervergleich erfahren, Eigenschaften zugeschrieben und

umgekehrt). Auch der “Primäreffekt” ist gefährlich. Der erste Eindruck bildet sich bereits in wenigen Sekunden. Alle folgenden Wahrnehmungen und Informationen werden so gewertet, dass sie den ersten Eindruck nachhaltig stützen und ins bereits gemachte Bild passen. Es gilt also, vor allem die Beurteilungen zu objektivieren und Phänomene wie Heiligenschein- und Primäreffekte nicht entstehen zu lassen.

Tod für jede Identifikation Häufig bieten vor allem größere Beschäftigungsbehörden den eigenen Azubis die weniger interessanten Stellen im eigenen Hause an. Die attraktiven Positionen werden für externe Bewerber vorgehalten. Es ist keine gute Sitte, den Azubis die “Ladenhüter” des Hauses zu offerieren. Langfristig ist eine solche Kultur der Tod für jede Identifikation des Nachwuchses mit dem eigenen Arbeitgeber. Deshalb sind frühzeitige Übernahmegespräche mit den Auszubildenden geboten. Wir hatten und haben in Blankenheim mit dieser Strategie Erfolg. Durch die besondere Bindung zwischen den jungen Menschen und der eigenen Gemeinde bleiben diese trotz besserer Angebote von übergeordneten Behörden der Gemeinde treu; vor allem dann, wenn sie erkennen, dass sie sich persönlich weiterentwickeln können und wertgeschätzt werden. Werte wie Vertrauen, Loyalität und gegenseitige Achtung sind von ganz zentraler Bedeutung. In Blankenheim wird eigenständiges und eigenverantwortliches Arbeiten mit modernen Arbeitsmitteln großgeschrieben. Es ist wichtig, die jungen Menschen zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden und sie bei ihrer Entwicklung zu begleiten. Monetäre Anreize sind wichtig aber nicht entscheidend. Es ist eben wie im Profifußball: “Geld alleine schießt keine Tore”.

ZEHN GEBOTE FÜR KOMMUNEN Der öffentliche Sektor ist zu einem freien Markt geworden. Altes Denken ist da wenig hilfreich. Die Kommunen haben es inzwischen mit Kunden und nicht mehr mit Einwohnern zu tun. Es geht um Zielgruppen und Erlöse. Schrumpfen diese, hat das weitreichende Folgen – und das vor dem Hintergrund angespannter Haushalte, steigender Verwaltungsaufgaben und vo­ranschreitender Digitalisierung. Zehn Gebote liefern Lösungsansätze für Kommunen. Gebot 10: Wer nicht handelt, stirbt! Kommunen, die nicht wissen, wie sie aktiv handeln sollen, treten auf der Stelle. Reden allein verändert nichts! Ich habe daher ein paar Tools zusammengestellt, die dabei helfen, sich auf den neuen Weg zu machen. Die grundsätzlichen Fragen, die sich eine Stadt oder Gemeinde stellen muss, lauten: • W er bin ich? Für was stehe ich? Mit wem stehe ich zurzeit im Wettbewerb? • Was sind meine Stärken und was sind meine Schwächen? • W as ist meine Vision? Für was möchte ich künftig stehen? Wer wird dann mein Wettbewerber sein und wie setze ich mich von ihm ab? • Wie kann ich dieses Ziel auf Basis der Analyse von Stärken und Schwächen erreichen? Was muss ich verändern? Was sind in welchem Zeitrahmen meine Etappenziele? • Wer unterstützt mich auf diesem Weg? Natürlich spielt auch die interne Situation bei der geplanten Neuausrichtung eine Rolle. Auch hier empfiehlt sich eine Analyse. So lässt sich die Stimmung

Erfolgschancen sind größer. Sie überwinden dieses Hindernis, indem Sie einfach mit einem der fünf Punkte anfangen, zum Beispiel erste Gespräche führen. Es ist eigentlich gleich, mit welchem Punkt Sie aus der Formel “fünf Wege zum Machen” beginnen. Sie kommen automatisch ins Handeln, wenn Sie alle Schritte abarbeiten. Mir ist bewusst, dass aller Anfang schwer ist – gerade, wenn es sich um festgefahrene Strukturen und Denkmuster handelt. Es fällt Dominic Multerer ist Marketingexperte und leichter, wenn man sich dazu Gründer des Instituts für Wachstumschancen einen “Coach” oder einen und Innovation (IWCI). Foto: BS/privat Berater von außen dazuholt, der einen durch die diversen Prozesse führt, für abbilden, nicht nur die der Mitklare Vorgaben sorgt und auch arbeiter, sondern auch Ihre eigeauf die Umsetzung achtet. Gern ne. Das kann anonym erfolgen, gehe ich mit Ihnen diesen Weg. umso ehrlicher ist das Bild, das Entscheidend ist, dass Sie mit Ihrer Sie erhalten. Die Ergebnisse, die Kommune überhaupt einen neuen Weg gehen wollen. Aber bedenSie durch die Auswertung erhalken Sie: Die Zeit wartet nicht auf ten, können ins gesamte MarkeSie und schreitet voran wie die ting, aber auch speziell in das vielen Veränderungen, an deren Personalmarketing einfließen. Einer der Stolpersteine, an deAnfang wir erst stehen. Ich bin mir nen alles oft scheitert, ist es, ins sicher: Kommt erst die Künstliche Handeln zu kommen. Zwar gibt Intelligenz (KI) voll zum Einsatz, wird es erneut einen Schub geben. zahlreiche Meetings, in denen alles Wer spätestens dann nicht hanMögliche besprochen wird, aber delt – stirbt! So brutal es klingt, dabei bleibt es dann meistens. aber Anzeichen gibt es genug. “Man müsste mal …”, heißt es oft: Haben Sie Mut und machen “Man müsste mal eine Analyse machen”, „man müsste mal die ErSie Ihre Kommune fit für den gebnisse bewerten“, “man müsste Wettbewerb – durch markt- und mal daraus eine Vision entwickeln” kundenorientiertes Denken. und “man müsste dazu mal eine Mehr zu den zehn Geboten für Arbeitsgruppe initiieren”. In meiKommunen, mit denen Städte nem Buch „Man müsste mal – so und Gemeinden die Zukunft als kommen Sie ins Handeln“ habe Chance nutzen können, unter ich diese Thematik ausführlich bewww.fuehrungskraefte-forum. schrieben. Auch mit kleinen Schritten erreicht man das Ziel, und die de, Suchwort “10 Gebote”.


Kommunale Infrasruktur

Behörden Spiegel / Januar 2021

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ie Kommunen stehen bei der Bewältigung der Pandemie in der vordersten Reihe und spüren schnell die finanziellen Auswirkungen. Die vielfältigen Dienstleistungen und Angebote –, wie soziale Infrastruktur, Bildung, ÖPNV und vieles mehr – die die Kommunen für ihre Bürger erbringen, müssen jedoch weiter finanziert werden. Daneben sind die Kommunen aber auch große öffentliche Auftraggeber. Wenn Investitionen aus Finanznot heraus eingeschränkt oder sogar zurückgezogen werden, wären in der jetzigen wirtschaftlichen Situation noch deutlich größere negative Folgeeffekte zu befürchten. Nordrhein-Westfalen hat deshalb ein Gesetz beschlossen, dass es Kommunen erlaubt, die Corona-Lasten aus ihren Haushalten zu isolieren. “Wir haben die mutige Entscheidung getroffen, zu sagen, dass wir die coronabedingten Schäden in den Haushalten isolieren. Damit schützen wir die Bürgerinnen und Bürger sowie die kommunale Selbstverwaltung im weiteren Verlauf des Jahres 2021 vor einschneidenden Maßnahmen – Stichworte: Steuererhöhungen, Grundsteuer B, Gewerbesteuer sowie weitere Einsparungen bei freiwilligen Aufgaben; ob es Bibliotheken, Schwimmbäder oder andere schwierige Entscheidungen wären, die anstehen würden. Wir

Covid-Isolierungsgesetz für NRW-Kommunen Luftbuchungen statt wirklicher Hilfe? (BS/lkm) Damit Nordrhein-Westfalens Kommunen nicht in ihrer Schuldenlast ersticken, hat das Land Ende letzten Jahres das sogenannte CovidIsolierungsgesetz auf den Weg gebracht. Die coronabedingten Lasten dürfen damit in die Zukunft geschoben werden. Ab 2025 sollen die Kommunen die Schulden dann über 50 Jahre gestreckt abtragen. Bei den Kommunen kommt das Gesetz in weiten Teilen gut an, jedoch sei es kein Ersatz für echte finanzielle Hilfen, die dringend benötigt werden.

Bilanzhilfe ersetzt nicht finanzielle Hilfe

Mit dem Covid-19-Isolierungs-Gesetz will die Landesregierung sicherstellen, dass es – trotz Corona – weit überwiegend formal genehmigungsfähige Kommunalhaushalte in NRW gibt und die kommunale Ebene handlungsfähig bleibt. Foto: BS/Gerd Altmann/pixabay.com

wollen die kommunale Selbstverwaltung erhalten und stärken”, so NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach. Mit dem “NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz” (NKF-CIG) sollen die pandemiebedingten Finanzschäden in den Haushalten der Städte

Keine Grundsteuer C in Bayern “Kriegserklärung an die Gemeinden” (BS/lkm) Ab 2025 wird im Freistaat Bayern für die Grundsteuer das sogenannte Flächenmodell genutzt. Bayerns Finanzminister Albert Füracker bezeichnete die Steuer als “bayerische Einfach-Grundsteuer”, mit der der Freistaat auf eine “wertunabhängige, transparente und unbürokratische Grundsteuer” setze. “Mit unserem Modell sorgen wir für Klarheit und Planungssicherheit bei allen Beteiligten”, so Füracker. Die bayerischen Kommunalverbände zeigten sich jedoch höchst unzufrieden mit der Entscheidung des Landes, keine Grundsteuer C einzuführen. 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Grundsteuer wegen veralteter Grundstückswerte nicht mehr verfassungsgemäß sei. Der Bund hat daher im November 2019 seinen Entwurf für eine Grundsteuerreform verabschiedet. Gemäß diesem Modell soll die Grundsteuer nach dem Wert des Grundstücks bemessen werden. Die Länder können jedoch von diesem Modell abweichen. Laut Füracker sei das Bundesmodell “unnötig bürokratisch” und erfordere alle sieben Jahre die Neubewertung sämtlicher Immobilien. “Mit steigenden Preisen steigen so automatisch die Steuern. Der Freistaat geht den fairen und unbürokratischen Weg ohne eine solche Belastungsdynamik”, so Füracker. Beim bayerischen Modell werden die Flächen mit wertunabhängigen Äquivalenzzahlen angesetzt. Daneben sei u. a. für Gebäude mit sozialem Wohnungsbau und Denkmäler ein zusätzlicher Abschlag vorgesehen. Die Bemessungsgrundlage werde einmalig zum Stichtag 1. Januar 2022 festgestellt und müsse nur angepasst werden, wenn sich die Flächen- oder die Gebäudenutzung ändere. Auf die so ermittelte Bemessungsgrundlage wenden die Gemeinden ihren Hebesatz an.

Enttäuscht und verärgert Bayerns Gemeinden und Städte zeigten sich enttäuscht und verärgert über die Ankündigung der Bayerischen Staatsregierung, dass die von ihnen seit Jahren geforderte und von der Politik zugesagte Einführung einer Grundsteuer C (sog. “Baulandsteuer”) nicht kommen soll. Gemeindetagspräsident Dr. Uwe Brandl: “Das empfinden wir als Kriegserklärung an Bayerns Gemeinden und Städte. Allen Bemühungen der Kommunen, baureife brachliegende Grundstücke im Innenbereich der Ge-

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meinden für den Wohnungsbau nutzbar zu machen, werden damit zunichtegemacht. Neben anderen baurechtlichen Instrumentarien würde eine Grundsteuer C dem Spekulantentum der Grundstückseigentümer, die auf Wertsteigerungen setzen, entgegenwirken. Das kann nun nicht geschehen. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Gemeinde- und Stadträte, die auf die politischen Zusagen vertraut haben.” “Leider hat die Staatsregierung aufgrund des Widerstands der Freien Wähler mit ihrem Entwurf für ein bayerisches Grundsteuergesetz versäumt, mit einer Grundsteuer C ein Instrument zur Mobilisierung von Flächen zu schaffen. Das ist eine verpasste Chance. Die Grundsteuer C hätte auch in Bayern einen Ansatz schaffen können, um Flächen für den Wohnungsbau zu mobilisieren. Somit könnten baureife Grundstücke, solange sie nicht bebaut sind, mit einem eigenen Hebesatz belegt werden”, kritisiert auch der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr, das bayerische Grundsteuergesetz. “Vielfach berichten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Grundeigentümern, die trotz bestehendem Baurecht ungenutzte Baugrundstücke in Orts­zentren bevorraten, ohne konkret eine Bebauung zu planen. Eine Grundsteuer C kann als Steuerungsinstrument wirken, damit Eigentümer motiviert werden, ungenutzte Grundstücke mit Wohnungen zu bebauen oder an Bauinteressenten zu verkaufen”, betont Pannermayr weiter. Mit der Grundsteuer C sollen Gemeinden die Möglichkeit erhalten, für unbebaute, baureife Grundstücke einen erhöhten Hebesatz festzulegen. Diese Grundsteuer soll helfen, Wohnraumbedarf künftig schneller zu decken.

und Gemeinden isoliert und im Jahresabschluss über ein außerordentliches Ergebnis in einem gesonderten Posten vor dem Aktivvermögen aktiviert werden. Die Kosten der Covid-19-Pandemie sollen über 50 Jahre über die Ergebnisrechnung der Kommune abgeschrieben werden, beginnend im Jahr 2025. “Die Kommunalaufsicht hat gelernt: In der Finanzmarktkrise verweigerte sie fast flächendeckend die Genehmigung von Haushaltsplanungen, obwohl auch diese Krise in keiner Weise von der kommunalen Ebene verursacht war – nunmehr soll die Sicherung der kommunalen Handlungsfähigkeit höchste Priorität besitzen”, lobt Bochums ehemaliger Stadtkämmerer Dr. Manfred Busch das Vorgehen der Landesregierung.

gemeinsamen Stellungnahme. Zusätzliche Hilfen durch Land und Bund seien unerlässlich. Die Kommunen verbinden deshalb mit dem Gesetz die Hoffnung, dass das Land die gewonnenen Informationen nutzen wird, um sich mit eigenen Mitteln an der Abschreibung in erheblichem Umfang zu beteiligen. Auch Bochums Stadtkämmerin Dr. Eva Maria Hubbert, mahnt eine Überlastung der NRW-Kommunen an: “Die Aktivierung und Finanzierung über langfristige Kredite führt zu einer erheblichen Neuverschuldung bei den Kommunen, die die kommunalen Haushalte langfristig belasten. Gerade im Zuge der aktuellen Altschuldendiskussion muss bei dieser buchhalterischen Lösung bedacht werden, dass die Alimentierung der corona-bedingten finanziellen Lasten durch Kredite ein erneuter Rückschritt für die hochverschuldeten Städte des Ruhrgebiets ist.” Die Handlungsfähigkeit der sich gerade – wie Bochum – auf einem erfolgreichen Konsolidierungsprozess befindlichen Kommunen müsse gewährleistet bleiben. Ein Großteil der finanziellen Lasten aus der Pandemie müsse deshalb von Land und Bund getragen werden, so Hubbert weiter.

Für Bonn rechnet Stadtkämmerin Margarete Heidler in diesem Jahr mit Corona-Schäden von etwa 50 Millionen Euro und für das Jahr 2022 mit rund 40 Millionen Euro. “Hier wird angenommen, dass die Belastungen in den jeweiligen Jahren nicht voll aufwandswirksam werden, sondern über 50 Jahre abgeschrieben werden können. Dies bedeutet, dass der Bonner Haushalt und damit die Bonner Bürgerinnen und Bürger diese Belastung über die nächsten Jahrzehnte zu tragen haben”, so Heidler. Damit dies vermieden werde, seien durch den Bund und die Länder weitere Entlastungen zwingend notwendig, mahnt die Kämmerin. Ähnlich sehen es auch die kommunalen Spitzenverbände des Landes. Sie bewerten das Gesetz “grundsätzlich positiv”, da so ein “Abrutschen” in die Haushaltssicherung vermieden werden könne. Eine Bilanzhilfe allein ersetze jedoch nicht die dringend benötigte finanzielle Unterstützung der Gemeinden und Gemeindeverbände. “Die Kommunen können die Lasten der Pandemie auch dann nicht allein tragen, wenn haushaltsrechtliche Folgewirkungen durch bilanzielle Maßnahmen vermieden werden. Darüber hinaus wird die haushaltsmäßige Belastung von den nächsten Generationen von Steuerzahlern zu tragen sein”, erklärten Landkreistag, Städtetag sowie der Städte- und Gemeindebund in einer

Altschulden bleiben weiterhin ein Problem Neben der Kritik an den fehlenden Finanzmitteln fordern viele Kämmerer auch eine Lösung des kommunalen Altschulden­ problems. Die Isolierung der

Schulden sei nur eine Hilfe, den Haushalt auf dem Papier auszugleichen, kritisiert auch Thomas Göddertz, Landtagsabgeordneter der SPD. “Die Kommunen haben dadurch aber keinen Cent mehr auf dem Konto.” Laut Göddertz liefert das Covid-Isolierungsgesetz keine Antwort auf die Altschuldenproblematik. “Andere Bundesländer sind das Problem bereits angegangen”, so Göddertz. Die NRW-Landesregierung lasse die wichtigsten Fragen der Städte unbeantwortet. “Sie geben den Städten und Kommunen nur die Möglichkeit, die Corona-Schäden in der Bilanz zu isolieren. Das Problem der Kassenkredite wird dadurch flächendeckend noch größer”, mahnt der Landtagsabgeordnete. Henning Höne, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion NRW, hält dagegen, dass es beim CovidIsolierungsgesetz um die dringliche und kurzfristige Bekämpfung der Corona-Pandemiefolgen gehe. “Die Lösung der Altschuldenproblematik ist nicht unwichtig, aber in der aktuellen Situation weniger dringlich als die unmittelbare Corona-Pandemiebekämpfung”, so Höne. In der Diskussion zum Isolierungsgesetz beanstandete Scharrenbach, dass die Kritiker des Gesetzes keine Alternativen vorlegen würden. “Sie haben mir bis heute keinen alternativen Vorschlag vorgelegt”, so die Ministerin. Dies liege, so die Ministerin, daran, dass die Alternativen einzig Nothaushalte, Haushaltssicherungskonzepte, Steuererhöhungen und Einsparungen sein könnten. Die Aussage der Ministerin verwundert. In vielen der Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf werden die Sachverständigen nicht müde ,dort auch gleich mehrmals eine Alternative vorzuschlagen. Nämlich weitere finanzielle Hilfen von Bund und Land.

Siedlungsstruktur

Einfluss auf den Finanzbedarf der Landkreise von Dr. Ulrich Keilmann Siedlungsindex L der Überörtlichen Prüfung in Hessen

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­ schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Bundesweit gleicht keine Gemeinde einer anderen. Fallzahl und Verteilung der Ortsteile, Gemarkungsfläche, Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte sind einige der wichtigsten Parameter, in denen sich die Kommunen unterscheiden. Darum wurden sie im Siedlungsindex der Überörtlichen Prüfung berücksichtigt. Hierdurch konnte in Hessen erstmals der Einfluss der Siedlungsstruktur auf die konkreten Finanzbedarfe von Städten und Gemeinden bestimmt werden (s. dazu Behörden Spiegel, April 2019, S. 19). Heterogenität macht nicht an Gemeindegrenzen halt. Auch einzelne Regionen bzw. Land-

Ausdehnung Kreisgebiet

Urbane Durchdringung

Ausnutzungsdichte

EntfernungKreisverwaltungIndex (EKI) S1

Siedlungs- und Verkehrsfläche

Einwohner und Arbeitsplätze

S2

S3

Siedlungsindex L SL = 1/3*S1+1/3*S2+1/3*S3 mit Sn = {0…1} Grafik: BS/Kommunalbericht 2020, S. 49

kreise unterscheiden sich zuweilen erheblich voneinander. Aus diesem Grund wurden analog zur Siedlungsstruktur G für die Städte und Gemeinden die definierten Indikatoren konsequent weiterentwickelt und methodisch dem Untersuchungsbereich der Landkreise zum Siedlungsindex L angepasst. Da heterogene Siedlungsstrukturen sich nicht monokausal erfassen lassen, umfasst auch der Siedlungsindex L mehrere Indikatoren: • A usdehnung Kreisgebiet Misst die nach Einwohnern gewichtete mittlere Distanz (aller Ortsteile) der kreisan-

gehörigen Gemeinden zum Hauptsitz der Kreisverwaltung (Entfernung-KreisverwaltungIndex [EKI]). • Urbane Durchdringung Misst den Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche des Landkreises. • Ausnutzungsdichte Misst mittels der Einwohner- und Arbeitsplatzdichte, wie intensiv die Siedlungsfläche eines Landkreises genutzt wird. Alle drei Indikatoren wurden auf den Bereich [0 … 1] normiert und gehen jeweils zu einem Drittel in das Gesamtmaß für den Siedlungsindex L ein. Das Ziel

des Siedlungsindex L besteht in einer Konzentration der Informationen zur Siedlungsstruktur in einer einzelnen Maßzahl. Darauf aufbauend sind weiterführende ökonometrische Berechnungen mit den kommunalen Haushaltsdaten und amtlichen Statistiken möglich. Der Siedlungsindex L wird heute schon als ein Parameter zur Beurteilung der räumlichen Ausprägung hessischer Landkreise genutzt. Mit einer vergleichenden Prüfung eines Drittels aller hessischen Landkreise soll die noch offene Frage nach der statistischen Relevanz der Siedlungsstruktur auf die Haushaltsstabilität und die Wirtschaftlichkeit einzelner Aufgabenbereiche untersucht und verprobt werden. Lesen Sie mehr zum Thema “Siedlungsindex der Landkreise” im Kommunalbericht 2020, Hessischer Landtag, Drucksache 20/3456 vom 25. September 2020, S. 48 ff. Zum “Siedlungsindex der Städte und Gemeinden” vgl. Kommunalbericht 2018, Hessischer Landtag, Drucksache 19/6812 vom 13. Dezember 2018, S. 78 ff. Beide vollständigen Kommunalberichte sind kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.


Kommunale Infrastruktur

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Amtshaftung droht …

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enn behördliche Behinderungen des zügigen Breitbandausbaus können eine Amtshaftung begründen (§ 839 BGB), wenn die gegenüber den TKU drittschützende Amtspflicht zur Erteilung einer Zustimmung zur Wegenutzung entgegen den Beschleunigungs- und Vereinfachungsgeboten schuldhaft verletzt wird. So verpflichtet der Europäische Kodex für die elektronische Kommunikation (Art. 43 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2018/1972) die Mitgliedsstaaten zu “einfachen, effizienten und transparenten” Verfahrensregelungen, welche von den zuständigen Behörden “nicht diskriminierend und unverzüglich angewendet werden”, sodass “innerhalb von sechs Monaten nach der Antragstellung” über die Wegenutzung entschieden wird. Eine Konkretisierung des Beschleunigungsgebots sieht zudem die Richtlinie (EU) 2014/61 zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen vor. Nach Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie ist sicherzustellen, dass die Behörden über die erforderlichen Genehmigungen “innerhalb von vier Monaten nach Eingang eines vollständigen Antrags” entscheiden. Der deutsche Gesetzgeber hat die unionsrechtlichen Beschleunigungs- und Vereinfachungsgebote durch die Fiktionsregel in § 68 Abs. 3 S. 2 TKG umgesetzt, wonach die Zustimmung nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab Eingang des vollständigen Antrags als erteilt gilt.

Versagung der ­Wegenutzungszustimmung Behinderungen von Behördenseite können zudem eine Amtshaftung begründen, wenn die Wegenutzungszustimmung trotz

… bei behördlich verschuldeten Behinderungen des zügigen Breitbandausbaus (BS/Prof. Dr. Christian Koenig) Ein zügiger Ausbau der Breitbandinfrastrukturen ist sowohl durch nationale als auch durch europäische Rechtsvorschriften aufgegeben. Das Grundgesetz räumt in Art. 87f Abs. 2 privatwirtschaftlichen Dienstleistungen und den hierzu erforderlichen Investitionen den Vorrang ein. EU-Richtlinien und das deutsche Telekommunikationsgesetz (TKG) flankieren die Ausbauanreize durch Beschleunigungs- und Vereinfachungsgebote in den Genehmigungsverfahren. Zu Komplikationen kommt es, wenn eine Gemeinde als Straßenbaulastträger die Zustimmung zur Wegenutzung zum Breitbandausbau (§ 68 Abs. 2 TKG) entgegen diesen Beschleunigungs- und Vereinfachungsgeboten behindert oder verzögert. Dies ist zuweilen in Fällen zu beobachten, in denen ein kommunales Unternehmen selbst mit öffentlichen Mitteln in den Breitbandausbau investiert. Die ausbauwilligen Telekommunikationsunternehmen (TKU) erleiden dann wirtschaftliche Nachteile in Form von Verzögerungs- und Überholungsschäden. Daraus folgen staatshaftungsrechtliche Fragen. Erfüllung der Voraussetzungen nach § 68 Abs. 2 TKG versagt oder erheblich verzögert wird, obwohl die Behörde dem Antrag des TKU auf Wegenutzung aufgrund der gesetzlich gebundenen Entscheidungsnatur stattzugeben verpflichtet ist.

manche Behörden jedoch durch rechtlich nicht gebotene Einreichungsobliegenheiten und stellen sich dann auf den Standpunkt, der Antrag sei nicht vollständig. Dies steht im Widerspruch zu den Beschleunigungs- und Vereinfachungsgeboten, reduziert Ausbauanreize und stellt damit einen Verstoß gegen die Amtspflicht Prof. Dr. iur. Christian Koenig ist Direktor am Zentrum für zur gesetzlich Europäische Integrationsbeschleunigten forschung (ZEI) und Mitglied Erteilung einer der Rechts- und StaatswisZustimmung zur senschaftlichen Fakultät der Wegenutzung Universität Bonn. dar. Die RechtsFoto: BS/privat widrigkeit solcher behördlichen Verzögerungsmaßnahmen zeigen Der Versagung gleichzustellen vor allem die regelmäßig erfolgist zudem eine erhebliche Verzö- reichen verwaltungsgerichtlichen gerung des Genehmigungsverfah- Klagen der ausbauwilligen TKU. rens, etwa wenn sich die Behörde trotz mehrmaliger Kontaktauf- Kostentreibende ­Nebenbestimmungen nahmen seitens des ausbauwilligen TKU schlichtweg nicht Eine Amtshaftung kann ebenso zurückmeldet oder auf interne bestehen, wenn die WegenutzungsAbstimmungsprozesse verweist, zustimmung mit kostentreibenden die teilweise mehrere Monate Nebenbestimmungen erlassen andauern sollen. Das Gesetz ent- wird, die den Breitbandausbau hält für solche Fälle eigentlich verzögern und behindern. Manche die Fiktionsregel (§ 68 Abs. 3 Nebenbestimmungen reichen von S. 2 TKG). Den Eintritt dieser ungerechtfertigten Auflagen vor Zustimmungsfiktion verhindern Durchführung der Maßnahme

Brandenburgs Giganetz wächst weiter Michendorf und Potsdam-Mittelmark mit 2,5 Gbit/s (BS/Judith Lenz*) Über 1.000 Kilometer Glasfaserkabel “Made in Brandenburg” werden demnächst in der Gemeinde Michendorf in Potsdam-Mittelmark verlegt sein. Dann können die knapp 6.000 Haushalte die schnellen DNS:NET-Glasfaserverbindungen vom größten alternativen Breitbandversorger in Brandenburg nutzen. Im Dezember 2020 fand im Michendorfer Gemeindezentrum die Unterzeichnung des Kooperationsvertrages zwischen der Gemeinde Michendorf und der DNS:NET statt. Bürgermeisterin Claudia Nowka (Bündnis für Michendorf), Stefan Holighaus (Geschäftsleitung DNS:NET) und Hardy Heine (Ansprechpartner für den bundesweiten kommunalen Glasfaserausbau) legten damit den Grundstein für die gezielte Infrastrukturentwicklung auf dem Weg zur Giganetzregion mit Datenraten von bis zu 2,5 Gbit/s. Claudia Nowka (Bündnis für Michendorf), Bürgermeisterin der Gemeinde Michendorf, sieht die Gemeinde mit der Unterzeichnung des DNS:NET-Kooperationsvertrages für die Herausforderungen der Daseinsvorsorge bestens aufgestellt und stellt fest: “Die Michendorferinnen und Michendorfer haben bei der Erstellung des Leitbildes im Jahr 2018 als maßgeblichen und zukunftsweisenden Wert erfasst, dass es in vielen Ortsteilen der Gemeinde nur ein langsames oder fehlendes Internet gibt und dies ein Entwicklungshemmnis für die Gemeinde Michendorf ist. Als Bürgermeisterin liegen mir die Bedürfnisse unserer Einwohnerinnen und Einwohner sowie die Investitionssicherheit für unsere Gemeinde und die damit einhergehende Daseinsvorsorge am Herzen. Daher setze ich mich für einen zukunftsfähigen und schnellen Zugang zum Internet ein. Vorausblickend stufe ich den Breitbandnetzbau mit Glasfaser als innovativ ein und sehe den Ausbau unserer Datenautobahnen als Grundstein für viele Entwicklungen an. Der Ausbau soll der Standortsicherung des Wirtschaftszweiges dienen und gleichzeitig Innovationsmotor sein. Ich sehe darin aber auch einen Schlüssel für Chancengleichheit. Es muss allen Michendorferinnen und Michendorfern möglich werden, von zu Hause aus am Homeoffice, am

Behörden Spiegel / Januar 2021

Homeschooling oder an der digitalen Gremienarbeit teilhaben zu können. Michendorf soll als Standort zum Arbeiten und vor allem auch zum Leben durch diese Innovation an Qualität dazugewinnen. Mit DNS.NET hat die Gemeinde Michendorf einen Partner an ihrer Seite, der die regionalen Besonderheiten kennt, Erfahrungen sammeln und durch stetige Verbesserungen bereits viele positive Ergebnisse erreichen konnte. Es ist ein mittelständisches Telekommunikationsunternehmen aus der Region. Um eine gute Internetverbindung mit hohen Downloadgeschwindigkeiten zu erreichen, müssen Glasfaserleitungen verlegt werden. Ziel ist es, das alle Haushalte in allen Ortsteilen unserer Gemeinde, die Glasfaser nutzen wollen, – an das Netz angebunden werden.” Stefan Holighaus verwies auf die Verbundenheit der DNS:NET mit und in der Region: “Wir investieren hier als Brandenburger Unternehmen gezielt eigenwirtschaftlich in den FTTH-Ausbau in Potsdam-Mittelmark und insbesondere für Michendorf. Wie in vielen anderen Regionen werden die angebundenen Haushalte verlässlich hohe Datenraten von bis zu 2.500 Mbit/s bekommen, das ist selbst in vielen Metropolen für viele Einwohner immer noch Zukunftsmusik. Mit der direkten Planung, Baubetreuung und Anbindung an unsere

eigene Glasfasernetzstruktur mit dem Brandenburger Gigabitring und Hochsicherheitsrechenzentren stellen wir nicht nur kurze Bauzeiten und die Anbindung innerhalb eines ­Jahres sicher, sondern schaffen mit der Gigabitgeschwindigkeit für die Region Potsdam-Mittelmark einen beträchtlichen Vorsprung gegenüber anderen Gemeinden und Städten.” Hardy Heine, Repräsentant und Ansprechpartner für die Kommunen beim Glasfaserausbau, ergänzt: “Hier in Michendorf wird deutlich: Der Glasfaserausbau ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, bei der Verwaltung, Politik und Wirtschaft in einem Boote gemeinsam navigieren. Wenn der Kurs klar ist, dann kommen alle gemeinsam schnell ans Ziel. Ich freue mich sehr, dass engagierte Bürgermeister und kommunale Akteure in Brandenburg und den unterschiedlichsten Regionen in Deutschland weitsichtig und verbindlich agieren, damit ein Glasfaserausbau mit FTTH (Glasfaser bis ins Haus) kein Flickenteppich wird. Die Versorgung mit Glasfaserinternet darf nicht bei der Zwei-Klassen-Versorgung enden. Wenn wir vom Glasfaserausbau reden, dann ist damit immer “Glasfaser für alle” gemeint.” *Judith Lenz arbeitet im Bereich Kultur, Tourismus und Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde Michendorf.

(z. B. dem Erfordernis einer Beweissicherung der Oberfläche) über nicht erforderliche kostentreibende Anforderungen an die Durchführung der Bauarbeiten bis hin zur Aufstellung weiterer Genehmigungserfordernisse (z. B. Sondernutzungsgenehmigungen und Aufgrabegenehmigungen). Solche Nebenbestimmungen werden teilweise aktiv als Behinderungstaktik eingesetzt, indem TKU auf unverbindliche Spartenanfragen und Leitungsauskunftsverlangen einen nicht beantragen Zustimmungsbescheid erhalten, der mit entsprechenden Nebenbestimmungen versehen ist. Aufgrund der gebundenen Entscheidungsnatur darf die Wegenutzungszustimmung mit Nebenbestimmungen nur versehen werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist (§ 36 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes). Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Nebenbestimmungen (§ 68 Abs. 3 Sätze 8 und 9 TKG) ist stets im Lichte der (EU-rechtlichen) Beschleunigungs- und Vereinfachungsgebote auszulegen. Nebenbestimmungen sind also nur insoweit zulässig, wie sie den zügigen Breitbandausbau nicht verzögern oder behindern. Dysfunktionale Nebenbestim-

mungen, die den Breitbandausbau unwirtschaftlich erscheinen lassen und damit die Ausbauanreize erheblich mindern, liegen außerhalb der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Hinzu kommt, dass die Nebenbestimmungen häufig bereits aufgrund eines Verstoßes gegen die Vorschriften des TKG rechtswidrig sind.

Versagung baurechtlicher ­Genehmigungen Eine Amtshaftung der Behörden kommt auch dann in Betracht, wenn baurechtliche Genehmigungen rechtswidrig versagt werden, die für eine Verwirklichung des Breitbandausbaus zwingend erforderlich sind. Hier stehen vor allem sanierungsrechtliche Genehmigungsverfahren sowie erhaltungsrechtliche Genehmigungsverfahren (§§ 144, 145 bzw. § 172 des Baugesetzbuches) im Mittelpunkt. Wenn diese bauplanungsrechtlichen Genehmigungsverfahren in­ strumentalisiert werden, um den zügigen Breitbandausbau zu behindern, kann dies eine Amtspflichtverletzung begründen. Die Beschleunigungs- und Vereinfachungsgebote müssen in solchen Fällen auch auf die flankierenden bauplanungsrechtlichen Geneh-

migungsverfahren Anwendung finden, um eine praktische Wirksamkeit der EU-rechtlichen Vorgaben zu gewährleisten. Ansonsten ließen sich diese Vorgaben unterlaufen. Eine zügig zu erteilende Wegenutzungszustimmung wird nämlich faktisch entwertet, wenn die zusätzlich erforderlichen bauplanungsrechtlichen Genehmigungen nur verzögert erteilt werden. Eine Eigenhaftung des Beamten droht, wenn der Beamte zumindest grob fahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt hat. Die Eigenhaftung droht nach beamtenrechtlichen Grundsätzen (§ 48 des Beamtenstatusgesetzes) im Falle eines Außerachtlassens der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in einem besonders schweren Maße. Davon umfasst ist insbesondere das Unterlassen von sich aufdrängenden Überlegungen, die das Gesetz offensichtlich nahelegt. Auch unvertretbare Rechtsanwendungsfehler können eine grobe Fahrlässigkeit begründen. Bei der Bearbeitung des Antrages auf Wegenutzung ist die Berücksichtigung der Beschleunigungs- und Vereinfachungsgebote nicht nur naheliegend, sondern insbesondere mit Blick auf die Regel der Zustimmungsfiktion (§ 68 Abs. 3 S. 2 TKG) zwingend erforderlich. Zudem ist die Auffassung des Beamten, der ohne ersichtliche Versagungsgründe eine gebundene Zustimmungsentscheidung unterlässt, behindert oder verzögert, offensichtlich unvertretbar. Entsprechendes gilt für zusätzliche Einreichungsobliegenheiten ohne rechtliche Grundlage oder dem zügigen Breitbandausbau offensichtlich zuwiderlaufende Nebenbestimmungen, welche die Ausbauanreize zunichtemachen.

Weitere 42,8 Millionen für Breitband Land BaWü treibt Ausbau voran (BS/wim) Der baden-württembergische Digitalisierungsminister Thomas Strobl hat in dieser Woche erneut Breitbandförderbescheide übergeben, dieses Mal im Wert von über 42,8 Millionen Euro. Gefördert werden 28 Breitbandprojekte in zwölf Landkreisen. Damit wurden im Jahr 2020 durch das Land insgesamt 427,5 Millionen Euro Fördermittel bewilligt. “2020 war ein Turbo-Ausbaujahr für unsere Kommunen. Im Jahr 2020 wurden 427,5 Millionen Euro Fördermittel bewilligt. Das sind annährend so viele Mittel wie in den vier Jahren zuvor zusammengenommen. Wir haben in diesem Jahr 488 Breitbandprojekte gefördert. Auf diese Bilanz können wir stolz sein. Wir sorgen mit unserer Förderung dafür, dass möglichst schnell das beste Internet zu allen Menschen im ganzen Land gebracht werden kann”, erklärte Strobl anlässlich der Übergabe der Förderbescheide.

In der Übergaberunde wurden 28 Breitbandprojekte in zwölf Landkreisen mit insgesamt 42,8 Millionen Euro gefördert. Weiterhin hoch ist der Anteil der Mittel, mit dem Baden-Württemberg das Breitbandförderprogramm des Bundes kofinanziert. Durch die Kombination der beiden Programme können die Kommunen eine Zuschussquote von 90 Prozent der förderfähigen Kosten erreichen. 20 der neu geförderten Projekte profitieren aktuell von dieser Möglichkeit in Höhe von insgesamt 38,4 Millionen Euro. Der größte Zuwendungsempfän-

ger im Dezember ist der Zweckverband Breitband Landkreis Schwäbisch Hall. Mit der LandesKofinanzierung zur Bundesförderung erhält der Zweckverband sechs Zuwendungsbescheide mit einem Gesamtfördervolumen in Höhe von 20,38 Millionen Euro. Die Gemeinde Uttenweiler im Landkreis Biberach erhält drei Zuwendungsbescheide in Höhe von 2,17 Mio. Euro. Mit dem Geld will die Gemeinde sämtliche weiße Flecken auf dem Gemarkungsgebiet beseitigen und zusätzlich 32 Gewerbebetriebe an das Glasfasernetz anschließen.

Moderne ökologische Feldwege-Sanierung Eigens entwickelte Technik schont die Umwelt (BS/Andreas Heller*) Bei der biodiversitätsschonenden Sanierung von Feldwegen lassen sich bis zu 40 Prozent Materialeinsparung ohne Abgräden des Mittelkamms und der Bankette erzielen. Dank eines neuen Verfahrens. Der Grünbewuchs von Feldwegen ist essenziell für die Insekten, Kleinstlebewesen und nicht zuletzt zur Wasseraufnahme. Mit der Sanierung durch das Landschaftsbauunternehmen Heller bleibt diese Bedeutung erhalten. Zugleich gibt es keine Probleme zu Grundstücksanschlüssen, die nicht zu steil auf angrenzenden Wiesen, Äckern usw. entstehen, die ein Befahren mit Schleppern, Pkws usw. erschweren. Bei unserem Verfahren werden zuerst die beiden Fahrspuren aufgeraut. Anschließend die Spurwege separat mit einem eigens entwickelten Spezialgräder mit einstellbarer Neigung/Gefälle (dachförmig) abgezogen und abschließend mit einer Vibrati-

onswalze verdichtet. Bei diesem Verfahren können 20 Tonnen Material bis zu 450 m beidseitig saniert werden – je nach Beschaffenheit des Materials und Spurtiefe des Feldweges. Die Kosten liegen bei unseren Auftraggebern nach deren Aussagen bis zu 40 Prozent niedriger als bei der herkömmlichen Feldwegesanierung. Zu unseren Auftraggebern gehören z. B. die Städte Hünfeld und Schlitz oder Gemeinde Petersberg. Weitere Informationen unter: www.landschaftspflege-heller.de *Andreas Heller ist Inhaber des Unternehmens Landschaftspflege Heller.

Freuen sich über die ökologische Feldwege-Sanierung: Heribert Vonderau (r.) vom Fachbereich Tiefbau der Gemeinde Petersberg und Landschaftspfleger Andreas Heller. Foto: BS/privat


Behörden Spiegel / Januar 2021

Kommunale Infrastruktur

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Unbezahlbarer Luxus oder Pflichtaufgabe?

BMVI nimmt Seilbahnen für Städte ins Visier

Kommunales Beteiligungsmanagement in Zeiten der globalen (Finanz-)-Krise

Studie zur sinnvollen Implementierung urbaner Seilbahnprojekte in Auftrag gegeben

(BS/Lars Scheider) Viele Gebietskörperschaften in Deutschland stehen nicht erst seit der aktuellen Covid19-Pandemie verstärkt unter finanziellem Druck. Die Digitalisierung der (Beteiligungs-)Verwaltung und Stärkung der personellen Ressourcen wird jedoch häufig mit dem Hinweis auf die angespannte Haushaltslage der Gebietskörperschaft infrage gestellt. Dabei erscheint jedoch die Stärkung der Konzernsteuerung vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden, stark steigenden finanziellen Ressourcenknappheit gebotener denn je. Ist ein Beteiligungsmanagement “nach Kassenlage” überhaupt rechtlich zulässig?

(BS/Barbara Wiesneth*) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat das Stuttgarter Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE gemeinsam mit der Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart GmbH (VWI) beauftragt, eine Studie über die “stadt- und verkehrsplanerische Integration urbaner Seilbahnprojekte” zu erarbeiten. Ergebnis soll ein Leitfaden für die “Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV)” sein, der in zwei Jahren vorliegen soll.

Das den Gemeinden durch Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) garantierte Selbstverwaltungsrecht umfasst auch das Recht auf wirtschaftliche Betätigung. Zur Erfüllung dieses Zwecks darf die Gemeinde auch Gesellschaften gründen oder sich an solchen beteiligen, die auf den Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens gerichtet sind (vgl. z. B. § 122 Abs. 1 Hessische Gemeindeordnung). Das Ziel, den Bürgerinnen und Bürgern ein attraktives und kostengünstiges Leistungsangebot zu erhalten, hat insbesondere auch dazu geführt, kommunale Aktivitäten aus der Kernverwaltung in (teil-)selbstständige kommunale Betriebe auszugliedern, die eine Unternehmensführung nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ermöglichen. Dabei ist eine erste große Ausgründungswelle bereits vor 30 Jahren bundesweit erfolgt. Von den derzeitig rund 18.000 Unternehmen des öffentlichen Sektors sind über 87 Prozent im kommunalen Eigentum. In der Regel werden von den deutschen Städten 50 bis 70 Prozent der Daseinsvorsorge in rechtsformprivatisierter Form gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern erbracht.

Keine kontrollfreien Räume Allerdings bleibt auch im Falle einer Gesellschaftergründung oder der Beteiligung an einem Unternehmen die Aufgabenverantwortung bei der Kommune. Daraus ergeben sich gegenüber den städtischen Unternehmen Steuerungs- und Kontrollpflichten, die verfassungsrechtlich (nach dem Rechtsstaatsprinzip

Die Covid-19-Pandemie ver­s tärkt und beschleunigt Lars Scheider ist Bankkaufdie Veränderunmann, Assessor jur. sowie Verwaltungsdirektor und gen der Kommunalverwaltung Abteilungsleiter Beteiliund öffentlichen gungsmanagement bei der Unternehmen. Stadtkämmerei der Stadt Wie wichtig die Frankfurt a. M.. konsequente DiFoto: BS/privat gitalisierung der Arbeitsprozesse und dem Demokratieprinzip) ist, haben nicht zuletzt auch begründet sind (vgl. Gute Un- ganz aktuell die Auswirkungen ternehmenssteuerung – Strategie der Covid-19-Pandemie auf das und Handlungsempfehlungen für Beteiligungsmanagement gezeigt. die Steuerung städtischer Betei- Neben dem Thema der Liquiligungen, I. Grundlagen, 3. Be- ditätssicherung für die Beteilideutung und Notwendigkeit der gungsunternehmen bekommen Beteiligungssteuerung, Seite 7, auch die Kommunikation im DStTg, 2017). Nach dem Rechts- Rahmen der Gremienbetreuung staatsprinzip darf es – auch bei der Aufsichtsräte und das BeteiEinbeziehung Dritter – nicht zu ligungscontrolling mit dem Quarkontrollfreien Räumen bei der tals-Reporting eine zunehmend öffentlichen Aufgabenerfüllung wichtigere Steuerungsfunktion. kommen. Nach dem DemokraWeiterbildungsangebote tieprinzip geben die Bürger den gewählten politischen Vertretern In der Seminar-Reihe (2021) das Mandat, Angelegenheiten der werden zu der Einführung in das örtlichen Gemeinschaft zu regeln. Beteiligungsmanagement (WeDie Kommune muss daher ihre binar), den Instrumenten eines Unternehmen und Beteiligungen modernen Beteiligungsmanagebeeinflussen können, um der ments (Präsenzveranstaltung), demokratischen Verantwortung dem Beteiligungscontrolling der gegenüber der Bürgerschaft zu öffentlichen Hand (Webinar), dem genügen. Die verfassungsrecht- Aufsichtsratsmandat im öffentlich vorgegebenen Kontroll- und lichen Unternehmen (Webinar) Einwirkungspflichten sind in sowie der Einführung in das Beiden Gemeindeordnungen der hilfenrecht (Webinar) nahezu alle Bundesländer unterschiedlich Facetten des umfangreichen und umgesetzt. Viele Gemeindeord- komplexen Bereichs des (kommunungen begründen für die Kom- nalen) Beteiligungsmanagements mune explizit die Pflicht, ihre abgedeckt. Selbstverständlich Unternehmen so zu steuern und wird auch auf die neuen Rahzu überwachen, dass der öffentli- menbedingungen für das Beteiliche Zweck nachhaltig erfüllt und gungsmanagement in der Coviddas Unternehmen wirtschaftlich 19-Pandemie eingegangen und mit Praxistipps erläutert. geführt wird.

“Mit Studie und Leitfaden wollen wir Anreize setzen, eine nachhaltige Mobilität im urbanen Raum zu fördern und das öffentliche Verkehrssystem sinnvoll zu ergänzen”, erklärt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Steffen Bilger. “Unser Ziel ist, einen nationalen Standard für urbane Seilbahnen in Deutschland zu schaffen, an dem sich Städte und Kommunen orientieren können.” Denn trotz der “beachtlichen Erfolge und nachweislichen Vorteile” von Seilbahnen in vielen Metropolen weltweit gebe es in Deutschland “wenig Erfahrungen mit Seilbahnsystemen im urbanen Bereich”, heißt es in der Leistungsbeschreibung des BMVI. Die Seilbahnen in den Städten Medellín, La Paz, New York, Portland, Algier, Lissabon, Brest, Bozen, London und Ankara zu untersuchen, ist daher ein Bestandteil der gemeinsamen Studie von Drees & Sommer und des VWI. Im Fokus der Analyse der acht Fallbeispiele stehen jeweils der Einsatzzweck der Seilbahn, der Planungsprozess, die städtebauliche Integration, die Verknüpfung mit dem übrigen ÖPNV und die Auswirkungen auf den Verkehr. Abgeleitet werden sollen daraus Erkenntnisse für mögliche Seilbahnprojekte in Deutschland.

Unschlagbar im Kosten-Nutzen-Vergleich “Bei der Analyse gilt es natürlich, die teils großen gesellschaftlichen und politischen Unterschiede im Vergleich zu Deutschland einzubeziehen”, erklärt Sebastian Beck, Infrastruktur-Experte bei

So könnte eine urbane Seilbahn in der Stadt aussehen.

