Behörden Spiegel März 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. III / 37. Jg / 11. Woche

Berlin und Bonn / März 2021

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Vielfältiges Aufgabenspektrum

Erneuertes Standarderprobungsgesetz

Tatort Internet

Veronika Keller-Engels zur Arbeit des Bundesamtes für Justiz ��������������������������������������� 5

Dr. Markus Grünewald über Verwaltungsmodernisierung in Brandenburg ������29

Carsten Hambloch im Kampf gegen Kinderpornografie ................................... 47

Ersten gemeinsamen Jahrgang abgeschlossen

Mehr K: Kraft, Kreativität und Kommune

(BS/mfe) Der erste Jahrgang der gemeinsamen Ausbildung im Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung (ZNAF) für den mittleren Dienst ist abgeschlossen. Zwei Jahre lang haben 29 Auszubildende, darunter elf Frauen, gemeinsam gelernt. 20 von ihnen kamen vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), neun aus dem Bundesnachrichtendienst (BND). Während ihrer Ausbildung haben sie sich, neben dem umfangreichen nachrichtendienstlichen Handwerkszeug, auch intensiv mit dem rechtlichen Gerüst und dem ethischen Rahmen ihres Handelns auseinandergesetzt. Die Ausbildung besteht aus einem fachtheoretischen (acht Monate) und einem praktischen (16 Monate) Abschnitt.

Mehr Miteinander statt Gegeneinander

Bürgernahe Sprache (BS/lkm) Die Steuerverwaltungen der Länder wollen die Kommunikation mit den Bürgern verbessern. Hierzu wurde nun eine Pilotstudie gestartet. Beschäftigte der Steuerverwaltung prüfen derzeit bundesweit Schreiben, Vordrucke, Steuerbescheide sowie allgemeine Informationen in Broschüren, Merkblättern und Internetauftritten auf ihre Verständlichkeit. “Die Verwaltungssprache ist eine Fachsprache, die oft nicht für jeden leicht zugänglich ist. Publikationen, die von den Ämtern bereitgestellt werden, sollen den Bürgerinnen und Bürgern Informationen liefern oder ihre Fragen beantworten. Das gelingt allerdings nur, wenn das Geschriebene auch verstanden wird”, sagte Saarlands Finanzstaatssekretärin Anja WagnerScheid.

Zuschlag für Frequenzen erteilt

(BS/mfe) Die Bundesnetzagentur hat der 450connect GmbH den Zuschlag für die 450-MHzFrequenzen erteilt. Diese werden vorrangig für Kritische Infrastrukturen (KRITIS) bereitgestellt. Ursprünglich hatten sich auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) Chancen erhofft. Sie sollen nun übrigbleibende Frequenzen in diesem Bereich nutzen dürfen. Maßgeblich für die Vergabeentscheidung an die 450connect GmbH waren dabei insbesondere Zuverlässigkeit, Fachkunde, Leistungsfähigkeit sowie das Konzept zur Frequenznutzung. “Der Zuschlag stellt die Weichen für die Digitalisierung der Energie- und Verkehrswende. Aufgrund der guten Ausbreitungseigenschaften bieten sich die 450-MHz-Frequenzen an, um kosteneffizient ein funktionsfähiges, ausfallsicheres Funknetz aufzubauen“, sagt Jochen ­Homann, Präsident der Bundesnetzagentur.

(BS/Uwe Proll) Nun schleppen wir uns seit einem Jahr von einer zur nächsten Regierungskonferenz durch die Pandemie. Ein Versprechen, das nicht zu halten war, folgte dem nächsten, einem Inzidenzwert folgten viele. Bisher ist jeder Versuch gescheitert, einen Masterplan, eine konsequente Linie zu finden, weil das Virus sich nicht an die politischen Pläne halten will. Brände, Hochwasser und Giftunfälle lassen sich mittlerweile in ihrer Ausbreitung prognostizieren. Das Virus nicht, weil es die Menschen selber sind, die es viral halten. Ein Bashing der Regierenden hilft für den Moment nicht, dennoch bleibt festzuhalten, dass wir es mit einer Generation von Politikern und Politikerinnen zu tun haben, die sich einer solchen Herausforderung bisher nicht gegenüber sah. Krisen gab es auch in jüngster Vergangenheit. Da war die Finanzkrise, für die Bürger nicht spürbar. Und da war die Flüchtlingskrise 2015/2016, die ließ sich ordnungspolitisch noch einfangen. Doch jetzt ist die Herausforderung individualisierbar, die Gesundheit vieler steht auf dem Spiel. Entscheidungen müssen ohne Erfahrungswissen getroffen werden. Daher bestimmen oft wissenschaftliche Einzelmeinungen statt politischer Gesamtabwägungen die Entscheidungen. Ein Reflex setzte ein, der in vielen Krisenfällen durchaus funktionierte, nur eben nicht in der Pandemie: Vorschriften, Regeln und Zuständigkeiten werden als Kern der Krisenbewältigung selbst begriffen. In der Vergangenheit half dies, doch in der Pandemie zeigt sich, dass diese Krise durch Regeln und Zuständigkeiten nicht zu bändigen ist. Schon gar nicht durch die Erörterung von Zuständigkeiten, also welche Verwaltungsebene nun zuständig sei. Diese Diskussion trägt tragikomische Züge.

Bei der Bekämpfung der Pandemie sitzen wir alle im selben Boot. Entsprechend sollten sich einzelne nicht abwenden, sondern alle gemeinsam handelnd in die gleiche Richtung blicken. Foto: BS/Ezume Images, stock.adobe.com

Mehr Kraft: Initiative im Sinne von Führung wäre gefragt. Es gibt ja durchaus einige, die die dafür notwendige Autorität entwickeln könnten. Wo sind die “Helmut Schmidts” von heute? Das Hochwasser in Hamburg

regelte er vorbei an Gesetzen. Improvisation stand dabei strikter Ordnung nicht entgegen. Mehr Kreativität: Die Kreativität ist der Politik abhandengekommen. Wenn sie derzeit feste Regeln verlässt, führt dies zum

Chaos. Politik und Verwaltung sind geradezu domestiziert durch Vergaberecht, Compliance und Datenschutz. Datenschutz geht heute sogar vor Gesundheitsschutz! Werden also die festgelegten Korridore des Handelns

Kommentar

Verwaltung ist immer der Verlierer? (BS) Wie unbürokratisch können “unbürokratische Hilfen” sein? Eine konkrete Antwort auf diese Frage lässt sich nicht geben. Aber sie verdeutlicht das Dilemma von Staat und Verwaltung. Egal, was unternommen wird, Kritik und Negativ-Schlagzeilen wird es immer geben. Ebenso den Ruf nach Verwaltungsreformen. Dabei ist vieles eine Sache der Organisation und Kommunikation. Recht und Gesetz zu wahren und Haushaltsmittel wirtschaftlich zu verwenden, sind dem staatlichen Handeln immanent. In der öffentlichen Diskussion scheint dies jedoch längst untergegangen zu sein. Beispiele dafür lassen sich allein in den letzten zwölf Monaten genügend finden. Etwa die pandemiebedingten Soforthilfen während des ersten Lockdowns. Ein einfaches Antragsverfahren ermöglichte die schnelle Auszahlung von Krediten. Damit einher ging eine größere Zahl von Missbrauchs- und Betrugsfällen. Bei den sogenannten Novemberhilfen für die Wirtschaft handelt es sich einerseits um Abschlagszahlungen, die erst berechnet werden müssen. Andererseits sollte das Missbrauchsrisiko eingedämmt werden. Infolgedessen wird landauf, landab kritisiert, dass im

Februar 2021 erst 80 Prozent der Gelder ausgeschüttet wurden. Oder aktuell die Beschaffung von Schnell- und Selbsttests? Wie kann es sein, dass Discounter diese schneller verkaufen, als die Bundesregierung diese flächendeckend zur Verfügung stellen kann? Zumindest auf diese Frage gibt es eine klare Antwort aus dem Bundeskanzleramt. Weil es gar nicht vorgesehen war, dass der Bund beschafft, sondern nur das Geld gibt und die Länder die Beschaffung selbst tätigen sollten. Die Antwort kam zu spät und wirkt nach der Kritik aus den Ländern wie ein vorgeschobenes Argument, um nicht als Sündenbock dastehen zu müssen. Am Ende sieht es einmal mehr so aus, dass Bund und Länder, Politik wie Verwaltung in der Krise nicht handlungsfähig sind. Dem

ist nicht so. Aber eine zeitlich gut vorbereitete Organisation, mit einer klaren Kommunikation zwischen Verwaltung und Politik als auch in Richtung Öffentlichkeit, würde dazu beitragen, vieles verständlicher und weniger angreifbar zu machen – auch und insbesondere in Wahlkampfzeiten. In diesem Kontext sollte darüber nachgedacht werden, warum die Bundeskanzlerin die Ergebnisse aus den Beratungen mit den Ministerpräsidenten verkündet, wenn sie in der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) selbst nur ein Gastrecht hat. Nicht der Bund, sondern die Länder haben das Heft des Handelns in der Hand. Dem Bund bleibt nur, das Füllhorn der Staatshilfen auszuschütten. Auch das muss mal gesagt werden. Jörn Fieseler

Maskenball

in der Krise verlassen, stehen Politik und manche Verwaltung auf dem freien Feld der Möglichkeiten ohne Kompass da. Mehr Kommune: Ob in Jena (Maskenpflicht), Tübingen (Test in Altenheimen), Böblingen (kostenlose Schnelltests), Viersen (Impfungen am Sonntag für Tagesmütter und KitaPersonal): Dies sind Beispiele wie lokale Kreativität zu Erfolg führt, statt zu Orgien von Allgemeinverfügungen. Sicher gibt es auch abschreckende Beispiele auf kommunaler Ebene, wo mit Zollstock der Abstand gemessen wurde oder, wie in Düsseldorf, das Stehenbleiben an der RheinPromenade untersagt blieb. Jede Krise bietet unvermeidlich Kuriositäten. Derzeit sind es aber die Kommunen, die wie keine andere Verwaltungsebene gefragt sind, erst recht ihre Mitarbeiterschaft. Wenn wir derzeit einen Blick auf eine leistungsfähige Verwaltung werfen, so kann er nur auf die kommunale Ebene fallen. Das schließt das gut funktionierende “Ökosystem” der auf kommunaler Ebene Handelnden ein: Verwaltung, Hilfsorganisationen, Feuerwehren und Vereine. In Städten, Gemeinden und Landkreisen stehen das Miteinander und das “Zusammen” statt das Gegeneinander und “Trennende” im Vordergrund.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / März 2021

Ob bei den Sicherheitsbehörden, der Bildung oder in der Verwaltung: Fortschritte in der Digitalisierung wurden überall erreicht. Es müssen noch einige Meter bis zum Gipfel gegangen werden, aber die Marschroute ist klar. Eines ist gewiss, ein Zurück gibt es nicht mehr. Foto: BS/XtravaganT, stock.adobe.com

Die Spitze im Blick Zentrale Einsatzkoordination aus Köln

Schluss mit 125-Prozent-Lösungen

Sicherheit neu denken

BAO Berg ermittelt mit KI NRW-weit gegen sexuellen Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung braucht INNOVATION HUB 110 in Hessen mit flachen Kindesmissbrauch ...................................................... Seite 6 mehr Agilität und Geschwindigkeit ................................ Seite 28 Hierarchien .............. Seite 41

Perspektive gesucht

Mit Leistung überzeugt

Tatort Internet

Wie unterrichtet man digital und datenschutzkonform?..Seite 15

BITBW demonstriert Handlungsfähigkeit in der Krise ...... Seite 30 Carsten Hambloch ist Auswerter beim Kriminalkommissariat Infrastruktur allein ist nicht alles Auf der Zielgeraden 13 der Polizei Köln Umsetzung des DigitalPakts Schule in Bayern ........... Seite 16 Bundestag und Bundesrat beraten über das ................................. Seite 47 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 ............................................... Seite 34

2021 – ein Jahr der Umsetzung

Bei der OZG-Umsetzung durchstarten bedeutet, Wie weit sind Quantencomputer? Erfolge in die Fläche zu tragen ..................................... Seite 26 Eine Bestandsaufnahme für die IT-Sicherheit ............. Seite 36

Intrapreneurship in der Bundeswehr

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Wie die Streitkräfte sich von innen reformieren ......... Seite 27 Programm “Polizei 2020” hinkt Planungen hinterher ...... Seite 37

Innen Spiegel

Digital breit aufgestellt Die digitalen Inhalte des Behörden Spiegel in der Übersicht (BS/sp) Während Digitalveranstaltungen schon lange ein Teil des Angebots des Behörden Spiegel sind, schreitet die Entwicklung von Podcasts seit September 2020 voran. Derzeit werden vier Podcasts gesendet, zuletzt startete das neue Format “21Staatskunst”. Auch produziert die Redaktion Podcasts im Auftrag für Behörden. Es bleibt allerdings nicht nur beim Hören: Auch im visuellen Bereich hat die Redaktion noch einiges vor. Zwei Formate des Podcasts und Veranstaltungstipps in der Übersicht: “In der ersten Assoziation wird Georgien nicht als Land eingeordnet, das humanitäre oder medizinische Unterstützung benötigt. So lange sind die letzten Kriegshandlungen aber nicht her: 2008 führten georgische Streitkräfte gegen russische und abchasische Truppen einen Fünf-Tage-Krieg”. Im Podcast Voices in Defence des Behörden Spiegel sprach unsere Redakteurin Dorothee Frank mit dem Polizeihauptkommissar der NRW-Landespolizei Toni Kirchmair, welcher aktuell in Georgien seinen Dienst verrichtet. “Es ist sehr ergreifend, wenn man sieht, mit wie wenig man eigentlich viel erreichen kann. Das war ein tolles Gefühl und ich möchte es auf keinen Fall missen.” So beschreibt Kirchmair seine Tätigkeit für das humanitäre Projekt “Lachen Helfen e. V.” im eurasischen Staat. Der Polizist ist eigentlich sieben Tage vor Ort im Einsatz, findet jedoch nach seinen Schichten noch Zeit für die gemeinnützige Arbeit. Die

Hilfe richtet sich vor allem an Kinder. Dabei kann es um die Unterstützung in einem Krankenhaus oder einer Schule gehen. Auch der Aufbau dieser Einrichtungen kann Teil der Arbeit sein. So half Kirchmair in Darfur mit Ärzte ohne Grenzen bei der Errichtung eines Krankenhauses. Dabei wurden auch Solarpanels für Strom und Wasserlöcher gebaut. Für den Polizeihauptkommissar spielt bei der Realisierung der Projekte die Zusammenarbeit mit den Einheimischen die wichtigste Rolle: “In der ganzen Phase der Projekte werden immer die lokalen Entscheidungsträger mit eingebunden, sodass die sich dann auch für das Projekt verantwortlich fühlen. Wir halten nichts davon, egal wo man ist, dem Dorf oder der Stadt oder Einrichtung irgendetwas aufzustülpen.”

Social Media im Blick Während sich der Podcast Voices in Defence vor allem mit militärischem Personal beschäf-

tigt, adressiert der “Public Sector Insider” alle Themen, die den Öffentlichen Dienst interessieren. In einer Podcast-Folge ging es unter anderem um die neue Social-Media-App Clubhouse. Im Kommentar thematisierte Dr. EvaCharlotte Proll das Potenzial und die Risiken des App-Newcomers. Dabei ging es unter anderem darum, inwiefern die Exklusivität des Programms die Zugänglichkeit für den “Otto-Normal-Nutzer” erschwert und welche Diskussionen entstehen können, wenn Ministerpräsidenten den Talk mehr als intime Runde mit Journalistinnen und Journalisten wahrnehmen als einen öffentlichen Raum. Der Kommentar thematisierte auch die zukünftige Ausrichtung der App und welche Datenschutzprobleme sie mit sich bringt. Diese und weitere spannende Beiträge gibt es bei den Podcasts des Behörden Spiegel, welche auf den bekannten Plattformen Apple Podcasts, Spotify, podcast.de und Deezer zu finden sind.

Wer sich mehr von Videoformaten angesprochen fühlt, dem sind die Digitalveranstaltungen und Webinare von Digitaler Staat Online ans Herz zu legen. Spannend wird es unter anderem beim Digitalen Katastrophenschutzkongress am 23. und 24. März, der sich nicht nur mit den klassischen Akteuren wie dem Technischen Hilfswerk (THW), Feuerwehr und Rettungsdiensten befasst, sondern auch die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Ordnungsämter in der Katastrophe beleuchtet. Ebenfalls thematisiert wird der Bedarf an Personal und digitalen Prozessen und inwieweit andere Akteure Impulse für die Gefahrenprävention liefern können.

und Niedersachsen (13. April) über den aktuellen Stand des Onlinezugangsgesetzes (OZG) in ihren Ländern auf. In diesen Gesprächsrunden wird unter anderem thematisiert, wie die Kommunikation zwischen Land und Kommunen funktioniert und inwiefern Flächenländer die Umsetzung des OZG sichtbar machen können. Als Gäste werden unter anderem Dr. Michael Zügel (Referatsleiter E-Government des Innenministeriums Baden-Württemberg) und Dr. Horst Baier (IT-Bevollmächtigter der Landesregierung in Niedersachsen) erwartet.

Reihe zur OZG-Umsetzung In eine andere Richtung gehen die neuen “Spot|on|OZG”Diskussionsrunden. Dort klären Verantwortliche des Landes Baden-Württemberg (30. März)

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Bennet Klawon, Tanja Klement, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Thomas Petersdorff, Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 31/2020, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Bundesamt für Justiz Foto 2: BS/MIK Brandenburg Foto 3: BS/Tim Wegner


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Berlin und Bonn / März 2021

KNAPP

Ein unlösbarer Konflikt?

Administrative Umsetzung mitdenken

Deutsche Bahn, GDL und die Anwendung des Tarifvertragsgesetzes

(BS/jf) Nach fast drei Jahrzehn-

(BS/Jörn Fieseler) Hohe Forderungen und ein offener Streit um Tarifkollision – so lässt sich die Situation bei der Deutschen Bahn (DB) zu den Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft ten gibt es noch immer keine Deutscher Lokomotivführer (GDL) zusammenfassen. Was so einfach klingt, ist tatsächlich ein offener Machtkampf zwischen den Gewerkschaften in einem Konzern, bei dem alle Betei- einheitliche Software für die ligten nicht an Worten und Beschuldigungen sparen. Es wird nicht leicht sein, daraus am Ende einen Tarifkompromiss zu schmieden. Steuerverwaltung, kritisiert UlDie aktuellen Forderungen der GDL wurden seitens der DB als “realitätsfern” und “horrende Kostensteigerung” bewertet. Die Gewerkschaft fordert für das gesamte direkte Personal einen Eisenbahn-Flächentarifvertrag (EFTV), eine lineare Entgeltsteigerung von 4,8 Prozent und eine Corona-Prämie von 1.300 Euro. Zudem soll der EFTV nicht nur für das Zugpersonal gelten, sondern auch für Beschäftigte in den Bereichen Fahrzeuginstandhaltung, Netzbetrieb und Fahrweginstandhaltung. Zudem werde dieser Vertrag bei allen Verhandlungen mit Eisenbahnverkehrs- und Eisenbahninfrastrukturunternehmen in Deutschland zugrunde gelegt, “sodass er nach Inhaltliche Tarifverhandlungen oder klare Festlegungen zur Nicht-Anwendung des § 4a TVG? Die Diskussion erinnert an dem Abschluss analog unseres das Henne-Ei-Prinzip. Oder ist die Lösung am Ende doch so einfach wie hier ein Tausch der Werkzeuge? Flächentarifvertrags für das Zug- Foto: BS/Steve Buissinne, pixabay.com personal (BuRa-ZugTV) fast für das gesamte direkte Personal in mit 58 Forderungen”. Allein in den größten wirtschaftlichen Krise gen zu erreichen. Erst wenn das Deutschland gilt”, unterstreicht Bereichen, für die die GDL noch des Konzerns völlig realitätsfern. geklärt sei, könne man inhaltlich Beide Seiten fordern die jeweils verhandeln. Claus Weselsky, Bundesvorsit- keine Tarifverträge abgeschlossen zender der GDL. Zudem sollen habe, würde dies eine Kostenstei- andere auf, Mitte März an den Doch genau an dieser Stelle greift bei den Konzerntöchtern DB Si- gerung von 46 Prozent bedeuten. Verhandlungstisch zu kommen. inzwischen das Tarifvertragsgecherheit und DB Fahrwegservice “Das ist eine Dimension, die an- Dabei wird es in erster Linie um setz (TVG) in Form von § 4a TVG. die Referenz-Wochenarbeitszeit gesichts der kritischen Lage ver- die weitere Anwendung des Ta- Ende 2020 ist der sogenannte von 41 auf 38 Stunden abgesenkt antwortungslos ist”, sagte Martin rifvertragsgesetzes und dessen Grundsatz-Tarifvertrag zwischen sowie in Haustarifverträgen unter Seiler, DB-Vorstand für Personal Ergänzung aus dem Tarifeinheits- der DB und der GDL ausgelauanderem Zulagen für hohe Le- und Recht. Die Gewerkschaft solle gesetz gehen. Aus Sicht der GDL fen. Darin hatten sich die beiden benshaltungskosten in Ballungs- aufhören, die Corona-Schäden ist die garantierte Anwendung der Parteien geeinigt, die in § 4a TVG räumen eingeführt werden. zu leugnen und stattdessen Ver- eigenen Tarifverträge zwingend er- enthaltene Norm zur Feststellung Aus Sicht der DB handelt es sich nunft annehmen. Die horrenden forderlich, um eine Verbesserung um ein “milliardenschweres Paket Forderungen seien angesichts der der Entgelt- und Arbeitsbedingun-

und Beseitigung einer Tarifkollision nicht anzuwenden. Da es keine Ersatzregelung gibt, sieht sich die DB nun zur Anwendung des Gesetzes verpflichtet und hat beide Gewerkschaften aufgerufen, ihre Mitgliedslisten bei einem Notar zu hinterlegen. Dieses Vorgehen sei ein vom Gesetzgeber anerkanntes Verfahren. Bis zum 26. Februar hatten beide Gewerkschaften Zeit, dieser Aufforderung Folge zu leisten, doch die GDL lehnte ab. Alternativ bleibt für die DB nur der Weg, über im Unternehmen befindliche Daten zu einer Einschätzung zu gelangen. So könnten dafür die Ergebnisse der letzten Betriebsratswahlen als Näherung herangezogen werden. “Der Gesetzgeber hat uns das TEG vorgegeben und wir müssen dieses nun umsetzen”, sagt Seiler. Diesen Verfahrensschritt wird man wohl nicht stoppen können. Denn dazu müssten sich nicht nur DB und GDL einigen, auch die Eisenbahnund Verkehrsgesellschaft (EVG) müsste dem zustimmen. Die hat aber kein Interesse an so einem Vorgehen, gilt sie im Allgemeinen doch als die größere der beiden Gewerkschaften. Damit scheint eine Lösung des Konfliktes nicht möglich. Hier sind Kreativität und guter Wille gefragt.

Sturm im Wasserglas

Corona als Dienstunfall

Tariferhöhung im April in Gefahr?

(BS/Jörn Fieseler) Es ist die Stunde der Juristen und Tarifexperten. In Redaktionsverhandlungen wird der erzielte Tarifkompromiss von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in eine ausformulierte rechtliche Ta(BS/mfe) In Schleswig-Holstein soll es für Polizeibeamte in Zukunft einfacher sein, eine Infektion mit dem rifeinigung gegossen. Bei den letzten Details eskalierte nun der Streit. Coronavirus als Dienstunfall anerkennen zu lassen. Das Kieler Finanzministerium, das für das finanzielle Dienstrecht zuständig ist, plant einen entsprechenden Erlass. Dort sollen Kriterien für eine erleichterte Füh- Der Streit gilt nicht für den Bund, rung des Nachweises zwischen Erkrankung und Dienstausübung für die antragstellenden Beamtinnen und der die RedaktionsverhandlunBeamten bestimmt werden. gen mit der Vereinten Dienstleis-

Leichtere Anerkennung in Schleswig-Holstein

Eine vergleichbare Regelung ist auch im Leitfaden des Spitzenverbandes der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) für alle gesetzlich Versicherten enthalten. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Dietmar Schilff, zeigte sich erfreut. Gleichwohl setzt sich die GdP weiterhin dafür ein, auch im Bund und den anderen Bundesländern eine Veränderung der Rechtslage herbeizuführen und die Beamtenversorgungsgesetze anzupassen. Die GdP hatte auch einen Brief mit entsprechenden Forderungen an den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz (IMK), Baden-Württembergs Ressortchef Thomas Strobl (CDU), geschickt. Der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Schleswig-Holsteins, Andreas Kropius, wertete den vom Finanzministerium geplanten Erlass in der Sache als sehr hilfreich. Am Ziel sieht sich die GdP jedoch noch nicht: “Trotz dieser positiven Entwicklung werden wir uns weiterhin für eine Anpassung der Versorgungsgesetze einsetzen. Durch Parlamente getragene Gesetzesanpassungen dokumentieren die Wertschätzung und Fürsorge für diejenigen, die sich in Pandemiezeiten nicht wegducken können und wollen”, erklärte Kropius. In dem Erlass, der sich noch in

Schleswig-Holstein passt das Versorgungsrecht an: Corona-Infektionen können so leichter als Dienstunfall anerkannt werden. Foto: BS/Mongkolchon, stock.adobe.com

der Erarbeitung befindet, werden die Kriterien für eine Anerkennung einer Corona-Erkrankung als Dienstunfall spezifiziert. Demnach muss diese nachweislich im Dienst oder infolge eines intensiven Dienstkontaktes mit einer infektiösen Person stattgefunden haben und die Erkrankung muss spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Kontakt erfolgt sein. Die Intensität des Kontaktes bemisst sich dabei nach Dauer und örtlicher Nähe. Lässt sich kein intensiver Kontakt zu einer infektiösen Person feststellen, kann es im Einzelfall auch ausreichen, wenn es im unmittelbaren Dienstumfeld der betroffenen Beamtin oder des betroffenen Beamten nachweislich eine größere Anzahl von infektiösen Personen gegeben hat und konkrete, die Infektion

begünstigende Bedingungen bei der Beamtin oder dem Beamten vorgelegen haben. Dabei spielen Aspekte wie Anzahl der nachweislich infektiösen Personen im engeren dienstlichen Umfeld, Anzahl der üblichen Personenkontakte, geringe Infektionszahlen außerhalb des dienstlichen Umfeldes sowie räumliche Gegebenheiten wie die Belüftungssituation eine entscheidende Rolle. Dies kann etwa für Polizisten mit Blick auf die Situation im Streifenwagen, Mitarbeiter von Justizvollzugsanstalten oder Lehrer relevant sein. Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Dienstunfalls ist zusätzlich zu berücksichtigen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt Kontakt zu anderen infizierten Personen in privaten Lebensbereichen bestanden hat.

tungsgewerkschaft Verdi sowie dem DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB) bereits abgeschlossen hat. Die Beschäftigten des Bundes werden wie vereinbart die höheren Entgelte zum 1. April erhalten. Anders beim Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst, Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-VKA). Fünf Redaktionssitzungen haben bereits stattgefunden, es wird über jedes Komma und jedes Wort gerungen. Eigentlich sind alle materiell relevanten Punkte geklärt. Doch bei den Formulierungen zum Thema Fahrradleasing eskalierte jüngst der Streit. Jeder beschuldigt die andere Seite: Die VKA habe den Konsens vom Oktober 2020 verlassen, sagte Volker Geyer. “Mit diesem Foulspiel hat die VKA deutlich gemacht, was sie von ihren Beschäftigten hält”, so der Fachvorstand Tarifpolitik beim DBB. Ursprünglich sollten beim “Jobrad” die offenen steuerlichen Fragen losgelöst vom erfolgreichen Abschluss geklärt werden, um dann zu einer Lösung zu kommen. Jetzt habe die Arbeitgeberseite die Regelungen zur Vorbedingung für den Abschluss der Redaktionsverhandlungen gemacht, erläuterte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle. Dieses Vorgehen sei völlig absurd. Im Gegenzug wirft Niklas Benrath, Hauptgeschäftsführer der VKA, den

rich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion. Für den Gewerkschafter ein weiteres Desaster der politisch Verantwortlichen. “Die Umsetzung scheitert dabei ganz klar nicht an den Beschäftigten in der Verwaltung, die unter den vorhandenen Bedingungen ihr Bestes geben, sondern an fehlender Steuerung und fehlendem Mut der Politik”, so Silberbach. Gerade bei IT-Großprojekten träfen politische Versprechen auf eine analoge Verwaltungswirklichkeit. Deshalb müsse bei Gesetzen wesentlich stärker auf die administrative Umsetzung geachtet werden. Als Positivbeispiel nannte Silberbach die Schweiz. Dort würden Gesetzesentwürfe anhand von Checklisten überprüft.

Erfolgsquote unter zwei Prozent

(BS/mj) 111 von 5.361 Verfassungsbeschwerden waren 2020 erfolgreich. Das geht aus dem ersten Jahresbericht des Bundesverfassungsgerichts hervor. Damit liegt die Erfolgsquote bei rund zwei Prozent und damit leicht über dem Zehnjahresdurchschnitt von 1,88 Prozent. Mit 94 Prozent machten die Verfassungsbeschwerden 2020 den mit Abstand größten Anteil an Verfahrenseingängen aus. Ob die Beschwerde, die grundsätzlich von jeder Bürgerin und jedem Bürger eingebracht werden kann, “angenommen” wird, prüft jeweils eine Kammer aus drei Richterinnen und Richtern. 2020 wurden 4.983 Beschwerden nicht angenommen, davon 80,63 Prozent ohne Begründung. Die häufigsten Verfassungsbeschwerden gründeten sich auf Urteile aus Zivil- und Strafverfahren, welche eine überdurchschnittliche Erfolgsquote von 2,13 Prozent verzeichnen konnten.

Corona-bedingt neue Fristen

Große Aufregung um ein kleines Detail: Die Redaktionsverhandlungen zum TVöD waren Anfang März immer noch nicht abgeschlossen. Die Auszahlung der erhöhten Entgelte dürfte dies aber nicht beeinträchtigen. Foto: BS/phili1444, stock.adobe.com

Gewerkschaften vor, sie hätten überraschend gänzliche neue Forderungen aufgestellt, die der Einigung vom Oktober 2020 zuwiderlaufen würden. Fakt ist: Erst wenn die Tarifeinigung abgeschlossen worden ist, können die einzelnen Bestandteile wie die Entgelterhöhung von 1,4 Prozent, mindestens aber 50 Euro, ab 1. April 2021 umgesetzt werden. Bis Redaktionsschluss stand das Ergebnis noch nicht fest. Es ist jedoch davon auszugehen, dass beide Seiten auf den letzten Metern auch diese Frage klären werden und der Auszahlung der Entgelterhöhung nichts im Wege stehen wird. Auch wenn die Zeit dafür langsam knapp wird.

(BS/jf) Damit Planungs- und Genehmigungsverfahren ebenso wie besondere Entscheidungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung auch weiterhin trotz der erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie durchgeführt werden können, hat der Bund das Planungssicherstellungsgesetz (PlanSiG) verlängert. Ursprünglich sollte das Gesetz Ende März 2021 auslaufen. Nun ist das Gesetz bis zum 31. Dezember 2022 gültig. Mit dem PlanSiG wurden formwahrende Alternativen für Verfahrensschritte in Planungsund Genehmigungsverfahren sowie in besonderen Entscheidungsverfahren zur Verfügung gestellt, bei denen sonst die Verfahrensberechtigten zur Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte physisch anwesend sein und sich zum Teil in großer Zahl zusammenfinden müssten. Zusätzlich wurden mit dem Gesetz die Möglichkeiten der Nutzung von Video- und Telefonkonferenzen in Personalratssitzungen verlängert sowie das FALTER-Arbeitszeitmodell und die Altersteilzeit für Beamtinnen und Beamten (hierzu siehe Seite 4).


Seite 4

B

ehörden Spiegel: Der Entwurf für eine Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes ist in den Bundestag eingebracht worden. Ist das aus Sicht des DBB ein gelungener Entwurf?

Silberbach: Das kann man so nicht sagen. Wir konnten im Beteiligungsverfahren des Ressorts einige Punkte einbringen, die geändert wurden. Wichtige Forderungen sind aber nicht umgesetzt worden. Behörden Spiegel: Was ist positiv am Gesetzentwurf? Silberbach: Da gibt es gar nicht so viel. Der Punkt, dass Personalratssitzungen auch in Video- und Telefonkonferenzen stattfinden können – nicht müssen –, ist positiv, außerdem Klarstellungen hinsichtlich Kostenfragen und Datenschutz. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Die Bundesministerien organisieren zum Beispiel ihre Videokonferenzen nicht selbst, sondern über externe Anbieter und Cloud-Lösungen. Dadurch ist nicht auszuschließen, dass unbefugte Dritte mithören. Das ist bei personalvertretungsrechtlichen Maßnahmen, die Einzelpersonen betreffen, nicht akzeptabel. Da muss nachgearbeitet werden. Wenn bei einer PRSitzung ein Administrator dabei ist, der nicht Mitglied des Personalrates ist, muss sichergestellt werden, dass er die Diskussionen nicht verfolgen kann. Behörden Spiegel: Im gewerkschaftlichen Lager gab es die Forderung, digitale Konferenzen nicht dauerhaft zu etablieren. Hat sich der DBB hier durchgesetzt? Silberbach: Im Grundsatz haben wir an einem Strang gezogen. Die Entscheidung, ob es eine Video- oder Präsenzsitzung wird, muss in die Sphäre der Personalräte gelegt werden. Zudem wehren wir uns gegen eine Verpflichtung, weil seitens der Dienstherren Kosteneinspareffekte geltend gemacht werden. Das Einsparvolumen wird auf 300.000 Euro beziffert. Es darf aber nicht dazu führen, dass die

Aktuelles Öffentlicher Dienst / Ruhestand und Pflege

Behörden Spiegel / März 2021

Über Baustellen und rote Linien

diese keinen Zugang zu den Mitarbeitern im Homeoffice?

Silberbach zum Bundespersonalvertretungsgesetz (BS) Der Entwurf für eine Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG) ist in den Bundestag eingebracht worden. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist nicht alles darin gelungen. “Es müssen Spielregeln definiert werden”, sagt Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion (DBB). Vor allem bei der sogenannten Einigungsstelle und der Beteiligung bei ressortübergreifenden Maßnahmen gebe es Nachbesserungsbedarf. Zudem erläutert der DBB-Bundesvorsitzende, warum das Gesetz in der nächsten Legislatur wieder auf die Agenda gehört. Die Fragen stellte Jörn Fieseler. Dienststelle Videokonferenzen verlangt, um Reisekosten zu sparen. Der Personalrat muss selbst entscheiden können. Schließlich dürfen den einzelnen Mitgliedern nicht die Beteiligungsrechte beschnitten werden, beispielsweise wenn technische Hürden dazu führen, dass ein Personalratsmitglied eine Videokonferenz nicht verfolgen kann.

“Es muss bei der jetzigen Situation bleiben, dass die Einigungsstelle das Letzt­ entscheidungsrecht hat”,

Behörden Spiegel: Muss diese Entscheidung im Personalrat einstimmig getroffen werden? Silberbach: Nein. Wir präferieren den pragmatischen Weg, es in der Geschäftsordnung festzulegen und eine Sperrklausel zu formulieren. Wenn sich ein Viertel der Mitglieder gegen eine Videokonferenz ausspricht, ist die Sitzung in Präsenz durchzuführen. Behörden Spiegel: Wie sieht es mit der technischen Ausstattung der Personalräte aus? Ist dafür der Dienstherr verantwortlich? Silberbach: Ja. Offen ist aber noch die Frage, was passiert, wenn ein Personalratsmitglied sein privates Endgerät einbringen will. Es müssen Spielregeln definiert werden, damit am Ende nicht Beschlüsse angezweifelt werden können, nur weil ein nicht genehmigtes Endgerät genutzt wurde. Aber auch das muss in der Geschäftsordnung geregelt werden. Behörden Spiegel: Was sind die größten Kritikpunkte? Silberbach: Das betrifft vor allem die Einigungsstelle und die Digitalisierung. Dienststelle und Personalräte sollen vertrau-

fordert der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach. Foto: BS/DBB Marco Urban

ensvoll zusammenarbeiten. In der alten Welt haben wir eine Einigungsstelle, die in gewissen Konfliktpunkten bindende Beschlüsse treffen kann. Wenn das nun so geregelt werden soll, dass der Dienstherr diese Beschlüsse aufheben kann, ist das eine extreme Verschlechterung. Ein Beispiel: Es wurde von der Leitung wieder einmal ein viel zu teurer externer Berater beauftragt. Wenn die Personalvertretung bei daraus resultierenden vorgeschlagenen Maßnahmen nicht in der Lage ist, über einen Beschluss der Einigungsstelle auf die Bremse zu treten, dann ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Dienststelle nicht mehr möglich. Behörden Spiegel: Was heißt das konkret? Silberbach: Es muss bei der jetzigen Situation bleiben, dass die Einigungsstelle das Letztentscheidungsrecht hat. Davon unberührt bleibt der Weg zu den

Gerichten. Allerdings sehen wir hier noch keine Bewegung bei der Arbeitgeberseite.

und könnten bei der Umsetzung in den einzelnen Ressorts die Hauptpersonalräte übernehmen?

Behörden Spiegel: Und bei der Digitalisierung?

Silberbach: Der Personalrat beim Bundeskanzleramt vertritt nur die dortigen Beschäftigten und wird auch nur von diesen gewählt. Er hätte keine Legitimation. Es sind alle Personalräte auf gleicher Ebene einzubeziehen. Alle Partner müssen gleichberechtigt an einen Tisch und es muss so lange gerungen werden, bis ein Ergebnis vorliegt. Über andere Lösungswege sind wir bereit zu reden.

Silberbach: Im Koalitionsvertrag heißt es, wir wollen eine Lösung für eine Beteiligung der Personalräte bei ressortübergreifenden Maßnahmen erarbeiten. Diese Lösung gibt es bisher nicht. Hier wird weiter gemauert. Der Versuch, die Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte (HPR) einzubinden, bereitet uns große Sorgen. Das hat mit dem Demokratieprinzip, wie wir es bei der Personalvertretung kennen, nichts zu tun. Das ist ein loser Verbund von autonomen Personalräten, der aber nicht legitimiert ist, solche Maßnahmen zu begleiten. Das ist eine Beteiligungslücke, die geschlossen werden muss. Wir brauchen eine Klarstellung, wer die Beteiligungsrechte wahrnimmt. An dieser Stelle ist der Öffentliche Dienst auch nicht mit einem Konzern vergleichbar. Die Bundeskanzlerin hat eine Richtlinienkompetenz bei politischen Fragen, über die Umsetzung entscheiden aber die einzelnen Ressorts allein. Deshalb haben wir dort noch eine Lücke. Behörden Spiegel: Könnte bei allen ressortübergreifenden Maßnahmen der Personalrat im Bundeskanzleramt federführend werden

Behörden Spiegel: Welche weiteren Baustellen gibt es bei der Digitalisierung? Silberbach: Das zweite Thema ist das Zugangsrecht der Gewerkschaften im Homeoffice. Aktuell werden die Gewerkschaften massiv ausgebremst. Wir haben keine Möglichkeit, auf digitale Systeme der Dienststellen zuzugreifen. Und wir haben keine Kanäle, um die Menschen in den Behörden im Homeoffice direkt ansprechen zu können. Hier wollen wir im Sinne der Koalitionsfreiheit als Gewerkschaft das Recht haben, digitale Inhalte über die Systeme der Dienststelle zu präsentieren. Behörden Spiegel: Das wäre die gewerkschaftliche Seite. Was mich mehr erstaunt hat, ist die Forderung nach einer Intranetpräsenz der Personalräte. Haben

Silberbach: Es mag Behörden geben, wo das noch nicht der Fall ist. Fest steht, die Intranetpräsenz der Personalräte darf nicht für gewerkschaftliche Werbung genutzt werden. Der Personalrat ist unabhängig. Deshalb brauchen die Gewerkschaften das Recht auf einen eigenen Zugang, um sich im Intranet zu präsentieren. Damit Personalratsarbeit und Gewerkschaftsarbeit nicht vermischt werden. Behörden Spiegel: Die Legislaturperiode nähert sich dem Ende. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, die genannten Punkte zu klären und trotzdem das Gesetz rechtzeitig zu verabschieden, damit es nicht der Diskontinuität zum Opfer fällt? Silberbach: Das werden wir im Beteiligungsverfahren des Parlaments sehen. Wichtig ist, dass das gesamte Konstrukt nicht in die nächste Legislatur verschoben wird. Deshalb haben wir bewusst darauf verzichtet, in den Detailfragen Beton anzurühren. Wir brauchen an dieser Stelle Mut zur Lücke. Was jetzt geeint wurde, soll auf den Weg gebracht werden. Es gibt Aufgaben und Fragestellungen, die müssen in der nächsten Legislatur angegangen werden. Behörden Spiegel: Besteht dann nicht die Gefahr, dass das Gesetz von der Agenda verschwindet? Silberbach: Die Sorge habe ich nicht. Wie auch immer die nächste Bundesregierung zusammengesetzt sein wird, es werden Kräfte beteiligt sein, die eine vernünftige Personalratsarbeit, Transparenz und Beteiligung unterstützen wollen. Darauf setzen wir. Behörden Spiegel: Was fordert der DBB mit Blick auf die Bundestagswahl? Silberbach: Wir befinden uns im Prozess, diese Forderungen zusammenzutragen. Die Herausforderung ist enorm, das hat die Pandemie mehr als verdeutlicht. Schon jetzt steht fest: Erstens darf am Öffentlichen Dienst nicht gespart werden. Nur wenn es dem Öffentlichen Dienst gut geht, geht es auch der Wirtschaft gut. Zweitens benötigen wir dringend weitere 100 Milliarden Euro für die digitale Bildung. Und drittens dürfen wir den Klimawandel nicht außer Acht lassen und wie wir die Energieversorgung der Zukunft sicherstellen wollen.

Frist verlängert Beamte: Altersteilzeit, FALTER-Modell, Eintritt in den Ruhestand (BS/jf) Im Beamtenrecht des Bundes sind die Regelungen zur Altersteilzeit und zum Hinausschieben der Altersgrenze in Teilzeit, das sogenannte FALTER-Modell, verlängert worden. Auch im Tarifrecht gibt es eine entsprechende Ergänzung. Parallel verschiebt sich der Eintritt in den Ruhestand im Rahmen der Angleichung an die Rente. Die Fristverlängerung erfolgte im Rucksackverfahren und wurde während der Beratungen zum Planungssicherstellungsgesetz im Bundestag ergänzend aufgenommen. Damit wurde für die Beamtinnen und Beamten des Bundes nachgezeichnet, was im Tarifbereich während der letzten Runde im Oktober 2020 für Angestellte im Öffentlichen Dienst schon beschlossen wurde. Statt bis zum 1. Januar 2021 gelten die Regularien für die Altersteilzeit und das FALTER-Arbeitszeitmodell bis zum 1. Januar 2023 weiter fort. An den Voraussetzungen für beide Möglichkeiten ändert sich nichts. So kann nach § 93 Bundesbeamtengesetz (BBG) einen Antrag auf Altersteilzeit stellen, wer das 60. Lebensjahr vollendet hat bzw., bei Menschen

mit Schwerbehinderung oder aus besonders festgelegten Stellenabbaubereichen, ab dem 55. Lebensjahr. Wer den Eintritt in den Ruhestand verzögern möchte, kann nach § 53 BBG bis zu sechs Monate vor Eintritt einen Antrag stellen. Allerdings muss dafür ein dienstliches Interesse vorliegen, um den Wechsel in den Ruhestand um bis zu zwei Jahre hinauszuschieben. Dafür muss höchstens bis zu zwei Jahre vor und für höchstens den gleichen Zeitraum nach Erreichen der Regelaltersgrenze in Teilzeit gearbeitet werden. Für den Tarifbereich beim Bundeseisenbahnvermögen (BEV) konnte die Eisenbahn- und Verkehrs-Gewerkschaft (EVG) ebenfalls eine Verlängerung bis zum gleichen Datum aushandeln. Parallel soll eine paritätisch

besetzte “Arbeitsgruppe Altersteilzeit” gegründet werden. Diese soll weitere Entwicklungsmöglichkeiten der Altersteilzeitregelungen beim BEV zeitnah prüfen. Generell steigt für Beamtinnen und Beamte die Regelaltersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand analog zur Rente. So dürfen Männer und Frauen im Staatsdienst des Jahrgangs 1957 mit 65 Jahren und elf Monaten aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Für Personen des Jahrgangs 1958 gilt die Altersgrenze von 66 Jahren. Diese steigt für die Folgejahrgänge bis 1964 im Zwei-Monats-Rhythmus bis auf 67 Jahre. Die Anhebung der Monate gilt entsprechend für die Altersgrenze für Beamte auf Lebenszeit im Feuerwehrdienst und bei der Bundeswehr, die von 60 auf 62 Jahre steigt.


Bund

Behörden Spiegel / März 2021

B

ehörden Spiegel: Frau Keller-Engels, welche Aufgaben hat Ihr Bundesamt?

Veronika Keller-Engels: Das Bundesamt für Justiz (BfJ) zeichnet sich dadurch aus, dass es über ein sehr breites Aufgabenspektrum aus den verschiedensten Rechtsgebieten verfügt. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), von dem wir immer wieder neue Aufgaben übertragen bekommen. So haben wir hier im BfJ unter anderem Abteilungen für internationales Zivilrecht, für internationale strafrechtliche Angelegenheiten, für Registeraufgaben, für das Rechtsinformationssystem des Bundes, eine große IT-Abteilung, die unsere zahlreichen Fachverfahren betreut, sowie einen großen Bereich für Bußgeldund Ordnungsgeldverfahren. Wir sind ein Dienstleister für das BMJV, für Gerichte, Behörden und Staatsanwaltschaften sowie für die Bürgerinnen und Bürger. Behörden Spiegel: Was macht Ihre Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn noch? Keller-Engels: Wir arbeiten mit Blick auf die Offenlegungspflichten bestimmter Unternehmen sehr eng mit dem Betreiber des Bundesanzeigers zusammen. Darüber hinaus vollstreckt das BfJ außer den von ihm selbst festgesetzten Ordnungs- und Bußgeldern als Dienstleister die Forderungen anderer Behörden und Gerichte wie beispielsweise des Bundesgerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichts oder auch des BMJV. Ferner haben wir eine Abteilung, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich mit Verbraucherschutzangelegenheiten beschäftigen. Da geht es unter anderem um Beschwerden nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder die Schlichtung bei Streitigkeiten mit Luftfahrtunternehmen. Sie sehen also: Unsere Tätigkeit ist sehr vielfältig und birgt viele Herausforderungen. Behörden Spiegel: Wie sind denn Ihre bisherigen Erfahrungen mit den im Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorgesehenen Beschwerdemöglichkeiten bei Ihnen mit Blick auf Hasskriminalität?

D

ie diplomatischen Dienste der Vereinigten Staaten und Deutschlands stehen bereit, auf diese Herausforderungen dynamisch mit all unseren diplomatischen Fähigkeiten zu reagieren, aber Reformen sind notwendig. Um erfolgreich zu sein, muss unser diplomatisches Wirken Kompromisse und Vertrauensbildung mit Verbündeten und Gegnern gleichermaßen anstreben. Unsere diplomatischen Bemühungen müssen agiler werden, um unseren flinkeren Kollegen aus autokratischen Regimen zu begegnen, die auf kurzfristige taktische Erfolge fixiert sind. Unsere Diplomaten müssen befähigt sein, schnell zu handeln, um eine friedlichere, gerechtere und erfolgreichere Welt für alle zu sichern. Zunehmende Vielfalt innerhalb unserer Dienste und eine bessere Nutzung all unserer Beschäftigtenpotenziale können unsere Glaubwürdigkeit stärken und sicherstellen, dass wir unsere Mission im Namen unserer Regierungen und der pluralistischen Gesellschaften erfüllen, die wir auf der globalen Bühne vertreten.

Neue Karrierepfade erforderlich Komplexe Themen wie Klimawandel, Internet-Governance

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Vielfältiges Aufgabenspektrum

nalamt vorab die Bewilligung von BfJ und Auswärtigem Amt ein. Behörden Spiegel: Wer entscheidet über die Förderungswürdigkeit von Kriminalpräventionsund Kriminologieprojekten?

Bundesamt für Justiz ist Dienstleister für zahlreiche Akteure

(BS) Das Bundesamt für Justiz erledigt zahlreiche Aufgaben auf unterschiedlichsten Rechtsgebieten. Diese Vielfalt sei einmalig im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), sagt die Präsidentin der Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel ging es unter anderem auch um Auslieferungen und das Vorgehen gegen Hasskriminalität. Das Interview Keller-Engels: Das Bundesamt führten Uwe Proll und Marco Feldmann. für Justiz berät das BMJV mit Keller-Engels: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat sich als geeignetes Instrument zur Bekämpfung von Hasskriminalität grundsätzlich bewährt. Wir stellen ein Online-Beschwerdeformular auf unserer Homepage zur Verfügung, über das uns unterlassene oder nicht fristgerechte Löschungen von rechtswidrigen Inhalten gemeldet werden können. Wir stellen fest, dass die Betreiber Sozialer Netzwerke aufgrund unserer Möglichkeit zur Bußgeldandrohung stärker als früher bereit sind, ihr Beschwerdemanagement anzupassen und ihre Meldewege zu verändern. Behörden Spiegel: Diesbezüglich sind doch aber gerade gesetzliche Anpassungen im Gespräch, oder?

