Behörden Spiegel Juni 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

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de Alles dazu auf

Nr. VI / 37. Jg / 23. Woche

Berlin und Bonn / Juni 2021

n Seiten 13-16

www.behoerdenspiegel.de

Digital in die Zukunft

Auf Socken durchs Rathaus

Zwischen Einsatz und Konzept

Malu Dreyer über Unterstützung für Vereine bei der Digitalisierung.............. Seite 6

Im Gespräch mit “TikTok-Bürgermeister” Matthias Beer ������������������������������������������� Seite 17

Jörg Berner über seine Arbeit als Nautiker beim Havariekommando in Cuxhaven ....... Seite 51

Politik am Parlament vorbei

EU-Kommission setzt auf Homeoffice (BS/stb) Die EU-Kommission will auch nach der Corona-Pandemie verstärkt auf Arbeit von zu Hause setzen. Ein Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spreche sich für großzügige HomeofficeReglungen aus. Die Kommission greift das auf und will sich als flexiblerer und attraktiverer Arbeitgeber positionieren. Außerdem könnte durch Reduzierung der Büroflächen ein höherer dreistelliger Millionenbetrag eingespart werden. Bis 2030 soll die Hälfte der Gebäude geschlossen werden. So soll die Zahl der Liegenschaften am Hauptsitz in Brüssel von 49 auf 25 sinken. Mietverträge sollen auslaufen, jedoch auch neue, größere Gebäude gebaut werden, in die dann verschiedene Generaldirektionen zusammenziehen sollen.

Forschungsauftrag erteilt

(BS/mfe) Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat der Technischen Universität der Bundeshauptstadt den Auftrag für eine unabhängige Studie zu möglichem Rassismus und eventueller Diskriminierung bei der Landespolizei erteilt. Dieser soll bis zum 31. Mai kommenden Jahres umgesetzt werden. Die Untersuchung verfolgt insbesondere drei Untersuchungsziele. Sie soll die Wahrnehmung der Polizei durch von Rassismus und Diskriminierung betroffene Personengruppen analysieren, die Mechanismen im Polizeialltag sowie Gelegenheitsstrukturen in polizeilichen Prozessen beleuchten und die polizeilichen Organisationsstrukturen untersuchen. Die Studie ist Teil eines Elf-Punkte-Plans der Senatsinnenverwaltung zur internen Vorbeugung und Bekämpfung möglicher extremistischer Tendenzen aus dem vergangenen Jahr.

Stunde der Exekutive und strategische Prozessführung (BS/Uwe Proll) Wochen vor der Bundestagswahl stellt sich nicht nur die Frage, welche Mehrheit eine neue Bundesregierung trägt und eine Bundeskanzlerin oder einen Bundeskanzler wählt, sondern die auch für die nächste Legislaturperiode relevante Frage: Bleibt der Bundestag so schwach oder kann er im Klang der Verfassungsorgane, also neben Regierung, Verfassungsgericht, Bundesrat und Bundespräsident, zu der ihm zentralen Rolle als Gesetzgeber, dem Kernstück der parlamentarischen Demokratie, zu alter oder eben zu neuer Stärke wiederfinden, als der Ort, wo alle existenziellen Fragen nach öffentlicher Debatte entschieden werden? Die Bundesregierung hatte 2015 beschlossen, die Grenzen bedingungslos zu öffnen, ohne dass das Parlament dies während oder auch nach der Öffnung beschlossen hätte. Die weitreichenden Grundrechtseinschränkungen infolge der Corona-Pandemie wurden ebenso wenig im Parlament erörtert und beschlossen. Mittlerweile eingebrachte Korrekturen machen das legitimatorische Anfangsdefizit nicht wett. Aber nicht nur die Exekutive regiert ohne Parlament, auch die Judikative, hier das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), zeigt ein neues Rollenverständnis und ersetzt zunehmend Parlamentsentscheidungen durch aus seiner Sicht vertretbare eigene. So hebelte das BVerfG das nach langer parlamentarischer Diskussion und Aufhebung des Fraktionszwangs im Bundestag verabschiedete Gesetz zum strafbewehrten Verbot der geschäftsmäßigen Förderung zur Selbsttötung (§ 217 StGB) mit der Begründung aus: Die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung seien faktisch entleert und damit auch das Persönlichkeitsrecht eingeschränkt. Weitere BVerfG-Urteile dieses Musters folgten. Das BVerfG versteht sich als selbstständiger politischer Akteur, strapaziert in seinen Auslegungen die Grenzen

Der Legislative wird der Raum auf dem politischen Schlachtfeld genommen. Sowohl seitens der Judikative als auch seitens der Exekutive hagelt es Schläge in Form von Nichtbeteiligung oder indem Gesetze für verfassungswidrig erklärt werden. Wie kann sich das Hohe Haus aus dieser Lage wieder erheben? Foto: BS/GChristo, stock.adobe.com

des Grundgesetzes. Ein weiteres Momentum für die Schwächung des Parlaments ist die sogenannte strategische Prozessführung. Diese Strategie fühlt sich zusätzlich legitimiert durch die Einführung der Musterfeststellungsklage 2018. Strategische

Prozessführung wird nun von Interessengruppen eingesetzt, um Entscheidungen zu treffen, die rechtliche, politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen weit über den Einzelfall hinaus bewirken sollen. Dies ist beim BND- und dem Urteil über

das Klimaschutzgesetz neulich geschehen. Politische Lobbygruppen engagierten Einzelkläger, um weitrechende Grundsatzentscheidungen durch das Gericht zu erzielen. Die eigentlich alleinige Machstellung der Legislative, im

Kommentar

Der Wandel ohne Werte

(BS) Die Welt ist im Wandel. Es zeigt sich in den Marktverschiebungen, im militärischen Kräfteverhältnis, in Forschung und Entwicklung. Asien strebt nach vorne, nicht nur China, auch Indien. Beides die bevölkerungs(BS/mj) Mit 14, 4 Millionen Euro reichsten Länder der Erde mit jeweils über einer Milliarde Menschen. Arabien investiert in eine Zeit nach Öl und fördert Baden-Württemberg das Gas. Russland will die Fehler Gorbatschows zurücknehmen und seine Machtstellung in Osteuropa sichern. neue, in Ulm angesiedelte Institut Die USA kämpfen um den Machterhalt und das Überleben einer demokratischen Werteordnung. Und Europa?

Ulm sucht die Würfel

für Quantentechnologien. Als Teil des dortigen Instituts des Deutschen Zentrums für Luftund Raumfahrt e. V. (DLR) soll es Grundlage für den Bau eines eigenen, wettbewerbsfähigen Quantencomputers in Deutschland sein. Ziel sei es, einen deutschen Quantencomputer sowie entsprechende Software und Anwendungen zu entwickeln. Während Albert Einstein die Quantenmechanik mit dem Satz “Gott würfelt nicht” ablehnte, erklärte Stephen Hawking 1994 an der Uni Cambridge bei einer Debatte über Schwarze Löcher: “Einstein lag falsch, als er sagte “Gott würfelt nicht”. (...) Er hat die Würfel manchmal nur dorthin geworfen, wo wir sie nicht sehen.” Ob man in Ulm diese Würfel nun finden kann?

Europa ist reich. Den Bürgern geht es so gut wie kaum jemanden auf der Welt. Europa hat eine ausgezeichnete Wissenschaft. Es wurden mehr Corona-Impfstoffe entwickelt als in Asien. Europa hat eine florierende Wirtschaft, eine ausgezeichnete Bildung, einen hohen Lebensstandard. Es ist nur verständlich, dass jedes Land in Europa diesen Status zu erhalten versucht. Es ist allerdings ebenso verständlich, dass dem Rest der Welt dieser Erhalt des europäischen Reichtums weniger wert ist als die Verbesserung des Wohlstandes für den eigenen Staat oder die eigene Bevölkerung. Um etwas zu verändern, muss man auch etwas ändern. Und allein die Annahme, dass die Menschenrechte von

allen Ländern und Menschen als richtig und bedeutend angesehen werden, ist falsch. Dass Belarus eine Ryanair-Maschine zur Landung zwang, löste Empörung aus. Als der damalige Präsident der internationalen Polizeiorganisation Interpol, Meng Hongwei, bei einem Urlaub in seiner chinesischen Heimat im Jahr 2018 verhaftet wurde und seitdem ohne Kontakt zur Außenwelt festsitzt, wurde es als gegeben hingenommen. So ist China eben. Nur wenn China eben so ist, warum konnte ein Chinese überhaupt zum Präsidenten einer Polizeiorganisation gewählt werden? Und warum sitzt China im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und hat ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat?

Die USA haben sich solche Fragen gestellt. Sie sind aus den Verträgen der alten bipolaren Weltordnung ausgetreten, da auch der beste START-Vertrag mit Russland nur zum Hemmschuh wird, solange sich nicht China und andere aufstrebende Staaten ebenfalls daran halten. Auf militärischer Ebene wollen die USA mit der NATO ein Bündnis jener Länder festigen, welche Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als Werte besitzen. Damit diese Allianz zumindest den gewalttätigen Machthunger jener aufstrebenden Staaten in die Schranken weisen kann, die andere Prioritäten setzen. Und wo ist die europäische Vision? Dorothee Frank

Kein Impfmangel

Sinne der Volkssouveränität Gesetze zu erlassen, wird dadurch unterminiert. Mit anderen Worten: Was im gewählten Parlament nicht erreichbar ist, wird über strategische Prozessführung als Ersatz politischer Entscheidungen “juristisch” – im Grunde aber politisch – erreicht. Das widerspricht dem herkömmlichen gewaltenteilenden System, das Prozesse auf die Kompetenz der Judikative beschränkt, den Individualrechtsschutz zu sichern. Es erhebt Anspruch auf Grundsatzklärung und Rechtsfortschreibung. Das BVerfG trifft politische Entscheidungen, ohne der Legislative genügend Raum für eigene zu lassen. Die Richter sind auf Lebenszeit ernannt. In einem intransparenten Verfahren von Bundestag und Bundesrat werden sie bestimmt. Hier ist die Schnittstelle für ein selbstbewusstes Parlament. Statt in nicht öffentlichen Gremien (Richterwahlausschuss) wäre eine öffentliche Erörterung der in das höchste Richteramt zu berufenden Personen im Hohen Hause sinnvoll. Abschreckendes Beispiel sind die USA, wo der Präsident die Obersten Richter persönlich bestimmt, um damit über Jahre die Politik zu determinieren, ohne auf Mehrheiten in den gewählten Parlamenten achten zu müssen.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Juni 2021

Wie schnell ist schnell genug? Was hält unsere Infrastruktur aus? Und wer hat uns bei der Digitalisierung eigentlich noch nicht überholt? Spätestens der Generationenwechsel wird unseren Netzwerken alles abverlangen. Hoffen wir, dass bis dahin die Voraussetzungen geschaffen sind, um von Deutschland als Digitalisierungsnation zu sprechen – ohne dabei mit den Augen zu zwinkern. Foto: BS/Thomas Reimer, stock.adobe.com

Kein Vollgas, dafür aber ohne Pannen Abkehr von der Präsenz vor Ort

Ein Ökosystem für digitale Identitäten

“Ideen müssen von den Anwendern kommen!”

Digitalisierung stellt neue Anforderungen an Führungskräfte und Kompetenzen ...................................................... Seite 3

Nicht jammern, sondern selber machen!................... Seite 28

Impulse für die Sicherheitsforschung auf der vfdb-Jahrestagung.................................................... Seite 42

Versorgung in Gefahr

Forschungsvorhaben für Großprojekte

Wie sicher sind unsere Kritischen Infrastrukturen? ...... Seite 38

Von Netzen und Netzwerken

Digital Performance Contracting Competence Center (DigiPeC) ................................................................... Seite 8

Flughafenbetreiber selbst verantwortlich

Die Zukunft der militärischen Kollaboration liegt in der Cloud ............................................................. Seite 45

Ausbildungsstau versus Best Practice

Beleihungsvertrag für Frankfurter Airport geschlossen �������������������������������������������������������������� Seite 40

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Wie kommt die Medienkompetenz in die Schulen?..... Seite 16

Innen Spiegel

Zolltag findet online statt Behörden Spiegel treibt Digitalisierung weiter voran (BS/mfe) Organisierte (OK) und Finanzkriminalität verursachen jedes Jahr erhebliche Schäden in Deutschland. Dies bezieht sich unter anderem auf den Bereich des Schmuggels von Menschen und Waren. Hier werden Steuern in riesigem Ausmaß hinterzogen. Die Folge sind große finanzielle Ausfälle für den Staat. Um das zu verhindern, ist der Zoll gefragt.

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Er ist ein bedeutsamer, nicht wegzudenkender Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Dieses Engagement würdigt der Behörden Spiegel mit einem Digitalen Zolltag am 14. Juli. Dies geschieht mit freundlicher Unterstützung der BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft. Ihre Teilnahme an der digitalen Veranstaltung zugesagt haben bereits die für Zollangelegenheiten zuständige Abteilungsleiterin im Bundesfinanzministerium (BMF), Tanja Mildenberger, sowie der Bereichsleiter Finanzpolizei im Amt für Betrugsbekämpfung im Bundesministerium für Finanzen der Republik Österreich, Wilfried Lehner. Er wird sich der Bekämpfung von Sozialbetrug mit Scheinunternehmen in Österreich widmen, während Mildenberger auf die zunehmende Bedeutung des Zolls in der Sicherheitsarchitektur eingehen wird.

Geldwäsche ebenfalls im Fokus Auch die Bekämpfung von Geldwäsche wird Thema sein. Wie hier effektiv im Nicht-Finanzsektor, also etwa bei Notaren, Juwelieren oder Immobilienmaklern, vorgegangen werden kann, erläutert Jörg Lehnert, von der Berliner Senatsverwaltung für

Wirtschaft, Energie und Betriebe. Aus dem Deutschen Bundestag haben bislang die Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer (SPD), Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Markus Herbrand von den Freien Demokraten ihre Teilnahme zugesagt. Sie werden die Veranstaltung mit einer politischen Diskussionsrunde beschließen. Von der BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft sprechen der Bundesvorsitzende Dieter Dewes sowie mit Thomas Liebel einer seiner Stellvertreter. Als Referenten angefragt sind derzeit unter anderem die Präsidentin der Generalzolldirektion (GZD), Colette Hercher, der Direktionspräsident und Chef des Zollkriminalamtes (ZKA), Rainer Mellwig, sowie die Leiter der “Financial Intelligence Unit” (FIU) und des Zollfahndungsamtes Hamburg, Christof Schulte und René Matschke. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeiten unter: www. zolltage.de

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Foto 2: BS/privat Foto 3: BS/Klawon

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Ann-Kathrin Herweg (Online-Redaktion), Malin Jacobson (Kommunen, Online-Redaktion), Bennet Klawon (Katastrophenschutz), Tanja Klement (Online-Redaktion), Matthias Lorenz (Online-Redaktion), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Thomas Petersdorff (Digitale Gesellschaft), Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Tim Rotthaus (OnlineRedaktion), Paul Schubert (IT, IT-Sicherheit), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Dr. Barbara Held (Sonderkorrespondentin Digitalfunk), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige AnzeigenPreisliste Nr. 32/2021, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Juni 2021

KNAPP

Abkehr von der Präsenz vor Ort

Keine Besserung in Sicht

Digitalisierung stellt neue Anforderungen an Führungskräfte und Kompetenzen (BS/Jörn Fieseler) 99 Jahre währt schon das Bürokratiemodell Max Webers in Deutschland. Über 250 Jahre galt in Österreich die Maria-Theresianische Kanzleiordnung (1749 – 2003), die das Verwaltungshandeln in der Alpenrepublik prägte. Die Beispiele zeigen: Grundlegende Veränderungen gehen im Öffentlichen Dienst nur langsam vonstatten. So langwierig darf die Digitalisierung der Verwaltung nicht werden. Die Verwaltung muss proaktiv agieren und zum Treiber der Digitalisierung werden. Das erfordert neue Kompetenzen und einen Kulturwandel. “Papier ist Trumpf”, unterstreicht Stefan Thelen vom Bundesrechnungshof (BRH). Zwar gebe es die gesetzlichen Anforderungen, dass die Verwaltung digitaler werden soll, doch in der Realität würden beispielsweise elektronische Rechnungen immer noch ausgedruckt, berichtet der IT-Prüfer aus seiner beruflichen Praxis. Historisch Gewachsenes zu überwinden, sei eine Sisyphusarbeit. Das kann Milanie Kreutz nur bestätigen. “Der Öffentliche Dienst hinkt bei der Digitalisierung gegenüber der Privatwirtschaft hinterher”, ist die Vorsitzende der Bundesfrauenvertretung im DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB) überzeugt. Grund dafür seien veraltete Arbeitsvorschriften und Beharrungskräfte, wodurch Innovationen schon im Keim erstickt würden. Doch der Veränderungsdruck nehme durch den demografischen Wandel und eine nutzerorientierte Betrachtungsweise des Verwaltungshandelns weiter zu. Das wirke sich zunehmend auf Arbeitsprozesse und auf die Anforderungen an das Personal aus. Verwaltungsprozesse würden künftig an verschiedenen Stellen von unterschiedlichen Behörden abgearbeitet. Dies habe zur Folge, dass sich eine Behörde auf elektronische Informationen einer anderen verlassen müsse. Als Beispiel nannte Thelen das Projekt “Einfach Leistungen für Eltern” (ELFE), das vom Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen initiiert wurde. Damit sollen Eltern künftig einfacher die Geburtsurkunde sowie Kinder- und Elterngeld beantragen können. Dazu würde die Klinik die Daten zur Geburt des Kindes an das Standesamt schicken, welches einerseits die Geburt bestätigt und andererseits die

Der Fokus verschiebt sich – auch in der Verwaltung. Sie kann sich nicht mehr lange dem Druck der Erneuerung, dem Druck des Generationenwechsels entziehen. Die Digitalisierung wird kommen. Foto: BS/geralt, pixabay.com

Daten zur Geburt mit der Elterngeldstelle austauscht. Haben die Eltern ihr Einverständnis gegeben, kann diese wiederum mit der Deutschen Rentenversicherung die notwendigen Einkommensdaten für das Elterngeld bei den Arbeitgebern abrufen. Parallel werden die Daten zur Geburt an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt, das die Steuer-ID für das Neugeborene erstellt. Die Eltern müssten dafür nur einen Antrag stellen. Möglich werden solche für die Eltern einfachen Verfahren durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Deren Einsatz werde nötig, damit die Verwaltung auch in Zukunft die gesetzlich definierten Leistungen wird erfüllen können, erläutert Christian Rupp, Chief Digital Offizier beim Unternehmen Prosoz. Künftig würden sämtliche

Verwaltungsleistungen mit dem Smartphone abrufbar sein, würden die Bürgerinnen und Bürger mit Chatbots kommunizieren, die anhand dieser “Gespräche” Formulare ausfüllten, die nur noch mit einer Authentifizierung via Handy bestätigt werden müssten, prognostiziert Rupp. Allein der demografische Wandel zwingt zum Handeln. Bis 2040 werden rund 60 Prozent der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in den Ruhestand gehen. Dass all die frei werdenden Stellen nachbesetzt werden, ist unwahrscheinlich. Deshalb muss die Verwaltung nicht nur bei der Digitalisierung aufholen, sie muss selbst zum Treiber der Digitalisierung werden. Doch dafür brauchen die Beschäftigten, Beamte wie Tarifangestellte, digitale Kompetenzen: “Nicht jeder

muss programmieren können, aber jeder muss wissen, was mit der Digitalisierung passiert und entsprechend nutzerorientiert denken”, sagt Rupp. Welche Kompetenzen künftig in der öffentlichen Verwaltung benötigt und in Aus- und Weiterbildung thematisiert werden müssen, soll in dem Projekt Qualificia Digitalis untersucht werden. “Es gibt große Unsicherheiten über die Entwicklung der künftigen Arbeit”, erläutert Christine Schröder vom Senat für Finanzen Bremen und Leiterin des Projektes dessen Hintergrund. Zugleich würden neue Kompetenzen und Qualifikationen nicht vom Himmel fallen. Deshalb soll in dem Projekt untersucht werden, inwiefern Berufsausbildung und Studiengänge grundlegend überarbeitet werden müssen, ebenso wie die Fort- und

Weiterbildung. Ein Thema, das auch bei der Digitalisierung des Schulwesens und der Qualifikation von Lehrkräften zunehmend in den Fokus rückt (siehe Seite 16). Die Verwaltung werde künftig zuverlässig und steuernd arbeiten, zugleich aber auch leitend und agil, partizipativ und kooperativ, vielfältig, integrativ und inklusiv sowie transparent und offen, ergänzt Juliane Schmeling, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer Institut FOKUS im Geschäftsbereich Digital Public Services, die ebenfalls an dem Projekt beteiligt ist. Deshalb würden neben überfachlichen und sozialen Fertigkeiten andere Talente gefragt sein, wie Transformationskompetenzen, die Fähigkeit zum Problemlösen und Handeln im digitalen Umfeld, die Analyse und Reflexion von digitalen Medien, die Gestaltung und Änderung von Arbeitsprozessen sowie Datenkompetenzen zum Umgang mit der Fülle von Informationen. Darüber hinaus müsse sich auch die Verwaltungskultur ändern. Die Mentalität “Nur ein Beamter vor Ort ist ein guter Beamter” gehöre der Vergangenheit an. Statt der Anwesenheit gelte es, die Qualität der Leistung zu messen und zu beurteilen. Darüber hinaus bedürfe es einer Führungskultur, bei der die Führungskräfte nicht nur selbst Fehler machen dürfen sondern es müsse auch eine FeedbackKultur etabliert werden, bei der nicht nur Feedback von oben nach unten, sondern auch andersherum gegeben werde, wie Dr. Julia Borggräfe, Leiterin der Abteilung Digitalisierung und Arbeitswelt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erläutert. Doch gerade Letzteres ist im Öffentlichen Dienst noch sehr selten.

(BS/jf) 15.000 unbesetzte Stellen verzeichnet NRW. Für den Landesverband des DBB Beamtenbunds und Tarifunion (DBB NRW) ein eindeutiges Si­ gnal, dass der Öffentliche Dienst im einwohnerstärksten Land ein Attraktivitätsproblem hat. Das sollte im Dialog mit der Landesregierung angegangen werden, doch die bisher erarbeiteten Konzepte bezeichnet DBB-NRW-Landeschef Roland Staude als durchwachsen und prognostiziert eine weitere Verschlechterung: “Wie es aussieht, scheint ein heißer Sommer bevorzustehen, jedoch ist mit einem rauen Wind zu rechnen. Spätestens im Hinblick auf die Tarifrunde 2021 droht dann sogar ein stürmischer Herbst. Es bleibt zu hoffen, dass es zu keiner vorzeitigen Frostperiode kommen wird.” Seit Mai 2020 befindet sich die Landesregierung unter Ministerpräsident und CDU/CSU-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Gespräch mit dem DBB über konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität des Landes. Doch die Ergebnisse lassen aus Sicht des Beamtenvertreters zu wünschen übrig: Kein einziger Vorschlag habe Einzug in ein vorgelegtes Eckpunktepapier gefunden.

Zukunft Personalentwicklung Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Öffentlichen Dienstes

7. – 8. September 2021, GOP Varieté-Theater, Bundesstadt Bonn

Je nach Pandemielage wird die Tagung virtuell durchgeführt.

ZUKUNFTSWEISENDE THEMEN, u. a.:

REFERENTEN, u. a.: Birgitta Radermacher, Regierungspräsidentin der Bezirksregierung Düsseldorf

Herausforderung Pandemie – der Öffentliche Dienst als systemrelevanter Faktor und die Bedeutung für das Personalmanagement

Marco Weißer, Büroleiter der Verbandsgemeinde Höhr-Grenzhausen

Erfolgreich ausbilden in einer Kommunalverwaltung, auch in herausfordernden Zeiten

Dr. Julia Borggräfe, Abteilungsleiterin für Digitalisierung und Arbeitswelt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Digitalisierung und Arbeitswelt – Herausforderungen für den Öffentlichen Dienst

Holger Kliewe, Staatskanzlei des Landes SchleswigHolstein

Personalrekrutierung – Arbeitgebermarke Öffentlicher Dienst

► ALL-AGILE HR? Erkenntnisse zum Reifegrad der HR-Funktion in der agilen Transformation ► Agile Personalentwicklung ► Mitarbeiter erfolgreich entwickeln ► Erweitertes Onboarding & Mitarbeiterbindung ► Mitarbeiterqualifizierung in der Praxis ► Zehn goldene Regeln schlechter Personalauswahl ► Personalauswahl rechtssicher gestalten

Fotos: Jakub Jirsk, Fotolia.com; ©Roberto Pfeil (Radermacher); © Armin Wähling WM-SH (Kliewe); matzkeFoto_sm (Borggräfe)

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de ► Suchwort „Zukunft Personalentwicklung“

Eine Veranstaltungsreihe des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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ernpunkt der Reform: Der BLB NRW wird, als zentraler Immobiliendienstleister des Landes, kaufmännischer aufgestellt. Dadurch rückt zukünftig bei allen Vorhaben mit einer modernen und effizienten Steuerung die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund. Daneben prägen zwei weitere Maximen dieses frisch umgesetzte, leistungsstarke Immobilienmanagement. Zum einen wurden den einzelnen Ministerien mit der Einführung der Mietausgabenbudgetierung, begleitet durch darauf zugeschnittene Verfahrensregelungen, klar definierte Budgets für die Umsetzung ihrer Baumaßnahmen zugeordnet. Zum anderen hat die Landesregierung klare methodische Standards für Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen entwickelt, die die Ministerien, aber auch der BLB NRW, im Alltagsgeschäft anwenden. Diese Instrumente, für Architekten, Planer und Ökonomen jederzeit griffbereit und einsetzbar, fanden Eingang in zwei Leitfäden, die das Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen zusammen mit der NRW.BANK und weiteren Experten aus Wissenschaft und Praxis erarbeitet hat. Seit wenigen Wochen sind diese neuen Standards verbindlich und gültig. Die beiden Leitfäden tragen die etwas sperrigen Titel “Verfahrensleitfaden Mietausgabenbudgetierung für immobilienwirtschaftliche Maßnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen” und “Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen für immobilienwirtschaftliche Maßnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen”. Ihre Wirkungskraft aber ist ganz einfach und verständlich erklärbar, sie dienen insbesondere einem großen Ziel: Bei einem Bauprojekt soll stets die im Sinne der Landeshaushaltsordnung (LHO) ökonomischste Entscheidung getroffen werden, die zudem auch den Nutzern zum Beispiel für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die besten Arbeitsbedingungen

Beste Baubedingungen zu fairen Preisen Neues Immobilienmanagement des Landes Nordrhein-Westfalen (BS/Dr. Patrick Opdenhövel) Es sind Zahlen, die beeindrucken: Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen (BLB NRW) managt im Jahr 2021 fast 8.000 Bauprojekte. Er verantwortet pro Jahr ein Bauvolumen im Wert von fast 800 Millionen Euro, betreut eine Gesamtfläche von zehn Millionen Quadratmetern, besitzt mehr als 4.200 Gebäude, darunter Polizeipräsidien, Gerichte, Justizvollzugsanstalten, Finanzämter und viele Verwaltungsdomizile mehr. Es versteht sich von selbst, dass es eine anspruchsvolle Aufgabe darstellt, bei diesem Großportfolio immer alle Bau- und Sanierungsplanungen und die daraus resultierenden Kosten im Blick zu behalten. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat ein Maßnahmenpaket geschnürt, das bundesweit einzigartig ist. an einem ebenso angenehmen Arbeitsplatz wie Arbeitsumfeld garantiert.

Zum Finden optimaler Lösungen Drei Komponenten sollen beim Finden dieser optimalen Lösung helfen: eine Bedarfsplanung, die Variantenentwicklung und abschließend ein Variantenvergleich. Bei der Bedarfsplanung formulieren die Nutzer unter anderem die bedarfsauslösenden Gründe wie zum Beispiel das Auslaufen eines Mietvertrages. Auch werden Entwicklungsziele festgelegt – etwa zeitliche, technische, funktionale und weitere Anforderungen an die Bereitstellung der benötigten Flächen. Bei der Variantenentwicklung werden danach alle für den jeweiligen konkreten Bedarf möglichen Realisierungs- und Beschaffungsvarianten aufgestellt. Dabei wird zunächst untersucht, ob eine immobilienwirtschaftliche Maßnahme durch einen Neubau, eine Sanierung – gegebenenfalls mit Erweiterungen –, eine Modernisierung oder einen Umbau oder lediglich über Instandsetzungsmaßnahmen zur Sicherung der Nutzungsdauer des Objektes erfolgen kann. Anschließend stellt sich die Frage, ob etwa eine Anmietung bei dem BLB NRW oder bei einem dritten Anbieter infrage kommt. Zum Schluss folgt ein vertiefender Vergleich der Varianten. Bei diesem abschließenden Variantenvergleich fließen alle Kosten ein, die über den Betrach-

geschäft anwenden zu können, bietet die NRW. BANK im Auftrag des Ministeriums der Finanzen ein Dr. Patrick Opdenhövel ist seit 2017 Staatssekretär umfassendes der Finanzen in NordrheinSchulungs- und Westfalen. UnterstützungsFoto: BS/FM NRW angebot für die Ministerien und Hochschulen an. tungszeitraum und die entspreMit diesen Maßnahmen hat chende Lebensdauer entstehen die Landesregierung die Rahkönnen. Für eine angemessene menbedingungen für die InBetrachtung der bei der Planung, anspruchnahme von Landesbeim Bau und beim späteren Be- haushaltsmitteln entscheidend trieb der Immobilie möglicherwei- weiterentwickelt. Das davor se auftretenden Risiken werden geltende Verfahren, das eine zusätzlich sachgerechte Risiko- Anmeldung von Bauprojekten aufschläge ermittelt. Zusätzlich im Rahmen einer Bau- und Mietwerden über eine Nutzwertana- liste vorsah, hatte sich als zu lyse auch qualitative Kriterien starr und unflexibel erwiesen. berücksichtigt. Das sind neben Diese Liste wurde einmal pro den baupolitischen Landeszielen Jahr festgelegt. Teilweise passten auch Vorgaben des Nutzers (z. B. aus diesem Grund für die Bedarfsträger wichtige Bauprojekte Standort des Gebäudes). aufgrund ihrer Größe nicht mehr

Rechenmodell schafft Klarheit

Ein eigens vom Land mit der NRW.BANK und einer Beratungsgesellschaft erstelltes Rechenmodell schafft Klarheit darüber, was vor dem Hintergrund der LHO realisierbar ist. Es bildet ganzheitlich und ressourcenorientiert die Lebenszykluskosten der Umsetzungsvarianten ab. So lassen sich mit dem Landesrechenmodell alle Kosten- und Nutzenaspekte von verschiedenen Varianten miteinander vergleichen, wodurch eine Umsetzungsentscheidung erleichtert wird. Um dieses Modell im Tages-

KOLUMNE

Optimismus verbreiten – aktiv und laut! (BS) Ich selbst spüre, dass die Pandemie mentale Spuren hinterlässt und so langsam richtig auf’s Gemüt geht. Umso wichtiger ist es für positive Impulse zu sorgen. Die mentalen Belastungen der anhaltenden Pandemie machen uns allen zu schaffen. Eine Videokonferenz jagt die nächste; dazwischen kurz eine Biopause, Lüften und weiter geht es. Die Online-Meetings werden immer “effizienter” und das Hamsterrad dreht sich immer schneller. Wie gut, dass sich meine Fröhlichkeit nicht immer einbremsen lässt. Ein kleiner Scherz, bevor alle in der Session angekommen sind, eine kurze Anekdote zum letzten Outlook-Fauxpas – und schon lockert sich ein wenig die Stimmung. Einige steigen mit ein und ergänzen, andere lächeln still in sich hinein. Die sachlichen Themen haben noch Raum genug; das Menschliche darf nicht in der Sitzungs-Effizienz komplett verloren gehen!

Behörden Spiegel / Juni 2021

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom. Foto BS/privat

Lachen und Führung – passt das eigentlich zusammen? Ein früherer Abteilungsleiter-Kollege warnte mich, dass mein ausgeprägter Hang zum (lauten) Lachen meine Akzeptanz als Führungskraft beeinträchtigen könnte. Ich habe seine Warnung in den Wind geschlagen und sehr gute Erfahrungen damit gemacht, bei mir zu bleiben.

Sicherlich auch, weil meine Mitarbeitenden sehr schnell erkennen konnten, dass ich zwar ein fröhlicher Mensch bin, aber dennoch Leistung und aktives Teamwork erwarte wie vorlebe. Wurde dagegen aktiv verstoßen, dann war und ist Schluss mit lustig. Da ich selbst immer vom Positiven ausgehe, habe ich in der gemeinsamen Führungsarbeit auch immer darauf bestanden, dass Bedenken und negative Aspekte offen auf den Tisch gelegt werden. Denn nur so kann mit diesen wichtigen Impulsen umgegangen werden. Aber am Ende wussten immer alle, dass es darum ging, einen Weg zu finden! Und Optimismus ist dafür eine gute Grundlage. Und über sich selbst lachen zu können und sich nicht so wichtig zu nehmen, führt nach meinen Erfahrungen in Führung keineswegs zu Souveränitätsverlusten – eher zum Gegenteil!

oder erst in den Folgejahren in die Steuerungsabläufe des alten Verfahrens, sodass Projekte für den Flächenneu- bzw. Ersatzbedarf zu spät oder teurer realisiert wurden – ein Sanierungsstau war nicht selten die Folge.

Mehr Eigenverantwortung und mehr Mittel Jetzt können die Ministerien mit ihren eigenen Budgets flexibel und effizient planen. Ihre Eigenverantwortung wurde deutlich gestärkt. Die Entscheidungshoheit der Ministerien wurde konkret dadurch verbessert, dass sie im Rahmen von Budgets Haushaltsmittel im Wege überjähriger Verpflichtungsermächtigungen für Immobilienprojekte zur eigenen Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt bekommen. Diese Regelung zum Haushaltsrecht in Nordrhein-Westfalen stellt ebenfalls eine Besonderheit gegenüber denen in anderen Bundesländern dar. Darüber hinaus

hat die Landesregierung generell die Finanzmittel für immobilienwirtschaftliche Maßnahmen in erheblichem Umfang aufgestockt. In den Jahren 2018 bis 2022 stellt die Landesregierung mit den neuen Baubudgets insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro für neue Baumaßnahmen in Universitäten, Polizeidienststellen oder Finanzämtern zur Verfügung. Das sind rund 1,3 Milliarden Euro mehr, als in den Jahren 2013 bis 2017 im Rahmen der Bau- und Mietliste unter der alten Landesregierung bereitgestellt wurden. Zusätzlich können die Ministerien und die Hochschulen bei der Begutachtung verschiedener Varianten bei Vorhaben auf die Hilfe eines Expertengremiums zählen, das “Externe Stelle” heißt. Diese setzt sich aus Wirtschaftsprüfern und Beratern eines externen Dienstleisters zusammen, der im Rahmen eines EU-weiten Vergabeverfahrens ermittelt wurde. Auch ein sogenannter “Lotse” unterstützt, dahinter verbirgt sich ein Team von Fachleuten, das aus der NRW.BANK stammt. Es steht den Ministerien und Nutzern als Ansprechpartner für Fragen rund um das Mietausgabenbudget-Verfahren zur Seite. Das gesamte Immobilienmanagement des Landes steht somit nun auf neuen Füßen. Das schafft Vertrauen, Transparenz und schont den Landeshaushalt.

Tattoo-Verbot für Beamte – richtiger Ansatz? Da neue Beamtenrecht (BeamtStG und BBG) im Überblick! (BS/Jürgen Kutzki*) Lange Zeit herrschte “rechtliche Ruhe” beim Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Aber jetzt hat sich der Bund wieder zu Wort gemeldet und das “äußere Erscheinungsbild” von Beamten und Beamtinnen neu geregelt. Es gibt einen neuen § 34 Abs. 2 BeamtStG und (wortgleich) für die Bundesbeamten und -beamtinnen einen § 61 Abs. 2 BBG. Seit dem 1. April 2009 ist das Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) in Kraft. Es geht auf die Föderalismusreform I zurück, in deren Ergebnis der Bund gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 Grundgesetz (GG) die Gesetzgebungskompetenz nur noch für das Statusrecht der Beamtinnen und Beamten in den Ländern hat. Von dieser (“Rest”-)Kompetenz hat der Bund mit dem BeamtStG Gebrauch gemacht. Es ersetzt dabei die (statusrechtlichen) Regelungen aus dem Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG).

Änderungen im BeamtStG und BBG Das Gesetz soll das äußere Erscheinungsbild von Beamten vorgeben. Der Bundestag hat das sogenannte “Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften” (Drucksache 19/26839) am 22. April 2021 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Alternative für Deutschland (AfD) verabschiedet. Der Bundesrat hat am 7. Mai 21 zugestimmt. Es gibt somit einen “neuen” § 61 Abs. 2 BBG und (wortgleichen) § 34 Abs. 2 BeamtStG. Die Vorschrift lautet wie folgt: “Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des

Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende, besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Finanzen sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz werden ermächtigt, jeweils für ihren Geschäftsbereich die Einzelheiten zu den Sätzen 2 bis 4 durch Rechtsverordnung zu regeln. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.”

Warum die gesetzlichen Änderungen? Vorlage der neuen Paragrafen ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahr 2017, in dem das BVerwG die Entlassung eines Berliner Polizeibeamten wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Verfassungstreue bestätigte (Urt. v. 17.11.2017, 2 C 25.17). Der ehemalige Polizeibeamte hatte unter anderem mehrfach den Hitler-Gruß gezeigt und trug verfassungsfeindliche Tätowierungen. Das BVerwG hat mit dem Urteil aber gleichzeitig entschieden, dass eine Regelung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamt(inn)en einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Das Verbot des Tragens von Tätowierungen greife in das allgemeine

Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG ein, das auch Beamtinnen und Beamten zustehe, und in ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II 1 GG, da Tattoo-Verbote zwangläufig die private Lebensführung betreffen.

Kritik an dem Gesetz Die Regelungen sind sehr umstritten: Unter anderem wird kritisiert, dass hierdurch eine Ermächtigungsgrundlage für ein deutschlandweites Kopftuchverbot geschaffen werden könne. Kritiker monieren auch, dass der Gesetzgeber und das BVerwG mit einem weitgehenden TattooVerbot den gesellschaftlichen Wandel zur Akzeptanz und hohen Verbreitung von Tätowierungen und Piercings heutzutage verkenne. Das Vertrauen der Bevölkerung, beispielsweise in die Polizei, hänge nicht mehr gänzlich von einem äußeren Erscheiungsbild ab. Das “Allgemeine Preussiche Landrecht” war modern – aber geht eben zurück auf das Jahr 1794. Das Beamtenrecht sollte im 21. Jahrhundert angekommen sein! Wie so oft: “Karlsruhe wird das letzte Wort haben”! Das BVerfG kann sicherlich erklären, was der Gesetzgeber mit Merkmalen meint, die “objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung zu beeinträchtigen”. *Rechtsanwalt Jürgen Kutzki ist Dipl.-Verwaltungswirt und Mediator in Karlsruhe.

Mehr zum Thema: Der Autor thematisiert die jüngsten Änderungen des Beamtenstatusgesetzes und des Bundesbeamtengesetzes in einem Webinar des Behörden Spiegel am 16. Juli 2021. Weitere Informationen unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Tattoo”.


Bund

Behörden Spiegel / Juni 2021

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Energie- und Wasserwirtschaft macht Druck

In der Komplexitätsfalle

Planung des 450-MHz-Funknetzes in vollem Gange

Bei der Digitalisierung kämpft Deutschland vor allem mit sich selbst

(BS/Gerd Lehmann) Anfang März schloss die Bundesnetzagentur (BNetzA) nach einem dreijährigen Vergabe- (BS/pet) Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat den fünften “Monitor Digitale Verwaltung” vorgelegt. In prozess das Ausschreibungsverfahren zur Vergabe der nach Ablauf der bisherigen Frequenznutzungsrechte ihm bescheinigt das Gremium den Digitalisierern in Staat und Verwaltung reichlich guten Willen, zumal bei am 31. Dezember 2020 frei gewordenen Frequenzteilbereiche 451,0-455,74 MHz und 461,0-465,1 MHz im 450 der ebenenübergreifenden Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ob dieser “neue Geist der MHz-Band ab. Den Zuschlag für das Spektrum erhielt die 450connect GmbH. Zusammenarbeit” jedoch ausreicht, um die zahlreichen Defizite auf der operativen Ebene aufzuwiegen, wird hingegen stark bezweifelt. Am Ende kämpfe Deutschland nicht zuletzt mit selbstgeschaffenen Problemen, Diese Gesellschaft punktete es, auf der Basis der zugeteilten 450-MHz-Alliance hat kürzlich welche die Koordination erschwerten. dem Vernehmen nach nicht nur mit einem überzeugenden Frequenznutzungskonzept für die Funkversorgung der Energieund Wasserwirtschaft, sondern konnte zugleich auf umfangreiche Erfahrungen und den erfolgreichen Betrieb von regionalen, CDMA-basierten 450-MHz-Funknetzen für mehrere Energieversorger verweisen. Die 450connect GmbH war bereits zuvor Frequenzinhaber eines Teils des 450-MHz-Spektrums. Förderlich war sicherlich auch, dass sich ein breites Bündnis aus der Energie- und Wasserwirtschaft im Rahmen eines Joint Ventures unter dem gemeinsamen Dach der 450connect GmbH versammelt hat. Vier gleichberechtigte Gesellschafter sind nunmehr mit je 25 Prozent an der 450connect GmbH beteiligt. Das Konsortium besteht aus der Alliander AG, die in Deutschland Strom- und Gasnetze sowie öffentliche Beleuchtung und Lichtsignalanlagen betreibt, dem Energiekon­ zern E.ON SE mit dem Fokus auf intelligente Energienetze und Kundenlösungen, einem Konsortium regionaler Energieversorger (darunter die niedersächsische EWE NETZ GmbH) sowie aus der Versorgerallianz 450-MHz, die aktuell mehr als 200 nationale Unternehmen der Energie- und Wasserversorgungsbranche unter Beteiligung der EnBW repräsentiert.

Hochverfügbares LTE-Funknetz als Ziel Ziel der 450connect GmbH ist

450-MHz-Funkfrequenzen ein deutschlandweites, besonders sicheres und hochverfügbares LTE-Funknetz (4G und 5G) für die Energie- und Wasserwirtschaft sowie andere Kritische Infrastrukturen (KRITIS) zu errichten und zu betreiben. Dieses Netz soll neben der Gewährleistung einer zuverlässigen Kommunikation auch im Schwarzfall zugleich die Voraussetzung für eine sichere und hochverfügbare Kommunikation von Millionen kritischer Machine-to-Machine(M2M)-Anwendungen und damit für die erfolgreiche Energiewende und Transformation hin zu einer nachhaltigen Industrie, Wirtschaft und Mobilität schaffen. Das Netz soll neben der Unterstützung von M2M-Protokollen und Datenübertragungen auch die Sprachkommunikation als Dienst anbieten. Nach Darstellung der 450connect GmbH laufen die Vorbereitungen für den Aufbau des Netzes auf Hochtouren. Die aktuelle Netzplanung geht von rund 1.600 zu errichtenden Funkanlagenstandorten aus. Ein gehöriger Anteil davon kann auf Gelände und Anlagen der Versorger errichtet werden. Aus steht derzeit noch die Entscheidung für den Lieferanten der Systemtechnik. Während für die M2M-Kommunikation und Funksprechgeräte bereits erste adäquate Endgeräte am Markt verfügbar sind, sind die entsprechenden Endgeräte für Smart Meter Gateways noch in der Entwicklung. Der internationale Branchenverband

hierzu einen Device-Report veröffentlicht, der auf ein bereits vorhandenes und wachsendes Endgeräte-Ökosystem hinweist. Im Markt ist der 450-MHz-Bereich eine Nische, für die sich bislang nur wenige Hersteller interessiert hatten. Es ist aber anzunehmen, dass sich dies im Zuge der Frequenzzuteilung in Deutschland und der globalen Fokussierung auf IoT-Anwendungen bald ändert und sich dann die Entwicklung solcher Geräte rentiert. Auf diese Entwicklung darf man gespannt sein.

Im Betrieb bis Ende 2024 Wesentliche Teile der digitalen Infrastruktur sollen bis Ende 2024 in Betrieb sein. Einige Konsortialpartner werden eigene In­ frastruktur einbringen, um damit den nationalen Netzaufbau zu beschleunigen. Angesichts der vielen an der 450connect GmbH beteiligten Unternehmen und deren Rolle als Kunde, Lieferant und Gesellschafter ist allerdings vorstellbar, dass sich die Entscheidungsprozesse nicht immer einfach gestalten und zeitaufwendig sind. Dennoch besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass das Konsortium ein klares gemeinsames Ziel verfolgt: Nämlich allen KRITIS-Betreibern möglichst kurzfristig einen diskriminierungsfreien und schwarzfallfesten Zugang zur 450-MHz-Funknetzplattform anzubieten, damit Funkdienstleistungen für ihre Ende-zu-Ende-Lösungen eingesetzt werden können.

Deutliche Zuwächse Mehr Cyber-Taten und Kinderpornografie hierzulande

Für den NKR liegt die Hauptursache, weshalb der Digitalisierungsturbo in Deutschland noch immer nicht recht zünden will, in den Strukturen des Landes. Das Kardinalproblem: “Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert.” Zeitintensive Abstimmungsmechanismen und aufwendige Kooperationskonstrukte zwischen Bund, Ländern und Kommunen seien nach wie vor der Sand im Getriebe der Digitalisierung. Zwar habe das Problembewusstsein bei den politischen Verantwortungsträgern in den letzten Jahren merklich zugenommen, an der Umsetzung konkreter Digitalisierungsvorhaben ändere das jedoch wenig. Trotz einzelner Fortschritte liegt die öffentliche Verwaltung für das Kontrollgremium weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Nicht zuletzt bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sei man derzeit noch mehr damit beschäftigt, an Programmstrukturen und Konzepten zu feilen, statt den eigentlichen Kraftakt, nämlich den Sprung in die Praxis, anzugehen. Das gelte für Länder und Kommunen – aber auch für den Bund selbst, der von seinen insgesamt 115 Dienstleistungen erst 14 in der Fläche zur Verfügung stelle. Wenig verwundern dürfte darum auch der Umstand, dass die jüngsten Meilensteine in diesem Zusammenhang – darunter etwa das OZG-Dachabkommen oder das “Einer-für-alle”-Prinzip (EfA) –

meist struktureller Natur sind. Weichenstellungen dieser Art seien wichtig und richtig, stellt der NKR klar. Ob sich mithilfe der neu geschaffenen Governance-Strukturen nun endlich auch der Komplexitätsknoten löse, sei derzeit noch nicht abschließend zu bewerten.

Kein Grund für Defätismus Anders die Einhaltung der formalen Frist des OZG bis Ende 2022, die mit großer Wahrscheinlichkeit gerissen werde. Für den NKR jedoch kein Grund für Defätismus. Wie zügig das Abarbeiten des OZG-Leistungskatalogs erfolge, hänge nun maßgeblich von der Ressourcenlage und den Umsetzungsstrukturen in den Entwicklungsgemeinschaften vor Ort ab. Als Schlüssel zum Komplexitätsabbau empfiehlt das Kontrollgremium eine größere strategische Aufmerksamkeit bei Fragen der Standardisierung und des Architektur-Managements, um die Transaktionskosten und Koordinierungsaufwände zu senken. Mit Blick auf eine langfristige Adaptier- und Innovationsfähigkeit müsse das “Gesamtsystem Verwaltungsdigitalisierung” schnellstmöglich in Richtung industrieller Produktionsmuster weiterentwickelt werden. Andernfalls bleibe die OZG-Umsetzung dauerhaft eine “Bastelwerkstatt”, die nicht mit den Entwicklungen des Privatsektors oder denen digitaler Vorreiter-Staaten schritthalten könne, mahnt der NKR. Als Teil dieser Strategiearbeit

müssten die Plattformansätze, wie sie schon in verschiedenen Ländern entwickelt oder bereitgehalten würden, systematisch vorangetrieben und in eine Gesamtarchitektur überführt werden. Problematisch sei in diesem Zusammenhang aber die derzeit mangelhafte Ressourcenausstattung der Föderalen IT-Kooperation (FITKO). Um hier bestehende Kapazitätslücken zu schließen, rät der NKR zur Einrichtung einer Digitalisierungsagentur mit entsprechender Personaldecke von mehreren hundert Mitarbeitenden.

Fokus auf Once Only Bleibt schließlich noch die Bürgerzentrierung. Jenseits der Anforderungen, die aus der Umsetzung des OZG resultieren, geht das Großprojekt der Verwaltungsdigitalisierung noch sehr viel weiter. Ein zentraler Grundsatz in diesem Zusammenhang sei das sog. Once-Only-Prinzip, dem mit Blick auf den Faktor Nutzerkomfort ein größerer Stellenwert eingeräumt werden müsse, so der NKR. Dafür sei es jedoch unumgänglich, dem jüngst erlassenen Registermodernisierungsgesetz (RedMog) dieselbe politische Aufmerksamkeit zu widmen wie derzeit dem OZG. Aktuell sei die Gesamtkoordination des Projektes indes noch unterentwickelt. Da das RegMog darüber hinaus reichlich Konfliktpotenzial berge, seien flankierende Maßnahmen rechtlicher, aber auch technischer Art unumgänglich.

Weniger ist mehr

(BS/mfe) Cyber Crime nimmt immer weiter zu. So verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) im vergangenen Bundeskabinett beschließt Paket zum Bürokratieabbau Jahr – verglichen mit 2019 – einen Zuwachs der Taten aus diesem Phänomenbereich im engeren Sinne um fast acht Prozent. Dabei handelt es sich um Delikte, die sich gegen das Internet, Datennetze, informationstechni- (BS/fs) 22 Maßnahmen, ein Ziel: Mit einem Paket für Bürokratieerleichterungen sollen Unternehmen, staatsche Systeme oder deren Daten richten. Noch höher sind die Zuwachsraten im Bereich der Kinderpornografie. liche Institutionen sowie Bürgerinnen und Bürger von unnötiger Bürokratie entlastet werden. Vereinfachte Planungs- und Genehmigungsprozesse, effiziente digitale Kommunikation und vereinheitlichte Register Zurückgeführt wird der Anstieg festgestellten Fälle von Kin- registriert. Kindesmissbrauch ist sollen Zeitersparnis bringen.

laut dem entsprechenden BKALagebild auf die stark voranschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche, die Corona-bedingt einen zusätzlichen Antrieb erhalten habe, wodurch mehr Tatgelegenheiten für Cyber-Kriminelle entstanden seien. Weitere Faktoren sind demnach die zunehmende Professionalisierung der Täter und steigende Fähigkeiten der Schadsoftware zur Verschleierung vor Sicherheitsmechanismen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 108.474 Cyber Crime-Fälle im engeren Sinne polizeilich erfasst. 2019 waren es noch “nur” 100.514 gewesen. Aufgeklärt wurden 2020 35.390 Delikte. Dies entspricht einem Anteil von 32,6 Prozent. Im Vergleich zu 2019 ist die Aufklärungsquote damit nur minimal angestiegen. Damals betrug sie 32,3 Prozent. Darüber hinaus ergibt sich aus dem BKA-Lagebild, dass Ransomware weiterhin die größte Gefahr für öffentliche Einrichtungen und Unternehmen bleibt und dass Cyber Crime-Akteure international vernetzt sind und zunehmend professioneller agieren. Außerdem ist ein Anstieg bei den sogenannten DDoS-Attacken zu verzeichnen. Auch ihre Intensität nimmt zu. Cyber-Angriffe hatte es in Deutschland wiederholt auf Einrichtungen des Gesundheitswesens gegeben. In den USA war eine Pipeline nach einem Hackerangriff vorübergehend abgeschaltet worden. Auch die Zahl der polizeilich

derpornografie hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Insgesamt wurden 2020 18.761 Fälle von entsprechenden Missbrauchsabbildungen festgestellt. Das entspricht einem Zuwachs um 53 Prozent im Vergleich zu 2019, wie aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zu Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche hervorgeht.

Massiver Anstieg Ihr zufolge gab es zudem eine starke Zunahme bei der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen durch Minderjährige selbst. Laut PKS hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die Missbrauchsabbildungen – insbesondere in Sozialen Medien – weiterverbreiteten, erwarben, besaßen oder herstellten, in Deutschland seit 2018 mehr als verfünffacht: von damals 1.373 auf 7.643 angezeigte Fälle im vergangenen Jahr. Und dabei handelt es sich nur um das Hellfeld. Denn das Dunkelfeld kann die PKS nicht beleuchten. Gleiches gilt mit Blick auf (versuchte) Tötungsdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen. Der vorgestellten Statistik zufolge sind im letzten Jahr 152 Kinder gewaltsam zu Tode gekommen. 115 von ihnen waren zum Zeitpunkt des Todes jünger als sechs Jahre. In 134 Fällen erfolgte ein Tötungsversuch. Mit 4.918 Fällen von Misshandlungen Schutzbefohlener wurde eine Zunahme um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr

um 6,8 Prozent auf über 14.500 Fälle gestiegen.

Nicht zögern Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, erklärte dazu: “Schwerste Straftaten an Kindern wie der sexuelle Missbrauch oder Misshandlungen geschehen zumeist hinter verschlossenen Türen. Darum sind wir alle aufgefordert, wachsam zu sein und Verantwortung zu übernehmen.” Jeder, der Anzeichen strafbarer Handlungen an Kindern wahrnehme, solle deshalb nicht zögern, die Polizei zu informieren und Strafanzeige zu erstatten oder Hilfestellen oder das Jugendamt zu kontaktieren. “Bestimmte Formen des sexuellen Missbrauchs wie Cyber Grooming geschehen im Internet. Daher ist es ebenso wichtig, dass wir unsere Kinder für diese Gefahren sensibilisieren und sie zu einem sicherheitsbewussten Umgang mit dem Netz anleiten”, meint Münch. Und Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), betonte, dass die PKS zu Gewaltdelikten an Kindern nicht als Rapport aus den Randbereichen der Gesellschaft missverstanden werden dürfe. “Sexuelle Gewalt gibt es überall, sie ist trauriger Alltag und findet meistens dort statt, wo sie niemand vermuten möchte: ganz nah dran, in Familien, in der Nachbarschaft, im Sportverein und im Netz”, so Rörig.

Eine der zentralen Maßnahmen besteht in der Schaffung eines Basisregisters für Unternehmensstammdaten. Nach dem Once-Only-Prinzip sollen Unternehmen ihrer Berichtspflicht nicht mehr durch Mehrfachmeldung in verschiedenen Registern nachkommen müssen. Durch einen Informationsaustausch zwischen den Behörden soll künftig die einmalige Übermittlung von Daten genügen. Dabei soll auch eine bundeseinheitliche Wirtschaftsnummer für Unternehmen zur vereinfachten Identifikation beitragen. Noch in diesem Jahr soll mit der Umsetzung des Basisregisters begonnen werden, bis 2024 soll die erste Version in Betrieb genommen werden. Unternehmen sollen auch durch zahlreiche weitere Maßnahmen entlastet werden. So sollen verbindliche Auskünfte zu Steuerfragen und Betriebsprüfungen durch Finanzbehörden in Zukunft zügiger erfolgen. Die vermehrte elektronische Übermittlung von Mitteilungen zwischen den Finanzämtern soll Zeit und Papiernachweise sparen. Experimentierklauseln in Fachgesetzen sollen zudem die Umsetzung von Reallaboren in Unternehmen ermöglichen. Hiermit soll Freiraum für Innovationen geschaffen werden. Auch die gezielte Unterstützung von jungen Unternehmen könnte frischen Wind bringen. Diese sollen künftig im Rahmen von öffentlichen Vergabeverfahren

Die Ermöglichung des digitalen Austauschs soll zu einer Verminderung von Papiernachweisen führen. Foto: BS/Geisteskerker, pixabay.com

einen besseren Stand erlangen. So scheitern junge Unternehmen noch oft am Nachweis von langjähriger Erfahrung und Referenzprojekten. Solange der konkrete Auftragsgegenstand dies nicht rechtfertigt, sollen diese Regularien gelockert werden. Des Weiteren sollen auch eine Angleichung der Berechnungsmethoden für KleinunternehmerUmsatzschwellen, eine Neujustierung der Nachweise für die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung und Rechtsvereinfachungen für Unternehmensübergaben folgen. Bürgerinnen und Bürger sollen in ihrem Alltag ebenfalls weniger durch Bürokratie belastet werden. Um Auskunfts- und Meldepflichten zu vereinfachen, soll dem Statistischen Bundesamt und den statistischen Ämtern der Länder ein automatisiertes

Abrufverfahren Zugriff auf Angaben aus allgemein zugänglichen Quellen verschaffen. Unterlagen für die Beantragung von Familienleistungen sollen nicht mehr ausschließlich in Papierform eingereicht werden müssen. Mit Einwilligung der Antragstellenden soll auch hier ein direkter Austausch zwischen den Behörden die Bearbeitung beschleunigen. Im Rahmen des Planungssicherstellungsgesetzes waren während der Corona-Pandemie digitale Optionen für Planungsund Genehmigungsverfahren beschlossen worden. Diese sollen auf ihren Nutzen nach der Pandemie geprüft werden. Um den Ausbau des Mobilfunknetzes voranzubringen, soll dieser künftig als zu berücksichtigender Belang in der Bauleitplanung gelten.


Länder

Behörden Spiegel / Juni 2021

Digital in die Zukunft

Digitalisierung gibt, genommen wird.

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D

ie Digitalisierung ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Welche Chancen sie tatsächlich bietet und wie wichtig sie ist, das haben wir alle im zurückliegenden Jahr der Pandemie erlebt. Alle gesellschaftlichen Bereiche sind von der Digitalisierung betroffen, auch die Zivilgesellschaft. Es gibt hier bereits ganz viel Innovation und tolle Beispiele, wie sich Vereine und andere Organisationen mit digitalen Möglichkeiten modernisieren können. Viele Vereine und Initiativen wünschen sich auf diesem Weg aber auch Hilfe und Unterstützung.

Was konkret ist “Digital in die Zukunft”? Wir ergänzen und erweitern damit unser bestehendes Unterstützungsangebot und wollen Vereine und Initiativen dabei begleiten, digitale Möglichkeiten zu nutzen, um ihre Arbeit zu erleichtern und zu modernisieren. Dabei setzen wir auf einfache Zugänge, auf Verständlichkeit und besonders auf Praxisnähe. Das Projekt besteht aus vier Bausteinen. Es ist verankert auf dem Ehrenamtsportal des Landes https://wir-tun-was.rlp.de/de/ im-land/digital-in-die-zukunft/.

Baustein 1: Online-Fortbildungen Ab Mai finden jeden Donnerstag von 18.00 bis 20.00 Uhr digitale Fortbildungen zu aktuellen Themen des ehrenamtlichen Engagements statt. Dazu gehören unterschiedliche Rechtsbereiche wie das Vereinsrecht, der Versicherungsschutz, das Spenden- und Gemeinnützigkeitsrecht, aber auch Fragen der Öffentlichkeitsarbeit und der Nachwuchsgewinnung. Aus unserem Landesnetzwerk, vielen Gesprächen und Begegnungen, aber auch aus aktuellen Studien wissen wir, dass diese Themen den Vereinen derzeit besonders unter den Nägeln

(BS/Malu Dreyer) Das Ehrenamt hat seit vielen Jahren einen sehr hohen Stellenwert in der Politik der Landesregierung und mir als Ministerpräsidentin liegt es besonders am Herzen. Rheinland-Pfalz ist Ehrenamtsland. Knapp die Hälfte unserer Bürger und Bürgerinnen ist ehrenamtlich engagiert. Im Ländervergleich liegen wir damit auf dem Spitzenplatz. Als Landesregierung tun wir sehr viel, um das Ehrenamt nach Kräften zu unterstützen. Mit dem Projekt “Digital in die Zukunft” wollen wir jetzt Vereine und andere zivilgesellschaftliche Organisationen auf ihrem Weg der Digitalisierung unterstützen. brennen. Mit “Digital in die Zukunft” gibt es die Möglichkeit, sich wöchentlich digital mit einem Thema intensiver zu befassen. Bequem von zu Hause aus, ohne aufwendige Fahrten, ohne vorherige Anmeldung, mit einem überschaubaren Zeitaufwand. Gestartet sind wir mit dem Dauerthema “Vereinsrecht”. Es ging beispielsweise um die Fragen: Wie schreibe ich eine Satzung? Welche Aufgaben und Pflichten hat der Vorstand? Welche haftungsrechtlichen Fragen muss man bedenken? Oder, ganz aktuell: Darf ich in der Pandemie die jährliche Mitgliederversammlung auch online durchführen? Rund 120 Engagierte nutzten dieses neue Angebot. Bis zu den Sommerferien haben wir ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Auch im Sommer wird es entsprechende Angebote geben. Und in der zweiten Jahreshälfte werden die relevanten Themen noch einmal angeboten. Weitere werden hinzukommen. Dabei wollen wir natürlich auch die Wünsche und Bedarfe der Vereine berücksichtigen.

Baustein 2: der digitale Werkzeugkasten Der digitale Werkzeugkasten ist ein ganz besonderes und komplett neues Angebot. Er bietet

Die Gesellschaft braucht das Ehrenamt! Darum ist es an der Regierung, das Ehrenamt – auch durch Digitalisierung – in seinem Engagement zu unterstützen. Foto: BS/geralt, pixabay.com

– gut sortiert nach Kategorien und Anwendungsbereichen (Vereinsverwaltung, Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Online-Ver-

Ministerpräsidentin Malu Dreyer steht seit 2013 an der Spitze der Landesregierung von Rheinland-Pfalz. Foto: BS/Staatskanzlei Rheinland-Pfalz

sammlung etc.) – Informationen zu verschiedenen Programmen und Tools für die digitale Vereinsarbeit. Man findet in diesem Kasten also eine Auswahl an Werkzeugen, die für die Initiative oder den Verein nützlich sein können. Und man findet Orientierung, um sich für das richtige und passende zu entscheiden. Es gibt deshalb

Hinweise zur Handhabung, zu den jeweiligen Kosten sowie zum Datenschutz. Begleitet wird der Werkzeugkasten von wöchentlichen Online-Schulungen, in denen insbesondere Tools für die digitale Vereinsverwaltung, für Online-Sitzungen von Gremien sowie zur Öffentlichkeitsarbeit und zur Mitgliedergewinnung im Mittelpunkt stehen. Da­ rüber hinaus gibt es virtuelle Ideen-Werkstätten, um im Austausch mit den Ehrenamtlichen weitere Bedarfe und Wünsche aufzunehmen und den Werkzeugkasten schrittweise weiter aufzufüllen.

Baustein 3: Austausch und Vernetzung Wir wissen, dass viele Vereine längst in Sachen Digitalisierung unterwegs sind und es viele kreative Ansätze und Lösungen für Probleme gibt, vor denen auch andere stehen. Deshalb wollen

Meilenstein erreicht Berlin richtet Katastrophenschutz neu aus (BS/Torsten Akmann) Das Berliner Abgeordnetenhaus hat ein neues Gesetz über den Katastrophenschutz im Land Berlin in zweiter Lesung beschlossen. Das Gesetz wird voraussichtlich in diesem Monat in Kraft treten. Die darin enthaltenden Neuerungen sind ein Meilenstein für die Neuausrichtung des Katastrophenschutzes im Land Berlin. Mit der Neufassung des Gesetzes reagiert Berlin auf eine sich ändernde Gefährdungs- und Bedrohungslage. Und natürlich wurden auch die Erkenntnisse aus den Krisen der vergangenen Jahre berücksichtigt: dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016, dem Stromausfall im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick im Februar 2019 und nicht zuletzt der noch immer andauernden Corona-Pandemie. Insgesamt stellen wir den Katas­ trophenschutz breiter auf und gewinnen an zusätzlicher Leistungsfähigkeit. So wurde mit der “Großschadenslage” eine neue

Baustein 4: der Ideen-­ Wettbewerb “Ehrenamt 4.0”

Unterstützung für Vereine bei der Digitalisierung

Lücke geschlossen zwischen der täglichen Gefahrenabwehr einschließlich größerer Einsatzlagen und dem Katastrophenfall, dessen Eintrittsschwelle nach wie vor hoch bleibt. Mit den neuen gesetzlichen Grundlagen kann nun schon bei Großschadenslagen auf die Ressourcen des Katastrophenschutzes zurückgegriffen werden.

Vorsorge neu konzipiert

Die beste Katastrophe ist die, die niemals eintritt. Deshalb haben wir die Katastrophenvorsorge neu konzipiert. So werden zum Beispiel für die Erstellung von behördlichen Katastrophenschutzplänen Mindestinhalte festgeschrieben und die Durchführung einer GefährdungsanaTorsten Akmann ist Staatssekretär für Inneres bei der lyse normiert. Ein Senatsverwaltung für Inneres wichtiger Punkt und Sport des Landes Berlin. ist die regelmäßige Durchführung Foto: BS/SenInnDS von Katastrophenschutzübungen, die nunmehr in einem jährlichen Gefahrenebene mit ins Gesetz Turnus in allen Katastrophenaufgenommen. Darunter fallen schutzbehörden des Landes Berlin Ereignisse mit einer großen An- erfolgen werden müssen. zahl von verletzen, erkrankten Im Rahmen der Abwehr von Kaoder betroffenen Menschen oder tastrophen und der Bewältigung Tieren oder erheblichen Sach- von Großschadenslagen wurden oder Umweltschäden, die noch auch die Führungsstrukturen unterhalb des “Katastrophen- neu geregelt. Sie umfassen nunfalls” liegen, sich aber zu einer mehr drei Ebenen: die taktischKatastrophe entwickeln können operative Ebene vor Ort, die und einer besonderen, ressort- administrativ-organisatorische übergreifenden Koordinierung und die ressortübergreifende bedürfen. Damit hat Berlin die gesamtstädtische Senatsebene.

In diesem Zusammenhang wurde auch eine außerordentliche Entscheidungsbefugnis des für Inneres zuständigen Senatsmitglieds eingeführt und die Sachentscheidungskompetenz des Innenressorts gestärkt. Sollte demnach im Katastrophenfall eine Senatsentscheidung aus zwingenden zeitlichen Gründen nicht möglich sein, dann können unaufschiebbare Entscheidungen bei gegenwärtigen Gefahren für Leib und Leben oder wertvolle Sachgüter durch das für Inneres zuständige Senatsmitglied getroffen werden. Hier übernimmt das für Inneres zuständige Senatsmitglied qua Amt die Verantwortung und kann öffentliche Stellen anweisen, notwendige Maßnahmen zur Katastrophenabwehr durchzuführen. Selbstverständlich können solche Entscheidungen jederzeit vom Senat aufgehoben oder geändert werden.

Beteiligtenkreis ausgeweitet Leitgedanke der Neufassung des Katastrophenschutzgesetzes ist das Zusammenwirken der Landesbehörden und der im Katastrophenschutz Mitwirkenden. Neben den staatlichen Akteuren wird der Kreis der Beteiligten deutlich erweitert, die Rechte und Pflichten werden klar definiert. So werden beispielsweise die Betreiberinnen und Betreiber Kritischer Infrastrukturen in den Katastrophenschutz kraft Gesetz eingebunden. Sie sind nun dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass sie ihre Aufgaben bei Ausfall oder Beeinträchtigung auch an-

derer Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) für einen angemessenen Zeitraum eigenständig fortführen können. Auch die Berliner Krankenhäuser und – aus dem Kreis der Ehrenamtlichen – die Kräfte der Psychosozialen Notfallversorgung werden in das Gesetz aufgenommen. Das Ehrenamt bildet Basis und Rückgrat des Hilfeleistungssystems im Katastrophenschutz. Anerkennung und Wertschätzung für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer kommt durch zwei Neuerungen zum Ausdruck: die Einsätze sogenannter ungebundener Helferinnen und Helfer – also jener, die sich freiwillig zur Hilfeleistung bereit erklären und keine Angehörigen der anerkannten privaten Hilfsorganisationen sind – werden gesetzlich geregelt. Die persönliche Haftung der Helferinnen und Helfer im Zusammenhang mit der Mitwirkung der anerkannten privaten Hilfsorganisation im Katastrophenschutz ist weggefallen. Das Gesetz setzt auch einen wichtigen Akzent bei der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung. Es gilt weiterhin, die Menschen zu dafür sensibilisieren, dass sie sich auch individuell auf die Notfallvorsorge vorbereiten und sich regelmäßig über Krisen- und Katastrophenszenarien informieren sollten. Das neue Berliner Katastrophenschutzgesetz setzt mit diesen Neuerungen bundesweite Maßstäbe bei der Vorbereitung und Bewältigung von Großschadensereignissen und Katastrophen.

wir diese Erfahrungen sichtbar machen, einen Austausch ermöglichen und Vernetzungsmöglichkeiten schaffen. Wir laden daher ein, über innovative digitale Projekte zu berichten und sie hier vorzustellen. Zu finden sind hier zunächst die Preisträger des IdeenWettbewerbs “Ehrenamt 4.0”, den ich 2017 erstmals aus­ geschrieben habe. Man kann sich von ihnen inspirieren lassen. Man sieht, wie es funktionieren kann und findet gute Beispiele. Und dies trägt auch dazu bei, dass manche Befürchtung oder Angst, die es bei der

Im Mai habe ich den Wettbewerb für dieses Jahr ausgeschrieben, bereits das fünfte Mal seit 2017. Mit der Auszeichnung sollen Organisationen und Projekte sichtbar gemacht werden, die in unterschiedlichen Bereichen ehrenamtlichen Engagements innovativ digitale Akzente setzen. Zehn Projekte werden wieder mit einem Preisgeld von jeweils 1.000 Euro prämiert. Es gibt eine unabhängige Jury, die Ausschreibung läuft bis Ende September. Die Preisverleihung ist für den 30. Oktober 2021 geplant. Ich freue mich wieder sehr auf viele inspirierende Bewerbungen. Das Projekt “Digital in die Zukunft” wird von der Leitstelle Ehrenamt und Bürgerbeteiligung in der Staatskanzlei in Kooperation mit medien+bildung.com, einer Tochter der Medienanstalt RLP, umgesetzt.

Niederigere Steuerausfälle Haushaltslage bleibt dennoch angespannt (BS/lkm) Nach Einschätzung des Arbeitskreises Steuerschätzung müssen Bund, Länder und Gemeinden in diesem und dem kommenden Jahr mit etwas geringeren Steuerausfällen rechnen als noch im Herbst vergangenen Jahres geschätzt. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das wirtschaftliche Vorkrisenniveau noch in diesem Jahr wieder erreicht wird. Dennoch belasten die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung weiterhin das Steueraufkommen. Für das Land Berlin werden im laufenden Jahr Einnahmen von rund 23,7 Mrd. Euro erwartet. Dies bedeutet gegenüber der Steuerschätzung vom November 2020 ein Mehraufkommen von rund 478 Mio. Euro. “Die wirtschaftlichen Indikatoren, die schnell steigenden Fortschritte bei den Impfungen und das außenwirtschaftliche Umfeld deuten darauf hin, dass Deutschland aus der Krise herauswächst. Dennoch wäre es fahrlässig, die unverändert bestehenden, erheblichen Einnahmerisiken zu ignorieren. Dies gilt für die Pandemie, aber auch für mögliche negative wirtschaftliche Folgen der Pandemie wie Insolvenzen”, warnt Berlins Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz. Für die Aufstellung des Doppelhaushaltes 2022/2023 bedeuten die geringeren Steuerausfälle einnahmeseitig eine Reduzierung der noch bestehenden strukturellen Unterdeckung des kommenden Doppelhaushaushaltes. Zudem würden sich zusätzliche Ausgaben abzeichnen, die jeweils eine Erhöhung des strukturellen Defizits bewirkten. Damit bestehe weiterhin ein erheblicher Handlungsbedarf, um in den kommenden Jahren strukturell ausgeglichene Haushalte zu erreichen. “Die Haushaltslage bleibt angespannt, aber eben etwas weniger als erwartet”, sagte Kollatz und erinnerte noch einmal daran, dass die aktuellen Einnahmeerwartungen trotz der Verbesserungen rund 3,1 Mrd. Euro unter dem Vorkrisenniveau liegen würden.

Keine zusätzlichen Spielräume Bessere Einnahmeerwartungen als noch im November 2020 prognostiziert gab es auch für den Freistaat Sachsen. Im Vergleich zur Schätzung vom November 2020 reduzieren sich die Mindereinnahmen 2021/2022 von 2,3 Milliarden Euro auf nunmehr 1,6 Milliarden Euro. Der Freistaat und seine Gemeinden rechnen dennoch weiterhin mit erheblichen Einnahmeausfällen infolge der Corona-Pandemie. Die neuen Prognosen würden keine zusätzlichen finanziellen Spielräume eröffnen. “Die aktuelle Finanzplanung weist bereits jetzt jährlich eine Zwei-Milliarden-Lücke aus. Da verschaffen

die neue Steuerschätzung sowie geringere Tilgungsverpflichtungen für die Notlagenkredite allenfalls etwas Marscherleichterung, mehr aber auch nicht”, so Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann. Die jetzige Schätzung dürfe zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einnahmeerwartungen noch immer deutlich unter dem Vorkrisenniveau liegen. “Vor der Krise haben wir mit deutlich höheren Einnahmen geplant. Diese Lücke wird auch absehbar fortbestehen. Die Mehreinnahmen reduzieren also den Corona-bedingten Kreditbedarf und somit unsere zukünftige Tilgungslast”, betonte Vorjohann. Für die anstehende Beschlussfassung zum Doppelhaushalt 2021/2022 würden sich mit der aktuellen Steuerschätzung keine Veränderungen ergeben. Auch das Land Brandenburg kann in den nächsten Jahren mit etwas höheren Steuereinnahmen rechnen als noch mit der letzten Steuerschätzung im November 2020 prognostiziert. Die Einnahmen würden aber noch weit unter dem Niveau vor Beginn der Corona-Pandemie liegen. Doch auch Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange betonte, dass aus der Steuerschätzung keine zusätzlichen finanziellen Spielräume entstünden. “Wir müssen nach wie vor mit deutlich geringeren Einnahmen als vor Beginn der Corona-Krise rechnen”, so Lange. Nicht ganz so deutlich verbesserte sich die Steuerschätzung in Mecklenburg-Vorpommern: Dort wurde das NovemberSchätzergebnis lediglich im Wesentlichen bestätigt. Unterm Strich bleibe im laufenden Jahr 2021 ein Minus gegenüber der ursprünglichen Haushaltsplanung von circa 600 Mio. Euro. Im kommenden Jahr bleiben die Erwartungen circa 380 Mio. Euro hinter den Vor-CoronaPlanungen zurück. Aufgrund der Corona-Pandemie muss das Land mit Steuermindereinnahmen von insgesamt knapp zwei Mrd. Euro rechnen. “Wenn wir etwas Positives in der Prognose sehen wollen, dann ist es die Aussicht, dass die “Steuerlöcher” nicht weiter anwachsen”, so Mecklenburg-Vorpommerns Finanzminister Reinhard Meyer.


Finanzen

Behörden Spiegel / Juni 2021

D

ie Staatsfinanzkrise hat die Notwendigkeit eines reformierten und harmonisierten öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens in Europa offengelegt. Zur Verbesserung der haushaltspolitischen Überwachung und wirtschaftspolitischen Steuerung der Eurozone wird daher seitens der EU-Kommission die Einführung eines harmonisierten Rechnungslegungsstandards in den EUMitgliedsstaaten (EPSAS) angestrebt. Die aktuelle Diskussion auf europäischer Ebene befasst sich mit der Frage, ob die EPSAS auf Grundlage der internationalen Rechnungsführungsgrundsätze für den öffentlichen Sektor (International Public Sector Accounting Standards (IPSAS)) entwickelt werden können. Die kritische Diskussion, die sich in Deutschland an den Themen “Budgetrecht des Parlaments”, “Wahlfreiheit”, “bewährtes Vorsichtsprinzip” und “erforderliche Objektivierung der Rechnungslegung” festgemacht hat, hat zuletzt im Mai 2020 bei den Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder zur Sorge geführt, dass “mit einer Bilanzierung nach IPSAS internationale Standards zugrunde gelegt werden, die aufgrund ihres kapitalmarktorientierten Ursprungs für den öffentlichen Sektor vielfach nicht geeignet sind und eine zu positive und damit unrealistische Darstellung der Haushaltslage begünstigen könnten” (“Schönfärberei”).

IPSAS-Projekt: unser Beitrag zur EPSAS-Diskussion Mit einem einmaligen und testweisen IPSAS-Abschluss für das Jahr 2019 hat das Land nunmehr untersucht, welche praktischen Unterschiede sich für eine staatliche Gebietskörperschaft gegenüber einem nach § 322 HGB uneingeschränkt tes-

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Hessen mit erkenntnisreichem Praxistest Öffentliche Rechnungslegung nach einheitlichem europäischem Standard (BS/Michael Boddenberg*) Im Sinne von Transparenz und Vergleichbarkeit der öffentlichen Rechnungslegung ist eine Standardisierung nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch und gerade auf nationaler Ebene für Bund, Länder und Kommunen erforderlich. Im Rahmen der aktuellen Diskussion zur Entwicklung von EPSAS (European Public Sector Accounting Standards) hat das Land Hessen im Rahmen eines Praxistests untersucht, ob eine zweckadäquate Rechnungslegung der öffentlichen Hand auch nach IPSAS (International Public Sector Accounting Standards) möglich ist. Das Land hat testweise für das Jahr 2019 einen IPSAS-Abschlusses aufgestellt und festgestellt, dass sich Objektivierung und Vorsichtsprinzip – bei entsprechender Wahlrechtsausübung – entgegen ersten Vermutungen grundsätzlich auch auf Basis von IPSAS umsetzen lassen, wenngleich das nationale Bilanzrecht in den vergangenen Jahren eine Internationalisierung erfahren hat und insoweit mit der EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU eine Standardisierung auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage bereits erfolgt ist. tierten Konzernabschluss nach nationalem Bilanzrecht ergeben. Im Fokus des Projekts, das als sachlicher Beitrag für die weitere Diskussion im Zusammenhang mit der Entwicklung von EPSAS als neuem harmonisiertem Rechnungslegungsstandard konzipiert ist, stand ausschließlich die vorrangig zu untersuchende Frage, ob eine zweckadäquate Rechnungslegung der öffentlichen Hand auch auf Grundlage der IPSAS möglich ist. Nach Auffassung des Landes Hessen hatte insbesondere dieser Aspekt in der in Deutschland durchaus leidenschaftlich geführten Diskussion bislang nicht die erforderliche, praxisgestützte Beachtung gefunden.