Drees & Sommer und Projektleiter für die Studie. Er ist überzeugt: “Seilbahnen als Ergänzung zum bestehenden öffentlichen Nahverkehr werden in Zukunft eine nicht mehr wegzudenkende Option sein, zumal der Verkehr in Städten und Ballungsräumen zunehmend an seine Grenzen stößt.” Sein Kollege Stefan Tritschler vom VWI und stellvertretender Projektleiter der Studie pflichtet ihm bei: “Staus, Luftverschmutzung, Verkehrslärm, Flächeninanspruchnahme und Verkehrsunfälle zwingen uns zur Reduktion bestehender Belastungen. Seilbahnen nutzen den Luftraum weitestgehend unabhängig vom übrigen Verkehr, sind technisch ausgereift und erzeugen vor Ort kaum Emissionen. Vor allem aber sind sie leise, sicher, leistungsfähig und vergleichsweise kurzfristig realisierbar.”

Noch wenig Praxiserfahrung in Deutschland Von Luftschwebebahnen in den Bergen abgesehen, existieren in deutschen Städten lediglich Seilbahnen in Berlin, Koblenz und Köln, die anlässlich der Bundesgartenschau entstanden sind. Allerdings gibt es zahlreiche Über-

Foto: BS/©zatran GmbH

legungen und unterschiedlich weit fortgeschrittene Vorhaben zum Bau von Seilbahnanlagen als Ergänzung zum bestehenden ÖPNV, wie beispielsweise in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Köln, München, Stuttgart oder Wuppertal. “Seilschwebebahnen stellen für die Verkehrsbetriebe und die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger ein noch relativ neues Verkehrsmittel dar, das andere, zum Teil anspruchsvollere Anforderungen hinsichtlich Planung, Kommunikation und Realisierung erfordert als die bisher gängigen Transportmittel”, sagt Drees-&-Sommer-Experte Sebastian Beck. Die Arbeitsgemeinschaft Drees & Sommer/VWI wird für die Erstellung des Leitfadens auch Workshops in mehreren deutschen Städten durchführen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie werden sie in diesem Jahr voraussichtlich digital stattfinden. Welche Städte dies sein werden, verrät Sebastian Beck noch nicht. “Wir stehen aktuell noch am Anfang und werden in den kommenden Wochen Kontakt zu den ausgewählten Städten aufnehmen.” *Barbara Wiesneth ist Leiterin Presse bei Drees & Sommer.

MELDUNG

BaWü erforscht digital gestützten Straßenbau (BS/wim) “Building Information Modelling”, kurz BIM und im Deutschen als “Bauwerksdatenmodellierung” übersetzbar, ist das Zauberwort für den Straßenbau der Zukunft wie auch für das Bauwesen allgemein. Um die Zukunft so schnell wie möglich in die Gegenwart zu holen, treibt das Land Baden-Württemberg die

Erforschung dieser Technologie voran. Derzeit befinden sich acht Pilotprojekte in der Umsetzung. Im Fokus steht hier, dreidimensionale Datenmodelle zu schaffen, die die Wirklichkeit vor Ort möglichst getreu abbilden und so die Planung, den Bau und die Instandhaltung der Bauwerke erleichtern. Dazu kommt auch

eine neuartige Vermessungstechnik zum Einsatz, die auf einer Anwendung für das Mobiltelefon basiert. So lassen sich schon auf der Baustelle 2D- und 3D-Modelle erstellen und mit Augmented Reality direkt darstellen. Auch Erkenntnisse aus der Erprobung von Künstlicher Intelligenz werden angewandt.

Digitales Abfallmanagement Schnell, effizient, vergaberechtskonform dank Lubey (BS/Sebastian Glaser*) “Öffentlich-rechtliche Einrichtungen vermarkten ihre Abfälle noch überwiegend analog”, erläutert Lubey-Vorstandsvorsitzender Dr. Michael Lämmerhirt. “Das ist aufwendig, fehleranfällig und führt dazu, dass Abfall oft unter Wert entsorgt wird.” Um das zu ändern, entwickelte das Unternehmen Lubey Trade einen Online-Marktplatz für die Entsorgungswirtschaft. Dort können Abfallerzeuger, Entsorger oder öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger selbstständig alle Arten von Abfällen ausschreiben und digital handeln. Die Vermarktung erfolgt im Auktionsverfahren. Für Fälle, in denen eine öffentliche Ausschreibung nötig ist, hat Lubey das geltende Vergaberecht integriert: Die Eingabe folgt einem standardisierten Prozess. Wer eine Vergabe anlegt, kann in wenigen Minuten rechtskonforme Dokumente erzeugen, und das praktisch fehlerfrei. Mit maßgeschneiderten Entsorgungskonzepten (Lubey Con-

Foto: BS/Lubey AG

sulting) und individuellen Softwarelösungen (Lubey Develop) möchte Lubey die Digitalisierung im Entsorgungswesen weiter vorantreiben.

Weitere Informationen unter: www.lubey.de

*Sebastian Glaser, Lubey AG


Kommunale Sicherheit

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Behörden Spiegel / Januar 2021

Sicherheit an Bahnhöfen weiter erhöhen

Zugang zu Rohmessdaten gestärkt

Bund und Bahn setzen auf modernste Videotechnik

Bundesverfassungsgericht weitet Betroffenenrechte aus

(BS/Marco Feldmann) An sieben ausgewählten Projektbahnhöfen der Deutschen Bahn sollen die objektive (BS/Marco Feldmann) Die Richter des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe haben das Recht auf Zugang und die subjektive Sicherheit gestärkt werden. Dazu sollen Maßnahmen aus unterschiedlichen Bereichen zu Informationen gestärkt, die nicht Teil der Bußgeldakte sind. Dies betrifft Personen, die Betroffene in Bußergriffen werden, darunter bauliche und technische Veränderungen. Aber auch personell soll sich etwas tun. geldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen sind und Einblick in Rohmessdaten der eingesetzten Technik nehmen wollen. Damit wird die Arbeit für die Mitarbeiter der Bußgeldstellen vor Ort komplexer. In technischer Hinsicht wird insbesondere auf den Ausbau der Videotechnik gesetzt. Der Bund und die Deutsche Bahn investieren dafür rund 180 Millionen Euro. In den nächsten vier Jahren wird die Anzahl der Videokameras an Bahnsteigen um rund ein Drittel auf etwa 11.000 Kameras erhöht. Aktuell sind rund 8.000 Kameras an 800 Bahnhöfen im Einsatz. Die neuen Kameras erzeugen dabei hochauflösende Bilder.

Kampagne vorgesehen Über einen Projektzeitraum von drei Jahren richtet die Deutsche Bahn zudem einen “Sicherheitsbahnhof” am Berliner Bahnhof Südkreuz ein. Dort werden verschiedene Varianten von Schutzbarrieren für Reisende auf einem Bahnsteig sowie intelligente Videoanalysetechnik zur Erhöhung der Sicherheit erprobt und unter wissenschaftlicher Begleitung längerfristig betrachtet. Analysiert wird auch, wie sich die Sicherheit steigern lässt, ohne dass Fahrgästen Nachteile entstehen – zum Beispiel, ob sich Sicherheitsmaßnahmen negativ auf die Pünktlichkeit oder die Kapazität der Züge auswirken.

Am Berliner Bahnhof Südkreuz (Foto) soll ein “Sicherheitsbahnhof” entstehen. Foto: BS/Marc Cluet, CC BY 2.0, flickr.com

Ergänzend startet die Deutsche Bahn eine Awareness-Kampagne mit Schwerpunkt Verkehrsunfallprävention und Zivilcourage. Damit sollen die Reisenden noch mehr für ein umsichtiges Verhalten im Bahnhof, insbesondere am Bahnsteig, sensibilisiert werden. Zudem sollen zusätzliche Schraffuren an Bahnsteigen großer Bahnhöfe Bereiche besser kennzeichnen, die freizuhalten sind. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte: “Es gibt Handlungsbedarf, um unsere

Bahnhöfe und Züge noch sicherer zu machen. Mit den nun vereinbarten Maßnahmen erhöhen wir die Sicherheit in Bahnhöfen und Zügen.” Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (ebenfalls CSU) ergänzte: “Noch mehr Sicherheit in Bahnhöfen – das ist unser gemeinsames Ziel. Dafür haben wir ein Maßnahmenpaket erarbeitet: bessere Videoüberwachung, klarere Gestaltung der Bahnsteige, mehr Information und Sensibilisierung der Reisenden sowie einen Praxischeck für neue Technologien.”

Neue Konzeption bei Berliner Polizei Kontaktbereichsbeamte sind in den Kiezen zurück (BS/mfe) Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Dr. Barbara Slowik haben ein Konzept zur Stärkung der bürgernahen und kiezorientierten Polizeipräsenz vorgestellt. Im Rahmen von “Kontaktbereichsdienst 100” (KoB 100) baut die Polizei ihre Erreichbarkeit weiter aus und erhöht ihre Präsenz nun auch in Kiezen außerhalb des S-Bahnrings. Die Konzeption verfolgt einen kiezorientierten Kontaktbereichsbeamtenansatz. Der Beamte soll “sicht- und anfassbar” sein und Vertrauen zu den Bürgern aufbauen. Im Vergleich zur Vergan-

genheit haben die Kontaktbereichsbeamten im Rahmen von KoB 100 neben ihrer Tätigkeit im Kiez keine anderen Aufgaben mehr wahrzunehmen. Dadurch sollen sie laut Slowik noch bes-

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD, im Vordergrund) stellte eine neue Konzeption der polizeilichen Kontaktbereichsarbeit vor. Foto: BS/Dombrowsky

ser mit dem Kiez “verwoben und verankert” sein. Außerdem geht es darum, das Sicherheitsgefühl der Bürger zu verbessern. Die Kontaktbereichsbeamten sind 365 Tage im Jahr als Fußstreifen unterwegs. Ihre Dienstzeiten können sie dabei jeweils in der Zeit von sechs bis 22 Uhr frei disponieren. Der Ansatz soll auf weitere Bezirke und Ortsteile Berlins ausgeweitet werden, darunter auch Neukölln. Geisel unterstrich: “KoB 100 bedeutet Polizei für Kieze. Ansprechbar, bürgernah und präsent. Zu 100 Prozent. Die Arbeit der Polizei steht für mehr Kiez, mehr Sichtbarkeit und mehr Präsenz. Die Aufgaben, die die Kontaktbereichsbeamtinnen und -beamten wahrnehmen, sind ein großer Mehrwert für alle Anwohnerinnen und Anwohner in den Quartieren.”

Weniger Verkehrstote in 2020 Folgen der Corona-Pandemie für den Verkehr (BS/bk) Die Corona-Pandemie hatte im vergangenen Jahr auch eine positive Auswirkung. Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) fiel die Zahl der Verkehrstoten im Jahr 2020 um fast neun Prozent auf unter 2.800. Ebenso haben sich die polizeilich erfassten Unfälle gegenüber dem Vorjahr um rund 13 Prozent auf 2,33 Millionen verringert. Dabei reduzierten sich nach Schätzungen der Bundesanstalt auch die Unfälle mit Personenschaden auf rund 272.000. Bei diesen Unfällen verunglückten ungefähr 340.000 Personen. Auf Autobahnen ereigneten sich rund ein Fünftel weniger Unfälle mit Personenschaden. Einzig die Zahlen der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer gingen nicht bzw. nur ge-

ringfügig zurück. Im Jahr 2020 waren etwa 430 getötete Radfahrerinnen und Radfahrer zu beklagen. Im vorangegangenen Jahr waren dies 445. Die Zahl der getöteten Fußgängerinnen und Fußgänger stagnierte bei über 400. Den Grund für den Rückgang sieht das BASt in der gesunkenen Fahrleistung durch die Eindämmungsmaßnahmen. Die Fahrleistung, also die gefahrenen Kilometer, sank deutlich unter das Niveau von 2019 um fast elf Prozent auf 673 Milli-

arden Fahrzeugkilometer. Ein besonderer Rückgang ließ sich auf der Autobahn beobachten. Grundlage für diese Schätzungen bildet die Datengrundlage zu Unfällen und Personenschäden bis August bzw. September. Die Zahlen der noch fehlenden Monate würden mittels Zeitreihenmodellen prognostiziert, so das BASt. Aufgrund der besonderen Situation im Jahr 2020 sei durch die Corona-Pandemie eine Vo­rausschätzung für das Jahr 2020 “mit höheren Unsicherheiten behaftet als üblich”.

Die Nichtgewährung des Einblicks in Informationen durch die Fachgerichte, wie etwa die Lebensakte des verwendeten Messgerätes, den Eichschein oder die Rohmessdaten der Blitzer, verletze den Beschwerdeführer im Rahmen des Verfahrens über eine Verfassungsbeschwerde in seinem Recht auf ein faires Verfahren, hieß es. Es sei verfassungsrechtlich wegen zwar nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte im Falle eines standardisierten Messverfahrens von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht ausgegangen seien. Denn bei diesen Messverfahren seien nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) geringere Anforderungen an die Beweisführung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte zu stellen. Bestünden keine Bedenken gegen die Richtigkeit des Messergebnisses, genüge deshalb zum Nachweis eines Geschwindigkeitsverstoßes grundsätzlich die Mitteilung des eingesetzten Messverfahrens, der ermittelten Geschwindigkeit nach Abzug der Toleranz und des berücksichtigten Toleranzwertes. Dem Betroffenen bleibe aber die Möglichkeit eröffnet, das Tatgericht auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Hierfür müsse er konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes vortragen. Die bloße Behauptung, die Messung sei fehlerhaft,

begründe für das Gericht keine Pflicht zur Aufklärung, so die Bundesverfassungsrichter. Diese Vorgehensweise der Fachgerichte im Ordnungswidrigkeitenverfahren sei nicht zu beanstanden. Hierdurch werde gewährleistet, dass bei massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht bei jedem einzelnen Bußgeldverfahren anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüft werden müsse.

Nicht unbegrenzt gültig Allerdings folge aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Wenn der Betroffene Zugang zu Informationen begehre, die sich außerhalb der Gerichtsakte befänden, um sich Gewissheit über seiner Entlastung dienende Tatsachen zu verschaffen, sei ihm dieser Zugang grundsätzlich zu gewähren. Dies bedeute jedoch nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gelte. Vor allem im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten sei in Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten. Die gewünschten, hinreichend konkret benannten Informatio-

nen müssten aus diesem Grunde zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen. Durch die Gewährung eines solchen Informationszugangs werde der Rechtsprechung zu standardisierten Messverfahren nicht die Grundlage entzogen. Zwar stehe dem Betroffenen ein Zugangsrecht vom Beginn bis zum Abschluss des Verfahrens zu. Er könne sich mit den Erkenntnissen aus dem Zugang zu weiteren Informationen aber nur erfolgreich verteidigen, wenn er diesen rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehre. Solange sich aus der Überprüfung der Informationen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses ergäben, blieben die Aufklärungs- und Feststellungspflichten der Fachgerichte nach den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens reduziert. Ermittle der Betroffene allerdings konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, müsse das Fachgericht entscheiden, ob es sich – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen könne, urteilten die Karlsruhe Bundesrichter. Zu Rohmessdaten hatte auch bereits der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes entschieden.

Mehr Zeit und effizientere Strukturen Kommunales Krisenmanagement stärken (BS/Dirk Fahrland*) Gutes Krisenmanagement in Verwaltungen hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: von genügend Zeit, funktionierenden Prozessen und ausreichenden Ressourcen. Während der Aufbau ausreichender Ressourcen ein langwieriges Unterfangen sein kann, möchte der nachfolgende Artikel zeigen, dass mit relativ einfachen Mitteln Zeit gewonnen und gegebenenfalls Prozesse angepasst werden können. Üblicherweise tritt ein Krisenereignis unerwartet ein und erfordert unmittelbares Handeln unter erheblichem Einsatz von Ressourcen. Für Katastrophenfälle sind mittlerweile umfangreiche Vorkehrungen getroffen worden: Es wurden Risikoanalysen gefertigt, Gefahrenabwehrpläne geschrieben und Stabsstrukturen auf Verwaltungsebenen etabliert. Für Krisen unterhalb der Katastrophenschwelle gibt es solche Vorplanungen oft nicht. Und die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass sich die Katas­ trophenschutzstrukturen nicht ohne Weiteres anwenden ließen. Da man sich im Rahmen der Vorplanungen nicht auf jedes denkbare (und vielmehr noch: undenkbare) Ereignis vorbereiten kann, sollte man bestrebt sein, ein Ereignis mit Krisenpotenzial (EmK) möglichst frühzeitig zu erkennen. Denn je früher ein solches EmK erkannt wird, desto mehr Zeit bleibt für weitere Vorbereitungen (z. B. Bereitstellung und ggf. Beschaffung von Ressourcen). Eine gute Krisenfrüherkennung kann Ihnen also beim Faktor Zeit einen erheblichen Vorteil verschaffen. In jeder Verwaltung arbeiten Menschen, die aufgrund ihrer Fachkompetenz Risiken erkennen, wenn sie in der Ferne auftauchen. Sei es ein ansteckendes Virus, das seinen Weg von Asien nach Europa geschafft hat, oder ein gehacktes Computersystem

Je früher eine Krise erkannt wir, desto besser.

in einem Krankenhaus, welches man auch in der Verwaltung nutzt. Dieses Wissen muss sich die Verwaltung als Organisation nutzbar machen.

Stabsstellen einrichten Es empfiehlt sich, einen entsprechenden Prozeß zu entwickeln, der sicherstellt, das von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erkannte Ereignisse mit Krisenpotenzial zügig bei der Behördenleitung ankommen. Wenn diese zu der Bewertung kommt, dass es sich um ein Risiko für die eigene Verwaltung handelt, wird eine Stabsstelle EmK etabliert. Deren wesentliche Aufgaben sind: • frühzeitige Problemanalyse, • Erkennung von Schnittstellen zu nach- und übergeordneten Verwaltungsebenen und sonstigen Akteuren, • Klärung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, • ggf. Anpassen der Kommunikationsstruktur,

Foto: BS/IFG

• zielgerichtetes Steuern von Informationen. Die Aufgaben des Verwaltungsstabes bleiben unberührt; dieser tritt weiterhin zusammen und bedient das strategische Krisenmanagement. Das operative Krisenmanagement der Verwaltung kann durch die Stabsstelle EmK wahrgenommen werden. Zur Bildung kann auf vorhandene Strukturen zurückgegriffen werden, indem man die Koordinierungsgruppe des Stabes (KGS) – lageangepasst – zusammentreten lässt. Die KGS erhält dann weitergehende Befugnisse, damit sie Aufgaben verbindlich in die Verwaltung geben kann, und fachliche Kompetenzen, die durch Hinzuziehung von Mitarbeitern aus den Fachämtern sichergestellt wird. *Dirk Fahrland, Ass. jur., ist Dozent und Projektmitarbeiter beim Institut für Gefahrenabwehr GmbH.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Januar 2021

Rauer Pfad zur Registermodernisierung Expertinnen und Experten uneinig über Einführung der Bürger-ID (BS/Kilian Recht) Bei einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat im Dezember stritten Sachverständige um den Regierungsentwurf eines Registermodernisierungsgesetzes. Der Entwurf sieht unter anderem die Einführung einer registerübergreifenden Identifikationsnummer als allgemeines Kennzeichen für alle Bürgerinnen und Bürger vor. Dafür soll die bisher nur bei Steuerverfahren genutzte Identifikationsnummer auf andere Bereiche erweitert werden, zum Beispiel auf das Melde- oder Fahrerlaubnisregister. Die Pläne werfen verfassungsrechtliche Bedenken auf. Registerstruktur gut möglich. Am Vorbild gibt es nämlich auch Kritik. Prof. Dr. Peter Parycek gibt in der Ausschusssitzung zu bedenken, dass das Verfahren in Österreich lediglich von der Bundesverwaltung genutzt werde, das System jedoch keinen Nutzen für Bürger habe. Die Landesebene arbeite nicht damit. Nur Wien setze zwei Verfahren ein, die den direkten Zugriff auf die Register nutzten, weil das System so komplex sei.

Dem Gesetzesentwurf zur Registermodernisierung nach soll die Steuer-ID in 56 weiteren Registern zur Identifikation genutzt werden. Vonseiten der Bundesregierung heißt es, die eindeutige Identifikation und Bereitstellung der personenbezogenen Daten leiste einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Der Vorteil für die Bürger läge darin, dass sie ihre Daten und Dokumente nicht bei jedem Verwaltungsvorgang wieder neu angeben und vorlegen müssten. Die Behörden könnten stattdessen die Basisdaten zu jeder Person anhand der Steueridentifikationsnummer über die im Entwurf vorgesehene Registermodernisierungsbehörde direkt abrufen. Planmäßig fungiere die Behörde als Mittler zwischen den registerführenden Behörden und dem Bundeszentralamt für Steuern, in dem die zu jeder Steuer-ID gehörenden persönlichen Daten gespeichert werden. Zur Gewährleistung der Transparenz würde ein Datenschutzcockpit aufgebaut, dasBürgern eine Übersicht über die vorgenommenen Datenübermittlungen böte.

Von Verfassungsbruch bis -gebot

Es ist ein schmaler Grat zwischen Datenschutz und Effizienz. In der Diskussion um die Steuer-ID als allgemeines Personenkennzeichen zeigt sich der Konflikt erneut. Foto: BS/Simon Steinberger, pixabay.com

Entscheidend sei aber, dass die dezentrale Datenhaltung beibehalten werde. Der Bundesbeauftrage für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Prof. Ulrich Kelber, hingegen hält das bereichsübergreifende und einheitliche Personenkennzeichen mit der Verfassung für unvereinbar. Damit würde ein übermäßiges Risiko der Katalogisierung der Persönlichkeit geschaffen. Zumal liege kein ausreichender Schutz vor Missbrauch sowohl nach innen als auch nach außen vor. Mit bereichsspezifischen Kennzeichen gebe es eine moderne Alternative, so Kelber.

Datenschutzbeauftragter warnt Die Sachverständigen, die zur Anhörung Mitte Dezember geladen waren, zeigten sich uneinig in ihrer Bewertung der technischen und rechtlichen Aspekte des Entwurfes. Dr. Ariane Berger von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erklärte, die Verbände würden die Einführung einer einheitlichen Identifikationsnummer grundsätzlich mittragen. Die zügige Umsetzung sei Voraussetzung für die gelingende Digitalisierung der Verwaltung.

Gefahr liegt nicht im Kennzeichen Die Datenschutzjuristin Kirsten Bock kritisiert zudem das geplante Datencockpit als zu schwach. Darin würden lediglich Protokolldaten gespeichert, die frühzeitig wieder gelöscht werden sollten. Prof. Dr. Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums

Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS-Institut, erweiterte den Blick und führte aus, dass zur Verhinderung von Persönlichkeitsprofilen nicht das Verbot einer Identifikationsnummer entscheidend sei, sondern die Sicherung der Datenabfrage bei den Registern. Heutzutage lägen so viele Datenpunkte in den staatlichen Registern vor – wer dazu Zugang habe, könne die Mehrheit der Bürger eindeutig zuordnen und Profile erstellen. Daher seien die Sicherungsmaßnahmen für den Zugang zu den Daten entscheidend. Das Four-Corner-Modell sei aktuell der wirksamste Schutz gegen die Erstellung digitaler Persönlichkeitsprofile. Das im Gesetz vorgesehene Prinzip garantiert, dass Daten nur über unabhängige Dritte fließen und sorgt für eine Zulässigkeitsprüfung vor der Datenübermittlung. Zu einer Prüfung riet auch Prof. Eike Richter von der Hochschule der Akademie der Polizei Ham-

burg. Der Gesetzesentwurf solle zeitnah evaluiert sowie befristet werden.

Vorbild Österreich Dass der vorliegende Gesetzesentwurf der Bundesregierung womöglich verfassungswidrig ist, geht aus einem Rechtsgutachten im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hervor. Ein allgemeines Personenkennzeichen schaffte demnach die Grundlage für den Aufbau eines Profil- und Überwachungssystems. Alternativ schlagen die Gutachter und Gutachterinnen Varianten mit bereichsspezifischen Kennzeichen vor, so auch eine Abwandlung des österreichischen Modells. Dabei würden aus einer geheimen, persönlichen Stammzahl bereichsspezifische Kennzeichen durch einen sogenannten Intermediär kryptografisch abgeleitet. In Deutschland sei dies aufgrund der stärker als in Österreich dezentral angelegten

7. Zukunftskongress Bayern

Den Gipfel im Blick Der Aufstieg der digitalen Verwaltung im Freistaat

25. Februar 2021, Online-Event

Künstliche Intelligenz IT-Sicherheit Digitales Rathaus

Bayern-Portal

Smart City

Kulturwandel

Save the date

Kooperation

Onlinezugangsgesetz Gigabit www.zukunftskongress.bayern

Automatisierung #zkonbayern21

Eine Veranstaltung des

Bei allen Bedenken um die Standhaftigkeit des Entwurfes in Karlsruhe bekundet Prof. Dr. Kai von Lewinski, Verfassungsrechtler von der Universität Passau, dass man, solange man die Stammdaten in den einzelnen Registern ließe, das Urteil auf sich zukommen lassen könne. Die eingesetzten Mittel seien nicht verloren, wenn man vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern sollte. Man bekäme dann immerhin präzisere Vorgaben für die Einführung eines Personenkennzeichens. Der Nationale Normenkontrollrat urteilt in einer Stellungnahme zur Ausschusssitzung sogar, der vorliegende Entwurf sei nicht nur verfassungskonform, sondern seine Umsetzung sogar verfassungsrechtlich geboten. Der Gesetzgeber müsse lediglich Maßnahmen vornehmen, die eine Profilbildung verhinderten, dann sei auch das einheitliche Kennzeichen grundgesetzkonform. Einigkeit besteht unter Expertinnen und Experten nur in der Feststellung, dass die deutsche Registerlandschaft modernisiert gehört. Die Gratwanderung zwischen Datenschutz und Effizienz bedarf jedoch noch eines Tourguides.

KNAPP MRN startet OpenData-Portal (BS/wim) Daten sind wichtige Ressourcen der modernen, digitalisierten Gesellschaft. Zunehmend bedeutsam sind daher die Zugänglichkeit, Verwendbarkeit und Vernetzung von Daten. Um diese Faktoren zu stärken, hat die Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) im Rahmen ihrer Aktivitäten im Bereich Digitalisierung und E-Government ein offenes, digitales Datenportal für den 2,4-Millionen-Einwohner-Raum im Dreiländereck Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen gestartet (https://daten. digitale-mrn.de). Dr. Christine Brockmann, Geschäftsführerin der MRN GmbH, sieht die offenen Daten als einen “Schlüssel zur besseren Kooperation. In unserer durch zunehmende Vernetzung geprägten Welt benötigen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zur Unterstützung der Entscheidungsfindung bessere, schnellere und umfassendere Einblicke und Zugänge zu Daten. Das Datenportal RheinNeckar will und kann genau das leisten”, so Brockmann.

Hamburg übernimmt IT-Planungsrat-Vorsitz (BS/wim) Turnusgemäß hat zum Jahreswechsel der Vorsitz des IT-Planungsrates vom Bund auf die Länder gewechselt. Diesjähriges Vorsitzland ist die Freie und Hansestadt Hamburg. Nachfolger von Bundes-CIO Dr. Markus Richter ist demnach der Vertreter des Landes im IT-Planungsrat, der Staatsrat und Chef der Senatskanzlei Jan Pörksen. Für den neuen Vorsitzenden wird weiterhin vor allem die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes im Mittelpunkt der Arbeit des Bund-Länder-Gremiums stehen, wie Pörksen auch angesichts der Stabübernahme selbst erklärte. 2022 fällt der Vorsitz dann wieder zurück an den Bund.


Nordl@nder Digital

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Leinen los! Digitalisierung ist im Norden Deutschlands Teamsache (BS/Thomas Petersdorff/Guido Gehrt) Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung nimmt Fahrt auf. Mit Blick auf das Fristende des Onlinezugangsgesetzes (OZG) Ende nächsten Jahres muss sie das auch. Doch von Torschlusspanik keine Spur. Zumindest im Norden nicht, wo man sich dank guter Kooperation in den vergangenen Jahren bestens gerüstet sieht. Dabei kennt man auch hier die notorischen Stolpersteine der Digitalisierung. Welche Strategien bisher aufgegangen sind und wo nach wie vor Nachholbedarf besteht – das war ein zentrales Thema der Behörden Spiegel-Webkonferenz NORDL@NDER DIGITAL.

Wie der an der Küste beliebte Segelsport ist Digitalisierung im Norden Deutschlands ein Teamsport.

vorsitzender des norddeutschen IT-Dienstleisters Dataport, ist klar, dass sich die vielen Handlungsfelder der Digitalisierung nur erfolgreich bewältigen lassen, wenn es den Beteiligten gelinge, “IT-Kooperation zu organisieren”. Er teilte die Einschätzung von Minister Albrecht, dass der ITVSH hier ein Asset in der Kooperation zwischen Land und Kommunen sei oder, plastischer formuliert, ein “riesengroßer Schatz”. Zudem biete das EfA-Prinzip und die Einteilung der OZG-Ser-

“Man wird die Staatsstruktur nicht abschaffen, nur weil man Digitalisierung machen will.”

können. Daher habe man auch das Thema Green-IT weit oben auf die Tagesordnung gesetzt. Zur Verbesserung der Nutzbarkeit der öffentlichen Daten gibt es zudem in Schleswig-Holstein seit rund eineinhalb Jahren ein Open-Data-Portal. Im Jahr 2021 soll nun ein Digitalisierungsgesetz verabschiedet werden, das die rechtliche Grundlage für die Veröffentlichung von Daten liefern und noch weiter verbessern soll. Das Gesetz soll sich aber auch mit dem Thema Schriftformerfordernis befassen und zudem eine rechtliche Grundlage für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) schaffen. “Es gibt derzeit in Europa noch kein Gesetz, das regelt, unter welchen Bedingungen KI eingesetzt werden darf. Dies wollen wir gerne ausprobieren und einen Impuls für die weitere Entwicklung liefern”, erklärte Albrecht. Dr. Johann Bizer, Vorstands-

vices in Themenfelder eine große Möglichkeit, die Vielfalt und Komplexität der Verfahren zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund zeigte sich Bizer verwundert, dass zahlreiche Kommunen beispielsweise am digitalen Bauantrag arbeiteten, obwohl dieser Service im Zuge der OZG-Umsetzung im Land Mecklenburg-Vorpommern aufgebaut und anschließend allen Kommunen bundesweit zur Verfügung gestellt werde. Das EfA-Prinzip führe auch dazu,

dass man sich auf den anderen verlassen müsse. Die Kommunen aus Bizers Beispiel scheinen dazu offenbar nicht bereit zu sein und treiben lieber ihre individuellen Lösungen voran. Bizer zeigte sich verwundert, dass in der öffentlichen Diskussion der These des Deutschen Städtetages, ob man nicht ganze Bereiche der OZG-Umsetzung oder von Onlinediensten sowieso auf die Ebene von Bund und Ländern überführen sollte, so wenig Beachtung geschenkt werde. Schließlich käme dieser Vorschlag zur “Quasi-Entkommunalisierung” von Onlinediensten nicht von Bund oder Ländern, sondern aus dem Herzen der kommunalen Selbstverwaltung.

“Wir müssen uns in der Tat überlegen, ob wir es uns etwa beim Wohngeld leisten wollen, dass wir x-unterschiedliche Verfahren in x-unterschiedlichen Ländern und Kommunen haben, die Wohngeldprozesse in unterschiedlicher Form abbilden und uns damit eine Riesenkomplexität einhandeln oder ob wir dieses nicht einheitlich organisieren wollen”, stellte Bizer heraus.

Spot|on|OZG Im Themenfeld Umwelt arbeiten die Bundesländer Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz an nachnutzbaren Lösungen. Gleichzeitig arbeitet das Land Schleswig-Holstein an der Online-Service-Infrastruktur (OSI) mit. In einer Diskussionsrunde auf Digitaler Staat Online erläutern am 24. Februar die Beteiligten, auf welche Herausforderungen sie bei der OZG-Umsetzung stoßen und mit welchen Lösungswegen sie diese angehen. Die Veranstaltung markiert den Auftakt der Reihe “Spot|on|OZG”. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit unter www.digitalerstaat.online/programm

Zentralisierung heiße dabei nicht zwangsläufig Bund, sondern könne auch bedeuten, dass man nach dem Vorbild von Fitko Organisationseinheiten bildet die gemeinsam getragen würden. Man müssen auf Kooperation setzen, “sonst werden uns am Ende einerseits die Kosten und andererseits die Komplexität auffressen”, so der DataportVorstand. Der Kieler Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer berichtete den Teilnehmern etwas über die Mühen der Ebene im Zuge der Digitalisierung der Landeshauptstadt. Auf der Suche nach einem griffigen Bild, um die digitale Transformation in seiner Stadt zu beschreiben, formulierte

Foto: BS/Pexels, pixabay.com

Mit Blick auf die Bürger sei es aber ebenso wichtig, die Digitalisierung nach außen erlebbar machen, etwa durch WLAN im Bus oder digitale Mobilitätsdienstleistungen. So arbeite man in Kiel aktuell an einer mobilitätsübergreifenden App für alle Verkehrsträger, digitales Bezahlen eingeschlossen. Mit

der digitalen Kieler Woche habe man 2020 zum vierten Mal ein Festival für Laien und Experten durchgeführt, mit dem man zehntausende interessierte Bürgerinnen und Bürger in der Stadt erreicht habe. Unkritisch sieht Kämpfer derzeit den Faktor Geld bei der Digitalisierung. Zum einen, “Digitalisierung in der da es in der Verwaltung lässt kaum ein LandesThema aus. Das ist Chance Hobby-Läuhauptstadt fer Kämpfer gelungen und Risiko zugleich.” schließlich: sei, sich “Digitalisierung der Verwaltung zahlreiche Fördermittel von Land, Bund und EU zu sichern, zum ist eine Bergbesteigung!” In der alltäglichen Arbeit resp. anderen, weil man sich im Stadtdem Bemühen um den digitalen rat politisch mehrheitlich einig Wandel kämen insbesondere fünf sei, die notwendigen Investitionen Aspekte zum Tragen. für Digitalisierungsmaßnahmen Zunächst müsse das digita- auch in haushalterisch schwiele Rückgrat passen, Stichwort rigeren Zeiten nicht zu vernachBreitband. Das IT-Netz schaf- lässigen. “An Unterfinanzierung fe die heutigen Anforderungen wird die Digitalisierung in Kiel kaum noch. Dies merke er bei in den nächsten Jahren sicherseinen Videokonferenzen auch lich nicht scheitern”, brachte es persönlich. Investitionen in die Kämpfer auf den Punkt. IT-Infrastruktur seien daher Entscheidend sei es, auf Sicht zwingend erforderlich. In den zu fahren und sich nicht in der Behörden sei es wichtig, genü- Komplexität der Herausforderung gend kompetentes IT-Personal zu verlieren, unterstreicht Thorszur Verfügung zu haben, so gebe ten Wilcke von der Arbeitsgruppe es in Kiel u. a. neben dem CIO Digitale Agenda des Kreises Nordeine eigene Stabsstelle Digitalisie- friesland. Jenseits technischer rung, aber auch darüber hinaus und organisatorischer Feinjusweitere IT-Fachkräfte in der IT- tierungen müsse zunächst Klarheit darüber bestehen, was die Abteilung.

SAVE THE DATE Der nächste Kongress NORDL@NDER DIGITAL findet am 23.09.2021 in Hannover statt.

digitale Kommune von morgen leisten müsse. Im Kreis Nordfriesland habe man darum jeder eigentlichen Digitalisierungsanstrengung die Konzeption eines digitalen Leitbildes vorangestellt, in dem Kernvorhaben und ein übergreifendes Ziel definiert worden seien. Erst danach habe man sich an die Umsetzung begeben. Aus strategischen Gründen habe man sich für den Hebel der Plattformökonomie entschieden – vor allem auch, um die Kleinteiligkeit der Herausforderung zu bewältigen. In Anbetracht der Dimensionen des Großprojektes eine Notwendigkeit. Denn für Wilcke steht fest: “Einen Endzustand wird es nicht geben.” Die digitale Entwicklung sei ein Prozess, der proaktiv begleitet werden und neben Anliegen der Verwaltung auch mehr für Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz geöffnet werden müsse. Dem pflichtete Signe Caspersen, Vize-General-Direktorin der dänischen Digitalisierungsbehörde, entschieden bei. Der Erfolg gibt ihr Recht: Laut “2020 United Nations E-Government Survey” hat Dänemark derzeit die digitalste Verwaltung der 193 Mitgliedsstaaten. Dabei ruht das Erfolgsprojekt auf den Säulen: “NemID” bzw. “EasyID”, die Caspersen als “Rückgrat” des di-

“Corona hat gezeigt, dass das Projekt digitale Verwaltung funktioniert.”

Screenshots: BS

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an Philipp Albrecht, Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und Digitalisierung des Landes SchleswigHolstein und Schirmherr des Kongresses, unterstrich die gemeinsame und geteilte Verantwortung der Länder für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. S-H sei diesbezüglich verantwortlich für die Fachverfahren im OZG-Themenfeld Umwelt. Man befinde sich derzeit in einer “Digitalen Stein-Harden­ berg­ischen Reform der öffentlichen Verwaltung” in deren Zuge kein Stein auf dem anderen bleibe. In diesem Prozess setze das Land auf enge und intensive Koordination und Kooperation mit den Kommunen. Die Schaffung des IT-Verbunds SchleswigHolstein, kurz ITVSH, als Treiber und Austauschplattform für die Verwaltungsdigitalisierung (Anfang 2019 gegründet) sei hierzu ein großer Schritt. Dieses gemeinschaftliche und einheitliche Vorgehen sei nun auch mit Blick auf die Umsetzung des OZGs und des Einer-für-alle-Prinzips (EfA) von großem Vorteil. Gerade mit Blick auf EfA sei es wichtig gewesen, strategische Ziele bundesweit gemeinsam abzustecken und von Einzelnen umsetzen zu lassen. Er hoffe nun, dass das funktioniere, auch wenn man in der Umsetzung sicherlich noch viel über Details werde reden müssen. Ungeachtet dessen habe im Zuge des digitalen Transformationsprozesses jeder die Verantwortung, für alle gemeinsam Prozesse zu hinterfragen und in die technologischen und organisatorischen Veränderungen die Beschäftigten eng einzubinden. Albrecht liegen aber auch die Themen Open Source und Digitale Souveränität sehr am Herzen, für ihn zwei Seiten einer Medaille. Denn mit Blick auf Energieeffizienz/Ressourcenverbrauch sei auch die Transparenz der Quellcodes eine wichtige Vo­ raussetzung, um Einsparpotenziale überhaupt identifizieren zu

Behörden Spiegel / Januar 2021

gitalen Dänemarks bezeichnet. Aktuell wird die zentrale Identifikationsmethode von über fünf der knapp sechs Millionen Einwohner verwendet. Zum Einsatz kommt sie bei Authentifizierungen gegenüber den Behörden des Landes, aber auch im privaten Bereich. Leitend sei das Prinzip der Einfachheit gewesen, um den Verwaltungskontakt so komfortabel wie möglich zu gestalten. Mit ähnlichen Ansprüchen sei man auch an das Bürgerportal (“Borger.dk”) sowie das Postfach (“Digital Post”) herangetreten. Aber auch Dänemark kenne die notorischen Herausforderungen. Mit Blick auf Deutschland rät die Expertin zu einem langen Atem und mutigen Entscheidungen.

MEDIATHEK+

Kongress On Demand Die Videodokumentation der Webkonferenz “NORDL@NDER DIGITAL” steht in der “Mediathek+” auf Digitaler Staat Online (www.digitaler-staat.online/ mediathek) zum Preis von 29 Euro zum Download zur Verfügung.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Januar 2021

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ehörden Spiegel: Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ist aktuell das digitale Megaprojekt? Wie läuft es diesbezüglich in Hessen? Burghardt: Bei der Umsetzung des OZG ist uns der enge Schulterschluss mit den Kommunen besonders wichtig. Denn für den Erfolg des OZG ist entscheidend, dass es gelingt, die OnlineServices für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen im kommunalen Bereich bereitzustellen. Schließlich findet dort die überwiegende Zahl der Behördenkontakte statt. Mit Blick auf die OZG-Umsetzung, aber auch auf die sonstige IT-Kooperation mit den Kommunen ist es ein großer Vorteil, dass wir in Hessen mit der ekom21 einen nahezu einheitlichen kommunalen ITDienstleister haben. Diesem steht mit der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung HZD zudem ein leistungsfähiger Partner aufseiten der Landesverwaltung gegenüber. Für die konkrete Umsetzung nutzen wir in Land und Kommunen die Plattform Civento – ein in Hessen entwickeltes Produkt. Das Land Hessen hat hierzu mit der ekom21 eine Vereinbarung geschlossen, die es den Kommunen ermöglicht, Civento kostenfrei zu nutzen. Wir leben somit das Einer-für-alle-Prinzip. Civento verfügt zudem über eine Schnittstelle, sodass die Kommunen ihre individuellen Lösungen weiterbetreiben können. Nachdem wir im vergangenen Jahr

2021 – das Jahr der Produktion Einheitliche Plattform und enge Kooperation bei OZG-Umsetzung in Hessen (BS) Mit Civento wird es in Hessen eine einheitliche Plattform für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) geben. “Wir leben das Einer-füralle-Prinzip” erklärte Patrick Burghardt, Staatssekretär für Digitale Strategie und Entwicklung sowie CIO und Bevollmächtigter der Landesregierung für E-Government und Informationstechnologie, im Gespräch mit Behörden Spiegel-Redakteur Guido Gehrt. Nicht nur mit Blick auf die “eigenen” Kommunen setzt man bei der OZG-Umsetzung – und nicht nur dort – sehr stark auf Austausch und Kooperation. insbesondere organisatorische und strategische Weichen gestellt haben, wird 2021 nun das Jahr der Inbetriebnahmen und Produktion, in dem wir die Zahl der dort zur Verfügung stehenden OZG-Services deutlich ausbauen werden. Behörden Spiegel: Somit läuft die Zusammenarbeit mit den Kommunen. Wie funktioniert die IT-Kooperation mit anderen Ländern? Burghardt: Kurz gesagt: ebenfalls sehr gut! Erst im November habe ich bei einem Treffen mit meinen CIO-Kollegen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland vereinbart, dass wir zukünftig bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen als OZG-Verbund Mitte verstärkt kooperieren wollen. Zur Umsetzung setzen alle drei Länder auf die Plattform Civento. Diese wird optisch in den einzelnen Ländern entsprechend angepasst. Dieser OZG-Verbund steht natürlich auch noch weiteren Ländern offen, sollten diese Interesse an einer Beteiligung haben. Zudem haben wir ebenfalls im Novem-

ber für Telekommunikationsunternehmen das System zur Antragstellung der Genehmigung der Leitungsverlegung gestartet. Dieses Projekt im Kontext der OZG-Umsetzung wird unter gemeinsamer Federführung mit dem Land Rheinland-Pfalz durchgeführt und soll den Ausbau von flächendeckenden Gigabitnetzen in Deutschland beschleunigen. Wir kooperieren aber natürlich auch noch mit den anderen Ländern in vielfältiger Art und Weise. Insgesamt muss man sagen, dass wir innerhalb des IT-Planungsrates – unabhängig von den unterschiedlichen Parteizugehörigkeiten – eine sehr enge und gute Zusammenarbeit haben. Behörden Spiegel: Hessen hat seit 2019 ein eigenes Ministerium für Digitale Strategie und Entwicklung. Wo liegen dessen grundsätzliche Vorteile gegenüber vorherigen Strukturen und inwiefern wäre es wünschenswert, wenn auch der Bund ein eigenes Digitalministerium hätte? Burghardt: Wenn wir zunächst auf unser Ministerium blicken,

Der Einfluss ist groß – und nicht nur positiv Zur Auswirkung von Corona auf New Work und Innovation (BS/Sven Weizenegger*) Die Leiter von Innovationseinheiten führender Großunternehmen sehen den Einfluss von Corona auf Innovationen zweigeteilt: Inkrementelle Innovationen, die in erster Linie auf eine schrittweise Verbesserung bestehender Prozesse, Systeme etc. abzielen, erfahren in ihrer Entwicklung und Umsetzung einen starken Aufwind. Insbesondere alle Neuerungen, die das Thema “remote” (Fernzugriff) bedienen, haben durch Corona ein explosionsartiges Wachstum erlebt. New Work unter Einsatz von Videokonferenz-Tools wie Cisco WebEx, Zoom oder Microsoft Teams ist in der Breite der Arbeitswelt angekommen. Im Gegensatz dazu haben es die sogenannten disruptiven oder radikalen Innovationen vergleichsweise schwer: Neben krisenbedingt eingefrorenen Budgets für sogenannte “moonshots” oder “geilen Scheiß” lebt Kreativität vom intensiven Austausch im Team und informellen Prozessen – hier wirkt Corona als Hemmschuh. Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) wurde 2017 als erste deutsche Digital Innovation Unit (DIU) durch das Bundesministerium der Verteidigung ins Leben gerufen, um als “schnelles Beiboot” die digitale Transformation der Bundeswehr voranzutreiben. Seit 2020 ist der CIHBw eine neue Abteilung der BWI GmbH, dem Digitalisierungspartner der Bundeswehr und IT-Systemhaus des Bundes. Unlängst trafen sich auf Einladung des CIHBw bereits zum vierten Mal die Leiter der Innovationseinheiten führender Unternehmen (u. a. Commerzbank, Deutsche Bahn, IBM, Bayer, Airbus) zu einem strukturierten Erfahrungsaustausch – Corona-bedingt remote über eine Videokonferenz-Plattform. Im Zentrum der Diskussion stand der Einfluss von Corona auf New Work und Innovation. Die Sicht auf die gewählte Thematik fiel trotz der Verschiedenheit der vertretenen Branchen und verfolgten Ansätze überraschend übereinstimmend aus.

Push für inkrementelle Innovationen Corona hat allerorten die digitale Transformation von Unternehmen stark beschleunigt. Das gilt im erhöhten Maße für Projekte und Bestrebungen, die bereits vor Corona in der Anbahnung waren und auf einen Zugewinn von Struktur, Effizienz und Fokus zielen. Insbesondere dient Corona als Katalysator für New Work. Das Konzept New Work bezeichnet eine moderne Arbeitsweise, deren Umsetzung Punkte wie Einbezug des Mitarbeiters bei der Strategieent-

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wicklung, eine demokratische Führungsstruktur, agiles und flexibles Arbeiten sowie neue Bürokonzepte umfasst. Alles Themen, die mit dem Coronabedingt verorteten Homeoffice Hand in Hand gehen. Essenzielle Voraussetzung hierfür ist die richtige IT-Infrastruktur, Bandbreite wie auch Tools auf der Hard- und Software-Seite. Hier mussten und müssen viele Unternehmen stark aufrüsten, in der Regel schneller als ursprünglich geplant.

Blocker für radikale Innovationen Radikale Innovationsvorhaben haben es in diesen Zeiten dagegen vergleichsweise schwer. In der Krise geht es darum, “Burg und Pfründe” zu sichern. Die Budgets in Unternehmen sind unter Druck, Projekte werden neu priorisiert. Im Vordergrund steht das Kerngeschäft. Hinzu kommt ein “Social-Distancing”bedingter Mangel an guten Ideen und deren Weiterentwicklung. Der Wegfall sozialer, informeller Kontakte ist mit der schwerste Corona-bedingte Schaden für die Innovationsentwicklung. Sich im realen Raum nicht mehr begegnen zu können, wiegt schwer: Es fällt eine Menge an Softfaktoren weg, die uns als Menschen ausmachen und unsere Kreativität fördern. Man bekommt weniger Impulse und kann weniger Impulse geben. Zwar lassen sich Formate der Zusammenarbeit auch in die digitale Welt übersetzen, aber die informelle Beziehungsbildung in physischer Nähe wiegt das nicht auf. Das Thema soziale Interaktion muss neu geplant werden. Rituale wie “Dailys”, “Townhalls”, virtuelle

Team-Pausen und das Feiern gemeinsamer Erfolge bilden einen ersten Anfang, um den Zusammenhalt zu stärken.