“Wir sind ein Dienstleister für das BMJV, für Gerichte, Behörden und Staatsanwaltschaften sowie für die Bürgerinnen und Bürger.”

Behörden Spiegel: Anhand welcher Kriterien entscheiden Sie über internationale Fahndungsersuchen? Wie sind Bundeskriminalamt und Auswärtiges Amt an diesem Prozess beteiligt?

Veronika Keller-Engels ist neue Präsidentin des Bundesamts für Justiz (BfJ) in Bonn.

Keller-Engels: Zunächst ist voranzustellen, dass zentrale deutsche Stelle für Fahndungsersuchen das Bundeskriminalamt ist. Aus Staaten, die zum Schengenraum gehören, werden Fahndungsersuchen in das Schengener Informationssystem SIS II eingestellt und sodann über eine Schnittstelle automatisch in das deutsche INPOLSystem eingespeist, ohne dass in Deutschland eine separate Entscheidung dazu ergeht. Im Nachgang können die deutschen Behörden beim ausschreibenden Staat verlangen, dass die Ausschreibung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gekennzeichnet wird. Dies bedeutet, dass die Person nach erfolgter Kennzeichnung dann in Deutschland nicht mehr festgenommen wird. In solchen Fällen besonderer Bedeutung beteiligt das Bundeskriminalamt das BfJ und das Auswärtige Amt. Die Zusammenarbeit mit beiden Behörden ist sehr gut und vertrauensvoll.

Foto: BS/Bundesamt für Justiz

dazu läuft noch. Für die neuen Aufgaben werden wir ein neues, zusätzliches Referat einrichten. Behörden Spiegel: Frau Präsidentin, wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit Auslieferungsersuchen und Vollstreckungshilfe?

Keller-Engels: Die Rechtshilfe in Strafsachen ist eines der “Die Rechtshilfe in Strafsachen ist K e r n a u f g a bengebiete des eines der Kernaufgabengebiete Bundesamts für Justiz. des Bundesamts für Justiz. Wir sind hier Wir sind hier Dienstleister für Dienstleister inländische Behörden sowie für inländische Behörden sowie Ansprechpartner für das AnsprechpartAusland.” ner für das Ausland. In diesem Keller-Engels: Voranzustellen Bereich hat das BfJ also eine ist, dass wir keine Löschung Schnittstellenfunktion, in deren inkriminierter Inhalte anordnen Rahmen wir pro Jahr mehr als können. Bislang sind wir “nur” 12.000 ein- und ausgehende repressive Verfolgungsbehörde, Rechtshilfeersuchen bearbeidie organisatorisches Versagen ten. Der Schwerpunkt unserer Tätigkeit liegt hierbei auf der bei den Betreibern prüft. Die einzelnen Postings werden Zusammenarbeit mit Staaten von den Staatsanwaltschaften außerhalb der EU (sogenannten geprüft und gegebenenfalls Drittstaaten). Unter anderem verfolgt. Das Netzwerkdurch- leiten wir Ersuchen entweder setzungsgesetz befindet sich an die zuständigen Behörden momentan allerdings in der No- hierzulande oder vice versa ins vellierung. Der Gesetzentwurf Ausland weiter und beraten im sieht vor, dass wir Aufsichts- Vorfeld. Zudem sind wir als jusbehörde werden und in dieser tizielle Kontaktstelle in verschieFunktion künftig im Hinblick auf denste Netzwerke eingebunden. Compliance-Pflichten eine unmittelbare Anordnungsbefugnis Behörden Spiegel: Wie gestalgegenüber den Betreibern Sozi- tet sich die Zusammenarbeit mit aler Netzwerke erhalten sollen. den einzelnen internationalen Das Gesetzgebungsverfahren Partnern?

Keller-Engels: Wir arbeiten mit vielen Staaten gut, eng und vertrauensvoll zusammen. Aber ich gebe zu, dass Rechtshilfe manchmal auch schwierig sein kann, da es unterschiedliche rechtsstaatliche Standards und komplexe Rechtsmaterien gibt. Insgesamt kann ich sagen, dass die Kooperation mit den übrigen Staaten der Europäischen Union sehr gut funktioniert. Darüber hinaus arbeiten wir mit Drittstaaten auf der Basis bilateraler Verträge (unter anderem mit den USA und Kanada) und multilateraler Übereinkommen, beispielsweise den Instrumenten des Europarats oder der Vereinten Nationen, zusammen. Grundsätzlich ist Rechtshilfe aber immer stark vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Behörden Spiegel: Welche Formen der Rechtshilfe existieren noch? Keller-Engels: Es gibt noch die Möglichkeit der vertragslosen Rechtshilfe nach Maßgabe des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Bei Staaten, in denen Verfolgten die Todesstrafe oder unmenschliche Haftbedingungen drohen können, fordert die Bundesrepublik Deutschland von dem ersuchenden Staat einzelfallabhängig vor der Gewährung von Rechtshilfe entsprechende Zusicherungen ein oder stellt bestimmte Bedingungen. Zudem findet derzeit beispielsweise keine Rechtshilfe mit Syrien, Somalia und Nordkorea statt.

Behörden Spiegel: Und wie sieht es bei außereuropäischen Fahndungsersuchen, etwa über Interpol, aus? Keller-Engels: Bei Fahndungsersuchen, die aus Staaten kommen, welche nicht zum Schengenraum gehören, findet eine Einspeisung in das deutsche Fahndungssystem nur nach einer Prüfung durch das Bundeskriminalamt statt. Wenn einem Fahndungsersuchen in politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung besondere Bedeutung zukommt, holt das Bundeskrimi-

Außenpolitik im 21. Jahrhundert In Vielfalt der Mitarbeiter investieren / Prozesse modernisieren (BS/Mirko Kruppa/Kenneth Kero Mentz*) Die internationalen Beziehungen ändern sich rasant angesichts komplexer Herausforderungen, ihres Entwicklungstempos und der Anzahl globaler Akteure auf der internationalen Bühne. In unserer hochintegrierten Welt verstehen die Menschen, dass globale Trends ihr tägliches Leben beeinflussen. So kann internationaler Wettbewerb zu Veränderungen der Volkswirtschaften, der Umwelt oder im Verbraucherschutz führen. Dies trägt bei zu wachsender Skepsis gegenüber der Globalisierung und sogar der Demokratie. Als Reaktion fordert eine neue und gefährliche Welle des Autoritarismus und des Unilateralismus die multilateralen Friedens- und Sicherheitsstrukturen heraus. oder die Verbreitung von Atomwaffen sind für die Außenpolitik von wachsender Bedeutung. Um diesen Themen besser begegnen zu können, müssen traditionelle diplomatische Karrierewege, die auf Standardrotationen von zwei bis drei Jahren basieren, einhergehen mit Karrierepfaden, auf denen sich einige von uns auf diese komplexen Fragen spezialisieren können. Befristete Entsendungen und der Austausch mit anderen staatlichen Institutionen könnten unseren Berufsdiplomaten neue Perspektiven für ihre berufliche Entwicklung bieten und ihnen ermöglichen, systematisch Kernkompetenzen in diesen Schlüsselbereichen aufzubauen. Wir brauchen ein berufslanges Aus- und Weiterbildungsprogramm, das durch eine Reservekapazität für Ausbildungsplätze getragen wird – wie beim US-Militär praktiziert oder im deutschen Gesetz über den Auswärtigen Dienst (§ 6 GAD) vorgeschrieben

(aber noch nicht umgesetzt). Kurz gesagt, wir brauchen ein Karriereentwicklungssystem, das es Diplomaten ermöglicht, ihren eigenen Karriereentwicklungspfad selbst zu gestalten und gleichzeitig sicherzustellen, dass dabei die Bedürfnisse des Dienstes erfüllt werden. Als nächstes müssen wir unsere Managementpraktiken modernisieren, bürokratische Hürden beseitigen und es unseren Di­ plomaten so ermöglichen, durch geschicktes Handeln globalen Herausforderungen begegnen zu können. Das deutsche und das US-amerikanische diplomatische Korps haben immer noch langwierige und kreativitätshemmende Bürokratien mit steifen Hierarchien, die unsere Fähigkeit beeinträchtigen, die Ziele unserer jeweiligen Regierungen tatsächlich zu erreichen. Autokratischen Regimen mangelt es an öffentlicher Rechenschaftspflicht oder gesetzlicher Kontrolle und sie können Ad-hoc-

Initiativen schnell koordinieren, was uns alt aussehen lässt. Unsere Auswärtigen Dienste müssen auf agilem Teamwork aufbauen, während sie den demokratischen Werten unserer pluralistischen Gesellschaften verpflichtet bleiben.

Schnellere Entscheidungsprozesse notwendig Daher brauchen wir schnelle Entscheidungsprozesse mit weniger Freigabeebenen, bevor wir Außenminister oder Staatssekretäre damit erreichen. Als Verteidiger der multilateralen Weltordnung müssen wir in der Lage sein, Strategien wie Eskalationsdominanz und/oder reflexiver Kontrolle flink entgegenzuwirken, um so sicherzustellen, dass lokale Öffentlichkeit und Gastregierungen informiert und mobilisiert werden. Das Leben eines Diplomaten ist herausfordernd, insbesondere auch für die vielfältigen Familien, die wir auf unsere Posten

in der ganzen Welt mitbringen, für Kinder, (Ehe-)Partner und manchmal sogar Eltern. Unsere Außenministerien sollten Berufsperspektiven für unsere Partner formalisieren und sicherstellen, dass ihre Stärken und Kenntnisse beim Wechsel von Posten zu Posten gewürdigt und belohnt werden. Es (Ehe-) Partnern systematisch zu ermöglichen, auch im Ausland zu arbeiten, in den Bereichen Verwaltung oder Entwicklungshilfe, Journalismus oder Kultur, Forschung oder Bildung, würde nicht nur weiteres Fachwissen und frische Netzwerke zu den diplomatischen Bemühungen der “gesamten Auslandsvertretung” hinzufügen. Es würde auch die Attraktivität unseres diplomatischen Dienstes für neue Bewerber mit unterschiedlichen persönlichen Hintergründen stärken. Daher wären die Finanzierung und Institutionalisierung eines diplomatischen Reservekorps sowohl für unsere

Blick auf die Förderfähigkeit von Projekten in den Bereichen Kriminalprävention und Kriminologie. Die endgültige Entscheidung trifft aber das BMJV. Wir sind also nur mittelbar am Entscheidungsprozess beteiligt. Forschungsprojekte, die vom BMJV beauftragt werden, begleiten wir in der Regel aber umfassend von der Ausschreibung bis zur Abnahme. Wir haben hier sozusagen die Funktion einer “helfenden Hand” des BMJV.

Behörden Spiegel: Wie gehen Sie vor, wenn dazu verpflichtete Unternehmen ihre Rechnungslegungsunterlagen beim Bundesanzeiger nicht elektronisch offenlegen? Keller-Engels: Kapitalgesellschaften und bestimmte andere Unternehmen sind zur Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen verpflichtet. Sie müssen diese elektronisch beim Betreiber des Bundesanzeigers einreichen. Dort werden die Unterlagen geprüft. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesanzeigers teilen uns dann mit, welche Unternehmen dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sind. Diese schreiben wir an und drohen ein Ordnungsgeld an. Die Firmen können dann entweder Einspruch einlegen und damit das Offenlegungssäumnis rechtfertigen oder die Unterlagen nachreichen. Behörden Spiegel: Wie geht es danach mit dem Verfahren weiter? Keller-Engels: Geschieht nichts von dem, setzen wir ein Ordnungsgeld fest, gegebenenfalls auch mehrmals hintereinander. Wir können jedoch kein Unternehmen per Zwangsvollstreckung zur Offenlegung zwingen. Aufgrund der Corona-Pandemie haben wir aber aktuell die Ordnungsgeldandrohung verschoben. Für das Geschäftsjahr 2019 verschicken wir die Androhungsschreiben erst nach den Osterfeiertagen.

Familien als auch für unseren diplomatischen Auftrag ein wichtiges Instrument. Diplomaten sind im 21. Jahrhundert für jede Regierung unverzichtbar und wir können noch hilfreicher sein, wenn wir von einem modernen Arbeitsumfeld motiviert und unterstützt werden. Wir dienen loyal unseren gewählten Mandatsträgern, unseren Nationen und unseren Mitbürgern. Aktuell stehen wir vor dem unbestreitbaren Bedarf, uns wiederzubeleben, zu reformieren und neu zu definieren. Der Erfolg wird von einem überparteilichen Konsens innerhalb unserer Gesellschaften und unserer Regierungen abhängig sein, um all jene politischen und budgetären Unterstützungsleistungen zu sichern, die für einen modernen, attraktiven und auf Vielfalt ausgerichteten diplomatischen Dienst nötig sind. Als Vertreter unserer jeweiligen Auswärtigen Dienste glauben wir, dass die Zeit, in diesem Sinne Maßnahmen zu ergreifen, jetzt gekommen ist. *Mirko Kruppa ist Vorsitzender des Personalrates im Auswärtigen Amt. Kenneth Kero-Mentz ist Generalsekretär bei der American Foreign Service Association (AFSA) im US-amerikanischen Außenministerium.


Länder

Behörden Spiegel / März 2021

Zentrale Einsatzkoordination aus Köln

deutlich weniger Aufnahmen anschauen müssen.

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B

ehörden Spiegel: Herr Esser, was genau ist die BAO Berg und seit wann gibt es sie?

Michael Esser: Die BAO Berg ist am 30. Oktober 2019 im Polizeipräsidium Köln eingerichtet worden. Ausgangspunkt war ein Kindesmissbrauchsverfahren in Bergisch Gladbach, wo der erste Beschuldigte identifiziert und festgenommen wurde. Dann stellte sich recht schnell he­raus, dass er viele Gleichgesinnte hatte. Innerhalb weniger Tage wurden durch die zuständige Kreispolizeibehörde im Rheinisch-Bergischen Kreis mehrere weitere Verdächtige identifiziert, nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Daraufhin entschied unser Innenministerium, dass der Fall durch uns in der Kriminalhauptstelle im Polizeipräsidium Köln zu bearbeiten sei. Wir sind als personalstarke Behörde und vom Aufgabenzuschnitt her besser auf die Bearbeitung solcher Fälle ausgerichtet. Behörden Spiegel: Was geschah dann? Esser: Da auch wir schnell merkten, dass es weitere Beschuldigte geben würde, haben wir die Ermittlungsgruppe aus Bergisch Gladbach bei uns integriert und eine “Besondere Aufbauorganisation” gegründet, die BAO Berg. Diese Einheit ist losgelöst von der “Allgemeinen Aufbauorganisation” und mehr als eine “normale” Ermittlungskommission. Wir wurden vom Innenministerium mit der landesweiten Einsatzführung in diesem Verfahrenskomplex gegen sexuellen Kindesmissbrauch beauftragt. Vom Polizeipräsidium Köln aus findet seitdem eine zentrale Einsatzkoordination mit bis zu 14 zeitgleichen Einsatzabschnitten im ganzen Land statt. Behörden Spiegel: Wie viele Mitarbeiter hatte und hat Ihre BAO? Esser: Angesichts der großen Dimensionen waren zeitweise bis zu 400 Mitarbeiter in der BAO Berg, die in dieser Form

“K

inder sind vielfältig und Schulklassen heterogen, damit muss ein Lehrer umgehen können – in erster Linie pädagogisch”, so Ilka Hoffmann, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Leiterin des Organisationsbereichs Schule. In diesem Sinne fordert sie mehr Pädagogik im Lehramtsstudium, um der Aufgabe Integration an Schulen gerecht werden können. Grundlage dafür sind laut Jürgen Böhm, Vorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR), eine wissenschaftliche Ausbildung und stabile (Lehrer-) Persönlichkeit. Es sei wichtig, Kindern und Jugendlichen mit und ohne eigene Migrationserfahrung Wissen zu vermitteln, das ihnen die Möglichkeit gibt, Bildungsungleichheiten zu überwinden. “Wir müssen in Chancen denken, nicht in Hindernissen”, betont der VDR-Vorsitzende. Integration sei dabei nur eine von vielen gesellschaftlichen Aufgaben, die von Lehrerinnen und Lehrern abgedeckt werden. Auch Präventionsmaßnahmen zu Essstörungen und Drogenmissbrauch, Inklusion und Umweltbewusstsein gehörten zum Aufgabenkanon des Lehrkörpers, erläutert Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL). Das könne schnell zu Burnout und Frustration führen, wenn unter der Aufgabenlast die Unterrichtsqualität leide, sowie zu einer Verschiebung der Prioritäten – weg von der Wissensvermittlung.

BAO Berg ermittelt NRW-weit gegen sexuellen Kindesmissbrauch

Behörden Spiegel: Nutzen Sie auch die Möglichkeit audiovisueller Vernehmungen?

(BS) Viele seiner Mitarbeiter müssen sich tagtäglich schreckliche Bilder anschauen, auf denen Kinder zum Teil schwerst sexuell missbraucht werden. Darunter befinden sich teilweise sogar Säuglinge und Kleinkinder. Die Rede ist von Michael Esser. Der Kriminaldirektor leitet die BAO Esser: Ja, die sind bei unseBerg im Kölner Polizeipräsidium. Vor welchen Herausforderungen und Problemen seine Kollegen und er bei ihrer Arbeit stehen, erläutert Esser ren Verfahren Standard, um die im Gespräch mit dem Behörden Spiegel (ein Porträt eines Auswerters finden Sie auf Seite 47). Die Fragen stellten Uwe Proll und Marco Feldmann. Belastung der Opfer möglichst

“Für diesen Einsatz gab es keine ­Blaupause, weshalb wir zum Beispiel ­Datenbanksysteme fortentwickelt und in der neuen Form hier erstmals zum ­Einsatz gebracht haben.”

Kriminaldirektor Michael Esser leitet die BAO Berg im Polizeipräsidium Köln. In seiner Einheit, deren Mitarbeiter gegen sexuellen Kindesmissbrauch kämpfen, waren zeitweise bis zu 400 Beschäftigte im Einsatz. Foto: BS/Polizei Köln

bundesweit bislang einmalig ist, zeitgleich tätig. Für diesen Einsatz gab es keine Blaupause, weshalb wir zum Beispiel Datenbanksysteme fortentwickelt und in der neuen Form hier erstmals zum Einsatz gebracht haben. Nichtsdestotrotz hat uns die Auswertung der riesigen zu analysierenden Datenmengen auch immer wieder vor Herausforderungen gestellt. Um diese bewältigen zu können, hat uns das Innenministerium einen eigenen Server bereitgestellt. Behörden Spiegel: Wie wählen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus? Esser: In der Auswertung und Analyse von Missbrauchsbildern sind nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig, die das freiwillig machen. Denn in diesem Bereich ist die psychologische Belastung am höchsten. Dabei handelt es sich größtenteils um Kriminalbeamte. Wenn sie das nicht mehr machen wollen, müssen sie das nicht weiter begründen. Dann werden sie sofort in anderen Bereichen eingesetzt. Da die BAO Berg sehr schnell eingerichtet

werden musste, konnten wir keine Auswahlverfahren durchführen, sondern mussten auf bereits vorhandenes Personal zurückgreifen. Behörden Spiegel: Was tun Sie, um Ihre Mitarbeiter zu entlasten? Esser: Wir versuchen, das Arbeitsumfeld so angenehm wie möglich zu gestalten. Außerdem machen wir keine Bild- und Videoauswertungen in Einzelbüros, sondern in Großraumbüros. Da ist ein Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen möglich, der den einzelnen Mitarbeiter psychisch entlasten kann. Außerdem haben wir die Schichtlänge in der Auswertung verkürzt und mit großzügigen Pausenregelungen versehen. Des Weiteren machen wir den Kolleginnen und Kollegen Sport-, Entspannungs- und interne und externe psychologische Unterstützungsangebote und bieten Supervisionen an. Zu Beginn der BAO haben wir auch einen separaten Essensbereich abseits der eigentlichen Kantine geschaffen, damit sich die Kollegen über das an den

Auswerterechnern Erlebte austauschen können. Das hat viele Entlastungsmomente gebracht. Nichtsdestotrotz mussten einige Kollegen klinisch behandelt werden. Behörden Spiegel: Wie fällt Ihre bisherige Erfolgsbilanz aus? Esser: Wir haben bisher mehr als 50 Kinder aus den Händen ihrer Peiniger befreit und mehr

fotorealistische Darstellung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes, es steht also sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Vordergrund. In der Praxis stellt sie sich aber sehr vielfältig dar. Ich bin dazu übergegangen, bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder immer von Vergewaltigung zu sprechen. Denn solche Taten sind fast immer mit einer Penetrierung des Opfers verbunden und mit diesem Begriff wird aus meiner Sicht am besten deutlich, welch heftiges menschliches Leid mit derartigen Delikten einhergeht. Gleiches gilt für den Besitz oder Erwerb kinderpornografischen Materials. Schließlich braucht es für jedes dieser Bilder und Videos einen realen Missbrauch. Behörden Spiegel: Kommt bei der polizeilichen Auswertung kinderpornografischen Materials in Nordrhein-Westfalen auch Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz? Esser: Ja, wir nutzen entsprechende Software. Die hilft uns,

“Ich bin dazu übergegangen, bei ­sexualisierter Gewalt gegen Kinder immer von Vergewaltigung zu sprechen.” als 330 Tatverdächtige identifiziert. Dabei haben wir Bezüge ins europäische und außereuropäische Ausland feststellt. Im Ausland haben wir jedoch weniger Tatverdächtige ermittelt als in Deutschland. Behörden Spiegel: Wie definieren Sie eigentlich Kinderpornografie? Esser: Laut juristischer Definition ist Kinderpornografie die

auch sehr, ersetzt die händische Analyse durch einen Mitarbeiter meiner BAO allerdings keineswegs. Denn wenn es darum geht, die missbrauchten Kinder zu identifizieren, kommt es auf Details in den Bildern und Videos an. Und die kann keine bislang verfügbare Software erkennen und auswerten. Das kann nur der Mensch, insbesondere wenn es um die Analyse von Chats geht. Die Technik trägt allerdings dazu bei, dass sich meine Mitarbeiter

Mehr Personal und mehr buntes Personal Integration an Schulen ist Herausforderung und Chance für Lehrkräfte und Schulen (BS/Malin Jacobson) Mit dem Bericht der Fachkommission Integration der Bundesregierung gehen eine ganze Reihe an Empfehlungen für Inte­ gration an Schulen einher. Besonders die Lehrkräfte werden in den Blick genommen und deren vermehrte Ausbildung in “Sprachbildung, Sprach­ förderung und Diagnostik” gefordert. Zum einen soll es für alle verpflichtende Fort- und Weiterbildungen geben, zum anderen sollen an jeder Schule Beauftragte für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) die Umsetzung entsprechender Schulentwicklungsmaßnahmen sichern. Zu diesen Empfehlungen gibt es unter Expertinnen und Experten verschiedene Ansichten. Dieser Diskrepanz lässt sich auf verschiedene Arten begegnen. Laut Hoffmann müsste vor allem die Lücke zwischen universitärer Ausbildung und Praxis geschlossen werden. Der Bezug zur schulischen Realität sowie umfassende Vorbereitung und Beratung seien essenziell. Dabei spielten sowohl Praxissemester als auch eine Betreuung während des Berufseinstiegs eine entscheidende Rolle, damit angehende Pädagoginnen und Pädagogen mit der Integrationsfrage nicht allein gelassen würden.

Lehrkräfte mit Migrationsge­ schichte haben viel Potenzial “Dafür brauchen wir mehr Personal, mehr buntes Personal”, unterstreicht die Leiterin des Organisationsbereichs Schule bei der GEW. “Die Lehrkräfte in NRW mit eigener Zuwanderungsgeschichte bringen oftmals besondere sprachliche und kulturelle Kompetenzen mit, die das gemeinsame Lernen, Lehren und Leben in der Schule stark bereichern können”, heißt es aus dem Ministerium für Schule und Bildung in NordrheinWestfahlen. Allerdings sind dafür, laut unseren Gesprächspartnern, weitere Maßnahmen notwendig. Im

Ausland erworbene Abschlüsse seien verstärkt anzuerkennen und auch Schüler mit Migrationserfahrung beziehungsweise entsprechenden Sprachkenntnissen explizit auf den Lehrberuf anzusprechen. Auch Souad Lamroubal, welche den Bereich Migration und Bildung der Behörden SpiegelStiftung betreut, sieht in Lehrkräften mit Migrationsgeschichte viel Potenzial für die Umsetzung des gesellschaftlichen Integrationsauftrags. Allerdings müssten die Schulträger vermehrt in die Pflicht genommen werden, Konzepte für Diversität an Schulen zu entwickeln. Nur so kann laut Lamroubal sichergestellt werden, dass die einzelnen Lehrkräfte sich auch im Lehrerzimmer wohlfühlen. Auch werde man kaum eine Mindestquote für Lehrkräften mit direkter oder indirekter Migrationserfahrung festlegen können, so Böhm. Diese Entwicklung müsse eher über ein offenes System herbeigeführt werden, in welchem die Herkunft keine Rolle spiele, oder über finanzielle Anreize.

Aufgabe aller oder einzelner Die Frage, inwiefern Integration Aufgabe des gesamten Lehrkörpers oder einzelner, besonders kompetenter Pädagogen ist, ist

umstritten. Am Beispiel Inklusion kann man laut Böhm sehen, wie es funktionieren kann. Eine weitere pädagogische Fachkraft im Klassenzimmer könnte helfen, sprachliche Hindernisse zu überwinden und so die fachliche Lehrkraft unterstützen, die so der Wissensvermittlung gerecht werden kann. Für diese Option gebe es sogar genug geschultes Personal, sagte Meidinger, nur keine Stellen. Diese seien nach wie vor auf das jeweilige Unterrichtsfach zugeschnitten. Ein anderer Ansatz ist es, “Deutsch als Zweitsprache” für alle Lehramtsstudiengänge einzuführen und bereits im Beruf stehenden Lehrerinnen und Lehrern durch Fortbildungen zugänglich zu machen. In jede Fachdidaktische Ausbildung gehörten Sprachbildung und Sprachsensibilisierung, so die Vertreterin der GEW. Solche Module sind bereits in einigen Bundesländern in die Lehrkräfteausbildung integriert. Beispielsweise in SchleswigHolstein, wo laut Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur die “durchgängige Sprachbildung als Pflichtelement in allen entsprechenden Studiengängen verankert” ist. Auch NRW hat “seit 2011 das

Pflichtelement “Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte” für Lehramtsstudierende aller Lehrämter und Fächer festgeschrieben”, hieß es aus dem Schulministerium.

Wissensvermittlung ist keine interkulturelle Kompetenz Diese Zusatzausbildung ist in Lamroubals Augen jedoch noch nicht ausreichend, um der Integrationsaufgabe gerecht zu werden. Deutsch als Zweitsprache fördere in erster Linie die Wissensvermittlung und nicht die interkulturelle Kompetenz der Lehrkräfte. Auch sei nicht abschließend geklärt, wie das spezifisch geschulte Personal eingesetzt werde, welche Lehrmaterialen zur Verfügung stünden und ob der Mehraufwand für Fortbildung und spätere Umsetzung an den Schulen berücksichtigt werde, kritisiert sie.

Zusatzkräfte für DaZ Den Einsatz von sprachsensiblen Lehrerinnen und Lehrern als Zusatzkräfte für den Fachunterricht lehnt Hoffmann entschieden ab. Sie würden damit zu Pädagogen zweiter Klasse degradiert und es sei Aufgabe aller Lehrer, sich für Integration

gering zu halten und alles in einer Vernehmung zu bündeln. Behörden Spiegel: Wie lange wird die BAO Berg noch notwendig sein?

Esser: Die Strukturen, die wir in 15 Monaten in der BAO Berg aufgebaut haben, sind inzwischen auch in eine Allgemeine Aufbauorganisation (AAO) überführt worden. Rein organisationstheoretisch könnten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch aus der BAO Berg nun auch dort in den einzelnen Einsatzabschnitten zu Ende ermittelt werden. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass es immer wieder zu neuen Durchsuchungen und Verfahren kommt, auch wenn wir in der BAO Berg inzwischen bei Altfällen keine Gefahrenüberhänge mehr haben. Behörden Spiegel: Aber wie sieht es bei neuen Fällen aus? Esser: Bei der Bearbeitung neuer Fälle werden immer wieder neue Gefahrenüberhänge entdeckt. Über die Zukunft der BAO Berg muss am Ende politisch entschieden werden. Aus meiner Sicht sollten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch aufgrund ihrer zeitlichen Dringlichkeit grundsätzlich in den Kriminalhauptstellen bearbeitet werden. Geht es rein um den Erwerb, Besitz und die Verbreitung von kinderpornografischem Material, könnten diese Delikte zukünftig in den jeweiligen Kreispolizeibehörden verfolgt werden. Wir als BAO Berg haben jedenfalls – auch in die Polizei und andere Behörden hinein – wichtige Impulse gesetzt. Davon bin ich überzeugt. Diese Erfahrungen müssen nun stärker als bislang auch in die Kreispolizeibehörden hineingetragen werden.

und Sprachbildung einzusetzen. Auch der Einsatz von reinen Sprachförderklassen ist kritisch zu sehen. Lamroubal sagt hierzu, dass solche Klassen nach Defiziten sortierten, interkulturelle Begegnungen hemmten und die Kinder und Jugendlichen stigmatisierten. Das Land Baden-Württemberg versucht, möglichst mehrgleisig der Integrationsaufgabe gerecht zu werden. Zum einen wird Sprachbildung als Aufgabe aller Lehrkräfte verstanden, zum anderen gibt es Vorbereitungsklassen und den Regelunterricht begleitende Sprachfördermaßnahmen. All das wird laut dem Baden-Württembergischen Kultusministerium von geschulten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren unterstützt, die als fachliche Berater fungierten. In der Praxis würden “sowohl inte­grierte als auch additive Konzepte” an den Schulen eingesetzt. Ähnlich geht auch Berlin vor, welches sowohl in Willkommensklassen als auch Regelklassen den Spracherwerb fördert. Hier wird vor allem die Altersstufe in den Blick genommen. “Ein Jugendlicher mit geringer Schul­ erfahrung benötigt zunächst den geschützten Lernraum einer kleinen Gruppe. In der Schulanfangsphase werden die Kinder dagegen sofort in die Regelklasse aufgenommen”, so die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. “Das alles lässt sich vor allem über mehr Personal erreichen”, so Bildungsministerin Karin Prien aus Nordrhein-Westfahlen abschließend.


Vergaberecht / Finanzen

Behörden Spiegel / März 2021

Fluch oder Segen?

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as deutsche Vorsichtsprinzip als Showstopper – bloß vorgeschoben? In der Diskussion in Deutschland um die Eignung der IPSAS als Grundlage für eine harmonisierte öffentliche Rechnungslegung in der EU wird als Hürde immer wieder eine zu schwache Verankerung des Vorsichtsprinzips genannt. Bund und Länder sowie die Präsidenten der Rechnungshöfe sähen gerne ein Vorsichtsprinzip handelsrechtlicher Prägung in die EPSAS integriert. Die kaufmännische Rechnungslegung nach HGB dient verschiedenen Zielen, etwa der Informationsvermittlung, aber vor allem auch der Bestimmung ausschüttungsfähiger Beträge bei haftungsbeschränkten Unternehmen. Zwischen beiden Zielen besteht ein Zielkonflikt, der durch mehr oder weniger starke Betonung des Vorsichtsprinzips zugunsten des einen oder anderen Ziels gelöst werden kann. Beispiel IFRS: Da sie vor allem der Informationsvermittlung dienen, hat das Vorsichtsprinzip dort einen eher neutralen Stellenwert. Im Rahmen der EPSAS ist ebenfalls eine Konvention erforderlich. Aber wieviel Vorsicht bedarf es in der öffentlichen Rechnungslegung? Eine Überbetonung des Vorsichtsprinzips kann zu einer falschen Abbildung der wirtschaftlichen Lage führen, da sich der Bilanzierende eher “zu arm” rechnet. Dies geht zulasten der Generation heute. Umgekehrt kann eine Vernachlässigung des Vorsichtsprinzips dazu führen, dass “Luftschlösser” bilanziert werden. Dies geht zu Lasten künftiger Generationen. Im Sinne der Generationengerechtigkeit wäre eine objektivere Ausprägung geboten. Insofern ist nicht nachvollziehbar, wenn sich Deutschland mit einer sachlich wenig überzeugenden Forderung nach einer Ausprägung des handelsrechtlichen Vorsichtsprin-

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EPSAS als Grundlage der öffentlichen Rechnungslegung (BS/Melanie Sack/Dr. Viola Euler*) Die EU-Kommission strebt bereits seit 2013 die Harmonisierung der staatlichen Rechnungslegung in Europa an. Nach ihrem Bericht stellen die internationalen Rechnungslegungsstandards für Gebietskörperschaften – IPSAS – einen Bezugsrahmen für die Schaffung von European Public Sector Accounting Standards (EPSAS) dar. Eurostat hat in den vergangenen Jahren die Vorbereitungen für eine Einführung der EPSAS getroffen, eine EPSAS Working Group erarbeitete ein EPSAS-Rahmenkonzept. Zentrale Themen wie die Eliminierung von IPSAS-Wahlrechten sowie Praktikabilitätsüberlegungen und Erleichterungen für kleinere Einheiten wurden erörtert. Trotz umfangreicher Vorarbeit gibt es noch keine EPSAS. Warum? zips, das – weil es für einen anderen Zweck konzipiert wurde – zu einem überproportional höheren Ausweis der Schulden in der Bilanz und damit zu einer asymmetrischen Abbildung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage einer Gebietskörperschaft führen würde, gegenüber den anderen EU-Mitgliedsstaaten durchsetzen möchte. Auf Kosten der Informationsfunktion gerät die Bilanz damit regelrecht in “Schlagseite”. Die Forderung ist umso erstaunlicher, da die Entwicklung auf kommunaler Ebene gerade in die andere Richtung geht.

Lage beeinträchtigen. So werden Verpflichtungen Melanie Sack (WP/StB) ist in sog. Sonderver­ geschäftsführendes Vormögen ausgelastandsmitglied des Instituts gert, mit der Folge, der Wirtschaftsprüfer in dass diese nicht Deutschland (IDW). mehr bei der rechnungslegenden Gebietskörper schaft bilanziert werden. Zur Vermittlung eines vollständigen Bildes über die tatsächliche Vermögens-, FiDr. Viola Eulner (WP/StB) ist Fachreferentin im IDW. nanz- und Ertragslage ist indes ein Fotos: BS/IDW Kuriositätenkabinett konsolidierter Ab­öffentlicher Rechnungslegung schluss (Konzernin Deutschland oder Gesamtabschluss) geeignet, Immer mehr Bundesländer in den neben der schaffen, beinahe willkürlich abweichend von den Grundsätzen Kernverwaltung ordnungsmäßiger Buchführung gegenstand führen noch ein Leis- auch die rechtlich unselbststänlandesrechtliche Sonderregeln tungspotenzial repräsentieren. In digen und selbstständigen Einheizur kommunalen Rechnungsle- solchen Fällen werden die Aktiva ten einzubeziehen sind. Daher ist es bedauerlich, dass gung. Diese führen dazu, dass und folglich auch das Eigenkapital in Deutschland noch nicht für das Eigenkapital formal höher zu hoch ausgewiesen. ausgewiesen wird, ohne dass dies Dies sind Beispiele aus der kom- alle Gebietskörperschaften die wirtschaftlich begründet ist. Dies munalen Rechnungslegung, die Pflicht zur Aufstellung eines geschieht etwa durch gesetzliche auf doppischer Grundlage erfolgt. Gesamtabschlusses eingeführt Passivierungsverbote für Pensi- Die Gebietskörperschaften, die wurde. Noch bedauerlicher ist, onsverpflichtungen, also einen un- ausschließlich kameral Rech- dass auf kommunaler Ebene vollständigen Schuldenausweis. nung legen, weisen naturgemäß zum Teil die bereits bestehende Pflicht faktisch ausgehöhlt wird, Andere schreiben einen über- gar keine Rückstellungen aus. etwa durch großzügige Ausnahhöhten Rechnungszinssatz von sechs Prozent für die Abzinsung Ohne Gesamtabschluss kein meregelungen (NRW). Oder der vollständiges Bild der VFE-Lage Gesamtabschluss wurde ganz von Rückstellungen vor. Wieder andere sehen eine Aktivierung Ein weiteres Problem sind abgeschafft, wie vor Kurzem im von Aufwendungen vor, obwohl Schattenhaushalte, die die Dar- Saarland. Dies geschah angediese weder zu einem Vermögens- stellung der wirtschaftlichen sichts des Aufstellungsstaus auf Wunsch der Kommunen, denen die Aufstellung schon bisher zu aufwendig war. Dies geht eindeutig zulasten der Transparenz und Rechenschaft gegenüber den Bürgern und stößt bei uns auf Beirat legt Vorschläge vor Unverständnis. Man denke an (BS/lkm) Ende Februar hat der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung seinen Abschlussbericht den Aufschrei, den eine solche

Wie das Finanzwesen nachhaltiger wird

veröffentlicht. 31 Vorschläge, verteilt auf 132 Seiten, sollen “Deutschland zu einem der führenden Sustain­ able-Finance-Standorte” machen. Die Empfehlungen des Beirats beschränken sich aber nicht nur auf die Finanzbranche und die Realwirtschaft. Neben privatwirtschaftlichen Banken und Versicherern sollen sich auch die öffentlichen Akteure konsequenter am nachhaltigen Umbau der Wirtschaft beteiligen. Von ihnen fordert der Beirat unter anderem feste Klimaziele für die Haushalte von Bund und Ländern sowie Kreditgarantien zur Finanzierung von nachhaltigen Projekten im Ausland. Auch solle der milliardenschwere Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu einem “wirklichen Transformationsfonds” weiterentwickelt werden. Dieser Fonds soll gezielt kleine und mittlere Unternehmen mit bahnbrechenden Innovationen für die nachhaltige Transformation fördern, die heute über Kapitalmärkte nur schwer an entsprechende Mittel kommen. Öffentlich-rechtliche Institute sollen sich zudem stärker nachhaltig ausrichten. Hierfür müsse z. B. für die Sparkassen deren Gemeinwohlauftrag konkreter gefasst werden.

Bund und Länder tragen noch nicht genug bei Weiter empfiehlt der Beirat, dass öffentliche Kapitalanlagen wie die der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen investiert werden. “Noch trägt die Anlagepolitik von Bund und Ländern nicht maßgeblich zum Erreichen der Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, des Pariser Klimaabkommens oder des europäischen Green Deals bei”, konstatiert der Beirat in seinem Bericht. Eine Anpassung der derzeit durch Bund und Länder um- und eingesetzten Standards, Methoden

zahlungsbasierte Rechnungen ist sogar fester Bestandteil des kaufmännischen Rechnungswesens.

und Instrumente sei deshalb geboten. “Dies vor allem als Signal für andere Marktteilnehmer.”

Land untergräbt eigene Nachhaltigkeitskriterien Ein Blick nach Nordrhein-Westfalen zeigt, dass die öffentliche Hand dieser Vorbildfunktion nicht immer gerecht wird. Die damalige rot-grüne Landesregierung hatte im Mai 2017 Anlagerichtlinien für den Pensionsfonds des Landes beschlossen, die erstmals Nachhaltigkeitskriterien beinhalten. Der Pensionsfonds war damit bundesweiter Vorreiter. Andere Bundesländer folgten und inzwischen gibt es eigene Finanzprodukte für öffentliche Anleger, die sich am sogenannten ESG-Investing (Environmental, Social and Governance) orientieren. Ein Blick in den Anlagebericht der Landesregierung für den Pensionsfonds zeigt jedoch, dass die fossile Energiewirtschaft nach wie vor eine große Rolle spielt. So hatte der Fonds Ende 2019 beispielsweise Aktien des französischen Mineralölkonzerns Total im Wert von 100 Mio. Euro im Bestand. Die Landesregierung untergräbt damit die bestehenden und durch sie selbst bestätigten Nachhaltigkeitskriterien des Pensionsfonds.

Empfehlungen sollen berücksichtigt werden Im Juni 2019 hat die Bundesregierung den SustainableFinance-Beirat mit der Aufgabe

eingesetzt, sie zu ihrer Sustainable-Finance-Strategie zu beraten. Dem Beirat gehören 38 Praktiker aus Finanz- und Realwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft an. Die Bundesregierung will die Handlungsempfehlungen des Abschlussberichts jetzt “sorgsam prüfen” und bei der anstehenden Ausarbeitung ihrer Sustainable-Finance-Strategie berücksichtigen.

Landesebene ist besonders wichtig Doch nicht nur der Bund, sondern auch die Landesregierungen und Kommunen sind hier gefragt, “denn viele Stellschrauben für ein nachhaltiges Finanzwesen liegen auf Landesebene”, betont Dr. Gerhard Schick, Gründer der Initiative Finanzwende und Beiratsmitglied. Für die meisten Handlungsempfehlungen, die sich auf die öffentliche Hand bezögen, sei die Landesebene besonders wichtig, so Schick. “Die Aufsicht und Steuerung der Landesbanken und der Förderbanken obliegen ebenso wie die Sparkassengesetze den Ländern. Deshalb muss es einen parteiübergreifenden Konsens unabhängig von Wahlterminen geben, diesen Prozess stetig weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass die Handlungsempfehlungen zeitnah in die Umsetzung kommen und nötige Gesetzesänderungen angestoßen werden”.

Verweigerungshaltung bei privatwirtschaftlichen Unternehmen auslösen würde.

Ineffizienzen der heterogenen Rechnungslegungslandschaft Natürlich kostet die Umstellung der Rechnungslegung Geld. Langfristig fallen dafür aber die Ineffizienzen und Bürokratiekosten weg, die aufgrund der heterogenen Rechnungslegung in Deutschland bisher entstehen. Unzählige Beamte befassen sich mit Sonderregeln und der Interpretationen der jeweiligen Regelwerke für die verschiedenen rechnungslegenden Einheiten. Ein einheitliches Set von Rechnungslegungsgrundsätzen reduzierte zudem teure politische Fehlentscheidungen.

Budgetrecht kann ­unangetastet bleiben Über die Debatte “Kameralistik vs. Doppik” sind wir längst hinweg. Daher sind auch generelle Vorbehalte gegenüber einer doppischen Rechnungslegung nach EPSAS nicht angebracht. Es kollidiert auch nicht mit dem Budgetrecht des Parlaments, welches im deutschen Recht tief verankert ist. Es gibt durchaus Ansätze, wie sich ein kamerales Budget mit einer doppischen Finanzrechnung verbinden lässt, etwa mit Überleitungsrechnung (Philipp Häfner: “Zeit für Handwerk statt Vision” im Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2-2020). IPSAS 24 “Presentation of Budget Information in Financial Statements” trägt durchaus dem Umstand Rechnung, dass Budget und Abschluss nicht unbedingt auf gleicher Basis aufgestellt werden müssen. Die Sicht auf die Zahlungsströme will die Doppik nicht nehmen; die Ergänzung um

Die Zeit drängt Nachhaltiges Wirtschaften verlangt eine vollständige Ermittlung und transparente Darstellung von Ressourcenaufkommen und -verbrauch; die Fortentwicklung der Rechnungslegung der öffentlichen Verwaltung in Richtung der kaufmännischen Doppik sollte daher in den Fokus genommen werden. Eurostat hat vor Kurzem einen Bericht zu den aktualisierten Reifegraden der Rechnungslegung der EU-Regierungen veröffentlicht. Im EU-Vergleich befindet sich Deutschland aktuell im unteren Bereich, zusammen mit den Niederlanden, Italien und Zypern. Laut der Prognose für 2025 wird Deutschland von allen überholt sein und – mit erheblichem Abstand – die “rote Laterne” tragen. Die Strategie des Abwartens geht nicht auf. Deshalb scheint es dringend geboten, dass sich Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung aktiv mit dem Thema einer harmonisierten Doppik auseinandersetzen. Das IDW wird ein Factsheet “IPSAS als Bezugsrahmen für EPSAS?” veröffentlichen, das zur Versachlichung der Diskussion beitragen soll.

MELDUNG

Gutes Rating (BS/lkm) Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat den Freistaat Bayern erneut mit dem Rating “AAA/A-1+” mit stabilem Ausblick bewertet. “Bayern erhält als einziges Bundesland diese Top-Bewertung”, kommentierte Finanzminister Albert Füracker die Benotung für den Freistaat. “Wir unterstützen die Menschen bestmöglich beim Weg durch die Krise – unsere Maßnahmen greifen. Aber natürlich wollen wir zu einem Haushalt ohne Neuverschuldung zurückkehren, sobald die Krise dies zulässt”, so Füracker weiter.

OLG–Schleswig bestätigt Anforderungen Schätzung des Auftragswerts im Baubereich (BS/Fabian Budde*) Die Antragsgegnerin betreibt ein Messegelände und beabsichtigte den Neubau und die Erweiterung ihres Kongresszentrums. Hierzu schrieb sie unter dem 17. April 2020 u. a. einen Auftrag für mobile Trennwandanlagen europaweit aus. Nach Wertung aller Angebote teilte sie der Antragstellerin mit, ihr Angebot sei vom weiteren Verfahren auszuschließen. Grund hierfür seien Verstöße gegen zwingende Leistungsanforderungen. Die Antragstellerin wendete sich zunächst vor der Vergabekammer, später vor dem Oberlandesgericht, gegen den Ausschluss. Bevor das Oberlandesgericht sich allerdings materiell mit dem Ausschluss beschäftigen konnte, hatte es zunächst die Frage zu klären, ob der Nachprüfungsantrag überhaupt zulässig war. Dies hatte die Vergabekammer verneint: Der Auftragswert der ausgeschriebenen Leistung überschreite den Schwellenwert nicht. Der Neubau samt Erweiterung des Kongresszentrums, dessen Auftragswert den Schwellenwert nicht überschreite, stünde nach funktionaler Betrachtungsweise nicht mit der Modernisierung des Messegeländes (Auftragswert: 24 Mio. Euro) in Zusammenhang. Der Auftragswert beider Maßnahmen sei getrennt zu betrachten, der Schwellenwert werde daher unterschritten. Im Ergebnis schließt sich das Oberlandesgericht dieser Argumentation an: Obwohl zweifellos organisatorische, räumliche und inhaltliche Zusammenhänge bestünden, ergebe sich kein so enger Zusammenhang, dass der eine Komplex nicht ohne den anderen genutzt werden könnte. Messen könnten ohne die Nutzung des Kongresszentrums und Kongresse ohne die Nutzung der

Messehallen abgehalten werden. Die sich hieraus ergebende Möglichkeit einer getrennten funktionalen Nutzung führe zu der Annahme verschiedener Vorhaben. Auch der organisatorische Aspekt spreche gegen die Annahme eines einheitlichen Auftrags: Bei Beginn der Modernisierungsarbeiten sei das Kongresszentrum noch nicht geplant gewesen. Erst nach Abschluss der Modernisierungsmaßnahmen im Jahre 2016 sei mit einer Potenzialanalyse hierfür begonnen worden. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts stellt klar: Die Auftragswertschätzung erfolgt anhand einer funktionalen Betrachtungsweise. Die Funktionen von Messehallen und Kongresszentrum sind getrennt zu betrachten. Beide sind funktional nicht aufeinander angewiesen. Selbstverständlich ist das nicht. Man könnte sich auch auf den Standpunkt stellen, dass die Stadt beide Gebäude als funktionale Einheit zur Wirtschaftsförderung errichtet hat. Schon aus diesem Grund empfiehlt sich die Lektüre des Beschlusses. Das Gericht eröffnet Wege zu einer vergaberechtlich getrennten Be-

wertung bei Projekten, die von der öffentlichen Hand gemeinsam beplant werden. Auch einer anderen praktisch relevanten Feststellung ist zuzustimmen: Die Auftragswertschätzung ist umfassend zu dokumentieren. Dies umso genauer, je mehr sich der Auftragswert dem Schwellenwert nähert. *Fabian Budde ist Fachanwalt für Vergaberecht und Senior Associate der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek.

Mehr zum Thema Die aktuellen Entwicklungen im Bauvergaberecht stehen im Fokus des Webinars “Bauvergabe in der Praxis” des Behörden Spiegel, die der Autor zusammen mit Dr. Martin Schellenberg und Kristin Buddemeyer anhand von Beispielen aus der Vergabepraxis erläutert. Anmeldung unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Bauvergabe”


Beschaffung / Vergaberecht

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Bis dass der Vertrag uns scheidet

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ie Zeiten, in denen auf internationalen BOS-Tagungen als Sinnbild der inner-amerikanischen Kommunikationsprobleme immer wieder Fotos von Streifenwagen und Feuerwehrautos New Yorker Einsatzkräfte gezeigt wurden, deren Armaturenbretter sich unter der Last von zehn, zwölf unterschiedlichen Funksystemen und dem dazugehörigen Kabelsalat bogen, sollten damit endgültig vorbei sein.