Zweckadäquate Rechnungslegung bei Wahlrechtsausübung möglich Der nunmehr vorliegende IPSAS-Abschluss 2019 des Landes Hessen, der zusammen mit einem umfassenden Ergebnisbericht auf der Internetseite des Hessischen Finanzministeriums zum Download zur Verfügung steht (https://finanzen.hessen. de/haushalt/geschaeftsberichte/ themenseite-epsas), hat bereits im Rahmen der Vorstellung am 25. März 2021 u. a. mit Vertretern der Wissenschaft zu interessanten gemeinsamen Erkenntnissen geführt sowie im Rahmen

der nationalen Veranstaltung am 27. April 2021 und der Präsentation in der Sitzung der EPSAS Working Group am 28. April 2021 vor internationalem Publikum hohe Aufmerksamkeit erfahren. Als wesentliche Projekterkenntnis bleibt aus Sicht des Landes Hessen nunmehr zu konstatieren, dass sich Objektivierung und Vorsichtsprinzip (mit Realisations- und Imparitätsprinzip) – bei entsprechender Wahlrechtsausübung – entgegen ersten Vermutungen auch auf Basis von IPSAS umsetzen lassen und bei entsprechenden Vorgaben eine zu positive und damit unrealistische Darstellung der Haushaltslage unterbunden werden kann. Aus unserer Sicht bemerkenswert war auch der überschaubare Umstellungsaufwand für das Land Hessen. Dies hängt damit zusammen, dass das Land als Ausgangspunkt auf einem testierten Konzernabschluss aufsetzt, der aktuellen handelsrechtlichen Vorgaben der §§ 238 ff., 264 ff. HGB folgt, die in den vergangenen Jahren durch verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen bereits eine Ausrichtung an internationalen Rechnungslegungsstandards erfahren haben. Neben dem Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) v. 19.12.1985 sind in diesem Kontext auch das

Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) v. 26.05.2009 sowie das Bilanzrichtlinenumsetzungsgesetz (BilRuG) v. 17.07.2015 anzuführen.

in nationales Recht umzusetzen, sind sämtliche, aktuell 27, Mitgliedsstaaten der EU gefolgt.

In Deutschland auch auf staatlicher Ebene verbindlich

Bilanzrichtlinie 2013/34/EU Der nationale Gesetzgeber hat als gemeinschaftsrechtliche die staatliche Doppik mit den Grundlage bereits vorhanden Bestimmungen der §§ 7a, 49a

Da der Gesetzgeber zuletzt mit dem BilRUG v. 17.07.2015 die neue EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 in nationales Recht umgesetzt hat, die sich mit ihren Vorgaben zur Harmonisierung der Rechnungslegung für den Einzel- und Konzernabschluss in den Mitgliedsstaaten insbes. an Kapitalgesellschaften wendet, stützt sich das nationale Bilanzrecht insoweit auf eine bereits vorhandene und an die IFRS angenäherte gemeinschaftsrechtliche Grundlage. Insbesondere die Frage der zu berücksichtigenden Bewertungsmaßstäbe, im vorliegenden Kontext mithin das Spannungsverhältnis von Anschaffungskostenprinzip und Ansatz von Zeitwerten, zeigt hierbei korrespondierende (Mitgliedsstaaten-)Wahlrechte nach EU-Bilanzrichtlinie einerseits und IPSAS andererseits auf. Der Vorgabe, die neue EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU vom 26.06.2013 bis zum 20.07.2015 in den Mitgliedsstaaten der EU

HGrG in enger Anlehnung an die aktuellen handelsrechtlichen Bilanzierungsvorgaben des HGB gestaltet. Das Handelsbilanzrecht, das auf Grundlage der EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/ EU im privaten Sektor bereits der Harmonisierung der Rechnungslegung in den Mitgliedsstaaten der EU dient, ist insoweit auf staatlicher Ebene bereits auf den öffentlichen Sektor übertragen worden. Die überschaubaren Anpassungen des Landes Hessen bei den Umstellungsarbeiten im Rahmen des Projekts IPSAS-Abschluss 2019 zeigen die sich im Praxistest offenbarenden Gemeinsamkeiten eines auch von der öffentlichen Hand zu beachtenden HGB einerseits und internationaler Rechnungslegungsstandards andererseits.

Harmonisierung in Deutschland nunmehr zwingend erforderlich Die doppische Rechnungslegung für Bund, Länder und Kommunen in Deutschland ist in einem ersten Schritt auf Basis

des aktuellen HGB, das bereits auf gemeinschaftsrechtlicher, internationalisierter Grundlage (Bilanzrichtlinie 2013/34 EU) basiert, zu harmonisieren. Ein gemeinsamer doppischer Standard für die Rechnungslegung von Bund, Ländern und Kommunen – der die Frage der Haushaltsbewirtschaftung unberührt lässt – sollte bereits kurzfristig und unabhängig von Überlegungen einer Harmonisierung auf europäischer Ebene festgelegt werden. Mit diesem Schritt, den der Gesetzgeber auf staatlicher Ebene mit den Grundsätzen staatlicher Doppik i.S.d. §§ 7a, 49a HGrG (Standards staatlicher Doppik) bereits gegangen ist, wird ein Internationalisierungsgrad erreicht, der eine beachtliche Nähe zu den im Übrigen, auch aktuell diskutierten, IPSAS erreicht. Abschließend wird im Detail zu prüfen sein, inwiefern eine Weiterentwicklung des vorhandenen europäischen Bilanzrechts, das für den privaten Sektor mit der RL 2013/34/EU bereits auf einer gemeinschaftsrechtlichen Grundlage aufsetzt, auch in den übrigen Mitgliedsstaaten für den öffentlichen Sektor Anwendung finden kann und eine darüber hinausgehende Anpassung in Richtung IFRS/IPSAS auf dem Weg zu EPSAS überhaupt erforderlich ist. Maßgebliches Ziel der Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung muss ein vergleichbarer und aussagekräftiger Ausweis des Vermögens und der Schulden eines Landes auf Grundlage eines standardisierten doppischen Rechnungswesens sein. Diese Transparenz ist die Politik den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland und Europa schuldig. *Michael Boddenberg leitet seit April 2020 das Hessische Ministerium der Finanzen.


Beschaffung / Vergaberecht

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Forschungsvorhaben für Großprojekte

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usgangspunkt des Projekts ist die Hypothese, dass innovative Formen der Projektsteuerung existieren, welche unter Einsatz moderner, digitaler Technologien zu einem verbesserten Management öffentlicher Großprojekte führen.Als innovative Formen des Projektmanagements werden insbesondere die probabilistische Risikoanalyse und die Überführung der Ergebnisse in Anreizstrukturen für die Auftragnehmer angesehen. Die Angleichung der Zielsysteme zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wird als wesentlicher Erfolgsfaktor angesehen. Die Nutzung und Kombination zeitgemäßer digitaler Technologien (Stichworte Smart Contract und Digital Twin) ermöglichen deren stringente Umsetzung und insgesamt eine risikobasierte Steuerung von Auftragnehmern durch Auftraggeber.

Vier Professuren, zwei Kernergebnisse Um dieses Konzept vertieft zu

Digital Performance Contracting Competence Center (DigiPeC)

strukturieren und einen Gesamtplan für anreizbasiertes Großprojektmanagement entwerfen. Im Knowledge-Pool, der auch ein Vorzeigelabor (“Showroom”) enthält, sollen alle Phasen und ihre Inhalte für Praktiker erlebbar gemacht werden. Darin sollen auch Planungsrunden für bevorstehende Großvorhaben durchgeführt werden.

(BS/Prof. Dr. Michael Eßig/PD Dr. Andreas H. Glas/Prof. Dr. Philip Sander) Nicht nur spektakuläre Einzelfälle wie die mehrjährige Verschiebung der Eröffnung des Berliner Flughafens machen deutlich, wie wichtig die Steuerung von komplexen Projekten an der Schnittstelle zwischen Staat und der zuliefernden Privatwirtschaft ist. Auch bei Rüstungsprojekten treten häufig massive Kosten- und Zeitüberschreitungen auf. Mit einer Staatsquote, die in Deutschland regelmäßig zwischen 44 und 48 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, und einem geschätzten Beschaffungsvolumen von rund 350 Mrd. Euro pro Jahr ergeben sich enorme Optimierungspotenziale. Das neue Forschungsvorhaben DigiPeC adressiert öffentliche Großvorhaben und will im Ergebnis die Zielsysteme von Auftraggebern und Auftragnehmern durch anreizorientierte Verträge und risikobasierte Software-Tool Steuerung so abstimmen, dass die Großprojekte dauerhaft erfolgreicher beschafft und betrieben werden können. erforschen und die Implementierung zu ermöglichen, haben sich in einem Forschungskonsortium vier Professuren zum Projekt “Digital Peformance Contracting Competence Center (DigiPeC)” zusammengeschlossen. Die Kompetenzen aus Beschaffung und Betrieb, Betriebswirtschaft, Bauwirtschaft, Vergaberecht und Rüstungsmanagement werden so gebündelt. Dabei soll das Projekt nicht nur konzeptionell das Thema untersuchen, sondern ist insbesondere auf die der Implementierung und der Vermittlung

qanuun-aktuell Politische Funksignale von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Dieses Frühjahr sollten zwei gesetzliche Neuerungen der Korruptionsbekämpfung einen deutlichen Schub geben: Die EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, sollte durch ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern in nationales Recht umgesetzt werden. Vor Kurzem wurde bekannt, dass die Große Koalition sich nicht einigen konnte. Damit ist das Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode gescheitert und ein Vertragsverletzungsverfahren ist nicht auszuschließen. Still ist es auch um den Regierungsentwurf zum Verbandssanktionengesetz geworden. Ob die Verfasser Zweifel bekommen haben, angesichts der deutlichen, verfassungsrechtlichen Kritik wegen Missachtung der Zurechnungsprinzipien nach dem Strafrecht einerseits und dem Zivilrecht andererseits sowie der zweifelhaften Etikettierung als Ahndungsinstrument eigener Art, ist fraglich. Demgegenüber zeigte sich der Gesetzgeber deutlich zupackender in eigener Angelegenheit. Die sog. Maskenaffäre soll zu einer Änderung des Abgeordnetengesetzes führen und so wurde der Gesetzentwurf bereits

Behörden Spiegel / Juni 2021

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

Ende April 2021 eingebracht. Die Annahme von Spenden zur eigenen Verwendung ist Bundestagsabgeordneten künftig verwehrt, ebenso bezahlte Vortragstätigkeiten oder entgeltliche Beratungstätigkeiten im Zusammenhang mit dem Mandat. Transparenz soll künftig bezüglich der Einnahmen aus Nebentätigkeiten oder Unternehmensbeteiligungen deutlich größer geschrieben werden. Damit werden die Anforderungen an die Integrität von Mandatsträgern schrittweise jener der Amtsträger angenähert. Es darf vermutet werden, dass ein besonderes Ereignis im September für diese unterschiedlichen Handlungsgeschwindigkeiten ursächlich ist.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

ausgerichtet. So kann man die Kernergebnisse prägnant mit “Knowledge-Pool” und “SoftwareTool” umschreiben.

Knowledge-Pool Das Forschungsvorhaben versteht Großprojekte als ein komplexes Geflecht von Informationsasymmetrien. Ein solches Geflecht lässt sich durch einen einzelnen Akteur (z. B. öffentliche Auftraggeber, Gutachter usw.) im Detail nicht mehr überblicken. Ganz im Gegenteil müssen die anderen Akteure (z. B. Auftragnehmer von Gewerken) einen Informationsvorteil haben, denn sie stellen ihr Produkt her und haben dazu die technische Expertise. In so einem Fall, soll der Auftraggeber versuchen, sein Zielsystem zum Zielsystem der anderen Akteure zu machen. Anreizorientierte Verträge (“Performance Based Contracts”) sind genau ein solches Instrument, in dem der Auftraggeber Kosten- und Leistungsziele (“Performance”) definiert und diese mit einem Bonus-Malus-System (“Pain and Gain”) versieht. Das sei an einem einfachen Beispiel verdeutlicht: Anstatt Lieferanten für die Kosten einer Instandhaltung bspw. einer Straße oder eines Luftwaffenflugzeugs gegen Nachweis der entstandenen Aufwendungen zu entlohnen, wird

Prof. Dr. Michael Eßig ist Professor für Beschaffung und Supply Management, PD Dr. Andreas H. Glas arbeitet als Geschäftsführer der Forschungsgruppe DASM und Prof. Dr. Philip Sander leitet das Institut für Projektmanagement und Bauwirtschaft (v.l.n.r.). Alle drei sind an der Universität der Bundeswehr tätig. Fotos: BS/privat

eine Verfügbarkeitsgröße (bspw. Verfügbarkeit einer Fahrspur oder Anzahl benötigter Flugstunden) vorgegeben und die Erreichung mit einem (monetären) Anreiz versehen. Die Grundidee anreizorientierter Verträge ist relativ einfach, ihre Ausgestaltung und Implementierung gerade bei Großprojekten im öffentlichen Sektor aber nicht trivial. Das liegt zum einen am besonderen Charakter komplexer Beschaffungsprojekte (Vielzahl von Risiken, zahlreiche Schnittstellen, häufig enger Zeitrahmen, hohe Wahrscheinlichkeit der Leistungsänderung (technisch, politisch etc.)) und zum anderen an den spezifischen Rahmenbedingungen öffentlicher Auftraggeber. Diese

Rahmenbedingungen betreffen die jeweiligen Projekte als solche (z. B. Vorgaben aus einem Planfeststellungsbeschluss oder aus Zuwendungsbescheiden von Fördermittelgebern), den eigentlichen Beschaffungsprozess (v. a. Anwendung des Vergaberechts) und die Phase der Vertragssteuerung (u. a. Haushaltsrecht und Verwaltungsrecht, namentlich staatliche Aufsichtsmechanismen). Hinzu kommt, dass bislang bei der Bewertung und beim Einsatz solcher Vertragstypen digitale Technologien kaum eine Rolle spielen, sodass eine Digitalisierung des Beschaffungs- und Vertragsprozesses explizites Ziel dieses Vorhabens ist. Das Forschungsvorhaben DigiPeC wird diesen Themenkomplex

Das Planungsinstrument für das anreizbasierte Großprojektmanagement stellt eine Software dar, welche zusammen mit einem forschenden Unternehmen entwickelt wird. Die Software stellt den Rahmen für die Dateneingabe (Import) und Analyse zur Verfügung, ist aber gleichzeitig die Basis für den digitalen Zwilling im Großprojektmanagement. Die Software soll zudem befähigt sein, einen “Smart Contract” abzubilden oder einzubetten. Das Vorhaben DigiPeC beinhaltet explizit die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis, dazu werden zwei Use Cases aus den Bereichen Bauwirtschaft und Rüstung gemeinsam mit Vertreter(-inne)n öffentlicher Auftraggeber entwickelt. Insgesamt geht man aber davon aus, dass die Ergebnisse skalierbar sind und auch für viele andere öffentliche Auftraggeber von Interesse sein werden. Das Forschungsvorhaben hat im Januar 2021 begonnen. Die Dauer ist aktuell auf vier Jahre ausgelegt, wobei der Bedarf, Großprojekte der öffentlichen Hand wissenschaftlich zu unterstützen sicher auch dauerhaft etabliert, werden sollte. Das Vorhaben DigiPeC wird durch dtec.bw – Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr gefördert.

Open-Source-Software in der deutschen Verwaltung Eine Ist-Aufnahme auf Landes- und Bundesebene (BS/Marc Philip Greitens/David Rappenglück/Dr. Martin Schellenberg*) Unabhängig von internationalen Tech-Giganten: Davon träumen Verantwortliche staatlicher IT-Institutionen seit Langem. Open-Souce-Software (OSS) ist das Zauberwort, das Bund Ländern, Gemeinden und öffentlichen Unternehmen die Freiheit von ausländischer IT-Unterjochung bringen soll. Im Unterschied zu proprietärer Software ist der OSS-Quellcode für jedermann frei zugänglich und darf beliebig kopiert, genutzt und geändert werden. Auf den ersten Blick mag dies als Sicherheitsrisiko erscheinen. Aber nach Ansicht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) liegt hierin gerade die Stärke von Quellcodeoffener Software. Im Unterschied zu proprietärer Software ist der Quelltext von Open-Source-Software durch jedermann einsehbar. Hierdurch sind beispielsweise Sicherheitslücken schneller zu erkennen und können unabhängig vom Hersteller behoben werden. Wohl auch deshalb setzen mittlerweile 60 Prozent der deutschen Unternehmen Open-Source Software ein. Die deutsche Verwaltungslandschaft ist hiervon allerdings noch weit entfernt. Das jüngst veröffentlichte Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zum Thema “Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise” stellt einleitend fest, Deutschland sei beim Ausbau der digitalen Infrastruktur und beim Einsatz digitaler Technologien im Vergleich zu vielen anderen OECD-Staaten zurückgefallen. Wie ist also hierzulande der aktuelle Stand? Das BSI entwickelt und verwendet Quelltext-offene IT-Lösungen, die in unterschiedlichen Bundesbehörden eingesetzt werden. Beispiel: die Kommunikationssoftware SINA. Diese wird vom Auswärtigen Amt für die sichere Kommunikation zwischen deutschen Auslandsvertretungen verwendet. In der strategischen Ausrichtung des BSI wird zudem ausdrücklich die Entwicklung und Verwendung von Open-

Open-Source-Software bietet für die öffentliche Verwaltung durchaus Vorteile. Foto: BS/WrightStudio, stock.adobe.com

Source-Software genannt. Mit dem Informationstechnikzentrum Bund (ITZ) bietet inzwischen auch der zentrale IT-Dienstleister der Bundesregierung Open-Sourcebasierte IT-Lösungen an. Bereits seit mehr als 15 Jahren wird die Cloud-Lösung der Bundesregierung, “Goverment Site Builder” (GSB), vom IZT entwickelt und betrieben. Länderübergreifende IT-Dienstleister wie Dataport lassen zentral OSS-Lösungen für ihre Mitglieder entwickeln. Auf Landesebene ist SchleswigHolstein vorgeprescht: Im Zuge

Save the Date Welche Lehren aus der CoronaPandemie für die öffentliche IT-Beschaffung zu ziehen sind und wie Open-Source-Software in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden kann, thematisieren die Autoren in einem Webinar des Behörden Spiegel am 15. Juni 2021. Weitere Informationen unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Open-Source”.

der Open-Source-Strategie der Landesregierung ist die Umstellung der IT-Systeme der gesamten Landesverwaltung auf Quelltext-offene Lösungen bis zum Jahr 2025 geplant. Ziel ist es hierbei, eine Abhängigkeit der Verwaltungsstruktur von pro­ prietärer Software zu verringern. In Bayern zeichnet sich ein differenziertes Bild. Bereits eingeführt ist eine Open-SourceCloud für die bayerische Kommunalverwaltung. So setzt die Vermessungsverwaltung im Landesamt und in allen 51 Ämtern für Digitalisierung, Breitband und Vermessung als Betriebssystem eine Open-Source-Lösung ein. Im Bereich der Staatsverwaltung wird aktuell hingegen vorwiegend proprietäre Software eingesetzt. Open-Source-Alternativen werden aber in der Regel bei einer Neuvergabe geprüft. Auch in den Städten und Kommunen variiert der Einsatz von OpenSource-Software stark. Während Quelltext-offene IT-Lösungen in einigen Kommunen seit deren Veröffentlichung Mitte der 90erJahre verwendet werden, ist im Großteil der Kommunen primär

proprietäre Software in Verwendung. Eine Umfrage des Deutschen Städtetages zum Einsatz von Open Source in Kommunen aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Schluss, dass, insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen Herstellerabhängigkeit bei proprietärer Software, den Kommunen die Dringlichkeit der Beschäftigung mit OpenSource-Software bekannt sei. In der Praxis erscheint jedoch gerade im kommunalen Bereich der Umstieg auf Open-SourceLösungen häufig als zu schwer. Neben Fragen der Beschaffung erscheint insbesondere die Migration, also der Wechsel von einer bestehenden, proprietären IT-Systemlandschaft in eine Quelltext-offene Lösung, als zu schwer. Dies zeigt das Beispiel LiMux in München. Ziel dieses seit dem Jahr 2003 laufenden Projektes war es, rund 15.000 Arbeitsplätze städtischer Mitarbeiter in Open-Source-Systeme zu migrieren. Ende November 2017 hat der Stadtrat jedoch beschlossen, das LiMux-Projekt zu beenden und sämtliche Rechner zurück in eine proprietäre Software-Lösung zu migrieren. Aktuell wird diese recht wechselvolle IT-Geschichte der Stadt München fortgeschrieben: Der rot-grüne Stadtrat möchte erneut auf Quelltext-offene IT-Lösungen setzen. *Marc Philip Greitens, David Rappenglück und Dr. Martin Schellenberg arbeiten als Rechtsanwälte in der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek.


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / Juni 2021

► Entscheidungen zum Vergaberecht ► UMSATZ

Formfehler vermeiden Vorsicht mit Formblatt 124! Ob und wie der Auftraggeber von den Bietern eine Geschäftserfahrung verlangen kann, darüber geben zwei Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Dresden und Schleswig Auskunft. In beiden Fällen hatten die Auftraggeber mit den Vergabeunterlagen das Formblatt 124 ausgereicht, in dem die einschlägigen Umsätze der vergangenen drei Geschäftsjahre zu benennen waren. In beiden Fällen wehren sich Bieter gegen ihren Ausschluss, weil sie für einige zurückliegende Jahre den Umsatz mit “0 EUR” angegeben hatten. In Dresden hat der Bieter erfolg, in Schwerin nicht. Der Unterschied beider Entscheidungen liegt im Detail: Der sächsische Auftraggeber hatte angenommen, allein die Forderung nach Benennung des Jahresumsatzes sei konkludent so zu verstehen, dass natürlich ein Umsatz getätigt worden sein müsse, um die Eignung nachzuweisen. Ausdrücklich formuliert hat er die Anforderung nicht. Anders im Schleswiger Fall. Der dortige Auftraggeber hatte eine dreijährige Tätigkeit als Eignungskriterium in der Bekanntmachung genannt, was auch durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt war. Deswegen hatte der Ausschluss in Schleswig Bestand: Wer angibt, keinen Umsatz gemacht zu haben, kann zu diesem Zeitpunkt nicht geschäftstätig gewesen sein. In Dresden fehlte diese Anforderung an die Erfahrungsdauer und ebenso war kein Mindestumsatz gefordert. Entsprechend konnte wegen der Null im Formular 124 kein Ausschluss verhängt werden. OLG Schelswig (Beschl. v. 10.12.2020, Az.: 54 Verg 4/20) OLG Dresden (Beschl. v. 05.02.2021, Az.: Verg 4/20)

► URHEBERRECHT

Kein Anspruch des Architekten Sanierung eines Werkes der Baukunst Im Jahr 1991 hatte ein Architektenbüro ein besonders originell gestaltetes Schul- und Internatsgebäude entworfen. Nun soll dieses Bauwerk saniert werden, wobei auch ein Teilabriss nicht ausgeschlossen werden kann. Die Planungsphasen 1 und 2 für diese Sanierung hat der Schulträger öffentlich ausgeschrieben. Dagegen wehren sich die Erben des Architekten: Sie meinen, es handele sich um ein Werk der Baukunst, an dem sie das Urheberrecht besäßen. Deswegen dürfe nur an ihr Architekturbüro der Planungsauftrag vergeben werden. Eine Ausschreibung sei unzulässig. Mit diesem Ansinnen bleiben sie aber aus gleich einer Vielzahl von Gründen ohne Erfolg. Zum einen ist nur die Planung der Sanierung ausgeschrieben. Ein Eingriff in die Rechte fände aber erst statt, wenn der Eigentümer tatsächlich Hand an das Gebäude anlegt. Zum anderen hindert das Urheberrecht den Eigentümer auch nicht vollständig an Änderungen am Gebäude. Vielmehr müssten dann Eigentums- und Urheberrechte gegeneinander abgewogen werden, was einerseits nur anhand der Planung möglich ist, aber im Streitfall durchaus auch zum Nachteil des Urhebers ausgehen

kann. Und zum Dritten ist selbst die Einordnung des Gebäudes als Werk der Baukunst nicht unstrittig. Solange aber nicht klar ist, ob überhaupt ein Urheberrechtsanspruch der Erben besteht, können sie nicht verlangen, dass ihnen allein der Auftrag gebühre. Im Übrigen sind sie nicht rechtlos. Falls ihnen die Planung nicht gefiele, stünde ihnen der ordentliche Rechtsweg zu den Zivilgerichten offen. OLG München (Beschl. v. 28.09.2020, Az.: Verg 3/20)

►FREMDSPRACHEN

Auch Tschechisch ist OK Übersetzung darf, aber muss nicht sein Die Zahl der des Tschechischen mächtigen Mitarbeiter in deutschen Behörden dürfte recht überschaubar sein. Was also tun, wenn ein Bieter als Nachweis für eine technische Eigenschaft des eingesetzten Gerätes eine Herstellerbescheinigung vorlegt, die in tschechischer Sprache verfasst ist? Der Auftraggeber hat – offenbar ohne entsprechende Sprachkenntnisse – diese Bescheinigung akzeptiert. Er hat die entsprechenden englischen Bezeichnungen für die Geräteeigenschaft in diesem Text gefunden und schloss daraus, dass demnach die Anforderungen wohl erfüllt seien. Die Vergabekammer meint, dieser Vorgang entzöge sich ihrer Beurteilung. Es sei nicht Aufgabe der Vergabekammer, zu überprüfen, ob der Auftraggeber den Inhalt der Bescheinigung wirklich richtig verstanden habe, zumal die technische Anforderung seit über zehn Jahren am Markt üblich sei. Außerdem hat auch der Antragsteller nicht vorgetragen, dass die fragliche Bescheinigung seines Konkurrenten etwas anderes aussagen würde. Solange der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen nicht ausdrücklich die Angebote auf die deutsche Sprache beschränkt habe, müsse er zunächst aufgrund Art. 26 Abs. 2 AEUV alle Dokumente zulassen, die in einer EU-Amtssprache verfasst sind. Der AEUV geht jedenfalls für europaweite Ausschreibungen insofern der Bestimmung der deutschen Amtssprache nach § 23 VwVfG vor. Der Auftraggeber darf, aber er muss nicht eine Übersetzung verlangen. Er darf auch versuchen, ein fremdsprachiges Dokument ohne Übersetzung zu verstehen. VK Lüneburg (Beschl. v. 29.10.2020, Az.: VgK-34/2020)

► AUTOBAHN

Neue Zuständigkeit Auch für laufende Verfahren Bei den bisherigen Novellen des Vergaberechts galt regelmäßig, dass dasjenige Recht anzuwenden ist, das am Beginn eines Vergabeverfahrens gegolten hatte. Das hat zwar einige Male Streit darüber ausgelöst, wann denn nun genau ein Verfahren im Rechtssinne beginnt. Der Ablauf des Verfahrens wurde dann aber nicht mehr durch intermediäre Änderung der Vorschriften gestört. Das gilt aber nicht immer, wie jetzt ein Bieter um Ausbesserungsarbeiten an einer Autobahnbrücke lernen musste. Am 23.11.2020 bemängelte er die vermeintliche Ausschlussbedürftigkeit der bei Submission vor ihm

platzierten Konkurrenten. Nach Nicht­abhilfemitteilung stellte er seinen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Landes am 15.01.2021, denn das Vergabeverfahren wurde ja von einer Landesbehörde in Bundesauftragsverwaltung gestartet. Die Vergabekammer des Landes aber verweist das Verfahren an diejenige des Bundes: Seit dem 01.01.2021 liegt die Verwaltung der Autobahnen bei der bundeseigenen Autobahn GmbH. Dass die Bundesauftragsverwaltung zum 31.12.2020 erlosch, ist unstrittig. Aber hier werden auch begonnene Vergabeverfahren nicht von den Landesbehörden zu Ende geführt. Die Vergabekammer verweist auf die ausdrückliche Bestimmung in § 10 II FernstrÜG, wonach der Bund stichtagsgenau in alle laufenden Vergabe- und Gerichts- und sonstigen Verfahren und Rechtspositionen eintritt. VK Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 28.01.2021, Az.: VK 2-2/21)

► MINDESTLOHN

Zum halben Preis Kalkulation hält der Prüfung stand Für die regelmäßige Reinigung von Landstraßen lagen dem Auftraggeber vier Angebote vor. Das Preisgünstigste verlangte nur rund die Hälfte seiner eigenen Kostenschätzung. Aber auch zwei weitere Angebote lagen noch deutlich darunter. Nur der teuerste Bieter lag in etwa auf dem Niveau der Schätzung. Nachdem er von der Wertungssumme des zum Zuschlag vorgesehenen Bieters erfahren hat, verlangte er die Nachprüfung. Er trug vor, dass ein solcher Preis wohl unter Einhaltung des Mindestlohnes gar nicht möglich sei. Der Auftraggeber habe wohl die Preise nicht ordnungsgemäß geprüft und z. B. übersehen, dass der Mindestlohn während der Vertragslaufzeit ja auch steigen werde. Außerdem liege der Sitz des Bieters 300 Kilometer vom Einsatzort entfernt. Es sei also zu befürchten, dass die Mitarbeiter der Reinigungsrotten in irgendwelchen Massenunterkünften untergebracht würden. Die Vergabekammer weist die Nachprüfung zurück. Die Vermutungen hinsichtlich des Mindestlohns lassen sich durch den Inhalt der Urkalkulation widerlegen. Der Bieter hatte mit einem Mittellohn kalkuliert, der sogar den höheren allgemeinverbindlichen Tariflohn übersteigt. Die Frage der Unterbringung seiner Mitarbeiter hingegen sei für die Vergabeentscheidung unerheblich, solange nicht schon im laufenden Vergabeverfahren ein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass der Auftraggeber dabei rechtwidrig handelt. Dazu aber hat der Antragsteller nichts vorgebracht. Im Gegenteil: Auch die Überprüfung der Referenzen hat keine Anhaltspunkte für Ausschlussgründe ergeben. Die Preisunterschreitung erklärt sich offenbar schlicht dadurch, dass der Auftraggeber seit der vorangegangenen Ausschreibung in seine Schätzung einen viel zu großen Puffer eingebaut hatte. VK Lüneburg (Beschl. v. 30.11.2020, Az.: VgK-44/2020)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Diplomaten Spiegel

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L

etzterer ist der größte Teilstaat aus der seligen Sozialistischen Föderativen Republik, die Hauptstadt immer noch Belgrad und seine Botschafterin bei uns: Dr. Snežana Janković. Die DiplomPhilologin (japanische Sprache und Literatur) promoviert an der Senshu Universität in Japan und macht ihren Magister in Belgrad. 1997 beginnt die heute 51-jährige den diplomatischen Dienst in der serbischen Botschaft in Japan und wird dort 2006 Stellvertreterin des Missionschefs. Nach Stationen im Belgrader Außenministerium kommt sie 2014 als Botschafterin in die Schweiz und im Oktober 2019 als Frontfrau zu uns nach Berlin.

Europa – ein Garant für Stabilität Ein Gespräch mit der serbischen Botschafterin Dr. Snežana Janković in Berlin (BS/PS) Bis Ende des letzten Jahrhunderts grenzt das Land noch an Italien, Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Albanien, an die Adria mit zahlreichen Inseln, heißt Jugoslawien und hat ein halbes Dutzend Teilrepubliken. Daraus werden seit 2006 sechs souveräne Staaten: Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzogowina, Montenegro, Nord-Mazedonien und Serbien.

Land und Leute kennenlernen “Das ist jetzt fast anderthalb Jahre her, dass ich in Berlin angekommen bin – und kurz danach bricht hier die Covid19-Pandemie aus, die das soziale und öffentliche Leben stark einschränkt. Jedenfalls war und bin ich nicht in der Lage, Land und Leute hier so kennenzulernen, wie ich es mir wünsche”, bedauert Janković. Daher könne sie es kaum erwarten, dass sich die Situation bessere, restriktive Maßnahmen gelockert und die Botschaftsaktivitäten in vollem Umfang wiederhergestellt würden. “Die in Serbien vorherrschende Meinung über die Deutschen ist, dass sie ein diszipliniertes und verantwortungsbewusstes Volk sind, was sich in Corona-Zeiten überaus bestätigt. Es zeigt sich, dass sie zuverlässige und gute Geschäftspartner sind, die auch offen für neue Erkenntnisse und angenehme Gesprächspartner sind.”

Wichtiger Handelspartner So sind auch die bilateralen Beziehungen zwischen unseren Ländern sehr gut, dynamisch und fruchtbar. “Insbesondere möchte ich die in der Wirtschaft erwähnen. Deutschland ist unser größter Handelspartner mit einem Außenhandelsvolumen im vergangenen Jahr, trotz der Pandemie und das zweite Jahr in Folge, von über fünf Milliarden Euro. Mehr als 400 deutsche Unternehmen mit fast 70.000 Mitarbeitern sind bei uns tätig. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten acht Jahren von 26,9 auf 7,3 Prozent gesunken und die Staatsverschuldung von 79 Prozent im Jahr 2014 auf 58 Prozent 2020. Unsere Kooperationen zeichnen sich durch ein wachsendes gegenseitiges Verständnis und immer mehr Bereiche mit gemeinsamen Interessen aus. Ein wichtiger Faktor dabei sind hunderttausende gut integrierte Bürger serbischer Herkunft”, berichtet die Botschafterin.

Klarer Appell Nicht ganz so rund läuft es für Belgrad bzgl. der Mitgliedschaft in der EU. Seit 2014 Beitrittskan-

Behörden Spiegel / Juni 2021

Arbeitet mehr als die Hälfte ihres Lebens im diplomatischen Dienst: Dr. Snežana Jankovićć, Botschafterin der Republik Serbien. Fotos: BS/Botschaft der Republik Serbien

der Botschafterin Rezept Vanilice – serbisches Vanillegebäck

Zutaten: 200 g Butter, 4 EL Zucker, 1 Ei, 1 Eigelb, Zitronensaft, 1 Päckchen Vanillezucker, 500 g Mehl, Marmelade nach Wahl, Puderzucker Zubereitung: Für das serbische Vanillegebäck Butter und Zucker cremig rühren, Ei und Eigelb zugeben und weiterrühren, anschließend Zitronensaft und Vanillezucker langsam hinzufügen und am Ende das Mehl zugeben.

didat, hat diese nach wie vor hohe außenpolitische Priorität. “Seit zwei Jahrzehnten ist das politische, wirtschaftliche und soziale Leben in Serbien von Reformen geprägt, die auf den Beitritt zur EU abzielen. Der Staat ist nicht nur geografisch, sondern auch kulturell und historisch, aber vor allem durch wirtschaftliche, soziale und zwischenmenschliche Beziehungen Teil Europas. Vier der acht Nachbarn Serbiens sind EUMitglieder. Es ist nur natürlich, dass auch wir das anstreben. Unsere Beziehungen sind über Generationen gewachsen, die in Europa ausgebildet wurden, aber auch durch die wachsende Zahl europäischer Unternehmen, die ihre Produkte auf dem serbi-

Ist der Teig zu fest, etwas Milch hinzufügen. Die Masse gut durchrühren, zu einer Kugel formen, in Frischhaltefolie einwickeln und im Kühlschrank 30 Minuten ruhen lassen. Nun den Teig 4–5 mm dick ausrollen und mit einem runden Ausstecher Kekse ausstechen, auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech legen, im vorgeheizten Backofen bei 180 °C etwa 15 Minuten backen und abkühlen lassen. Die Hälfte der Kekse mit Marmelade bestreichen und mit je einem zweiten Keks bedecken, zuletzt die Vanilice in Puderzucker wälzen.

schen Markt produzieren. Unsere Beitrittsverhandlungen müssen jedoch schneller geführt werden”, fordert Janković. “Wir haben die neue Erweiterungsmethodologie akzeptiert und sind zuversichtlich, dass sie sowohl im besten Interesse der Union als auch der Kandidaten ist, und wir sind bereit, die Anstrengungen zu verstärken, um die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft zu erfüllen. Die Fristen hierfür haben sicherlich weniger Bedeutung,als die Qualität des Verhandlungsprozesses, aber ich glaube auch, dass das Jahr 2025, das in der EU-Erweiterungsstrategie erwähnt wurde, das Ziel ist, das wir anstreben sollten. Ich glaube auch an die

aufrichtige Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern und an ihre Unterstützung, die sie auf mehrfache Weise zum Ausdruck gebracht haben, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland. Dafür sind wir sehr dankbar – für die Erreichung unseres wichtigsten außenpolitischen Ziels, der EU-Mitgliedschaft.”

Gutes Image Da trifft es sich gut, dass das Image Serbiens, ob seines politischen und wirtschaftlichen Reformkurses seit der demokratischen Wende im Herbst 2000, allenthalben gut ist. Vor allem bei uns, dem “Schlüsselpartner” in der EU. Überzeugend ist auch

Ort der Zusammenkunft: Der Kaminsaal mit seinen Gemälden wird für viele offizielle Veranstaltungen wie Empfänge oder Abendessen genutzt.

der Umgang der Balkanrepublik mit Corona. Zwei speziell für Corona-Patienten konzipierte Krankenhäuser werden gebaut, vier Impfstoffe (Biontech/Pfizer, AstraZeneca, Sputnik V, Sinopharm) in großer Zahl bereitgestellt und einfach und schnell verimpft. Dadurch hat das Land, nach Großbritannien, die höchste Impfrate Europas. Gegenüber Impfmuffeln bei Beamten und Staatsbediensteten zeigt die Regierung Aleksandar Vučić ebenfalls klare Kante: Ihnen wird das Krankengeld um gut ein Drittel gekürzt, wenn sie an Covid-19 erkranken. Im Übrigen kann sich seit dem 6. Mai 2021 jeder Staatsbürger auch ohne die bisher notwendige Anmeldung per Internet oder Telefon in Sonderimpfstationen gegen das Virus impfen lassen – und soll dafür, wenn er dies bis spätestens 31. Mai getan und seine Impfung im Internet registriert hat, noch im Juni 2021 eine Geldprämie von 3.000 Dinar bekommen, umgerechnet gut 25 Euro. Eine durchaus ansehnliche Summe in Serbien, wo viele nur umgerechnet 300 Euro im Monat verdienen. “Ich möchte auch die großen Bemühungen der Botschaft erwähnen, hierzulande ein reales Bild zu schaffen. In der deutschen Öffentlichkeit ist wenig bekannt, dass bedeutende Größen der serbischen und deutschen Kultur, wie z. B. der serbische Sprachreformer Vuk Stefanović Karadžić mit Johann Wolfgang von Goethe, Jacob Grimm und Wilhelm von Humboldt zusammenarbeitete und mit ihnen befreundet war”, sagt Janković.

Diskussionspunkt Kosovo Unterschiedliche Auffassungen vertreten beide Staaten jedoch bezüglich der Unabhängigkeit Kosovos, welche die ehemals autonome serbische Provinz im Februar 2008 einseitig erklärt. Berlin hat diese, als einer der ersten Staaten, im selben Monat anerkannt. Belgrad engagiert sich und sucht auch einen Modus Vivendi mit Priština. “Von außerordentlicher Bedeutung für Serbien und seine Bürger ist es”, so Snežana Janković, “eine dauerhafte Lösung in der Kosovo-Frage zu finden. Serbien hält an dem von der EU vermittelten Dialog zwischen Belgrad und Priština fest und besteht darauf, dass das, was im Rahmen des Dialogs vereinbart wurde, umgesetzt werden muss. Dabei geht es u. a. um Vereinbarungen über die Bildung der Gemeinschaft serbischer Gemeinden,

Telekommunikation, Energie, Justiz usw.” “Ich möchte betonen, dass die Gemeinschaft serbischer Gemeinden für uns von entscheidender Bedeutung ist, aber leider gibt es auch sieben Jahre nach dem Abkommen keine Fortschritte. Serbien ist bereit, die Gespräche in gutem Glauben wieder aufzunehmen, dass das Ergebnis des Dialogs eine nachhaltige Kompromisslösung sein wird, die für beide Seiten und im Interesse aller Bürger akzeptabel sein sollte”, erklärt die Diplomatin.

Freude am Brücken bauen Über die Hälfte ihres Lebens ist Dr. Snežana Janković mittlerweile im diplomatischen Dienst. “Ich liebe diese Arbeit sehr und betrachte sie als großes Privileg. Die Möglichkeit, Serbien in der Bundesrepublik zu vertreten, ist für mich eine außerordentliche Ehre und Verantwortung. Die tägliche Behandlung bilateraler Fragen in unseren äußerst reichen und intensiven Beziehungen bereitet mir große Freude. Dabei Brücken zu bauen und Möglichkeiten für ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen den Ländern zu finden, den zwischenmenschlichen Austausch in allen Bereichen zu intensivieren und meine Heimat dem Gastland näher zu bringen, darum geht es mir, denn das zeichnet nach meiner Meinung einen guten Botschafter aus. Wenn ich in der Lage wäre, etwas anderes zu tun, dann eventuell an der Universität, wo ich mein Berufsleben als Dozentin begann.” Sie hat ihre “Mitte” gefunden und würde allenfalls mal “für einen Tag mit einem Wissenschaftler auf der Suche nach einem Anti-Corona-Medikament tauschen, in dessen Arbeit alle Hoffnungen und Erwartungen der heutigen Menschheit für unsere bessere gemeinsame Zukunft gesetzt sind”. Und Letztere sieht die Botschafterin nach wie vor in einer starken Union, als Garant für Stabilität und Wohlstand in Europa. "Es existiert kein ähnliches und gleichzeitig erfolgreiches Projekt in der bisherigen Geschichte. Eine Staatengemeinschaft als Friedens-, Wirtschafts- und Politikprojekt, welches auf den höchsten demokratischen Werten und Menschenrechten beruht. Ich glaube, dass Serbiens Platz, als ein altes europäisches Land, in der Europäischen Union ist. Dies ist mit Sicherheit die beste Lösung für uns alle. Darüber hinaus möchte ich die Leserinnen und Leser einladen, eines Tages, wenn touristische Reisen wieder möglich sind, Serbien zu besuchen und seine natürliche Schönheit zu entdecken, aber auch die Freundlichkeit und Gastfreundschaft unseres Volkes” so Janković abschließend.


Organigramm

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Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz ANSCHRIFT Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Archivstraße 2 30169 Hannover Telefon: 0511/120-0 Telefax: 0511/120-3399 E-Mail: poststelle@mu.niedersachsen.de Internet:www.umwelt.niedersachsen.de

Stabsstelle Investitions- und Fördermanagement Klima- und Umweltmaßnahmen Torsten Eule -3457

Minister Olaf Lies

Gesamtkoordinator Projekt Asse II Andreas Sikorski -3328 Geschäftsstelle: N.N.

HPR-Vorsitzende: Birgitt Simon PR-Vorsitzender: Dr. Jörg Markhöfer Schwerbeh.-Vertrauensperson: Frank Ahrens

Foto: BS/picture alliance, Holger Holleman, dpa

Staatssekretär Frank Doods Abteilung 1

Abteilung 2

Zentrale Aufgaben

Björn Ungruhe

-3325

Referat 10 Ministerbüro, Pressestelle Christian Budde -3304 Referat 11 Personal, Organisation Christian Haegele -3319 Referat 12 Haushalt, Finanzen Torsten Eule -3457 Referat 14 Umweltinformation, Digitalisierung, E-Government N.N. -3481 Referat 15 Innerer Dienst Peter Kunz

Abteilung 3

Naturschutz, Wasserwirtschaft, Bodenschutz

-3221

Referat 16 Justiziariat, Zentrale Vergabestelle, EU-Beihilferecht Dr. Jan Christoph Weise -3475 Referat 18 Strategie, Kabinett, Landtag, Bundes- und Europaangelegenheiten, Dr. Wolfgang Langhorst -3286

Ingelore Hering

Immissionsschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschutz -3338

Referat 21 Grundsatzangelegenheiten der Wasserwirtschaft, Koordinierung der EG-WRRL, Objektverwaltung, Datenmanagement, Gewässerkundlicher Landesdienst Cornelia Scupin -3335 Referat 22 Küstenschutz, Hochwasserschutz, Abwasser, wassergefährdende Stoffe Martin Ast -3371 Referat 23 Grundwasser, Wasserversorgung, Bodenschutz Dr. Astrid Krüger -3348 Referat 24 Oberflächen- und Küstengewässer, Meeresschutz Ralf Kaiser -3368

Referat 26 Grundsatzangelegenheiten des Naturschutzes, EU-Naturschutzförderprogramme, Referatsübergreifende Naturschutzaufgaben Irene Dahlmann -3554 Referat 27 Natura 2000, Schutzgebiete Alexandra Stück -3549 (m.d.W.d.G.b.)

Dr. Bernd Martin Groh

-3246

Referat 31 Grundsatzangelegenheiten der Gewerbeaufsichts- und Abfallwirtschaftsverwaltung, Koordinierung Uwe Hoffmann -3236 Referat 32 Produktverantwortung Chemikaliensicherheit, Ökodesign, Gentechnologie Dr. Heike Buschhorn-Biedermann -3162

Referat 28 Biologische Vielfalt, Artenschutz Hans-Jörg Schrader -3485 (m.d.W.d.G.b.)

Referat 33 Anlagenbezogene Luftreinhaltung, Anlagensicherheit, Störfallvorsorge, Emissionshandel Dr. Jürgen Bardenhagen -3491

Referat 29 Rechtsangelegenheiten des Naturschutzes Volker Brengelmann -3662

Referat 34 Gebiets- u. verkehrsbezogene Luftreinhaltung, Schutz vor Lärm und sonstigen physikalischen Einwirkungen Dr. Bernd Wiener -3479 Referat 36 Kreislauf- u. Abfallwirtschaft, Altlasten, Ressourcenmanagement, Joachim Reinkens -3258

Referat 25 Rechtsangelegenheiten der Wasserwirtschaft und des Bodenschutzes Andrea Benkendorff-Welzel -3345

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Stand: Juni 2021

-3438 -3498

Gleichstellungsbeauftragte: Silke Hilker

-3385

Beauftragter für den Datenschutz: Jonas Renz

-3151

Abteilung 4

Abteilung 5

Atomaufsicht, Strahlenschutz

Andreas Sikorski

-3628

-3328

Referat 41 Grundsatzangelegenheiten der Kernenergie, nukleare Entsorgung Christof Lauenstein -3609 Referat 42 Stilllegung kerntechnischer Anlagen, nukleare Versorgung Werner Fieber -3430 Referat 43 Strahlenschutz, radiologische Überwachung Dr. Astrid Lange -3577 Referat 44 Kernenergienutzung, Sicherung, Stilllegungsverfahren KWG, KKE Oliver Pietsch -3510 Referat 44 Kernenergienutzung, Sicherung, Stilllegungsverfahren KWG, KKE Oliver Pietsch -3510 Referat 45 Rechtsangelegenheiten der Abteilung Atomaufsicht, Strahlenschutz Timo Quander -3502

Abteilung 6

Energie, Klimaschutz

Gundela Nostiz

Städtebau und Wohnen

-3398

Referat 51 Grundsatzangelegenheiten, Energiewirtschafts- und Klimaschutzrecht, Strom- und Gasnetze, Wasserstoff Dr. Christian Jacobs -3506 Referat 52 Erneuerbare Energien, Nachhaltige Mobilität, Energieeffizienz, Speicher Dr. Magnus Buhlert -3275 Referat 53 Energiesysteme, Energiemärkte, Versorgungssicherheit Dr. Björn Liebau -3226 Referat 54 Klimaschutz, Kompetenzzentrum für Klimawandel, Nachhaltigkeit Jens Palandt -3395 Referat 55 Landesregulierungsbehörde Sabine Henke-Jelit -5739

Büro der Ministerin Elke Eickemeier Torsten Luhm Pressestelle Pressesprecherin Sabine Hildebrandt

Ministerin Barbara Otte-Kinast

Referat L2 Kabinett, Parlamente, Bundesrat Christian Wittenbecher -2056

Abteilung 1

Dr. Cord Stoyke

Apl. Prof. Dr. Michael Kühne

Abteilung 3

-2106

Hildegard Zeck

-2107

Referat 303 Raumordnung – Programme, Verfahren Dr. Stephan Löb

Referat 201 Lebensmittelkontrolle, Tierarzneimittel Dr. Jörg Baumgarte

Referat 102 Tierhaltung, Fleisch- und Milchwirtschaft, Fischerei Heinrich Daseking -2122

Referat 202 Koordinierung amtlicher Kontrollsysteme Dr. Andrea Luger -2111

Referat 304 EU-Grundsatzfragen, Steuerwesen Dr. Michael Schrörs

Referat 103 Acker- und Pflanzenbau, Nährstoffmanagement, Düngung N. N.

Referat 203 Tierische Nebenprodukte, Tierseuchen Dr. Barbara Gottstein

Referat 305 Förderung des ländlichen Raums, ELER-Verwaltungsbehörde Dr. Andrea Wälzholz

Referat 106 Förderung, Marktpolitik, Landwirtschaftskammer N. N. Referat 107 Ernährung, Hauswirtschaft, Landfrauen Carola Sandkühler

-2317

Referat 64 Wohnraumförderung Dirk Martin -3114 Referat 65 Bauaufsicht, Bautechnik, Bauökologie Ludger Bode -2931 Referat 66 Soziales Wohnrecht, Wohngeld, Wohnungsmarktbeobachtung Dr. Stephan Walter -3104

-2128

Referat 204 Tierschutz Dr. Sebastian Rieder Referat 205 Futtermittel, Ein-, Aus- und Durchfuhr Dr. Uwe Zürner

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; Stand: Juni 2021

Gleichstellungsbeauftragte: Sabine Rodefeld-Aufderheide

-2218

-2097

-2141

Referat 206 Verbraucherschutz, Rechtsangelegenheiten der Abteilung Margaretha Bloch -2101

-2088

Abteilung 4

Raumordnung, Landentwicklung, Förderung

Referat 101 Agrarpolitik, internationale Zusammenarbeit Dr. Jürgen Wilhelm -2021

Referat 105 Nachw. Rohstoffe, Gartenbau, Schulobst Alexander Burgath -2232

Referat 63 Bauordnungsrecht, Bauprodukte, Baunormen Dr. Michael Brinkmann -2936

Zuständige Behörde nach VO (EU) Nr. 908/2014 Petra Franz -2337

Staatssekretär Prof. Dr. Ludwig Theuvsen

Abteilung 2

Referat 104 Agrarumweltpolitik, Ökologischer Landbau, Tierwohl Jörg Wolkenhauer -2381

Referat 62 Städtebau, Bauleitplanung, Baukultur Petra Schröder -5842

Foto: BS/ML, David Carreno Hansen

Verbraucherschutz, Tiergesundheit, Tierschutz -2012

Referat 61 Recht und Förderung des Städtebaus Dr. Frohmute Burgdorf -3103

Landesbeauftragte für den Tierschutz Michaela Dämmrich

-2095

Referat L1 Planung, Strategie, Landwirtschaft 4.0 Hans-Jörg Haferkamp -2053

Ernährung, Landwirtschaft, Nachhaltigkeit

-3101

Referat 38 Rechtsangelegenheiten der Abteilung Immissionsschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschutz Jonas Renz -3151

Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Calenberger Straße 2, 30169 Hannover Fernruf: 0511/120-0 Telefax: 0511/120-23 85 E-Mail: poststelle@ml.niedersachsen.de Internet: www.ml.niedersachsen.de

Stefanie Nöthel

Verwaltung, Recht, Forsten -2147

Christine Gade

-2261

-8637

Referat 402 Personal, Organisation, Innere Dienste, IuK Denis Lehmkemper -2047

-2026

Referat 403 Haushalt, Finanzplanung Carsten Hasberg

-2131

Referat 404 Digitalisierung -2334

Referat 306 Landentwicklung und ländliche Bodenordnung Stefanie Gröger-Timmen -2015 Referat 307 Agrarförderung, Cross Compliance Dr. Oliver Köhn

-2168

Referat 301 EU-Zahlstelle, EU-Prüfdienste Lars Hampel

-2177

Renate Harries

-2089

Referat 405 Öffentliche Forstwirtschaft, Ausbildung Dr. Heinz-Werner Streletzki

-2254

Referat 406 Forstpolitik, Jagd, Holzwirtschaft Ina Abel

-2250

Referat 407 Moor- und Domänenverwaltung, Justiziariat Annette Langelotz -2347


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Berlin und Bonn / Juni 2021

Lichtblick mit Schatten

KNAPP Transformation der Innenstädte

Digitale Bildung – eine Zwischenbilanz (BS/Jörn Fieseler) Die Pandemie hat das deutsche Bildungswesen auf dem falschen Fuß erwischt und viele Mängel aufgedeckt. Zugleich wirkt sie wie ein Brandbeschleuniger. Digitaler Unterricht war bis März 2020 landesweit eine Vorstellung, aber keine Realität. Zum Glück gab es schon den DigitalPakt Schule, auch wenn dieser anders konzipiert ist. Insgesamt hat sich in den letzten 15 Monaten vieles verändert, manches nicht zum Besseren. Doch hinsichtlich Finanzierung, Personal und Schulverwaltung sind die Hausaufgaben noch nicht erledigt. Vor allem darf das wichtigste Ziel nicht aus den Augen gelassen werden. “Die Voraussetzungen für einen digitalen Unterricht waren zu Beginn der Pandemie nicht gegeben”, bilanziert Uwe Lübking, Beigeordneter für Kultur und Bildung beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB). Ebenso wenig für ein flächendeckendes Homeschooling. 2016 wurde der DigitalPakt Schule beschlossen, bis er in Kraft treten konnte, dauerte es noch bis zum Ende des Jahres 2019. “Wenn Bildung so wichtig ist, warum hat es dann so lange gedauert, die Verwaltungsvereinbarungen und Förderrichtlinien zu verabschieden?”, beanstandet der Beigeordnete weiter. Diese Zeit habe man in der Kultusministerkonferenz (KMK) ungenutzt verstreichen lassen. Zwar habe man den Ausbruch der Pandemie nicht vorhersehen können, aber ähnliche Szenarien seien lange vorher schon durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe skizziert worden. Und auch die letzten Sommerferien seien nicht genutzt worden, um Konzepte für den Wechsel zwischen Präsenz- und digitalem Unterricht zu erarbeiten. Dabei hätten die Kommunen als Schulträger genügend Räume angeboten. So hätte auch in ungenutzten Museen oder Sportstätten Unterricht mit geteilten Klassen stattfinden können. “Wir sind jetzt im Jahr 2000 angekommen”, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), metaphorisch über die zeitliche Entwicklung bei der Digitalisierung der Schulen. Damit habe man im letzten Jahr einen großen Sprung nach vorne gemacht. Bis zum Stand des Jahres 2021 sei aber eine Menge aufzuholen. Ähnlich sieht es Jürgen Böhm,

Die Digitalisierung der Bildung, von Unterricht und Lehrmaterialien, ist ein Hoffnungsschimmer für die wichtigste Ressource einer Gesellschaft – die Kinder. Aber: Niemand darf zurückgelassen werden. BS/MiaStendal, stock.adobe.com

Bundesvorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR). Auf einer Skala von eins bis hundert gibt er den Stand der Digitalisierung vor der Pandemie mit 30 Punkten an. Allerdings müsse die Betrachtung differenziert erfolgen. Allgemein seien vor allem bei den Primar- bzw. Grundschulen noch größere Lücken erkennbar gewesen. Während gerade die Realschulen nach 14 Tagen rund 80 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler digital erreicht hätten und die übrigen 20 Prozent rund zwei Wochen später, so der VDR-Vorsitzende. Ebenso unterschiedlich falle die Bilanz bei den Ländern aus. Einige hätten ihre Aufgaben schneller erledigt als andere. “Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein waren am Anfang schon sehr weit”, lobt Lübking. Zugleich kritisiert er, dass die Mittel aus dem DigitalPakt Schule nur schwerfällig abgerufen werden. “Der DigitalPakt

Schule ist ein bürokratisches Monster, eingebettet in politische Strukturen”, ergänzt Meidinger. Von den insgesamt 6,5 Milliarden Euro aus dem eigentlichen Pakt und den drei Annexen komme bislang kaum etwas bei den Schulen an (vergleiche die Zahlen in Hessen, siehe S. 14). Es fehle an schnellen Entscheidungsstrukturen. Vor allem die Entscheidungsstrukturen vor Ort müssten gestärkt werden. Zudem seien die finanziellen Probleme mit dem DigitalPakt nicht gelöst. “Ein DigitalPakt II wird kommen müssen”, so der DL-Präsident weiter. Denn die Länder seien mit der Finanzierung der Bildung überfordert. Zugleich moniert Böhm, dass zu viel Geld in die Digitalisierung und Strukturen, aber zu wenig in den Lehrkörper investiert werde. Dabei gebe es im Norden Deutschlands schon jetzt einen deutlichen Lehrermangel. 2023 werde diese Situation auch im

Süden eintreten, prognostiziert der Realschullehrer. Die Vermutung liegt nahe, dass Bund und Länder die Schulträger zwar finanziell unterstützen wollen, sich zugleich aber vor dem Konnexitätsprinzip scheuen. Diese Ansicht vertritt auch der DStGB-Beigeordnete und fordert eine Anpassung der Schulgesetze. “Diese stammen noch aus der Kreidezeit”, so Lübking. In ihnen müsse klar geregelt werden, wer für was zuständig sei und damit auch für die Finanzierung aufkommen müsse. Dabei dürften die Kommunen als Schulträger nicht außen vor gelassen werden, es müsse aber auch klar sein, dass derjenige, der die Regelungen aufstelle, auch bezahlen müsse. Konkret macht Lübking dies an der Ausstattung der Lehrkräfte mit Endgeräten deutlich. Lehrerinnen und Lehrer seien Landesangestellte oder -beamte. Entsprechend müsse das jeweilige Bundesland für die

Ausstattung aufkommen. Anders könne es unter Umständen bei der Ausstattung der Schülerinnen und Schüler aussehen. Entsprechend müsse die Verwaltungsorganisation an den Schulen professioneller werden. “Neben der pädagogischen Leitung brauchen wir an den Schulen einen Verwaltungsmanager oder Finanzleiter”, fordert Böhm. Ebenso wie einzelnen Lehrern nicht zugetraut werden könne, die Administration der Endgeräte zu übernehmen, könne von einem Schulleiter nicht länger verlangt werden, die Verwaltung und Finanzierung der Schulen im Blick zu behalten. Diese Forderung vertritt auch Lübking und verweist auf die Niederlande. Dort hätten die Schulen sogar die Möglichkeit, Drittmittel einzuwerben. Dies solle auch in Deutschland erlaubt sein. Diese Aufgabe könne ein Verwaltungsleiter übernehmen. Auch das müsse in deutschen Schulgesetzen geregelt werden. Insgesamt ist die Digitalisierung aus dem Unterricht nicht mehr wegzudenken. Mehr noch. “Sie ist eine Chance, zu besseren Lösungen zu kommen”, so Meidinger. In Deutschland gebe es rund 10.000 Schulen mit weniger als 200 Schülern. Diese Vielzahl an Lernorten gelte es zu erhalten, um eine individuelle Betreuung der Schülerinnen und Schüler gewährleisten zu können. Schließlich dürfe eines nicht vergessen werden: “Die beste Sozialpolitik ist die Bildungspolitik”, so Lübking. Doch im letzten Jahr habe es viele Bildungsverlierer gegeben. “Das können wir uns nicht mehr leisten.” Am Ende sind sich Meidinger, Böhm und Lübking einig, dass man ein Viertel des Rückstandes aufgeholt hat.

(BS/mj) “Die gegenwärtige Lage muss ein Weckruf an alle Beteiligten sein, jetzt die richtigen Schlüsse für Innenstädte und Ortskerne der Zukunft zu ziehen”, schreibt die SPD in einem Positionspapier zur Zukunft der Innenstädte. Die Förderung nicht-kommerzieller Räume sowie neue Nutzungsmischungen und -qualitäten und fortschrittliche Mobilitätsangebote sollen dem Negativtrend, auf den die Pandemie wie ein Brennglas gewirkt habe, entgegenwirken. Mit Blick auf die Stadtentwicklung (mehr dazu auf Seite 17) fordert die SPD konkret eine Stadt der kurzen Wege, offener Architektur und qualitativ hochwertiger öffentlicher Infrastruktur, der Begegnungsräume, Naherholungs- und Freizeitangebote sowie eines neuen Mit- und Nebeneinanders von Handel, Bildung, Kultur und Wohnen. Und das alles barrierefrei und kinder- und familienfreundlich.

Kommunen setzen Klimaschutz um (BS/mj) “Die 294 Landkreise werden ihren Anteil zur Erreichung der neuen Klimaschutzziele beitragen,” erklärt der Deutsche Landkreistag (DLT). Allerdings werden laut DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager zu viele Maßnahmen über befristete Projektmittel umgesetzt, was nicht nachhaltig sei. Der DLT fordert darum im Rahmen der gleichwertigen Lebensverhältnisse und Lastenteilung eine bessere Unterstützung durch Bund und Länder. Hierzu gehörten eine Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung, aufeinander abgestimmte und unbürokratische Förderangebote, finanzielle Unterstützung von investiven Klimaschutzmaßnahmen im kreisangehörigen Raum sowie Finanzierung für Personalstellen. Zudem werden der Aufbau von Sonnenenergie-Nutzung in städtischen Bereichen und die Realisierung von Wertschöpfungspotenzialen in den ländlichen Räumen gefordert.

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Die neue Veranstaltungsplattform des Behörden Spiegel


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Behörden Spiegel: Herr Minister, wo standen die hessischen Schulen hinsichtlich der Digitalisierung vor der Corona-Pandemie? Lorz: Wir hatten schon vor Corona viel Arbeit in die Digitalisierung der Schulen gesteckt. So hat die Kultusministerkonferenz (KMK) 2016 beispielsweise eine Strategie “Bildung in der digitalen Welt” verabschiedet, die in die Umsetzung gegangen ist. In meiner Präsidentschaft in der KMK wurde im Frühjahr 2019 der DigitalPakt Schule abgeschlossen. Und in Hessen haben wir darauf aufbauend die Strategie “Digitale Schule Hessen” verabschiedet, die bis 2024 ausgerichtet war. Bis dahin sollten alle Bereiche wie Infrastruktur, Materialien, Ausbildung der Lehrkräfte etc. fit sein. Genau in diesen Prozess kam die Pandemie und damit sozusagen vier Jahre zu früh. Behörden Spiegel: Welche Bilanz ziehen Sie nach 15 Monaten Pandemie? Lorz: Es war und ist für die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte, aber auch die Eltern eine ungewöhnliche und harte Zeit. Das gilt aber ebenso für die gesamte Bildungsverwaltung. Wir konnten weder auf Erfahrungswerte noch auf Routinen zurückgreifen. Es war für uns eine extreme Gratwanderung, bei der wir nicht immer wussten, was richtig oder falsch ist. Es war ein ständiges Vorantasten und immer wieder ein Reagieren auf neue Erkenntnisse und neue Entwicklungen. Deshalb sind wir auch ein wenig stolz auf das, was wir erreicht haben, insbesondere gegen Widerstände. Ich erinnere an die Durchführung der Abiturprüfungen im Frühjahr 2020, aber auch an den ständigen Kampf beim Offenhalten der Schulen. Mit Sicherheit haben wir auch Fehler gemacht. Was weniger gut war, werden wir bestimmt in späteren Studien erfahren. Behörden Spiegel: Und hinsichtlich der Digitalisierung? Lorz: Wir haben den Prozess erheblich beschleunigt. Ich gehe davon aus, dass wir 2022 da sein werden, wo wir nach dem ursprünglichen Plan 2024 sein wollten. Das wäre eine Verdoppelung der Geschwindigkeit, auch wenn ich jeden verstehe, dem das noch zu langsam ist. Der Prozess ist in vollem Gang, und wir kommen Woche für Woche gut voran. Behörden Spiegel: Sie sprachen den DigitalPakt Schule an. Wie viele Mittel hat Hessen bisher abgerufen und wie viele Projekte sind damit gefördert worden? Lorz: Insgesamt stehen Hessen nur aus Bundesmitteln 373 Millionen Euro aus dem ursprünglichen DigitalPakt zur Verfügung. Bis Ende April 2021 wurden 76 Mio. Euro bewilligt und 6,3 Mio. Euro ausgezahlt. Anhand dieser Zahlen sieht man, dass es noch deutliches Potenzial nach oben gibt. Allerdings erfolgt die Auszahlung der Mittel erst, wenn sämtliche Aufgaben eines Projekts abgeschlossen sind. Deswegen wird die letzte Zahl nur langsam nach oben gehen. Wir haben aber momentan ein ganz anderes Problem: Die Auftragsbücher der Handwerksfirmen sind voll. Behörden Spiegel: Reichen die Gelder? Lorz: Wir können noch viel bewilligen, und das werden wir auch, zumal wir weitere Gelder aus den drei Ergänzungsprogrammen zum DigitalPakt Schule, den sogenannten Annexen, haben. Aber bei der Digitalisie-

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Es bleibt eine Daueraufgabe Kultusminister Alexander Lorz zur Digitalisierung der Bildung (BS) “Wir konnten weder auf Erfahrungswerte noch auf Routinen zurückgreifen”, sagt Hessens Kultusminister Prof. Dr. Alexander Lorz, mit Blick auf die Digitalisierung der Schulen im Zuge der Corona-Pandemie. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel zieht er eine Bilanz über die bisherigen Aktivitäten, erläutert, welche Anstrengungen Hessen unternommen hat und warum es keiner Zentralisierung der Bildungspolitik bedarf und wie der Unterricht der Zukunft aussieht. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

“Wer will, dass sich die Gesellschaft mit all ihren unterschiedlichen Strömungen abbildet, der braucht ein möglichst differenzierendes System wie die KMK und den Bildungsföderalismus”,

rung gibt es keinen Endpunkt. Wenn wir einmal alle Schulen ausgestattet haben, ist wahrscheinlich längst eine neue Technik vorhanden, und wir müssen wieder von vorne anfangen. Die Ausstattung der Schulen wird eine Daueraufgabe für Land und Schulträger bleiben. Behörden Spiegel: Auch durch eine anteilige Finanzierung durch den Bund? Lorz: Das hoffe ich! Genauso wie ich hoffe, dass sich eine neu gewählte Bundesregierung nach der Wahl rasch mit den Ländern um einen DigitalPakt II kümmern wird. Aber uns als Ländern ist klar, dass wir ebenfalls dauerhaft mehr Mittel werden aufwenden müssen, um die digitale Ausstattung der Schulen auf den neuesten Stand zu bringen und dort zu halten. Behörden Spiegel: Das ganze Antragsverfahren zum DigitalPakt Schule wirkt aus Sicht eines Schulträgers recht sperrig. Was hat Hessen unternommen, um die Schulträger finanziell zu unterstützen? Lorz: In finanzieller Hinsicht haben wir die Mittel aus dem DigitalPakt Schule mit Landesmitteln auf 500 Mio. Euro aufgestockt. Ähnlich verfahren wir bei den drei Annexen. Wir bekommen vom Bund jeweils 37 Mio. Euro und haben diese überall auf 50 Mio. Euro aufgestockt. Das ist ein enormer Beitrag des Landes, womit Hessen ganz weit vorne dabei ist. Aber es sind Steuergelder. Deshalb müssen wir für Verständnis werben und dafür sorgen, dass diese ordentlich verausgabt werden und dass wir darüber Rechenschaft ablegen müssen. Auf der anderen Seite verstehe ich auch diejenigen, die auf der operativen Ebene einfach loslegen wollen. Hier gilt es, eine vernünftige Balance zu finden. Deswegen haben wir die Antragsverfahren mehrfach überarbeitet und vereinfacht. Und wir haben mit dem Finanz- und Digitalministerium eine Taskforce eingerichtet, um das Verfahren zu beschleunigen. Insgesamt laufen die Verfahren jetzt schon deutlich reibungsloser und unkomplizierter, so das einstimmige Feedback von Schulen und Schulträgern. Behörden Spiegel: Bildung ist Ländersache, doch der Ruf nach mehr Zentralisierung wird lauter. Braucht es einheitlichere Regelungen und ist die KMK dafür das richtige Gremium? Lorz: Die KMK ist nicht das geeignete Gremium, wenn man von oben durchentscheiden möchte. Die Frage ist, ob das für den Bildungsbereich überhaupt die richtige Herangehensweise wäre. Das Grundproblem sind nicht Eitelkeiten der Ministerinnen und Minister in der KMK, sondern

idealerweise die Vorteile von allen nutzen. Daran wird gearbeitet. Behörden Spiegel: Wie wird der Schulunterricht der Zukunft aussehen?

Lorz: Er wird digitaler sein als vor der Pandemie. Die Schülerinnen und Schüler wie auch die Lehrerinnen und Lehrer haben die digitalen Methoden kennengelernt und die Scheu vor diesen sagt Hessens Kultusminister Prof. Dr. AlexInstrumenten verloren. Jetzt geht ander Lorz. Foto: BS/HKM, Patrick Liste es darum, ihnen weiteres pädagogisches Material zur Verfügung die unterschiedlichen Vorstel- noch fehlenden Bestandteile hin- zu stellen. Auch dieser Prozess ist lungen von Schule und Bildung. zufügen, wie zum Beispiel unser bereits im Gang. Bislang haben Es bestehen verschiedene Sicht- Videokonferenzsystem, das zum wir die Digitalisierung vor allem im weisen, politische Grundphilo- neuen Schuljahr startet. Distanzunterricht eingesetzt. Aber sophien und daraus abgeleitet diese Unterunterschiedliche Interessen und ist “Aber uns als Ländern ist klar, dass wir richtsform Wünsche. In einem zentralen nur ein NotbeSystem kann man dies einheit- ebenfalls dauerhaft mehr Mittel werden helf. Jetzt geht lich regeln, dann wird man aber es darum, den aufwenden müssen, um die digitale im Gegenzug vielen BesonderAusstattung der Schulen auf den neu- Präsenzunterheiten nicht gerecht. Wer will, richt mit digiesten Stand zu bringen und dort zu dass sich die Gesellschaft mit talen Lehr- und all ihren unterschiedlichen StröLernangeboten halten.” mungen abbildet, der braucht noch stärker zu ein möglichst differenzierendes bereichern. System wie die KMK und den Behörden Spiegel: Gibt es Bildungsföderalismus. Überlegungen, die verschiedenen Behörden Spiegel: Wären wie Persönlich gehöre ich der KMK Landesplattformen der Länder zu beim Homeoffice hybride Forma– mit einer Unterbrechung – seit vereinheitlichen? te, mit drei Tagen Präsenz und 2007 an. Aus dieser Erfahrung zwei Tagen Homeschooling, für kann ich sagen: Die KMK hat Lorz: Die Lösungen des Bundes den Unterricht denkbar? selten so gut und reibungslos zu- und der Länder werden eigensammengearbeitet wie während ständig bleiben, weil sie viel zu Lorz: Das wird schon wegen der Pandemie. Denn die Problem- weit entwickelt sind. Da bin ich des Betreuungsaspekts geralage hat uns alle gleichermaßen mir sicher. Die Kunst besteht de bei kleineren Kindern nicht betroffen, und deshalb sind die darin, die bereits existierenden funktionieren. Wir sprechen Abstimmungen weitgehend un- Lösungen geschickt zu verzah- nicht umsonst von Schulen abhängig von parteipolitischen nen: die Länderplattformen un- als Ganztagssystemen. Schulen Differenzen getroffen worden. tereinander, aber zum Beispiel sind, mehr noch als früher, nicht auch die Schul-Cloud des Hasso nur ein Ort des Lernens, sonBehörden Spiegel: Sie sind Plattner Instituts. Alle haben ihre dern auch des Aufenthalts und ein Verfechter des Föderalismus. spezifischen Vor- und Nachteile, des sozialen Austauschs. Das Wäre trotzdem ein bisschen mehr und wenn man die Schnittstellen werden wir durch die DigitaliStandardisierung in der Bildung entsprechend gestaltet, kann man sierung nicht zurückrollen. Aber nicht richtig und wichtig? Lorz: Natürlich muss man über Standardisierung reden. Das bleibt eine Daueraufgabe. Wir haben in der Vergangenheit auch einiges standardisiert, angefangen von Bildungsstandards und Curricula im Zusammenhang mit der Pisa-Studie über den gemeinsamen Abitur-Aufgabenpool bis hin zu dem neuen Bildungsvertrag zwischen den Ländern, der im Zuge der Corona-Pandemie völlig zu Unrecht fast unbemerkt geblieben ist. Der Bildungsvertrag ist seit dem Hamburger Abkommen vor rund 55 Jahren das erste umfangreiche Abkommen über bildungspolitische Fragen. Behörden Spiegel: Wie ist Hessen mit digitalen Lernplattformen vorgegangen? Lorz: Wir haben eine landesweite Lernplattform, unser Schulportal Hessen. Das war schon immer ein zentraler Baustein für die Digitalisierung der hessischen Schulen. Aber mit Beginn der Pandemie konnten wir dieses Instrument nicht unmittelbar auf die Dimension bringen, die wir brauchten. Bis zum März 2020 ist die Plattform organisch gewachsen. Jährlich kamen rund 170 Schulen hinzu. Plötzlich wollten alle Schulen auf die Plattform zugreifen. Dem war das System nicht sofort gewachsen. Deshalb mussten wir es auf neue Füße stellen und uns einen neuen Anbieter suchen. Der Prozess ist fast abgeschlossen, inzwischen sind über 1.400 Schulen in das Schulportal integriert, über 90 Prozent der weiterführenden Schulen und rund 70 Prozent unserer Grundschulen. In einem nächsten Schritt wollen wir die

natürlich haben die digitalen Lernformen ihre Berechtigung. Hessen ist übrigens das erste und einzige Land, das es den Schulen ermöglicht, auch ohne Pandemie teilweise im digitalen Distanzunterricht zu arbeiten. Voraussetzung ist, dass alle in einer Schulgemeinschaft damit einverstanden sind. Ich glaube, dass ist eine gute Herangehensweise, sie darf aber nicht unter Zwang geschehen. Insgesamt ist der Präsenzunterricht selbst bei bester digitaler Ausstattung nicht zu ersetzen. Schule ist mehr als reine Stoffvermittlung. Die Hauptrolle der digitalen Bildung wird darin bestehen, den Präsenzunterricht zu bereichern sowie unterhaltsamer und illustrativer zu gestalten. Und wir werden neue Möglichkeiten in der individuellen Förderung bekommen: Lehrkräfte können die Lernstände ihrer Schülerinnen und Schüler mit digitalen Werkzeugen individueller und in kürzeren Abständen ermitteln und dann ganz gezielt reagieren. Behörden Spiegel: Ist die Digitalisierung eine Chance, um kleinere Standorte zu fördern, indem zum Beispiel ein Lehrer aus Frankfurt Unterricht im nördlichen Landkreis Waldeck-Frankenberg gibt? Lorz: Das hängt von den Schulformen ab. Bei den Grundschulen sehe ich das nicht. Schon wegen des Grundsatzes “Kurze Beine, kurze Wege”. Gerade kleine Kinder sollen so nah wie möglich am Wohnort zur Schule gehen. Bei den Oberstufenschülern und insbesondere bei den beruflichen Schulen sieht das anders aus. Wenn bei letzteren Fachklassen gebildet werden müssen, um auf die nötige Zahl an Auszubildenden zu kommen, ist es vollkommen richtig, diese mindestens zum Teil zu digitalisieren. Dann lässt sich der Unterricht blockweise gestalten, mit Präsenzunterricht und digitalen Lerneinheiten, für die die Schülerinnen und Schüler nicht eigens den langen Weg zur Schule fahren müssen.

Mehr als Tablets: Digitales Lernen Von der Notwendigkeit und den Möglichkeiten des Digitalen Lernens für BOS (BS/Stefan Schult/Kay Hartkopf/Esther Steverding*) Corona zwingt viele Institutionen und Organisationen digital(er) zu werden. Mittlerweile gibt es virtuellen Musikunterricht für die Kinder und abends veranstalten Restaurants virtuelle Kochkurse. Organisationen haben in diesem Bereich dazugelernt. Doch nicht nur Pandemien erfordern schnelles Lernen und Anpassungsfähigkeit von Organisationen. Der Klimawandel und geostrategische Veränderungen schaffen weitere Bedrohungslagen. Sie erfordern eine kontinuierliche Weiterentwicklung aller Organisation, vor allem im Bereich der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Organisation, sich auf diese Herausforderungen einzustellen, werden zu einem großen Teil durch die Fähigkeiten der Mitarbeitenden bestimmt. Flexibles, beständiges Lernen der Organisation als Ganzes als auch jedes einzelnen Mitarbeitenden wird daher immer mehr zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor, wenn nicht sogar zum Überlebensfaktor. Im Bereich des individuellen Lernens treten durch die Digitalisierung neue Lernkonzepte in den Vordergrund. Virtuelle Lerngruppen, individuelle Lernpfade, virtuelle kognitiv gesteuerte Rollenspiele, virtuelle Realitäten und Blended Learning werden erst durch neue technologische Möglichkeiten umsetzbar. Technologische Errungenschaften, die für den Bereich des Lernens essentiell sind, sind zum Beispiel Cognitive Computing, VR/AR, IoT und Sensorik, Mobile Devices und High Speed Networks.

Skalierbarkeit der Lösungen Damit diese Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden, bedarf es zum einen moderner digitaler Lernumgebungen und zum anderen regulatorischer Rahmenbe-

dingungen, die einen virtuellen Lernbetrieb unterstützen. Die Lernumgebung muss sich flexibel den Nutzerbedürfnissen anpassen und insbesondere für BOS die notwendigen Sicherheitsstufen für klassifizierte Inhalte und flexiblen Zugriff aus sicherheitsrelevanten Umgebungen ermöglichen. Dabei liegt neben dem Sicherheitsaspekt ein besonderes Augenmerk auf der Skalierbarkeit, sowohl in der Fläche als auch in der Kapazität. Darüber hinaus sind die flexible und zeitnahe Verteilung der Lerninhalte, die ortsunabhängige Verfügbarkeit durch mobile Endgeräte als auch die individuell auf den Nutzer zugeschnittenen Lerninhalte wesentliche Anforderungen an diese Lernumgebungen.

Digitales Lernen in der Praxis Es gibt bereits Projekte, in denen insbesondere die IT-Service-Provider innovative technologische Möglichkeiten mit darauf basierenden Lernkonzepten im Bereich BOS verbinden. Die BWI betreibt zum Beispiel die IT an der Führungsakademie der Bundeswehr. Die Bundeswehr selbst hat im vergangenen Juni ihr Programm “Führen Morgen Heute Lernen”

vorgestellt. Es ist ein Innovationslabor für Neues Lernen, das innerhalb der nächsten zwei Jahre zu einer “Digitalen Ausbildungsakademie für lebenslanges Lernen” ausgebaut werden soll.

Zusammenarbeit und Kooperation Neben den Mitarbeitenden der IT-Service-Provider unterstützen zudem Berater. Sie verbinden fachliche Expertise mit zahlreichen praktischen Erfahrungen, die über die Jahre in Projekten gesammelt worden sind. Denn Zusammenarbeit von der Konzeption über die Produktauswahl bis hin zur Implementierung und dem Roll-out ist erforderlich. Nur so können möglichst viele Perspektiven eingebracht werden. Denn nur wenn das Lernangebot facettenreich, qualitativ gut, zugänglich und verständlich ist, haben Menschen Lust auf Lernen. *Stefan Schult ist Partner und Experte für Digitalisierung. Kay Hartkopf ist Managing Consultant und langjähriger Experte für digitale Strategie und Transformation. Zusammen mit Esther Steverding arbeiten alle drei bei der Detecon International GmbH im Bereich Public BOS.