Was wird nach und mit Corona bleiben? Corona öffnete ein Gelegenheitsfenster, um die digitale Transformation in den Unternehmen zu verbessern. Vieles von dem, was man jetzt gelernt hat, wird nachhaltig Bestand haben. Der Anteil von Remote Work wird erwartungsgemäß auch nach bzw. mit Corona auf einem hohen Niveau bleiben. Gleichzeitig wird die Funktion des Büros anders interpretiert werden. Bei den digitalen Innovationseinheiten wird hier der Fokus auf dem persönlichen Zusammensein zur Ideengenerierung liegen, beispielsweise in Form regelmäßiger Offsites oder Workshops. Weiterhin wird die Entwicklung und Verbreitung hybrider Formate (d. h. analog kombiniert mit remote) in naher Zukunft stark voranschreiten. Dies gilt insbesondere für Workshops, aber auch zum Beispiel für das Thema “Teambuilding”: zunächst analog, um sich in der Anfangsphase mit seinen Stärken und Schwächen gegenseitig kennenzulernen und zu organisieren, danach remote, um möglichst effizient arbeiten zu können. All dies stellt enorme Anforderungen an die digitale Führung. Gefragt sind eine hohe emotionale Intelligenz, massive soziale Kompetenzen sowie Vertrauen. *Sven Weizenegger ist seit Mitte Juni 2020 Leiter des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr (CIHBw).

voran. Bereits seit 2018 gibt es in den drei Regierungspräsidien des Landes sogenannte digitale Modellbehörden, die hier als Leuchttürme oder Best Practices fungieren. Zudem werden wir im Frühjahr eine digitale Verwaltungsstrategie veröffentlichen, um einzelne Maßnahmen weiter zu konkretisieren. Patrick Burghardt, Staatssekretär für Digitale Strategie und Entwicklung, ist seit April 2019 CIO und Bevollmächtigter der Landesregierung für E-Government und Informationstechnologie.

Foto: BS/HMinD

so ist sicherlich unser “Pfund”, dass wir über einen eigenen Etat in Höhe von einer Mrd. Euro verfügen. Die Steuerung und das Monitoring der damit umzusetzenden Digitalisierungsprojekte liegt somit ebenfalls in unseren Händen. Das schafft uns eine ganz andere Ausgangslage als sie aktuell im Bund herrscht, wo Kompetenzen und Budget nicht derart in einem Hause gebündelt sind. Diesbezüglich wäre ein ähnlich gut ausgestattetes Digitalministerium des Bundes sicherlich wünschenswert. Allerdings muss man auch ganz klar sagen, dass die Zusammenarbeit mit der Bundesebene, sei es Digitalisierungsstaatsministerin Dorothee Bär, Bundes-CIO Staatssekretär Dr. Markus Richter oder andere verantwortlich Handelnde, sehr gut funktioniert. Behörden Spiegel: Das OZG erfasst das Front-End zu Bürgern und Unternehmen. Wie sieht es bei der verwaltungsinternen Digitalisierung in der hessischen Landesverwaltung aus? Burghardt: Auch wenn die Umsetzung des OZG aktuell sehr viel Anstrengung erfordert und entsprechend Ressourcen bindet, treiben wir parallel auch die behördeninterne Digitalisierung

Behörden Spiegel: Die digitale Transformation verändert die Behörden auch in ihrer Organisation – Stichwort Changemanagement. Wie können die Führungskräfte die Beschäftigten hierbei bestmöglich mitnehmen? Burghardt: Dass Digitalisierung eine Führungsaufgabe ist, ist mehr als nur eine Phrase. Vielmehr sind wir uns der besonderen Rolle der Führungskräfte in diesem Transformationsprozess bewusst und haben daher in allen hessischen Ministerien Digitalisierungsbeauftragte installiert. Auf der politischen bzw. ministeriellen Ebene gibt es mit dem Kabinettsausschuss für Staatsmodernisierung und Digitalisierung, dem CIO-Rat und dem Gremium der EGovernment-Verantwortlichen zudem zahlreiche Institutionen, in denen sich Führungskräfte intensiv und eng verzahnt zu diesem Thema austauschen und gemeinsam Beschlüsse auf den Weg bringen und umsetzen. Selbstverständlich sind an den verwaltungsinternen Veränderungsprozessen in den Behörden auch die Personalvertretungen intensiv beteiligt. Behörden Spiegel: Die Basis einer digitalen Verwaltung ist eine sichere digitale Infrastruktur. Burghardt: Im Bereich der Cyber- bzw. IT-Sicherheit sind wir mit dem Hessen CyberCompetenceCenter – kurz Hessen3C –, das im Innenministerium angesiedelt ist, sehr gut aufgestellt.

Als zentrale Kompetenzstelle für interdisziplinäre Zusammenarbeit und Kooperation der Landesverwaltung hat Hessen3C die Aufgabe, die Sicherheit in der Informationstechnik des Landes zu erhöhen, cyber-spezifische Gefahren abzuwehren, die Effizienz der Bekämpfung der Cyber-Kriminalität zu erhöhen und Synergien zu schaffen. Dazu arbeiten hier CyberSicherheitsspezialisten unseres Computer Emergency Response Teams (CERT), der Polizei und des Landesamtes für Verfassungsschutz zusammen, um zentral und organisationsübergreifend Expertise im Bereich Cyber-Sicherheit bereitzustellen. Diese enge Form der Kooperation im Bereich der Cyber-Sicherheit ist aktuell bundesweit einmalig. Maßgeblich gesteuert und getrieben wird diese Arbeit von unserem Informationssicherheitsbeauftragten der hessischen Landesverwaltung (CISO). Behörden Spiegel: Der Gang ins Homeoffice hat in “CoronaZeiten” in vielen Behörden die Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten. Wie waren die Erfahrungen in Hessen und wie geht man nach der Krise damit um? Burghardt: In der hessischen Landesverwaltung hat sich in der Krise gezeigt, wie wichtig es war, bereits vor Jahren mit dem Hessen-PC einen einheitlichen und standardisierten PC-Arbeitsplatz geschaffen zu haben. Von den rund 70.000 Hessen-PCs sind mittlerweile gut 50.000 mobil einsetzbar. Gerade die Einheitlichkeit und die damit verbundene Möglichkeit der zentralen Wartung hat uns in den Phasen des Lockdowns sehr geholfen. Es hat sich gezeigt, dass die Arbeit im Homeoffice der Produktivität der Beschäftigten nicht geschadet hat. Ganz im Gegenteil, wir haben von vielen Seiten das Feedback bekommen, dass diese sogar gesteigert wurde. Insbesondere auch mit Blick auf die Attraktivität der öffentlichen Verwaltung als Arbeitgeber werden wir auch nach der Krise weiterhin Homeoffice, gemischt mit Präsenz im Büro, anbieten. Hierzu sind aktuell bereits entsprechende dienstrechtliche Vereinbarungen in Vorbereitung.

Interne Transformation Das OZG als Chance für die Modernisierung der Verwaltung (BS/Richard Bürmann*) Wesentlich für den Erfolg des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ist, dass auch die internen Verwaltungsprozesse digital-kompatibel ausgerichtet werden. Nur so entsteht für die Verwaltung selbst ein Nutzen. Diese komplexen Transformationsprojekte sind oft nur mit externer Unterstützung zu bewältigen. Als Rahmenvertragspartner des Bundes u. a. beim Beschaffungsamt und dem ITZBund ermöglicht der ITDienstleister CGI eine schnelle und zielgerichtete Beauftragung. Gegenwärtig werden große Anstrengungen unternommen, um die Schnittstelle zwischen Bürger und Verwaltung zu digitalisieren. Über zentrale Nutzerkonten sollen Bürger und Unternehmen auf alle Leistungen des Portalverbundes zugreifen können. Die zu erbringenden Verwaltungsleistungen sind breit gefächert und der interne, dem Antragsteller verborgene Aufwand dafür differiert stark: Auf der einen Seite stehen relativ einfache Auskünfte und Bescheinigungen, die durch automatisierbare Abfragen und Abgleiche von Registern und Datenbanken erstellt werden können. Auf der anderen Seite gibt es Genehmigungen, die unter fallspezifischen Auflagen und Anordnungen erteilt werden und im Vorfeld komplexe Beteiligungsverfahren durchlaufen müssen, z. B. die Einrichtung von Baustellen. Hierfür müssen oft behördenübergreifende Beteiligungsverfahren (Verkehr, Versorger, Sicherheit…) organisiert und Daten ausgetauscht werden, schon um räumlich-zeitliche

Kollisionen zu vermeiden. Die für solche Aufgaben etablierten Prozesse, Kommunikationswege, Tools und Fachverfahren sind eingespielt, jedoch nicht durchgehend digital ausgerichtet und nur unzureichend miteinander verzahnt. In die Jahre gekommene Altverfahren können oft gar nicht mit vertretbarem Aufwand angepasst werden.

Medienbruch lauert oftmals hinter dem Behördeneingang Um den Anforderungen des OZGs gerecht zu werden und gleichzeitig in der Verwaltung selbst davon zu profitieren, ist es erforderlich, interne Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und ggf. neu zu konzipieren. Gleichzeitig müssen die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für Medienbruchfreiheit und Vernetzung geschaffen werden. Im Resultat wird die Antragsbearbeitung effektiver, schneller und die Ergebnisse werden zuverlässiger. Dabei ist stets im Fokus, dass die Vorteile aus der digitalen Kommunikation mit den Bürgerinnen

und Bürgern nicht innerhalb der Behörde auf der Strecke bleiben.

Externer Partner für ganzheitliche Digitalisierung CGI bietet als breit aufgestellter Dienstleister sowohl im OZGUmfeld als auch für konkrete Digitalisierungsvorhaben alle relevanten Dienstleistungen an: vom Anforderungs- und Projektmanagement über Konzeption, Implementierung bis hin zum Geschäftsprozess- und Veränderungsmanagement. CGI ist dabei bei einer Vielzahl von Behörden langjähriger Partner bei der Planung und Umsetzung einer ganzheitlichen Digitalisierung – so auch im Bereich Neuausrichtung komplexer Genehmigungsprozesse für Sondernutzungen jeglicher Art im öffentlichen Raum, zum Beispiel in einem aktuellen Projekt für eine große Kommunalverwaltung. Weitere Informationen unter: de.cgi.com/public *Richard Bürmann ist Leiter Public Services bei CGI.


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chon immer hat der Mensch Werkzeuge oder Maschinen eingesetzt, um seine persönliche oder die Produktivität von Organisationen, der Industrie oder im militärischen Bereich zu steigern, diese Verhaltensweise ist nicht neu. Dies wird sich auch mit digitaler Technologie fortsetzen, jedoch deutlich intensiver, in gänzlich anderen Geschwindigkeiten und Dimensionen, was die daraus resultierenden Potenziale und Veränderungen betrifft. Es ist schon längst abzusehen, dass zukünftig KI-Systeme, Super Computing, hochwertige Algorithmen sowie die spezifische Auswertung großer Datenmengen elementare Faktoren sein werden, die Volkswirtschaften und damit die Zukunft von ganzen Nationen und deren Gesellschaften beeinflussen oder gar dominieren werden. Wer jetzt in diesen strategischen Feldern in großem Umfang investiert, kann sich durch exklusives Know-how sowie leistungsfähige Technologie langfristig enorme Vorteile verschaffen, die auf die Entwicklung einer Gesellschaft, Volkswirtschaften oder ganzer Nationen mehr als nur großen Einfluss haben werden.

Symbiose von Mensch und Technologie Neu hingegen wird für uns alle sein, dass eine produktive, für beide Seiten vorteilhafte und äußerst enge Symbiose von Menschen und Technologie entstehen wird, von der einzelne Menschen, aber auch ganze Communities profitieren werden. In einer solchen neuen digitalen Gesellschaftsform werden gänzlich andere oder bisher nicht gekannte

Informationstechnologie

Die digitale Gesellschaft

Behörden Spiegel / Januar 2021

Lebensgrundlage werden nicht durch Verbote gelöst werden können, die nur regional greifen oder aus nationalen Interessen oder Ideologien heraus erwachsen. Digitale Technologien in Kombi(BS/Judith Greif/Thomas Bönig) Die fortschreitende Entwicklung zu einer digitalen Gesellschaft wird weitreichende Veränderungen in Wirtschaft, nation mit starken gesellschaftPolitik oder sozialem Gefüge bedingen. Es ist abzusehen, dass Politik, Staat oder öffentliche Institutionen sich zunehmend noch schneller von lichen Gemeinschaften können neuen Werten und Ansprüchen einer neuen, digitalen Gesellschaft entfernen werden, weil sie nicht mehr in der Lage sind, den Bedarf zu erkennen diese Themen im Interesse aller oder sich auf die kommenden Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen in der notwendigen Geschwindigkeit anzupassen. Menschen sehr viel besser und schneller lösen, wenn man dies Regeln gelten, welche sich aktuell öffentlichen Strukturen auf der kommenden Veränderungen konsequent angerade entwickeln. In Zukunft anderen Seite führen. Wer heut- intensiv vorbereiten und sich geht und effizient werden Menschen in ihren priva- zutage laufende Entwicklungen endlich schnell und umfassend umsetzt. ten oder beruflichen Lebensver- beobachtet, kann dies bereits anpassen, denn eine Lektion Judith Greif ist ehrenamtliche Stadträtin der LandeshauptDie drohende hältnissen stärker abhängig da- latent wahrnehmen. Als promi- sollte man aus der langen Verstadt München und Softwarevon sein, ob sie in der Lage sind, nentes Beispiel sei hierzu der gangenheit der menschlichen Klimakatastrophe Entwicklerin. hochwertige digitale Technologie Bereich der digitalen Bildung Entwicklung hoffentlich gelernt stellt uns alle vor Foto: BS/privat ungeahnte He­ zu nutzen oder darauf Zugriff angeführt, in dem schon seit haben: Systeme, die sich nicht rausforderungen zu haben. Für eine Gesellschaft vielen Jahrzehnten strukturelle schnell und dauerhaft weiund es steht zu oder die Wirtschaft wird es von Veränderungen unterblieben und terentwickeln bzw. anpassen, befürchten, dass entscheidender Bedeutung sein, digitale Potenziale quasi nicht er- gehen mit der Zeit unter oder die Digitalisierung dass man in der Lage ist, in der kannt oder realisiert wurden. Es werden von anderen Strukturen den weltweiten erforderlichen Geschwindigkeit ist nicht schwer sich vorzustellen, ersetzt. Ressourcenverneue oder leistungsfähigere digi- was sich zukünftig alles noch Eine spannende Frage ist natale Technologien zu entwickeln abzeichnen kann und wird, wenn türlich, was man jetzt konkret Thomas Bönig ist berufsmäbrauch und daund somit auf der Höhe der Zeit in Politik und öffentlichem Sektor machen kann und soll, um sich ßiger Stadtrat und IT-Referent mit die Erdübersowie CIO und CDO der Lanhitzung weiter zu sein. Hier hat Europa schon nicht endlich angemessen auf auf das vorzubereiten, was auf deshauptstadt München. viel Boden verloren, es ist zwin- den stattfindenden gesellschaftli- uns alle unweigerlich zukomverstärkt. Es gilt men wird. Neben einer breiten gend erforderlich, dass sich das chen Wandel reagiert wird. Foto: BS/privat daher, sich bei gesellschaftlichen Diskussion kurzfristig ändert. Wo heute in jedem Digitalisiebestimmten Sachthemen ein in Aktive Teilhabe neu rungsprozess die über zukünftige Ziele und Wer­organisieren Teilen ineffektiver und ineffiziFrage nach seite in Europa muss vor allem nem ökologischen enter Föderalismus gepriesen Wer in Zukunft als Person oder die Politik endlich “aufwachen” und Klima-Fußabwird (jeder für sich), wird man innerhalb einer Gesellschaft kei- und beginnen, starke Impulbaldmöglichst umdenken und nen Zugang zu leistungsfähiger se für die Zukunft sowie klare Die “Netzgemeinde” hatte von druck zu stellen. Ein Beispiel: vermehrt starke Gemeinschaf- Hard- und Software haben wird Signale zu den Prioritäten an Anfang an einen gesellschaftli- Ein E-Book-Reader amortisiert ten bzw. Kooperationen bilden oder nicht über die dafür not- die Menschen senden, wie es chen Wandel mithilfe des Inter- sich erst nach rund 45 gelesemüssen (alle für einen), wie auch wendige Bildung verfügt, wird konkret zukunftsorientiert wei- nets im Sinn. Digitale Teilhabe nen Büchern. Das heißt: Wenn schon verschiedene Initiativen keine aktive Teilhabe an einer tergehen soll in Deutschland und und Freiheit, Unabhängigkeit von ich durchschnittlich ein Buch digitalen Gesellschaft erleben Europa. Es müssen tragfähige, Großkonzernen, das Recht auf im Monat lese, hat sich der Edes Bundes aufzeigen. Die großen Umgestaltungen und damit auch nicht von einer nachhaltige Visionen einer di- Privatsphäre und die Netzneu- Book-Reader nach 3,75 Jahren durch die Digitalisierung mit ho- immer schnelleren Veränderung gitalen Zukunft und digitalen tralität sind dafür zentral. Das amortisiert. Wenn ich nur jedes hem Potenzial einer verstärkten und Entwicklung profitieren Gesellschaft entwickelt werden, lässt sich im Gründungsdoku- Vierteljahr ein Buch lese, dauert Spaltung zwischen den sozia- können, die sich nicht nur auf welche die Menschen verstehen ment des Chaos Computer Clubs es 11,25 Jahre. Brauche ich allen Schichten wird zukünftig zu die persönlichen Lebensverhält- und annehmen können, damit (“Tuwat!”) genauso erkennen wie so den E-Book-Reader wirklich? noch mehr Friktionen zwischen nisse auswirken wird. Politik, sie sich hinter diese Ziele stellen in den Stellungnahmen für das Und vor allem: Muss es wirklich Gesellschaft und Wirtschaft auf Verwaltung und der kommunale und mitarbeiten, diese schnell Bundesverfassungsgericht zu nach zwei Jahren ein neues Moder einen Seite sowie Politik und Bereich müssen sich auf diese zu erreichen. Wahlcomputern oder Vorrats- dell sein? Digitalisierung darf kein Selbstdatenspeicherung. Dabei war Quelloffenheit, der Grundgedan- zweck sein. So muss z. B. die Digitalisierung des Behördenke von Open-Source-Software, immer mitgedacht: Wenn öffentli- gangs mit den eingesparten Resche Gelder in Software investiert sourcen gegengerechnet werden, werden, muss die Software auch also mit dem verminderten CO2der Gemeinschaft gehören und Ausstoß, dem eingesparten Pafür sie zugänglich sein! pier etc., die durch vermindertes “Public Money? Public Code!” Verkehrsaufkommen und digitale Dieses Prinzip findet auch in Kommunikation eingespart werder Verwaltung immer mehr An- den. Diese Kalkulation müssen klang. Bundes-, Landes- und wir bei jedem Digitalisierungskommunale Behörden weisen im- projekt transparent durchführen, mer häufiger darauf hin, dass die wenn eine ökologische DigitaliAbhängigkeit von wenigen gro- sierung gelingen soll. ßen, meist US-amerikanischen Wir müssen uns, vor allem Software-Konzernen keine gute in Deutschland, schnell davon Idee ist. Stattdessen wird die lösen, hinter jeder neuen EntIdee von Bündnissen innerhalb wicklung oder Veränderung nur Deutschlands und der Europä- Gefahren oder Risiken zu sehen ischen Union immer beliebter, und sofort reflexhaft Gesetze zu um sich einerseits die digitale entwerfen, die Neuerungen reguSouveränität und Hoheit über lieren oder verbieten sollen, nur die Daten der Bürgerinnen und weil man es nicht versteht oder Bürger zu sichern. Andererseits es nicht in die politische Agenda entstehen große Synergieeffekte, passt. Veränderungen sind ein wenn Software für die Verwal- dauerhafter Prozess, so wie auch tung nach dem Prinzip “einer die Evolution; Perfektion wird für alle” oder in einem Bündnis nie vollständig erreicht werden, entwickelt wird. Die Nutzung und da sie nur ein temporärer ZuWeiterentwicklung dieser Soft- stand ist. Wer als Person und ware durch Partner, auch aus Gesellschaft nur noch darauf der Open-Source-Community, bedacht ist, Veränderungen zu fördert letztlich die Zusammen- verhindern oder lange genug aufzuhalten, bis sie einen selbst arbeit und den Austausch. Es ist weiterhin unabding- nicht mehr betreffen, tut sich bar, dass schnell eine hoch- und anderen keinen Gefallen. wertige, leistungsfähige sowie Menschen brauchen klare Visiounabhängige europäische IT- nen von der Zukunft, sodass sie Industrie aufgebaut wird, die sich aktiv einbringen können. als Grundlage für eine starke Die Welt wird jeden Tag komeuropaweite Digital-Industrie plexer und verändert sich immer erforderlich ist. Es müssen schneller: In solchen Prozessen deutlich höhere Investitionen ist es besser, ein aktiver Teil dain europäische Forschung und von zu sein als nur ein passiver (Schlüssel-)Industrien erfolgen, Zuschauer, der vielleicht nicht welche die Grundlagen schaffen mehr versteht, was um ihn hemüssen, dass in Europa wieder rum passiert. Noch (!) hat man Weltmarktführer in der IT- und in Europa viele gute Potenziale, Digitalbranche entstehen und um sich umfassend bei der Gewir damit wieder eigene europä- staltung der eigenen Zukunft ische Standards setzen können, zu engagieren. Auch der längste wie und wohin sich Technologie und schwierigste Weg beginnt entwickelt und wie digitale Tech- immer mit dem ersten Schritt. nik zum Vorteil aller Menschen Jetzt ist genau die richtige Zeit, diesen Weg endlich konsequent eingesetzt werden kann. Die großen Herausforderungen zu gehen, um im Rahmen euder Zukunft wie Klimawandel, ropäischer Visionen und Ziele soziale Gerechtigkeit, (digitale) dauerhaft ein Aktivposten zu Bildung und digitale Teilhabe für sein, der nachhaltige, moderne alle, mehr Nachhaltigkeit beim und demokratische Standards Umgang mit Ressourcen und der setzt und weltweit als Vorbild Schutz der Natur als unserer aller dienen kann.

Was sie für uns alle bedeuten wird


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Januar 2021

Welche Lehren ziehen?

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ie vergangenen Monate bedeuteten für die Betreiber öffentlicher Rechenzentren eine permanente Stresssituation. In kürzester Zeit mussten Heimarbeitsplätze eingerichtet und ausgebaut werden, waren Umgebungen für Fachverfahren und Lernplattformen zu skalieren. Das bedeutete in vielen Fällen auch die Beschaffung zusätzlicher Hardware-Server, Storage, Netzwerkkomponenten, Racks etc. – und neuer Lizenzen für Hypervisoren und Datenbanken, um die Verarbeitungs- und Speicherkapazitäten dem Bedarf entsprechend zu erhöhen. Wie zeitraubend dieser Prozess ist, haben nicht zuletzt die Ausfälle der Lernplattformen in mehreren Bundesländern zum Beginn des zweiten harten Lockdowns vor Weihnachten gezeigt. Denn die einzelnen Komponenten der Infrastruktur, wenn sie einmal eingetroffen sind, müssen aufwendig aufeinander abgestimmt werden, damit die erforderliche Leistung durch optimierte Zugriffszeiten und optimale Bandbreiten im Netz, intern wie extern, tatsächlich erreicht wird. Bei diesem Vorgehen gibt es jedoch zwei Grenzen: Geld und personelle Ressourcen. Beides sind für die Betreiber öffentlicher Rechenzentren knappe Ressourcen. Es dauert schließlich Wochen und teilweise Monate, um zum Beispiel eine Datenbankumgebung zu beschaffen, zu implementieren und in Betrieb zu nehmen. Dabei müssen die Administratoren darauf achten, dass die verschiedenen Komponenten so gut zusammenspielen, dass möglichst wenig Datenverkehr über das Netzwerk läuft und dass die Leistungsfähigkeit der Speicherhardware mit den Lastanforderungen auch bei steigender Nutzung mithalten kann. Gerade wenn die Server, auf denen die Applikationen laufen, virtualisiert sind, also von ein und derselben Serverhardware viele Zugriffe auf unterschiedliche Datenbestände erfolgen, muss das Zusammenspiel mit den Speichermedien und dem Netzwerk sehr gut geplant und umgesetzt sein. Das erfordert viel Zeit und vor allem Spezialwissen. Beides treibt die Kosten und beansprucht die ohnehin in öffentlichen Rechenzentren dünne Personaldecke in Zeiten wie diesen bis zum Zerreißen.

Klassische Drei-SchichtenArchitektur hat ausgedient In den allermeisten öffentlichen Rechenzentren sind Infrastrukturen mit klassischer Drei-Schichten-Infrastruktur im Einsatz. Das bedeutet, dass die einzelnen Schichten Speicher, Netzwerk und Server (nicht im

Erfahrungen öffentlicher Rechenzentren in der Corona-Krise (BS/Dr. Markus Pleier) Die Pandemie hat die Schwächen des klassischen Rechenzentrumsbetriebs offengelegt. Beschaffung, Implementierung und Skalierung dauern zu lange und erfordern einen zu großen personellen Aufwand. Das muss sich ändern. Sinne von Hardware, sondern Dienstprogrammen) einerseits voneinander getrennt sind, andererseits perfekt aufeinander abgestimmt sein müssen. Zudem sind die einzelnen Schichten je für sich mit der Hardware fest verdrahtet. Aus diesem Grund können die Komponenten einer traditionellen Rechenzentrumsinfrastruktur nicht unabhängig voneinander modifiziert und modernisiert werden. Sie bilden Blöcke, die nur als Ganzes ersetzt werden können. Diese Blöcke sind Infrastruktursilos, die – wie ihre einzelnen Komponenten – aufeinander abgestimmt werden müssen. Das erhöht die Komplexität und damit die Anfälligkeit des Gesamtsystems, erhöhten Administrationsaufwand inklusive. Nur mit viel Geld, Personal und Zeit lassen sich die Ziele Skalierbarkeit und unterbrechungsfreier Betrieb mit solchen Silos erreichen. Außerdem ziehen sich die Planungs- und Beschaffungsprozesse in die Länge, denn in einer klassischen Drei-Schichten-Architektur müssen die ITAnforderungen in der Regel drei bis fünf Jahre im Voraus definiert werden – das Gegenteil von Flexibilität und dynamischer Anpassung an unvorhergesehene und unvorhersehbare Anforderungen. Diese Hardwareabhängigkeit der traditionellen Drei-Schichten-Architektur von Rechenzentrumsinfrastrukturen ist die eigentliche Ursache dafür, sich nicht schnell genug und nur unzureichend an die Anforderungen von heute anpassen zu können. Die Hardwareabhängigkeit ist der Flaschenhals in öffentlichen Rechenzentren. Da sie sich in einer klassischen Architektur nicht beseitigen lässt, hat das tradierte Drei -Schichten-Modell ausgedient.

Zukunft gehört software­ gesteuerten Rechenzentren Die Lösung für dieses Problem besteht darin, die verschiedenen Komponenten einer Infrastruktur von der Hardware zu lösen und als Funktionalitäten einer von der Hardware abstrahierten Softwareschicht bereitzustellen. Das Konzept, anhand dessen dies geschieht, heißt Hyperkonvergenz. Es hat zwei entscheidende Vorteile: Zum einen können Rechenzentrumsbetreiber selbst für höchste Arbeitslasten auf die Beschaffung von Spezialhardware

deren Nähe und hält sie dort, solange sie benötigt werden. All diese Dinge erledigt eiDr. Markus Pleier ist CTO und Senior Director System ne moderne hyperkonvergente Engineering Deutschland und InfrastruktursoftÖsterreich bei Nutanix. ware automatisch, Foto: BS/Nutanix denn sie stellt die Infrastruktur verzichten und zu 100 Prozent nicht nur bereit, sondern steuert auf Standardhardware setzen. sie auch. Muss die Infrastruktur Zum anderen stehen sämtliche skalieren, stehen neu hinzugeHardwareressourcen nicht mehr fügte Hardwareressourcen unals einzelne Silos, sondern als mittelbar als Teil des gesamten einheitlicher Ressourcenpool zur Ressourcenpools zur Verfügung. Verfügung. Die hinderlichen Silogrenzen Fällt eine Hardwarekomponen- zwischen einzelnen Blöcken in te aus, leitet die Software die traditionellen Infrastrukturen Arbeitslast einfach auf andere gehören damit der VergangenRessourcen im Pool um. Um den heit an. Dateiserver, Block- und Netzwerkverkehr zu reduzieren, Objektspeicher, Back-Up und Diverschiebt sie die von den Appli- saster Recovery, Datenbankumkationen verarbeiteten Daten in gebungen etc. lassen sich dank

ITZBund ist AöR “Fünf Jahre nach der Gründung des ITZBund ist die Umwandlung in eine AöR für uns ein wichtiger Meilenstein, zugleich aber auch Ansporn, weiterhin mit guten Leistungen und gutem Service zu überzeugen, damit sich unsere Kunden voll und ganz auf ihre fachlichen Aufgaben konzentrieren können”, so ITZBundDirektor Dr. Alfred Kranstedt. Mittlerweile arbeiten im ITZBund 3.400 Beschäftigte an zwölf Dienstsitzen im gesamten Bundesgebiet, rund 45 Prozent mehr als 2016. In diesem Jahr sollen weitere 500 neue Stellen für die wachsenden Aufgaben geschaffen werden. Die Fläche der Rechenzentren hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt und beträgt aktuell rund 7.600 Quadratmeter.

Hardwareunabhängigkeit und Softwaresteuerung völlig unabhängig als Dienste bereitstellen. Mithilfe einer hyperkonvergenten Infrastruktursoftware können die Betreiber öffentlicher Rechenzentren sämtliche Dienste implementieren, bereitstellen, über eine zentrale Managementoberfläche verwalten und nutzen wie in der Public Cloud. Es entsteht eine Private Cloud, in der die ganze Cloud steckt. Damit wird auch klar, was die Cloud eigentlich ist: kein Ort, sondern ein hoch effizientes Betriebsmodell, das von Routineaufgaben entlastet, die Produktivität des IT-Personals massiv erhöht und die Anforderungen und Zufriedenheit der Nutzer in den Mittelpunkt stellt. Diese und andere Konsequenzen stehen im Mittelpunkt einer Online-Diskussion zum Thema “Betrieb öffentlicher Rechenzen-

tren – Erfahrungen und Lehren aus der Corona-Krise” am 21. Januar von 9:30 Uhr bis 11 Uhr auf Digitaler Staat Online.

Hochkarätige OnlineDiskussionsrunde Unter der Moderation von Dr. Eva-Charlotte Proll, Mitglied der Geschäftsführung des Behörden Spiegel, freue ich mich auf meine Mitdiskutanten • Matthias Bongarth, Geschäftsführer, des Landesbetriebs Daten und Information RheinlandPfalz, • Dr. Johann Bizer, Vorsitzender des Vorstands und Vorstand Lösungen und Ressourcen bei Dataport, • Hans-Josef Fischer, Betriebsleiter des Landesbetriebs Information und Technik NordrheinWestfalen (IT.NRW), • Christian Leinert, Präsident von IT Baden-Württemberg (BITBW), • Lars Hoppmann, Geschäftsleiter des Kommunalen Rechenzentrums Minden-Ravensberg/Lippe. Weitere Informationen und eine kostenfreie Anmeldemöglichkeit zu diesem Event unter: www. digitaler-staat.online/programm

WEBINAR-Reihe im Frühjahr 2021 Kurz und knackig auf den Punkt gebracht

Zuwendungsrecht und Zuwendungspraxis In dieser Webinar-Reihe werden praxisorientiert und anhand von Fallbeispielen die grundlegenden Rechtsvorschriften sowie die Strukturen des Zuwendungsrechts erläutert. Dabei wird aufgezeigt, wann eine Zuwendung vorliegt und unter welchen haushaltsrechtlichen Voraussetzungen Zuwendungen überhaupt bewilligt werden dürfen. Dabei wird auch auf das Erfordernis der Erfolgskontrolle eingegangen, welche sowohl für die Zuwendungsgeber als auch für die Zuwendungsempfänger zunehmend an Bedeutung gewinnt. Im weiteren Verlauf werden dann die Grundsätze des Antrags-, Bewilligungs- und Mittelauszahlungsverfahrens dargestellt und dabei wird auch auf die Aspekte des Verwaltungsverfahrensgesetzes bzgl. des Widerrufs und der Rücknahme von Zuwendungsbescheiden und der damit verbundenen Rückforderung eingegangen. Abschließend werden dann auch das Verfahren zur Prüfung der Verwendungsnachweise sowie das Verfahren zur Aufhebung von Zuwendungsbescheiden und die Rückforderung vermittelt.

THEMEN UND TERMINE zum Zuwendungsrecht: Vorzeitiger Maßnahmenbeginn Termine: 13.01. oder 16.04.2021

Aufhebung und Unwirksamkeit von Zuwendungsbescheiden Termine: 03.02. oder 30.04.2021

Allgemeine Nebenbestimmungen bei Projektförderungen Termine: 20.01. oder 28.04.2021

Verwendungsfrist – Bedeutung, Berechnung, Zinspflicht Termin: 05.02.2021

Erfolgskontrolle – Planung, Umsetzung, Beispiele Termine: 22.01. oder 30.04.2021

Besserstellungsverbot – Grundlagen, Struktur, Praxis Termine: 16.02. oder 22.04.2021

Zuwendungen nach BHO – Begriff und Voraussetzungen für die Gewährung Termine: 22.01. oder 23.04.2021

Vergaberecht bei Zuwendungen – muss das sein? Ein Überblick Termin: 17.02.2021

MELDUNG (BS/gg) Seit dem 1. Januar 2021 ist das ITZBund eine nichtrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Der IT-Dienstleister bleibt Bestandteil der unmittelbaren Bundesverwaltung. Vergabe- und Haushaltsrecht sowie beamten- und tarifrechtliche Regelungen des Bundes gelten uneingeschränkt weiter. Zukünftige Organe der Anstalt sind der Verwaltungsrat und das Direktorium. Das ITZBund will dadurch in der Ausrichtung verstärkt der ressortübergreifenden Leistungserbringung als IT-Dienstleister des Bundes Rechnung tragen. Der Verwaltungsrat setzt sich daher aus allen Bundesressorts zusammen.

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Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort „Zuwendungsrecht“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com


Künstliche Intelligenz

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Behörden Spiegel / Januar 2021

Spiegelbild der Gesellschaft

KI-Zertifikat “made in Germany”

KI-Systeme müssen nicht perfekt sein, um der Gesellschaft zu helfen

BSI und Fraunhofer IAIS wollen Standards setzen

(BS/Wim Orth) In der Diskussion um die Entwicklung und Nutzung von Systemen auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) oder deren “kleinem Bruder”, dem Machine Learning (ML), müssen sich die damit befassten Forscher, Entwickler und Sachbearbeiter immer auch mit dem Thema der “Algorithmic Bias” auseinandersetzen. Der Begriff bezeichnet die häufig unbewusst vorhandenen Vorurteile aus dem realen Leben, die sich in KI-Systemen direkt widerspiegeln, da diese eben vom Menschen erarbeitet werden. Die Bias gilt in vielen Bereichen wie beispielsweise der Ermittlungsarbeit als große Hürde, doch dem Phänomen lassen sich wissenschaftlich gesehen auch positive Effekte abgewinnen.

(BS/wim) Bereits heute stecken Systeme auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) hinter vielen innovativen Dienstleistungen, die Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend unterstützen. Bei all diesen Anwendungen ist aber immer der Gedanke an den Datenschutz und die Sicherheit solcher Technik mit im Spiel. Um das Vertrauen in die Technik und gleichzeitig die Akzeptanz in der Bevölkerung und damit auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung zu stärken, soll eine staatlich anerkannte KI-Zertifizierung “made in Germany” entwickelt werden. Um diese Zertifizierung so schnell wie möglich umzusetzen, haben Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), sowie Prof. Dr. Stefan Wrobel, Leiter des FraunhoferInstituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS), nun eine entsprechende Kooperationsvereinbarung unterzeichnet.

“Die Bias gehört dazu, ist aber zum Lernen der KI enorm wichtig”, erklärte Prof. Dr. Kristian Kersting aus dem Department of Computer Science, Artificial Intelligence and Machine Learning an der Technischen Universität (TU) Darmstadt, im Rahmen des Innovationssymposiums KI, das der Behörden Spiegel vor dem neuerlichen Lockdown in Berlin veranstaltete. “Ohne die Bias kann es für Systeme der Künstlichen Intelligenz kein vernünftiges Lernen geben, denn sie hält den Forschern den Spiegel der realen Gesellschaft vor”, so Kersting. Mithilfe der Erkenntnisse, die sich aus den Bias-Phänomenen der jeweiligen Daten ziehen ließen, könne man semantisch analysieren, welche Sprachbegriffe im Alltag näher an bestimmten anderen Begriffen verortet seien. So könne man einerseits die KI neutraler machen und somit verbessern, gleichzeitig aber auch Rückschlüsse auf die Gesellschaft ziehen: “In unseren Daten haben wir beispielsweise feststellen können, dass das Wort “Mann” statistisch näher am Begriff “Wissenschaft” verortet ist als das Wort “Frau”. Dieses Beispiel veranschaulicht eine gesellschaftliche Bias im realen Leben perfekt”, so Kersting. Und eine solche Bias werde ohne Wissen der Entwickler zunächst direkt in die Algorithmen übernommen.

An der Schwelle zur dritten Welle Grundsätzlich sieht der Forscher die Wissenschaft und die technische Entwicklung an der Schwelle hin zur sogenannten dritten und finalen Welle der KI-Systeme. Diese drei Wellen wurden bereits vor einiger Zeit von der US-amerikanischen Forschungsbehörde Defense Advanced Research Projects Agency,

Menschen nachfragen. “Die Systeme sollen nicht nur lernen, sondern auch eigenständig denken. Bei Unklarheiten kann sich die KI Feedback vom Sachbearbeiter holen und der Mensch erklärt dann, warum eine Entscheidung gut oder schlecht gewählt worden ist und warum das so ist”, erklärt Prof. Kersting. “Durch eine solche Wahrscheinlichkeitsannäherung kommen wir dann immer näher an neuronale Netze. Daher ist es gut, wenn die Systeme verstehen, dass etwas falsch analysiert wurde.”

KI ist kein übermenschliches Allheilmittel

Trotz aller Erfolge bei der Entwicklung von KI-basierten Systemen warnt Prof. Dr. Kristian Kersting von der TU Darmstadt davor, die neuen Technologien als Allheilmittel für alle Probleme der Verwaltung zu sehen. Foto: BS/Tim Dechent

kurz DARPA, formuliert. Laut der im Verteidigungsministerium angesiedelten Einrichtung gibt es drei Phasen, oder Wellen, der KI-Forschung, die mit besser werdender Forschung und leistungsstärkeren Computersystemen sukzessive aufeinander folgen: In der ersten Welle sind die Systeme dazu in der Lage, Sachverhalte durch Musteranalyse zu beschreiben; die Muster müssen vorab vom Menschen detailgenau in den Algorithmus integriert werden. In der zweiten Welle waren bzw. sind die Systeme in der Lage, statistische Berechnungen durchzuführen und aus diesen Statistiken Rückschlüsse zu ziehen; bekannte Beispiele für diese Art der KISysteme sind die Schachcomputer in den 1990er-Jahren, die erstmals in der Lage waren, Großmeister zu besiegen und anschließend fortan weiterentwi-

ckelt wurden. Die dritte Welle, an der die Forschung nun anklopft, ermöglicht einen direkten wissenschaftlichen Austausch mit den Systemen. Die kontextuelle Adaption von Informationen soll es dabei erstmals möglich machen, dass die Systeme ihre Entscheidungsfindung aktiv für den Menschen erklären können sollen. Der direkte Austausch auf der Metaebene würde einen Meilenstein für die weitere Entwicklung und Nutzung von KISystemen bedeuten, denn gerade für rechtskritische Prozesse wie die Entlastung von Polizisten in der Fallbearbeitung oder sonstige, direkt das Wohl des Menschen betreffende Anwendungen braucht es Whitebox-Systeme, in denen die Entscheidungsfindung vollständig nachvollziehbar ist und die bei Unsicherheiten beim

Bei aller berechtigten Euphorie rund um das Potenzial der Künstlichen Intelligenz und der ihr anverwandten Systeme sieht der Forscher allerdings eine gesteigerte Notwendigkeit, einige Dinge rund um die Thematik in ein pragmatischeres Licht zu rücken: “Wir müssen dringend einen Wandel schaffen, dass maschinelle Systeme nicht immer als perfekt gesehen werden. KIund ML-Systeme müssen nicht perfekt sein. Wenn sie die Menschen entlasten und den Durchschnitt steigern, haben wir doch schon viel gewonnen”, so Prof. Kersting. Die Weiterentwicklung hin zu immer besseren Entscheidungsquoten würde im Laufe der Zeit sowieso weiter vorangetrieben. Grundsätzlich müsse man die folgenden Denkansätze viel mehr in die Gleichung mit aufnehmen: “Einerseits muss intelligentes Denken nicht immer zwangsläufig menschlich sein und andererseits muss das maschinelle Denken nicht zwangsläufig intelligenter sein als das des Menschen”, so der Professor abschließend.

Das BSI und das Fraunhofer IAIS entwickeln Prüfverfahren, die als Basis für technische Standards und Normen dienen. Dazu arbeiten beide mit Partnern aus Deutschland und Europa zusammen. Als erstes großes Vorhaben für die KI-Kooperation der beiden Häuser startet Anfang 2021 das Projekt “Zertifizierte KI” der Kompetenzplattform Künstliche Intelligenz Nordrhein-Westfalen (KI. NRW). In dem Projekt legen unter anderem Unternehmen die konkreten Bedarfe an Prüfverfahren fest und führen Pilotprüfungen durch. So sollen die Standards ermittelt und geschaffen werden, die eine neutrale Bewertung der Systeme ermöglichen und die auch Verbraucherinnen und Verbrauchern Auskunft über zugesicherte Eigenschaften von KI-Technologien geben. Denn nur mit vertrauenswürdigen und verlässlichen Systemen können Unternehmen mit KI entscheidende Wettbewerbsvorteile erzielen, so das Land in einem Statement. NRW-Digitalminister Pinkwart sieht das Land durch seine geballten Kompetenzen und das Netzwerk KI.NRW in der Lage, “eine führende Rolle bei der Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft” zu spielen. “Damit das gelingt, machen wir den Einsatz der Künstlichen Intelligenz vertrauenswürdig und sicher. Dabei hilft uns eine unabhängige Zertifizierung von KI-Systemen: Sie stärkt das

Vertrauen in moderne IT-Technologie und wird auch international als wichtiger Wettbewerbsvorteil erkannt. Mit der Entwicklung marktfähiger Prüfverfahren nähern wir uns dem Ziel mit großen Schritten. Dieses wichtige Projekt mit starken Partnern aus Nordrhein-Westfalen zeigt die große Innovationskraft, die zur Etablierung der Marke “AI made in Germany” beiträgt.” Die Kooperation von BSI und Fraunhofer IAIS ermögliche die intensive Zusammenarbeit von Expertinnen und Experten, um technische Produkt- und Prozess­ prüfungen von KI-Systemen in der Wirtschaft zu etablieren, erklärt BSI-Präsident Arne Schönbohm: “Wichtig für die Akzeptanz neuer Technologien ist das Vertrauen der Anwendenden. Dies entsteht unter anderem durch transparente Prüfung, Bewertung und Zertifizierung von KI-Systemen. Grundlage für einheitliche Standards und Normen ist die Erarbeitung von Prüfverfahren, die wir nun mit unserem langjährigen Partner Fraunhofer IAIS angehen. Mit dem Wirtschaftsministerium NRW haben wir gleichzeitig einen verlässlichen Partner, der gute Rahmenbedingungen für Innovation schafft und fördert.” Bei der Weiterentwicklung der Prüfverfahren sollen Praxis­ tauglichkeit und Marktfähigkeit in enger Abstimmung mit der Wirtschaft in einem durch das Land geförderten Projekt weiter verbessert werden.

Corona-Test per Stimme Augsburger Forscher erkennen Infizierung per KI-Software

Innovationssymposium

Künstliche Intelligenz 29. Juni 2021 Hotel de Rome, Behrenstraße 37, 10117 Berlin

(BS/wim) Das Prinzip ist nicht neu: Bereits seit Jahren arbeitet der Inhaber des Lehrstuhls für Embedded Intelligence for Health Care and Wellbeing an der Universität Augsburg, Prof. Dr. Björn Schuller, mit seinem Team an Systemen auf Basis der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Stimmenanalyse an der Schnittstelle zwischen Informatik und Medizin. Schon im Jahr 2012 haben die Wissenschaftler Kehlkopfkrebs “gehört”, danach Autismus (2013), Parkinson (2015) und Erkältung (2016). Seit 2016 entwickelten Schuller und Team im RADARCNS Stimmenanalysen zur Diagnostik von großen Krankheitsbildern wie Depressionen oder Epilepsien. Mit Beginn der Corona-Pandemie hat sich aber auch in Augsburg das Forschungsfeld verändert: Im März 2020 erhielt das Entwickler-Team die Möglichkeit, zum aktuellen Covid-19-Virus zu forschen. Neues Ziel: Eine für niedergelassene Ärzte und Interessierte unkomplizierte Anwendung auf der Basis von Smartphone-Technologie zu entwickeln, die das Erkennen einer Covid19-Infektion berührungslos, in Echtzeit und sogar auf Distanz ermöglichen kann.

SAVE THE DATE

Mittels Analyse durch neuronale Netze soll die Anwendung der Uni Augsburg Covid-19-Erkrankungen anhand der veränderten Stimmwellen erkennen können. Grafik: BS/mtmmonline, pixabay.com

www.innovationssymposium-ki.de

Im März begann so die Auswertung von Stimmaufnahmen aus Wuhan, die Schuller von chinesischen Kollegen erhielt. Insgesamt verarbeitete das Team zunächst etwa 50 Stimmen von Covid-19-Patienten und etwa 50 Stimmen von nicht infizierten Patienten. “Diese Auswertungen waren erste Lernbeispiele für unseren Computer. Je mehr Stimmen wir auswerten können, umso genauer kann die App später funktionieren”, erklärt der Informatikprofessor. “Inzwischen erhalten wir die Daten aus dem Universitätsklinikum Augsburg, leider, muss man sagen”, erklärt

der Wissenschaftler angesichts der hohen Inzidenzwerte im CoronaHotspot Augsburg. Dennoch bringt die Zusammenarbeit viele Vorteile, so Schuller, denn anhand der sicheren Ursprungsdaten “lernt der Computer selber, worauf er achten muss, um COVID-19 und eben nicht Covid-19 voneinander unterscheiden zu können”. Inzwischen liege die Erfolgsquote der Spracherkennungs-App zur Covid-19-Erkennung bei über 80 Prozent, erklärt er. “Aber wir sind noch mitten in der Untersuchung, brauchen natürlich weitere Daten, also viele Stimmen sowohl von

Covid-19-Erkrankten als auch von gesunden Vergleichskandidaten.”

Stimmvirtualisierung in neuronalen Netzen Die App lernt mit tiefen neuronalen Netzen, die wesentlichen Merkmale in der Stimme zu repräsentieren, um dann anhand dieser eine Entscheidung zu treffen. So könne sie die Einflüsse der Krankheit aus dem Stimmbild heraushören, “etwa Kurzatmigkeit oder auch einfach Ermüdung und natürlich Husten oder Ähnliches”; beschreibt Schuller. Die neuronalen Netze erlernen dabei, ähnlich wie

im menschlichen Hirn, hochparallel Informationen zu verarbeiten. In Ebenen bilden sie das Sprachsignal mit zunehmender Komplexität ab und können nach dem Anlernen mit vielen Daten neue Probleme wie Covid-19 selbstständig darstellen und erkennen. Parallel hat Schuller eine weitere App entwickelt, die über einen längeren Zeitraum zuhört und Häufigkeiten von hörbaren Symptomen wie Husten, Niesen, Kurzatmigkeit, verstopfter Nase etc. beobachtet, aus dem “Gehörten” Rückschlüsse zieht und die Nutzerin oder den Nutzer informiert.

Weitere Verbesserungen nötig Das Projekt Spracherkennung von Covid-19 ist noch nicht abgeschlossen: “Wir beschäftigen uns neben der Verbesserung der Zuverlässigkeit mit einer erhöhten Erklärbarkeit der Analyse und erhöhten Transparenz der Entscheidung. Natürlich sind wir dann in erster Linie daran interessiert, dass Projekt in eine reale Anwendung überführen zu können, um für uns alle einen Mehrwert in dieser herausfordernden Zeit leisten zu können”, beschreibt Prof. Dr. Björn W. Schuller die nächsten Schritte.