USA: Aufbau des nationalen breitbandigen BOS-Netzes als ÖPP-Projekt (BS/Barbara Held) Manchmal bedarf es einer Katastrophe, damit eine Gesellschaft sich zu längst fälligen Maßnahmen durchringt. Die furchtbaren Terroranschläge von 9/11 haben in den USA zu vielen einschneidenden Veränderungen geführt. Unter anderem haben Regierung und Kongress sich 2012 – immerhin elf Jahre nach den Ereignissen – darauf verständigt, ein landesweites einheitliches Breitband-Funknetz für BOS aufzubauen und zu betreiben. Zum Erstaunen der skeptischen Fachwelt vollbrachte das FirstNetTeam diese enorme Koordinierungsleistung: Bis Ende 2017 hatten sich sämtliche Bundesstaaten für die Koordination durch die zentrale Behörde entschieden. FirstNet war “national”. Die Verantwortung für den Erfolg bei den Endnutzern lastete nun eher auf dem kommerziellen Partner.

Zehn Jahre ohne Steuergelder Per Bundesgesetz wurde die First Responder Network Authority (“FirstNet”) als Behörde etabliert. Bis zu sieben Milliarden US-Dollar genehmigte der amerikanische Kongress als Anfangsinvestition sowie die Zuteilung von zwei mal zehn MHz-Frequenzen im 700-MHZ-Bereich (Band 14) für den dedizierten Betrieb. Davon abgesehen sollte sich die künftige FirstNet ein Geschäftsmodell geben, das die geschätzten Kosten von 47 Milliarden Euro für Aufbau und die ersten zehn Jahre Betrieb ohne weitere Steuergelder selbst erwirtschaftet. Im Gegenzug erhielt die neue FirstNet-Behörde das Recht, gegenüber ihren Nutzern Gebühren zu erheben und “Geschäftspartnerschaften” einzugehen. Jegliche Einnahmen müssen unmittelbar in das Netz reinvestiert werden. Ein Opt-in/Opt-out-Modell sollte die 50 Bundesstaaten plus fünf Territorien und Washington D.C. dazu motivieren, sich die nötigen Netzwerk-Infrastrukturen zentral durch die neue Washingtoner Behörde aufbauen zu lassen. Alternativ konnten sich diese Körperschaften aber auch für einen Alleingang entscheiden, solange sie FirstNet-definierte Standards und Qualitätskriterien sowie insbesondere die Interoperabilität zum landesweiten Kernnetz garantierten.

Innovative ÖPP Es dauert weitere fünf Jahre bis das riesige Infrastrukturprojekt nach einer komplexen öffentlichen Ausschreibung seine Form gefunden hatte. Am 30. März 2017 verkündeten die FirstNet-Behörde und der Telekommunikationskonzern AT&T offiziell ihre “innovative ÖPP” (“innovative Öffentlich Private Partnerschaft”). Die Fachaufsicht im Wirtschaftsministerium (Department of Commerce) und der nationale Netzbetreiber unterzeichneten einen entsprechenden Vertrag mit sagenhaften 25 Jahren Laufzeit. FirstNet, so die Vereinbarung, würde neben seinen Frequenzen und 6,5 Milliarden Dollar Startkapital zur Kostenerstattung an AT&T einbringen.

Behörden Spiegel / März 2021

FirstNet war “national”

“FirstNet mobile Basisstationen versorgen die BOS vor allem in Krisenszenarien mit verlässlicher Funkabdeckung. Nicht nur bei Flutkatastrophen, Waldbränden und Hurrikanen kamen sie zum Einsatz, sondern aktuell auch zur logistischen Unterstützung der amerikanischen Covid-19-Impfkampagne.”

500 Mio. Dollar wurden für den Aufbau der Behörde reserviert. Die Beziehungspflege zur BOSCommunity zusammen mit einem systematischen Anforderungsmanagement sowie die allgemeine Programm-Steuerung sollten der Behörde obliegen. Vorteilhaft war dabei die Tatsache, dass der organisatorische Nukleus für die junge Behörde in der erfahrenen Abteilung “Public Safety Communications Research (PSCR)” der amerikanischen Standardisierungsbehörde NIST (National Institute of Standards and Technology) angesiedelt wurde. Laut Vertrag würde AT&T seinerseits bestehende technische Infrastrukturen im geschätzten Wert von 180 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen und während der 25 Jahre Vertragslaufzeit 40 Milliarden Dollar in die technische FirstNet-Infrastruktur investieren. Darüber hinaus stellte AT&T mit sofortiger Wirkung den BOS die Gesamtheit seiner kommerziellen Frequenzen – einschließlich vereinbarter Bevorrechtigungen für BOS-Kunden – zur Verfügung. Organisatorischer wie technischer Betrieb des neuen BOS-Netzes wurden in die Hände von AT&T gelegt. Vereinbart wurden auch jährliche Zahlungen im Laufe des Vertrags von insgesamt mindestens 18 Milliarden Dollar aus den AT&T-Gewinnen an die Behörde. Die Kick-off-Sitzungen

Foto: BS/Seth Granville, flickr.com, cc-by-nc-2.0

für das Projekt begannen noch am selben Tag.

Kosten sollen allenfalls gleich bleiben FirstNet stand unmittelbar vor der Herkules-Aufgabe, Tausende von bisher unabhängig agierenden lokalen schmalbandigen BOSFunk-Communities zur Teilnahme am künftigen Breitbandnetz zu motivieren und gleichzeitig die Regierungen der 50 Bundesstaaten plus Territorien zum formellen Beitritt zu einer noch nicht wirklich funktionalen Infrastruktur zu bewegen. Anders als die Regierungen der Bundesstaaten sind die Endnutzerorganisationen nicht gesetzlich verpflichtet, FirstNet zu nutzen. Sie bleiben Kunden, die von FirstNet (Anforderungsmanagement) und AT&T (Produkte und Dienstleistungen) umworben werden müssen. Die Anforderungen potenzieller US-Kundschaft waren und sind dabei durchaus vergleichbar zu dem, was derzeit in Deutschland von Bund und Ländern unter dem Stichwort GAN 2.0 bezüglich der Breitband-Zukunft diskutiert wird. Vor allem will man nicht hinter die gewohnten Funktionalitäten der bestehenden Technologien – in den USA überwiegend P 25 – zurückfallen. Die Kosten sollten selbstverständlich allenfalls gleichbleiben, besser noch sinken.

AT&T seinerseits sollte zunächst Funkabdeckung und Verfügbarkeit verbessern: 99 Prozent der Bevölkerung in dem riesigen Land hieß das ehrgeizige Ziel. Im ersten Schritt stellte AT&T dem neuen BOS-Funk dazu zunächst seine bestehende, wenn auch unzureichende Infrastruktur zur Verfügung, sodass BOS-Nutzer zumindest einen gewissen Mehrwert erkennen konnten. Darüber waren die zeitnahe Ertüchtigung der AT&T-Infrastruktur für die FirstNet-eigenen Frequenzen in

Band 14 und der Aufbau eines dedizierten BOS-Kernnetzes vertraglich vereinbart. AT&T und FirstNet-Frequenzen sollten künftig in einem RAN-SharingModell betrieben werden. Den BOS-Interessen wird dabei durch ein striktes Bevorrechtigungsmanagement, das in Krisenzeiten voll durchschlägt, Rechnung getragen. Gleichzeitig zeichnet der kommerzielle Betreiber verantwortlich für Aufbau, Management und Vertrieb eines adäquaten Endgeräte-Portfolios und BOSspezifischer Apps für das neue Netz. Die Geräte müssen nicht nur 3GPP-Standards genügen, sondern auch ergonomischen wie sicherheitstechnischen Anforderungen der BOS, um zugelassen zu werden.

Ein Erfolgsmodell Rund vier Jahre nach dem offiziellen Start kann man im März 2021 das FirstNet-Modell als

einen Erfolg bezeichnen: AT&T hat mit den Band-14-Frequenzen eine nationale Abdeckung von 90 Prozent erreicht. Rund 15.000 nationale, regionale und kommunale BOS-Organisationen mit rund zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzern haben sich angeschlossen. Obwohl sich der Netzaufbau der ersten Jahre auf die Datenkommunikation konzentrierte, sind inzwischen auch sprachbasierte Push-toTalk-Dienste (PTT) verfügbar. Mehr als 80 mobile Komponenten, darunter auch fliegende Basisstationen, sind unterwegs. Über die AT&T-Webseite und eigene Shops können die Einsatzkräfte zurzeit 213 zugelassenen Endgeräte erwerben, darunter auch hybride Versionen, sowohl in LTE wie auch in P-25-Netzen. Der App-Store offeriert über 160 zertifizierte BOS-spezifische Apps. Im Einsatz hat sich FirstNet in letzter Zeit nicht nur bei Flutkatastrophen und Waldbränden bewährt, sondern auch bei der Covid 19-Bekämpfung, die zwischen Januar und Mai 2020 schlicht zu einer Verdopplung des von Einsatzkräften benötigten Datenvolumens führte. Allein 50-mal wurden 2021 mobile Basisstationen zur FunkVersorgung von Impfzentren verlegt.

Klarer Auftrag entscheidend Edward Parkinson zum Erfolg von FirstNet (BS) Die gefundene Win-win-Lösung ist nicht nur Innovativ, sie ist auch besser als zwei separate Netze, erläutert Edward Parkinson, CEO der FirstNet-Behörde, und beschreibt die bisher gemachten Erfahrungen. Die Fragen stellte Barbara Held. Behörden Spiegel: Für deutsche Beobachter sind allein Laufzeit und Umfang des FirstNet-Vorhabens bemerkenswert. Was ist bei der FirstNet-ÖPP so anders, dass sie sich selbst als “innovativ” bezeichnet? Parkinson: Innovativ ist zunächst die gefundene Win-winLösung des Vertrags mit AT&T. Dadurch dass FirstNet- und AT&T-Frequenzen im AT&TNetz zusammen gelegt wurden, erhalten sowohl BOS als auch normale Nutzer im Alltag höhere Verfügbarkeit und mehr Kapazitäten. Die zusammengelegte Bandbreite ist viel mehr wert, als zwei einzelne Netze es wären. In Krisensituationen greifen dann die Bevorrechtigungsregelungen zugunsten der BOS. Das funktioniert problemlos. Darüber hinaus hat AT&T die geschäftlichen Risiken übernommen und muss künftig Zahlun-

verschieden Zielgruppen. Umgekehrt sind die AT&T-Investitionen durch die lange Vertragsdauer abgesichert. Behörden Spiegel: Drei Jahre nach dem offiziellen Start befindet sich FirstNet auf dem Erfolgskurs. Was sind die “Lessons learned”?

gen an FirstNet leisten. Die Firma investiert nicht nur in die Infrastruktur, sondern muss mit einem attraktiven Angebot BOSNutzer anwerben und halten. Dazu gehören auch ein Portfolio von hochmodernen Endgeräten, eine Auswahl zertifizierter Apps und jede Menge Support für die

Am allerwichtigsten ist ein klarer gesetzlicher Auftrag, der geordnete Rahmenbedingungen schafft. Entscheidend für den Erfolg waren in unserem Fall die Zuteilung der Frequenzen im harmonisierten 700-MHzBand und die sieben Milliarden Dollar Anschubfinanzierung, die unserer Behörde überhaupt erst die Möglichkeit verschafften, mit einen kommerziellen Betreiber die Konditionen für einen nachhaltigen Netzbetrieb unter BOSAnforderungen auf Augenhöhe auszuhandeln.

ie Kritik kommt nicht von ungefähr. Der Bericht des Bundes über den Stand von Bericht zu ÖPP-Projekten mit wenig Aussagekraft Projekten in Öffentlich Privater Partnerschaft (ÖPP) ist nicht ge- (BS/jf) Bauprojekte in Öffentlich Privater Partnerschaft stehen nach wie vor in der Kritik. Während die einen die Vorteile dieser Beschaffungsvariante rade informativ. Abgesehen von in den Vordergrund stellen, verdammen andere mit Blick auf die vertraglichen Kosten diese Projekte und fordern deren Ende. Die Frage könnte bei der einer kurzen Projektbeschrei- Bildung der nächsten Regierungskoalition noch einmal in den Mittelpunkt rücken. bung enthält er weitestgehend standardisierte Formulierungen meisten Fällen die erwarteten gen könnten nicht veröffentlicht mit wenig Aussagekraft zu den Wirtschaftlichkeitsvorteile bei werden. Einerseits enthielten einzelnen Projekten. einer projektübergreifenden Ge- sie vertrauliche Informationen Fest steht, “dass ein ÖPP-Ansatz samtbetrachtung weitestgehend zur Auftragskalkulation des öfpotenzielle Vorteile bietet: eine bestätigt, teilt das Bundesver- fentlichen Auftraggebers, deren hohe Termin- und Kostentreue, kehrsministerium (BMVI) mit. So Offenlegung zu wirtschaftlichen die Verbesserung der Wirtschaftliefen bei den Projekten auf der A Nachteilen des Bundes in künflichkeit der jeweiligen Beschaf1 (Autobahndreieck Buchholz), A tigen Projekten führen könne, fung durch die Risikoteilung und 4 (Landesgrenze Hessen/Thürin- andererseits flössen darin Bedie dafür umfassende Analyse gen), A 5 (Offenburg-Malsch), A 7 triebs- und Geschäftsgeheim(Autobahndreieck Bordesholm), nisse der Vertragspartner ein. der Projektrisiken, eine größere Das missfällt der OppositiA 8 (Augsburg – München sowie Transparenz, die Förderung efUlm-Augsburg) die Betriebspha- on. Der Bericht sei eine Farce, fizienzsteigender Innovationen und zuletzt ein Wissenstransfer sen vertragskonform. Lediglich heißt es aus den Reihen von aus dem privaten Sektor zur öf- Rund fünf Prozent aller deutschen Autobahnen werden in Form von ÖPP-Projekten beim Projekt “A 9 Landesgrenze Bündnis 90/Die Grünen. “Öffentlichen Hand”, heißt es im betrieben. Über deren Nutzen wird nach wie vor gestritten. Thüringen/Bayern – Anschluss- fentlich Private Partnerschaften Bericht der Bundesregierung Foto: BS/Erich Westendarp, pixabay.com stelle Lederhose” erfolge die im Straßenbau sind teure und über ÖPP-Projekte im Betrieb. Umsetzung des Betriebsdiens- intransparente PrivatisierungsDiese Ansicht wird nicht nur vom ist. Sieben Projekte im Tiefbau verzeichnen die Bundesimmo- tes “weitestgehend vertragskon- projekte”, sagte Sven-Christian BMVI, sondern auch von den und drei im Hochbau weist der bilienanstalt (BImA) und das form”. Genauere Details lässt Kindler, haushaltspolitischer Regierungsparteien vertreten. Es Bericht für das Jahr 2020 aus Bundesverteidigungsministerium der Bericht jedoch ebenso ver- Sprecher der Fraktion im Bunherrscht jedoch Einigkeit, dass sowie ein weiteres sogenanntes (BMVg) keine negativen Ergeb- missen. Die Ergebnisse der vor destag. Letztlich würden nur groes in jedem Fall nur eine von sonstiges ÖPP-Projekt. Im Hoch- nisse. Im Fernstraßenbereich der Projektvergabe anstehenden ße Baukonzerne, Banken und mehreren Beschaffungsvarianten bau und beim sonstigen Projekt des Bundes hätten sich in den Wirtschaftlichkeitsuntersuchun- Versicherungen profitieren. Die

Zeche hätten am Ende die Bürgerinnen und Bürger zu zahlen. ÖPP-Projekte seien für den Bund nicht wirtschaftlich, so der Grünen-Politiker weiter, der einen sofortigen Stopp aller Projekte und ein gesetzliches Verbot dieser Beschaffungsvariante fordert. Neben den im Bericht genannten Projekten weist das BMVI sechs weitere Projekte aus, von denen eines nach Erstellung des Berichts in den Status “laufend” versetzt wurde, während fünf weitere als “noch im Bau” bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um die Projekte auf den Autobahnen 3, 6, 7, 10/24, 49 und 94. Würden diese 13 Projekte gestoppt, hätte der Bund insgesamt 3,08 Mrd. Euro verausgabt. Hinzu kämen weitere Gelder für Schadensersatzregelungen wegen vorzeitigen Vertragsausstiegs. Ob es tatsächlich zu dem geforderten Projektstopp und zur Abwicklung kommt, bleibt abzuwarten. Angesichts der derzeitigen Umfragewerte für die Bundestagswahl scheint eine Regierungsbildung ohne die Grünen jedoch nicht vorstellbar.

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Eine mögliche Variante

Edward Parkinson ist seit Mai 2019 Chief Executive Officer (CEO) der FirstNetBehörde, die das amerikanische BOSNetz aufbaut und steuert.

Foto: BS/FirstNet


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / März 2021

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Eine “Bombe mit enormer Sprengkraft”?

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Das Wettbewerbsregister kommt ► LEISTUNGSVERZEICHNIS

Alles Schiebung Sprachliche Feinheiten ­beachten! Für den neuen OP-Saal wird ein Operationstisch benötigt. Der Tisch soll elektrisch verstellbar sein. Im Regelbetrieb ist vorgesehen, dass die Verstellung durch ein kabelloses Bedien­ element erfolgt. Weil Funkverbindungen aber störanfällig sind, fordert der Auftraggeber, dass alle Verstellfunktionen zur Sicherheit auch unmittelbar an einem Tastenfeld möglich sein müssen, das direkt in den Tisch integriert ist. Dazu schreibt er in das Leistungsverzeichnis, es sei erforderlich, über dieses Tastenfeld alle “motorischen Bewegungen” ansteuern zu können. Das Produkt eines Bieters ist in der Lage, jeden einzelnen Stellmotor des Tisches über dieses Tastefeld anzusteuern. Das genügt dem Auftraggeber nicht. Er schließt das Angebot aus. Der Ausschluss ist rechtens, meint dazu die Vergabekammer. Die Ansteuerung allein des Motors erfüllt nicht die Anforderung, eine motorische Bewegung zu steuern. Der Begriff der Ansteuerung bezeichne elektrotechnisch zwar nur, dass eine Spannung an den Motor angelegt werde. Hier aber sei der allgemeine Sprachgebrauch zugrunde zu legen: Denn es war gefordert, nicht den “Motor”, sondern eine “Bewegung” anzusteuern, also nicht nur den Motor zu betätigen, sondern ein Bewegungsmuster auszulösen, namentlich den Tisch auf eine um 35 cm gegenüber der Null-Position abweichende Endposition verschieben zu können. Genau das aber ist beim strittigen Modell bei Ausfall des Funkelementes nicht möglich. Dass ein fest verbautes Bedienelement nicht steril ist, spielt für die Vergabekammer keine Rolle. Denn für Ausnahmefälle, in denen die Beteiligten während einer OP mit nichtsterilem Material in Kontakt kommen, gebe es einschlägige Hygieneanweisungen. VK Berlin (Beschl. v. 31.08.2020, Az.: VK B 2-32/20)

► KONZEPTE

Losweise Bewertung Unterschiedliche Punktzahlen möglich Für die Reinigung von Gebäuden an fünf verschiedenen Standorten des Auftraggebers war von den Bietern verlangt, dass sie jeweils ein “Implementierungskonzept” und ein “Qualitätssicherungskonzept” einreichen sollten, deren Bewertung zu jeweils zehn Prozent in das Gesamtergebnis einfließen sollte. Für Zweiteres war in den Vergabeunterlagen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es genüge, ein einheitliches Konzept für alle Lose einzureichen, sofern es die Besonderheiten des jeweiligen Standortes berücksichtige. Ein Bieter, der ein sehr kurz gefasstes Konzept vorlegte, sollte den Zuschlag nur auf eines der Lose erhalten, zu den anderen wurde ihm mitgeteilt, sein Angebot sei nicht das wirtschaftlichste, u. a. wegen zu geringer Punktzahlen für das Einheitskonzept. Der Bieter greift die Konzeptbewertung an. Es könne nicht angehen, dass das identische Konzept in einem Los mit 840, in einem anderen nur mit 680 Punkten bewertet worden sei.

Er meinte, hätte er überall 840 Punkten erhalten, gebührte ihm zumindest der Zuschlag in einem weiteren Los. Damit kann er jedoch vor der Vergabekammer nicht durchdringen. Das Konzept wurde (wie in den Unterlagen ersichtlich) nämlich an jedem Standort einzeln von verschiedenen Personen bewertet. So können durchaus unterschiedliche Beurteilungen zustande kommen. Eine Gleichbehandlung ist nur innerhalb eines Loses einzuhalten, jedoch nicht zwischen den verschiedenen Losen eines Auftrages. VK Hessen (Beschl. v. 14.05.2020, Az.: 69d-VK-2-20/2020)

► PRÄQUALIFIKATION

Eignung zweifelhaft CPV-Kategorie war zu allgemein Zu errichten war eine Ufermauer aus Stahlbeton, der an Ort und Stelle gegossen werden sollte. Der Auftraggeber verlangte dafür von den Bietern, dass sie für Betonarbeiten gemäß CPVNummer 45223000 präqualifiziert sein müssten oder alternativ einschlägige Referenzen vorzuweisen hätten. Auf diesen Auftrag bewarb sich auch ein Bieter, der dem Auftraggeber bei einem früheren Auftrag für Stahlbetonarbeiten negativ aufgefallen war. Diese Vorgeschichte führte zu einer vertieften Prüfung der Präqualifikation. Das ist eigentlich fair, hätte doch die Chance bestanden, dass sich dabei herausstellt, dass die eigene unangenehme Erfahrung ein negativer Ausreißer in der Leistungsbilanz dieses Bieters war. Das Ergebnis war jedoch gegenteilig: Die in der Präqualifikation hinterlegten Referenzen waren zwar wohl positiv, betrafen allerdings nur die Untergruppe 45223800 (Betonfertigkonstruktionen), nicht jedoch 45223500 (Stahlbeton). Die einzige Stahlbetonreferenz betraf ausgerechnet den negativ verlaufenen eigenen Vorauftrag. Der darob verhängte Ausschluss mangels Eignung hat jedoch keinen Bestand. Die Präqualifikation für die allgemein gehaltene CPV-Kategorie war nachgewiesen. Weiter gehende einzelne Referenzen hätten nachträglich weder gefordert noch beschafft werden dürfen. Will der Auftraggeber diesen Bieter nun doch noch los werden, muss er neu ausschreiben und den spezifischeren CPV-Code für die Präqualifikationsanforderung verwenden. VK Sachsen-Anhalt (Beschl. v. 21.04.2020, Az.: 3 VK LSA 09/20)

► TOLERANZ

Nur ein paar Millimeter Der Begriff “ca.” ist auszulegen Wenn die Tür aufgeht, soll sie nicht an die Wand anschlagen. Dazu verlangt der Auftraggeber den Einbau von Türstoppern. In sein Leistungsverzeichnis schreibt er, diese sollten eine Länge von “ca. 62 mm” haben. Der Begriff “ca.” ist aus gutem Grunde in Vergabeunterlagen verpönt. Schließlich weiß der Bieter nicht, wie groß die Abweichung denn dann sein darf, um die Anforderungen noch zu erfüllen. Hier nun rügte ein Bieter die ungenaue Angabe. Nachdem ihm abgeholfen und das Maß auf exakt 62 mm konkretisiert wurde, meinte ein anderer, dadurch wiederum sei die Ausschreibung produktspezifisch, denn dieses

Maß werde von einem einzigen Hersteller gefertigt. Das Ganze endet unweigerlich in einem Nachprüfungsverfahren – mit verblüffendem Ausgang. Die Vergabekammer hält den Zusatz “ca.” hier für zulässig. Denn am Markt sind Türstopper in einem Größenraster von jeweils 30 mm Abstand erhältlich. Allerdings gibt es drei verschiedene Grundgrößen am Markt: 30, 32 und 35 mm. Diese Marktkenntnis vorausgesetzt, wird die ungefähre Angabe der Baulänge verständlich. Gemeint war also wohl ein Stopper der ersten Erweiterungsstufe im Raster: also 60, 62 oder 65 mm. So hatten es auch alle bis auf den rügenden Bieter verstanden. Die nachträgliche Einengung zur Rügeabhilfe auf exakt 62 mm hingegen war unzulässig. Denn eine Abweichung von plus drei oder minus zwei mm auszuschließen, wäre weder verhältnismäßig noch durch den Beschaffungszweck gedeckt. VK Lüneburg (Beschl. v. 09.09.2020, Az.: VgK-32/2020)

► CORONA

Bieter ignoriert Wettbewerb auch bei ­Dringlichkeit Die immer wieder neuen Wendungen des Infektionsgeschehens machen es erforderlich, die staatlichen Maßnahmen stets neu kurzfristig anzupassen – und führen einmal mehr zu dringlichen Vergabeentscheidungen. So hatte im April die Landesregierung begonnen, schnellstmöglich Bewohner und Personal vieler Pflegeheime anlasslos zu testen, um Infektionsketten aufzuspüren. Dazu hat sie die erforderlichen Laborkapazitäten bei einem bereits bekannten Dienstleister unter Verweis auf die äußerste Dringlichkeit im Wege der Direktvergabe beschafft. Das verärgerte die niedergelassenen Laborärzte des Landes: Sie hätten gerne zumindest einen Teil dieser Aufgabe übernommen. Deren Nachprüfungsantrag richtet sich auf die Feststellung der Nichtigkeit des Laborvertrages. Das OLG Rostock gibt den Laborärzten Recht. Sie hatten nämlich wenige Tage vor der Vergabeentscheidung der Landesregierung ihre Leistungen angeboten. Dieses Angebot wurde schlicht ignoriert. Das OLG meint dazu: Dringlichkeit rechtfertigt nicht einen völligen Verzicht auf Wettbewerb. Sind mehrere potenzielle Leistungserbringer erkennbar, müssten auch mehrere Angebote eingeholt werden. So stellte das OLG die Nichtigkeit fest, obwohl die Leistung bereits vollständig erbracht war. Außer für die Verfahrenskosten hat solch eine Nichtigkeitsfeststellung nach Vertragsende für den Antragsteller keinen praktischen Nutzen mehr. Die Laborärzte haben aber einen politischen Punktsieg errungen. OLG Rostock (Beschl. v. 09.12.2020, Az.: 17 Verg 4/20)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄

(BS/Dr. Daniel Soudry*) Auf öffentliche Auftraggeber und Bieter kommen erhebliche Neuerungen zu: In Kürze nimmt das bundesweite Wettbewerbsregister den Betrieb auf. Darin werden Verfehlungen von Bietern eingetragen. Ergibt eine Registerabfrage zwingende oder fakultative Ausschlussgründe, droht einem Bieter der Ausschluss vom Vergabeverfahren. Der Präsident des Bundeskartellamts warnt vor einer “Bombe mit enormer Sprengkraft”. Das “Gesetz zur Einführung eines bundesweiten Wettbewerbsregisters” (WRegG) trat bereits am 29.07.2017 in Kraft. In der Folge richtete das Bundeskartellamt einen Aufbaustab ein, der die technische Umsetzung des Registers plant. Am 13.11.2020 legte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) den Referentenentwurf für eine Umsetzungsverordnung (WRegVO) vor, zu der Anhörungen laufen. Seinen Betrieb soll das Register schrittweise im Laufe des Jahres aufnehmen.

Weitreichender als ­Gewerbezentralregister Die im künftigen Wettbewerbsregister gespeicherten Daten enthalten zunächst dieselben Informationen wie das Gewerbezentralregister. Mit der Speicherung der straf- und ordnungsrechtlichen Katalogtaten geht es aber noch weit darüber hi­ naus. Die Strafverfolgungs- und Kartellbehörden sowie die zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten berufenen Behörden sind künftig verpflichtet, insbesondere Regelverstöße in den Bereichen • Korruption, Geldwäsche, Menschenhandel, Betrug, Beteiligung an Organisierter Kriminalität und andere schwere Wirtschaftsdelikte, wie Verstöße gegen Wettbewerbsrecht und Steuerhinterziehung, • Vorenthalten von Arbeitsentgelt und Sozialabgaben sowie • Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG), Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und Mindestlohngesetz (MiLoG) zur Eintragung in das Register zu melden. Auch natürliche Personen werden eingetragen, wenn ihr Verhalten einem Unternehmen zuzurechnen ist. Auch Entscheidungen in Verfahren über Kartellordnungswidrigkeiten, die zu Bußgeldern über mindestens 50.000 Euro führen, werden eingetragen. Die Bedeutung von Eigenerklärungen zu Ausschlussgründen wird damit deutlich abnehmen.

Eintragungen vermeiden Wird ein Unternehmen in das Register eingetragen, kann das erhebliche Auswirkungen haben. Für die Dauer von bis zu fünf Jahren kann es von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Zwar gibt es keinen Automatismus. Öffentliche Auftraggeber haben einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum und können in jedem Einzelfall entscheiden, ob sie ein eingetragenes Unternehmen von der jeweiligen Auftragsvergabe ausschließen. Ist ein zwingender Ausschlussgrund eingetragen, wird der Ausschluss vom Vergabeverfahren aber die regelmäßige Folge sein. Das BMWi geht von einer “faktischen Bindungswirkung” aus. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, kritisierte das Register wegen seiner unabsehbaren Folgen und warnte vor einer “kompletten Existenzvernichtung” bzw. “Todesstrafe für Unternehmen”. Das klingt dramatisch. Doch bei einer hohen Abhängigkeit von öffentlichen Aufträgen können Eintragungen in der Tat weitreichende Folgen haben. Bieter sollten sie daher unbedingt vermeiden und bei erfolgten Eintragungen schnellstmöglich auf eine Löschung hinwirken. Insbesondere, da kein Sperrvermerk oder vorbeugender Rechtsschutz möglich ist.

Das Wettbewerbsregister soll im Laufe des Jahres seinen Betrieb schrittweise aufnehmen. Foto: BS/Giesbert Heim, pixelio.de

Bietern, denen eine Eintragung in das Wettbewerbsregister droht, dürfen zunächst Stellung nehmen. Zudem dürfen sie die gespeicherten Daten einsehen. Sollen unrichtige Tatsachen in das Register eingetragen werden, empfiehlt es sich, den Fehler frühzeitig bei der Registerbehörde anzuzeigen. Die Löschung einer einmal erfolgten Eintragung aus dem Wettbewerbsregister ist in drei Fällen möglich: • Selbstverständlich ist, dass fehlerhafte Daten gelöscht werden. Das Bundeskartellamt löscht unrichtige Daten von Amts wegen. • Zudem sieht das Wettbewerbsregistergesetz eine automatische Entfernung der Eintragung nach Zeitablauf (drei bis fünf Jahre) vor. • Z uletzt können betroffenen Unternehmen die Entfernung selbst beantragen, wenn sie eine sog. Selbstreinigung nach § 125 GWB durchlaufen haben. Wer zur Selbstreinigung den verursachten Schaden kompensiert, mit den Ermittlungsbehörden (dies sind auch öffentliche Auftraggeber!) kooperiert und Konsequenzen bei der Unternehmensorganisation zieht, kann künftig vom Bundeskartellamt feststellen lassen, dass er wieder für öffentliche Aufträge infrage kommt. Die positive Entscheidung ist für sämtliche öffentlichen Auftraggeber bindend, die negative nicht. Betroffene Unternehmen können deshalb im Rahmen eines Vergabeverfah-

rens gegenüber dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber weitere, die Selbstreinigung belegende Tatsachen vorbringen. Bloße Zusicherungen oder Versprechen reichen für eine Selbstreinigung aber nicht aus. Fazit: Für Unternehmen, die sich im Wirtschaftsverkehr nicht einwandfrei verhalten haben, wird die Teilnahme am Vergabeverfahren in Zukunft schwieriger. Rechtsschutz sollte bereits bei einer Eintragung in das Wettbewerbsregister und nicht erst bei Ausschluss von einem konkreten Vergabeverfahren gesucht werden. Rechtsmittel gegen Eintragungen oder verweigerte Löschungen haben nämlich keine aufschiebende Wirkung. Und wenn ein Vergabeverfahren anläuft, wird die Zeit für die Löschung falscher Eintragungen regelmäßig nicht mehr ausreichen. *Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät Soudry & Soudry Rechtsanwälte, Berlin.

Save the Date Der Autor thematisiert das neue Wettbewerbsregister in einem gleichnamigen Webinar des Behörden Spiegel am 8. April 2021. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Wettbewerbsregister”.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen


Diplomaten Spiegel

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Kleines Land mit großen Sorgen

Z

weimal so viele Armenier sind irgendwo in der Diaspora. Der reichste, Kirk Kerkorian, lebte einst in Amerika und der Berühmteste von allen, Charles Aznavour, in Frankreich. Mehr “Hörer” hat bei uns wohl nur noch Radio Eriwan, ein fiktiver Sender mit hohen Einschaltquoten, vor allem mit seiner Ratgebersendung. Frage an Radio Eriwan: Welcher Unterschied besteht zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus? Antwort: Der Kapitalismus macht soziale Fehler und der Sozialismus kapitale. Kaum zwei Jahre ist es her, dass wir so unser Berliner Gespräch mit Ashot Smbatyan begannen, das im Jahr 2021 wie aus der Zeit gefallen wirkt. Der heute 51-jährige Mathematiker kommt 2015 als Botschafter nach Deutschland. Er kennt es gut, hat hier studiert und kann bestens deutsch. Die bilateralen Beziehungen sind, wie er feststellt, nachdem das kleine Land 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangt, nach wie vor sehr gut. Smbatyan will, dass das so bleibt und spricht seinerzeit von einer “Brückenfunktion” seines Landes zwischen der Europäischen Union und den Staaten der Eurasischen Wirtschaftsunion (Armenien, Kasachstan, Kirgisien, Russland, Weißrussland) und glaubt 2019 fest, dass “der Bergkarabach-Konflikt mit Aserbaidschan nur friedlich gelöst werden kann und wird. Die Maxime unserer Außenpolitik ist nicht “entweder ... oder”, sondern “sowohl ... als auch””, sagte er damals.

zach) und die Republik Aserbaidschan”, schildert Smbatyan den historischen Ausgangspunkt.

Deutliche Anschuldigungen

Status weiter ungelöst

Doch der gute Glaube geht nicht auf, wie das aktuelle Verhältnis zum östlichen Nachbarn Aserbaidschan zeigt. “Leben ist das”,

Im November 2020 kommt es durch russische Vermittlung zu einem Waffenstillstand, Gefangenenaustausch und der Übergabe

Ein Gespräch mit Armeniens Botschafter Ashot Smbatyan in Berlin (BS/ps) Armenien ist so groß wie Belgien, nicht so flach, sondern ein gebirgiger Binnenstaat mit über 4.000 Meter hohen Bergen zwischen Georgien, Aserbaidschan, dem Iran und der Türkei. Etwa drei Millionen Menschen gibt es in der ehemals kleinsten Sowjetrepublik, die seit September 1991 eine unabhängige, demokratische Republik ist.

Hat mehr als die Hälfte seines Lebens in Deutschland verbracht: Ashot Smbatyan, Botschafter der Republik Armenien in Berlin.

und Zchaberd) durch. Während dieser Militärangriffe sind 64 Armenier als Gefangene festgenommen worden, was ein Verstoß gegen die Waffenstillstandserklärung ist. Vor allem die unvollständige Erfüllung der Verpflichtungen Aserbaidschans über die Übergabe der Kriegsgefangenen und

Rezept des Botschafters Reis nach Arzakher (Karabacher) Art

Zutaten für 2-4 Personen: 250 g Reis (Basmati), 70 g getrocknete, entkernte Kornelkirschen, 30 g getrocknete, entkernte Pflaumen, 2 kleine Zwiebeln, getrocknete Kräuter, Salz, 30 g Butter / 2 EL Olivenöl Zubereitung: Im Topf die fein gehackten Zwiebeln mit Butter glasig andünsten. In der Zwischenzeit den Reis in eine Schüssel geben und mit kaltem Wasser waschen. Kornelkirschen und Pflaumen in den Topf geben und

räsoniert schon John Lennon hellsichtig, “was passiert, während man eifrig dabei ist, andere Pläne zu machen.” In diesem Fall, am 27. September letzten Jahres, das Schlimmste. “Ungeachtet der globalen Gesundheitskrise entfesselt Aserbaidschan, mit Unterstützung der Türkei, einen groß angelegten Krieg gegen Bergkarabach”, so Botschafter Smbatyan. “Seitens der Türkei und Aserbaidschans werden islamistische Söldner und Terroristen aus Syrien und Libyen rekrutiert und in den Krieg geschickt. Das bedeutet: Die seit Jahren staatlich geförderte antiarmenische Propaganda in Aserbaidschan hat sich ausgezahlt. Während des Krieges stellte die aserbaidschanische Führung die Hasspropaganda und Bedrohung gegen Armenier nicht ein, sondern verstärkte diese. Es gibt eine Vielzahl von Beweisen der Barbarei, für die es einen bestimmten juristischen Begriff gibt – Kriegsverbrechen.” Bei diesem Konflikt handelt es sich um einen Jahrzehnte alten, der unversehens ein neuer Krieg wird. Noch intensiver als der erste von 1991 bis 1994 und mit Drohnen moderner als der zweite von 2016. “1991 erklärte die Bevölkerung von Bergkarabach durch einen Volksentscheid ihre Unabhängigkeit, der den internationalen Normen des Völkerrechts und der Gesetzgebung der UdSSR entsprach. So wurden auf dem Gebiet des ehemaligen SowjetAserbaidschans zwei gleichberechtigte Staatsformen gebildet: die Republik Bergkarabach (Ar­

Behörden Spiegel / März 2021

mit Zwiebeln in Butter anschwitzen lassen. Nach knapp 6 Minuten den Reis zu den Kornelkirschen und Pflaumen in den Topf geben und mit ca. 360 ml kochendem Wasser auffüllen. Ohne Deckel köcheln lassen. Gleich danach ein- bis zweimal mit dem Löffel umrühren und dabei nach Geschmack salzen. Den Reis bei mittlerer Hitze kochen. Kurz bevor das Wasser verdunstet ist, mit Kräutern abschmecken und bei geschlossenem Deckel ca. 10 Minuten bei sehr schwacher Hitze den Reis mit Kornelkirschen und Pflaumen ziehen lassen. “Bari achorzhak.”

von Gefallenen. Vereinbart werden darin auch der Einsatz russischer Friedenstruppen in Bergkarabach, die Übergabe der umliegenden Regionen von Bergkarabach an Aserbaidschan sowie die Öffnung der Transportwege in der Region. “Armenien hat seither seinen Teil der Verpflichtungen unter Einhaltung der Fristen ordnungsgemäß erfüllt. Aserbaidschan führte wiederum mehr als einen Monat nach dem Waffenstillstand einige Offensiven z. B. im Bezirk Hadrut (Nor Tagher

Geiseln stellt einen klaren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar. Das Wichtigste – der Status von Bergkarabach – bleibt ungelöst. Diese Erklärung muss ein Zwischenstopp auf dem Wege zu einer endgültigen Lösung sein. Ein dauerhafter und stabiler Frieden in der Region kann nicht durch den Sieg oder die Niederlage einer Seite erreicht werden, sondern durch eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Parteien”, betont Smbatyan.

Das Wappen der Republik ist ein viergeteilter Schild mit den Wappen der vier armenischen Königshäuser Artaschesian, Arschakuni, Bagratuni und Rubinian. Auf dem goldenen Mittelschild ist der Berg Ararat mit den Konturen der Arche Noah abgebildet.

Um eine solche mühte sich schon 1992 die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in dem Konflikt Berg­k­arabach. Die “Minsker Gruppe” aus 13 Teilnehmerstaaten begleitet seitdem die Treffen der aserbaidschanischen und armenischen Seite. Die gewählten Vertreter von Bergkarabach werden jedoch nicht zugelassen. Derzeit agiert die Gruppe unter dem Vorsitz der USA, Russlands und Frankreichs. “Meine Regierung wird weiterhin unter dem Co-Vorsitz der Minsker Gruppe auf einer politischen Lösung des Konflikts bestehen. Aserbaidschan hat das Grundprinzip der europäischen Sicherheitsarchitektur – nämlich den Verzicht auf Gewalt und Gewaltanwendung zwischen Staaten – massiv gebrochen und missachtet. Ein friedliches Zusammenleben in der Region kann nur durch eine umfassende Beilegung des Konflikts erreicht werden, zu der das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung von Bergkarabach unabdingbar gehört. Hinzu kommt die De-Okkupation der von Aserbaidschan besetzten Gebiete in Bergkarabach und die Rückkehr dessen Einwohner”, so der armenische Botschafter.

Russische Präsenz wird geschätzt In den nächsten fünf Jahren überwachen russische Soldaten den Waffenstillstand, der um fünf

Fotos: BS/Dombrowsky

Jahre verlängert werden kann, wenn Armenien und Aserbaidschan keine Einwände erheben. “Wir schätzen die Bereitschaft der russischen Seite, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen, weil die Präsenz eine wichtige sicherheitspolitische Rolle spielt.” 2018 stuft das internationale Wirtschaftsmagazin “The Economist” aus London Armenien ob seiner Fortschritte bei der demokratischen und rechtsstaatlichen Entwicklung als Land des Jahres ein. Es gibt überdies eine wirtschaftliche Aufbruchstimmung, die vielen ausländischen Investoren interessant und lohnenswert erscheint. Das könnte sich durch die aktuelle Lage möglicherweise geändert haben. “Natürlich verursachen Unruhen und Kriege immer wirtschaftliche Probleme für ein Land. Trotz allem hat Armenien alles getan, um das Vertrauen seiner Partner aufrechtzuerhalten. Wir hoffen, dass wir die positiven Wachstumsraten unserer Wirtschaft bald wiederherstellen können.”

Von Europäischer Union enttäuscht “Es ist kein Zufall”, so Smbatyan, “dass sich ein Teil des armenischen Volkes, das vor über einem Jahrhundert wegen des Völkermordes von 1915/16 (im Schatten des Ersten Weltkrieges kamen unter Verantwortung

Der Granatapfel ist eines der Symbole Armeniens. Hier eine MetallSkulptur des armenischen Künstlers Hayk Sayadian.

der Regierung des Osmanischen Reichs bei Massakern und Todesmärschen bis zu 1,5 Millionen Menschen zu Tode; Anmerkung der Redaktion) weltweit zerstreut war, sich von diesem schweren Schlag erholen und bedeutende Erfolge erzielen konnte. Tüchtig arbeiten und gestalten gehören zu den stärksten Merkmalen von uns Armeniern.” Zum Gestaltungswillen gehört auch, dass das Land die Zusammenarbeit mit der EU als eine der Prioritäten seiner Außenpolitik sieht. Es ist seit 2009 im Rahmen der östlichen Partnerschaft dort aufgenommen und hat 2017 ein umfassendes und erweitertes Partnerschaftsabkommen (CEPA) unterzeichnet. “Die EU spielt natürlich eine Schlüsselrolle bei der Stärkung der Demokratie, der Durchführung wirtschaftlicher und rechtlicher Reformen sowie in vielen anderen Bereichen unseres Landes. Dennoch muss ich betonen, dass insbesondere die Jugend in Armenien, um es milde auszudrücken, enttäuscht über die unzureichenden Bemühungen von Brüssel ist, die aserbaidschanische Aggression zu stoppen. Es gibt genug Instrumente (z. B. Sanktionen), die man zu Recht hätte nutzen können. Die EU hat sich bereits zu den Kriegsgefangenen positioniert. Aserbaidschan muss diesen Forderungen folgen und die Kriegsgefangenen freilassen. Die EU kann auch eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe für die Bevölkerung von Bergkarabach und bei der Wahrung kultureller Werte spielen.”

Jenseits der Diplomatie Über 20 Jahre ist Ashot Smbatyan im diplomatischen Dienst Armeniens, die meiste Zeit davon in der Bundesrepublik. Zählt man seine Studienzeiten in Berlin, Dresden und Leipzig dazu, ist das mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens. Und dabei ist er gut hier “angekommen”. Mitunter vermisst er die heimische Küche und ein wenig den Diskurs über sein Land, das sich bemüht, seinen Teil zum besseren, stärkeren Europa beizutragen. “Allerdings vermisse ich nicht nur Dinge, sondern freue mich auch über Entdeckungen hier in Berlin, die es so in Armenien noch nicht gibt. Ich bin fasziniert vom Wiederaufbau der Berliner Museumsinsel. Hier verbindet sich das Altertum mit der Moderne. Und das begeistert mich, diese Erhaltung des Alten und die harmonische Erschaffung von Neuem.” Möchte er dennoch noch einmal etwas anderes, jenseits jedweder Diplomatie und Politik, machen? “Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich gerne für kurze Zeit mit dem einzigartigen Musiker Johann Sebastian Bach tauschen, da mich seine Musik noch immer fasziniert.”

Ausdruck der Verbundenheit: die beiden Flaggen der Republik Armenien und, mit dem weißen, fünfzahnigen Teppichmuster, der Republik Arzach (Bergkarabach) im Büro des Botschafters.


-6018

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Martin Wüppen mdWdGb

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Referat L 4 Landtag, Kabinett, Bundesrat und Fachministerkonferenzen

Vera Wucherpfennig

Referat L 3 Sport, Internationale Partnerschaften

Philipp Wedelich

Referat L 2 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Heimatvertriebene und Kulturpreis Schlesien

Christian Heusermann mdWdGb

Referat L 1 Ministerbüro, strategische Planungen, Internationale und Europaangelegenheiten

Nils Hilmer

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Lisa Bode

Anke Breusing

Referat Z 6 Innerer Dienst

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Referat Z 5 Arbeit und Gesundheit, Digitale Arbeitswelt in der Landesverwaltung

Heike Strahler

Abteilung 2 Landespolizeipräsidium

-4862

Alfred Soetbeer

Dr. Susanne Graf

NN

Dirk Pejril

Referat 22 Recht

Referat 26 Technik und Finanzen

Referat 25 Personal

Referat 24 Einsatz und Verkehr

Referat 23 Kriminalitätsbekämpfung

Uta Schöneberg

Ralf Leopold

Referat 21 Strategie, Präsidialbüro, Organisation, EU / Internationale polizeiliche Zusammenarbeit

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Axel Brockmann -6107

Dr. Walter Swoboda

Referat Z 4 Arbeitgebermarketing, Ressortübergreifende Personalentwicklung

Udo Nolte

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Referat IT3 IT – Infrastruktur

Dr. Michael Zimmer

Referat Z 3 Haushalt, Mittelfristige Planung

Andreas Ribbeck

Referat Z 2 Allgemeines Beamtenrecht, Personalvertretungsrecht

Marco Behrla

-4810

Referat IT2 Informations­ sicherheit, Cyber-Sicherheit

NN

Referat Z 1 Personal, Organisation, Digitalisierung und Informationssicherheit

Abteilung 1 Leitung, Zentrale Angelegenheiten und Sport

-4703

Referat IT1 Verwaltungs­ modernisierung, IT-Strategie, E-Government

Dr. Horst Baier

Stabsstelle CIO und IT-Bevollmächtigter der Landesregierung

Referat 32 Kommunalaufsicht

-6005

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Holger Meyer

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Referat 35 Militärische Angelegenheiten, Rettungswesen

Jörg Schallhorn

Referat 34 Brand- und Katastrophenschutz, Kompetenzzentrum Großschadenslagen

Martina Schaffer

Referat 33 Kommunale Wirtschaft und Finanzen

Maja Kummer

Markus Steinmetz

Referat 31 Kommunale Verfassung, Datenschutz, Enteignungsangelegenheiten

Dr. Alexander Götz

Abteilung 3 Kommunales, Brand- und Katastrophenschutz

Staatssekretär Stephan Manke

Abteilung 4 Recht, Aufsicht, Hoheitsangelegenheiten

Referat 43 Glücksspiel

Siegmar Liebig

Referat 44 Vermessung, Geoinformation, Kampfmittelbeseitigung

Volker Nitschke

Bettina Meyer

Referat 42 Statistik, Fachaufsicht IT.N, LSN und LZN

Frank Ruge

Referat 41 Wahlen, Hoheitsangelegenheiten, Justiziariat, Stiftungsangelegenheiten

Ulrike Sachs

Foto: BS/© Nds. Ministerium für Inneres und Sport

Minister Boris Pistorius

-6502

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-4801

Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport

Dr. Andreas Jablonski-Seibert mdWdGb

Referat 56 Zentrale Dienste

Frank Kornemann mdWdGb

Referat 55 Wirtschaftsschutz, Spionageabwehr, Observation, Geheimschutz

Dirk Hausfeld

Referat 54 Islamismus / Islamistischer Terrorismus

Wolfgang Freter

Referat 53 Rechtsextremismus / -terrorismus, Extremismusprävention

Merle Herwarth von Bittenfeld mdWdGb

Referat 52 Linksextremismus / -terrorismus, Extremismus / Terrorismus mit Auslandsbezug, Referatsübergreifender Grundsatz

Dr. Martina Oelkers mdWdGb

Referat 51 Recht, Datenschutz, G 10

Bernhard Witthaut

Abteilung 5 Verfassungsschutz

Dorothea Lemke mdWdGb

Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizei

-6210

Benjamin Goltsche

Referat 64 Ausländer- und Asylrecht

Tim Maczynski

Referat 63 Integriertes Rückkehrmanagement, Flüchtlingsaufnahme und -versorgung

Dr. Mareike Telkamp

Referat 62 Grundsatzangelegenheiten Flüchtlingsund Migrationspolitik, Geschäftsstelle Härtefallkommission

Dirk Verleger

-6306

-6215

-6050

-6239

Referat 61 Zentrale Flüchtlingsaufnahme, Spätaussiedler, Fachaufsicht Landesaufnahmebehörde Niedersachsen

Ingo Marek

Abteilung 6 Migration

Telefon: 0511/120-0 Telefax: 0511/120-6550 E-Mail: poststelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de

Lavesallee 6 30169 Hannover

Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Stand: März 2021

Behörden Spiegel / März 2021

Personelles Seite 11


Zahlen & Daten

Seite 12

Behörden Spiegel / März 2021

Verteidigungsanstrengungen im Vergleich (BS/por) Die Erwartungen an den Machtwechsel von Trump zum neuen US-Präsidenten Biden sind hierzulande groß. Doch die meisten Beobachter rechnen damit, dass auch die neue Administration von der Bundesrepublik vor allem mehr finanzielles "Burden Sharing" in Richtung Zwei-Prozent-Ziel der NATO fordern wird. Und die USA? Was die Gegenüberstellung beider Staaten betrifft, so herrschen teils falsche Vorstellungen über deren Vergleichbarkeit vor. Genannt werden in diesem Zusammenhang bspw. häufig Ausgaben des Bundesinnenministeriums (BMI) für den Bevölkerungsschutz und für die Cyber-Sicherheit. Doch denen sind die entsprechenden Ausgaben des US-Heimatschutzministeriums gegenüberzustellen. Addiert man außerdem zum Pentagon-Etat noch die Ausgaben des Energieministeriums für Verteidigungszwecke sowie den Haushalt für das Veteranenministerium, so kommt man für 2020 auf umgerechnet 804,32 Milliarden Euro. Daraus folgt, dass der Status einer nuklearen Supermacht mit enormen Kosten verbunden ist, der kein Maßstab für eine Regionalmacht wie Deutschland sein kann. Verteidigungshaushalte*

NATO-Verteidigungsausgaben als BIP-Anteil (in %)* 3,87

Deutscher Anteil bei 2 % 65,46 Mrd. €

Pentagon:

594,75 Mrd. €

2,58

2,43

EP 14:

2,38 2,03

51,39 Mrd. €

1,93

2%

1,91

1,57 Veteranenministerium:

181,1 Mrd. € Energieministerium (Nuklearwaffen und -antriebe):

19,73 Mrd. €

USA

Quellen: BS/Bundeshaushaltsgesetz 2020 und U.S. Federal Budget Fiscal Year 2020

1995

2000

2005

GBR

ROU

[...]