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ie bereits angedeutet, stehen Deutschlands Schulen oftmals vor einem Dilemma: Sie müssen einerseits schnell und umfassend digitalisieren, um die neuen, meist hybriden Unterrichtsmodelle umsetzen zu können. Schließlich gilt es, allen Schülerinnen und Schülern bald einen uneingeschränkten Zugang zur digitalen Bildung zu gewähren, damit sie bestmöglich auf eine Zukunft in der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt vorbereitet sind. Andererseits muss zu jeder Zeit dem Datenschutz und damit der Datensicherheit Rechnung getragen werden. Datenschutz und Daten­ sicherheit: komplexe Themen Damit der Datenschutz gewährleistet werden kann und die sensiblen, personenbezogenen Daten gegen Missbrauch geschützt sind, bedarf es hoher Datensicherheit, insbesondere in den Bereichen ID-Management, Geräteverwaltung, Mediennutzung und Applikationen. Selbstverständlich haben Lehreinrichtungen die Pflicht, die Daten von Kindern und Jugendlichen vor Bedrohungen sowie Manipulationen zu schützen. Man denke nur an Leistungsbewertungen wie Zeugnisdaten oder Gutachten zur individuellen Entwicklung von Schülerinnen und Schülern. Neben grundsätzlichen Vorgaben gelten hier außerdem die jeweiligen Landesdatenschutzgesetze. Diese große Herausforderung,

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Die größte Herausforderung für Schulen Datenschutz in der digitalen Bildung (BS) Ganz sicher hat der DigitalPakt Schule von Bund und Ländern die digitale Bildung in den Fokus gerückt. Das bringt neue Möglichkeiten mit sich, denn die finanziellen Mittel sind da. Jetzt liegt es an den Verantwortlichen, die Schulen zu digitalisieren. Doch neben Chancen birgt die Digitalisierung auch Herausforderungen: Etwa, dass sie nachhaltig und investitionssicher vonstatten geht. Und dass Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet sind. Schließlich unterliegen personenbezogene Daten einem besonderen Schutz. Für die Einhaltung dieser datenschutzrechtlichen Vorgaben sind die Schulleitungen verantwortlich.

Fotos: BS/Samsung

möchte Samsung Neues und modernen Schule abzudecken. Dabei bieLernen unterstützen. tet es zahlreiche nützliche Komponenten: das Unsere Lösung ist ein Classroom Management ganzes Paket Mit dem Lösungspaket zur Organisation des von Samsung Neues Ler- Unterrichts, ein Mobile nen bekommen Schu- Device Management zur len Unterstützung in Verwaltung von EndgeSachen Digitalisierung. räten, den Zugriff auf Es ist ein modulares und umfassendes Lehr- und systemoffenes Konzept, Lernmaterial, hilfreiche das darauf fokussiert ist, Service- und Supportsich unkompliziert in be- leistungen sowie auf stehende Infrastruktu- Unterrichtszwecke abren einzugliedern und gestimmte Hardware. verschiedene Bedürf- Soweit zum Rund-umnisse einer digitalen Angebot, nun zurück zum

zentralen Thema Datenschutz. Das Lösungspaket von Samsung Neues Lernen steht im Einklang mit dem Grundsatz der Datenminimierung und kommt mit einem Minimum an sensiblen Daten aus. Eigentlich kann man sagen, dass Samsung Neues Lernen einen echten “Hochsicherheitstrakt” für Daten entwickelt hat: mit dem bereits auf allen Samsung-Geräten laufenden Betriebssystem Android in Kombinati-

on mit der hardwareund softwarebasierten Sicherheitsarchitektur Samsung Knox (siehe www.samsungknox. com/de/solutions/itsolutions/knox-platform-for-enterprise). Die mobile Sicherheitsplattform bietet Schutz vor Angriffen von außen und ebenso Schutz für unterschiedliche sensible Daten. Wenn man bedenkt, dass Knox vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationssicherheit (BSI) in Bezug auf Informationstechnik zertifiziert und geprüft ist und sogar von der Bundespolizei genutzt wird, ahnt man vielleicht, mit welchen hohen Standards Samsung arbeitet. Ebenfalls mit im Paket enthalten sind übrigens für vier Jahre lang garantierte Sicherheits-Updates inklusive einer dreijährigen Herstellergarantie (siehe https://news.samsung. com/de/updates-furlange-lebensdauersamsung-verlangert-denzeitraum-von-updatesfur-samsung-galaxysmartphones). Das ABC der DSGVO Samsung Neues Lernen bietet ein Konzept, das sowohl auf Schulgesetze und Anforderungen verschiedener Bundesländer als auch auf unterschiedliche In-

frastrukturen der Schulen abgestimmt werden kann. Der Samsung Partner secjur hat dafür das Lösungspaket hinsichtlich DSGVO-Konformität bewertet und bietet Schulen Unterstützung bei der Erfüllung ihrer datenschutzrechtlichen Pflichten an. Somit werden eine sichere und datenschutzkonforme Geräteverwaltung und Mediennutzung ermöglicht, die Lehrkräften dabei helfen kann, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Unterricht. Apropos: Für einen modernen Unterricht bietet das Lösungspaket den Zugriff auf potenziell über 110.000 Bildungsinhalte. Ob Lehrvideos der Landes- und Kreismedienzentren, digitale Arbeitsblätter, Apps oder Lehrbücher. Diese Inhalte ermöglichen eine sichere Mediennutzung ohne Nutzertracking. Die volle Punktzahl Samsung Neues Lernen – das ist eine modulare und schnell implementierbare Lösung, die hohe Sicherheit, Unterrichtsmaterialien, Service und Support, Finanzierung, Mobile Device Management, Samsung Classroom Management sowie Versicherung aus einer Hand anbietet und verschiedene Herausforderungen der digitalen Unterrichtsgestaltung in einem ganzheitlichen Ansatz adressiert. Mit so einem weitsichtigen und innovativen Rundum-Angebot kann die Digitalisierung nicht nur unterstützt werden, sondern richtig Spaß machen. Das Fazit Sind die Themen Datenschutz und Datensicherheit erst einmal geklärt, kann die schulische Digitalisierung allen Beteiligten große Freude machen: mit Lehrkräften, die neue Potenziale nutzen und abwechslungsreichen Unterricht gestalten können, mit Schülerinnen und Schülern, die sich für die vielseitigen hybriden Unterrichtsformen begeistern können und mit einer Schulleitung, die zuversichtlich in die Zukunft blickt. Jetzt informieren und bestellen unter samsung. de/geschuetztedaten oder rufen Sie uns unter der kostenfreien Hotline 06196 77 555 40 an. Service von Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr (außer feiertags).


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Behörden Spiegel / Juni 2021 DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

“D

igitalisierung ist die Kreide des 21. Jahrhunderts”, erklärt Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR). Aber: Lehrkräfte, die sich einmal vor einer Klasse mit dem Tablet blamiert haben, würden es so schnell nicht mehr anfassen, fährt er fort. Digitaler Unterricht kann also nur gelingen, wenn die Lehrkräfte dazu befähigt werden. Das sei die nächste große Herausforderung, meint Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL). Denn noch gebe es kaum Wissen und Erfahrung für einen gelingenden Einsatz von digitalen Endgeräten im Unterricht. Hier müssten Fortbildungen ansetzen, um diese Defizite anzugehen. Schulungen im Bereich Digitalisierung habe es laut Böhm viel zu wenige gegeben. Nun laufe vieles über schulinterne Fortbildungen und einzelne, versierte Lehrkräfte schulten ihre Kolleginnen und Kollegen.

Das Know-how der Einzelnen “Ich habe gesehen, wie drei Kollegen vor einem iPad gesessen sind, das war die Keimzelle”, berichtet Ralph Gerner, Schulleiter der Realschule am Rennbuckel in Karlsruhe. Das war vor acht Jahren. Vor sechs Jahren wurden dann die Klassen dieser Lehrer – alle in einer Altersklasse und von den Eltern finanziert – mit Tablets ausgestattet. “Wir sind

Ausbildungsstau versus Best Practice DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

Wie kommt die Medienkompetenz in die Schulen? (BS/Malin Jacobson) Digitalisierung und Medienkompetenz an Schulen stehen einige Hindernisse im Weg: Geld, Endgeräte, Bandbreite und die Frage nach der Implementierung in den Unterricht. hole sich Informationen aus dem Ausland. Mittlerweile geben Gerners Lehrkräfte auch an anderen Schulen Fortbildungen – das sei manchmal eine zeitliche Belastung, wenn immer wieder zwei bis drei Lehrer weg seien. Auch die Integration digitaler Lehrmethoden sei eine Mehrbelastung für die Lehrkräfte: andere Workflows, anderes Material, verschiedene Betriebssysteme. “Aber der Vorteil hat immer überwogen.” Positive Rückmeldung bekomme er auch von ehemaligen Schülern und Unternehmen im Umkreis. Die seien begeistert von den Absolventen und deren Medienkompetenzen.

zusammengetragen, was funktioniert und was nicht. Braucht es also doch keine ausgefeilten Medienkonzepte? “Die Mehrzahl der Schulen in Deutschland haben ein Medienkonzept, manche sogar mehrere”, erzählt Meidinger. Das erste habe sich die jeweilige Schule oft selbst überlegt, dann habe man auf Wunsch des Landes oder Schulträgers nachbessern müssen. Und letztendlich bekomme man ja auch nur nach Vorlage eines Medienkonzeptes Gelder aus dem DigitalPakt Schule. Welche Qualität diese Konzepte hätten, wie passgenau sie auf die Bedürfnisse der Schule zugeschnitten und auf Klassenstufen und Schulfächer bezogen seien, bleibe fraglich. Ebenso wie die konsequente Umsetzung.

Defizitäre Ausbildung Medienkompetenz wurde in der Ausbildung der Lehrkräfte selbst bisher eher vernachlässigt. Dass die Universitäten und Fachhochschulen noch hohen Nachholbedarf in Bezug auf ihre eigene Digitalisierung sowie Medienschulung und Technikunterricht hätten, da sind sich Meidinger und Böhm einig. Auch die weiterführende Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren sowie

Einfach mal machen. Oder doch lieber erst ein Digitalisierungskonzept erarbeiten? Auch digitales Know-how und Fingerfertigkeit mit den Endgeräten wollen geübt sein. Grafik: BS/ArtsyBeeKids, pixabay.com

und Leiter des Organisationsbereichs Berufliche Bildung und Weiterbildung. Die ausbildenden Seminare seien technisch meist nicht auf dem Stand der Schulen, an denen die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst zeitgleich beschäftigt seien. Diese Differenz sei aber nur schwer zu beheben, fährt Klinger fort, da auch zwischen den Schulen eines Schulbezirks die technische Ausstattung sehr unterschiedlich sei. Im Einzelnen hänge die Ausbildung vom Engagement und Know-how der Seminarlehrer ab, je nachdem bekämen die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst mehr oder weniger Input für die eigene Unterrichtsgestaltung.

Eigenengagement

Viele Faktoren sind für die Implementierung von digitalen Unterrichtskonzepten entscheidend. BS/Jacobson, wortwolke.com

keine klassische Schule, die erst Papiere erstellt und Curricula entwirft. Man muss die Dinge auch einfach mal laufen lassen”, so Gerner weiter. Getreu dem Motto: Learning by Doing und Fehler machen! Die meisten Fortbildungen führe man selbst durch und

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chule muss ein Ort sein, an dem alle lernen dürfen”, erklärte Schleicher auf dem Digitalen Staat. Gerade im Bereich der Digitalisierung bedeute dies, dass auch Lehrerinnen und Lehrer von Schülerinnen und Schülern etwas lernen könnten. Deswegen müsse man sich etwas von der schulischen Hierarchie lösen. Auch gehe es darum, Lehrern mehr Zusammenarbeit zu ermöglichen, zum Beispiel bei der Unterrichtsvor- und -nachbereitung. “Bisher fehlt es wirklich daran, dass die Lehrer im Arbeitsalltag voneinander und miteinander lernen können. Man muss dieses ständige Lernen in den Arbeitsalltag integrieren”, so der OECD-Bildungsdirektor.

Lehramtsanwärtern (Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst) werde den digitalen Möglichkeiten und Anforderungen bisher kaum gerecht, erzählt Dr. Ansgar Klinger, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

Auch an der Stadtschule Travemünde - einer Grundschule in Lübeck - ist man bereits 2014 die Digitalisierung mit eigenem Engagement angegangen. “Wir hatten die Vermutung, dass digitale Medien, sinnvoll und mit Verstand eingesetzt, einen großen Nutzen für unseren Unterricht haben könnten. Wichtig war uns von Anfang an, dass der Einsatz dieses Mediums nicht nur um seiner Selbst willen geschieht, sondern dass durch den Einsatz

echte Mehrwerte entstünden”, berichtet der dortige Schulleiter Michael Cordes. “Einfach Kaufen wäre der falsche Weg gewesen!”, ergänzt er. Man habe sich darum erst mal über Studien zum Thema informiert. Studien aus dem englischsprachigen Ausland, denn von deutscher Seite habe es bis dato nur wenig Informationsmaterial gegeben. “Aufgrund unserer Recherche haben wir uns dann für den Einsatz von Tablets entschieden, denn: Weder Internetrecherche noch Textverarbeitung bilden wichtige Säulen der Nutzung in unserem pädagogischen Konzept.” Um die Veränderung im Lehrsystem nachhaltig einzuführen und das ganze Kollegium mitzunehmen, habe man erstmal drei Tablets zum Austesten ins Lehrerzimmer gelegt. Nach Zustimmung des Kollegiums wurden erstmal dienstliche Geräte angeschafft, die mit einem einfachen Auftrag ausgegeben wurden: Ausprobieren! Cordes: “Wenn wir wissen wollen, was möglich ist, müssen wir die Geräte nutzen.”

Die Krux der Medienkonzepte In der Grundschule in Travemünde und der Realschule am Rennbuckel hat man einfach angefangen und nach und nach

Dass Maßnahmen im Bildungswesen durchdacht sein sollten, dafür plädiert Klinger. Kleine Maßnahmen ließen sich zwar auch innerhalb einzelner Schulen schnell umsetzen, jedoch rät er aufgrund der Wartungsverantwortung davon ab, Schulen einfach mit finanziellen Mitteln auszustatten, wenn der Schulträger die umgesetzten Maßnahmen

(BS/mj) Die Digitalisierung der deutschen Hochschullandschaft bekommt einen neuen Anstoß. Insgesamt 139 Projekte dürfen sich über die erste Förderung durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre freuen. Die Stiftung unterstützt mit 300 Millionen Euro Hochschulen dabei, “sich mit veränderten Bedarfen, Rahmenbedingungen und Möglichkeiten weiterzuentwickeln und sich auf die Zukunft auszurichten”. Zwei Drittel der geförderten Projekte des Programms Hochschullehre durch Digitalisierung liegen in Baden-Württemberg und Bayern. Die Stiftung Innovation in der Hochschullehre unterstützt den Süden Deutschlands mit

(BS/Matthias Lorenz) Die Corona-Pandemie hat an den deutschen Schulen etwas einen starken Schub verliehen, was dort davor nur äußert schleppend voranging: der Digitalisierung. Damit diese auch zukünftig nachhaltig gestaltet werden kann, braucht es einen ganzheitlichen Ansatz. Dabei geht es um deutlich mehr als das bloße Bereitstellen von Technik, findet etwa Andreas Schleicher, Direktor des Direktorats für Bildung bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). nagement bei der Beratungsfirma atene KOM Akademie. Vielmehr gehe es um Motivation. Um hier möglichst viele zu motivieren, sei es entscheidend, Lehrern praktisches Handeln zu ermöglichen. Durch die Chance, Dinge in einem geschützten Raum auszuprobieren, erhielten die Lehrkräfte Handlungssicherheit, so Wendt.

IT-Infrastruktur muss auf zukünftige Entwicklungen reagieren können

kreativ sein und mit anderen zusammenarbeiten kann, gelingt”, erläutert Schleicher. Bislang seien soziale Kompetenzen oft als Beiprodukt betrachtet

worden, dabei müssten sie Kern der Bildung sein. Damit die Digitalisierung an den Schulen gelingen könne, komme es daneben auch auf dementsprechende

Foto: BS/Taken, pixabay.com

Fortbildungen für Lehrkräfte an. “Es kann nicht die Lösung sein, dass wir die Lehrer zu solchen Weiterbildungen zwingen”, sagt Widar Wendt, Leiter Bildungsma-

Für die Schulleiter lagen die Hindernisse an ganz anderen Stellen. “Das WLAN war nicht stabil”, antwortet Gerner auf die Frage nach den größten Komplikationen in der Anfangsphase. Und Cordes berichtet, dass immer wieder Diskussionen über Marken und Betriebssysteme die eigentliche Handlungsintentionen blockieren würden. Statt die Schulen mit Hardware und Software auszustatten, gebe es oftmals politische Diskussionen über die Anschaffung. Dabei sei der Nutzen von mediengestütztem Unterricht offensichtlich. Früher hätten Lehrkräfte fünf Stunden oder mehr für Bastelarbeiten aufgewendet, um die Stunden interessant und spielerisch zu gestalten, erzählt Cordes. “Das lässt sich heute alles mit einer App bewerkstelligen.”

Innovation, Vernetzung und Wissenstransfer

Für eine erfolgreiche Schul-Digitalisierung braucht es ganzheitlichen Ansatz

Nicht nur auf technische Ausstattung kommt es an, sondern auch auf soziale Kompetenzen

Die Probleme liegen woanders

MELDUNG

Nicht nur auf die Technik kommt es an

Soziale Kompetenzen stärken Laut ihm dürfe man darüber hinaus nicht vergessen, dass digitale Kompetenz wenig mit Technik zu tun habe. Vielmehr müssten soziale und emotionale Kompetenzen im digitalen Zeitalter im Vordergrund stehen. “Bei aller Technik ist die alles entscheidende Frage, ob uns der Übergang von einem Bildungssystem, in dem es hauptsächlich um das Auswendiglernen von Wissen geht, hin zu einem Bildungssystem, in dem man

Geld allein ist keine Lösung

nicht langfristig betreuen könne. Dagegen spricht, dass es in der Vergangenheit kaum Gelder für digitale Ausstattung gegeben habe, erläutert Gerner. Das sei erst mit dem DigitalPakt Schule gekommen und der Staat werde auch nicht ewig so viel Geld investieren. Darum bleibe man bei der eigenfinanzierten Lösung. Durch die staatlichen Förderungen hätten aber Leihgeräte für die jüngeren Klassen angeschafft werden können, sodass der Distanzunterricht während der Pandemie problemlos laufe und alle Kinder der Realschule am Rennbuckel ein Arbeitsgerät hätten.

Neben diesen Aspekten fällt auch der technischen Ausstattung der Schulen, Lehrkräfte und Schüler eine wichtige Bedeutung zu. Ein Beispiel ist hier das Schul-WLAN, wo es oftmals noch Schwierigkeiten und Enttäuschungen gebe, wie Axel Simon, Chief Technologist Networking bei der HPE Aruba, berichtet. “Dabei brauchen wir eine Vernetzung in den Schulen, die so zuverlässig funktioniert wie

rund 53 Mio Euro und 54 Mio. Euro. Weitere 51 Mio. Euro gehen an Projekte in Nordrhein-Westfalen. Hier werden insgesamt 33 Projekte finanziert. Von August 2021 bis Juli 2024 werden nicht nur Hochschulen für Angewandte Wissenschaften oder Fachhochschulen sowie Universitäten, sondern auch Kunst-, Film- und Musikhochschulen, Pädagogische Hochschulen und Fachhochschulen für Öffentliche Verwaltung gefördert. “Das Programm ist ein Schub für die digitale Lehre und hilft den Hochschulen dabei, Studium und Lehre innovativ digital weiterzuentwickeln”, erklärt Theresia Bauer, Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg.

der Strom und das Wasser in den Schulen.” Ein weiteres wichtiges Thema, das laut Simon angegangen werden muss, sei demnach die technische Ausstattung der Lehrer für die Heimarbeit. Schulische Infrastruktur müsse bis zu den Lehrkräften nach Hause reichen. Jens Klessmann, Geschäftsbereichsleiter Digital Public Service beim Fraunhofer-Institut FOKUS, weist darauf hin, dass man sich bei der Schul-Digitalisierung nicht nur auf die technische Ausstattung der Schulen fokussieren dürfe. Vielmehr müsse man IT-Strukturen aufbauen, die es ermöglichten, auch dauerhaft auf neue technische Entwicklungen zu reagieren. Solche neuen Technologien könnten beispielsweise Lern-Apps, 3D-Druck oder der Einsatz von Augmented-Reality (AR) sein. Daneben sollten beim Aufbau der IT-Infrastruktur Wege gefunden werden, um die Nutzerinnen und Nutzer frühzeitig einzubinden und Feedback von ihnen zu erhalten. Auch empfiehlt er, Daten von Schülerinnen und Schülern an einem zentralen Ort zu sammeln, damit man sich beispielsweise in unterschiedlichen Systemen nicht immer wieder von Neuem anmelden müsse.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Juni 2021

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Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Matthias Beer, Bürgermeister der bayerischen Marktgemeinde Beratzhausen

Foto: BS/privat

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ehörden Spiegel: Herr Beer, sie sind überregional als TikTok-Bürgermeister bekannt geworden. Wie kam es dazu?

Beer: Tatsächlich habe ich TikTok schon vor zwei Jahren heruntergeladen, aber nie wirklich angewandt, mit der Materie habe ich mich erst kurz vor der Wahl richtig beschäftigt. Meine Mitarbeitenden und ich waren zu diesem Zeitpunkt im “LockdownBlues” und so habe ich die App erst dann richtig kennengelernt. Ich habe gemerkt, wie man mit TikTok Zielgruppen ansprechen kann, die bisher mit Politik eher wenig zu tun hatten und die man dafür mehr begeistern sollte. Darüber hinaus finde ich, dass viele Menschen vom Beruf des Bürgermeisters ein sehr verfälschtes Bild haben, was ich korrigieren wollte. Dann habe ich einfach ein paar Videos gedreht und das eine oder andere ging viral. Spätestens, als die Bild-Zeitung auf mich aufmerksam geworden ist, dachten wir: “Oh je, was haben wir da angestellt?”. Die Reaktionen der Menschen im Ort waren aber durchweg positiv. Die Leute, die mich 2020 gewählt haben, die wussten, auf was sie sich einlassen, wenn sie mich zum Bürgermeister machen. Dass man diese Videos auch eher etwas überdreht darstellt, gehört

Auf Socken durchs Rathaus Der “TikTok-Bürgermeister” Matthias Beer spricht über die Chancen von Social Media für Politiker (BS) Wer TikTok nutzt, kennt den Bürgermeister der bayerischen Marktgemeinde Beratzhausen, Matthias Beer (CSU), vielleicht schon. Sein Auftritt, in dem er wie Hugh Grant in “Tatsächlich Liebe” durch das Rathaus tanzt, wurde bereits mehr als 50.000 Mal aufgerufen. Warum er die Sozialen Medien für wichtig erachtet und wie er damit die öffentliche Wahrnehmung von Amtsträgern verbessern möchte, erklärt er im Interview mit dem Behörden Spiegel. Das Interview führte Paul Schubert. zu den Prinzipien der Plattform, das ist ein Faktor, den das Ganze mit sich bringt. Behörden Spiegel: Was für ein verfälschtes Bild haben die Menschen denn ihrer Meinung nach von einem Bürgermeister? Beer: Also meine Beobachtung ist – das habe ich noch stärker gemerkt, als ich Familienvater geworden bin –, dass wir eigentlich vom Beruf des Bürgermeisters von Kindesbeinen an ein eher negatives Bild eingetrichtert bekommen. Wenn ich an den Bürgermeister von Benjamin Blümchen oder Bibi Blocksberg denke, dann ist der dort immer der natürliche Feind des Kindes. Dort will er dann den Zoo zusperren oder ist bestechlich. Dieses Bild führt sich auch bei der Paw Patrol oder den Simpsons fort: Bürgermeister sind eigentlich immer Vollidioten und/oder korrupt. Mit diesem medialen Bild für Kinder und Jugendliche braucht man sich dann nicht wundern, dass Poli-

Bild des nahbaren Politikers –, ist neben meinen kommunalen Entscheidungen eine Aufgabe, die ich mir zum Ziel gesetzt habe. Behörden Spiegel: Als sie zum Bürgermeister von Beratzhausen gewählt wurden, waren sie mit 36 Jahren ja noch relativ jung. Gab es Vorbehalte, so einen jungen Kandidaten wie sie aufzustellen? Beer: Tatsächlich habe ich Vorbehalte dieser Art kein einziges Mal wahrgenommen. Die Menschen sind sehr wohl in der Lage, das Alter passend einzuordnen, allerdings eher in dem Sinne, dass nicht das Geburtsjahr, sondern die Erfahrung, die man in den einzelnen Themenfeldern mitbringt, entscheidend ist. Ich bin trotz meines Alters schon seit über 18 Jahren in der Politik aktiv, ich war im Landesvorstand der Jungen Union (JU) in Bayern und habe mir auch ein paar Freunde in der Politik gemacht, die mir bei Fragen zur Seite stehen und Tipps geben können.

Meiner Meinung nach habe ich den Bürgern auch schon das eine oder andere Mal gezeigt, dass ich wirklich bereit bin, was für den Ort zu ändern und das bedeutet den Menschen mehr als das bloße Alter. Behörden Spiegel: Sie haben für ihre Bürgermeisterbewerbung damals auf ihrem YouTube-Kanal auch ein Bewerbungsvideo angefertigt. Da sprechen sie ihre fünf Hauptanliegen für das Amt an. Digitale Themen sind aber kein Teil davon. Warum? Beer: Für die digitale Verwaltung hat bei uns auch im Vorfeld ein bisschen die Bestandsaufnahme gefehlt, das habe ich intern feststellen können. Das ist wohl auch zum Teil begründet durch meinen Vorgänger, der für das Thema weniger übriggehabt hat und eher analog unterwegs gewesen ist. Das war dann für die Mitarbeitenden ein Befreiungsschlag als sie gesehen haben: “Da kommt jetzt einer, der ist für so

“Stadtmacher”

“I

ch darf Sie nach Weimar entführen, in die alte Feuerwache, eine für uns Weimarer bekannte alte Industriebrache”, beginnt Franziska Bernstein, Geschäftsführerin des Projekts Alte Feuerwache Weimar, ihre Ausführung in der ersten Onlinediskussionsrunde zur Post-Corona-Stadt von NeueStadt.org. Es geht um das Wirtschaften im Quartier, um die Schaffung von Wohnraum und Stadtentwicklungsstrategien für mehr Resilienz. Per Konzeptvergabeverfahren wurde die Industrie­ brache an drei Freunde vergeben, die innerstädtischen Wohnraum für Familien schaffen wollten – die Idee entstand am Küchentisch. Das Wort, das in den letzten Jahren die Charts der Stadtplanung erstürmt habe, ist laut Sebastian Beck, Seniorwissenschaftler der vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V., der Begriff “Stadtmacher” Soziale: oder ökologische Initiativprojekte,

tikerinnen und Politiker später in den Köpfen der Menschen zum emotionalen Fußabstreifer werden, deren Politik nicht auf Augenhöhe der Bürgerinnen und Bürger agiert. In diesem Sinne dachte ich mir, dass TikTok eine gute Zielplattform ist, in der man diese Vorurteile widerlegen kann. Ich will zeigen, dass ein Bürgermeister ein ganz normaler Mensch mit Stärken und Schwächen ist, den man aber auch auf Augenhöhe erreichen kann. Ich hoffe, dass möglichst viele Kolleginnen und Kollegen mitziehen und mehr von ihrer menschlichen Seite zeigen. Das verändert dann vielleicht auch das Bild, das die Bürger von Politikern in der Öffentlichkeit haben. Ich finde nämlich – und ich glaube, ich spreche da für alle meine Kollegen –, dass es kaum politische Akteure gibt, die Angelegenheiten bewusst falsch entscheiden, die zulasten der Kommune handeln und nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind. Eben genau dieses positive Bild zu vermitteln – das

Wie geht innovative und bürgernahe Stadtplanung? (BS/Malin Jacobson) Die historische Altstadt verliert ihre Bedeutung. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen vom Onlineshopping über finanzielle Nöte während der Pandemie bis hin zur Überalterung der Ladenbesitzer und mangelnden Nachwuchs. Das Ergebnis sind tote Innenstädte – das Gegenmittel: innovative und bürgernahe Stadtplanung. die eine Beitrag zur Gestaltung des urbanen Raums leisten. “Das sind wirklich kleine Projekte, die einfach mal zeigen, wie es gehen kann, Stadtentwicklung anders zu machen.” Wie es gehen kann, beschreiben auch Christian Kielczynski, Amtsleiter des Stadtplanungsamtes in Oranienburg, und Beate Profé, Leiterin der Abteilung Stadtplanung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin. In einer weiteren Online-Diskussionsrunde zur Post-

Am Küchentisch malt sich so manche Stadtmacherin die Stadt von morgen aus – innovativ, sozial, ökologisch und einfach anders. BS/geralt, pixabay.com

LEITER (m/w/d) DES BAUAMTS für eine moderne friesische Mittelstadt. Das Aufgabengebiet des Fachbereichs Bauamt umfasst die Bauordnung, die Stadtplanung, den öffentlichen Verkehrsraum, das Beitragswesen, die Grünflächen bzw. Gewässer, den Umweltschutz bzw. Nachhaltigkeit, das Liegenschaftswesen, die Gebäudewirtschaft, die städtischen Wohnungen, die Abwasserbeseitigung sowie weitere Aufgaben. Den Verantwortungsbereich und die Voraussetzungen im Einzelnen entnehmen Sie bitte der Ausschreibung auf der Homepage https://www.schortens.de/rathaus/rathaus/stellenausschreibungen.html. Ich suche für meine Mandantin eine kompetente Führungspersönlichkeit mit einem hohen Maß an Organisationsgeschick, die gern ihre Mannschaft zu Höchstleistungen motivieren kann. Unsere Mandantin bietet Ihnen eine eigenverantwortliche Tätigkeit in einem teamorientierten Arbeitsumfeld mit angenehmer Betriebsatmosphäre und ist bei der Haus- bzw. Wohnungssuche für den neuen Stelleninhaber (m/w/d) sehr gerne behilflich. Bei Interesse an weiteren Informationen stehe ich Ihnen für eine erste vertrauliche Kontaktaufnahme gerne telefonisch unter 0179-6014902 (Imke Hellmanns) oder per E-Mail zur Verfügung. Möchten Sie sich direkt bewerben, senden Sie mir bitte Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen – gerne per E-Mail an hi@humanlead.de – mit Angabe Ihres nächstmöglichen Eintrittstermins sowie Ihrer Gehaltsvorstellung. Selbstverständlich sichern wir Ihnen absolute Vertraulichkeit zu.

te Akteure machen das, was sie immer schon getan haben. Stattdessen muss man aber Städte für Menschen bauen und Experimente zulassen”, fordert er und betont: “Die Stadtmacherprojekte sind legitime Verhandlungspartner!” Zudem gebe es nach wie vor zu wenig Geld. Wenn ein Projekt gefördert werde, gingen zehn andere leer aus. Die größten Förderer von innovativer Stadtplanung seien demnach private Mäzene und Stiftungen und nicht die Kommunen und Länder.

Einfach mal machen

Gegenseitig aushelfen

Für meine Mandantin suche ich im Rahmen einer Nachfolgeregelung einen fachlich sowie persönlich überzeugenden

was empfänglicher.” Grundsätzlich muss ich aber sagen, dass die Digitalisierung der Kommunalverwaltung meiner Meinung nach ein Thema ist, das von oben kommen muss, und zwar nicht nur durch das Onlinezugangsgesetz (OZG). Ich erwarte da viel mehr, dass das entsprechend für die Kommunen vorbereitet wird, weil es ein sehr herausforderndes Thema ist, das eine Verwaltung mit zwölf Mitarbeitern einfach nicht allein stemmen kann. Da würde ich mir tatsächlich mehr Unterstützung wünschen. Wenn jede Kommune in Deutschland das selber aufbereiten müsste, ginge so viel an Ressourcen verloren, die eigentlich nicht sein müssten. Da muss in diesem Fall das Bundesland die entsprechenden Voraussetzungen und Kapazitäten schaffen. Ich glaube allerdings, dass diesem Thema die Entwicklung mittlerweile positiv ist. Man merkt, dass die Kooperation mit den Softwareherstellern gefördert wird und wir hier Stück für Stück auch in der Kommune Erfolge sehen werden. Ich habe es deswegen nicht im Wahlprogramm positioniert, weil ich auch glaube, dass man es als kleine Kommune nicht sonderlich beeinflussen kann, sondern nur die bereitzustellenden Lösungen nutzt oder eben nicht.

Corona-Stadt von NeueStadt.org erläutern sie das kommunale Nachbarschaftsforum (KNF), das Berliner Stadtteile, Bezirke und angrenzende brandenburgische Gemeinden zusammenbringt. Gemeinsam positioniere man sich im KNF zu kommunalen Themen wie Bevölkerungsentwicklung, Durchgrünung, Klimaschutz und Digitalisierung. Dank seines eigenen Budgets könne das KNF gegenüber Interessenten und Institutionen geschlossen auftreten, führt Profé aus. Kielczynski ergänzt: “Da schaut man auch mal, was die anderen machen”, beispielsweise wie Fahrradparkhäuser umgesetzt oder Marktplätze und Verwaltungsgebäude gestaltet werden. Dass positive Beispiele zum Nachmachen animieren, kann auch Stefan Heinig, Referent für Stadt- und Landentwicklung im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der

Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, bestätigen. Zudem würden spannende Projekte allgemein die Attraktivität einer Stadt fördern und damit auch den Zuzug von interessierten Menschen mit eigenem Innovationspotenzial. Die Alte Feuerwache Weimar besteht mittlerweile zu 60 Prozent aus Wohnraum und zu 40 Prozent aus Gewerbefläche. Schon früh habe man durch öffentliche Aufrufe feste Gewerbepartner gefunden, erzählt Bernstein. Eine lokale Bio-Genossenschaft und die Lebenshilfe haben sich bereits sehr früh beteiligt, fährt sie fort, und beispielsweise Beteiligungsformate getestet. “Der Bio-Frischemarkt kann direkt das Café beliefern und das wiederum Mittagessen für den Kindergarten bereitstellen. Die Lebenshilfe bietet inklusive Arbeitsplätze im Café an.”

Bürokratie und Geld “Das sind tolle Projekte”, führt Bernsteins Kollegin Christiane Werth, Geschäftsführerin der Alten Feuerwache in Weimar, an, “aber eben doch alles Eliteprojekte.” Man brauche einen niederschwelligen Zugang für Projektumsetzungen, statt Professionalisierung im Vorhinein. Es gibt, laut Werth, noch keine eingespielten Verfahren in den Kommunen, die den Zugang und die Umsetzung erleichterten. Daher bemühten sich letztendlich immer die gleichen Erfahrenen um innovative Stadtentwicklung. “Das führt dazu, dass wir Leuchtturmprojekte haben, aber keinen geebneten Weg, der sich anschließt.” Zudem könnten Stadtmacher und etablierte Akteure nach wie vor nicht auf Augenhöhe agieren, erläutert Beck. “Viele etablier-

Das Problem kennt auch Kielczynski: “Beteiligung betrifft immer zwei Seiten. Die Verwaltung, die oft gar nicht weiß, wie sie Beteiligung anleiten und umsetzen soll, und die Beteiligungskompetenz der Bürger, was bedeutet, ganzheitlich zu denken, Prozesse abzusehen und nicht nur die individuellen Interessen einzubringen.” Oftmals scheitere Bürgerbeteiligung und damit die Implementierung von Projekten auch auf Behördenseite am Geld, so Kielczynski. Sobald externe Dienstleister eingeschaltet werden müssten, um Befragungen oder Konzeptwettbewerbe durchzuführen, werde es für Kommunen schwierig, da Beteiligung keinen eigenen Haushaltsposten habe. Zumindest in den Fällen, in denen innovative Stadtmacher bereits auf die Verwaltungen zukommen, lautet der einstimmige Appel aus der ersten Diskussionsrunde zur Post-Corona-Stadt: Einfach mal machen, Koproduktionen zulassen und Entscheidungskompetenzen abgeben. Das geht nicht ohne versierte Nachfolgerinnen und Nachfolger, auf deren neue Blickwinkel Profé zum Abschluss des Gesprächs verweist. Nach vielen Jahren der Einsparungen würden nun endlich wieder jüngere Menschen eingestellt, die dann Führungsrollen übernehmen und innovative Ansätze einbringen und umsetzen könnten.


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Personelles

Behörden Spiegel / Juni 2021


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Kommunaler Haushalt

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B

ehörden Spiegel: Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die kommunalen Haushalte aus? Gibt es regionale Unterschiede?

Köhler-Geib: Im Krisenjahr 2020 hat sich zunächst in den ersten drei Quartalen ein erhebliches Haushaltsdefizit angedeutet, das dann zum Jahresende aufgrund der Hilfen von Bund und Ländern noch abgewendet werden konnte. Was wir aktuell sehen, ist, dass die Unsicherheit über die finanzielle Entwicklung für 2021 und die darauffolgenden Jahre sehr groß ist. Und das hat bei einer Mehrheit der Kommunen zu einem Stimmungstief geführt. Regionale Unterschiede sehen wir hier nicht. Die Krise trifft fast alle Kommunen hart. Behörden Spiegel: Laut KfWKommunalpanel rechnen 85 Prozent der Kommunen krisenbedingt mit geringeren Einnahmen. Was ist mit den restlichen 15 Prozent? Köhler-Geib: Elf Prozent der befragten Kommunen gehen von keiner Veränderung aus. Nur die restlichen, also vier Prozent, erwarten eher steigende Einnahmen. Es wäre denkbar, dass in diesen Fällen beispielsweise die Erwartung auf weitere krisenbedingte Finanzhilfen besteht. Aber das trifft nur auf den kleinsten Teil der Kommunen zu. Was weiterhin problematisch bleibt, sind die sinkenden Einnahmen, die für die Mehrheit der Kommunen eine Schwierigkeit darstellen. Da

“Die Unsicherheit ist sehr groß” KfW-Chefvolkswirtin Dr. Köhler-Geib zur kommunalen Finanzlage (BS) Die Corona-Pandemie belastet die kommunalen Haushalte stark. Die Stimmung in den Kämmereien ist lauf KfW-Kommunalpanel auf einem Zehnjahrestief. Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), sprach mit uns über die Herausforderungen, vor denen Kommunen jetzt stehen und welche Maßnahmen in der aktuellen Krise notwendig sind . Die Fragen stellte Lora Köstler-Messaoudi. ein großer Teil der Ausgaben der Kommunen festgeschrieben ist, findet ein Haushaltsausgleich meistens über das Kürzen bei Investitionen oder den freiwilligen Leistungen statt. Hier sind es vor allem die Bereiche Sport und Kultur, bei denen dann am meisten gespart werden wird. Behörden Spiegel: Welche Entwicklungen wird es bei den kommunalen Investitionen geben? Werden sich Ungleichheiten noch weiter verstärken? Köhler-Geib: Aufgrund der guten Ausgangslage vor der Krise haben wir aktuell noch keine Kürzungen gesehen. Es besteht aber die Gefahr, dass das mit einer Zeitverzögerung doch noch kippen könnte. 57 Prozent der Kommunen gehen davon aus, dass bei weiterhin sinkenden Einnahmen ihre Investitionen zurückgefahren werden müssen. Es ist noch unklar, in welchen Bereichen das genau passiert. In Querschnittsbereichen wie der Digitalisierung oder auch die Transformation zur Klimaneutralität werden jedoch in Zukunft eher höhere Investitionen

erwartet. Das bedeutet, dass die benötigten Haushaltsmittel an anderer Stelle eingespart werden müssen. Bei den finanzschwachen Kommunen wird das viel stärker ins Gewicht fallen, als bei denen, die bereits vor der Krise gut aufgestellt waren. Das führt dann natürlich dazu, dass sich regionale Unterschiede, die schon vor der Krise bestanden haben, noch verstärken. Behörden Spiegel: Laut KfWKommunalpanel haben immer mehr Kommunen im vergangenen Jahr zur Finanzierung von Investitionen ihr Anlagevermögen veräußert. Müssen die Kommunen mittlerweile ihr Tafelsilber verkaufen, um finanziell noch handlungsfähig zu bleiben?

Grundsteuer wird in Nordrhein-Westfalen ab 2025 nach dem Bundesmodell erhoben (BS/Martin Lehrer*) Lange hat die NRW-Regierung die 396 Städte und Gemeinden des Landes über die Grundsteuer im Unklaren gelassen. Anfang Mai kam schließlich die Nachricht: Das Modell des Bundes wird übernommen, von der Länderöffnungsklausel wird kein Gebrauch gemacht. Ohnehin wäre es nach Ansicht von Fachleuten dafür zu spät. Länder, die bei der Grundsteuer eigene Wege gehen wollen, haben die Gesetzgebung längst begonnen – etwa Bayern – oder bereits abgeschlossen: so Baden-Württemberg.

Zwischen Wunsch und ­Wirklichkeit Die NRW-Landesregierung rechtfertigt die Entscheidung für das Bundesmodell mit zahlreichen Verbesserungen, die man auf dem Weg dorthin erzielt habe. So sei die tatsächlich erhobene Miete bei der Feststellung des Immobilienwertes durch eine pauschalierte “Listenmiete” ersetzt worden. Auch beim Bodenrichtwert wird nicht individuell gerechnet, sondern man verwendet den Wert der Zone, in der das Grundstück liegt. Rund 300 Fachkräfte hat die NRW-Finanzverwaltung seit 2019 zusätzlich für die Neubewertung von rund 6,5 Millionen wirtschaftlichen Einheiten eingestellt. In der Düsseldorfer CDU-FDPKoalition wünschten vor allem die Freien Demokraten ein wertunabhängiges Berechnungsmodell wie in Bayern. Dort ist das Grundsteuergesetz Mitte Mai in den Landtag eingebracht worden. Doch dem größeren NRWKoalitionspartner CDU war es

nicht unlieb, dass so lange kein Modell auf den Tisch kam. “Wir halten das Bundesmodell für das logischste von allen”, sagt Olaf Lehne, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Bei einem Modell, das den Immobilienwert lediglich aus Grundstücks- und Gebäudeflächen herleite, hätte er Bedenken, ob dieses dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts gerecht würde.

Geteiltes Echo Damit steht er nicht allein. Im Bayerischen Landtag haben die Grünen just dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben. In der Frage, ob das bayerische Flächenmodell mit dem Grundgesetzt vereinbar ist, kommt der Potsdamer Jurist Thorsten Ingo Schmidt zu dem Ergebnis: nein. Der Gleichheitsgrundsatz sei verletzt, wenn ein Einfamilienhaus am Stadtrand ebenso behandelt werde wie eine Villa in Innenstadtnähe. Sollte das Gesetz beschlossen werden, wollen die bayerischen Grünen Verfassungsklage erheben.

Eingriff in die Hebesatz-Autonomie? Das Echo auf die NRW-Entscheidung pro Bundesmodell ist geteilt. Der Städtetag NRW begrüßt den Schritt, weil dadurch für Steuereinnahmen von rund 3,8 Mrd. Euro jährlich Planungssicherheit geschaffen werde. Überdies – so Vorsitzender Pit Clausen, Oberbürgermeister von Bielefeld – komme es so zu einer “gerechten Besteuerung der Grundstücke”. Das genaue Gegenteil macht ein wirtschaftsnahes Verbändebündnis geltend. Von einem “teuren Bürokratiemonster” sprechen Haus und Grund Rheinland-Westfalen, Handwerk NRW, Unternehmerverband und Industrie- und Handelskammern NRW sowie der Bund der Steuerzahler NRW.

abgesehen können wir in der Summe nur wenig Veränderungen bei den insgesamt genutzten Finanzierungsinstrumenten für Investitionen sehen. Kritisch Dr. Fritzi Köhler-Geib ist Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). wäre das Ganze, wenn wir ein “Verscherbeln Foto: BS/KfW-Bildarchiv, Thorsten Futh von Tafelsilber” sähen, also den Verkauf aus der Not heraus. Dafür Köhler-Geib: Anlagevermögen gibt es aber in unseren Daten zum Beispiel in Form von Im- keine belastbaren Belege. mobilien kann in guten Zeiten Behörden Spiegel: Welche fials Versicherung für schlechte Zeiten erworben werden. Je nach nanziellen Maßnahmen helfen am Ausprägung der haushaltsrecht- besten in der aktuellen Krise? lichen Vorgaben in den Ländern ist das eine übliche Form der Köhler-Geib: Wir haben die Finanzierung. Aktuell haben die Kämmerer auch dazu befragt. Kommunen unter den abgefrag- Die haben hier eine ganz klare ten Instrumenten zur Investiti- Meinung. Kurzfristig wünschen onsfinanzierung den Verkauf von sie sich eine Erstattung von SteuAnlagevermögen deutlich häufiger errückgängen. Wenn man aber genannt als früher, so dass der einen Blick über die Krise hinaus Anteil dieser Kategorie von vier auf wirft, wünschen sich die Kommuelf Prozent angestiegen ist. Davon nen eher strukturelle Reformen

“Eine Entspannung der öffentlichen Haushalte wird erst später eintreten.”

Orientierung am Mainstream

Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht im April 2018 die Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt, weil sie auf veralteten Einheitswerten für Grundstücke und Gebäude beruht. Der Bund wurde verpflichtet, bis Ende 2019 eine andere Lösung zu finden. Diesem Auftrag kam der Gesetzgeber mit dem sogenannten Bundesmodell nach, das einen starken Akzent auf den Grundstücks- und Immobilienwert setzt. Freilich können die Länder durch eigene Gesetze von diesem Modell abweichen. Die Grundsteuerreform muss bis Ende 2024 abgeschlossen sein. Mit Blick auf die kommunale Haushaltsplanung, bei der auch die Grundsteuer festgelegt wird, müssen die neuen Bewertungen aber schon Anfang 2024 vorliegen.

Behörden Spiegel / Juni 2021

Eines wird den Kommunen mit dem Bundesmodell jedenfalls ermöglicht: für baureife Grundstücke die höhere Grundsteuer C zu erheben. In der Versenkung verschwunden ist freilich die Variante “Zonierte Hebesätze”. Offensichtlich müsste man Dauerstreit befürchten, wenn die Bürgerschaft einer Gemeinde im Ortsteil A mehr Grundsteuer zahlen müsste als im Ortsteil B. Als Qualitätsmerkmal jedes Grundsteuermodells gilt, dass es aufkommensneutral funktioniert – sprich: dass dadurch nicht automatisch Steuererhöhungen ausgelöst werden. Dabei liegt es in der Verantwortung der Kommunen, dies durch entsprechende Hebesätze sicherzustellen. Die NRW-Landesregierung hat sich dafür etwas Besonderes ausgedacht. Sie will für jede Stadt oder Gemeinde den Hebesatz errechnen lassen, bei dem das Grundsteueraufkommen annähernd gleich bleibt. Genau genommen ist das ein erheblicher Eingriff in deren Hebesatz-Autonomie. Aber Kommunalexperten sehen dies eher gelassen. “Das kann die Kommunen in der Kommunikation mit den Bürgern und Bürgerinnen entlasten, wenn die Steuerbescheide rausgehen”, sagt der Schatzmeister des Kämmererverbandes NRW, Dr. Dirk AhrensSalzsieder. Auf einen anderen Effekt macht Claus Hamacher, Finanzbeigeordneter des Städte- und Gemeindebundes NRW, aufmerksam. In vielen ländlichen Gemeinden müsste nach der Neubewertung der Grundstücke der Grundsteuerhebesatz auf einen vierstelligen Wert angehoben werden, um das Aufkommen zu halten. “Da ist man froh, wenn man eine entsprechende Empfehlung des Landes im Rücken hat.” *Martin Lehrer arbeitet als freier Journalist in Köln.

in der Finanzmittelverteilung im föderalen Staat. Entscheidend dabei ist, dass die Kommunen nach der Krise dauerhaft handlungsfähig bleiben und auch ihren Aufgaben effizient nachkommen können. Behörden Spiegel: Ihre Einschätzung: Wie lange werden die Kommunen noch auf Unterstützungsmaßnahmen angewiesen sein? Köhler-Geib: Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass ein Ende der Pandemie und damit auch der ökonomischen Krise in Sicht ist. Wir rechnen mit einer sehr soliden wirtschaftlichen Erholung. Bis zum Jahresende kann das deutsche BIP wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Entscheidend dafür ist natürlich auch der weitere Fortschritt beim Impfen. Bei den öffentlichen Haushalten sehen wir immer einen zeitlichen Verzug bei den Auswirkungen. So wird es auch hier sein. Eine Entspannung der öffentlichen Haushalte wird erst später eintreten. Deshalb muss mit zielgenauen Unterstützungsmaßnahmen mehr Planungssicherheit für kommunale Investitionen geschaffen werden, damit wir auch in der Erholung hier an zusätzlichem Tempo gewinnen.

Greensill – Risikogeschäft mit Steuergeldern? Kommunen im Visier der Kritiker (BS/lkm) Bei der Bremer Greensill Bank haben viele Kommunen Geld angelegt, das nun wegen der Insolvenz verloren zu gehen droht. An die 50 Städte befürchten jetzt Verluste in Höhe von rund 500 Millionen Euro. Doch nicht nur die finanziellen Verluste belasten die Bürgermeister und Kämmerer der betroffenen Städte. Viel Häme und Vorwürfe prasselten auf die betroffenen Städte nieder, wie im Rahmen einer Online-Diskussionsrunde zum Thema auf NeueStadt.org deutlich wurde. Städte wie Monheim, Eschborn, Schwalbach, Wiesbaden und einige weitere haben in den letzten Wochen und Monaten große mediale Aufmerksamkeit erfahren. Es gab kaum eine Zeitung, die nicht über die verlorenen Steuergelder berichtete. Komiker stellten betroffene Kämmerer in Fernsehsendungen als Zocker dar, die völlig selbstverschuldet das Geld ihrer Stadt verspielt hätten. Zehn Minuten googeln hätten gereicht, um skeptisch werden zu können. Mag sein, dass darin auch ein Körnchen Wahrheit steckt, jedoch hat keiner der Verantwortlichen hier mit Steuergeldern gezockt. Eine Anlage bei einer Privatbank ist bis zu einem bestimmten Anteil erlaubt und in keinster Weise zu vergleichen mit den komplexen Cross-BorderLeasing-Geschäften, die vor einigen Jahren zu ähnlichen Schlagzeilen führten. Vielerorts wollte man lediglich das sogenannte Verwahrentgelt vermeiden, das beispielsweise bei einer Anlage bei der örtlichen Sparkasse angefallen wäre. Für die Geldanlage der Stadt Monheim wären das immerhin rund 165.000 Euro p.a. gewesen” , so die Kommunalfinanzexpertin Mechthild Stock. “Das ist eine Größenordnung, davon kann man fast zwei Kindergärtnerinnen bezahlen”, verdeutlicht Stock. Die daher auch nachvollziehen kann, warum einige Kommunen diesen Weg gegangen sind: “Die Kämmerer stehen unter enormen Druck, sogenannte Strafzinsen zu vermeiden und alle Möglichkeiten auszuloten, um Mittel einzusparen. Gerade in der aktuellen Corona-bedingten Krise, da mit hohen Einbrüchen auf der Ertragsseite zu rechnen ist.” Stock berichtet, dass in den betroffenen Kämmereien aktuell eine große Verunsicherung herrscht: “Man wird durch die Presse gehetzt und mit Strafanzeigen bedacht. Das ist schon eine ziemlich heftige Sache.” Jedoch – so räumt sie ein: Der Zins der Greensill Bank habe mit 0,2 Prozent deutlich über dem Marktdurchschnitt

gelegen. Dies sei eine Größenordnung, die in der heutigen Zeit zum Aufhorchen führen sollte. Nun gelte es aber, nach vorne zu blicken und zu prüfen, ob und wie der voraussichtliche Schaden reduziert werden kann. Viele Kommunen haben sich zusammengeschlossen, um mit rechtlicher Unterstützung Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Hier müsse man sich darüber im Klaren sein, dass solche Verfahren mitunter Jahre dauern können und dann vielleicht nicht den gewünschten Erfolg bringen. Weiterhin gebe es auch die reelle Möglichkeit, die Forderungen der Kommunen an die Greensill Bank zu verkaufen – natürlich mit “Besserungsschein”. Der Finanzwissenschaftler Professor Renè Geißler bewertet rückblickend die Wahrscheinlichkeit, dass die Anlagen bei der Greensill Bank ausfallen, als “sehr unkonkret” und “minimal”. Er könne deswegen durchaus auch verstehen, dass man in einigen Kommunen hier zugegriffen habe. Letztlich sei, so Geißler, aber weniger als ein Prozent der kommunalen Gelder bei Greensill angelegt worden. Wichtiger als die Einlagen an sich seien die Klumpenrisiken. Wenn zum Beispiel zehn Prozent der Einlagen einer Kommune bei Greensill angelegt wurde, sei dies in seinen Augen nicht fahrlässig. Anders sähe es aus, wenn ein Kämmerer einen Großteil seiner Überschüsse allein bei einer Bank anlegt. Dann könne man hier durchaus von Fahrlässigkeit sprechen, unabhängig davon, um welche Bank es sich handelt. Damit so etwas in Zukunft möglichst nicht mehr passiert, werden die Forderungen nach schärferen Anlagerichtlinien für die öffentliche Hand immer lauter. Kommunen sollten möglichst keine Gelder mehr bei Privatbanken anlegen. Dies bewertet Stock als übertrieben. Es gebe viele Institute und Privatbanken, die seriös und finanzstark aufgestellt seien – auch kleine Privatbanken. Zudem gebe es andere Optionen,

Verwahrentgelte zu vermeiden, die sich zu prüfen lohnen – z.B. kommunale Bausparverträge. Auch Geißler sieht den entscheidenden Hebel nicht in einem Verbot der Privatbanken für Kommunen, sondern in der Aufsichtsstruktur der Banken. Darauf müssten sich Kämmerer verlassen können. Es könne nicht sein, dass kleine Gemeinden bei einer Festgeldanlage die Jahresberichte der Banken prüfen müssten. Es müsse ausreichen, wenn die Banken ein Rating bzw. eine Zulassung der BaFin hätten, auf die man sich dann auch verlassen könne. Bei krimineller Energie helfe zudem keine noch so ausgefeilte Anlagerichtlinie, so Geißler. Hier könne man nicht der Kommune die Schuld zuschieben. “Es ist Aufgabe der Aufsichtsbehörde, das zu erkennen”, so der Finanzwissenschaftler. “Bei Betrug ist man ein Stück weit machtlos.” Geißler schlägt daher vor, die Einlagensicherung für die Kommunen wieder zu öffnen. Seiner Einschätzung nach hätten die zusätzlichen kommunalen Lasten den Einlagensicherungsfonds nicht zum Einsturz gebracht. Um solche Minimalrisiken wie Bankenpleiten für Kommunen zu abzusichern, sollte die öffentliche Hand hier partizipieren: “Denn dieses Risiko kann die einzelne Kommune nicht tragen. Dies funktioniert nur über die Gemeinschaft”, so Geißler. Mit Blick auf die Forderungen an das Anlagemanagement der Kämmereien warnte er vor der Gefahr, dass die Komplexität in der Verwaltung wieder steigt. Das Kämmereigeschäft werde dadurch nur noch komplizierter und aufwendiger. Mehr Verfahren und neues Fachwissen würden notwendig werden. “Das ist genau das Gegenteil, was die Kommunen jetzt brauchen. Wir brauchen eine einfache Verwaltung, einfache Geldanlagen und nicht immer mehr Komplexität”, mahnte Geißler – insbesondere vor dem Hintergrund des steigenden Fachkräftemangels und der damit verbundenen Kosten.


Kommunale Infrastruktur

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Post-Corona-Bäderwelt

Gegen die Schließung

Entwicklung und Finanzierung der Bäderlandschaft nach der Krise

(Neue) Geldquellen für kommunale Schwimmbäder

(BS/Christian Mankel/Michael Weilandt*) Das Stimmungsbarometer ist in der Bäderbranche seit dem zweiten Lockdown im November 2020 deutlich gefallen. Auch die Badbetreiber hätten sich gewünscht, dass von der Politik registriert worden wäre, dass die Bäder monatelang mit aufwendigen Hygienekonzepten auf Grundlage des Pandemieplans der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e. V. (DGfdB) sicher betrieben worden waren – es gab weder Infektionsherde noch “Hotspots”.

(BS/Klaus Germer*) Schon vor Beginn der Corona-Pandemie war die finanzielle Situation der kommunalen Bäderlandschaft hochproblematisch, seit dem letzten Jahr mit dem Einsetzten der verschiedenen Phasen des Lockdowns hat sie sich weiter dramatisch zugespitzt.

Die öffentlichen Bäder hatten alles für die Sicherheit ihrer Besucherinnen und Besucher und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getan, was möglich war. Auch die technischen Ge­gebenheiten in den Hallenbädern boten alle Voraussetzungen, Ansteckungen zu vermeiden. Die Badegäste hatten dies mit Vertrauen gedankt und sich froh darüber gezeigt, dass sie in einem kontrollierten Umfeld etwas für ihre Gesundheit tun konnten. In einer aktuellen repräsentativen Befragung unter den deutschen Badbetreibern wurde von diesen die Einhaltung der Hygienemaßnahmen in ihren Bädern auf einer Skala von eins bis fünf mit zwei, also “gut”, bewertet. Die große Frage ist nunmehr die “post-pandemische” Gesellschaftsentwicklung. Wie werden sich die mögliche größere Arbeitslosigkeit oder gar Insolvenzwelle und generell die Wirtschaftsund Geldwertentwicklung auf das Verhalten der Badbesucher auswirken?

Proaktiv planen In Anlehnung an diese zentrale Fragestellung und ihr längerfristiges Projekt “Bäderwelt 2030” hat sich die DGfdB von einem Partner eine szenariobasierte strategische Zukunftsanalyse für einen mittelfristigen Zeithorizont bis 2023 erstellen lassen. Alle Bäderbetriebe sind dabei in gleichem Maße herausgefordert, jedoch mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen. Ein passives Aussitzen ist keine echte Option zur Bewältigung der Krise – eine proaktive Planung und strategisch weitsichtige Umsetzung der notwendigen Anpassungen sind die Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation. Widerstandsfähigkeit im Sinne einer Robustheit gegenüber externen Schocks könnte im Zuge dessen zum neuen gesellschaftlichen Leitbild und damit auch dem der Bäderpolitik werden. Wenn die Entwicklung unverändert weitergeht, werden die privaten Freizeitbäder und Thermen noch mehr unter Druck geraten. Diejenigen Bäder, die direkt oder indirekt hauptsächlich über öffentliche Zuschüsse finanziert werden, werden in Abhängigkeit von den Möglichkeiten der Zuschussgeber mehr oder weniger in Schwierigkeiten geraten. Leere Becken dürfen trotz der aufkommenden kommunalen Finanzlü-

cken in den Jahren 2022 und ‘23 nicht zum Dauerzustand werden. Wir können jeden kommunalen Badbetreiber nur auf die Wichtigkeit eines Schwimmbades als Attraktivitätsfaktor einer Kommune für gerade junge Familien bei der Wohnortwahl hinweisen. Schwimmen ist mehr als Sport und Freizeit. Es ist Teil der Kultur, deren Finanzierung im Sinne des übergeordneten Public Value auch in finanziell schwierigen Zeiten sichergestellt werden muss. In enger Abstimmung mit dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) bleibt auch die juristisch noch nicht final bewertete steuerrechtliche QuerverbundFragestellung bedeutungsvoll, inwieweit die Folgen der behördlichen Maßnahmen während der Corona-Pandemie dazu führen, dass bestehende verbindliche Auskünfte über das Vorliegen von technisch-wirtschaftlichen Verflechtungen der Bäder- und Energieversorgungssparte in Stadtwerken Bindungswirkungen verlieren, da die nötigen Voraussetzungen nicht mehr kumulativ vorliegen. Es ist in allen angestellten prospektiven Überlegungen ein erhöhter Handlungsbedarf für politische Entscheidungsträger und Betreiber zur Zukunftssicherung der öffentlichen Bäderlandschaft festzustellen. Andernfalls könn-

ten ersatzlose Schließungen von Bädern, auch aufgrund fehlender Investitionen, drohen. Es sollten neue, kreative Finanzierungskonzepte und Betreibermodelle in Betracht gezogen werden. Auch über das Familienbad als Ort der Naherholung und des “Urlaubs zu Hause” sollte neu nachgedacht werden. Veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und neue Betriebskonzepte verändern die Nutzungsmuster und Atmosphäre in den Bädern. Weitere mögliche Ansatzpunkte, diesen Entwicklungen zu begegnen, sind eine verstärkte interkommunale Zusammenarbeit und ein verbesserter Erfahrungsaustausch. Die kommenden Herausforderungen bringen es mit sich, dass viele Bäder im Hinblick auf Fixkosten, Preisgestaltung und Angebote auch anpassungsfähiger und flexibler werden müssen. Zugleich wachsen die Anforderungen an das Personal und damit verbunden die Bedeutung einer langfristigen Fachkräftesicherung stetig an, da neue Qualifikationsbedarfe hinsichtlich der Hygiene, der Sicherheit, aber auch des Umgangs mit digitalen Technologien entstehen. Dies erfordert einerseits Fortbildungen bei den bestehenden Belegschaften, andererseits dürfte sich dadurch die Personalge-

winnung weiter erschweren und die Kommunen müssen vor diesem Hintergrund unbedingt ihr Angebot an Ausbildungsplätzen stabil hochhalten. Gleichsam kann zur Bekämpfung der Fachkräfteproblematik darüber nachgedacht werden, welche Aufgabenbereiche zukünftig eventuell automatisiert oder teilautomatisiert werden könnten. Der Bäderatlas der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e. V. (www.baederatlas.com) verzeichnet zurzeit 6.002 Hallen- und Freibäder, davon befinden sich etwa 30 Bäder im Umbau. Ein nennenswerter Rückgang der Zahl der Bäder war in den vergangenen Jahren nicht zu beobachten. So bietet die Krise auch Chancen: Die Bäder könnten aufgrund ihrer spezifischen Kompetenzen zu Vorreitern einer beschleunigten Transformation der kommunalen Infrastrukturen in Richtung Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden – und damit ein essenzieller Bestandteil kommunaler Daseinsvorsorge bleiben. *Christian Mankel, MBA, ist Geschäftsführer, und DiplomSportwissenschaftler Michael Weilandt stellv. Geschäftsführer und Bereichsleiter Forschung und Regelwerk bei der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e. V.

Die Corana-Bilanz 2020 für die Schwimmbäder kann man wie folgt auf den Punkt bringen: Bäder auch in der Badesaison bei weiterlaufenden Betriebskosten Corona-bedingt überwiegend geschlossen. Im Sommer nicht alle Bäder offen, weniger Besucher als erlaubt, hohe Kosten und häufiges Unverständnis der Badegäste. Die Betreiber verzeichneten für die Saison 2020 ein noch größeres Defizit als sonst – meist im Bereich von 100.000 – 150.000 Euro pro Bad, vereinzelt aber auch erheblich höher.

Schließungen und ­Sanierungsstau Auch im Jahr 2021 wird die Bilanz nicht besser aussehen, ja wegen der insgesamt wegbrechenden Steuereinnahmen der meisten Kommunen sich dauerhaft noch verschlechtern. Nach Angaben der DLRG sind seit dem Jahr 2000 im Durchschnitt jedes Jahr 80 Bäder geschlossen worden. Ein maßgeblicher Grund für die Schließung der Schwimmbäder ist das nach wie vor nicht gelöste Problem des Sanierungsstaus von rund 4,6 Mrd. Euro. Dass öffentliche Bäder Orte für das hoheitliche Schulschwimmen sind und es der nachwachsenden Generation ermöglichen, eine der zentralen menschlichen Kulturfähigkeiten, das Schwimmen, zu erlernen, ist für diese Entwicklung kein Hinderungsgrund. Die Mehrzahl der kommunalen Schwimmbäder werden als kommunale Einrichtungen in der Regel organisatorisch als öffentlich-rechtliche Eigenbetriebe oder in Form von Ausgliederungen privatrechtlicher Art geführt. Immer aber werden die Einnahmen der Bäder im Normalfall nicht aus dem Markt heraus, sondern ausschließlich über Subventionen und Steuern generiert.

Schwimmbäder als ­Pflichtaufgabe? Kommunalverfassungsrechtlich ist zudem nicht unstreitig, ob das Vorhalten von kommunalen Schwimmbädern als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge auch unverzichtbare Pflichtaufgabe im eigenen Wirkungskreis der Kommunen einzustufen ist. So gab es in der Vergangenheit

“Bäderleben” Deutschlandweite Open-Data-Datenbank zu Bädern füllt sich (BS/Prof. Dr. Lutz Thieme*) Bäderleben.de ist der Name einer Website, die Informationen zu mehr als 9.300 Bädern in Deutschland sammelt. Mithilfe von engagierten Bürger(innen) ­werden zu jedem öffentlichem Bad, Hotel-, Klinik-, Schul- und Naturbad mehr als 140 Merkmale erfasst. Die gesammelten Daten können von Interessenten mithilfe verschiedener Abfragen eingesehen und abgerufen werden, um sämtliche Fragen rund um die deutsche Bäderlandschaft zu beantworten. Wie viele Bäder gibt es wo in Deutschland? Welche Ausstattung ist in den Bädern vorhanden? Wie entwickeln sich die Bäderzahlen, die Wasserfläche und andere Parameter? Bislang war die Beantwortung dieser Fragen aufgrund fehlender empirischer Daten nicht möglich. Zwar gibt es den Bäderatlas der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen, welchem die Standorte der Bäder aus einer Kartendarstellung entnommen werden können. Allerdings ist der Standort eines Bades allein für viele Interessengruppen rund um die Bäder keine hinreichende Grundlage, um die an vielen Orten aufflammenden bäderpolitischen Diskussionen mit empirisch belastbaren Daten zu bereichern. Auch förderpolitische Interessen oder wissenschaftliche Fragestel-

lungen, beispielsweise nach der sozialen Bedeutung von Bädern für den umgebenden Siedlungsraum, könnten aufgrund dieser Datenlage nicht bedient werden.

9.300 Bäder erfasst Das vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (www.bisp.de) geförderte Projekt “Bäderleben” soll hier Abhilfe schaffen. Mithilfe der Website www.bäderleben.de werden Daten zu sämtlichen Schwimmbädern und Badestellen in Deutschland gesammelt. Neben den 9.300 geöffneten Bädern, die bereits erfasst wurden, ermöglicht das Projekt auch eine Darstellung der Entwicklung von Badzahlen und den dazugehörigen Merkmalen. Hierfür werden auch die Daten von Bädern erfasst, die dauerhaft geschlossen sind. Die verschiedenen Merkmale adressieren die ver-

schiedenen Interessengruppen. So sind neben Eintrittspreisen, Daten zur sportlichen Ausstattung, zur Barrierefreiheit und Wellness auch Merkmale rund um Baujahr, Betrieb und Nutzergruppen enthalten. Für die Internetseite entwickelte Auswertungstools ermöglichen verschiedene Abfragen, beispielsweise wie viele Bäder z. B. durch eine Gemeinde betrieben werden oder wie viele Bäder ein Zehn-Meter-Sprungturm besitzen. Bäderleben macht sich hierfür das “Wikiprinzip” zunutze und setzt auf einen Citizen-ScienceAnsatz. Dieser baut darauf auf, dass Daten durch engagierte Badnutzer/-innen ergänzt werden. Jeder Interessierte kann Vorschläge zu Änderungen oder Ergänzungen der Baddaten machen oder fehlende Bäder melden. Die Validität der Daten wird durch

Badpat(innen) gesichert. Diese kennen das betreffende Bad gut und sind in vielen Fällen auch in örtlichen Sportvereinen oder der Deutschen Lebens-RettungsGesellschaft (DLRG) aktiv. Wenn sich genügend Badpaten finden und Veränderungen durch diese oder durch Nutzer in die Datenbank gelangen, dann – so die Hoffnung – stehen nicht nur aktuelle und valide Daten für jeden zur Verfügung, es lassen sich auch Entwicklungen im Zeitverlauf deutlich besser beschreiben und Vergleiche zwischen verschiedenen Bundesländern, Kreisen oder Kommunen anstellen. Begleitet wird das Projekt Bäderleben von einem breiten Bündnis von Verbänden, die rund um die Bäder aktiv sind. Dazu gehören Sportverbände ebenso wie die Deutsche Gesellschaft für das

Badewesen, die deutsche Sektion der IAKS, kommunale Spitzenverbände, die Arbeitsgemeinschaft deutscher Sportämter (ADS) oder die Sportministerkonferenz. Insgesamt sind die bereitgestellten validen Daten zu den Bädern in Deutschland nicht nur für politische Entscheidungsträger relevant, sondern können auch von Sportorganisation, Bürgern und Wissenschaftlern genutzt werden. Deshalb ist der OpenData-Ansatz weiter zu verfolgen. Mehr Informationen zu den ­ ädern, Badpaten und HinterB grundinformationen sind unter www.baederleben.de zu finden. *Prof. Dr. Lutz Thieme leitet den Studiengang Sportmanagement an der Hochschule Koblenz – Rhein­AhrCampus.

immer Überlegungen, unter dem Zwang zur kommunalen Haushaltskonsolidierung die Einrichtung der kommunalen Schwimmbäder grundsätzlich infrage zu stellen. Analysiert man Fälle von Bäderschließungen, wird man feststellen, dass es häufig im Vorfeld keine fundierte Wirtschaftlichkeits- und insbesondere Organisationsuntersuchung gab, mit denen Alternativen zur Verbesserung der Finanzierung der Bäder hätten aufgezeigt werden können. Bereits die Wahl der optimalen Organisationsform eines kommunalen Schwimmbades kann zu einer nachhaltigen Verbesserung der Finanzierungsstruktur führen. Für die strukturelle Gestaltung eines Schwimmbades sind rechtliche wie auch steuerrechtliche Anforderungen zu berücksichtigen. Nicht selten hält eine Kommune neben dem Eigentum an den Bädern auch noch Beteiligungsgesellschaften, die den Bäderbetrieb führen und dabei Effizienzvorteile heben können. Auch neue Formen bürgerschaftlicher Kooperationen und alternative Organisations- und Finanzierungsmodelle wie etwa eine alternative Trägerschaft in Form einer Genossenschaft sind denkbar.

Masterplan für Bäder gefordert Daneben bedarf es zukünftig einer nachhaltigeren Teilhabe der kommunalen Bäderlandschaft an dem zwingend erforderlichen Abbau des bundesweiten Infrastrukturstaus. Wie in dem von der Bäderallianz Deutschland vorgelegten “Masterplan Deutschland” aufgezeigt wird, fehlt es immer noch an einer nachhaltigen Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Bäder. Die Sicherung von Neubau, Sanierung oder Modernisierung von Bädern wird insbesondere durch die föderale Zuständigkeit für Bäder und damit intransparente und uneinheitliche Förderungspolitik gehemmt. Die Forderung der Bäderallianz lautet daher zutreffend, ein neues, nachhaltiges System der Finanzierung öffentlicher Bäder zu entwickeln. Einige noch zu oft vernachlässigte, ergänzende Quellen zur Finanzierung kommunaler Schwimmbäder sind die Akquise von Spenden, Sponsoring und der Einsatz eines professionellen kommunalen Fundraisings. Auch neuere Formen der Finanzmittelakquise wie das Crowdfunding können hierbei einen wichtigen Beitrag leisten. Diese Quellen auch für den Erhalt der kommunalen Bäderlandschaft effektiv zu nutzen, setzt voraus, dass einige haushalts-, steuer- und vertragsrechtliche Grundlagen bekannt sind. *Klaus Germer ist Rechtsanwalt in einer Fachkanzlei für Verwaltungsrecht.

Mehr zum Thema Die finanzielle Situation der kommunalen Bäder ist Thema des Online-Kongresses des Behörden Spiegel “Kommunale Bäder – Handlungsstrategien zur Effizienzsteigerung” am 29. Juni 2021. Anmeldung und Programm unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Bäder”.


Kommunalpolitik

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onkret geht es bei der Lernwerkstatt um die Erprobung des Einsatzes von Wasserstoffbrennzellenbussen auf Regionalbuslinien im Landkreis. “Die Stadt Gießen selbst betreibt schon umweltfreundliche, mit Biogas fahrende Busse”, erklärt Dr. Manfred Felske-Zech, Leiter der Stabsstelle Wirtschaftsförderung, Tourismus und Klimaschutz des Landkreises Gießen. Damit sei der Druck für eine Umstellung hier nicht so groß, weswegen man sich die Regionalbuslinien vorgenommen habe. Die drängende Frage sei gewesen, wie man diese Strecken so elektrifizieren kann, dass sie auch wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden können.

Wettbewerb erhalten “Neben dem Ziel, die Busse auf emissionsfreie Antriebe umzustellen, wollen wir den Wettbewerb im Landkreis erhalten”, ergänzt Marcel Corneille von der EMCEL GmbH, die Kommunen bei der Flottenumstellung berät. Zahlreiche private Busunternehmen agierten auf dem Markt, die durch den Mobilitätswandel vor große Herausforderungen gestellt würden. Dies liege zum Beispiel daran, dass Fahrzeuge mit emissionsfreien Antrieben in der Anschaffung teuer seien. Die Lernwerkstatt habe zum Ziel, diese Herausforderungen abzufedern, so Corneille weiter. Die Busunternehmen begäben sich so nicht in wirtschaftliche Gefahr, lernten aber viel. Wie Felske-Zech ausführt, wolle man dadurch verhindern, dass sich nur noch große Unternehmen an Ausschreibungen beteiligen könnten. Aus diesem Grund werden zentral zwei Wasserstoffbrennzellenbusse angeschafft, die den Busunternehmen in einem Zeit-

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Wasserstoffbusse in der Erprobung Erster Schritt zu Umsetzung des SaubFahrzeugBeschG (BS/Matthias Lorenz) Wie kann die Umstellung der ÖPNV-Flotte auf emissionsfreie Fahrzeuge gelingen? Angesichts immer strengerer Klima- und Umweltschutzvorgaben, zum Beispiel durch das “Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz” (SaubFahrzeugBeschG) als Umsetzung der EUClean-Vehicles-Directive, stellen sich viele Kommunen diese Frage. Im Landkreis Gießen wird die Umstellung anhand einer E-Bus-Lernwerkstatt geprobt. Auf der in die Plattform NeueStadt.org eingebundenen Webkonferenz “Neue Mobilität” wurde das Projekt vorgestellt. raum von zwei Jahren zur Erprobung im Einsatz zur Verfügung gestellt werden. Hier sollen die Busse nicht nur auf der Straße zeigen, was sie können. Es geht auch um die Schulungen von Fahrerinnen und Fahrern und Werkstattpersonal.

Alle Technologien sind sinnvoll Durch diese Erprobung sollen zahlreiche Fragen geklärt werden. Laut Felske-Zech zählt dazu unter anderem, ob eine zentrale Wasserstofftankmöglichkeit im Landkreis ausreiche. Auch die Frage, ob sich für mehrere Busunternehmen eventuell eine Zentralwerkstatt zur Wartung der Fahrzeuge lohne, gehöre dazu. “Wir sehen, dass die Lernwerkstatt ein Weg ist, mit dem die Unternehmen an die Technik herangeführt werden können”, sagt Corneille. So könne man darüber hinaus zeigen, dass es möglich sei, die ÖPNV-Flotte auch außerhalb der Ballungszentren zu dekarbonisieren. Eine wichtige Frage, die bei der Flottenumstellung beachtet werden muss, ist die Technologie, mit welcher der Strom zum Elektromotor kommt. Neben der Brennstoffzelle, die vereinfacht gesagt aus Wasserstoff Strom erzeugt, kann hier auf Akkus, aber auch zum Beispiel auf Oberleitungslösungen zurückgegriffen werden. “In Abhängigkeit der lokalen Bedingungen können alle Technologien grundsätzlich sinnvoll sein”, erläutert

Wasserstoffbusse fahren demnächst auch durch den Landkreis Gießen.

Corneille. Es komme eben auf die örtlichen Begebenheiten an, welche Technologie letztendlich eingesetzt werde. Hier würden auch Faktoren wie die Linienlänge, auf der die Fahrzeuge eingesetzt werden sollen, eine Rolle spielen.

Teurer für öffentliche Auftraggeber Die Umstellung der ÖPNVFlotte dient auch der Umset-

zung des SaubFahrzeugBeschG. “Durch das Gesetz werden die Auftraggeber dazu verpflichtet,

Foto: BS/KlimaExpo.NRW, cc by-nd 2.0, flickr.com

bei der Beschaffung von Fahrzeugen eine bestimmte Quote von emissionsfreien Fahrzeugen

einzuhalten”, so Dr. Jan Deuster, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei CBH Rechtsanwälte. Dadurch solle unter anderem ein Nachfrageimpuls für saubere Fahrzeuge hergestellt werden. So könnten Hersteller erkennen, dass es einen Markt für solche Fahrzeuge gibt. Als Auftraggeber würden sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Privatunternehmen, die eine Sektorentätigkeit ausübten, gelten. Die Quoten seien grundsätzlich nicht nur für den ÖPNV, sondern auch für Anschaffungen in allen anderen Flotten verpflichtend. Die Quote, die ab dem 2. August 2021 für energieeffiziente Fahrzeuge gilt, liegt bei 45 Prozent, davon muss die Hälfte komplett emissionsfrei sein. Am 1. Januar 2026 wird die Quote dann auf 65 Prozent angehoben. Deuster rechnet damit, dass ab 2031 eine 100-Prozent-Quote gelte. Wie der Rechtsanwalt weiter erklärt, müssten die Quoten insgesamt eingehalten werden, was Verteilungen ermögliche: “So kann man zum Beispiel festlegen, dass in Ballungszentren mehr, auf dem Land dafür weniger gemacht wird.” Auch dürften Bundesländer untereinander Abstimmungen zur Einhaltung der Quote machen. Beim kommunalen Fuhrpark könnten bestimmte Sonderfahrzeuge wie beispielsweise Rettungswagen von der Regelung ausgenommen werden. Ein Fazit Deusters: “Es wird aufwendiger und teurer für den Auftraggeber.”

Bundestag beschließt Schnellladegesetz 1.000 neue Schnellladestandorte sollen entstehen (BS/lma) Der Bundestag hat mit den Stimmen der Regierungskoalition und von Bündnis 90/Die Grünen das Gesetz zur Bereitstellung flächendeckender Schnellladeinfrastruktur für reine Batterieelektrofahrzeuge (Schnellladegesetz – SchnellLG) beschlossen. FDP und AfD stimmten gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung, die Linke enthielt sich. Durch das Gesetz soll bundesweit der flächendeckende und bedarfsgerechte Aufbau von öffentlich zugänglicher Schnellladeinfrastruktur gefördert werden. Wie das zuständige Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mitteilt, werde mit dem Gesetz die Rechtsgrundlage für den gezielten Ausbau eines deutschlandweiten Netzes von Schnellladepunkten entstehen. Ziel ist es, 1.000 zusätzliche Schnellladestandorte zu schaffen, an denen mit mindestens 150 Kilowatt (High Power Charging – HPC) geladen werden kann. Diese werden ausgeschrieben. Mit dem Gesetz wolle man dazu beitragen, dass Fahrerinnen und Fahrer von E-Autos auch auf längeren Strecken ihren Akku schnell ausreichend laden könnten, erklärt Johannes Pallasch, Sprecher des Leitungsteams der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur. Die Leitstelle koordiniert und steuert zusammen mit dem BMVI die Aktivitäten zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland.

Regionale Lose werden gebildet Der Leitstelle wird nun die Aufgabe zuteil, mithilfe der Anwendung “StandortTOOL” die Ladebedarfe anhand von Daten zum Mobilitätsund Ladeverhalten, zu Fahrzeugtypen und zum bisherigen Bestand an Ladeinfrastruktur zu ermitteln. “Basierend auf den Analysen werden dann Gebiete (Suchräume) zur Errichtung von Schnelllade­ standorten ausgeschrieben”, so das BMVI. Die Ausschreibung erfolge in mindestens 18 regionalen Losen, welche die zuvor festgelegten Suchräume enthielten. Die Lose würden verschieden groß gestaltet, um auch die Belange mittelständischer Unternehmen bei der Losbildung zu berücksichtigen. Laut Bundesregierung fasse man bei der Losbildung wirtschaftlich attraktive mit wirtschaftlich unattraktiven Gebieten zusammen.