Künstliche Intelligenz

Behörden Spiegel / Januar 2021

Kein Ersatz für den Menschen

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arauf macht Thomas Roosen, Direktor des nordrheinwestfälischen Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD), aufmerksam. In seinem Bundesland würden KI-Ansätze derzeit insbesondere im Kampf gegen Kinderpornografie, und hier insbesondere zur Gesichtsund Gegenstandserkennung, verwendet. Dies ermögliche zum einen eine schnellere Bearbeitung und zum anderen eine Entlastung der Mitarbeiter. KI ist inzwischen sogar in der Lage, bis zu zehn Jahre an Altersentwicklung zu berechnen. Dies bedeutet, dass Opfer von Kinderpornografie auch noch nach vielen Jahren anhand von Fotos, die aus ganz anderen Situationen stammen und im Internet zu finden sind, identifiziert werden können. Anwendung finden würde die Technik zudem bei der Verfolgung von Wirtschaftsdelikten sowie bei Fahndungen, so der LZPD-Direktor. Grundsätzlich gilt für ihn: Im Bereich der Prävention müsse die polizeiliche KI-Nutzung stärker begrenzt und reglementiert werden als bei der Repression. Die ebenfalls in Nordrhein-Westfalen genutzte Software zur Vorhersage von Wohnungseinbruchdiebstählen (“Predictive Policing”) hält Roosen hingegen noch nicht für KI. Dabei handele es sich vielmehr um eine maschinengestützte Prognoseunterstützung, so der LZPD-Direktor im Rahmen einer Online-Diskussionsrunde beim “Digitalen Staat Online” des Behörden Spiegel. Hier er-

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as Ende des INF-Vertrages hat zu einem neuen Wettrüsten auch mit Hyperschallraketen geführt, die diese Zeitspanne nun noch weiter verkürzen. Für eine Analyse und Bewertung dieser Alarmmeldungen bleibt für Menschen daher so wenig Zeit, dass hierfür verstärkt Systeme der Künstlichen Intelligenz (KI) eingesetzt werden sollen. Auch KI-Systeme können bei solchen Anwendungen keine sicheren Ergebnisse liefern, denn die zugrunde liegenden Daten sind unsicher, vage und unvollständig. Mit neuen technischen Möglichkeiten wird die Vielfalt an Sen­sordaten zur Erkennung eines Raketenangriffs wachsen. Auch die Vielfalt der Objekttypen, die zu erkennen sind, wird wachsen, z. B. durch eine zunehmende Anzahl an Objekten im Luftraum (Drohen) und im Weltraum (Satelliten, Abwehrsystem). Aufgrund der unsicheren Datengrundlage stützen Menschen ihre Entscheidungen auch auf Kontextwissen über die politische Lage. Auch bei maschinellen Entscheidungen muss zur Bewertung von Alarmmeldungen Kontextwissen zur weltpolitischen Lage einbezogen werden – und dieses Wissen ist ebenfalls unsicher, vage und unvollständig. Automatische Erkennungsergebnisse gelten deshalb nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und können falsch sein.

Automatische Klassifikation Bewertungen von Sensorsignalen in Frühwarnsystemen sind Klassifikationsaufgaben: Aufgrund der Signale der Sensoren ist zu entscheiden, ob diese auf einen möglichen Angriff hinweisen. Zu den Teilaufgaben gehören Entscheidungen über den Typ angreifender Flugobjekte und die Art des Angriffs. Aufgabe einer automatischen Klassifikation: Eine gegebene Situation oder ein Objekt kann durch eine Reihe von Merkmalen (Symptomen) beschrieben werden und aus einer größeren Menge von gegebenen Klassen (Diagnosen) ist dann eine oder es sind mehrere auszuwählen, zu denen das Objekt bzw. die Situation passt.

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Künstliche Intelligenz unterstützt Polizei aber

sprechend aufbereitet werden müssten, betonte Breger.

Infrastrukturelle Grenzen erreicht

(BS/Marco Feldmann/Uwe Proll) Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) entlastet Polizeibeamte und unterstützt sie unter anderem bei Auswertungen Problematisch sei zudem, dass und Analysen. Dies gilt ganz besonders bei großen Datenmengen oder unstrukturierten Datensätzen. Die Arbeit des polizeilichen Sachbearbeiters die nordrhein-westfälische Polikomplett ersetzen kann KI jedoch (noch) nicht: Am Ende eines Prozesses müsse weiterhin grundsätzlich eine menschliche Entscheidung stehen. zei mit Blick auf KI zunehmend

Diskutierten über den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) bei Sicherheitsbehörden (im Uhrzeigersinn): R. Uwe Proll (Moderator), Hans-Christian Witthauer (ZITiS), Florian Breger (IBM) und Thomas Roosen (LZPD NRW).

Screenshot: BS/Feldmann

wähnte Roosen auch, dass in seiner Behörde ein neues Labor für Innovation und auch KI eingerichtet werden solle. Im Ansatz des Predictive Policings stecke aber schwache KI, meinte Florian Breger. Solche gebe es bereits häufig im Polizeibereich, erläuterte der Vice President und Leiter des Geschäftsbereichs “öffentliche

Auftraggeber” bei IBM. Man befinde sich auf dem Weg hin zu breiter KI. Starke KI werde es hier erst in der Zukunft geben.

Datensätze müssen passen KI ließe sich im Umfeld der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) etwa auch im Kampf gegen Hasskriminalität oder Organisierte Krimi-

nalität (OK) verwenden, ergänzte der Vizepräsident der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS), Hans-Christian Witthauer. Problematisch sei dabei jedoch, dass es sehr viele unterschiedliche Vorstellungen von KI gebe. Dieser Umstand beeinflusse die öffentliche Diskussion zum Thema erheblich. Dabei sei KI

grundsätzlich eigentlich nichts Neues, ergänzte Breger. Die grundlegende Technik existiere bereits seit den 1960er-Jahren. Inzwischen seien jedoch ausreichend Rechnerleistungen und Datenmengen vorhanden, um KI sinnvoll nutzen zu können. Auf Ebene der Europäischen Union existieren ein Vorhaben, ein Labor sowie eine zentrale Einrichtung zur Analyse kinderpornografischen Materials. Dort soll auch mit Big Data und lernenden KI-Systemen gearbeitet werden, erfuhr der Behörden Spiegel aus zuverlässiger Quelle. Wie dies allerdings mit gleichlautenden Bemühungen des europäischen Polizeiamtes Europol koordiniert werden soll, ist noch offen Wichtig sei, dass die Algorithmen der KI mit den richtigen und passenden Datensätzen “gefüttert” würden. Nur dann könne die Technik dazulernen: “Die Datenbasis ist das A und O bei KI”, unterstrich Witthauer. Gelinge das, könne der KI-Einsatz sogar grundrechtsschonend sein, da dann nur relevante Daten herausgefiltert würden und es kaum noch “Beifang” gebe. Eine gute Analysebasis zu schaffen, sei teilweise sehr aufwendig und zeitintensiv, da die Daten ent-

Die Reaktionszeit sinkt, das Risiko steigt Zur KI-basierten Bewertung von Alarmmeldungen in Frühwarnsystemen (BS/Prof. Karl Hans Bläsius/Prof. Dr. Jörg Siekmann) Die Sicherung der atomaren Zweitschlagfähigkeit ist die Grundlage der Abschreckungsstra­ tegie, die bis heute jeden potenziellen Angreifer abgehalten hat, einen atomaren Angriff zu starten: “Wer als erster schießt, stirbt als zweiter”. Um auch bei einer Gefährdung der Zweitschlagfähigkeit reagieren zu können, haben die Atommächte computergestützte Frühwarn- und Entscheidungs­ systeme entwickelt und installiert, mit dem Ziel, einen Angriff rechtzeitig zu erkennen, um die eigenen atomaren Raketen vor dem vernichtenden Einschlag aktivieren zu können. Obwohl die Zeitspanne für Entscheidungen bei einer Angriffsmeldung in den letzten Jahren auf wenige Minuten gesunken ist, bleibt jedoch bisher die letzte Entscheidung – nicht zuletzt wegen der Fehleranfälligkeit solcher Systeme – Menschen überlassen.

Nicht nur menschliche Entscheidungen haben Fehlerpotenzial, auch bei maschinellen Entscheidungen muss zur Bewertung von Alarmmeldungen Kontextwissen zur weltpolitischen Lage einbezogen werden, das unsicher, vage und unvollständig ist. Durch den Klimawandel, aber auch zunehmende globale Anspannungen und immer kürzer werdende Reaktionszeiträume wird das Risiko eines “Atomkriegs aus Versehen” zukünftig wohl weiter zunehmen und Orte der Welt wie den Ground Zero der Atombombenexplosion in Hiroshima verwüsten. Foto: BS/Samueles, pixabay.com

In vielen Fällen kann mit den Erkennungsergebnissen auch ein Sicherheitsmaß angegeben werden, das ausdrückt, wie sicher das Ergebnis durch die automatische Erkennung eingeschätzt wird. Allerdings können Ergebnisse auch dann falsch sein, wenn die automatische Erkennung diese als sehr sicher einstuft. Solche Erkenntnisse gibt es auch in vielen anderen Anwendungen automatischer Klassifikation wie z. B. bei der Zeichenerkennung oder bei automatischer Rechnungserkennung. Aber auch bei solchen Anwendungen kommen Fehlentscheidungen trotz scheinbar sicherer Erkennungsergebnisse vor. Das Gleiche gilt auch für Frühwarnsysteme. Alle Ergebnisse automatischer Erkennung gelten immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und können falsch sein. Für die üblichen Anwendungen mag dieses Risiko tragbar sein, für einen atomaren Einsatz mit dem Potenzial alles Leben auf diesem Planeten auszulöschen, jedoch nicht.

Unsichere und unvollständige Datenquellen Fehler in Frühwarnsystemen sind z. B. durch spezielle Lichteffekte von Mond oder Sonne oder durch die Erfassung von Vogelschwärmen durch Radaranlagen entstanden und diese Unsicherheit von Klassifikationsergebnissen wird verstärkt durch Merkmale, die vage sind. Diesen kann nicht einfach einer der beiden Wahrheitswerte “wahr” oder “falsch” zugeordnet werden, sondern solche Merkmale gelten nur in bestimmtem Maße. Als Wahrheitswert wird dann ein beliebiger Wert zwischen null (für falsch) und eins (für wahr) zugeordnet. Helligkeit und Größe von Sensorsignalen sind z. B. vage Werte. Signale werden auch nicht immer auftreten, können also unvollständig sein. Dies kann insbesondere für neue lenkbare Raketensysteme gelten, die einer Erfassung ausweichen können. Außerdem sind für die elektronische Kampfführung Systeme wie “Kalaetron Attack” entwickelt worden, die

es ermöglichen sollen, eine Erkennung durch die gegnerische Flugabwehr abzuwehren (Behörden Spiegel, Mai 2020, Seite 45). Auch gibt es Spekulationen, dass Satelliten, die der Erkennung von Raketenangriffen dienen, durch CyberAngriffe unbrauchbar gemacht werden können. Andererseits könnte ein solcher Ausfall eines Satelliten als feindlicher Angriff und in Krisensituationen auch als Vorbereitung eines Raketenangriffs interpretiert werden.

Automatische Entschei­ dungen Unser normales Alltagswissen ist vage, unsicher und unvollständig. Trotzdem sind in vielen Situationen (z. B. Straßenverkehr) Schlussfolgerungen möglich und notwendig. In der KI sind verschiedene Methoden zur Behandlung von Unsicherheiten entwickelt worden. Besonders wichtig sind Methoden des probabilistischen Schließens. Hierbei werden numerische Werte für die Gültigkeit von Formeln verwendet, die dann beim Schlussfolgern miteinander verrechnet werden. Verschiedene Wahrscheinlichkeitsmodelle unterscheiden sich darin, wie Formeln verknüpft werden können und wie die Wahrscheinlichkeitswerte dann verrechnet werden. Auch zur Darstellung und Verarbeitung von vagen Werten werden meist numerische Werte verwendet. In vielen Fällen kann Unsicherheit oder Unvollständigkeit so behandelt werden, dass zunächst eine “normale”, “typische” Regelanwendung erfolgt. Typisch ist, dass Vögel fliegen können. Solange nichts Gegenteiliges bekannt ist und kein Widerspruch

entsteht, kann ein entsprechender Schluss gezogen werden. Im Falle eines Konfliktes müssen dann geeignete Maßnahmen zur Auflösung getroffen werden. Jedoch gilt für all diese Verfahren, dass die Ergebnisse ebenfalls unsicher und fehlerbehaftet sind, weshalb Wissenschaftler aus der KI-Forschung eine Entscheidung über Leben und Tod durch den Computer für falsch halten.

KI-Vorentscheidungen In der deutschen Öffentlichkeit wird ebenfalls mit großer Übereinstimmung gefordert, dass Entscheidungen zur Tötung von Menschen nicht automatisch erfolgen dürfen, sondern dass eine solche Entscheidung nur von einem Menschen getroffen werden darf. Solche Forderungen betreffen vorwiegend autonome Waffensysteme, aber sie müssen gleichermaßen auch für Gegenreaktionen auf Alarmmeldungen in Frühwarnsystemen gelten. Auch wenn eine solche Forderung eingehalten wird, haben Menschen in der Regel wegen der kurzen Zeitspanne keine echte Entscheidungsmöglichkeit. Die einem maschinellen Entscheidungsvorschlag zugrunde liegenden Informationen sind zu komplex, um diese in der kurzen verfügbaren Zeit (nur wenige Minuten) überprüfen zu können und die KI-Systeme können in der Regel keine einfachen nachvollziehbaren Begründungen liefern. Dem Menschen bleibt deshalb meist nur, zu glauben, was ein KI-System liefert. Die zunehmende Verbreitung von KI-Systemen in unserer Alltagswelt fördert zudem das Vertrauen in die Entscheidungskompetenz von technischen Systemen und es

an infrastrukturelle Grenzen stoße, machte Roosen deutlich. So werde es ihr künftig wohl nicht mehr möglich sein, all ihre Daten in eigenen Rechenzentren zu verwalten. Hier brauche es dann aller Voraussicht nach Kooperationen mit privaten Anbietern und einen breiteren Ansatz. Die Infrastruktur betreffend brauche es deutliche Verbesserungen, wenn es zum Einsatz starker KI kommen solle, unterstrich auch ZITiS-Vertreter Witthauer. Eine Auslagerung werde wahrscheinlich aber nicht mit allen polizeilichen Daten möglich sein, gab er zu bedenken. Die Bedeutsamkeit von Interoperabilität und einer KI-freundlichen Gesellschaftskultur verdeutlichte Breger. Um Letztere zu erreichen und Vertrauen in die Technik zu schaffen, brauche es Prinzipien, wirksame Leitlinien und ethische Grundsatzentscheidungen in Hinblick auf die Verwendung von KI. Hier könnte möglicherweise die von der ZITiS geplante Bewertungsstelle für Algorithmen im Sicherheitsbereich Abhilfe schaffen. Sie befinde sich derzeit in der Vorschlagsphase für das Bundesinnenministerium (BMI), erläuterte Witthauer. Ziel sei es, die Grundlagen der KI-Nutzung abzusichern.

ist zu erwarten, dass automatisierte Entscheidungsvorlagen oder Lagebeurteilungen von den entsprechenden Menschen als nur schwer zu ignorierende Faktoren zu bewerten sind. Wenn die Befehlshabenden wissen, dass die Entscheidungsvorlage von einem KI-System stammt, das in der Regel besser entscheidet als Menschen, wird es für einen Menschen schwer sein, sich einem solchen Entscheidungsvorschlag zu widersetzen.

Fazit Der Klimawandel wird in den nächsten Jahrzehnten vermutlich dazu führen, dass verschiedene Regionen nicht mehr bewohnbar sind. Dies könnte zu schwerwiegenden Konflikten und Krisen führen. Zusammen mit einem neuen Wettrüsten und zunehmenden Cyber-Kriegskapazitäten kann sich damit auch das Risiko eines “Atomkriegs aus Versehen”, verursacht durch einen Fehlalarm in einem Frühwarnsystem, deutlich erhöhen. Es darf nicht sein, dass bei einem Fehler in einem Frühwarnsystem von der Entscheidung eines einzelnen Menschen oder einer Maschine das Überleben der gesamten Menschheit abhängt. Die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen kann nicht durch stärkeren Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz in Frühwarnsystemen reduziert werden (siehe auch https://www.fwes. info/fwes-ki-20-1.pdf). Aufgrund der unsicheren und unvollständigen Datengrundlage können weder Menschen noch Maschinen eingehende Alarmmeldungen in so kurzer Zeit zuverlässig bewerten. *Prof. Karl Hans Bläsius ist ehemaliger Informatikprofessor an der Hochschule Trier und setzt sich gesellschaftlich gegen den “Atomkrieg aus Versehen” ein. Prof. Dr. Jörg Siekmann ist Mitbegründer des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie Senior Professor und “Koordinator für Digitale Bildung der UdS” an der Universität des Saarlandes.


Informationstechnologie

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Lab ist nicht gleich Lab

B

ehörden Spiegel: Herr Rupp, im Rahmen der Europäischen Konferenz der Digitalisierungslabore sind elf Labore und insgesamt 34 Expertinnen und Experten zusammengekommen. Was waren die zentralen Ergebnisse?

Behörden Spiegel / Januar 2021

Bessere Vernetzung in Deutschland und Europa erforderlich

(BS) Auf dem Event “Innovatives Management” (IMA) der MACH AG wurden u. a. Ergebnisse der Europäischen Konferenz der Digitalisierungslabore vorgestellt, die unmittelbar zuvor stattgefunden hatte. Deren zentrale Resultate waren auch Ausgangspunkt eines Interviews, das BehörRupp: Ein zentrales Ergebnis den ­­Spiegel-Redakteur Guido Gehrt im Rahmen der Veranstaltung mit Prof. Dr. Robert Krimmer, Christian Rupp – beide auch Teilnehmer an der war, dass viele Labore in die glei- Digitallabor-­Konferenz – und IMA-Gastgeber Rolf Sahre führte.

che Richtung marschieren, was die Entwicklung von Tools und Guides angeht, aber keiner so richtig von den Entwicklungen des anderen weiß. Diese notwendige Verbesserung der Vernetzung sollte auch dazu führen, dass bestehende Angebote ebenso besser genutzt werden, als dies bislang der Fall ist. Dies wurde im Rahmen der Konferenz auch von Staatssekretär Dr. Markus Richter und vom Generaldirektor der EU-Kommission Roberto Viola besonders betont. Ein zweites zentrales Thema der Diskussionen war der DigitalCheck von Gesetzestexten. Mit Blick auf diese “Digital Readyness” ist das Spektrum in Europa sehr breit. In Griechenland beginnt man z. B. derzeit erst damit, die papierbasierten Gesetzestexte per OCR überhaupt digital zu erfassen. Hier gibt es bislang gar keine Gesetzesdatenbank. In Dänemark hingegen wird jedes Gesetz von einer Agentur auf seine Digitaltauglichkeit geprüft. Der dritte Schwerpunkt war die Usability, also die Fragestellung, wie man es schafft, in den Digitallaboren menschenzentrierte Produkte zu entwickeln. Hier muss es einerseits viel mehr Bewerbung und Aufklärung geben, etwa bei der Frage “Wie nutze ich eine elektronische Identität?”, die für so ein Verfahren wichtig ist. Auf der anderen Seite geht

es darum, auch die Komplexität der Angebote entsprechend zu senken, um auch dadurch deren Akzeptanz zu erhöhen. Insgesamt hat es mich sehr gefreut, dass wir bei der Konferenz vor allem online, aber auch offline über 500 Teilnehmer aus 35 Staaten begrüßen durften, darunter übrigens auch aus Japan und den Philippinen. Behörden Spiegel: Wie muss man sich die Gemeinschaft der Europäischen Digitalisierungslabore vorstellen – als homogene Gruppe mit ähnlicher Struktur und Arbeitsweise oder als “bunte Truppe” mit dem gleichen Ziel, aber sehr unterschiedlichen Herangehensweisen? Rupp: Der Begriff des Digitalisierungslabors ist gerade in Deutschland sehr wenig spezifiziert. Dies zeigen etwa die Labore, die im Zuge der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes nur für wenige Wochen geöffnet und anschließend wieder geschlossen werden. Somit haben wir hierzulande hunderte von Digitalisierungslaboren. Dies ist in anderen Ländern anders. Ein Digitalisierungslabor wie das Lab X in Portugal existiert bereits seit fünf Jahren, auch das dänische Labor gibt es bereits seit 2011. Dort ist dies nachhaltig verankert

Christian Rupp war bis Ende 2020 CIO des Joint E-Government und Open Data Innovation Labs (JIL). Foto: BS/privat

Prof. Dr. Robert Krimmer hat eine Professur für E-Governance an der Universität Tartu (Estland). Foto: BS/privat

Rolf Sahre ist Vorstandsvorsitzender der MACH AG und Gastgeber des “Innovativen Managements”. Foto: BS/MACH

und mit dem entsprechenden Personal ausgestattet. Hierbei wird mitunter auch stark zentralisiert. So werden in Großbritannien alle Usability-Prüfungen für die britische Regierung zentral in einem Labor durchgeführt. Wobei man ohnehin sagen muss, dass die Usability im Zentrum aller Labore steht, sei es, dass Checklisten entwickelt oder Trainings für die Verwaltungen konzipiert werden, um die Beschäftigten entsprechend zu schulen.

Krimmer: Was uns von den meisten Digitallaboren grundsätzlich unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir als Digital Governance Lab an der Universität angesiedelt sind. Das heißt, wir sind maßgeblich durch Lehre und Forschung sowie Transferleistungen geprägt. Forschung im Digitalisierungsbereich folgt in Estland – noch stärker als in Deutschland – im Wesentlichen dem Geld.

Krimmer: Hier haben wir einerseits die formelle Zusammenarbeit im Rahmen von Projekten und anderseits die Kooperation im Rahmen der universitären Forschung. Bei Letzterem geben wir den Ministeriumsmitarbeitern Feedback zu ihrer Policy-Arbeit. Zudem sind wir sehr eng mit allen Akteuren vernetzt und treiben die Aktivitäten auch bei regelmäßigen Treffen weiter vo­ran. Hier ist Estland natürlich aufgrund seiner Größe und gerade einmal 1,3 Millionen Einwohnern sehr eng – auch über “versteckte” Kooperationen – verzahnt. Dies ist sicherlich nicht mit der Situation in Deutschland vergleichbar.

Behörden Spiegel: Herr Prof. Krimmer, was zeichnet das Digital Governance Lab Estonia aus?

Intelligenter Datenfluss User Interface Connector für einen optimierten Workflow (BS/Stephan Göttlicher/Markus Uhl) Auch im Fördermittelmanagement ist die Zielrichtung klar: Wünschenswert sind digitale End-to-End-Prozesse ohne Medienbrüche. Ob dieses Ziel erreicht wird, entscheidet sich allerdings nicht in der Prozessabwicklung im Verhältnis zwischen dem Antragsteller und der ausgebenden Stelle bzw. der internen Sachbearbeitung. Stattdessen trennt sich die “Spreu vom Weizen”, wenn Daten über Systemgrenzen hinweg ausgetauscht werden sollen. Sprich, wenn die intelligente Systemintegration des IT-Verwaltungssystems in die bestehende IT-Landschaft im Vordergrund steht. Als erster Impuls wird hierbei eine spezifizierte, entwickelte und im besten Fall bidirektionale Schnittstelle genannt. Ist das aber wirklich vonnöten? Halten wir uns folgendes Szenario vor Augen: Im Fördermittelmanagementsystem wird mit Bewilligungsschreiben eine Zuwendung in Höhe von z. B. 15.000 Euro zugesichert. Die eigentliche Auszahlungsanweisung muss nun im Haushaltswirtschaftssystem des Fördermittelgebers erfasst und die Überweisung angestoßen werden. Hier liegt also ein unvermeidlicher Datenfluss über Systemgrenzen hinweg vor. Um zeitaufwendige und gegebenenfalls fehleranfällige manuelle Erfassungen zu vermeiden, würde im konkreten Beispiel sehr schnell der Wunsch nach einer Schnittstelle zwischen den beiden Systemen laut: Es

müsste dann spezifiziert werden, welche Daten von A nach B oder umgekehrt übertragen werden sollen. Zudem müsste die Schnittstelle entwickelt, implementiert, getestet und gewartet werden. Die Aufzählung macht deutlich, dass dies ein durchaus langwieriger Prozess sein kann.

Ist der User Interface ­Connector die Alternative?

Eine echte Alternative zum beschriebenen Vorgehen ist der agentes User Interface Connector (aUIC), der in nur drei Schritten den automatisierten Datenaustausch zwischen zwei Anwendungen, die keine gemeinsame Schnittstelle haben, ermöglicht: Der erste Verarbeitungsschritt ist die Versorgung des aUIC mit Quelldaten. Über einen Webservice können diese Daten zum Beispiel aus Online-Portalen abgerufen werden. Zudem ist der direkte Zugriff auf Stephan Göttlicher ist Busieinen oder mehness Development Manager Public Sector bei der PASS rere Fileserver Consulting Group. möglich. Bei den zu verarbeitenden Foto: BS/PASS Dateiformaten ist die Software ex­ trem flexibel: Alle maschinell lesbaren Formate können verwertet werden. Die Aufbereitung Markus Uhl ist als Business Development Manager für die und Verarbeitung agentes group tätig. der Quelldaten erfolgt im sogenannFoto: BS agentes ten aUIC-Kern. Hier werden die zuvor definierten Datenformate, In-

halte, Prozessabläufe und eventuelle Prozessalternativen abgearbeitet. Der aUIC überträgt somit nicht nur Datensätze, sondern er prüft nach vorher festgelegter Logik und führt nachgelagert entsprechend unterschiedliche Transaktionen aus. Über ein optionales Freigabecenter können Anwender zudem eingehende Datensätze vorab prüfen und freigeben. Die im Kern erzeugten Datensätze können abschließend einmalig oder auch laufend an die gewünschte Zielanwendung mittels Webservice, Filetransfer oder über eine Interaktion mit der Benutzerschnittstelle in die Zielanwendung übertragen werden. So kann der Datenaustausch zwischen zwei Anwendungen, die keine gemeinsame Schnittstelle haben, automatisiert und die Datenübernahme kann beschleunigt werden.

Die Flexibilität ist der Trumpf Gerade im Fördermittelgeschäft werden die Zyklen der Förderthemen immer kürzer. Zum einen muss die Politik flexibler und zielgerichteter auf technologische Trendthemen im Rahmen der Grundlagen- oder angewandten Forschung reagieren und zum anderen auf Verwerfungen des Marktes durch externe Schocks. Insofern kommt der Abwicklung der Programme durch unterschiedliche Stellen eine wachsende Bedeutung zu – inklusive der Herausforderung, den Datenaustausch über Systemgrenzen hinweg zu organisieren. Der aUIC kann hier einen Beitrag leisten, um in kurzer Zeit diese Prozessorganisation zu optimieren.

Behörden Spiegel: Woran arbeiten Sie derzeit? Krimmer: Aktuell ist unsere Arbeit von einem Leuchtturm geprägt, dem Projekt Once Only Priciple, kurz TOOP, was auf Estnisch im übrigen Bierkrug heißt. Dieses steht in der Tradition der europäischen Large-Scale-Pilots. Wir haben also maßgeblich die technische Lösung mit sozialwissenschaftlicher Begleitforschung für das Single-Digital-Gateway gebaut. Für diesen Prototypen haben wir in drei Piloten die Prozesse in den Bereichen grenzüberschreitendes Wirtschaften, Datenaustausch von Unternehmensregistern und der Dokumentation im maritimen Bereich digitalisiert. Im Zuge der Umsetzung des Single-Digital-Gateways müssen ab 2023 21 grenzüberschreitende Verwaltungsprozesse verpflichtend digitalisiert sein. Das klingt nach nicht viel, hat aber für Europa große Auswirkungen. Nehmen wir das Beispiel eines Umzugs von Deutschland nach Estland: Zukünftig muss es möglich sein, sich in einem durchgängigen Prozess sowohl in Deutschland ab- als auch in Estland rechtsgültig anzumelden. Diese Vorgabe gilt aber auch entsprechend für die Gründung von Unternehmensniederlassungen oder die Einstellung von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im EU-Raum. Auch diese Services sollen dann über das Single-Digital-Gateway gewissermaßen mit einem Klick abrufbar sein. Wenn dieser Prozess im Inland digital verfügbar ist, muss er bis Ende 2023 auch grenzüberschreitend angeboten werden. Da in Estland bereits sehr viele Verwaltungsservices digital angeboten werden, ist hierzulande natürlich auch der Druck bzw. der Aufwand besonders hoch, bestehende digitale Prozesse entsprechend umzubauen. Genau hier arbeiten wir mit den verschiedenen Stakeholdern – wie dem Wirtschafts- und Kommunikationsministerium oder der Digitalisierungsagentur – sehr eng zusammen. Behörden Spiegel: Wie wird gewährleistet, dass die Ergebnisse des Labs auch “auf die Straße gebracht werden”?

Behörden Spiegel: Lässt sich das Format des estnischen Labs trotzdem auf Deutschland übertragen oder braucht es hierzulande aufgrund der Größe und Struktur eine andere Form der Organisation? Krimmer: Wenn man das Modell übertragen wollte, müsste man sicherlich in einem ersten Schritt die Elemente der Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Verwaltung und den Universitäten stärken. Dabei geht es gar nicht um Geld, sondern vielmehr darum, den Austausch zu intensivieren, damit einerseits Forschungsthemen stärker in die Verwaltung einfließen und umgekehrt die Verwaltung die Möglichkeit hat, die Forschungsagenda stärker zu beeinflussen. Ich glaube daher, dass es am sinnvollsten wäre, wenn sich die Digital-Governance-Labore in Deutschland zusammensetzen würden, um eine gemeinsame Forschungsagenda zu der Frage aufzustellen “Was braucht der Digitalisierungsstandort Deutschland, um diese in der öffentlichen Verwaltung voranzutreiben?”. Behörden Spiegel: Herr Sahre, inwieweit verändert die Vielzahl der Digitallabore, die nicht zuletzt im Zuge der OZG-Umsetzung aus dem Boden geschossen sind, auch die Anforderungen, welche an die Anbieter gestellt werden? Sahre: Einerseits freut es uns, dass jetzt sehr viel in Digitalisierungslaboren passiert. Andererseits ist auch Labor nicht gleich Labor. Wir verstehen unter Labor einen Ort der Kooperation, wo es sicherlich eine gewisse technische Grundausstattung braucht. Es ist aber auch ein Ort, um gemeinsam Dinge auszuprobieren, zu lernen und zu forschen, um anschließend dieses Wissen in Produkte einfließen zu lassen. Grundsätzlich sollte es dadurch gut gelingen, die Schwelle zwischen Prototyp und Produkt gut zu nehmen. Denn nicht jeder Prototyp wird ein Produkt. Hierzu braucht es auch einen Markt und ein Geschäftsmodell, damit letztlich

Wertschöpfung entstehen kann. Nur so kommen wir auch zu einem wirtschaftlichen Betrieb dieser Lösungen auf den Plattformen. Behörden Spiegel: Könnte die wachsende Innovationsbereitschaft in den Behörden dazu führen, dass die Anbieter auf die Bremse steigen, da es aus unternehmerischer Sicht nicht sinnvoll ist, jedes innovative Konzept gleich mit viel Aufwand in ein Produkt zu gießen? Sahre: Für mich bedingt eine Innovation eine Problemstellung, eine technische Lösung und ein Geschäftsmodell. Erst wenn diese drei Kriterien erfüllt sind, entsteht echte Innovation, die sich dann anschließend auch im Markt entsprechend entfalten kann. Der Markt für die Unternehmen ist bei Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung riesig – zumal, wenn man nicht nur an die OZG-Umsetzung, sondern auch an die Umsetzung der ganzen Smart-City-Konzepte denkt. Hier stehen sowohl die etablierten Unternehmen als auch StartUps im Wettbewerb und gerade aus diesem Wettbewerb um die besten Ideen und Lösungen entsteht Dynamik und Innovationskraft. Hierauf sollten wir auch in Deutschland vertrauen. Wir dürfen diesbezüglich nicht bei der OZG-Umsetzung stehen bleiben, sondern müssen uns mit dem gleichen Engagement den Fragen der Automatisierung der Verwaltungsprozesse und im nächsten Schritt auch des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz widmen. Die Euphorie, die wir aktuell bei der OZG-Umsetzung spüren, muss daher in andere Bereiche ausgeweitet und über das Jahr 2022 hinaus aufrechterhalten werden. Behörden Spiegel: Im Grunde ist Deutschland und somit auch die öffentliche Verwaltung aufgrund der Corona-bedingten Einschränkungen momentan ein einziges großes Digitallabor. Wie können Sie Ihre Kunden dabei unterstützen, in dieser Ausnahmesituation möglichst optimal arbeitsfähig zu bleiben? Sahre: “Digitallabor” ist in diesem Zusammenhang sicherlich eine schöne journalistische Metapher. Die Beschäftigten im Homeoffice sind jedoch eher Anwender als Gestalter von IT. Hier muss man ein wenig differenzieren. Wir konnten aber tatsächlich 90 Prozent unseres Geschäftes remote erbringen. Und auch vielen unserer Kunden ist das gelungen. Zum Teil waren unsere Berater sogar in den Büros der Kunden vor Ort und haben mit diesen kommuniziert, während diese zuhause im Homeoffice gearbeitet haben. Die Verwaltungen haben hier viel gelernt. Zudem standen in dieser Zeit weder der Datenschutz noch bestehende Personalratsvereinbarungen im Weg. Dies wird wahrscheinlich nach Corona noch mal ein Thema, wenn man wieder in der Verwaltung arbeiten kann und gleichzeitig die neu gewonnene Freiheit nutzen möchte. Sorgen mache ich mir an ganz anderer Stelle, nämlich mit Blick auf das Konjunkturpaket. Hier gab es in erheblichem Umfang zusätzliche Mittel für IT-Projekte. Jetzt sind wir mitten in der zweiten Welle und die Frage ist, ob diese ITProjekte nun wirklich an den Start kommen. Ich erlebe das derzeit nicht so, sondern nehme vielmehr wahr, dass laufende Projekte sogar gestreckt werden – natürlich auch aufgrund von Corona. Von Beschleunigung, Projekte vorziehen oder neue Projekte beginnen kann derzeit jedoch keine Rede sein. Ich frage mich auch, wie diese Mittel für welche konkreten Bedarfe abgerufen werden. Insgesamt habe ich aktuell die Sorge, dass sich die Digitalisierung hierzulande unter dem Eindruck von Corona eher verschleppt als beschleunigt.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Januar 2021

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Deutsche Behörden betroffen?

Diagnose: unsicher

Ausmaß des Cyber-Angriffs “Sunburst” noch ungewiss

Gesundheitswesen mit mangelhafter IT-Sicherheit

(BS/Benjamin Stiebel) Es handelt sich um einen der spektakulärsten Cyber-Angriffe der letzten Jahre. Und er dauert an. Betroffen sind neben der US-Regierung Organisationen weltweit, darunter Großunternehmen wie Intel und Microsoft. Die Hacker richteten sich schon im Frühjahr 2020 mit der Schadsoftware “Sunburst” Hintertüren über eine weit verbreitete IT-Verwaltungs-Software ein. Die ist auch bei deutschen Behörden und Unternehmen im Einsatz. Der Bundesregierung ist bisher eine Zahl von Organisationen im “niedrigen zweistelligen Bereich” bekannt, die das betroffene Produkt Orion von Solarwinds im letzten Jahr einsetzten. Das ist aus dem Bundesinnenministerium (BMI) zu hören. Darunter seien Bundesbehörden sowie Unternehmen. Auch in der Landes- und Kommunalverwaltung seien dem BMI Nutzer der Software bekannt. Zahlen sind in dem Bereich jedoch nicht zu bekommen, von einem Gesamtüberblick ist man weit entfernt. Zuvor hatten Medien über 16 potenziell betroffene Bundesbehörden berichtet, darunter das Bundesverkehrsministerium, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das ITZBund. Grundlage war eine von der Bundesregierung kurzfristig zusammengestellte Liste als Antwort auf eine schriftliche Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Manuel Höferlin. Aufgelistet wurden jedoch alle zu dem Zeitpunkt bekannten Behörden, die überhaupt SolarwindsProdukte nutzten – aber nicht zwingend die gehackte Software Orion. So stellte der Direktor des ITZBund, Dr. Alfred Kranstedt, klar: “Wir setzen punktuell Software von Solarwinds ein, aber nur ein Produkt, das nicht von dem Hack betroffen ist.” Dabei handele es sich um unkritische Server-Software. Entsprechend

(BS/stb) Im ersten Quartal 2021 startet die elektronische Patientenakte (ePA) mit einer Testphase. Bei der zugrunde liegenden Telematikinfrastruktur fanden IT-Sicherheitsforscher im Sommer noch Sicherheitsprobleme. Auch bei medizinischem Gerät und Gesundheits-Apps sind Sicherheitslücken keine Seltenheit. Schlechte Voraussetzungen, wenn Nach Angaben des Herstellers die Digitalisierung in das Gesundheitswesen Einzug halten soll.

Die Folgen des Lieferketten-Angriffs mit der Schadsoftware Sunburst (Sonnendurchbruch) sind noch nicht ganz abzuschätzen. Auch deutsche Behörden könnten zu den Betroffenen zählen. Foto: BS/jplenio, www.pixabay.com

sieht Kranstedt das ITZBund von dem Hack nicht betroffen. Aus dem BMI heißt es weiter, das BSI hätte die bekannten Orion-Nutzer gewarnt und Hilfestellungen angeboten. Mit den betroffenen Behörden stehe die Cyber-Sicherheitsbehörde in engem Austausch und unterstütze forensische Analysen. Nach derzeitigem Kenntnisstand hätten mittels Sunburst keine unberechtigten Zugriffe in Deutschland stattgefunden. Die verbleibende Gefahr ist nach Einschätzung der Bundesregierung gering, weil die Betroffenen

zwischenzeitlich Updates eingespielt oder die Software deaktiviert hätten. Eine Sicherheitsgarantie ist die Entfernung der Hintertür allerdings nicht. Denn damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Angreifer schon im Laufe des letzten Jahres unerkannt in den Netzen aktiv waren und sich gegebenenfalls noch weitere, bisher unbekannte Zugänge geschaffen haben. Einige IT-Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass potenziell Betroffene große Teile ihrer Netze neu aufsetzen müssen, um die Gefahr ganz zu bannen.

Solarwinds ist die durch Sunburst manipulierte Version der IT-Verwaltungssoftware Orion weltweit an rund 18.000 Kunden ausgeliefert worden. Bei wie vielen die Angreifer die Hintertür aber tatsächlich genutzt haben, ist unklar. Entdeckt wurde die Angriffskampagne im Dezember zuerst beim IT-Sicherheitsunternehmen Fireeye. Wenig später wurden Angriffe auf zahlreiche US-Behörden eingeräumt, darunter das Verteidigungs- und das Außenministerium. Betroffene Unternehmen sind unter anderem Cisco, Deloitte, Intel, Microsoft und VMWare. Mit Glück bleibt die Zahl der akut geschädigten Organisationen aber überschaubar. Die ermittelnden US-Behörden gehen inzwischen davon aus, dass der Angriff eine gezielte Spionageaktion ist, die sich gegen die USRegierung und deren Lieferanten richtet. Dafür spricht, dass die Angreifer einige Hintertüren selbst wieder geschlossen haben sollen, offenbar, um in Organisationen keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, in denen sie keine Informationen abziehen wollten. Überhaupt spreche das gut geplante Vorgehen bei dem Lieferketten-Angriff für einen staatlichen Akteur. Laut FBI und NSA ist sehr wahrscheinlich Russland verantwortlich. Belege dafür wurden nicht veröffentlicht.

Auf einer Veranstaltung des Chaos Computer Clubs präsentierten IT-Sicherheitsforscher Ergebnisse eines Portscans der Telematikinfrastruktur. Gefunden hatten sie 29 Konnektoren, die ohne Authentifizierung erreichbar waren. Hätte es zu diesem Zeitpunkt bereits die elektronische Patientenakte gegeben, hätten Hacker sie ohne große Schwierigkeiten auslesen können, so die Forscher. Die für den Betrieb verantwortliche gematik GmbH wurde vorab informiert, um die Schwachstellen beheben zu können.

Gut durchdachte Verschlüsselungsarchitektur Dass der Telematik-Betreiber die Informationssicherheit bei der ePA ernst nimmt, zeigt die bei der TU Graz in Auftrag gegebene Sicherheitsanalyse. Die Autoren kamen zum Schluss, dass die Verschlüsselungsarchitektur gut durchdacht sei. Sie fanden vier Schwachstellen, die allesamt behoben wurden.

Zahlreiche Sicherheitslücken bei Servern und Apps Sicherheitsprobleme sind auch anderswo offenbar geworden. So seien 200 Server von Gesundheitseinrichtungen mit unzureichendem Datenschutz entdeckt worden. Auch bei GesundheitsApps von privaten Anbietern mangele es teils an Datenschutz

und Sicherheit. So konnten die Experten bei der TerminvergabeLösung Doctolib auf Metadaten zugreifen: Dritte könnten auf diesem Weg ermitteln, bei welchen Arztpraxen Patienten Termine gemacht haben. Über die Corona-Datenspende-App Thryve sei sogar der unbefugte Zugriff auf personalisierte Daten von Fitnessarmbändern möglich gewesen.

Keine Sicherheitsevaluierung Ein ernüchterndes Zeugnis stellte jüngst auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) aus. Eine aktuelle Studie zeigt IT-Sicherheitsprobleme bei Medizingeräten wie Herzschrittmachern oder Insulinpumpen auf. Eine Stichprobe mit zehn Geräten brachte 150 Sicherheitslücken zutage. Eine parallele Studie zu vernetzten Produkten für den Pflegebereich kam zu ähnlich gravierenden Ergebnissen. Alle sechs getesteten Geräte vom Hausnotrufsystem über die smarte Pillendose bis hin zum Senioren-Tablet wiesen mittlere oder sogar schwerwiegende Schwachstellen auf. Die Cyber-Behörde schließt daraus, dass keinerlei Sicherheitsevaluierung stattgefunden hat und bei der Entwicklung keine der unter anderem vom BSI veröffentlichten Handreichungen zur Sicherheit bei vernetzten Medizinprodukten zu Rate gezogen worden ist.

Kryptowährungen: Bitcoin, Monero und Co.

Inklusiv, vernetzt, robust

Software revolutioniert Zahlungsverkehr und Finanzsystem

Smart Cities, die den Bürgern dienen

(BS/Marian Kogler) Bitcoin knackt zum ersten Mal die 30.000-Dollar-Marke, neue DeFi-Projekte nehmen in- (BS/Prof. Dr. Christian Schachtner*) Smart Living, Smart Public Service, Smart Interaction und smarte Infranerhalb von Stunden Millionen ein und PayPal will künftig Kryptowährungen als Zahlungsmittel akzeptieren strukturen: Die digitale Zukunft der Kommunen dreht sich um Online-Anwendungen, Datenplattformen und – Zeit für einen Blick hinter die Kulissen. Vernetzung. Dabei darf der Blick nicht nur auf die Technik gerichtet werden. Digitale Projekte sollen den Bürgerinnen und Bürgern dienen und sie einbeziehen. Inklusivität, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Verfügbarkeit lichen sollen. Wer sind leitende Kriterien für die erfolgreiche Smart City. Als im Jahr 2008 eine Person, die wir nur unter ihrem Pseudonym “Satoshi Nakamoto” kennen, auf einer obskuren Mailingliste für Kryptografie und Privatsphäre ihren Artikel “Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System” veröffentlichte, legte sie damit die Grundlage für eine neue Gattung von Währungen, die Kryptowährungen. Während eine konventionelle Währung üblicherweise von einer Zentralbank emittiert und über Banken oder andere Dienstleister elektronisch übertragen wird, existieren Kryptowährungen in einem dezentralisierten Netzwerk, an dem grundsätzlich jeder Computer teilnehmen kann, auf dem eine bestimmte Software läuft. Bitcoin startete im Januar 2009 in den Echtbetrieb, doch zu Beginn handelte es sich eher um eine technische Spielerei. Bitcoins wurden häufig kostenlos zum Testen versendet und wenn sie verkauft wurden, dann für Bruchteile von Cents. Mit der Zeit zeigten sich jedoch zwei wichtige Anwendungsfälle für Bitcoin und andere Kryptowährungen. Einerseits die Spekulation: Durch die gewaltigen Kursanstiege kauften Menschen (und auch Unternehmen) Bitcoins, um sie später gewinnbringend zu verkaufen – so mancher Sportwagen gehört nun einem Bitcoin“Early-Adopter”. Andererseits die dunkle Seite: Transaktionen, die man nicht über sein Konto oder einen klassischen Zahlungsdienstleister laufen lassen möchte, weil sie illegal oder moralisch unerwünscht sind.

Impuls für illegale Märkte im Netz Neben eher harmlosen Anwendungsfällen wie Online-Poker oder

am Ende Recht behält, wird die Zeit zeigen. Andere Kryptowährungen sehen ihre BesonFoto: BS/privat derheit nicht in der Anonymität, sondern in den zusätzlichen Funktionen, wie beispielsweise Ethereum. Ethereum ermöglicht es, Programme zu schreiben, die mit Geld arbeiten. Findigen Programmierern ist es mit dieser und ähnlichen Technologien gelungen, Kreditvergabe, Tagesund Festgeldkonten, Aktien oder Anleihen in Kryptowährungen nachzubauen, ohne dass Banken involviert sind. Daher der Name DeFi: “decentralized finance” – die Geldflüsse laufen nicht alle von oder zu einer Zentralstelle, sondern zwischen verschiedenen Benutzern. Wer auch immer hinter dem Pseudonym “Satoshi Nakamoto” steckt – nicht nur ist er oder sie Multimilliardär (dank seiner BitcoinGuthaben aus der Anfangszeit), sondern kann auch erleben, wie seine Idee inzwischen im Mainstream angekommen ist. PayPals Börsenkurs stieg seit der Ankündigung, ab Frühjahr 2021 auch Kryptowährungen zugänglich machen zu wollen, um 17 Prozent. So lohnt sich die Beschäftigung mit der neuen Art des Zahlungsverkehrs auch für die alte Garde.

Marian Kogler ist Geschäftsführer der syret GmbH und Dozent der Cyber Akademie.

Spenden für WikiLeaks fiel da­ runter auch die Silk Road. Ross Ulbricht gründete 2011 den ersten Darknet-Markt und benannte ihn nach der historischen Seidenstraße. Auf seiner “Silk Road” konnte man Bitcoins gegen illegale Güter handeln, wie Drogen, gefälschte Ausweise und zeitweise Waffen. Zahlreiche Fehler und Nachlässigkeiten führten zu seiner Festnahme im Oktober 2013 und der Beschlagnahmung seines Marktes. Heutige Darknet-Märkte funktionieren noch immer nach ähnlichen Prinzipien, wenn sie auch häufig weitere Funktionen bieten. Es kommt zwar regelmäßig zu Verhaftungen und Beschlagnahmungen, aber ebenso regelmäßig kommen neue illegale “Unternehmen” auf den Markt.

Neue Währungen, neue Funktionen Um die Nachvollziehbarkeit zu erschweren, wurden inzwischen neue Kryptowährungen entwickelt, wie zum Beispiel Monero. Die Entwickler von Monero behaupten, durchgeführte Transaktionen mit Sender, Empfänger und Betrag seien nicht nachvollziehbar. Umgekehrt hat ein amerikanisches Unternehmen zwei Patente eingereicht, die Techniken beschreiben, die eine Verfolgung zumindest der meisten Transaktionen ermög-

Hintergründe und Praxiswissen zum Thema bietet der neue Lernpfad Kryptowährungen der CyberAkademie. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.cyberakademie.de, Suchbegriff “Kryptowährungen”

“Wir wollen Sie dazu befähigen, Digitalisierung souverän und in Augenhöhe zu erleben.” Das verspricht die Geschäftsführerin der Digitalstadt Darmstadt GmbH, Simone Schlosser. “Wir verstehen die Digitalisierung als Schlüssel zur effektiven Nutzung immer knapper werdender Ressourcen. Sie hilft uns, stärker als zuvor in Richtung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit vorzustoßen.” Projekte der Digitalstadt Darmstadt unterlägen daher einer Reihe von Prämissen, wie Schlosser ausführt: wertvoll für alle, zukunftsorientiert, sicher, partizipativ und nachhaltig. Ein Ethik- und Technologiebeirat evaluierte alle Vorhaben regelmäßig daraufhin.