NOR

2010

2015

1.370.000

USA

681.230

420,6

28,6

USA

27,5

287,8

27,0

181.400

25,0

38,3

32,3

61,8

DEU

DEU

81.280 29.200 Soldaten

Quellen: BS/Military Technology: World Defence Almanac, S.1.990 ff.

Zivilbedienstete

Quellen: BS/BMVg und U.S. Department of Defense

Katastrophenschutz & Cyber-Sicherheit* €

BMI (EP 06)

U.S. Dept. of Homeland Security

Katastrophenschutz

BBK:

170 Mio.

FEMA**: 16,0 Mrd.

THW:

310 Mio.

ZITiS:

53,6 Mio.

BSI:

162,4 Mio.

CyberSicherheit

[...]

DEU

721,5 559,6

263,8

TUR

2020

680,2

288,3

BGR

Personal*

Verteidigungshaushalte im Zeitvergleich (Mrd. in jeweiligen US-$) 1990

GRC

Quelle: BS/NATO Public Diplomacy Division

CISA***: 2,6 Mrd.

CyberAgentur: 10,0 Mio.****

Quellen: BS/Bundeshaushaltsgesetz 2020 und U.S. Federal Budget Fiscal Year 2020

* Zahlen für 2020 ** Federal Emergency Management Agency *** Cyber Security and Infrastructure Security Agency **** + 10,0 Mio. € aus dem EP 14

Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von macrovector, stock.adobe.com; Andrey Kokidko, stock.adobe.com; farukkutlu, stock.adobe.com

Reservisten

849.450


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / März 2021

KNAPP

“Löchrig wie ein Schweizer Käse”

Breitbandausbau vor Vorkaufsrecht und Umwandlungsverbot: Diskussionen um Baulandmobilisierungsgesetz zeigen Handlungsbedarf Energiewende (BS/jf) 53 Prozent der Deutschen

(BS/Jörn Fieseler) Berlin baut. Seit 2017 steigt die Zahl neu gebauter Wohnungen. Dieser Trend soll sich weiter fortsetzen. Damit spiegelt die Berliner Situation die Ergebnisse des priorisieren den Ausbau der GlasWohnungsgipfels der Bundesregierung wider. Der Gipfel hat jedoch eines gezeigt: Die Rahmenbedingungen müssen weiter verbessert werden. Insbesondere die Mobilisierung von fasernetze für schnelles Internet Bauland. Die dafür vorgesehenen Maßnahmen wie das Vorkaufsrecht für Kommunen werden diskutiert. Und auch ein Umwandlungsverbot steht zur Debatte. an oberster Stelle, noch vor den “Die sechs Berlin-eigenen Wohnungsbaugesellschaften haben den Neubaumotor angeworfen”, beschreibt Sebastian Scheel, Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, die Situation. Lag die Zahl der neu gebauten Wohnungen 2016 noch bei 1.300 Wohnungen, sind es im vergangenen Jahr fast 5.800 gewesen – eine enorme Kraftanstrengung, meint der Bausenator. Insgesamt ist der Wohnungsbestand in der laufenden Legislatur (in Berlin stehen am 26. September 2021 die Wahlen zum Abgeordnetenhaus an) durch Neubau und Ankauf um rund 38.500 Unterkünfte erhöht worden. Damit verfügen die sechs städtischen Gesellschaften über 336.238 Wohnungen. Damit nicht genug. Bis 2026 soll diese Zahl auf über 383.000 erhöht werden.

194.000 Wohnungen bis 2030 Insgesamt sollen im Berliner Stadtgebiet bis 2030 bis zu 194.000 Wohnungen entstehen. Davon 100.000 als gemeinwohl­ orientierte Unterkünfte. Für diese spielen die 16 Stadtquartiere eine zentrale Rolle. Allein in diesen Vierteln sollen rund 50.700 Wohneinheiten (WE) entstehen. Bislang realisiert wurden rund 12.000 WE, weitere 3.200 seien geplant, mit ihrem Bau soll in diesem Jahr begonnen werden. Für die Zeit von 2022 bis 2026 sind weitere 19.000 WE vorgesehen, für die letzten fünf Jahre noch mal 15.600. Entsprechend vergrößert wurden auch die Planungsstände. Waren 2017 rund 33.000 Unterkünfte in Planung und Bau sind es aktuell über 63.000. Die Zahlen passen zur Bilanz der Bundesregierung. 1,2 Millionen neue Wohnungen hat die Bundesregierung geschaffen,

Leiterin des Bereichs Recht bei der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, begrüßt. Allerdings dürfe nicht der Maximalwert für das Vorkaufsrecht maßgeblich sein. Stattdessen sollte der Preis auf den Verkehrswert des Grundstückes für die Kommune limitiert werden. Auch bei den kommunalen Spitzenverbänden wurde dieser Vorschlag positiv aufgenommen, dennoch wünschen sich DST, Deutscher Städteund Gemeindebund (DStGB) und Deutscher Landkreistag (DLT), das Vorkaufsrecht auf alle Grundstücke im Gemeindegebiet auszudehnen. Die bestehenden Regularien, um die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verhindern, seien so löchrig wie dieses Stück Käse. Deshalb müssten bestehende Schlupflöcher geschlossen werden. Foto: BS/Natallia, stock.adobe.com

für 770.000 weitere seien die Baugenehmigungen bereits erteilt, berichtete Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat (CSU) anlässlich der Bilanz nach dem Wohnungsgipfel von 2018. Von den angekündigten 1,5 Millionen Unterkünften konnten somit immerhin 87 Prozent realisiert werden. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist zufrieden. “Das nunmehr Erreichte ist ein guter Erfolg”, sagte er zur Bilanz des Bundesbauministers.

Baulandmobilisierungsgesetz Der Erfolg ist jedoch nicht gut genug. Wichtige Punkte sind noch nicht realisiert. Allen voran die Frage, wie die Kommunen an Bauland kommen sollen. Anstatt neue Baugebiete in Ortsrandlage auszuweisen, sind innerstädtische Flächen zu revitalisieren. Dies scheitert jedoch oftmals an

fehlenden Eigentumsrechten. Und auch am Haushaltsrecht, betont Hilmar von Lojewski, Beigeordneter und Leiter des Dezernats “Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr” beim Deutschen Städtetag (DST), im Rahmen einer Anhörung zum Baulandmobilisierungsgesetz des Bundes. Das Gesetz wiederum basiert auf den Handlungsempfehlungen der Baulandkommission und sieht unter anderem ein Vorkaufsrecht für Kommunen vor sowie ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen. So wird einerseits klargestellt, dass die Deckung des Wohnbedarfs zu den Gründen des Wohles der Allgemeinheit gehört und damit die Ausübung des Vorkaufsrechtes rechtfertigen kann. Andererseits soll dieses Recht auch auf geringfügig bebaute Grundstücke ausgeweitet werden. Die Ausweitung wird von Dr. Friederike Mechel,

Strengere Regularien für Umwandlung Darüber hinaus sollen Umwandlungen infolge von geänderten Eigentümerstrukturen in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten künftig unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellt werden. Ziel dieser Regelung ist es, negative Auswirkungen von Umwandlungen auf dem Mietwohnungsmarkt zu begrenzen. Auf diese Weise sollen Mieter vor der Verdrängung durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen geschützt werden. Dazu soll ein neuer § 250 in das Baugesetzbuch (BauGB) aufgenommen werden. “Diese Regelung darf nicht als enteignungsgleicher Eingriff verstanden werden. Sie ist vielmehr ein zusätzlicher Baustein zur Ergänzung mietrechtlicher Instrumente”, mahnt von Lojewski. Für Stephan Reiß-Schmidt von der Münchener Initiative für ein soziales Bodenrecht ist der Entwurf an dieser Stelle jedoch so “löchrig wie ein Schweizer Käse”. Es gebe viel zu viele Schlupflöcher und Ausnahmen. Diese

müssten minimiert werden, fordert Reiß-Schmidt. Auf der einen Seite würden enorme Anstrengungen unternommen, um mehr bezahlbaren Wohnungsraum zu schaffen, auf der anderen Seite würden durch die Möglichkeit der Umwandlung diese Wohnungen wieder dem Markt entzogen. Bislang könnte die Umwandlung nur unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden, wenn es sich um Milieuschutz gemäß § 172 BauGB handle, und auch nur dann, wenn die Landesregierung eine entsprechende Verordnung erlassen habe.

Erfahrungen aus Berlin Berlin hat eine solche Umwandlungsverordnung erlassen. Anhand der Statistik wurden in den letzten fünf Jahren in den bis dahin existierenden 61 Erhaltungsgebieten Anträge für die Umwandlung von rund 25.000 Wohneinheiten gestellt. In 94 Prozent der Fälle wurde die Umwandlung genehmigt. Der Großteil davon nur, weil sich die Eigentümer verpflichteten, innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von Wohnungseigentum die Wohnungen nur an die Mieter zu veräußern, erklärte Senator Scheel. Entsprechend hält Kai H. Warnecke, Präsident von Haus und Grund Deutschland, die derzeitige Regelung für ausreichend. Wenn der § 250 BauGB doch eingeführt werden solle, plädiert er für eine Obergrenze von 15 Wohneinheiten, ab der das Umwandlungsverbot greifen solle. Ob es dazu kommt, steht noch nicht fest. Der Bauausschuss im Deutschen Bundestag hat bis Redaktionsschluss noch keine Empfehlung zu dem Gesetzentwurf abgegeben. Auch die zweite und dritte Lesung im Parlament ist noch nicht terminiert.

Netzen für die Energiewende. Dies ist das zentrale Ergebnis einer repräsentativen Umfrage und einer Mitgliederbefragung des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) zu den Infrastrukturen der Daseinsvorsorge. Entscheider aus kommunalen Unternehmen bestätigen die Einschätzung der Bürgerinnen und Bürger und den daraus resultierenden Handlungsbedarf. Zugleich sehen 50 Prozent von ihnen besondere Hindernisse bei der Bürokratie und 41 Prozent bei offenen Gesetzgebungsverfahren.

Geringere Luftverschmutzung

(BS/mj) Der Lockdown im Frühjahr 2020 hatte laut Luftqualitätsbericht des Umweltbundesamtes (UBA) im Jahresmittel kaum Einfluss auf die Luftreinheit. Auch wenn ein positiver Effekt zu verzeichnen sei, sei der Einfluss auf die langfristige Konzentration des gesundheitsschädlichen Dieselabgasgiftes Stickstoffdioxid gering gewesen. Der von der EU festgelegte Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 μg/m³ wurde generell kaum noch überschritten. Stattdessen beschreibt das UBA einen seit Jahren andauernden Rückgang der Belastungswerte. Im Detail sticht bei der Auflistung der einzelnen Messtationen vor allem die Landshuter Allee in München hervor, die mit 54 μg/ m³ den höchsten Jahresmittelwert verzeichnet. Genauer geht der Bericht der UBA auf die Aufzeichnungen während der Monate März und April 2020 ein. Auffällig ist vor allem ein Stickstoffdioxid-Rückgang um 20 bis 30 Prozent in den Nachmittagsstunden, welcher sich zumindest teilweise auf ein geringeres Verkehrsaufkommen zurückführen lässt.

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

HEIMAT, DIE STADT

22 22.-23. Juni 2021 Leonardo Le e Hotel, Weimar W

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des

Foto: Matthiass Ecker ckkert

Eröffnungsredner: Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar


Kommunalpolitik

Seite 14

Behörden Spiegel / März 2021

Einheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit

Neuer Beauftragter gefordert

Tarifverhandlungen für Vivantes-Tochtergesellschaften angelaufen

Bund will kommunale Angelegenheiten stärker in den Blick nehmen

(BS/Florian Schröder) Die Verhandlungen zwischen Vertreterinnen der Gewerkschaft Verdi einerseits und dem kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) Berlin für die Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH andererseits gehen in die nächste Runde. Gegenstand der Verhandlungen sind die Verträge von über 1.250 Beschäftigten in acht Tochterfirmen von Vivantes. Verdi fordert unter anderem einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Tochtergesellschaften.

(BS/mj) Die Einführung eines Bundesbeauftragten für kommunale Angelegenheiten ist einer der Ansatzpunkte, die den kommunalen Gestaltungsraum und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sicherstellen sollen. Laut dem Diskussionspapier zur “Zukunft auf dem Land” von Bundesministerin Julia Klöckner und Christian Haase (beide CDU) sollen so nicht nur unerwartete Herausforderungen der Pandemie, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene Disparitäten bekämpft werden.

Die Angestellten der verschiedenen Tochtergesellschaften von Vivantes sind in verschiedenen Branchen des Servicebereichs tätig. So sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Vivaclean Nord und Süd GmbH in der Reinigung beschäftigt, die Mitarbeiter der SVL GmbH in der Speiseversorgung tätig und die Kräfte der Vivantes Service GmbH mit logistischen Aufgaben wie Transporten oder der Patientenbegleitung betraut. Dabei unterliegen die Beschäftigten der Tochterfirmen aktuell einer branchenspezifischen oder gar keiner Tarifbindung.

Ein weiterer zentraler Punkt für die Stärkung von Kommunen sei eine projektungebundene Finanzausstattung. Diese bietet Kommunen die Möglichkeit, individuell und bedarfsorientiert Gelder einzusetzen, statt sie an teils nebensächliche Projekte zu binden, die von Bund oder Land proklamiert werden.

Forderungen auf dem Tisch “Ziel ist es, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vivantes Tochtergesellschaften attraktive und moderne Arbeits- und Vergütungsbedingungen zu schaffen”, benennt der KAV Berlin sein Anliegen für die Verhandlungen, in denen Dr. Anke Stier für den Verband die Arbeitgeberinteressen vertritt. Wie diese Arbeits- und Vergütungsbedingungen künftig genau aussehen könnten, wird dabei bereits von Verdi mit konkreten Forderungen charakterisiert. Da es sich bei Vivantes um ein kommunales Krankenhaus handelt, fordert die Gewerkschaft die Übernahme des Tarifvertrags des Öffentlichen Dienstes im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-K VKA). Damit einher gehen die Forderungen nach einer einheitlichen Wochenarbeitszeit von 39 Stun-

Fokus auf Innovationen

Die Vertreterinnen der KAV Berlin und der Vivantes-Tochtergesellschaften blicken optimistisch auf die weiteren Verhandlungen. Foto: BS/TheDigitalArtist, pixabay.com

den sowie einem übergreifenden Anspruch auf 30 Urlaubstage im Jahr. Ein zentraler Verhandlungspunkt ist auch die Zahlung von Zuschlägen für die Arbeit an Wochenenden, Feiertagen, in der Nacht und insbesondere im Schicht- bzw. Wechselschichtbetrieb. So werden beispielsweise die Angestellten der SVL GmbH zum Großteil nach dem Tarifvertrag der Gewerkschaft NahrungGenuss-Gaststätten (NGG) im Bereich Hotel- und Gaststättengewerbe vergütet, in dem kein Anspruch auf einige der nun geforderten Zuschläge besteht.

Teilweise abgelehnt Verdi strebt für einen einheitlichen Tarifvertrag zudem eine Einbeziehung von Altbeschäftigten an. Diese stehen in einem Arbeitsverhältnis mit der Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH, sind aber in einer der Tochtergesellschaften tätig. Für

zwei der Tochtergesellschaften, die Labor Berlin GmbH, und die Labor Berlin Service GmbH wurden die Verhandlungen bereits abgelehnt. Die beiden Gesellschaften unterstehen zu 50 Prozent Vivantes, zur anderen Hälfte der Charité Berlin.

Aufruf zur Mäßigung Trotz des gemeinsamen Ziels mahnt der KAV Berlin zur Mäßigung. In Zeiten der Covid19-Pandemie müssten die wirtschaftlichen Herausforderungen berücksichtigt werden, denen sich die Krankenhäuser ausgesetzt sehen. Deshalb könne noch keine verbindliche Aussage zur angestrebten Laufzeit der Tarifverträge getroffen werden. Dennoch seien die bisherigen Gespräche zunächst positiv bewertet worden, wie Dorothea Schmidt, Geschäftsführerin des Personalmanagements bei Vivantes, berichtet.

Gleichzeitig ist aber eine stärkere Vernetzung sowie ein intensiver Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen Kommunen nötig. Dies fördert das ressour-

cenorientierte Arbeiten und legt den Fokus auf erprobte Innovationen.

Beauftragter soll starke Persönlichkeit sein Die Förderung ländlicher Regionen beinhalte zudem die enge Verzahnung mit der Landwirtschaft, deren demografische und strukturelle Probleme eng mit der Attraktivität des Lebensraums zusammenhängen. Dies fließt auch in die Forschung und das Monitoring zu den Entwicklungen der ländlichen Räume ein, die letztendlich auf Bundesebe-

ne zusammengetragen werden. Bei dem Beauftragten sollen alle kommunalen Belange auf Bundesebene zusammenlaufen. Wo dieser angesiedelt wirde, ob im Bundesheimatministerium, dem Bundeslandwirtschaftsministerium oder sogar im Bundeskanzleramt ist noch unklar. Entscheidender sind jedoch die Einflussmöglichkeiten: Die Person müsse insbesondere die Menschen auch in den ländlichen Gebieten erreichen, so der Bundesvorsitzende der kommunalpolitischen Vereinigung der CDU, Christian Haase.

Ohne Barrierefreiheit keine Inklusion Auch die Privatwirtschaft ist in die Pflicht zu nehmen (BS/ Oyinda Alashe*) Am 5. Mai setzen sich seit über 20 Jahren bundesweit viele Menschen für mehr Gleichstellung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein. Corona-bedingt finden die Aktionen 2021 vor allem digital statt. Ein wichtiger Tag, der das Engagement vieler sichtbar macht, ist der 5. Mai, der Europäische Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Organisationen der Behindertenhilfe und -selbsthilfe sowie Aktivisten und Aktivistinnen zeigen, wo es bei der Inklusion hakt und wo Menschen mit Behinderung ausgeschlossen und benachteiligt werden. Sie machen Missstände sichtbar, sensibilisieren ihre Nachbarschaft, Kommunen und die Politik. Das aktuelle Motto passt zum Wahljahr 2021: “Deine Stimme für Inklusion – mach mit!” Im Zeitraum vom 24. April bis 9. Mai liegt der Schwerpunkt auf dem Thema Barrierefreiheit. Sie ist eine zentrale Voraussetzung für Inklusion. Im Fokus der 5.-Mai-Aktionen stehen die größten Teilhabe-Barrieren für Menschen mit Behinderung. Davon gibt es viele in allen Lebensbereichen. Ottmar Miles-Paul (57) ist Autor und Aktivist mit einer Seh- und Hörbehinderung. Seit Jahrzehnten ist er in der Behindertenbewegung aktiv und fordert: “Wir brauchen in Deutschland endlich ein gutes Barrierefreiheitsgesetz, das einen umfassenden barrierefreien Zugang zu öffentlichen und privaten Angeboten, Dienstleistungen und Produkten verbindlich festschreibt.”

“Eigentum verpflichtet” Darin steckt ein deutlicher Appell an die Politik. Deutschland steht gerade vor der Herausforderung, viele Barrieren abzubauen, die Menschen mit Behinderungen das Leben schwer machen. Bis Juni 2022 bleibt noch Zeit, die Regelungen des European Accessibility Act (EAA) in deutsches Recht umsetzen. Die Richtlinie verpflichtet auch Deutschland dazu, unter anderem den gesamten Online-Handel für Verbraucher barrierefrei zu gestalten. Darin liegt die große Chance, auch die Privatwirtschaft gesetzlich zu verpflichten, barrierefreie Dienstleistungen und Angebote zur Verfügung stellen. Menschen mit Behinderung bewegen sich nicht nur im öffentlichen Raum. Sie leben in Wohnungen, besuchen Cafés, Kinos und Geschäfte. Oft fehlen dort aber barrierefreie Zugänge oder Nutzungsmöglichkeiten. Damit sich das ändert, sind Handel und Gewerbe gefordert. “Eigentum verpflichtet! Ich fordere Barrierefreiheit im privaten Raum”, sagt Dunja Fuhrmann,

Stellvertretende Vorsitzende vom BSK-Landesverbands Selbsthilfe Körperbehinderter Saarland (LSK Saarland) e. V. “Barrierefreiheit ist so wichtig wie Brandschutz. Verstöße sollten sanktioniert werden”, sagt die 41-Jährige mit Nachdruck.

Ungleichheit beenden “Wir leben im Hier und Jetzt”, sagt Aktivist und Bildungsreferent Edwin Greve. “Deshalb kann Barrierefreiheit nicht warten.” Der Rollstuhlfahrer lebt in Berlin und sieht besonders große Probleme bei der Mobilität. Als Beispiel nennt er Reisen mit der Bahn. Das sei immer mit einem enormen Planungsaufwand verbunden. Längst nicht alle Bahnhöfe seien barrierefrei und in den Zügen seien nur wenige Plätze für Menschen mit Rollstühlen vorgesehen. Diese Ungleichbehandlung müsse sich ändern. “Ich will wie alle anderen auch das Recht, spontan mit dem Zug nach München zu fahren”, fordert der 27-Jährige, der sich auch politisch für Diversität und eine nachhaltigere, fairere Gesellschaft einsetzt. Es gibt viel zu tun, findet auch Sina Eghbalpour (28). Sie ist Sport- und Inklusionsmanagerin in Aachen. Die Rollstuhlfahrerin

promoviert gerade und fordert mehr gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderung – auf dem Arbeitsmarkt genauso wie in der Freizeit und im Sport. “Stellen Sie sich vor, Sie möchten Sport in einem Verein machen, aber es scheitert daran, dass es kein inklusives Angebot gibt. Oder Sie aufgrund der fehlenden Barrierefreiheit nicht in die Sporthalle kommen. Fänden Sie blöd? Ich auch”, sagt die passionierte Rollstuhl-Handballerin. Auch die Aktivistin Natalie Dedreux setzt sich für mehr Gleichberechtigung und Teilhabe ein: “Ich fordere, dass wir Menschen mit Behinderung mehr gesehen werden, dass wir gehört werden und auch zu Wort kommen”, sagt die 20-Jährige. Sie hat das Down-Syndrom und ist Expertin in eigener Sache. Verantwortlich für das Jahresmotto “Deine Stimme für Inklusion – mach mit!” ist die Aktion Mensch. Die Förderorganisation bündelt das vielfältige Engagement seit mehr als 20 Jahren immer unter einem wechselnden Thema, fördert viele der Aktionen finanziell und unterstützt mit Aktionsmitteln. *Oyindamola Alashe arbeitet für die Aktion Mensch.


Digitale Bildung

Behörden Spiegel / März 2021

Seite 15

Perspektive gesucht

Mehr Kompetenzen für digitale Gesellschaft

Wie unterrichtet man digital und datenschutzkonform?

Digitalpakt soll Bildung für alle Generationen und Bildungsschichten gewährleisten

(BS/Benjamin Stiebel) Was in Sachen Digitalisierung an Schulen jahrelang verschleppt wurde, wird in der Krise notgedrungen und mehr schlecht als recht nachgeholt. Zu den vordergründigen Themen wie fehlender Bandbreite, fehlenden Geräten und fehlenden Kompetenzen mischt sich seit Monaten auch die Diskussion um die Sicherheit der personenbezogenen Daten der Schülerinnen und Schüler. So monieren Datenschützer den Einsatz von Microsoft Teams, Zoom oder WhatsApp für schulische Zwecke. Die bekannten und leicht zu nutzenden Lösungen aus den USA gelten als nicht datenschutzkonform. Doch die rechtlich sauberen Alternativen liefen bisher oft alles andere als rund. Sicher vor Datenschutzproblemen sind Schulen bei deutschen Lösungen auch nicht so ganz.

(BS/mj) Die Digitalisierung und ihre Nutzung ist immer noch nicht in allen deutschen Bildungsschichten angekommen, das hat das letzte Jahr deutlich gezeigt. Die Lern-App “Stadt-Land-DatenFluss” und eine übergreifende Lernplattform sollen als Teil eines umfassenden Digitalpakts Abhilfe schaffen – allerdings erst in den nächsten Jahren.

Wenn es nicht an der Bandbreite oder der Ausstattung scheitert, dann vielleicht am Datenschutz: Beim digitalen Unterricht gibt es Probleme zuhauf. Foto: BS/zapCulture, pixabay.com

Während die Datenschutzprobleme bei der Nutzung von Microsoft und anderen US-amerikanischen Anbietern zunächst auf formaljuristischer Ebene zu finden sind, hatte die von über 3.000 deutschen Schulen genutzte HPI Schul-Cloud des Hasso-PlattnerInstituts seit Beginn der CoronaPandemie schon mit zwei konkreten Datenschutzpannen zu kämpfen gehabt. Kürzlich machte ein anonymer Hinweisgeber auf erhebliche Sicherheitsprobleme in der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Cloud-Lösung aufmerksam. Es war ihm gelungen, sich mit erratenen Zugangsdaten für ein Demonstrations-Nutzerkonto bei der Thüringer Instanz der Schul-Cloud anzumelden. Einmal angemeldet, konnte er mit etwas Recherchearbeit aufgrund von Konfigurationsfehlern auf verschiedene sensible Daten zugreifen. So konnte er sich Statistiken über die Serverauslastung anzeigen lassen. Das wären nützliche Informationen für Angreifer, die das System per DDoS-Attacke (Distributed Denial of Service) in die Knie zwingen wollten. Anfang des Jahres waren reihenweise Schul-Clouds durch solche Attacken lahmgelegt worden. Das Hasso-Plattner-Institut hatte einen DDoS-Angriff auf seine selbst betriebene Instanz der HPI Schul-Cloud abwehren können und mit der Erweiterung der Server-Kapazitäten reagiert.

Zugriff auf persönliche Schülerdaten Der anonyme Hacker hatte in der Thüringer Instanz aber neben Server-Statistiken auch auf persönliche Daten zugreifen können, darunter Kontaktdaten, Aufzeichnungen von per Videokonferenz durchgeführten Unterrichtsstunden oder Videos von Schülern, die Gedichte vortragen. Mit den Problemen konfrontiert, meldeten die Betreiber nach eigenen Angaben die Datenschutzpanne den zuständigen Aufsichtsbehörden sowie den Partnern in den Ländern und behoben die technischen Mängel. Die erste Datenschutzpanne war schon im Mai 2020 aufgetreten. Unbekannte hatten sich unberechtigt an Schulen in Brandenburg und im Saarland anmelden und Nutzerdaten einsehen können. Anfang des Jahres, also vor Bekanntwerden der zweiten Panne, hatte die Bundesregierung in

ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion noch versichert, dem hohen Stellenwert der Sicherheit und des Datenschutzes beim Betrieb der Schul-Cloud in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Das HPI befände sich im regelmäßigen Austausch mit den Landesdatenschutzbeauftragten. Die Bundesregierung weiter: “Regelmäßige sog. Security Audits und Penetration Testings, die mit externen Dienstleistern durchgeführt werden, entsprechen den Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Softwareentwicklung hinsichtlich Datenschutz und Sicherheit.”

Förderung läuft aus Die HPI Schul-Cloud war im März 2020 für alle Schulen geöffnet worden, um damit flächendeckende Unterrichtsausfälle zu verhindern. Dafür wurden 12,2 Millionen Euro bereitgestellt, zusätzlich zur seit 2016 laufenden regulären BMBF-Förderung über insgesamt sieben Millionen Euro. Die Öffnung war zunächst bis Ende 2020 angesetzt. Nun besteht das Angebot bis August 2021 fort, zumindest aber, bis die Länder wieder uneingeschränkten Regelunterricht anbieten. Zum Funktionsumfang gehören ein “Lern-Store” mit Lerninhalten, digitale Lernräume, ein Messenger und die integrierte OpenSource-Videokonferenzlösung BigBlueButton. Neben Thüringen betreiben auch Brandenburg und Niedersachsen eigene Instanzen der Schul-Cloud für den landesweiten Betrieb. Auch Schulen aus allen anderen Ländern nutzen das Angebot. Sie sind an die vom HPI selbst betriebene Instanz angebunden. Mitte Januar waren es insgesamt knapp 3.300 Schulen. Täglich melden sich rund eine Millionen Lehrer und Schüler bei der Plattform an. Ende 2021 läuft das reguläre Förderprojekt für die vom HPI betriebene Cloud aus. Wie es dann weitergeht, ist noch nicht ganz klar. Die Selbst-Betreiber-Länder Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen verhandeln derzeit zur Ausgründung einer neuen Gesellschaft unabhängig vom HPI. Die angebundenen Schulen könnten dann gegebenenfalls zur Kasse gebeten werden.

Datenschützer haben Vorbehalte Wenn das passiert, werden auch kommerzielle Lösungen aus den USA wieder attraktiver. Doch für deren Einsatz gibt es keine

klare Perspektive. Von den Aufsichtsbehörden waren wiederholt Zweifel angemeldet worden, ob Microsoft Teams, geschweige denn Office 365 für Unterrichtszwecke rechtskonform genutzt werden können. Bei der Berliner Landesdatenschutzbeauftragten Maja Smoltcyzk ist Teams in einem Test der gängigen Videokonferenzdienste durchgefallen – genau wie Zoom, Cisco Webex und andere. Nach dieser Einschätzung dürften auch Behörden die Dienste nicht nutzen. Sie tun es aber täglich, von der Kreisverwaltung bis hin zum Bundesministerium. Warum das in Schulen anders sein sollte, leuchtet nicht unmittelbar ein.

Kein Opt-out für Schüler Streit um die Microsoft-Nutzung gab es unter anderem in BadenWürttemberg. Der Landesdatenschutzbeauftragte Dr. Stefan Brink moniert in der Pandemie eine “Anything-goes-Einstellung” bei der Digitalisierung der Schulen. “Es geht nicht einfach um formelle Verstöße”, betont Brink. “Es handelt sich um etliche Fälle von Verletzung der Rechte der Schülerinnen und Schüler. Dagegen müssen wir uns verwahren.” Das Problem: Es handelt sich um personenbezogene Daten Minderjähriger. Die werden von der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) als besonders schutzbedürftig behandelt, weil junge Menschen sich der möglichen Auswirkung der Datenverarbeitung und ihrer Rechte möglicherweise weniger bewusst sind. Für Brink kommt erschwerend hinzu, dass aufgrund der allgemeinen Schulpflicht nicht von einer freiwilligen Einwilligung in die Datenverarbeitung ausgegangen werden könne: Es gibt für Schüler praktisch kein Opt-out, wenn die Schule ein digitales Tool einführt.

Ausnahme in Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz hat der Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Dieter Kugelmann nun einem Kompromiss zugestimmt. Schüler und Lehrer sollen Microsoft Teams noch bis Sommer 2022 nutzen können. Sofern dann weiter Distanzunterricht möglich sein soll, muss bis dahin eine überzeugende und zugleich datenschutzrechtlich unbedenkliche Lösung gefunden werden – oder ein Weg, die gut funktionierende Lösung von Microsoft den Anforderungen der Aufsichtsbehörden entsprechend einzusetzen.

Neben Föderalismusreform und Hardwarebeschaffung wollen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den digitalen Defiziten des Bildungssektors vor allem durch Kompetenztraining entgegenwirken. “Unser Ziel ist es, das Lernen mit digitalen Angeboten weiter zu verbessern und das Wissen über die wichtigsten Felder der Digitalisierung zu stärken. Und zwar für Menschen in jedem Alter und mit jeder Vorbildung,” erklärte Merkel. Ein Ansatz ist die Lern-App “Stadt-Land-DatenFluss”, welche als frei zugängliches, nonformales Lernangebot praxisnahe Antworten zu Fragen rund um Daten und Digitalisierung geben soll. Durch die vermittelten Kompetenzen und die Verfügbarkeit von Hardware soll ein niedrigschwelliger Zugang zu Bildung für alle Generationen und Bildungsschichten gewährleistet werden.

Bundesweite Plattform geplant Zudem sei eine bundesweite Bildungsplattform geplant, welche bereits vorhandene Bildungsangebote bündele und Lösungen privater Anbieter integriere. Als “digitaler Bildungsraum” solle sie “den Lernenden einen Bildungspfad eröffnen, der nicht auf eine Bildungseinrichtung oder einen Bildungsabschnitt begrenzt ist”, erläuterte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), und so die Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben sichern. Laut BMBF soll dieses komplexe Projekt in den nächsten

Digitaler Bildungsraum und Lern-App sollen digitale Kompetenzen vermitteln. Foto: BS/Firmbee, pixabay.com

Jahren umgesetzt werden. Bis dahin wird man sich mit den derzeitigen digitalen Optionen begnügen müssen. Die bisherigen Maßnahmen in den Bereichen Endgeräteausstattung und IT-Administration an Schulen werden von Nina Brandau, Bildungsreferentin des Bundesverbands für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom), begrüßt. Allerdings sei damit noch keine flächendeckende Bildungsgerechtigkeit gesichert. Der Bund muss, laut Brandau, “in die Lage versetzt werden, bundesweite Mindeststandards zu setzen und die Schulen dort zu unterstützen und zu verpflichten, wo sie diese Mindeststandards nicht erfüllen”. Die geplante Bildungsplattform sei ein guter Ansatz, müsse aber mit einer Föderalismusreform einhergehen, um dem “Flickenteppich an Digitalisierungsmaßnahmen im Bildungswesen” ein Ende zu setzen.

Konkret empfiehlt der Bitkom mit der Umsetzung des Digitalpakts, wie mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) zu verfahren, ein Dashboard einzurichten und Verantwortungen für Themenbereiche an die Länder zu delegieren sind. Dies würde Kompetenzen bündeln.

Umsetzung wie beim OZG Zudem müsse die Attraktivität von Digitalisierungsstudiengängen erhöht werden, um die Potenziale von Frauen und Männern gleichermaßen zu nutzen. “Neben der klassischen Informatikausbildung muss langfristig ein Umdenken stattfinden, damit neue Gestaltungskompetenzen für die Digitalisierung in Studiengängen und Ausbildungen vertieft werden”, fordert Brandau. Nur mit gesamtgesellschaftlicher Digitalkompetenz könne die deutsche IT-Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben. Ein Appell, dessen Umsetzung, jetzt gestartet, dessen vollständige Umsetzung aber noch ungewiss ist.

Schule digital im Landkreis Börde Kommunale Glasfaseranschlüsse der Schulen (BS) Schule digital – unter diesem Motto unterzeichneten im Januar 2021 der Landkreis Börde und der technologische Partner und Netzbetreiber des kommunalen Giganetzes, die DNS:NET, 24 Verträge für Sekundar- und Förderschulen, berufsbildende Schulen und Gymnasien, Sport- und Mehrzweckhallen sowie andere öffentliche Einrichtungen in Trägerschaft des Landkreises Börde. Mit der Vereinbarung soll die Digitalisierung der Schulen und öffentlicher Einrichtungen maßgeblich vorangetrieben werden, erläutert Holger Haupt, Breitbandbeauftragter und Leiter der ARGE Breitband, im Gespräch mit dem freien Journalisten Hans Güldenpenning. Wie hat die ARGE es geschafft, von Anfang an den Ausbau der Schulen in das Projekt Giganetz zu übernehmen?

öffentlicher Belange und mit dem Netzbetreiber DNS:NET GmbH. Das Ziel ist es, die Probleme zu lösen, bevor es wehtut.

Haupt: Der Bund fördert den flächendeckenden Ausbau. Bereits 2017 hat der Bund die Förderrichtlinie novelliert und Schulstandorte förderfähig gestaltet, auch wenn diese ansonsten in den sogenannten schwarzen Flecken liegen. Die acht ARGE-Gemeinden haben alle Schulen für das Förderprojekt angemeldet. Die Hälfte aller Schulen konnte bereits an die kommunalen Giganetze angeschlossen werden. Unser Ziel: Bis 2022/2023 werden alle Schulen der ARGE-Gemeinden einen Glasfaseranschluss haben.

Was muss im Zusammenspiel zwischen Landkreis, ARGE und Netzbetreiber beachtet werden? Wie gelingt gutes Projektmanagement?

Wer koordiniert diese Mammutaufgabe? Haupt: Die Koordinierung der acht ARGE-Gemeinden erfolgt durch die ARGE, eine Arbeitsgemeinschaft der acht Gemeinden und des Landkreises Börde. Hier werden die Grundsätze beraten und die wesentlichen Abstimmungen vorgenommen. Trotzdem hat jede Gemeinde eigene Freiheitsgrade für die Besonderheiten im Netzausbau. Die Zusammenarbeit erfolgt mit den Generalunternehmen, den Stellen des Bundes, den Trägern

Haupt: Die acht Projekte verkörpern ein Bauvolumen von ca. 200 Mio. Euro. In den Projektgebieten arbeiten ca. 300 Bauleute, Planer und Monteure gleichzeitig. Die Lösung dieser Aufgabe liegt im guten Zusammenspiel der ARGE-Mitglieder und deren Vertragspartnern. Ein Vorteil dieser kompakten Vorgehensweise liegt ebenfalls im Austausch der Erfahrungen der einzelnen Gemeinden untereinander. Die Schnelligkeit ist auch ein Produkt der Nachnutzung von Detaillösungen.Klar definierte Meilensteine und ein hoher Grad in der Übertragung von Festlegungen schaffen klar definierte Zuständigkeiten und eine hohe Ausbaugeschwindigkeit. Gibt es andere Telekommunikationsunternehmen, die den Ausbau mit treiben? Haupt: Im gesamten Landkreis Börde mit den dreizehn Gemeinden ist die Ausbausituation

sehr heterogen. Die acht ARGEGemeinden bauen derzeit das größte Glasfasernetz in SachsenAnhalt und schließen in diesem Zusammenhang alle öffentlichen Objekte und alle Schulen an. Ein anderes Telekommunikationsunternehmen baut ab 2021 in einer weiteren Gemeinde des Landkreises ein Glasfasernetz auf. Des Weiteren hat das Land Sachsen-Anhalt mit der DTAG (Telekom / T-Systems) einen Vertrag zur Erschließung von Schulen geschlossen. Mehrere Akteure werden also im Landkreis die Schulen der unterschiedlichen Schulträger an unterschiedliche Glasfasernetze anschließen. Wir gehen davon aus, dass das Land Sachsen-Anhalt und die Telekom die Bundesförderung und die ARGE-Projekte respektieren und keinen Doppelausbau von Schulen anstreben. Wie schnell können Sie den Ausbau forcieren? Haupt: Die erste Gemeinde ist nach nur 2,5 Jahren Bauzeit fertig, 250 km² und 13.600 Einwohner haben ein Glasfasernetz. Alle anderen sieben Gemeinden der ARGE folgen in Etappen und werden bis 2023 am Netz sein. Der Netzausbau umfasst insgesamt eine Fläche von 1.634 km², ca. 100.000 Einwohner und ca. 5.000 bis 6.000 Unternehmen.


Digitale Bildung

Seite 16

Behörden Spiegel / März 2021

Infrastruktur allein ist nicht alles

75 Seiten Tipps und Tricks

Umsetzung des DigitalPakts Schule in Bayern

Leitfaden für Beschaffung von Schul-IT-Hardware

(BS/Malin Jacobson) In Bayern ist der Ausbau der digitalen Bildung in vollem Gange, wobei einige Zuständigkeiten nach wie vor ungeklärt sind. Beim Zukunftskongress Bayern diskutierten Vertreter aus dem IT- und Bildungssektor über den Stand der Infrastruktur, Administration und Standards. Ein zentraler Aspekt sollte dabei jedoch nicht vergessen werden.

(BS/jf) Mobile Endgeräte, Video- und Präsentationstechnologien und nicht zuletzt die nötige Netzwerkinfrastruktur – die Einkaufsliste, um Schulen für die digitale Bildung auszustatten, ist lang. Ebenso komplex wie die technischen Anforderungen sind die vergaberechtlichen, etwa zur produktneutralen Ausschreibung. Seit Kurzem gibt es hier eine umfassende und verständliche Hilfestellung.

Kommunen haben im letzten Jahr vieles beim DigitalPakt umgesetzt, auf Kosten einheitlicher Standards.

“Der DigitalPakt Schule hat bewirkt, dass man miteinander spricht”, sagte Dirk Hetterich, Director Public der Lancom Systems GmbH, “er bringt Industrie, Buchverlage, Eltern und Medienvertreter zusammen.” Ein Schritt in die richtige Richtung, der jedoch das Problem der uneinheitlichen Infrastruktur nicht löst. Diese sei wie ein Flickenteppich, so Stefan Kondmann, Vertriebsleiter für Bund und Länder bei 1&1 Versatel. “Die Lösung ist Glas! Glasfaseranschlüsse sind möglich und nötig”, um eine kommunenund bayernweite Einheitlichkeit umzusetzen. Zu Infrastruktur gehören aber nicht nur schnelle Leitungen, sondern auch die Ausstattung der Schulen. Andre Krug, Head of Video Collaboration bei Logitech, sagte hierzu, “Front- und BackEnd sind voneinander abhängig, ohne Ausstattung mit kompatiblen Endgeräten kann keine digitale Lehre stattfinden.” Hierbei sei vor allem auf niederschwellige Lösungen für die Schulen und Lehrkräfte zu achten, die auch umgesetzt werden können. Dabei würden theoretisch eine Kamera und ein Laptop ausreichen, um Lehrinhalte digital übertragen zu können. Allerdings gibt es deutschlandweit kaum Standards für diese Endgeräte, sodass nicht jede Kamera an einen Beamer angeschlossen werden kann. Und das Problem setzt sich bei den Lernplattformen fort. Auch hier gibt es viele verschiedene Modelle,

Foto: BS, re:publica, flickr.com, CC BY 2.0)

mit unterschiedlichen Leistungen und Kompatibilitätsansprüchen, mit der nicht jedes Endgerät umgehen kann. In diesem Zusammenhang konnte Bayern, laut Ministerialrat Matthias Stein, mit der Lernplattform “mebis” vom Bayerischen KultusMinisterium bereits einige Erfolge erzielen. Als Angebot für Lehrer und Schüler werden darüber digitale Kommunikationsmittel zur Verfügung gestellt, die den digitalen Unterricht an bayerischen Schulen gezielt fördern.

Netzwerkadministration Mit der Grundausstattung allein ist es aber nicht getan. Netzwerke müssen ständig aktualisiert und gewartet werden, damit sie nutzbar und zukunftsfähig bleiben, sie brauchen einen “digitalen Hausmeister”, so Hetterich. Die Frage nach der Administration werde vor Ort sehr unterschiedlich umgesetzt. “In Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern gibt es hierfür eigenes Personal”, erläuterte Gerhard Dix, Direktor des Bayerischen Gemeindetags, “in kleineren Kommunen bleibt es jedoch häufig and technologieaffinen Lehrkräfte hängen oder es werden Externe Betreiber beauftragt.” Auch hier gibt es also keinen einheitlichen Umgang. Hetterich, Kondmann und Krug sind sich einig, dass auch die, mit der Pandemie einhergehende, überstürzte Umsetzung dafür verantwortlich ist. Viele Schulen und Kommunen haben in dieser Zeit selbstständig Lösungen gefunden, da es von

den Ländern keine einheitlichen Standards gegeben habe. Kondmann schlug vor, die Umsetzung des DigitalPaktes zu standardisieren. Statt Schulträger Anträge und Medienkonzepte ausarbeiten zu lassen, sollten Geld-, Ziel- und Zeitvorgaben klar vom Land kommuniziert werden. Mit dem verfassungsrechtlich garantierten Recht der Selbstverwaltung hätten Kommunen jedoch eine gewisse Eigenständigkeit. Aus diesem Grund sei die Frage nach Zuständigkeiten nach wie vor schwierig und das Land könne lediglich Angebote and an die Kommunen machen, so Stein. Dass solche Absichtserklärungen nicht ausreichten, erläuterte Dix, zeige sich daran, dass es im Freistaat rund 4.000 Schulen in Gemeinden mit 600 bis 50.000 Einwohnern gäbe. Einem Großteil fehle schlicht die Kapazitäten für die Umsetzung solcher Projekte und man sei auf die Unterstützung des Landes angewiesen. Dabei gäben sich die Schulen sehr viel Mühe, ergänzte er, nicht nur bei der Installation der Infrastruktur, sondern auch bei der vielseitigen Nutzung. Ein zentraler Aspekt für Stein ist dabei, dass die Schüler nicht nur lernten, die Technik zu nutzen, sondern auch zu gestalten. Sie müssten zu mündigen Bürgern erzogen werden, die reflektiert mit den Medien umgingen. Um diese Inhalte umzusetzen, bedürfe es eigentlich eines zweiten DigitalPakts, meinte Stein abschließend.

Für jede Schule essenziell ist ein leistungsfähiges WLAN-Netzwerk. Dieses braucht ein Mindestmaß an Signalqualität und möglicher Bandbreite. Deshalb ist bei der Beschaffung von Access-Points darauf zu achten, dass diese mit möglichst vielen gleichzeitig aktiven Endgeräten umgehen können, so die Empfehlung des Bundesverbandes für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) in seinem Leitfaden “Hardware produktneutral ausschreiben für den Schulbereich”. Denn durch das parallele Schauen von Videos im Klassenverband kommt es immer wieder zu Lastspitzen in der Nutzung des Netzwerkes. Ein Handicap, das ebenso bei Videokonferenzen auftritt. Auch für die Positionierung der Access-Points enthält die Handreichung praktische Tipps. Idealerweise wird in jedem Klassenraum ein Anschluss für den Access-Point als Signalverstärker installiert. Dazu kann entweder

anhand von Gebäudeplänen eine Simulation durchgeführt werden. Vorteilhafter wäre jedoch eine Vor-Ort-Ausleuchtung der Signalstärke. Diese sollte auf jeden Fall während des Schulbetriebes stattfinden. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die ermittelten Ergebnisse stark von der Realität abweichen.

Chance Produktneutralität “Der Leitfaden zeigt, wie Anforderungen an Hardware-Lösungen für den schulischen Bereich hinsichtlich ihrer technischen Kriterien produktneutral formuliert werden können”, erläutert Marc Danneberg, Referent Public Sector beim Bitkom. Gerade das Gebot zur produktneutralen Ausschreibung wird in der Praxis als Erschwernis für die Beschaffung gesehen. Für den Branchenverband liegt darin aber auch eine Chance. Schließlich werde durch die diskriminierungsfreie Beschaffung der faire und offene Wettbewerb

gefördert und technische Vorfestlegungen würden verhindert. Das fördere die Bietervielfalt und sorge für bessere Wahl- und Einsparmöglichkeiten bei Einkaufsprozessen. Zudem ließen sich Anbieterwechsel ohne größere Schwierigkeiten realisieren. Neben Hinweisen zur Beschaffung der Netzwerkinfrastruktur umfasst das 75-seitige Werk Empfehlungen zum Einkauf von mobilen Endgeräten und Präsentationstechnologien. Aufgrund der technischen Komplexität und der raschen Abfolge von Produktzyklen sind für die genannten Bereiche aktuelle technische Standards und Mindestvoraussetzungen aufgeführt. Dies ermöglicht öffentlichen Auftraggebern nicht nur, die gewünschte Leistungsfähigkeit eines Systems unter Einbeziehung aller technischen Anforderungen abzuschätzen und punktgenau zu beschreiben, sondern auch Bewertungskriterien für die jeweilige Ausschreibung festzulegen.