DStGB begrüßt Regelung Beim Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur kommt der

Durch das SchnellLG sollen 1.000 neue Schnellladestandorte entstehen.

kommunalen Ebene eine wichtige Rolle zu. “Die geplante bundesweite Ausschreibung von Schnelladeinfrastruktur ist aus Sicht der Städte und Gemeinden der notwendige Weg, um zeitnah eine flächendeckende Verfügbarkeit an Schnellladeinfrastruktur zu gewährleisten”, schreibt der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) angesichts der Gesetzesverabschiedung. Man begrüße, dass explizit mittelständische Interessen bei der Losbildung berücksichtigt werden müssten. Darüber hinaus betont der DStGB, dass das BMVI dem Bundestag nun alle zwei Jahre einen Bericht über die Flächendeckung, den Betrieb und die technische Ausstattung der Schnellladestandorte vorlegen müsse. Damit sei auch das Parlament stärker in die Umsetzung des Gesetzes eingebunden und könne einwirken, falls das Ziel der flächendeckenden Versorgung mit Schnellladeinfrastruktur gefährdet sei. “Für die Städte und Gemeinden beziehungsweise Regionen könnte das Fehlen von geeigneten Lademöglichkeiten schließlich schon in naher Zukunft zu einem erheblichen

Foto: BS/stux, pixabay.com

Standortnachteil werden”, so der kommunale Spitzenverband.

Positive Bewertung durch Fachbranche Auch in der Fachbranche äußert man sich positiv zum neuen Gesetz. “Der entscheidende Faktor im 1.000-Standorte-Programm ist und bleibt der freie und faire Wettbewerb. Wir freuen uns besonders darüber, dass die Auswahl der Wettbewerber auch nach Qualitätskriterien erfolgen wird”, erklärt etwa Michiel Langezaal, CEO des niederländischen Unternehmens Fastned, welches seit 2012 europaweit Schnellladein­frastruktur für EAutos entwickelt. In einer Pressemitteilung betont das Unternehmen, besonders bedeutend sei im Gesetz auch, dass der Verkehrsausschuss die Einbeziehung von Autobahnrastplätzen als Schnellladestandorte durchgesetzt habe. Man sehe darin einen wichtigen Baustein für eine flächendeckende Versorgung, bei der Elektroautofahrern alle 20 bis 30 Kilometer entlang der Autobahn eine Schnelllademöglichkeit angeboten werden solle.


Kommunale Infrastruktur / Neue Mobilität

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ie Region Hannover versucht, das Carsharing im Umland der niedersächsischen Landeshauptstadt zu realisieren. “Im ländlichen Bereich gibt es für so etwas viele Hürden”, sagte die Leiterin des ÖPNV-Marketings bei der Region Hannover, Rößner. Carsharing sei weniger bekannt, außerdem spiele der eigene Pkw im Alltag vieler Menschen eine große Rolle. Für einzelne Kommunen sei es deswegen wenig sinnvoll, allein tätig zu werden, weswegen man sich unter dem Dach der Region Hannover zusammengetan habe. Damit die Fahrzeuge über eine gesicherte Grundauslastung verfügetn, fungierten die Kommunen als Ankerkunden, so Rößner weiter. Während sogenannter Kernzeiten könnten kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Fahrzeuge nutzen. Außerhalb der Kernzeiten stünden die Fahrzeuge der Öffentlichkeit zur Verfügung. Zur Zeit beteiligten sich am Projekt vier Kommunen, zwanzig Fahrzeuge stünden zum Carsharing bereit. “Andere Kommunen haben aber bereits ihr Interesse geäußert”, berichtet Rößner. Trotzdem sei das Projekt kein Selbstläufer, die Kommunen bräuchten Betreuung. Außerdem sei kontinuierliche Marketingarbeit erforderlich, um das Angebot auch unter der Bevölkerung bekannt zu machen.

Mobilität bereitstellen Doch für den Aufbau eines Carsharing-Angebots braucht es nicht unbedingt eine neue Flotte an Fahrzeugen. Auch die bestehende Flotte kann in ein internes Sharing-Konzept überführt werden. “Hier geht es da­rum, von der Bereitstellung eines eigenen Fahrzeugs zur Bereitstellung von Mobilität zu kommen”, erklärte Stephan Grimm vom kanadischen Unternehmen Fleet Complete, welches sich mit Flottenlösungen für Behörden und Unternehmer beschäftigt. Von der Buchung über die Bereitstellung des Fahrzeuges bis zur Analyse der Fahrt könne alles digital gelöst werden. So seien Einsparungen beim Fuhrpark ohne Verlust der Mobilität möglich. Öffentliche Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern jedoch nicht nur Mobilität über das Auto zur Verfügung stellen. Eine Alternative kann hier das Dienstfahrrad-Leasing darstellen. “Dienstrad-Leasing ist eine gute Möglichkeit, um die Emission von Schadstoffen zu verringern und das Mobilitätsverhalten auf dem Arbeitsweg zu verändern”, sagte Knut Petersen, Seniorberater und Bereichsleiter Betriebliches Mobilitätsmanagement bei der EcoLibro GmbH, die Arbeitgeber in Mobilitätsfragen berät. Um ein solches Modell erfolgreich einführen zu können, sei es jedoch wichtig, zunächst einige Analysen durchzuführen, welche zum Beispiel die Erreichbarkeit des Arbeitgebers per Rad oder auch die vorhandene Radwegesituation beträfen. Außerdem sei eine gute Mitarbeiterkommunikation erforderlich.

Belastung besser balancieren Um kommunale Mobilität zukunftsfest zu machen, spielen jedoch noch viele andere Faktoren eine Rolle. Das Start-up Hawa Dawa GmbH hat digitale Sensoren entwickelt, um die Luftqualität in Städten zu messen. “So schaffen wir eine Datengrundlage, aufgrund derer die Kommunen sinnvolle Maßnahmen zur Luftreinhaltung beschließen können”, erklärte Frank Felten, Chief Product Officer beim Unternehmen. Damit könne man durch die aktive Steuerung von Ampelgrünphasen oder die Implementierung von Alternativrouten in Navigationssysteme die Schadstoffbelastung besser balancieren. Auch große Konzerne wie das Mineralölunternehmen

Viele Konzepte für Mobilität der Zukunft Mithilfe von Carsharing, Dienstfahrrädern und Ladesäulen kann der Umstieg gelingen (BS/Matthias Lorenz) Um Treibhausgasemissionen zu senken und den Klimaschutz voranzubringen, muss das Mobilitätsverhalten von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von Verwaltungsangestellten verändert werden. In der Region Hannover soll dies durch ein Carsharing-Angebot erreicht werden, erläuterte Karin Rößner auf der digitalen Konferenz “Neue Mobilität”. Das Projekt ist eine Variante, um die beiden Ziele zu erreichen. Bei der auf der Plattform “NeueStadt.org” ausgestrahlten Veranstaltung wurde deutlich: Nicht nur die Verwaltung, auch Unternehmen, vom Großkonzern bis zum mittelständischen Betrieb, machen sich Gedanken und bieten Konzepte an. Total beschäftige sich mit Fragen der zukünftigen Mobilität. “Wir werden uns zu einem Energieanbieter für Mobilität weiterentwickeln”, prognostizierte Malte Hock von Total. Das Unternehmen wolle sich als Bereitsteller von Ladeinfrastruktur (Charge Point Operator, CPO) etablieren.

Engpässe im Stromnetz beseitigen In Bedburg, welches mitten im rheinischen Braunkohlerevier liegt, kooperiert die Stadt beim Aufbau von Ladeinfrastruktur mit der Eon-Tochter DigiKoo. “Mithilfe von DigiKoo können wir in die Zukunft sehen und so besser planen”, berichtete Bedburgs Bürgermeister Sascha Solbach. So könne man beispielsweise festlegen, an welchen Stellen in der Stadt man zuerst in die Infrastruktur investieren müsse. DigiKoo erstellt unter anderem Vorhersagen, in denen man eventuelle Engpässe im Stromnetz erkennen kann. So lasse sich herausfinden, wo mehr Ressourcen gebraucht würden, führte Peter Mathis, Geschäftsführer der DigiKoo, aus. “Wir gehen davon aus, dass Peaks im Stromnetz über Intelligenz geregelt werden müssen. In dieser Hinsicht werden Speichertechnologien eine große Rolle spielen.” Solche Peaks könnten beispielsweise entstehen, wenn nach der Arbeit viele Menschen ihr E-Auto gleichzeitig zuhause laden wollten. In Hannover wird derweil ein Projekt realisiert, in dessen Rahmen die Stadt an 40 Dienststellen mindestens 200 Ladepunkte für den eigenen Fuhrpark und die Autos der Mitarbeiter aufbauen will. “Das Ziel ist die Förderung der E-Mobilität. Darüber hi­naus wollen wir auch, dass die Stadtverwaltung weiterhin als attraktive Arbeitgeberin gilt”, sagte Inge Schottkowski-Bähre vom Fachbereich Umwelt und Stadtgrün der Landeshauptstadt. Die Stadt habe mit verschiedenen Herausforderungen zu tun. So müsse man sicherstellen, dass die Liegenschaften nicht überfordert würden. Darüber hinaus gebe es unterschiedliche Anforderungen an die Ladeinfrastruktur: So müssten elektrische Feuerwehrfahrzeuge rund um die Uhr einsatzbereit sein. Dagegen könne man Fuhrparkfahrzeuge batterieschonend laden, da diese über Nacht nicht führen. Des Weiteren wisse man noch nicht, wie sich der Bedarf entwickeln werde. Deswegen müsse man über Erweiterungsmöglichkeiten nachdenken.

Keine hoheitliche Aufgabe Bei solchen Projekten stellen sich immer auch rechtliche Fragen. Wie Rechtsanwältin Dr. Katharina Vera Boesche, Leitung Fachgruppe Regulierung und Regulierungsökonomie beim ITK für Elektromobilität II, verdeutlichte, müssen bei der Bereitstellung von Ladeinfrastruktur meist die Vorschriften des Mess- und Eichrechts beachtet werden. “Dieses Recht ist immer dann wichtig, wenn es zu einer Abrechnung kommt”, so Boesche. So werde sichergestellt, dass die auf der Ladesäule angezeigte, abgegebene Energie auch tatsächlich im Fahrzeug angelange. Eine Ausnahme bestehe lediglich, wenn jedem Mitarbeiter ein spezieller Ladepunkt zugewiesen sei, also ein Eins-zu-Eins-Nutzungsverhältnis zustande komme. Darüber hinaus müssten sich

An 40 Dienststellen errichtet Hannover 200 Ladepunkte für Mitarbeiter. Hier eröffnet Oberbürgermeister Belit Onay einen Ladepunkt. Foto: BS/Landeshauptstadt Hannover

Kommunen darauf einstellen, mit dem Betrieb von Ladesäulen für Fuhrpark und Mitarbeiter zum Betrieb gewerblicher Art zu wer-

den, weil der Ladesäulenbetrieb nicht überwiegend der Ausübung hoheitlicher Aufgaben diene. Auch Dr. Roman Ringwald,

Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei BBH Rechtsanwälte, wies darauf hin, dass Kommunen im Themenkomplex Ladeinfrastruktur einiges in Verträgen regeln könnten. “Es geht nicht unbedingt darum, alles selbst zu machen. Bei der Ladeinfrastruktur gibt es so viel zu beachten, dass es vielleicht besser ist, diese Dinge einen Betreiber machen zu lassen”, erläuterte Ringwald. Trotzdem müsse beispielsweise berücksichtigt werden, dass E-Autos nicht weniger Platz bräuchten als Verbrenner. “Wir müssen mit dem öffentlichen Raum jedoch anders umgehen”, so Ringwald. Dazu komme zum Beispiel, dass man den Raum für Ladesäulen mittelfristig vielleicht auch wieder zu anderen Zwecken nutzen wolle. Deswegen empfahl

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Ringwald, in die Verträge mit den Ladeinfrastrukturbetreibern Passagen aufzunehmen, die diese Fragen regeln. Wichtig sei unter anderem eine Endschaftsregelung. Darüber hinaus müsse dafür gesorgt werden, dass möglichst viele Nutzer einen Zugang zur Ladeinfrastruktur bekämen. Auch sei es wichtig, eine Mindestverfügbarkeit an Ladesäulen und eine maximale Reaktionszeit bei Störungsfällen festzulegen. Des Weiteren müsse entschieden werden, wie und wo geladen werden solle. Nur an manchen Standorten seien DC-Ladestationen für das Schnellladen sinnvoll. Letztlich komme es auch darauf an, sich darüber Gedanken zu machen, ob der Betreiber von der Kommune oder aus anderen Quellen finanziell gefördert werde.

Derzeit bereiten wir die nächste Konferenz für den Herbst 2021 inhaltlich vor. Falls Sie als Referentin oder als Referent mitwirken wollen, wenden Sie sich bitte an Benjamin Bauer (benjamin.bauer@behoerden spiegel.de).


Kommunale Sicherheit

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Zahlreiche mögliche Anwendungsfelder

Bundesweites Sperrsystem kommt

Künstliche Intelligenz kann im Sicherheitsmanagement helfen

Informationsbereitstellung durch Behörde allerdings verzögert

(BS/mfe) Bei Großveranstaltungen kommt es entscheidend auf effektive Zugangskontrollen und eine wirksame Lenkung und Beeinflussung von Besucherströmen an. Ebenso wichtig ist – vor allem in Corona-Zeiten – das kontaktlose Fiebermessen. Bei alldem kann Künstliche Intelligenz (KI) maßgeblich unterstützen. Zumal, wenn sie unterschiedliche Quellen auswerten kann.

(BS/mfe) Ab dem 1. Juli sieht der Glücksspielstaatsvertrag für alle Betreiber von Spielhallen und -banken sowie Veranstalter und Vermittler von Sportwetten bundesweit eine Anschlusspflicht an ein Spielersperrsystem vor. In Hessen gibt es ein solches spielformübergreifendes System mit der “Onlineabfrage Spielerstatus” (OASIS) bereits seit Juli 2013. Wahrscheinlich aufgrund der dort bereits vorhandenen Expertise wurde das Regierungspräsidium Darmstadt mit der Errichtung und Unterhaltung eines übergreifenden Sperrsystems beauftragt. Es kam jedoch zu Verzögerungen.

Das bietet die Lösung “Parsifal” der G2K Group GmbH. Sie kann unterschiedliche Datensätze miteinander verknüpfen und verschiedene Algorithmen miteinander kombinieren. Dadurch wird die Zahl von Fehlalarmen, die Personal binden, deutlich minimiert. Außerdem lassen sich Sachverhalte so besser erkennen und bewerten. Auf der “Parsifal”Plattform können verschiedene Applikationen genutzt und kombiniert werden. Dadurch ist die Software nicht nur in den Bereichen Sicherheitsmanagement und Zugangskontrolle nutzbar, sondern etwa auch bei der Panikerkennung nutzbar. Weitere mögliche Anwendungsfelder sind das Auslastungsmanagement im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), die Überwachung von Busspuren, der gesamte Bereich von Smart City oder die Kontrolle der Einhaltung von Bestimmungen zur Eindämmung des Coronavirus. Dabei geht es immer um die Erkennung von Sicherheitsvorfällen mithilfe von Verhaltens- oder Gepäckerkennung beziehungsweise anderen potenziellen Gefahren, etwa durch Personen mit deutlich erhöhter Körpertemperatur auf Veranstaltungen oder Menschen, die in ein Gleisbett stürzen.

Entscheidende Fehler vermeiden Dabei müssen immer mehrere, vorher festgelegte Parameter erfüllt sein, damit ein Alarm ausgelöst wird. Nur ein erkanntes

Die Lösung “Parsifal” kommt unter anderem bereits in Corona-Impfzentren (Foto) zum Einsatz. Foto: BS/G2K Group GmbH

Merkmal allein ist dafür nicht ausreichend. Bei alledem hostet die G2K Group, die hierzulande über Büros in Berlin sowie München verfügt und zudem unter anderem im Nahen Osten und in Südamerika aktiv ist, die gewonnen Daten nicht selbst. Gleiches gilt für die Speicherung der Daten. Diese verbleiben grundsätzlich beim jeweiligen Kunden, der die “Parsifal”-Lösung nutzt. Das Unternehmen fokussiert sich in diesem Zusammenhang auf die Entwicklung der Software. Die passende Hardware bieten dann

Kooperationspartner an. “Parsifal” kann sogar mit thermisch-visuellen Elementen, Systemen zur mechanischen Zugangskontrolle oder CoronaSchnelltests gekoppelt werden. Die Anwendung ist zudem mobil auf Tablets nutzbar. Das erlaubt eine Anwendung direkt am Ort eines Geschehens, etwa an den Sicherheitsschleusen im Eingangsbereich einer Veranstaltung. Hier kann das Kontrollpersonal die Situation dann direkt bewerten und entsprechend handeln.

MELDUNG

Feuerwehrschule 2.0 gestartet (BS/bk) Die Thüringer Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule (TLFKS) in Bad Köstritz feierte ihr 30-jähriges Bestehen. Das Innenministerium Thüringens startete passend dazu das Projekt “TLFKS 2.0”. Anlässlich des Jubiläums stellte der thüringische Innenminister, Georg Maier (SPD), zusammen mit dem Leiter der TLFKS, Jörg Henze, die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie aus dem vergangenen Jahr vor. Die Studie sollte prüfen, ob die Gegebenheiten des derzeitigen Standorts für die gestiegenen Anforderungen geeignet sind. “Die Studie hat gezeigt, dass am jetzigen Standort alle baulichen Erfordernisse abbildbar sind. Es braucht keinen

zweiten Standort und wir sparen dadurch enorm Zeit und Geld”, erklärte Maier. Der Ausbau des Standorts könne während des Lehrbetriebes realisiert werden. Ein Baubeginn sei ab 2023 möglich. Die Investitionskosten für die baulichen Maßnahmen werden auf rund 70 Millionen Euro geschätzt. Es sind vier Ausbaustufen der TLFKS vorgesehen. In der ersten Stufe soll die Unterbringungssituation der Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmer verbessert werden. In den folgenden Stufen sollen Technik- und Funktionsgebäude saniert bzw. neu gebaut werden. Der erste Abschnitt könnte schon 2025 fertiggestellt werden.

So sollten Informationen für potenzielle Antragssteller, zu denen zum Beispiel auch die Betreiber von Pferdewetten im Internet, Buchmacher und Veranstalter von Online-Casinospielen zählen, ursprünglich bereits nach dem 1. Mai bereitgestellt werden. Dieser Zeitpunkt wurde dann auf die Zeit nach dem 10. Mai verschoben. Inzwischen heißt es seitens des Regierungspräsidiums nur noch, dass ab dem 1. Juli ein Online-Formular zur Registrierung bei OASIS zur Verfügung stehen werde. Weitergehende Informationen für Antragsteller finden sich kaum. Auch ansonsten zeigt sich das Darmstädter Regierungspräsidium ziemlich einsilbig. Als Grund für die Verzögerung werden recht allgemein organisatorische Veränderungen benannt. Immerhin geht die Behörde davon aus, dass die verspätete Informationsbereitstellung keine Auswirkungen

auf das Anschlussverfahren hat. Es wird zugesichert, dass der technische Dienstleister auf Hochtouren daran arbeite, dass so viele Anträge wie möglich angenommen werden könnten. Eine abschließende Aussage könne zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht getroffen werden. Seitens des Regierungspräsidiums wird übrigens mit einer Bearbeitungszeit von bis zu drei Monaten gerechnet.

An guter Zusammenarbeit interessiert Die Deutsche Automatenwirtschaft (DAW) zeigt sich dennoch versöhnlich. Ihr Sprecher des Vorstandes, Georg Stecker, meint: “Wir sind als Branche im laufenden Austausch mit dem Regierungspräsidium Darmstadt und den zuständigen Behörden in den Ländern.” Das Regierungspräsidium habe eine zügige Bearbeitung zugesagt, aber auch eine große Aufgabe zu bewältigen. Und er betont:

“Corona-bedingt sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Branche seit einem halben Jahr in Kurzarbeit, auch das erschwert die Umsetzung des Sperrdateianschlusses sehr, insbesondere in der Gastronomie.” Grundsätzlich begrüße die Brache die Sperrdatei ausdrücklich und habe sie seit vielen Jahren bereits gefordert. “Denn mit ihr können Menschen, die ein Problem mit dem Spiel haben, wirksam vor sich selbst geschützt werden”, so Stecker. Gleichwohl sieht er weiterhin die Gefahr, dass trotz der neuen Sperrmöglichkeiten immer noch ein Ausweichen auf illegale Angebote möglich ist. Dazu meint Stecker: “Wir erleben seit Jahren, dass sich illegale Spielangebote ausbreiten. Das schadet dem Schutz der Menschen und den legalen Anbietern. Deshalb brauchen wir unbedingt einen guten Vollzug und eine Stärkung der legalen Angebote.”

Jedes Szenario ist anders Enge Kooperation bei Kampfmittelräumung erforderlich (BS/Sandra Kirschbaum*) Ordnungsamt, Feuerwehr, Kampfmittelräumdienste, Hilfsorganisationen, manchmal spezialisierte Ingenieure oder auch Firmen wie Bloedorn Container, die Schutzwände aus Seecontainern montieren – all diese Akteure müssen im Falle einer Kampfmittelräumung in sehr kurzer Zeit eng zusammenarbeiten. Gleichzeitig ist jedes Szenario anders. Für Björn Henkel, Geschäftsführer der Bloedorn Container GmbH, stellt sich darum nie eine Routine ein: “Von der Containerlogistik bis hin zur Montage müssen wir uns in die Pläne von Feuerwehr, Ordnungsamt und Kampfmittelräumung einpassen und die sind natürlich jedes Mal anders.” Bei vorigen Begehungen vor Ort beurteilt Bloedorn Container darum, ob und wie eine Schutzwand realisiert werden kann. “Wir prüfen zum Beispiel, ob ein Kran oder Stapler Containerschutzwände (Foto) erhöhen, zumal wenn sie zweilagig sind, die mit vor Ort sein muss, Schwer- Sicherheit bei der Kampfmittelräumung. Foto: BS/Bloedorn Container lastplatten für den Untergrund benötigt werden und welche Hö- ausgeglichen werden müssen”, *Sandra Kirschbaum ist bei Bloehensprünge unter Umständen erklärt Henkel den Ablauf. dorn Container tätig.

Bundeskongress

Bundeskongress

Kommunale Verkehrssicherheit

Kommunale Ordnung

5. – 6. Oktober 2021

6. – 7. Oktober 2021

Würzburg Informationen und Anmeldung unter

www.kommunale-verkehrssicherheit.de | www.kommunale-ordnung.de

Veranstaltungen des


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Juni 2021

Ein Himmel voller Wolken

KNAPP Innovationsstandort Dresden gestärkt

Multi-Cloud-Strategie des BMF (BS/Uwe Proll) Erst lief alles schleppend, dann versunken in Ressortegoismen und nun wieder im Aufwind: die IT-Konsolidierung und die Bundes-Cloud. Wie sehr auch solche Projekte von Personen abhängig sind, zeigt sich in keinem Fall besser. Eine Staatssekretärsrunde aus BMI, BMF und BMVg harmonierte seinerzeit gut. Doch dann kamen personelle Wechsel in allen drei Ministerien und die Projekte fielen auf die Arbeitsebene und kamen zum Stillstand. Nun treiben wieder Einzelpersonen, nämlich im BMI und BMF, diese Projekte voran. Doch die Zeit rennt, denn wenn nicht vor der Bundestagswahl noch Entscheidungen getroffen werden, fällt alles in die nächste Legislaturperiode und dann könnten andere Personen sowie andere Organisationszuständigkeiten ein dass demselben Projekt, das den Bund schon seit mehr als 15 Jahren umtreibt und milliardenschwer ist, neu sortieren. Es muss gelingen, vor der Bundestagswahl die Vereinbarung mit Microsoft für ein Rechenzentrum, das dann durch eine bundeseigene Betreibergesellschaft gemanagt würde und die Bundes-Cloud beherbergt, unter Vertrag zu bringen.

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ie Ausgangslage im Moment: Auf Bundesseite gibt es drei Fraktionen. Da ist zum einen das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) mit dem GAIA-X-Projekt. Es soll der europäischen Industrie, aber auch den Behörden eine Infrastruktur über verschiedene Cloud-Angebote unabhängig von den großen US-amerikanischen Cloud-Anbietern bieten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte anfangs des Projektes gesagt, dass die Nutzung durch den Öffentlichen Dienst hier eine Grundlast bringen solle. Doch dem laufen andere Planungen entgegen.

Microsoft-Rechenzentrum auf deutschem Boden Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun mit Microsoft die Gespräche so weit finalisiert, dass klar ist, dass es ein von Microsoft gebautes Rechenzen­ trum in Deutschland geben wird, das die Azure-CloudFunktionen abbildet. Dies soll – wie der Behörden Spiegel berichtete – auf Basis des sogenannten Air-Gap-Modells laufen. Dies ist ein solitäres Geschäftsmodell von Microsoft und NSA. Eine Schnittstelle unterbricht die Echtzeitsynchronisation zwischen Microsoft und dem eigentlichen Rechenzentrum. Alle Updates und Einspielungen werden durch die NSA selbst geprüft. Hierfür wäre das BSI vorgesehen. Der Betrieb des von Microsoft errichteten Rechenzentrums würde durch eine Betreibergesellschaft des Bundes mit eigenem Personal übernommen und auch mit eigenem Personal besetzt. Nur in Ausnahmefällen sollten zertifi-

eingerichtet würde, bliebe dann die Frage, wer für die Abwicklung der Microsoft-basierten Cloud zuständig ist. Ist es das neue Digitalisierungsministerium oder ein Beauftragter im Kanzleramt oder eben das BMF, das wohl der größte Nutzer dieser Cloud würde?

Diskussion um hybride Cloud-Strategie Im BMF diskutiert man zudem eine hybride Cloud-Strategie. Vorstellbar sei, zukünftig kryptierte Daten in verschiedenen Public Clouds zu lagern. Für den Kernbetrieb brauche man eine eigene Cloud, hier eben im Rechenzentrum von Microsoft gebaut, ansonsten lebe man à la longue auch gut mit einer Multi-Cloud, die von anderen Anbietern wie der Deutschen Teil einer Multi-Cloud-Strategie könnten auch öffentliche Institutionen wie die Deutsche Rente, die Bundesagentur für Rente und der BundesagenArbeit oder Landes- und Kommunalrechenzentren sein. Aber auch privaten Anbietern bietet dieser Ansatz Beteiligungs- tur für Arbeit zur Verfügung möglichkeiten. Foto: BS/stock.adobe.com, behindlens gestellt würden. Auch private deutsche Anbieter wie IONOS Microsoft hat im Jahr 2020 mit aus Köln, eine Tochter von 1&1, zierte Mitarbeiter von Microsoft Vorstellung des BMF ein OpenZugang haben. Die Betreiber- Source-Angebot auf Basis von dem Bund “nur” 180 Millionen sind im Gespräch, oder SAP. gesellschaft schließt dann ei- Phoenix bereitstehen. Dies ist Euro verbucht. Das ist für den Hinzu kommt ein Verbund von nen Vertrag mit Microsoft, das eine Open-Source-Software, an Weltkonzern keine große Sum- öffentlichen Rechenzentren auf selbst nicht Betreiber des Re- der Dataport, Bechtle, Capgemi- me. Doch es ist nicht nur in Landes- und kommunaler Ebechenzentrums ist. Damit, so ni und Univention beteiligt sind. Deutschland eine Diskussion ne, um auch eine Open-Sourdie Annahme, ist die Kontrolle Die Skalierfähigkeit ist jedoch um die digitale Souveränität ent- ce-Cloud anzubieten. Nutzung der US-Nachrichtendienste auf gegenüber den Microsoft-Lö- brannt, sondern in ganz Euro- fakultativ. Basis des Cloud Acts ausge- sungen entwicklungsfähig. BMI pa. Daher hat offensichtlich in Ungemach könnte allerdings schlossen. Die dritte Fraktion und dem BMF gehen davon aus, Redmond die Einsicht gegriffen, von Brüssel drohen, denn dort auf Bundesebene ist in dieser dass eine Bundes-Cloud nur mit dass, wenn man mit der Bun- verfolgt man mit Argwohn die Sache traditionell im Bundes- Microsoft von jetzt auf gleich desregierung ein eigenes Re- Bemühungen von Bundesregieministerium des Inneren (BMI) realisierbar ist. Eine Open- chenzentrum errichtet, dies ein rung und Microsoft. Nach dem angesiedelt: eine Open-Source- Source-Lösung sei eine zweite Muster für den alten Kontinent Scheitern von Privacy Shield ist nämlich die EU-Kommission beLösung für die Bundes-Cloud. und alternative Möglichkeit. Ei- insgesamt sein kann. ne Open-Source-Infrastruktur Wenn allerdings die vertragli- müht, mit der neuen Joe-BidenOpen-Source-Angebot für eine Bundes-Cloud in den chen Vereinbarungen mit Mi- Administration ein NachfolgeabDas BMF plädiert für ein Re- nächsten Jahren auszubauen, crosoft nicht noch vor der Bun- kommen zu treffen. Da passt es chenzentrum, das Microsoft auf bleibt damit ein langfristiges destagswahl unter Dach und der EU-Kommission überhaupt deutschem Boden baut und auf Ziel, die Microsoft-Cloud damit Fach kommen, werden die Karten nicht, dass Deutschland eine dem dann die Bundes-Cloud womöglich eine mehrjährige In- womöglich neu gemischt. Wenn individuelle Eigenlösung mit Miläuft. Parallel dazu sollte nach terimszeit. ein Digitalisierungsministerium crosoft anstrebt.

BADENWÜRTTEMBERG 1. Juli 2021 Online-Kongress

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LDEN!

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#bw40

(BS/pet) Die Vodafone Group will in Dresden ein globales Entwicklungszentrum für die Mobilfunkstandards 5G und 6G sowie Automotive aufbauen. Die sächsische Landeshauptstadt setzte sich gegen acht europäische Mitbewerber durch, die im Rahmen des internationalen Wettbewerbs ihren Hut in den Ring geworfen hatten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, Michael Kretschmer, werten den Beschluss als ein starkes Signal für den High-Tech-Standort Deutschland. Mit der Entscheidung werde die “Attraktivität Dresdens und Sachsens als Innovationsregion” erneut sichtbar, so Altmaier. 5G und 6G seien als Zukunftstechnologien wegweisend für die Digitalisierung der Industrie. Von dem Projekt erwarte er sich nicht weniger als einen Schub für die gesamte Region und zukunftsfähige Arbeitsplätze.

Digitalakademie online (BS/mfe) Die neu gegründete Digitalakademie der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV) ist an den Start gegangen. Ab sofort können alle Beschäftigten der Bundesverwaltung über eine neue eigene Webseite zentral auf umfassende Fortbildungsangebote rund um das Thema Digitalisierung zugreifen. Die Homepage ist dabei als Einstieg in eine Lernwelt ausgestaltet. Zunächst sind kurze Erklärvideos, etwa zum Thema Künstliche Intelligenz (KI), abrufbar. In den kommenden Monaten sollen weitere Erklär- und Lernvideos zu verschiedenen Digitalisierungsthemen dazukommen. Perspektivisch sind zudem physische Erlebnisräume angedacht. Sie sollen neue und innovative Arbeitsmethoden erlebbar machen und zum Ausprobieren einladen.


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Behörden Spiegel / Juni 2021

Digitaler Staat H

omeoffice, Distanzunterricht, zügig ausgerollte Wirtschaftshilfen – trotz unübersehbarer Defizite beim Projekt digitale Verwaltung habe die Corona-Pandemie der Modernisierung hierzulande Beine gemacht, erklärt Jan Pörksen, Vorsitzender des IT-Planungsrates und Chef der Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg. Was zuvor noch in weiter Ferne schien, wurde binnen eines Jahres erreicht. Konkret sind es für Pörksen drei Faktoren, welche die Rahmenbedingungen seit Einsetzen der Pandemie grundlegend geändert haben. Da wäre zum einen ein neuer Durchsetzungswille, der digitale Vorhaben auf der politischen Agenda weit nach oben gesetzt und Ausdruck u. a. im Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung gefunden habe. Dieses biete den verantwortlichen Akteuren das dringend notwendige finanzielle Back-up, um Projekte und Vorhaben schnell in die Umsetzung zu bringen. Last but not least: das Registermodernisierungsgesetz (RegMog), das auch bei der Umsetzung des OZG neue Möglichkeitsräume schaffe und eine Realisierung des OnceOnly-Prinzips im Rahmen der digitalen Verwaltung in greifbare Nähe rücke.

Föderalismus digital neu justiert Doch geht für Pörksen die Entwicklung nicht nur in eine Richtung. Auch die Digitalisierung ihrerseits wirke auf den politischen Rahmen ein und finde dabei neue Antworten auf die alte Frage föderaler Zusammenarbeit. “Aus meiner Sicht ist die Digitalisierung auch die Chance, den Föderalismus neu zu denken”, führt Pörksen aus. Als prominentes Beispiel nennt der Vorsitzende des IT-Planungsrates das Prinzip “Einer für alle”, das nicht mit einer bloßen Umsetzungsmodalität verwechselt werden dürfe. Im Gegenteil: Mit EfA werde die föderale Idee neu erfunden. Während zentrale Ansätze Effizienz bei Entwicklung und Betrieb sicherstellten, helfe die erprobte Umsetzungserfahrung bei Ländern und Kommunen, einheitliche und bürgerfreundliche Services anzubieten. Das arbeitsteilige Vorgehen sorge nicht nur für mehr Qualität bei den Dienstleistungen, sondern schaffe darüber hinaus bei Ländern und Kommunen Kapazitäten für eigene Projekte und neue Innovationsfelder. Dadurch, dass mit EfA nicht Länderunterschiede, sondern die Machbarkeit bzw. Möglichkeit zur Nachnutzung bei digitalen Dienstleistungen in den Vordergrund gerückt werde, kehre das Prinzip geradezu die bisherige Beweislast im Föderalismus um.

Mut zum Umdenken Bleibt schließlich noch der Faktor Nutzerzentrierung. Als Vorbild verweist Pörksen auf das Beispiel Dänemark, wo es sehr viel besser gelinge, Anwendungen auf die Straße zu bringen. Das sei umso wichtiger, als sich der Erfolg des Projektes digitale Verwaltung schließlich in der Praxis entscheide. Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg hin zum Erfolg sei die Verabschiedung des RegMog gewesen, das Bürgerinnen und Bürgern, aber auch den Mitarbeitenden in der Verwaltung selbst gestatte, schnell und unkompliziert agieren zu können. Künftig gelte es aber noch mehr, mit alten Tugenden zu brechen.

Mit alten Gewohnheiten brechen Perfektionismus als Digitalisierungsbremse beim OZG (BS/Thomas Petersdorff) Unter dem Eindruck Coronas hat die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung im vergangenen Jahr enorme Sprünge getan. Doch nicht nur das: Infolge der Pandemie hat sich auch ein Kulturwandel vollzogen, der bis auf die Strukturen föderaler Zusammenarbeit durchgreift. Nicht zuletzt im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) samt “Einer-für-alle”- Prinzip (EfA) machen sich die Veränderungen bemerkbar. Darin sind sich die Referentinnen und Referenten beim Online-Kongress Digitaler Staat einig. Langfristig wird es jedoch darum gehen, die Vorteile des föderalen Systems in Deutschland effizienter zu nutzen.

nenten eines erweiterten Funktionspostfachs sowie – wiederum in Abstimmung mit Bayern – eine Autorisierung als eigenständig nutzbare Komfortfunktion im Unternehmenskonto konzipiert. Damit es auf kommunaler Ebene ähnlich kooperativ funktioniere, arbeiteten die Fachressorts des Landes derzeit mit Hochdruck an einer OZG-Übersicht, auf der die Kommunen sich informieren könnten, welche Leistungen bereits vorlägen und welche in Eigenregie angegangen werden müssten.

Digitalisierung ohne kommunale Einbindung wird teuer

Live aus dem Auto bei Digitaler Staat: Dr. Markus Richter, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik (CIO). Fotos: BS/Screenshots

Allen voran nennt Pörksen den in Deutschland verbreiteten Hang zum Perfektionismus, der inzwischen jedoch auf dem Rückzug sei. Im Zuge der Pandemie habe die Verwaltung gelernt, “einfach mal loszulegen” und sich vom 100-Prozent-Denken zu verabschieden. Der zu beobachtende Kulturwandel habe sehr viel Mut abverlangt, jetzt aber stimme er ihn zuversichtlich, den Schwung der aktuellen Krisensituationen zugunsten des digitalen Staats auch in Zukunft nutzen zu können.

Scheitern gehört zum Prozess Zustimmung kommt von Dr. Markus Richter, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) sowie Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik (CIO). Mit Blick auf das herannahende Fristende der OZG-Umsetzung habe sich auch in diesem Bereich viel getan, konstatiert Richter. Inzwischen seien über 300 Verwaltungsdienstleistungen in hohem Reifegrad digitalisiert, darunter auch sehr komplexe Verfahren wie beispielsweise der Bauantrag. Auch das Bundesportal, auf dem alle Services von Bund, den Ländern und Kommunen zentral gebündelt werden sollen, sei im letzten Jahr live gegangen. Ein weiterer Meilenstein: das Servicekonto. “Wir haben das modernste Bürgerinnen- und Bürgerkonto in Europa. Durch die weiteren Releases, die wir produktiv gesetzt haben, haben wir eine Interoperabilität hergestellt.” Mit einem Fragezeichen versieht der Bundes-CIO hingegen die Umsetzung im Rahmen des “Einer-für-alle”-Prinzips (EfA). Wichtiger noch als der “Export” von Leistungen sei der “Import”. Vor dem Hintergrund, dass in jedem einzelnen Bundesland rund 460 Leistungen “importiert” würden, müssten die Faktoren Transparenz und Schnittstellenmanagement mehr in den Fokus rücken. “Kein Mensch in Deutschland wird es nachvollziehen können, wenn wir einen grünen Haken an alle Leistungen machen, aber man vor Ort in einer Kommune das gar nicht abrufen kann”, gibt Richter zu bedenken.

Zusammenarbeit intensivieren Für Richter eine wesentliche Voraussetzung für ein Gelingen bei der Flächendeckung ist der

“Einfach mal loslegen”: In seiner Keynote betont Schirmherr Jan Pörksen, wie wichtig der Bruch mit alten Gepflogenheiten beim Projekt digitale Verwaltung ist.

“Die Party wird teuer”: Dr. Ariane Berger, Leiterin Digitalisierung beim Deutschen Landkreistag, sieht ein Strukturproblem am Werk, das die Stellung der Kommunen im Vollzugsprozess untergräbt.

intensive Austausch im föderalen Kontext. Wenn ein Land eine gute Lösung erarbeitet habe, müsse sie andernorts auch genutzt werden. Dafür gelte es, “über den eigenen Schatten zu springen”. Betroffen seien dabei nicht nur die Länder, sondern auch der Bund, der etwa sein Organisationskonto zugunsten einer besseren Landeslösung eingestellt habe. Produktiv müsse das föderale Miteinander auch mit Blick auf die Prozessgestaltung in der Verwaltung gemacht werden. “Wir sind so vernetzt im Föderalismus, in der Digitalisierung – und gerade deswegen gilt es, die Komplexität zu reduzieren, abzuschichten, kurze Iterationen vorzunehmen.” Ein institutioneller Hebel sei das Format des GovTech-Campus, eines Coworking Space für Mitarbeitende aus Ministerien und Start-ups, der auf Bundesebene noch in diesem Jahr eingerichtet werden solle. Gleiches gelte für die Digitalakademie. Die insgesamt positive Entwicklung, die sich im Feld der Verwaltungsdigitalisierung bemerkbar mache, müsse aber auch nachgehalten werden. In Ergänzung zu den auf den Weg gebrachten Maßnahmen müsse darum ein effizientes Controlling etabliert werden, das Erfolg auch messbar mache und – auf der anderen Seite – Fehlentwicklungen frühzeitig anzeige. Denn ein wesentlicher Part beim Prozess des digitalen Wandels sei nun mal auch das Scheitern, betont Richter. Umso wichtiger müsse es sein, dass man eine Toleranz auch für fehlgehende Projekte entwickle. Statt Angst vor eventuellem Scheitern müsse die Lust am Probieren geschürt werden – auch in der öffentlichen Verwaltung. Erst wo diese Rahmenbedingungen er-

füllt seien, finde ein nachhaltiger Lernprozess statt, von dem alle Beteiligten – bei Bund, Ländern und Kommunen – gleichermaßen profitieren können, ist Richter überzeugt.

Mit Qualität und Komfort überzeugen Zugutekommen sollen all diese Anstrengungen in letzter Instanz schließlich den Bürgerinnen und Bürgern im Land. Oberstes Ziel müsse es dabei sein, mit “Qualität und Komfort” zu überzeugen, betont die bayerische Staatsministerin für Digitales Judith Gerlach. Der Freistaat bemühe darum auch einen MultiKanal-Ansatz, der neben dem

stationären Angebot auch auf mobile Lösungen setze. Mit der im Februar gelaunchten “BayernApp” biete man Bürgerinnen und Bürgern im Freistaat nun auch auf dem eigenen Smartphone Zugriff auf staatliche und kommunale Serviceleistungen der Verwaltung. Als erste ihrer Art in Deutschland verzeichne die App inzwischen schon über 35.000 Downloads. Mit Blick auf die Zukunft müsse das Angebot nun weiter mit Leben gefüllt werden. Für die Kommunen sei der Go-Live darum auch als ein Anstoß zu verstehen, die Zeit der Konzepte nunmehr hinter sich zu lassen und bei der Umsetzung des OZG messbare Erfolge zu schaffen. Im Freistaat selbst steht ein solcher bereits zum Sommer ins Haus. Schon in wenigen Monaten soll das auf Basis der ELSTERTechnologie operierende Unternehmenskonto in die Pilotierung gehen. Der flächendeckende Rollout ist für Ende des Jahres vorgesehen. Ein Meilenstein, wie Gerlach betont. Technisch beruht die von den Ländern Bayern und Bremen entwickelte Lösung dabei auf einem Bausteinprinzip, bei dem der Freistaat die technischen und praktischen Voraussetzungen für die Umsetzung auf ELSTER-Basis schafft, während Bremen seinerseits die Kompo-

Doch kann ein solcher Überblick immer nur der Anfang sein. Als Vertreterin der kommunalen Ebene kritisiert Dr. Ariane Berger, Leiterin Digitalisierung beim Deutschen Landkreistag (DLT), eine Schaufenster-Mentalität, bei der neue Leistungen nur als verfügbar ausgeschrieben würden, die Kommunen dann aber die Implementierung allein vornehmen müssten. Dieser sei es auch geschuldet, dass der Produktivbetrieb trotz eines immer größeren Pools an OZG-Leistungen noch nicht in der Fläche angekommen sei. Verantwortlich macht Berger ein tiefsitzendes Strukturproblem zwischen den Ländern, ihren Kreisen und kreisfreien Städten. Mit Blick auf eine erfolgreiche Digitalisierung – beim OZG, aber auch darüber hinaus – müsse es darum gehen, neue Governance-Strukturen zu schaffen, um die Kommunen besser in den Vollzugsprozess zu integrieren. Als Beispiel nennt Berger die Nachnutzung einer EfA-fähigen Dienstleistung durch eine Kommune, beheimatet in einem anderen Bundesland als der zu implementierende Service. Bislang sei noch offen, wie eine Übernahme gestaltet werden könne, ob über einen Rahmenvertrag zwischen den Ländern oder auf anderem Wege. Ausreichend seien die aktuellen Strukturen in jedem Fall nicht, betont Berger. Was es in Anbetracht von EfA brauche, sei eine klare politische Steuerung auf kommunaler Ebene – idealerweise in Form einer Bündelung, perspektivisch auch über Ländergrenzen hinaus. Wo dies nicht geschehe, würden am Ende immense Kosten entstehen. “Diese Party wird teuer”, resümiert Berger.

Digitalisieren? Nur miteinander! NExT als Netzwerk der Digitalisierungspragmatiker (BS) Bekannt ist der NExT e.V. als Netzwerk von Digitalisierungsexperten aus der Verwaltung für die Verwaltung. Der Verein, der unter Schirmherrschaft des Bundes-CIOs Dr. Markus Richter steht, setzt sich aus Pragmatikern zusammen, die sich den digitalen Wandel – mit Hauptaugenmerk zunächst auf dem Bund – auf die Fahnen geschrieben haben. So weit, so bekannt. Neu hingegen ist die Ausrichtung des Vereins, der nun schon seit einiger Zeit auch auf Landes- bzw. kommunaler Ebene agiert. “Es ist völlig egal, auf welcher föderalen Ebene man arbeitet, es wird überall ganz viel gemacht, wenn auch mit

anderem Fokus”, konstatiert der NExT-Vorstandsvorsitzende, Dr. Sven Egyedy und hebt insbesondere die Rolle der Treiberinnen und Treiber bei Ländern und Kommunen hervor: “Es ist ganz klar, dass in den Ländern und Kommunen die Macherinnen und Macher der Digitalisierung sitzen.” Aus dieser Beobachtung habe man im jüngst veröffentlichten Thesen-

papier die Forderung abgeleitet, eine ständige Konferenz der Digitalisierungsministerinnen und -minister einzurichten. Nicht zuletzt aus politischer Richtung müsse darum ein “starker Aufschlag” erfolgen, um den Netzwerkgedanken zu intensivieren und auf Felder einzuzahlen, die eine ganzheitliche Digitalisierung von Staat und Verwaltung ermöglichten.



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eutschland und Europa müssen in Schlüsselbereichen eigene digitale Lösungen anbieten. Sofern hoheitliche Aufgaben berührt sind, soll auch der Staat mit von der Partie sein. Das forderte Dorothee Bär, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, zur Eröffnung des Digitalen Staats. Die Diskussion um digitale Souveränität werde meist sehr abstrakt geführt, findet Bär. Es mache aber keinen Sinn, die Vorherrschaft digitaler Technologien und Plattformen aus USA oder China zu beklagen oder gar pauschal von deren Nutzung abzuraten, solange diese schlicht die überzeugendsten Angebote am Markt seien. “Wenn wir selbst keine guten und nutzerfreundlichen Lösungen anbieten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass andere das Feld bestellen”, so Bär. Ihr Appell: “Nicht jammern, sondern selber machen!”

Eigene digitale Ökosysteme schaffen Das Bundeskanzleramt versucht es. Im Schulterschluss mit den zuständigen Bundesressorts und Unternehmen wird an einem Ökosystem für digitale Identitäten gebaut. “Wir brauchen digitale, medienbruchfreie und sichere Möglichkeiten, Identitäten nachzuweisen und überprüfen zu können”, so die Staatsministerin. Anders als etwa beim neuen Personalausweis soll die Technik nicht nur sicher, sondern auch zeitgemäß sein, Hürden wie umständliche Lesegeräte dürfe es nicht geben. “Ich gehe davon aus, dass noch vor der Bundestagswahl im Herbst viele Bürgerinnen und Bürger ihre eigene digitale Identität in ihrer Hosentasche mit sich führen werden.” Gemeint ist die sogenannte “ID Wallet”, eine di-

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ie Bandbreite der Themen, mit denen die öffentliche Hand zu tun hat, ist ja immens: Neben den Kernbereichen wie etwa Verwaltungsrecht, öffentliches Baurecht, Sicherheits- und Polizeirecht oder Ausländer- und Migrationsrecht sind in der täglichen Arbeit auch Aspekte aus vielen anderen Bereichen zu beachten, etwa aus dem Arbeitsund Sozialrecht, Zivilrecht, Familienrecht, Verkehrsrecht oder Steuerrecht.

Behörden Spiegel / Juni 2021

Ein Ökosystem für digitale Identitäten “Nicht jammern, sondern selber machen!”

Aller Anfang…

(BS/Benjamin Stiebel) Mehr digitale Souveränität: Das Ziel ist gesetzt und was der schillernde Begriff in seinen verschiedenen Facetten bedeutet, darüber entwickelt sich allmählich Konsens. Auf der staatlichen und volkswirtschaftlichen Ebene geht es nicht um technische Autarkie, sondern darum, Kontroll- und Gestaltungsfähigkeit bei der Digitalisierung zu erlangen. Das geht am besten durch handeln und vorantreiben eigener Lösungen. So will die Bundesregierung ein europäisches Ökosystem für digitale Identitäten schaffen – mit selbst gesetzten Standards und im Schulterschluss mit der hiesigen Wirtschaft. Wie bei früheren Ansätzen zur elektronischen Identifizierung, namentlich beim neuen Personalweis, wird sich Erfolg nur einstellen, wenn spürbarer Mehrwert mit Nutzerfreundlichkeit einhergeht. Der Beweis soll mit der digitalen Hotelanmeldung als Pilot-Anwendungsfall erbracht werden. gitale Brieftasche, die auf dem Smartphone gespeichert ist und bei Anmeldungen oder Anträgen elektronisch ausgelesen werden kann. Technische Grundlage ist ein hardwareseitig gesondert gesicherter Bereich auf den Geräten. In der ID Wallet können Bürger/-innen ihre digitalen Identitätsnachweise hinterlegen – allen voran den Personalausweis in digitaler Ausführung. Mit einem Smart-eID-Gesetz sollen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

Pilot gestartet Zur digitalen Identität gehört aber weit mehr. So sollen auch andere Nachweise und Berechtigungen wie die Fahrerlaubnis, der Studierendenausweis oder Bildungsabschlüsse Teil des Ökosystems werden. Die Vision: Wenn für Verwaltungsangelegenheiten oder auch für alltägliche Dienstleistungen Nachweise erforderlich sind, sollen diese zukünftig komfortabel, datensparsam und für alle Seiten sicher digital erbracht werden können. Der erste Anwendungsfall wird seit Mitte Mai pilotiert: der digitale Check-in für Hotelübernachtungen. Für Gastgeber und Geschäftsreisende soll so das Prozedere von Anmeldung und Aufnahme der persönlichen Daten vereinfacht und weniger anfällig für Fehler gemacht wer-

Auf dem Online-Kongress Digitaler Staat 2021 rief Staatministerin Dorothee Bär dazu auf, in Deutschland und Europa eigene digitale Ökosysteme zu schaffen, statt nur einen Mangel an digitaler Souveränität zu beklagen. Screenshot: BS

den. Per ID Wallet können nun Mitarbeiter der BWI GmbH, der Deutschen Bahn AG, der Lufthansa AG sowie der Robert Bosch GmbH in Hotels von drei großen Ketten einchecken (Steigenberger, Motel One und Lindner). Die Geschäftsreisenden erhalten von ihren Arbeitgebern digitale Nachweise über die Rechnungsadresse des Unternehmens. Zur Übertragung der persönlichen Meldeanschrift kommt die von der Bundesdruckerei ausgegebene “Basis-ID” hinzu. Leitend ist das Konzept der selbstsouveränen Identität (Self Sovereign Identity,

SSI). Das heißt, die Bürger/innen verwalten und teilen ihre Identitätsnachweise mit ihrer ID Wallet eigenständig. Behörden oder Unternehmen erhalten nur die Informationen, die jeweils für die konkrete Dienstleistung erforderlich sind. Zum Start des Piloten sagte BWI-CEO Martin Kaloudis: “Wir sind davon überzeugt, dass die Umsetzung der digitalen Identitäten ein guter Beitrag für die digitale Souveränität Deutschlands ist und freuen uns, dass wir unsere Erfahrungen aus der technischen Umsetzung des Pi-

loten auch in die Bundeswehr einbringen können werden.” Darüber hinaus würden bereits viele weitere Anwendungsfälle vorbereitet, freut sich Bär. Als weiteres Beispiel nannte die Staatsministerin das Bewerbungswesen. Das Erbringen von Nachweisen über Schulabschlüsse oder absolvierte Lehrgänge sei bei Unternehmen und in der Verwaltung unterschiedlich gestaltet und zumeist aufwendig. Zudem bestehe bei einfachen PDF-Dokumenten immer ein gewisses Fälschungsrisiko. Mit Sicherheitszertifikaten ließen sich diese Informationen mit der digitalen Identität verknüpfen und nutzerfreundlich und sicher übermitteln.

Initiative läuft weiter “In den kommenden Monaten werden wir noch viel erreichen, unsere Initiative muss dann auch unbedingt in der nächsten Legislaturperiode vorangetrieben werden”, so Bär. Das Ökosystem müsse aber auch auf die europäische Ebene gehoben werden, für mehr digitale Souveränität müsse Europa zusammenstehen. Mit den EU-Mitgliedsländern und der Kommission sei ein “intensiver Dialog” angestoßen. Rückenwind für das Thema erhofft sich Bär zudem im Rahmen der bevorstehenden Revision der eIDASVerordnung. Diese regelt den europäischen Rahmen für den

Sicher unterwegs im digitalen Staat Beck-online bietet die Grundlage für effiziente und sichere Verwaltung

chungsdokumenten und einer Vielfalt an Spezialliteratur.

tralen Aufgaben auf Bundesebene, aber eben auch im Einklang mit Ländern und Kommunen. Diesen Prozess mit innovativen Lösungen zu unter- Mit seinem deutschlandweiten stützen, ist auch die Motivation bei beck-online, der führenden juristischen Datenbank. Der Kongress “Digitaler Staat” begrüßte in diesem Jahr Netz von Kundenberaterinnen über 1.400 Führungskräfte aus dem öffentlichen Sektor und fand medial große Aufmerksamkeit. Auch für beck-online, die führende juristische und -beratern informiert der VerDatenbank, stellte dies die ideale Plattform dar, um den Besuchern ihr umfassendes Portfolio für die öffentliche Hand vorstellen zu können. lag in allen Fragen rund um beckonline. Den jeweiligen persönlichen Ansprechpartner finden Interessierte auf ch.beck.de/Be ratung. Interaktive Online-Schulungen vermitteln am eigenen PC die optimale Recherche-Technik für beck-online. Zu finden unter webinare.beck-online.de.

20 Jahre beck-online: eine Erfolgsgeschichte Als beck-online im Jahr 2001 das Licht der Welt erblickte, ahnte niemand, wie groß und erfolgreich die juristische Datenbank werden würde. Jetzt ist beck-online bereits 20 Jahre alt und wird von Verwaltungen, Behörden, Justiz und Staatsanwaltschaften, aber auch von kleineren und größeren Rechtsund Steuerberatungskanzleien, Wirtschaftsprüfern, Unternehmen sowie Betriebsräten, Bibliotheken, Hochschulen und zahlreichen weiteren Institutionen und Berufsgruppen geschätzt und intensiv genutzt. Beck-online.DIE DATENBANK vernetzt alle relevanten Rechts-Informationen für die öffentliche Hand – 59 Module zu 30 Rechtsgebieten sind derzeit verfügbar. Foto: BS/VERLAG C.H.BECK – ©MH, stock.adobe.com

lide Basis für die tägliche Arbeit. Mit Verwaltungsrecht PREMIUM stehen dann noch mehr Inhalte für die vertiefte Recherche zur Verfügung. Und mit Verwaltungsrecht OPTIMUM lassen sich dann auch die komplexesten Probleme schnell und sicher lösen.

Maßgeschneiderte Informationen Bei vielen Rechtsgebieten können die Nutzerinnen und Nutzer mit den verschiedenen Ausbaustufen wählen, wie tief sie in die Materie einsteigen wollen: So bietet etwa das Modul “Verwaltungsrecht PLUS” bereits eine so-

Schließlich hängt bei digitalen Ökosystemen und Plattformen der Erfolg entscheidend von einer starken Nutzerbasis ab. Je mehr Bürger/-innen die digitale Identität nutzen, desto eher werden Anwendungsfälle aus dem Boden sprießen und ein wirklich großes Ökosystem bilden. Wie schon bei der eID-Funktion des neuen Personalausweises wird hier der Knackpunkt liegen. Den elektronischen Personalausweis nutzt bis heute kaum jemand: zu wenig Anwendungsmöglichkeiten, zu kompliziert. Auch die nächste Stufe Smart-eID droht im Sande zu verlaufen, wenn nicht rechtzeitig eine kritische Masse erreicht werden kann. Das Problem: Der vollwertige digitale Personalausweis auf dem Smartphone muss auf einem gesondert geschützten Bereich des Endgerätes hinterlegt werden, dem Secure Element. Technische Voraussetzungen und die nötige Zulassung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik sind bisher nur bei wenigen Smartphone-Modellen gegeben. Wie der Markt sich in dieser Hinsicht weiterentwickelt, ist schwer vorherzusagen. Bisher haben die Hersteller wenig Liebe für deutsche E-GovernmentLösungen gezeigt. So dauerte es Jahre, bis Apple bei iOS-Geräten das Auslesen des Personalausweises per AusweisApp über die NFC-Schnittstelle ermöglichte. Eine flächendeckende Ausstattung mit Smart-eID-fähigen Smartphones wird noch auf sich warten lassen. Und ohne starke Nachfrage werden mittelklassige oder preiswerte Geräte sobald nicht Teil des angestrebten Ökosystems werden.

Individuelle Beratung und (BS/Martin Wiedemann*) Der digitale Transformationsprozess der öffentlichen Verwaltung bei Bund, Ländern und Kommunen ist eine der zen­ Schulung inklusive

59 Module für die öffentliche Hand Beck-online konnte auf dem digitalen Messestand auf dem Kongress “Digitaler Staat” den Besuchern das vielfältige Angebot von 59 Modulen aus 30 Rechtsgebieten für die öffentliche Hand präsentieren. Damit bietet beckonline mit seinen juristischen Datenbankmodulen für Behörden und Verwaltung von Bund und Ländern die perfekte Versorgung mit Fachinformationen. Die in den verschiedenen Modulen digital aufbereiteten renommierten Kommentare und Handbücher aus dem Verlag C.H.BECK, dem führenden juristischen Fachverlag, perfekt verlinkt mit den einschlägigen Gesetzen, der aktuellen Rechtsprechung und einer Fülle praktischer Arbeitshilfen, sind die beste Basis für die effiziente und rechtssichere Verwaltung. Wichtige Zeitschriften und FachNews sorgen für topaktuelle Informationen zu allen relevanten Rechtsentwicklungen.

Einsatz von Vertrauensdiensten und elektronischer Identifizierung.

Mit neuen Modulen auf aktuelle Entwicklungen reagieren Seit 20 Jahren ist beck-online am Markt und heute die Nr.1 der juristischen Datenbanken in Deutschland.

Für die besonderen Anforderungen der Corona-Pandemie

für die öffentliche Hand ist das neue Modul Corona und “COVID-19 PLUS” konzipiert worden. Das Modul enthält u. a. den Online-Kommentar zum Infektionsschutzrecht oder das Praxishandbuch Schmidt, “COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise” sowie die Zeitschrift COVuR. Ebenfalls neu ist Recht Digital PLUS, das Fachmodul zur Digitalisierung in der Rechts- und Wirtschaftspraxis Recht Digital PLUS mit rund 4.600 Rechtspre-

Kostenloser Vier-Wochen-Test Aus dem breiten Angebot an Modulen können bis zu fünf Module für vier Wochen lang kostenlos getestet werden. In dieser Zeit können alle Inhalte uneingeschränkt genutzt werden. Die Nutzerin bzw. der Nutzer lernt in kürzester Zeit die Welt von beckonline kennen und kann sich mit den vielfältigen praktischen Funktionen vertraut machen und effizient und rechtssicher recherchieren. *Martin Wiedemann ist Redakteur beim Verlag C.H.BECK.


Behörden Spiegel / Juni 2021

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erner Achtert, Geschäftsleitung Public Sector bei msg, schafft zunächst Vorurteile gegen Künstliche Intelligenz aus der Welt. Erstens sei KI keine Bedrohung für Angestellte: “Gerade in der öffentlichen Verwaltung wird KI keine Arbeitsplätze vernichten, sondern dazu beitragen, dass die Servicequalität staatlicher Aufgaben für Bürger und Unternehmen angesichts des demografischen Wandels langfristig auch mit weniger Personal erhalten werden kann.” Vorwurf Nummer zwei: KI würde diskriminieren, doch, so Achtert: “Dabei tun KI-Systeme nur eines: Sie werten Daten aus und ziehen Rückschlüsse durch Korrelationen.” Was Sie nicht könnten, sei Kausalzusammenhänge zu erkennen. Diskriminierungsmuster könnten nur durch die Auswahl der Trainingsdaten und die gewählten Attribute für den Lernprozess entstehen. Daher müssten die Trainingsdaten genau geprüft werden. “Der Einsatz birgt zweifellos das Risiko, bestehende Diskriminierungen zu verfestigen, aber auch die Chance, sie zu erkennen”, sagt Achtert. Dr. Jesper Zedlitz, verantwortlich für Digitale Agenda und Zentrales IT-Management im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein, hält zudem fest: “Wenn man eine KI hat in der Verwaltung hat, deren Entscheidung man nicht nachvollziehen kann – Das ist eine gefährliche Sache.” Daher

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Neue Technologien braucht das Land Blockchain und KI – zwischen Hype und Hoffnung (BS/Kilian Recht) Blockchain, Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz und Co. – was in der Industrie stellenweise bereits zum Standard gehört, liegt in der öffentlichen Verwaltung noch in weiter Ferne. Oder ist die Verwaltung bereits fortschrittlicher, als man ihr zutraut? Und wann braucht es eigentlich welche Technologie, wenn sie einen echten Mehrwert bieten soll, statt bloß Aushängeschild zu sein? müsse man diese Trainingsdaten offenlegen.

Wenn schon KI, dann richtig Doch wann braucht es die Technik eigentlich in der Verwaltung? Christian Meyer, Principal Consultant bei msg, relativiert den Hype: “Wenn Sie anhand von vorgegebenen Regeln etwas auswerten wollen, also im einfachsten Sinne kategorisieren wollen, weil auf einem Formular ein bestimmter Projektbetrag steht oder ein bestimmtes Land, dann brauchen Sie gar keine KI. Sie brauchen an sich die KI, wenn Sie komplexere Muster herausbilden wollen, die Sie nicht mit Regeln beschreiben können, weil Sie nicht an alle Möglichkeiten denken können als Mensch beziehungsweise diese Regeln dynamisch sind.” Beispielsweise würden sich Steuergestaltungsmodelle ständig ändern und neue Ideen hinzukommen, so Meyer weiter. Bei einem solch großen Anpassungsbedarf benötige es selbstlernende Systeme, also KI, die sich immer wieder dynamisch und ohne menschliche Steuerung an sich ändernde Sachverhalte und Gesetze anpasse.

Blockchain – und wenn ja, wie viele?

Auf KI und Blockchain liegen große Hoffnungen. Wann welche Technologie wirklich einen Mehrwert bringt, wurde auf dem Digitalen Staat 2021 ­diskutiert. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

Bereits künstlich intelligent Was so begehrenswert klingt, schlummert meist schon unter der Oberfläche vieler Verwal-

tungseinheiten. Die Frage “Wo kriege ich all das her?” müsse man gar nicht stellen, gibt Kai

Smart City Wie die Vision dank smarter Daten zur Realität wird (BS/Ulrich Hohmann*) Die Digitalisierung hält auch vermehrt Einzug in die Städte: Smart Cities sollen ­lebenswerter, effi­zienter und nachhaltiger sein. Zunächst müssen aber einige Herausforderungen ge­ meistert werden. Mülltonnen, die selbstständig die Müllabfuhr rufen; Gebäude, die Solarenergie an Häuser und Verkehrsmittel in der Umgebung abgeben oder einfach die Möglichkeit, Behördengänge online zu erledigen – SmartCity-Initiativen können ganz unterschiedlich aussehen. Das Ziel ist aber immer, die Lebensqualität und die Nachhaltigkeit zu erhöhen. Um Smart-City-Projekte erfolgreich umzusetzen, müssen die Verantwortlichen drei Grundvoraussetzungen schaffen: 1. Unterstützer gewinnen Um Bürgerinnen und Bürger von den vielen Vorteilen

von Smart-City-Initiativen zu überzeugen, sollten sie von Anfang an in den Prozess eingebunden werden. Gleiches gilt für Mitarbeiter, beispielsweise von städtischen Behörden, deren Arbeit sich durch die neuen, “smarten” Tools verändert. 2. Digitale Infrastruktur ­schaffen Daten sind die Grundlage smarter Lösungen. Viele Städte und Ämter müssen allerdings zuerst die Infrastruktur schaffen, um diese aus verschiedenen Quellen miteinander verbinden und zielführend nutzen zu können.

3. Daten smart managen und bereitstellen Nur große Datenmengen ­allein reichen aber nicht. Die Daten müssen auch in Echtzeit vorliegen, rechtssicher und qualitativ hochwertig sowie informativ und sofort einsatzbereit sein. Dabei hilft eine zentrale Plattform, zum Beispiel von Denodo, die ­Daten unabhängig von Quelle und Format integriert und in Echtzeit rechtssicher und nutzerorientiert bereitstellt. *Ulrich Hohmann, Sales Director Central Europe, bei Denodo.

PMG-G-Expertengruppe öffentlicher Sektor auf der ­Messe “Digitaler Staat 2021”

Grafik: BS/PMG

(BS) Mit über 150 Interessierten aus der öffentlichen Verwaltung teilte die Expertengruppe neueste Erkenntnisse, Machbarkeitsstudien und Anwendungen von Projektmanagement (PM) im öffentlichen Sektor. Klaus Stephan, Präsident der PMG-G, moderierte das Fachforum für Agilität, Innovation und Mobilität. Sein Impuls-

vortrag und die Thesen der prominenten Experten führten zu offenen und konstruktiven Diskussionen. Der PMG-GMessestand zeigte Angebote für die Verwaltung wie Expertendialog auf Augenhöhe, erste Hilfe bei Fragen zum PM, kostenlose Mitgliedschaft, Piloten für agile/hybride Beschaffung und agiles Projektmanagement

fen werden. Solch ein digitales Identitäts-Wallet könne dann Personalausweis, Impfausweis und Führerschein beinhalten. Zudem könne die Technologie im Rahmen von Smart Contracts als Mittel für verbriefte Rechte und Verträge dienen, bei denen die Blockchain das Vertrauen der Beteiligten feststellt und es ermöglicht, Verträge automatisiert ablaufen zu lassen. Vor allem aber sei die Blockchain eine Brückentechnologie, die Kooperationen sichern und Vertrauen zwischen Verwaltungen herstellen könne, so der NEGZ-Vorstand. Und weiter: “Die Blockchain bietet Effizienzversprechen, bietet Lösungsszenarien, meist aber nicht im Gesamtprozesskontext, und es ist bei jedem dieser Einsatzfälle eine Menge an Wenns und Danns zu berücksichtigen.”

unter Compliance-Anforderungen. Die Project Management Group – Germany (www.pmg-g. de) fördert mit über 600 Mitgliedern erfolgreich übergreifende und innovative Ansätze unter dem Motto: “Standards und Methoden – verstehen und verbinden”. Die PMG-GExpertengruppe ÖV ist offen für alle Interessierten.

­Fischer, Public Sector Business Developement Executive bei Oracle, zu bedenken. KI und Maschinelles Lernen seien meist bereits beschafft und vorhanden. “Das wird schon real betrieben, das haben sie schon, die meisten wissen es nur nicht”, sagt Fischer. Konkret vorhanden sei bereits das Verfahren sowie die dazugehörige Datenbank, die über die Infrastruktur eines Betreibers laufe, inklusive Back-up und Sicherheitskonzept. Dazu komme dann der Gedanke, dass es noch ein kleines Helferlein brauche, das die Arbeit automatisiert erleichtere. Jedoch sei dies oft bereits vorhanden: “Jeder, der eine Oracle-Datenbank unter seinem Verfahren hat, hat automatisch schon das Machine Learning in der Datenbank und somit beispielsweise Anomalie­ erkennung und Text Mining mitbeschafft”, so Fischer.

Die nächste Heilsbringerin Neben Künstlicher Intelligenz gilt auch die Blockchain-Technologie als Hoffnungsträger mit vielfältigen Anwendungsbereichen, die weit über den Einsatz für digitalen Geldersatz hinausgehen. In der Industrie wird Blockchain-Technologie beispielsweise bei der Authentifikation innerhalb von Lieferketten

angewendet. Gerade wenn man betrachte, dass man sich in der analogen Welt vor der Verwaltung ständig neu identifizieren müsse, sei die Blockchain mit Self-Sovereign-Identities und Zero-Knowledge-Proof geradezu ein Heilsversprechen, die den digitalen Staat vertrauenswürdiger mache, so Christian Bressem, Vorstandsmitglied im Nationalen E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ). Bressem sieht aber auch: “Das verspricht ja viel und gleichzeitig sehen wir, in der öffentlichen Hand ist relativ wenig in der Blockchain umgesetzt.”

Mehr als digitales Geld Dabei kann die Technologie für etliche Felder der digitalen Verwaltung nützlich sein. Neben der Schaffung einer digitalen Währung sind laut Christian Bressem viele weitere Anwendungen möglich. So könne die Technologie als Ersatz für Serviceintermediäre bei Beglaubigungs- und Bestätigungsdiensten genutzt werden, also die Dokumentation von Vertragsabschlüssen sowie die Bestätigung der Echtheit von Dokumenten und Eigentumsverhältnissen erbracht werden. Auf der Blockchain aufbauend könne außerdem ein Ersatz von Identitätsnachweisen und Urkunden geschaf-

Anwendungsfälle gibt es also genug. Doch muss es für jedes Vorhaben gleich die Blockchain sein? Prof. Dr. Moreen Heine von der Universität Lübeck und Mitglied im NEGZ, stellt Entscheidungshilfen vor, anhand derer sich diese Frage beantworte lässt. Zunächst müsse man sich fragen, ob überhaupt Daten gespeichert werden müssten. Wenn keine Daten zu speichern seien, brauche man sich keine Gedanken über die Blockchain machen. Zweitens müsse es mehrere voneinander unabhängige Akteure geben, die Einträge vornehmen müssten. Drittens müsse die Frage gestellt werden, ob es einen gemeinsamen, vertrauenswürdigen Akteur gebe, der den zentralen Zugriff bereitstellen und organisieren könne. Gebe es diese zentrale Stelle wie beispielsweise einen Notar nicht, müsse gefragt werden, ob sich die Partner untereinander vertrauten. Dann könne man eine zentrale Lösung finden. Wobei dann wieder fraglich sei, ob sich der Einsatz einer Blockchain lohne. Am kniffligsten ist laut Heine aber zu beantworten, unter welchen Umständen die Blockchain wirtschaftlicher ist als andere Automatisierungslösungen. Festhalten lässt sich jedenfalls: “Die Beschäftigung mit der Blockchain lohnt bei allen Digitalisierungsfragen, die man hat. Die Nutzenfrage ist aber in den Mittelpunkt zu stellen und die Technologiefrage der Blockchain schließt sich dem an. Umgekehrt bedeutet das auch, dass Blockchain-Experten die Argumentation für die Blockchain in den Kontext der Digitalvorhaben setzen müssen”, so Christian Bressem. Diesen Nutzen festzustellen, wird wohl zunächst die schwierigste Aufgabe für die Verwaltung werden.


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Raum für Zukunft

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abei wird an die mittel- bis langfristige Perspektive der Stadtentwicklung, ihre Fähigkeit zum Ausgleich und zur Moderation von Veränderungsprozessen, ihre Lösungsorientierung und Gestaltungskraft appelliert. Digitale Angebote bieten hier Hilfestellungen für die Lösung übergeordneter sozialräumlicher Herausforderungen. Dieses Verständnis von Digitalisierung als zweckmäßiges Mittel für klar definierte lokale Ziele stellt eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung in den Vordergrund.

Mobilität im ländlichen Raum So hat sich die Stadt Bad Belzig in Brandenburg das Ziel gesetzt, bedarfsgerechte Mobilität im ländlichen Raum ohne privates Auto zu ermöglichen. Dafür ist eine bessere Vernetzung der Kernstadt mit den entlegeneren Ortsteilen notwendig. Im Zentrum der Überlegungen steht die Entwicklung einer App – natürlich als Open Source Software – die multimodale und flexible Angebote vermittelt. Darüber hinaus wird der Ausbau von Möglichkeiten zum digitalen Arbeiten im ländlichen Raum durch Co-Working Spaces vorangetrieben. Dieser Ansatz ist heute aktueller denn je: Gerade die vergangenen Monate waren für viele durch mobiles Arbei-

Gemeinsam aus der Krise (BS/Anne Katrin Bohle) In diesem Jahr wird schon die dritte Staffel der Modellprojekte Smart Cities ausgetragen. Sie steht unter dem Motto: “Gemeinsam aus der Krise: Raum für Zukunft”. Damit werden die anstehenden Herausforderungen des Wiedererstarkens, des Wiederbelebens und der Neugestaltung städtischer und ländlicher Räume und Strukturen sowie des Zusammenhalts in den Mittelpunkt gestellt. Auch die Gestaltung und Einbindung digitaler Räume und Strukturen spielt dabei eine wichtige Rolle. Gleichzeitig werden die großen Zukunftsaufgaben adressiert: lebenswerte Orte, Klimaschutz und -anpassung, Wohlstand und gesunde, sichere Lebensverhältnisse schaffen.

Klare räumliche für Bildungs- und Freizeitange- ma gerade ihre Leitlinien “DatenProgrammatik bote. Digitale Lösungen tragen strategien für die gemeinwohl-

Beide Beispiele zeichnen sich durch eine klare räumliche Programmatik aus. Sie setzen an lokalen HerausFoto: BS/BMI forderungen im ländlichen Raum an und zeigen wünschenswerte Entwicklungspfade auf. Digitale Formate, wie Videokonferenzen und Online-Kurse, die Eingang in unsere Lebens- und Arbeitswelt gefunden haben, werden sicherlich auch zukünftig die physische Präsenz in Teilen ersetzen. Durch das Wegfallen von langen Pendelzeiten und flexibler Arbeitszeitgestaltung lassen sich Beruf und Familie besser vereinbaren. Die Digitalisierung ermöglicht es Menschen so, auf dem Land zu leben und dennoch Jobs nachzugehen, die in den Städten verankert sind. Dies gilt auch

Anne Katrin Bohle ist Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dort für die Bereiche Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung zuständig.

ten von zu Hause geprägt. Zwei wesentliche Erkenntnisse daraus sind, a) ortsunabhängiges Arbeiten funktioniert, soweit die infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben sind und b) wir vermissen soziale Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice. Co-Working Spaces, also das Arbeiten in Bürogemeinschaften können eine Lösung sein, beides zu vereinen. Dieses Modell kann damit auch zu einer Stärkung der Entwicklung im ländlichen Raum beitragen.

Unsicherheitsfaktor Cloud-Systeme Proprietäre Software und Open-Source-Lösungen in ähnlichem Maße gefährdet (BS/sp) Der wichtigste Aspekt einer digitalen Souveränität besteht darin, sich aus Abhängigkeiten zu befreien und immer alternative Angebotsmöglichkeiten in der Hinterhand zu haben – das gilt auch für die Anbieter von Cloud-Services. Um die Marktalternativen zu prüfen, eignet sich ein Proof of Concept. Damit kann auch Transparenz über bestehende Open-Source-Lösungen hergestellt werden. Dr. Bruno Quint, Director Cloud Encryption von Rohde & Schwarz Cybersecurity weist in diesem Kontext darauf hin, dass “alle großen Cloud-Anbieter nicht wirklich sicher sind”. Ferner erklärt er, dass sämtliche Daten, welche in eine Cloud überführt werden “mehr oder weniger kompromittiert sind”. Des Weiteren bestärkt der IT-Sicherheitsberater die Bemühungen, Microsoft Teams für Bildungseinrichtungen und Verwaltungen weiter verfügbar respektive überhaupt möglich zu machen. Ansgar Kückes, Chief Architect Public Sector bei Red Hat wirbt in diesem Kontext nicht nur für die üblichen Lösungen von proprietärer Software, sondern drängt auch auf Open-Source-Anwendungen: “Für Open Source braucht man – anders als oft behauptet – keine speziellen Skills. Das gilt nur für Änderungen am Code selbst. Für die restliche Handhabung der Programme sind keine besonderen Techniken nötig. Das ist an manchen Stellen sogar einfacher als Windows zu bedienen. Ich persönlich finde Open Source nicht chaotisch, sondern sehr geregelt.” Darüber hinaus sei für den IT-Experten Open Source ein wichtiger Treiber der digitalen Souveränität: “Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich gute proprietäre Software und auch Open-Source-Optionen nutzen zu kann”, so Kückes.

Es fehlt an Know-how und Geld Diese Angebotsdichte hätten auch einige Kommunen gerne. Allerdings weist Alexander Handschuh, Sprecher des deutschen Städte- und Gemeindebunds, darauf hin, dass den Städten und Kommunen das Geld, Know-how und Unterstützung durch Bund und Länder fehlt. “Wir müssen die Kultur des Voneinander-Lernens mehr einbringen. Damit meine ich nicht nur die Kommunen von Bund und Ländern,

damit mittelbar zur Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen in der Stadt und auf dem Land bei. Mit der zunehmenden Bedeutung des digitalen Raums wird im gleichen Maße die Diskussion um dessen Gestaltung wichtiger. Dabei gilt es, auch folgende Aspekte in den Blick zu nehmen: Vermeidung einer digitalen Spaltung, Verringerung räumlicher und sozialer Unterschiede in der Gesellschaft, Fragen zum Datenschutz und zur Datensicherheit sowie die Vermeidung von Marktabhängigkeiten. Um die Potentiale zu heben und zugleich Risiken zu mindern, bedarf es eines gezielten und gemeinwohlorientierten Umgangs mit Daten und der Sicherung der kommunalen Datenhoheit.

Dialogplattform Smart Cities Die nationale Dialogplattform Smart Cities hat zu diesem The-

orientierte Stadtentwicklung” veröffentlicht. Datenstrategien haben demnach zum Ziel, die Handlungsfähigkeit der Kommunen und der Stadtgesellschaft zu sichern und zu stärken. Eine Voraussetzung dafür ist Datensouveränität – sowohl von einzelnen Menschen als von Kommunen. Diese müssen ihre Daten kontrollieren, steuern und nutzen können. Auch die Leitlinien zur nachhaltigen Transformation der Städte sollen dazu beitragen, Digitalisierungsprozesse umweltfreundlich, inklusiv und gerecht zu gestalten. Die am Gemeinwohl orientierte Gestaltung sowohl des physischen als auch des digitalen Raums sowie die Verknüpfung der beiden Dimensionen ist eine große Zukunftsaufgabe – nicht nur in der Stadtentwicklung. Die langjährige Erfahrung der Stadtentwicklung, integriert zu denken und zu handeln, kann

aber helfen, die Digitalisierung zukunftsorientiert zu gestalten. Deshalb setzt sich das Förderprogramm Modellprojekte Smart Cities auch zum Ziel, nicht nur die einzelnen Pilotprojekte, sondern vor allem eine Praxis- und Wissensgemeinschaft rund um Smart Cities aufzubauen. Insofern sind Vernetzung und Wissensaustausch zentrale Bestandteile der Modellprojekte Smart Cities. Die Smart Country Convention bietet eine gute Gelegenheit zur Vernetzung und zur Diskussion mit der Fachöffentlichkeit in Deutschland.