An “Ethikleitplanken” orientieren Darmstadt erhielt 2017 den Beinamen “Digitalstadt”. Seit dem Sieg im entsprechenden Wettbewerb des IT-Branchenverbandes Bitkom sind knapp 80 Einzelprojekte auf den Weg gebracht worden, darunter innovative Mobilitätskonzepte, Projekte im Bildungsbereich oder zur CyberSicherheit im öffentlichen Raum. Für 2021 ist mit der Einführung einer städtischen Datenplattform ein anspruchsvolles Vorhaben geplant. Alltägliche Daten aus dem urbanen Leben sollen Bürgern in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden. Schlosser sieht darin einen weiteren wichtigen Meilenstein für die Smart City. “Inklusiv, vernetzt, robust: Darmstadts Digitalisierungsprojekte, die entlang unserer Ethik­ leitplanken umgesetzt werden,

stehen für diese Attribute und somit ist das Fundament, auf dem wir bauen, nicht die Technik, sondern es sind die Menschen in unserer Stadt.” Den Bürger stellt auch Thomas Böning in den Mittelpunkt der Betrachtung: “Eine moderne Smart City wird nicht nur viel digitale Technik als grundlegende Infrastruktur zur Verfügung stellen müssen, sondern auch mit einer digitalen und sehr dynamischen Gesellschaft auf Augenhöhe in Kontakt stehen, um neue Bedarfe schnell zu erkennen und darauf reagieren zu können”, so der Referatsleiter für Informations- und Telekommunikationstechnik bei der Stadt München. “Digitalisierung ist in diesem Kontext auch ein gesellschaftlicher Kulturwandel, der viel Neues für die Menschen bringen wird.” Die Münchner Digitalstrategie stellt die Smart City als strategische Säule neben die Säulen “digitale Verwaltungsservices” und “digitale Gesellschaft”. Ziel der Münchner Strategie sei es auch, so Böning weiter, “eigene kommunale Standards in der Digitalisierung zu setzen, die andere Kommunen übernehmen können, und damit das Umfeld der Digitalisierung nicht nur der aktuellen Digitalindustrie zu überlassen”.

Smart City nicht ohne ITSicherheit Eine Lanze für die Informationssicherheit bricht Dr. Christian Götz, stellvertretender Vorstandvorsitzender des ITSicherheitsclusters e. V. und Informationssicherheitsbeauf-

tragter der IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim. “Je smarter eine Stadt, desto vernetzter und komplexer ist sie, desto mehr Schwachstellen und Angriffspunkte entstehen, desto mehr können Angreifer politisch oder wirtschaftlich im Schadensfall gewinnen. Das Risiko für eine smarte Gesellschaft steigt dadurch immens.” Götz plädiert dafür, Informationssicherheit bei Digitalisierung- und Smart-City-Projekten immer von Anfang an mitzudenken und als ersten Schritt bei der Entwicklung smarter Lösungen zu sehen. Dabei sei es mit punktuellen technischen und organisatorischen Maßnahmen nicht getan. “Informationssicherheit ist eine Managementaufgabe”, meint Götz. Wie andere Managementaufgaben gelingt auch diese am besten als strukturierter Prozess wie bei einem Informations-Sicherheits-Management-System (ISMS). Dieses Vorgehen stellt sicher, dass kein relevanter Aspekt übersehen wird und dass Sicherheit nicht als statische Eigenschaft, sondern als kontinuierlicher Verbesserungsprozess verstanden wird. Götz: “Informationssicherheit ist lästig, sie kostet Geld, bleibt eine Dauerbaustelle und hat den Ruf des Verhinderers. Doch ohne umfassende Informationssicherheit ist Smart City von Beginn an zum Scheitern verurteilt.” *Prof. Dr. Christian Schachtner ist Studiengangleiter Public Management der IUBH Internationale Hochschule.


Informationssicherheit

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Cyber-Resilienz

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esilienz wird im organisatorischen Kontext einerseits als Fähigkeit verstanden, die Funktionsfähigkeit von Kernprozessen und Kerninfrastrukturen (etwa die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung, Zahlungsprozesse oder die Energie- und Kommunikationsnetze) auch unter außergewöhnlichen und unwahrscheinlichen Umständen auf ausreichendem Niveau aufrechtzuerhalten. Beispiele für solche Umstände sind Wirtschaftskrisen, Pandemien, Netzausfälle und immer häufiger auch massive Cyber-Angriffe. Andererseits bezieht sich Resilienz auf die Fähigkeit, ausgehend von den ausreichend funktional gehaltenen Prozessen eine zügige Recovery zur vollen Leistung vornehmen zu können.

Cyber Security für eine vulnerable Welt Die hohe strategische Relevanz der Cyber-Resilienz ergibt sich dabei aus dem Zusammenspiel mehrerer Trends. Wir erleben eine fortschreitende Vernetzung, die nicht zuletzt durch die Entwicklung des Internet of Things in neue Dimensionen hineinreicht. Bedingt durch die enge und weiter zunehmende Verzahnung in Lieferketten und IT-Netzen können lokale Angriffe schnell eine globale Dimension entfalten. Diese Entwicklung wird durch die Digitalisierung massiv verstärkt, denn gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme funktionieren ohne die IT de facto nicht mehr. Das hohe Tempo der technologischen Entwicklung und der Druck zur digitalen Optimierung der Geschäftsprozesse führen dabei auch dazu, dass teilweise unausgegorene und nicht ausreichend geschützte Technologien zum Einsatz kommen. Gleichzeitig beobachten wir eine Professionalisierung der Angriffe, die zunehmend durch eine hochorganisierte, schlag-

Behörden Spiegel / Januar 2021

Das neue Paradigma für die IT-Sicherheit (BS/Matthias Ochs) Die vergangenen Monate haben die digitalen Infrastrukturen von öffentlichen Organisationen und Unternehmen vor enorme Herausforderungen gestellt. Innerhalb kürzester Zeit mussten Teams, Strukturen, Abläufe und Technologie auf eine Ausnahmesituation umgestellt werden. Dieser noch immer nicht abgeschlossene Prozess hat gerade in der IT-Sicherheit die Bedeutung der Resilienz als Kerneigenschaft komplexer Systeme stark in den Vordergrund gerückt und das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Cyber-Resilienz als zentrales Leitbild innerhalb jeder IT-Strategie etabliert werden muss. kräftige und immens profitable Hacker-Industrie erfolgen, hinter der sowohl private als auch staatliche Akteure stehen. In Summe können Cyber-Angriffe Schadensdimensionen annehmen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar erschienen. Die Zerstörungskraft der Ransomware Wannacry, die 2017 die Abfahrtsmonitore der Deutschen Bahn lahmlegte und immer noch Schäden in Milliardenhöhe verursacht, ist ein Vorgeschmack auf die Herausforderungen, denen sich die IT-Security stellen muss. Und auch Angriffe ohne globale Reichweite können katastrophale Folgen haben – so etwa bei der Attacke auf das Universitätsklinikum Düsseldorf, die sich im September 2020 ereignete. 30 Server wurden von Hackern dabei verschlüsselt – und die Abläufe in dem Krankenhaus weitgehend lahmgelegt. Vor diesem Hintergrund gilt es, unser Verständnis von ITSicherheit auf den Prüfstand zu stellen. In den kommenden Jahren müssen wir lernen, Risiken und Aufwände, die in Relation zu diesen Risiken stehen, effektiv zu managen. Dabei geht es vor allem darum, sich auf eine adäquate und nicht auf eine hundertprozentige Sicherheit zu fokussieren. Das Denken in den Kategorien der Resilienz ermöglicht es, Gefahren bewusst zu akzeptieren und zur Grundlage der SecurityStrategie zu machen. So lassen sich effektive und kostengünstigere Lösungen aufbauen, um im

Matthias Ochs ist Geschäftsführer der genua GmbH. Foto: genua GmbH

Ernstfall angemessen zu reagieren und eine schnelle Recovery zu ermöglichen.

tion und flexibler Einsatz von internem und externem Know-how sind die Voraussetzung dafür, dass die Gefahren schnell eingegrenzt werden und eine möglichst zeitnahe Recovery initiiert werden kann.

Technologische Voraussetzungen für CyberResilienz Aus technologischer Perspektive

Strukturelle Voraussetzungen geht es dabei um das Zusamfür Cyber-Resilienz menspiel zwischen Detektion Was sind nun die Voraussetzungen, die für eine nachhaltige Cyber-Resilienz geschaffen werden müssen? Der Ausgangspunkt auf dem Weg zur Cyber-Resilienz ist eine fundierte Risikoanalyse der kritischen Geschäftsprozesse inklusive der Definition möglicher Bedrohungen. Dies bildet einerseits die Basis für wirksame Mitigationsstrategien, etwa im Hinblick auf Firewalls, Backup, oder Awareness-Schulungen, und andererseits für tragfähige Notfallpläne für Risiken, die mit akzeptablem Aufwand nicht vollumfänglich mitigiert werden können. Korrespondierend dazu müssen die Verantwortlichkeiten, Führungsstrukturen und Kommunikationsprozesse optimal auf Notsituationen ausgerichtet werden: Schnelle Entscheidungen, hohe Reaktionsgeschwindigkeit, reibungslose Ressourcenalloka-

und Prävention. Dabei machen die skizzierten Entwicklungen und Rahmenbedingungen die Prävention zu einer anspruchsvollen Aufgabe, bei der klassische Firewall-Regeln und -Policies an ihre Grenzen kommen. Leistungsfähigere kontextabhängige und kontextübergreifende Regelwerke ermöglichen zwar eine höhere Qualität der Prävention. Zusätzlich gewinnt aber auch ein effektives und vor allem schnelles reaktives Vorgehen nach der Erkennung der Gefahr zunehmend an Bedeutung. Die Relevanz der Reaktionsgeschwindigkeit lässt sich dabei am Beispiel des Contact Tracings in der aktuellen Corona-Pandemie illustrieren: Werden die Infektionsketten nicht schnell und effektiv eingegrenzt und unterbrochen, gerät die Dynamik außer Kontrolle. Das gilt analog auch für die Reaktion auf

einen Angreifer im IT-Netzwerk. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die nahtlose Kombination aus vertikaler und horizontaler Mitigation. Dabei stehen bei der vertikalen Ausprägung Themen wie Off-site und Multi-Level Back-up, externe und interne Sicherheitsperimeter, und Monitoring im Fokus. Die horizontale Mitigation umfasst heterogene Infrastrukturen (Systeme mehrerer Anbieter), Flexibilität in den Arbeitsweisen und den Einbau von Redundanzen, um einen Totalausfall zu vermeiden. Integrierte Defence-in-Depth-Konzepte spielen dabei eine wichtige Rolle und umfassen Security-Lösungen am Endpunkt, im LAN, am inneren und äußeren Netz-Perimeter, VPN-Produkte zum Schutz von Kommunikation sowie Monitoring-Tools.

Handlungsbedarfe für die kommenden Jahre Vor diesem Hintergrund ergeben sich drei wesentliche Bausteine für die Transformation von IT-Sicherheitsarchitekturen in Richtung einer umfassenden und nachhaltigen Cyber-Resilienz. Der erste Baustein ist ein effektives und umfassendes Management der Komplexität. Dabei geht es erstens um den Ausbau der Präventionsmöglichkeiten in Richtung intelligenter Systeme, die beim Beherrschen der zunehmenden Komplexität durch den Einsatz AI-basierter Lösungen und Methoden helfen. Gleichzeitig sollte jedoch die Komplexität

reduziert werden, beispielswiese durch klar definierte und minimale Schnittstellen (etwa durch Mikrokernel auf OS-Ebene oder Segmentierung und Mikrosegmentierung auf Netz-Ebene). Parallel dazu müssen die Detektionsmöglichkeiten und das Monitoring auf Netz- und Applikationsebene ausgebaut werden. Zweitens sollten SicherheitsPolicies basierend auf Aufgaben und Verantwortlichkeiten entwickelt werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf identitäts- und dienstebasierten Zugriffskontrollen (authentisierter Nutzer von überprüftem System darf spezifische Applikation benutzen), die sowohl bei der Prävention als auch bei der Detektion helfen. Und schließlich müssen auch die skizzierten Voraussetzungen geschaffen werden, um eine auf Cyber-Resilienz ausgerichtete IT-Sicherheitsorganisation aufzubauen. Dieser Prozess ist mehr als die Summe seiner strukturellen, personellen und technologischen Elemente: Seine Initiierung hat tiefgreifende transformative Auswirkungen auf die gesamte Organisation und ist der Weg zu einem neuen IT-SecurityParadigma.

MELDUNG

Impfportal angegriffen (BS/stb) Unbekannte haben das Thüringer Web-Portal für die Corona-Impfung angegriffen. Um den Jahreswechsel wurde der Server zielgerichtet mit fast 160.000 Anfragen überlastet, wie das Gesundheitsministerium des Landes erklärte. Buchungen von Impfterminen durch mehrere Hundert Nutzer seien daraufhin verfallen. Die Betroffenen waren kurzfristig informiert worden. Sie konnten über einen exklusiven Zugang einen neuen Termin buchen. Das Web-Portal ist wieder erreichbar und funktionsfähig.

NEUES AUS DER CYBER AKADEMIE

2021: Vorsicht vor Ransomware & Co.!

(CAk) Datendiebstahl bei Fireeye, Operation Sunburst sowie hierzulande der erfolgreiche Ransomware-Angriff auf das Unternehmensnetzwerk der Funke Mediengruppe: 2020 endete aus Sicht der Cyber-Sicherheit mit mehr als einem großen Knall und gibt einen Vorgeschmack auf die digitalen Gefahren des Jahres 2021. Denn von einem Rückgang schädlicher Cyber-Aktivitäten ist ersteinmal nicht auszugehen. Ganz im Gegenteil: Die IT-Community sowie einschlägige Beratungshäuser und Sicherheitsunternehmen warnen vor einer weiteren Zunahme von Angriffen in Quantität und Qualität. Der Lagebericht zur IT-Sicherheit des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik 2020 attestierte etwa erneut mehr Schadprogramm-Varianten und eingegangene Meldungen Kritischer Infrastrukturen zu Sicherheitsvorfällen im Vergleich zu den Beobachtungszeiträumen der Vorjahre. Qualitativ emanzipiert sich insbesondere Ransomware als Mittel der Wahl für erfolgreiche und besonders lukrative Angriffe. Dabei verschlüsseln die Angreifer die Daten der attackierten Organi-

sation und verlangen für deren Entschlüsselung die Zahlung eines Lösegelds.

Eldorado für Cyber-Kriminelle Mehrere Faktoren sind für diese Entwicklung ausschlaggebend. Zunächst findet auch im kriminellen Milieu eine Digitalisierung statt. Zwar greift nicht jeder Online-Täter auf Ransomware zurück, jedoch führt der wachsende Konkurrenzkampf der Cyber-Kriminellen untereinander zu einem gezielteren, professionelleren und beutemaximierenden Vorgehen. Hierfür ist die unter anderem als Erpressungstrojaner bekannte Malware prädestiniert: betroffene Organisationen sehen in der Zahlung des Lösegelds einerseits die schnellste und einfachste Möglichkeit, um Arbeitsfähigkeit und Daten wie-

Einfach erklärt: Ransomware (CAk) Ransomware ist eine Form von Malware, mit der Angreifende Dateien des penetrierten Netzwerks verschlüsseln. Für eine Entschlüsselung wird die Zahlung eines Lösegelds (eng.: ransom) von den Geschädigten gefordert. Entsprechend geläufig sind auch die Synonyme Erpressungs- oder Verschlüsselungstrojaner. Von einer Zahlung wird aus folgenden Gründen dringlichst abgeraten: Eine Freischaltung nach Lösegeldeingang ist nicht garantiert; Organisationen, die auf Forderungen eingehen, gelten als besonders attraktiv für weitere Ransomware-Angriffe; mit der Zahlung wird ein kriminelles Geschäftsfeld unterstützt. In den USA haben deswegen zahlende Unternehmen mit Strafen seitens der Kontrollbehörden zu rechnen.

derherzustellen. Andererseits ermöglicht das World Wide Web – bestehend aus dem Clear, Dark und Deep Web – weitestgehend Anonymität. Selbst die Transaktion des erpressten Geldes kann aufgrund der Abwicklung mit Kryptowährungen nicht zurückverfolgt werden. Es ist allerdings nicht nur die Zahlungswilligkeit vieler Organisationen, die hohe Gewinne verspricht. Vielmehr drohen die Täter neben einer restlosen Vernichtung der digitalen Assets mit einer Weiterverbreitung der verschlüsselten Daten im Falle einer Nicht-Zahlung. Der Druck wird somit besonders für Unternehmen erhöht, die neben dem Verlust auch die Offenlegung sensibler Kundenund Geschäftsgeheimnisse zu befürchten haben. Neben Betriebs- und Reputationsschäden sind infolgedessen Strafzahlungen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung zu erwarten. Gleichzeitig begünstigt die aktuell vorherrschende Arbeitsform Homeoffice Ransomware-Kampagnen und sonstige Cyber-Angriffe. Nach wie vor wird den IT-Sicherheitsabteilungen ein Maß an Kontrollmöglichkeiten durch die dezentrale Verfügbarkeit der Kolleginnen und Kollegen entzogen. In der heimischen Atmosphäre der eigenen vier Wände wird teilweise ein fahrlässigerer Umgang

mit IT-Sicherheitsvorkehrungen praktiziert, zudem sorgt die Nutzung von privaten Endgeräten und WLAN-Verbindungen von zu Hause aus im Zusammenspiel mit dem Unternehmensoder Behördennetzwerk für Schwachstellen und potenzielle Einfallstore. Organisationen, die im zurückliegenden Jahr zur Ermöglichung des Homeoffice einen schnellen Umzug in eine Cloud-Umgebung zu meistern hatten, sei ferner eine Nachprüfung der bestehenden IT-Sicherheitsvorkehrungen geraten. Denn Cloud-Dienste sind mittlerweile die digitale Achillesferse der meisten Organisationen, die somit auch von Cyber-Kriminellen verstärkt ins Auge genommen werden.

Risiko eines Angriffs minimieren Die Gefahren der digitalen Welt bestehen weiterhin, doch gibt es eine Vielzahl an Schutzmaßnahmen, die das Risiko eines erfolgreichen Angriffs erheblich minimieren können. In den Fortbildungsangeboten der Cyber Akademie erhalten Sie das Know-how zu den aktuellen Standards technischer und organisatorischer Maßnahmen und wie diese am besten umzusetzen sind. Das komplette Programm finden Sie auf www.cyber-akademie.de.

Highlights zum Jahresbeginn: Seminarprogramm 2021 ■ Update IT-Sicherheit für Expertinnen und Experten: aktuelle Schwachstellen, Angriffe und Patches Online, 09.02.2021 ■ Crashkurs ISMS – erste Schritte zu stabiler IT-Sicherheit Berlin, 23.02.-24.02.2021 ■ Webinar: Rolle und Maßnahmen des ISB beim IT-Sicherheitsvorfall Online, 25.02.2021 ■ Zertifizierter Business Continuity Manager (mit TÜV-Rheinland-geprüfter Qualifikation) Berlin, 01.03.-05.03.2021 ■ Webinar: Anforderungen des Datenschutzes bei der Vertragsgestaltung Online, 02.03.2021 ■ Deep Fakes und Implikationen für die Behörden- und Unternehmenssicherheit Berlin, 09.03.2021 ■ Einführung in die Schadsoftwareanalyse (Windows) Berlin, 09.03.-11.03.2021 ■ Synergetische Schnittstellen – Verantwortlichkeiten von IT-Sicherheits- und Datenschutzbeauftragten Siegburg, 10.03.2021

Anmeldungen und Programm 2021: www.cyber-akademie.de Grafik: BS/Dach unter Verwendung von ribkhan, stock.adobe.com


Informationssicherheit

Behörden Spiegel / Januar 2021

Wie weit ist die KI?

K

ünstliche Intelligenz kann nach verschiedensten Kriterien eingeteilt werden. Neben den bekannten Taxonomien, beispielsweise nach eingesetzter Prozessortechnik, Einsatzzweck, Körperlichkeit und KI-Angriffsfläche, kann auch nach Grad der Autonomie eingeteilt werden in: • Machine Learning (ML) – mit klar umrissenen einzelnen Aufgaben ohne Autonomie (beispielsweise mit Industrierobotern oder automatischer Regelanwendung), • Deep Learning – salopp ML mit Rückkopplung und mit eigenständigem Lernen, • Cognitives Computing – als Ersatz menschlicher Entscheidungen (Vorbild KI “Watson” von IBM). Viele IT-Sicherheitsanbieter greifen inzwischen auf KI zurück. Beim Schutz vor Malware will McAfee verstärkt die neue Technik aus lernenden Systemen in das Portfolio integrieren. Die neuste Antiviren-Software von G Data soll das verdächtige Entpacken von Code im Arbeitsspeicher möglichst zuverlässig erkennen können. Google schützt die Gmail-Mails zukünftig auch per Machine Learning. Und bei Microsofts neuer Sicherheitsfunktion “Windows Defender Advanced Threat Protection” für Windows 10 ist der KI-Einsatz zwischenzeitlich bestätigt. Im Netzwerk-Anomalie-Bereich ist die Implementation von Künstlicher Intelligenz in Sicherheitssoftware der Firmen Splunk, IBM, ExaBeam und Securonix führend. Bei der regelbasierenden Erkennung durch Intrusion-Detection-Systeme (IDS) sind dagegen die Produkte Cisco FirePower, FireEye, Trend Micro TippingPoint sowie die OpenSource-Software Snort und Suricata im Einsatz. Im DLPBereich (Data-Loss-Prevention) verfolgen kleinere Startups, wie Endpointprotector und Nightfall, den KI-Ansatz.

Systeme arbeiten nicht autonom All diese Erfolgsnachrichten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der KI-Einsatz im Sicherheitsbereich derzeit noch auf der Machine-Learning-Ebene verharrt. Für Machine Learning im IT-Sicherheitsbereich gibt es derzeit allgemein die zwei folgenden Ansätze: Bei der Anomalie-Erkennung wird nach einer Lernphase durch befristetes passives Beobachten des Netzverkehrs in der Betriebsphase bei Ungewöhnlichkeiten

Eine aktuelle Bestandsaufnahme für die IT-Sicherheit (BS/Oliver Wege*) Auch im Sicherheitsbereich nimmt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei immer mehr Anwendungen und Abwehrstrategien weiter zu. Dazu zählen hauptsächlich die Erkennung von Malware und von Anomalien im Netzwerkverkehr, aber auch die Abwehr von Angriffen auf biometrische Identifikationssysteme und die Härtung von Krypto-Systemen gegen Seitenkanalangriffe sowie die sicherere Softwareentwicklung. Welche Art von KI kommt dabei zum Einsatz und wie autonom arbeiten die heute verfügbaren Systeme bereits? keine besseren Trefferraten als Ärzte erzielt. Viele der medizinischen Pilotprojekte wurden aufgrund der falschen Behandlungsempfehlungen auch schon wieder eingestellt.

Unerwartetes überfordert KI

Im IT-Sicherheitsbereich wird viel Hoffnung in den Einsatz von KI gesetzt. Tatsächlich kann damit die Erkennung von Bedrohungen verbessert werden. Neue, unerwartete Angriffe können die Systeme aber nicht vorhersehen. Zudem braucht es nach wie vor menschliche “Entscheider”. Foto: BS/sdecoret, stock.adobe.com

alarmiert. Bei der regelbasierenden Erkennung per IDS werden meist sogenannte “Indicators of Compromise” eingespeist. Es bedarf aber noch immer eines zusätzlichen menschlichen “Entscheiders”. Es ist trotzdem zu befürchten, dass die IT-Sicherheit aktuell auch mit KI wieder neuen Angriffen “hinterherläuft” oder durch Fehlalarme überdeckt wird. Derzeit wird eine regelbasierte Erkennung erst dann möglich, wenn ein neuartiger Angriff mit ausreichendem Datenmaterial stattgefunden hat und “trainiert” worden ist. Bei der AnomalieErkennung ist die Fehlalarmproblematik noch nicht vollständig im Griff. Abhilfe schaffen könnte hier eine Vereinigung dieser zwei Ansätze in einem Produkt; damit könnte vermutlich auch die Deep-Learning-Grenze schneller überwunden werden. Noch in viel weiterer Ferne ist das Cognitive Computing im ITSicherheitsbereich. Zwar will IBM seine KI “Watson” den Sicherheitsanalysten als Helfer zur Seite stellen. Wie allerdings Beispiele aus der Medizin zeigen, ist IBMs “Watson” noch sehr fehleranfällig bei automatischem Einsatz. Insgesamt haben KI-Modelle bei Auswertungen von Bildmaterial im Gesundheitsbereich bisher

Anwendung gestoppt “Data-mining” teilweise verfassungswidrig (BS/mfe) Die erweiterte Nutzung von in der deutschen Anti-Terrordatei gespeicherten Datenarten ist in Teilen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Das sogenannte Data-mining erlaubte die Datennutzung über die Informationsanbahnung hinaus auch zur operativen Aufgabenwahrnehmung. Damit war die unmittelbare Nutzung der Anti-Terrordatei auch zur Generierung neuer Erkenntnisse aus den Querverbindungen der gespeicherten Datensätze statthaft. Dies stellt nach Ansicht der Verfassungsrichter allerdings einen Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Die zugrundeliegende Rechtsnorm genüge den besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen der hypothetischen Datenneuerhebung (“informationelles Trennungsprinzip”) nicht. Aufgrund der gesteigerten Belastungswirkung einer erweiterten Nutzung einer Verbunddatei der Polizeibehörden und Nachrichtendienste müsse diese dem Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter dienen und auf der Grundlage präzise bestimmter

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und normenklarer Regelungen an hinreichende Eingriffsschwellen gebunden sein, hieß es. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Prof. Ulrich Kelber, begrüßte die Entscheidung. Die Analyse von personenbezogenen Daten mit entsprechenden Techniken stelle einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Solche Techniken bedürften einer klaren Rechtsgrundlage mit eigenständigen Eingriffsschwellen, so Kelber. Der Gesetzgeber müsse die klaren Vorgaben des Verfassungsgerichts endlich vollumfänglich umsetzen. “Die Anti-Terrordatei könnte ganz entfallen, da die Sicherheitsbehörden überwiegend schon besser geeignete Instrumente zur Kooperation nutzen”, zeigte sich Kelber überzeugt.

Trotz aller KI-Euphorie gibt es bereits auch erkannte Grenzen der Angriffs-Erkennungsmöglichkeiten der KI im IT-Sicherheitsbereich. KI “lernt” bestimmte Muster in der Annahme, dass sie ein vollständiges Abbild der Umwelt darstellen. Wenn aber unerwartete Ereignisse eintreten (zum Beispiel das aus der Börse bekannte Black-Swan-Ereignisse), versagt die Methode. Dabei bilden unerwartete Angriffe mit völlig neuen Eigenschaften einen nicht zu unterschätzenden Teil der Sicherheitswelt.

Außerdem sind aktuell im Einsatz befindliche ML-Systeme zur Malware-Erkennung meist nur auf exe-Dateien trainiert und können daher kaum Malware auf Makrobasis erkennen. Sofern man in einer Windows-Unternehmensumgebung den kostenlosen AppLocker einsetzt und damit ausführbare Programme begrenzt, ist der KI-Nutzen äußerst gering. Weitere allgemeine Grenzen ergeben sich durch die bei der Bildung von mathematischen Korrelationen ggf. auftretenden Probleme eines chaotischen Verhaltens. Zudem setzt das “NoFree- Lunch”-Theorem Grenzen. Dieses Theorem (in der Übersetzung sinngemäß: “nichts ist umsonst”) besagt, dass kein einzelner Algorithmus die Summe aller anderen Algorithmen über alle möglichen Problemzonen hinweg übertrifft. Eine weitere Hürde stellt wohl auch Lady Lovelaces Objection- These dar, die der KI die Fähigkeit zur Intuition und damit zu eigener Erkenntnis abspricht. *Oliver Wege ist Leiter der ITLeitstelle in einem Landesinnenministerium.


DIGITALE AKADEMIE JANUAR 2021 Kanban in öffentlichen Verwaltungen 20.01.2021

DigitalPakt Schule: Wie wird Schule digital? 20.01.2021

Grundlagen des E-Governments, des Open-Governments und des OZGs für Neuund Quereinsteiger 25. – 26.01.2021

Umgang mit “Reichsbürgern” und Corona-Verweigerern – Herausforderung für Mitarbeitende in Behörden 26.01.2021

Online-Meetings und Telefonkonferenzen erfolgreich leiten 26.01.2021

Erfolgreich kommunizieren in Online-Meetings und Telefonkonferenzen 27.01.2021

Datenschutz für Datenschutzkoordinator(inn)en und -Manager/-innen 27.01.2021

Barrierefreie Webanwendungen im Rahmen der BITV und des OZGs – Synergien im Projekt nutzen 28.01.2021

FEBRUAR 2021 Führung zwischen Büro und Home-Office 04.02.2021

Modellieren mit der BPMN 2.0 05.02.2021

Update IT-Sicherheit für Praktiker/-innen: Aktuelle Schwachstellen, Angriffe und Patches 09.02.2021

Datenschutz – aktuelle Entscheidungen und Entwicklungen 11.02.2021

Barrierefreie PDFs erstellen 19.02.2021

Home-Office – Arbeits- und datenschutzrechtliche Anforderungen 24.02.2021

Cloud und DSGVO – “Gegensätze ziehen sich an?!” 25.02.2021

Rolle und Maßnahmen des / der IT-Sicherheitsbeauftragten beim Sicherheitsvorfall 25.02.2021

MÄRZ 2021 Agiles Arbeiten mit virtuellen Teams 01.03.2021

Anforderungen an den Datenschutz bei der Vertragsgestaltung 02.03.2021

Service-Design für die öffentliche Verwaltung 02.-03.03.2021

Systematic Creative Thinking – Verwaltungsherausforderungen systematisch und kreativ lösen 16. – 17.03.2021

Online-Meetings und Telefonkonferenzen erfolgreich leiten 16.03.2021

Grundlagen der Kryptowährungen – Funktionsweise und Anwendung 16.03.2021

Führung 4.0 – neue Herausforderungen an Führungskräfte 24.03.2021

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Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

Nicht zu spät versorgen

D

abei betonte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf der letzten Innenministerkonferenz (IMK, mehr dazu auf Seite 36 dieser Ausgabe): “Wir Innenminister der unionsregierten Länder setzen uns dafür ein, beim Aufstellen eines nationalen Impfplans Gewicht darauf zu legen, dass unsere Polizei nicht nur unerlässlich und systemrelevant für das Funktionieren der Infrastruktur in der Pandemie ist, sondern vor allem auch sehr häufigen Kontakt zur Bevölkerung hat.” Die Beamten müssten zum Beispiel für den Schutz der Impfzentren sorgen, die Ausgangsperren kontrollieren und auf die Einhaltung der Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie achten. Bei Demonstrationen seien sie gerade im Umgang mit CoronaLeugnern einem besonderen Risiko ausgesetzt. Deshalb gilt für Herrmann: “Die freiwillige Impfung und der Impfschutz für unsere Polizisten dürfen nicht an letzter Stelle stehen.” Im Freistaat werde es für Polizeibeamte jedoch keine Impfpflicht gegen Corona geben, zumal er anfangs mit mehr Nachfrage als Angebot an Impfstoffen rechnet. Herrmann kündigte im Gespräch mit dem Behörden Spiegel an, dass der Polizeiärztliche Dienst selbst Impfungen vornehmen werde. Zudem sei eine Kooperation mit unterschiedlichen Impfzentren geplant. Grundsätzlich hielt er fest: “Wir wollen, dass Polizeibeamte nicht erst nach vielen anderen Personengruppen geimpft werden.” Er war sich mit seinen Ressortkollegen von Bund und Ländern auf der Tagung allerdings auch einig, dass Polizisten nicht als Allererste geimpft werden müssen. Doch bestehe für diese Personengruppe schon eine hohe Impfpriorität. Dennoch meinte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD): “Die Polizei ist im wahrsten Sinne des Wortes immer vorne dabei und hat auch während der Pandemie extrem viel Bürgerkontakt. Wir würden es begrüßen, wenn die Frage der Priorisierung noch einmal unter diesem Gesichtspunkt breit diskutiert werden würde.” Auch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) forderte eine prioritärere Impfung gegen Corona für Polizeibeamte. Und der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (ebenfalls CDU) meint: “Ohne eine funktionierende Polizei ist die Sicherheit und die Aufrechterhaltung der Demokratie nicht mehr gewährleistet. Unsere Polizei ist im ständigen Kontakt mit der Bevölkerung und verdient einen verstärkten Schutz. Somit sollten unsere Polizistinnen und Polizisten einen der vorderen Plätze in der Impfreihenfolge erhalten.” Ähnliches ist vonseiten der ­Gewerkschaften zu hören.

Bisher kaum vorhanden Trotz dieser markigen Worte und politischen Forderungen existieren bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bislang allerdings kaum interne Impfstrategien im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Bei der Polizei Berlin zum Beispiel ist hier noch nichts explizit ausformuliert. Es wird derzeit allerdings eine interne Strategie erarbeitet. Kernbereiche der Aufgabenwahrnehmung wurden bereits festgelegt, die bei

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Berlin und Bonn / Januar 2021

Zahlreichen BOS fehlen noch Impfstrategien gegen Corona (BS/Marco Feldmann/Dorothee Frank) Allein in Bayern stehen derzeit rund 850 Polizeivollzugsbeamte aufgrund eigener Corona-Infektion oder weil sie sich als Kontaktperson in Quarantäne begeben mussten für den Dienst nicht zur Verfügung. In anderen Ländern ist die Situation ähnlich, in Berlin sind rund 500 Polizisten betroffen. Aber: Polizisten und andere Angehörige von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) gehören nicht zu den absolut prioritären Gruppen mit Blick auf Impfungen gegen Corona. die Soldaten entsprechende Impfungen zum Schutz ihrer Gesundheit. In der Priorisierung folgt der Sanitätsdienst der Bundeswehr den Empfehlungen der Regierung, mit der Ausnahme, dass Soldaten, die für Einsätze oder NATO-Verwendungen vorgesehen sind, bevorzugt geimpft werden. Eine Bevorzugung aller Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung bei der Impfung hält die Bundeswehr aktuell nicht für notwendig.

Bereichsausnahme gilt nicht

Verzögerungen und Verspätungen bei Impfungen gegen das Coronavirus können schwerwiegende Folgen haben. Deshalb ist es wichtig, rechtzeitig Strategien für den Schutz der eigenen Beschäftigten zu entwickeln. Bei zahlreichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) hapert es daran aber immer noch. Foto: BS/stock.adobe.com, voinsveta

einem erhöhten Krankenstand prioritär besetzt und wahrgenommen werden sollen. Dazu gehören der Funkwagendienst und die Hundertschaften. Es ist zu hören, dass die Angehörigen dieser Einheiten und Aufgabenbereiche wahrscheinlich prioritär geimpft würden, sobald ein Vakzin zur Verfügung stehe und die Polizeien an der Reihe seien. Auch bei der Bayerischen Polizei ist – ungeachtet der Aussagen Herrmanns – noch keine ausformulierte Impfstrategie vorhanden. Der Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) fordert in einem Brief an den Ressortchef jedoch das Aufstellen eines Impffahrplans. Aus Sicht der Gewerkschafter, deren Schreiben dem Behörden Spiegel vorliegt, sind im Zusammenhang mit der Corona-Impfung für Polizeibeamte noch zahlreiche Fragen offen. So sei bislang etwa unklar, ob etwa Schichtdienstleistende vorrangig geimpft werden oder sich das Prozedere nach Impfbereitschaft und zeitlichem Eingang der Meldungen richte. Bereits vor den Impfungen müsse außerdem geklärt werden, ob es im Vorfeld Antikörper-Tests bei den bayerischen Polizeibeschäftigten geben werde. Gleiches gelte für die Frage der Kostenübernahme und eine eventuelle Auswahlmöglichkeit der Beamten zwischen verschiedenen Impfstoffen sowie eventuelle dienst- oder arbeitsrechtliche Folgen bei einer Impfverweigerung. Problematisch ist aus Sicht der DPolG Bayern darüber hinaus, dass Corona-Infektionen, die sich Polizisten im Dient zugezogen haben, bislang noch nicht als Dienstunfälle anerkannt wurden. Vielmehr hätten Betroffene ablehnende Bescheide des Landesamtes für Finanzen erhalten. Einzelne Klagen dagegen seien allerdings bereits anhängig, so der DPolG-Landesvorsitzende Jürgen Köhnlein.

Präsidium würde intern ­priorisieren In Brandenburg existiert für die Polizei ebenfalls noch keine abschließend zwischen allen

beteiligten Ressorts abgestimmte Impfstrategie für die Polizei. Dies liegt auch daran, dass noch unklar ist, wann genau Impfstoffe für die Beamten zur Verfügung stehen werden. Im Potsdamer Innenministerium sind aber bereits Überlegungen vorgenommen worden. So ist bereits klar, dass das Polizeipräsidium die polizeiinterne Priorisierung vornehmen würde. Dort würde also festgelegt, welche Einheiten zuerst geimpft würden. Durchgeführt würden die Impfungen dann durch Mitarbeiter des Zentraldienstes der Polizei. Wahrscheinlich würde jedoch zunächst eine Fokussierung auf einen Standort des Zentraldienstes, voraussichtlich in Potsdam, vorgenommen. Im nordrhein-westfälischen Innenministerium existiert auch noch keine Impfstrategie für die Landespolizei. Gleiches gilt für den Deutschen Wetterdienst (DWD).

Nur eigenes Personal Für die Bundespolizei steht hingegen bereits fest, dass sie ihre Impfungen an 18 Standorten bundesweit durchführen wird. Das erfolgt durch Mitarbeiter des polizeiärztlichen Dienstes in eigener Zuständigkeit gemäß eines internen Impfkonzeptes. Dieses wird seit 2009 fortlaufend aktualisiert. In den Impfstraßen wird ausschließlich eigenes Personal zum Einsatz kommen. Es wird auch keine Unterstützung durch Vertragsärzte oder Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK) geben. Zudem stehen die Impfstraßen ausschließlich Behördenangehörigen zur Verfügung. Eine Unterscheidung und damit auch Priorisierung der zu im­ pfenden Kräfte wird wohl anhand von deren Tätigkeitsbereich stattfinden. Beamte aus dem operativen Bereich der Bundespolizei dürften aller Wahrscheinlichkeit nach vor Angehörigen des administrativen Bereichs der Behörde geimpft werden, ist von mit den Vorgängen vertrauten Personen zu hören. Denn bei den Kräften des Außendienstes sei die Impfbereitschaft auch höher als

bei denen des Innendienstes, berichtet der Vorsitzende des Bezirks Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf. Interessant: Aus dem Bundespolizeipräsidium ist nur zu hören, dass sich die konkrete Priorisierung und die weiteren Abläufe derzeit in der behördeninternen Abstimmung befänden.

Entspannung bei der ­Bundeswehr Wesentlich entspannter kann die Bundeswehr der Impfung entgegenblicken. Sie ist es gewohnt, sowohl im Rahmen der freien Heilsfürsorge als auch zur Vorbereitung auf Einsätze ihre Soldaten regelmäßig zu impfen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist dementsprechend gut in der Fläche aufgestellt. Diese Kapazitäten helfen aktuell bereits bei der Impfung der Zivilbevölkerung. Im Rahmen der Amtshilfe unterstützt das medizinische Fachpersonal der Bundeswehr die zivilen Einrichtungen, etwa durch mobile Impfteams. Es müssen also keine Strukturen geschaffen werden, um alle Soldaten zu versorgen. Sobald die Impfdosen geliefert werden, kann es direkt losgehen. Die teilweise in der Öffentlichkeit falsch dargestellte Impfpflicht gibt es dabei aber nicht – und die Einführung einer solchen wird auch nicht geprüft. Es gibt nur eine Duldungspflicht. Dies bedeutet, dass der Dienstherr zwischen dem für den Soldaten durch eine Maßnahme entstehenden Nachteil sowie dem da­raus entstehenden Vorteil für den Soldaten, die Bundeswehr und/oder den Staat entscheiden darf. Bei Impfungen wäre dabei die Maßnahme der Pieks durch die Nadel, der Nachteil wären mögliche Nebenwirkungen und der Vorteil eine spätere NichtErkrankung. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr wägt mit seinem medizinischem Fachwissen die Vor- und Nachteile ab und trifft die Entscheidung, die der Soldat dann zu dulden hat. Diese Duldungspflicht ist allerdings auch nichts Neues. Vor fast jedem Auslandseinsatz erhalten

Vergaberechtlich muss bei den Impfzentren, deren Unterhaltung und Organisation nach Einschätzung mehrerer Fachleute sehr aufwendig ist, beachtet werden, dass deren Ausschreibung nach den Bestimmungen des Vergaberechts durchzuführen ist. Dienstverträge betreffend die Einrichtungen würden nicht unter die Bereichsausnahme für den Rettungsdienst und Katastrophenschutz gemäß Paragraf 107 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) fallen, verdeutlicht der Fachanwalt für Vergaberecht, Günther Pinkenburg. Aber als Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens handele es sich um Aufträge für soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne von § 130 GWB. Auch dürfe der öffentliche Auftraggeber bei solchen Ausschreibungen zusätzlich zur namentlichen Benennung der technischen Fachkräfte von den Bewerbern die verbindliche Erklärung verlangen, dass die Personen im Auftragsfall auch tatsächlich verfügbar sind, so Pinkenburg mit Bezug auf eine Entscheidung der Vergabekammer des Bundes. Verständlich, wenn man bedenkt, dass Berlin für den Aufbau und den Betrieb seiner sechs CoronaImpfzentren rund 15 Millionen Euro vorgesehen hat, wie der ehemalige Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) und frühere Berliner Landesbranddirektor, Albrecht Broemme, berichtete (mehr zu den Impfstrategien der nichtpolizeilichen BOS auf Seite 15 dieser Ausgabe).

IT-Sicherheit stärken Aber nicht nur im analogen Bereich der Impfung und der dort erforderlichen Bevorrechtigungen gibt es weiterhin Probleme und Stolpersteine, die es zu beachten gilt. Auch im Digitalen ist noch einiges zu klären. Denn die im Rahmen der Impfung erhobenen personenbezogenen Daten sind für Cyber-Kriminelle attraktiv (mehr dazu auf Seite 31 dieser Ausgabe). Da IT-Sicherheit in weiten Teilen des Gesundheitssystems bislang noch relativ kleingeschrieben werde, bestehe hier eine große Gefahr, heißt es aus Kassenärztlichen Vereinigungen. All das zeigt: es gibt noch viele Fragezeichen und Baustellen beim Umgang mit dem Coronavirus hierzulande und beim Schutz der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes. Dies gilt ganz besonders für die Mitarbeiter der BOS.

KNAPP NATO und Russland (BS/df) Wie die NATO in einer Art Jahresrückblick meldete, flogen NATO-Luftstreitkräfte in ganz Europa im Jahr 2020 über 400 Einsätze, um unbekannte Flugzeuge abzufangen, die sich dem Luftraum der Allianz näherten. Fast 90 Prozent dieser Einsätze – rund 350 – seien als Reaktion auf Flüge russischer Militärflugzeuge erfolgt. Dies ist ein moderater Anstieg gegenüber 2019. “In den letzten Jahren haben wir ein erhöhtes Maß an russischen militärischen Luftaktivitäten in der Nähe der Grenzen des Bündnisses festgestellt”, sagte NATO-Sprecherin Oana Lungescu. In ganz Europa sind rund 40 Luftüberwachungsradare und Meldeknotenpunkte sowie etwa 60 NATO-Jets rund um die Uhr im Einsatz, um als schnelle Eingreiftruppe für Flugzeuge zu dienen, die in der Nähe des Luftraums der Allianz in Not geraten oder gegen internationale Flugregeln verstoßen.

Arbeitsabläufe ­angepasst (BS/mfe) Mit Blick auf Meldungen und Hinweise zu kinder- und jugendpornografischem Material haben sich zum Jahreswechsel die Arbeitsabläufe zwischen den Polizeibehörden von Bund und Ländern geändert. Grund hierfür ist die Gesetzesfassung des Netzwerkdurchsetzungsgesetztes (NetzDG). Ziel der Änderung ist es laut Bundeskriminalamt (BKA), dass die eingehenden Meldungen noch schneller als bislang an die Polizeien der Länder weitergeleitet werden können. Dadurch würde auch eine schnellere Befassung vor Ort möglich. Weiterhin würden die gemeldeten Sachverhalte intensiv beim BKA geprüft. Ermittelt würde dabei unter anderem, ob sie auch nach dem deutschen Strafrecht verfolgt werden könnten und ob es sich dabei eventuell um einen noch andauernden Missbrauch handelte, heißt es aus dem BKA. Es hatte Meldungen gegeben, wonach Sachverhalte aus diesem Kriminalitätsbereich künftig ohne Vorprüfung durch das BKA an die Landeskriminalämter weitergegeben würden. Aufgrund der Corona-Krise scheint im Übrigen die Nachfrage nach Kinderpornografie im Netz zu steigen. Die Angebote des live übertragenen Online-Missbrauchs nehmen zu, da es Corona-bedingt größtenteils unmöglich ist, in Länder einzureisen, wo derartige Realtaten bislang stattfanden.

“Außergewöhnliche Einsatzlage” in BaWü (BS/bk) Das Gesetz zur Stärkung der Rechte der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer im Bevölkerungsschutz ist in BadenWürttemberg in Kraft getreten. Das Gesetz führt den Begriff der “Außergewöhnlichen Einsatzlage” in das Landeskatastrophenschutzgesetz (BW LKatSG) ein. Bei “Außergewöhnlichen Einsatzlagen”, die unterhalb der Katas­t rophenschwelle liegen, kann der Einsatz von ehrenamtlichen Kräften leichter und rechtssicherer gestaltet werden. Außerdem wurden die Regelung der Helferfreistellung und die Gewährung von Verdienstausfällen auf diese Einsatzlagen erweitert. Nach Inkrafttreten wurde das Gesetz sofort angewendet.


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel / Januar 2021

Viele Themenfelder bearbeitet

“Instacops” schaffen sich selbst Probleme

IMK mit umfangreicher Tagungsagenda

Polizeibeamte zum Teil zu unvorsichtig in Sozialen Medien aktiv

(BS/Marco Feldmann/Gerd Lehmann) Nicht nur Impfungen für Polizisten gegen das Coronavirus (siehe auch Seite 35 in dieser Ausgabe) standen auf der Agenda der Innenministerkonferenz (IMK). Beim Treffen der Ressortchefs, das erstmals hybrid stattfand, ging es auch um den Umgang mit Extremisten im Öffentlichen Dienst, Anhänger der “Querdenken”-Bewegung und um Gefährder.

(BS/Marco Feldmann) Sie posten in Sozialen Netzwerken, insbesondere auf Instagram, nicht nur private Fotos, sondern auch Bilder mit eindeutig dienstlichem Bezug. Teilweise lichten sie sich dabei sogar in Uniform ab und weisen auf Rabatte und Gewinnspiele hin. Die Rede ist von sogenannten “Instacops”, die es insbesondere in Berlin gibt. Mit ihrem Agieren schaffen sie sich jedoch Probleme.

Aus Sicht von Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) muss mit Blick auf Extremisten im Öffentlichen Dienst eine Null-Toleranz-Linie gelten. Jedem extremistischen Verdachtsfall müsse konsequent nachgegangen werden, betonte auch der Staatssekretär im Bundesinnenministerium (BMI), Hans-Georg Engelke. Der Sprecher der unionsgeführten Bundesländer (sogenannte B-Länder), Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann (CSU), unterstrich: “Extremisten haben im Öffentlichen Dienst, ganz besonders bei der Polizei, nichts zu suchen.” Zugleich dürfe es aber auch keinen Generalverdacht gegen Mitarbeiter der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) geben. Er kündigte zudem an, im Freistaat ab dem kommenden Jahr wieder die Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Polizeibewerber einzuführen. Dadurch solle das Eindringen von Extremisten und Verfassungsfeinden in die Sicherheitsbehörden verhindert werden.

Wissenschaftlern untersucht werden. Dabei handelt es sich um die Motivation der Berufswahl, den Berufsalltag sowie um Gewalt gegen Polizeibeamte. Berlin wird sich nach Aussage von Innensenator Andreas Geisel (SPD) an der Studie beteiligen. Gleiches gilt für Bayern, wie Herrmann dem Behörden Spiegel sagte. Auch Nordrhein-Westfalen wolle teilnehmen, so Innenminister Herbert Reul (CDU), müsse aber noch klären, ob es auch eigene Fragestellungen einbringen werde. Maier zeigte sich zudem alarmiert, dass Extremisten zunehmend Anschluss an wegen der Corona-Pandemie besorgte Bürger fänden. Er unterstrich: “Demokratie ist kein gefestigter Zustand, sondern ein ständiger Prozess.” Aus diesem Grunde unterstützt Maier die Entscheidung Baden-Württembergs, die “Querdenkern”-Bewegung vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Es ist möglich, dass weitere Bundesländer diesen Schritt machen werden.