Beste Unterstützung für die Bildung Professionelle Lernplattform ist sicher und datenschutzkonform (BS/ Gret Beccard*) Lernen von Zuhause, Infokanäle und Hausaufgaben in der Cloud, der digitale Klassenraum – Lehrer und Schüler müssen sich in ungewohnter Schnelligkeit auf neue Lernformen einstellen. Die Wahl der geeigneten Schulplattform ist nicht einfach und folgt in der Regel Empfehlungen oder Vorgaben. Das neue Konzept und Selbstverständnis von hybridem Lernen und digitaler Schule und die vor uns liegenden Monate werden noch einiges an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erfordern. Der Einsatz datenschutzkonformer und flexibler Lernmanagementsysteme, die nicht ständig unter der Last der gleichzeitigen Datenabfragen zusammenbrechen, ist in der aktuell herausfordernden Situation besonders wichtig. Time4you aus Karlsruhe unterstützt die Schulen dabei, kurzfristig digitalen Unterricht und die digitale Betreuung der Klassen zu realisieren und stützt sich dabei auf seine mehr als zwanzigjährige Erfahrung, erfolgreiche didaktische Konzepte und pädagogisches Know-how. Das Experten-Team konnte im Winter 2020/2021 nach verschiedenen Anfragen den ersten Schulen in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern zum Start verhelfen und unterstützt nun

seit dem ersten Quartal 2021 nicht nur Unternehmen und Bildungsträger bei der Erwachsenenaus- und Weiterbildung, sondern zahlreiche Bildungseinrichtungen im schulischen Umfeld. Tendenz steigend, denn mit der professionellen Lernplattform IBT® School Edition erhalten Schüler und Lehrkräfte innerhalb von zwei Arbeitstagen eine sichere und datenschutzkonforme Lösung.

Einfache Unterrichtsplanung muss abgesichert werden Die rechtssichere und datenschutzkonforme Lernplattform IBT® School Edition der time4you GmbH hat den Vorteil, dass sie innerhalb von zwei Tagen aufgesetzt werden kann, multimedial arbeitet und allen Datenschutzvorgaben entspricht. Der Softwarespezialist und ELearning-Anbieter time4you aus Karlsruhe, gegründet 1999, unterstützt Schulen, Lehrerinnen und Lehrer dabei, eine eigene Schulplattform mit der IBT® School Edition aufzubauen. Die Software und alle Schulungsmaterialien, Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Online-Tutorials sind in deutscher Sprache erhältlich. Beratung und Support leistet das deutschsprachige Team aus erfahrenen Pädagogen und Technikern.

Keine Medienbrüche mehr Um die Weiterführung des Unterrichtes gewährleisten zu können, nutzten und nutzen viele Lehrkräfte bisher Videokonferenzen und Tools oder Apps über diverse Plattformen. Dabei müssen sich Eltern und Schüler regelmäßig über verschiedene Links anmelden. Mit der IBT® School Edition ist alles gebündelt von der Lernplattform aus nutzbar, zusätzliche Login-Prozeduren etc. entfallen vollständig. Über eine Schnittstelle sind Tools wie MS Teams, Jitsi, Skype usw. in die eigene Schulplattform eingebunden und direkt im jeweiligen digitalen Klassenraum verfügbar. Dank individuell einstellbarer Lernpfade wird auch die Un-

terrichtsplanung einfach und flexibel. Unterrichtsmaterialien wie Arbeitsblätter, Links, Videos etc. können einfach hochgeladen und geteilt werden. Digitale Übungsblätter und Online-Tests sind ebenfalls möglich. Über die E-Mail und Live-Chat-Funktion kommunizieren Lehrer, Eltern und Schüler miteinander und kooperieren in geschützten Arbeitsräumen. Alle Schüler haben in ihrer persönlichen digitalen Lernumgebung alle anstehenden Aufgaben und Termine im Überblick; jede Lehrkraft hat zusätzlich ein eigenes digitales Arbeitszimmer und kann von dort aus den Unterricht steuern.

Software “made in Germany” Die IBT School Edition ist DSGVO-konform, die Serverstandorte und das Hosting der Daten finden in Deutschland statt. Die Datenraten sind stabil und verlässlich. Da jede Schule mit der IBT® School Edition über ihren eigenen Schul-Server verfügt, entstehen keine PerformanceBeeinträchtigungen durch andere Nutzer. Auf Basis der vielfach ausgezeichneten IBT® SERVER Software ist der höchste Standard im Datenschutz gegeben, da jede Schulplattform auch in Bezug auf die Daten komplett von anderen Schulen abgekoppelt ist. Mehr Informationen unter htt ps://www2.time4you.de/lms/ schulen/ *Gret Beccard ist freie Journalistin für Wirtschafts- und Technologiethemen in der DACH-Region

Wo ein WILLE ist… Im Dialog mit Beate Bruns (Geschäftsführerin der time4you und Bildungsexpertin): Warum es Zeit ist für Aktionspläne zum Thema „Digitalisierung der Schulen“. Das Interview zum Nachlesen erscheint im März auf www.behördenspiegel.de .



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Personelles

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er Datenaustausch innerhalb des Beteiligungsmanagements sowie zwischen dem Beteiligungsmanagement der Stadt Frankfurt am Main und den städtischen Beteiligungsunternehmen erfolgt bisher in der Regel über E-Mail-Verkehr. Durch fortschreitende Digitalisierung und umfangreicheren Datenmengen reicht die begrenzte Übertragungsgröße von zehn MB in Outlook nicht mehr aus. Der Einsatz der MicrosoftSharePoint-Technologie hat zu einer erheblichen Verbesserung der Datenzugriffsgeschwindigkeit geführt.

Aufbau im laufenden Betrieb Darüber hinaus wird auch die Transparenz und Datenverfügbar-

Personelles / Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / März 2021

Beteiligungsmanagement 4.0

zu wurde vom Beteiligungsmanagement ein entsprechendes Modul (Berechtigungsbaum) für AMI beschafft. Hiermit sollen Berechtigungen, die Anwender (BS/Lars Scheider) Die Konzernsteuerung unterliegt in der Covid-19-Pandemie gestiegenen Anforderungen. Neben dem Thema der Liquiditätssi- für einzelne Gesellschaften (oder cherung für die Beteiligungsunternehmen erlangt auch die Kommunikation im Rahmen der Gremienbetreuung der Aufsichtsräte und Betriebskom- Personen) oder Gruppen von Gemissionen eine herausragende Funktion für die Steuerung des Konzernverbunds Stadt. Hier sind neue Wege nötig. sellschaften (Personen) erhalten, übersichtlicher dargestellt und keit im Beteiligungsmanagement deutlich erhöht, was aufgrund des effizienter sowie transparenter geverstärkten mobilen Arbeitens der handhabt werden. Mitarbeiter des BeteiligungsmaLars Scheider ist Abteilungsleiter BeteiligungsmanageDie Kriterien für nagements unerlässlich ist. Dabei ment der Stadtkämmerei erfolgte der Aufbau des Sharedie Zugehörigkeit der Stadt Frankfurt am Main. Point-Beteiligungsmanagements zu einer Gruppe während der Phase des zweiten im BerechtigungsFoto: BS/privat Lockdowns ab Ende November baum können selbst definiert 2020. Durch kluges Organisieren der Prozesse in intensiver Zusamwerden. Jeder menarbeit mit dem städtischen Gruppe können (kurz: AMI) vom Beteiligungsma- beliebig viele Anwender zugeordnagement der Main-Metropole net werden. Jedem Anwender eingesetzt. Um die Kernfunktion ist ein Berechtigungsprofil zueiner Beteiligungsverwaltung – geordnet. Anwender können im die sog. Gedächtnisfunktion – zu Berechtigungsbaum auch mehrUm die Gedächtnisfunktion des Beteiligungsmanagements zu erfüllen, setzt die erfüllen, werden in AMI alle be- fach zugeordnet werden. Nach Stadt Frankfurt am Main auf eine ständige Verbesserung und Automatisierung teiligungsrelvanten Informationen realisiertem “Roll-out” der AMIder Prozesse. Foto: BS/Leonhard Niederwimmer, pixabay.com der städtischen Beteiligungen in Datenbank entsteht aufgrund der einem System zusammengeführt. erhöhten Anwenderzahl sowie der Amt für Informations- und Kom- Berechtigungskonzept, um die Dazu sind neben dem sog. Kern- komplexeren Berechtigungssystemunikationstechnik konnten Auf- Vertraulichkeit der Daten zu ge- modul acht weitere Module im matik ein erweiterter Aufgabenbau und Inbetriebnahme im lau- währleisten. Außerdem sind hohe Einsatz, wie z. B. das Modul Do- und Verantwortungsbereich mit fenden Betrieb realisiert werden. Anforderung der IT-Sicherheit zu kumentenarchiv und das Modul speziellem Sicherheitsaspekt / Mandate. Das (mittelfristige) Ziel spezieller Vertrauensbasis. Ziel ist es, dass die Daten durch gewährleisten. des Beteiligungsmanagements das Beteiligungsmanagement der Stadt grundsätzlich für den ge- Gedächtnisfunktion erfüllen der Stadt Frankfurt a. M. ist, eine samten Konzernverbund wie z. B. Neben der Kommunikation hat bessere stadtweite Verfügbarkeit auch das Revisionsamt, Stadtkäm- auch das Beteiligungscontrolling der Daten zu genieren und ein merei und Dezernatsbüros sowie mit dem Quartals-Reporting eine Dokumentmanagementsystem ggf. auch für die Aufsichtsrats- wichtigere Steuerungsfunktion aufzubauen. Dabei soll das bemitglieder, Gremienmitarbeiter, durch die sich durch Covid-19 reits bestehende “DokumenteAm 18./19. Mai 2021 thematisiert Mitarbeiter im Rechnungswesen abzeichnende, weltweite Finanz- narchiv” der Fachanwendung der Autor die “Instrumente eines moder Beteiligungsunternehmen ver- krise erlangt. Die Automatisierung AMI mit schon heute über 800 dernen Beteiligungsmanagements” fügbar gemacht werden. Dies wird vieler arbeitsintensiver Prozesse Dokumenten des Beteiligungsin einem Webinar des Behörden zu einer erheblichen Verbesserung sowie die Erhöhung der Daten- managements zu einem digitalen Spiegel. Weitere Informationen unter: www. der Effizienz der Kommunikation zugriffsgeschwindigkeit werden Dokumentenmanagementsystem fuehrungskraefte-Forum.de, Suchdes immer komplexer werden- durch eine moderne, datenbank- ausgebaut werden. wort “Beteiligungsmanagement” den Konzernverbunds Stadt füh- orientierte Software (AnteilsbesitzDies setzt jedoch ein komplexes ren, bedingt aber ein komplexes Management-Informationssystem Berechtigungssystem voraus. Da-

Digitalisierung des Konzernverbunds Stadt Frankfurt am Main

Webinar im Mai

Analoge Zusammenarbeit auf dem Rückzug Kommunen und Förderbanken kooperieren zunehmend digital (BS/Dietrich Suhlrie) Mit den beiden im Februar von der NRW.BANK gestarteten Plattformen Kommunenportal und WohnWeb nimmt in NordrheinWestfalen die Digitalisierung in der Zusammenarbeit von Kommunen und Förderbank weiter an Fahrt auf. Davon profitieren die Kreise, Städte und Gemeinden ebenso wie deren Bürger. Die analoge Ära geht auch in der Zusammenarbeit von Kommunalverwaltungen und Förderbanken ihrem Ende entgegen. Mit der Digitalisierung werden die Prozesse von der Bearbeitung von Anträgen auf öffentliche Förderung und Finanzierung bis zu deren Bewilligung effizienter, schneller, transparenter – und die Fehlerquote sinkt. Bei der Entwicklung guter und gern genutzter digitaler Prozesse kooperieren Kommunen, die ihr Fachwissen und die Nutzerperspektive einbringen, eng mit der NRW.BANK, die die IT-Seite stellt. Das zahlt sich für das ganze Land aus, denn erstmals können nun alle Kreise, Städte und Gemeinden NRWs einheitliche digitale Prozesse und Schnittstellen nutzen. Gleich zwei neue Webplattformen sind nun gestartet, die die NRW.BANK gemeinsam mit den Landesministerien und den Kommunen zur einfacheren künftigen Zusammenarbeit aufgebaut hat: das Kommunenportal und das WohnWeb. Nach zweijähriger Entwicklungszeit haben sich Anfang Februar 17 Pilotkommunen für das Kommunenportal registriert und testen es seither auf Herz und Nieren. Beteiligt sind neben Kommunen aller Größen, von Dortmund und Wuppertal bis Stadtlohn und Stemwede, auch Kreise wie Recklinghausen und Körperschaften wie der Lippeverband. Aktuell bietet das Kommunenportal den Finanzverantwortlichen in den Verwaltungen vor allem einen Überblick über bestehende und beantragte Fördermittel und Finanzierungen. Dabei werden nicht nur die Verträge mit der NRW.BANK

als 20 Verbesserungswünsche von den Testern. Genau dies ist der Dietrich Suhlrie ist Vorstandsmitglied der NRW.BANK. Sinn und Zweck der jetzt ansteFoto: BS/NRW.BANK, Christian Lord Otto henden fünfmonatigen Pilotphase: Gemeinsam herausfinden, wo es hakt, damit die Plattform wie erfasst, auch Förderungen geplant im Alltag der Kämmerei Dritter können aufgenommen eingesetzt werden kann – und werden. Auf einen Blick können welche Funktionalitäten den die Mitarbeiter in den Kämme- Nutzwert noch steigern könnreien Termine erkennen und ten. diese in ihre Kalender exportieren. So trägt das Portal dazu WohnWeb vernetzt Bank mit Bewilligungsbehörden bei, dass künftig keine Fristen, beispielsweise zum Einreichen Auch die öffentliche Wohnvon Verwendungsnachweisen, raumförderung in Nordrheinversäumt werden. Westfalen schaltet auf digital. Zudem ermöglicht das für die Mit dem WohnWeb starteten die Kommunen kostenlose neue Por- NRW.BANK und das Ministerital eine schnellere Übermittlung um für Heimat, Kommunales, von Nachrichten und Dokumen- Bau und Gleichstellung des ten in beide Richtungen, denn Landes Nordrhein-Westfalen ein sicheres Postfach ist bereits Mitte Februar eine landesweit integriert. Hier findet sich jegli- einheitliche IT-Lösung für das che Kommunikation stets wieder Antrags- und Bewilligungsver– egal, wie viele Förderanträge fahren, die zunächst in der Eigentumsförderung eingesetzt und -verträge bestehen. wird. Sechs Pilotkommunen Ziel ist der volldigitale Förwaren an der Entwicklung des der- und FinanzierungsanWohnWebs beteiligt. In enger trag samt Bewilligung Zusammenarbeit mit ihnen Künftig soll das Kommunen- schaffte es die Förderbank, portal auch Transaktionen und eine webbasierte Anwendung den volldigitalen Förderantrag aufzubauen, die den Behörden mitsamt Bewilligung ermögli- hohe Verfahrens- und Rechtschen. Bis Juli wird der stabile sicherheit zum Beispiel durch Betrieb getestet, dann wird die automatisierte Berechnungen Online-Plattform für alle Kom- und integrierte Plausibilitätsmunen NRWs freigegeben. An- Checks gewährleistet. schließend startet offiziell die Ausbauphase – bis der volldigiDas WohnWeb unterstützt das tale Antragsprozess im Septem- komplette Bewilligungsverfahber 2023 funktionieren soll. Zu ren – von der Beratung rund tun ist noch einiges: Schon in um die Antragstellung und alle den ersten Wochen kamen mehr Prüfprozesse inklusive der För-

derzusage bis zur Übergabe der Förderdaten an die NRW.BANK. Alle 53 Bewilligungsbehörden der öffentlichen Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen haben nun Zugriff auf diese erste landesweit einheitliche Lösung, die ersten Rückmeldungen bestätigen: Das WohnWeb passt sowohl für Behörden mit intensivem Fördergeschäft als auch für solche, die weniger Fälle bearbeiten.

Weiterer Ausbau des WohnWebs geplant Auch beim WohnWeb ist das bisher Erreichte aber nur der Anfang. Nachdem das Portal für das Bewilligungsverfahren in der Eigentumsförderung steht, werden als nächste Ausbaustufen die Förderung für Mietwohnraum und Modernisierungsvorhaben folgen. All dies ist Teil der umfangreichen Digitalisierungsstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen und der NRW.BANK. Gemeinsames Ziel ist, über die gesamte Förderkette hinweg – vom Kunden über die Bewilligungsbehörden bis zur NRW.BANK – digitale Technik bedarfsorientiert und nutzergerecht einzusetzen. Beide Beispiele zeigen, dass Förderbanken wie die NRW.BANK den notwendigen digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur durch Förderdarlehen und Beratung unterstützen. Indem sie in Entwicklungspartnerschaften mit Kommunalverwaltungen und den Aufbau einheitlicher Plattformen für deren Behörden investieren, tragen sie auch ihren Anteil dazu bei, dass die Kommunen entlastet werden und die Förderanträge schneller und leichter bearbeiten können.


Kommunaler Haushalt

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Behörden Spiegel / März 2021

Einnahmen deutlich besser als erwartet

Kommunale Haushalte in der Pandemie

Einigen Kommunen drohen jedoch Steuernachzahlungen

Auch 2021 ist der Ausblick schlecht

(BS/lkm) Bei den Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern haben sich die Steuern im vergangenen Jahr überraschend positiv entwickelt. Für die Kurorte im Land kommt allerdings ein Urteil zu einer sehr ungünstigen Zeit. Sie müssen Steuernachzahlungen befürchten. Finanzminister Reinhard Meyer versucht nun, zumindest die rückwirkende Anwendung einzugrenzen.

(BS/lkm) Die kommunale Haushaltslage hat sich weiter zugespitzt. Die Ausgabensituation ist bei vier von zehn Kommunen schlechter als zu Beginn der Pandemie befürchtet. Entstehende Finanzierungslücken werden, wie eine Vorabauswertung des KfW-Kommunalpanels 2021 zeigt, vor allem zulasten freiwilliger Kultur-, Sport- und Sozialausgaben gehen.

Die kommunalen Einnahmen aus der Gewerbesteuer betragen in Mecklenburg-Vorpommern nach Abzug der Umlagen 486 Mio. Euro. Gegenüber dem Vorjahr ist das zwar ein Rückgang um knapp 39 Mio. Euro, allerdings liegt das Ergebnis um 81 Mio. Euro über dem der Schätzung vom September. Nach ersten Berechnungen lagen die Gemeindesteuern im Jahr 2020 insgesamt bei mehr als 1,3 Mrd. Euro und damit in etwa auf dem Vorjahresniveau. Das wären mehr als 110 Mio. Euro gegenüber den Annahmen im Kommunalgipfel. “Es ist eine gute Nachricht, dass Corona die Gemeindesteuern bislang weitgehend verschont. Die Einnahmen sind deutlich höher als erwartet. Für das vergangene Jahr allein wären die im Kommunalgipfel zugesagten Hilfsgelder nicht in diesem Umfang notwendig gewesen. Es ist allerdings absehbar, dass die Herausforderungen in

den nächsten Jahren wachsen. Ich bitte die Gemeinden dringend, die aktuellen finanziellen Spielräume zu nutzen, um Rücklagen aufzubauen. Noch einmal wird das Land sich vergleichbare Hilfen nicht leisten können”, so Finanzminister Meyer.

Urteil mit Folgen Einigen Kommunen dürften jedoch hohe Steuernachzahlungen drohen, denn die Umsetzung eines Urteils des Bundesfinanzhofes (BFH) kann für die Kurorte im Land teure Folgen haben. Das Urteil des BFH geht zurück auf das Jahr 2017. Seinerzeit entschied das Gericht, dass ein Kurort die Aufwendungen für seine touristische Infrastruktur nur noch eingeschränkt steuerlich geltend machen kann. Die Steuerexperten in den Ländern hatten seither über die Folgen des Urteils diskutiert, sodass die Steuerverwaltungen in dieser Zeit noch einen Spielraum

bei der Auslegung des Urteils nutzen konnten. Mittlerweile ist die BFH-Entscheidung im Bundessteuerblatt veröffentlicht und damit allgemeine Verwaltungsauffassung. Für MecklenburgVorpommern bedeutet das, dass Kurorte, die in den vergangenen Jahren ihre Steuerzahlungen dadurch gesenkt haben, dass sie in den Ausbau ihrer touristischen Infrastruktur investierten, mit Steuerrückforderungen rechnen müssen. Besonders bitter für die Kommunen: Das Urteil soll auch rückwirkend angewandt werden. Zumindest diesen Umstand will Finanzminister Meyer mit den anderen Bundesländern noch einmal besprechen: “Ich würde mir wünschen, dass wir uns im Länderkreis darauf verständigen, dass das Urteil erst ab diesem Jahr angewandt wird. Gerade in dieser schwierigen Zeit sollten wir die Gemeinden, die vom Tourismus leben, nicht auch noch zusätzlich belasten.”

Kulturausgaben

Wirtschaftlichkeitsvergleich kultureller Angebote von Dr. Ulrich Keilmann Die Kultur hat bei den Kommunen einen erkennbar hohen Stellenwert. Nach dem jüngst publizierten Kulturfinanzbericht trugen die Kommunen 2017 nach dem Grundmittelkonzept mit 5,1 Mrd. Euro den größten Anteil (45 Prozent) der öffentlichen Kulturausgaben, gefolgt von den Ländern mit 4,4 Mrd. Euro (39 Prozent) und dem Bund 1,8 Mrd. Euro (16 Prozent). In einzelnen Ländern ist die Kultur sogar als Staatsziel (z. B. Art. 26e Hessische Verfassung) ausgeprägt. Gleichwohl ist der Aufgabenbereich weitgehend freiwilliger Natur. Nur in Sachsen ist das anders. Hier ist nach § 2 Absatz 1 Sächsisches Kulturraumgesetz die Kulturpflege eine Pflichtaufgabe der Kommunen. Das dürfte ein Grund sein, weshalb die sächsischen Kommunen im Ländervergleich einwohnerbezogen regelmäßig hohe Kulturausgaben verzeichnen. Insgesamt sind das viele Gründe, sich den Kulturbereich näher anzusehen. Exemplarisch haben wir in einer Detailbetrachtung die Wirtschaftlichkeit der kulturellen Veranstaltungsorte in drei Dimensionen (Erträge, Besucher und Aufwand je Besucher) analysiert und visuell aufbereitet (s. nachfolgende Abbildung). Auffällig sind die großen Kreise links unten. Das wa-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

ren Stadt- und Mehrzweckhallen, die mit ihrem kulturellen Angebot nur wenige Besucher erreichten und bei geringen Erträgen hohe Aufwände von bis zu über 450 Euro/Besucher verursachten. Ganz anders dagegen die beiden Kreise oben rechts. Die Festspiele wirkten auf Besucher offenbar wie ein Magnet. Die Besucherzahlen und die Erträge waren hoch und der Aufwand je Besucher zumindest bei den Burgfestspielen mit knapp 30 Euro sehr moderat. Diese Erkenntnis ist aber keine Empfehlung an alle Kommunen, kulturelle Veranstaltungen nur noch als Festspiele zu organisieren. Vielmehr sind Festspiele und andere kulturelle (Groß-)Ereignisse wie z. B. die documenta in Kassel schwer zu steuernde Veranstaltungen. In Kassel führte ein nicht ausreichendes Controlling dazu, dass der 2017 im Finanz- und Wirtschaftsplan ausgewiesene Planwert für den Ausstellungsetat der “documenta 14” überschritten wurde und die Stadt 2018

ihren anteiligen Bilanzverlust von rund 3,3 Millionen Euro mehr als ursprünglich geplant ausgleichen musste. Es bleibt dabei: Es gibt kein Patentrezept. Vielmehr haben die Kommunen individuell die Aufgabe, “in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für ihre Einwohner erforderlichen […] kulturellen öffentlichen Einrichtungen bereitzustellen” (vgl. § 19 Absatz 1 Hessische Gemeindeordnung). Die Entscheidung erfolgt in kommunaler Selbstverantwortung. Gleichwohl hat unsere 220. Vergleichende Prüfung “Kultur” gezeigt, dass attraktive und vielfältige kulturelle Angebote auch mit vergleichsweise geringem Mitteileinsatz möglich sind. Lesen Sie mehr zum Thema “Kultur” im Kommunalbericht 2020, Hessischer Landtag, Drucksache 20/3456 vom 25. September 2020, S. 46 ff. und 228 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

Quelle: Landesrechnungshof Hessen, Stand: Juli 2019; Grafik: BS/B. Dach

Die Corona-Krise hat Deutschland weiter fest im Griff und ihre wirtschaftlichen Folgen hinterlassen immer tiefere Spuren in den Kassen der öffentlichen Haushalte. Bei über einem Drittel der befragten Kommunen (36 Prozent) hat sich sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabensituation seit Mai 2020 – dem Zeitpunkt der ersten KfWBefragung zur Corona-Betroffenheit – weiter verschlechtert. Ein weiteres Drittel (34 Prozent) ist mit geringeren Einnahmen bei unveränderten Ausgaben konfrontiert. Nur 15 Prozent berichten von weitestgehend stabilen Einnahmen und Ausgaben

Volle Auswirkungen erst mit zeitlicher Verzögerung “Die mit Beginn der CoronaPandemie aufgekommene Befürchtung erheblicher Einnahmeeinbrüche in den kommunalen Haushalten hat sich vielerorts bestätigt”, sagt Dr. Fritzi KöhlerGeib, Chefvolkswirtin der KfW. “Doch die vollen Auswirkungen der Krise auf die kommunalen Finanzen werden sich erst mit zeitlicher Verzögerung offenbaren. Mittelfristig sind neben zu erwartenden Mindereinnahmen die gleichzeitig steigenden Ausgaben zur Bewältigung der Krise eine Herausforderung. Hohe Haushaltsdefizite sind absehbar.” Fast drei Viertel (73 Prozent) der Kommunen müssen der aktuellen Analyse von KfW Research und dem Deutschen Institut für Urbanistik zufolge geringere Einnahmen verkraften als noch im Frühjahr 2020 befürchtet.

Maßgeblich hierfür sei das Wegbrechen von Steuereinnahmen. Für 70 Prozent der befragten Kommunen fallen die Steuereinnahmen schlechter oder sogar deutlich schlechter aus – trotz der bereits zugesagten Kompensationszahlungen von Bund und Ländern. Mit Blick auf die Ausgaben schätzen rund 54 Prozent der Kommunen, dass ihre Lage im Vergleich zur Einschätzung im Mai 2020 unverändert ist. Zugleich bewerten jedoch auch 43 Prozent die aktuelle Ausgabensituation als schlechter oder sogar deutlich schlechter. Hier schlagen bei einem Großteil der Kommunen (60 Prozent) vor allem höhere Sachkosten, etwa für pandemiebedingte Schutzausrüstung oder HomeofficeAusrüstung, zu Buche.

Kulturbereich besonders stark betroffen Die Finanzierungslücken drohen vor allem zulasten der freiwilligen kommunalen Aufgaben zu gehen. Denn nur hier seien Konsolidierungen, anders als bei anderen Ausgabenposten (insbesondere bei Personal und Sozialem), überhaupt umsetzbar. Stark dürfte es den Kulturbereich treffen: 42 Prozent der Kommunen erwarten, dass sie angesichts Corona-bedingter Mindereinnahmen künftig weniger Geld hierfür ausgeben werden. Ähnlich sieht es aus für Sportangebote (32 Prozent) und für soziale Angebote, z. B. für Jugendliche oder Senioren (27 Prozent), die eher reduziert werden dürften. Vor allem finanz-

schwache Kommunen werden hier deutlich häufiger den Rotstift an den freiwilligen Ausgaben ansetzen als finanzstarke. Die kommunale Investitionsplanung reagiere aufgrund der langen Vorläufe nur verzögert auf externe Schocks wie die Corona-Pandemie. Noch sei darum kein Einbruch der Investitionsausgaben zu verzeichnen. Auch kommunale Investitionen in Querschnittsaufgaben wie Digitalisierung, Klimaschutz oder Demografie würden sich in der Krise als überraschend robust zeigen. Dennoch gehe ein Fünftel der Kommunen bereits jetzt von mittelfristig sinkenden Investitionsausgaben aus. Und 57 Prozent würden dies zumindest erwarten, wenn die Einnahmen weiter sinken. Somit erschwert die aktuelle Unsicherheit die Investitionsplanungen für die nächsten Jahre. “Wenn die kommunale Investitionstätigkeit an Fahrt verliert, wird es schwieriger, nach der Krise wieder Tempo aufzunehmen und die gesamtstaatlichen, transformativen Herausforderungen anzugehen. Deshalb brauchen die Kommunen die erforderliche finanzielle Planungssicherheit”, so Köhler-Geib. Die aktuelle Analyse zur Corona-Betroffenheit der Kommunen ist eine Vorabauswertung des KfW-Kommunalpanels 2021, das das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag der KfW erstellt. Insgesamt nahmen 765 Kommunen teil. Das komplette KfW-Kommunalpanel 2021 wird voraussichtlich Mitte Mai 2021 veröffentlicht.


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Betriebliche Altersvorsorge im Öffentlichen Dienst

Behörden Spiegel / März 2021

Es gibt kein Entrinnen

Wichtiges politisches Signal

Die Pensionslawine rollt!

Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung?

(BS/Mechthild Stock) Die öffentlichen Arbeitgeber merken es nun auch sehr deutlich: Versorgungsverpflichtungen und Pensionsrück­ (BS/lkm) Sollen auch Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Ren­ stellungen steigen kontinuierlich von Jahr zu Jahr an und belasten zunehmend die kommunalen Haushalte und die Jahresabschlüsse der tenversicherung einbezogen werden? Die Linke im Bundestag meint Beteiligungsunternehmen. ja und hat einen entsprechenden Antrag eingebracht. Auch bei den Bürgern ist man ähnlicher Meinung. In einer Umfrage des Meinungs­ wie für die Finanzierung der Explosion der Pensionsrückstel- forschungsinstitutes YouGov aus dem Jahr 2020 haben sich 86 Prozent Wie bei Unternehmen der Freien Beamtenversorgung oder die lungen in der Bilanz führen. dafür ausgesprochen, die Bundestagsabgeordneten in die gesetzliche Wirtschaft machen sich diese Absicherung der tariflichen Zu- Spätestens an diesem Punkt ist Rentenversicherung zu überführen. “impliziten” Schulden der Zukunft schmerzhaft bemerkbar. Das gilt für die Pensionszusagen im Bereich der Beamten genauso wie für die nicht gedeckten Anteile aus der Zusatzversorgung für tariflich Beschäftigte. Für die Kommunen und Ihre Beteiligungen bedeutet dieses Szenario häufig nahezu eine Verdoppelung der Pensionslasten innerhalb der nächsten 25 Jahre. Deshalb stellt sich die drängende Frage, ob und wie dieses Problem noch in den Griff zu bekommen ist. Vor allem ist zu klären, wie künftig die steigenden Versorgungslasten überhaupt noch finanziert werden sollen. Schließlich funktionieren die üblichen Umlagesysteme nur solange, wie mehr Aktive (Beitragszahler) als Pensionäre vorhanden sind. Das ändert sich schon in absehbarer Zeit grundlegend. Leider führt diese Problematik in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein Schattendasein. Als das Traditionsunternehmen Fleischmann (ein Pionier des präzisen Modellbaus) vor wenigen Jahren trotz guter Umsätze Insolvenz anmelden musste, weil die Belastungen für Betriebsrenten und Pensionsrückstellungen nicht mehr finanziert werden konnten, wirkte die Meldung wie ein Einzelfall. Doch immer mehr Unternehmen haben mit dieser Problematik zu kämpfen – auch die öffentlichen. Schließlich schlägt die Schuldenbelastung in den Bilanzen auf der Passivseite erheblich zu Buche und mindert das Eigenkapital.

Mechthild A. Stock ist Stadtkämmerin a. D. und Vorstandsmitglied im Bundesvorstand der BAG-KOMM e. V. Für den Behörden Spiegel ist sie als Referentin und Moderatorin im Bereich Finanz- und Personalwirtschaft sowie Compliance und Risikomanagement aktiv. Foto: BS/Jürgen Hillebrand , Ratingen

satzversorgung. Deshalb hat der Gesetzgeber gezielt die Förderung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) propagiert, um den Mitarbeitenden ein gesichertes Einkommen im Alter als Ergänzung zur gesetzlichen Rente zu ermöglichen. Zudem ist die bAV in der Mehrheit der Unternehmen eine feste Größe, um Personal zu finden und an sich dauerhaft zu binden. Schließlich hat sich der Arbeitsmarkt auch stark verändert: Private und öffentliche Arbeitgeber müssen sich heutzutage um potenzielle Kandidaten bewerben. Diese können sich umgekehrt aussuchen, bei wem sie lieber arbeiten wollen. Und da spielt gerade eine gesicherte Zusatzversorgung im Alter eine zentrale Rolle, um gute Fachkräfte finden und nachhaltig auch binden zu können.

gut wie keine Rücklagen gebildet Knackpunkt bei der ­Finanzierung worden. Denn Pensionszahlun-

Fachwissen gefragt. Der Knackpunkt liegt also nicht in der bilanziellen Darstellung, sondern in der Finanzierung der künftigen Auszahlungen. Deshalb hat der Gesetzgeber die Kommunen verpflichtet, die künftigen Versorgungsleistungen in ihre Liquiditätsplanung einzubeziehen. Wie die Kommunen dieser Verpflichtung nachkommen, ist dagegen nicht festgeschrieben. Bei den tariflich Beschäftigten ist dringend zu empfehlen zu prüfen, wie hoch der Deckungsgrad der jeweils zuständigen Zusatzversorgungskasse liegt und mit welchen Risiken, z. B. Beitragserhöhung bzw. Leistungsminderung bei den Zusatzrenten, gerechnet werden muss. Der sogenannte “Unterschiedsbetrag” ist vor allem im Bereich der Beteiligungsunternehmen zu ermitteln und zumindest im Anhang zum Lagebericht beziffert auszuweisen. Deshalb kommen vermehrt Anfragen aus Stadtwerken und anderen kommunalen Wirtschaftsunternehmen, die eine enorme Belastung durch die nicht ausreichende Finanzierung der ausgelagerten Zusatzversorgung befürchten und Klarheit über den Umfang dieses Risikos haben wollen. Der nicht gedeckte Verpflichtungsgrad müsste konsequenterweise auch als “Sonderrückstellung” ausgewiesen werden. Das würde natürlich auch eine Entscheidung über die Gewinnausschüttung an die Kommunen erschweren. Die Marschrichtung ist klar: Statt der bisherigen Intransparenz im Hinblick auf die wahren Dimensionen der Pensionsverpflichtungen brauchen wir eine ehrliche Analyse und belastbare Prognose der künftigen Entwicklung. Nur wer sich mutig den Tatsachen stellt, kann Risiken korrekt bewerten und zukunftsfähige Lösungsansätze entwickeln.

“Spätestens nach der nächsten Bundestagswahl sollen alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages in die gesetzliche Rente einzahlen. Das ist unser Ziel”, erklärt Dr. Dietmar Bartsch, CoVorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Unter den Abgeordneten gehen die Meinungen zu diesem Thema weit auseinander. Patrick Schnieder, Abgeordneter für die CDU im Bundestag, bewertet die aktuelle Abgeordnetenentschädigung als ein “sehr gutes System”, denn laut Grundgesetz haben Abgeordnete Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. “Das betrifft nicht nur die aktive Zeit, sondern eben auch die Zeit der Versorgung”, betont der Rechtsanwalt.

Finanzierungsproblem lässt sich damit nicht lösen Die Einbeziehung der Abgeordneten wirke sich in finanzieller Hinsicht zudem kaum auf die Gesetzliche Rentenversicherung aus, da der Gruppe der rund 700 neu hinzugekommenen Abgeordneten rund 38 Millionen aktiv Versicherte gegenüberstehen würden, macht Andreas Zeuner von der Deutschen Rentenversicherung Bund deutlich. Doch darum geht es den Linken auch nicht primär in ihrem Antrag, erklärt Bartsch. Der erste Schritt, die Einbeziehung der Abgeordneten, hätte, so Bartsch, eine beträchtliche Symbolwirkung und würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt, gerade in der Krise, “wesentlich stärken”.

Viele Unternehmen gehören mittlerweile den Rentnern und Pensionären. Nach unseren Feststellungen geht es dem Öffentlichen Dienst nicht besser als der freien Wirtschaft. Im Gegenteil: Für die Beamten sieht es sogar noch schlechter aus, denn für ihre Pensionsansprüche sind so

gen bleiben kalkulierbar. Dafür gibt es versicherungsmathematische Berechnungen besonders qualifizierter “Aktuare”, mit denen sich abschätzen lässt, wer wie lange wie viel Rente bekommt und wann welche Beiträge fällig werden. Allerdings werden die Pensionszahlungen vorrangig aus dem laufenden Haushalt geleistet. Konzepte für eine nachhaltige Finanzierung gibt es meist gar nicht. Auch das Problem der “Unterdeckung” im Bereich vieler Zusatzversorgungskassen wird bisher schlicht ignoriert. Es gibt kein Entrinnen aus dem System, das ist eine Pflichtaufgabe. Die sogenannte BabyboomerGeneration der Jahrgänge bis einschließlich 1964 macht sich bereit, bald ins Rentenalter zu gehen. Und dieser Personenkreis wird stetig älter. Entsprechend kommen auf alle Altersvorsorgesysteme erhebliche Belastungen zu. Dies gilt für die gesetzliche Rentenversicherung genauso

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Fonds und Versicherungslösungen im Blick

In der Hand von Pensionären und Rentnern

islang sind die öffentlichen Haushalte nicht ausreichend auf die Ausgabensteigerungen vorbereitet. Der Bund und die Länder haben in der Vergangenheit zwar Rücklagen gebildet und Pensionsfonds aufgelegt, die das Ausgabenplus abfedern sollen. Allerdings reichen die Deckungsquoten bzw. die Ausfinanzierungsgrade dieser Pensionsfonds bei Weitem nicht aus, um die tatsächlich anfallenden Ausgaben zu decken. Insbesondere in den Kommunen ist das Thema Entwicklung und Finanzierung der künftigen Pensionslasten deutlich in den Fokus gerückt, vor allem aufgrund der Umstellung der öffentlichen Haushaltsund Finanzwirtschaft auf ein doppisches Rechnungswesen. Durch die Umstellung auf das doppische Rechnungswesen erstellen die Kommunen Bilanzen, in denen u. a. die Versorgungsverpflichtungen aus der Beamtenversorgung in Form von Pensionsrückstellungen auszuweisen sind. Zahlreiche versicherungsmathematische Berechnungen belegen dafür einen erheblichen zukünftigen Finanzierungsbedarf. Die steigenden Pensionslasten können damit künftig zu einer großen Herausforderung für die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand werden. Zudem löst die Bildung von bilanziellen Pensionsrückstellungen an sich noch

“Keine Angst vor der Wahrheit”, lautet meine Devise. Im ersten Schritt geht es darum, die in der Bilanz ausgewiesenen Pensionsrückstellungen zu analysieren und die künftig absehbare Entwicklung anhand von Prognoseberechnungen zu ermitteln. Im Jahresabschluss müssen alle versorgungsrechtlichen Anwartschaften der aktiven Beamten sowie alle Versorgungsansprüche der Pensionäre erfasst und als Rückstellung ausgewiesen werden. Dazu gehören eben nicht nur die Pensionen, sondern auch die Beihilfen zur Krankenversorgung sowie die Versorgung der Hinterbliebenen. Die “Zinsschmelze” zwinge unterschiedslos Unternehmen wie die öffentliche Hand dazu, mehr Geld an die Seite zu legen. Denn je tiefer die langfristigen Zinsen fallen, desto niedriger ist der Rechnungszins, mit dem künftige Pensionszahlungen zu diskontieren sind. Bekanntlich kann dies zu einer regelrechten

Sicherungslücken sind anderswo Über die Symbolwirkung hi­ naus zeigten sich auch wenig einschlägige Argumente, wie eine Anhörung von Experten im Ausschuss für Arbeit und Soziales zeigte. Bei den Abgeordneten bestehe kein Handlungsbedarf, da

Die Finanzierung der kommunalen Beamtenpensionsverpflichtungen Zahlreiche Studien zur Thematik Entwicklung der künftigen Pensionslasten des Bundes, der Länder und Kommunen in der BRD, welche in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, insbes. der Studie “Beamtenversorgung in NRW – Alternative Strategien für eine nachhaltige Finanzierung von Pensionsverpflichtungen im öffentlichen Sektor”, herausgegeben vom Büro für Kommunalberatung GmbH, PKF Fasselt Schlage und K&L Gates LLP, Rechtsanwälte, zeigen auf, dass die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren mit stark steigenden Ausgaben für die Pensionen ihrer Beamten und Beamtinnen rechnen müssen. nicht das Problem der Finanzierung der künftigen Auszahlungen der Beamtenpensionen. Somit stellt sich für jede Kommune die Frage nach der Finanzierung der künftigen Pensionslasten. Die derzeit überwiegend praktizierte Finanzierung aus den laufenden kommunalen Haushalten bzw. über rein umlagefinanzierte Versorgungskassen kann vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung durchaus infrage gestellt werden.

Flexibilität und ­Anpassungsfähigkeit Ein Rückgriff auf das kommunale Vermögen scheidet in aller Regel aus, weil insbesondere das von den Kommunen vorgehaltene Infrastrukturvermögen kaum veräußerbar ist. Für die Finanzierung der künftigen Pensionszahlungen sollte folglich mit dem Aufbau eines Kapitalstocks begonnen werden. In Betracht kommen hierfür insbesondere kapitalbildende Finanzierungsmodelle,

d. h. klassische Fonds und/oder Versicherungslösungen. Klassische Fondslösungen bieten den Vorteil, dass sie sich hinsichtlich der Dotierung durch entsprechende Flexibilität auszeichnen. Hinsichtlich des Anlagerisikos steht bei klassischen Fonds die Chance auf eine Wertsteigerung der Anteile das Risiko von nicht unwesentlichen Wertverlusten gegenüber. Das Verlustrisiko lässt sich jedoch durch Diversifikation begrenzen. Der Gesetzgeber stellt hohe Anforderungen an die Sicherheit dieser Anlageformen und fordert zudem, dass eine zusätzliche Eigenkontrolle der Fondsentwicklung durch die Kommunen ständig sichergestellt ist. Weiterhin ist zu beachten, dass Anlagen in Fonds nur mit eigenen, frei verfügbaren finanziellen Mitteln zulässig sind. In diesem Zusammenhang stellt die Absicherung aller biometrischen Risiken im Zeitpunkt der erstmaligen Dotierung eine große Herausforderung dar.

Rückdeckungsversicherungen weisen ebenfalls eine hohe Flexibilität bezüglich der individuellen Gegebenheiten einer Kommune auf und ermöglichen maßgeschneiderte Finanzierungskonzepte. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang garantierte Versorgungsleistungen sowie die Anpassungsfähigkeit an die zukünftige Personalentwicklung. Zudem können Rückdeckungsversicherungen in Abhängigkeit des Versicherungsumfangs eine umfassende Absicherung der biometrischen Risiken gewährleisten. Im Falle einer Kündigung wird der jeweilige Rückkaufswert der Versicherung (aktivierter Zeitwert abzüglich Stornogebühr) an die Kommune ausgezahlt. Zugleich besteht bei Versicherungslösungen die Möglichkeit der Beleihung.

Balance aus Rendite und Sicherheit Vor dem Hintergrund der Vorgaben an die Sicherheit einer Finanzanlage mit angemessenem

Ertrag erfüllen Rückdeckungsversicherungen in besonderer Weise die haushaltsrechtlichen Anforderungen der Gemeindeordnungen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Sicherheit der Kapitalanlage, denn ein Verlust des eingesetzten Kapitals ist aufgrund der besonderen, an Versicherungen gestellten Anforderungen des VAG ausgeschlossen. Die Allianz Gruppe bietet seit vielen Jahren erfolgreich flexible Finanzierungsmodelle für die Finanzierung der kommunalen Beamtenpensionsverpflichtungen an. Mit dem neuen Produktportfolio 2021 der Allianz Gruppe ermöglichen wir Kunden durch zeitgemäße Garantien eine neue Balance aus Renditechancen und Sicherheit und stärken zusätzlich die Freiräume der Kapitalanlage. Das Sicherungsvermögen dient dabei als stabiles Fundament gerade für unsere kapitalmarktnahen Konzepte und bietet Sicherheit – bei höherer Chancenorientierung.

sie genügend abgesichert seien, waren sich dort Prof. Dr. Eckart Bomsdorf von der Universität Köln und Professor Dr. Giesela Färber, Staatswissenschaftlerin an der Universität Speyer, einig. “Handlungsbedarf besteht bei anderen Gruppen. Insbesondere bei der Gruppe der Selbstständigen und beim Altbestand der Erwerbsgeminderten. Hier bestehen jeweils Sicherungslücken, die allen bekannt sind und die geschlossen werden sollten, und zwar jetzt”, betonte Bomsdorf. Die Abgeordneten würden Sicherungslücken allenfalls dadurch erhalten, dass sie in die Gesetzliche Rentenversicherung hineinkommen sollen. “Das sieht man ja auch daran, dass ihnen dann eine zusätzliche Altersvorsorge empfohlen wird”, so der Ökonom. Denis Peikert, Referent beim Sozialverband Deutschland e. V., sieht den Handlungsbedarf auch nicht primär bei den Abgeordneten: “Sinnvoller wäre es, zuerst mit den Erwerbstätigen anzufangen, die noch nicht in einem obligatorischen Alterssicherungssystem abgesichert sind und erst dann in einem nächsten Schritt mit den anderen Erwerbstätigen weiterzumachen, insbesondere auch mit den politischen Mandatsträger(innen), Beamt(inn) en sowie Erwerbstätigen der freien Berufe.” Peikert sieht in der Einbeziehung der Abgeordneten aber eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung. Viele Menschen seien sehr unzufrieden mit der Rentenpolitik der vergangenen 15 bis 20 Jahre, “weil sie das Gefühl haben, dass ihre Rente immer weniger wert ist und sie auch eine Abkopplung von Renten und Pensionen erleben”. Die Einbeziehung der Bundestagsabgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung sei für diese Menschen ein starkes Signal, um dieser empfundenen Ungerechtigkeit entgegenzuwirken.

Das Sicherungsvermögen enthält einen erheblichen Anteil chancenorientierter Anlagen. Durch das Sicherungsvermögen profitieren Kunden von der weltweit breit diversifizierten Kapitalanlage, die wir konsequent zukunftsfähig ausrichten. Gleichzeitig bietet das Sicherungsvermögen auch ein hohes Sicherheitsniveau, da durch das Sicherungsvermögen alle langfristigen Garantien erfüllt werden müssen. Entsprechend kann der Anteil chancenorientierter und damit schwankungsanfälligerer Anlagen nicht beliebig erhöht werden. Tatsächlich zeigen unsere Marktforschungen – vor und nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie –, dass Null- und Negativzinsen sehr deutlich ins Bewusstsein der Kunden gerückt sind. Angebote, die Renditechancen in Verbindung mit Sicherheiten bieten können, werden als sehr attraktiv eingeschätzt. Mit unserem Anlage-Know-how, unseren innovativen Produkten und Finanzierungskonzepten, unserem starken Fundament und unseren zeitgemäßen Garantien sind wir für unsere Kunden da, wenn es um ihre finanzielle Zukunft geht. Und dies seit fast 100 Jahren. *Sabine Duffner ist Senior Consultant bei der Allianz Pension Consult GmbH. Für Rückfragen steht Frau Duffner gerne unter sabine. duffner@allianz.de zur Verfügung.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / März 2021

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urch NKF wurden Erträge und Aufwendungen haushälterische Steuerungsgrößen. Vor seiner Einführung wurden lediglich die Einnahmen und Ausgaben erfasst. Betrachtet wurden nunmehr die Veränderungen des kommunalen Eigenkapitals. Der vollständige Werteverzehr durch Abschreibungen wird offen gelegt und berücksichtigt. Die Abbildung des Werteverzehrs durch Abschreibungen und Rückstellungen sollen zu einer größeren Gerechtigkeit für zukünftige Generationen führen. Pensionsverpflichtungen sind nun in der Bilanz und ihre jährlichen Anpassungen als Zuführung zu den Rückstellungen im Aufwand auszuweisen. Das Volumen ist nicht unerheblich und macht je nach Größe der Gemeinde schnell 25 Prozent der Bilanzsumme aus. Leider haben die Länder und der Bund keine vergleichbare Regelung.