Smart Country Convention Mehr zum Thema Smart City im Rahmen der “Smart Country Convention”, die der Bitkom und die Messe Berlin vom 26. – 28. Oktober 2021 in Berlin veranstalten. Der Behörden Spiegel ist Partner dieser Veranstaltung. Weitere Informationen unter: www.smartcountry.berlin

MELDUNG

Trendreport wird digitaler und multimedialer (BS/gg) Prognos nutzte, getreu dem diesjährigen Kongressmotto “Audit Digitale Verwaltung”, den aktuellen “Trendreport Digitaler Staat” für eine positive Bestandsaufnahme. Corona habe nicht nur die Schwächen offenbart, sondern der Digitalisierung an vielen Stellen auch einen Schub verschafft. Sei es, dass plötzlich Hindernisse aus dem Weg geräumt werden konnten, die vorher als unüberwindlich galten oder dass Bürgerinnen und Bürger ihre Präferenzen im Zuge der Pandemie massiv verändern und digitale Lösungen einfordern. Daneben tragen aber auch bundesweite

Initiativen Früchte, die bereits weit vor Corona eingeleitet wurden. Bei der Recherche hat sich das Team von Prognos um Bereichsleiter Marcel Hölterhoff am Trendreport 2019 orientiert. Seinerzeit wurden Hürden analysiert, die dafür verantwortlich sind, dass die Digitalisierung in Deutschland zu oft nur schleppend vorankommt. Anders als in den Vorjahren, ist der Trendreport keine klassische Publikation mehr, sondern eine Microsite (https://trendreport.digitaler-staat.org) mit einem vielfältigen multimedialen Angebot.

Kommunaler Ideenschmiede beigetreten Google Cloud ist neuer Partner des Innovators Club (BS) Der Deutsche Städte und Gemeindebund (DStGB) und Google Cloud haben auf der Konferenz “Digitaler Staat” ihre Zusammenarbeit im Innovators Club (IC) bekanntgegeben. Wir haben mit Guido Massfeller, Direktor Vertrieb öffentliche Auftraggeber bei Google Cloud, über die Ziele der Partnerschaft gesprochen. Herr Massfeller, was ist der Innovators Club und wie viel Innovation steckt darin?

Wenn die Pandemie gut bewältigt wird, werden im Nachhinein Fragen laut, ob bestimmte Maßnahmen überhaupt nötig waren. Dieses sogenannte Präventionsparadoxon ist auch in der IT-Sicherheit zu beobachten. Foto: BS/P Tate, pixabay.com

sondern auch untereinander.” Heino Reinartz, IT-Sicherheitsbeauftragter der StädteRegion Aachen pflichtet Handschuh bei: “Im Allgemeinen haben wir gute Erfahrung mit nationalen Verbindungs- und Austauschebenen bei digitalen Themen gemacht. Ich würde mir hier auch eine kommunale Verbindungsebene wünschen.” Vor allem IT-Sicherheitsvorfällen, die sich für die Kommunen oft als eklatant teuer und langwierig herausstellen, könnte damit vorgebeugt werden. Weitere Problemfelder der Kommunen blieben die Kompetenz der Mitarbeitenden und die Stellung der IT in der Verwaltung: “Obwohl mittlerweile viele Kommunen einen Informationssicherheitsbeauftragten beschäftigen, muss die Wertschätzung der IT weiter gesteigert werden. Gelingen kann das auch nur in Kombination mit einer

Steigerung der IT-Kompetenz von allen Mitarbeitenden in der Verwaltung”, sagt der IT-Sicherheitsbeauftragte auf einer Diskussionsrunde des Kongresses Digitaler Staat. Besonders in der IT-Sicherheit drängt sich des Öfteren ein Vergleich mit den Corona-Maßnahmen auf. Die Rede ist vom Präventionsparadoxon. Während in der Pandemie retrospektiv bestimmte Maßnahmen und deren Notwendigkeit hinterfragt werden, gilt das für auch für die IT-Sicherheit: “Die Menschen sind sich oft nicht bewusst, wie wichtig gute Präventionsarbeit im Digitalen ist”, so Reinartz. Das kann dann dazu führen, dass die Notwendigkeit von Personal und Budget hinterfragt wird, weil die vorbeugende Wirkung der Cyber-Sicherheit schwer zu messen ist, urteilt der ITSicherheitsbeauftragte.

Der IC ist die kommunale Ideenschmiede des DStGB. Dort werden Innovationen entwickelt, die die Lebens- und Standortqualität für Bürgerinnen und Bürger verbessern. Wir freuen uns daher sehr, Teil dieses Kreises zu sein und bei dieser wichtigen Aufgabe Städte und Kommunen in Deutschland zu unterstützen. Am bundesweiten Digitaltag, dem 18. Juni, sprechen wir im Rahmen der “Innovators Lounge digital”, einer Veranstaltung für Mitglieder des IC, über Datenstrategien und Dateninfrastrukturen für digitale Kommunen. Welchen Ansatz für Deutschlands Kommunen verfolgen Sie bei Google Cloud? Aktuell wird deutlicher denn je, wie wichtig Innovationen im öffentlichen Sektor sind, um bestehende Herausforderungen zu meistern, Prozesse zu beschleunigen und Bürgerinnen und Bürgern einen besseren Service zu bieten. Sicherheit und Nachhaltigkeit sind für Kommunen ebenfalls von großer Bedeutung. Oft gibt

Guido Massfeller (links), Direktor Vertrieb öffentliche Auftraggeber bei Google Cloud, und Alexander Handschuh, Sprecher DStGB und Leiter des Innovators Club Grafik: BS/Google Cloud/DStGB

es hier immer noch Bedenken, sensible Daten in die Cloud auszulagern. Wir verschlüsseln Daten in der Google Cloud, oder wenn gewünscht extern, sodass Städte und Kommunen jederzeit die Hoheit darüber behalten. So konnten wir etliche Projekte mit verschiedenen europäischen Kommunen erfolgreich umsetzen, wie zum Beispiel in der italienischen Region Venetien oder in Norwegen bei der Modernisierung von Registerzentralen. Bei deutschen Kommunen sehen wir große Bereitschaft, sich digital besser aufzustellen. Unser Ziel ist es, Städte und Kommunen bei ihren täglichen Aufgaben zu entlasten und für

mehr Bürgernähe zu sorgen. Smart Parking etwa ist ein Smart City Projekt, das sich vielerorts einfach umsetzen lässt. Mit einem solchen Digitalisierungsprojekt können sich Kommunen von der Effizienz der Google-Cloud-Technologien selbst überzeugen und ihre Bürgerinnen und Bürger erhalten nützliche und wertvolle Serviceleistungen. Weitere Informationen zu den Google-Cloud-Projekten in Venetien und Norwegen unter https://cloud.google.com/ customers/veneto-region bzw. https://cloud.google.com/customers/bronnoysund-registercenter


Informationstechnologie

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Usability für alle Blick auf die Anforderungen der EU-Richtlinie 2016/2102 (BS/Knut Ludwiczak*) Mit der Richtlinie zur Harmonisierung der Barrierefreiheit in Europa nimmt das Thema Barrierefreiheit weiter Fahrt auf. Nationale Gesetze, wie z. B. das BGG und die BITV 2.0 sowie Bundesländergesetze, wurden bereits geändert. Behörden profitieren von dem bestehenden Bundesrahmenvertrag BITV und können wichtige Leistungen zur Erfüllung der Barrierefreiheit bei Materna abrufen. Bund und Länder legen die Vorgaben zur Barrierefreiheit unterschiedlich aus. Die Vorgaben der EU erscheinen recht strikt und eine Konformität mit den Anforderungen ist nur gegeben, wenn alle Kriterien erfüllt sind. So bedeutet das z. B. für Webanwendungen, dass alle 50 Erfolgskriterien der Level A und AA der WCAG 2.1 und weitere Anforderungen aus der EN 301 549 erfüllt sein müssen. Die Praxis zeigt aber, dass es kaum bzw. nur in seltenen Fällen möglich ist, alle Vorgaben zu erfüllen. Behörden brauchen daher einen kompetenten Partner, der praxiserfahren ist bei der Umsetzung von Barrierefreiheit. Materna testet Anwendungen auf Barrierefreiheit schon seit mehreren Jahren. Hierzu gehören informative Webportale, Fachanwendungen (Web und Non-Web), Standard-Software sowie Dokumente und mobile Apps unter iOS und Android. In allen Projekten ist die Erfüllung der Barrierefreiheit das ausgegebene Ziel. Alle Nutzergruppen, unabhängig von Grad und Art existierender Einschränkungen, sollen möglichst ohne Beeinträchtigungen Anwendungen nutzen und alle erforderlichen Informationen abrufen können. Hierfür ist die maximale definierte Fülle von Kriterien allerdings erfahrungsgemäß nicht zwangsläufig erforderlich. Das grundsätzliche Ziel sollte lauten: Usability für alle. Leider rückt dieses Ziel zunehmend aus dem Fokus der Diskussion um die Auslegung der gesetzlichen Vorgaben und weltweiten Richtlinien. Barrierefreiheit ist kein Selbstzweck, sondern sie fokussiert auf die Anwender/-innen. Deshalb sollte sich die Diskussion besser darauf konzentrieren, was wirklich wichtig ist. Die Forderung der EU zur einhundertprozentigen Konformität aller Erfüllungskriterien ist ein hehres Ziel. Es wurden alle Kriterien einheitlich betrachtet. Hier hätte durchaus differenziert werden können zwischen Kriterien,

die definitiv erfüllt sein müssen, und Kriterien, die erfüllt werden sollten, aber die Zugänglichkeit nicht soweit einschränken, dass sie zur Nicht-Konformität führen müssen. Sogar die WCAG, die als Grundlage für die meisten Kriterien der EN 301 549 dient, unterscheidet nach A-, AA- und AAA-Kriterien, wobei letztere keinen Einzug in die gesetzlichen Anforderungen gefunden haben. Die Forderung nach barrierefreier Gestaltung von Informationstechnik ist wichtig. Materna befasst sich schon seit Jahren mit diesem Themengebiet und engagiert sich, dafür dass Menschen mit Behinderung der Zugang zur Arbeitswelt erleichtert bzw. ermöglicht werden kann.

Verantwortliche brauchen Unterstützung Gerade weil die Vorgaben herausfordernd zu erfüllen sind, ist es wichtig, Verantwortlichen in den Behörden entsprechende Unterstützung für die Praxis zukommen zu lassen. Maternas Erfahrung als Berater und Tester zeigt, dass Entscheider nicht um eine pragmatische Vorgehensweise herumkommen werden, wenn es um die Umsetzung von Anforderungen an Anwendungen geht. Werfen wir einen Blick auf die WCAG 2.1 und lassen alle anderen Vorgaben aus der EN 301 549 sowie deutscher Gesetzgebung außen vor. In der WCAG 2.1 gibt es insgesamt 50 Erfolgskriterien, von denen ca. 60 Prozent essenziell sind und erfüllt sein müssen, damit für Menschen mit Behinderung die grundsätzliche Zugänglichkeit zu einer Webanwendung gegeben sind. Die restlichen Kriterien hingegen führen in der Regel nicht dazu, dass Menschen mit Behinderung die grundsätzliche Zugänglichkeit zu einer Webanwendung nicht gegeben ist. Um das zu veranschaulichen, hält die Materna Vorträge, in denen diese Thematik anschaulich aufbereitet ist. Die übermittelten Informationen können als Entscheidungshilfe bei der

Torgau stellt auf eigene Fachanwendung um (BS) Detailreiche Auswertungen, automatische Berichte und wirtschaftlich geprägte Controlling-Standards sind heute auch in der Kommunalwirtschaft unabdingbar. Mit der Umstellung des Beteiligungsmanagements auf eine eigene Fachanwendung steuert die Große Kreisstadt Torgau seit letztem Jahr städtische Unternehmen vom Browser aus – und das mit großem Erfolg. die Betreuung durch die Saxess AG sehr gut und man bekommt neben den planmäßigen Schulungen jederzeit Hilfe.”

Automatisiert erstellter Beteiligungsbericht

“Testen auf Barrierefreiheit” Mit der Rahmenvertragsausschreibung “Testen auf Barrierefreiheit” hat der Bund Unterstützungsleistungen initiiert. Materna unterstützt Behörden in zwei Losen mit Beratung und Tests der Barrierefreiheit von Software, Websites und mobilen Apps. Abrufbar sind die BITVLeistungen von Materna über das Kaufhaus des Bundes und die Rahmenverträge 21121 und 21126. Drei Überwachungsstellen der Länder und die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT) setzen bei der Prüfung und Umsetzung von Berichtsanforderungen auf die Expertise von Materna, um das aktuelle erstmalige Reporting an die EU durchzuführen. Ergänzend hierzu hat Materna ein Tool entwickelt, das über einzelne Prüfberichte oder die gesamte Anzahl an Prüfdokumenten eines Kunden unterschiedliche Auswertungen erstellt. So lassen sich z. B. statistische Verteilungen der durchgeführten Stichproben nach verschiedenen Kriterien begutachten, fachliche Auswertungen über die betroffenen Gruppen und viele weitere Betrachtungen durchführen. Mit diesem Angebot werden die jeweiligen Überwachungsstellen und auf Dauer auch andere Kunden in ihrer fachlichen Arbeit unterstützt und die Auswirkungen bei den geprüften Angeboten verbessert. *Knut Ludwiczak ist IT-Consultant in der Business Line Public Sector bei Materna.

Letzter Kongress vor der Landtagswahl im kommenden Jahr (BS/Wilfried Kruse*) So sehr das Corona-Krisenmanagement die Verwaltungen allerorten u.a. nach der aktuell noch bis Ende Juni geltenden “Bundesnotbremse” in Atem hält, ist doch auch die längerfristige Erkenntnis gereift, dass die Digitalisierung in Zukunft noch in viel größerem Maße unser gemeinsames Leben bestimmen wird und sichern muss – eine Herkulesaufgabe mit kaum schon zu überschauenden Fragestellun-gen auch für die öffentliche Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen. und administratives Krisenmanagement, Problemstellungen und den Zukunftsblick auf die kommenden Jahre, auch im Rahmen der Digitalisierungsoffensive der Landesregierung darlegen. Im November 2021 besteht – ca. sechs Monate vor der Landtagswahl im Mai 2022 – auch die Gelegenheit für die Landesregierung, ihre digitale Bilanz der Legislaturperiode zu ziehen und z. B. darzulegen, wie die (tatsächlich?) übertragbaren Ergebnisse aus den Modellkommunen das digitale Jahrzehnt befruchten können, was aus den ca. 100 Mio. Euro Fördergeldern an vielen Stellen in NRW und seinen Kommunen gewachsen ist. Der KDN wird seine fortgeschrittene Rolle als Kommunaler Partner des Landes mit Blick auf die OZG Umsetzung – auch mit bundesweiter “Digitalbrille” ebenso präsentieren, wie das angelaufene und vom Land geförderte Kommunale Landes-

Beteiligungsmanagement per Browser

Bewertung und Freigabe einer Anwendung dienen. Ein detaillierter Prüfbericht zeigt darüber hinaus, welche konkreten Probleme für welche Anwendergruppe bestehen. Dieser zeigt den Entwicklern über die bloße Erfüllung eines Kriteriums hinaus, mit welchen konkreten Maßnahmen der entsprechenden Einschränkung entgegengewirkt werden kann.

e-nrw 2021 zieht Bilanz

Hohe Zeit also, in der 21. Auflage des Behörden Spiegel Kongresses “e-nrw” am 10. November 2021 – zum zehnten Mal von IVM² geplant und fachlich geleitet – weit in die Zukunft der digitalen Dekade zu schauen – mit dem nötigen strategischen Blick aber auch ganz konkret mit vielen Praxisbeispielen: Wer macht sich denn z. B. in der digitalen Community in Land, Kommunen und kommunalen IT-Dienstleistern wie auf den Weg, nicht nur das OZG zum elektronischen Eingang planmäßig zu erfüllen, sondern das nötige Change- und Wissensmanagement für Mitarbeitende und Führende – auch vor dem Hintergrund der demografischen Konsequenzen im digitalen Jahrzehnt – sich auf die Fahnen zu schreiben? NRW-Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart wird als Eröffnungsredner den Kongressteilnehmern persönlich die notwendigen Fakten, politisches

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portal, das seit dem Frühjahr in Kooperation der RegioIT in Aachen und der Südwestfalen IT in Hemer auf deren beider “Premiumportalen” neu gebaut worden ist. *Wilfried Kruse, Geschäftsführender Gesellschafter IVM² ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”, den der Behörden Spiegel am 10. November veranstaltet. Weitere Informationen zu dieser Veranstaltung sowie eine Anmeldemöglichkeit unter: www.e-nrw.info

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 10. November 2021 Düsseldorf/Neuss www.e-nrw.info

Beim Beteiligungsmanagement der Stadt Torgau kommt die Fachanwendung fidas zum Einsatz. Foto: BS/Saxess AG

“Wir waren immer an einer fortschrittlichen Lösung zur Verbesserung des Beteiligungsmanagements interessiert.” Mit diesen Worten bringt Lukas Schmidt, Beteiligungscontroller der Stadt Torgau, die zukunftsorientierte Strategie der sächsischen Gemeinde auf den Punkt. Das selbst gesteckte Ziel: Analoge Informationen wie Wirtschaftspläne und Jahresabschlüsse zentral speichern, um die Daten dann systematisch auszuwerten und zu verarbeiten. “Doch uns ging es da wie vielen Kollegen im Beteiligungsmanagement: Häufig hatten andere Projekte einfach eine höhere Priorität.” Das änderte sich im Herbst 2019. Durch eine Veranstaltung wird Schmidt auf die Saxess AG aufmerksam. Im Zuge einer Präsentation gewinnt er gute Einblicke in die Arbeitsweise der Fachanwendung fidas. Und

der Gedanke an eine digitale und effiziente Lösung gefiel ihm. Also hat man in Torgau die Rahmenbedingungen und die selbst gesteckten Ziele gegeneinander abgewogen – und sich aufgrund des Funktionsumfangs für die Einführung der Software entschieden.

Anfängliche Mühen zahlen sich aus “Natürlich war die ein oder andere Beteiligung anfangs etwas überrascht, dass Summen- und Saldenlisten jetzt digital abgefragt wurden. Das gute Miteinander hat jedoch schnell darüber hinweggeholfen. Und ja, die Einrichtung des Systems nimmt anfänglich etwas Zeit in Anspruch. Jedoch lohnt sich die Mühe, wenn man sieht, wie viel manueller Aufwand einem später dank der Anwendung erspart bleibt. Außerdem ist

Als besonders nützlich empfindet Schmidt heute die quasi automatisierte Erstellung des Beteiligungsberichts. Eines seiner Hauptziele war es ja, weg vom händischen Erarbeiten des Beteiligungsberichts zu kommen und so Zeit für andere wichtige Aufgaben zu gewinnen. Dasselbe gilt für das Anfertigen von Auswertungen und ad-hoc Berichten. “Früher mussten wir umständlich nach dem Zahlenmaterial für die Sitzungsvorbereitung suchen. Heute reichen wenige Klicks und die gewünschten Daten liegen vor und können weitergegeben werden.” Aktuell setzt die Stadt Torgau fidas hauptsächlich im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsverwaltung ein. Persönlich kann sich Schmidt gut vorstellen, dass man Auswertungen und automatisch berechnete Kennzahlen künftig auch für den kommunalen Jahresabschluss nutzt. Wichtiger war dem städtischen Controller jedoch, dass man kein Informatik-Studium benötigt, um die Anwendung zu verstehen und effizient damit zu arbeiten. “Zusammenfassend kann ich sagen, dass sich durch den Einsatz von fidas vieles in unserem Bereich verbessert hat.”


Informationstechnologie

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Digitale Verwaltung

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as Onlinezugangsgesetz (OZG) schafft die wesentlichen Voraussetzungen, um die Verwaltung immer besser an die Bedürfnisse der Menschen anpassen zu können. In Hessen werden wir über 1.000 Leistungen im Rahmen der Umsetzung des Gesetzes digitalisieren. Wir sind hierbei auf einem guten Weg und unterstützen die Kommunen und deren Beschäftigte mit Beratung und Förderung. Als Grundsatz gilt: Wir wollen die Zukunft der Verwaltung in Hes-

Im Alltag der Menschen genauso selbstverständlich wie Online-Shopping

standardisierte IT-Plattform, sind wesentliche Treiber in der Neugestaltung der Verwaltungsarbeit. Wir haben darüber hinaus in unserer Strategie “DVH 4.0” beschrieben, wie wir die Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten der Verwaltung moderner gestalten wollen.

(BS/Patrick Burghardt) Wer kennt sie nicht, die Klischees von verstaubten Amtsstuben, in denen Beamte mit Ärmelschonern sitzen und Formulare abstempeln. Diese Zeiten sind längst vorbei und das ist gut und wichtig. Die Verwaltung verfolgt das Ziel, ein moderner, bürgernaher Dienstleister zu sein, der über gut ausgebildetes und – wenn nötig – fachlich spezialisiertes Personal verfügt. Hessen begreift diese Entwicklung als GestalVerwaltung ist für alle da tungsaufgabe und als Chance.

werden. Unsere aktuelle Strategie zur Digitalen Verwaltung Hessen 4.0 (“DVH 4.0”) greift diesen Aspekt auf. Daten sollen überall da, wo es sinnvoll und möglich ist, nur noch Patrick Burghardt ist Digitaleinmal erfasst werStaatssekretär und CIO des den müssen und Landes Hessen. Er ist zudem für spätere Anträge Schirmherr und Referent des gespeichert werden Kongresses “HEsssenDIGI– mit aller erforderTAL” (www.hedigital.de), den lichen Sicherheit der Behörden Spiegel am 22. und höchstmögliJuni 2021(online) durchführt. chem Schutz. Die ses “Once-OnlyFoto: BS/HMinD Prinzip” wird zu einer deutlichen sen so gestalten, dass sich unsere Erleichterung der digitalen ErDienstleistungen nahtlos und fassung von Anträgen beitragen. vorausschauend in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger sowie One-Stop-Shop-Verfahren unserer Beschäftigten integrieren. Weitere Kernprinzipien sollen den Um dieses Ziel zu erreichen, sind Weg zur digitalen Verwaltung ebweiterhin große Anstrengungen nen: Im “One-Stop-Shop-Verfaherforderlich. Der Schwerpunkt ren” kann innerhalb von nur einer dieser Anstrengungen liegt nicht digitalen Sitzung eine gewünschte nur im technologischen Umfeld. Dienstleistung angestoßen und Dass die Technik insgesamt das Antragsverfahren von Seiten schon sehr weit vorangeschritten der Antragstellenden auch gleichist, sehen wir daran, dass heute zeitig abgeschlossen werden. Es bereits viele Menschen die viel- verbleibt dann für die Antragstelfältigen Möglichkeiten digitaler lenden nichts weiter zu tun, bis und Sozialer Medien nutzen. Hier der verwaltungsinterne Prozess muss die Verwaltung grundsätz- beendet ist. Nach einer einmaligen liche Dinge nicht neu erfinden, Anmeldung und Absenden eines sondern diese auf ihr eigenes elektronischen Formulars, könnte Umfeld anpassen – aber auch das zum Beispiel der Prozess einer bedeutet noch sehr viel Arbeit. Adressänderung oder einfachen Firmengründung selbstständig bis Verwaltungsabläufe zur Fertigstellung innerhalb der neu denken Verwaltung ablaufen. Es wird ebenfalls aufwändig In “No-Stop-Shop-Verfahren” sein, die Art und Weise, wie Ver- werden Verwaltungsdienstleistunwaltungsabläufe stattfinden, neu gen sogar von der Behörde ausgezu denken: So wie die Stein-Har- führt, ohne dass die Bürgerinnen denbergschen Reformen Anfang und Bürger daran denken müsdes 19. Jahrhunderts die damals sen, einen behördlichen Prozess vorhandenen Arbeitsmittel zu zu starten. Gerade in Situationen, Grunde gelegt haben, müssen wir wie beispielsweise der Geburt eiheute mit den uns zur Verfügung nes Kindes, sind diese Prozesse stehenden Mitteln vorgehen und klar definiert und könnten bereits diese konsequent weitereinwi- durch die Geburtsmeldung des ckeln. Das Zusammenbringen Krankenhauses im Hintergrund von erprobtem Verwaltungshan- in Gang gesetzt und ausgeführt deln mit den Fortschritten der werden. Die Beantragung der GeDigitalisierung wird die Verwal- burtsurkunde und des Kindertung auf ein neues Niveau heben. geldes könnten so beispielsweise Ein Beispiel: Nicht immer ist den von der Verwaltung ohne weiteres Bürgerinnen und Bürgern klar, Zutun der Eltern durchgeführt welche Daten genau wo zu hinter- werden. Die Prinzipien “One-Stoplegen sind und oftmals müssen die- Shop” und “No-Stop-Shop” setzen selben Daten mehrfach eingegeben die bereits genannten Grundla-

gen im Umfeld von einheitlichen mit den Daten der Bürgerinnen Prozessen, einer Plattform mit und Bürger geklärt sein. Der standardisierten Schnittstellen, ­R egistermodernisierung fällt Komponenten und intelligenten hierbei eine Schlüsselrolle zu. Werkzeugen voraus. Und schließlich schauen wir auf die “Geschäftsprozesse”, die Prinzip der heute in der Verwaltung oft noch “Hybriden Verwaltung” sehr aufwändig gestaltet werden Noch einen Schritt weiter gehen und nicht immer dem entsprewir mit unserem Prinzip der “Hyb- chen, was digital abbildbar wäre. riden Verwaltung”. Wir sehen darin Hier wollen wir in Zukunft vieles im Grundsatz die Verknüpfung von anders machen als bisher und privatwirtschaftlichen Dienstleis- Sinn bzw. Abläufe hinterfragen. tungen und Verwaltungsverfahren. Die Geschäftsprozesse sollen So etwas kann in Zukunft für die dabei übergreifend ausgerichtet Kundinnen und Kunden einen und gleichzeitig von unnötigem besonderen Mehrwert schaffen: Ballast befreit werden. EntscheiBei einer Reisebuchung auf priva- dungswege gilt es zu verkürzen. ten Portalen könnte zum Beispiel Arbeitsabläufe sind so darzusteldas Ablaufdatum des Reisepasses len, dass jeder Beteiligte sie zu überprüft und direkt ein neuer jeder Zeit als Gesamtbild aufruReisepass oder das entsprechende fen und den Fortschritt einsehen Visum beantragt werden. kann. Dies macht sie im Ergebnis Führt man diese Ansätze konse- wesentlich transparenter und quent weiter, muss aber auch die bietet außerdem die Grundlage Vereinheitlichung des Umganges dafür, den Prozessfortschritt der

Dem Mangel an Fachkräften begegnen Für die Umsetzung all dieser Maßnahmen braucht es Menschen. Der bereits heute spürbare Mangel an Fachkräften macht aber auch vor der Verwaltung nicht halt. Daher wollen wir die Attraktivität der Arbeit in der öffentlichen Verwaltung erhöhen. Auch hierbei spielt eine möglichst weitreichend digitalisierte Verwaltung eine große Rolle. Die Konzepte von New Work, allem voran die Umsetzung mobilen Arbeitens beziehungsweise die Arbeit aus dem Homeoffice, das damit eng verbundene kollaborative Zusammenwirken mittels entsprechender IT-Werkzeuge und nicht zuletzt die einfache Anbindung unterschiedlichster digitaler Endgeräte an eine leistungsfähige, dynamisch anpassbare und vor allem

Bei allen Ansätzen und Vorzügen der Digitalisierung darf ein zentraler Aspekt, der unser Handeln prägt, nicht außer Acht gelassen werden: Der Mensch steht im Mittelpunkt! Verwaltung wird auch in Zukunft für alle da sein. Es werden alle Voraussetzungen geschaffen, damit eine digitale Teilhabe für alle möglich ist. Und: wir holen die Bürgerinnen und Bürger da ab, wo sie stehen. Neben den neuen Kanälen und Innovationen wird es weiterhin möglich sein, Anträge in gewohnter Weise auf Papier einzureichen und Anliegen vor Ort mit Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern zu klären. Wir bedienen damit die unterschiedlichen Bedarfe. Die Verwaltung wird im Hintergrund weiter verlässlich agieren, mittels moderner Technik und Methoden Entscheidungen herbeiführen und wie gewohnt ihre Aufgaben erfüllen – ob “aus der Hosentasche” heraus angestoßen oder auf Papier eingereicht.

Strobl legt Dritten Digitalisierungsbericht vor (BS/pet) Mehr als zwei Milliarden Euro hat das Land Baden-Württemberg im Rahmen der letzten Legislaturperiode in die Digitalisierung investiert. Das geht aus dem Dritten Digitalisierungsbericht hervor, den das unter neuem Namen firmierende Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg nun offiziell präsentiert hat. Mehr als die Hälfte der Aufwendungen flossen dabei in den Ausbau der Breitbandinfrastruktur im Ländle. Im Rahmen der ersten Ministerratssitzung der neuen Landesregierung hat Digitalminister Thomas Strobl den Dritten Digitalisierungsbericht vorgestellt. Neben der digitalen Verwaltung beschäftigt sich dieser mit der Entwicklung in den Bereichen Infrastruktur, Innovation, Nachhaltigkeit, CyberSicherheit und E-Health. Ganz konkret wurden in den letzten fünf Jahren laut Bericht 70 Projekte mit rund 400 Millionen Euro gefördert, von denen viele inzwischen abgeschlossen oder weit fortgeschritten seien. Besonders stolz zeigt sich der Digitalminister angesichts der rasanten Fortschritte bei der digitalen Infrastruktur. Über 1,5 Mrd. Euro habe die Landesregierung in den Ausbau der heimischen Breitbandnetze investiert. Durch die Anpassung der Förderkulisse kamen nochmals 1,4 Milliarden Euro vom Bund hinzu.

Vernetzte Verwaltung in Land und Kommunen

22. Juni 2021 www.hedigital.de

Antragsbearbeitung über Statusmeldungen sichtbar zu gestalten.

Zum Stand der Digitalisierung in BaWü

Mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit sollen die Bereiche Künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputing und Cybersicherheit künftig noch stärker finanziell unterfüttert werden. Die Spitzenforschung sei bereits im Land, betont Strobl. Nun gelte es, dieses Fundament strategisch auszubauen. Nicht minder wichtig sind dem Landesdigitalminister soziale und ökologische Potenziale der Digitalisierung, die in der neuen Legislatur weiter verfolgt werden müssten. Für eine bessere CO2-Bilanz entwickelt das Land derzeit eine App, die Bürgerinnen und Bürgern helfen soll, den eigenen CO2-Fußabdruck zu bestimmen und zu reduzieren. Zudem lässt die Landesregierung erforschen, wie Rechenzentren nachhaltiger sein können. Großes Gewicht liegt ferner auf dem

HEssenDIGITAL #hedigital21

Schirmherr und Keynote Patrick Burghardt CIO und Bevollmächtigter der Landesregierung für E-Government und Informationstechnologie, Staatssekretär für Digitale Strategie und Entwicklung

Foto: HMinD

Eine Veranstaltung des

Behörden Spiegel / Juni 2021

tur Baden-Württemberg (CSBW). Die Aufgaben der neuen Behörde sind vor allem koordinatorischer Natur. Als zentrale Meldestelle im Land vernetzt sie dabei Staat, Verwaltungen, Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung.

Veranstaltung Zum Start der neuen Legislatur hat Digitalminister Thomas Strobl den Dritten Digitalisierungsbericht vorgelegt. Screenshot: BS/IM BW

Thema Cyber-Security: Um die Sicherheit im digitalen Raum zu gewährleisten, erarbeitet die Landesregierung aktuell eine CyberSicherheitsstrategie. Kernstück des Konzeptes ist die im Februar errichtete Cybersicherheitsagen-

Mehr zur Digitalisierung im Land und den Kommunen erfährt man auf dem Kongress “Baden-Württemberg 4.0”, den der Behörden Spiegel unter der Schirmherrschaft von Digitalminister Thomas Strobl am 1. Juli 2021 (online) veranstaltet. Weitere Informationen zum Programm sowie eine Anmeldemöglichkeit unter: www.bw-4-0.de


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Juni 2021

B

ehörden Spiegel: Herr Reinhardt, wie anders ist die globale Luft im Public Sector, als Sie es aus Deutschland gewohnt sind? Reinhardt: Danke für die Glückwünsche. So viel anders ist die Luft gar nicht, weil ich die letzten zwei Jahre schon unser europäisches Public-Sector-Geschäft koordiniert habe. Ich wechsele jetzt Stand- und Spielbein. Der deutsche Public Sector war bisher mein Hauptjob und das Internationale das Nebengeschäft, jetzt ist es umgekehrt. Abgesehen davon bekomme ich im Homeoffice die “andere Luft” vom globalen Geschäft leider bislang nur partiell mit. Behörden Spiegel: Herr Jacobsen, Sie waren vorher Leiter des Bereichs für IndividualsoftwareEntwicklung bei Capgemini in Deutschland. In welches Bild des Beratungs- und IT-Dienstleisters Capgemini fügt sich dieser Positionswechsel ein und was bedeutet die Schwerpunktverlagerung? Jacobsen: Capgemini deckt das gesamte Spektrum von IT-Dienstleistungen ab – von strategischer und technologischer Beratung über Verfahrensentwicklung bis zum Betrieb. Und wir sind heute schon einer der größten Umsetzungspartner im öffentlichen Sektor. Mein persönlicher Erfahrungsschwerpunkt ist vorrangig die Erstellung und Modernisierung großer Anwendungslandschaften. Ich habe aber auch großes Interesse, den Digitalisierungsschub in der Verwaltung zu unterstützen. Dafür möchte ich meine Umsetzungserfahrung nutzen, um unsere starke Beratungsund Ausführungskompetenz bei der Gestaltung von IT-Lösungen um eine weitere Perspektive zu ergänzen. Und Marc Reinhardt wird seine bekannte Stärke im Markt natürlich auch in der Zukunft in seinem Heimatmarkt Deutschland weiter einbringen.

Behörden Spiegel: Mit dieser Ergänzung um Software und Technologie kommt Capgemini im Public Sector ja eine stärkere gestalterische Rolle zu. Wie bewerten Sie derzeit den Markt und wie wollen Sie dieses Potenzial nutzen? Reinhardt: Wegen der Pandemie hat sich die bisher bestehende Notwendigkeit zur Digitalisierung

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Mit und in der Branche leben IT für den öffentlichen Sektor

über die gesetzliche Mindestanforderung hinaus innovative, qualitativ hochwertige und vor allem nachhaltige Lösungen zu schaffen.

(BS) Als europäisches IT-Beratungshaus und IT-Dienstleister unterstützt Capgemini auch Kunden des öffentlichen Sektors, von strategischer Behörden Spiegel: Welche Beund technologischer Beratung über Verfahrensentwicklung bis zum Betrieb. Kürzlich fand ein Führungswechsel an der Spitze des Public-Sector- darfe sehen Sie für die Zeit nach Geschäfts statt. Marc Reinhardt ist Global Head of Public Sector der Capgemini-Gruppe und Frank Jacobsen wechselt in die Rolle des Head of Pu- dem OZG? blic Sector Deutschland. Bei Capgemini zählt der Healthcare-Bereich zum Public Sector dazu. Mit beiden sprach Dr. Eva-Charlotte Proll über eine Jacobsen: Wir werden ein OZG beschleunigte Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben und einem weiterhin starken Fokus auf den europäischen Markt. auch führende Länder noch ihre Herausforderungen haben.

nochmal beschleunigt. Die Themen E-Akte oder mobiles Arbeiten hatten die Behörden vorher schon auf der Agenda, weil es im E-Government-Gesetz steht. Jetzt sind sie zu einem strategischen Thema geworden, um überhaupt arbeitsfähig zu bleiben. Das Konjunkturpaket hat beim OZG einen zusätzlichen Schub in die Digitalisierungsprojekte gebracht. Dies bedeutet einen kurzfristigen Anstieg der Arbeitslast in der öffentlichen Verwaltung und das ist nur teilweise mit eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abzufangen. Verwaltungen, die bereits etablierte Kooperationen mit eigenen Dienstleistern und Wirtschaftspartnern haben, sind hier gut aufgestellt und kommen in dieser Situation besser zurecht als die, die das erst aufbauen müssen. Capgemini kann neben normalen Einsätzen auch gerade dort helfen, wo große und komplexe Aufgaben eine Zusammenarbeit von föderalen Ebenen erfordern. Jacobsen: Da schließt sich auch der Kreis zu unserer personellen Neuaufstellung, weil wir nämlich in Deutschland kein Defizit an Willen, gesetzlichen Vorgaben oder Ideen zur Digitalisierung sehen. Wir sind ganz klar der Meinung, dass die Umsetzung beschleunigt werden muss. Und da liegt mein großer Erfahrungsraum. Behörden Spiegel: Herr Jacobsen, gab es denn noch eine

“Starke Kunden zu haben, ist ... für die Zusammenarbeit gut. Nur schlechte Berater freuen sich über schwache Kunden. ”

Behörden Spiegel: Wie gut sind deutsche Behörden denn tatsächlich in der Digitalisierung aufgestellt und welchen Beratungs- bzw. Handlungsbedarf gibt es konkret?

Cloud First, Daten(-management) und noch mehr Nutzerorientierung sind Bereiche, die international priorisiert würden und bei denen Deutschland von anderen Ländern lernen könne, berichten Frank Jacobsen (links) und Marc Reinhardt. Foto: BS/Capgemini

Reinhardt: Die Reifegrade der verschiedenen Behörden sind unterschiedlich. Hamburg hat beispielsweise schon 2018 schon das “Digital-First” Programm gestartet, einen starken Dienstleister an der Seite und sich damit gut positioniert für das OZG. Es gibt aber auch andere, denen solche Voraussetzungen fehlen oder die sehr viel später angefangen haben, die natürlich jetzt noch unter sehr viel mehr Zeitdruck versuchen müssen, die Deadlines einzuhalten. Neben dem OZG stehen zudem viele andere Vorhaben an, darunter die Umsetzung von E-Government-Gesetzen mit der Einführung von E-Akten und die Erneuerung von Fachverfahren. Hinzu kommt das Tagesgeschäft durch neue Gesetze oder Änderungen von Gesetzen, die dann eben auch natürlich noch mal das Nachpflegen von entsprechenden Systemen erfordern. Immerhin hat sich unter dem Druck dieser Herausforderung in der föderalen Zusammenarbeit viel getan. Da haben sich alle öffentlichen Akteure bewegt.

persönliche Motivation, die Sie zu diesem fachlichen Wechsel bewegt hat? Jacobsen: Ich habe fast die Hälfte meiner beruflichen Laufbahn im öffentlichen Sector verbracht und bin dann, als ich zu Capgemini kam, für einige Jahre in die Privatwirtschaft gewechselt, speziell in den Automobilsektor. Zuletzt war ich aber auch bei öffentlichen Kunden unterwegs. Ein moderner, anpassungsfähiger und digital handlungsfähiger Staat ist ein Garant für Stabilität in unserer Demokratie. Dies hat mich schon während meiner Laufbahn im Öffentlichen Dienst bewegt. Ich freue mich, auch zukünftig an Lösungen für Herausforderungen im Öffentlichen Dienst mitzuarbeiten. Behörden Spiegel: Welche Aufgaben kommen für Sie neu dazu, Herr Reinhardt? Reinhardt: Der Schwerpunkt unseres Geschäfts im öffentlichen Sektor liegt in Europa, dort sind wir Marktführer in verschiedenen Ländern. Wir sind auch in einzelnen Ländern in Asien ganz gut aufgestellt und die USA tragen merklich zum Geschäft bei, doch relativ zum Markt ist unsere Präsenz dort noch recht überschaubar. Ich will deswegen in meiner Rolle mit zunächst klar europäischem Fokus vor allem Inhalte treiben und somit Trends analysieren, Lösungen entwickeln und interne Teams, aber auch

Kundinnen und Kunden, miteinander vernetzen. Behörden Spiegel: Was kann man aus dem internationalen Vergleich lernen? Reinhardt: Es gibt hier drei Themen. Erstens: Cloud First. Unterschiedliche Länder haben dafür unterschiedliche Ansätze gefunden, Großbritannien ist vorangegangen, Frankreich beschäftigt sich aktiv damit. Zweitens: Daten. Diese müssen erschlossen und genutzt werden. Asiatische Länder sind hier Vorreiter, auch Frankreich hat im Bereich Open Data nachgelegt und ist im Kontext GAIA-X gemeinsam mit Deutschland bestrebt, erschlossene Daten datenschutzkonform mit anderen zu teilen. Drittens: noch mehr Nutzerorientierung. In Österreich beim Kindergeld, in Estland bei der Steuererklärung nimmt der Staat dem Bürger den Antrag ab oder vereinfacht ihn radikal. Das Universal Credit System in Großbritannien wird vom Bedarf des Bürgers gedacht und aus der Zusammenstellung von verschiedenen Komponenten aus verschiedenen Behörden wird Bürgern ein entsprechend passendes Angebot gemacht. Hier wird nicht mehr aus der Sicht der Behörde gedacht, sondern vom Bedarf der Bürgerinnen und Bürger her. Großbritannien hat die komplexe Umsetzung allerdings auch noch nicht geknackt. Es ist tröstlich, zu sehen, dass

Behörden Spiegel: Wie konkret unterstützt hier Capgemini? Jacobsen: Wir unterstützen momentan auf allen Ebenen bei der Umsetzung der OZG-Anforderungen mit der Kompetenz als fachlich strategischer Umsetzer unter Anwendung eines Endezu-Ende-Ansatzes im Projektund Anforderungsmanagement, insbesondere auch in agiler Ausprägung und in konkreten technischen Spezifikationen. Ganz generell unterstützen wir auch im Umsetzen der dann spezifizierten Leistungen. Unser Ziel ist dabei aber, nach Möglichkeit

2.0 brauchen, denn die Modernisierung der dahinter liegenden Fachverfahren muss zwingend erfolgen. Wir werden einen Schub in der Registermodernisierung sehen. Die IT-Konsolidierung im Bund und in den Ländern ist noch nicht abgeschlossen. Auch der öffentliche Sektor wird eine Transformation in die Welt der Cloud erleben – nicht nur als Umgebung für Daten, sondern auch als ein Werkzeug zur besseren Zusammenarbeit und Kooperation im Föderalismus. Letztlich wird der demographische Wandel zur verstärkten Automatisierung führen.

Behörden Spiegel: Wie arbeiten Beraterinnen und Berater sowie Verwaltung zukünftig miteinander? Reinhardt: Also grundsätzlich leben wir mit und in unserer Branche. Kein Berater wird erfolgreich sein, wenn er nicht so arbeitet, wie die Kunden sich das vorstellen. Gemäß unserer Policy der “Collaborative Business Experience” wollen wir Kunden helfen, sich selbst besser aufzustellen. Starke Kunden zu haben, ist im Interesse der Projektergebnisse aber auch für die Zusammenarbeit, gut. Nur schlechte Berater freuen sich über schwache Kunden. In der Zusammenarbeit wird es auch künftig wichtig sein, Vertrauen aufzubauen und Vertrauen zu erhalten. Dafür müssen wir auch, aus Dienstleistersicht gesprochen, für die mit auf den Weg gebrachten Ergebnisse einstehen. Ich bin sehr gerne bereit ,in entsprechenden Modellen auch Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen eine Partnerschaft zur gemeinsamen Bewältigung der Herausforderungen von Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit klarer Führung durch die öffentliche Hand. Wir sind Umsetzer. Wir bauen, wir betreiben Software, auf der täglich eine enorme Last liegt, sei es bei der Maut-Erfassung oder bei der Software zur Bearbeitung und Auszahlung von ALG II.


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / Juni 2021

Karriereportal INTERAMT wird noch kundenfreundlicher

Büros flexibel nutzen

Bei der INTERAMT.ideenschmiede können sich Behörden aktiv bei der Produktentwicklung einbringen

Wechsel von Heim-, Mobil- und Büroarbeitsplatz

(BS/Jana Wendig*) INTERAMT, das Stellenportal des Öffentlichen Dienstes, hat auch in diesem Jahr – und somit zum vierten Mal in Folge – die Auszeichnung “TOP-Karriereportal” von Focus Business erhalten. Das bestätigen auch die Erfolgszahlen aus dem vergangenen Jahr: Mit mehr als 100 Millionen Website-Aufrufen, über 25 Millionen Stellensuchen und rund 200.000 Online-Bewerbungen, die 2020 über das Portal eingereicht wurden, ist INTERAMT das führende Karriereportal für den Öffentlichen Dienst.

(BS/Stephanie Berlin) Flexible Office-Konzepte gab es lange vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Einzelne Abteilungen reduzierten einen Teil ihrer fixen Büroarbeitsplätze, Mitarbeiter, die nicht auf Geschäftsreise waren, buchten sich morgens ins System ein, der Heimarbeitsplatz war noch die seltene Ausnahme. Die dazugehörigen Buchungssysteme waren allesamt proprietär, die Integration weiterer Services in der Regel Große Resonanz bei erster nicht mitgedacht, die Begeisterung auf Nutzerseite eher verhalten. CoINTERAMT.ideenschmiede Auch Kundenzufriedenheit ist vid-19 hat die Rahmenbedingungen deutlich verändert. Und die Technik ein entscheidender Erfolgsfaktor ist reif, um den fliegenden Wechsel von Heim-, Mobil- und Büroarbeitsvon INTERAMT. Schon immer platz integriert, automatisiert und sicher zu managen.

Es bringt Stellensuchende und Stellenbietende auf einer gemeinsamen Plattform von Bund, Ländern und Kommunen zusammen und ist damit die erste Wahl für öffentliche Arbeitgeber/-innen, wenn es um die Veröffentlichung von Stellenangeboten geht. Schon heute vertrauen mehr als 3.300 Behörden auf INTERAMT und stellen jährlich im Schnitt mehr als 75.000 Stellenangebote ein.

Ein Tool für alle Phasen der Personalgewinnung Doch INTERAMT ist nicht nur ein beliebtes Stellenportal, sondern bietet mit INTERAMT.professional ein vollumfängliches Tool für professionelles Bewerbungsmanagement, das Behörden in allen Phasen der Personalgewinnung unterstützt – von der Ausschreibung bis zur Einstellung. INTERAMT.professional ermöglicht es, die eigenen Bewerbungsprozesse effizient, digital und absolut datenschutzkonform zu gestalten. Das spart Zeit und Ressourcen. Mit INTERAMT stehen alle Stellenangebote sofort online und mobil zur Verfügung. Eingehende Bewerbungen werden automatisch erfasst und mit dem komfortablen Kommunikations-Tool kann direkt da­

Die INTERAMT.ideenschmiede findet mehrmals im Jahr statt. Anmeldungen sind jederzeit möglich. Grafik: BS/INTERAMT

rauf reagiert werden. Ein echter Vorteil im Wettbewerb um die besten Fachkräfte – ganz ohne Investitionen in die eigene IT. Zusätzlich bietet INTERAMT.professional viele wichtige Funktionen rund um den Be-

werbungsprozess wie anonymisierte Verfahren, eine individuell gestaltbare Rankingfunktion und die Möglichkeit, alle Gremien von Anfang an in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.

wurden kundenseitige Ideen ernst genommen, doch nun geht das Team noch einen Schritt weiter und hat die INTERAMT.-ideenschmiede ins Leben gerufen. Dabei werden die Nutzerinnen und Nutzer von INTERAMT.professional gezielt in die Weiterentwicklung der Software einbezogen und erhalten damit die Möglichkeit, INTERAMT nicht nur anzuwenden, sondern eigene Erfahrungen und neue Ideen aktiv einzubringen. Kürzlich fand der erste Termin der Veranstaltungsreihe statt und die Resonanz war riesig: Zusammen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden mehrere Seiten an Ideen und Verbesserungsvorschlägen ausgearbeitet. Viele befinden sich bereits in der Umsetzung oder folgen in den kommenden Wochen. Die INTERAMT.ideenschmiede findet mehrmals im Jahr statt. Anmeldungen sind jederzeit möglich. Interessierte melden sich einfach bei INTERAMTProduktmanager Rico Wittmann (r.wittmann@dvz-mv.de). *Jana Wendig ist Marketingkoordinatorin INTERAMT in der DVZ M-V GmbH.

Im April 2020 arbeiteten 27 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland im Homeoffice. Ein unfreiwilliger Rekord. Auch wenn die Zahl zum Start des zweiten Lockdowns im November auf 14 Prozent zurückging, im Januar 2021 nutzten wieder 24 Prozent der Angestellten den Platz am heimischen Tisch. Dazwischen brachten die Rückkehrer zum angestammten Büroarbeitsplatz die Verantwortlichen in Bedrängnis. Covid-19-bedingt mussten Belegungsgrenzen eingehalten, Konferenzräume sollten – wenn nicht ganz gesperrt – nur mit Hygienekonzept für spezielle Anläs-

flexibler werden: Manche Angestellten müssen an fünf Tagen in der Woche im Büro sein, andere arbeiten lieber komplett aus dem Homeoffice heraus und wieder andere wollen wechseln. Diese neue Flexibilität will organisiert sein – inklusive aller auch sonst fälligen Wartungs- und Umbauarbeiten.

Die neue Flexibilität integriert managen

Unter dem Stichwort Workplace Service Delivery bietet beispielsweise ServiceNow Lösungen an, um den hybrid-digitalen Arbeitsplatz zuverlässig und integriert zu ermöglichen. Dabei geht es um weit mehr als nur das Suchen und Buchen eines geeigneten Büros oder eines BesprechungsrauStephanie Berlin ist Lösungsexpertin für den Public Sector mes mit der richbei ServiceNow. tigen Ausstattung. Auch Reparaturen Foto: BS/ServiceNow müssen gemeldet und durchgeführt, se zugänglich gemacht werden, die Klimaanlage reguliert, der Masken mussten bereit- und Parkplatz reserviert, im Zweifel Hygienespender aufgestellt und soll auch der Fitnesskurs vor Ort auch regelmäßig befüllt werden. reserviert werden können – wenn Eine Herausforderung für alle man schon einmal vor Ort ist. Kevin Nanney, Senior Director Beteiligten. Zumal die wenigsten Unternehmen über einheitliche of Product Management bei SerManagementsysteme verfügen. viceNow: “Jedes Unternehmen, mit dem wir aktuell sprechen, Zeitraubende Suche nach vollzieht den Wandel von der Räumlichkeiten starren Bürozuordnung zur fleWenn überhaupt digitale Bu- xiblen Raumvergabe, in etwa chungssysteme für die meist vergleichbar der Zimmerbuchung überschaubare Zahl von Konfe- in einem Hotel. Das Hotelzimrenzräumen vorhanden sind, sind mer können Sie heute schon sie selten auf eine große Anzahl bequem per Handy reservieren. von Büros skalierbar. Von der Dazu kommt eine breite Auswahl Integration der begleitenden Ser- an zusätzlichen Services. In der vices ganz zu schweigen. Schät- Arbeitsplatzumgebung sind die zungen des Marktforschungs- Services, die an die Räumlichkeit unternehmens Gartner zufolge gebunden sind, kaum weniger verbringen Mitarbeiter jedes Jahr umfangreich. Auch wenn es darim Schnitt 27 Stunden allein mit um geht, über einen interaktiven der Suche nach geeigneten Räu- Etagenplan einen Raum in der men. Für einfache, begleitende Nähe des jeweiligen Teams buErledigungen – Gästezugang für chen zu können.” das hausinterne WLAN, Getränke, Essen im Betriebsrestaurant, Prozesse effizienter gestalten Besucher- und Parkausweise, die Besorgung relevanter MarPlattform-Tools wie das Workketingunterlagen etc. – müssen place Service Delivery bringen oft viele E-Mails geschrieben und die unterschiedlichen Aspekte Telefonate geführt werden. Die für die Mitarbeitenden bequem Folgen: Die Produktivität sinkt und übersichtlich innerhalb eiund die Unzufriedenheit der Mit- ner Anwendung zusammen. Die arbeitenden steigt. entsprechende Nutzerschnittstelle steht einheitlich über alle Die neue Dynamik im browserfähigen Endgeräte zur Workplace-Management Verfügung. Noch auf dem Weg, Die Covid-19-Pandemie hat die z. B. im Bus, lassen sich weDebatte um flexible Arbeitsplätze nigen, nötige Klicks erledigen. neu befeuert. Besonders flexible Statt ihre Zeit mit langatmigen, Kleinunternehmen schickten ih- manuellen Buchungsprozessen re Mitarbeitenden ins Homeoffice zu vertun, können sich Kolleginund lösten ihre fest angemieteten nen und Kollegen mit der neu Büroräume gleich komplett auf. gewonnenen Flexibilität ihren Großunternehmen begannen Kernaufgaben widmen. Adminisdavon zu träumen, ihre teuren tratoren erhalten automatisierBüromieten durch Heimarbeits- te Auswertungen und können plätze senken zu können. Dabei schnell auf Anfragen reagieren wies das ifo-Institut im März beziehungsweise die erforderlidieses Jahres darauf hin, dass chen Services im Hintergrund das Potenzial für die Arbeit im einrichten. Homeoffice insgesamt bei mehr als 50 Prozent der Angestellten Neuer Freiheitsgrad liege. Das sei selbst auf dem HöIm Ergebnis ermöglichen diese hepunkt des Lockdowns bei Wei- Systeme nicht nur eine signifitem nicht ausgeschöpft worden. kante Steigerung der Effizienz in So oder so, der Anteil der von der Organisationsabwicklung. zu Hause Arbeitenden ist drama- Sie ermöglichen einen neuen tisch gewachsen. Vor der Pande- Freiheitsgrad im Arbeitsprozess. mie lag er bei unter fünf Prozent. Ein Kernthema bei der MotivaFür Unternehmen bedeutet das tion von Mitarbeiterinnen und eine riesige Herausforderung. Mitarbeitern, das so schnell Das Management der Resour- nicht an Bedeutung verlieren ce Arbeitsplatz muss deutlich wird.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Juni 2021

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Der Cloud-Marktplatz

Fast 300.000 Meter Glasfaserkabel

Türöffner zur Multi-Hybrid-Cloud

Breitbandausbau in der Gemeinde Schorfheide

(BS/Dr. Christian Janssen/Martin Lambinet*) Nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch im öffentlichen Sektor nehmen Interesse und Bedarf an Cloud-Lösungen stark zu. Doch das unüberschaubare Angebot und hohe Sicherheitsanforderungen machen die Wahl nicht gerade leicht. Ein Marktplatz für Cloud-Lösungen könnte ein sinnvoller Ansatz sein, um den Weg zur richtigen Cloud-Infrastruktur zu ebenen.

(BS/Ulf Kämpfe*) Der eigenwirtschaftliche Ausbau alternativer Breitbandanbieter sichert vielen Kommunen den verlässlichen und flächendeckenden Ausbau. So wollen Schorfheide – eine amtsfreie Gemeinde im nördlichen Brandenburg – und die DNS:NET Internet Service GmbH den flächendeckenden Aufbau eines Glasfasernetzes im gesamten Gemeindegebiet in Angriff nehmen.

Public, Hybrid oder doch lieber Private: Schon bei der Art der Cloud-Lösung gilt es herauszufinden, welche am besten zur jeweiligen Digitalisierungsstrategie passt. Daneben stellt sich die Frage nach dem richtigen Cloud-Anbieter. Hyperscaler wie Google, Microsoft und Amazon Web Services bieten zweifellos Vorteile, jedoch möchte sich der öffentliche Sektor nicht von einem Anbieter abhängig machen. Digitale Souveränität und eine krisensichere IT-Infrastruktur haben oberste Priorität und hohe Anforderungen an die ITSicherheit sowie Daten- und Geheimschutz disqualifizieren derzeit die Public Cloud als alleinige Lösung.

Dazu wurde Ende Mai in Finowfurt eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Grundlage der Zusammenarbeit ist ein Beschluss der Gemeindevertretung vom April 2021. Danach wird unter dem Motto “Schnelles Internet für alle im ländlichen Raum” der zügige Ausbau eines Glasfasernetzes in der 10.500 Einwohner zählenden Gemeinde angestrebt. Über den direkten Ausbau mit Glasfaserinfrastruktur per FTTH (Glasfaserverlegung bis ins Haus) werden zudem Bandbreiten von bis zu 2,5 Gbit/s realisiert, was bundesweit ein Spitzenwert ist.

Unternehmen bereits mit Multi-Hybrid-Cloud-Strategie Aktuell beschränkt sich die Nutzung von Cloud-Technologien in der öffentlichen Verwaltung deshalb größtenteils auf die Private Cloud (z. B. Bundescloud). Viele Unternehmen setzen dagegen bereits auf eine Multi-Hybrid-Cloud-Strategie, um Cloud-Services verschiedener Anbieter und unterschiedlichen Typs zu kombinieren. Das ermöglicht flexible, bedarfs­ orientierte und risikoärmere Lösungen und reduziert den Vendor-Lock-in. Auch für die öffentliche Verwaltung könnte das eine sinnvolle Option sein. Einige unserer europäi-

schen Nachbarn stellen ihren Behörden schon jetzt PublicCloud-Services zentral bereit. Die französische Verwaltung hat zum Beispiel, unterstützt durch Capgemini, einen CloudMarktplatz für Public-CloudServices etabliert. Über diesen werden Angebot und Auswahl von Public-Cloud-Services gemäß der Vergabe- und ITSicherheitsanforderungen der Verwaltung gesteuert. Ein solcher Cloud-Marktplatz könnte für die deutsche Verwaltung ein wichtiger Schritt in eine Multi-Hybrid-Cloud sein. Die Idee dahinter: Auf dem Marktplatz können Behörden aus einem gemanagten Servicekatalog CloudDienste verschiedener Anbieter auswählen. Dabei profitieren sie von folgenden Vorteilen: • Behörden erhalten einen vergaberechtlich geregelten Zugang zu den Innovationen der CloudAnbieter. • Sie haben Zugriff auf Cloud-Services, die von den IT-Dienstleistern der Verwaltung bereitgestellt werden (z. B. Bundescloud oder dPhoenixSuite). • Eine prominente Platzierung von Open-Source-Produkten, verbunden mit innovativen Kostenmodellen, stärkt den Fokus auf nachnutzbare und günstige Lösungen. • Der Cloud-Marktplatz ermöglicht Transparenz und Kontrolle über Umfang und Kosten von Cloud-Services und reguliert

das Service-Angebot mit Marktmechanismen.

Förderung der digitalen Souveränität Auf dem Cloud-Marktplatz können Behörden also die Zutaten für ihre Multi-Hybrid-CloudStrategie zu transparenten Konditionen zusammenstellen und dabei aus qualitätsgesicherten Angeboten schöpfen, die den Vorgaben der öffentlichen Verwaltung entsprechen. Der Marktplatz fördert dabei die digitale Souveränität und ist der Startpunkt für eine erfolgreiche Cloud-Transformation. Der Aufbau eines CloudMarktplatzes setzt einen guten Überblick über aktuelle CloudTechnologien und -Anbieter voraus. Neben den Akteuren der öffentlichen Verwaltung, empfiehlt es sich, erfahrene, herstellerunabhängige Partner hinzuzuziehen. Capgemini unterstützt seit vielen Jahren Kunden aus der Wirtschaft und aus dem öffentlichen Sektor bei ihren CloudTransformationsprojekten. Wir freuen uns darauf, unsere CloudExpertise auch in die Diskussion um die Cloud-Transformation der öffentlichen Verwaltung in Deutschland einzubringen. *Dr. Christian Janssen und Martin Lambinet sind als Cloud-Experten für den öffentlichen Sektor bei Capgemini tätig.

OZG-Umsetzung Die Verbindung zu den Kommunen über Low-Code-Plattformen (BS/Dr. Harald Bauer) Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) hat ein Problem. Während es auf der oberen Ebene zügig vorangeht, ist die Verbindung zu den Kommunen oft noch nicht hergestellt. Sie sind jedoch die Ebene, auf der in den allermeisten Fällen die konkrete Sachbearbeitung stattfindet. Um die Entwicklung zu beschleunigen, hat die Bundesregierung ein Konjunkturpaket in Höhe von drei Mrd. Euro zur Verfügung gestellt. Auf der Basis von Low-Code-Plattformen können im gebotenen zeitlichen Rahmen Dienstleistungen in den Kommunen Ende zu Ende praxisnah digitalisiert werden. Unter der Leitung des IT-Planungsrats bündeln die Akteure ihre Kräfte und gehen auch für die Verwaltung neue Wege. Agile

den Berliner Anwendertagen vor. Die Verbindung zwischen Bundesportal, den Länderportalen mit ihren Komponenten wie Nutzerkonto/ FINK, FIM etc. zu den kommunalen IT-Strukturen ist bisweilen schwer Dr. Harald Bauer ist Senior Account Manager bei der Euherzustellen. Die ropean IT Consultancy EITCO einkommenden GmbH. Anträge haben Foto: BS/EITCO zwar die vorgesehene Struktur, doch müssen sie für die Bearbeitung an die komVorgehensweisen und Metho- munalen Fachsysteme übergeden haben Einzug gehalten. Im ben werden. konkreten Fall sind die von BMI, Ländern und weiteren Akteuren Low-Code-Plattform Intrexx schafft die Verbindung in zahlreichen Workshops erarbeiteten Prototypen als Vorlage An dieser Stelle sind Low-Codenutzbar. Es stehen in Digita- Plattformen das geeignete Mitlisierungslaboren vorbereitete tel. Sie schaffen die Verbindung Click-Dummies zur Verfügung. von den Ebenen Bund/Länder Über das Föderale Informations- zu den Kommunen. Die vorbemanagement (FIM) stehen Vorla- reiteten EfA-Dienstleistungen gen bereit. Damit kann man vor und weitere Vorlagen aus dem Ort in den Kommunen und der OZG-Biotop lassen sich einnachgelagerten Verwaltung voll fach und vergleichsweise schnell funktionsfähige Dienstleistungen umsetzen. Aus vordefinierten EfA-Prozeserstellen. sen (Click-Dummies) entsteht in Lücke zwischen Bund/ kurzer Zeit die fertige DienstLändern und Kommunen leistung. Mit allen notwendigen Bei der Umsetzung stellt sich Schritten innerhalb der Verin der Praxis eine Lücke zwi- waltung, egal ob einzelne oder schen den Infrastrukturen für mehrere Behörden und weitere OZG-Leistungen von Bund/ Akteure beteiligt sind. Intrexx Ländern und den Kommunen ist ein sehr gut dafür geeigdar. Darüber berichten Exper- netes Produkt, das am Markt ten, die direkt mit den Projekten etabliert, technisch up to date in Kontakt sind und die konkre- und einfach zu handhaben ist. te Lage kennen. Dazu gehört Nach kurzer Einarbeitungsphau. a. die Leiterin der FITKO, Dr. se können sowohl Berater als Annette Schmidt, sie trug bei auch Mitarbeiter aus dem Fach-

bereich damit umgehen. Dabei wird auf das Zusammenspiel von Datenintegration, Prozessen und Informations- sowie Interaktions-Applikationen aus einem Guss geachtet. Sie können Prozesse für Online-Leistungen direkt in Workshops mit den zuständigen Sachbearbeitern digitalisieren. Im konkreten Fall baut das Vorgehen auf dem Werkzeugkasten für die OZG-Umsetzung auf. Im FIM liegen als Bausteine genaue Definitionen der geforderten Leistungen vor sowie die Prozesse. Der genaue Ablauf inklusive aller Bearbeitungsund Prüfschritte ist beschrieben. Auch alle erforderlichen Datenfelder sind definiert. Weitere können nach lokalen Erfordernissen hinzugefügt werden. Zusammen mit den ClickDummies liegen alle wichtigen Einzelteile vor und können dank Low-Code in kürzester Zeit umgesetzt werden.

Leistungen passgenau umsetzen Auf der kommunalen Ebene kann man auf dieser Grundlage die Verbindung zwischen der Leistungserbringung vor Ort und den übergeordneten Strukturen herstellen. Leistungen nach dem OZG-Katalog sind passgenau nach den örtlichen Gegebenheiten wie Fachverfahren, Registern, Bezahlsystemen umsetzbar. Nutzerkonten und der Portalverbund sind anzubinden. Der Einsatz dieser Plattform ist sowohl on premise als auch in der Cloud effizient möglich.

Wichtige Zukunftsinvestition Schorfheides Bürgermeister Wilhelm Westerkamp sagte bei der Unterzeichnung: “Wir sind sehr froh darüber, dass wir zusammen mit der DNS:NET unsere Gemeinde mit dem flächendeckenden Glasfasernetz erschließen können. Für die zukünftige Entwicklung in unseren Ortsteilen ist es wichtig, diese Infrastruktur vorzuhalten. Dabei geht es um Gewerbeansiedlungen, den Erhalt schon bestehender Unternehmen und somit von Arbeitsplätzen, des öffentlichen Personennahverkehrs, der medizinischen Versorgung in der Fläche, Arbeiten von zu Hause aus, Bildung und vieles mehr. Unser Vorhaben ist also eine wichtige Investition in die Zukunft.” Colin-Alexander Rauer von DNS:NET: “Wir stehen als Partner für den Glasfaserausbau zu unserem Motto: Glasfaser für alle!

Bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages: Colin-Alexander Rauer, DNS:NET (links), und Wilhelm Westerkamp, Bürgermeister der Gemeinde Schorfheide (rechts) Foto: BS/Gemeinde Schorfheide, H. Wiedl

Nach der Erhebung der Quoten für die Vorverträge starten die Tiefbauarbeiten schnellstmöglich, damit die Gemeinde Schorfheide so schnell wie möglich mit Spitzenwerten in der Breitbandversorgung rechnen kann.”

Gute Kooperaration Hardy Heine, Ansprechpartner für den kommunalen Glasfaserausbau, ergänzt: “Von der ersten Begegnung mit der Gemeindevertretung an sowie den äußerst konstruktiven Gesprächen mit den Ortsvorstehern und der Politik hat sich abgezeichnet, dass sich in Schorfheide eine zukunftsfähige Infrastruktur auf der Grundlage einer guten Kooperation vertrauensvoll aufbauen lässt.”

Infolge des Ausbaus können über 6.000 Haushalte in der gesamten Gemeinde mit ihren neun Ortsteilen versorgt werden. Ab sofort startet die Vorvermarktung, um die Wirtschaftlichkeit mit Vorverträgen zu sichern. Nach Erreichen der Quote soll der Ausbau in diesem Jahr im größten Ortsteil Finowfurt begonnen werden. Insgesamt würden dann über 30 Kilometer Tiefbau und fast 300.000 Meter Glasfaserkabel für die Anbindung der Ortsteile vom größten alternativen Breitbandversorger Brandenburgs realisiert. *Ulf Kämpfe verantwortet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde Schorfheide.

Stadtwerke Jena gehen in die Cloud Schritt für Schritt durch eine reibungslose Migration (BS) Die Stadtwerke Jena sorgen in Thüringens zweitgrößter Stadt und ihrem Umland zuverlässig für Strom, Wasser, Erdgas, den Nahverkehr und viele weitere Services, die das Wohnen in der Metropolregion angenehm machen. Diese Leistungen werden von einer Holding mit zehn Gesellschaften und mehr als 1.600 Mitarbeitern erbracht. Seit 2018 verfolgen die Stadtwerke ein ambitioniertes Projekt: Um alle Gesellschaften optimal miteinander zu vernetzen, entschied man sich, große Teile der IT in die Microsoft Cloud zu migrieren. Zur Umsetzung des Vorhabens erfolgte im ersten Schritt eine Ausschreibung, an der sich Software-Häuser beteiligten, die teils sehr große Lizenzvolumina bewegen. Auch der Cloud Solution Provider VENDOSOFT war mit von der Partie. Christoph Braun, verantwortlich für ITOperations & Cloud-Dienste, kannte den Microsoft Gold Partner von früheren Projekten, in denen es um den Kauf gebrauchter Software ging. “Die gute Lizenzberatung war mir in Erinnerung geblieben”, sagt er. Die zeigte sich auch während des Auswahlprozesses für das anstehende Cloud-Projekt. Lizenzrechtlich fühlte sich der Kunde bei VENDOSOFT sehr schnell besser beraten als bei den großen Anbietern.

Gute Beratung zahlt sich aus – für alle Joyce Studier, zertifizierte Microsoft Licensing und SAM Professional bei VENDOSOFT, ist seit Beginn des Projektes die Ansprechpartnerin der Stadtwerke Jena. Als erfahrene Expertin im Lizenzrecht des Herstellers Microsoft beriet sie das IT-Team um Christoph Braun. “Die Gespräche mit Frau Studier waren eine wohltuende Ausnahme”, erinnert er sich. “Unter anderem gab sie uns anhand der Online Service Terms von Microsoft ganz klar Auskunft darüber, welche Option für uns die richtige ist, was lizenzrechtlich möglich ist und was nicht.” So viel Professionalität und Offenheit hinterließen das Ge-

fühl, dass dieser CSP-Partner tatsächlich an der optimalen Lizenzierung seiner Kunden interessiert ist. Preis und Leistung überzeugten den Projektleiter ebenfalls und so fiel die Entscheidung für VENDOSOFT als Cloud Solution Provider eindeutig aus. “Beratung und Support sind bei einem solchen Projekt nicht zu unterschätzen”, erklärt Christoph Braun. “Geld sollte da nicht die oberste Priorität spielen. Uns war wichtiger, dass wir einen kompetenten Ansprechpartner haben, der nicht ständig wechselt, und dass wir jederzeit verlässliche Auskünfte bekommen.”

Die Nutzer abholen – dann gelingt die Migration Von den 1.600 Mitarbeitern der Stadtwerke Jena betreut die 30-Mann starke IT-Abteilung etwa 1.200 an PC-Arbeitsplätzen. Ab Sommer 2019 erfolgte deren stufenweise Migration in die Microsoft Cloud. Um niemanden mit der Komplexität cloudbasierter Software zu überfordern, startete das Team zunächst mit der Einführung von Office 365. So konnten die Verantwortlichen alle Deadlines zur Umstellung einhalten und einen zuverlässigen Service für die Nutzer gewährleisten. Schon in dieser Phase bestätigte sich die Wahl ihres CSP-Anbieters: Erreichbarkeit, schnelle Reaktionszeiten und kompetente Antworten auch auf sehr spezi­ fische Produktfragen konnte VENDOSOFT routiniert leisten. Auch das Lizenzverwaltungs-Tool, das der Anbieter seinen CSP-Kunden

bereitstellt, begeistert: “Die Lösung bietet eine tolle Flexibilität”, so Braun. “Innerhalb weniger Minuten können wir Lizenzanpassungen selbst vornehmen.” Mittlerweile kommt die gesamte Palette an Microsoft-CSPProdukten zum Einsatz. Selbst User, die anfangs kritisch waren, sind inzwischen davon überzeugt, dass es ohne die Cloud nicht mehr geht. “Covid-19 war ein richtiger Booster für M365”, berichtet Braun. “Allein die Nutzung von Teams stieg im letzten Jahr um 700 Prozent!” Aktuell plant das IT-Team, vom bisherigen Virenscanner auf den Microsoft Windows Defender umzusteigen. Dazu bot VENDOSOFT einen ersten kostenfreien Workshop, der die Funktionalitäten aufzeigte – und überzeugte. Cloud-Projekte wie am Beispiel der Stadtwerke Jena schrittweise umzusetzen, ist denn auch die Empfehlung, die Joyce Studier ihren Kunden mit auf den Weg gibt. “Geht man ein derart komplexes Thema in einem gesunden Tempo an, profitieren alle Beteiligten: die User ebenso wie die IT-Abteilung, die mit den neuen Aufgaben wachsen und gleichzeitig den Support sicherstellen muss.” Auch kostenseitig macht diese Herangehensweise Sinn. Denn nur selten müssen von Beginn an sämtliche Leistungen aus der Cloud bezogen werden. Dann zahlt das Unternehmen unnötig monatliche Lizenzgebühren, während die Software beim End-Anwender noch gar nicht zum Einsatz kommt.


Security Awareness

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W

ir alle wissen aus Berichterstattung in der Presse, dass es bei der digitalen Leistungserbringung der Verwaltung für die Einrichtung selbst und die von ihr versorgten Bürger/ innen zu Problemen mit Informationssicherheit und Datenschutz kommen kann. 1. Indirekt, wenn die Einrichtung mit Unternehmen zu tun hat, die von Ransomware betroffen ist. So mussten die Mitarbeiter/innen der schweizerischen Gemeinde Birsfelden einige Wochen ohne Möbel ausharren, weil der Lieferant nicht mehr operativ war. 2. Direkt, wenn sich die Einrichtung selbst einen Trojaner einfängt und über Wochen und Monate massiv eingeschränkt ist, wie 2019 im niedersächsischen Neustadt am Rübenberge. 3. Transitiv, wenn in der Einrichtung Daten von Bürgern abgegriffen werden, die dann mit diesen Daten erpresst werden. Der Vastaamo-Skandal sollte allen, die sensible Bürgerdaten in ihren Datenbanken halten, eine Lehre sein. Kreisverwaltungsreferate und Sozialämter

Behörden Spiegel / Juni 2021

Warten auf den Rathaus-Hack Wie kann man Informationssicherheit lernen? (BS/Dr. Werner Degenhardt) “Raffinierte Angriffe und massiver Schaden: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zeichnet in seinem Lagebericht kein entspanntes Bild.”, schreibt Heise Security in einem Kommentar zum Lagebericht 2020 des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Angreifer haben es ja auch allzu leicht: Social Engineering mit Phishing E-Mails öffnet die Tür zur IT-Infrastruktur, Schadprogramme dringen ein, die Daten abziehen oder verschlüsseln oder beides, und dann wird es teuer.

geschulten Sachbearbeiter/innen bedient, die in der geschützten Umgebung der Dienststelle mit sicher authentifizierten Benutzer/innen kommunizieren. Das ist etwas vollkommen anderes als die Nutzung derselben Daten über eine Online-Schnittstelle durch einen entfernten Benutzer, der keine Ahnung hat, was sich hinter der Benutzerschnittstelle an technischen Vorgängen verbirgt oder auch ein Hacker sein kann. Die Umsetzungsempfehlungen zum Onlinezugangsgesetz (OZG) konzentrieren sich auf die Zugänglichkeit und Nutzerfreundlichkeit von Verwaltungsleistungen für den Endnutzer. Das ist absolut lobenswert, vernachlässigt aber den zweiten Teilsatz des Mantras, das alle guten Entwickler von Online-Angeboten gebetsmühlenartig wiederholen: “Ein Online-Angebot ohne Nutzer ist sinnlos, ein Dr. Werner Degenhardt ist Human Factors Spezialist Online-Angebot bei Code and Concept, Buchmit Nutzern ist autor und Dozent der Cyber gefährlich.” Akademie. NeuentwicklunFoto: BS/CAk gen der existierenden Anwendungen haben viele Bürgerdaten, die wären der richtige Schritt. Alfür den Bürger selbst in vielen lerdings gibt das OZG das Jahr Fällen “Kritis” sind und die sie 2022 als Deadline für die Digitaliauf keinen Fall veröffentlicht sierung der Leistungserbringung von Verwaltungen vor. Da ist sehen wollen. Die in den Verwaltungen heute nicht mehr viel Zeit. Die Last der gebräuchlichen Computeranwen- Absicherung der Anwendungen dungen für Meldewesen, Beschaf- wird auf die Bediener verschoben: fungswesen, Verkehrswesen und 1. Entwickler, die auf Funktioviele andere “Wesen” werden von nalität und Benutzerfreund-

Das sprichwörtliche Problem vor dem Rechner: Nicht ausreichend geschulte und trainierte Bediener/innen werden über kurz oder lang zum Sicherheitsrisiko. Schulungskonzepte müssen an die Organisationskultur angepasst werden und psychologische und pädagogische Faktoren berücksichtigen. Foto: BS/Casino Lobby, CC BY 2.0, www.flicker.de

lichkeit achten, aber nicht auf Sicherheit. 2. Systemadministratoren, die Software und Geräte nicht ausreichend sicher konfigurieren. 3. Sachbearbeiter, die bei ihrer Arbeit Anforderungen von Informationssicherheit und Datenschutz außer Acht lassen. 4. Benutzer, die sich in Sicherheit wiegen und mit der Benutzerschnittstelle Dinge tun, an die niemand gedacht hat. Wie wir wissen, brauchen so gut wie alle Angriffe auf die ITInfrastruktur für ihren Erfolg die Hilfe eines Bedieners. Nicht ausreichend geschulte und trainierte Bediener werden über kurz oder lang zum Sicherheitsproblem.

Leider kämpfen Bemühungen um Sensibilisierung, Schulung, Training und Erziehung für informationssicheres Verhalten von Bedienern mit zwei grundlegenden Problemen: 1. Sicherheit ist sekundär und 2. Informationssicherheit ist ein dynamisches Nicht-Ereignis Die kognitive Psychologie weiß seit langem, dass Sicherheit sekundär ist. Alle Bediener (Programmierer, Systemadministratoren, Sachbearbeiter, Benutzer) konzentrieren sich auf ihre primäre Aufgabe. Wenn Sicherheitsaspekte dazu kommen, werden sie als unangenehme Unterbrechung der primären Aufgabe wahrgenommen und so schnell wie möglich abgehakt,

aufgeschoben oder vergessen, um die primäre Aufgabe mit Energie und Aufmerksamkeit zu bewältigen. Informationssicherheit als dynamisches Nicht-Ereignis ist schwer zu lernen, denn 1. Informationssicherheit ist ein abstraktes Konzept, das nur schwer gelernt werden kann. 2. Die Entscheidung für Sicherheit hat kein sichtbares Ergebnis und es gibt keine sichtbare Bedrohung. 3. Die Belohnung für sicheres Verhalten ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Schlimmes geschieht, weniger groß ist. 4. Wenn aber etwas Schlimmes geschieht – was selten der Fall ist oder nicht bemerkt wird – dann kann das Tage, Wochen oder Monate von der falschen Entscheidung entfernt sein (und betrifft in vielen Fällen den Verursacher selbst gar nicht). 5. Das macht das Lernen negativer Konsequenzen extrem schwer, ausgenommen im Fall spektakulärer Katastrophen. Das zeigt, dass zusätzlich und zusammen mit einem SOC (security operations center) einer Organisation unbedingt auch ein SLC (security learning center) aufgebaut werden muss. Die Bemühungen tragen Früchte, wenn man einige grundlegende Hinweise beachtet: 1. Lerninhalte und Training müssen für die Bediener relevant sein. 2. Das Training muss Spaß machen. “Gamification” als Teil

des “active learning” ist nicht von ungefähr ein Schlagwort das viele Schulungsangebote begleitet. 3. Das Training muss häufig wiederholt werden, um sichere Reflexe auszubilden. 4. Das Schulungskonzept und die didaktische Aufbereitung der Inhalte muss an die spezielle Organisationskultur der Einrichtung angepasst sein. 5. Denken Sie wie ein Human Factors Spezialist und lassen sie sich von Experten auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung und Verhaltensänderung beraten. Es gibt Psychologen und Pädagogen, die sich auskennen. 6. Pflegen Sie Ihren “security mindset”. Was immer sie tun, denken sie darüber nach, wie man ihre Prozesse aushebeln und Schnittstellen missbrauchen könnte. 7. Messen Sie den Erfolg und berichten Sie davon, denn ein SLC kostet Geld. Die Ausgaben für ein SLC (security learning center) sind auf jeden Fall gut angelegt. Denn wie Kevin Mitnick, der berüchtigte und berühmte Hacker und Sozialingenieur nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis 2005 in einer Senatsanhörung sagte: “Ein Unternehmen kann hunderttausende Dollar für Firewalls, Intrusion-Detection Systeme, Verschlüsselung und andere Sicherheitstechnologien ausgeben, aber wenn der Hacker einen Bediener findet, der ihm wissentlich oder unwissentlich Zugang verschafft, dann ist all dieser Aufwand vergebens gewesen und das Geld ist verschwendet.” Die Cyber Akademie bietet zahlreiche Aus- und Fortbildungsangebote zu Social Engineering und Security Awareness an. Informieren Sie sich unter www.cyberakademie.de.