Studie begrüßt

Künftig wieder Einzelfallentscheidungen

Alle Beteiligten, darunter auch der Sprecher der SPD-geführten Länder (sogenannte A-Länder), Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, begrüßten die von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beauftragte Studie bei der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol). In ihr sollen drei Themenkomplexe von den

Keine Einigung konnten die Ressortchefs hinsichtlich des Abschiebestopps nach Syrien erzielen. Deshalb ist dieser Ende letzten Jahres ausgelaufen. Nun werden wieder Einzelfallprüfungen durchgeführt. Dies gilt auch für Gefährder. Von ihnen leben derzeit rund 90 mit

syrischer Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik. Bei der tatsächlichen Durchführung und Umsetzung der Abschiebungen nach Syrien könnte es jedoch weiterhin Probleme geben. Denn Deutschland verfügt derzeit nicht über diplomatische Beziehungen in das Bürgerkriegsland. Außerdem existieren momentan keine direkten Flugverbindungen. Es bleibt also abzuwarten, inwiefern sich das Auslaufen des generellen Abschiebestopps nach Syrien tatsächlich auf die Zahl der Außer-Landes-Bringungen auswirkt.

BMI soll Rechtsänderungen prüfen An das BMI ging darüber hi­ naus ein Prüfauftrag, ob durch Rechtsänderungen dem illegalen Umgang mit Schreckschuss-, Reizstoffsprüh- und Signalwaffen besser begegnet werden könne. Unterdessen befasst sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kriminalitätslage hierzulande. Allerdings wird das Gremium erst zur kommenden IMK-Sitzung, dann unter Vorsitz Baden-Württembergs, einen Bericht vorlegen, da zunächst die qualitätsgesicherten Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2020 abgewartet werden müssen. Baden-Württemberg wird während des IMK-Vorsitzes die Schwerpunkte grenzüberschreitende und Cyber-Kriminalität setzen.

Denn die Beamten machen sich mit ihren Accounts und den dort gezeigten Inhalten gegenüber dem polizeilichen Gegenüber angreifbar. Es habe sogar bereits Fälle gegeben, in denen die “Instacops” während ihres alltäglichen Dienstes von Bürgern erkannt und auf ihre Posts angesprochen wurden. Das berichtet Benjamin Jendro vom Berliner Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Zudem seien die Kräfte aufgrund ihres außerdienstlichen Agierens dann nicht mehr in allen Bereichen der Berliner Polizei einsetzbar, so Jendro. Dadurch verbauten sie sich Karrierechancen. Da­ rüber hinaus könnte es auch zu dienstrechtlichen Konsequenzen kommen. Denn die Werbung für Rabatte ist gegenüber dem Dienstherrn als Nebenbeschäftigung anzeigepflichtig. Das Werben für Gewinnspiele aller Art ist gänzlich untersagt. Und auch das Fotografieren von und in Dienststellen sowie das Ablichten von Einsatz- und Führungsmitteln sind eigentlich untersagt. Aber wo kein Kläger, da kein Richter. Die Polizei Berlin verfüge zwar über – laut Jendro stark optimierungsbedürftige – Social-Media-Richtlinien. Mögliche Dienstvergehen der “Instacops” wolle sie jedoch nicht verfolgen, da sie das Agieren als gute Nachwuchsarbeit ansehe, erläutert Jendro. Die GdP Berlin will dennoch stärker für das Phänomen sensibilisieren und das Handeln

Sicherheit Europas wird gestärkt Polizeipartnerschaft über Grenzen hinweg bringt zahlreiche Vorteile (BS/Dr. Christian Klos) Innere Sicherheit kann schon seit Längerem nicht mehr als reiner Kernbereich der nationalen Souveränität betrachtet werden. Sie lässt sich nur in enger internationaler, insbesondere europäischer Kooperation gewährleisten. Deswegen hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) während der gerade beendeten deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Europäische Polizeipartnerschaft initiiert. Allen Polizistinnen und Polizisten jedes Mitgliedsstaats sollen aus jedem anderen Mitgliedsstaat die Informationen zur Verfügung stehen, die dafür erforderlich sind, dass sie ihre Aufgaben wahrnehmen können. Dazu müssen das Informationsmanagement verbessert, bestehende Instrumente tatsächlich genutzt und neue Technologien eingesetzt werden. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig unmittelbare wie digitale Zusammenarbeit der Polizeien in Europa ist. Wir wollen konsequenter europaweit fahnden, intensiver operativ zusammenarbeiten sowie Europol als Informationsdrehscheibe stärken.

Extremismus und Terrorismus bekämpfen Europaweit gegen die anhaltenden Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus vorzugehen, war eines der Kernanliegen des BMI. Mit der Einigung über die “Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung von terroristischen Online-Inhalten” können die Behörden nunmehr anordnen, dass Internet-Unternehmen terroristische Inhalte löschen – in Stundenfrist und EU-weit. Um gemeinsam gegen Hass und Hetze im Internet vorzugehen, wurde zudem der erste EU-weite Aktionstag gegen Hasspostings initiiert. Rechtsterrorismus, gewaltbereiter Rechtsextremismus und Hasskriminalität wurden gleichfalls in den Fokus gerückt. Der Rat hat eine Erklärung zur Bekämpfung von Antisemitismus verabschiedet, damit die Prävention und Bekämpfung dieses Übels auf EU-Ebene zukünftig noch strukturierter angegangen wird – als ebenen- und politik-

feldübergreifendes Querschnittsthema. Auch der islamistisch motivierte Terrorismus gehört weiter zu den großen He­ rausforderungen in Europa. Nach den Anschlägen in Frankreich, in Wien und Dresden haben die EU-Innenminister eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Darin bekräftigten sie die Solidarität im Kampf gegen alle Formen von Terrorismus und die Notwendigkeit, den Informationsaustausch zu Gefährdern zu verbessern. Zum Beispiel werden Hinweise aus Drittstaaten zu sogenannten “Foreign Terrorist Fighters” künftig in einem koordinierten Verfahren Eingang in die Informationssysteme finden.

Moderne Technologien nutzen Polizeien müssen mit Verschlüsselungstechnologien umgehen können. Diese schützen nicht nur die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die digitale Sicherheit von Regierungen und Wirtschaft. Zugleich ist sicherzustellen, dass die Polizeien ihre rechtmäßigen Befugnisse online genauso gut ausüben können wie offline. Wenn erforderlich, müssen sie daher auf verschlüsselte Inhalte zugreifen dürfen – selbstverständlich immer im Einklang mit den Grundrechten. Hierzu hat sich der Rat der Innenminister bekannt, um beispielsweise weiterhin die Kommunikation von Schwerkriminellen überwachen zu können.

Dr. Christian Klos ist Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Foto: BS/BMI

Die Polizei Berlin wirbt zwar – auch in den Sozialen Medien – kreativ um Nachwuchs. Das dortige Agieren bereits eingestellter Beamter reglementiert sie allerdings kaum. Das schafft Probleme. Foto: BS/Polizei Berlin

der “Instacops” stärker reglementieren. Dabei gehe es auch darum, die Social-Media-Kompetenz der Polizisten zu erhöhen. Denkbar wäre hier etwa eine Art “Führerschein” für das Agieren in Sozialen Netzwerken und auf Plattformen im digitalen Raum. Zumal ein solches Reglementieren aus Sicht der Gewerkschaft auch im Sinne der Fürsorge- und Gesunderhaltungspflicht des Dienstherrn erforderlich wäre. Denn ein aktives Bespielen von Sozialen Medien mit polizeilichem Inhalt lasse die Grenzen zwischen Dienst und Freizeit verschwimmen. Ein aktives Abschalten vom Dienst könne teilweise nicht mehr gewährleistet werden. Soziale Medien könnten süchtig machen. Die Gefahr eines Burnouts könne durch die freiwillige, aber dienstliche Nutzung der Dienste nicht unerheblich vergrößert werden. Und: Viele “Instacops” wünschten sich selbst klare Regularien. Andere Bundesländer sind mit Blick auf “Instacops” deutlich restriktiver als die Bundeshauptstadt. So sind in Baden-Württemberg generell keine Instagram-Accounts mit Bezug zur Landespolizei erlaubt. In Niedersachsen gibt es behördlicherseits legitimierte Social-Media-Kanäle. Dort dürfen Polizisten laut Jendro eigene, personalisierte Accounts

unterhalten. Diese können sie dann selbstständig mit dienstlichen, aber auch privaten Inhalten bespielen. Dafür unterstützt Berlin Polizisten und Feuerwehrleute an anderer Stelle. So wurde Ende 2019 für Angehörige dieser beiden Behörden die Wohnungsfürsorge wieder eingeführt. Im Rahmen dessen werden Personen, die sich für ein Beschäftigungsverhältnis bei Polizei oder Feuerwehr interessieren und von außerhalb nach Berlin kommen, bei der Wohnungssuche unterstützt. Es findet sogar eine Wohnraumvermittlung statt. Dabei kooperiert das Land eng mit städtischen Wohnungsgesellschaften. Derzeit errichtet die Berlinovo GmbH in Berlin-Spandau 168 Appartements für Anwärterinnen und Anwärter des Polizeivollzugdienstes und Feuerwehrtechnischen Dienstes. Seit dem 1. November erhalten Beamte bis zur Besoldungsstufe A 13 eine monatliche Hauptstadtzulage von 150 Euro. Denkbar wäre auch, dass Anwärterinnen und Anwärter des gehobenen Dienstes der Polizei einen Zuschuss für die private Krankenversicherung erhalten. Bereits heute beteiligt sich das Land mit 1.000 Euro am Führerscheinerwerb für Anwärterinnen und Anwärter der Polizei und Feuerwehr.

petenzen zu stärken. Die EUAgentur soll weiter und intensiver die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unserer Polizeien unterstützen: als Zentralstelle für den Informationsaustausch, für Analysen und operativ unterstützend sowie als Plattform für innovative Technologien im Polizeibereich. Besonders erfreulich ist, dass es gelungen ist, den kontinuierlichen Ausbau Europols im neuen mehrjährigen FiKriminalprävention wird finanziell unterstützt nanzrahmen festzuschreiben, was zeitweise ernsthaft gefährdet war. (BS/mfe) Das Bundesinnenministerium (BMI) unterstützt Maßnahmen

BMI verstärkt Förderung

Polizistinnen und Polizisten sind zunehmend mit großen – teils, wie im Bereich der Kinderpornografie, psychisch belastenden – Datenmengen konfrontiert. Damit sie diese Datenmengen auswerten und Verbrechen auch im digitalen Zeitalter erfolgreich bekämpfen können, haben sich die Minister für den verantwortungsvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ausgesprochen.

Neue EU-Drogenstrategie Mit der für die Jahre 2021 bis 2025 vom Rat beschlossenen neuen EU-Drogenstrategie hat die deutsche Ratspräsidentschaft in der Drogenpolitik ihr zentrales Ziel erreicht. Die neue Strategie verfolgt eine ganzheitliche He­ rangehensweise, bei der nicht nur das Drogenangebot durch starke sicherheitspolitische Maßnahmen deutlich verringert werden soll. Daneben sollen durch gesundheitspolitische Maßnahmen massiver menschlicher Schaden verhindert, behandelt und minimiert werden. Europols wesentliche Rolle für die Europäische Polizeipartnerschaft haben die EU-Innenminister in einem Zehn-Punkte-Plan zur Zukunft von Europol eigens hervorgehoben. Das Erfolgsmodell Europol ist in seinen Kernkom-

der Polizeilichen Kriminalprävention. Dabei geht es um den Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornografie sowie um eine bessere Unter deutscher EU-Ratspräsi- Aufklärung über Rechtsextremismus und Antisemitismus.

An einem Strang ziehen

dentschaft konnte demonstriert werden, wie auf europäischer Ebene gemeinsam die Innere Sicherheit partnerschaftlich und zukunftsorientiert gestärkt werden kann. Nunmehr gilt es, mit der Europäischen Kommission und dem Europäischem Parlament an einem Strang zu ziehen, damit ein zeitgemäßer Umgang mit Verschlüsselung und neuen Technologien wie KI in einem hochsensiblen Bereich möglich ist. Die Polizeien in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sind hierbei nicht die Bedrohung, sondern die Kriminellen sind es. Viele wichtige Vorhaben konnten trotz der schwierigen Rahmenbedingungen aufgrund der Pandemie erfolgreich abgeschlossen oder entscheidend vorangebracht werden. Den Staffelstab der EURatspräsidentschaft haben wir nun an unsere portugiesischen Kolleginnen und Kollegen übergeben. Dabei blicken wir zuversichtlich auf eine weitere Vertiefung der Europäischen Polizeipartnerschaft im Rahmen unserer Triopräsidentschaft mit Portugal und Slowenien.

Nach dem Abschluss entsprechender Verwaltungsabkommen zwischen dem BMI und der Zentralen Geschäftsstelle der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) können bis 2022 maximal 1,2 Millionen Euro Fördermittel in die verstärkten Präventionsmaßnahmen fließen. Das Konzept der ProPK gegen die Verbreitung von Kinderpornografie und zur Erhöhung der Hinweisbereitschaft bei sexueller Gewalt an Minderjährigen geht auf einen Auftrag der Innenministerkonferenz (IMK) zurück. Demnach soll der Fokus der polizeilichen Aufklärungsarbeit verstärkt auf die oft leichtfertige oder unbewusste Verbreitung von Kinderpornografie durch Personen gelegt werden, die nicht dem pädophilen oder pädosexuellen Spektrum angehören. Junge Menschen und ihr Umfeld sollen gezielt über die strafbare Verbreitung informiert werden und Handlungsmöglichkeiten erhalten, um Kinderpornografie melden zu können. Das BMI fördert das Konzept mit bis

zu 970.000 Euro. Das BMI fördert zudem eine Maßnahme der ProPK zur intensiveren Rechtsextremismus- und Antisemitismusprävention mit bis zu 250.000 Euro. Im Rahmen des Konzepts der “Zivilen Helden” entwickelt die ProPK einen entsprechenden Schwerpunkt, der auf die Sensibilisierung der Bevölkerung im Umgang mit Verschwörungsmythen abzielt. Bundesinnenminister Horst Seehofer( CSU) unterstrich: “Unsere Kinder und Jugendlichen müssen besser gegen sexuellen Missbrauch geschützt werden. Dazu haben wir gerade erst schärfere Strafgesetze beschlossen. Darüber hinaus verstärken wir nun die Polizeiliche Kriminalprävention: um Kinder und Jugendliche besser über mögliche Gefahren aufzuklären, aber auch, um wirksamer darüber zu informieren, was ein jeder bei einem Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch tun kann.” Das sei ein wichtiger Beitrag, um die Schwächsten in der Gesellschaft besser zu schützen und künftigem Missbrauch vorzubeugen.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Januar 2021

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5 Jahre später ist Samsung der größte Smartphone-Produzent, Handys sind fast vom Markt verschwunden, mobiles Internet ist weltweit verfügbar und fünf amerikanische TechKonzerne stehen im Ranking der wertvollsten Unternehmen an der Spitze: Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet (Google) und Facebook. Hier stehen wir nun, wir sind auf dem besten Wege in ein digitales Zeitalter. Diese Entwicklung lässt sich auch anhand der Polizeiarbeit nachvollziehen, die sich in den letzten Jahren immer weiter digitalisiert hat. Mit der Umsetzung aller Teilaspekte des Programms “Polizei 2020” und der notwendigen Veränderung der polizeilichen Sachbearbeitung haben wir uns in SchleswigHolstein schon zukunftssicher aufstellen können.

Verschiedene Anwender ­werden bedient Unser Vorgangsbearbeitungssystem @rtus ist dabei ein he­ rausragendes Beispiel. Hiermit ist es uns gelungen, ein System zu konzipieren, welches die Bedürfnisse verschiedenster Anwenderinnen und Anwender bedienen kann: von der Schutzpolizistin im täglichen Streifendienst über den ermittelnden Beamten der Kriminalpolizei bis hin zur Sachbearbeitung in übergeordneten

Schleswig-Holstein geht voran Auf dem Weg zum Vorgangsbearbeitungssystem der Zukunft (BS/Torsten Geerdts) Vor knapp 15 Jahren hieß der weltweit größte Handyhersteller noch Nokia und mobile Internetnutzung war ein kostspieliges Unterfangen. Zur gleichen Zeit führten Öl-, Automobil- und Lebensmittelkonzerne noch das Ranking der weltweit wertvollsten Unternehmen. Ermittlungs- und Polizeibehörden wie dem Landeskriminalamt. Zunächst wurde @rtus für die Arbeit der Polizei in SchleswigHolstein konzipiert. Durch die Übernahme des Systems durch die Bundespolizei und der Bundestagspolizei wurde das System fortentwickelt. Mittlerweile besteht die Möglichkeit der Abbildung ausgewiesener spezialpolizeilicher Belange in @rtus.

Vielfalt als Stärke Später kam mit der Bremer Polizei auch ein Stadtstaat als Anwendungsfeld hinzu. Die Bremer Polizeibehörde stellt teilweise erheblich unterschiedliche Ansprüche an die Sachbearbeitung. Mit Sachsen-Anhalt ist wiederum nun ein weiteres Flächenland mit anderen Bedürfnissen und landesrechtlichen Besonderheiten der @rtus-Kooperation beigetreten. Die Vielfalt der Anwenderinnen und Anwender bei der Bundespolizei, der Bundestagspolizei, in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Bremen ist

eine Stärke von @rtus. Jede neue Anwenderin und jeder neue Anwender hilft, das System weiter zu optimieren. Beispielsweise ist nun seit Mitte November letzten Jahres die Recherche über den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV) in @rtus möglich. Zudem wird im Rahmen eines Pilotprojektes zur Einführung dienstlich gelieferter Smartphones eine mobile Version von @rtus ausgerollt. Damit haben die Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit, medienbruchfrei und ohne Redundanzen Daten vor Ort zu erheben, um diese im Nachgang im VBS weiter zu bearbeiten. Bei allen wichtigen und nötigen Neuerungen, die aktuell durch das Programm “Polizei 2020” bewegt werden, bildet die Diskussion um das zukünftige einheitliche Vorgangsbearbeitungssystem wohl die Wichtigste ab. Aus jedem Einsatz und jeder Strafanzeige wird ein Vorgang. Durch die Vorgangsbearbeitungssysteme wird somit ein Großteil der polizeilich

Gewalt nimmt immer weiter zu Bayerns Polizisten so oft angegriffen wie noch nie (BS) Die Polizei wird von mehreren Seiten aus attackiert. Zum einen wird ihr latenter Rassismus unterstellt. Zum anderen werden die Beamten im Einsatzalltag angegriffen. In Bayern hat die Zahl der Übergriffe einen neuen Rekordwert erreicht. Darüber und über seine Agenda als neuer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Freistaat sprach der Behörden Spiegel mit Peter Pytlik. Das Interview führte Marco Feldmann.

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ehörden Spiegel: Vor welchen aktuellen Herausforderungen steht die Bayerische Polizei? Peter Pytlik: Vor allem im letzten Jahr wurde von einigen Medien und auch durch einige Teile der Politik versucht, das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit abzuwerten. Immer wieder kommen die Vorwürfe des latenten Rassismus innerhalb der Polizei auf. Uns ist es wichtig, das Ansehen der Polizei wieder ins richtige Licht zu rücken. Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang auch die steigende Gewaltbereitschaft, die unseren Kollegen widerfährt. So kam es im Jahr 2019 zu 7.959 Fällen von verbaler und körperlicher Gewalt. Die Mehrheit, insgesamt 4.501, waren Fälle der körperlichen Gewalt. Das ist ein neuer Höchststand.

im Bereich der Strafverfolgung noch benötigen, ist eine längere Mindestspeicherdauer von Telekommunikationsdaten. Hier soll eine europaweite Regelung kommen, die auch verfassungsmäßig ist. Behörden Spiegel: Was halten Sie von der Bayerischen Grenzpolizei? Peter Pytlik ist der neue Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern. Foto: BS/GdP Bayern

Behörden Spiegel: Welche Ziele haben Sie als neuer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Bayern? Welche Projekte Ihres Vorgängers Peter Schall möchten Sie fortsetzen, welche neuen Akzente setzen?

Pytlik: Gewalt gegen Einsatzkräfte muss immer wieder öffentlich gemacht und dort geächtet werden. Außerdem kommt es darauf an, kontinuierlich auf die Schwierigkeiten des Polizeiberufs aufmerksam zu machen. Die flächendeckende Einführung der Bodycam bei der Bayerischen Polizei wird uns im Kampf gegen Attacken auf meine Kolleginnen und Kollegen helfen, davon bin ich überzeugt.

Pytlik: Gemeinsam mit meinen Vorständen möchte ich alles unternehmen, um die Bayerische Polizei weiter nach vorne zu bringen und auch das Ansehen in der Öffentlichkeit weiter zu stärken. Unsere Kolleginnen und Kollegen verdienen Respekt, Anerkennung und Wertschätzung. Deshalb hat die GdP eine Kampagne “100 % Einsatz verdienen 100 % Einsatz” vorbereitet. Unsere Forderung nach Wertschätzung ist aufgrund der steigenden Gewaltbereitschaft wichtiger denn je. Den Start der Kampagne mussten wir angesichts der aktuellen Entwicklung der Corona-Pandemie verschieben.

Behörden Spiegel: Welche Auswirkungen hatte die CoronaPandemie auf die Bayerische Polizei?

Behörden Spiegel: Wie stehen Sie zu den derzeit diskutierten Änderungen im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz?

Pytlik: In Zeiten der CoronaPandemie ist die Polizei mehr denn je gefordert. Zu den bereits bestehenden Aufgaben gilt es, Corona-Regeln zu überwachen und sie durchzusetzen. Zudem bindet der Einsatz der Unterstützungskräfte im Gesundheitsamt Personal, das an anderen Stellen dringend benötigt wird. Auch vor uns als Bayerische Polizei macht Corona nicht halt.

Pytlik: Die jetzt diskutieren Änderungen sind Anregungen der PAG-Kommission, die eine Nachbesserung des PAG vorsehen. Zum Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen ist es immens wichtig, ihnen durch eindeutige und klare gesetzliche Grundlagen Rechtssicherheit zu geben. Grundsätzlich sind wir als GdP zufrieden. Was wir im Interesse der Gefahrenabwehr und auch

Behörden Spiegel: Was ist dagegen zu tun?

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Pytlik: Wir begrüßen natürlich den Aufwuchs der Polizei in Bayern. Jedoch hätten wir diesen lieber in der Fläche und nicht bei der Grenzpolizei gesehen. Der Grenzschutz ist die originäre Aufgabe der Bundespolizei. Behörden Spiegel: Die Bundespolizei ist ein gutes Stichwort. Wie bewerten Sie die derzeit im Bund diskutierte Novelle des Bundespolizeigesetzes, zumal mit Blick auf die Grenznähe Bayerns? Pytlik: Schon lange fordert die GdP, das zum überwiegenden Teil aus dem Jahre 1994 stammende Bundespolizeigesetz den zeitgemäßen Erfordernissen anzupassen. Wir sind froh, dass die politischen Gräben überwunden werden konnten und im Sinne der Inneren Sicherheit ein praxistauglicher Kompromiss gefunden wurde. Vor allem die Neuerungen und Befugniserweiterungen bei der Verbrechensbekämpfung im ­eigenen Zuständigkeitsbereich, bei der Strafverfolgung in Fällen von unerlaubtem Aufenthalt in Deutschland sowie bei der Nutzung der Quellen-TKÜ im Bereich von Menschenhandel und Schleuserkriminalität sind wichtige Punkte, die die Handlungsfähigkeit deutlich erhöhen. Behörden Spiegel: Was bemängeln Sie? Pytlik: Bedauerlich ist aber, dass das Eckpunktepapier die GdP-Forderung, die Zuständigkeitsgrenze von bisher 30 auf 50 Kilometer zu erweitern, nicht enthält.

verwertbaren Daten generiert. Es stellt also gewissermaßen den zentralen Dreh- und Angelpunkt der polizeilichen (Schreibtisch-) Arbeit dar. Umso wichtiger ist es für die zukünftige Polizeiarbeit, allen Beschäftigten in der Polizei eine digitale Plattform zur Verfügung zu stellen, die möglichst flexibel auf die verschiedenen Bedürfnisse der Anwenderinnen und Anwender angepasst werden kann. Dabei kommt es auch darauf an, möglichst große Umstellungen zu vermeiden. Denn jede Umstellung ist für alle Beschäftigen in der Polizei, die täglich mit den IT-Systemen arbeiten müssen, eine Herausforderung. Schließlich muss im Einsatz alles funktionieren und ineinandergreifen, auch die IT-Systeme.

Mehrere mögliche ­Verfahrenswege Hierin liegt ein wesentlicher Teil der Herausforderung, da es in der polizeilichen ITLandschaft eine Vielzahl unterschiedlicher Fachverfahren gibt. Deswegen mussten zunächst Bedarfe und Bestände in den Teilnehmerländern und den teilnehmenden Behörden des Programms “Polizei 2020”

ermittelt werden. Nach dieser Prüfung der IT-Systeme wurden drei mögliche Verfahrenswege in Aussicht gestellt, zwischen denen die Teilnehmer sich entscheiden müssen: • Sie geben ihr bestehendes Vorgangsbearbeitungssystem auf und erwerben ein neues, durch das Programm “Polizei 2020” gestelltes System als Übergangslösung. • S ofern das eigene Vorgangsbearbeitungssystem den vom Programm geforderten modularen Aufbau unterstützt, können sie es dahingehend ertüchtigen, mit der auszubauenden Polizeilichen Serviceplattform beim Bundeskriminalamt (BKA) zu kommunizieren. S ie geben ihr bestehendes • Vorgangsbearbeitungssystem auf und schließen sich dem Vorgangsbearbeitungssystem eines Landes an, welches die fachlichen Anforderungen zur Anbindung an die Polizeiliche Serviceplattform erfüllt.

Aufgrund der zukünftigen technischen und vor allem rechtlichen Anforderungen haben einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den nächsten Monaten einschneidende Entscheidungen zu treffen, welche die Art der Sachbearbeitung für die kommenden Jahre maßgeblich beeinflussen werden.

Schleswig-Holstein hat sich entschieden In Schleswig-Holstein und der @rtus-Kooperation ist die Entscheidung gefallen. Das Vorgangsbearbeitungssystem @rtus erfüllt die Anforderungen des Programms

Torsten Geerdts ist seit Juni 2017 Staatssekretär im Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein. Foto: BS/Frank Peter

“Polizei 2020” zur Kommunikation mit der zentral bereitgestellten Kommunikationsplattform beim BKA. Damit können die Polizistinnen und Polizisten in den nächsten Jahren die Vorzüge des Programms “Polizei 2020” auskosten. Sie können ihre Aufgaben noch effizienter erfüllen und werden nicht zusätzlich durch einen kompletten Systemwechsel belastet. Hiermit legen wir den Grundstein für eine erfolgreiche Polizeiarbeit im digitalen Zeitalter.

Bayerisches Polizeirecht wird reformiert Grüne wollen dennoch an Verfassungsklage festhalten (BS/leh) Nach langen Verhandlungen haben sich die Koalitionäre der Bayerischen Staatsregierung nun darauf geeinigt, das viel diskutierte und umstrittene Polizeiaufgabengesetz (PAG) zu entschärfen. Nach einer Verbandsanhörung soll die Gesetzesnovelle im Februar kommenden Jahres in den Landtag eingebracht werden und voraussichtlich Mitte des Jahres in Kraft treten. Anlass der Änderungen des Bayerischen PAG, die in der vergangenen Wahlperiode des Landtages von der mit absoluter Mehrheit regierenden CSU im Alleingang beschlossen wurden, war die Verpflichtung der Bundesländer, ihre Polizeiaufgabengesetze an die neuen Datenschutzrichtlinien der EU und an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz anzupassen. Gleichzeitig aber ging die Bayerische Staatsregierung mit der Gesetzesänderung weiter als andere Länder. Die Eingriffsschwelle für die Polizei wurde deutlich abgesenkt. Hintergrund dafür war die Einschätzung der Gefahr durch Terrorismus und auch das bei vielen Bürgern herrschende diffuse Unsicherheitsgefühl. Der Grundsatz für die Ausgestaltung des PAG lautete: “Für die Sicherheit der Menschen in Bayern braucht unsere Polizei wirksame Befugnisse auf der Höhe der Zeit.” Die Änderungen waren von Anfang an immer wieder Anlass für massive Kritik von Bürgerrechtlern und den Oppositionsparteien. Moniert wird die Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, insbesondere aber der Terminus der “drohenden Gefahr”. Bemängelt werden auch die angeblich zu vage gefassten Voraussetzungen für Eingriffe in Grundrechte. Ein von den Grünen, der SPD und FDP gemeinsam eingereichter Eilantrag gegen das PAG wurde vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof abgewiesen. Mehrere Verfassungsklagen sind aber weiter anhängig.

Umdenken erforderlich Auch die nach den bayerischen Landtagswahlen im Oktober 2018 mitregierenden Freien Wähler gehörten zu den Kritikern des PAG. Im Koalitionsvertrag vereinbarten CSU und Freie Wähler daher, eine unabhängige Expertengruppe mit der Evaluierung des PAG zu

beauftragen und stellten eine entsprechende Überarbeitung des Gesetzes in Aussicht. Nach langen Verhandlungen einigten sich die Koalitionäre auf entsprechende Gesetzesänderungen. Gemäß der Empfehlung der Expertenkommission darf die Polizei künftig nur noch tätig werden, wenn es um überragend wichtige Rechtsgüter wie den Schutz von Leib und Leben geht. Bisher war dies etwa auch möglich, wenn “erhebliche Eigentumspositionen” bedroht schienen.

Bessere Abgrenzung Der Entwurf für ein novelliertes PAG sieht vor, die Begriffe “drohende” und “konkrete Gefahr” besser voneinander abzugrenzen. Damit soll laut Innenministerium klargestellt werden, dass “die konkrete Gefahr der Hauptanwendungsfall für ein Einschreiten der Polizei bleiben soll”. Eine Beschränkung der Befugnisse wird es auch beim Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung geben. Hier darf die Polizei nur noch bei “schwerwiegenden Beeinträchtigungen” einschreiten. Gemäß Artikel 14 Absatz 3 des aktuellen PAG kann die Polizei dem Betroffenen zur Identitätsfeststellung Körperzellen entnehmen und diese zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersuchen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut erforderlich ist und andere erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht hinreichend sind. Mit der Novellierung des PAG wird ein grundsätzlicher Richtervorbehalt eingeführt. Gemäß Artikel 20 Nummer 3 PAG darf die Dauer eines richterlich angeordneten Gewahrsams nicht mehr als drei Monate betragen und kann jeweils um längstens drei Monate verlängert werden. In der PAG-Novelle ist eine deutliche Verkürzung des

richterlich angeordneten Gewahrsams auf nunmehr maximal zwei Monate (inklusive Verlängerung) vorgesehen. Wer zur Verhinderung von möglicherweise drohenden Straftaten präventiv länger als einen Tag in Gewahrsam genommen wird, hat künftig einen Anspruch auf einen Rechtsanwalt. Der Einsatz der Bodycam ist in Artikel 33 PAG geregelt. Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufzeichnungen insbesondere zur Gefahrenabwehr fertigen, wenn dies zum Schutz der Beamten oder Dritten erforderlich ist. Bild- und Tonaufnahmen sind laut PAG auch in Privatwohnungen erlaubt. Künftig wird beim Einsatz von Bodycams in Wohnungen ein Richtervorbehalt für die Nutzung der Aufzeichnungen eingeführt.

Kritik nicht völlig ausgeräumt Die Landtags-Grünen waren die Ersten, die sich nach dem Bekanntwerden der vorgesehenen Änderungen des Bayerischen PAG äußerten: Danach finden sie es gut, dass überzogene Maßnahmen wie der theoretisch unbefristete Polizeigewahrsam und der unverhältnismäßige Eingriff in die Privatsphäre durch den Bodycam-Einsatz in Wohnungen abgemildert werden. Kein Verständnis haben sie aber dafür, dass der “schwammige, rechtsunsichere Begriff der “drohenden Gefahr” weiterhin angewendet wird. Dieser Terminus bedeute “eine eklatante Befugnisverschiebung weit ins Vorfeld”, so die Innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Katharina Schulze. Im Freistaat dürfe die Polizei viele grundrechtsintensive Eingriffe bereits beim Vorliegen einer lediglich “drohenden Gefahr” durchführen. “Wir sehen darin eine verfassungswidrige Vernachrichtendienstlichung der Polizei.” Daher wollen sie an ihrer Verfassungsklage festhalten.


Katastrophenschutz

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ehörden Spiegel: Herr Prof. Adrian, Sie sind jetzt seit rund eineinhalb Jahren Präsident der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Welche Ziele Ihrer Agenda haben Sie bereits erreicht? Prof. Gerhard Adrian: Es ging um eine Governance-Reform innerhalb der WMO. Interne Entscheidungsstrukturen und Arbeitsabläufe sollten reformiert werden. Inzwischen ist es uns gelungen, dass sich alle neuen WMO-Gremien konstituiert und ihre Geschäftsordnungen beschlossen haben. Mittlerweile haben sie auch alle bereits getagt. Das gilt unter anderem für die neuen technischen Kommissionen und deren Untergliederungen sowie für die Panels, die die Entscheidungen des Exekutivrats vorbereitet haben. Außerdem hat der Exekutivrat erfolgreich getagt. Sehr zufrieden bin ich zudem mit der weiterentwickelten Datenpolitik der WMO. Behörden Spiegel: Wie stark hat Sie die Corona-Pandemie behindert? Adrian: Die Pandemie kam uns im Reformprozess der WMO schon dazwischen. Das muss man deutlich sagen. Schwierig war zum Beispiel, dass es fast nur Videokonferenzen und kaum Präsenztermine vor Ort in Genf gab. Wir hatten dort nur eine Präsenzsitzung. Bei diesen virtuellen Treffen mussten 24 Zeitzonen und sechs Amtssprachen unter einen Hut gebracht werden.

Alle neuen Gremien getagt Governance-Reform der WMO auf einem guten Weg

Für die Kollegen im Ausland war das zum Teil mit Arbeit in der Nacht oder am sehr frühen Morgen verbunden. Aber auch für mich war die Sitzungsleitung sehr aufwendig und anstrengend. Denn teilweise gab es Verbindungsschwierigkeiten oder Probleme mit der Simultanübersetzung. Die Sitzungen mussten deshalb immer wieder unterbrochen werden. Behörden Spiegel: Welche Probleme gab es noch? Adrian: Wir mussten auf diesen Sitzungen die Tagesordnungen deutlich reduzieren. Deshalb konnten nicht alle politisch schwierigen Themen behandelt werden. Außerdem fehlte der bilaterale Austausch, wie es ihn bislang in den Pausen von Präsenzsitzungen gab. Insgesamt sind wir wegen der Corona-Pandemie mit dem Arbeitsprogramm der WMO etwa acht bis zwölf Wochen im Rückstand. Behörden Spiegel: Was ist für dieses Jahr auf Ebene der WMO geplant? Adrian: Es wird, so spät wie

“Insgesamt sind wir wegen der Corona-Pandemie mit dem Arbeitsprogramm der WMO etwa acht bis zwölf Wochen im Rückstand.” Prof. Dr. Gerhard Adrian ist Präsident der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) mit Sitz in Genf. Zugleich steht er an der Spitze des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Für das internationale Amt wird er aus Altersgründen jedoch nicht erneut kandidieren. Foto: BS/DWD

möglich im Jahr, einen außerordentlichen WMO-Kongress geben. Ob dieser als Präsenztermin oder als Videokonferenz stattfindet, steht allerdings noch nicht fest. Ich präferiere aber eindeutig eine Präsenzsitzung. Dabei befinden sich sowohl ein Review der Governance-Reform als auch die stärkere Einbeziehung des Themas Wasser in die WMO auf der Agenda. Der nächste reguläre WMO-Kongress wird dann 2023 stattfinden. Dort werde ich allerdings nicht mehr als Präsident kandidieren. Aus Altersgründen würde ich nämlich Mitte 2022 als Präsident des Deutschen Wetterdienstes in den Ruhestand treten. Ich habe mich allerdings bereit erklärt, noch bis

Bewältigung von Starkregenereignissen (BS/bk) Extreme Wettereignisse nehmen im Zuge des Klimawandel auch in Mitteleuropa stark zu. Neben­Dür­ re und Trockenheit, welche im Sommer 2020 in einigen Gegenden Deutschlands zu Problemen bei der Was­ serversorgung geführt hatten, muss sich die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr auf vermehrte Starkregen­ ereignisse mit Überschwemmungen in diesen Breitengraden einstellen. Um dieser neuen Herausforderung zu begegnen, entwickeln Bevölkerungsschützer unterschiedliche Hilfssysteme.

Frühwarnsysteme werden wichtiger Als Lehre aus den Starkregen­ ereignissen in Bonn zogen die Verantwortlichen schon frühzeitig Konsequenzen. So wurden auf Initiative der Freiwilligen Feuerwehr Schulungen und Aufklärungsveranstaltungen für die Bevölkerung für das richtige Verhalten im Ernstfall durchgeführt und Sandsacklagerkisten an den Straßen verteilt. Ebenso entwickelte die Feuerwehr Bonn in Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt der Stadt ein Frühwarnsystem. Das entwickelte Frühwarnsystem ist sowohl für Starkregenereignisse als auch für Sturzfluten ausgelegt. An mehreren Stellen sind Regensowie Pegelmesser, die auf das Leistungsvermögen der Kanäle kalibriert sind, installiert. Diese sind mit der Leitstelle verbunden.

Bereich Service und Logistik für unverzichtbare Wartungsarbeiten. Darüber hinaus wird beim Deutschen Wetterdienst inzwischen vielfach in festen Teams und in Schichten gearbeitet.

(BS) Prof. Dr. Gerhard Adrian leitet den Deutschen Wetterdienst (DWD). Zudem ist er als erster Deutscher überhaupt Präsident der Weltorganisa­ tion für Meteorologie (WMO). Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel spricht er über seine Agenda und welche Ziele er bereits erreicht hat. Das Behörden Spiegel: Worauf kommt es Ihnen dabei an? Interview führte Marco Feldmann.

Erfahrungen nutzbar machen

Ungefähr alle drei Jahre kommt es in der Bundesstadt Bonn zu einem Starkregenereignis, schätzt der Leiter der Bonner Feuerwehr und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF Bund), Jochen Stein. Er könne dabei eine Zunahme dieser Einsatzlagen über die letzten Jahre beobachten. Glücklicherweise konnten größere Personenschäden noch verhindert werden. Starke Sachschäden entstünden trotzdem. Besonders übertretende Bachläufe würden zum Problem. Oftmals drohten auch Straßen und Gebäude unterspült und fortgerissen zu werden. Dies führe zu einer großen Erwartungshaltung seitens der Bürgerinnen und Bürger.

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zum Ablauf meiner Amtsperiode als WMO-Präsident im Dienst zu bleiben, um den angestoßenen Reformprozess weiter begleiten zu können. Sowohl das Bundesverkehrsministerium als mein Dienstherr als auch das Auswärtige Amt haben dem zugestimmt. Behörden Spiegel: Wir sprachen bereits über Corona-Auswirkungen auf die WMO. Wie sieht es denn mit Konsequenzen der Pandemie-Lage auf den Deutschen Wetterdienst aus? Adrian: Der Deutsche Wetterdienst ist als Kritische Infrastruktur im Sinne der BSI-KRITISVerordnung eingestuft worden. Außerdem haben wir ein Pandemievorsorgeteam eingerichtet. Dessen Mitglieder analysieren und beobachten die Corona-Lage in allen Bundesländern und berichten dem DWD-Vorstand regelmäßig. Dieser tagt zudem inzwischen nahezu täglich zum Thema Corona in einer Videokonferenz. Des Weiteren haben

wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dringend empfohlen, wann immer möglich im Homeoffice zu arbeiten. Dabei kam uns zugute, dass wir schon vorher eine Dienstvereinbarung zum mobilen Arbeiten hatten. Darin mussten wir nur die bisherige Begrenzung auf maximal 50 Tage mobiles Arbeiten pro Jahr aussetzen. Behörden Spiegel: Was haben Sie noch veranlasst? Adrian: Wir haben unseren Pandemievorsorgeplan überprüft, der sensible Arbeitsbereiche festlegt, deren Mitarbeiter nicht oder nur eingeschränkt von zu Hause aus arbeiten können, weil die Aufrechterhaltung der Funktionen dieser Bereiche anders nicht gesichert werden kann. Dazu gehören unter anderem die Beschäftigten in Rechenzentren oder bei der Wetter- und Flugwetterberatung sowie die Wetterbeobachter an den Flughäfen oder auch Beschäftigte aus dem

Adrian: Dabei achten wir darauf, dass sich die Mitarbeiter der unterschiedlichen Schichten nicht begegnen. Des Weiteren haben wir jeden Besprechungsraum ausgemessen und eine maximale Personenanzahl, die sich dort gleichzeitig aufhalten darf, für ihn festgelegt und auf allen Verkehrsflächen eine Maskenpflicht verhängt. Nach Möglichkeit führen wir auch keine internen Präsenzbesprechungen mehr durch. Außerdem empfangen wir keine Besucher mehr. Behörden Spiegel: Welche Veränderungen stehen in diesem Jahr beim Deutschen Wetterdienst noch an? Adrian: Es sind zwar keine disruptiven Veränderungen zu erwarten. Aber inzwischen sind – bis auf die Stationen an den Flughäfen – alle Wetterstationen des Deutschen Wetterdienstes automatisiert. Zudem wird es eine Erweiterung der numerischen Wettervorhersage geben. So wird beispielsweise unser bisheriges, räumlich hochauflösendes Vorhersagesystem COSMO durch das neue System ICON abgelöst, das dann alle Vorhersageskalen abdeckt. Schon im vergangenen Jahr konnten wir den wegen des stark reduzierten Flugverkehrs eingetretenen Ausfall wichtiger Wetterdaten von Verkehrsflugzeugen durch die Nutzung der Daten des neuen Wind-LiDARs auf dem ESA-Satelliten Aeolus kompensieren.

Erster reiner Online-Lehrgang Digitale Ausbildung an der LFS SH (BS/bk) Aufgrund der Corona-Pandemie haben erstmalig zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen reinen Online-Lehrgang an der Landesfeuerwehrschule Schleswig-Holstein (LFS SH) absolviert. Der Lehrgang “Lei­ ten einer Feuerwehr” fand dazu durchgehend als Webkonferenz statt. Dabei entsprach der Online-Lehrgang genau seinem Pendant – der Präsenzveranstaltung – beim Inhalt, der Dauer und dem Abschluss.

Starkregenereignisse im Zuge des Klimawandels stellen die Einsatzorganisationen in Deutschland vor neue Herausforderungen. Foto: BS/Thomas Oettinger, pixabay.com

Bei vordefinierten Werten löst das System automatisch aus. Außerdem können mit mehreren Kameras die Bachpegel überwacht werden. Dieses System sowie die Progno­seinstrumente, wie z. B. Regenradars, ermöglichten einen Zeitgewinn, um möglicherweise gefährdete Personen zu evakuieren. Sachschäden könne man zwar meistens nicht verhindern, Personenschäden aber schon, so Stein.

Leitfaden zur Bewältigung Um Erfahrungen mit Stark­ regenereignissen und diesen Bewältigungsmaßnahmen mit anderen Bevölkerungsschützern in Europa zu teilen, wurde das EU-Projekt “Development of operational strategies and guidance on Tackling consequences of ex­ treme rainfalls and Flash Floods”, abgekürzt TaFF, ins Leben gerufen. Das Technische Hilfswerk (THW) ist dabei eine der beteiligten Organisationen. Oftmals seien Starkregen und dessen Konsequenzen schwer vorherzusagen. Man könne zwar die spezifischen Wetterlagen, die zu Sturzfluten

führten, identifizieren, jedoch seien diese Extremwettereignisse lokal auf die gegebenen Örtlichkeiten begrenzt. So spielten die vorhandene Infra­struktur, die Bebauung oder die Flussverläufe eine Rolle für die gewonnenen Erkenntnisse. Ähnliche Einsatzlagen würden mit unterschiedlichen Mitteln bewältigt. Um diese Erfahrungen aus anderen Ländern für andere nutzbar zu machen, gebe es TaFF, erklärt Guillermo Griem, Projektleiter beim THW. Am Ende des EU-Projekts stand keine abgeschlossene Einsatzplanung, sondern ein generischer Leitfaden für Einsatzorganisationen, der von den Einsatzkräften individuell angepasst werden kann und sich auf alle Situationen sowie auf alle Örtlichkeiten anwenden lässt. Dieser frei zugängliche Leitfaden basiert auf mehreren Best-Practice-Beispielen, die auf mehreren internationalen Arbeitstreffen diskutiert wurden und bei unterschiedlichen Trainingsaufbauten im weiteren Verlauf des Projekts geübt wurden.

Der Online-Lehrgang “Leiten einer Feuerwehr” wurde von der Landesfeuerwehrschule zusammen mit der Fachabteilung des schleswig-holsteinischen Innenministeriums für die Zeit der Pandemie entwickelt. Für den reibungslosen Ablauf wurden bereits in der Woche vor dem Lehrgang die technischen Gegebenheiten getestet. “Wenn die Erfahrungen positiv sind, und nach den ersten Rückmeldungen sieht das so aus, dann wollen wir das Konzept auch auf andere geeignete Veranstaltungen übertragen”, erklärte der Leiter der LFS SH, Jan-Rasmus Hansen. Der neue

Der erste reine Online-Lehrgang fand an der Landesfeuerwehrschule SchleswigHolstein (LFS SH) ein erfolgreiches Ende. Grafik: BS/Oberholster Venita, pixabay.com

Online-Lehrgang soll jedoch nicht die Präsenzveranstaltungen verdrängen. Es ist jedoch

geplant, Online-Teilnahmen in Zukunft anzubieten. Zum Abschluss des Lehrgangs gratulierte Dr. Sabine SütterlinWaack (CDU), Innenministerin Schleswig-Holsteins, den Teilnehmern und sagte: “Ich habe höchsten Respekt davor, dass Sie sich für die Vorbereitung auf diese verantwortungsvolle ehrenamtliche Tätigkeit eine Woche lang fast 10 Stunden täglich vor den Bildschirm setzen. Das ist noch einmal etwas völlig anderes als der uns allen bekannte Präsenzunterricht. Ihnen und Ihren Ausbildern herzlichen Glückwunsch und alles Gute.”

MELDUNG

Landeskatastrophenschutzamt eingerichtet (BS/bk) Die niedersächsische Landesregierung hat für den Beginn des Jahres die Einrichtung des Niedersächsischen Landesamtes für Brand- und Katas­ trophenschutz (NLBK) mit Sitz in der Residenzstadt Celle beschlossen. Nebe Celle soll auch ein Standort in Loy eingerichtet werden. Mit dem Landesamt sollen Personal und Kompetenzen gebündelt werden. Für das NLBK werden die von der Akademie für Brand- und Katastrophenschutz wahrgenommenen Lehraufgaben und

die Zuständigkeiten der Ämter für Brand- und Katastrophenschutz der Polizeidirektionen zusammengelegt. Grund für die Neuorganisation seien die unterschiedlichen Krisensituationen und Katastrophen der vergangenen Jahre. Neben der aktuellen Corona-Pandemie zeigten auch die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 und der Moorbrand in Meppen von 2018, dass übergeordnetes Krisenmanagement für zunehmend komplexe und vielschichtige Einsatzlagen nötig geworden sei. Zu den Aufgaben

des NLBK zählen damit unter anderem die Verwaltung des Katastrophenschutzzentrallagers, die Aufsicht über die Werkfeuerwehren, das landesweite Ausbildungsangebot, die Begleitung der Aufstellung der Fachdienste im Katastrophenschutz und deren Förderung, die Wahrnehmung der Bundesauftragsverwaltung im Zivilschutz sowie der Technikeinsatz im Brand- und Katastrophenschutz. Neben den Standorten in Celle und Loy werden weitere Regionalbüros in der Fläche eingerichtet.