NKF in Corona-Zeiten Immer wieder musste der Gesetzgeber gemeindekompatibel nachjustieren. Mit den Änderungen in Nordrhein-Westfallen im Jahre 2018 entfernte sich die Rechnungslegung bei Kommunen weiter weg von traditionellen Bilanzierungsprinzipien, z.B. durch die Einführung neuer Passivierungsmöglichkeiten sowie der Aktivierbarkeit von Instandhaltungsaufwendungen unter Durchbrechung des Anschaffungskostenprinzips. Aktuell in diesen Zeiten der Pandemie “CO-VID-19” zeigt sich der nordrhein-westfälische Gesetzgeber besonders kreativ. Die pandemiebedingten Haushaltsverschlechterungen werden im Wege einer Bilanzierungshilfe in den kommunalen Haushalten in einem gesonderten Posten vor dem Anlagevermögen aktiviert. Die Aktivierung erfolgt mittels des außerordentlichen Ergebnisses und ermöglicht so eine buch-

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as sind eigentlich PFAS, die in Deutschland mitunter auch als PFC abgekürzt werden? Entdeckt 1954 und zunächst zur Herstellung von Beschichtungen verwendet, die Teflon-Pfanne ist wohl das bekannteste Produkt, erkannte man bald ihre besonderen Eigenschaften. PFAS sind extrem gegen chemische, thermische und mikrobielle Einflüsse beständig. Zudem lassen sich aus ihnen in polymerisierter Form sowohl öl- als auch wasserabweisende Oberflächen herstellen. Die PFAS fanden so bis vor wenigen Jahren Verwendung in Feuerlöschschäumen, als Zusätze in Galvanikbädern, als Beschichtungen oder Imprägnierungen von Textilien oder Papieren, um nur die relevantesten Nutzungen zu nennen. Einige der PFAS-Vertreter sind aber auch sehr toxisch und durch ihre hohe Wasserlöslichkeit sehr mobil. Sie können sich im Grundwasser durch ihre Persistenz ungehindert ausbreiten und auch weiter entfernte Trinkwassergewinnungsanlagen erreichen und gefährden. Strömen sie im Grundwasser unter landwirtschaftlichen Flächen hindurch, führen Wasserentnahmen zu Bewässerungszwecken dazu, dass die PFAS im geförderten Wasser sowohl den Boden verunreinigen als auch von den Nutzpflanzen aufgenommen werden können. Die belasteten Nutzpflanzen sind dann, je nach Belastungsgrad, möglicherweise nicht mehr vermarktbar.

“nicht altlastenrelevant” kann kritisch sein Für Kommunen und Behörden sind PFAS in verschiedenen Rechtsbereichen relevant. Zunächst ist das Bodenschutzrecht zu nennen. Die Bodenschutzbehörde ist verpflichtet, die PFAS in den Bodenschutz- und Altlastenkatastern zu berücksichtigen. Die Erfassung von neuen Verdachtsflächen ist zwar

Mär von der doppischen Überlegenheit Das neue kommunale Finanzmanagement in der Praxis (BS/Rolf Hartmann) Im Jahre 2009 hatte in Nordrhein-Westfalen das jahrhundertealte kamerale Rechnungswesen ausgedient. Die Reform des kommunalen Haushaltsrechts sollte durch die Einführung des neuen kommunalen Finanzmanagements (NKF) umgesetzt werden. Die Orientierung an die handelsrechtlichen Regelungen (HGB) und an den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) waren hehre Ziele. Die bessere Verwendbarkeit des Personals aus der Verwaltung für die Privatwirtschaft aber auch umgekehrt wurde in Aussicht gestellt. Die kommunale Finanzsoftware könne man sich in Zukunft von der Stange kaufen, hieß es anfangs. Es kam alles anders. halterische Isolierung der pandemiebedingten Haushaltsverschlechterung. Nach der ersten Aktivierung im Jahresabschluss 2020 erfolgt die Abschreibung das erste Mal im Jahr 2025 linear über einen Zeitraum von längstens 50 Jahren. Und wenn alles schiefgeht, gibt es ja noch den § 128 der Gemeindeordnung-NRW, wonach ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinde nicht zulässig ist. Es ist bedenklich, dass ein haushälterischer Jahresabschluss nicht mehr ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage abbilden kann. Die Transparenz wird immer mehr verwässert. Nicht unumstrittene Ermessenspielräume öffneten sich für die Kommunen: “Ein Königreich für Bilanzverschönerer”. Es lässt sich leicht erahnen, dass die Vorschriften darauf ausgerichtet sind, den Haushaltsausgleich (positiv) zu beeinflussen.

Professioneller steuern Hat NKF nun die Gemeinden erfolgreicher gemacht? NKF macht nicht erfolgreicher, schafft aber die Voraussetzungen, dass die Gemeinden Kommunalpolitik professioneller steuern können. Die Umstellung des Rechnungswesens allein genügt jedoch nicht. NKF bietet neue Instrumente der politischen Gestaltung. Damit geht jedoch keinesfalls ein Automatismus der Gestaltung einher. Vielmehr müssen Rat und Verwaltung sich auf aussagefähi-

ge strategische Ziele vereinbaren oder wenigstens deren besondere Bedeutung erkennen. Es geht darum, strategische Ziel- und Handlungsprogramme zu entwickeln. Dabei müssen im Haushaltsplan Ziele und Kennzahlen ausgewiesen werden und Impuls für die politisch administrative Führung sein. Transparenz und der Bindungswille an das finanziell Machbare sind hier geboten. Die Frage ist nur: Wollen Kommunalpolitik und die Spitzen der Verwaltung die Möglichkeiten des NKF hinsichtlich einer nachhaltigen generationengerechten Strategie tatsächlich nutzen? Dagegen steht das Denken in Wahlperioden, dagegen stehen fehlende systematische Anreize für die Hauptverwaltungsbeamten zur nachhaltigen Konsolidierung. Kommunale Politik will natürlich gestalten, allerdings selten den Mangel. Schließlich kann Politik auch nur so ehrlich sein, wie es der vom Konsolidierungswillen leidgeprüfte Wähler verkraftet. Alleine, dass der Gesetzgeber ein neues Haushalts- und Rechnungswesen verordnet, reicht zur strategischen Steuerung nicht aus. Sie muss gewollt sein; von Politik und Verwaltung.

Blick ins Ausland Ein Blick in die Schweiz ist interessant. Für die Eidgenossen sind flächendeckende Leistungsvergleiche zwischen den Gemeinden eines Kantons langgelebte Praxis. Ein modernisiertes Haus-

Entlastung der Bürgerinnen und Bürger steht im Vordergrund. Die Rolf Hartmann war von 2004 gemeindlichen bis Ende Oktober 2020 Bürgermeister der Gemeinde Steuersätze und Blankenheim. Foto: BS/privat Gebühren zu senken oder zumindest nicht weiter zu erhöhen, sind Schweizer Erfolgsfaktoren im halts- und Rechnungswesen, interkommunalen Wettbewerb. welches auf kaufmännischer In Deutschland ist diesbezügBuchführung (Doppik) basiert, lich noch sehr viel Luft nach ist in der Schweiz schon lange oben möglich, zumal die sehr implementiert. Leistungsverglei- heterogenen Bestimmungen der che zwischen den Verwaltungen Bundesländer leider einen länkönnen zu einem für den Bürger derübergreifenden Vergleichsring gewinnbringenden Wettbewerb enorm erschweren. Die bisheriführen. In der Schweiz haben gen Erfahrungen der deutschen die Finanzkennzahlenvergleiche Kommunen mit diesem Reforeinen deutlichen Einfluss auf die minstrument zeigen, dass sich Entwicklung der Gemeindefinan- gerade der Wettbewerbsgedanke zen und die fiskalpolitischen Ent- bisher wenig etablieren konnte. scheidungen der lokalen Akteure, “Meine” Gemeinde Blankenheim da sie ein wichtiger Bestandteil wurde übrigens in 2009 über beim (regionalen) Steuerwettbe- Nacht “reich”. Die Gemeinde werb der Schweizer Gemeinden ist flächenmäßig fast so groß sind. Sie werden unter ande- wie Lichtenstein, an finanzielrem im Rahmen der jährlichen len Ressourcen aber viel ärmer. Haushaltsverhandlungen im Ge- Aufgrund der enormen Gebietsmeinderat herangezogen, um die größe besitzt sie eine bedeutende Gebühren und Steuersätze mit Infrastruktur vor allem an Stradenen der anderen Gemeinden ßen, Wege und Plätzen, die für in der Region zu vergleichen die Eröffnungsbilanz zu einem und auf dieser Basis über einen beachtlichen Wert des Eigenkaeventuellen Anpassungsbedarf pitals führte. Der Werteverzehr zu entscheiden. Hieraus ergibt durch die Abschreibungen ist sich ein regionaler Fiskalwettbe- allerdings die langfristige andere werb im Rahmen eines wichtigen Seite der Medaille. kommunalpolitischen Prozesses. Nun kann man eine GemeinDenn es geht im regionalen Ver- de – das wird gerade in diesen gleich vor allem um eines: Die seltsamen Zeiten der Pandemie

Neue Schadstoffgruppe, neue Lösungen

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deutlich – nicht so führen wie einen Betrieb in der Privatwirtschaft. Private Firmen könnten bei wirtschaftlichen Schieflagen Maschinen abstoßen. Die Gemeinde kann aber nicht ihre Straßen verkaufen. Ein Kaufmann macht die Produkte teurer, streicht die Produktionskosten. Das kann eine Gemeinde nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass die Umstellung des Systems enorme zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen noch heute bindet.

Frage der Daseins­ berechtigung Aus der optionalen Möglichkeit, bei der örtlichen Rechnungsprüfung sich externer Prüfer zu bedienen, ist aufgrund der komplexen Rechtslage ein faktisches Muss geworden. Die jährlichen Kosten des externen Prüfers, die Mehrkosten für zusätzliches Personal und exotischer Software (von wegen von der Stange) belaufen sich konservativ gerechnet in Blankenheim auf mindestens 150.000 Euro/Jahr. Wenn man allein diese Zahlen auf die gesamte Bundesrepublik hochrechnet, stellt sich die berechtigte Frage, ob eine kommunale Doppik, die weiterhin kein realistisches Bild über die Finanzsituation einer Gemeinde aufzeigt, eine Daseinsberechtigung hat. Die kommunale Doppik hat sich zu sehr von den Regelungen des Handelsgesetzbuchs und den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchung entfernt. Daher ist sie von den ehrenamtlichen Gemeinderäten, die keine Experten in Betriebswirtschaftslehre sind, nur schwer zu verstehen. Mit der Doppikeinführung hat man den Verwaltungsapparat in Blankenheim lange und kräftezehrend beschäftigt, doch die Hausaufgaben und eigentlichen Probleme wurden dadurch nicht erledigt.

Konflikte in der Bauleitplanung zu bewältigen. Dies kann von einem gezielten und begrenzten Bodenaustausch, beispielsweise in heute als Hausgärten genutzten Arealen, und einer Entsorgung der Böden (BS/Dr. Thomas Held/Dr. Michael Reinhard) Dass eine chemische Stoffgruppe den Weg in einen aktuellen Kinofilm schafft, ist eher selten. Die bis hin zum zentralen gesicherten Handlung des US-Thrillers “Vergiftete Wahrheit” rankt sich nach einem wahren Fall um eine Verunreinigung mit Per- und Polyfluorierten Alkylsub- Einbau der Böden innerhalb des stanzen (PFAS). Mehr sei hier nicht verraten. Aber nicht nur im Film, sondern auch in der Realität, weltweit und auch in Deutschland, rückt diese Planungsgebiets reichen. Stoffgruppe zunehmend in den Fokus. Sie ist bei Genehmigungs- und Planungsprozessen grundsätzlich immer dann zu berücksichtigen, wenn bei Neben den vorgenannten Rechtsbereichen können auch viele andere diesen auch potenzielle Boden- und Grundwasserverunreinigungen zu beachten wären. Bereiche betroffen sein. Dies ist ein in vielen Fällen neuer Sachverhalt in der Dr. Thomas Held arbeitet im Bereich “Business DevelopAltlastenbearbeiment Site Evaluation and tung, da die bisher Restoration” berücksichtigten Schadstoffe auf ihrem Weg durch die Umwelt meist durch mikrobiellen Abbau einen staDr. Michael Reinhard ist Leitionären Zustand ter “Altlasten und Flächen­ erreicht haben. Im recycling”. Gegensatz dazu können sich PFAS weitgehend ungeBeide sind bei der Arcadis hindert verbreiten. Germany GmbH tätig. Abbildung 1 zeigt die möglichen AusFotos: BS/Arcadis breitungspfade an einem Beispiel. Detaillierte Informationen zu und auch frühere Brandereignisse Quelle: Umweltbundesamt (2020): TEXTE 137/2020 - Sanierungsmanagement für lokale und flächenhafte PFAS-Konta- zu berücksichtigen. Hierbei ist zu dem Thema PFAS, zu betroffenen minationen – Abschlussbericht von Dr. Thomas Held, Dr. Michael Reinhard beachten, dass Löschschaum nicht Rechtsbereichen und vor allem zu nur bei Großbränden, sondern teil- Lösungsmöglichkeiten finden sich gesetzlich nicht terminiert, das He- dass alle Konflikte nach der ver- schon erfasster Verdachtsflächen weise auch bei “normalen” Woh- in der, von den Autoren dieses Artirausgeben von Flächenauskünften bindlichen Bauleitplanung gelöst für den Parameter PFAS im Bo- nungsbränden zum Einsatz kam. kels verfassten ausführlichen Handlungshilfe “Sanierungsmanagement als “nicht altlastenrelevant” kann sind. Nicht entdeckte PFAS-Verun- denschutz- oder Altlastenkataster für lokale und flächenhafte PFASsich bei PFAS-Verunreinigungen im reinigungen, im ungünstigsten Fall kann die erste Lücke schließen. Handlungsoptionen Einzelfall aber als kritisch erweisen, nach erfolgter Bebauung, stellen Dem Argument der Kosten für eine Wird eine PFAS-Boden- oder Kontaminationen”, die vom Umwenn sich betroffene Bürger auf die für den Träger der verbindlichen solche Ergänzung oder Aktuali- Grundwasserverunreinigung weltbundesamt (UBA) veröffentlicht Schutzwürdigkeit der Behörden- Bauleitplanung ein Haftungsrisiko sierung des Katasters entgegnen frühzeitig entdeckt, muss sie nicht wurde. Diese ist im Internet einauskunft berufen und die Behörde dar. Die Belastungen können auf Wirtschaftsverbände inzwischen zwangsläufig zu einer teuren Sanie- fach mit den Suchbegriffen “UBA” mit ihrem Fachwissen den Schaden die Kommune zurückfallen. mit dem Argument der Risikomi- rung führen. Zwar sind viele der eta- und “Sanierungsmanagement” zu hätte kennen können. nimierung: “Altlastenbearbeitung blierten Sanierungstechniken wegen finden. der Persistenz der PFAS nicht anist Wirtschaftsförderung”. Im Rahmen der verbindlichen Bau- “Altlasten­bearbeitung ist Wirtschafts­förderung” Bei der verbindlichen Bauleit- wendbar, aber an neuen Techniken leitplanung stellen nicht entdeckte Der vollständige Link lautet: PFAS-Verunreinigungen ein noch Diese Risiken lassen sich ver- planung ist zu empfehlen, für das wird weltweit fieberhaft geforscht. https://www.umweltbundesamt. höheres Risiko dar. Die späteren meiden. Eine Nacherfassung neu- Bebauungsplangebiet eine Recher- Im Rahmen der Planung von Be- de/publikationen/sanierungsmaEigentümer eines geplanten Bauge- er Flächen oder zumindest eine che zu Vornutzungen durch PFAS- bauungsplänen gibt es zudem ver- nagement-fuer-lokale-flaechenhaftebietes dürfen sich darauf verlassen, Aktualisierung der Bewertungen relevante Branchen durchzuführen schiedene Handlungsoptionen, um pfas

PFAS bei Planungs- und Genehmigungsprozessen


Kommunale Sicherheit

Behörden Spiegel / März 2021

Mitarbeiter begegnen öfter Widerstand

Ihre Mitarbeiter zunehmend Aufgaben, die in der Vergangenheit originär der Polizei oblagen?

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ehörden Spiegel: Vor welchen Herausforderungen stehen Ihre Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes bei der Kontrolle der Corona-Regeln? Carsten Sperling: Der Bonner Stadtordnungsdienst ist durch die vielen Kontrollen in Zusammenhang mit den CoronaSchutzbestimmungen sehr gefordert. Allein im vergangenen Jahr haben wir für den Gesundheitsund Infektionsschutz mehr als 15.000 Einsätze absolviert. Da ging es unter anderem um die Kontrolle der Abstands- und Hygieneregeln sowie um die Überwachung der Gastronomie- und Ladenöffnungen beziehungsweise -schließungen. Das war für uns sehr aufwendig. Behörden Spiegel: Wozu diente das? Sperling: Die Maßnahmen dienen dem Infektions- und Gesundheitsschutz. Bei den Kontrollen seit Februar 2020 haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bonner Stadtordnungsdienstes mittlerweile fast 4.200 Anzeigen wegen Verstößen gegen die CoronaSchutzbestimmungen gefertigt. Die städtische Bußgeldstelle hat im Anschluss daran bereits rund 2.350 Bußgeldbescheide erlassen. Die übrigen Anzeigen werden noch bearbeitet. Behörden Spiegel: Ist es bei und wegen der Kontrolle der Corona-Schutzbestimmungen vermehrt zu Übergriffen gekommen? Sperling: Ja, wir haben schon gemerkt, dass der Ton draußen auf der Straße rauer wird. Unseren Mitarbeitenden wird mehr Widerstand entgegengebracht. Vielleicht liegt das auch an einer gewissen Ermüdung und

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Prozent der Menschen im Südwesten fühlen sich an ihrem Wohnort sicher, 26 Prozent sogar sehr sicher. Zehn Prozent fühlen sich weniger sicher und lediglich zwei Prozent gar nicht sicher. Trotzdem wünscht sich eine klare Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ein stärkeres staatliches Engagement für die Innere Sicherheit. 52 Prozent der Baden-Württemberger sind der Auffassung, dass in der Region nicht genügend Polizisten zur Verfügung stehen. Vor allem aus dem ländlichen Raum kommen Rufe nach einer stärkeren Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit. Offensichtlich konnte den Bürgern des Landes die mit der Polizeistrukturreform 2020 versprochene Erhöhung

Kräfte des Städtischen Ordnungsdienstes in Bonn werden häufiger attackiert (BS) Die Kontrolle der Corona-Schutzbestimmungen fordert nicht nur die Polizeien, sondern auch die Städtischen und Kommunalen Ordnungsdienste. Das gilt auch für die Bundesstadt Bonn. Wie sich die Situation dort genau darstellt, erläutern Stadtdirektor Wolfgang Fuchs und der Abteilungsleiter “Stadtordnungsdienst und Ordnungswidrigkeiten”, Carsten Sperling. Das Interview führte Behörden Spiegel-Redakteur Marco Feldmann. schuss- und stichsichere Westen, Handfesseln, einen Einsatzmehrzweckstock sowie stich- und schnittfeste Handschuhe und Reizstoffsprühgeräte. Im Zuge der Corona-Pandemie mussten wir darüber hinaus viele Schutzmasken und Vollschutzanzüge für den Kontakt mit Infizierten beschaffen. Bei der Materialbeschaffung gab es hier in Bonn aber keine Probleme.

“Wir haben schon gemerkt, dass der Ton draußen auf der Straße rauer wird.” Wolfgang Fuchs ist Stadtdirektor und Dezernent des Dezernates für Allgemeine Verwaltung in Bonn. Foto: BS/Sascha Engst

Ermattung der Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf die Coronabedingten Einschränkungen. Es kommt sowohl zu verbalen als auch zu körperlichen Attacken auf Beschäftigte. Behörden Spiegel: Wie schützen Sie Ihre Mitarbeiter gegen Attacken, insbesondere solcher physischer Natur? Ist eine robustere Ausrüstung geplant? Sperling: Nein, eine robustere Ausrüstung ist nicht geplant. Wir sind diesbezüglich bereits sehr gut aufgestellt. Die Beschäftigten verfügen unter anderem über eine einheitliche Uniform,

Wolfgang Fuchs: Das hat bei uns bisher keine Rolle gespielt, weder beim Stadtordnungsdienst noch im Gesundheitsamt oder bei der Feuerwehr beziehungsweise dem Rettungsdienst, wo es bereits zu wenigen CoronaInfektionen gekommen ist. Behörden Spiegel: Was tun Sie für die höhere öffentliche Wertschätzung der Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes? Ist eine höhere Eingruppierung der Mitarbeiter geplant? Fuchs: In Bonn haben wir die Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes bereits vor zwei Jahren höher eingestuft. Die Beschäftigten befinden sich nun in der Entgeltgruppe E 9. Das ist die Endstufe des mittleren Dienstes.

“Wünschenswert wäre ein einheitlicher Ausbildungsweg und -beruf für Kommunale und Städtische Ordnungsdienste mit einem anerkannten Verwaltungsabschluss.” Carsten Sperling ist Abteilungsleiter “Stadtordnungsdienst und Ordnungswidrigkeiten” der Bundesstadt Bonn. Fotos: BS/Giacomo Zucca

Mehr ist hier momentan nicht geplant. Mehr geht tarifrechtlich derzeit auch nicht. Wir stellen aber auch fest, dass die Aufgaben der Mitarbeitenden des Stadtordnungsdienstes immer komplexer und schwieriger werden. Behörden Spiegel: Was hat das zur Folge? Fuchs: Wir begrüßen deshalb

Behörden Spiegel: Was wünschen Sie sich noch? Sperling: Wünschenswert wäre ein einheitlicher Ausbildungsweg und -beruf für Kommunale und Städtische Ordnungsdienste mit einem anerkannten Verwaltungsabschluss. Mit dieser Fachausbildung wären die Kolleginnen und Kollegen noch flexibler im Verwaltungsdienst einsetzbar, wenn sie nicht mehr im Außendienst tätig sein können oder möchten. Davon würden auch wir als Arbeitgeber profitieren. Behörden Spiegel: Wie gestaltet sich in Bonn die Zusammenarbeit zwischen Stadtordnungsdienst und Polizei? Übernehmen

Mehrheit der Baden-Württemberger fühlt sich sicher Stärkendes Engagement für die Innere Sicherheit aber unerlässlich (BS/Gerd Lehmann) Das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) hat jüngst im Rahmen einer repräsentativen Umfrage ermittelt, wie es um die Innere Sicherheit in Baden-Württemberg bestellt ist. Die Ergebnisse sind ambivalent. Es gibt ein Gefühl großer Sicherheit auf der einen und den Eindruck wachsender Bedrohung auf der anderen Seite. Das scheinbare Paradox, dass sich die Menschen im Südwesten sicher fühlen und trotzdem mehr Sicherheit und mehr Polizei wollen, ist offensichtlich der Tatsache geschuldet, dass die Kriminalitätsfurcht meist dort größer ist, wo wenig Straftaten begangen werden – und umgekehrt. Pointiert könnte man sagen, dass diejenigen, die die geringste Wahrscheinlichkeit haben, Opfer einer Straftat zu werden, die höchste Angst davor

Vor Einbrechern fürchten sich die Menschen in Baden-Württemberg mit am meisten. Foto: BS/Tim Reckmann, pixelio.de

der polizeilichen Präsenz in der Fläche bislang nicht erlebbar gemacht werden. Beklagt wird, dass die Polizei oft nicht so schnell kommt, wie es erforderlich wäre. Eine Mehrheit der Befragten ist zudem der Ansicht, dass die Polizei mangelhaft ausgerüstet ist. Mehr Personal, bessere Ausrüstung und mehr Präsenz der Polizei in der Öffentlichkeit stehen auf der Forderungsliste der Befragten zur Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung oben an.

Behörden Spiegel: Im Polizeibereich wird derzeit über die erleichterte Anerkennung von Corona-Infektionen als Dienstunfall diskutiert. Wie sieht das in Ihrem Ordnungsdienst aus?

eine Initiative der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag zu einem eigenständigen Ausbildungsweg für Kommunale und Städtische Ordnungsdienste. Zugleich stellen wir im Übrigen fest, dass die öffentliche und politische Akzeptanz des Ordnungsdienstes in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Die öffentliche Wahrnehmung hat sich verbessert. Die Arbeit dieser Dienste muss jedoch weiter professionalisiert werden. Zudem braucht es dort mehr Personalförderung, eine noch höhere Arbeitgeberattraktivität sowie gemeinsame Standards und höhere Qualifizierungen der Mitarbeitenden.

haben. Dabei lässt sich diese Angst auch nicht durch eigene Erfahrungen relativieren. Zudem ist Kriminalitätsfurcht oft eine diffuse Angst, mit der man auch viele andere Sorgen zum Ausdruck bringen kann. Auch sind viele Menschen der Überzeugung, dass früher alles besser gewesen ist. Sie verknüpfen das Thema Kriminalität mit “ihrer” heilen Welt von früher. Obwohl die Faktenlage eine andere ist, gehen sie davon aus, dass die Kriminalität ständig steigt.

So fühlen sich 58 Prozent der Befragten unsicherer als vor fünf Jahren.

Wachsendes Gefühl der Bedrohung Die Sorge, persönlich durch Kriminalität gefährdet zu sein, ist relativ weit verbreitet. Vier von zehn Baden-Württembergern haben den Eindruck zunehmender Unsicherheit. Frauen fürchten deutlich mehr als Männer, die Menschen auf dem Land weniger als die in den Mittel- und Großstädten, dass ihnen etwas zustoßen könnte. Einbruch, Körperverletzung, Internetkriminalität, Betrug, Diebstahl sowie Sachbeschädigung sind die Straftaten, mit denen die Bürgerinnen und Bürger des Landes am ehesten rechnen und die sie zugleich am meisten fürchten. Politische Extremisten beunruhigen die Menschen im Ländle hingegen wenig: Nur 22 Prozent der Befragten halten Rechtsextremismus im Südwesten für ein großes Problem, 51 Prozent sagen: “Das sind nur Ausnahmefälle.” Ähnlich ist ihre Einstellung zu Linksextremisten: 18 Prozent sehen die Szene als großes Problem, 47 Prozent sprechen von Ausnahmefällen, der Rest ist unentschieden. Viele Schlagzeilen machte in jüngerer Zeit die Clan-Kriminalität, etwa von arabischen Großfamilien in Berlin. Die meisten Baden-Württemberger beobachten das offenbar gelassen. Nur 23 Prozent sehen für den Südwesten in der Clan-Kriminalität ein großes Problem. Sehr suspekt ist vielen Menschen im Land jedoch

die Querdenker-Bewegung mit ihren Verschwörungstheorien: Rund zwei Drittel (67 Prozent) sagen, sie finden es richtig, dass der Verfassungsschutz dieses Milieu beobachtet. Nur 21 Prozent halten diese Maßnahme für übertrieben.

Eingriffe in Freiheitsrechte kein Tabuthema Um die Innere Sicherheit zu stärken, sprechen sich 82 Prozent der Befragten dafür aus, dass öffentliche Plätze verstärkt

mit Videokameras überwacht werden. Mehr als zwei Drittel unterstützen zudem Maßnahmen, die der Polizei und den Sicherheitsbehörden mehr Rechte einräumen. Ganz konkret wünschen sich zwei Drittel in diesem Zusammenhang, dass die technischen Voraussetzungen verbessert werden, damit bei dringendem Tatverdacht Telefonate, Chats und der Internetverkehr leichter überwacht werden können, jeder Zweite, dass der Datenschutz gelockert wird und

Fuchs: Bei uns in Bonn ist die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Stadtordnungsdienst außerordentlich gut. Die Polizei wünscht sich zwar, dass das Ordnungsamt noch mehr und länger Präsenz zeigt. Derzeit gibt es in Nordrhein-Westfalen aber eine eindeutige Trennung. An dieser Aufgabenteilung halten wir fest. Denn unsere Mitarbeitenden des Stadtordnungsdienstes sind nicht so ausgebildet wie Polizisten, da wir dazu auch gar nicht über die Kapazitäten verfügen. Zudem besitzen sie auch nicht alle Einsatzmittel, die Polizeibeamte nutzen können. Und der Landesgesetzgeber hat polizeiliche Aufgaben bisher nicht an die Ordnungsämter übertragen. Sperling: Das kann ich nur bestätigen. Bei uns in Bonn ist die Zusammenarbeit seit Jahr und Tag ausgesprochen gut und eng. Und das gilt nicht nur für die Bewältigung von besonderen Lagen oder mit Blick auf Großeinsätze, sondern auch in Bezug auf den alltäglichen Dienst. Besonders sichtbar wird diese enge Verzahnung bei der GABI-Wache (Gemeinsame Anlaufstelle Bonn-Innenstadt) in der City, in der Mitarbeitende von Stadt und Polizei tätig sind. Das ist ein Musterbeispiel, ein Leuchtturm. Dennoch halten wir an der klassischen Aufgabenteilung in Nordrhein-Westfalen fest. Danach ist die Polizei insbesondere für die Strafverfolgung und -ahndung sowie in NordrheinWestfalen unter anderem für das Versammlungsrecht zuständig. Die Städte kümmern sich um die originären ordnungsbehördlichen Aufgaben.

Polizei und Sicherheitsbehörden ganz generell leichter auf Daten zugreifen können. Auch ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen und der verstärkte Einsatz der Bundeswehr im Inneren finden breite Unterstützung.

Mehrheit gegen die Gründung von Bürgerwehren Wovon die große Mehrheit allerdings nichts hält, ist eine Schwächung des Gewaltmonopols des Staates. So sprechen sich drei Viertel gegen die Gründung privater Bürgerwehren aus, lediglich knapp jeder Vierte unterstützt eine solche Maßnahme. Innere Sicherheit ist nach Überzeugung der überwältigenden Mehrheit eine Aufgabe des Staates und die große Mehrheit plädiert hier auch für vermehrte Anstrengungen.

Vier Schutzwände für vier Blindgänger Seecontainer bieten gute Absicherung bei Sprengungen (BS/Sandra Kirschbaum*) 72 Seecontainer verhinderten bei einer kontrollierten Sprengung von vier Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg in Göttingen größere Schäden. Der Kampfmittelräumdienst war von der effektiven Sicherheitsmaßnahme überzeugt. Auch Krisenstabsleiter und Erster Stadtrat Christian Schmetz zeigte sich zufrieden: “Die Container haben genau das gebracht, was wir erwartet und natürlich gehofft haben.” Damit am Tag der Kampfmittelräumung Ende Januar alles reibungslos ablaufen konnte, lieferte Bloedorn Container frühzeitig die Container nach Göttingen und stattete sie vor Ort mit Flexitanks aus. So konnte der Aufbau der Wände in enger Zusammenarbeit mit der Feuerwehr zügig starten. Da in Göttingen Langzeitzünder vermutet wurden, die gesprengt werden müssen, orderte der Kampfmittelräumdienst eine massive Schutzwand: 72 Container brachten ein Leergewicht

In Göttingen kamen bei einer kontrollierten Blindgängersprengung zahlreiche Seecontainer von Bloedorn Container zum Einsatz. Foto: BS/Bloedorn Container

von 158 Tonnen auf die Waage. 65 der 72 Container wurden zusätzlich mit je 24.000 Litern Wasser befüllt – insgesamt kam

so eine Masse von 1.718 Tonnen zusammen. *Sandra Kirschbaum ist bei Bloedorn Container tätig.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / März 2021

Volle Kraft voraus

KNAPP RegMog passiert Bundesrat

OZG-Konjunkturmittel sollen im “Jahr der Umsetzung” zusätzlichen Schub verleihen

(BS/Guido Gehrt) Mit der Unterzeichnung des Verwaltungsabkommens zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), des sogenannten Dachabkommens, durch den Bund und alle (BS/pet) Nach dem Bundestag Länder wurde Ende Januar eine wichtige Rahmenbedingung geschaffen, um die Mittel aus dem Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung für eine beschleunigte Umsetzung des OZG hat jetzt auch der Bundesrat der auch operativ einsetzen zu können. Für die Länder bedeutet dies immerhin 1,4 Milliarden Euro zusätzliche Mittel für die Verbesserung der digitalen Bürger- und Unternehmens-Services. Einführung einer individuellen Das Dachabkommen hatte letztlich Bundes-CIO Staatssekretär Dr. Markus Richter unter Dach und Fach gebracht, der Ende Januar seine Unterschrift unter das Verwaltungsabkommen setzte. Bereits zuvor hatten alle 16 Länder die Vereinbarung unterzeichnet, nachdem sich die jeweiligen Landesregierungen auf der Kabinettsebene mit der Materie befassten. Dieser Prozess nahm insgesamt rund zehn Wochen in Anspruch. Nach Richters Unterschrift trat das Dachabkommen nun vereinbarungsgemäß am 30. Januar 2021 in Kraft. Entsprechend zufrieden zeigte sich dann auch der Bundes-CIO: “Ob in Passau oder Flensburg, die Ämter in ganz Deutschland müssen digitaler werden. Gerade jetzt brauchen Bürgerinnen und Bürger mehr digitale Angebote statt Wartezeiten im Bürgerbüro. Durch das Konjunkturpaket ist das nötige Geld dafür da. Mit dem Dachabkommen haben wir die Grundlage geschaffen, dass es jetzt schnell dort ankommt, wo es gebraucht wird. Wir drücken bei der flächendeckenden OZGUmsetzung nochmal deutlich auf die Tube”, erklärte Dr. Markus Richter.

Drei Milliarden Euro aus ­Corona-Konjunkturprogramm Im Rahmen des im Juni vergangenen Jahres beschlossenen Corona-Konjunkturprogramms stellt der Bund für die Beschleunigung der OZG-Umsetzung insgesamt drei Mrd. Euro zur Verfügung. Als Voraussetzung für den Erhalt von Mitteln aus dem Programm wurde auch das gemeinsame Architekturkonzept “Einer für alle” implementiert. Die Konjunkturmittel fließen zu ca. 50 Prozent in die föderale OZG-Umsetzung, zu 20 Prozent ins Bundesprogramm und zu

sort direkt) oder eine stärkere Priorisierung. Die Auswertung der Kapazitäten-Analyse soll im Rahmen des Kaminabends erörtert werden. Dieser findet traditionell am Vorabend der Sitzung des IT-Planungsrates statt, der am 17. März zusammenkommt. Parallel findet am 17.-18. März der diesjährige Fachkongress des IT-Planungsrates statt.

Föderales IT-Architekturboard errichtet

Nur wenn Richtung, Tempo und Durchschlagskraft stimmen, werden Bund, Länder und Kommunen die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes fristgerecht bis Ende 2022 abschließen können. Foto: BS/alan9187, pixabay.com

30 Prozent in den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Mit dem Dachabkommen werden die Voraussetzung für die Mittelvergabe aus dem Konjunkturpaket erfüllt und die konkreten Umsetzungskriterien festgelegt. Auf der Grundlage des Dachabkommens gehen Bund und Länder gemeinsame Verpflichtungen in der digitalen Entwicklung ein und streben dabei eine “kooperative, einheitliche, zukunftsweisende und effiziente Umsetzung” des OZG an.

Bilaterale Vereinbarungen sollen im März stehen Im nächsten Schritt sollen nun bilaterale Einzelvereinbarungen zwischen den federführenden Bundesressorts und Ländern in den jeweiligen OZG-Themenfeldern abgestimmt und unterzeichnet werden. Das Ziel des Bundes, welches in der Sitzung im Februar auch klar zu Sprache kam, war es, diese Einzelverein-

barungen und Projektanträge bereits bis Ende Februar zu erhalten. Da es aber, wie zu hören war, noch Nachsteuerungsbedarf gibt, verlagert sich das Ganze in den März. Dennoch sei man gut unterwegs, war aus dem BMI zu erfahren. Die Einzelvereinbarungen bilden gemeinsam mit dem Dachabkommen die rechtliche Grundlage für die konkrete Bereitstellung von Mitteln des Bundes aus dem Konjunkturpaket. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass der Bund hier Tempo von den Partnern auf Länderseite einfordert. In den Themenfeldern teilten sich jeweils ein Bundesressort gemeinsam mit jeweils einem Land die Federführung für die primäre Umsetzung der im Themenfeld verorteten OZGLeistungen und die dafür eingerichteten Projekte. Mit dem Bezug der Konjunkturmittel verpflichten sich die Länder, die damit finanzierten

Digitalisierungsprojekte ausschließlich nach dem “Einer-füralle”-Prinzip umzusetzen. Das Modell “Einer für alle” besagt, dass jede digitale Lösung nur einmal in einem Land entwickelt und anschließend den anderen Ländern zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt wird. Damit werden Kosten, Zeit und Ressourcen gespart, da nicht jede Lösung in den circa 11.000 Kommunen Deutschlands einzeln entwickelt werden muss.

Klarheit über Kapazitäten in den Themenfeldern Bund und Länder sind derzeit zudem gemeinschaftlich dabei, Klarheit über die Kapazitäten in den jeweiligen Projekten zu erlangen. Sollten bei dieser Analyse Schwierigkeiten erkennbar werden, will man in den entsprechenden Themenfeldern nachsteuern, entweder über den sogenannten Weg 2 (Beauftragung durch das Bundesres-

io Weitere Impress

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Im Zusammenhang mit der OZG-Umsetzung hat der IT-Planungsrat durch einen Beschluss Ende Februar ein neues Steuerungsgremium geschaffen: das föderale IT-Architekturboard. Als strategisches Instrument soll es den IT-Planungsrat aktiv bei der Initiierung und Umsetzung infrastruktureller Maßnahmen unterstützen und beraten. Unter der Leitung der FITKO sollen in Zukunft Vertreterinnen und Vertreter aus elf Ländern und dem Bund die föderale IT-Architektur aktiv managen. Bis Ende dieses Jahres wird das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) die FITKO als Co-Vorsitz unterstützen. Zur Begründung hierfür wird explizit auf die OZG-Konjunkturmittel des Bundes verwiesen. Die föderale IT-Architektur sei eng mit den Aktivitäten des OZG verknüpft. Zu den ersten Aufgaben des Boards sollen u. a. die Beschreibung und Fortführung föderaler IT-Architekturrichtlinien, die Initiierung von Architekturvorhaben sowie die kurzfristige Bereitstellung von im Kontext des OZG dringend benötigten Lösungen gehören. Die Einrichtung des föderalen IT-Architekturboards soll ein wichtiger Meilenstein beim Aufbau eines aktiven ITArchitekturmanagements sein.

n unter www.d nd Informatione

Identifikationsnummer für Bürgerinnen und Bürger im Kontakt mit der öffentlichen Verwaltung zugestimmt. Damit steht dem lang umstrittenen Registermodernisierungsgesetz nichts mehr im Wege. Erste Reaktionen fallen positiv aus: “Mit diesem Gesetz kommen wir unserem Ziel, eine moderne öffentliche Verwaltung mit einem zeitgemäßen Service zu schaffen, einen großen Schritt näher”, begrüßt der Vorsitzende des IT-Planungsrates, Jan Pörksen, den Beschluss des Bundesrats. Ähnlich äußert sich der Nationale Normenkontrollrat (NKR). Dessen Vorsitzender, Dr. Johannes Ludewig, bezeichnet das RegMog als einen Durchbruch und in seiner Tragweite mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) vergleichbar.

Kommunale Daten als Chefsache

(BS/pet) Der Deutsche Städtetag (DST) hat gemeinsam mit Partnerschaften Deutschland eine Studie zum Wert kommunaler Daten veröffentlicht. “Die Stadt der Zukunft mit Daten gestalten” präsentiert mehrere Handlungsfelder, die Einblick in die Praxis des kommunalen Datenmanagements geben. “Wenn wir heute klug mit kommunalen Daten umgehen, schaffen wir einen Mehrwert für morgen. In den Städten muss das Thema Daten Sache der Chefinnen und Chefs sein”, betont DST-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy und fordert neben rechtlichen Anpassungen ein gemeinsames Leitbild. Dadurch, dass Daten nicht neutral seien, müsse kommunale Datenpolitik am Gemeinwohl ausgerichtet werden. Das gelte nicht zuletzt für einen Ausgleich zwischen öffentlichem und privatem Sektor, für die gleiche Bedingungen geschaffen werden müssten.

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Zukunftskongress Bayern

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Behörden Spiegel / März 2021

Zukunftskongress Bayern “W

eg mit den Stuhlkreisen, hin zu tatsächlichen Serviceleistungen für Bürgerinnen und Bürger” – der Appell von Staatsministerin Judith Gerlach fällt eindringlich aus. Ohne Zweifel habe die Corona-Pandemie der Digitalisierung hierzulande entscheidende Impulse gegeben, doch gelte es nun, Errungenschaften und Mindset der letzten Monate zu verstetigen, um sich künftig noch resilienter aufstellen zu können. Wesentlicher Bestandteil einer krisenfesten Verwaltung: die bürger- und wirtschaftszentrierte Abwicklung des Online-Zugangs. Oberstes Ziel müsse es sein, mit “Qualität und Komfort” zu überzeugen, betont Gerlach. Im Freistaat fahre man darum einen Multi-Kanal-Ansatz, der neben dem stationären Angebot auch mobile Lösungen im Portfolio führe. “Mobile first ist schon seit Jahren die dominierende Strategie der führenden Unternehmen wie etwa Google und Facebook. Entsprechend steigt auch die Erwartungshaltung”, führt Gerlach aus. Mit der jüngst gelaunchten “BayernApp” biete man Bürgerinnen und Bürger nun auch auf dem eigenen Smartphone Zugriff auf staatliche und kommunale Serviceleistungen. Die App sei die erste ihrer Art in Deutschland und müsse als Version 1.0 nun sukzessive mit Leben erfüllt werden. Nicht zuletzt sei der Go-Live auch als Anstoß zu verstehen, die Phase der Theorie hinter sich zu lassen und bei der Umsetzung des OZG messbare Erfolge zu schaffen. Das ginge freilich nur im Team, meint Gerlach und ermuntert die Kommunen, das Projekt gemeinsam mit dem Land voranzubringen.

Digitalisierung ist Teamarbeit Kooperation steht für die Staatsministerin auch bei der Nutzung bereits verfügbarer OZG-Leistungen im Vordergrund. Statt die Digitalisierung aller 575 Leistungs-

2021 – ein Jahr der Umsetzung In der Praxis durchzustarten bedeute, Erfolge in die Fläche zu tragen (BS/Thomas Petersdorff/Paul Schubert) Noch gut anderthalb Jahre bleiben Bund, Ländern und Kommunen, die Anforderungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) zu erfüllen. Für die bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, höchste Zeit, in der Praxis durchzustarten und messbare Erfolge für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Ihr Aufruf: “2021 soll ein Jahr der Umsetzung werden.” Doch wird mit Blick auf das herannahende Fristende vor allem eines deutlich: Die Einschätzungen über die Machbarkeit des Großprojektes OZG divergieren mitunter erheblich. In dem Punkt bildet auch der Freistaat Bayern, der mit einem Multi-Kanal-Ansatz und 55 bereits digitalisierten OZG-Leistungen eine Sonderstellung im Konzert der Länder beansprucht, keine Ausnahme. Skeptisch bleiben nicht zuletzt die Kommunen, die sich mehr Unterstützung wünschen.

Mit Qualität und Komfort überzeugen: Die bayerische Staatsministerin Judith Gerlach plädiert für einen Multi-Kanal-Ansatz, um Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen. Foto: BS/Dombrowsky

bündel in Angriff zu nehmen, habe man sich im Freistaat für eine Strategie der Priorisierung entschieden. Nachdem man sich einen Überblick verschafft habe, welche Services am meisten genutzt würden, seien die 55 TopLeistungen Ende letzten Jahres online gegangen. Dabei bedeute Priorisierung keineswegs, den Anspruch auf Vollständigkeit fallenzulassen; erweitert werde lediglich das Zeitfenster für die Umsetzung, so Gerlach. Am Ende entscheide sich der Erfolg des OZG allerdings daran, inwieweit es gelinge, schon verfügbare Lösungen in die Fläche zu bringen. Es helfe nichts, Leistungen zu digitalisieren, wenn diese daraufhin nicht in den Kommunen – und

damit bei den Bürgerinnen und Bürgern – ankämen. Nach Ernst Bürger, Abteilungsleiter “Digitale Verwaltung, Steuerung OZG” im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), entwickelt sich der Prozess gut. So seien bereits über die Hälfte der OZG-Leistungen verfügbar. Diese allerdings nicht flächendeckend und in der erforderlichen Qualität. Dennoch hätten im Freistaat Bayern “bis Ende 2020 die wichtigsten Leistungen zur Verfügung” gestanden, so Dr. Vanessa Greger, vom Referat Digitale Verwaltung im Bayrischen Staatsministerium für Digitales (STMD). Die Referatsleiterin erklärt weiter, dass “die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den

Verwaltungen fit gemacht werden müssen, die dürfen nicht allein gelassen werden”. Die wichtigsten Leistungen sind derweil bereits aktiv, darunter etwa die Beantragung des Führerscheins, des Bewohnerparkausweises und des Wohngelds. Ermöglicht wird dies u. a. mit dem Konjunkturpaket des Bundes, das die Förderung des Projektes mit drei Milliarden Euro unterstützt. Besonders wichtig sei es dabei, dass “die Bedienung für die Bürger benutzerfreundlich” sei, betont Bürger. Der kommunalen Ebene falle dabei die wichtigste Rolle zu, da dort der engste Berührungspunkt mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen sei. Bei der Bewältigung der Digitalisierung bedienten sich kleine Kommunen vor allem am Markt oder nutz-

Foto: BS/Dombrowsky

(BS/Paul Schubert/Benjamin Stiebel) IT-Betrieb ist ein Ressourcenfresser. Und er wird aufwendiger, je agiler und krisenfester man ihn aufstellen will. Das betrifft längst nicht nur die Technik. Ohne ein ordentliches ITSicherheitsmanagement geht es nicht. Spätestens seit den Erfahrungen mit der Pandemie werden auch Rufe nach einem IT-Notfall-Management oder Business-Continuity-Management lauter. Kleine Organisationen und Kommunen können all das nicht mehr allein leisten. Das Gebot der Stunde daher: Zentralisierung. Der Trend geht dahin, möglichst viele Aufgaben bei gemeinsamen Rechenzentren zu bündeln.

Aufwände steigen Die Herausforderungen liegen vor allem bei den kleineren Kommunen. Dort werden aufgrund der mangelnden Personalstärke mehr Aufgaben auf eine Person konzentriert. Dr. Matthias Kampmann, Mitarbeiter im ITSicherheitscluster e. V., weist auf die Bedeutung von ISIS12 hin. Hierbei handelt es sich um ein Regelwerk zur Einführung eines IT-Sicherheitsmanagementsystems, welches spezifische Maßnahmen für die Steigerung der Informationssicherheit enthält. Es wird unter anderem kom-

Vor allem im Hinblick auf den steigenden Bedarf an Homeoffice bzw. Remote-Aktivitäten wachsen die Herausforderungen auch für die IT-Sicherheit. Das soll aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass das Risiko für Sicherheitslücken größer wird.

Foto: BS/Dombrowsky

Homeoffice im Griff Katheder formuliert den Königsweg: “Ich habe keine Daten zu Hause. Die liegen im zentralen Rechenzentrum. VPN-Tunnel und Geräte werden gepatcht, genau wie Sicherheits- und Virenscanner.” Dem schließt sich Kampmann an, gleichzeitig legt er aber auch Wert auf “DSGVOkonforme Standards und eine saubere Arbeit auf der rechtlichen deutschen und europäischen Gesetzesgrundlage”. Die IT-Risiken beim Arbeiten außerhalb des Büros sind somit begründet, können aber durch gewissenhafte Sicherheitsstandards auf ein Minimum reduziert werden.

Davon weicht die kommunale Perspektive doch erheblich ab. Für Dr. Uwe Brandl, erster Bürgermeister von Abensberg und Präsident des Bayerischen Gemeindetags, ist der Föderalismus mit einer der Gründe, weshalb sich die Digitalisierung in Form des OZG eher schleppend anlässt. “Wir sind nicht da, wo wir sein sollten”, konstatiert er und fügt an: “Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die föderale Systematik nicht für die notwendigen einheitlichen Prozesse die beste Plattform und

(BS/pet) Für Thomas Bönig, CDO und CIO der Landeshauptstadt München, stehen die Zeichen im Jahr 2021 auf Tempo. Um die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) mit Blick auf das nahende Fristende im Jahr 2022 in die richtige Spur zu lenken, plädiert er für eine gezielte Auswahl derjenigen Themen, die bei Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich nachgefragt sind. Statt auf Vollständigkeit aller 575 Leistungsbündel solle man sich auf qualitativ hochwertige Services konzentrieren. Für Bönig ein Manko des OZG: Das Ausklammern der Verwaltung, die ungeachtet des Online-Zugangs für Bürger auch künftig auf Fax und Drucker angewiesen sein wird. Man konzentriere sich auf die falschen Dinge – das aber so konsequent wie möglich. Neben der Digitalisierung des Backoffices fordert Bönig mehr Zentralismus. Weit effektiver als das Prinzip “Einer für alle” (EfA) sei eine Plattform, die zentral alle Prozesse zur Verfügung stelle, ein “Amazon” für Kommunen. So könnten diese sich auf das fokussieren, was zählt: das eigene Angebot sowie die dahinterstehenden Prozesse zu verbessern.