Security Awareness stärken

Schwachstelle Kandidat

IT-Sicherheit beginnt bei den Mitarbeitenden

Die Sicherheit der Bundestagswahl ist ein Awareness-Problem

(BS/Michal Hlevnjak*) Behördengänge ohne großen Zeitaufwand von zu Hause aus erledigen? Laut einer Bitkom-Umfrage sehen Bürgerinnen und Bürger gerade in Sachen Zeitersparnis einen der größten Vorteile, wenn es um die Erledigung von Amtsgeschäften auf digitalem Wege geht. Gerade im letzten Jahr hat sich gezeigt, dass die Digitalisierung von öffentlichen Verwaltungen dringend notwendig ist – und das nicht nur auf Seiten der Bürger, sondern auch der Mitarbeitenden. Eine Umfrage unter 6.000 Verwaltungsbeschäftigten hat gezeigt, dass ein Großteil von ihnen während des ersten “Lockdowns” vom Heimbüro aus arbeiten konnte.

(BS/Benjamin Stiebel) Im September wird der 20. Deutsche Bundestag gewählt. Die zuständigen Wahlorgane und Sicherheitsbehörden rechnen mit Versuchen der Einflussnahme und Cyber-Angriffen. Mit der Härtung der IT, Sicherheitsberatung und Aufklärungsarbeit soll die Wahl geschützt werden. Doch der gefährlichsten Schwachstelle ist nur schwer beizukommen: den Kandidat/innen.

Dass zur umfassenden Digitalisierung vieler interner Bereiche und Prozesse auch ein hohes IT-Sicherheitsniveau gehört, haben viele Behörden genau wie Unternehmen zu Beginn der Pandemie nicht bedacht. Im Vordergrund stand die spontane und schnelle Anpassung, um allen Mitarbeitenden einen reibungslosen Übergang zu Remote Work zu ermöglichen und den laufenden Betrieb und die Hilfestellung für Bürgerinnen und Bürger aufrechtzuerhalten. Dies hinterließ Schwachstellen, die Cyber-Kriminelle heute zu ihren Gunsten ausnutzen können. Erschwerend kommt hinzu, dass Mitarbeitende zunehmend Software und private Geräte nutzen, die nicht von der IT abgesegnet wurden.

Schwachstelle “Mitarbeitende” Unvorsichtige Verwaltungsmitarbeiter, kritische interne Prozesse und eine überforderte IT-Abteilung sind für CyberKriminelle oftmals die ersten Anlaufstellen, um sich Zugang zu den Netzwerken von Behörden und Ämtern zu verschaffen, Daten abzugreifen oder Malware einzuschleusen. Dabei variieren die Angriffsmethoden: Einzelne Mitarbeiter können zur Zielscheibe von Phishing-Attacken werden, bei denen Angreifer EMails mit Links versenden, die zu

Fake-Webseiten führen. Betroffene werden dort aufgefordert, personenbezogene, Login- oder Finanzdaten einzugeben. Um auf Ebene kritischer Prozesse und Abteilungen großen Schaden anzurichten, setzen Angreifer zum Beispiel auf das WateringHole-Prinzip und infizieren Webseiten, die gewisse Funktionen oder Abteilungen oft besuchen, mit einem Schadcode. Infiziert sich ein Rechner, kann sich die Malware allmählich in der gesamten Behörde ausbreiten. Eine dritte Schwachstelle bildet das IT-Team: Neben der Gewährleistung der Sicherheit geht es vielen weiteren Aufgaben unterschiedlicher Größenordnung und Priorität nach. Dass da der Überblick verloren gehen kann, verwundert nicht – vor allem dann, wenn es mit mehrschichtigen Angriffen konfrontiert wird.

Ein höheres Sicherheitsniveau schaffen Diesen Schwachstellen gilt es zum einen mit Schulungsmaßnahmen zu begegnen, die alle Mitarbeitenden mit einbeziehen und ihre Wahrnehmung hinsichtlich der Ausprägungen und Ausmaße von Cyber-Risiken schärfen. Dabei ist zu beachten, dass einzelnen Mitarbeitenden und speziellen Bereichen mehr Aufmerksamkeit zukommen muss. Weniger digital-affine Beschäftigte, die Finanz- oder

Personalabteilung sowie Systemadministratoren sind besonders anfällig, da sie entweder unvorsichtig und überlastet sind oder täglich mit sehr sensiblen – und daher attraktiven – Daten arbeiten. Diese brauchen in der Regel regelmäßige Sicherheitstrainings. Daneben sollten Behörden Technologien wie sichere Web Gateways und Workspaces mit integrierten Sicherheitsfunktionen einsetzen, die Anwender, deren Zugriff auf interne Ressourcen sowie die Netzwerkinfrastruktur direkt schützen. KIbasierte Analytics-Anwendungen unterstützen IT-Teams dabei, potenzielle Bedrohungen innerhalb riesiger Datenmengen in Echtzeit zu identifizieren. Mithilfe von Access-ManagementTools können IT-Admins Zugriffe einschränken und freigeben, sodass Mitarbeitende nur jene Daten nutzen können, die sie wirklich für ihre Arbeit brauchen. Doch damit all diese technologischen Maßnahmen greifen können, müssen sich alle Verwaltungsangestellten über ihren eigenen Anteil an Sicherheitsverantwortung im Klaren sein und für Gefahren sensibilisiert und geschult werden – denn hier, bei den Beschäftigten, beginnt IT-Sicherheit. *Michal Hlevnjak ist Director Public Sector Germany bei Citrix.

Je digitaler, desto angreifbarer: Das gilt auch für politische Wahlen. Zwar wird das endgültige amtliche Ergebnis der Bundestagswahl wie eh und je händisch ausgezählt und anhand der papiergebundenen Wahlniederschriften zusammengetragen. Doch für die Auszählung des vorläufigen Ergebnisses, dass noch in der Wahlnacht veröffentlicht wird, kommt durchaus IT zum Einsatz: für das Zusammentragen der Ergebnisse aus den Wahllokalen und zur Übertragung an die jeweils höhere Instanz, von der zuständigen Gemeindebehörde, über die Kreiswahlleitung, die Landeswahlleitung bis zum Bundeswahlleiter. Für die Schnellmeldungen im letzten Schritt steht das sichere BundLänder-Verbindungsnetz zur Verfügung. Ansonsten entscheiden die Wahlorgane eigenständig und dezentral über den IT-Einsatz am Wahltag. Die IT-Sicherheit liegt in eigener Verantwortung und sieht entsprechend unterschiedlich aus. Auf oberster Ebene sei die IT mehrfach redundant aufgestellt und werde durch Penetrationstests geprüft, versichert Bundeswahlleiter Dr. Georg Thiel. In den Wahlbezirken kommt dagegen schon mal der kurzfristig umgewidmete Schulrechner zum Einsatz. Sicherheits-Empfehlungen hat das BSI im Einvernehmen mit dem Bundeswahlleiter, dem Bundesinnenministerium und weite-

ren Sicherheitsbehörden schon 2018 aufgestellt. Im Februar ist ein aktualisierter Katalog an die Landeswahlleiter gegangen. Dieser soll noch in ein Modul im Rahmen des BSI-IT-Grundschutzes überführt werden und, wenn es nach dem BSI geht, möglichst verpflichtend werden. Bis zur kommenden Bundestagswahl im Herbst wird daraus aber nichts mehr.

Kandidaten im Visier Weit größere Sorgen als um die Wahl-IT macht sich die Bundesregierung ohnehin um die Meinungsbildung vor der Wahl. In den letzten Jahren kam es immer wieder zur versuchten Einflussnahme durch gezielte Desinformationskampagnen. Durch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist das Potential der Online-Meinungsmache noch gestiegen. Ein Gutteil der privaten und der politischen Kommunikation ist ins Netz gewandert. Parteitage und andere politische Veranstaltungen wurden online durchgeführt, der Wahlkampf findet verstärkt in Sozialen Medien statt. Diese gelten gleichzeitig als Brutstätte für Fehlinformationen. Besonders fruchtbar waren bisher gegen einzelne Kandidaten gerichtete Kampagnen, wenn sie mit echtem diskreditierenden oder vermeintlich skandalösem Material gespickt waren. Dieses Szenario befürchtet BSIPräsident Arne Schönbohm auch für die Bundestagswahl. “An-

greifer könnten Accounts von Parteien oder Kandidatinnen und Kandidaten übernehmen und Teile von deren E-Mail-Kommunikation veröffentlichen.” Das ganze könne auch mit erfundenen Aussagen angereichert werden, die aufgrund des bekannten Hacks dann authentisch wirken. “Die Cyber-Abwehrfähigkeiten der einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten zu erhöhen, ist ganz entscheidend für den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen”, so Schönbohm weiter. Das BSI leistet Aufklärungsarbeit. So hat es Beratungsgespräche mit den Generalsekretären aller im Bundestag vertretenen Parteien sowie mit der Bundestagsverwaltung gegeben. Auch für die technische Durchführung der Online-Parteitage stand die Behörde beratend zur Seite. Das Problem: Selbst wenn das BSI bei allen Fraktionen und bis zu den aktuell 709 einzelnen Mitgliedern des Bundestages durchdringt und die Sensibilität erhöhen kann: Der IT der Fraktionen und den jetzigen Abgeordneten gegenüber steht eine noch deutlich größere Menge an kleinen IT-Netzen regionaler Parteigeschäftsstellen sowie eine deutlich höhere Zahl an Kandidat/innen in den einzelnen Wahlkreisen. Für den sicheren Umgang mit ihrer IT und ihren Accounts sind diese selbst verantwortlich. Für die wenigsten von ihnen dürfte Cyber-Sicherheit zu den Steckenpferden gehören.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Juni 2021

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as Bundesministerium des Innern (BMI) hatte 2019 einen Stufenplan ausgearbeitet und plante, dem Bundesnachrichtendienst (BND) mit Kompetenzen für Cyber-Operationen auszustatten. Martin Schallbruch, ehemaliger Abteilungsleiter für Informationstechnik im BMI wünscht sich diesbezüglich mehr Befugnisse für die Behörden des Bundes für Cyber-Angriffe aus dem Ausland. Hier fordert er – im Idealfall in enger Abstimmung mit europäischen Partnern – ergänzende Kompetenzen. Grundsätzlich ist die Meinung um die Notwendigkeit von aktiver Cyber-Abwehr in den Bundestagsfraktionen gespalten. Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, bis 2017 netzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bemängelt vor allem die Unklarheit, welche Befugniserweiterungen für die aktive Cyber-Abwehr überhaupt gefordert werden sollen. Des Weiteren ist er angesichts der immer größer werdenden digitalen Rüstungsspirale abgeneigt, weitere Ressourcen und Kompetenzen in Cyber-Angriffe zu investieren. Eher sollten “neue Strukturen zur Erkennung hybrider Bedrohungen geschaffen werden, die die Bundesregierung trotz zahlreicher, sehr ernster Vorfälle, vielfacher Aufforderungen und parlamentarischer Debatten bisher versäumt hat”, so von Notz. Letztendlich ist das Vorhaben der aktiven Cyber-Abwehr aber vor allem am Widerstand der SPD gescheitert. Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Jens Zimmermann stellt die aktive Cyber-Abwehr auf eine Stufe mit einem “Hackback” und bezeichnet ihn als “höchste Eskalationsstufe der Cyber-Abwehr”. In Regierungskreisen war dabei oft von einem “digitalen finalen Rettungsschuss” die Rede. Damit war vor allem die Reaktion

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Aktive Cyber-Abwehr weiter umstritten Anpassungen im zukünftigen IT-Sicherheitsgesetz 3.0 nicht ausgeschlossen (BS/Paul Schubert) Obwohl im Juli letzten Jahres bekannt wurde, dass aufgrund des Widerstands der SPD in der Koalition vorerst keine Grundlage für ein Gesetzesvorhaben im Bereich der aktiven Cyber-Abwehr geschaffen werden wird, ist das Thema nicht vom Tisch. Drei Monate vor Bekanntgabe der Entscheidung war noch zu hören, dass Maßnahmen und Fragestellungen noch geprüft und noch nicht abgeschlossen sind. Mit den Diskussionen über das für die nächste Legislaturperiode vorgesehene IT-Sicherheitsgesetz 3.0 (IT-SiG 3.0) werden Überlegungen in dieser Thematik wohl abermals aktuell. auf Angriffe auf das Stromnetz oder auf Hacks in die IT des deutschen Bundestags gemeint. Zimmermann stören vor allem diese Art von “Geiselvergleichen”: “Dieses Bild lässt sich nicht auf die Situation im Internet bei einem Cyber-Angriff übertragen. Das Hauptproblem ist, dass die Frage der Attribution geklärt werden muss, also von wem der Angriff überhaupt kommt.” Ein weiterer ungelöster Punkt sei die Folgenabschätzung: “Ich habe den Eindruck, dass die Befürworter dieser Cyber-Maßnahmen bei den großen Jungs mitspielen wollen und Offensivkapazitäten aufbauen möchten.” Auch die Verortung der Cyber-Abwehr und die Rechtsgrundlage für Operationen im Ausland hinterfragt der digitalpolitische Sprecher der Sozialdemokraten. Ungeklärt ist ebenfalls, wie Bund und Länder an qualifiziertes Personal für die Cyber-Abwehr kommen sollen: “Wir kriegen bei weitem nicht die Leute, die wir brauchen”, so Zimmermann. Zu diesen ungeklärten Fragen müssten dann auch die Kompetenzbereiche geklärt werden: “Der Verfassungsschutz ist für den digitalen Gegenschlag nicht zuständig, gleiches gilt für den BND. Ein Eingreifen der Bundeswehr ist auch problematisch, weil rechtlich schwer zu fassen ist, wann man den Schritt zum kriegerischen Handeln überschreitet.” Christoph Bernstiel, Bundestagsabgeordneter der CDU mit den innenpolitischen Schwerpunkten

Auch wenn es bei der aktiven Cyber-Abwehr nicht um die physische, sondern die digitale Verteidigung geht, müssen die Schutzmechanismen ähnlich komplex wie bei einer Tresortür funktionieren. Foto: BS/Reimund Bertrams, pixabay.com

IT- und Cyber-Sicherheit gilt als einer der Befürworter der aktiven Cyber-Abwehr. Er bedauert die Entscheidung des Koalitionspartners SPD, keine Kompetenzausweitung im Bereich der aktiven Cyber-Abwehr vorzunehmen: “Die Schreckensszenarien, die

die SPD öfter aufbaut, gibt es in der Realität eher nicht”. Bernstiel argumentiert, dass bereits als aktive Cyber-Abwehr Prozesse gelten, in denen Daten, die gestohlen wurden auf fremden ITStrukturen sichergestellt oder gelöscht werden. Ferner sei es

auch aktuell untersagt, laufende Cyber-Angriffe gegen Kritische Infrastrukturen zu stoppen, in dem Systeme abgeschaltet oder Datenströme umgeleitet werden. “Das kann man keinem erklären, der sich in diesem Bereich mit der aktiven Gefahrenabwehr beschäftigt. Die Kritik der SPD, dass Server im Ausland angegriffen werden, die mit einer Kinderkrankenstation verbunden sind und diese zum Zusammenbruch zwingen, sind unrealistische Vorstellungen. In der Realität ist die Eingriffsschwelle viel niedriger.” Niederschwellige Einsatzmöglichkeiten der aktiven Cyber-Abwehr können so auch das Umleiten und Manipulieren von Datenströmen sein, Durchbrechen von Firewalls oder Unbrauchbarmachen eines Betriebssystems. Pläne des unionsgeführten BMI hatten auch eine Grundgesetzänderung vorgesehen, um die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu klären: “Aktuell liegen die Zuständigkeiten bei der Terrorabwehr, Grenzschutz und der Bahnsicherheit beim Bund. Die Idee wäre, Cyber-Sicherheit auch auf die Bundesebene zu heben, weil hochkomplexe Maßnahmen, die den Cyber-Raum betreffen nicht vor Ländergrenzen halt machen” so Bernstiel. Der CDU-Politiker erklärt weiter, dass im Grundsatz auch aktive CyberAbwehr nicht als Offensiv-Waffe gedacht ist, die Intention sei die der Gefahrenabwehr und der effektiven Strafverfolgung: “Es gibt keine Pauschalspionage gegen

fremde IT-Infrastrukturen” stellt der Bundestagsabgeordnete klar. Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Partei die Linke ist bei Cyber-Operationen im Allgemeinen skeptisch: “Der einzige Dienst, den wir unserer Sicherheit tun können, ist die Defensive zu stärken. Eine Offensive führt automatisch zu mehr Unsicherheit im Gesamtsystem der IT.” Selbst wenn niederschwellige Eingriffsmöglichkeiten gestartet werden, müssen dafür Sicherheitslücken offengehalten werden, so Domscheit-Berg. Die Linken-Politikerin kritisiert, dass eine Schwächung einzelner Systeme nicht nur den “Guten” offenstehen würde: “Diese Sicherheitslücken sind dann für alle angreifbar, auch für Kriminelle. Deshalb muss man dafür sorgen, dass alle bekannten Sicherheitslücken immer geschlossen werden und die Systeme an sich geschützt und abgeschirmt sind.” Nicht nachvollziehbar ist für Domscheit-Berg das Argument, dass aktive Cyber-Abwehr gezielt angewandt werden kann: “Ein Hackerangriff kann nie zu 100 Prozent attribuiert werden. Auch das Löschen einzelner Daten aus der Ferne ist eine naive Vorstellung.” Vor allem die Gefahr von Kollateralschäden machen Cyber-Gegenmaßnahmen gefährlich. Wenn Schadsoftware in Kritischen Infrastrukturen benutzt wird, seien die Risiken einfach zu groß, argumentiert die Politikerin. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch wenn das IT-SIG 2.0 erst Ende April diesen Jahres vom Bundestag verabschiedet wurde, bereits jetzt über mögliche Anpassungen für das IT-SIG 3.0 gesprochen wird. Inwiefern dort die aktive Cyber-Abwehr wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird, ist nicht absehbar. Das Diskussionsfeld über Gegenmaßen gegenüber Cyber-Angriffen wird aber sicherlich nicht kleiner.


Informationssicherheit

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Versorgung in Gefahr

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m Mai waren nach einem Kabelbrand in einer Baugrube rund 20.000 Haushalte im Osten von München zeitweise ohne Strom. Die Versorgung konnte erst einen Tag später für alle Betroffenen wiederhergestellt werden. In einem auf der Online-Plattform Indymedia veröffentlichten Schreiben bekannten sich linke Aktivisten zu dem Angriff. Als primäres Ziel nannten sie den “Rüstungskonzern” Rohde & Schwarz mit Sitz am Münchner Ostbahnhof. Das IT-Unternehmen liefert unter anderem Netzwerk- und Signalerfassungstechnik sowie Produkte zum Schutz von Datenübertragung. Zu den Kunden gehören Bundesbehörden genauso wie die Bundeswehr. Die mutmaßlichen Täter kündigten weitere Angriffe an und nannten explizit ein Kohlekraftwerk und den Atommeiler Isar 2 als Ziele. Dr. Hans-Walter Borries, stellvertretender Vorstandvorsitzender des BSKI (Bundesverband für den Schutz Kritischer Infrastrukturen e. V.) sieht hier eine neue Gefahrenlage für Einrichtungen und Unternehmen im Umfeld Kritischer Infrastrukturen. “Damit wird nach dem Anschlag auf einen Strommast in Gütersloh im Jahr 2003 und weiteren meist kleineren Vorfällen im Bundesgebiet erstmals indirekt über einen Stromausfall ein Industrieunternehmen zum primären Anschlagsziel”, so Borries. Betreiber Kritischer Infrastrukturen und andere kritische Unternehmen sollten im Rahmen ihrer Gefahrenabwehrvorsorge Notfallpläne prüfen und auf diese Gefahrenlagen ausrichten. “Dazu gehören Themen wie “Wie sicher ist meine Strom-, Gas- und Wasserversorgung?” und “Wie kann ich bei Ausfall z. B. der Stromversorgung noch weitgehend handlungsfähig bleiben?”, so Borries weiter. “Zugleich sollten Krisen- bzw. Notfallstäbe und deren Arbeitsweisen in Stabsübungen trainiert werden.”

KRITIS lahmgelegt Größeres Augenmerk liegt auf der Gefahr durch Cyber-Angriffe auf KRITIS. In Irland führte ein Angriff mit Ransomware auf die Gesundheitsbehörde Health Service Executive (HSE) zu massiven Problemen in etlichen öffentlichen Kliniken des Landes. Laborergebnisse und Patienteninformationen mussten handschriftlich weitergegeben werden, was zu erheblichen Verzögerungen führte. Einzelne computergestützte Untersuchungsmethoden waren nicht verwendbar. Der Zugriff auf zurückliegende Befunde und digitale medizinische Bilder war eingeschränkt. Ob alle Daten aus den vorliegenden Back-ups gerettet werden können, ist noch unklar. Vor allem im Südwesten

Wie sicher sind unsere Kritischen Infrastrukturen? (BS/Benjamin Stiebel) Angriffe auf Kritische Infrastrukturen (KRITIS) in den USA, Irland und Deutschland haben jüngst zu Versorgungsengpässen geführt. Der Staat versucht, das Sicherheitsniveau durch gesetzliche Vorgaben zu erhöhen. Doch etliche wichtige Versorgungsbetriebe gelten nach wie vor nicht als KRITIS. Die geforderten Präventionsmaßnahmen sind ausbaufähig. des Landes mussten etliche Termine gestrichen werden. Dringende Fälle mussten von privaten Krankenhäusern übernommen werden, die nicht an die Systeme der HSE angeschlossen sind. Die Wiederherstellung der ITSysteme dauert an. Zuvor war in den USA eine der größten Öl-Pipelines des Betreibers Colonial lahmgelegt worden und hatte für schwere Versorgungsengpässe beim Benzin gesorgt – samt Preisexplosion und Hamsterkäufen an Tankstellen. Die Auswirkungen auf die US-Wirtschaft lassen sich noch kaum beziffern. Die Ursache auch hier: Ransomware. Die US-Regierung hat nun eine Sicherheitsrichtlinie angekündigt, um die Treibstoffversorgung besser zu schützen. PipelineBetreiber sollen verpflichtet werden, Sicherheitsvorfälle der USCyber-Sicherheitsbehörde CISA zu melden. Außerdem sollen sie eine Kontaktperson für CyberSicherheitsfragen benennen. In Deutschland sind solche Meldepflichten gegenüber dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie die Pflicht zur Einhaltung von Mindestsicherheitsstandards für zahlreiche KRITIS-Sektoren 2015 mit dem IT-Sicherheitsgesetz eingeführt worden. So für die Energie-, Wasser- und Lebensmittelversorgung, aber auch in den Bereichen Gesundheit, Finanzen, Verkehr- und Logistik, Telekommunikation und Medien. Welche Betriebe in diesem Sinne KRITIS sind, regelt die BSIKritisverordnung (BSI-KritisV). Nun sollen die Festlegungen per Änderungsverordnung novelliert werden. Ein Referentenentwurf des Bundeministeriums des Innern (BMI) befindet sich derzeit parallel in der Ressort- und Verbändeabstimmung. Der Kabinettsbeschluss soll nach Willen des BMI noch im Sommer erfolgen, die Verordnung soll am 1. Januar 2022 in Kraft treten.

Kein großer Wurf Auch wenn die Weiterentwicklung der BSI-KritisV in der ITSicherheits-Szene begrüßt wird, steht hier nicht der große Wurf an, den sich viele gewünscht hätten. Schließlich hatte das BMI sich selbst eine Evaluierung und Nachbesserung der KRITIS-Festlegungen im ZweiJahres-Takt vorgeschrieben. Nun liegt fünf Jahre, nachdem

E

nde Januar beschloss das Bundeskabinett die Datenstrategie der Bundesregierung, die 240 Maßnahmen aufführt. Als Anspruch wird formuliert, “Deutschland zum Vorreiter für das innovative Nutzen und Teilen von Daten in Europa zu machen” und gleichzeitig den Datenmissbrauch zu verhindern. Der Auftrag an die Verwaltung lautet: “Die Ämter müssen sich neu aufstellen, damit sie für moderne Bürgerinnen und Bürger gute digitale Leistungen erbringen: mehr öffentliche Daten, transparenteres Arbeiten sowie bürgerfreundlichere Services.” Moderne digitale Dienste, die den Bürgern lästige Behördengänge ersparen, sieht schon länger das Onlinezugangsgesetz (OZG) vor. Dieses verpflichtet die öffentliche Verwaltung, 575 ihrer Leistungen bis 2022 in Online-Dienste umzuwandeln. Einen Eindruck, wo die Ämter bei dieser Vorgabe stehen, vermittelt der DESIBericht (Digital Economy and

Behörden Spiegel / Juni 2021

Cyber-Kriminelle machen auch vor Angriffen auf Kritische Infrastrukturen nicht halt. Dabei nehmen sie Versorgungsausfälle für etliche Menschen in Kauf. Die Bundesregierung sorgt mit gesetzlichen Pflichten für mehr Cyber-Sicherheit bei den Betrieben. Dabei ist noch Luft nach oben. Foto: BS/MACLEG, stock.adobe.com

die Bestimmungen in den ersten KRITIS-Sektoren vorgenommen worden waren, ein Referentenentwurf vor, der vor allem etliche redaktionelle Änderungen und Neuzuordnungen ohne praktische Folgen enthält. Wegen einiger sektorspezifischer Veränderungen kommen aber immerhin rund 270 neue Betreiber dazu, so die Schätzung des BMI. Zusammen mit den bisher rund 1.600 erfassten sind das aber immer noch weniger als die mit dem IT-Sicherheitsgesetz ursprünglich veranschlagten 2.000 Betreiber. Die meisten Neuzugänge wird es im Sektor Energie geben – also dort, wo durch andere Gesetze und die Aufsicht durch die Bundesnetzagentur ohnehin ein vergleichsweise hohes Sicherheitsniveau herrscht. Zudem ist von Branchenkennern zu hören, dass der von 420 auf 36 Megawatt Maximalkapazität abgesenkte Schwellenwert für Stromerzeugungsanlagen vorher unsinnig hoch angesetzt war. Keine Auswirkungen werden dagegen im Sektor Wasser erwartet. Von fast 5.800 werden hier weiterhin nur die knapp 50 Versorger als KRITIS-Betriebe gelten, die über dem Schwellenwert von 22 Millionen Kubikmetern verteilter Wassermenge im Jahr liegen. Für den weit überwiegenden Teil der deutschen Bevölkerung ist die Wasserversorgung also nicht kritisch im Sinne der BSI-KritisV. Das hat Methode: Entscheidungsgrundlage für die sektorspezifischen Schwellenwerte ist der Regelschwellenwert von

500.000 versorgten Personen. Dieser wurde von Anfang an als willkürlich und zu hoch angesetzt moniert. Schließlich ist somit prinzipiell die Versorgung von Städten wie Augsburg, Bonn, Karlsruhe oder Wiesbaden nicht als Kritische Infrastruktur zu bewerten. Viele Kritiker sahen in dem pauschalen Wert einen Anfang – lieber zu wenig Regulierung als keine Regulierung – und hatten eine sukzessive Absenkung erwartet. Stattdessen scheint der Regelschwellenwert nun erst einmal in Stein gemeißelt. Aus dem BMI heißt es offiziell, im Zuge der Evaluierung habe sich bestätigt, dass die grundsätzliche Systematik der BSIKritisV zur zielgerechten Identifizierung von KRITIS-Betreibern geeignet sei – explizit auch der Regelschwellenwert. Evaluiert wurde, wie im Verordnungstext festgelegt, auf Grundlage von Stellungnahmen aus den einschlägigen Bundesressorts sowie Berichten des BSI und des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Der abgestimmte Evaluierungsbericht sei Branchenvertretern in Auszügen vorgestellt worden, eine Veröffentlichung erfolge nicht.

Wissenschaftliche Evaluierung gefordert Zu wenig, zu spät, zu intransparent, sagen Kritiker. “Eine Evaluierung der KRITIS-Bestimmungen und Schwellenwerte ist eigentlich eine wissenschaftliche Aufgabe”, findet Johannes Rund-

feldt, Gründer der AG KRITIS. “Hier müsste ein entsprechender Auftrag vergeben werden. Das Ergebnis sollte dann veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden.” Die Idee sei, sektorspezifisch konkrete Fragen zu stellen und wissenschaftlich zu beantworten: Wie lange würde die Bevölkerung nach dem Ausfall eines Versorgers unbeschadet klarkommen? Wie lange und in welchem Umfang könnte der Bevölkerungsschutz Ersatz z. B. in Form von Trinkwassertransporten leisten? Welche Kaskadeneffekte spielten eine Rolle – z. B. wenn infolge eines längeren Stromausfalls auch die Wasserund die Lebensmittelversorgung zusammenbrächen? Rundfeldt: “Auf Grundlage einer detaillierten Untersuchung könnte man dann gemeinsam diskutieren, ob die Orientierung an 500.000 versorgten Personen wirklich für alle Bereiche gleichermaßen sinnvoll ist oder ob es differenziertere Kriterien bräuchte. Eine Evaluation, die die Bundesregierung selbst durchführt, ohne Informationen zur Methodik, geschweige denn zu den konkreten Ergebnissen herauszugeben, ist witzlos.”

Technische Prüfungen kommen zu kurz So oder so ist die Festlegung von Schwellenwerten eine politische Risikoabwägung, die auch den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft mit in den Blick nimmt. Im Sinne der Versorgungssicherheit ist das aber ein Spiel mit dem Feuer. So reißen von

Daten sicher managen Die Verwaltung muss digitaler und sicherer werden (BS/Tim Heine*) In der Pandemie steigt auch der Anspruch an Behörden. Mangelnde Flexibilität und schleppende Digitalisierung sollen nicht zum Problem werden, weshalb in diesen Bereich aktuell viel investiert wird. Diese dringend nötige Modernisierung der IT-Infrastruktur muss jedoch sicherheitsstrategisch erfolgen, um Daten ständig im Fluss zu halten und zugleich vor Cyber-Gefahren zu schützen. Society Index) der EU für 2020. In diesem erreicht Deutschland in der Kategorie digitale öffentliche Dienste den 21. Platz in der EU. Da nur rund die Hälfte der Bürger die deutschen E-Government-Dienste nutzt, geht es für Deutschland in dieser Hinsicht runter auf den 26. Rang.

Eine Cyber-resiliente Infrastruktur definieren und leben In der Digitalisierung liegt der Schlüssel, eine leistungs- sowie zukunftsfähige Verwaltung aufzubauen. Je digitaler, umso angreifbarer wird jedoch eine Infrastruktur, weshalb die IT-Security bei der erforderlichen Transformation zu berücksichtigen ist. Denn die Bedrohungslage spitzt sich stetig zu,

was an immer ausgeklügelteren Cyber-Attacken liegt, die zum Teil in mehreren Wellen erfolgen. Die größte Cyber-Gefahr geht hierbei nach wie vor von RansomwareAngriffen aus, bei denen Cyber-Kriminelle Daten verschlüsseln und Lösegeld fordern. In der Folge können Verwaltungen, öffentliche Betriebe, Gerichte, Universitäten oder Bibliotheken nur eingeschränkt oder gar nicht weiterarbeiten. Weitere Gefahrenschwerpunkte bilden Spionage, wie der BundestagsHack von 2015, und Phishing. Eine tragfähige Sicherheitsstra-

tegie muss daher definieren, wie eine Cyber-resiliente Infrastruktur aussieht, damit auf allen Ebenen – vom Laptop-Arbeitsplatz in der Behörde und im Homeoffice über das Rechenzentrum bis zu Cloud-Services und Netzwerken – der IT-Betrieb gesichert ist. Zu den weiteren wichtigen Bausteinen eines Sicherheitskonzeptes zählen Risikoanalyse und ein Krisenmanagement für den Angriffsfall sowie Compliance-, BackGrafik: BS/NetApp up- und RecoveryMaßnahmen. So erkennt eine angemessen designte Sicherheitsarchitek-

tur gefährliche Anomalien und leitet Abwehrmaßnahmen wie vorgesehen ein. Hohe Priorität muss ebenfalls die regelmäßige Schulung der Mitarbeiter genießen. Erst Angestellte, die für die Sicherheitsrisiken und nötigen Vorkehrungen sensibilisiert sind, werden nicht zum Sicherheitsrisiko. Solche Mitarbeiter leben den Sicherheitsgedanken aktiv – besonders, wenn es um den Umgang mit Daten geht.

Herausforderung sicheres Datenmanagement Eine digitale Verwaltung setzt voraus, dass Daten ständig in Bewegung sind und Mitarbeiter in den Ämtern und im Homeoffice immer auf die Informati-

rund 1.900 Krankenhäusern nur um die 100 Großkliniken den KRITIS-Schwellenwert von 30.000 vollstationären Fällen pro Jahr. Die meisten Kliniken, die in den letzten Jahren Opfer von Ransomware wurden und um die Versorgung ihrer Patienten bangen mussten, liegen unter dem Wert. “Es wäre sinnvoller, auf qualitative Faktoren zu achten, statt Schwellenwerte festzusetzen”, meint Martin Wundram, Vorstandsmitglied im BSKI. “Wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht, sollte eigentlich jedes Krankenhaus Kritische Infrastruktur sein.” Mit der Festlegung als KRITISBetrieb sei es aber nicht getan. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Sachverständiger und ITForensiker entdeckt Wundram gerade in IT-Systemen von Kliniken immer wieder erhebliche Sicherheitsmängel – auch, wenn Audits vorher ein funktionierendes IT-Sicherheits-Management bescheinigt haben. Mehr als das müssen KRITIS-Betreibern bisher aber nicht vorweisen können. “ITSicherheits-Managementsysteme sind ein wichtiger Baustein, aber nicht alles”, sagt Wundram. “Viele KRITIS-Organisationen sind bei der Umsetzung von Sicherheitsvorgaben zu sehr auf die Papierarbeit fixiert. Ergänzend müsste die Sicherheit vor allem regelmäßig durch technische Audits und Penetrationstests überprüft werden.”

Rechtsetzung geht weiter Eine entsprechende Ausweitung der Betreiberpflichten könnte mit dem für die nächste Legislaturperiode erwarteten ITSicherheitsgesetz 3.0 kommen. Eine gründliche Überarbeitung der Schwellenwerte könnte theoretisch schon früher erfolgen. Denn das BMI bereitet bereits die nächste Änderung der BSI-KritisV vor. Damit sollen Betreiber im neuen KRITIS-Sektor Siedlungsabfallentsorgung bestimmt werden. Der neue Sektor wird mit dem kürzlich von Bundestag und Bundesrat beschlossenen ITSicherheitsgesetz 2.0 eingeführt. Ebenfalls neu sind Pflichten für sog. Unternehmen im besonderen öffentlichen Interesse. Das sind Chemie- und Rüstungsindustrie, Hersteller von Dual-Use-Gütern sowie Hersteller von IT-Produkten für die Verarbeitung von staatlichen Verschlusssachen. Dazu kommen die nach der inländischen Wertschöpfung größten und damit volkswirtschaftlich besonders bedeutsamen Unternehmen in Deutschland. Für diese letzte Kategorie sollen in einer wiederum eigenen Rechtsverordnung wirtschaftliche Kennzahlen und Schwellenwerte festgelegt werden.

onen zugreifen können, die sie benötigen. Die Daten, die intern und für Bürgerservice genutzt werden, müssen hochverfügbar, integer, vertrauenswürdig und sicher sein. Diese immense Herausforderung, einen einheitlichen, Compliance-gerechten und sicheren Datenumgang über alle IT-Umgebungen einer Behörde hinweg durchzusetzen, ruft externe Cloud- und datenorientierte Softwareanbieter wie NetApp auf den Plan. Dessen Datenmanagement-Software ONTAP verfügt über mehr als 30 Sicherheitsfeatures, die exakt den Sicherheitsbedarf der digitalen Verwaltung adressieren. Auf diese Weise entsteht ein Ökosystem, in dem beispielsweise sensible Daten lokal, in der Cloud und während der Übertragung stets verschlüsselt und so vor Angriffen geschützt sind. *Tim Heine ist Head of Sales – Public Sector Healthcare & Germany bei NetApp.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Juni 2021

Gesetzesnovelle geplant

KNAPP rescEU gestärkt

Verfassungsschutz soll Quellen-TKÜ ermöglicht werden (BS/Marco Feldmann) Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll zusätzliche Befugnisse erhalten. Dazu gehört unter anderem die Möglichkeit zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Außerdem soll der personenbezogene Aufklärungsansatz gestärkt werden. Dazu soll es erweiterte Möglichkeiten zur Beobachtung von Einzelpersonen, die außerhalb von Zusammenschlüssen agieren, geben. Aber nicht überall wird das positiv bewertet. Zudem ist vorgesehen, dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) die Möglichkeit zur vollständigen Anbindung an das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS) einzuräumen. Eine Verpflichtung der Behörde aus dem Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) dazu soll es jedoch nicht geben, heißt es in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Bislang könne der MAD nur lesend an NADIS teilnehmen. Sollten die Anpassungen des Verfassungsschutzrechts in Kraft treten, werde der MAD vollständig an NADIS teilnehmen, heißt es aus der Behörde. Dies sei für die effektive Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund unerlässlich. BfV-Präsident Thomas Haldenwang begrüßt die vorgesehenen Befugnisausweitungen. Denn in allen extremistischen Phänomenbereichen seien anwachsende Mitgliederzahlen zu verzeichnen. Zudem steige die Zahl der begangenen Gewalttaten an und – vor allem im Rechtsextremismus – fände eine sehr rasche Radikalisierung über das Internet statt. Hier müsse der Verfassungsschutz gegensteuern und besser aufklären können.

Zu weit gehend? Rechtswissenschaftler bewerten die geplante Novelle hingegen kritischer. Während Prof. Dr. JanHendrik Dietrich von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung keine verfassungsrechtlichen Bedenken anmeldet, kritisiert Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Universität Mainz die vorgesehene erleichterte Beobachtung von Einzelpersonen durch das BfV als zu weit gehend. Das Nachrichtendienstliche Informationssystem sei nach wie vor unzureichend geregelt. Die teilnehmenden Behörden seien ermächtigt, umfangreiche und sensible Datenbestände mit Bezug auch zu unverdächtigen Personen anzulegen und nahezu anlasslos weiterzuverarbeiten. Dies trage der hohen Eingriffsintensität eines so umfassenden Datenverbunds nicht Rechnung. Prof. Dr. Ralf Poscher, Geschäftsführender Direktor des Max-

Im Bereich der Nachrichtendienste des Bundes und ihrer Kontrolle ist eine weitgehende gesetzliche Reform vorgesehen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) würde mehr Befugnisse erhalten. Außerdem könnte der Informationsaustausch zwischen den Behörden verbessert werden. Am Vorhaben gibt es aber auch Kritik. Und es droht die Zeit davonzulaufen. Foto: BS/©Frank Täubel, stock.adobe.com

Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg, wiederum bemängelt die vorgesehene Möglichkeit zur Quellen-TKÜ. Denn dabei würden sowohl laufende als auch gespeicherte Kommunikationsinhalte erfasst und gegebenenfalls ausgewertet.

Die nachrichtendienstliche Beobachtung von Einzelpersonen, außerhalb von Netzwerken und Organisationen, soll erleichtert werden. Aus Sicht des ehemaligen Bundesverwaltungsrichters Kurt Graulich könne es sich bei der geplanten Ausweitung der Quellen-TKÜ im Grunde auch um eine Online-Recherche mit Festplattendurchsicht handeln. Dies sei ein äußerst schwerer Eingriff. Die vorgesehene Befugnis genüge dabei seines Erachtens nicht den Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Dr. Benjamin Rusteberg von der Göttinger Georg-AugustUniversität meinte, die Erweiterung mit der Einbeziehung der Beobachtung von Einzelpersonen sei abzulehnen und auch nicht erforderlich. Die Möglichkeit zur Online-Durchsuchung zu eröffnen, sei offensichtlich als verfassungswidrig einzuschätzen. Auch zahlreiche Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen betrachten das Vorhaben kritisch

und wenden sich insbesondere gegen Mitwirkungspflichten ihrerseits bei der Überwachung. Uli Grötsch, Berichterstatter der SPD-Fraktion im Gesetzgebungsverfahren, hält dem entgegen: “Die Quellen-TKÜ für Nachrichtenrichte ist längst überfällig. In einer Zeit, in der Extremisten fast ausschließlich über Messengerdienste kommunizieren, müssen unsere Sicherheitsbehörden auf der Höhe der Zeit sein.” Mit den Werkzeugen der Vergangenheit könnten sie keine Anschläge in der Zukunft verhindern. Und er betont: “Nicht erst seit NSU wissen wir, wie wichtig es ist, dass sich Sicherheitsbehörden untereinander vernetzen und Informationen austauschen. Unter diesem Gesichtspunkt und auch vor dem Hintergrund der jüngsten Fälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr ist eine Einbindung des BAMAD in das NADIS ein richtiger Schritt.”

Opposition skeptisch Dr. André Hahn von der Linksfraktion sieht das ganz anders. Er meint: “Die ungewohnt deutliche Kritik der Sachverständigen in der Anhörung des Innenausschusses bestärkt mich in dem Standpunkt, dass mit der vorgesehenen Gesetzesregelung die Geheimdienste zur Quellen-TKÜ in Form einer Online-Durchsuchung light ermächtigt würden, dies offensichtlich verfassungswidrig wäre und eine parlamentarische Aufsicht darüber zudem schlichtweg unmöglich machte.” Aus seiner Sicht ist nicht die Einbindung des MAD

in das nachrichtendienstliche Verbundsystem an sich das Problem, sondern vielmehr der Umstand, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer personenbezogenen Speicherung in NADIS äußerst gering seien. “Gesetzlich ist weder ein besonderer Speicherungsanlass noch ein besonderer Weiterverarbeitungsanlass vorgegeben, wodurch die bereits vorhandenen rechtsstaatlichen Mängel des Datenverbunds durch die Erweiterung des Zugriffs leider vertieft anstatt geheilt werden”, bemängelt Hahn. Auch Benjamin Strasser von den Freien Demokraten äußert sich kritisch: “Um heimlich einen Staatstrojaner auf den Handys von Terroristen installieren zu können, nimmt die Bundesre-

Künftig sollen mindestens drei Mitglieder der G-10-Kommission die Befähigung zum Richteramt besitzen. gierung billigend in Kauf, dass IT-Sicherheitslücken auf den Geräten aller Bundesbürger nicht geschlossen werden. Die Große Koalition führt damit nicht nur die IT-Sicherheit in Deutschland ad absurdum, sondern verursacht auch einen Milliardenschaden für die Wirtschaft.” Diese Politik sei eine Einladung für Cyber-Kriminelle und für ausländische Nachrichtendienste. “Die Quellen-TKÜ ist und bleibt

SAVE the DATE

Defence Innovation Pitch Day 2021 4.-5.November 2021 in Unterschleißheim/München

Weitere Informationen sowie Online-Anmeldung unter: www.defence-innovation.de Fotos v.l.n.r.: Gorodenkoff Productions OU, stock.adobe.com; Goinyk, stock.adobe.com; kaninstudio, stock.adobe.com

ein massives Sicherheitsrisiko”, unterstreicht Strasser. Mit Blick auf die MAD-Anbindung an NADIS findet er: “Es ist sinnvoll, den Militärischen Abschirmdienst in das Nachrichtendienstliche Informationssystem, NADIS, zu integrieren. Bei der konkreten Umsetzung kommt es aber darauf an, dass es unterschiedliche Berechtigungen für die Datenspeicherung und -nutzung gibt.” Zugriffe müssten vollumfänglich protokolliert werden, da nur so eine effiziente parlamentarische und gerichtliche Kontrolle ermöglicht werde. Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen, meint: “Bezüglich des Einsatzes der Quellen-TKÜ bestehen seit Jahren erhebliche rechtliche Bedenken und Unwägbarkeiten.” Eine Anbindung des BAMAD an NADIS hält er für “schon lange überfällig”. Verteidigt wird das Vorhaben vom Berichterstatter der Unionsfraktion, Michael Brand. Er unterstreicht: “Die Überwachung von Terrorismus und anderen schweren kriminellen Bedrohungen bei den wichtigsten Kanälen der Kommunikation, nämlich den Messengerdiensten, ist lange überfällig. Der demokratische Rechtsstaat macht sich nackt, wenn er den Umzug der Kommunikation von Terroristen und anderen Gefährdern von Telefon und SMS auf Messenger nicht rasch nachvollzieht.” Kriminalität müsse dort bekämpft werden, wo sie entstehe, und das finde in gewaltigem Ausmaß über Messenger und das Darknet statt. “Wenn wir, wie im Gesetz vorgesehen, die üblichen strengen Voraussetzungen des Grundgesetzes dabei einhalten, gibt es keinen vernünftigen Grund, die wenigen, aber sehr bedrohlichen Entwicklungen nicht vernünftig zu überwachen und Anschläge und andere schwere Kriminalität zu verhindern”, so Brand. Bezogen auf die weitergehende NADIS-Anbindung des MAD meint der Abgeordnete: “Erkenntnisse der zuständigen Behörden systematisch zu verzahnen und auszutauschen, damit Gefährder nicht durch das Netz schlüpfen können, ist eine Lehre aus aktuellen Verdachtsfälle und dringend erforderlich.” Der Gesetzentwurf stelle die notwendigen rechtlichen Weichen, damit der Militärische Abschirmdienst sinnvoll an das Nachrichtendienstliche Informationssystem angebunden sei. Im Zuge der Reform soll die G-10-Kommission, die bislang jede Maßnahme des BfV zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses genehmigen muss, aufgewertet werden. Derzeit umfasst sie vier Mitglieder, die nicht Mitglieder des Deutschen Bundestages sein müssen. Hier ist eine Erhöhung der Mitgliederzahl auf zehn vorgesehen. Fünf davon sind nur stellvertretende Mitglieder. Sie dürfen aber dennoch mit Redeund Fragerecht an den Sitzungen teilnehmen. Künftig sollen mindestens drei Mitglieder und drei stellvertretende Kommissionsmitglieder die Befähigung zum Richteramt besitzen.

(BS/bk) Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wurde das EUKatastrophenschutzverfahren reformiert. Dazu stimmten das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedsstaaten den Plänen der EU-Kommission zu, nach denen das Katastrophenschutzverfahren rescEU über mehr Kapazitäten und finanzielle Ressourcen verfügen soll. Das EU-Katastrophenschutzverfahren erhält für den Zeitraum von 2021 bis 2027 rund 1,26 Milliarden Euro. Zudem kommen noch über 2,05 Milliarden über das Aufbauinstrument “Next Generation EU” hinzu. Neben den finanziellen Aspekten bekommt die EU-Kommission nun die Möglichkeit, Notfallkapazitäten zu beschaffen. Außerdem soll die Kommission den EU-Mitgliedsstaaten Beförderungsmöglichkeiten und Logistiklösungen zur Verfügung stellen.

Strategischer Kompass der EU (BS/df) Das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) bewirbt aktuell den “Strategischen Kompass” der EU. Mit diesem – der auf eine deutsche Initiative zurückgeht – soll die Europäische Union die Richtung für ihr künftiges Handeln im sicherheitspolitischen Umfeld erhalten. “Er ist ein neues, sicherheitspolitisches Grundlagendokument dazu, was die EU im Krisenmanagement können soll”, berichtet das BMVg. Ziel ist die abrufbare Bereitstellung von Personal und Material, das, ähnlich wie bei der VJTF der NATO, schnell einsetzbar für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung steht. Zudem sollen politische Prozesse vorgegeben werden, um im Ernstfall zeitnah verlässliche und verbindliche Entscheidungen zu erhalten. Anfang Mai stand ein erstes Papier zur Diskussion, darin enthalten der Entwurf für eine schnelle Eingreiftruppe in Brigadestärke. Die Finanzierung dieser Eingreiftruppe ist allerdings noch in der Diskussion.

Veränderungen in M-V (BS/mfe) Beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommerns wird es grundlegende Anpassungen geben. Grundlage hierfür sind die Ergebnisse einer externen und unabhängigen Expertenkommission, die unter der Leitung des Hamburger Verfassungsschutzchefs, Torsten Voß, stand. So soll unter anderem die Aktenführung bei der Behörde verändert werden. Vorgesehen ist, dass sie fortan uneingeschränkt revisionssicher ist. Außerdem sollen die Quellenführung und die Arbeit mit Quelleninformationen verbessert werden. Es soll auch Änderungen mit Blick auf die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) im Schweriner Landtag geben. So dürfen sich die Kommissionsmitglieder zukünftig vor Sitzungen umfangreich mit den Berichten auseinandersetzen, damit sie anschließend konkreter und zielgerichteter nachfragen können. Für Recherchen und die Teilnahme an den Sitzungen werden auch sicherheitsüberprüfte Fraktionsmitarbeiter zugelassen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes soll zukünftig ein Petitionsrecht in der PKK eingeräumt werden.


Innere Sicherheit

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“S

icher und frei leben: für eine lebendige Demokratie”, lautet der Slogan des achten Kapitels des Vertrages, in dem die Koalitionäre niedergelegt haben, was sie im Politikfeld Innere Sicherheit neu beziehungsweise anders als in ihrer ersten gemeinsamen Legislaturperiode machen wollen. Die Koalition will dafür Sorge tragen, dass Baden-Württemberg auch in Zukunft eines der sichersten Länder der Bundesrepublik bleibt. Ihr Ziel ist es, die Polizei weiter personell kräftig zu stärken, damit sich das Land im bundesweiten Ranking der Polizeidichte sukzessive signifikant verbessert. Trotz des erheblichen Personalaufwuchses in der letzten Legislaturperiode weist Baden-Württemberg im Bundesländervergleich noch immer die niedrigste Polizeidichte aus. In Baden-Württemberg kommen auf einen Polizisten 438 Einwohner, im Nachbarland Bayern aber nur 382. Bemerkenswert ist, dass das Land dennoch mit einer Häufigkeit von 4.852 Straftaten pro 100.000 Einwohner und einer Aufklärungsquote von 64 Prozent den zweiten Platz im bundesweiten Ranking einnimmt und nur von Bayern mit 4.528 Straftaten pro 100.000 Einwohner und einer Aufklärungsquote von 68 Prozent überflügelt wird. Über den Umfang der Personalverstärkung enthält der Vertrag keinerlei Angaben. Zudem steht die Absichtserklärung aufgrund der angespannten Haushaltssituation des Landes unter Haushaltsvorbehalt. Das bedeutet: Erst wenn es wieder finanzielle Spielräume gibt, können ausgewählte Maßnahmen – eventuell in Stufen – umgesetzt werden. Im Übrigen ist vorgesehen, eine Arbeitsgruppe mit der Überprüfung der Verteilung der polizeilichen Einsatzkräfte, entsprechend den Bevölkerungs- und Kriminalitätsschwerpunkten, zu beauftragen. Sie soll konkrete Vorschläge zur Optimierung erarbeiten.

Technikbudget steigern Um die technische Ausstattung der Polizei auf der Höhe der Zeit zu halten, will die Koalition das Technikbudget erhöhen. Sie will insbesondere die Digitalisierung in der Polizei voranbringen. Schnelles Internet in den Polizeidienststellen, eine vollumfängliche Ausstattung mit mobilen Endgeräten, geeignete Soft- und Hardware und eine gute Anbindung stehen im Vordergrund der Bemühungen. Daneben soll die Erneuerung des BOS-Digitalfunknetzes konsequent fortgeführt werden. Der bislang ausschließlich den Spezialeinheiten (SEK und MEK) des Landes vorbehaltene Einsatz von Distanz-Elektroimpulsgeräten (Tasern) wird nicht ausgeweitet.

D

ie Fraport AG übernimmt außerdem die Verantwortung für die Beschaffung der Kontrolltechnik, wobei das BMI die Vorgaben macht, sowie die Kalkulation und Erhebung von Luftsicherheitsgebühren von Fluggesellschaften. Zusätzliche Personaleinstellungen sind dafür zunächst nicht vorgesehen. Auch wenn die Details für eine Neuausschreibung der Verträge mit künftigen Dienstleistern erst noch ausgearbeitet werden müssen, steht für die Fraport bereits fest, dass sie überwiegend Dienstleister mit der Durchführung der Kontrollen beauftragen wird. Dazu gehört auch ihr Tochterunternehmen FraSec, das möglicherweise jedoch aufgeteilt wird. Die Kontrollen finden ab Anfang übernächsten Jahres dann im Auftrag der Fraport und unter Aufsicht der Bundespolizei statt. Die Beschäftigten werden nach Tarif bezahlt. Das ist in einer Tarifbindungsvereinbarung geregelt. Das BMI bleibt weiterhin

Behörden Spiegel / Juni 2021

Weichenstellung für die Polizeiarbeit Der grün-schwarze Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg (BS/Gerd Lehmann) “Jetzt! Für morgen.” lautet der Titel des von Bündnis 90/Die Grünen und der CDU beschlossenen Koalitionsvertrages für die dritte Amtszeit von Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg seit 2011. In 14 Kapiteln haben die Koalitionäre auf 162 Seiten dokumentiert, welche Ziele und Vorhaben sie in den kommenden fünf Jahren verfolgen.

Im Bereich der baden-württembergischen Polizei soll es nach dem Willen der erneuerten grün-schwarzen Regierungskoalition einige Veränderungen und Anpassungen geben. Foto: BS/Anne Garti, pixelio.de

Eine flächendeckende Einführung solcher Geräte wird zum aktuellen Zeitpunkt ausgeschlossen. Die geltenden Regelungen des polizeilichen Einsatzes von Bodycams sollen evaluiert und weiterentwickelt werden. Insbesondere sollen diese so überarbeitet werden, dass Betroffene einen Anspruch auf Aufzeichnung, Speicherung und Auswertung der Aufzeichnungen haben. Soweit es die Haushaltslage erlaubt, sollen die Bodycams dann tiefer in die Fläche ausgerollt werden, beispielsweise bei den Polizeiposten und weiteren Einheiten der Bereitschaftspolizei.

Polizei entlasten Im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung soll die “Zukunftsoffensive Kriminalpolizei” fortgeführt und dabei sollen die Analysen “Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung 2020” einbezogen werden. Zur Stärkung der Strafverfolgung auch im digitalen Raum soll die Kriminalpolizei künftig von Digitalexpertinnen und -experten sowie von Einsatz- und Ermittlungsassistentinnen und -assistenten unterstützt werden. Aber auch hier handelt es sich lediglich um unter Haushaltvorbehalt stehende Absichtserklärungen. Im Rahmen des finanziell Möglichen soll ein Bau- und Sanierungsprogramm für die Polizei Baden-Württemberg aufgelegt werden. Bereits geplante Bauvorhaben wie beispielsweise der Neubau des Landeskriminalamtes (LKA) samt dem Kriminaltechnischen Institut sollen fortgeführt werden, ebenso die noch ausstehenden Baumaßnahmen aus der Evaluation der Polizeistrukturreform. Eine Arbeitsgruppe soll beauftragt werden, den Umfang der künftigen Aus- und Fortbildungskapazitäten, das Laufbahnrecht

und die Ausbildungsstrukturen zu überprüfen und konkrete Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Das Zulagenwesen soll zeitgemäß ausgestaltet werden. Zugleich soll die Arbeitszeitgestaltung, -planung und -abrechnung auf zeitgemäße und rechtlich sichere Fundamente gestellt werden. Dies betrifft sowohl flexible Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten zur Dienstzeitgestaltung sowie das Schichtmodell als auch das gesamte Zulagenwesen einschließlich der Zulage für den lageorientierten Dienst. Im Übrigen soll das bisherige Eingangsamt A 7 bei der Polizei Baden-Württemberg vollständig abgeschafft und somit die Besoldungsgruppe A 8 als Eingangsamt etabliert werden. Die Stellungsbesetzungssperre im Tarifbereich soll dauerhaft abgeschafft werden.

Weitere Meldestelle vorgesehen Mit einem Schwerpunktprogramm für den Kinderschutz und gegen sexualisierte Gewalt sowie zur Bekämpfung der CyberKriminalität will die Koalition die Polizei gerade im Umgang mit diesen Deliktsformen weiter stärken. Außerdem soll der Kampf gegen Geldwäsche intensiviert werden. Hierfür sollen gezielt Einheiten – unter anderem zur europäischen Kooperation – aufgebaut werden. Die bereits eingeleiteten Maßnahmen zur konsequenten Durchführung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung und Entwaffnung von Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern sollen mit großem Nachdruck fortgesetzt werden. Bedrohungen, Nötigungen, diskriminierende Äußerungen oder Beleidigungen – all das ist inzwischen Alltag im Internet, vor allem in den Sozialen Netzwerken: Um

gegen Hasspostings vorzugehen, soll, nach Vorbild der jüngst beim LKA eingerichteten “Meldestelle Hasspostings” für Medientreibende sowie des Beratungsangebots für Amts- und Mandatsträgerinnen und Amts- und Mandatsträger, eine Meldestelle Hasspostings für ehrenamtlich Aktive im zivilgesellschaftlichen Bereich eingerichtet werden. Hasspostings auf den Social-Media-Plattformen sollen konsequent strafrechtlich verfolgt werden, anstatt sie nur zu löschen. Angesagt ist auch eine konsequente Verfolgung von Fällen des Rechtsextremismus, einschließlich der innerhalb der Polizei. Eine Task Force im LKA soll zudem daran arbeiten, offene Haftbefehle schneller zu vollziehen. Für die systematische Bearbeitung von “Cold Cases” unter Berücksichtigung und Anwendung der neuesten kriminaltechnischen Erkenntnisse wird beim LKA als zentrale Ansprechstelle für die regionalen Polizeipräsidien ein eigenständiger Arbeitsbereich eingerichtet.

PKG Pol geplant Die Videoüberwachung des öffentlichen Raums soll klar begrenzt bleiben. Zudem soll künftig die Transparenz durch Informationspflichten weiter verbessert werden. Der Einsatz der intelligenten Videoüberwachung soll nach Abschluss des Modellprojekts in Mannheim evaluiert werden. Eine anlasslose, automatisierte biometrische Auswertung der Videoüberwachung lehnen die Koalitionäre ab. Wenn sich heimliche Überwachung nicht vermeiden lässt, muss künftig die Priorität darauf gelegt werden, den Betroffenen im Nachhinein den Rechtsweg zu ermöglichen, indem ihnen die Überwachung mitgeteilt wird. Mit diesem Ziel sollen die gesetzlichen Grundlagen überprüft werden. Flankierend soll ein Parlamentarisches Kontrollgremium Polizei (PKG Pol) eingeführt werden, das sich mit geheimen Maßnahmen der Polizei befasst. Das PKG Pol soll zweimal pro Jahr sowie gegebenenfalls anlassabhängig tagen.

LADG soll kommen Laut Koalitionsvertrag ist vorgesehen, in Baden-Württemberg ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) nach Berliner Vorbild einzuführen. Es soll Men-

schen vor Diskriminierung zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft durch Behörden schützen und Klagen erleichtern, wenn sich Menschen von Polizisten oder anderen Behördenvertretern ungerecht behandelt fühlen. Damit soll das Vertrauen zwischen der Bürgerschaft und allen öffentlichen Stellen des Landes gestärkt werden. Das Berliner Gesetz hatte im vergangenen Jahr für Ärger und massive Kritik insbesondere aus der Union und den Gewerkschaften gesorgt. Innenpolitiker der Union hatten gefordert, keine Polizisten mehr zur Amtshilfe nach Berlin zu schicken, weil das Gesetz die Polizisten unter Generalverdacht stelle. Um weiter mitzuregieren, musste die CDU nun deutliche Zugeständnisse machen, schließlich ist sie nach der Niederlage bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg eindeutiger Juniorpartner. Gleiches gilt für die seit 2010 umstrittene Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. Nunmehr soll eine anonymisierte Kennzeichnung für geschlossene Einheiten der Polizei eingeführt werden, die in Großlagen eingesetzt sind. Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits 2017 die fehlende Kennzeichnung von “maskierten” Polizeibeamten kritisierte, hat 2019 auch das Bundesverwaltungsgericht eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte als verfassungsgemäß bestätigt.

Wissenschaftliche Studie beauftragen Unabhängig von der bereits vom Bundesinnenministerium (BMI) mit einer Polizeistudie beauftragten Deutschen Hochschule der Polizei in Münster will die Regierungskoalition eine weitere wissenschaftliche Studie erstellen lassen. Untersucht werden soll, welche Erfahrungen die Bürgerinnen und Bürger des Landes mit staatlichen Stellen machen. Im Mittelpunkt steht das Polizeibild in der badenwürttembergischen Gesellschaft. Den Freiwilligen Polizeidienst gibt es im Südwesten seit 1963. 2011 beschloss die grün-rote Landesregierung, keine neuen Freiwilligen mehr einzustellen und den Dienst, auf Drängen der SPD, sukzessive abzuschaffen. Nach dem Regierungswechsel

Flughafenbetreiber selbst verantwortlich Beleihungsvertrag für Frankfurter Airport geschlossen (BS/Marco Feldmann) Ab Anfang 2023 geht die Verantwortung für die Organisation, Finanzierung, Steuerung und Durchführung der Luftsicherheitskontrollen am Flughafen Frankfurt am Main auf die Fraport AG über. Diese ist Betreiber des Airports und verfügt über eine Tochterfirma, die Luftsicherheitskontrollen durchführt. Der Übergang wurde in einem unbefristeten Beleihungsvertrag zwischen dem Unternehmen und dem Bundesinnenministerium (BMI) geregelt. oberste Luftsicherheitsbehörde. Die Meinungen über diesen Verantwortlichkeitswechsel gehen auseinander. Während ihn Polizeigewerkschaften in Teilen und Details durchaus kritisch sehen, begrüßt der Flughafenverband ADV ihn. Dessen Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel sagte dem Behörden Spiegel: “Es ist sinnvoll, das System der Luftsicherheitskontrollen bundesweit weiterzuentwickeln. Schon seit Langem sind die großen Flughafenstandorte bereit, Verantwortung bei den Luftsicherheitskontrollen im Bereich der Passagier- und Handgepäckkontrollen zu übernehmen und die Bundespolizei zu entlasten.” Das beinhalte zum Beispiel die

Auswahl und Steuerung der Dienstleister. Entscheidend sei es, bei den Luftsicherheitskontrollen eine hohe Qualität zu gewährleisten. Hierzu gehörten zukunftsfähige Strukturen in der Luftsicherheit mit einer neuen Partnerschaft an der Schnittstelle von Bundespolizei, privaten Dienstleistern und Flughäfen. Aus Sicht des BMI wird die Bundespolizei durch den Übergang von administrativen Aufgaben entlastet. Die Verantwortlichen versprechen sich davon, dass sich die Bundespolizei wieder stärker auf vollzugspolizeiliche Sicherheitsaufgaben fokussieren kann. Ob das tatsächlich der Fall ist, ist jedoch umstritten. So befürchtet etwa der Ehren-

vorsitzende der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, Ernst G. Walter, sogar einen größeren Personaleinsatz und höheren Personalbedarf bei der Bundespolizei. Er meint: “Wenn die Flughafenbetreiber künftig auch über den Einsatz des Kontrollpersonals bestimmen, bedeutet das für die Bundespolizei, dass deren Fachaufsicht noch viel stärker intensiviert werden muss als bisher.” Denn anderenfalls bestehe die Gefahr, dass die bei den Airports “stets absolut im Vordergrund stehende Schnelligkeit der Kontrolle zulasten der Sicherheit geht”. Für das Kontrollpersonal werde sich der Zeitdruck weiter verstärken, prognostiziert der Bundesvorsitzende der DPolG

Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz. Aus seiner Sicht sind Konflikte in diesem “nicht gangbaren System” bereits vorprogrammiert. Für deutlich sinnvoller hält Teggatz die Bildung regionaler halbstaatlicher Sicherheitsfirmen an den Flughäfen, an denen der Staat als Mehrheitseigner beteiligt sein sollte. Solche existieren bereits in Bayern. Denn dann hätte die öffentliche Hand endlich auch Einfluss auf die Personalauswahl und -ausbildung. Eine einheitlichere Ausbildung der Kontrollkräfte würde zudem einen flexibleren Personaleinsatz erlauben, etwa auch in der Mitarbeiter- oder der Frachtkontrolle. Der Bezirk Bundespolizei der Gewerkschaft der Polizei (GdP)

2016 vereinbarten Grüne und CDU, für den Freiwilligen Polizeidienst eine neue Grundlage zu schaffen. Da die Meinungen über die Aufgaben und die Ausrüstung des Dienstes aber weit auseinanderlagen, kam es zu keiner Einigung. Nunmehr soll ein neuer Anlauf genommen werden. Die Regierungsfraktionen wollen eine Arbeitsgruppe einsetzen, die innerhalb eines Jahres eine neue konzeptionelle Grundlage für den Freiwilligen Polizeidienst erarbeiten soll.

Leitstellengesetz auf den Weg bringen Im Nachgang zur jüngsten Änderung des Katastrophenschutzgesetzes im Dezember 2020, die die Rechte der Helferinnen und Helfer insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie gestärkt hat, soll das Katastrophenschutzgesetz grundlegend überarbeitet und neu strukturiert werden. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird über die Gestaltung einer modernen und wirtschaftlichen Leitstellenlandschaft für die nichtpolizeilichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) diskutiert. Nunmehr wollen die Koalitionäre Ernst machen und ein entsprechendes Leitstellengesetz auf den Weg bringen. Daneben sollen auch die Luftrettung und der bodengebundene Rettungsdienst überplant werden. Im Übrigen wollen sie die Kommunen weiter bei der Fahrzeug- und Materialbeschaffung für die Feuerwehren und Rettungsdienste unterstützen. Der analoge Einsatzstellenfunk soll nun auch auf den Digitalfunkstandard umgestellt werden.

Standardisierung und Vereinheitlichung angestrebt Kommunale Ordnungsdienste leisten einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit im öffentlichen Raum. Die Regierungskoalition strebt eine Standardisierung der Ausbildung und Ausrüstung an. Gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden sollen auch die Aufgabengebiete des Kommunalen Ordnungsdienstes überprüft und vereinheitlicht werden. Im Koalitionsvertrag stehen alle Vorhaben, die mit Kosten verbunden sind, unter einem Haushaltsvorbehalt. Sie können erst dann realisiert werden, wenn die Steuerquellen nach Ende der Corona-Pandemie wieder sprudeln. Nach den jüngsten Prognosen fehlen in den nächsten drei Jahren jeweils etwa vier Milliarden Euro. Insoweit sind viele im Koalitionsvertrag formulierte Anliegen zunächst nur unverbindliche Absichtserklärungen.

wiederum plädiert für eine Bundesanstalt für Luftsicherheitsaufgaben als Anstalt des öffentlichen Rechts. Dadurch ließen sich mehr Standardisierung und Einheitlichkeit erreichen. Auch dort wird mit einem erhöhten Zeitdruck für die Kontrollkräfte gerechnet. Kritisch sieht Arnd Krummen, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand, außerdem, dass der Staat mit der Veränderung in Frankfurt Steuerungsmöglichkeiten immer weiter aus der Hand gebe. Aus dem BMI ist dazu nur zu vernehmen, dass fortlaufend mögliche Optimierungen im bestehenden System geprüft würden. Dafür finde ein enger Austausch mit unterschiedlichen Ansprechpartnern statt. Eine pauschale Bewertung von regionalen halbstaatlichen Sicherheitsfirmen könne allerdings nicht getroffen werden. Vom Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS) war trotz mehrfacher Bitte keinerlei Stellungnahme zur Thematik zu erhalten.


Zahlen & Daten

Behörden Spiegel / Juni 2021

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Sicherheitsbehörden hinken hinterher (BS/mfe) Elektromobilität ist bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sowie der Bundeswehr noch nicht weit verbreitet. Die Zahl der eingesetzten Fahrzeuge, die rein elektrisch betrieben werden, und der eigenen Ladesäulen ist derzeit noch recht gering. Das gilt auch im Vergleich zur privaten Nutzung von E-Fahrzeugen. Möglicherweise ist die Zurückhaltung im öffentlichen Sektor auf die meist deutlich höheren Anschaffungspreise für rein elektrisch angetriebene Personenkraftwagen zurückzuführen.

Fuhrpark von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) und Bundeswehr

13.973

11.000 8.600 7.000

5.365 2.800 575

1.173

BY

BE

BB

HB

HH

HE

43

32

12

5

18*

26

28

Gesamtanzahl von Fahrzeugen

MV

625 NI

1 73

NW

34

RP

SL

SN

0

4

6.202

3.117

2.562 1.183

BW

*nur E-Bikes

4.317

4.000

57

1.769

1.492

1.210

ST

SH

TH

5

2

Bundespolizei

Zoll

151

163

0

davon rein elektrisch betriebene Fahrzeuge

**nur Fuhrpark der BwFuhrparkService GmbH und ausschließlich Personenkraftwagen

Bundeswehr**

126

Quelle: BS/eigene Recherche; verschiedene Stichtage

Anteil von E-Fahrzeugen im öffentlichen und im privaten Sektor

Anschaffungskosten nach Antriebsart

15.000 €

2,6%

10,4 %

30.000 €

Anteil der Elektro-PKWs an allen PKWs-Zulassungen im April 2021

Anschaffungskosten Renault Zoe (elektrisch angetrieben; in Sachsen-Anhalt) Anschaffungskosten Renault Clio (benzinbetrieben; in Sachsen-Anhalt)

Quelle: BS/Kraftfahrt-Bundesamt Anteil der rein elektrisch betriebenen Fahrzeuge am Gesamtfuhrpark des Zolls

Quelle: BS/Innenministerium Sachsen-Anhalt

Quelle: BS/eigene Recherche

über 400 Anzahl der behördeneigenen Ladesäulen 371

209

33

BW

83

56

43

18 BY

BE

0 BB

HB

1 HH

*fest installierte Boxen und Boxen, die sich in Dienststellen befinden Quelle: BS/eigene Recherche; verschiedene Stichtage

Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von stock.adobe.com, Daniel Berkmann

HE

MV

NI

keine landesweiten Angaben möglich

19

NW

RP

**nur BwFuhrparkService GmbH

45 0 SL

SN

0

1

0

ST

SH

TH

28* Bundespolizei

Zoll

Bundeswehr**


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

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Behörden Spiegel / Juni 2021

“Ideen müssen von den Anwendern kommen!”

Gemeinsam – schneller – besser

Impulse für die Sicherheitsforschung auf der vfdb-Jahrestagung

Terriotrial Hub: Chance einer effizienteren Zusammenarbeit von Behörden

(BS/Bennet Klawon) Forschung in der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr findet zwar statt, doch ist die Umsetzung in die Praxis häufig schwierig und langwierig. Die technische Entwicklung der Gesellschaft sei meist schneller als die Entwicklung in der Sicherheitsforschung. Besonders die Digitalisierung in der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr biete enormes Potenzial. Welchen Mehrwert sie bringen kann, wurde auf der Jahrestagung der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) ausführlich diskutiert.

(BS/Major Johannes Sträter/Major i.G Oliver Gerhardt) “Vorbeugen ist besser als heilen.” Das Sprichwort ist nicht nur passend im Sinne der Bewältigung der aktuellen pandemischen Lage, sondern kann zu großen Teilen auch auf den Heimatschutz und die damit verbundenen Nationalen Territorialen Aufgaben übertragen werden.

Im März 2020 hatten Dr. Hauke Speth und seine Kolleginnen und Kollegen vom Institut der Feuer­ wehr NRW (IdF) nur rund zwei Wochen Zeit, um sich auf die neuen technischen und organisa­ torischen Anforderungen an die digitale Ausbildung von Brandre­ ferendarinnen und -referendaren einzustellen. Zwar konnte man auf den Lernkompass, eine digi­ tale Lernplattform, die schon vor der Corona-Pandemie eingesetzt würden bauen, doch man musste viel Arbeit in die Konzeption der Lehrgänge stecken. Die digitale Lehre wird auch noch jetzt stän­ dig weiterentwickelt. Das digitale Lernangebot soll nach der Pan­ demie zusätzlich fortgeführt wer­ den. Man dürfe sich aber keinen Illusionen hingeben und hoffen, dass die digitale Ausbildung im Feuerwehrbereich kostengüns­ tiger sei, warnt Speth. “Gesellschaften werden in Zu­ kunft daran gemessen, wie sie mit Krisen umgangen sind”, zeigt sich Dirk Aschenbrenner, Präsi­ dent der vfdb, bei seiner Eröff­ nung der 67. vfdb-Fachtagung überzeugt. Die Fachtagung fand erstmalig digital statt. Dies ist eine Premiere in der siebzigjähri­ gen Geschichte der Vereinigung.

Kompetenzzentrum ist zielführend Dass Krisen für die nichtpoli­ zeiliche Gefahrenabwehr normal sind, zeigt der Blick auf die Ein­ satzzahlen und die Alarmierun­ gen aufgrund von Katastrophen der vergangenen Jahre. Doch in Zukunft steige die Vulnerabilität von Gesellschaften, da sie immer komplexer würden. Der Bedarf an technischen Lösungen, ins­ besondere im Zuge der Digitali­ sierung, steige weiter. Deshalb sei die Moderation zwischen den Forschungsstellen und den Anwendern um so wichtiger, so Aschenbrenner. Abhilfe könnte seiner Meinung ein Kompetenz­ zentrum für die Forschung und Entwicklung von Rettungstech­ nik bringen. An diesem Zentrum sollen Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis gleichermaßen be­ teiligt werden, um Innovationen zielgerichtet voranzubringen und zu koordinieren. Dabei soll ein solches Zentrum keine Konkur­ renz für bereits bestehende In­ stitute darstellen, sondern eine weitere Brücke für alle Anwender. Es brauche Innovationsräume in digitaler und in realer Form, fordert der vfdb-Präsident.

A

uf den Straßenverkehr und das Verkehrsunfallgesche­ hen wirkte sich die Pandemie positiv aus. Zu verzeichnen waren ein deutlich geringeres Verkehrsaufkommen, eine Hal­ bierung der Staubilanz, neun Prozent weniger CO2-Emissionen und ein erheblicher Rückgang der Verkehrsunfallzahlen sowie der bei Verkehrsunfällen verletz­ ten und getöteten Personen. Die Anzahl der Unfälle mit Perso­ nenschaden, der Unfallverletzen und Unfalltoten erreichte einen historischen Tiefstand. In jedem Fall sind die Entwicklungen als atypisch einzuordnen. Die Polizei nahm 2020 bundes­ weit insgesamt 2.249.308 Ver­ kehrsunfälle auf. Das waren 16,3 Prozent weniger als im Jahr 2019. Überdurchschnittliche Rückgän­ ge verzeichneten das Saarland (minus 18,1 Prozent) sowie die Länder Hessen (minus 17,9 Pro­ zent), Baden-Württemberg (mi­ nus 17,7 Prozent) und Bayern (minus 17,1 Prozent).

Die Forschung muss bei den Anwendern der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr ankommen, forderten die Referentinnen und Referenten auf der (digitalen) Jahrestagung der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb). Foto: BS/vfdb

Die Forderung nach einem Kom­ petenzzentrum ist nicht neu. Im vergangenen Jahr zeigte eine von der vfdb in Auftrag gegebenen Umfrage des safety innovation centers e. V. die enormen Defizite der Digitalisierung der Organisa­ tionen im Katastrophenschutz. Schon damals hielt Aschenbrenner ein Kompetenzzentrum für die digitale Transformation in der zivilen Gefahrenabwehr für gebo­ ten. In dem Zentrum sollen die Ermittlung von Bedarfen, die De­ finition von Datenstandards und Schnittstellen sowie Beratungsund Unterstützungsleistungen beispielsweise für Organisation und Beschaffung zentral geregelt werden. Als Vorbild könnte dabei das Deutsche RettungsrobotikZentrum (DRZ) dienen. Als Gründe für die mangelhafte Digitalisierung in der Gefahren­ abwehr sieht Dr. Olaf Grebner, Mitglied des Referats 7 des vfdb und Gründer von Mobilion.eu, die fehlende Erkenntnis der Not­ wendigkeit und der Bedeutung von digitalen Lösungen sowie die fehlende Priorisierung von Maß­ nahmen durch Entscheidungs­ trägerinnen und -träger. Diese strategischen Fehler würden in der Corona-Krise sichtbar. “Wir brauchen einen grundlegenden Wandel”, fordert Grebner. Dabei sei nicht nur das fehlen­ de Geld das Problem, sondern manchmal auch das fehlende Wissen auf Anwenderseite über die Existenz der Lösungen, gibt Dr. Anja-Hofmann-Böllinghaus, Vizepräsidentin des vfdb, zu Be­ denken. Es müssten alle Akteure zusammengebracht und Kräfte aus dem Katastrophenschutz aktiv mitgenommen werden. “Die Chance, jetzt die Digitalisierung voranzubringen, war so gut wie nie”, stimmt Aschenbrenner zu.

“Die guten Ideen müssen von den Anwendern kommen.” In Zukunft will die vfdb vermehrt auch auf andere Verbände zu­ gehen und Überzeugungsarbeit leisten. Erste Früchte tragen die Bemühungen schon in Aschenbrenners eigener Behörde, der Feuerwehr Dortmund. Dort wur­ den extra drei Stellen geschaffen, die nur für die Digitalisierung zuständig sind.

Zukunft gemeinsam gestalten Dass die Zukunft gemeinsam gestaltet werden muss, sieht auch Prof. Dr. Lydia Kaiser, Lehrstuhlinhaberin “Digitales Engineering 4.0.” an der Tech­ nischen Universität Berlin, für geboten. Gerade bei der Digita­ lisierung der Gefahrenabwehr gebe es enormes Potenzial. Dabei seien Cyber-Physische-Systeme, wie autonome und dynamische vernetzte Systeme, bei denen die mehrere Anwendungen miteinan­ der kommunizierten und perma­ nent Daten austauschten, auch im Bereich der Gefahrenabwehr erfolgsversprechend. Man kenne viele dieser Anwendungen schon aus der Landwirtschaft. “Digita­ lisierung ist mehr, als nur Daten zu haben, denn die Interaktion zwischen Systemen und Men­ schen ist wichtig”, stellt Kaiser heraus. In Zukunft brauche es jedoch mehr Rechenleistung, den Einsatz von Quantencomputern, schnelle Datenverbindungen in Form von 5G- und 6G-Netzen so­ wie digitale Zwillinge. In Zukunft sieht die promovierte Physike­ rin viel Potenzial im verstärkten Einsatz von Augmented Reali­ ty, Drohnenschwärmen und der Nutzung von Sprachassistenten. Dafür müsse man sich jedoch bei der Entwicklung vernetzen, mahnt Kaiser an.

Das Kommando Territoriale Auf­ gaben der Bundeswehr (KdoTerr­ AufgBw) hat in der Bewältigung von “ad-hoc-Krisen” umfangrei­ che Erfahrungen gesammelt. Es ist erprobt durch Hochwasser, Migrationskrise, Wald- und Moor­ brände, Schneechaos und Flug­ zeugabstürze. Einen besonderen Belastungstest erfährt es seit Beginn der Corona-Pandemie. Kooperationen innerhalb des zi­ vil-militärischen Netzwerks sind die Erfolgsgaranten für die Unter­ stützung von Bund und Ländern durch die Bundeswehr. Unter dem Summenstrich des CoronaEinsatzes kann das Kommando wegweisende Erfolge vorweisen. Über 7.000-mal wurde die Bun­ deswehr alleine in diesem Einsatz um Hilfe gebeten. Die FlecktarnUniform von 13.000 Soldatinnen und Soldaten gehört zum Tages­ bild in Alten- und Pflegeheimen, in Gesundheitsämtern, Impfzen­ tren und Krankenhäusern. Die Unterstützung der Bundeswehr erfährt Wertschätzung und Dank von Politik, Wirtschaft und Be­ völkerung.