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Januar 2021

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n der Folge verloren viele militärische Fähigkeiten, die bis Ende der 1990er-Jahre als unabdingbar galten, an Relevanz. Doch durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die daraus resultierende Destabilisierung der Ukraine durch Russland sah sich die NATO zu einer neuen strategischen Ausrichtung gezwungen. Im Sinne der Abschreckung wurde eine stärkere Gewichtung der kollektiven Verteidigung beschlossen. Der Zuschnitt des Bündnisgebietes hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten signifikant gewandelt. Deutschland ist heute

Anpassung der Fähigkeiten Deutschlands Beteiligung an DEFENDER-Europe 2020 (BS/Generalleutnant Martin Schelleis) Nach dem Ende des Kalten Krieges und der damit einhergehenden Multipolarität in der Weltpolitik galt einhellig die Auffassung, dass eine weltumspannende kriegerische Auseinandersetzung zweier Großmächte nicht mehr zu erwarten sei.

kräftebasis erster Ansprechpartner, so auch im Rahmen von DEFENDER-Europe 2020. Einen Großteil der benötigten Leistungen, unter anderem in den Kategorien Verlegung, Unterbringung, Schutz und Versorgung, konnte die Streitkräftebasis aufgrund ihrer gebündelten Enabling-­ Fähigkeiten selbst bereitstellen. Die Dimensionen einer solchen Übung sind jedoch Generalleutnant Martin Schelleis ist Inspekteur der durch die BundesStreitkräftebasis und somit wehr allein nicht auch Nationaler Territorialer zu bewältigen. Befehlshaber. Foto: BS/PIZ SKB Vielmehr war die ressortübergreifende zivil-militärische Zusammenarbeit auf Bundes-, Länder- und Komnicht mehr Frontstaat, sondern munalebene in der Vorbereitung, wird aufgrund seiner zentralen Planung und Durchführung der geostrategischen Lage in Europa Übung der Schlüssel zum Erfolg. zu einem potenziellen Aufkom- Hierzu zählte auch die Einbindung mens-, Anlande- und Transit- nationaler nichtmilitärischer Siland sowie zum rückwärtigen cherheits- und UnterstützungsEinsatzgebiet. Deutschland ist kräfte sowie die vertragliche demzufolge Träger einer verant- Bindung von Fähigkeiten und wortungsvollen Doppelrolle. Zum Kapazitäten der Industrie, Letzeinen stellt Deutschland Truppen teres vor allem im Bereich der und Unterstützungskräfte zur Logistikdienstleistungen. Verteidigung des Bündnisses, zum anderen gewährleistet es den Koordinierung durch das neue Joint Operation Centre Transit großer Truppenverbände durch Europa. In diesem Rahmen übernahm das neu aufgestellte Joint OperaZunahme der tion Centre (JOC) im Kommando ­Verlegeoperationen Streitkräftebasis die Koordination In der Folge hat seit 2014 die des deutschen militärischen BeiAnzahl an Übungen der NATO in trags, des Host Nation Supports Europa, insbesondere im Bereich und der Truppenbewegungen der Verlegeoperationen, signifi- der alliierten Partner auf deutkant zugenommen. Die seit 25 schem Boden. Da der Inspekteur Jahren größte Übung dieser Art der Streitkräftebasis gleichzeitig und gleichermaßen “Stresstest” auch Nationaler Territorialer Bewar DEFENDER-Europe 2020. fehlshaber ist, konnte das Joint Bei dieser Großübung war Operation Centre bei der operaDeutschland als strategische tiven Führung und Koordination Drehscheibe sowie als Bereitstel- der deutschen Übungsbeiträge ler eines leistungsfähigen und auf das territoriale Netzwerk, welches die Anforderungen der alliierten bis auf die kommunale Ebene Truppen zugeschnittenen Host verzweigt ist, effizient einbinden Nation Supports (HNS) gefordert. und nutzen. Obwohl die Großübung aufFür diesen Host Nation Support ist in Deutschland die Streit- grund der weltweit herrschenden

Corona-Krise vorzeitig abgebrochen werden musste, wurden nahezu neunzig Prozent der geplanten Verlegungen durchgeführt. Insbesondere in den Bereichen standardisierte Verlegung, gesicherte Bereitstellung von Infrastruktur und Transportkapazität, Verlegemanagement sowie Schutz und Versorgung der Kräfte konnten wertvolle neue Erkenntnisse gewonnen werden. Insgesamt fanden die Unterstützungsleistungen im Rahmen des Host Nation Supports große Anerkennung und die Erwartungen der alliierten Partner wurden durch Deutschland mustergültig erfüllt. Ein M88-Bergepanzer verlässt in Bremerhaven das amerikanische Transportschiff Endurance im Zuge der Übung DEFENDER-Europe 2020. Foto: BS/NATO

Notwendige ­Weiterentwicklung Auch im Rahmen dieser multinationalen Übung hat sich wiederum gezeigt, dass die nationale militärische Führungsorganisa-

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th

tion in Deutschland weiterentwickelt werden muss. Heute schon sind dem Inspekteur der Streitkräftebasis als Nationalem Ter-

ritorialen Befehlshaber (NatTerrBefh) zentrale Führungsaufgaben zur Sicherung der “Drehscheibe” Deutschland zugewiesen: Neben

Berlin Security Conference

Congress on European Security and Defence

der Sicherstellung des Transits und des Host Nation Supports Alliierter (so bei DEFENDER-Eu­ rope 2020) der eigene Aufmarsch der Bundeswehr (z. B. bei VJTF 2019 und 2023), der Heimatschutz und die Hilfeleistung bei Großschadenslagen (z. B. Corona). Daher ist es erforderlich, die operative, taktische und regionale Führungsfähigkeit des Nationalen Territorialen Befehlshabers strukturell zu stärken. Zugleich sind die Möglichkeiten der Digitalisierung für Aufbau und Pflege eines ebenen- und ressortübergreifenden Lagebildes für den Nationalen Territorialen Befehlshaber konsequent zu nutzen. Schon bald wird diese weiterentwickelte Führungsorganisation dem nächsten Stresstest unterzogen werden. Ungeachtet eventueller realer Lagen wie Corona werden die Jahre 2022 bis 2024 absehbar ein dichtes Paket an Koordinierungs- und Führungsherausforderungen in Deutschland mit sich bringen. Dann nämlich stehen erneut größere US-Truppenbewegungen an und zudem wird die Bundeswehr eine signifikante NRF-Streitmacht für den Einsatz bereitstellen und beüben.

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MELDUNG

Weitere schwere Sattelzugmaschinen geordert (BS/df) Noch als eine der letzten Beschaffungen des letzten Jahres kaufte die Bundeswehr weitere 48 schwere Sattelzugmaschinen für 41 Millionen Euro bei Rheinmetall. Die Sattelzugmaschinen dienen den Streitkräften vor allem zum Transport schwerer gepanzerter Fahrzeuge, zum Beispiel von Leopard-2-Kampfpanzern. Die Lieferung ist für 2021 und 2022 vorgesehen. Die Sattelzugmaschine des Typs HX81 von Rheinmetall verfügt über einen Achtzylinder-Dieselmotor mit 680 PS. Hierdurch erreicht der AllradLkw eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 90 km/h und kann Steigungen von bis zu 60 Prozent überwinden. Das technisch zulässige Zuggesamtge-

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wicht liegt bei 130 Tonnen. Die HX81-Sattelzugmaschine verfügt über die gleiche Fahrerkabine wie die UTF-Fahrzeugfamilie von Rheinmetall. Die Kabine lässt sich bei Bedarf durch eine geschützte Variante austauschen. Zur Fahrzeugausstattung gehört weiterhin eine DoppelwindenAnlage der Firma Rotzler mit jeweils 20 Tonnen Zugkraft. Mit dem HX81 ergibt sich ein Familienzuwachs bei den Schwerlasttransportern (SLT) der Bundeswehr. So ergänzt der ungeschützte HX81 den geschützten Schwerlast-Transporter Mammut, welcher ebenfalls durch Rheinmetall geliefert wurde. Hierdurch lassen sich einzelne Elemente, Werkzeuge und Wartung vereinheitlichen.

Partnerland BSC 2020: Tschechien Highlights im Hauptprogramm, u. a.: > > > >

HIGH-LEVEL-DEBATTE: Europäische Sicherheit und Verteidigung – Mittel- und Osteuropäische (Erwartungen) und Beiträge HIGH-LEVEL-INTERVIEW: Umsetzung der Gender-Politik in der Verteidigungsplanung von NATO und EU MILITÄRISCHES HIGH-LEVEL-FORUM: Stärkung der europäischen Sicherheit durch regionale militärische Zusammenarbeit FORUM ZUKÜNFTIGE STREITKRÄFTE: EU-Verteidigungsinitiativen für technologische Innovation und relevante Fähigkeiten

Fachforen, u. a. > > > > > > > >

Bewertung von CDP / CARD / EDF / PESCO Landstreitkräfte in einem gemeinsamen und verbundenen Umfeld – Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit Chinas militärischer Aufstieg und seine Auswirkungen auf den Westen Wie kann eine glaubwürdige nukleare Abschreckung in und für Europa aufrechterhalten werden? Abwehr von Cyber-Bedrohungen – der Fortschritt digitaler Kriegsführung bei Multidomain-Operationen Framework Nations Concept – wirksamer Katalysator für regionale Mil-Mil-Zusammenarbeit? Personalwesen – Rekrutierung und Bindung Covid-19: Lessons Learned – Aufrechterhaltung der Europäischen militärischen Fähigkeiten (und der Widerstandsfähigkeit) in Zeiten einer globalen Pandemie

140 Top-Referenten, u. a. Tomáš Petříček Minister für Äußere Angelegenheiten der Tschechischen Republik

Helga Maria Schmid Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)

Lubomír Metnar Verteidigungsminister der Tschechischen Republik

Niels Annen MdB Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen

General Claudio Graziano Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union

Thomas Silberhorn MdB Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung

Péter Szijjártó Minister für Auswärtige Angelegenheiten von Ungarn

General Eberhard Zorn Generalinspekteur der Bundeswehr

www.euro-defence.eu Veranstalter Foto: BS/Rheinmetall

Photo oben: Klaus Dombrowsky


Verteidigung

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Fortführung aus 2020

Behörden Spiegel / Januar 2021

MELDUNGEN

MKS 180 wird zur Fregatte 126

Entscheidung zum STH fast täglich erwartet

(BS/df) Das neue Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS 180) der Deut-

(BS/Dorothee Frank) Ursprünglich sollte im vergangenen Jahr die Entscheidung zum Schweren Transporthubschrauber (STH) fallen, doch es fehlten schen Marine wird zur Fregatte 126. Dies führte bei Fachleuten zu am Ende noch einige Dokumente aus den USA. Sobald diese eintreffen, kann die Entscheidung gefällt und verkündet werden. Es wäre die erste ein wenig Verwirrung, da beispielsweise die Verdrängung eher den Auftragsvergabe eines neuen Großsystems für das Heer seit über einem Jahrzehnt. Zerstörern der Arleigh-Burke-Klasse entspreche und sie somit ein Das ursprüngliche Vergabeverfahren war aufgrund der zu hohen Preisvorstellungen der beiden Anbieter, die sich aus der gewünschten Germanisierung der Hubschraubermodelle ergab, im Herbst 2020 gestoppt worden. Danach versuchten BMVg und BAAINBw, die Entscheidung als Foreign Military Sales (FMS) noch vor den Feiertagen zu erwirken. Was wiederum für die amerikanische Seite zu schnell und zu kurzfristig war. Bei einem Verfahren, dass sich seit drei Jahren hinzieht, kaum verwunderlich. Nach drei Jahren ist man zudem jetzt wieder an dem Punkt angelangt, den der damalige Generalinspekteur General Volker Wieker bereits 2017 präferierte. Immerhin könnten diese drei Jahre auch einen Erkenntnisgewinn gebracht haben, der nun zur Beschaffung des wirklich besten Transporthubschraubers führt, so die positive Auslegung. Technisch gesehen hat jedes Modell seine Vor- und Nachteile, die in der aktuellen Diskussion allerdings wenig erwähnt werden. Im Kern gibt es zwei Lager: Die eine Seite will den neueren Hubschrauber, weil der jetzt erst in Serie geht und somit auch in dreißig Jahren noch produziert wird. Die andere Seite scheut wegender schlechten Erfahrungen mit neuen europäischen Hubschraubermodellen das Wort “neu” wie der Teufel das Weihwasser und will deshalb ein seit Jahrzehnten bewährtes und einsatzerprobtes System.

CH-53K King Stallion Das neue Modell ist die CH-53K King Stallion von Sikorsky (Lockheed Martin). Es besteht allerdings ein wichtiger Unterschied zur Lage in Deutschland mit den europäischen Hubschraubermodellen: Die USA haben mehrere Firmen. Die amerikanischen Streitkräfte müssen also nicht ein einziges Unternehmen unterstützen, um nationale Kapazitäten zu erhalten. Wenn ein Konzern nicht liefern kann – oder es nicht schafft die zeitlichen, technischen und

preislichen Vorgaben einzuhalten – dann kommt der nächste dran. Oder der übernächste. Auch die Drohung des Stellenabbaus zieht nicht, da diese entlassenen Arbeiter dann einfach zum nächsten amerikanischen Konzern wechseln. The winner takes all. Ein als unzuverlässig gebrandmarktes Unternehmen braucht sich auch in Zukunft kaum noch um die Milliardenaufträge der Streitkräfte zu bewerben. Dies führt zu einer Disziplin, nicht irgendwelche Luftschlösser anzubieten, sondern nur das, was wirklich in dem Zeit- und Budgetrahmen möglich ist. Dementsprechend versteht Sikorsky noch nicht einmal die deutschen Bedenken gegen neue Hubschraubermodelle, da bisher alles immer im Zeit- und Kostenrahmen realisiert wurde. Alle Tests sind zum vorgeschriebenen Zeitpunkt in der vorgeschriebenen Reihenfolge erfolgreich bestanden worden. Der Klarstand ist selbstverständlich Vertragsgegenstand und von der Stückzahl und den Wartungsverträgen abhängig, Sikorsky könnte aber durchaus über 90 Prozent Verfügbarkeit garantieren. Alles eine Selbstverständlichkeit für amerikanische Unternehmen. Zu den Vorteilen dieses Modells zählt, dass es gerade erst in Serie gegangen ist und dementsprechend noch mindestens für 30 weitere Jahre produziert wird. Dies führt zu einer Versorgbarkeit mit Ersatzteilen und Upgrades über die nächsten Jahrzehnte. Hinzu kommt, dass durch die moderne Fertigung einige technische Vorteile in diesen Transporthubschrauber mit einfließen konnten, sodass er eine größere Reichweite und einen größeren Innenraum besitzt sowie eine höhere Traglast transportieren kann. Aus dem Kommando Spezialkräfte (KSK) war zwischenzeitlich zu hören, dass der Downwash zu groß sei. Damit war gemeint, dass sich unter dem Hubschrauber befindende Gelände und Infrastrukturen durch den vom Hubschrauber erzeugten Abwind zerstört

D statt eines Fs auf dem Rumpf verdient hätten. Zudem verfügen die MKS 180 über eine Mehrrollenfähigkeit und sind gerade nicht auf eine besondere Fähigkeit festgelegt. Wie der Behörden Spiegel erfahren konnte, ist allerdings weniger das Schiff an sich, sondern vielmehr dessen Ableitung aus Nachfolgeprojekten Grund für die Einteilung. “Das Projekt MKS 180 setzt auf den bestehenden Konzepten (Mehrbesatzungskonzept, Intensivnutzbarkeit) der Fregatte Klasse 125 auf, weshalb das Projekt künftig unter dem neuen Namen Fregatte Klasse 126 (F126) fortgesetzt werden soll”, erläuterte ein Vertreter des BAAINBw gegenüber dem Behörden Spiegel. “Mit der Umbenennung wird der aktuellen Systematik der Schiffsklassen in der Deutschen Marine Rechnung getragen. Auf diese Weise reiht sich das Schiff nahtlos in die Nomenklatur der Fregattenklassen der Deutschen Marine ein.”

Die CH-53K King Stallion, einer der zwei Kandidaten für den Schweren Transporthubschrauber (STH) der Bundeswehr, flog bei der letzten ILA in Berlin. Foto: BS/Lockheed Martin

werden können. Auch das Fast Roping, also das schnelle Abseilen von Spezialkräften, sei aufgrund des Downwashs kaum gefahrlos möglich. Bei Sikorsky und den US-Marines – die maßgeblich zur Entwicklung der CH-53K beigetragen haben – stieß diese Kritik allerdings auf Unverständnis, da gerade das Fast Roping eine Kernfähigkeit und Kernforderung der Marines war, deren Beherrschung der Hubschrauber bereits erfolgreich beweisen konnte. Auch entspräche der Downwash dem normalen von einem Transporthubschrauber zu erwarteten Abwind, die nach Forderung der US-Streitkräfte unter einem Hubschrauber einzuhaltenden Werte würden nicht überschritten. Die CH-53K King Stallion ist – obwohl jünger – deutlich weiter entwickelt als die in der Bundeswehr in den letzten zehn Jahren eingeführten europäischen Hubschraubermodelle. Sie ist erprobt und marktverfügbar, auch die Wartung und Instandsetzung in Deutschland wären durch Rheinmetall gewährleistet.

die militärischen Anforderungen des 21. Jahrhunderts erfüllt. Eine Besonderheit ist die Anordnung der hinteren Rotorblätter, wodurch er an Hügeln mit dem Heck aufsetzen kann, während der Bug in der Luft bleibt. Dieser Aufbau ermöglicht es, auch im Wasser “zu landen”, also mit dem Heck tief genug einzutauchen, dass sogar kleine Schlauch- und Kunststoffboote direkt in den Hubschrauber hineinfahren können. Zudem soll die Chinook laut Zahlen des US-Department of Defense die niedrigsten Flugkosten pro Stunde in seiner Klasse aufweisen und deutlich geringere Beschaffungs- und Wartungskosten verursachen. Auch Boeing punktet natürlich mit der – bei der amerikanischen Hubschrauberindus­trie üblichen – Vertragstreue, Einhaltung von Lieferterminen sowie hohen Klarstandzahlen. Deutsche Firmen wären ebenfalls mit im Boot. “Mit unserer erweiterten Partnerschaft mit Rolls-Royce und Honeywell bieten wir Deutschland ein starkes Support-, Wartungsund Trainingsangebot für den

Drei Beschaffungen Mittelfreigabe durch den Haushaltsausschuss

Der andere Kandidat, die CH-47 Chinook, ist bereits seit Jahrzehnten in zwanzig

(BS/df) Im Dezember bewilligte der Haushaltsausschuss des Deutschen Ländern weltweit im Einsatz. Bild: BS/Boeing Bundestages für drei Projekte die Mittel: Verbesserung A400M, Laderaumtrainer A400M sowie Harmonisierung NH-90-Flotte. Der Gesamtbe- CH-47 Chinook H-47. Gleichzeitig integrieren trag für alle drei Vorhaben liegt bei etwa 391 Millionen Euro. Die CH-47 Chinook kontert hin- wir damit unsere Aktivitäten Rund 255 Millionen Euro werden in die Verbesserung der A400M investiert. “So sollen Luftfahrzeuge, die bislang lediglich für logistische Einsätze nutzbar waren, durch zusätzliche Ausstattung und Vorrüstungen zum taktischen Einsatz befähigt werden”, beschreibt das BMVg. “In 40 Maschinen soll dafür die “aufgabenorientierte Ausstattung” eingerüstet werden. Dadurch wird beispielsweise die Belastbarkeit des Laderaumbodens zum Transport von Kettenfahrzeugen erhöht. Auch Selbstschutzkomponenten sollen so schneller einund ausgebaut werden können. Ein Infrarot-Sichtsystem wird zur Sicherheit beitragen.” Hinzu kommt die Umrüstung von fünf A400M zur sogenannten taktischen Version. “Die moderne Selbstschutzausstattung erlaubt dann auch Flüge in Gebiete mit potenzieller Bedrohung. Diese fünf A400M gehören zu den 13 A400M, die ursprünglich weiterverkauft werden sollten, nun aber aufgrund des höheren Bedarfes durch die Bundeswehr selbst genutzt werden.”

Die Umrüstung von den Vorserienhubschraubern der Heeresvariante NH90 TTH (Tactical Transport Helicopter) auf den Serienstandard schlägt mit rund 103 Millionen Euro zu Buche. Insgesamt sollen sechs Hubschrauber umgerüstet werden, wobei fünf Vorserienmodelle dabei auch eine neue Hubschrauberzelle erhalten. Das dritte Projekt ist die Beschaffung von zwei Laderaumtrainern der A400M. Einer ist für den Standort Altenstadt vorgesehen, der andere für den Standort Wunstorf. “Die Soldatinnen und Soldaten der Fallschirmjägertruppe sollen damit ein zeitgemäßes Ausbildungsmittel für ihre Ausbildung und Übung erhalten”, beschreibt das BMVg. Die Inbetriebnahme ist rund zwei Jahre nach Vertragsschluss geplant. Weiterhin dringend erforderlich, fast sogar noch mehr als in Altenstadt, wäre ein dritter Laderaumtrainer für das Ausbildungs- und Übungszentrum Luftbeweglichkeit in Celle, dort findet die Truppenausbildung für die Luftbeweglichen Kräfte statt.

gegen damit, ein weiterentwickeltes kampferprobtes System zu sein. Von weltweit zwanzig Nationen, die den H-47 Chinook betreiben, sind acht Staaten NATO Mitglieder. Ein wichtiger Punkt für den Chinook, da Deutschland somit direkten Zugriff auf Upgrades und Support anderer NATO-Nationen hätte und auf eine von der Allianz erprobten Plattform zurückgreifen könnte. Durch die langjährige Nutzung – die ersten Chinook wurden bereits 1966 in Dienst gestellt – erfüllt der Hubschrauber zudem ein breites Spektrum an Missionsanforderungen. So bewährte sich der Hubschrauber bereits in über fünf Millionen Flugstunden auch in sehr spezifischen Anforderungen, beispielsweise bei Missionen in großer Höhe in den Bergen, bei der Evakuierung von Verletzten oder beim Einsatz von Spezialkräften. Zudem besitzt die Chinook eine über die Jahrzehnte optimierte und integrierte Avionik, Flugsteuerung sowie einsatzorientierte Fähigkeiten, die sicherstellen, dass der Hubschrauber auch

und Standorte noch stärker in die deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie”, sagte Dr. Michael Haidinger, Präsident von Boeing Deutschland und Zentral- & Osteuropa. “Dies ist nur ein Beispiel für die starken lokalen Industriepartnerschaften, die wir im Rahmen der STH-Ausschreibung der Bundeswehr aufbauen.”

Ende offen Aktuell lässt sich schwer einschätzen, welches der beiden Lager am Ende gewinnt und welcher der beiden Hubschrauber den Zuschlag der Bundeswehr erhält. Sicher ist nur, dass der Ersatz der aktuell vorhandenen und stark veralteten CH-53G absolut notwendig ist. Nicht umsonst hatte General Wieker das Vorhaben bereits 2017 als dringend bezeichnet und – um dem Projekt die notwendige Beschleunigung zu verschaffen – den Kauf eines marktverfügbaren Modells verlangt. Beide Hubschrauber sind schon seit drei Jahren marktverfügbar und vorhanden, man müsste nur noch die Unterschrift unter einen Vertrag setzen.

Ausbildungskomplex für den Sea Lion (BS/df) Anfang Dezember fand in Nordholz der Spatenstich für den neuen Ausbildungskomplex für den Sea Lion statt. Innerhalb dieses Ausbildungskomplexes wird CAE verschiedene Trainings- und Übungsgeräte aufbauen, um den Besatzungen eine (simulierte) Umgebung zu bieten. Kern ist der NH90-Full-Mission-Simulator, der die Qualifikation der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) der Stufe D, der höchsten Stufe für Flugsimulatoren, erfüllt. Hinzu kommen der NH90-Cockpit-Verfahrenstrainer. Ein weiteres wichtiges System ist der NH90-Einsatztaktik-Trainer für die Ausbildung der Besatzung (Training Rear-Crew Tactical Coordinators – TACCO), der mit dem Full-Mission-Simulator vernetzt werden kann, um eine Übungsmission für die gesamte Besatzung zu ermöglichen.

Erprobung von ROSY (BS/df) Die Wehrtechnische Dienststelle (WTD) 91 in Meppen erprobt das Selbstschutzsystem ROSY von Rheinmetall, mit dem die über 500 neuen Wechsellader-Lkws ausgestattet werden sollen. “Seit ihrer Gründung stattet die Bundeswehr nahezu jedes Gefechtsfahrzeug mit Nebelwurfanlagen aus”, beschreibt die Bundeswehr den Hintergrund. “Die bisher verwendeten Systeme reagieren aber relativ träge. Vom Anzünden bis zum Aufbau der Nebelwand vergehen mehrere Sekunden. Sekunden, die im Ernstfall über Leben und Tod entscheiden. Im alten System fallen die Nebelkörper darüber hinaus erst auf den Boden, bevor sich die künstliche Deckung bildet. Bei ROSY (Rapid Obscuring System) hingegen entfaltet sich die Nebelwand kurz nach dem Ausstoß in der Luft. Außerdem brennen die neuen Nebelkörper länger ab, weil sie eine größere Ladung enthalten.” Das System nutzt 40-mm-Nebelgranaten, um eine Nebelwand etwa 30 Meter vom angegriffenen Fahrzeug zu entfalten. Dadurch soll das Fahrzeug gegen Beschuss getarnt werden.

Start der European Patrol Corvette (BS/df) Die European Defence Agency (EDA) gab vergangene Woche den Start eines neuen Projektes zur Entwicklung einer europäischen Korvette bekannt. Italien, das den Lead dieser Gruppe von vier PESCO-Teilnehmerländern (Frankreich, Griechenland und Spanien) hat, bat die EDA um Unterstützung zur Umsetzung dieses Projektes. Ziel ist die Entwicklung einer neuen Klasse von Kriegsschiffen namens “European Patrol Corvette” (EPC). Diese sollen mehrere Systeme und Nutzlasten bzw. Module tragen, um eine große Anzahl von Aufgaben und Missionen auf modulare und flexible Weise erfüllen zu können. Die EPC ist als gemeinsame Plattform geplant, eine gemeinsame Basis, die von den teilnehmenden Mitgliedsstaaten entsprechend ihren nationalen Bedürfnissen und Spezifikationen nach Bedarf angepasst werden kann. Die Gesamtverdrängung soll nicht mehr als 3.000 Tonnen betragen, sodass die Schiffe von kleineren Häfen aus operieren können (Tiefgang weniger als 5,5 Meter). Die Länge des Schiffes, das mit Diesel- und/oder Elektromotoren ausgestattet werden soll, sollte 110 Meter nicht überschreiten. Die aktuellen Planungen sehen die Herstellung des ersten Prototyps für die Jahre 2026 – 2027 vor.

Dänemark beschafft weitere Eagle 5 (BS/df) Mitte Dezember meldete General Dynamics European Land Systems (GDELS), dass das dänische Verteidigungsministerium dem Unternehmen den Folgeauftrag für 56 Patrouillen- und ein offenes Aufklärungsfahrzeug Eagle 4×4 erteilt hat. Bei dem zu liefernden Aufklärungsfahrzeug handelt es sich um einen Prototypen. Dieser zweite Auftrag ist Teil des Rahmenvertrags für hochgeschützte Patrouillenfahrzeuge (Armored Patrol Vehicle, APV), den GDELSMowag und die dänische Beschaffungsbehörde (DALO) im Juni 2017 unterzeichneten, nachdem der Eagle 4×4 als Gewinner der APV-Ausschreibung ausgewählt wurde.

Russland übt die Drohnenabwehr (BS/df) Wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte, haben während einer Übung die Soldaten des Central Military District eine neue Methode zum Schutz von Bodenzielen vor feindlichen unbemannten Luftfahrzeugen erprobt. Zum ersten Mal führtenLuftverteidigungseinheiten des Central Military District demnach eine Übung zur Bekämpfung unbemannter Luftfahrzeuge mittels Maßnahmen der elektronischer Kriegsführung, der Funkaufklärung sowie Aerosol-Gegenmaßnahmen durch. Die Erprobungen enthielten drei Szenare. Die Besatzungen der Funkaufklärung ermittelten die Steuerfrequenzen der sich zum Start vorbereitenden unbemannten Luftfahrzeuge und übermittelten die Daten an den Gefechtsstand. Die Rolle des Feindes übernahmen die unbemannten Flugzeuge Tachyon und Orlan 10, die Ziele imitierten, die in niedriger und extrem niedriger Höhe operieren. Die Koordinaten der erkannten Ziele wurden an die Besatzungen der Kampffahrzeuge Tor-M1 und Pantsir-S übermittelt, welche die Ziele in Höhen von 350 Metern bis 3.000 Metern in einer Entfernung von bis zu 12 Kilometern kontrolliert zerstörten, so das Verteidigungsministerium.


Behörden Spiegel / Januar 2021

Wehrtechnik

Kein Husar für die Bundeswehr?

MELDUNGEN

Drohnenprojekt könnte an Insolvenz scheitern

Haun CEO von KNDS, Ketzel CEO von KMW (BS/df) Krauss-Maffei Wegmann (KMW) meldete, dass der bisherige CEO von KMW, Frank Haun, auf Beschluss beider Gesellschaften von KNDS – GIAT Industries und Wegmann & Co GmbH – zum neuen, operativ verantwortlichen Chief Executive Officer (CEO) von KNDS ernannt wurde. “Diese Funktion wurde auf einstimmigen Beschluss der Gesellschafter an Frank Haun übertragen”, berichtet KMW: “Frank Haun fungiert seit 2003 als CEO von Krauss-Maffei Wegmann. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und dem

Aufbau von KNDS im Jahr 2015 und gestaltete den Erfolg des Unternehmens seit 2015 als Co-CEO maßgeblich mit.” Der neue CEO von Krauss-Maffei Wegmann wird Ralf Ketzel, bisher Chief Business Development Officer des deutschen Unternehmens. Nexter wird im Zuge der Neubesetzung von Führungspositionen wegen der Umstrukturierungsmaßnahmen ebenfalls einen neuen CEO erhalten. Dessen Name soll in den kommenden Wochen bekannt gegeben werden. Die neue KNDSFührungsstruktur trat am 15. Dezember 2020 in Kraft.

Diehl Defence Buschek in der ­Geschäftsführung (BS/df) Zum 1. Januar 2021 wurde Dr. Harald Buschek in die Geschäftsführung von Diehl Defence bestellt. Hier wird er die Leitung aller Business Units übernehmen. Er entlastet damit Helmut Rauch, der nach seiner Ernennung zum Sprecher der Geschäftsführung und der Berufung in den Diehl-Vorstand zunächst über ein Jahr die Verantwortung für die Business Units in Personalunion weiter behielt. Dr. ­Buschek kam nach seinem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart und der anschließenden Promotion am Georgia Institute of Technology, Atlanta/ USA zu Diehl Defence. Hier hat er zuletzt maßgeblich die neue Produktlinie “Bodengebundene Luftverteidigung” mit aufgebaut und zu internationalem Erfolg geführt. Das bei Diehl Defence

wachsende Verteidigungsgeschäft sei der Anlass gewesen, die Geschäftsführung des Unternehmens zu stärken und wieder vollständig zu besetzen, lautete die Mitteilung des Unternehmens. “Mit der 2017 erfolgten Bündelung des Verteidigungsgeschäfts der Diehl-Gruppe in der Führungsgesellschaft Diehl Defence GmbH & Co. KG wurde ein vierköpfiges Gremium für die Geschäftsführung bestellt.” Die Mitglieder dieses nun vollstän­ digen Gremiums sind seit dem 1. Januar Dipl.-Ing. Helmut Rauch, Strategie und Beteiligungen, Vertrieb, Sprecher der Geschäftsführung; Dipl.-Betriebswirt Thomas Bodenmüller, Finanzen und Administration; Dipl.-Ing. Harald Buschek, Ph.D., Business Units, sowie Dipl.-Ing. Frank Kienzler, Entwicklung, Fertigung, Supply Chain Management.

Zusammenführung von KNDS (BS/DF) Fünf Jahre nach dem offiziellen Zusammenschluss von Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und Nexter Systems zu KNDS verkündete KMW nun die Neustrukturierung der Führungsorgane des Konzerns, die am 15. Dezember 2020 bereits in Kraft trat. “Die Eigentümer des deutsch-französischen Herstellers militärischer Landsysteme – die französische Staatsholding GIAT Industries und das deutsche Familienunternehmen Wegmann & Co GmbH – gehen damit konsequent den 2015 beschlossenen Weg: entlang definierter Meilensteine ein Unternehmen zu schaffen, das zum führenden Anbieter seiner Branche wird”, lautete die Mitteilung von KMW. “Die Gesellschafter haben beschlossen, durch die Schaffung eines einheitlichen Verwaltungsrates, der künftig den bestehenden Aufsichtsrat und das Management-Board ersetzt, die Führungsstruktur zu straffen. Nach einer ersten Phase, in der sich die beiden Tochtergesellschaften unter der Leitung von zwei Co-CEOs kennengelernt und mit dem Aufbau des Unternehmens begonnen haben, ist es

nun an der Zeit, in die nächste Phase der Integration und Entwicklung einzutreten. Die neue Struktur wird eine effizientere und kohärentere Führung der Unternehmen von KNDS ermöglichen, die eine optimale Nutzung ihrer Potenziale und Synergien erlaubt.” Der neue Verwaltungsrat von KNDS soll künftig zehn Mitglieder umfassen, von denen neun Externe ohne direkte operative Aufgaben beim Konzern sein sollen. Philippe Petitcolin, derzeit CEO von Safran, ist designierter Vorsitzender dieses Verwaltungsrates. Jeweils drei der Mitglieder werden von den beiden Gesellschaftern entsandt. Hinzu treten drei unabhängige, von beiden Gesellschaftern gewählte Mitglieder. Dazu gehört auch der Vorsitzende des Verwaltungsrates. Das zehnte Mitglied des Verwaltungsrates ist der operativ verantwortliche Chief Executive Officer (CEO) von KNDS. Der Verwaltungsrat und CEO werden künftig durch ein Executive Committee, das zu gleichen Teilen aus französischen und deutschen Mitgliedern besteht, bei der Führung von KNDS unterstützt.

Europäisches Unmanned Ground System (BS/df) Der Vertrag zum europäischen Projekt iMUGS (integrated Modular Unmanned Ground System) wurde nun zwischen dem Konsortium aus dreizehn Firmen und der Europäischen Kommission unterzeichnet. Unternehmen aus sieben europäischen Ländern nehmen somit an dem Projekt teil. Der Vertrag ist mit 32 Millionen Euro Fördermitteln dotiert. “Der Forschungs- und Entwicklungsauftrag aus dem European Defence Industry Development Programme (EDIDP) treibt die Entwicklung und Definition für die in unbemannten Systemen (Multipurpose Unmanned Ground System MUGS) eingesetzten Technologien voran”, schreibt Krauss-Maffei Wegmann (KMW) in seiner Mitteilung. “Hier-

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bei ist KMW unter anderem für das Zusammenspiel und die Kontrolle von bemannten und unbemannten Systemen – auch Drohnen – verantwortlich. Dazu werden Einsatzszenarien entwickelt, die ein abgestimmtes Agieren von Soldat und System definieren.” Die EU steigt somit in die Entwicklung und den Nutzen militärischer unbemannter Systeme ein und bündelt hierfür die in den Mitgliedsländern vorhandenen Fachkompetenzen aus der Industrie. Im Herbst 2022 werden erste Ergebnisse erwartet. Dabei besteht das Ziel nicht nur aus einer fertigen Technologie, sondern die Erkenntnisse sollen vielmehr auch die Entwicklung von inter­ operablen Systemen innerhalb der EU fördern.

(BS/Dorothee Frank) Zum Aufklärungsmix moderner Streitkräfte gehören kleinere Drohnen, die sich z. T. von Hand starten lassen und die Soldaten im Einsatzgebiet begleiten – auch bei der Bundeswehr. Deren Aufklärungsmittel KZO und Luna sind allerdings bereits in die Jahre gekommen und bedürfen der Ablösung durch ein modernes System. Ein Vorhaben, das “HUSAR” (Firmenbezeichnung des Flugsystems: “LUNA NG”) genannt wird. Eigentlich sollten mit Husar (Hocheffizientes Unbemanntes System zur Aufklärung mittlerer Reichweite) erst die Drohne KZO und später auch Luna abgelöst werden, allerdings befindet sich die Herstellerfirma EMT Penzberg laut eigener Pressemitteilung in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung: “Das Amtsgericht Weilheim hat mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 antragsgemäß die vorläufige Eigenverwaltung über das Vermögen der Gesellschaft angeordnet und Herrn Ivo-Meinert Willrodt von der Pluta Rechtsanwalts GmbH zum vorläufigen Sachwalter bestellt. (…) Grund für die Antragstellung sind Liquiditätsschwierigkeiten.” Bei dem Flugsystem “LUNA NG” handelt es sich um einen leichten, unbemannten Motorsegler aus CFK (Carbon-faserverstärktem Kunststoff). Sie ist somit für lange Flugzeiten mit geringen akustischen, thermischen und Radarsignaturen konzipiert. Ein besonderes Leistungsmerkmal von “LUNA NG” ist die Fähigkeit zu antriebs- und lautlosen Gleitflügen (Acoustic Stealth) mit anschließendem Wiederanlassen des Motors. Die MikrowellenRichtfunkverbindung sendet Aufklärungs- und Systemdaten in Echtzeit vom Flugzeug zur Bodenkontrollstation. “LUNA NG” kann wahlweise vollautomatische Aufklärungs- und Überwachungsmissionen ausführen, auch ohne Funkemissionen (Radio Stealth).

einen Verzug von ca. 16 Monaten auf. Im Rahmen der gerichtlich angeordneten vorläufigen Eigenverwaltung bleiben die bestehenden Verträge grundsätzlich erhalten. Daher behält der Bund die EMT Ingenieurgesellschaft Dipl.-Ing. Hartmut Euer mbH als Vertragspartner, sofern der Auftragnehmer den Vertrag nicht kündigt. Auch wenn sich die zeitliche Ausplanung der Serienproduktion durch die Eigenverwaltung vorerst nicht ändert, lassen sowohl der bisherige Projektfortschritt als auch die neue rechtliche Konstellation erwarten, dass es zu weiteren Verzögerungen kommt. Konkrete zeitliche Abschätzungen werden erst im weiteren Verfahrensgang möglich sein.” Es ist allerdings zu hören, dass sich das aktuelle Insolvenzverfahren auf das Erreichen von kritischen Meilensteinen auswirken könnte, sodass die Bundeswehr eventuell nicht bereit ist, weitere Verzögerungen jenseits der 16 Monate zu akzeptieren. Noch im November 2020 hatte Silberhorn auf die Frage des Linken-Abgeordneten Tobias Pflüger geantwortet: “ Der derzeit mit dem Auftragnehmer abgestimmte Zeitplan sieht vor, die ersten

drei Seriensysteme mit ihren insgesamt 15 Luftfahrzeugen Anfang des Jahres 2021 mit einer Anfangsbefähigung in Nutzung zu nehmen. Zusammen mit den fünf Luftfahrzeugen des bereits abgenommenen Pilotsystems sollen sie im Schwerpunkt zu Ausbildungszwecken eingesetzt werden. Alle Systeme dieses Bauloses werden bis Ende des Jahres 2021 auf die Zielbefähigung umgerüstet. Der Zulauf der übrigen mit der Zielbefähigung ausgerüsteten Luftfahrzeuge ist derzeit ab Ende des Jahres 2021 vorgesehen und soll bis zum Jahr 2023 abgeschlossen sein.” Zudem meldete EMT Penzberg im September 2020: “Nach umfangreichen Testläufen, Versuchsflügen und der dazugehörigen aufwendigen Dokumentation wurde für die “LUNA NG/B” in digitaler Konfiguration die Vorläufige Verkehrszulassung durch das Luftfahrtamt der Bundeswehr erteilt.”

Folgen des Journalistenmordes Im jetzigen schon fortgeschrittenen Stadium würde ein Scheitern negative Folgen für die Bundeswehr haben. Die Ablösung der KZO sowie der aktuellen Luna ist durchaus zeitnah notwen-

dig, auch wenn Soldaten aus Afghanistan berichteten, dass das “Rasenmäher-Geräusch”, mit dem die KZO über ihren Köpfen flog, eine durchaus beruhigende Wirkung haben soll. Zeitgemäß ist es allerdings nicht mehr. EMT Penzberg war aufgrund des Exportstopps für Rüstungsgüter an Saudi-Arabien, den die Bundesregierung bis Ende 2021 verhängte, in Liquiditätsprobleme gekommen. Saudi-Arabien war aufgrund des Exportverbots von seinem Vertrag mit EMT Penzberg zurückgetreten. “Infolge des gegen einen Kunden verhängten Embargos konnten geplante Auslieferungen nicht erfolgen, was zu erheblichen Einnahmeausfällen führte”, begründete das Unternehmen den Schritt, ohne SaudiArabien namentlich zu nennen. “Hinzu kamen zuletzt Verzögerungen in der Fertigstellung von Auftragsdokumentationen, was weitere Liquiditätslücken entstehen ließ.” Manchmal sorgt der Flügelschlag eines Schmetterlings dafür, dass ein Sturm losbricht. In diesem Fall könnte die Tötung eines Journalisten zur NichtErneuerung von unbemannten Bundeswehr-Aufklärungssystemen führen.

Erreichte Meilensteine Auf die Frage des FDP-Abgeordneten Dr. Marcus Faber zum aktuellen Sachstand bei Husar antwortete der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn: “Das projektbegleitende Forderungscontrolling erfolgt durch die Vorlage von Nachweisen gemäß dem vertraglich vereinbarten Abnahme- und Nachweisplan. Somit erfolgt die Qualifikation der Seriensysteme Husar kontinuierlich und führt zum vertraglichen Meilenstein “Erteilung der Musterzulassung”. Bezogen auf diesen Meilenstein weist das Projekt

Eine LUNA im Jahr 2013 im Afghanistan-Einsatz. Die neuere LUNA NG nutzt den seither erreichten technologischen Fortschritt. Foto: BS/Bundeswehr, Andrea Bienert

Diskussion um G36-Nachfolge

Elektronische Patientenakte

Weitermachen oder Abbruch?

Sanitätsdienst der Bundeswehr erprobt Infrastruktur

(BS/df) Im Dezember veranstaltete der Behörden Spiegel eine OnlineDiskussionsrunde zum neuen Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr – oder vielmehr zum Sachstand des Beschaffungsprozesses sowie zu den Lehren für künftige Beschaffungen. Dabei zeigte sich, dass sich die Experten in zwei Lager teilten.

(BS/df) Seit dem 1. Januar sind gesetzliche Krankenkassen dazu verpflichtet, ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) anzubieten. Die Bundeswehr plant, ein militärisches Pendant ähnlichen Aufbaus für die Soldaten einzuführen; erste Tests fanden im Sanitätsdienst der Bundeswehr statt.

Während der Bundestagsabgeordnete Dr. Tobias Lindner sowie der Journalist Lars Petersen, Ressortleiter Politik bei Business Insider Deutschland, die Ansicht vertraten, dass nur ein Abbruch der aktuellen Beschaffung und somit ein neuer Ansatz tatsächlich zum besten Sturmgewehr für die Soldaten führen würden, sagte der Rechtsexperte Prof. Dr. Heiko Höfler, Partner bei Oppenhoff & Partner, dass mit einem Abbruch auch der Zeitverzug so groß werde, dass die Bundeswehr dadurch in absehbarer Zeit überhaupt kein neues Sturmgewehr erhalten werde.

Zufriedenheit mit dem G36 Auch die Entstehung dieses Beschaffungsvorganges scheint dabei untersuchungswürdig zu sein. Alle Diskutanten waren sich darin einig, von Soldaten nur Gutes über das G36 gehört zu haben. Egal ob im Einsatz oder in der Ausbildung. Zur Lage, als die damalige Verteidigungsmi-

nisterin Ursula von der Leyen im Jahr 2025 die Beschaffung eines neuen Standard-Sturmgewehres aufgrund angeblicher Mängel am G36 beschloss, bemerkte Dr. Lindner: “Ich hatte damals die Wahrnehmung, als peitsche man sich gegenseitig hoch.”

Angriff auf Heckler & Koch Bezüglich der Ausschreibung an sich steht zudem ein schwerer Vorwurf im Raum. “Wir haben viele Akten erhalten und konnten uns von der Papierlage ein gutes Bild machen”, so Petersen. “Man hat versucht, ganz gezielt Heckler & Koch aus dem Rennen zu werfen.” Einig waren sich die Diskutanten allerdings bei den zu großen Zeiträumen, die Beschaffungen in Deutschland in Anspruch nehmen. Auch Lösungsmöglichkeiten kamen zur Sprache. Die gesamte etwa einstündige Diskussion ist unter www. digitaler-staat.online kostenlos abrufbar.

“Nach der Einführung der ePA beabsichtigt auch die Bundeswehr, für ihre Soldat(inn)en eine elektronische Patientenakte Bundeswehr (ePABw) zur Verfügung zu stellen. Die Anforderungen einer solchen ePABw sind dabei identisch mit der “zivilen” Variante. Vorgesehen ist eine von der gematik GmbH zugelassene, marktverfügbare elektronische Patientenakte für eine fall- und einrichtungsübergreifende Dokumentation”, berichtet der Sanitätsdienst der Bundeswehr. “Voraussetzung hierfür ist eine Anbindung an die von der gematik GmbH geführte Telematikinfrastruktur. Der Basis-Rollout an den fünf Bundeswehrkrankenhäusern ist mit Einführung der zivilen ePA ab dem Januar 2021 geplant. Mit einer Anbindung der regionalen Sanitätseinrichtungen an die Telematikinfrastruktur ist dann im weiteren Verlauf zu rechnen.” In dieser ePABw sollen dann alle medizinischen Daten wie Laborwerte, Diagnosen, Therapiemaß-

nahmen und Behandlungsberichte gespeichert werden. Durch die elektronische Verfügbarkeit sind diese Daten dann von verschiedensten Ärzten – Facharzt, Krankenhaus – abrufbar. Somit muss der Patient nicht mehr Ausdrucke oder CDs mit sich führen, was die Behandlung vereinfacht und beschleunigt. Die IT-Unterstützung für regionale Sanitätseinrichtungen wurde im November und Dezember 2020 erfolgreich im Sanitätsversorgungszentrum und Facharztzentrum Köln-Wahn getestet. Allerdings sei dieser Test, laut dem Sanitätsdienst der Bundeswehr, nicht der Startschuss für die ePABw: “Noch können nicht alle Vorgänge eines Sanitätsversorgungszentrums, beispielsweise der Heilfürsorge oder der Begutachtung, digital abgebildet werden. Deshalb darf man diese Grundbefähigung lediglich als einen ersten Schritt zu einer elektronischen Gesundheitsakte werten.”


Verteidigung

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eder von uns ist irgendwie vorsichtig, auch ängstlich, sicherlich auch protestierend, aber ebenso vorgabentreu und engagiert. Es ist auch eine Zeit der Disziplin und des Durchhaltens, die wir durchleben – privat wie dienstlich. Passivität und Angst sind aber weder gute Ratgeber noch helfen sie, die Zukunft nach der Krise vorzubereiten und die Lehren abzuleiten – beginnend schon jetzt, mitten in der Krisenbekämpfung. Gerade aus dem “Mitten drin sein” lassen sich einige interessante grundlegende Dinge feststellen: 1. Bei allen Analysen müssen wir die Betrachtungsebene festlegen. Lehren können innerhalb von unseren Verbänden, in der Luftwaffe und Bundeswehr, oder privat, in unseren Nachbarschaften und Gemeinden, anders sein als gesamtstaatlich oder europäisch, ggf. sogar weltweit. Während Solidarität zu unseren Kameraden oder da, wo die Bundeswehr hilft, groß ist, hat sie zwischen Staaten eher eine Konzentration auf sich selbst ergeben – trotz einiger positiver Beispiele. 2. Es wird einige allgemeingültige Lehren geben, jedoch sind die Spezifika der verschiedenen Lebensbereiche jeweils anders, z. B. für Bundeswehr, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Religion etc. Eine Differenzierung ist notwendig, um nicht unverbindlich-platitüdenhaft zu sein. 3. Die Corona-Krise kann faktenorientiert anhand von Statistiken und nachweisbaren Tatsachen ausgewertet werden. Zugleich hat sich die Krise erheblich psychologisch ausgewirkt. Die “empfundene” Gefahr weicht von der “real existierenden” ebenso ab, wie die Einschränkungen im täglichen Leben je anders empfunden werden. 14 Tage Quarantäne vor einem Einsatz ist für einige nahe am “Vollzug”, andere stecken sie locker weg. 4. Gleiche eindeutige und zunächst von allen akzeptierte Lehren aus der Krise können in der Folge unterschiedlich bewertet werden. Es ist z. B. unabweisbar, dass die massive Ausweitung des mobilen Arbeitens und digitaler Meetings aus vielerlei Gründen als gewinnbringend gesehen wird. Dennoch hat der fehlende persönliche Austausch am Rande von Besprechungen, Konferenzen etc. Nachteile, die absehbar mittelfristig erst auftauchen. Dazu gehören die fehlende Netzwerkbildung und mangelnde soziale Bindungen, vor allem für unsere jungen Kameraden. 5. Am Wichtigsten ist aber ein allzu menschlicher Aspekt: Jeder sucht in der Krise nach Bestätigung der eigenen Position. Und natürlich ist dies auch möglich – irgendwie. Die Ehrlichkeit hat einen “Bias”, eine Voreinstellung. Daher ist es für eine Aufarbeitung wichtig, auch mit anderer Brille zu schauen, ggf. danach zu fragen, ob es gute Gründe gibt, die gegen die Lehren sprechen, die “ich mir” aus Corona ableite.