RegMoG: die nächste Mammutaufgabe

Kommunalen IT-Betrieb ressourcensparend und sicher ausrichten

munal genutzt und gefördert. In Kürze steht ein Update an, mit dem der Verein auf die steigende Komplexität der Abläufe reagiert. Generell wachsen die Aufgaben im IT-Betrieb, je mehr Abläufe in einem Unternehmen oder in den Verwaltungen getätigt werden. Dennoch müssen sich die Sicherheitskonzepte immer der Infrastruktur unterordnen und die Kopplung dieser Mechanismen verbessert werden. Auch kleinere Unternehmen und Kommunen fangen an, ihre ITDienstleistungen auszulagern. Der Trend geht vor allem dahin, Aufgaben an zentrale Rechenzentren abzugeben. Dies gilt allerdings auch für größere Kommunen und sogar die Bundesländer. Schwierig werde es, wenn selbst Laien in Organisationen die IT übernehmen, so Kampmann. Er plädiert für eine Zentralisierung der Dienstleistungen und fordert mehr Transparenz bei den Anbietern und mehr Open-SourceModelle.

Hemmfaktor Föderalismus

Amazon für Kommunen statt bloßer Online-Zugang – Thesen zur OZG-Umsetzung

“Je zentraler, desto besser”

“Je zentraler, desto besser”. So das Motto von Bernd Katheder, Leiter der Abteilung Sicherheitsberatung im Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI). Ein kommunales Behördennetz der IT sei zu präferieren, zentrale Dienstleistungen resultierten in besserer Qualität und besserer Versorgung, so Katheder.

ten zentrale Lösungen. Große Kommunen und Städte wollten lieber interne Ansätze verfolgen. Ziel solle es nach Greger aber sein, dass “Deutschlandweit ein eigener Weg gefunden wird“.

den besten Katalysator bietet. Da helfen auch drei Milliarden Euro für die Umsetzung des OZG kaum.” Brandl sieht Bund und Länder in der Pflicht, gemeinsam mit den Kommunen die Voraussetzungen für solch einheitliche Systeme zu schaffen; die Verwaltung mitsamt ihren Fachverfahren eingeschlossen. Doch nicht nur das: Wie Brandl ausführt, ist Digitalisierung mehr als nur E-Government und digitale Verwaltungsabläufe. Digitalisierung bedeute schließlich auch, ein vollkommen neues Ökosystem zu schaffen. Vor allem für den ländlichen Raum seien hier große Potenziale zu heben, die perspektivisch einen Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse leisten könnten. Entscheidend sei, dass nun Tempo aufgenommen und sich von einem Denken verabschiedet werde, das analoge Prozesse digitalisieren wolle. “Digitalisierung ist ein umfassendes und umwälzendes Umbauprojekt, das über die digitale Abbildung bisher analoger Vorgänge weit hinausgeht. Erst durch die Vernetzung zuvor meist getrennt voneinander agierender Bereiche entstehen bislang ungenutzte Mehrwerte.”

(BS/stb) Christian Bähr, Abteilungsleiter Digitale Verwaltung im Bayerischen Staatsministerium für Digitales, sieht im gerade vom Bundesrat beschlossenen Registermodernisierungsgesetz (RegMoG) einen wesentlichen Meilenstein für die nächsten Jahre. Damit werde ein gordischer Knoten für die digitale Verwaltung zerschlagen. Die vonseiten der Datenschützer vorgetragenen grundsätzlichen Vorbehalte gegen eine Personenkennziffer hält er für unbegründet, schließlich organisierten inzwischen 21 EU-Länder die Daten ihrer Bürgerinnen und Bürger ebenfalls zentral mithilfe einer einheitlichen Bürgernummer. Gleichzeitig weist Bähr auf die Sensibilität der Daten und die besondere Verantwortung der Verwaltung hin, die Systeme und Abläufe datenschutzkonform und sicher zu gestalten. Der Beschluss zur Registermodernisierung sei nur die Grundlage – mit der praktischen Verknüpfung der Register stehe die Verwaltung vor einer neuen Mammutaufgabe.

Cyber-Sicherheit: Bayern ist vorbereitet

Foto: BS/privat

(BS/sp) Nach Bernd Katheder, Leiter der Abteilung Sicherheitsberatung im Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) in Bayern, ist der Freistaat in puncto Transparenz in der IT-Sicherheit gut aufgestellt. Das Land besitze die entsprechenden Kommunikationskanäle zwischen den Behörden und könne im Einzelfall zielgerichtet über IT-Gefahren informieren. Im Allgemeinen ist Katheder zuversichtlich, was die Cyber-Sicherheit in seinem Bundesland angeht. So besitze Bayern einen “Awareness-Kurs” der sich an Staatsbedienstete oder Mitarbeitende in Kommunen richte und sich spezifisch mit aktuellen Interessenfeldern in der IT befasse. Auch das kommunale IT-Sicherheitssiegel trage zu diesem Erfolg bei. Mit dem Besitz des Siegels könnten einzelne Kommunen Rabatte bei einzelnen Versicherungen erhalten. Besonderen Augenmerk legt Katheder auch auf die Bildung von Arbeitsgruppen zwischen Ländern und Kommunen, in denen vor allem Fälle aus der Praxis diskutiert und gelöst werden sollen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / März 2021

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er in der Bundeswehr an Innovationsmanagement denkt, hat zuallererst das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm der Bundeswehr (KVP) im Kopf. Das KVP ist die Antwort des Verteidigungsressorts auf die durch das Bundesministerium des Innern erlassene “Rahmenrichtlinie für das Ideenmanagement in der Bundesverwaltung”. Die Zielsetzung besteht dabei im Wesentlichen in der Verbesserung von Verfahren und Regelungen sowie von Material und Einrichtungen. Zudem sollen durch das KVP die Betriebssicherheit erhöht sowie die Arbeitszufriedenheit gesteigert werden. Warum also jetzt noch Intrapreneurship in die Bundeswehr einführen? Ist das nicht genau dasselbe, nur mit einer etwas mehr nach Start-up klingenden Bezeichnung? Sowohl das KVP als auch In­ trapreneurship setzen dabei zwar gleichermaßen auf kreative Köpfe in der Organisation und möchten deren Innovationspotenzial systematisch nutzen, unterscheiden sich allerdings erheblich in der Art und Weise der Umsetzung: Während das KVP die “Ideengeber” (also die innovativ denkenden Mitarbeiter) ausschließlich zu Beginn des Prozesses in einer aktiven Rolle sieht und die Umsetzungsverantwortung auf die fachlich in der Organisation Zuständigen übertragen wird, sind beim Intrapreneurship die Ideengeber selbst die treibende Kraft. Die Ideengeber sollen mit allen Fähigkeiten und Ressourcen ausgestattet werden, die sie zur Realisierung der Idee benötigen. Dies bedeutet nicht nur, zeitliche und finanzielle Ressourcen bereitzustellen, sondern vor allem auch, die Ideengeber zu “empowern”, also ihnen die nötigen Fähigkeiten zu vermitteln. So steht idealerweise am Ende des Prozesses nicht nur eine Problemlösung, sondern eine Person, die in der Anwendung von agilen Methoden und anderen Kompetenzen geschult ist, die sie auch im täglichen Dienst effektiv einsetzen kann. Intrapre­neurship führt somit nicht nur intelligente Problemlösungen von innen herbei, sondern vermittelt darüber hinaus die Befähigung zu agilem Arbeiten und ein agiles Mindset: Eigenschaften, die in hohem Maße auf die Herausbildung einer Innovationskultur in der Bundeswehr einzahlen. Dabei kann und soll Intrapre­ neurship nicht das KVP der Bun-

Intrapreneurship in der Bundeswehr Wie die Streitkräfte sich von innen reformieren (BS/Dr. Stephan Abel) Intrapreneurship beschleunigt die Innovation in einer Organisation, indem es eine längst vorhandene und oft vernachlässigte Ressource aktiviert: die eigenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Zusammengesetzt aus den Begriffen “intracorporate” (Binnenunternehmen) und “entrepreneurship” (Unternehmertum) ist dieser “Wandel von Innen heraus” im deutschsprachigen Raum selbst in der Privatwirtschaft noch nicht sehr weit verbreitet und im öffentlichen Sektor nicht vorhanden. Daher leistet der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw, seit 01.01.2020 eine Abteilung der BWI GmbH) mit der Einführung von Intrapreneurship in die deutschen Streitkräfte Pionierarbeit.

Insgesamt 81 Ideen für Verbesserungsmöglichkeiten bei der Bundeswehr gingen zur aktuell laufenden Smart Solutions Challenge ein. Foto: BS/Bundeswehr, Jane Schmidt

haben gelernt, dass es in der Bundeswehr viel mehr innovative Köpfe gibt, als wir zu hoffen gewagt hatten. Sie warten nur darauf, mit einem starken Partner ihre Ideen voranzutreiben.” Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr organisiert zudem groß angelegte Innovationswettbewerbe, wie im Jahr 2020 mit der Einsatzflottille 1 der Marine und aktuell mit den beiden Universitäten der Bundeswehr. Diese “Smart Solutions Challenge” fordert die Mitarbeiter dazu auf, ihre innovativen Ideen einzureichen und wird dabei von der Führungsebene aktiv unterstützt. Im Rahmen der momentan laufenden Smart Solutions Challenge wurden insgesamt 81 Ideen “gehoben”, von denen jetzt elf weiterverfolgt werden.

Von der Idee zum Minimum Viable Product

Ist eine Idee erst gefunden und wurde positiv bewertet, so wie die elf Ideen der aktuellen Challenge, geht sie gemeinsam mit dem Team CIHBw auf die Reise: Pro­ blem und Lösungsidee werden von allen erdenklichen Seiten kritisch beleuchtet und hinterfragt. Hier geraten die Jung-Intrapreneure nicht selten gehörig ins Schwitzen, denn die Idee wird rigoros getestet. Häufig sieht Dr. Stephan Abel ist im Cyber Innovation Hub der Bundesder Lösungsanwehr mit seinem Team für die satz dann auch Einführung und Etablierung ganz anders aus von Intrapreneurship in der als vorher. Dieses Bundeswehr verantwortlich. schnelle AusproEr ist als Luftwaffenoberst zur bieren und ständiBWI GmbH beurlaubt. ge Verändern von Lösungsansätzen Foto: BS/CIHBw liegt in der Natur des agilen Vorgedeswehr ersetzen, sondern sinnvoll hens. Dabei kommen etablierte ergänzen, wobei folgender Leitsatz Methoden zum Einsatz, die sich als Anhalt dienen kann: Je wich- in zivilen Start-ups und militätiger die Rolle der Ideengeberin rischen Innovationseinheiten bzw. des Ideengebers bei der Wei- bewährt haben. Hierfür verfügt terverfolgung der Lösungsidee ist, das Team des CIHBw über einen desto eher ist es Intrapreneurship. erprobten “Methodenkoffer”, der u. a. diverse Möglichkeiten zum Intrapreneurship – Vision Testen von Ideen und Lösungen und Mission beinhaltet. Nach dem Test der Im Cyber Innovation Hub der Ideen erfolgt das Mapping der Bundeswehr bildet Intrapreneur- benötigten Fähigkeiten. ship neben Start-up-Engagement “Wir erarbeiten gemeinsam, (Kooperation mit Start-ups) und welche Fähigkeiten der Intrapre­ Y.Lab (prototypische Software- neur zur Weiterentwicklung seiEntwicklung) die dritte Säule. Alle ner Idee mitbringt und welche drei Säulen verfolgen dasselbe zusätzlich benötigt werden. Die Ziel: Innovative Problemlösungen identifizierten Lücken füllen wir für die Bundeswehr zu finden, dann auf, durch Ausbildung, weiterzuentwickeln, zu testen und Freikämpfen zeitlicher Ressourder Bundeswehr zur Einführung cen in enger Abstimmung mit den vorzuschlagen. Dabei sucht In­ Vorgesetzten oder auch durch trapreneurship innovative Köpfe Untervertragnahme eines exterinnerhalb der Organisation mit nen Dienstleisters”, so Krahn. unternehmerischem Denken.

Wie findet man Intrapreneure in der Bundeswehr? “Immer häufiger finden die In­ trapreneure uns”, so Jan Krahn, Projektmanager im CIHBw. “Wir

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Cyber Resilience Gamification

In der Praxis sieht das aus wie bei diesem realen Beispiel aus der letzten Innovation Challenge: Ein Intrapreneur aus der Führungsakademie der Bundeswehr

hatte ein Brettspiel entwickelt, das beim Spielen die Cyber Resilience der Spieler signifikant

verbessert. Solche GamificationAnsätze haben sich vielfach bewährt, um Kompetenzen durch

Nutzung spielerischer Elemente zu vermitteln, sie werden auch in der Bundeswehr erfolgreich eingesetzt. Daher soll das Spiel einem möglichst großen Nutzerkreis zugänglich gemacht werden, um die Idee weiter zu validieren. Zur Realisierung dieses Vorhabens bringt dieser spezielle Intrapreneur im konzeptionellstrategisch-methodischen Bereich alle benötigten Fähigkeiten bereits mit: Was ihm fehlt, sind Kenntnisse in Software-Ergonomie und digitaler Gamification. Diese Expertise liefert dann ein externer Anbieter aus der Startup- und Gamification-Szene, den der CIHBw unter Vertrag nimmt und dem Intrapreneur zur Seite stellt. Um eine schnelle Umsetzung gemeinsam mit den exter-

nen Partnern zu ermöglichen, erhält der Intrapreneur zudem eine Ausbildung in ­SCRUM, einer gängigen Methode des Projektmanagements. Dieses Vorgehen schließt die Lücken bei den benötigten Fähigkeiten und ermöglicht die Entwicklung eines Prototyps mit deutlichem Anwendernutzen, eines sogenannten “Minimum Viable Products” (MVP).

Intrapreneurship in der ­Bundeswehr Bei Intrapreneurship handelt es sich um ein für die Bundeswehr und die öffentliche Verwaltung in Deutschland neuartiges Konzept, das weiter geht als die traditionellen Instrumente des Innovationmanagements. Erste Erfolge in der Bundeswehr stellen bereits unter Beweis, dass Intrapreneurship auch für den öffentlichen Sektor ein geeignetes Konzept darstellt, um innovative Ideen nicht nur zu heben und in die Organisation einzusteuern, sondern die Mitarbeiter-innen in die Lage zu versetzen, ihre Ideen selbst erfolgreich in die Organisation zu bringen. Am Ende entstehen nicht nur viele einzelne Ideen – sondern eine neue Innovationskultur.

E-TRAINING: Projektmanagement Basiszertifikat (GPM) Kurz und knackig auf den Punkt gebracht

Ihr Einstieg in das Projektmanagement im öffentlichen Sektor Sie möchten zum Erfolg von Projekten beitragen und die Projektmanagement-Methoden kennenlernen und anwenden? Eine Qualifizierung durch das anerkannte „Basiszertifikat für Projektmanagement (GPM)“ bietet Ihnen dafür den optimalen Einstieg. In diesem E-Training erlernen Sie die Grundlagen, um Projekte zielorientiert, termingerecht und mit der notwendigen Qualität zu planen und zu steuern und es bereitet Sie auf die Prüfung „Basiszertifikat für Projektmanagement (GPM)“ vor. Anhand von Übungsprojekten erfolgt die konkrete und praxisgerechte Anwendung der vermittelten Methoden.

THEMENÜBERBLICK:

• Grundlagen des Projektmanagements • Projektorganisation • Projektstart- und Projektplanungsphase • Teamarbeit und der Beitrag des Einzelnen für den Projekterfolg • Projektdurchführung und Projektabschluss

TERMINE 2021 Projektmanagement Basiszertifikat (GPM): • 26.04.-30.04.2021 • 31.05.-04.06.2021 • 05.07.-09.07.2021 • 30.08.-03.09.2021 • 06.12.-10.12.2021

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort „Projektmanagement“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com


Informationstechnologie

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ehörden Spiegel: Sie haben im vergangenen Jahr eine einmonatige Übergangszeit gemeinsam mit Ihrem Amtsvorgänger Hartmut Beuß absolviert. Wie war das?

Prof. Dr. Meyer-Falcke: Durch die überlappende Übergabe konnten wir einen sehr guten Wissenstransfer und ein hohes Maß an Kontinuität sicherstellen. Zudem war dieser gemeinsame und sehr harmonische Übergang auch ein gutes Signal an das gesamte Team im Hause. Unter Personalentwicklungsaspekten war es sicherlich auch das, was sich viele Menschen an anderer Stelle wünschen würden. Die eigentliche Übergabe konnten wir dann in Form einer Schlüsselübergabe auf dem ÖVSymposium, dem Branchentreffen der öffentlichen Verwaltung in NRW unter Schirmherrschaft des CIOs, durchführen – pandemiebedingt leider nur virtuell. Behörden Spiegel: Welche Meilensteine sehen Sie in nächster Zeit? Prof. Dr. Meyer-Falcke: Hier möchte ich drei Jahreszahlen nennen. Da ist zunächst das jetzige Jahr, denn die Landtagswahl 2022 wirft bereits in diesem Jahr ihre Schatten voraus. Der nächste Meilenstein liegt im Jahr 2023, wenn die OZG-Umsetzung

Behörden Spiegel / März 2021

Schluss mit 125-Prozent-Lösungen Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung braucht mehr Agilität und Geschwindigkeit (BS) Prof. Dr. Andreas Meyer-Falcke übernahm mitten in der Corona-Pandemie – zum 1. September 2020 – das Amt des CIOs der Landesregierung. Seinen Dienst hat er jedoch bereits zum 1. August angetreten, als sein langjähriger Vorgänger Hartmut Beuß noch im Amt war. Diese Übergangszeit war u. a. Thema eines Interviews, welches er Behörden Spiegel-Redakteur Guido Gehrt in seinem Düsseldorfer Büro gab.

“Ich muss den Beschäftigten selber vermitteln, dass es Spaß macht, digital zu denken, digital zu arbeiten.”

Prof. Dr. Andreas Meyer-Falcke war vor seinem Amtsantritt als CIO seit August 2012 als Beigeordneter der Landeshauptstadt Düsseldorf zuständig für die Bereiche Personal, Organisation, IT, Gesundheit und Bürgerservice. Foto: BS/B. Bauer

– hoffentlich komplett – abgeschlossen sein wird. Der letzte Meilenstein liegt schließlich Ende 2025, wenn das E-GovernmentGesetz umgesetzt sein wird und damit die digitale Verwaltung in Nordrhein-Westfalen Realität ist. Behörden Spiegel: Wie läuft die Transformation hin zur digitalen Verwaltung?

Prof. Dr. Meyer-Falcke: Wir haben in den letzten Jahren viel Energie darauf verwendet, das Programm DVN, also Digitale Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, umzusetzen, sprich die klassische Binnen-Digitalisierung voranzutreiben: E-Akte, E-Laufmappe, EPayment, E-Rechnungsportal, das Personalwirtschaftssystem “my. NRW” etc. Das sind alles Produkte,

Von Dienstposten und Laptops Digitale Ausstattung versus Wirtschaftlichkeit?

die sich nach innen auf unsere Landesverwaltung beziehen. Diese hat im Kern 150.000 Beschäftigte; wenn man Hochschulen, Schulen, Polizei etc. dazurechnet, 450.000. In den letzten Jahren wurden mit den Ressorts Projektstrukturen aufgebaut und Grundlagenprojekte in der Federführung des CIOs durchgeführt. Diese sind weitgehend abgeschlossen und in die Verantwortung der Ressorts überführt worden. Nun gilt es, die Ressorts eng zu begleiten, die erarbeiteten Prozesse aus der Grundlagenphase kontinuierlich weiterzuentwickeln und eine Balance zwischen der notwendigen Standardisierung und den jeweiligen Ressort-Bedürfnissen zu schaffen.

Prof. Dr. Meyer-Falcke: Wir müssen uns davon verabschieden, bei der Digitalisierung immer in 125 Prozent korrekten Lösungen zu denken. Wenn ich eine 125-prozentige Lösung haben will, dann brauche ich ewig und drei Tage, um dahin zu kommen. Vorteil ist sicherlich, dass in diesem Fall jede Eventualität abgesichert und abgebildet ist. Ich habe nur leider viel, viel zu lange gebraucht, um das Ziel zu erreichen. In der Zwischenzeit haben sich wohlmöglich die Rahmenbedingungen geändert. Das ist ja der Grund, warum wir heute agiler arbeiten als in der Vergangenheit.

der Verwaltungsdigitalisierung zukünftig mehr Tempo aufzunehmen?

der OZG-Umsetzung kommt uns die Entscheidung der Bundesregierung zupass, im Rahmen des

(BS/Marcel “Otto” Yon/Anja Theurer*) Der aktuelle Jahresbericht der Wehrbeauftragten enthält umfang­ reiche Ausführungen zum Stand der Digitalisierung in der Bundeswehr. Die Erkenntnisse sind ernüchternd. Behörden Spiegel: Wie sieht es Berichtet wird, dass Angehörige der Bundeswehr unter anderem über die schleppende Einrichtung von Telearbeitsplätzen oder über unzureichende Serverkapazitäten für Videokonferenzen klagen. Auf die Frage: Behörden Spiegel: Die von bei der Umsetzung des Onlinezu“Was wünscht du dir von der Bundeswehr?” antworteten Soldatinnen und Soldaten eines Standortes: “Funk­ Ihnen beschriebenen Projekte gangsgesetzes (OZG) aus? tionierendes WLAN und die Digitalisierung der Stundenzettel.” Es fehlen, mit anderen Worten, Standards, die haben allesamt eine lange LaufProf. Dr. Meyer-Falcke: Bei zeit. Wie schaffen wir es, bei an anderer Stelle im beruflichen wie privaten Umfeld schon längst als “gesetzt” gelten dürften. Die Bewertung der beschriebenen Situation ist mehrdimensional. Teilweise ist eine Aufrüstung der technischen Ausstattungen längst beschlossen, infolge (zu) komplexer Prozesse ist diese aber noch nicht im nachgeordneten Bereich angekommen. Noch bedenklicher ist allerdings die strategische Dimension, wonach im Namen einer fragwürdigen Interpretation von Wirtschaftlichkeit seit min. zehn Jahren an der falschen Stelle gespart wird. Ein Umdenken ist erforderlich: 1. Weg vom Primat des Desktops, hin zu mobilen Endgeräten Die Bundeswehr hat bis zur Pandemie überwiegend auf Desktops gesetzt. Im Zuge der Pandemie wurden erhebliche Fortschritte gemacht, sodass sogar auf Bataillonsebene Laptops angekommen sind. Diese Erneuerung muss zügig abgeschlossen werden. Der Desktop hat ausgedient. 2. Ortsunabhängiges Arbeiten muss Standard sein, nicht Ausnahme Bis zur Pandemie war auch für die wenigen Laptops standardmäßig nur der Anschluss per LAN im Bw-Netz vorgesehen. Nur wenige Laptops wurden zusätzlich mit GENU-Box, SINA-Karten oder RAS-Lösung ausgestattet, um sich von außerhalb einwählen zu können. Lobend zu erwähnen ist die Soforthilfe in der Pandemie: Auf zahlreichen Laptops wurde die Möglichkeit eingerichtet, sich per Open VPN ortsunabhängig, also auch von zu Hause aus, mit dem Bw-Netz zu verbinden. Allerdings ist die Bundeswehr weit davon entfernt, dass alle Laptops über Open VPN (oder vergleichbare nutzerfreundliche Lösungen) verfügen. Selbst die Arbeitsplätze im Rahmen eines erst 2018 gestarteten, umfangreichen E-Learning-

Ausstattungsprojekts können bis heute nur in der Bw-Liegenschaft genutzt werden. Im Übrigen endet die temporäre Nutzungsgenehmigung für Open VPN im Sommer. Fraglich ist, was danach passiert. 3. Ortsunabhängiges Arbeiten muss unkompliziert sein Auf jeden Fall muss eine nutzerfreundliche Lösung wie Open VPN her. Ganz verzichten sollte die Bundeswehr auf den sogenannten “Telearbeitsplatz” – ein von Richtlinien überladener Anachronismus. 4. Jede Soldatin und jeder Soldat braucht eine Anbindung an eine dienstliche E-Mail und Intranet Schätzungsweise 20 Prozent der Beschäftigten des Geschäftsbereichs BMVg verfügen über keinen Zugang zu dienstlicher E-Mail oder In­ tranet. Das ist im Jahr 2021 inakzeptabel. Genau wie bei der Glasfaserabdeckung in Deutschland darf es auch beim Zugang aller Bundeswehrangehörigen zu Standard-IT keine weiße Flecken mehr geben. So werden Beschäftigte de facto gezwungen, Nachrichten mit dienstlichen Inhalten über private Endgeräte auszutauschen – gegen die Richtlinien der Bundeswehr. 5. Personenbezogene Ausstattung statt Inventar-Verwaltung Die bis heute übliche Praxis, Hardware Dienstposten-bezogen auszugeben, führt in der Praxis dazu, dass Soldaten zu Beginn eines Lehrgangs oder einer neuen Verwendung mit Hardware ausgestattet werden und diese vor der nächsten Versetzung wieder abgeben müssen. Die hiermit verbundenen Prozesse der Materialverwaltung sind aufwendig und die ohnehin knappen personellen

Ressourcen werden für unnötige administrative Tätigkeiten gebunden. Alle Soldatinnen und Soldaten sollten auch unabhängig von ihrer jeweiligen Verwendung wenigstens mit Tablet, Smartphone, Mini-PC Stick o. Ä. ausgestattet werden. Die technischen Lösungen sind seit zehn Jahren im Markt verfügbar und gelten außerhalb des öffentlichen Sektors als Standard. Andere Streitkräfte, wie z. B. in den Niederlanden, aber auch einige deutsche Behörden haben die o. g. Prinzipien bereits seit einigen Jahren implementiert. Wenn die Bundeswehr heute hinter der Zeit liegt, dann nicht, weil es technisch oder rechtlich nicht ginge. Auch das Wirtschaftlichkeitsgebot, das uns die Bundeshaushaltsordnung zu Recht auferlegt, darf nicht als Ausrede missbraucht werden. Dessen aktuelle Interpretation und Anwendung sind hoch problematisch, da weder Opportunitäts-, Personal- oder Bürokratiekosten angemessen berücksichtigt werden. Auch dürfte die Attraktivität der Arbeitgebermarke Bundeswehr unter den beschriebenen Rahmenbedingungen leiden. Es bleibt nur der Schluss, dass auch die Bundeswehr selbstbewusst den Anspruch erheben dürfen muss, auf der Höhe der Zeit zu sein, professionell arbeiten und sinnvoll mit der Außenwelt interagieren zu können. *Marcel “Otto” Yon und Anja Theurer sind Gründer und Vorstand von Staat-up e. V. (www. staat-up.com), der es sich zur Aufgabe macht, Angehörige des öffentlichen Dienstes als “Public Entrepreneurs” zu befähigen und die Transformation des öffentlichen Sektors zu beschleunigen. Beide Autoren sind Stabsoffiziere der Reserve der Bundeswehr. Die Autoren geben in dem Beitrag ausschließlich ihre persönliche Meinung wieder.

Corona-Konjunkturpakets die Länder mit drei Milliarden Euro insgesamt zu unterstützen. Da bleibt für Nordrhein-Westfalen eine Summe von immerhin rund 500 Millionen Euro übrig, von denen insbesondere auch die Kommunen profitieren werden. Hierbei nutzen wir unsere gute Kooperationsstruktur mit dem Dachverband der kommunalen Dienstleister KDN. Denn derartige Beträge kann man nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilen, sondern muss sie vielmehr zielgerichtet und effizient einsetzen. Behörden Spiegel: Braucht man im Zuge der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung nicht auch mehr Marketing als bislang? Prof. Dr. Meyer-Falcke: Absolut, und zwar nach innen wie nach außen. Ich muss den Beschäftigten selber vermitteln, dass es Spaß macht, digital zu denken, digital zu arbeiten. Zudem muss ich ihnen die Sorge nehmen, dass sie durch die Digitalisierung ersetzt werden. Vielmehr bietet die Digitalisierung für viele Beschäftigte die Chance, sie von Routine-Tätigkeiten zu entlasten und abwechslungsreicheren Tätigkeiten nachgehen zu können. Dies steigert letztlich auch die eigene Motivation. Das Marketing nach außen sehe ich nicht als eine Aufgabe nur der Kommunen oder des Landes, sondern als gemeinsame Herausforderung. Und ich hätte kein Problem damit, wenn der Bundes-CIO Markus Richter eine umfassende Kampagne zu digitalen Verwaltungsleistungen über alle Verwaltungsebenen hinweg anregen würde. Es ist doch egal, ob ich eine Bundes-, eine Landes- oder eine kommunale Leistung nach vorne stelle. Wichtig ist, der Bürgerin, dem Bürger zu erklären: Wir machen etwas Gutes für Euch.

Mit Open Source Alternativen schaffen Digitale Souveränität ist auch eine Frage der Wahlfreiheit (BS/pet) Datenschutzrechtlich bedenklich, kostenintensiv, intransparent – seit Längerem ist der Einsatz pro­ prietärer Software im Öffentlichen Dienst nun schon Stein des Anstoßes in der Debatte um digitale Souveränität in Deutschland. Dabei ist die Durchdringung gerade mit Produkten der Firma Microsoft noch immer immens hoch. Als veritable Alternative setzt die Verwaltung zusehends auf Anwendungen basierend auf Open-SourceTechnologie. Wichtiger noch als die konkrete Lösung ist hingegen der Umstand, überhaupt eine Wahl zu haben. Im Oktober 2019 veranlasste die US-amerikanische Regierung unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump einen Stopp aller Transaktionen zwischen Unternehmen aus den USA und Venezuela. Betroffen von den Sanktionen war damals u. a. auch der Software-Hersteller Adobe, der den Zugriff auf seine Creative Cloud für Nutzer aus Venezuela sperren sollte. Nach Gesprächen mit der Regierung wurde die Order kurz vor Deaktivierung zurückgenommen. Nun ist Donald Trump nicht mehr im Amt, die Furcht vor dem digitalen Shutdown aber ist geblieben. Auch in Deutschland. Schon seit Längerem mehren sich Stimmen, die fordern, im Sinne digitaler Souveränität die bisherige Abhängigkeit von Tech-Giganten des Auslands zu verringern. Dabei sei die Durchdringung, die man vor allem im Bereich der Software habe, noch immer “gigantisch”, sagt Dr. Hartmut Schubert, Staatssekretär im Thüringer Finanzministerium und Beauftragter des Freistaats für E-Government und IT (CIO). Zwar sei die Wahrscheinlichkeit sehr gering, doch müsse man zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ein ähnliches Szenario wie in Venezuela auch hierzulande stattfinden könne.

Großer Schritt steht aus Ein strategischer Hebel auf dem Weg hin zu mehr digitaler Selbstbestimmung ist die

Open-Source-Technologie. Im Gegensatz zu proprietären Produkten setzt Open Source – der Name kündigt es an – auf offene Quellcodes, was auch Modelle kooperativer Weiterentwicklung ermöglicht. Das birgt vielerlei Vorteile, die nun auch die Verwaltung u. a. im Rahmen der Strategie “Einer für alle” (EfA) für sich nutzen will. Im Freistaat Thüringen beispielsweise verpflichtet das E-GovernmentGesetz des Landes schon heute dazu, bei jeder SoftwareNeuanschaffung zu prüfen, ob Alter­nativen auf Basis von Open Source bereitstehen. Obwohl sich die Lage inzwischen gebessert habe, stehe der große Schritt bei Open-Source-Software noch aus, räumt Schubert ein. Als einen Grund für den mitunter noch zögerlichen Einsatz macht der Landes-CIO auch Bequemlichkeiten auf Nutzerseite aus, zumal bei Anwendungen, die schon länger in Gebrauch sind. Hinzu kämen Komplexitätshürden, sodass in einigen Fällen keine einschlägige Lösung als Open Source bereitstehe. “Es wird auch immer Anwendungen geben, wo wir auf proprietäre Software zurückgreifen müssen”, so der CIO. Dennoch müsse langfristig vorgegeben werden, auf offenen Quellcode umzusteigen. Sowohl mit Blick auf finanzielle Einsparungen als auch bei der Durchsetzung strategischer Autonomie.

Doch fällt auch freie Software nicht vom Himmel. Sie muss entwickelt, implementiert und nutzerseitig angenommen werden. Das ist mitunter kostenintensiv und kann wie etwa im Fall der bayerischen Landeshauptstadt München nach hinten losgehen. So hatte sich der Stadtrat im Jahr 2003 dafür entschieden, einen Gutteil seiner Arbeitsplätze auf Open Source umzurüsten. Knapp zehn Jahre später war die Migration auf “LiMux” abgeschlossen – nur, um wenige Jahre später wieder zurückgenommen und durch proprietäre Software aus dem Hause Microsoft ausgetauscht zu werden. Im letzten Jahr wurde nun die Kehrtwende der Kehrtwende bekannt gegeben. Für eine konsequente Open-Source-Politik sicherlich ein Bärendienst. Doch sollte einschränkend hinzugefügt werden, dass die Sensibilität im Bereich digitaler Souveränität seinerzeit eine andere war als heute. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat nochmals eindringlich vor Augen geführt, wie essenziell wichtig digitale Wege und Lösungen für das Funktionieren von Staat und Verwaltung heute schon sind. Ob mit Microsoft oder ohne – am Ende wird es darauf ankommen, überhaupt die Wahl zu haben. Mit den Worten des Thüringer Landes-CIOs: “digitale Souveränität ist keine Frage der Abschottung, sondern, ganz im Gegenteil, der Öffnung.”


Informationstechnologie

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ehörden Spiegel: Wie soll die Verwaltungsmodernisierung in Brandenburg neu ausgerichtet werden? Wie gestaltete sie sich bisher?

Dr. Markus Grünewald: Hier ist zunächst das Verwaltungsmodernisierungsgesetz von 2003 zu nennen. Da ging es um strukturelle Verwaltungsmodernisierung, also um Behördenaufbau und Aufgabenverteilung. Da ist im Land Brandenburg sehr viel passiert. Beispielhaft sind hier vier gemeinsame Fachobergerichte, ein gemeinsames Justizprüfungsamt sowie ein gemeinsames Landesamt für Statistik mit dem Land Berlin zu nennen. Zudem haben wir in Brandenburg unsere Zentrale Bezügestelle umgestellt und Verwaltungsprozesse op-

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Erneuertes Standarderprobungsgesetz Brandenburg will Verwaltungsmodernisierung weiter vorantreiben

Behörden Spiegel: Wie sind –

(BS) Auch im Land Brandenburg führt kein Weg an einer weiteren Modernisierung der Verwaltung vorbei. Dies allein schon vor dem Hintergrund auch angesichts von Corona  – des Onlinezugangsgesetzes. In der Mark ist hier allerdings bereits viel erreicht worden. Darüber sprach der Behörden Spiegel mit Dr. Markus Ihre bisherigen Erfahrungen Grünewald, Staatssekretär im Potsdamer Innenministerium. Das Interview führte Marco Feldmann. mit digitaler Bürgerbeteiligung

Grünewald: Hier im Innenministerium “Die Bürgerinnen und Bürger haben wir 2019 eine erwarten vollkommen zu Recht, neue, eigenständige Behörden Spiegel: Das war der Blick zurück. Wie sieht der Blick dass vom Antrag über die Bearbei- Digitalisierungsabteilung eingerichtet. Sie nach vorne aus? tung bis zum Bescheid alles auf hat unter anderem elektronischem Weg erfolgt.” Grünewald: Wir widmen uns die Verantwortung jetzt sehr stark dem Bürokradafür, die gesamte E-Government-StraDr. Markus Grünewald ist Staatssekretär im Brandentieabbau. Dazu werden wir demburger Ministerium des Innern und für Kommunales tegie des Landes für nächst auch ein erneuertes Stan(MIK). Dort ist er unter anderem für den Bereich das federführende darderprobungsgesetz einführen. Digitalisierung zuständig. Innenministerium zu Im Bereich des Bürokratieabbaus steuern. Dies auch vor haben wir durch Foto: BS/MIK Brandenburg dem Hintergrund, dass die Digitalisierung “Es geht darum, VerwaltungsGrünewald: Dadurch verhinGrünewald: Wir müssen uns nach dem Onlinezugangsgesetz zudem schon vieles erreicht. So er- dern wir Zeitverzug und wir er- auch auf demografische Verände- des Bundes bis Ende kommenden dienstleistungen zum Bürger zu wir in möglichen eine schnellere Ver- rungen einstellen. Deshalb haben Jahres 575 Verwaltungsdienstbringen, Wartezeiten in Behörden möglichen Pandemiezeiten bindlichkeit der Maßnahmen wir seit 2018 ein Konzept zur leistungen zu digitalisieren sind. zu verkürzen und Vorgänge so die elektronische gegenüber den Bürgerinnen Steigerung der Attraktivität des Behörden Spiegel: Wie sollen Verkündung von und Bürgern. Denn diese Allge- Öffentlichen Dienstes im Land miteinander zu verknüpfen, Allgemeinverfü- meinverfügungen werden bereits Brandenburg. Seit 2020 gibt es die Bürger in Brandenburg individass die Bürger Unterlagen nur gungen, die Coro- einen Tag nach ihrer Einstellung diesem Konzept folgend bei uns duell noch stärker von der Umsetnoch einmal vorlegen müssen.” na-bedingt durch ins Internet wirksam. Anschlie- im Land eine zentrale Stelle für zung des Onlinezugangsgesetzes die Landkreise ßend gibt es dann nur noch eine das Gesundheitsmanagement. profitieren? timiert. Dazu gehörte 2009 die und kreisfreien Städte erlassen nachrichtliche Verkündung in Außerdem bauen wir derzeit für Grünewald: BinnendigitalisieEinführung des elektronischen werden. Das machen wir mithilfe den örtlichen Bekanntmachungs- die Landesverwaltung ein System zum Wissenstransfermanage- rung der Verwaltung ist wichtig, Vorgangsbearbeitungs- und Do- der Experimentierklausel des E- blättern. kumentenmanagementsystems Government-Gesetzes. ment auf, da viele verdienstvol- keine Frage. Das OnlinezugangsBehörden Spiegel: Was tun le ältere Mitarbeiterinnen und gesetz setzt aus meiner Sicht aber Eldok, das damals eine InnoBehörden Spiegel: Was ver- Sie im Bereich der Verwaltungs- Mitarbeiter in den kommenden woanders an. Es geht darum, vation war. Rückblickend lässt sich also festhalten, dass wir im sprechen Sie sich davon? modernisierung noch? Jahren in den Ruhestand gehen. Verwaltungsdienstleistungen Die würden ihr Wissen mit in die zum Bürger zu bringen, WartePension nehmen, wenn man das zeiten in Behörden zu verkürzen Wissen nicht aufbereiten und und Vorgänge so miteinander zu den jüngeren Nachfolgerinnen verknüpfen, dass die Bürger Unund Nachfolgern zur Verfügung terlagen nur noch einmal vorlegen stellen würde. Das bieten wir müssen. Unser Anspruch muss Papierdokumente rechtssicher scannen auch den Kommunen an. regelmäßig ein voll digitaler Zugriff des Reifegrades der Stufe vier (BS) In Deutschlands Behörden stehen die Zeichen klar auf Digitalisierung. Ein Meilenstein ist die E-Akte, Behörden Spiegel: Und was nach dem Onlinezugangsgesetz in die auch Papierdokumente übergehen sollen. Ein Prozess, der angesichts strenger Vorgaben nach einer tun Sie in Ihrem eigenen Haus? sein. Die Bürgerinnen und Bürger standardisierten Lösung verlangt. Sinne der Binnendigitalisierung sehr viel gemacht haben.

TR RESISCAN

Mächtige Aktenberge auf den Schreibtischen, wuchernde Blätterwälder in den Archiven und mittendrin pulsiert das Arbeitsleben – Bilder eines Streifzugs durch die hiesige Verwaltungslandschaft. Zwar läuft in Deutschlands Behörden vieles digital ab. Dennoch ist Papier im Arbeitsalltag allgegenwärtig. Noch. Denn schon seit dem Jahreswechsel 2020 sind die Institutionen des Bundes dabei, auf elektronische Aktenführung umzusteigen – eine zentrale Vorgabe des E-Government-Gesetzes. Die Justiz muss deutschlandweit bis 2026 nachziehen. Für Landesbehörden und Bürgerämter fehlt es meist noch an verbindlichen Fristen. Trotzdem sollten auch sie sich damit beschäftigen, auf die E-Akte umzustellen. Weil sie ohnehin kommen wird. Und weil sie sich lohnt. Papierbasiertes Arbeiten kostet Zeit, nagt an der Effizienz und ist schon gar nicht kompatibel mit mobilem Arbeiten. Zudem wachsen mit jedem Dokument die Archive – und mit ihnen die Lagerungskosten. Papierbestände zu digitalisieren, ergibt also in vielerlei Hinsicht Sinn – wenn man es richtig angeht: Damit handliche Dateien nämlich genauso rechtswirksam sind wie Gedrucktes, muss beim Digitalisieren der Beweiswert erhalten bleiben.

Ersetzendes Scannen ohne Eigenaufwand Den Prozess, den es dafür braucht, beschreibt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in seiner “Technischen Richtlinie 03138 Ersetzendes Scannen” (TR RESISCAN). Beim ersetzenden Scannen entstehen digitale Dokumente, die inhaltlich und bildlich mit ihren gedruckten Originalen übereinstimmen. Sie haben die gleiche Beweiskraft wie die Papierversionen und fließen später in der E-Akte zusammen. Die Originale hin-

erwarten vollkommen zu Recht, dass vom Antrag über die Bearbeitung bis zum Bescheid alles auf elektronischem Weg erfolgt.

und der digitalen Durchführung von Sitzungen der kommunalen Selbstverwaltungsgremien?

Grünewald: Die Pandemie hat hier sicherlich für einen Schub bei diesem Thema gesorgt. So war das Land Brandenburg das erste Land, das beim Thema kommunale Notlagengesetzgebung reagiert hat. So wurden beispielsweise Video- und Audiositzungen unter bestimmten rechtlichen Vorgaben ermöglicht. Auch hybride Sitzungen sind zugelassen. Das ist eine wichtige Neuerung für die Bürgerinnen und Bürger, die die Sitzungen der Vertretungskörperschaften auch während einer Pandemie öffentlich verfolgen können. Insgesamt sind gute Grundlagen geschaffen worden, auch in schwierigen Zeiten schnell zu reagieren. Behörden Spiegel: Wie sind die bisherigen Erfahrungen? Grünewald: Zusammenfassend kann man sagen, dass die neuen Möglichkeiten sehr gut angenommen worden sind. Die Corona-Pandemie hat hier oftmals nicht nur zu einer technischen Aufrüstung und einem erheblichen Digitalisierungsschub beigetragen. Die entsprechenden Bestimmungen sollen künftig auch für Zeiten außerhalb von Notlagen in die Kommunalverfassung aufgenommen werden. Sie soll für neue digitale Elemente geöffnet werden.

Papierfrei in nur sechs Jahren Landkreis Traunstein setzt auf intelligentes Dokumentenmanagement (BS/Harro Mrosowsky*) Digitale Zukunftstechnologien gepaart mit bayerischer Tradition – das Landratsamt Traunstein hat in einem sechsjährigen Projekt seine gesamten Fachbereiche digitalisiert. Ob Führerscheinstelle, Gebäudemanagement oder Tiefbauabteilung: Mitarbeiter haben ortsunabhängigen Zugriff auf digitale Akten, können ihre Post im Homeoffice lesen und vermeiden unnötige Papierkosten. Dabei setzt man in Traunstein auf enaio, das Dokumentenmanagementsystem (DMS) des Berliner Enterprise-ContentManagement-Spezialisten Optimal Systems. Der “RESISCAN Service” der Bundesdruckerei erfüllt sämtliche Vorgaben der BSI-Richtlinie. Grafik: BS/Bundesdruckerei

gegen werden – bis auf einige besonders sensible Ausnahmen – vernichtet. Bei so viel Rechtssicherheit steht aber auch fest: Die­­ TR RESISCAN verlangt nach professionellen Dienstleistern. Einer von ihnen ist die Bundesdruckerei, die seit Jahren Scanvorhaben für den Bund abwickelt. Ihr “RESISCAN Service” erfüllt sämtliche Vorgaben der BSI-Richtlinie und verspricht dem Kunden ein Komplettpaket. Dieses beginnt schon vor der Scan- und Datenerfassung, hört danach jedoch noch lange nicht auf. So unterstützen die Bundesdruckerei-Experten, wenn es darum geht, die Papierdokumente nach ihrem Schutzbedarf zu klassifizieren. Für jedes Digitalisierungsprojekt gibt’s ein individuelles Konzept. Nach dem sicheren Transport spielt sich der Rest in der Hochsicherheitsumgebung der Bundesdruckerei ab. Das gilt allem voran für den vollautomatisierten Scanprozess, bei dem überdurchschnittlich hohe Qualitätsstandards greifen – darunter auch eine umfangreiche Stichprobenprüfung.

Volle Rechtssicherheit, leere Lager Doch eine ausreichende Scanqualität allein genügt noch nicht für Rechtsicherheit nach der TR RESISCAN. Denn die ist erst dann erreicht, wenn die digi-

talen Dokumente unveränderbar sind. Zum Einsatz kommen dafür elektronische Signaturen und Siegel, die seit vielen Jahren ihren festen Platz im Portfolio der Bundesdruckerei-Gruppe haben. Erst nach diesem Integritätsnachweis heißt es Abschied nehmen vom Papier. Dabei lässt die Bundesdruckerei größte Sorgfalt walten: Die zertifizierte Vernichtung berücksichtigt für jedes Dokument die gesetzlich vorgeschriebene Aufbewahrungsdauer und schließt Datendiebstahl aus. Vermissen werden das Papier wahrscheinlich die Wenigsten. Zu schnell dürfte sich die Entlastung der Archive und Lager finanziell bemerkbar machen. Zudem verschlanken die digitalen Dokumente Prozesse, weil sie aufs Wesentliche reduziert, frei von Medienbrüchen und räumlich ungebunden zur Verfügung stehen. Und wer sich beim RESISCAN Service entschieden hat, eine optische Zeichenerkennung (OCR) in die Scans integrieren zu lassen, profitiert zudem von einer Volltextsuche. Diese beschleunigt Rechercheprozesse und Fachverfahren merklich. Das Arbeitsleben wird in der Verwaltung also auch nach dem ersetzenden Scannen pulsieren. Nur ohne Papierberge. Mehr Informationen hierzu unter bdr.de/resiscan

Seit Beginn der Corona-Krise mussten viele Unternehmen und auch Verwaltungen ihre Digitalisierung im Eilverfahren vorantreiben. Das Ergebnis war oft nicht zufriedenstellend: Mitarbeiter im Homeoffice besprechen sich in Videokonferenzen, während wichtige Unterlagen auf dem Rechner im Büro, aber leider nicht am improvisierten Arbeitsplatz daheim liegen. Was häufig fehlt, damit die Umstellung auf papierfreies Arbeiten ein Erfolg wird, ist eine durchdachte Digitalisierungsstrategie. Ein Positivbeispiel liefert nicht etwa ein High-Tech-Start-up aus dem Silicon Valley, sondern das Landratsamt Traunstein: In einem sechsjährigen Projekt führten die Verantwortlichen das Dokumentenmanagementsystem enaio von Optimal Systems in allen Fachbereichen ein.

Beim Landratsamt Traunstein haben die Beschäftigten mobil immer vollen Zugriff auf ihre Akten. Foto: BS/Optimal Systems

tungen spezialisiert, um mehr Transparenz und Bürgernähe zu ermöglichen. Mehr als 650 Verwaltungen haben enaio bereits im Einsatz. Eine davon ist das Landratsamt Traunstein.

Erfolgreiche Planung Der Startschuss für die haus-

Vom Behördendschungel zum weite Nutzung eines DMS erfolgZen-Garten te 2014. Davor setzten bereits

Die Software enaio von Optimal Systems bietet über 100 bewährte Fachlösungen für fast jeden Geschäftsbereich. Sie steuert die Erstellung und Verwaltung von Dokumenten und Dateien unterschiedlichster Art sowie deren Bearbeitung, Zugriff und Austausch. “Eine besondere Kompetenz liegt in unserer ausgeprägten Schnittstellenvielfalt zu kommunalen Fachverfahren”, erläutert Nikolas Herwig, Vertriebsbeauftragter der Optimal Systems Vertriebsgesellschaft mbH Hannover. Die Tochtergesellschaft hat sich auf die Digitalisierung von Verwal-

die KFZ-Zulassungsstelle, die Führerscheinstelle, das Gebäudemanagement und die Tiefbauabteilung auf enaio. Christian Ausfelder, Sachgebietsleiter Informations- und Kommunikationstechnik im Landratsamt Traunstein, war verantwortlich für das Projekt: “Für die Umstellung haben wir zwei Projektgruppen gegründet. Eine Lenkungsgruppe, die zu strategischen Entscheidungen und Zeitplan tagt, und eine DMS-Projektgruppe, die sich um tägliche Aufgaben und Probleme kümmert.” Die Strategie ging voll auf: Seit 2020 arbeitet die gesamte Kreisverwal-

tung mit elektronischen Akten.

Flexible Arbeitsprozesse Die erfolgreiche Umstellung auf digitales Arbeiten spart nicht nur Papier-, Kopier- und Lagerkosten fürs Archiv – sie macht auch alle Verwaltungsprozesse deutlich flexibler: “Wir können stets ortsunabhängig arbeiten. Ob im Büro, Besprechungsraum oder im Homeoffice – die Mitarbeiter haben immer vollen Zugriff auf ihre Akten”, freut sich Ausfelder. Vor allem in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und mobilem Arbeiten ein wichtiger Vorteil. Für Ausfelder war das Projekt daher ein voller Erfolg, zu dessen gelungener Umsetzung alle Beteiligten aktiv und motiviert beigetragen haben: “Das gesamte Haus hat immer mitgearbeitet – von der Amtsführung bis zum Sachbearbeiter.” *Harro Mrosowsky ist als Bereichsleiter Vertrieb bei Optimal Systems tätig.