Die Vision vom Territorial Hub Eine kritische Evaluation in­ nerhalb des KdoTerrAufgBw konstatierte aber auch Optimie­ rungspotenziale in der eigenen Führungsfähigkeit. Dabei wurden Defizite im Informationsmanage­ ment, der kollaborativen Zusam­ menarbeit, der Lageerfassung, -darstellung und -führung sowie einer medienbruchfreien IT-Un­ terstützung als Digitalisierungs­ lösung erkannt. Dies betrifft nicht nur den internen Bereich des KdoTerrAufgBw, sondern auch den Informationsaustausch und die digitale Zusammenarbeit mit anderen, vor allem auch zivilen Organisationen. Die Optimie­ rungspotenziale werden derzeit durch ein bundeswehrgemeinsa­ mes CD&E-Projekt untersucht. Die Projektorganisation verfolgt die Vision, eine zivil-militärisch vernetzte und digitalisierte Ar­ beitsumgebung zu schaffen: den Territorial Hub (TerrHub). Da­ durch soll die Führungsfähigkeit und die Auftragserfüllung des KdoTerrAufgBw signifikant durch gezielte Digitalisierungsmaßnah­ men verbessert werden.

Eine Plattform als gemeinsame Arbeitsumgebung Für die Umsetzung der Vision des TerrHubs ist die Entwicklung von vier Kernfunktionalitäten das erklärte Ziel. Diese sollen vor

Visualisierung der Vision und der Kernfunktionalitäten des Territorial Hubs Grafik: BS/KdoTerrAufgBw

allem die militärische und die zi­ vile Seite miteinander verbinden, um im Krisen- und Katastro­ phenfall, auf Basis einer flexiblen und agilen Führung, gemeinsam, schneller und besser Hilfe zu leisten. Die Kernfunktionalitäten setzen sich wie ein Mosaik zur neuen Arbeitsumgebung TerrHub zusammen, der wiederum der mi­ litärischen wie auch zivilen Seite als Plattform für eine effektive Zusammenarbeit dient. Das Territorial Net (TerrNet) ist ein zentraler digitaler Informati­ onsraum, der den Informations­ austausch aus dem öffentlichen Raum ressort- und organisations­ übergreifend gewährleistet. Er vernetzt die Krisenreaktionsor­ ganisationen mittels der Schnitt­ stelle Terr-Link miteinander zu einem territorialen Netzwerk. Durch diesen Raum können Lagedaten und Meldungen aus­ getauscht und dadurch Koope­ rationen auch digital geschaf­ fen werden. Sicherheitsgefälle in Form von eingestuften Daten werden systemintern überwun­ den und Datenfreigaben reguliert. Jeder stellt ein, was er teilen kann und jeder entnimmt, was er für seine Entscheidungen benötigt. Das Territorial Work and Ex­ change System (TerrWorkX) ist der Baustein für ein Informati­ onsmanagement, das kollabora­ tive Zusammenarbeit ermöglicht und die Grundlage für Antragsund Auftragsbearbeitung dar­ stellt. Dabei wird das militärische Meldewesen mittels des TerrNets mit der zivilen Seite verschränkt (z. B. Kooperation im Zuge der Antragstellung auf Amtshilfe). Das Territorial Command and Control System (TerrC2) ist das Herzstück für das gemeinsame Lagebild. Durch TerrC2 wird ein operatives und taktisches Führen auf der Grundlage von leistungs­ fähigen und resilienten IT-Servi­ ces möglich gemacht. TerrC2 ist

Positive Verkehrsunfallbilanz 2020 Erhebliche Rückgänge in nahezu allen Bereichen (BS/Gerd Lehmann) Die Entwicklung der Verkehrssicherheit war im Jahr 2020 stark geprägt durch die Corona-Pandemie. Besonders deutlich ausgeprägt war dieser Einfluss in den Monaten im Frühjahr, in denen aufgrund des verordneten Lockdowns große Teile des gesellschaftlichen Lebens zum Erliegen kamen. Die Zahl der bei Verkehrsunfäl­ len 2020 zu Tode gekommenen Menschen sank im Vergleich zum Vorjahr bundesweit um 10,8 Prozent. Lediglich in den Ländern Brandenburg (plus 15 Getötete), Berlin (plus zehn Ge­ tötete), Schleswig-Holstein (plus sieben Getötete) und Bremen (plus sechs Getötete) gab es im Jahr 2020 mehr Verkehrstote als im Vorjahr. Die stärksten Rückgänge an Verkehrstoten gab es prozentual in Hamburg (minus 46,4 Pro­ zent), Mecklenburg-Vorpommern (minus 29,4 Prozent), BadenWürttemberg (minus 24,5 Pro­ zent), Rheinland-Pfalz (minus 16,3 Prozent) und im Saarland (minus 15,4 Prozent). Im Ver­

gleich zum Vorjahr ging bun­ desweit die Zahl der getöteten Pkw-Insassen am stärksten zu­ rück (minus 14,2 Prozent). Den zweitstärksten Rückgang ver­ zeichnete die Zahl der getöteten Menschen, die mit Fahrrädern unterwegs waren (minus 12,9 Prozent), gefolgt von getöteten Fußgängern (minus 9,1 Prozent) und getöteten Motorradnutzern (minus 8,6 Prozent). Deutlich zugenommen hat im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der getö­ teten Pedelec-Fahrer (plus 16 Prozent). Über 70 Prozent der getöteten Pedelec-Fahrer waren 65 Jahre oder älter. Die Anzahl der bei Verkehrsun­ fällen verletzten Personen ging 2020 bundesweit im Vergleich

zum Vorjahr um 14,8 Prozent zu­ rück. Alle Bundesländer verzeich­ neten Rückgänge. Überdurch­ schnittlich rückläufig waren die Zahlen der bei Verkehrsunfällen verletzten Personen in Bremen (minus 18,2 Prozent), Hessen (minus 18 Prozent), Niedersach­ sen (minus 16,5 Prozent) und in Baden-Württemberg (minus 16,1 Prozent). Auch 2020 basierte die Mehrzahl der Verkehrsunfälle wieder auf Fehlverhaltensweisen von Fahr­ zeugführern. Technische Mängel an Fahrzeugen oder allgemeine Unfallursachen wie Straßenver­ hältnisse, Witterungseinflüsse, Hindernisse etc. spielten eine untergeordnete Rolle. Innerhalb geschlossener Ortschaften wur­

den auch 2020 wieder Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rück­ wärtsfahren, Ein- und Anfahren, das Missachten der Vorfahrt und ein ungenügender Abstand als häufigste Unfallursachen regis­ triert. Auf den Bundes-, Landesund Kreisstraßen außerhalb der geschlossenen Ortschaften waren hauptsächlich Geschwindigkeits­ überschreitungen, Vorfahrtsver­ stöße und Abstandunterschrei­ tungen Unfallursachen. Als häufigste Unfallursachen auf der Autobahn wurden unangepasste Geschwindigkeit und ungenügen­ der Sicherheitsabstand ermittelt. Insbesondere Lkw-Fahrer fuh­ ren oft zu dicht auf, waren über­ müdet oder hatten den Notbrems­ assistenten ausgeschaltet. Auch

ein Führungs- und Informations­ system, das via TerrNet Daten mit anderen Systemen der zivilen Seite austauschen kann. Andere Krisenreaktionsorganisationen können in ihrer Rolle bedarfsweise TerrC2 nutzen. Das Territorial Prediction und Simulation System (TerrPreSim) hält auf Basis von Microser­ vices Vorhersage- und Simula­ tionstools bereit, die passgenau für den Anwendungsfall abgeru­ fen und genutzt werden können. TerrPreSim erweitert dabei den Funktionsumfang von TerrC2. Bei der Umsetzung der Projekt­ idee ist die deutsche Landes­ grenze kein limitierender Faktor. Vielmehr wird von Grund auf das Leitprinzip der Multinationalität mitgedacht – insbesondere EU und NATO.

Vorbereitet für die Krisen von morgen Der TerrHub ist keine Zukunfts­ musik mehr, die Entwicklungs­ schritte finden jetzt statt. Die ersten Versuche in Demonstrati­ onsexperimenten sind innerhalb der nächsten 12 Monate geplant. Langfristiges Ziel ist es, mit dem TerrHub allen beteiligten Organisationen – zivil und militärisch, national wie multinati­ onal – ein Echtzeit-Instrument zum Informationsaustausch und zur Entscheidungsfindung für zu­ künftige Szenarien zu bieten. Für das KdoTerrAufgBw stehen dabei die Aufgaben Heimatschutz, Na­ tionale Territoriale Verteidigung und Host Nation Support auf deutschem Territorium an vor­ derster Stelle. *Major Johannes Sträter, Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (KdoTerrAufgBw), und Major i.G. Oliver Gerhardt, Planungsamt der Bundeswehr, gehören zur Projektgruppe CD&E TerrHub.

wenn die Zahl der Alkohol- und Drogenunfälle im Vorjahresver­ gleich insgesamt signifikant ab­ nahm, zählte auch die fehlende Verkehrstüchtigkeit 2020 wieder zu den Hauptunfallursachen. Leicht zugenommen haben im vergangenen Jahr Verkehrsunfäl­ le, bei denen die Ablenkung des Fahrzeugführers zum Beispiel durch Nutzung eines Telefons oder Navigationsgerätes, druch Essen, Trinken oder Rauchen eine Rolle spielte. Bemerkenswert ist auch, dass ein Viertel der ge­ töteten gurtpflichtigen Fahrzeug­ nutzenden den Sicherheitsgurt zum Unfallzeitpunkt nicht oder nicht ordnungsgemäß angelegt hatte. Die Ergebnisse des Jahres 2020 zeigen, dass es in Sachen Verkehrssicherheit noch einiges zu tun gibt. Dieses Thema wird u. a. auf dem Bundeskongress Kommunale Verkehrssicherheit am 6. und 7. Oktober in Würzburg diskutiert. Weitere Informationen unter: www. kommunale-verkehrssicherheit.de


Berliner Sicherheitskonferenz

Behörden Spiegel / Juni 2021

K

ein Land könne sich seine Größe, seine Lage und seine Nachbarn aussuchen, sagte etwa der Verteidigungsminister und Stv. Ministerpräsident von Lettland, Dr. Artis Pabriks. Zudem könne sich kein Land seine Vergangenheit aussuchen. “Aber natürlich möchten wir unsere Zukunft so weit wie möglich selbst wählen und bestimmen”, betonte Pabriks. “Wenn wir nun sehen, dass Europa oder die NATO nicht rechtzeitig oder nicht richtig auf die sich abzeichnenden globalen Herausforderungen reagieren, sind wir wirklich beunruhigt, weil wir als kleines Land der größte Verlierer sein können, weil wir ein Lackhmus-Test für diese Aktionen sind.”

Kritik eines Europäers Neutral betrachtet seien die Handlungen und Richtungen der Europäischen Union weder koordiniert noch besonders zukunftsweisend. “Ich bin pro Europa”, betonte Pabriks. “Die baltischen Staaten, Lettland, waren immer begeistert von der

Von Feinden und Verbündeten Forderungen an Deutschland und die EU

zesse verzögert, die Impfstofflieferung sein. Für die Ostflanke der EU und NATO und hier besonders die kleineren Staaten wie die baltischen, kann “Deutschland wird hier im Baltiderselbe schwergehende Apparat den Unterschied zwischen Existenz und Nichtexistenz bedeuten. Eine besondere Perspektive auf Europa brachte kum als ein führendes Land gesedementsprechend die High Level Debate am ersten Tag der Berliner Sicherheitskonferenz. hen, als das größte Land mit der europäischen Idee.” Nur müsse man auch Realist bleiben. “Wenn wir uns andere mögliche Krisen vorstellen, beispielsweise nukleare, chemische oder weitere biologische Bedrohungen, dann sind unsere bisherigen Reaktionen auf Covid-19 nicht gerade ermutigend”, sagte Pabriks. “Dasselbe gilt für die ökonomische Ebene. Wenn ich sehe, wie andere Länder und Regionen sich entwickeln, bietet die EU keinen Platz für Optimismus.” Dies alles sage er als überzeugter Europäer. Man müsse allerdings die Probleme benennen und angehen, um sich für die Zukunft zu rüsten. Und gerade die ak-

Moderne Technologien zur Verteidigung (BS/df) Die Welt blickte auf den Iron Dome. Und ein Israeli erklärte den Teilnehmern der Berliner Sicherheitskonferenz die Bedeutung der Luftverteidigung. “In 24 Stunden wurden über 1.000 Raketen auf Israel abgefeuert”, sagte Dror Bar, Vice President und General Manager Air and Missile Defense beim Unternehmen Israel Aerospace Industries (IAI), das mehrere Elemente des Iron Domes herstellt.

FCAS als System der Systeme Der Systemgedanke, jede Technologie nur als ein Element des Netzwerkes zu sehen, das dann als Ganzes die Fähigkeit ergibt, findet auch beim Future Combat Air System (FCAS) Anwendung. “FCAS wird eine Plattform, ein System von Systemen, wie wir es

rechtzeitig reagieren oder sich erst in Diskussionen um das Für und Wider sowie weitergehende Dialogwünsche verstricken?

Die Verpflichtung ­Deutschlands (BS/Dorothee Frank) Von der sicheren Position im Herzen Europas aus mag das Schlimmste, was die Europäische Union durch langwierige Pro-

Es geht um Menschenleben

Die aktuellen Angriffe auf Israel seien eine “Erinnerung daran, dass die Art und Weise, wie wir die Luftverteidigung aufbauen und ausbilden, den Unterschied ausmacht, ob unsere Bürger leben oder sterben.” Aber nicht nur die aktuellen Angriffe auf Israel, sondern alle modernen Konflikte zeigten die hohe Bedeutung der Luftverteidigung. Als bewaffnete Drohnen 2019 zwei saudiarabische Öl-Anlagen zerstörten, handelte es sich um einen Angriff von gerade einmal zwanzig Drohnen. Saudi-Arabien besaß zwar ein Luftverteidigungssystem, aber dieses war augenscheinlich nicht weitreichend genug, nicht effizient genug und keine 24/7 in Betrieb. Auch der ArmenienAserbaidschan-Konflikt habe gezeigt, dass bewaffnete Drohnen “maßgeblich zum Ergebnis beitragen” können. Bar betonte, dass neben der Bedeutung und Existenz eines effizienten Luftverteidigungssystems – sowie der Professionalität der sie bedienenden Soldaten – auch der Aufbau dieser Systeme entscheidend sei. Der Aufbau früherer Batterien entspräche nicht mehr den heutigen Anforderungen an eine modulare und vor allem schnelle Reaktionsfähigkeit. “Der Trend geht zu einem wachsenden Netzwerk”, sagte Bar. “Hierbei entkoppeln wir die traditionellen Batterien und setzen sie zu einem Netzwerk aus Feuereinheiten wieder zusammen.”

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noch nie gesehen haben”, sagte der CEO von Airbus Defence, Dirk Hoke, im Interview mit Dr. Florian Taitsch bei der Berliner Sicherheitskonferenz. FCAS soll das zukünftige Waffensystem der Luftwaffen Deutschlands, Frankreichs und Spaniens werden. In ihm nur eine EurofighterNachfolge oder ein Kampfflugzeug mit Drohnen zu sehen, greife allerdings deutlich zu kurz. “FCAS ist nicht nur ein Kampfjet der 6. Generation in Verbindung mit Drohnen. Sondern es geht auch um die Konnektivität mit allen anderen Systemen, seien sie auf der Erde, auf See oder im Weltraum”, beschrieb Hoke. Diese Konnektivität, die Kommunikationsverbindung und der Datenaustausch zwischen den Akteuren und Systemen des Gefechtes, sei ein Kernelement zukünftiger Streitkräfte. Für diese Real-Time-Datenübertragung seien neue und zusätzliche Infrastrukturen notwendig, der Weltraum erhalte eine besondere Bedeutung. FCAS ist dabei der Versuch, die militärische Technologie wieder einen Schritt vor die zivile zu bringen.

Hoffnung gegen Corona Zum Ende seines Vortrags konnte Bar den Zuhörern noch Mut machen: “In Israel ist fast die gesamte Bevölkerung über 16 geimpft. Wir sehen einen dramatischen Rückgang der Covid-Fälle auf fast null, obwohl 30 Prozent der Bevölkerung Kinder unter 16 Jahren sind. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns beim nächsten Mal in Berlin von Angesicht zu Angesicht treffen können.” Die nächste Berliner Sicherheitskonferenz wird als Präsenzveranstaltung am 24. und 25. November 2021 im Hotel Andel’s in Berlin stattfinden.

tuelle Pandemie habe überaus deutlich gezeigt, was alles nicht funktioniert. Gerade als Europäer wünsche er sich eine größere Belastbarkeit, eine bessere und effektivere Entscheidungsfindung, die Europa als Ganzes in den Mittelpunkt eines globalen Motors stelle. “Es fehlen uns die richtigen Mechanismen, wie wir rechtzeitig auf Krisen reagieren können.”

Transatlantische Partnerschaft Dies gelte nicht nur für die Pandemie oder wirtschaftliche Entwicklungen. Im militärischen Bereich sehe es sogar noch schlechter aus. Wenn – wie es vor wenigen Wochen geschehen sei – Russland mit einer massiven Militärpräsenz an der Grenze der Ukraine aufmarschiere, dann würde er sich wünschen, dass die Europäische Union und die großen europäischen Länder sofort und zu 100 Prozent auf einer Linie mit Washington lägen. Schließlich sei die transatlantische Partnerschaft die Säule, welche die Sicherheit und Freiheit Europas garantiere. Statt sich aber mit dem Bündnispartner zur Verteidigung der Freiheit und Sicherheit eines souveränen Staates zusammenzuschließen, habe man sehen können, dass es in den europäischen Medien

Die meisten Teilnehmer der High Level Debate bei der Berliner Sicherheitskonferenz waren sich darüber einig, dass Europa schneller und einheitlicher reagieren müsse. Und dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen müsse. Moderiert wurde die High Level Debate, an der unter anderem der Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen, Niels Annen teilnahm, durch Dr. Eva-Charlotte Proll. Screenshot: BS

mehr um den Dialog, um die Beruhigung gegangen sei, statt um die Konfrontation mit einem Aggressor. Die Ukraine sei zwar kein Mitglied der NATO oder EU, aber sie sei in der Bedrohung durch Russland automatisch ein schützenswerter Verbündeter. Die Ukraine und auch Georgien seien Ziele eines durch Russland sich stetig aufbauenden Druckes. Auch die Ukraine und Georgien seien kleine Länder, die ohne Schutz durch größere Nationen der Situation

wenig entgegensetzen könnten. Die EU zögere allerdings, klare Bekenntnisse auszusprechen, die dann auch in Handlungen mündeten. In den baltischen Staaten betrachte man dieses Verhalten der EU, diesen andauernden Wunsch zum Dialog, und frage sich, wie würden die großen europäischen Länder reagieren, wenn wirtschaftliche Interessen, Arbeitsplätze oder Exportmärkte auf dem Spiel ständen, nur um eines der baltischen Länder zu beschützen? Werde die EU dann

größten Verantwortung. Und die größte Verantwortung kann nicht nur in Form von humanitärer Hilfe übernommen werden, nicht nur in Form von Diplomatie, nicht nur in Form von Möglichkeiten des Dialogs”, sagte Pabriks. “Reden wir zum Beispiel über einen Dialog mit Russland. Bevor wir mit einem solchen Dialog beginnen, müssen wir wissen, was wir erreichen wollen. Wir müssen es wissen, bevor wir uns mit den Russen an einen Tisch setzen. Denn reden nur um des Redens willen wird uns nichts bringen. Wir müssen wissen, was wir wollen, denn die Russen wissen genau, was sie wollen. Und wir wissen es manchmal nicht.” Deutschland habe in den vergangenen Jahrzehnten Großartiges geleistet. Deutschlands Beitrag zum Air Policing Baltikum werde sehr geschätzt und gewürdigt. Nur stünde Deutschland im Ernstfall wirklich genauso schnell an der Seite seiner Verbündeten wie die USA? Dies war der Punkt, der den anderen osteuropäischen Teilnehmern des Forums ebenfalls aus dem Herzen sprach. Die entscheidende Frage für jene Staaten an der Ostflanke, die einem russischen Angriff niemals alleine standhalten könnten. “Wir haben recht große Erwartungen, auch an Deutschland als Land”, betonte Pabriks. “Für uns ist dies von fundamentaler, von existenzieller Natur.”

Europäische Rüstungsprojekte Intensiv, innovativ und inklusiv (BS/jf) Langfristig sollen auf europäischer Ebene alle möglichen Zukunftstechnologien bereitgestellt werden, die für die Verteidigung nötig sind. Lücken bei den Fähigkeiten sollen geschlossen und gleichzeitig die Kooperation zwischen Mitgliedsstaaten und Unternehmen verbessert werden. Dafür sind in den letzten Jahren mit CARD, PESCO, EEF und CDP die Voraussetzungen geschaffen worden. Die Pläne und Programme werden von allen Seiten begrüßt, sie machen aber nur Sinn, wenn die geförderten Projekte nicht nur entwickelt, sondern anschließend auch beschafft werden. Die Interessen der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten bei der Entwicklung der europäischen Verteidigungspolitik und den dazugehöriegen Aktivitäten seien identisch, unterstreicht Botschafter Jiří Šedivý, Geschäftsführer der Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency EDA). Für den früheren tschechischen Verteidigungsminister ist es von größter Wichtigkeit, dass bei der Entwicklung von neuen Technologien für die Verteidigungsfähigkeiten Mitgliedsstaaten und Industriepartner gemeinsam kooperieren und agieren. Dafür bräuchte es ein sogenanntes “Window of Opportunity”. Dieses Fenster sei aktuell vorhanden, es gebe auf europäischer Ebene den politischen Willen und die nötigen Ressourcen, so Šedivý. Allerdings müssten die Kooperationen weiter verstärkt werden, das habe die aktuelle Pandemie gezeigt. Zugleich lobte der EDA-Geschäftsführer die erreichten Ziele bei den verschiedenen Plänen und Programmen. Die jährliche Überprüfung der Verteidigung (Coordinated Annual Review on Defence, CARD), wurde im

November 2020 abgeschlossen und der Abschlussbericht mit Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die künftige Zusammenarbeit den Verteidigungsministern der Mitgliedsstaaten vorgelegt. Bei der ständigen strukturierten Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation, PESCO) wurde der erste Strategie-Review erfolgreich abgeschlossen und der Europäische Verteidigungsfonds (EEF oder European Defence Fund, EDF) hat zum 1. Januar 2021 seine Arbeit aufgenommen. Bis 2027 stehen fast acht Milliarden Euro zur Kofinanzierung von europäischen Kooperationsprojekten in den Bereichen Verteidigungsforschung und Fähigkeitsentwicklung zur Verfügung. Dabei orientieren sich die Ausgaben und Projekte nicht nur an dem internationalen Wettlauf zwischen den USA und China: Vielmehr nehme die EDA auch die weniger starken Staaten, die zudem näher an Europa lägen, in den Blick. Francois Arbault, Direktor für Verteidigungsindustrie bei der EU-Kommission, bestätigt das Vorhaben. Zugleich unterstrich er, dass bei der Finanzierung von Projekten durch den EEF

drei Bausteine von zentraler Bedeutung seien. Die Projekte müssten intensiv, innovativ und inklusiv sein. Auch Hubert Blahnik, stellvertretender nationaler Rüstungsdirektor im Bundesministerium der Verteidigung, und der Nationale Rüstungsdirektor Frankreichs, Generalleutnant Thierry Carlier, begrüßen die europäische Kofinanzierung durch den EEF: Beide sind sich jedoch einig, dass es nicht nur darum gehen dürfe, interessante Projekte mit einem inklusiven Ansatz zu entwickeln und Beteiligungsmöglichkeiten für die Industrie zu schaffen. Viel­ mehr müsse das, was entwickelt werde, am Ende auch nicht nur von den an den Projekten beteiligten Staaten, sondern auch von anderen Nationen bestellt und eingesetzt werden. Zudem gelte es, weiterhin die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) an den Projekten sicherzustellen. Deren Anteil liege momentan bei rund 45 Prozent. Das müsse mindestens so bleiben, so Carlier, für den der überarbeitete Plan zur Entwicklung der Fähigkeiten (Capability Development Plan, CDP) einer der größten Erfolge

Die Aufzeichnung des gesamten Kongresses kann auf digitaler-staat.online/mediathek+ gebührenpflichtig abgerufen werden.

der EU ist. Doch auch andere sprechen sich für die Beteiligung von KMU und kleineren Forschungseinrichtungen wie Universitäten und Instituten an den Projekten aus. So etwa General a. D. László Tömböl, stellvertretender nationaler Rüstungsdirektor beim Kommissar für Verteidigungsentwicklung im Regierungsbüro des Premierministers Ungarns. Denn gerade diese kleinen Unternehmen und Institute seien die kreativen Einheiten, die neue Entwicklungen voranbringen würden. Überhaupt fördere Ungarn seine Verteidigungsindustrie sehr stark, wie der Innovations- und Technologieminister des Landes, Prof. Dr. László Palkovics, erläuterte. Ausgehend vom ZweiProzent-Ziel der NATO wolle das Land seine Verteidigungsindustrie wieder aufbauen. Zum Ende des Kalten Kriegs hätten rund 20.000 Menschen in diesem Sektor gearbeitet, aktuell seien es um die 1.000. Dazu hat das Land an der Donau ein Programm aufgelegt, dass bis 2026 abgeschlossen sein soll. Das Ziel ist es, westeuropäische Qualität zu osteuropäischen Preisen anzubieten.


Berliner Sicherheitskonferenz

Behörden Spiegel / Juni 2021

Es geht nur gemeinsam

Generalleutnant Martin Wijnen, Chef der niederländischen Armee.

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enn auch wenn die militärische Zusammenarbeit auf Ebene der EU durch die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Pesco) ein neues Level erreicht habe, bleibe die NATO dennoch ein unverzichtbarer Bestandteil der Sicherheitsarchitektur. Das Bündnis fungiere als Garant für Sicherheit, so Silberhorn. Für die Zukunft wünscht sich der Politiker noch mehr Kohärenz und gemeinsames Handeln von EU und NATO. Ähnlich äußert sich Sorin Ducaru, Direktor des Satellitenzentrums der Europäischen Union. Denn über Kooperationen ließen sich zahlreiche Synergien heben. Entsprechende Bemühungen zur Zusammenarbeit zwischen beiden Zusammenschlüssen müssten weiter verstärkt werden. Es gehe darum, doppelte Strukturen und unnötige Duplizierungen in beiden Organisationen zu vermeiden, betonte der Parlamentarische Staatssekretär Silberhorn. Bei alledem dürften eigene Bemühungen der Mitgliedsstaaten in Verteidigungsangelegenheiten allerdings nicht vernachlässigt oder gar komplett eingestellt werden, meinte der Politiker. In diesem Zusammenhang lobte Silberhorn die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik.

Zusammenarbeit unabdingbar Die Bedeutsamkeit von internationaler Kooperation unterstrich auch die Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Helga Maria Schmid. Denn derzeit sei eine immer weiter zunehmende Polarisierung feststellbar. Das gelte sowohl im Verhältnis zwischen Staaten als auch innerhalb von Gesellschaften. Hinzu komme, dass militärische Gewalt wieder als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen und Ziele akzeptiert sei. Um hier zur Deeskalation beizutragen, brauche es dringend internationale Organisationen. Denn sie dienten oftmals als Plattform für Dialog. Und: “Dialog ist die unabdingbare Voraussetzung für Zusammenarbeit.” So sei die OSZE beispielsweise der einzige

Sicherheitspolitik benötigt EU und NATO

Hier könne das Satellitenzen­trum

(BS/Marco Feldmann) Aktuelle sicherheitspolitische und militärische Herausforderungen können nur von Europäischer Union und NATO ge­ der Europäischen Union mit Sitz meinsam gemeistert werden. Dafür brauche es zwischen den beiden Institutionen noch mehr Zusammenarbeit als bislang bereits stattfinde. Das in Madrid helfen, meint dessen unterstreicht der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, Thomas Silberhorn (CSU). Direktor, Botschafter Ducaru. Vermittler gewesen, der von allen Parteien des Konfliktes um die Ukraine akzeptiert worden sei. Dadurch habe die Organisation (die aus 57 Teilnehmerstaaten aus Nordamerika, Europa und Zentralasien besteht und ihren Sitz sowie ihr Sekretariat in Wien hat, Anm. d. Red.) stark zur Vertrauensbildung beitragen können. Es bleibe aber noch einiges zu tun. Für die Zukunft wünscht sich Schmid jedoch eine noch stärkere Einbeziehung von Frauen und jungen Menschen bei der Bewältigung sicherheitspolitischer Herausforderungen.

Schnellere Reaktion notwendig Ebenfalls einen Blick in die Zukunft wirft der Staatssekretär im lettischen Verteidigungsministerium, Janis Garisons. Militärische Fähigkeiten und Ressourcen würden in der internationalen Politik wieder vermehrt zur Durchsetzung politischer Interessen genutzt. Dies gelte insbesondere für Russland und stelle für die baltischen Staaten eine Bedrohung dar, also auch für Lettland. Hierauf müsse reagiert werden. Deshalb verlangt Garisons eine personelle Verstärkung der Armeen der EU- und der NATO-Staaten. Auch an einer weiteren technischen Aufrüstung der Truppen führe kein Weg vorbei. Zudem müssten innerhalb der Streitkräfte zusätzliche Redundanzen geschaffen werden, damit die Armeen auch an mehreren Fronten gleichzeitig agieren könnten. Und besonders wichtig ist es aus Garisons Sicht, die Reaktionszeiten auf Bedrohungen zu verringern. Hier müssten EU und NATO noch besser werden, meint der Staatssekretär aus Riga. Es komme darauf an, einen umfassenden Sicherheitsansatz zu verfolgen und sich in ständiger

Moderiert von Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur Heer (ohne Bild), diskutierten General Christopher Cavoli, Commanding General der USAREUR-AF, Ivo Pikner von der tschechischen Defence University, Slawomir Wojciechowski, Commanding General des Multinational Corps North East, und Generalleutnant Martin Wijnen, Commander der Royal Netherlands Army (Mitte unten), über mögliche Fähigkeiten und Anforderungen an das Heer in der heutigen Zeit. Screenshot: BS

Kooperation und fortlaufender Kommunikation mit zahlreichen Akteuren zu befinden.

In allen Dimensionen Schließlich würden Konflikte und Kriege heutzutage in allen Dimensionen geführt. Dazu gehören laut dem Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, unter anderem die Dimensionen Luft, Land, See und Cyber. Problematisch aus seiner Sicht ist dabei, dass Russland in all den genannten Gebieten Fähigkeiten auf- und ausbaue. Hierauf müssten sich die Europäische Union und die NATO einstellen. Die Bundeswehr werde sich weiterhin maßgeblich an beiden Bündnissen beteiligen. Außerdem werde sie sich ständig strukturell weiterentwickeln und ihr Training ausländischer Soldaten fortsetzen, etwa in der Sahelzone. 2023 werde die Bundeswehr zudem erneut die Führung der Very

High Readiness Joint Task Force (VJTF) der NATO übernehmen. Dies dann bereits zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren, so Zorn im Rahmen der digital stattfindenden Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) des Behörden Spiegel.

Fähigkeitslücken schließen Denn ohne Landstreitkräfte werde es beim Militär auch in Zukunft nicht gehen. Nur sie seien in der Lage, ein Gebiet zu besetzen, erläuterte der Inspekteur des deutschen Heeres, Generalleutnant Alfons Mais. Um hier auch in Zukunft handlungsfähig zu sein, sei Agieren gefragt. Fähigkeitslücken müssten dringend geschlossen werden. Das sei deutlich wichtiger als das ausschließliche Verfassen von Konzepten, meint Generalleutnant Mais. Ebenso wichtig seien ausreichend Personal und Training sowie funktionierende Technik und Waffensysteme. Nur dann

seien militärische Einheiten auch tatsächlich verfügbar und einsatzfähig, machte General Christopher Cavoli, Commanding General der USAREUR-AF, deutlich. In Allianzund Bündniseinsätzen komme es außerdem entscheidend auf eine ausreichende Interoperabilität an, unterstrich der kommandierende General USAREUR-AF. Auch Generalleutnant Slawomir Wojciechowski, Commanding General des Multinational Corps North East, betonte die Bedeutsamkeit grenzüberschreitender Interoperabilität und kontinuierlicher Übungen. Zur wirksamen Abschreckung braucht es aus Sicht des kommandierenden Generals des Multinationalen Korps NordOst dringend schnell einsetzbare Kräfte. Außerdem müssten militärische Entscheidungsprozesse beschleunigt werden. Dies beinhalte auch eine bessere Informationsgewinnung und -analyse, findet

Es bleibt ein weiter Weg

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in zahlenmäßiges Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen gibt es im Militär bei Weitem nicht. Doch viele Länder setzten sich dafür ein, ein Geschlechtergleichgewicht herzustellen. 2018 lag laut einem entsprechenden NATO-Report der Anteil von Frauen in den Streitkräften in NATO-Mitgliedsländern bei elf Prozent. Nur in zwei Ländern gab es eine Frauenquote, andere Nationen arbeiten ohne Quote, haben sich jedoch ebenfalls kurz- oder langfristige Ziele gesetzt, um den Anteil der Frauen zu erhöhen. Solche Ziele hält Oberst Magda Dvořáková , Head of the Public Diplomacy Section, General Staff of the Czech Armed Forces, für wichtig, denn ohne konkrete Ziele trete man auf der Stelle. Jedes Land solle – mit Unterstützung durch die NATO – einen individuellen und für sich passenden Weg hin zur Geschlechtergerechtigkeit finden. Grund dafür: Laut bereits erwähntem NATO-Report variiert der Anteil von Frauen in den Streitkräften in den verschiedenen Ländern von knapp über einem bis zu fast 20 Prozent. Der

Weitergabe an unterschied­ liche Bedarfsträger

Weibliche Beteiligung am Militär (BS/Ann Kathrin Herweg) Generell und auch im bewaffneten Einsatz: Weibliche Beteiligung im Militär ist wichtig, da waren sich die Diskutanten im Forum zur Gender Policy auf der Berliner Sicherheitskonferenz einig. Für Oberstleutnant Peter Östman, Commander Nordic Center for Gender in Military Operations in Schweden, liegt es in der Verantwortung von beiden – Männern und Frauen – sich genau dafür einzusetzen. Frauenanteil hängt sehr stark vom Land selbst, vom nationalen Militär und auch von der jeweiligen zivilen Beteiligung ab.

Gerechtigkeit in der Strategie Die EU und NATO haben das Geschlechtergleichgewicht allerdings in ihre Strategien eingeplant und arbeiten daran, den Worten auch Taten folgen zu lassen, so Kristin de Peyron, Director/Deputy Managing Director for Human Rights, Global and Multilateral Issues (MD Global), EEAS. Um eine Veränderung zu erreichen, hält sie eine Zusammenarbeit für wichtig. Dennoch sieht auch sie die Zuständigkeit für eine effektive Geschlechterpolitik in den nationalen Streitkräften zuerst bei den Ländern selbst. Ihnen durch die NATO ein bestimmtes Vorgehen aufzuzwingen, hält sie für problematisch. Tschechien

beispielsweise habe ein kleines Militär, gab Oberst Dvořáková als Beispiel zu bedenken, eine Quote zu erfüllen, sei hier schwierig. Ein Rat, mit dem jedoch jedes Land etwas anfangen könne, sei es, immer beide – Männer und Frauen – mit einzubeziehen und zumindest einen Vertreter jedes Geschlechts im Team zu haben. In Bezug auf CSDP-Einsätze sieht de Peyron die größte Herausforderung bei der Rekrutierung von Frauen für die Streitkräften ebenfalls in der geringen Zahl an Frauen, die in den einzelnen Ländern im Sicherheitsbereich arbeiteten, denn nur wenn die Mitgliedsländer mehr Anteile von Frauen in den Streitkräften beschäftigten, wachse auch der Pool an verfügbaren militärisch ausgebildeten Frauen für gemeinsame Einsätze der EU. Neben den persönlichen Fähigkeiten, der Bildung und dem

Alter müsse auch das Geschlecht bereits bei Rekrutierungskampagnen mitgedacht werden, waren sich die Diskutanten einig. Frauen müssten gezielt angesprochen und angeworben werden. Nicht nur sollten weibliche Streitkräfte von der Planung über die Durchführung bis hin zur Evaluation an allen Phasen des Einsatzes beteiligt sein, auch alle Positionen und alle Ebenen des Militärs müssten für Soldatinnen und Mitarbeiterinnen offen sein.

Vorteile der Diversität “Soldat ist Soldat, egal ob Mann oder Frau”, betonte Oberstleutnant Peter Oestman. Doch gerade auf Leitungsebene seien Kenntnisse und ein gewisser Einsatz nötig, um Frauen besser in militärische Berufe zu integrieren. Oberstleutnant Oestman rät dazu, Genderberater in allen

Projektplanungsgruppen einzusetzen. Die Verantwortung für die Integration von Frauen im Militär sieht er jedoch nicht bei den Frauen oder Beratern, sondern beim Befehlshaber.

Unterstützung durch NATO und EU Von einer Geschlechterbalance profitieren schlussendlich alle Seiten, denn die Teams werden vielseitiger, Frauen bringen neue Sichtweisen in die Arbeit ein und laut Oberstleutnant Oestman ist die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung vor Ort dann effektiver, wenn gemischte Teams aus Männern und Frauen im Einsatz sind. Aber nicht nur die Effektivität in Einsätzen und die Kontakte und Interaktionen mit der örtlichen Bevölkerung profitierten von Diversität im Militär, auch die Qualität der Entschei-

Hauptaufgabe der Einrichtung sei die Gewährleistung der Sicherheit aus dem Weltall durch raumbezogene Aufklärung. Dabei gehe es insbesondere darum, Nachrichten und Informationen durch die Auswertung von Bildern und Geodaten zu gewinnen. Dabei greife man insbesondere auf Satelliten kommerzieller Anbieter zurück, so Ducaru. Die so gewonnen Daten würden von den rund 150 Mitarbeitern der intergouvernementalen Agentur, die im kommenden Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert, an verschiedene Bedarfsträger weitergegeben. Dazu zählten unter anderem die OSZE, die EUMitgliedsstaaten, die Vereinten Nationen oder die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex. Eine operative Zusammenarbeit mit der NATO gebe es bislang jedoch noch nicht. Genutzt würden die Daten für viele unterschiedliche Zwecke, etwa im Bereich der humanitären Hilfe, der militärischen Unterstützung oder zur Überwachung irregulärer Migration. Möglicherweise könnte mit ihrer Hilfe auch besser auf hybride Bedrohungen reagiert werden. Denn bei ihnen seien strategische Analysen, bei denen verschiedene Informationsquellen miteinander verknüpft würden, besonders wichtig. Anders ließen sich Verbindungen und Netzwerke nicht erkennen, meint Maxime Lebrun vom European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats. Bislang gebe es jedoch in der EU und in der NATO kaum Strategien zur hybriden Kriegsführung. Dabei handele es sich angesichts der wachsenden Bedeutung solcher Szenarien um eine gefährliche Fähigkeitslücke, warnt der Vorsitzende der “Politisch-Militärischen Gesellschaft” und Präsident von EuroDefense, Ralph D. Thiele.

dungsfindung verbessere sich dadurch, so de Peyron. Der Anteil an Frauen im Militär sei noch nicht zufriedenstellend und bis ein Geschlechtergleichgewicht hergestellt sei, liege noch ein langer Weg vor allen Beteiligten, da waren sich die Diskutanten einig. Länder müssten passend zu ihren Strukturen daran arbeiten, den Anteil von Frauen in den Streitkräften anzusprechen und zu integrieren. Es liege in der Verantwortung von NATO und EU, sich für die Geschlechterpolitik einzusetzen und die Länder bei ihrem Streben nach Geschlechterbalance auf allen Ebenen zu unterstützen. Doch Zusammenarbeit, gute Analysen der Situation und daraus abgeleitete Erkenntnisse und Maßnahmen lassen die Diskutanten auf eine Verbesserung der Geschlechtersituation im Militär hoffen. Gender Mainstreaming sei jedoch nicht ein Ziel an sich, vielmehr sollten dadurch das EUKrisenmanagement verbessert und Menschenrechte für Männer und Frauen gefördert werden, zog de Peyron als Fazit.


Berliner Sicherheitskonferenz

Behörden Spiegel / Juni 2021

Risiko Entgrenzung

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efechtsfelder verändern mit der Digitalisierung ihr Gesicht. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten der Kollaboration (siehe Artikel unten auf dieser Seite). Gleichzeitig ergeben sich neue Angriffsflächen. “Die Zukunft der militärischen Einsätze wird digital sein und es bleibt uns nicht viel Zeit, uns dem anzupassen”, mahnt Generalmajor Jürgen Setzer, stellvertretender Inspekteur Cyber- und Informationsraum. “Wir müssen jetzt die Weichen stellen, um die Chancen optimal zu nutzen und uns gleichzeitig bestmöglich vor neuartigen Bedrohungen zu schützen.”

Digitalisierung ändert die Spielregeln Die Cyber-Domäne bringt neuartige Herausforderungen mit sich. Nicht nur wegen der rasanten Entwicklung der digitalen Technologien. “Der Cyber-Raum unterscheidet sich, weil er einerseits eine eigene, neuartige Domäne ist, gleichzeitig aber in allen anderen Domänen von Bedeutung ist und dort die Spielregeln verändert”, sagt Leendert van Bochoven, Vorstandsmitglied und Bereichsleiter Defence & Intelligence bei IBM. Diese Verschränkung geht aber über den rein militärischen Bereich hinaus. Cyber-Bedrohungen betreffen in Form von Kriminalität, Spionage oder Sabotage mit digitalen Mitteln auch Behörden und Verwaltung, Kritische Infrastrukturen, Wirtschaft und Gesellschaft. “Im Cyber-Raum sind militärische und zivile Infrastrukturen weitgehend verbunden, es gibt keine echten Grenzen mehr”, so Karel Řehka, Direktor der Nationalen Agentur für Cyber- und Informationssicherheit in Tschechien. Dazu komme, dass es technisch schwierig und politisch heikel sei, Angreifer klar zu benennen. Wann ist ein Cyber-Angriff also ein kriegerischer Akt? Wer

D

ie Antwort auf die Probleme der Gegenwart und der Zukunft sei multinational und könne nur in Zusammenarbeit mit vielen Akteuren entstehen. Deshalb brauche es auch im militärischen Bereich Kollaborationen zwischen den Teilstreitkräften und den nationalen Armeen, sagt Udo F. Littke, Head of Central Europe von Atos. Wichtig sei in diesem Zusammenhang die digitale militärische Kollaboration, so Littke. Nur mit einer übergreifenden Kollaboration in der Europäischen Union könnten, den momentanen und zukünftigen Herausforderungen wie der Corona-Pandemie, dem Klimawandel, hybrider Kriegsführung und internationalem Terrorismus begegnet werden. Keiner der EU-Staaten könne diese Herausforderungen alleine lösen. Damit eine multinationale Zusammenarbeit möglich werde, brauche es digitale Souveränität, Netzwerke und digitale Fähigkeiten.

Gemeinsam vorangehen Ähnlich sieht es Christoph Otten, CEO der ESG Elektroniksystemund Logistik-GmbH. Internationale Lieferketten, Kommunikationsnetze und die Entwicklung der Plattformökonomie führten zu Abhängigkeitsverhältnissen in nie gekanntem Ausmaß. Gleich-

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Wie bekommen wir Cyber-Bedrohungen in den Griff? (BS/Benjamin Stiebel/Bennet Klawon) Der Cyber-Raum ist als militärische Domäne definiert. Die Bundeswehr hat seit vier Jahren einen eigenständigen Organisationsbereich dafür. Der Umgang mit digitalen Wirkmitteln wirft aber nach wie vor Fragen auf. Denn anders als in den klassischen Domänen verschwimmen militärische und zivile, äußere und innere Bedrohungen zu einer hybriden Gefahrenlage. Doch statt nur auf klare Lösungen zu völkerrechtlichen Problemen zu warten, sind die Streitkräfte gut beraten, Verteidigungsfähigkeiten aufzubauen und das Niveau der IT-Sicherheit kontinuierlich zu erhöhen. zeichnet beispielsweise bei einem gezielten Angriff auf Energie- oder Wasserversorgung verantwortlich? Wer darf wie reagieren? Diese Fragen werden seit Jahren diskutiert, während längst internationale Konflikte mit CyberWaffen ausgetragen werden. “Die Zahl der Staaten, die bereit sind, selbst Cyber-Operationen durchzuführen, um sich modernen Bedrohungen zu stellen, wächst”, sagt Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der EuropaUniversität Viadrina. Für ihn ist die Frage der Verteidigung im Cyber-Raum eine der Fähigkeiten und des politischen Willens. Rechtliche Hürden sieht er nicht. “Das Völkerrecht hindert uns nicht, effektive Maßnahmen zu ergreifen. Jeder Cyber-Angriff von fremdem Boden sollte als Völkerrechtsbruch angesehen werden, auf den entsprechend reagiert werden kann. Andernfalls enden wir als bloßes Opfer der Angriffskampagnen anderer Staaten.” Heintschel von Heinegg warnt außerdem davor, sich auf Initiativen Russlands und Chinas einzulassen, Cyber-Operationen rechtlich zu ächten. Es handele sich dabei um nichts als eine Falle: Während Rechtsstaaten sich selbst die Hände binden würden, sei bei den bisher aktivsten Aggressoren im Cyber-Raum nicht von einer Kehrtwende auszugehen.

Die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts erschwere die Entwicklung von Sicherheitslösungen, sagte Dr. Christoph Erdmann, CEO von Secusmart, bei der Berliner Sicherheitskonferenz. Ebenso steige die Angriffsfläche aufgrund der Vernetzung von Geräten exponentiell an. Screenshot: BS

Geräte und Netzwerke schützen Den besten Schutz bietet ohnehin Prävention und da gibt es noch genügend Baustellen. Die derzeitige Ausrüstung entspreche in vielen Bereichen nicht der Einsatzrealität. Soldaten würden daher häufig private Endgeräte im Einsatz verwenden, sagt Marcel Taubert, Bereichsleiter Defence and Space bei der Secunet Security Networks AG. Ein Risiko, weil hier sensible Daten an den hohen technischen Sicherheitsvorkehrungen vorbei verarbeitet würden. An mobilen Geräten führt aber kein Weg vorbei. Gerade im Einsatz oder wenn sie von Entscheidungsträger(inne)n genutzt werden, muss Verlass auf die Sicherheit sein. K.C. Choi, Leitender Vizepräsident und Lei-

ter der Mobil-Sparte bei Samsung Electronics, ist überzeugt, dass besonderer Fokus auf die Lieferkette gesetzt werden muss – von den Zulieferern einzelner elektronischer Bauteile bis hin zu Service- und Wartungsdienstleistern. Das Sicherheitskonzept müsse vom Chip aufwärts bis zu den Applikationen greifen. Bei Samsung stelle man das durch die Sicherheitslösung Knox sicher, so Choi. Dabei werde jede Hardwarekomponente einzeln gesichert und besonders sensi­ble Daten würden an unterschiedlichen Orten isoliert und zweifach verschlüsselt. Letztlich müsse eng mit Expert(inn)en aus der Wissenschaft und den Behörden zusammengearbeitet werden, um Risiken, Bedarfe und technische Entwicklungen zusammenzubringen. Im Falle der Einführung von digitalen Ausweisen

auf dem Smartphone werde diese Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und dem Bundesinnenministerium (BMI) schon gelebt (mehr zum digitalen Ausweisen auf Seite 30). Die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts erschwere die Entwicklung von Sicherheitslösungen, gibt Dr. Christoph Erdmann, CEO von Secusmart, zu bedenken. Ebenso steige die Angriffsfläche aufgrund der Vernetzung von Geräten exponentiell an. Dadurch steige nicht nur die Anfälligkeit des Einzelnen, sondern von ganzen Netzwerken. Die Schwachstellen würden sich Hackergruppen zunutze machen. Insgesamt gebe es mindestens 800 gut finanzierte Gruppierungen weltweit und dies seien nur die, die man kenne, so Erdmann. Er fordert deshalb, dass Cyber-Sicherheit anders gedacht werden müsse. Hierzu gehöre eine permanente Authentifizierung etwa durch einen Fingerabdruckscan ebenso wie Zero-Trust-Lösungen, die jede Handlung zunächst als Gefahr beurteilen.

Technik ist nicht alles Letztlich sei es mit einzelnen technischen Maßnahmen allein nicht getan, sagt Generalleutnant Dr. Ansgar Rieks, stellvertretender Inspekteur der Luftwaffe. Vielmehr brauche es für nachhaltige Cyber-Resilienz eine klare Strategie und ein Bündel aus

Von Netzen und Netzwerken Die Zukunft der militärischen Kollaboration liegt in der Cloud (BS/stb/bk) Die Zukunft ist digital. Das gilt auch für den militärischen Bereich. Genau wie in anderen Sektoren, Branchen und Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens heißt das: Vieles landet auf dem Kopf, manches wird auch gänzlich in Frage gestellt. Technisch wird einiges zusammenrücken. Netzwerke, Plattformen und Ökosysteme entstehen, wo die Dinge vorher nebeneinanderher liefen. Das erfordert auch ein Umdenken. Neue Möglichkeiten der Kollaboration wollen ergriffen werden. zeitig schwelten auch besonders viele Konfliktherde – nicht zuletzt an den Grenzen und innerhalb der EU. “Um unsere demokratischen und freiheitlichen Werte in dieser Gemengelage zu schützen, muss Europa international sichtbarer werden und mehr Verantwortung übernehmen”, so Otten. Deutschland sollte dabei als zentraler Verteidigungs-Hub vorangehen. Ziel müsse eine bessere Vernetzung sein, um Wissen, Schlüsselfähigkeiten und Technologien synergetisch zu nutzen. “Noch sehen wir zu viel Egoismus, wo gemeinsame Ansätze und Netzwerke einen besseren Umgang mit Ressourcen versprechen.” Im ersten Schritt, so Otten, müssten notwendige militärische Fähigkeiten und Technologien gemeinsam definiert werden. Die Vergabe im Rüstungsbereich und für digitale Technologien müsse stringenter, effizienter und unter Vermeidung von Doppelbeschaffungen im europäischen Kontext organisiert werden. “Dabei muss auch echte

Im Fachforum zur Digitalisierung auf der BSC diskutierten unter der Leitung von Generalmajor Dr. Michael H. Färber, Kommandeur des Kommandos Informationstechnik der Bundeswehr, der Stv. Inspekteur Luftwaffe, Generalleutnant Dr. Ansgar Rieks, Stefan Hefter, Partner im Bereich Defence & Intelligence IBM, Brigadegeneral Frank Pieper, Chief Digital Officer des Deutschen Heeres, sowie Marcel Taubert, Leiter der Division Defence & Space der secunet Security Networks AG. Screenshot: BS

Chancengleichheit für kleine und mittlere Betriebe hergestellt werden.” Um besonders bei schnelllebigen digitalen Lösungen flexibel und handlungsfähig zu bleiben, sollte auf offene Architekturen mit standardisierten Schnittstel-

len gesetzt werden. So ließe sich ein Lock-in, also die Abhängigkeit von einem geschlossenen technischen Ökosystem eines Anbieters, verhindern. Marcel Taubert, Bereichsleiter Defence and Space bei der secu-

net Security Networks AG, geht noch weiter und fordert, offene Standards generell zur Pflicht zu machen. Anforderungen an Netzwerke für Kommunikation und Datenaustausch im militärischen Bereich seien auf der strategischen, taktischen und der operationalen Ebene zu betrachten. “Daten und Informationen müssen zwischen den Ebenen problemlos ausgetauscht werden können”, so Taubert. Was zunächst banal klinge, sei eine erhebliche technische Herausforderung. Allein auf der operationalen Ebene habe man es mit zahlreichen unterschiedlichen Kommunikationswegen und -standards zu tun, die noch dazu hoch mobil funktionieren müssten.

Wolken über dem Gefechtsfeld Diese Vorteile verspricht die Cloud – verstanden als dedizierte, eigenverantwortlich betriebene Infrastruktur. Die Vorteile zählt Stefan Hefter, Partner im Bereich

technischen und organisatorischen Maßnahmen, die Hand in Hand gingen. Um Ressourcen effizient einzusetzen, müsse am Anfang eine Risikobewertung stehen. Nicht nur für die Bedrohungen, sondern auch für die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen müsse man Bewertungskriterien entwickeln. Zertifizierungen von Sicherheitskonzepten und Zulassungen von Produkten zum Beispiel im Verschlusssachenbereich sind gute und wichtige Anhaltspunkte. Jedoch warnt Stefan Hefter, Partner im Bereich Defence & Intelligence bei IBM, davor, sich zu sehr auf solche Nachweise zu verlassen. “Das Zertifizierungswesen in der Cyber-Sicherheit spielt eine wichtige Rolle, ist aber sehr statisch ausgerichtet.” Im Wesentlichen werde nach Standardprozedere viel Papierarbeit geleistet, um Stempel zu erhalten. “Hier wäre ein deutlich praktischerer Ansatz wünschenswert, bei dem dynamisch und risikobasiert geprüft wird”, so Hefter.

Üben für den Ernstfall Auch Řehka, Direktor der tschechischen Cyber-Sicherheitsagentur, betont die Vielschichtigkeit der Herausforderung: “Cyber-Sicherheit ist kein rein technisches Problem, sondern viel komplexer. Organisatorische Fragen spielen ebenso eine Rolle wie politische, aber auch Fragen der digitalen Bildung und Sensibilität für das Thema”. Klar ist für Řehka hingegen, wo das Thema in den Behörden aufgehängt sein muss. “Es handelt sich in erster Linie um eine Führungsherausforderung. Wenn die Hausspitze die Risiken nicht ernst nimmt und Maßnahmen mitträgt, können Sie eigentlich nur verlieren.” CyberSicherheit sei ein Dauerthema, betonte Řehka, das permanent adressiert und weiterentwickelt werden müsse.

Defence & Intelligence bei IBM auf: “Es handelt sich um agile und dynamische Infrastrukturen, Betrieb und Service können on demand ausgelegt werden, die Wartung ist einfach und die Sicherheit übersteigt die bei einzeln betriebenen Systemen. Es gibt keinen Grund, nicht mit der Cloud zu arbeiten.” Folgerichtig formuliert Brigadegeneral Frank Pieper, Chief Digital Officer des Heeres: “Das Ziel ist ein voll ausgebautes Intranet für das Gefechtsfeld auf Basis der Cloud-Technologie.” Zukünftig werde man bei der sicheren Kommunikation im Einsatz nicht mehr nur an Hardware denken, sondern zunehmend in Netzwerken und Plattformen. Auch hier lautet die Forderung: Interoperabilität, gemeinsame Standards und Schnittstellen. Beispielhaft stellte Udo F. Littke einen Ansatz für einen “Digital Operation and Information Space” vor. Mit dem “Atos Trusted Service Mesh” soll eine ganzheitliche Verknüpfung zwischen verschiedenen Truppengattungen und Gruppen ermöglicht werden. Das Netz entwickele dazu ein digitalen Informationsraum und erstelle die Basis für eine netzwerkzentrierte Operation. Es befähige zu einer semi-automatischen Interaktion zwischen Aufklärung, Führung und der Front.


Berliner Sicherheitskonferenz

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Es geht nur gemeinsam

Vollmer. “Dies müssen wir üben, auch in Friedenszeiten.”

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ine Lösung, das Hochhalten der Fahnen der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, könne nur mit den Vereinigten Staaten von Amerika gefunden werden, betonte auch der Stv. tschechische Verteidigungsminister, Jan Havránek, bei der BSC. Die Welt stelle gerade neue Regeln auf. Während dieses Prozesses, der sich nicht nur auf den Cyber-Raum beschränke, “kann Europa nicht tatenlos zusehen”, betonte Havránek. Europa müsse durch die NATO handeln. “Die NATO ist die natürliche Plattform für diesen Prozess.” Eine ausgewogene Reaktion auf die kommenden und bestehenden Bedrohungen sei notwendig. Die EU konzentriere sich traditionell auf humanitäre Hilfe, die ebenfalls wichtig und notwendig sei, allerdings ebenso wenig allein zum Erfolg führen könne wie militärische Mittel. “Wir müssen weiterhin unsere Verteidigungsfähigkeiten verbessern”, betonte Havránek. Die USA verschöben notwendigerweise ihren Fokus Richtung Pazifik und erwarteten von den europäischen Staaten, zumindest eine grundlegende Sicherheit auf dem eigenen Kontinent selbstständig zu leisten. Die Verteidigungsbudgets seien hierfür zwar nicht der alleinige Maßstab, allerdings sei durchaus deutlich sichtbar, welche Länder Streitkräfte besäßen, die im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten gut ausgestattet seien, und welche nicht. Das zweite wichtige Kriterium sei die Bereitschaft zum Einsatz der Streitkräfte. Eine transatlantische Partnerschaft müsse eben auch eine Partnerschaft sein, in der Europa Verantwortung übernehme und die USA als starker Partner unterstütze.

D

ie Gefahr durch chemische, biologische, radiologische und nukleare (CBRN) Stoffe sei durchaus vorhanden, sagt Martin Schieffer, Referatsleiter der Abteilung für Anti-Terrorismus bei der Europäischen Kommission. Sie sei zwar relativ gering, dennoch zeige das Coronavirus die möglichen Konsequenzen von biologischen Waffen. Der EU-Beamte befürchtet, dass die Pandemie als Modell oder als Inspiration für Terroristen in der Zukunft dienen könnte. Das Problem bei der Abwehr von solchen Gefahren ist, dass kein EU-Mitgliedsstaat den CBRN-Bedrohungen alleine begegnen kann. Kooperation ist dringend geboten. In einem Aktionsplan möchte die EU den CBRN-Gefahren auf vier Wegen begegnen. Es sollen die Möglichkeiten, an CBRN-Material zu gelangen, durch rechtliche Rahmen, wie Verbote oder Meldepflichten, reduziert, die Kapazitäten zur Abwehr ausgebaut, das Wissen bzgl. der Risiken durch Europol und Forschungszen­ tren erweitert und eine robuste Vorbereitung der Einsatzkräfte gewährleistet werden. “Die Gefahr verändert sich ständig, deswegen müssen auch permanent die rechtlichen Vorgaben geprüft werden”, so Schieffer. Diese rechtlichen Vorgaben beträfen vor allem die Kompetenzen der beteiligten Stellen. Sicher sei zudem, dass ein sektorübergreifender Ansatz kaum zu ersetzen sei, sagt Schieffer.

Der notwendige Zusammenhalt wehrhafter Demokratien (BS/df) Es zog sich wie ein roter Faden durch die Berliner Sicherheitskonferenz (BSC): Die Machtverhältnisse der Welt sind in Bewegung. Dies führt zu neuen Akteuren, zu neuen Großmächten, für die der Humanismus und dessen Werte ebenso unwichtig sind wie die bisher in der internationalen Völkergemeinschaft verankerten Menschenrechte. mauert werden. “Wir müssen in die Partnerschaft mit den USA investieren”, forderte Orban. “Denn nur die transatlantische Partnerschaft erlaubt es uns, dass unsere Bevölkerungen nach unseren Werten leben können.”

Neue Rüstungskontrolle

In Friedenszeiten seien alle Abläufe zu etablieren und zu üben, um eine wirksame Abschreckung aufrechtzuerhalten, betonte General Jörg Vollmer, Commander Allied Joint Force Command Brunssum, bei der Berliner Sicherheitskonferenz. Nur die Abschreckung könne die Sicherheit der NATO garantieren. Screenshot: BS

“Wir müssen uns an eine neue Art, die Welt zu sehen, gewöhnen”, sagte Ludovic Orban, der bis Dezember 2020 Ministerpräsident Rumäniens war, auf der Berliner Sicherheitskonferenz. “Wir sehen eine Verschiebung Richtung Osten, Richtung Asien, bei gleichzeitig bleibender Bedrohung unserer östlichen Grenzen.” Die USA berücksichtigten diese neue Welt bereits in ihrer Ausrichtung. Auch Europa müsse sich auf die zukünftigen Herausforderungen einstellen, die sich aus dem Aufsteigen autoritärer Staaten, deren Möglichkeiten durch neue Technologien sowie die neuen Bedrohungen durch den Klimawandel ergäben. Dabei

seien die USA und Europa natürliche Partner. “Die USA und Europa betrachten die weltweiten sicherheitspolitischen Herausforderungen durch dieselbe Linse”, betonte Orban. “Für uns sind Demokratie und Menschenrechte die Kernelemente der Staaten.” Damit diese Werte erhalten bleiben und wirksam verteidigt werden könnten, seien Allianzen notwendig. “Beide Seiten des Atlantiks müssen sich auf neue Herausforderungen einstellen”, sagte Orban. “Aber auch diese Kooperation ist keine Selbstverständlichkeit.” Die gemeinsame Vision, das gemeinsame Werteverständnis müssten durch Handlungsbereitschaft unter-

Der tschechische Außenminister Jakub Kulhánek betonte die Bedeutung der Rüstungskontrolle. Diese sei ein wirksames Instrument zur Schaffung eines sicheren Umfelds, das allerdings zunehmend an Bedeutung verloren habe. Nicht nur Russland, auch die USA seien in den vergangenen Jahren aus wichtigen Rüstungskontrollverträgen ausgestiegen. Dies sei zwar bedauerlich, spiegele andererseits aber auch die aktuelle sicherheitspolitische Lage wider. Jene Verträge seien Dokumente der Weltordnung des Kalten Krieges mit seinen zwei sich gegenüberstehenden Blöcken. “China wächst, sowohl ökonomisch als auch militärisch. Waffenkontrollabkommen aus der bipolaren Welt verlieren daher an Bedeutung”, sagte Kulhánek. “Wir brauchen neue Rahmenwerke.” Diese neue Generation von Verträgen zur Rüstungskontrolle müsse neben der globalen Ausrichtung auch neue Technologien mit einbeziehen. Europa könne hierbei eine vermittelnde, aber auch eine fordernde Rolle spielen. “Unsere Stärke ist die Koopera-

tion”, betonte Kulhánek. “Wenn die EU mit einer Stimme spricht, werden wir zu einem Akteur, der international gehört wird.”

Abschreckung zur ­Verhinderung von Konflikten General Jörg Vollmer, Commander Allied Joint Force Command Brunssum, hob bei der Berliner Sicherheitskonferenz die Bedeutung der Schaffung von wirksamen Strukturen hervor. Nur wer sich im Frieden vorbereite, könne später im Konflikt bestehen. Oder den Konflikt durch eine wirksame Abschreckung verhindern. Russland besitze gegenüber der NATO und der EU mehrere Vorteile. “Sie haben eine Sprache, eine Doktrin, eine Standardisierung der Ausrüstung über alle Domänen und Fähigkeiten”, sagte General Vollmer. Um eine angemessene Abschreckung aufzubauen, die Aggressoren wirksam von Handlungen abhalte, müsse auch in der Allianz die Zusammenarbeit und Interoperabilität gestärkt werden. Es gelte, in Friedenszeiten Strukturen und Einheiten zu schaffen, die vom potenziellen Gegner als bedrohlich genug empfunden würden, um keinen Konflikt zu riskieren. Dazu gehört laut General Vollmer explizit die Verlegefähigkeit und Logistik. “Eine wirksame Abschreckung bedeutet die Fähigkeit zur Verlegung einsatzbereiter Truppen”, betonte General

Bündelung von ziviler und militärischer Expertise zielführend Lehren aus der Corona-Pandemie (BS/Bennet Klawon) Für jeden Bereich des Staates hat die Corona-Pandemie ganz eigene Lehren mit sich gebracht. Während sie der zivilen Verwaltung den Digitalisierungsrückstand, dem öffentlichen Gesundheitswesen die personellen Defizite und dem Katastrophenschutz die Wichtigkeit von weiteren Vorhaltungen aufgezeigt hat, zeigte das Coronavirus eine weitere Facette zu Fähigkeitsbildung der Streitkräfte. Besonders im Rahmen der Abwehr von biologischen Gefahren besteht Verbesserungspotenzial. Dem stimmt Generalleutnant Jürgen Weigt, stellvertretender Inspekteur des Kommandos Streitkräftebasis (SKB), zu. Die Corona-Pandemie hätte gezeigt, wie wichtig ein gemeinsamer, ganzheitlicher Ansatz zum Schutz der Bevölkerung sei. Dieser Schutz sei jedoch sehr kostenintensiv und benötige umfangreiche Expertise. Doch um die vorhandenen Fähigkeiten abrufen zu können, zeigten sich in der Corona-Pandemie die fehlenden rechtlichen Vorgaben. Als besonders fruchtbaren Anstoß für die zivil-militärische Zusammenarbeit sieht deshalb Oberst Klaus Werner Schiff, Kommandeur des ABC-Abwehrkommandos der Bundeswehr, den Aufbau eines gemeinsamen Kompetenzzentrums mit allen relevanten Interessenpartnern in Bund, Ländern und Hilfsorganisationen des Katastrophenschutzes beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Wichtig sei es, voneinander zu lernen, so Schiff. CBRN-Gefahren seien vor allem eine taktische Herausforderung, die nicht nur durch das Militär wahrgenommen werden könne. Die Quittung der fehlenden ge-

meinsamen Übung der CBRN-Abwehr habe man in der Corona-Krise bekommen. Bei Übungen hätte die militärische Seite in Tschechien die zivilen Partner häufig nicht miteinbezogen, berichtet Oberst David Martínek, Direktor des Joint Chemical, Biological, Radiological and Nuclear (JCBRN) Defence Centre of Excellence. Denn beide Seiten hätten unterschiedliche Herangehensweisen. Durch die Pandemie sei klar geworden, dass die Interoperabilität entscheidend sei.

Vom ganzheitlichen zum gesamtgesellschaftlichen Ansatz Einen Schritt weiter möchte Prof. Dr. Frank Sabath, Direktor des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Schutztechnologien (WIS), gehen. “Ein umfassender Ansatz darf nicht nur rein staatlich sein, sondern es muss ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz sein”, so Sabath. Es müssten neben den zivilen und militärischen Stellen die Wirtschaft und die Forschung stärker eingebunden werden. Die Zusammenarbeit sei für die Entwicklung von Standards und für die Befriedigung der Bedürfnisse der Anwender wichtig. “Gegen-

seitiges Verstehen der Prozesse ist kritisch für die Zusammenarbeit”, betont Sabath. Christopher Frech, Senior Vice President Global Government Affairs von Emergent Biosolutions, sieht den Staat dabei in der Pflicht. Denn häufig seien die gewünschten Produkte schon vorhanden.

Sicherheit nicht immer ­gegeben Auf der größeren Skala sei die Corona-Pandemie ein später Weckruf gewesen, sagt Prof. Dr. Rainer Bernnat, Senior Partner and Managing Director PwC Strategy& (Germany) GmbH. Sowohl die horizontale als auch die vertikale Integration bei der Gefahrenabwehr seien unzureichend. Trotz der Lükex 2007, die eine Influenza-Pandemie simuliert habe und bei der die vermuteten Auswirkungen denen der Corona-Pandemie erschreckend nahe gekommen seien, sei man nicht vorbereitet gewesen. Die Kollaboration auf EU-Ebene müsse verstärkt werden, um in Zukunft vorbereitet zu sein, fordert Bernnat. Welche Probleme es auf europäischer Ebene gibt, zeigt Generalma-

jor Andreas Schick, Kommandeur des Europäischen Lufttransportkommandos (EATC), auf. “Unsere größte Sorge waren nicht die Lieferungen von Persönlicher Schutz­ ausrüstung (PSA), sondern die gleichzeitige Unterstützung der Truppen im Feld”, so Schick. Es sei schwierig, die richtige Balance zwischen den Aufgaben zu finden. Ein besonderes Problem stellen bei den multinationalen Operationen die unterschiedlichen Reglungen und Eindämmungsmaßnahmen zur Einreise in/aus verschiedenen Staaten, die Quarantäneanordnungen, dar. Diese Maßnahmen hätten erst mal selbst beim EATC harmonisiert werden müssen. Diese einseitigen Regeln müssten beim nächsten Mal verhindert oder anderweitig gelöst werden, da sie das Handeln erheblich behinderten.

Es geht nur solidarisch Trotz aller Warnungen, die in der Risikoanalyse von 2012 formuliert worden seien, habe die Pandemie die Verantwortlichen überrascht. Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis (SKB), sieht das Problem in der Fehlinterpretation der Eintritts-

Sicherheit vor Unterdrückung Die Forderungen an Europa – und auch Deutschland als wirtschaftlich und bevölkerungsreichste Nation im Herzen des Kontinents – waren deutlich: Es muss seine Mittel einsetzen, um sich gegen Angreifer auf das Gebiet, die Freiheit und die Werteunion wehren zu können. Diese Verteidigung können keine humanitären Hilfskräfte übernehmen. Und diese Verteidigung können nicht die Vereinigten Staaten von Amerika alleine stemmen. Die USA erwarten in der EU und den europäischen Nationen in der NATO starke Partner, die auf sich gestellt die Erstverteidigung und Abschreckung potenzieller Aggressoren in Europa übernehmen. Damit die USA den Rücken frei haben, um in der pazifischen Region die Freiheit und Sicherheit der Meere und der kleineren Staaten zu ermöglichen. Das wäre eine transatlantische Partnerschaft, die mittlerweile nicht nur von den USA, sondern auch von den osteuropäischen Nationen – die sich besser an die Folgen von Unterdrückung erinnern können – eingefordert wird. “Osteuropa ist bereit, zu liefern”, war dementsprechend eine der wichtigsten Botschaften der BSC. Und das westliche Europa stünde ebenfalls in der Pflicht, zu liefern. Dies wird nicht nur von den USA erwartet. Die transatlantische Partnerschaft gilt es, mit Leben, mit Ausrüstung und mit der Bereitschaft zum Einsatz zu untermauern. Denn Europa kann nicht ohne die USA, die USA nur kostenintensiv ohne Europa überleben.

wahrscheinlichkeit einer Pandemie. Ein solches Ereignis tritt laut Analyse einmal alle hundert Jahre ein. Bei dieser geringen Wahrscheinlichkeit hätte sich die Politik mit vermeintlich drängenderen Problemen beschäftigt, so Schelleis. Dabei sei die Corona-Pandemie nicht nur ein medizinisches Problem. Während der pandemischen Lage sei keine 360-GradVerteidigung Europas. Er sieht zwei Gründe dafür. Erstens seien durch die “helfenden Hände” der Soldatinnen und Soldaten, die beispielsweise Amtshilfe in den Gesundheitsämtern oder den Pflegeheimen geleistet hätten, viele Ressourcen der Streitkräfte gebunden gewesen. Im Falle eines weiteren Auftrags, beispielsweise des Bündnisfalls, hätten diese Kräfte dann gefehlt. Hier sieht Schelleis die zivile Ebene in der Pflicht, mehr (personelle) Kapazitäten aufzubauen. Als zweites Problem sieht der Inspekteur den Reflex, bei Krisen zunächst nur national zu handeln und zu denken. So gerieten die Bündnispartner schnell aus dem Blick. Bei fehlender Unterstützung durch die Partner würden die Lücken von anderen Staaten schnell, wenn auch nur symbolisch, gefüllt. So geschehen im Frühjahr 2020 in Italien, als Deutschland, anders als Russland, dort keine Unterstützung geleistet habe. Dies sei strategisch ein Fehler gewesen. Als weitere Lehre fordert Schelleis: “Wir müssen solidarischer sein.”


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Juni 2021

Der neue Seefernaufklärer der Bundeswehr

MELDUNGEN

IT-Leistungen, Bekleidung, Bodenradare und Tankcontainer (BS/df) Am 19. Mai gab der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die Mittel für vier Bundeswehr-Beschaffungen frei. Für rund 2,2 Milliarden Euro wird der Vertrag mit der BWI um weitere Services erweitert. Dazu gehören beispielsweise die Bereitstellung einer Private Cloud für die Bundeswehr oder weitere Möglichkeiten für mobiles Arbeiten. Zudem soll mit dem Geld die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr ausgebaut werden. Diese Ausweitung der IT-Leistungen wird durch das Konjunktur-, Krisenbewältigungs- und Zukunftspaket der Bundesregierung ermöglicht. 95 Millionen Euro sind für die Bekleidung und persönliche Ausrüstung vorgesehen. “Diese Erweiterung beinhaltet etliche Artikelsegmente, beispielsweise Kampfrucksäcke und Brandschutzbekleidung”, beschreibt

die Bundeswehr. Neue Bodenradargeräte zur Aufklärung und Überwachung großer Räume kann die Bundeswehr nun für rund 36 Millionen Euro beschaffen. Mit dem Bodengebundenen Aufklärungs- und Raumüberwachungssystem (BARÜ) erhält das Heer die Fähigkeit, bei Tag, bei Nacht und auch unter ungünstigen Wetterbedingungen große Räume aufzuklären und zu überwachen. Die neuen Systeme sollen die bisher genutzten Bodenradargeräte ersetzen. Beim vierten bewilligten Vorhaben kann die Bundeswehr für rund 29 Millionen Euro bis zu 200 Container ISO 20 Fuß, Kraftstoff neun Kubikmeter (TCK 9) in den nächsten sieben Jahren beschaffen. Die Tankcontainer dienen zur weltweiten Versorgung mit Kraftstoffen in urbanem und schwer zugänglichem Gelände. Die ersten TCK 9 sollen bereits bei der VJTF 2023 eingesetzt werden.

SINA Workstations für die VJTF (BS/df) Um bei der VJTF nachweislich sicher Daten bearbeiten zu können, hat die Bundeswehr das Unternehmen secunet mit der Lieferung einer größeren Anzahl von SINA-Komponenten beauftragt. Mit diesen Systemen lassen sich eingestufte Daten übermitteln, bearbeiten und speichern.Die Auftragssumme beläuft sich auf einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag, ausgeliefert wird bis Ende 2021. Der Auftrag umfasst mehrere hundert Exemplare der leistungsstarken SINA Workstation H R, die auf einem gehärteten Notebook basiert und für den mobilen Einsatz unter besonders rauen Betriebsbedingungen ausgelegt

ist. Die zugrundeliegende Hardwareplattform ist insbesondere gegen Schock, Vibration, Staub und Feuchtigkeit geschützt und kann auch bei extremen Temperaturen betrieben werden. Da­ rüber hinaus liefert secunet eine größere Anzahl Exemplare der hochsicheren Netzwerkkomponente SINA L3 Box H. Die "Sichere Inter-Netzwerk Architektur" SINA ist eine Hochsicherheitslösung, die das Unternehmen secunet im Auftrag des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) entwickelt hat. Bei Behörden und Streitkräften ist SINA im In- und Ausland seit vielen Jahren erfolgreich im Einsatz.

Neue Fähigkeiten für die Sidewinder (BS/df) Der neue deutsche Lenkflugkörper Laser Guided Sidewinder (LaGS) hat bei einer Schießkampagne in Schweden alle Ziele erfolgreich bekämpft. Die von einer Saab Gripen JAS 39 verschossenen, Laser-gelenkten Flugkörper trafen sowohl das stationäre Bodenziel als auch die zwei bewegten Ziele – eine auf einem Anhänger gezogene zwei x drei Meter große Zieltafel sowie einen fahrenden Geländewagen (SUV). Alle Ziele konnten mit einem Direkttreffer

erfolgreich bekämpft werden. Beim LaGS handelt es sich um modernisierte AIM-9L-Sidewinder, die nun statt Bedrohungen aus der Luft Ziele am Boden bekämpfen. Dazu wurde die Lenk- und Steuereinheit des Flugkörpers grundlegend modernisiert. Infrarot-Detektor und Signalverarbeitung des bisherigen Suchkopfs wurden gegen einen SAL(Semi Active Laser)-Sensor mit moderner digitaler Signalverarbeitung ausgetauscht.

50 Jahre Schützenpanzer Marder (BS/df) Der Schützenpanzer Marder feierte im Mai sein 50-jähriges Jubiläum: Am 7. Mai 1971 übernahm das Deutsche Heer die ersten Serienfahrzeuge in die Nutzung. Dies geschah mit zeitgleichen Zeremonien in Kassel und Kiel – wo die ursprünglichen Herstellerfirmen, Thyssen-Henschel und Krupp MaK, ihre Sitze hatten. Beide Firmen gehören seit 1999 bzw. 2001 zu Rheinmetall. Bei der Konzeption des Schützenpanzers stand die Landesverteidigung in Mitteleuropa im Mittelpunkt. Der Marder sollte im Verbund mit dem Kampfpanzer Leopard 1 wesentlich zur beweglichen Gefechtsführung des Heeres beitragen. Im Kalten Krieg kam der Schützenpanzer Marder lediglich bei der Ausbildung und in groß angelegten Manövern zum Einsatz, welche aber die glaubhafte Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland unterstrichen. Unterdessen befindet sich schon lange kein Leopard 1 mehr bei der Bundeswehr in Nutzung, gleiches gilt für andere militärgeschichtliche Zeitgenossen. Der Marder hingegen musste sich in den 50 Jahren auch in Auslandsein-

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sätzen bewähren, darunter im Kosovo oder Afghanistan. Als Bestandteil der Quick Reaction Force stand er in den Räumen von Kunduz und Mazar-e Sharif im Feuergefecht. Bis heute dient der Marder in den deutschen Streitkräften. Neben Deutschland nutzen ihn auch Chile, Indonesien und Jordanien. Allerdings entspricht der heutige Marder nicht mehr jenen von vor 50 Jahren. In den vergangenen Jahren wurden verschiedenste Maßnahmen zur Kampfwertsteigerung und Nutzungsdauerverlängerung eines Teils der deutschen MarderFlotte durchgeführt, wie etwa die Einrüstung von Kampfraumkühlanlagen, neuen Sichtmitteln für Fahrer, Richtschütze und Kommandanten, die Integration des Mehrrollenfähigen Leichten Lenkflugkörpersystems MELLS und eines neuen Antriebsstranges. Noch ist die Ära Marder also nicht vorbei. Mit den Maßnahmen zur Nutzungsdauerverlängerung soll der Schützenpanzer Marder voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahrzehnts weiter in der Bundeswehr betrieben werden können.