Chancen Es gibt eine Reihe von schon jetzt erkennbaren positiven “Lessons Learned” und daraus erwachsenen Chancen. Dazu gehört: Politisches Handeln und politische Entscheidungen sind unter Covid-19 “unmittelbarer” geworden. Die Infektionszahlen haben alle Entscheidungen des Gesundheitsministers, der Ministerpräsidenten etc. in der Coronakrise messbar gemacht. Politiker haben dadurch “sachund ergebnisorientiert” handeln müssen. Dies war erfrischend gegenüber einer Politik, die hier und da mehr von Interessen und Wahltaktiken angesichts einer schwierigen Wähler- und Koalitionsstruktur geprägt ist.

Behörden Spiegel / Januar 2021

Die Zukunft nach der Krise Covid-19 – Auswirkungen und Lernerfahrungen (BS/Generalleutnant Dr. Ansgar Rieks) Wer hätte das gedacht: Eine Pandemie nimmt uns fest in den Griff. Ein wenig zu warten, einige Flugstunden des Jahresprogramms geplant zu reduzieren, erste Unterstützungsleistungen der Bundeswehr zur Bewältigung der Herausforderungen haben nicht gereicht, um Covid-19 zu überwinden. Im Gegenteil: Es wird noch lange dauern, bis wir wirklich wissen, wie sehr sich unsere Welt verändert hat und welche Folgen und Lehren wir aus der Krise ziehen. Die weltweite Abhängigkeit unserer globalisierten Welt ist durch Covid-19 deutlich geworden. Eine “Resilienz” unserer Streitkräfte – und damit verbunden: der sie unterstützenden Industrie und Wirtschaft – ist neu mit Wichtigkeit belegt worden. Dies kann als Lehre für den eigenen Arbeitsmarkt sozial und belebend wirken. Eine politische Unterstützung der eigenen Wirtschaft unter kritischer Betrachtung der Abhängigkeiten wäre die Konsequenz. Es ist aber auch eine Frage der Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte im Krisenfall. Die entscheidende damit verbundene Frage ist: Wo sind wir bereit, auf dem Altar der notwendigen Durchhaltefähigkeit falsch verstandene Wirtschaftlichkeitsund eigene Vergabe-Prinzipien zu verlassen – und wo müssen wir unabdingbar eigenes Personal für Aufgaben einsetzen, die sonst nicht mehr erfüllt werden (können). Da wir Krisen niemals genau vorhersagen können, ist es schwierig, den notwendigen Resilienzbereich genau zu bestimmen. Die Zahl der im Verband lagernden Ersatzteile, die mehrfache Auslegung von Systemen oder eine eigenständige Energieversorgung sind Kostentreiber in einer ressourcenknappen Zeit. Aber es ist an der Zeit – stets am Auftrag und an der notwendigen Gefährdung ausgerichtet –, einen Anhalt an hinreichender Resilienz aktiv zu erarbeiten und dann auch jeweils bei Innovationen gleich mit umzusetzen. Systemkenntnis hilft übrigens dabei. Zugleich bekommt die Reserve eine völlig neue Bedeutung. Sie wird zukünftig viel stärker als bisher Aufgaben mit übernehmen, die Durchhaltefähigkeit erzeugen oder eine Leistungserbringung im Krisenfall möglich machen. Dazu gehört sowohl die Wahrnehmung des Objektschutzes wie einzelner, nicht mehr aktiv ausbringbarer Fähigkeiten. Bei der Zusammenarbeit mit der Industrie und Wirt-

Abseits der Amtshilfe führte die Corona-Pandemie auch zu vielen internen Lehren und Änderungen der Prozesse in der Bundeswehr. Foto: BS/Bundeswehr, Sebastian Wilke

wegen Covid-19 verschlechtert hat. Hier profitiert der militärische Flugbetrieb bei der industriellen Unterstützung von einem überaus lahmenden zivilen Flugbetrieb, dessen Erholung wohl noch Jahre brauchen wird. Ferner ist die Einsatzbereitschaft gerade auch in der Krise hoch, weil das am Flugzeug arbeitende technische Personal nicht durch anderweitige Tätigkeiten und Konferenzen abwesend ist, die in normalen Zeiten stattgefunden hätten. Hierzu gehören nicht nur auswärtige Besprechungen und Übungen, sondern auch gesperrte oder eingeschränkte Sportstätten und weitere entfallende Nebentätigkeiten. Covid-19-Infizierungen und notwendige Quarantäne-Maßnahmen haben aber auch bewirkt, dass der Flugbetrieb in einigen Bereichen für begrenzte Zeit nicht fortgeführt werden konnte. Einige wenige Verbände und Dienststellen haben für begrenzte Zeit ihren Dienstbetrieb ganz einstellen müssen. Wenn wir uns wirklich auf die Landes- und Bündnisverteidigung mit ihren hybriden Vorstufen vorbereiten, so ist Covid-19 ein “Realitäts-Test”, denn Rahmenbedingungen wären in einigen BereiGeneralleutnant Dr. Ansgar Rieks ist Stellvertreter des chen artgleich. Inspekteurs der Luftwaffe. Eine hohe Ein satzbereitschaft Foto: BS/PIZ Luftwaffe wäre auch (oder “vor allem”) dann sicherzustellen. Darauf die Innere Führung, das schaft werden Reservisten aus innere Gefüge und die Geistesder Industrie dann in Uniform haltung unserer Mitarbeiterinnen ihre bisherigen Aufträge weiter und Mitarbeiter, unserer Soldaerfüllen. Die neue Strategie der tinnen und Soldaten einzustellen, Reserve ist auch dahingehend zu ist an der Zeit. Eine erste deutrealisieren. Corona hat gezeigt, liche Erkenntnis dazu ist, dass wie Reservisten punktuell, gezielt der Teamgedanke eines “Teams und schnell helfen und wirken. Luftwaffe” und die Auftragstaktik Das gilt für Krisen dieser Art in wichtige Anker sind. gleicher Weise wie zur Sicherstellung des Auftrags in hybriden Lehren für die ­Fähigkeitsentwicklung Gefährdungssituationen bis hin Corona hat im Sinne von “Mozu Krise und Krieg. Daher ist unsere Reserve stets ein integrativer ve Information, not People” eine Teil des Teams Luftwaffe. neue Form der Zusammenarbeit geschaffen. Digitalisierung wird Praktische Umsetzung gelebt! Wenn wir diese Erkenntnis und Um auch während einer länger andauernden Pandemie die Entwicklung aus der Krise in Einsatzbereitschaft sicherstellen unsere Fähigkeitsentwicklung zu können, war eine sinnvolle übertragen, werden in einer und notwendige Maßnahme, die strategischen Betrachtung auch vorgesehenen Flugstunden aktiv System-of-Systems-Planungen, zu reduzieren; so konnten Ersatz- systemisches Zusammenwirken teile und Flugstundenvorräte für und Multi-Domain-Ansätze entdie kommenden Monate “gespart” mystifiziert. Was sich im persönwerden. Ein interessantes Phä- lichen Bereich entwickelt und nomen ist bis heute, dass der etabliert, wird dieses auch in Klarstand unserer Luftfahrzeuge den Fähigkeiten tun. Digitalisiesich nur in wenigen Einzelfällen rung ist nicht nur der Treiber,

sondern zukünftig der Kern einer Fähigkeitsentwicklung der Streitkräfte. Dies ist nicht im Sinne von “immer mehr Digitalsierung in den Waffensystemen” gemeint, sondern dahingehend, dass Digitalisierung prägt und alle Parameter setzt. Ein taktisches Schießen der Flugabwehrraketentruppe auf Kreta im Reach-Back aus Husum geführt – haben wir heute schon. Einen Verbund aus einem Command Fighter, mehreren Remotely Piloted Aircraft und existierenden fliegenden Waffensystemen konzipieren wir gerade im FCAS (Future Combat Air System). Unsere Kinder werden mit einem vollständigen Multi-DomainCommand and Control arbeiten. Und da die Technologie sich immer schneller entwickelt, lohnt es sich, in die Digitalisierung zu investieren – mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit Gedankenfülle und Vorstellungskraft sowie mit den notwendigen finanziellen Mitteln.

Herausforderungen Die Coronakrise hat Menschen in Kategorien eingeteilt bzw. sie haben sich selbst dahinein bewegt: • Es gibt die Vorsichtigen und Ängstlichen, die Kontakte ganz vermeiden und andere maßregeln, die sich nicht 100-prozentig an die Hygieneregeln halten. Sie vereinsamen mit der Zeit. • Es gibt die Waghalsigen, die nur das Nötigste tun und es darauf ankommen lassen, dass eine Ansteckung sie schon nicht “aus dem Sattel haut”. Sie laden großzügig Freunde ein und lassen erkennen, dass Vorgaben sie nur im Falle von Sanktionen interessieren. • Es gibt die Engagierten, welche sich an alles halten, solange sie nicht im Beruf, daheim oder in der Gesellschaft aus Gründen der Funktionsfähigkeit des jeweiligen Bereiches davon abweichen: “…Coronahygieneregeln ja, aber hier muss es jetzt weitergehen …”. • Es gibt die Egoisten, welche Coronaregeln zum Anlass nehmen, sich aus allen Verantwortlichkeiten, aus ihrem Berufsleben oder aus anderen Dingen freudig abzumelden. Sie nutzen Covid-19 egoistisch aus und erfreuen sich auf Kosten ihres Umfeldes der Situation. • Es gibt die Protestler, die aus einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Gründe gegen Maßgaben und Vorschriften rebellieren. Sie testen und hinterfragen die Demokratie, indem sie prüfen, wie weit die Politik “durchgreift” oder nicht. • Und es gibt die Gesetzestreuen, die sich an Coronaregeln halten, alles was geht, möglich machen und mit vielleicht be-

sonderem Engagement die Krise zu überwinden oder auszugleichen helfen. Durch diese unterschiedlichen Einstellungen der Menschen sind innerhalb von Nachbarschaften, Gemeinden, Vereinen, persönlichen Gemeinschaften und auch im Dienst Risse entstanden. Es wird nach der Pandemie notwendig sein, die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Dies ist vorrangig eine Aufgabe der Politik, aber auch aller Bereiche des dienstlichen wie auch privaten Lebens. Da die Soldatinnen und Soldaten Staatsbürger in Uniform, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr ein Abbild der Gesellschaft sind, reicht diese Aufgabe bis in die Bundeswehr hinein. Dazu gehört auch, wie konsequent Politik ihre Regeln kommuniziert und vor allem, wie weit sie in der Lage ist, diese durchzusetzen. Wenn niemand “Verfehlungen” sanktioniert, im Fernsehen Demonstrationen ohne jedwede Abstandsregeln zu sehen sind, ohne dass eingegriffen wird, wenn nur die gesellschaftliche Kontrolle etwas bewirkt oder die Drohung hoher Infektionszahlen, dann entsteht ein Zerrbild der Politik. Die He­rausforderung der Zukunft ist, für Krisenfälle die Durchsetzung von Regeln garantieren zu können. Die Bundeswehr ist bisher deshalb so erfolgreich durch die Pandemie gekommen, weil sie (bis auf einige “Einschwingvorgänge”) klare Weisungslagen hatte, die auch auf den jeweiligen Ebenen durchgesetzt worden sind. Dabei ist interessant, wie gut die altbewährte “Auftragstaktik” in den Einheiten und Verbänden der Streitkräfte mit ihren standort- und auftragsbezogenen Vorsichtsmaßnahmen funktioniert hat. Sie war fest genug, um Hygiene- und Abstandsregeln durchzusetzen, und flexibel genug, um den jeweiligen Auftrag weiterhin erfüllen zu können. Es wird spannend sein, ob bei einer wieder Covid-19-freien dienstlichen Welt diese Auftragstaktik weiterhin erhalten bleiben kann oder ob sie in einer bürokratischen und Detail-geregelten Nach-CoronaZeit wieder zurücktreten muss.

Rückgrat der Bevölkerung Die Bundeswehr hat vielfältig geholfen. “Nicht abwarten, sondern vorbereiten” war von Beginn an das Motto, unter den Rahmenbedingungen des Grundgesetzes natürlich, auch der “Unterstützungsfunktion”, die unser Grundgesetz in bestimmten Notlagen für die Bundeswehr möglich macht. Eine extra angepasste Führungsorganisation wurde eingerichtet, in der die territoriale Organisation

der Streitkräftebasis die Gesamtführung übernahm, das Heer, die Luftwaffe und die Marine “Regionale Führungsstäbe” einrichteten, den Einsatz der vorgehaltenen Kräfte (anfangs 15.000, später mehr) organisierten und durchhaltefähig aufstellten und dabei akzeptabel Einschränkungen in der Einsatzbereitschaft hinnahmen. Die Sanität mit ihren spezifischen Kräften ergänzte die zivile medizinische Versorgung. Die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten haben sich zweifellos einen guten Ruf erworben. Allerdings bestanden Zweifel, ob das Subsidiaritätsprinzip zu Beginn immer eingehalten wurde. Der Einsatz in Altenheimen und da, wo es gesellschaftlich in der Vergangenheit zu Sparzwängen und größtmöglicher Effizienz gekommen war, lässt bis heute Fragen offen. Die oben genannten Aspekte einer ausgewogenen, aber notwendigen Resilienz gelten halt in allen Bereichen – insbesondere auch in der zivilen Krisenvorsorge unseres Staates. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass angesichts der vielgelobten und engagiert geleisteten Hilfeleistungen der eigentliche Auftrag der Streitkräfte in den Hintergrund gerät. Es wird in der Zukunft darauf ankommen, diesen Auftrag erneut ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen und hierfür die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Ein aktives Krisenmanagement wäre nach der Krise neu zu denken. Es müsste eine Vorplanung dafür geben. Die Lehre aus Corona ist, unsere Gesellschaft und unseren Staat wieder krisenfest zu machen. Dazu gehört auch die Einbeziehung von zivilen Organisationen und der Kirchen. Dazu hätte auch gehört, über das Individuelle hinaus in den bedeutenden letzten Fragen auf Tod und Leben hin Antworten zu geben, zu erklären und beizustehen – letztlich auch, um den Demokratie-Kritikern, den Verschwörungstheoretikern und den falschen Meinungsmachern keinen Raum zu geben. Militärpfarrer und Militärseelsorge haben hier für die Truppe als Ansprechpartner in vielen Fällen einen überaus wichtigen Beitrag geleistet. Zumeist passiert das im Stillen und wenig visibel. Aber für den Einzelnen und die Familienangehörigen ist es essenziell. Mit einem Schmunzeln ausgedrückt: Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Militärseelsorge für die “Kampfkraft” oder, besser gesagt: für die “Einsatzbereitschaft” der Streitkräfte ist.

Ausblick Wir sind mit Corona vielleicht nicht mehr in einer Epoche des Wandels, sondern eines Wandels der Epochen, wie es Papst Franziskus ausdrückt. Es ist die gute Nachricht, dass die Streitkräfte, und in ihnen die Luftwaffe, ihren originären Auftrag, ihre Einsätze, ihre Einsatzbereitschaft – bei allen Corona-Einschränkungen – weiteraufrecht erhalten und ihren Auftrag weiter nahezu uneingeschränkt wahrgenommen haben. Es war schon ein Lackmustest, das in solchen Krisensituationen weiterhin zu können. Das Engagement der Soldatinnen und Soldaten, auch von Reservistinnen und Reservisten, war und ist nicht nur besonders, sondern auch im Sinne ihres Eides, “…der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen”. Dazu haben in vielen Fällen in gleicher Art und Weise auch unsere zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beigetragen. Es bedarf der Anerkennung nicht nur für die vielfältige Hilfeleistung und Unterstützung, sondern gleichrangig für die militärische Auftragserfüllung in schwieriger Zeit. Das ist wohl vorrangig eine der Lessons Learned, die gewonnen werden können.


Verteidigung

Behörden Spiegel / Januar 2021

D

och mit welcher militärischen Bedrohung hat die NATO es heute an ihrer östlichen Flanke konkret zu tun? Wie modern sind die russischen Streitkräfte ausgestattet? Welche Ziele werden mit der russischen Rüstung verfolgt? Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. Nicht betrachtet werden Russlands Fähigkeit zur hybriden Kriegsführung, also der Fähigkeit, einen Staat und seine Gesellschaft unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges zu destabilisieren, sowie die CyberFähigkeiten Russlands.

Wie gefährlich sind Russlands Streitkräfte? Neue Strukturen, Hightech-Waffen und kampferprobte Soldaten

Russlands Soldaten, hier ein Mitglied der Spezialkräfte beim Wettbewerb “Tactical Shooter”, sind mindestens in den Kernbereichen gut ausgebildet, ausgestattet und kampferprobt. Foto: BS/Ministry of Defence of the Russian Federation

das Niveau von 2014 mit 63,8 Mrd. Auch für die kommenden Jahre erwartet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI einen Rückgang des Etats in realen Zahlen. Nicht unterschätzt werden darf der Erfahrungsgewinn aus dem Einsatz auf dem syrischen Schlachtfeld. Gezielt wurden Waffensysteme und Einsatztaktiken erprobt. Die kontinuierliche Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse führte zu zahlreichen Modifikationen an Waffensystemen und Gerät. Offiziere aller Ebenen gewannen umfassende Einsatzerfahrungen. Die gewonnen Erfahrungen können aber nicht wettmachen, dass die personelle Ausstattung der russischen Streitkräfte in der Breite zu wünschen übrig lassen dürfte. Die Personalgewinnung

Russlands Kräfte übten kurz vor Weihnachten die Abwehr von Drohnen, hier mit dem Luftverteidigungssystem Tor-M2. Foto: BS/Ministry of Defence of the Russian Federation

ist bestens zur Bekämpfung von Drohnen bis Marschflugkörpern und ballistischen Raketen geeignet.

Modernisierung der ­Streitkräfte Organisatorisch wurden 2015 die Luftstreitkräfte mit den Weltraumkräften unter einem einheitlichen Kommando verschmolzen, um diese besser aufeinander abzustimmen. Das Potenzial, das die Nutzung des Weltraums für Überwachung sowie Navigationsund Zielsysteme birgt, soll so rasch erschlossen werden. Die Modernisierung des Heeres vollzieht sich aufgrund dieses selektiven Rüstungsansatzes seit Jahren nur gebremst. Sie soll erst in den kommenden Jahren verstärkt vorangetrieben werden. Abstriche am russischen Verteidigungshaushalt sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie dürften für die Entwicklung des Heeres eine schwere Hypothek sein. 2019 hatte der Verteidigungshaushalt mit 64,1 Mrd. US-Dollar ungefähr

strategischen Kultur zu weiterer Eskalation führen. Was als Abschreckung gedacht ist, kann Russland zu Gegenmaßnahmen treiben und sich damit letztlich negativ auf die Sicherheit der NATO-Partner auswirken.

(BS/ Oberst i.G. Dr. Norbert Eitelhuber*) “Wenn ich wollte, könnte ich in zwei Wochen Kiew einnehmen”: So soll der russische Präsident Wladimir Putin dem damaligen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gedroht haben, während im Osten der Ukraine die Schlacht um Ilowajsk tobte. Dialog und Abschreckung ­Insbesondere die baltischen Staaten und Polen fürchten seit den Ereignissen im Jahr 2014 einen Einmarsch russischer Streitkräfte.

Präzise, weitreichende, kaum abfangbare Raketen Waleri Wassiljewitsch Gerassimow, der russische General­ stabschef, legt seit Jahren seinen Fokus auf die Entwicklung ausgewählter Waffensysteme. Er ist dabei, ein System zu erschaffen, das auf einer großen Anzahl hoch präziser, weitreichender und kaum bzw. nicht abfangbarer Raketen basiert. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang vor allem die eingeführten und bereits in Syrien erprobten Waffensysteme Iskander-M, Marschflugkörper des Typs Kalibr-ME auf Schiffen und U-Booten sowie die luftgestützten Marschflugkörper Kh-101. Zu diesem Kreis von Waffensystemen zählen auch die von Präsident Wladimir Putin 2018 im Rahmen seiner Ansprache an die Föderalversammlung vorgestellten Hyperschallwaffen. Bei der Kh-47M2 Kinschal beispielsweise handelt es sich um einen Hyperschall-Luft-BodenFlugkörper mit höchster Manö­ vrierbarkeit und einer Reichweite von mehr als 2.000 km. Er ist in der Lage, auch modernste Luftverteidigungssysteme zu überwinden. Dieser Flugkörper befindet sich bereits in der Einführung. Zur gleichen Zeit wurde ein ausgeklügeltes, hochmodernes Abwehrsystem aufgebaut. Gestützt auf eine robuste Führungsfähigkeit entstand ein integriertes Luftverteidigungssystem von kurzer bis langer Reichweite. Es

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fokussierte sich auf ausgewählte Schlüsselbereiche. Dort erzielte sie vorzeigbare Ergebnisse. Die Dimension des Personalgewinnungsproblems wird aber deutlich, wenn man den Umfang der Streitkräfte ins Verhältnis zur Bevölkerungsgröße setzt. Zum Vergleich: Deutschland mit einer Bevölkerung von rund 82 Millionen Einwohnern tut sich schwer, knapp über 180.000 Mann für die Streitkräfte zu gewinnen. Die russischen Personalplaner stehen vor der Aufgabe, über 900.000 Mann aus einer Bevölkerung von 145 Millionen Einwohnern zu gewinnen.

Russische Überlegenheit in der Eskalation Bereits heute sind die russischen Streitkräfte in der Lage, im Konfliktfall NATO-Verbänden den Zugang zu bestimmten Regionen zu erschweren, wenn nicht gar zu verwehren. Militärplaner sprechen von einer Anti-Access/AreaDenial-Fähigkeit (A2/AD). Diese lokale Eskalationsdominanz der russischen Streitkräfte wirft für

die NATO große Probleme auf. Wie soll beispielweise im Falle eines russischen Angriffes auf das Baltikum Verstärkung herangeführt werden? Bedarf es einer stärkeren Truppenpräsenz in der Region? Wie reagiert der Kreml auf einen weiteren Aufbau von Truppen an seiner Grenze? Und für die baltischen Staaten stellt sich die bohrende Frage, ob die NATO-Partner in einem solchen militärischen Umfeld überhaupt bereit sind, ihren Bündnispflichten nachzukommen. Die Entwicklung der russischen Streitkräfte geht jedoch weit über das operative Konzept von A2/AD hinaus. Die selektive HightechRüstung ermöglicht es einem wirtschaftlich dem politischen Westen weit unterlegenen Russland, die NATO mit vergleichsweise geringem Aufwand wirksam abzuschrecken. Russland wird Schritt für Schritt in die Lage versetzt, mit konventionellen Mitteln den NATO-Staaten einen nicht hinnehmbaren Schaden anzudrohen, auch wenn seine Streitkräfte heute keine breit angelegten Offensiven im kontinentalen Rahmen mehr führen können. Wie dargestellt, setzt das russische Streitkräftekonzept auch auf eine ausgeprägte Verteidigungskomponente. Mit der Stationierung neuester Luftabwehrsysteme in Verbindung mit einem modernen Führungssystem ist es Russland gelungen, die amerikanische Luftherrschaft infrage zu stellen. In einem militärischen Konflikt verliert die NATO somit spürbar an konventioneller Durchsetzungsfähigkeit. Sie wird möglicherweise früher vor der Frage stehen, ob sie bereit ist, nuklear zu eskalieren. Für die Militärplaner stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob die Natur des russischen Streitkräftekonzepts offensiv oder defensiv ist. Die Antwort hierauf hängt vom Blickwinkel oder – genauer – von der jeweiligen strategischen Kultur ab. Die die Kultur prägenden strategischen Präferenzen kristallisierten sich aus einer Vielzahl geografischer und geopolitischer Faktoren sowie historischer und religiöser Entwicklungen heraus. Bedeutsam ist dabei vor allem die Perzeption der historischen Erfahrungen. Ein praktisches Beispiel: Die mittel- und osteuropäischen Staaten verweisen auf die aus ihrer Sicht jahrhundertelange Aggression Russlands. Russland hingegen besitzt eine strategische Kultur, die von einem ausgeprägten Streben nach Innerer und Äußerer Sicherheit

geprägt ist. In seiner Eigenwahrnehmung war es selbst eher Opfer von Aggression, sei es durch Einfälle fremder Mächte oder Einmischungen von außen. Ein weiteres wesentliches Problem ergibt sich daraus, dass für einen möglichen Gegner kaum erkennbar ist, ob die gegen ihn in großer Anzahl eingesetzten Waffen konventionell oder nuklear bestückt sind. Hyperschallwaffen ließen ihm keine Abwehrmöglichkeit und kaum eine Reaktionszeit. Er müsste vom schlimmsten Fall ausgehen. Ein umfassender Nuklearschlag wäre die wahrscheinliche Antwort. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Russland mit seiner Hightech-Rüstung gegenüber der nuklear bewaffneten NATO keine wesentlichen zusätzlichen offensiven Handlungsoptionen gewinnt. Jedoch wird die russische Zweitschlagfähigkeit deutlich verbessert.

Konzentration auf ­Abschreckungsfähigkeit Grundsätzlich kann Russlands Abschreckungspotenzial seine Wirkung in zwei grundverschiedenen Szenarien entfalten. Zum einen: Russland sieht sich von außen bedroht und möchte seine Gegner von einem Angriff abhalten. Zum anderen: Russland ist selbst der Aggressor und möchte seine Gewinne durch die Androhung einer Eskalation absichern. Welches Szenar ist wahrscheinlicher? Unbestreitbar ist, dass Russland eine nukleare “Eskalieren-

um-zu-deeskalieren”-Doktrin besitzt. Diese Doktrin wurde zuletzt am 2. Juni 2020 vom Präsidenten per Ukas bestätigt. Russland wird, wenn es sich durch einen konventionellen Angriff in seiner Existenz bedroht sieht, Nuklearwaffen als letztes Mittel der Wahl einsetzen. Vor allem in den USA wird diese Strategie als eine offensive Strategie uminterpretiert. Diese Interpretation lässt sich aber weder aus den Verlautbarungen der dazu berufenen russischen Offiziellen noch aus der strategischen Kultur des Landes – die auf Sicherheit abzielt – ableiten. Russland besäße bei einem entsprechenden Vorgehen keine verlässliche Eskalationskontrolle. Letztlich könnte dies zur Auslöschung all dessen führen, was Russland zu schützen sucht. Wie also soll auf die Entwicklung der russischen Streitkräftefähigkeiten reagiert werden?

Reaktion der NATO Bislang haben die NATO-Partner verantwortungsvoll auf die seit der Annexion der Krim veränderte sicherheitspolitische Lage reagiert. Einerseits stärkten sie zur Rückversicherung ihrer Partner und zur Abschreckung Russlands ihre Kräfte im Baltikum und in Polen, verpflichteten sich zu verstärkten Verteidigungsanstrengungen und betonten, dass die NATO ein nukleares Bündnis sei. Andererseits zeigten sie sich offen für eine kooperative und konstruktive Beziehung mit einem Russland, das zur Einhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen zurückkehren sollte. Selbst an der NATO-Russland-Grundakte, die die Stationierung von NATOKräften in Mittel- und Osteuropa begrenzt, wurde festgehalten. Dieser Ansatz sollte beibehalten werden. Die bereits im Baltikum stationierten Kräfte erfüllen ihre politische Wirkung. Sie signalisieren Russland die kollektive Verteidigungsbereitschaft des Bündnisses und rückversichern die Partner. Die demonstrierte Verlässlichkeit der Partner ist die beste Stärkung der Abschreckung. Militärisch wäre ein Mehr an konventionellen Kräften in der Region von zweifelhaftem Wert. Ähnlich der Lage Berlins während des Kalten Krieges ist das Baltikum konventionell kaum zu verteidigen. Zugleich könnte ein weiterer Truppenaufbau vor dem Hintergrund der russischen

Vor dem Hintergrund der enormen, noch nicht einmal im Ansatz absehbaren Belastungen unserer Haushalte durch die Corona-Pandemie erscheint es sinnvoller, den Fokus mittel- bis langfristig auf technologische Nachrüstung zu legen. Dies gilt sowohl in Hinblick auf die Verteidigung gegen Hyperschallwaffen als auch in Hinblick der eigenen Penetrationsfähigkeit eines fremden Luftraumes. Europa könnte sich im Rahmen der transatlantischen Lastenteilung beispielsweise auf die bodengebundene Luftverteidigung konzentrieren. Doch selbst dieser Schritt wäre vermeidbar, wenn es gelänge, einen Neuansatz der Rüstungskontrolle unter Einbeziehung der sich rasch entwickelnden neuen Waffensysteme zu implementieren. Dies könnte z. B. in einem ersten Schritt mit einer Vereinbarung erfolgen, die die Stationierung von Langstreckenwaffen nur an Orten, die nicht mit Nuklearwaffen in Verbindung stehen (keine Stationierung, keine Lagerung), erlaubt und durch zusätzliche Transparenzmaßnahmen abgesichert ist. Auch muss die Situation im Baltikum, dem Hotspot zwischen NATO und Russland, entschärft werden. Hier bietet der Vorschlag des OSZE-Netzwerks der Think Tanks für die Schaffung einer baltischen Kontaktzone einen ersten Denkansatz. In der vorgeschlagenen Kontaktzone werden rotierende und permanente Stationierungen sowie Größe und Charakter von Militärübungen begrenzt. Alle Maßnahmen unterliegen einem strikten Transparenzregime. Die Gefahr von Überraschungsangriffen wird hierdurch deutlich reduziert. Neben Abschreckung bliebe somit Dialog ein zentrales Element der NATO-Strategie gegenüber Russland. Dialog ist dabei aber kein Gefallen an Russland, sondern unser ureigenes Interesse. * Dr. Norbert Eitelhuber ist Generalstabsoffizier und promovierter Politikwissenschaftler, er war unter anderem an der Führungsakademie der Bundeswehr, im Bundesministerium der Verteidigung, in der Stiftung Wissenschaft und Politik und als Luftwaffenattaché an der deutschen Botschaft in Moskau tätig. Derzeit ist er Seminarleiter des Führungskräfteseminars an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin. Er vertritt hier seine persönliche Auffassung.

MELDUNGEN

Türkei übernimmt VJTF

(BS/df) Turnusgemäß übernahm die türkische Armee am 1. Januar die Führung der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) der NATO. Den Kern der VJTF 2021 bildet die türkische 66. Mechanisierte Infanteriebrigade mit rund 4.200 Soldaten. Insgesamt umfasst die VJTF rund

6.400 Soldaten mit Einheiten aus Albanien, Großbritannien, Italien, Lettland, Montenegro, Polen, Rumänien, der Slowakei, Spanien, Ungarnund den USA. Die Türkei hat laut der NATO beträchtliche Investitionen in die Einheit getätigt, die zu den mobilsten der NATO gehört. Ins-

besondere die Logistik und die Munitionsbedarfsplanung seien stark verbessert worden. Die NATO-Staaten übernehmen abwechselnd die Leitung der VJTF. Polen führte sie im Jahr 2020, Deutschland im Jahr 2019 und Italien hatte im Jahr 2018 die Führung der VJTF inne.

Beschluss zur NATO-Finanzierung (BS/df) Die NATO-Länder haben sich am 16. Dezember auf den Zivil- und Militärhaushalt für 2021 geeinigt. Demnach erhält die NATO für 2021 einen zivilen Haushalt von 258,9 Millionen Euro und einen Militärhaushalt von 1,61 Milliarden Euro. Alle Mitgliedsländer tragen zu diesen Budgets bei, gemäß einer vereinbarten Kostenteilungsformel, die auf dem Bruttonationaleinkommen basiert.

Der Militärhaushalt deckt die Betriebskosten des NATOHauptquartiers sowie Programme, Missionen und Operationen auf der ganzen Welt ab. Dieser ist gegenüber 2020 um fünf Prozent gestiegen. Im Jahr 2021 werden dabei 254,9 Millionen Euro dieses Titels in NATO-Missionen und -Operationen fließen. Der zivile Haushalt stellt die Mittel für Personal, Betrieb und Programme in der NATO-Zentrale

in Brüssel bereit. Er erfuhr gegenüber 2020 eine Steigerung um 0,9 Prozent. Neben dem zivilen und dem militärischen Haushalt ist der dritte wichtige Titel das NATO Security Investment Programme (NSIP), mit dem größere Investitionen beispielsweise in Gebäude oder in Command-and-ControlSysteme finanziert werden. Die Obergrenze für NSIP liegt 2021 bei 710 Millionen Euro.


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rsprünglich hat sie sich überhaupt nicht in der Intensivmedizin gesehen: “Ich bin eigentlich eher der ängstliche Typ. Ich hatte wahnsinnigen Respekt vor der Arbeit da.” Wegen der Vielfältigkeit der Materie hatte sie sich nach ihrem Abschluss für eine fünfjährige Weiterbildung zur Fachärztin für Innere Medizin entschieden. Ganze sechs Monate sind darin für Intensivmedizin vorgesehen. Im Januar 2021 arbeitet Sarah Caroli aber nun schon seit zwei Jahren als Assistenzärztin im Akut-Bereich des Berliner Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe. Das war Glück im Unglück, als im Frühjahr 2020 die ersten Covid-19-Patienten nach Kladow kamen. Sie war eingearbeitet und kam mit der Belastung gut zurecht. Rückblickend revidiert sie ihre Ängste: “Zum einen gewöhnt man sich an manche Dinge, und vieles macht auch einfach Spaß.” Jetzt nach zwei Jahren das Team zu verlassen, komme nicht infrage: “Jetzt bleibe ich, bis die Pandemie ausgestanden ist.” Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe ist in Berlin eine sogenannte “Level-II-Klinik”, der Covid-19-Patienten zugeteilt werden. Level I sind die Häuser der Charité, die für die Schwerstkranken zuständig sind. Level-III-Kliniken sollen Nicht-Covid-Patienten aufnehmen. Organisiert wird die Verteilung durch eine Koordinierungsstelle, die an der Charité angesiedelt ist. Ein Teil der Covid-Patienten kommt daher aus anderen Berliner Krankenhäusern zur Havelhöhe. Andere werden aber auch über die Notaufnahme oder den aufmerksamen Hausarzt eingewiesen. Längst nicht alle landen gleich auf der Intensivstation, sondern werden unter entsprechenden Quarantänemaßnahmen auf anderen Stationen des Hauses betreut. Auch dort können Patienten Sauerstoff erhalten. Carolis Tage sind lang, sehr lang. Ein regulärer Tagdienst in der Klinik Havelhöhe dauert werkwie feiertags 12,75 Stunden – inklusive der vorgeschriebenen einstündigen Mittagspause, die hier wie auch anderswo kaum wirklich wahrgenommen wird. Um 20:15 Uhr ist offizieller Dienstschluss, aber erst dann gibt es genug Ruhe zur Dokumentation des Geschehenen. Natürlich erhält die Medizinerin entsprechenden Freizeitausgleich, aber mehrere aufeinanderfolgende Dienste sind so anstrengend, dass sie lieber gleich in der Klinik übernachtet, um morgens fit zu sein.

Stationsärztin der ITS Wenn Caroli Tagdienst hat, klingelt der Wecker in ihrer AltbauWohnung im Prenzlauer Berg um Viertel nach fünf Uhr morgens. Der Dusche folgt ein schnelles Frühstück. Um sechs Uhr geht es zur U-Bahn. Rund eine Stunde dauert die Fahrt zum Gesamtkrankenhaus Havelhöhe nach Kladow, jenseits des Wannsees am westlichen Rand Berlins gelegen, inklusive zweimal Umsteigen. Bei widrigem Wetter oder spätabends werden daraus leicht auch mal eineinhalb Stunden. Der eigentliche Dienst beginnt um halb acht. Bis dahin bleibt

Behörden Spiegel / Januar 2021

“Die Situation macht demütig”

das fachliche Engagement als studentische Hilfskraft, Mitarbeit in Projekten und Praktika. Die Sehnsucht nach der Ferne blieb bestehen. Caroli absolvierte Famulaturen u. a. in Prag und Paris und legte im Praktischen Jahr eine Station im belgischen Gent ein.

Die Arbeit als Assistenzärztin während der Corona-Pandemie

(BS/Dr. Barbara Held) Ihrem ersten wirklichen Notfall ist die Ärztin Sarah Caroli ganz unvermittelt begegnet. Auf einem Flug nach Madrid bat die Crew über die Lautsprechanlage an Bord befindliche Mediziner, sich zu melden. Ein Passagier brauche ärztliche Betreuung. Caroli, die ihre Approbation erst ein paar Tage in der Tasche hatte, meldete sich ohne Zögern. Erst als sie der Stewardess den Gang hinab folgte, sei ihr auf einmal bewusst geworden, dass sie als junge Ärztin “keinerlei praktische Erfahrungen mit Notfällen” habe. Schlimme Befürchtungen gingen ihr durch den Kopf – und die Hoffnung, der Fall möge vielleicht doch nicht so schwerwiegend sein. Der Patient stellte sich dann als Teilnehmer eines Junggesellen- Freizeit knapp bemessen abschieds heraus, der dem Alkohol und anderen Substanzen zu ausschweifend zugesprochen hatte. Mit diskreter Unterstützung einer erfahrenen Einen weiteren Nebeneffekt Krankenschwester, die sich ebenfalls gemeldet hatte, konnte Sarah den jungen Mann wieder stabilisieren. Sie nahm sich vor, zu lernen, wie man hatte ihr gesellschaftswissenals Ärztin mit Notfällen “souverän” umgeht. schaftliches Interesse: Caroli Wiege gelegt worden, behauptet Caroli, obwohl sie väterlicherseits auf mehrere Generationen von Ärzten blicken kann. Ihre Interessen seien vielfältig, vor allem kulturelle, politische und gesellschaftliche Themen findet sie “wahnsinnig spannend” und den Blick in die weite Welt. Es hätten auch Politikwissenschaften werden können. Nach einem hervorragenden Abitur ging sie erst einmal zur Denkpause als Au-Pair-Mädchen nach Großbritannien ins ländliche Oxfordshire. Das sei keine leichte Zeit gewesen. Eltern, die drei jüngeren Geschwister und der Freundeskreis fehlten in der Fremde.

Anwendungsorientierung war entscheidend

Bei aller Beanspruchung durch die Corona-Pandemie macht Assistenzärztin Sarah Caroli die Arbeit Freude. Foto: BS/privat

Caroli noch Zeit, sich die blauen “Arztklamotten” überzuziehen und ihre privaten Sachen in den Spind zu schließen. Dann geht es nach oben zur Übergabe, in den Akut-Bereich der Klinik. Dieser besteht aus der Rettungsstelle mit der Notaufnahme sowie aus den Stationen I, der Intensive Care Unit (ITS) und II, der Intermediate Care Unit (IMC). Caroli arbeitet derzeit überwiegend als Stationsärztin der ITS. Je nach aktueller Lage kann sich die Übergabe der beiden Stationsärzte der Tagschicht mit dem diensthabenden Arzt der Nachtschicht von einer dreiviertel Stunde bis zu eineinhalb Stunden hinziehen. Die Vorkommnisse der Nacht werden besprochen, Zustand und Vorgeschichte einzelner Patienten. Danach beginnt die Visite mit der Planung der Behandlungen. Die wichtigsten Vitalwerte sind mindestens tagesaktuell aus den IT-Systemen der Klinik abrufbar. “Wenn es akut wird, wird die Kontrolle immer engmaschiger. Ab einem bestimmten Punkt entscheiden wir dann zum Beispiel: Es wird intubiert.” Der Rundgang durch die Stationen zur Untersuchung und zu Gesprächen mit Patienten und Abstimmung mit dem Pflegepersonal bleibt wegen des fragilen Zustands der Patienten unberechenbar. Irgendwann

Mit Bild und Ton bei der Visite: Ein Roboter mit direkter Datenverbindung zur Berliner Charité ermöglicht die bestmögliche Behandlung der Intensivpatienten durch die Begleitung eines externes Arztes. Foto: BS/Katrin Schneider

am “frühen Nachmittag” sei die Visite meist zu Ende, so Caroli. Dann kommen Neuaufnahmen, individuelle Behandlungen etc.

Zwischen Hoffnung und Palliativweg Es ist ein Tagesablauf, der immer wieder durch Notfälle und andere Anforderungen unterbrochen und verlängert wird. Auch durch Gespräche mit Angehörigen über Therapiemöglichkeiten und -ziele. Die meisten Patienten mit akuten Beschwerden würden gerade am Anfang in der Hoffnung eingeliefert, “dass alles gut werde”. Aber manchmal entwickelten sich die Dinge über Tage oder Wochen hinweg so, dass die Ärzte gemeinsam mit den Patienten oder Angehörigen den “Palliativweg” wählten, erklärt Caroli. Der Tod ist hier nie weit entfernt. Respekt hat die 36-Jährige davor, keine Angst: “Ich möchte natürlich verhindern, dass der Patient stirbt. Aber wenn die Entscheidung zur Einstellung der Intensivbehandlung nach sorgfältiger Abwägung getroffen wird, kann ich ganz gut damit umgehen.” Besonders schwer werde es, wenn es um junge Patienten gehe, berichtet Caroli. “Da fragt man sich schon, warum ausgerechnet diese Person?” Normalerweise liegen zehn bis zwölf Patienten auf jeder der beiden Akut-Stationen, zurzeit überwiegend an Corona Erkrankte. Maximal zwei Patienten teilen sich ein Zimmer. Wegen Ansteckungsgefahr bleiben die Türen zu den Fluren geschlossen. Die Daten der Patienten werden elek­tronisch ins Ärzte- und Schwesterzimmer übertragen und mit akustischen Warnsignalen unterlegt. Irgendwas bimmele da immer, sagt Caroli. “Manchmal habe ich abends so ein Bimmeln im Ohr, wenn ich im Bett liege.” Covid-19 hat die Lage im Akut-Bereich verändert. Die Verweildauer sei länger geworden. Manche Patienten blieben bis zu 60 Tage auf der Intensivstation. Außerdem verkomplizierten die notwendigen Hygiene-Maßnahmen die Prozesse in der Klinik:

“Allein das An- und Ausziehen der Schutzkleidung kostet richtig Zeit.” Bei aller Beanspruchung mache die Arbeit auch Spaß. Das Detektivische hinter der Frage “Was hat der Patient jetzt?” findet die Medizinerin spannend und dass man schnell die Lage klären und handeln müsse. Am meisten Freude hat sie an Behandlungen, die eine unmittelbar sichtbare Erleichterung für den Patienten bringen: “Thoraxdrainagen lege ich sehr gerne.” Da sei zum einen das Praktische, erklärt Caroli, aber natürlich auch zu sehen, dass der Patient unmittelbar danach wieder ausreichend Luft bekomme und seine Werte sich normalisierten.

Unterstützung durch Technik Selbst Covid-19 war am Anfang “spannend, aber auch furchteinflößend”, wenn man die Bilder aus Italien sah. Am Anfang musste das Havelhöhe-Team von den Erfahrungsberichten aus anderen Ländern und Kliniken zehren. Wichtig war der ständige Austausch mit den Kollegen in der Charité. Von dort hatte man einen Roboter zur Verfügung gestellt, der mit den Diensthabenden durch die Covid-Visite rollte. Das Gerät stellt eine direkte Verbindung zu einem Arzt in der Charité her, der über Video und Audio mit dem Team in der Klinik Havelhöhe kommunizieren kann. Ja, es sind im Akut-Bereich auch Patienten an Covid-19 gestorben. Aber weit mehr konnten ihn mit Aussicht auf Genesung wieder verlassen. Kürzlich sei da ein reizender über 70-Jähriger gewesen, der zutiefst traurig war, weil er glaubte, seine Frau und Familie zurücklassen zu müssen. “Das war dann total schön, als ich ihn zwei Tage später wieder zurückverlegen konnte”, erzählt Caroli. Wider Erwarten hatte sich der Gesamtzustand des Mannes erheblich gebessert: “Insgesamt macht einen die Situation auch demütig.” Die Mediziner-Laufbahn sei ihr keineswegs in die

Zum Studium, die Wahl fiel dann doch auf Medizin, kehrte Caroli ins heimatliche BadenWürttemberg zurück. Selbst während des Grundstudiums in Freiburg sei sie sich ihrer Studienentscheidung aber nicht völlig sicher gewesen, erzählt sie. Die naturwissenschaftliche Ausrichtung der frühen Semester war ihre Sache nicht. Sie besuchte lieber politikwissenschaftliche Veranstaltungen und engagierte sich u.a. 2010 als Betreuerin der Freiburger Teilnehmer am Planspiel der Vereinten Nationen “National Model United Nations (NMUN)”. Mit Erfolg, denn die Delegation wurde in New York für ihren Auftritt ausgezeichnet. Mit den klinischen Semestern nahm Carolis Studium richtig Fahrt auf. Die nunmehr vorhandene Anwendungsorientierung der Fächer und die Patientenkontakte seien entscheidend gewesen und hätten sie in der Studienwahl bestätigt. Es folgte

lernte in den fachfremden Veranstaltungen an der Universität Freiburg einen Studenten der Politikwissenschaften erst kennen und dann lieben. Miguel, der inzwischen längst promoviert hat und im Berufsleben steht, ist sie nach Berlin gefolgt und hat die Heimat zurückgelassen. Inzwischen, so Caroli, fühlt sie sich in der Hauptstadt zwischen einem angenehmen kollegialen Miteinander und dem neuen Freundeskreis ausgesprochen wohl. Etwas eingetrübt ist die Lage durch die Corona-Einschränkungen, die viel Sozialleben und auch den ausgleichenden Besuch im Fitnessstudio verhindern. “Wenn ich zuhause bin, bin ich eher platt.” Andererseits ist die Freizeit ohnehin knapp bemessen, denn neben ihrer Krankenhaustätigkeit bereitet sich Caroli systematisch auf die demnächst anstehende Facharztprüfung vor. Ihr Weg ist jedoch noch lange nicht zu Ende. Den Kontakt zu Patienten möchte sie nicht missen. Aber für die Zukunft nach der Facharztausbildung kann sie sich auch eine mehr politische oder soziale Ausrichtung vorstellen: einschlägige Verbandsarbeit oder Mitarbeit bei Hilfsorganisationen wie “Ärzte ohne Grenzen” kommen infrage, oder vielleicht ein längerer Aufenthalt in Spanien, der Heimat ihres Lebensgefährten, wenn sich dort eine adäquate Aufgabe für sie findet. Und dann ist da noch der Familienmensch Caroli, der “Klamöttchen” für ihre Neffen und Patenkinder schneidert. Möglicherweise kommen in den nächsten Jahren eigene Kinder dazu. Bis dahin will sie richtig Spanisch lernen. Aber zunächst ist erst einmal die Facharztprüfung angesagt.

Die Klinik Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe gGmbH bezeichnet sich selbst als Klinik für Anthroposophische Medizin. Das Krankenhaus liegt im Berliner Stadtteil Kladow auf einem medizinischen Campus, der direkt an den Großen Wannsee grenzt.

Foto: BS/GKH

In 14 Fachabteilungen deckt das Krankenhaus ein breites Spektrum medizinischer Versorgung ab: von der Notfallmedizin über chirurgische, internistische und onkologische Abteilungen und Zentren, von der Geburtshilfe bis zur Geriatrie, Schmerz- und Palliativmedizin. Die Klinik ist akademisches Lehrkrankenhaus der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Im Rahmen der Corona-Pandemie hat das Haus die Rolle einer “Level-II-Klinik”, der schwerpunktmäßig Covid-19-Patienten zur Behandlung zugewiesen werden. Gründungsjahr: 1995 Mitarbeitende: ca. 900 Betten: 384 14 Fachabteilungen, u. a. Intensiv- und Notfallmedizin Patienten: ca. 13.000 pro Jahr Covid-Patienten im Klinikum Havelhöhe (Stand 31.12.2020): Insgesamt zum Stichtag: davon auf Intensivstation: davon beatmet:

51 19 15 plus 1 ECMO

Alle Covid-Patienten im Jahr 2020: Aktuell in der Klinik 51 Genesen und entlassen: 139 Verstorben: 22 Gesamt: 212

Mehr unter: www.havelhoehe.de


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