Die Fähigkeiten der P-8A Poseidon (BS/Dorothee Frank) Das BMVg hat sich für die P-8A Poseidon als Nachfolger der veralteten P-3C Orion Seefernaufklärer entschieden. Dies geht aus einer Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Silberhorn auf die Frage von MdB Christian Sauter (FDP) hervor. Der Vertrag soll noch in diesem Jahr unterzeichnet werden. Silberhorn äußerte sich zu dem französischen Angebot, modernisierte Atlantique 2 als Ersatz zu kaufen, wie folgt: “Die Anzahl und der erwartete Klarstand der angebotenen Luftfahrzeuge werden die Anforderungen potenzieller zukünftiger Einsatzverpflichtungen sowie die Bedarfe zur Regeneration von Besatzungen und zur Durchführung von Übungs- und Aufklärungsflügen absehbar nicht abdecken können.” Demnach bleibt nur noch das amerikanische Angebot, vorerst fünf P-8A Poseidon plus weiteres Material, Logistik und Schulung für 1,77 Milliarden US-Dollar. Silberhorn sagte weiter: “Die Entscheidung über eine Interimslösung soll vorzugsweise noch in dieser Legislaturperiode getroffen werden.” Zudem antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FPD-Fraktion (Drucksache 19/28697): “Die erforderlichen Fähigkeiten des Waffensystems P-8A Poseidon von Boeing entsprechen grundsätzlich denen der P-3C Orion. Ausschließlich das Waffensystem P-8A Poseidon könnte bei Abschluss eines Foreign-Military-Sales-Vertrages vor der Sommerpause des Jahres 2021 einen bruchfreien und zeitgerechten Fähigkeitsübergang sicherstellen. Die Möglichkeit des Betriebs für einen Interimszeitraum im Gesamtsystem der Bundeswehr unter Nutzung der vorhandenen Infrastruktur des Stützpunktes in Nordholz wäre gegeben.” Die Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Verteidigungsausschusses, MdB Gisela Manderla (CDU), bestätigte bei einem Vortrag bei der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT), dass noch in diesem Jahr der Vertragsschluss zum neuen Seefernaufklärer geplant sei. Dieser Vertrag ist auch dringend notwendig, da aktuell vier der acht P-3C Orion wegen nicht wirtschaftlich zu reparierender Schäden und/oder des Verlustes der Verkehrszulassung aufgrund einer dafür erforderlichen unrentablen Instandsetzung nicht weiter betreibbar sind. Die Bundesregierung sagte in ihrer Antwort voraus: “Ab dem Jahr 2023 werden voraussichtlich noch zwei Flugzeuge nutzbar sein.” Diese allerdings nicht immer. “Die arbeitstägliche Verfügbarkeit für den Flugbetrieb wird im statistischen Mittel voraussichtlich unter 50 Prozent liegen.” Anfang dieses Jahres war zwischenzeitlich keine einzige P-3C Orion flugbereit, weshalb Deutschland seinen internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen konnte.

Fähigkeiten der ­Seefernaufklärer Hauptsächlich tragen die deutschen Seefernaufklärer aktuell in Einsätzen – wie IRINI oder davor ATALANTA – zum Überwasserlagebild bei. Die besondere Fähigkeit ist allerdings die Suche nach U-Booten. “Dazu sind spezielle Sensoren erforderlich, ein hochleistungsfähiges Radar, aber auch Sonarbojen”, beschrieb Fregattenkapitän Stephan von Hanneken, Kommandeur der Fliegenden Gruppe des Marinegeschwaders 3 “Graf Zeppelin”, im Podcast Voices of Defence dem Behörden Spiegel. Die Auswertung der Meldungen aller Sensoren, inklusive Sonarbojen, findet direkt im Flugzeug statt. Diese Fähigkeiten der Seefernaufklärer sind einmalig. Der Vorsitzende Marine im Deutschen Bundeswehrverband (DBwV), Fregattenkapitän Marco Thiele, erläuterte in einem Be-

Die P-8A Poseidon fliegt seit 2013 für die U.S. Navy weltweit Einsätze. In Europa ist der Seefernaufklärer bereits im Dienst der britischen Streitkräfte. Norwegen hat einen Vertrag über fünf Flugzeuge gezeichnet, die zwischen 2022 und 2023 geliefert werden sollen. Foto: BS/Boeing

richt beim DBwV: “Neben den Optionen der weitreichenden und zeitlich lang durchführbaren Seefernaufklärung – wie wir sie in ATALANTA und IRINI regelmäßig durchführen – können die P-3C Orion noch mehr. Da ist vor allem die Fähigkeit zur U-Boot-Jagd zu nennen. Gerade in Zeiten, in denen das Thema Landes- und Bündnisverteidigung wieder mehr in den Fokus rückt, ist diese Option extrem wichtig. Im Übrigen ist Deutschland mit dieser Fähigkeit auch im Bündnis eine der wenigen verbliebenen Nationen, die im Nordflankenraum genau dazu in der Lage ist. Soll heißen, unsere Nachbarn verlassen sich darauf! Nicht zu vergessen ist die Möglichkeit, Seefernaufklärer als SAR-Mittel (Search and Rescue) zweiten Grades einzusetzen. Mit der langen Stehzeit und den optronischen Aufklärungsmitteln ist der Beitrag zur Suche auf See nicht unerheblich.”

Einsätze der U.S. Navy Alle diese Fähigkeiten zeigt die P-8A Poseidon bereits bei der U.S. Navy. Die Bedingungen und Anforderungen, aufgrund derer die U.S. Navy 2013 die neuen Seefernaufklärer in Dienst stellte, waren zudem fast identisch mit denen Deutschlands. “Die P-8A Poseidon wurde entwickelt, um die Zukunft der U.S. Navy im Bereich der Seefernaufklärung zu sichern”, beschreibt die amerikanische Marine. “Sie hat die Art und Weise verändert, wie die Seefernaufklärungskräfte der Navy eingesetzt und ausgebildet werden, wie sie arbeiten und wie sie in den Einsatz gehen. Die P-8A Poseidon wird in einem kostengünstigen und effizienten Inline-Montageverfahren gebaut und nach der Endmontage mit den notwendigen militärischen Modifikationen versehen. Die P-8A bietet Gemeinsamkeiten mit der 737-Flotte und anderen militärischen Plattformen, die die 737-Zelle verwenden. Gemeinsamkeiten bei Ersatzteilen und der Ausbildung der Besatzungen senken die Kosten und ermöglichen es den militärischen Betreibern, weltweit existierende Unterstützungsleistungen zu nutzen.” Von der zugrunde liegenden Boeing 737-800 wurden bereits rund 5.000 Stück produziert. Sie bilden unter anderem die Basisflotte von Ryanair. Aktuell gibt es 737 Reparaturfacilities weltweit, Tendenz steigend. Die P-8A Poseidon besitzt weitere Vorteile, so kann sie über zehn Stunden ohne Auftanken fliegen. Sie hat eine Reichweite von über 4.000 Seemeilen (rund 7.400 km), kann eine Payload von über neun Tonnen tragen und besitzt über 100 Antennenanlagen. In der U.S. Navy kann sie zur U-Jagd vier Harpoon-Seezielflugkörper, fünf MK-54-Torpedos

und 129 Sonarbojen mitführen und einsetzen.

Angebot an Deutschland Im März dieses Jahres hatten die USA bereits grünes Licht für den Verkauf von Seefernaufklärern an Deutschland gegeben. “Das Außenministerium hat einen Beschluss gefasst, der einen möglichen Verkauf von P-8A Flugzeugen und dazugehörender Unterstützung sowie Ausrüstung an die deutsche Regierung zum geschätzten Preis von 1,77 Milliarden U.S. Dollar genehmigt”, teilte die Defense Security Cooperation Agency am 12. März 2021 mit. “Der vorgeschlagene Verkauf wird die Außenpolitik und die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten unterstützen, indem er die Sicherheit eines NATOVerbündeten verbessert, der eine wichtige Größe für die politische und wirtschaftliche Stabilität in Europa ist. Der vorgeschlagene Verkauf wird die Möglichkeiten Deutschlands verbessern, aktuellen und zukünftigen Bedrohungen zu begegnen, indem er entscheidende Fähigkeiten für maritime Operationen der Koalition bereitstellt.” Dieses durch Deutschland angefragte und durch die USA bewilligte Angebot deckt zwar nach neuesten Erkenntnissen nicht den Bedarf, da nur fünf enthalten sind, die Bundeswehr allerdings mindestens sechs, besser noch acht Flugzeuge benötigt, um absehbar allen Verpflichtungen zur Landes- und Bündnisverteidigung nachkommen zu können. Allerdings wird die amerikanische Rüstungskon­ trolle kaum den Verkauf weiterer P-8A Poseidon an Deutschland

fare (ASW) hätte erhebliche Auswirkungen auf die weiträumige und schnelle ASW-Fähigkeit der Marine und würde sich negativ auf die Bereitstellung von Fähigkeiten im europäischen Teil der NATO auswirken. Luftgestützte Fähigkeitsträger, insbesondere MPA (Seefernaufklärer und UBoot-Jäger) wie die P-3C Orion, nehmen mit ihrer großen Reichweite sowie ihren Aufklärungsund Bekämpfungsmöglichkeiten unter Wasser eine zentrale Rolle im Verbund des Unterwasserseekriegs ein. Die Seeraumüberwachung, als wesentliche Grundlage militärischen Handelns auf See, könnte nicht mehr in der bisherigen Qualität und Ausprägung sichergestellt werden. Bei einem Verlust der flugzeugbasierten ASW- und ASuW-Fähigkeiten sowie der Fähigkeit zur weiträumigen maritimen Lagebilderstellung verlöre die Marine nicht nur ihre materielle Befähigung, sondern auch das über viele Jahre erworbene Spezialwissen, das für einen Übergang zum verzugslosen Flug- und Einsatzbetrieb des zukünftigen, im Rahmen der deutsch-französischen Kooperation projektierten Waffensystems Maritime Airborne Warfare System (MAWS) unverzichtbar ist. Darüber hinaus sind die Fähigkeiten der P-3C Orion im NATO-Rahmen knappe Ressourcen, die nur durch wenige Partnernationen bereitgestellt werden und dadurch auch in der Fähigkeitsentwicklung der NATO eine hohe Priorität besitzen. Insofern verlöre Deutschland eine gegenüber der NATO angezeigte Kernfähigkeit in einem innerhalb der NATO ohnehin bereits defizitären Bereich.” Diesen Fähigkeitsverlust könnte Deutschland gegenüber der NATO – und besonders den USA – nur sehr schwer begründen. Durch den Kauf der P-8A Poseidon ergeben sich zudem neue bzw. alte Kooperationsmöglichkeiten. “Im Rahmen der Materialversorgung konnte für die P-3C Orion eine Kooperation mit Norwegen etabliert werden”, erläuterte die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP (Drucksache 19/28697). “Aufgrund der im Jahr 2016 durch Norwegen getroffenen Entscheidung, die P-3C Orion durch die Boeing P-8A zu ersetzen, wurde die Kooperation nicht weiter vertieft.” Diese Kooperation ließe sich nun wieder aufnehmen, ebenso

Arbeitsplätze in einer P-8A Poseidon der U.S. Navy

verweigern, dient es doch auch den amerikanischen Interessen, wenn Europa Kapazitäten in die NATO einbringt.

Signal Richtung USA und NATO Zudem könnten die fünf Seefernaufklärer zeitnah zulaufen, was dringend notwendig ist. So betont die Bundesregierung: “Ein Wegfall des deutschen Beitrags zur luftgestützten Fähigkeit in den Bereichen Anti Submarine War-

Foto: BS/Boeing

wie eine erweiterte Zusammenarbeit mit den USA sowie das Bereitstellen der im Bündnis nur knapp vorhandenen Fähigkeiten der Seefernaufklärer zur Überwachung und U-Jagd für die NATO. Deutschland kann somit eine wichtige Botschaft senden, zumindest wenn der anvisierte Zeitplan eingehalten und der Vertrag tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode geschlossen wird.


Wehrtechnik

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Behörden Spiegel / Juni 2021

Präzision für die Artillerie

MELDUNGEN

Modernisierung der Panzerhaubitze 2000

Autonomes und bewaffnetes AUSV der Türkei

(BS/Dorothee Frank) Die Ende der 90er eingeführte Panzerhaubitze 2000 (PzH 2000) gehört zu den modernsten Artilleriesystemen der Welt. Zu den Besonderheiten zählen der Schutz, die hohe Reichweite und Präzision sowie das Multiple-Round-Simultaneous-Impact(MRSI)-Verfahren, wodurch die PzH 2000 fünf Schuss abfeuern kann, die dann zeitgleich im Ziel aufschlagen. Dennoch ist eine Modernisierung notwendig, da auch bei der Panzerhaubitze 2000 zum Großteil analoge Technik verwendet wurde. Diese analoge Technik resultierte weniger aus einem Mindervermögen der damaligen Industrie als vielmehr aus dem Misstrauen der damals bei der Bundeswehr verantwortlichen Personen gegenüber digitalen Lösungen. Analog war erprobt, digital konnte neue Risiken bringen. Im Gefecht muss alles zuverlässig sein, also wurde analog gefordert. Diese analoge Technik befindet sich natürlich auch in den Exportversionen der PzH 2000, wodurch sich nun das Paradoxon ergibt, dass eines der modernsten Artilleriegeschütze mit veralteter Technik fährt. Allerdings fährt auch niemand außer dem Militär mehr mit solcher Technik, was wiederum zu einer sogenannten Obsoleszenzproblematik führt: Ersatzteile sind nur schwer und/oder teuer zu erhalten, die Firmen existieren zum Teil gar nicht mehr oder gehören zu anderen Unternehmen, diese speziellen Produkte werden nicht mehr in Serie gefertigt etc. pp. Auch neue Systeme, zum Beispiel Sensoren, können in so einem Fall nicht einfach “von der Stange” gekauft werden, weil sie eine digitale Anbindung erfordern. In das digitalisierte Gefechtsfeld lassen sich solche Systeme gar nicht erst in der notwendigen Datendichte einbinden. Schließlich reicht es bei Weitem nicht aus, dass in einem Battle-Management-System die PzH 2000 als Punkt auftaucht. Es gehörten auch der Munitionsstand, Kraftstoffvorrat und eventuelle Beschädigungen dazu, um nur einige Beispiele zu nennen.

Deutsch-niederländische Modernisierung Mit dieser Problematik steht Deutschland allerdings nicht alleine dar, es ist ebenso wenig ein Merkmal der Panzerhaubitze 2000. Damit das deutsche System seine Fähigkeiten voll ausschöpfen kann – und die Wartung zudem nicht immer teurer wird –, sind Anpassungen notwendig. Deutschland und die Niederlande haben hierfür eine Vereinbarung zur Modernisierung der PzH 2000 gezeichnet. Der Vertragshalter ist Deutschland, die Kosten für die Entwicklungsleistungen wer-

den Großteil des Fluges mittels GPS und schaltet erst im Endanflug auf die Laserzielerfassung (SAL-Modus) um. Bei reiner GPSSteuerung sinkt allerdings die Präzision auf jene von normaler GPS-Munition und auch die Missionsabbruchfähigkeit ist nicht mehr gegeben. Ob die Vulcano rein mit GPS oder GPS/SAL ins Ziel gelangen soll, wird vor Verschuss durch die Einsatztruppe vorgegeben.

Gemeinsame Nutzung Eine Panzerhaubitze 2000 wird während des Afghanistan-Einsatzes auf dem Flughafen Mazar-e Sharif in eine Antonov verladen. Foto: BS/Bundeswehr, Schmidt

den jeweils zur Hälfte getragen. Hierdurch sollen 121 deutsche und 25 niederländische Panzerhaubitzen modernisiert werden. “Die gemeinsame Herausforderung ist die Obsoleszenzproblematik und die mangelnde Versorgbarkeit der elektronischen Komponenten”, erläuterte eine Sprecherin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) gegenüber dem Behörden Spiegel. “Viele der mittlerweile veralteten analogen Bauteile sind nicht einfach durch moderne, meist digitale Komponenten austauschbar. Die Digitalisierung bedingt die umfangreiche Entwicklung eines neuen Elektronikkonzeptes. Hierdurch wird auch eine zukünftige Aufwuchsfähigkeit sichergestellt. Sollten in Zukunft die veralteten Periskope durch neue, optronische Periskope ausgetauscht werden, so kann z. B. jedes Besatzungsmitglied die Bilddaten auf dem jeweiligen Monitor dargestellt bekommen.” Diese größeren Eingriffe sollen gleichzeitig für die Entwicklung und Einrüstung einer Klimatisierungs- und einer Energieversorgungsanlage genutzt werden, damit die PzH 2000 auch unter schwierigen Umweltbedingungen einsetzbar ist.

Präzisionsmunition großer Reichweite Die Modernisierung ist zudem die Voraussetzung zur Nutzung der neuen Lenkmunition Vulcano, die von Diehl Defence in

Zusammenarbeit mit Leonardo (OTO Melara) entwickelt wurde. Die Panzerhaubitze 2000 hat bereits eine Reichweite von etwas über 30 km, mit der Vulcano wird sich dies auf rund 80 km erhöhen. Das Besondere an Vulcano ist allerdings nicht die Reichweite, sondern die Präzision. Während konventionelle Artilleriegeschosse nur in einem Bereich von 200 bis 300 Metern um ein Ziel einschlagen und GPSgestützte Munition in einem Bereich von 30 x 30 Metern (weiche Punktziele) wirkt, trifft Vulcano tatsächlich punktgenau. Vulcano erreicht die höhere Präzision mit der Laserzielerfassung. Hierfür markiert (beleuchtet) ein Joint Fire Support Team (JFST) das Ziel. Die Vulcano trifft dann die Zielmarkierung, in bisherigen Tests punktgenau. Der Vorteil der Laserzielerfassung ist die große Präzision, die Erfüllung der Vorgabe von “Keep Eyes On Target” und die Missionsabbruchfähigkeit. Der Nachteil liegt darin, dass das JFST in der Endanflugphase einen durchgehenden Sichtkontakt zum Ziel haben muss. Mit der Vulcano lassen sich sowohl stationäre als auch bewegte Ziele bekämpfen, wobei Letzteres von der durchgehenden Markierung durch das Beleuchterteam als auch der Geschwindigkeit des Zieles abhängt. Sollte die Markierung des Zieles durch ein Joint Fire Support Team nicht möglich sein, kann die Vulcano auch rein GPS-gelenkt ins Ziel gelangen. Schließlich steuert die Vulcano

Nicht nur Deutschland will mit der Panzerhaubitze präzise gegen Punktziele (10 x 10 Meter) wirken können. Dementsprechend befindet sich notwendige Anpassung der Panzerhaubitze 2000 an die Lenkmunition ebenfalls in der gemeinsamen Modernisierungsvereinbarung. Welche Anpassungen genau notwendig sind, damit die deutschen Streitkräfte Vulcano nutzen können, beschreibt eine Sprecherin des BAAINBw gegenüber dem Behörden Spiegel: “Dies macht Umbaumaßnahmen notwendig, da die Munition länger als die bisher verwendete Standardmunition ist. Diese Erweiterung auf 1.000 mm lange Munition ist auch für die Niederlande interessant, da zukünftige reichweitengesteigerte und gelenkte Munition in der Regel eine Erhöhung der Gesamtlänge des Geschosses erfordert.” Die Niederlande hatten 2018 die Präzisionsmunition Excalibur von Raytheon für ihre Panzerhaubitzen 2000 beschafft, diese besitzt eine Reichweite von rund 50 km. Somit könnten die Niederlande tatsächlich in der Zukunft Interesse an weitreichender Munition besitzen.

Zeitplan Mit der Modernisierung wird die Bundeswehr tatsächlich eines der modernsten und aufwuchsfähigsten Artilleriesysteme der Welt erhalten. Zum Zeitplan sagte die Sprecherin des BAAINBw: “Die genannten Maßnahmen sind eng untereinander verknüpft und bedürfen in der Umsetzung zunächst eines hohen Entwicklungs- und Anpassungsanteiles. Mit der stufenweisen Einrüstung soll ab 2025 begonnen werden.”

Neuer Challenger 3 Modernisierung der britischen Kampfpanzer (BS/df) Großbritannien gab Anfang Mai die Modernisierung von 148 seiner Kampfpanzer Challenger zur Version Challenger 3 für 800 Millionen britische Pfund (rund 920 Millionen Euro) in Auftrag. Damit soll eine wichtige Säule der britischen Armee fit für die Zukunft gemacht werden. “Eine umfangreiche Modernisierung des Kampfpanzers der britischen Armee mit zusätzlicher Feuerkraft und hochmodernen Schutzsystemen wird sicherstellen, dass Großbritannien auch in Zukunft an der Spitze der Panzerentwicklung steht und auf zukünftige globale Bedrohungen und Herausforderungen reagieren kann”, meldete die British Army. “Challenger 3 wird den gepanzerten Streitkräften der NATO auf den Schlachtfeldern von heute und bis 2040 ein Höchstmaß an Lethalität und Überlebensfähigkeit bieten.” Die Modernisierungsmaßnahmen beinhalten eine neue 120-mm-Glattrohrkanone, ein neues Visiersystem zur besseren Zielfähigkeit bei Tag und Nacht für den Panzerkommandanten, eine neue modulare Panzerung, ein aktives Schutzsystem sowie einen neuen flexiblen Turm. Als Teil des mehrschichtigen Schutzes des Challenger 3 wird die Flotte als erstes ein modernes aktives Schutzsystem

(APS) erhalten, das anfliegende Bedrohungen erkennt und neutralisiert. Der Panzer wird dabei umfassenden elektroma­ gnetischen Tests unterzogen, um sicherzustellen, dass er auch auf den anspruchsvollsten, sensorgesättigten Gefechtsfeldern überlebensfähig ist. Die neue modulare Panzerung wurde auf der Grundlage von Fortschritten in der Schutztechnologie entwickelt, die von der internen, vom Chief Scientific Advisor (CSA) finanzierten Panzerungsexpertise des UK Defence Science and Technology Laboratory (Dstl) stammen. Die neue Visieranlage gibt dem Panzerkommandanten eine unabhängige Tag/Nacht-AllwetterHunter-Killer-Fähigkeit, die es ihm ermöglicht, Ziele schneller zu erfassen und zu bekämpfen. Challenger 3 wird zudem mit einem digitalisierten Backbone ausgestattet, der ihn mit den anderen Kampffahrzeugen der Kampfbrigade verbindet und so einen domänenübergreifenden Datenaustausch ermöglicht.

Der stellvertretende Chef des Generalstabs, Generalleutnant Chris Tickell, sagte: “Der Integrated Review beschreibt ein transformiertes Heer, das lethaler, besser geschützt und besser vernetzt sein wird als jede vergleichbare Armee. Der Challenger 3 ist ein Symbol genau dieses Wandels und wird das Kernstück unserer Kampfkraft sein. Seine digitale,

offene Architektur wird sicherstellen, dass er in das gesamte Gefechtsfeld integriert ist. Seine Hauptbewaffnung wird den Gegnern überlegen sein und die Besatzung wird ein einzigartiges Maß an Schutz genießen. Er ermöglicht den Sieg im Gefecht.” Das Erreichen der Full Operating Capability des Challenger 3 ist für 2030 vorgesehen.

Der Challenger 3 erhält eine deutsche 120-mm-Glattrohrkanone von Rheinmetall. Foto: BS/British Army

(BS/df) Das erste bewaffnete Überwasserfahrzeug (Armed Unmanned Surface Vehicle – AUSV) der Türkei mit Namen ULAQ hat die Seeerprobung erfolgreich abgeschlossen und steht kurz vor der Serienproduktion. ULAQ ist das Resultat der Zusammenarbeit zwischen ARES Shipyard und METEKSAN Defence, die im Oktober 2020 die Initiative für das erste türkische AUSV starteten. Der ULAQ-Prototyp wurde im Februar dieses Jahres erstmals zu Wasser gelassen. Das Schiff besteht aus fortschrittlichen Verbundwerkstoffen, hat eine Reichweite von rund 400 km, eine Geschwindigkeit von 65 km/h, Tag-/Nachtsichtfähigkeiten sowie eine verschlüsselte Kommunikationsinfrastruktur, die von mobilen Fahrzeugen und Hauptquartieren oder von Seeplattformen wie Flugzeugträgern oder Fregatten aus betrieben werden kann.

Die Lenkflugkörpersysteme des AUSV-Prototyps bestehen aus vier Cirit und zwei L-UMTAS, die vom türkischen Unternehmen Roketsan geliefert werden. Die Schießerprobung soll demnächst beginnen. Neben den Lenkflugkörpern besitzt AUSV verschiedene Varianten von Kommunikationsund Aufklärungssystemen wie Störsender und Systeme für die elektronische Kriegsführung, um unterschiedlichen operativen Anforderungen zu genügen. Hierzu zählen explizit Nachrichtengewinnung, Überwachung, Aufklärung, Überwasserkriegsführung, asymmetrische Kriegsführung, Eskortmissionen und der Schutz strategischer Infrastrukturen. Die Hersteller betonten, dass es sich beim ULAQ-AUSV nicht nur um ein ferngesteuertes Schiff handele, sondern um ein autonomes Fahrzeug, das über Künstliche Intelligenz verfüge.

Aktives Schutzsystem für ungarische Lynx (BS/df) Die ungarischen Schützenpanzer Lynx erhalten das Aktive Schutzsystem (Active Protection System – APS) Strike­ Shield. StrikeShield besteht aus Sensoren und Wirkmitteln, die in die Kontur und Architektur des gesamten Fahrzeugs integriert sind. Das Fahrzeug ist hierdurch gegen ungelenkte und gelenkte Hohlladungsbedrohungen geschützt, da anfliegende Projektile vor dem Auftreffen auf das Fahrzeug neutralisiert werden. StrikeShield wird direkt in die hybriden Schutzmodule der 209 neuen ungarischen Lynx eingebettet. Bei diesen hybriden Schutzmodulen erhalten die Fahrzeuge anstelle konventioneller, passiver Zusatzpanzerung eine speziell ausgelegte Schutzlö-

sung, bei welcher die Komponenten des APS vollständig zwischen der Wanne und Außenhülle des Fahrzeugs integriert sind. Im September 2020 entschied sich Ungarn als erstes NATO- und EUMitglied für den in Deutschland durch Rheinmetall entwickelten Schützenpanzer Lynx. Der entsprechende Vertrag für 218 Lynx KF41, neun Bergepanzer 3 Büffel sowie dazugehörende Leistungen und Ersatzteile belief sich auf über zwei Milliarden Euro. In einer ersten Produktionsphase soll Ungarn 46 Lynx sowie neun Büffel aus deutscher Fertigung erhalten, wobei die Auslieferung bis Anfang 2023 abgeschlossen sein soll. In einer zweiten Phase sollen dann in Ungarn 172 weitere Lynx produziert werden.

Ajax mit Brimstone vorgestellt (BS/df) General Dynamics Land Systems-UK stellte vor Kurzem eine weitere Variante seiner Ajax-Familie vor: Overwatch. Für dieses Fahrzeug wurde in Zusammenarbeit mit MBDA die Panzerabwehrwaffe Brimstone integriert. Für die britische Armee wird die Ajax-Familie in mehrere

Grundvarianten aufgeteilt: Ajax, Apollo (Instandsetzung), Ares (Aufklärungsunterstützung), Argus (technische Aufklärung), Athena, (Führung) und Atlas (Bergung). Von dem nun vorgestellten Formation Reconnaissance Overwatch (Ares) bestellte Großbritannien 34 Fahrzeuge.

Abnahme der ESSOR-HDR-Base-Wellenform (BS/df) Die Allianz für ESSOR erreichte Anfang Mai nach zweieinhalb Jahren Entwicklungszeit die formale Abnahme und somit Freigabe der High-Data-Rate(HDR)Basiswellenform. Die ESSORWellenformen werden durch ein internationales Firmenkonsortium im Rahmen eines OCCAR-Vertrages entwickelt, um eine gemeinsame sichere Kommunikationsbasis für europäische Streitkräfte zu schaffen. Wellenformen sind die Grundlage der gesicherten Kommunikationsübertragung. Wenn Funkgeräte unterschiedliche Wellenformen benutzen, können sie keine Informationen austauschen. Bei Software Defined Radios wer-

den neue Wellenformen mittels Software aufgespielt. Obwohl es sich einfach anhört – Wellenformen zu entwickeln und dann aufzuspielen –, ist die praktische Umsetzung hochkomplex. Die Partner von a4ESSOR werden in der nächsten Phase des Projekts die ESSOR-HDR-Base-Wellenform auf ihre jeweiligen Software Defined Radios portieren. Abschließende Interoperabilitätstests zwischen den Funkgeräten der Partner werden das ESSOR OC1-Projekt mit der Veröffentlichung verbesserter und aktueller ESSOR-Zielwellenformen abschließen, die dann für den Einsatz im operativen Bereich bereit stehen.

Roll-out der neuen ACSV-Familie in Kanada (BS/df) Kanada hat die ersten Armoured Combat Support Vehicle (ACSV) erhalten. Der feierliche Roll-out der ersten Fahrzeugvariante, eines Troop Cargo Vehicle (TCV), fand Anfang Mai in Ontario statt. Im August 2019 beauftragte die kanadische Regierung General Dynamics Land Systems-Canada mit der Entwicklung und Produktion von 360 gepanzerten Kampfunterstützungsfahrzeugen für die kanadische Armee. Die ACSV sind eine Erweiterung der bestehenden Light-ArmouredVehicle(LAV)-6.0-Familie, die bei der kanadischen Armee bereits im Einsatz ist. Die in Kanada entwickelten und hergestellten

LAV-6.0-ACSV-Varianten haben ein gemeinsames Basisfahrgestell. Die bestehende Flotte von LAVs reduzieren somit dank der gemeinsamen Basiskonfiguration die Schulungs- und langfristigen Wartungskosten. Das neue Fahrzeug wurde eng mit der kanadischen Armee entwickelt und spiegelt den Schutz und die Mobilität wider, die für die erfolgreiche Durchführung von Operationen unter Einsatzbedingungen erforderlich sind. Der ACSV-Vertrag sieht acht weitere Varianten der LAV-6.0-Fahrzeugfamilie vor, darunter Sanitätsfahrzeuge, Gefechtsstände, Wartungs- und Bergungsfahrzeuge, Logistik und Truppentransporter.


Verteidigung

Behörden Spiegel / Juni 2021

W

erden alle Vorschläge umgesetzt, besteht die Bundeswehr in Zukunft aus sechs Kommandos, die direkt dem Generalinspekteur truppendienstlich unterstellt sind. Diese sechs Kommandos setzen sich aus vier Dimensionskommandos plus zwei operativen Kommandos zusammen. Die vier Dimensionskommandos – für die Dimensionen Land, Luft- und Weltraum, See, Cyber- und Informationsraum – stellen die einsatzbereiten Streitkräfte und Component Commands für nationale und internationale Aufgaben. Die beiden operativen Kommandos besitzen hingegen Weisungsbefugnis zur nationalen Führung der Einsätze außerhalb Deutschlands sowie zur Wahrnehmung der Aufgaben der Bundeswehr im Inland. Der Cyber- und Informationsraum (CIR) wird als gleichberechtige Dimension neben die bisherigen Teilstreitkräfte gesetzt. Somit erhalten Soldaten des CIR auch eine eigene Laufbahn, Ausbildung und Uniform. Dies ist die konsequente Umsetzung der militärischen Notwendigkeiten. Auch die Luftwaffe wurde eines Tages neu gegründet, als die technologische Entwicklung dies erforderte.

Auflösung des ­Sanitätsdienstes? Ob der Sanitätsdienst wirklich aufhört, zu existieren, ist einer jener Punkte, der sowohl in dem Eckpunktepapier als auch in der nachfolgenden Diskussion und schließlich dem Tagesbefehl des Inspekteurs Sanitätsdienst vage geblieben ist. Laut dem Vorschlag der Ministerin und des Generalinspekteurs wird der militärische Organisationsbereich “Sanitätsdienst der Bundeswehr” aufgelöst, womit es auch die Position des Inspekteurs nicht mehr gibt. Stattdessen soll der Inspekteur zum Generalarzt der Bundeswehr im Bundesministerium der Verteidigung berufen werden. “Neu aufgestellt wird ein Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr auf der ersten nachgeordneten Ebene. Der Generalarzt der Bundeswehr verantwortet fachdienstlich die Gesundheitsversorgung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung sowie den Sanitätsdienst der Bundeswehr im besonderen Aufgabenbereich”, beschreibt das Eckpunktepapier. Der aktuelle – und wahrscheinlich letzte – Inspekteur, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, schreibt in seinem Tagesbefehl vom 19. Mai zum aktuellen Zwischenstand, dass “die Gesamtverantwortung für die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr mit der Berufung des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zum Generalarzt der Bundeswehr im Bundesministerium der Verteidigung eine herausgehobene Stellung erhalten soll, in der ersten dem Ministerium nachgeordneten Ebene die zentralen sanitätsdienstlichen Kräfte und Mittel durch ein Kommando Gesundheitsversorgung geführt werden sollen und die fachliche Führung in der Gesundheitsversorgung insgesamt gestärkt wird.” Aus diesen Informationen ergeben sich zwei Möglichkeiten: 1. Der Sanitätsdienst als Fachdienst bleibt im Grunde so erhalten, wie er jetzt ist, nur dass der Inspekteur – neuer Name “Generalarzt der Bundeswehr” – nicht wie alle anderen Inspekteure dem Generalin­ spekteur unterstellt ist, sondern in der Hierarchie parallel zum GI im Ministerium verankert wird. Das Kommando Gesundheitsversorgung entspricht in diesem Fall dem heutigen Sanitätsdienst, wodurch wahrscheinlich zwei DreisternePosten geschaffen würden. 2. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr wird tatsächlich auf-

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Die neue Struktur der Bundeswehr Das Eckpunktepapier zur Reform (BS/Dorothee Frank/Reinhard Wolski) Am 18. Mai 2021 präsentierten Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Generalin­ spekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, mit dem Eckpunktepapier Vorschläge und erste Umsetzungsvorgaben für die Reform der Bundeswehr. Mittlerweile wurden zwar einige Punkte durch die Tagesbefehle der Inspekteure konkretisiert, einiges bleibt allerdings in der ­Ausgestaltung noch den Ergebnissen der Prüfaufträge vorbehalten.

“Die Organisations­ bereiche Sanität und Streitkräftebasis wer­ den aufgelöst, unsere ­Fähigkeiten ­anders ­zugeordnet,” schreibt der Inspekteur Streitkräf­ te­basis, Generalleutnant Martin ­Schelleis, in seinem Tagesbefehl vom ­18. Mai 2021. Foto: BS/Bundeswehr

gelöst und das Personal in die Teilstreitkräfte – neuer Name “Dimensionen” – integriert. Der Generalarzt der Bundeswehr ist in diesem Konstrukt ein Posten ähnlich dem General Flugsicherheit. Eine Konkretisierung, welche der beiden Möglichkeiten eintreten wird, bringt der Tagesbefehl des Inspekteurs der Streitkräftebasis vom 18. Mai 2021, in dem steht: “Die Organisationsbereiche Sanität und Streitkräftebasis werden aufgelöst, unsere Fähigkeiten anders zugeordnet.”

haben – schließlich stellten die SKB und der Sanitätsdienst die meisten Kräfte, oftmals plötzlich und 24/7 – behebt keine finanziellen Mängel. Dies kann nur ein steigender Verteidigungsetat, um den Investitionsstau abzubauen und die Bundeswehr mit einsatzfähigen Systemen auszurüsten.

Der Blick ins Detail Neben den “großen Linien” des Papiers, die ja nun bereitwillig

Die Dimension Luft ist im Hinblick auf rasche Erhöhung der Einsatzbereitschaft auf Multinationalität bei der Aufstellung einer “Multinational Air Group” angewiesen. Die NATOVerflechtung der Luftstreitkräfte ist hinlänglich bekannt und auch gewollt. Als “First Responder” müssen sich deutsche Luftstreitkräfte dann trotz der erheblichen und kostenintensiven Rüstungsmaßnahmen offensichtlich auf die Bereitstellung von Kräfte(-multiplikatoren) anderer Staaten verlassen können. Was bedeutet die Raumverantwortung Ostsee für die Deutsche Marine wirklich? Verantwortung ist prinzipiell unteilbar, erfordert also – obwohl nahezu alle Anrainerstaaten NATO-/EU-Mitglieder sind, im Krisenfall Wahrnehmung der Lead Funktion bei Führung, Aufklärung, Wirkung und Unterstützung, vor allem als “First Responder”. Und das Sonderproblem Kaliningrad mit überragenden russischen A2/AD-Fähigkeiten

Die nächsten Schritte Konkret in diesem Jahr umgesetzt werden das Weltraumkommando unter Luftwaffenführung, die neue Struktur CIR sowie das strategische Planungsboard. Alles weitere sind vorerst Prüfaufträge an die Inspekteure. Mit einem konkreten Datum versieht das Eckpunktepapier zudem die Etablierung des Generalarztes der Bundeswehr im BMVg zum 1. Januar 2022. Ab dem 1. April 2022 sollen das Kommando Gesundheitsversorgung in Koblenz sowie das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr in Bonn und Berlin aufgestellt werden.

Neuorientierung der Bundeswehr

Auflösung der Streitkräftebasis Zur neuen Organisation des Kommandos SKB schreibt das Eckpunktepapier: “Wir werden ein Territoriales Führungskommando der Bundeswehr aufstellen – zur Erhöhung der Resilienz an den Standorten Bonn und Berlin.” Das Papier ergänzt: “Der künftige Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos ist zugleich Nationaler Territorialer Befehlshaber.” Der Inspekteur Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, zieht allerdings das Fazit aus den ihm bekannten Hintergrundinformationen, die sich aus den Gesprächen mit der Ministerin und dem Generalinspekteur ergaben, und stellt in seinem Tagesbefehl zum Eckpunktepapier fest: “Die Streitkräftebasis wird es in ihrer heutigen Form künftig nicht mehr geben.” Zum Verlauf und dem aktuellen Stand schreibt Generalleutnant Schelleis: “Noch im April war ich optimistisch, dass die Streitkräftebasis bestehen bleiben würde. Schließlich haben wir in den 21 Jahren unseres Bestehens stets professionell und ohne viel Aufhebens erfolgreich gearbeitet. Den permanent wechselnden Anforderungen haben wir die Streitkräftebasis immer wieder zielgerichtet angepasst. Und auch diesmal haben wir ein zielführendes, realistisches Konzept vorgelegt, das den sehr ungewissen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung der Bundeswehr gerecht geworden wäre. In den intensiven Diskussionen im Militärischen Führungsrat musste ich allerdings feststellen, dass unser Zukunftskonzept keine Unterstützung fand. Nun sollen die Dimensionen gestärkt werden, um robuste, aus dem Stand heraus reaktionsfähige Verbände formen zu können.” Generalleutnant Schelleis benennt damit das große Problem: Vieles bei den Teilstreitkräften und in der Bundeswehr funktioniert nicht so, wie es sollte und müsste. Dies liegt allerdings nicht an einer schlechten Führung des Personals, sondern am Materialdefizit. Die Auflösung jener militärischen Organisationsbereiche, die gerade erst in dem plötzlich aufgetretenen Ernstfall Pandemie ihre hervorragenden Fähigkeiten, effiziente Einsatzbarkeit und somit gute Führung bewiesen

von Sicherheits- und Militärpolitikern kommentiert werden, zeigt der Blick ins Detail ganz erhebliche Aufgaben für die Streitkräfteentwicklung. Die “Dimension Land” erwähnt das seit mehr als zwanzig Jahren in der Heeresplanung verbotene Unwort “mittlere Kräfte”, die auch noch radbeweglich gemacht werden sollen. Eine Entwicklung, die sich vom “single set of forces” verabschiedet und die sich in die Richtung der taktischen Konzepte der britischen und französischen Heeresentwicklung orientiert. Das Postulat der bisherigen Heeresentwicklung “Mechanisierte Division A löst mechanisierte Division B in der Stellung ab” kann so nicht mehr gültig sein. Und wenn mittlere/radbewegliche Kräfte auch zum Gefecht der Verbundenen Waffen befähigt werden sollen, ist erheblicher Rüstungsbedarf anhängig. Mehr Boxer, weniger Pumas, neue radmobile Artillerie, um vollmobil zu wirken?

liegt jetzt im Verantwortungsbereich der Deutschen Marine. Es ist hier auch zu prüfen, inwieweit Dominanz über die Ostsee durch weitreichende Land-See-Flugkörper ermöglicht oder zumindest unterstützt werden kann. Und ein vorerst letzter Punkt ist im Rahmen von “Schnittstellen sind verringert … Verantwortlichkeiten eindeutig festgelegt …” auch endlich zu bereinigen: Da die Luftwaffe nunmehr mit der Verantwortung Weltraum weit hinausgreift, muss die Verantwortung für den bodennahen Luftraum nun endlich komplett in die Verantwortung der Landstreitkräfte gelegt werden, einschließlich aller Kräfte und Mittel.

Die Notwendigkeit der aktuellen Reform (BS/MdB Roderich Kiesewetter) Die letzte größere Bundeswehrreform von 2011 war noch ganz an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr orientiert und von den von Verteidigungsminister zu Guttenberg zu verantwortenden Budgetkürzungen und Einsparungen geprägt. Die Umsetzung erschwerte insbesondere die Führung des BMVg, das deutlich vergrößert, aber mangels Planungsstab und eines koordinierenden Chefs des Stabes weniger führbar wurde, zumal die Inspekteure der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche aus dem BMVg ausgelagert wurden. Mit der völkerrechtswidrigen Krim-Annektion und dem Krieg in der Ostukraine seit 2014 änderten sich die Sicherheitsbedürfnisse vieler NATO-Staaten, Landes- und Bündnisverteidigung stehen seither wieder im Fokus der NATO. Die seit 2014 eingeleiteten sogenannten “Trendwenden” in der Bundeswehr erhöhten den Verteidigungshaushalt seither um ca. 45 Prozent auf rund 46 Milliarden Euro, lösten aber nicht seit Langem erkennbare Mängel in den Strukturen, bei der Beschaffung und in der Fähigkeit der Teilstreitkräfte, in eigener Zuständigkeit tragfähige Beiträge für die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) beispielsweise im Baltikum zu leisten. Deshalb sind die im März 2021 von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur General Eberhard Zorn klar angekündigten und nunmehr entschiedenen, bis April 2022 umzusetzenden Reformschritte richtig und gerade noch rechtzeitig. Drei Gründe sprechen dafür: 1. Die Bundeswehr ist ohne sie nicht in der Lage, glaubwürdig die getroffenen Zusagen für NATO und EU dauerhaft und für die Truppe akzeptabel zu leisten. 2. D ysfunktionale Strukturen werden geheilt, weil die bisher der Streitkräftebasis und Sanität zugeordneten Truppenteile und Fähigkeiten dort eingegliedert werden, wo sie gebraucht werden und in Übungen wie im Alltagsdienst auf LV/BV in den bisherigen Teilstreitkräften, den künftigen Dimensionskommandos einschließlich des Cyber-Raums besser integriert und besser für Übungen und Einsätze vorbereitet werden können. 3. Angesichts der absehbaren Ressourcenverknappung werden die Bundeswehrstrukturen auf notwendige Anpassungen vorausschauend vorbereitet.

Die Entscheidung hat die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt überzeugend in ihrer ureigensten exekutivischen Eigenverantwortung getroffen. Darüber wird gestritten, aber die Argumente, die ihr entgegengehalten werden, sind hilflos und künstlich: Unser Land in der Mitte Europas ist gefordert, auch den Bündnispartnern handlungsfähig zu zeigen, dass überfällige Reformen nicht auf dem Altar politischer Auseinandersetzungen im beginnenden Bundestagswahlkampf geopfert werden. Kramp-Karrenbauer setzt verantwortungsbewusst und zeitnah ihre gewonnenen Erfahrungen um und schiebt die Verantwortung nicht auf mögliche Nachfolger, das ist vorbildlich. Wer weiß, wie lange sich die Regierungsbildung ziehen mag, verbunden mit entsprechenden zeitlichen Prozessen und anschließenden Abstimmungsprozessen innerhalb des

zepten der Regierung Vorschläge zu unterbreiten oder proaktiv die Prozesse zu beeinflussen. Auch Debatten, Konzeptpapiere oder Anträge beispielsweise zum Weißbuch 2016 wurden von der das BMVg tragenden Arbeitsgruppe Verteidigung als echte Chance, konzeptionelle Anliegen zu formulieren, bisher ausgelassen. Klar, dass dann eine Verteidigungsministerin dennoch angesichts des Reformdrucks handeln muss - und gut, dass sie dies entschlossen getan hat. Denn die Exekutive ist für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte und Zusagen an NATO und EU verantwortlich.

Weitere Reformschritte Doch es gibt noch Chancen proaktiver parlamentarischer Mitgestaltung, denn es sind noch weitere Reformschritte mutig anzugehen: Es fehlen noch Umsteuerungen und Prioritätensetzungen in Beschaf-

“Unser Land in der Mitte Europas ist gefordert”, betont MdB Roderich Kiesewetter (CDU), Vorsitzender des Beirats der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Foto: BS/DBT, Stella von Saldern

Kabinetts! Ein paar Formulierungen dazu in Wahlprogrammen oder für einen Koalitionsvertrag sind wohlfeil, aber für die zeitlich drängenden, notwendigen Anpassungen wenig wert, sie verzögern nur den Prozess und lassen zu viel Interpretationsspielraum und machen die Truppe, die auf Entscheidungen wartet, müde. Zudem hatten die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss jahrelang Zeit, mit eigenen Kon-

fungsprozessen, ehrliche Analysen, ob eine Personalgröße bei den Streitkräften von 203.000 qualitativ wie quantitativ dauerhaft überhaupt leistbar und zweckmäßig ist, eine Reform der Bundeswehrverwaltung und eine ehrliche Bestandsaufnahme, ob die Europäische Arbeitszeitrichtlinie in dieser Form überhaupt tauglich auf die Belange der Bundeswehr anwendbar ist und vieles mehr. Zudem darf

man auf die Ausgestaltung des Bundeswehrplanungsgesetzes gespannt sein.

Strategische sicherheits­ politische Ausrichtung Diese Zeit der Entscheidung für die Bundeswehr war auch ein Gewinn für die Metaebene der strategischen sicherheitspolitischen Verortung unseres Landes. Denn der Nachfolger von KrampKarrenbauer als Parteivorsitzender der CDU, Armin Laschet, gab ebenfalls ein klares Bekenntnis ab, Krisenbewältigung aktiv zu gestalten und Deutschland in NATO, EU und weiteren internationalen Organisationen interessenorientierter aufzustellen. Er verknüpfte damit die Forderung zur Weiterentwicklung des Bundessicherheitsrats vom Rüstungsexportgremium zu einem strategischen Beratungs- und Koordinierungsinstrument der Bundesregierung. Dies ist angesichts der Bedeutung Deutschlands und der weltweiten Krisenlagen überfällig. Die Pandemie zeigt: Die Bundesregierung braucht ein Instrument, das wesentliche Ministerien und auch die Länderebene koordiniert – mit Blick auf die großen Megatrends und die strategische Vorausschau von Krisenszenarien wie auch zur praktischen Bewältigung von Pandemien, Cyber-Bedrohungen und Katas­trophenlagen. Ein nationaler Sicherheitsrat koordiniert und erarbeitet Positionen und gibt der Regierung Handlungsvorschläge. Bemerkenswerte Impulse für die deutsche Sicherheitspolitik – innerhalb von nur einer Woche gehen der Unionskanzlerkandidat und die Verteidigungsministerin koordiniert an die erforderliche Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik mit Umsetzung einer zwingend notwendigen Bundeswehrreform und der zukunftsweisenden Forderung nach einem Nationalen Sicherheitsrat wie einer mit dem Bundestag abzustimmenden nationalen Sicherheitsstrategie. Wer hätte das noch vor wenigen Monaten gedacht?


Verteidigung

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Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie Fehlende Anbindung an die Sicherheitsarchitektur (BS/Dr. Hans Christoph Atzpodien) Die derzeit noch amtierende Große Koalition hatte sich in ihrer Koalitionsvereinbarung vom März 2018 vorgenommen, die Nachhaltigkeitsagenda 2030 der Vereinten Nationen zur Richtschnur deutscher Politik zu machen und dementsprechend die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie “kontinuierlich und ambitioniert” weiterzuentwickeln. Hierzu wurde nun kurz vor Ende der laufenden Legislaturperiode vom Bundeskanzleramt am 2. März 2021 ein nahezu 400 Seiten starkes Dokument unter dem Titel “Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Weiterentwicklung 2021” vorgelegt. Als “Leitprinzip Nachhaltigkeit” postuliert die Bundesregierung, “mit ihrer Politik gleichermaßen den Bedürfnissen der heutigen sowie künftiger Generationen gerecht zu werden – in Deutschland sowie in allen Teilen der Welt – und ihnen ein Leben in voller Entfaltung ihrer Würde zu ermöglichen”. Weiter heißt es: “Dafür bedarf es einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung, wobei die planetaren Grenzen zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle (ein Leben ohne Armut und Hunger; ein Leben, in dem alle Menschen ihr Potential in Würde und Gleichheit voll entfalten können) die absolute äußere Beschränkung vorgeben.” Praktisch gesagt soll unser Planet so erhalten bleiben, dass er auch künftigen Generationen als Basis für ein Leben in Würde dienen kann. Damit ist man recht nah am Ausgangsverständnis von Nachhaltigkeit, wie es erstmals im Bericht der sog. Brundtland-Kommission im Jahr 1987 formuliert worden war und heute immer noch Gültigkeit beanspruchen kann.

Ziele der deutschen Regierung Die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2021 folgt, wie bereits erwähnt, in ihren Zielen der Nachhaltigkeits-Agenda 2030 der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015 mit ihren insgesamt 17 Einzelzielen für eine nachhaltige Entwicklung. Auch die EU hat sich im Rahmen ihres Green Deals vorgenommen, die UN-Agenda 2030 zum Mittelpunkt ihrer Politik zu machen und dabei Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu transformieren.

Die Bundeswehr wird in der Nachhaltigkeitsstrategie nur im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen genannt, nicht in ihrer Funktion zur Verteidigung der Freiheit, Sicherheit und Wertevorstellungen Deutschlands und Europas. Foto: BS/Bundeswehr/Falk Bärwald

formuliert: “We are determined to foster peaceful, just and inclusive societies which are free from fear and violence. There can be no sustainable development without peace and no peace with­ out sustainable development.” Vielleicht ist es aber auch gerade dieser Zusammenhang zwischen anzustrebenden “inklusiven Gesellschaften” und dem Postulat “keine nachhaltige Entwicklung ohne Frieden”, der zumindest in der deutschen Rezeption dazu führt, dass Frieden lediglich als anzustrebende Folge nachhaltigen Handelns, nicht aber als dessen unverzichtbare Voraussetzung begriffen wird.

Bedingungen für den Frieden

Das vorliegende, knapp 400 Seiten umfassende Dokument der Bundesregierung benutzt den Begriff Frieden an 89 Stellen, aber fast immer im Sinne der Herstellung friedlicher gesellschaftlicher Verhältnisse durch nachhaltiges Handeln im Sinne der 17 UN-Ziele. Lediglich am Anfang wird einmal hervorgehoben, “dass sich Seit dem Weißbuch 2016 “haben sich die Bedrohungen um Frieden, Sicheruns herum weiter verschärft”, heit und Entwickbetont Dr. Hans Christoph lung gegenseitig Atzpodien, Hauptgeschäftsbedingen” und führer des Bundesverbandes dies Richtschnur der Deutschen Sicherheitsdeutscher Auund Verteidigungsindustrie ßenpolitik sei, e. V. (BDSV). die deshalb auf dauerhafte Kon Foto: BS/Illing & Vossbeck Fotografie fliktlösungen unter Einbindung Zur Umsetzung hat sich die aller Akteure setze und globale Bundesregierung bei der Wei- Nachhaltigkeitsaspekte unter anterentwicklung der Deutschen derem in bilateralen Initiativen Nachhaltigkeitsstrategie sechs und Projekten zu Frieden und Prinzipien vorgegeben: Stabilität, Ungleichheit sowie 1) Nachhaltige Entwicklung als Klima- und Wasserdiplomatie Leitprinzip konsequent in al- adressiere. Frieden wird also als len Bereichen und bei allen die grundlegende Voraussetzung Entscheidungen anwenden; für die Entwicklung anderer Län2) Global Verantwortung wahr- der verstanden. Er wird aber eben nicht als eine Herausforderung nehmen. 3) Natürliche Lebensgrundlagen angesprochen, der wir uns selbst stellen müssen, da wir in unserer erhalten. 4) Nachhaltiges Wirtschaften freiheitlichen Lebensweise und unserem Wohlstand aktuell von stärken. 5) Sozialen Zusammenhalt in feindlichen Mächten in unserer einer offenen Gesellschaft Umgebung bedroht werden. Dies steht im Gegensatz zu wahren und verbessern. 6) Bildung, Wissenschaft und anderen offiziellen Äußerungen Innovation als Treiber einer der Bundesregierung. Basis nachhaltigen Entwicklung deutscher Sicherheitspolitik ist nach wie vor das im Jahr 2016 nutzen. So unbestreitbar wichtig diese verabschiedete “Weißbuch zur SiZiele auch sind: Erstaunlich ist, cherheitspolitik und zur Zukunft dass das eigentlich wichtigste der Bundeswehr”, in dem die Ziel, durch das alle anderen Ziele sicherheitspolitischen Herauserst möglich werden, nämlich forderungen, denen sich unser die Wahrung von Frieden und Land ausgesetzt sieht, umfänglich Sicherheit, nicht Teil der auf- beschrieben sind. Doch seither geführten Oberziele ist. Dabei haben sich die Bedrohungen um hatte doch die Resolution 70/1 uns herum weiter verschärft. Im Mai 2020 sprach Bundesder Vereinten Nationen vom 21. Oktober 2015, die die Basis für kanzlerin Merkel im Deutschen die Nachhaltigkeitsagenda 2030 Bundestag erstmals expressis bildet, schon einleitend sehr klar verbis von der gegen uns gerich-

teten “hybriden Kriegsführung” Russlands. Im Februar 2021 wiesen die Bundesverteidigungsministerin und der Generalinspekteur in dem gemeinsamen Positionspapier “Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft” sehr explizit auf die Risiken und Bedrohungen hin, denen sich Deutschland aktuell ausgesetzt sieht. Zitat: “China ist von einer aufstrebenden Volkswirtschaft zu einem machtvollen und immer häufiger sichtbar ausgreifenden Akteur geworden. Russland definiert sich als Gegenmacht zum Westen. Immer deutlicher hat Moskau seine militärischen und politischen Drohungen in jüngster Zeit verschärft und internationale Verträge wissentlich verletzt. Russland wendete in den vergangenen Jahren in seiner Nachbarschaft militärische Gewalt an und rüstet massiv konventionell und nuklear auf. Aus dieser Lage ergeben sich sehr konkrete Bedrohungen für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger, denen wir begegnen müssen. … Wer wie wir will, dass Deutschland mehr tut und mutig in Führung geht, der muss zuallererst unseren Bürgerinnen und Bürgern schlüssig erklären, warum das nötig ist und wie das gehen soll.”

Verdrängung der Verantwortung Warum wird diese Bedrohung dann aber in der Weiterentwicklung 2021 der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie komplett ausgespart? Vermutlich liegt eine Erklärung in der formalen Strenge, mit der sich das Strategiepapier an den 17 von der UN definierten Zielen der Nachhaltigkeits-Agenda 2030 orientiert. Im 16. Ziel wird die anzustrebende friedliche Entwicklung nämlich wie folgt adressiert: “Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen”. Dazu wird erläuternd ausgeführt, dass dort, wo Krieg und Gewalt herrschen, wo grundlegende Rechte verweigert werden, staatliche Gelder verschwendet und Menschen diskriminiert werden, wo Verwaltungen schlecht funktionieren und eine partizipatorische Entscheidungsfindung unterdrückt wird, auch wirtschaftliche Entwicklung, nachhaltige Armutsbekämpfung, Achtung und Umsetzung der Menschenrechte, gleicher Zugang zu Gesundheit und Bildung, die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen nicht möglich sind. Frieden wird hier als deutscher

Exportartikel verstanden, den wir mittels unserer außen- und entwicklungspolitischen Initiativen zugunsten einer regelbasierten Weltordnung, zugunsten von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Antidiskriminierung, Kriminalitätsbekämpfung und der Stärkung von Frauenrechten etc. hinaus in andere Länder (u.a. in Afrika) tragen wollen. Diese beschränkte Sicht auf das Thema Frieden bzw. Vermeidung von Krieg und Gewalt hat für die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie insgesamt eine sehr bedenkliche Konsequenz: Der Blick darauf, dass auch für uns in Deutschland die Erhaltung von Frieden und Sicherheit die unverzichtbare Basis jeder Nachhaltigkeitsstrategie ist, wird ebenso ausgeblendet wie es die Voraussetzungen werden, die zur Erhaltung unseres Friedens und unserer Sicherheit hier vor Ort unabdingbar sind. Das Wort “Bundeswehr” kommt in den knapp 400 Seiten nur drei Mal vor, immer im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen, aber nicht im Kontext unserer eigenen Verteidigungsfähigkeit und unserer Verpflichtungen in der NATO. Daraus folgt, dass die aktuelle weiterentwickelte Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie sich rund um ein unausgesprochenes Phänomen herum bewegt, das man im angelsächsischen Sprachgebrauch als “elephant in the room” bezeichnen würde: Wir verdrängen hier – wie auch in unserer allgemeinen gesellschaftlichen Debatte – die Tatsache, dass sich Deutschland als wichtige europäische Macht seiner gewachsenen Verantwortung für die Erhaltung von Sicherheit und Frieden in Mitteleuropa mit allen Konsequenzen stellen muss. Diese bedingt sowohl höhere Verteidigungsausgaben, um endlich zu einer aufgabengerechten Voll-Ausrüstung der Bundeswehr zu kommen, als auch den bewussten Ausbau unserer Krisen-Resilienz, vor allem im Bereich des Schutzes unserer Zivilgesellschaft vor den dramatisch angestiegenen “hybriden” Bedrohungen. Dass die Erfüllung dieser Verantwortung in Zeiten der Corona-Anspannung nochmals schwerer fällt, als dies ohnehin auch ohne Pandemie der Fall gewesen wäre, taugt dabei nicht als Entschuldigung. Es bleibt dabei: Eine Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2021, die sich nicht nur in gut gemeinten außen- und entwicklungspolitischen Floskeln ergehen will, kann und darf unsere Verteidigungsfähigkeit als Voraussetzung aller anderen Nachhaltigkeits-Anstrengungen nicht aussparen!

Behörden Spiegel / Juni 2021

MELDUNGEN

Rüstungszusammenarbeit in Europa (BS/df) In der Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP zu den deutschen Überlegungen einer Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik nannte die Bundesregierung – neben den üblichen Sätzen zur Bedeutung Europas sowie der innereuropäischen Zusammenarbeit – auch die konkreten gemeinsamen militärischen Entwicklungs- und Beschaffungsprojekte, welche die Bundesregierung in naher und mittlerer Zukunft mit europäischen Partnern anstrebt. “In den Rüstungskooperationen mit dem engsten Partner Frankreich bestehen neben den Projekten Next Generation Weapon System (NGWS)/Future Combat Air System (FCAS) und Main Ground Combat System (MGCS) das Projekt Maritime Airborne Warfare System (MAWS) und die Kooperation im taktischen Lufttransport C-130J Super Hercules als weitere Beispiele einer gemeinsamen militärischen Entwicklung und Beschaffung”, sagte die Bundesregierung. “In der bereits bestehenden, umfangreichen deutsch-niederländischen Rüstungskooperation sind als gemeinsame Beschaffungs- und Entwicklungsprojekte u. a. das gepanzerte TransportKraftfahrzeug Boxer, das Aufklärungsfahrzeug Fennek und das gepanzerte Brückenlegesystem Leguan sowie die gemeinsame Ersatzteilversorgung/Instandhaltung von Landsystemen zu nennen. Das Ziel der beiderseitigen Verschränkung der deutschniederländischen Streitkräfte in

ausgewählten Fähigkeitsbereichen wird derzeit auf die Bereiche Beschaffung, Qualifizierung und Bewirtschaftung von Munition, zukünftigen Panzerabwehrhandwaffensystemen und Electronic Warfare ausgeweitet. Basierend auf einem Ende des Jahres 2020 gezeichneten Letter of Intent beabsichtigen beide Nationen zudem, beim Ersatz ihrer Luftverteidigungsfregatten im Bereich Entwicklung, Beschaffung und Nutzung zu kooperieren. Darüber hinaus sollen, auf Grundlage des am 26. März 2021 gezeichneten Joint Statements, Handlungsoptionen einer weiterführenden Intensivierung der Rüstungs- und Industriekooperation sowie der grundlegenden Kooperation der Streitkräfte untersucht werden. In der Rüstungskooperation mit Norwegen sind die Verhandlungen zur Beschaffung von sechs baugleichen U-Booten der Klasse U212CD sowie zur Entwicklung eines neuen See- und Landziellenkflugkörpers abgeschlossen. Vor dem Hintergrund des Austritts Großbritanniens aus der EU im Jahr 2020 wurden erste Schritte zum Ausbau der bilateralen Rüstungskooperation auf Grundlage des dafür im Oktober 2018 unterzeichneten Joint Vision Statements unternommen. Die Rüstungsbeziehungen zu Ungarn wirken sich durch geplante gemeinsame Beschaffungen von Rüstungsgütern zunehmend positiv auf die Kooperation mit den Staaten der Visegrád-Gruppe (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn) aus.”

Zusammenarbeit von DWD und ZGeoBw (BS/df) Am 19. Mai unterzeichneten der Kommandeur des Zentrums für Geoinformationswesen der Bundeswehr (ZGeoBw), Brigadegeneral Peter Webert, und der Präsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD), Prof. Dr. Gerhard Adrian, einen Vertrag über die Verbindung des globalen Wettervorhersagemodells des DWD mit dem Seegangsmodell der Bundeswehr. Gegenstand des auf 28 Monate angelegten Vertrages ist, dass der DWD Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Kopplung des Wettervorhersagemodells mit dem Seegangsmodell durchführen wird. “Bisher werden Vorher-

sagemodelle für Wetter und Seegang ohne Wechselwirkungen getrennt voneinander berechnet. Dies gilt sowohl für die Vorhersagemodelle auf globaler als auch auf regionaler beziehungsweise lokaler Skala”, beschreibt die Bundeswehr. “Ziel der jetzt vereinbarten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ist, dass der Bundeswehr in Zukunft ein gekoppeltes Modellsystem für Wetter- und Seegangsvorhersagen für globale Vorhersagen eigenständig zur Verfügung stehen wird.” Mit dem gekoppelten System sollen höher aufgelöste Vorhersagen für die Einsatzgebiete möglich sein.

Logistik der Rückverlegung aus Afghanistan (BS/df) Nach fast 20 Jahren geht der Afghanistan-Einsatz spätestens im September zu Ende. Ursprünglich hatte der amerikanische Präsident Joe Biden den 11. September als Abzugstermin genannt. Zurzeit gehen die Überlegungen im Hauptquartier von Resolute Support in Kabul in die Richtung, den Abzugszeitraum zu verkürzen. Auch der 4. Juli wurde als Abzugsdatum erwogen. Damit stünden entweder der Unabhängigkeitstag oder der Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center als Abzugstermine zur Auswahl. Sicher ist, die Bundeswehr muss vorher wieder in Deutschland sein. Obwohl mit der ersten großen Truppenreduzierung vor wenigen Jahren bereits der Großteil des Materials rückverlegt oder an afghanische Kräfte übergeben wurde, müssen noch etwa 800 Containeräquivalente zurück nach Deutschland. “Bei dem geordneten Abzug der Bundeswehr werden 123 Fahrzeuge und sechs NH-90-Hubschrauber zurückgeführt”, beschreibt die Bundeswehr. “Für die strategische Verlegung, Versorgung und Rückverlegung von und in die Einsatzgebiete stehen der Bundeswehr vertraglich zugesicherte Flüge eines gewerblichen Leistungserbringers im Rahmen des

Vertrages SALIS (Strategic Airlift International Solution) für den strategischen Lufttransport zur Verfügung. Es können bis zu zehn Flüge pro Woche in das RS-Einsatzgebiet sichergestellt werden. Vorrangig sollen dazu Lufttransportflugzeuge vom Typ Antonow AN-124 genutzt werden.” Der Lufttransport ist das Mittel der Wahl, da auf dem Landweg zu viele Grenzen inklusive aufwendiger Grenzkontrollen zu passieren wären. Auch bietet der Landweg zu viele Unsicherheiten, da er teilweise durch Gebiete führt, deren Regierungen durchaus Interesse an weiteren Erkenntnissen zur deutschen Wehrtechnik hätten. Nicht wehrtechnisches Material, dessen Wiederbeschaffungswert unter 5.000 Euro liegt, verbleibt in Afghanistan und wird dort im besten Fall verkauft. Verantwortlich für den Rücktransport ist die Streitkräftebasis. Seit Sommer 2020 verlegte diese im Rahmen der Kontingentwechsel Spezialisten aus dem Logistikbataillon 467 nach Afghanistan. Nicht relevantes Material wurde bereits bis Februar im Kontingent reduziert. Das minderte bereits den Gesamtumfang der Rückverlegung. Für das verbliebene Material rechnen die Logistiker mit etwa drei Monaten Transportzeit.


Die letzte Seite

Behörden Spiegel / Juni 2021

“M

eine Mutter war entsetzt, als ich zur Seefahrt wollte”, erzählt der Vater von mittlerweile erwachsenen Drillingen. Sie hätte das Leben auf See mit einem Landstreicherdasein verglichen. Er ist zwar auf der Insel Spiekeroog aufgewachsen, doch die Seefahrt war ihm nicht in die Wiege gelegt. Die Berufswahl fiel eher zufällig aus, nachdem er gemeinsam mit einem Jugendfreund auf Jobsuche ging. Der 62-Jährige kam dann aber erst über einen Umweg zum Havariekommando. Nach seinem Abitur begann er zunächst seine maritime Karriere mit einem Nautikstudium und einer nautischen Offizierslaufbahn. Ende 1984 erhielt er das Befähigungszeugnis zum Wachoffizier. Es folgten Fahrten auf mehreren Handelsschiffen. Wenig später erwarb Berner das Befähigungszeugnis zum “Kapitän auf Großer Fahrt”. Dies ermöglichte ihm, weltweit Kommandos auf Schif­fen jeder Größe zu übernehmen. Erst später kam er zur Gefahrenabwehr auf See. Er wurde unter anderem für die Bundesmarine und für das Seeamt Bremerhaven tätig. Ab 2000 folgte das Kommando auf dem Schiff Neuwerk, einem Mehrzweckschiff (MZS) des Wasser- und Schifffahrtsamtes (WSA) Cuxhaven, dem heutigen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Elbe-Nordsee. Die Neuwerk wird heute immer noch vom Havariekommando in Schadenslagen eingesetzt. Eher zufällig wurde er als nautischer Sachverständiger in einen Havariestab berufen, als er sich in Cuxhaven befand. 2015 kam es auf dem Frachter “Purple Beach” zu einer Rauchentwicklung in den Laderäumen. Das Schiff musste evakuiert und zum JadeWeserPort in Wilhelmshaven geschleppt werden. Das Havariekommando übernahm dabei die Einsatzleitung. Diese Erfahrung und das Zusammenwirken der verschiedenen Fachkompetenzen sowie die häufige, enge Zusammenarbeit mit dem Havariekommando in Schadenslagen als Kapitän der Neuwerk hätten ihn nachhaltig beeindruckt, sagt der hochgewachsene Nautiker. Als sich die Gelegenheit ergab, bewarb er sich deshalb beim Havariekommando. Nun ist der Bundesbeamte seit 2016 beim Havariekommando. Dort nimmt er die Position als Erster Nautischer Sachbearbeiter im Fachbereich 2 “Schadstoffund Schiffsunfallbekämpfung See” ein. Das Havariekommando stellt in gewisser Weise eine Besonderheit in der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr dar. Es ist die Führungsorganisation für die Bewältigung von Schadenslagen in den deutschen Bereichen der Nord- und Ostsee und eine gemeinsame Einrichtung des Bundes und der fünf Küstenbundesländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Zudem ist die Einrichtung relativ jung. Sie nahm erst am 1. Januar 2003 ihre Arbeit auf.

Hilfreiche Erfahrungen durch die Schiffskommandos Auch wenn sein jetziger “Bürojob” sich von seinen früheren Tätigkeiten stark unterscheidet, kommt nie Langeweile auf. Berners Aufgabenspektrum ist weit gefächert. Er erstellt zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen unter anderem Konzepte für die Positionierung von Notschleppern oder Pläne zur Schadensbewältigung bei ausgetretenen Gefahrstoffen auf See. Dabei sind die nautischen Kenntnisse z. B. über die Fähigkeiten der verschiedenen Schiffstypen, die natürlichen Gegebenheiten der Küstengebiete, die Hindernisse auf See wie Offshore-Windparks oder die Fahrtwege von kommerziellen Schiffen wichtig. Durch seine früheren Kommandos und

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Zwischen Einsatz und Konzept Jörg Berner ist Nautiker beim Havariekommando in Cuxhaven (BS/Bennet Klawon) Die deutsche Küste hat eine Länge von 1.585 Kilometern mit vielen Naturschutzgebieten und Windparks. Durch Deutschlands Einbindung in den Welthandel passieren viele Frachter auf dem Weg nach Hamburg, Bremerhaven oder Rostock diese vulnerablen Stellen. Wie bei allen anderen Verkehrswegen auch kommt es immer wieder aufgrund von technischem und menschlichem Versagen zu Schadenslagen. Jörg Berner sorgt als Nautiker beim Havariekommando im Ernstfall für ein entschlossenes Handeln.

ein. Die Leute vor Ort wissen, was zu tun ist”, betont Berner (Prinzip der Auftragstaktik). Für die Erstellung der Rahmenvorgaben helfen Berner auch seine Erfahrungen als Kapitän eines Mehrzweckschiffs. “Man muss die Stärken und Schwächen der Einsatzschiffe kennen, um gute Entscheidungen zu treffen. Man lernt jedoch aus jedem Einsatz“, ist sich der Nautiker sicher.

Letztes Wort bei Entscheidungen

Mit Blick auf vielleicht spätere Havaristen: Der Arbeitsplatz von Jörg Berner liegt direkt am Hafen von Cuxhaven.

Die Schadenslage mit dem Frachtschiff Purple Beach 2015 und seine Beteilung bei der Bewältigung im Havariestab beeindruckten Berner nachhaltig. Wenig später wechselte er zum Havariekommando. Foto: BS/Havariekommando

seine jetzige Beschäftigung kenne er beide Seiten der Medaille – die operative und die konzeptionelle – der Schadensbewältigung auf See. “Ich weiß, was machbar ist und was nicht”, bekräftigt der Nautiker. Seine praktischen Erfahrungen helfen ihm jetzt enorm bei seinen Aufgaben. Bei seiner konzeptionellen Arbeit stehen auch die Problemlösungen der Zukunft auf der Agenda. Dies schlug sich bei der Planungs- und Gestaltungsunterstützung durch Berner von neuen Mehrzweckschiffen nieder. Dabei müssen die verschiedensten Aspekte und Anforderungen berücksichtigt werden. Bei z. B. den immer größer werdenden Frachtschiffen brauche es Mehrzweckschiffe, die über eine stärkere Zugkraft verfügten, um die neueren Frachtschiffe von einigen hundert Metern Länge noch schleppen zu können. Die neuen Mehrzweckschiffe, die der Nautiker mit konzipiert hat, werden demnächst in Dienst gestellt. Er sagt zwar, dass er nur einen “kleinen” Teil beigetragen habe, aber trotzdem schwingt Stolz in seiner Stimme mit. Neben der konzeptionellen Arbeit beschäftigt sich der ehemalige Kapitän mit verschiedenen Grundsatzfragen der Schadstoffbekämpfung auf See oder dem Beantworten von politischen Anfragen. Es ist also immer etwas zu tun. Berner ist sich sicher, “den einen” Arbeitstag gibt es bei ihm nicht.

Permanentes Üben für den Ernstfall Eine besondere Aufgabe kommt Berner als deutschem Delegationsleiter der Response Working Group des Helsinki-Übereinkommens (HELCOM) zu. Es handelt

sich um eine internationale Arbeitsgruppe der Ostseeanrainerstaaten zur koordinierten Abstimmung von Maßnahmen bei der Notfallvorsorge und der Havariebekämpfung auf der Ostsee. Turnusmäßig veranstaltet jede Teilnehmernation eine jährliche Konferenz. Diese Aufgabe fällt auch Berner zu. Dies sei dann etwas völlig anderes. “Auf einmal musst du Anreisen planen, Hotelzimmer buchen und ein Konferenzprogramm erstellen”, erzählt der Niedersachse. Das Gegenstück zur internationalen Zusammenarbeit der Nordseeanrainerstaaten ist das BonnÜbereinkommen, auch hier vertritt das Havariekommando die Bundesrepublik Deutschland. Aber nicht nur Konferenzen sollen die gemeinsame Krisenbewältigung auf der Ostsee stärken. Nächstes Jahr findet mit allen Teilnehmerstaaten eine große Ölund Chemikalienunfallbekämpfungsübung, die BALEX DELTA, statt. Für die Ausrichtung und Planung der kommenden Übung

ist das Havariekommando und damit maßgeblich Berner mit seinem Planungsteam verantwortlich. Aber auch neben den grenzübergreifenden Übungen wird ständig trainiert. Ob nun mit Planspielen oder auf See mit den anderen nationalen Partnern der Gefahrenabwehr, man müsse allzeit bereit sein und jeder Handgriff müsse sitzen. Da wird auch mal für eine Übung ein Frachter, der aufgrund von Ebbe nicht in den Hafen einfahren kann, für ein paar Stunden von der Reederei gechartert. Auch für diese Übungen zeigt sich der nautische Sachbearbeiter verantwortlich.

“Man lernt aus jedem Einsatz” Wie wichtig die ständigen Übungen sind, zeigen die 84 Einsatzlagen des Havariekommandos seit seiner Gründung 2003. Oft gibt es nur kleine Zeitfenster, um Menschenleben auf den Havaristen – so werden die in Not geratenen Schiffe genannt – zu retten oder Umweltkatastrophen

Foto: BS/Klawon

zu verhindern. Der Kontrast zu seiner üblichen Büroarbeit könnte bei einer Schadenslage nicht größer sein. Das Maritime Lagezentrum (MLZ) des Havariekommandos ist durch erfahrene Nautikerinnen und Nautiker rund um die Uhr besetzt, um eine ständige Einsatzbereitschaft sicherzustellen. So kann bei einem Notfall sofort gehandelt werden. Das Havariekommando übernimmt dann die Gesamteinsatzleitung und bildet sofort einen Havarie­stab mit allen erforderlichen Expertinnen und Experten des Havariekommandos aus den Bereichen Chemie, Biologie, Ingenieurwesen und eben Nautik. Hier kommt Berner ins Spiel. Er wechselt sich mit seinen Kollegen bei den Rufbereitschaften ab. Bei einer Alarmierung aufgrund eines z. B. manövrierunfähigen Schiffes übernimmt er als Teil des Stabes die Leitung des Stabsbereiches Einsatz (S3) des Havariestabs. Er fragt zunächst unmittelbar wichtige Informationen für die weiteren Entscheidungen ab: Wind, Wetter, Schiffstyp, Ladung etc. Der ehemalige Kapitän berechnet als erstes das Zeitfenster, welches bleibt, damit nichts Schlimmeres passiert. Für diese Berechnung sind die Position und die Driftgeschwindigkeit des Havaristen, die möglichen nahen Untiefen oder bauliche Infrastruktur, wie Windparks, wichtig. Für eine erfolgreiche Rettungsaktion wertet der Nautiker in Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen weitere Informationen aus, plant die Einsatzmaßnahmen und erteilt Aufträge an die Einsatzkräfte zur Bewältigung der Lage. Der Havariestab koordiniert das Unfallmanagement und arbeitet dafür auch mit weiteren Stellen zusammen. “Wir mischen uns aber nicht ins operative Geschäft

Das Havariekommando (BS/bk) Das Havariekommando in Cuxhaven ist eine recht junge Behörde in Deutschland. Erst 2003 nahm es seine Arbeit als gemeinsame Einrichtung des Bundes und der fünf Küstenländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern auf. Es entstand aufgrund von Empfehlungen einer Kommission, die 1998 die mangel-

hafte Reaktion auf die Havarie des Frachters Pallas vor der dänischen Nordseeküste untersuchte. Die Havarie führte durch ausgetretenes Öl zu einer Umweltkatastrophe im Nationalpark Schleswig-­Holsteinisches Wattenmeer. Es hatte damals eine koordinierende Stelle gefehlt. Das Havariekommando übernimmt deshalb als reine Führungsorganisation das gemeinsame

Unfallmanagement auf Nord- und Ostsee. Dazu übernimmt es die Planung und Durchführung von Übungen sowie die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr auf See. Das Havariekommando greift dabei auf Kräfte und Einsatzgeräte von anderen Behörden zurück und verfügt selbst über keine Schiffe oder Ähnliches. Zurzeit sind 43 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Behörde tätig.

Das Havariekommando ist eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Küstenländern. Foto: BS/Klawon

Unmittelbar nach seiner Alarmierung informiert Berner die Notschlepper. Dabei greift das Havariekommando auf Schiffe von Bund und Ländern zurück. Die Einsatzorganisation verfügt über keine eigenen Einsatzfahrzeuge, da sie nur Führungsaufgaben übernimmt. Berner setzt zudem Helikopterpiloten in Bereitschaft, um Feuerwehrkräfte, Ärzte oder ein sogenanntes Towing Assistance Team (TAT) an Bord des Havaristen oder der Notschlepper abzusetzen. Beim TAT handelt sich um Experten eines privaten Anbieters, die an Bord des Havaristen gebracht werden, um u. a. dort eine Verbindung zwischen den beiden Schiffen herzustellen, damit das havarierende Schiff unter Kontrolle gebracht werden kann und ein weiteres “Driften” unterbunden wird. Das Schiff kann dann sicher zu einem Hafen geschleppt werden. Um ein optimales Zusammenarbeiten zu gewährleisten, trainiert das Havariekommando regelmäßig mit den Einsatzkräften der TATs und Feuerwehren. Wenn eine Schleppsituation sicher genug ist, kann eine private Bergungsfirma den Havaristen übernehmen. In einigen Einsatzlagen wird dem havarierten Schiff ein Notliegeplatz in einem Hafen zugewiesen. Das Havariekommando besitzt dabei Weisungsrecht und hat das letzte Wort bei der Zuweisung von Notliegeplätzen. Die Dauer der Einsätze variiert teilweise stark. Während die Havarie des Schiffes Santorini Anfang dieses Jahres eineinhalb Tage dauerte, nahm einer der längsten Einsätze rund elf Wochen in Anspruch. Die Einsätze gehen natürlich auch an die Substanz. Der 62-Jährige findet dann seinen Ausgleich bei langen Radtouren oder in der Natur. Aber auch seine Kinder geben ihm viel Halt. “Wenn man nach Hause kommt und die Kinder erzählen, was sie beschäftigt, gibt einem das viel wieder”, sagt der Bundesbeamte. Das sei früher so gewesen, wenn er von seiner Schichtwoche auf der Neuwerk zurückgekehrt sei, und auch jetzt, wo die Kinder im Studium oder schon im Berufsleben stünden.

Kein Platz für Einzelkämpfer Für die Arbeit beim Havariekommado brauche es die Lust am “konzeptionellen Arbeiten”, was andere vielleicht als Büroarbeit bezeichnen würden. Man müsse aber ebenso bereit sein, eingetretene Pfade zu verlassen, zeigt sich der Bundesbeamte überzeugt. Die Bereitschaft, alles fallen zu lassen, wenn der Ernstfall da sei, verstehe sich von selbst. Die komplexen Probleme könnten nur im Team bewältigt werden. “Ein Einzelkämpfer kann hier nichts bewegen. Das ist bei Nautikern nicht immer selbstverständlich”, erzählt Berner lachend. Schließlich habe man als Kapitän die alleinige Verantwortung und das Kommando über ein Schiff gehabt. Diese Erfahrungen würden natürlich prägen. Aber gerade die fachübergreifende Verknüpfung von Expertise und den Fähigkeiten der anderen Kräfte beim Havariekommando erlebe er als besonders spannend und bereichernd. Er lerne bei jeder Schadenslage etwas Neues hinzu.



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