Informationstechnologie

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ehörden Spiegel: Herr Leinert, wie ist die BITBW als zentrale Dienstleisterin für moderne IT in der Landesverwaltung Baden-Württemberg in die Corona-Krise im vergangenen Jahr 2020 gestartet und wo steht sie ein Jahr danach?

Behörden Spiegel / März 2021

Mit Leistung überzeugt BITBW demonstriert Handlungsfähigkeit in der Krise

(BS) Die IT Baden-Württemberg (BITBW) ist seit Juli 2015 die zentrale Dienstleisterin für Informationstechnologie in der baden-württembergischen Landesverwaltung. Heute ist man mit rund 1.000 Beschäftigten maßgeblicher Garant dafür, dass die IT des Landes auch in Zeiten der Corona-Krise eine arbeits-, leistungs- und somit handlungsfähige Verwaltung gewährleistet. Dies ist eines der Themen im Interview, welches Leinert: Die BITBW gibt es Behörden Spiegel-Redakteurin Dr. Eva-Charlotte Proll mit dem BITBW-Präsidenten Christian Leinert führte.

seit 2015 mit dem Ziel, die IT des Landes Baden-Württemberg schrittweise zu konsolidieren und zu zentralisieren. In den ersten Jahren hatten wir es nicht immer leicht. Wer gibt schon gerne Verantwortung, Mitarbeitende und Zuständigkeiten ab? Mit Beginn der Corona-Krise konnten wir zeigen, dass wir sehr schnell in der Lage waren, zu skalieren und den Mitarbeitenden auch die technischen Möglichkeiten zu bieten, von zu Hause oder mobil zu arbeiten. Der Ansatz, die IT der Landesverwaltung zu zentralisieren, war also richtig. Wir konnten mit unserer Leistung überzeugen. Aber man darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Behörden Spiegel: Hat sich die klassische Arbeit im Rechenzentrum insgesamt verändert? Denn im Rechenzentrum müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ja in der Regel präsent sein und auch die Services beim Kunden sind teilweise nur vor Ort umsetzbar. Leinert: Wenn man hört, dass die BITBW die zentrale IT-Dienstleisterin des Landes ist, dann wird die Bedeutung der Arbeit im Rechenzentrum eventuell überbewertet. Wir haben mittlerweile etwa 1.000 Menschen, die bei der BITBW arbeiten und nur eine Handvoll davon arbeitet im Rechenzentrum vor den Serverschränken. Natürlich muss dies auch in der Corona-Zeit vor Ort passieren. Doch über 95 Prozent der

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ie bereits im Behörden Spiegel (Juli 2020, S. 28), angekündigt, unterstützten und betreuten das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg sowie die Kommunen Bietigheim-Bissingen, Heilbronn und Karlsruhe und der Städtetag Baden-Württemberg 15 Studierende des Vertiefungsbereichs “angewandtes e-Government” bei der Durchführung des “OZGLeistungsanalyseprojekts”. Die Studierenden bereiteten, aufgeteilt in fünf Gruppen mit jeweils ein bis zwei Coaches, aus dem OZG-Maßnahmenbündel insgesamt 22 Verwaltungsleistungen auf, analysierten diese aus rechtlicher, technischer und betriebswirtschaftlicher Sicht und entwickelten Sollprozesse. So entstand eine Studie mit 335 Seiten, die neben der gedruckten Buchausgabe im Open-AccessPortal der Österreichischen Computergesellschaft (OCG) unter https://ocgitservice.com/demo/ index.html zugänglich ist. Die freie Zugänglichkeit ist aus Sicht der Autoren und Herausgeber für einen effektiven Beitrag zur Umsetzung des OZG erwünscht. Dankenswerterweise ermöglichte der IT-Dienstleister Komm. ONE AöR die Drucklegung und Veröffentlichung; zusätzlich steuerte der Normenkontrollrat Baden-Württemberg ein Grußwort und wertvollen Input während der Projektlaufzeit bei. Zu den Erkenntnissen der Studie gehört, dass in vielen Fällen die rechtlichen Voraussetzungen zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen bereits vorliegen, in anderen aber noch nicht. Zudem sollten Behörden die Bereitschaft mitbringen, ihre Arbeitsweisen zu ändern. Eine weitere wesentliche Erkenntnis der Studie ist auch, dass die in-

Mitarbeitenden arbeiten – auch aktuell – von zu Hause aus. Behörden Spiegel: Sie haben mir in einem anderen Zusammenhang gesagt, Ihre Kunden seien beweglicher geworden. Was bedeutet das konkret? Leinert: Technische Lösungen, die wir vor der Corona-Krise im Angebot hatten, beispielsweise Videokonferenz-, Chat- oder Präsenzlösungen, bei denen man erkennt, ob jemand gerade telefoniert oder am Arbeitsplatz ist, wurden nur zögerlich angenommen. So hatten etwa die Personalvertretungen große Bedenken bei einer Präsenzampel. Durch die Corona-Krise hat bei unseren Kunden ein Bewusstseinswandel stattgefunden, da sie nunmehr auf solche Lösungen angewiesen sind. Plötzlich stehen weniger die Probleme, sondern die sich ergebenden Chancen im Fokus. Daher gehört zu dem Erfolg der IT-Leistungen in der Corona-Zeit auch die Kundenseite. Behörden Spiegel: Mit der Einführung und Bereitstellung von Informationstechnologie geht auch ein kultureller Wandel einher. Leinert: Richtig. Den kulturellen Wandel sehe ich zunächst in der BITBW, aber ich sehe ihn auch im ganzen Land. Die Corona-Pandemie ist und war ein Katalysator für die Nutzung moderner Technologien, aber auch für die Akzeptanz von digitalen Geschäftsprozessen, Onlinezu-

gangsgesetz und Verwaltungsdienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger. Das verändert die Arbeit und die Art, wie wir Menschen miteinander umgehen, wie wir kommunizieren, aber auch wie Führungskräfte auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einwirken bzw. wie sie glauben, sie kontrollieren, steuern, anleiten oder führen zu müssen. Hier müssen wir alle stärker loslassen, stärker vertrauen und eine ergebnisorientierte Form der Zusammenarbeit finden. Für die BITBW verändert sich einiges, nicht nur die Art, wie wir arbeiten, sondern auch, wie wir unsere Rolle als IT-Dienstleisterin definieren. Wir müssen und wollen uns noch stärker in Richtung einer Partnerschaft mit unseren Kunden entwickeln und zukünftig das Kompetenzzentrum für digitales Wissen und digitales Knowhow in der Landesverwaltung werden. Behörden Spiegel: Also ist die

Insgesamt sind diese Risiken für “Für die BITBW verändert uns aber durchsich einiges, nicht nur die aus tragbar. Wir stellen technoloArt, wie wir arbeiten, gische Lösungen sondern auch, wie wir bereit, wie VPNunsere Rolle als IT-Dienst- Tunnel und ein mehrstufiges leisterin definieren.” Sicherheitskonzept, die auch Christian Leinert ist Präsident der IT bei der Arbeit zu Baden-Württemberg (BITBW). Hause ein sehr Foto: BS/BITBW hohes Maß an Sicherheit gaCorona-Pandemie ein Erfolgsga- rantieren. Zudem werden hochrant und Brandbeschleuniger kritische Informationen natürlich für die digitale Transformation auch nicht zu Hause bearbeitet. in Baden-Württemberg? Behörden Spiegel: Wie wichtig Leinert: Auf jeden Fall. Heu- ist in dem Zusammenhang ein te wird niemand mehr darüber ganzheitlicher Ansatz, der zum nachdenken, ob wir die Digi- einen auf Skalierbarkeit setzt, talisierung brauchen, sondern zum anderen auf IT-Security und wie wir sie schnell ermöglichen dann natürlich auch auf hybride Lösungen wie Cloud, um die Hekönnen. rausforderungen der kommenden Behörden Spiegel: Hat sich Jahre abzudecken? auch die Cyber-Sicherheitslage Leinert: IT-Security ist die Vodurch den Wechsel vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der raussetzung. Wenn diese nicht Landesverwaltung ins Homeoffice gegeben ist, braucht man über weitere technische Lösungen verändert? nicht nachdenken. Wir haben Leinert: Von der Angriffsseite gerade über das mobile Arbeiher ja, denn es kann grundsätz- ten gesprochen, das lässt sich lich mehrere Sicherheitslücken technisch und organisatorisch geben, wenn jemand von zu Hau- in den Griff bekommen. Cloudse aus arbeitet. Beispiele sind Lösungen sind per se, mit Blick der Einsatz privater Endgeräte auf die IT-Sicherheit, State of oder privater Netzverbindungen, the Art. Der zentrale Punkt ist für mich die vielleicht nicht verschlüsselt sind. Eventuell haben auch ande- – für die BITBW – die Datenre Personen im Haushalt Zugriff souveränität. Sie möchten Ihre originären Daten, aber auch Ihre auf die Endgeräte.

Mit vereinten Kräften Wie die Akteure in Baden-Württemberg an einem OZG-Strang ziehen

Meta-Daten, keinem dritten Anbieter zugänglich machen. Hier möchte ich nur auf die Debatte mit den amerikanischen Anbietern, sowie jenen, die ihre Server außerhalb der Europäischen Union betreiben, verweisen. Als BITBW haben wir die Daten sowohl von Landesmitarbeiterinnen und -mitarbeitern als auch von Bürgerinnen und Bürgern, ebenso wie polizeiliche Daten, Justizdaten usw. Da sind wir zurückhaltend und betreiben vieles selbst. Die Skalierbarkeit können wir gut meistern. Dazu gehören natürlich nicht nur gutes Personal, eine vorausschauende Planung und die technischen Voraussetzungen der BITBW, sondern auch gute Lieferantenund Dienstleisterbeziehungen. Wir pflegen Partnerschaften, auf die wir zugreifen können und die uns natürlich auch sehr rasch und gut unterstützt haben in der aktuellen Situation. Behörden Spiegel: Stichwort Recovery – was passiert, wenn die Landesbediensteten plötzlich aus dem Homeoffice wieder an den Arbeitsplatz wechseln? Leinert: Technisch passiert erst einmal gar nichts. Natürlich werden wir merken, dass unsere VPN-Gateways weniger Last aufweisen. Wahrscheinlich werden die Videokonferenzen auch deutlich weniger, auch wenn ich hoffe, dass diese auch im Büro weitergenutzt werden. Spannend wird sein, wie die Menschen zukünftig miteinander arbeiten. Dazu gehören z. B. Präsenzveranstaltungen, die auch online abgehalten werden können. Oder wenn eine Kollegin oder ein Kollege in Stuttgart theoretisch nur von einem Ministerium zum anderen müsste, werden die Menschen in Zukunft vermutlich häufig per Video miteinander kommunizieren, um Zeit und Ressourcen effektiver zu nutzen.

Arbeiten in einer zeitgemäßen virtuellen Arbeitsumgebung.

Ausblick

(BS/Thomas Götz/Prof. Dr. Robert Müller-Török*) Mit der für Ende 2022 avisierten Umsetzung des OZG gehen im Zuge der Covid-19-Pandemie Aus dem OZG-Maßnahmenderzeit weitere dringende Digitalisierungsaufgaben einher. Aufgaben wie z. B. die Einführung der elektronischen Akte, die in Angriff zu nehmende bündel wurden bewusst solche Registermodernisierung oder die Umsetzung der SDG-Verordnung binden heute und in den nächsten Jahren zusätzliche Ressourcen in Ministerien, Verwaltungsleistungen gewählt, bei kommunalen und Landes-IT-Dienstleistern, Kommunen und weiteren Stellen des öffentlichen Sektors. bei denen die Analyse und Umhaltlichen und funktionalen Anforderungen an IT-Infrastrukturen für jedes Maßnahmenbündel insgesamt gründlich analysiert werden müssen. Im bundesweiten Kontext spielt dabei vor allem die Interoperabilität eine zentrale Rolle. Die Bezahlmöglichkeit ist ein weiterer Baustein: Sie erst schließt etliche digitale “Endezu-Ende”-Prozesse vollständig ab. Ein beispielhaftes Anwendungsszenarium sowie strategische Ansätze bietet die Schülerbeförderung, wo die erforderlichen Daten bereits vorliegen und sich die Leistung sehr gut digital anbieten lässt.

Großes Einsparpotenzial bei Schülerbeförderung Es gibt ca. 1,52 Millionen Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg. Da die Zuständigkeit für die Schülerbeförderung auf die Land- bzw. Stadtkreise aufgeteilt und durch 22 Verkehrsverbünde administriert wird, konnte keine genaue Zahl ermittelt werden, wie viele von diesen tatsächlich berechtigt sind, ermäßigte oder kostenfreie Fahrausweise in Anspruch zu nehmen. Daher wurden hier drei Viertel angenommen (1,14 Millionen). Gegenwärtig wird, wohl von den Erziehungsberechtigten, ein Papierantrag ausgefüllt, der von der jeweiligen Schule geprüft, unterschrieben und gestempelt und dann postalisch an das jeweilige Verkehrsunternehmen bzw. den Verkehrsverbund ge-

schickt wird. Der Verkehrsverbund rechnet mit den jeweiligen Stadt- und Landkreisen ab. Eine elektronische Antragstellung über das zentrale EGovernment-Portal des Landes Baden-Württemberg, servicebw, liegt zwar zunächst nahe, aber nach längerer Analyse kamen die Studierenden auf eine andere Lösung: No-StopGovernment, d. h. automatisiertes Verwaltungshandeln ohne Antrag. Da die Adressen der Schüler sowie die Adressen der besuchten Schulen elektronisch verfügbar sind, könnte man diese weiterverwenden und ohne Antrag vollautomatisch die entsprechenden Fahrausweise für die Berechtigten erstellen und versenden. Alternativ könnten die Fahrausweise über die Automaten der Verkehrsverbünde, beispielsweise über einen Schülerausweis mit Chipkarte, ausgeben werden. Das Einspa-

rungspotenzial hierbei beträgt laut der Studie geschätzt 19,4 Millionen Euro – jährlich und nachhaltig. Das klingt gewaltig, ist aber bei ca. 1,14 Millionen Papieranträgen, die entfallen würden, völlig nachvollziehbar.

Praktische Projektarbeit in Zeiten der Pandemie So paradox dies klingen mag, Covid-19 erleichterte die Arbeit zu dieser Studie erheblich. Aus den Erfahrungen vergangener Jahre und ähnlicher Projekte war es erleichternd, auf unproduktive Fahrzeiten verzichten zu können und, anstatt in der Hochschule mit einem via Beamer projizierten Dokument, von zu Hause auf einer dankenswerterweise vom Innenministerium zur Verfügung gestellten Kollaborationsplattform (Cloud und Online-Meeting) arbeiten zu können. So konnte parallel gearbeitet werden, d. h. die fünf Gruppen mit den

jeweiligen Coaches zeitgleich, ohne fünf Räume und Beamer zu benötigen. In der Vergangenheit klagten die Studierenden oft, dass es effektiver für das Projektergebnis wäre, zu Hause zu arbeiten und bei Bedarf auf die Coaches zugehen zu können. Covid-19 hatte diese effektive wie effiziente Arbeitsweise notwendig und möglich gemacht. So fand nur Anfang Oktober 2020 ein persönliches Treffen statt. Die weiteren Schritte bis hin zur Übergabe des Werkes an die Vertreterinnen und Vertreter des baden-württembergischen Digitalisierungsministeriums, des Städtetags und der drei Kommunen in Anwesenheit der Vorsitzenden des Normenkontrollrats erfolgten virtuell. Nicht dass die Präsenzlehre völlig entbehrlich ist – aber für so eine ergebnisorientierte Projektarbeit in Gruppen eignet sie sich deutlich schlechter als das

Online-Diskussion (BS) Im Rahmen der Länder-Reihe “Spot|on|OZG” nimmt eine OnlineDiskussion am 30. März von 10:30 Uhr bis 12:00 Uhr Baden-Württemberg in den Blick. Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in der Fläche erörtert Moderatorin Dr. Eva-Charlotte Proll (Behörden Spiegel) mit ihren Gästen Dr. Michael Zügel (Referatsleiter im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg), Marian Schreier (Bürgermeis-

ter der Stadt Tengen), Prof. Dr. Robert Müller-Török, (Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg) sowie Robert Geist (Koordinator für Digitalisierung bei der Stadt Waiblingen). Weitere Informationen zur Runde “Spot|on|OZG BW: OZG-Umsetzung in der Fläche” sowie eine Anmeldemöglichkeit (kostenfrei) stehen zur Verfügung unter: www.digitaler-staat.online .

setzung noch nicht begonnen hat. Somit können die Ergebnisse dieser Analyse in die Umsetzung zumindest in Baden-Württemberg einfließen. Möglicherweise wird nicht alles ein zu eins übernommen werden können. Aber eines ist gewiss: Es wurde ein sinnvoller Beitrag zur OZGUmsetzung geleistet. Ebenso haben die anderen 15 Bundesländer gewonnen, wenn sie sich hier nach dem OZG-Prinzip “Einer für alle” inspirieren lassen. Und zu guter Letzt hat die Verwaltungshochschule eine ihrer Pflichtaufgaben nach § 2 Abs. 1 Z 1 erfüllt: “Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften vermitteln durch anwendungsbezogene Lehre und Weiterbildung eine Ausbildung, die zu selbstständiger Anwendung und Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden [..] in der Berufspraxis befähigt; sie betreiben anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung.” Es ist beeindruckend, welch wertvollen Beitrag zur OZG-Umsetzung 15 Studierende in einem solchen Projekt leisten können. Es ist zu hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht, nach dem Motto “viribus unitis” – mit vereinten Kräften. * Thomas Götz ist für das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg tätig. Prof. Dr. Robert MüllerTörök lehrt an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / März 2021

Seite 31

Barrierefreiheit

Corona prägt IT-Trends

Worauf bei Websites zu achten ist

Studie unter Führungskräften der öffentlichen Verwaltung

(BS/Frank Schiersner) Seit September 2020 müssen Webseiten öffentlicher Stellen von Bund, Ländern und Kommunen barrierefrei sein. Das ist nicht nur eine Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Barrierefreiheit ist auch ein wesentlicher Baustein, damit die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) möglichst allen Teilen der Bevölkerung zugute kommen kann. Das meint auch Menschen, die keine anerkannte Behinderung haben, sondern beispielsweise unsere Sprache noch lernen, älter sind oder unter schlechter Sehkraft, Rheuma oder einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leiden. Und wie lauten nun die Rahmenbedingungen?

(BS/gg) Der Umgang mit der Corona-Pandemie prägt derzeit die Prioritäten der öffentlichen Verwaltung. Das ergab die IT-Trends-Studie Public von Capgemini in Zusammenarbeit mit dem Behörden Spiegel. Hierzu wurden im Oktober letzten Jahres insgesamt 94 Führungskräfte aus der öffentlichen Verwaltung in Deutschland und deren IT-Dienstleister zu verschiedenen IT-Themen befragt. Die Ergebnisse der Studie liegen jetzt vor.

Grundlage für die Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen in den Mitgliedsstaaten der EU ist die Richtlinie (EU) 2016/2102 vom 26.10.2016. In der Bundesrepublik wurde sie von Bund und Ländern bis September 2019 in geltendes Recht überführt. Die Richtlinie bestimmt als Standard für die Barrierefreiheit eine “Harmonisierte Norm”. Diese verweist ihrerseits auf den internationalen Standard der “Web Content Accessibility Guidelines” (WCAG) in Version 2.1, dessen Erfolgskriterien der Konformitätsstufe AA zu erfüllen sind. Weiterhin müssen Websites eine Erklärung zur Barrierefreiheit besitzen und über einen Feedback-Mechanismus verfügen. Die

beschrieben werden, mit dem sich Nutzende an die unabhängige Durchsetzungsstelle wenden können, wenn sie mit dem Feedback-Mechanismus kein befriedigendes Ergebnis erreichen. Die Kontaktangaben der Durchsetzungsstelle müssen ebenfalls angegeben werden. Sie ist zumeist bei der oder dem Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen eingerichtet.

Bestandsaufnahme

Die Erklärung zur Barrierefreiheit beruht auf einer tatsächlichen Bewertung der Vereinbarkeit der Website mit den Anforderungen der EU-Richtlinie. Die öffentliche Stelle kann die Bewertung selbst durchführen oder auch von einem Dritten durchführen lassen. Die jeweils verwendete Frank Schiersner ist Referent für E-Government im MinisMethode ist in der terium des Innern und für Erklärung zu nenKommunales des Landes nen. Über die PrüBrandenburg. Das bundesfung der Website weit bekannte Maerker.Bran wird ein Prüfprodenburg.de ist sein Kind. tokoll erstellt. Für die Prüfung wird Fotos: BS/privat eine repräsentative Auswahl von Einzelseiten festRichtlinie begründet zudem ein gelegt. Die Startseite und die Durchsetzungsverfahren durch Erklärung zur Barrierefreiheit eine Ombudsperson, wenn Barri- sind immer zu prüfen. Die Prüeren gemeldet, aber nicht zeitnah fung erfolgt über alle festgelegbehoben werden. Für den Bund ten Einzelseiten und alle der 50 und die Länder sind Überwa- Erfolgskriterien der Stufen A chungs- und Berichtspflichten und AA der WCAG 2.1. Sinnvoll vorgesehen. ist es, nicht nur die gefundenen Barrieren aufzuführen und Erklärung zur Barrierefreiheit zu erklären, sondern möglichst Auch wenn an der Barrierefrei- auch zu beschreiben, wie diese heit der eigenen Website noch beseitigt werden können. Dabei gearbeitet wird, muss bereits erweist es sich als hilfreich, neeine entsprechende Erklärung ben Fließtext auch Screenshots veröffentlicht werden. Da es sich und Code-Auszüge in das Prüfum ein Pflichtangebot handelt, protokoll einzufügen. Mit diesen sollte die Erklärung für die Nut- Angaben kann der technische zenden leicht zu finden sein. Dienstleister die Templates korAnalog zu “Datenschutz” und rigieren. Für die redaktionelle “Impressum” ist auf jeder Seite Bearbeitung lassen sich aus dem ein entsprechender Link ein- Prüfprotokoll wichtige Hinweise ableiten. zufügen. Die EU hat die Anforderungen an die Erklärung in einem Muster Technischer Standard WCAG 2.1 beschrieben. Pflichtangaben in der Erklärung sind die RechtsvorDass die EU auf den internatischrift bzw. Landesnorm sowie onalen Standard der WCAG verder Stand der Vereinbarkeit mit weist, hat viele Vorteile. Schließden technischen Anforderun- lich werden diese technischen gen (vollständig, teilweise, nicht Grundlagen zur Barrierefreiheit vereinbar). Nicht barrierefreie von Websites und mobilen AnInhalte und Alternativen müs- wendungen durch eine Arbeitssen benannt sein und begründet gruppe innerhalb des “World Wide Web Consortiums” (W3C) werden. Unter “Feedback und Kontakt- weiterentwickelt. So findet der angaben” ist eine E-Mail-Adresse Standard auch Eingang in die zu benennen oder ein Online- Entwicklung der Browser und Formular zu verlinken, mit dem bietet eine verlässliche Referenz Barrieren auf der Website gemel- für die Hersteller assistiver Techdet oder Anfragen zu den ggf. be- nologien. Öffentliche Stellen, die anspruchten Ausnahmen gestellt eine Website, einen Relaunch werden können. Außerdem ist oder ein Online-Verfahren ausdie Stelle der Behörde zu benen- schreiben, können nun auf Richtnen, die für die Beantwortung linien verweisen, die im ganzen EU-Binnenmarkt gelten. Damit zuständig ist. Unter “Durchsetzungsver- steigt auch die Zahl potenzieller fahren” muss das Verfahren Dienstleister.

Mehr zum Thema Zum Thema “Barrierefreier Zugang – Pflicht für Webangebote öffentlicher Stellen” sowie zu “Barrierefreie Websites – Selbstbewertung verstehen und durchführen” bietet der Behörden Spiegel mit dem Autor zwei gleichnamige Webinare an. Mehr Informationen zu diesen Terminen sowie zu weiteren Angeboten unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Barriere”.

Sie zeigen, dass der Lockdown im März 2020 nach Meinung aller Teilnehmer mobiles Arbeiten intensiviert hat. Knapp 72 Prozent beobachteten die Zunahme kollaborativen Arbeitens. Die Kontaktbeschränkungen führten außerdem dazu, dass das Angebot digitaler Verwaltungsleistungen ausgebaut wurde und die Innovationsbereitschaft innerhalb der Behörde leicht stieg. Demgegenüber wirkte sich die Pandemie relativ wenig auf die Modernisierung der Infrastruktur und die Bereitstellung von Services ohne persönlichen Kontakt aus. Automatisierungs- oder Nutzungsgrad von Cloud-Lösungen wurden so gut wie gar nicht beeinflusst.

“Digital first” einzig ­tragfähige Strategie Aus Sicht der Befragten konnten Behörden die Krise durch eine Kombination aus höherer Digitalisierung und individuellem Engagement und der Kompetenz des eigenen Personals überwiegend gut meistern. Knapp 70 Prozent der Teilnehmenden sind der Meinung, dass “digital first” die einzig tragfähige Strategie ist, um die Handlungsfähigkeit in derartigen Situationen zu erhalten. Insgesamt fühlten sich die Antwortenden relativ gut auf den Lockdown im März 2020 vorbereitet. Ihrer Meinung nach führte er nur in geringem Ausmaß dazu, dass die Prioritäten

zulasten von Datenschutz und Sicherheit verschoben wurden.

Bedeutung grundlegender Prozessveränderungen wird unterschätzt Die wichtigsten Maßnahmen, um in Zukunft besser die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen, sind in den Augen der Teilnehmenden die Vorhaltung sicherer Hard- und Software für die Arbeit im Homeoffice, die Nutzung digitaler Arbeitsformen und der Zugriff auf leistungsfähige Kommunikations- und Kollaborationstools. Die Bedeutung grundlegender Prozessveränderungen wie Automatisierung, datengetriebenen Verwaltungshandelns oder des Einsatzes von intelligenten Technologien wird derzeit geringer eingeschätzt, ebenso wie die Definition einer Strategie für das Kontinuitätsmanagement. Nach der Pandemie möchte die Mehrheit der Befragten die neuen digitalen Prozesse beibehalten. Eventuelle datenschutzrechtliche Probleme mit neuen Anwendungen oder Verfahren wollen viele Behörden lösen, um sie weiterhin nutzen zu können.

Umsetzung von SDG und OZG kommt langsam voran Rund 37 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass in Deutschland bis 2022 zwischen 20 und 50 Prozent der im Onlinezugangsgesetz (OZG) und

der Single-Digital-GatewayVerordnung (SDG) definierten Leistungen flächendeckend verfügbar sein werden. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozentpunkte gestiegen. Mit der Realisierung von mehr als der Hälfte der Verwaltungsverfahren und Hilfsdienste bis Ende kommenden Jahres rechnen ähnlich wie im Vorjahr knapp 24 Prozent. Die im Konjunkturpaket enthaltenen Mittel für die Umsetzung des OZG haben nach Meinung von rund 27 Prozent die Umsetzung bereits beschleunigt. “Die Zahlen zeigen, dass es im Hinblick auf SDG und OZG vorangeht. Es ist absehbar, dass mit den Mitteln aus dem Konjunkturpaket das Tempo anziehen wird. Die nächste IT-Trends-Studie Public wird zeigen, ob das zwischen Bund und Ländern vereinbarte Vorgehen das Vertrauen in die Umsetzung erhöht”, kommentiert Marc Reinhardt, Head of Public Sector & Health bei Capgemini.

Ausbau der Digitalisierung weiterhin wichtigstes Ziel Wie im Vorjahr bleibt der Ausbau der Digitalisierung für die meisten Teilnehmenden die wichtigste Anforderung in diesem Jahr. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen rücken stärker ins Blickfeld und die öffentliche Hand forciert die Entwicklung neuer IT-Produkte und Services.

Effizienz und Kosten spielen eine untergeordnete Rolle. Auch die Erhöhung der Datensicherheit ist wichtiger als im Vorjahr. “Mit dem OZG wurde die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen bereits vor der Corona-Pandemie auf den Weg gebracht. Die Phasen des Lockdowns haben aber gezeigt, dass Behörden bei der digitalen Daseinsvorsorge weiterhin großen Nachholbedarf haben. Gleichzeitig hat der Handlungsdruck vieles möglich gemacht, dessen Umsetzung ohne diese Notsituation eventuell noch viele Jahre in Anspruch genommen hätte”, erklärt Reinhardt.

Wenig Vorbereitung auf ­demografischen Wandel Nach Schätzung der Antwortenden werden in den kommenden zehn Jahren circa 25 Prozent ihres Personals in den Ruhestand gehen. Trotz des heute schon herrschenden Fachkräftemangels sehen die Befragten diese Tatsache relativ gelassen. Denn sie gehen davon aus, dass sie jüngere Mitarbeiter einarbeiten können, so dass das Wissen erhalten bleibt. Nur sehr wenige Befragte rechnen damit, dass Fähigkeiten im Laufe der nächsten Dekade überflüssig und dementsprechend nicht ersetzt werden müssen. Diese Einschätzungen könnten dazu führen, dass sie sich nicht ausreichend auf den demografischen Wandel vorbereiten.


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / März 2021

Klar, messbar und flexibel

Nachhaltiges Stellenmanagement...

Strategieentwicklung in der öffentlichen Verwaltung

... auf der Basis von digitalen Stellenbewertungen

(BS/Dr. Jan Engelke) Im Zuge der digitalen Transformation steht die öffentliche Verwaltung vor der Herausforderung, das eigene Zielsystem und die internen Strukturen weiterzuentwickeln. Rechtliche Grundlagen, Verlässlichkeit und Stabilität binden das Verwaltungshandeln langfristig und bilden damit die Rahmenbedingungen für Strategieentwicklung. Gleichzeitig steigt die Erwartungshaltung vieler Bürgerinnen und Bürger sowie politischer Entscheidungsträger an die Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltungen. Die technischen und organisationalen Anforderungen an die Verwaltungstransformation nehmen in gleichem Maße zu.

(BS/Dr. Thorsten Falk*) Verwaltungen sind durch den demografischen Wandel noch häufiger darauf angewiesen, regelmäßig Stellenbewertungen zu erstellen, aktuell zu halten oder zu überarbeiten. Mit Kasaia bietet die PICTURE GmbH aus Münster eine eigens entwickelte Softwarelösung, um Stellen nach dem Tarifvertrag TVöD VKA, TV-L, TV-V und nach KGSt-Dienstpostenbewertung für Beamtenstellen einfacher, rechtskonform und nachhaltig zu bewerten. Diese Kombination ist einzigartig am Markt.

Durch den schnellen Wandel der politischen Anforderungen wechselt das Zielsystem oftmals schneller, als die Behörden ihre Strategie umsetzen können. Eine ausgewogene strategische Steuerung muss daher über flexible Instrumente verfügen, um einerseits mittel- und langfristig eine angemessene Gewichtung der zugrunde liegenden Themen und Erwartungshaltungen zu ermöglichen sowie andererseits schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren zu können.

Methodik der Strategieentwicklung Für die Strategieentwicklung bieten wir einen methodisch und fachlich validierten Prozess, der in modularer Bausteinlogik gestaltet ist. Der Strategieentwicklungsprozess soll den Beteiligten ermöglichen, die strategische Dimension des eigenen Handelns zu definieren, die Phasen und die Methoden der Strategieentwicklung konsequent anzuwenden und strategische Vorhaben, Trends und Entwicklungen in konkrete Maßnahmen und Steuerungsmechanismen zu übersetzen. Um strategische Grundlagen zu klären, muss die Organisation sich und ihren Leistungszweck analysieren und gegebenenfalls neu definieren. Der Fokus auf Leistungen, Produkte und Zielgruppen hilft dabei, das gewünschte Zielbild zu schärfen und die strategischen Maßnahmen genau zu planen. Danach gilt es, das eigene Umfeld und seinen Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft der Organisation genau zu analysieren. Als Ergebnis dieser Phasen werden ein Zielbild und eine Vision ausformuliert. Aus der Mission und Vision heraus können konkrete Handlungsfelder und Maßnahmen

Sechs Bausteine des Strategieentwicklungsprozesses

Wenn in der Organisation ein Digitalisierungsvorhaben umzusetzen ist, ist dies nie als eine rein technische Herausforderung zu betrachten. Die prozessualen und organisatorischen Dimensionen technologischer Veränderungen sind für die erfolgreiche Umsetzung gleichermaßen wichtig. Eine ganzheitliche Strategie hilft dabei, verschiedenartige Veränderungen sinnvoll zu bündeln, Schnittstellen zu identifizieren und zu nutzen.

definiert werden. Aufgrund der Komplexität der Rahmenbedingungen für das Verwaltungshandeln ist es besonders wichtig, den Strategieprozess iterativ zu gestalten, d. h. das eigene Umfeld ständig zu analysieren und Phasen des Strategieprozesses mehrmals zu durchlaufen.

Dimensionen der Digitalisierungsstrategien Entwicklung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie fallen heutzutage oft in das Aufgabengebiet der Behörden. Ob Digitalisierungsprogramm oder -strategie, IT-, KI- oder OZGStrategie – wichtig ist es, die Digitalisierung nicht isoliert als rein technische Aufgabe zu behandeln. Strategie hat auch eine

Seminarankündigung Um das erläuterte Vorgehensmodell für Strategieentwicklung in der Praxis zu erproben und die Phasen und die Methoden anwenden zu lernen, laden wir sie zu den Webinaren “Digitalisierungsstrategie für die öffentliche Verwaltung”, die am 13. und 15. April 2021 online stattfinden, ein. Das Webinar richtet sich an alle, die mit Entwicklung, Planung und Umsetzung von Digitalisierungsstrategien auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene betraut sind und Interesse an der Zielbildentwicklung sowie der Umsetzungsplanung haben. Im Mittelpunkt des Webinars am 13. April 2021 steht die Entwicklung strategischer Zielbilder für die öffentliche Verwaltung im Kontext der digitalen Transformation. Durch aktive Gruppenarbeit und Interaktion mit Entscheidungsträgern aus verschiedenen Domänen und Wissensgebieten möchten wir zusammen mit Ihnen den Strategieentwicklungsprozess mit Fokus auf dem Thema Zielbildentwicklung durchlaufen. Der Gegenstand des Webinars am 15. April 2021 ist die Umsetzung strategischer Ziele im Rahmen von Digitalisierungsstrategien der öffentlichen Verwaltung. Ausgehend von der strategischen Zielbildentwicklung in der jeweiligen Organisation werden verschiedene Phasen der Maßnahmenplanung und Umsetzungssteuerung durchlaufen. Weitere Informationen zum Webinar und eine Anmeldemöglichkeit finden sich unter www.fuehrungskraefte-forum.de.

Grafik: BS/msg

prozessuale, organisatorische Dimension: Sie ist eng mit den Gebieten wie Organisationsentwicklung, Veränderungsmanagement, Kommunikationssteuerung und Prozessmanagement innerhalb der Organisation verzahnt. Insbesondere in größeren Digitalisierungsprogrammen sollte eine Strategie die Aufgabe erfüllen, verschiedenartige Teilprojekte sinnvoll zu bündeln und Schnittstellen zwischen diesen zu identifizieren und zu nutzen. Nachdem die möglichen Anwendungsbereiche, z. B. einer neuen Technologie, definiert werden, sollen Machbarkeitsstudien ausgearbeitet werden.

Umsetzung und strategische Steuerung Ein Kernaspekt der strategischen Steuerung ist die sorgsame Planung der Ziel- und Ergebniserwartungen. Durch den klaren Fokus auf den Zweck, die Leistungen und ggf. Produkte der jeweiligen Organisation können Zielerreichungsparameter definiert werden. Diese wirken in verschiedene Richtungen: Einerseits erreichen sie durch den klaren Produktfokus einen hohen Grad an Messbarkeit. Andererseits dienen sie als Grundlage für eine ergebnis- oder verfahrensorientierte Kommunikationsstrategie in Richtung von Stakeholdern und Bürgerinnen und Bürgern.

folgreiche Strategieentwicklung und -umsetzung im öffentlichen Sektor im Fokus zu behalten: • Präzise Analyse der Ausgangssituation, • Analyse bestehender Leistungen und Prozesse, • Identifizierung von Wechselbeziehungen/Schnittstellen der Organisation zu externen Stakeholdern, • Klarheit und Messbarkeit von strategischen Zielen, • Bilanz zwischen kurz-, mittelund langfristigen strategischen Maßnahmen, • Flexibilität der Umsetzungsinstrumente, • Iterativer Ansatz. *Dr. Jan Engelke ist bei der msg als Lead Business Consultant tätig.

Katalog für kommunale Daten einen Musterkatalog erstellt, der eine Übersicht zur Datenlage in Deutschland gibt. Immer mehr Kommunen stellen ihre Daten dabei in Form von Open Data zur Verfügung. Aktuell soll sich die Anzahl auf rund 120 Städte und Gemeinden belaufen, darunter Großstädte, aber auch viele kleine und mittlere Kommunen. Der neue Musterdatenkatalog der Bertelsmann Stiftung liefert nun

Screenshot Quervergleich in Kasaia

User umfassend im bestehenden Bewertungsgefüge suchen und vergleichbare Stellen und Arbeitsvorgänge für weitere Arbeiten heranziehen. Relevante Stellen zu suchen und zu finden, ist mit den Quervergleichen ganz einfach. Dabei profitieren KGSt-Mitglieder gleich doppelt, denn auch das Modul Dienstpostenbewertung kann durchsucht werden. Darüber hinaus ist Kasaia als einzige Lösung am Markt in die KGSt-Stellendatenbank 2.0 integriert, sodass von dort komplette Stellenbewertungen vollständig heruntergeladen und weiterverarbeitet werden können. Bei der Suche im Bestand der Dienstpostenbewertungen sind alle Bewertungsmerkmale der KGSt filter- und durchsuchbar. So finden Anwender unkompliziert die für sie relevanten Stellen zur Weiterbearbeitung. Interessante Stellen können einfach “per Klick” direkt geöffnet, in der Stellenübersicht angezeigt oder direkt in die Zwischenablage kopiert werden. Gerade für

Quelle: BS/PICTURE GmbH

größere Stellenbewerter-Teams schafft dies Mehrwerte bei der einheitlichen und nachhaltigen Bewertung von Stellen im Team. Seit Februar 2021 gibt es die nächste Neuerung in Kasaia 2.0: Workflows für das Stellenbewertungs-Team. Mithilfe von Bewertungsvorgängen können Stellenbewertende nun die Aufgaben der Bewertung, Qualitätssicherung, Zustimmungen und Freigaben auf verschiedene Köpfe verteilen. Hierbei übernimmt die Kasaia-Workflow-Steuerung die gesamte Koordination und sorgt für den Überblick. Interessierte können die Explorer-Edition auf www.Kasaia.de/ ausprobieren kostenlos beantragen und einfach ausprobieren. Damit erhalten Verwaltungen einen vollwertigen Kasaia-Mandanten, damit sie sich unter realen Bedingungen ein umfassendes Bild von der Leistungsfähigkeit machen können. *Dr. Thorsten Falk ist Mitbegründer und Geschäftsführer der PICTURE GmbH.

Autobahn statt Römerstraße Die Zukunft der IT-Sicherheit liegt in der Cloud

(BS/Sasa Petkovic*) Die Corona-Krise hat mobiles Arbeiten als “neues Normal” etabliert und gezeigt, wie wichtig Cloud-Services für die Aufrechterhaltung des Betriebs sind. Dabei hat die Pandemie nur einen längst Das Wichtigste in Kürze bestehenden Trend verstärkt: Immer mehr Applikationen, Workflows und Geschäftsprozesse finden den Folgende Leitpunkte sind für er- Weg in die Cloud. Analysten prognostizieren, dass auch die IT-Sicherheit dem Weg in die Wolke folgen wird.

MELDUNG (BS/pet) Mit zunehmender Digitalisierung steigt der Wert kommunaler Daten an. Davon profitieren die Bürgerinnen und Bürger, aber auch Städte und Gemeinden selbst, die Entscheidungen auf Basis von Daten treffen. In Kooperation mit dem Datenportal GovData, der Open Knowledge Foundation und dem KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung hat die Bertelsmann Stiftung nun

Der Einsatz von Kasaia ermöglicht es Behörden, die Bewertungsgutachten personenunabhängig zu standardisieren, die Arbeit zur Gutachtenerstellung zu vereinfachen und gleichzeitig die Gesamtqualität der Ergebnisdokumente zu steigern. Dabei gibt die Lösung keineswegs vor, wie eine Stelle entsprechend der Tarifautomatik eingruppiert ist. Die Softwarelösung fördert vielmehr die individuelle Auseinandersetzung der Stellenbewerter mit der konkreten Stelle, ihren Arbeitsvorgängen und Besonderheiten. Dies bietet für die Verantwortlichen den Vorteil, dass Stellenbewerter/-innen sich voll und ganz auf die fachlichen Themen und die rechtliche Feststellung der Tarifmerkmale konzentrieren können. Ein wichtiger Aspekt im Hinblick auf ein nachhaltiges Stellenmanagement ist die Auswahl eines Software-Tools, welches konsequent datenbankorientiert arbeitet. Dies fördert das langfristige Wissensmanagement beim Umgang mit Stellenbewertungen. So können in Kasaia z. B. Arbeitsvorgänge aufgefunden und einzeln oder zusammen für neue Stellenzuschnitte wiederverwendet werden. Stellenbewerter/innen können in dem Tool alle Einzelbewertungen der Tarifmerkmale sowie die dazu hinterlegten rechtlichen Begründungen mit kopieren. Eine individuelle Anpassung ist jederzeit möglich. Dies ermöglicht es dem Personalmanagement, langfristig einheitlich und konsistent zu arbeiten. Kasaia bietet Stellenbewertern zudem umfangreiche Möglichkeiten im Bereich “Quervergleich und Suche”. Mit den neuen Quervergleichsmöglichkeiten können

erstmals eine Übersicht, welche Daten veröffentlicht wurden. Der Katalog ordnet die Datensätze ca. 60 kommunalen Bereichen zu. Nutzer können sich mithilfe des Katalogs etwa alle offenen Daten einer oder gleich mehrerer Kommunen zu einem Thema anzeigen lassen. Damit soll die Vergleichbarkeit erhöht und so ein Anreiz für Kommunen gesetzt werden, weitere Daten zu teilen. Aktualisierungen sind geplant.

Gerade in Krisenzeiten zeigt sich: Unternehmen und Behörden müssen Mitarbeitern ortsunabhängiges Arbeiten ermöglichen können. Sonst riskiert man, dass der Betrieb stillsteht – nicht nur bei einem Lockdown, sondern auch bei einem Brand, Hochwasser oder einem anderen Katastrophenfall. Resilienz des Geschäftsbetriebs bedeutet deshalb immer auch Resilienz der Arbeitsweisen, zumindest für betriebskritische Teile der Belegschaft, idealerweise aber für alle Wissensarbeiter. Doch lange Zeit stand der Resilienz-Gedanke beim Thema Remote Work gar nicht im Vordergrund: Sie wurde ermöglicht, weil sie Arbeitsabläufe beschleunigt, die Produktivität steigert und zugleich der Work/Life Balance der Arbeitnehmer entgegenkommt. So griffen schon vor der Krise immer mehr Anwender remote – zu Hause, im Hotel oder Zug – auf betriebsinterne Ressourcen zu. Diese befinden sich, wie auch die digitalen Workspaces selbst, zunehmend in der Cloud und der Homeoffice-Boom hat diesen Trend nochmals verstärkt. Nach anfänglicher Skepsis ist Deutschland also auf den Siegeszug des Cloud Computings aufgesprungen. Laut Analysten-Prognosen wird die IT-Sicherheit als nächstes diesen Weg mithilfe von SASE

(Secure Access Service Edge) einschlagen: Gemeint ist damit die Verschmelzung von Funktionen für die Absicherung der verteilten Ressourcennutzung mit Funktionen zur Beschleunigung des Fernzugriffs zu einem einzigen Cloud-Service.

Sicherheit wird Cloud-basiert Dafür umfasst die Cloud-basierte Sicherheit per SASE Funktionen wie die Absicherung des Cloud-Zugriffs oder das laufende Monitoring von Endgeräten im Hinblick auf sicherheitsrelevante Auffälligkeiten – Aufgaben, die das Business direkt berühren. Und wenn sich immer mehr Business-Applikationen in der Cloud befinden, ist es nur sinnvoll, die Security-Infrastruktur ebenfalls per Cloud zu steuern, nicht zuletzt dank der bekannten Vorteile Agilität, Skalierbarkeit und Hochverfügbarkeit der Services. Die Cloud wird sich also auch hier unaufhaltsam Bahn brechen: Digitalisierung bedeutet letztlich Cloud-basiertes, ortsunabhängiges Arbeiten mit ebenso Cloud-basierter Absicherung dieser Arbeit – nicht nur aus Gründen der Resilienz, sondern auch zugunsten höherer Produktivität. Deshalb ist es sinnvoll, schon früh eine RemoteWork-Strategie zu erarbeiten, die – wenn auch vielleicht erst mittelfristig – auf eine Cloud-

Zukunft ausgerichtet ist und alle erforderlichen Sicherheitsfunktionen umfasst. Wichtig: Beides – die Remote-Arbeitsplätze wie auch die Bausteine der Sicherheitsfunktionalität – sollten sich in die Cloud verlagern lassen, aber eben in den Schritten und in dem Tempo, die der individuelle Digitalisierungsansatz eines Unternehmens vorsieht – gefragt ist hier der Schieberegler, nicht der Kippschalter.

Alle Wege führen in die Cloud Unter dem Strich bedeutet das: Der Schritt der Security in die Cloud ist logisch konsequent, auch wenn das nötige Vertrauen hierfür erst noch wachsen muss. Führten früher sprichwörtlich “alle Wege nach Rom”, so führen heute alle Wege in die Cloud. Und wie die aktuelle Situation zeigt, betrifft dies nicht nur Unternehmen, sondern auch die öffentliche Hand. Immerhin sind diese Wege heute keine holprigen Römerstraßen mehr, sondern mehrspurige Datenautobahnen und jeder kann sich im eigenen Tempo seinen Digitalisierungszielen nähern – sofern die Reiseroute sorgfältig geplant wurde: mit durchdachten Konzepten für verteiltes Arbeiten und einer entsprechenden Security-Strategie. *Saša Petrović ist Solution Strategist bei Citrix Systems.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / März 2021

Agilität stärken

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ehörden Spiegel: Herr ­Krause, für diejenigen, die das Unternehmen noch nicht kennen sollten, was bietet ServiceNow seinen Kunden an?

Krause: Ich hoffe, dass viele Leser ServiceNow bereits kennen. Unser grundlegendes Ziel ist es, die Arbeit zu vereinfachen. Hierzu schaffen wir digitale Workflows, die erstklassige Kunden- und Mitarbeitererfahrungen bieten. Wenn Mitarbeiter bspw. ein Problem im Bereich Personal, IT oder auch ein juristisches Problem bei der Arbeit haben, dann können unsere Workflows dafür intern eine Lösung darstellen. Wir stärken damit Agilität, Resilienz und die Leistungsfähigkeit. Fast 7.000 Organisationen weltweit vertrauen mittlerweile ServiceNow. Wir glauben, dass wir mit unseren Lösungen die Kunden optimal auf die künftigen Herausforderungen und die Arbeitswelt der Zukunft vorbereiten können. Ein Beispiel dafür ist, dass wir am Beginn der Pandemie eine sogenannte Safe Workplace Suite entwickelt haben. Mit dieser Applikation konnten Unternehmen die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach dem ersten Lockdown sicher gestalten und somit der Gesundheit ihrer Mitarbeiter Rechnung tragen. Behörden Spiegel: Welche Branchen sprechen Sie mit diesem Portfolio an?

ServiceNow will mit breitem Portfolio im Public Sector wachsen (BS) Digitale Workflows, das zeigt nicht zuletzt die aktuelle Krise, sind elementar für die Handlungsfähigkeit von Staat und Verwaltung. Wo diese fehlen oder rudimentär bzw. ineffektiv implementiert sind, kommt es zu Problemen. Schul- und Gesundheitswesen liefern hierfür derzeit vielfältige Beispiele. Das Unternehmen ServiceNow hat sich mit seiner Plattform auf digitale Workflows spezialisiert und möchte diese zukünftig noch stärker den Kunden in der öffentlichen Verwaltung anbieten. Über Angebot und Strategie des Unternehmens für den Public Sector sprach der Behörden Spiegel mit Deutschlandchef Detlef Krause und Public-Chef Stefan Fischer. Das Interview führte Guido Gehrt. Sozialwirtschaft nimmt, warten wir Mitte des Jahres auf das Digitale Versorgungs- und Pflege-Modernisierungs-Gesetz, um Pflegepersonal, zu Pflegende und deren Angehörige mit digitalen Angeboten das Leben und Arbeiten einfacher zu machen. Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Kirchen – aus allen Richtungen sehen wir Bedarfe. Gemeinsam mit unseren Partnern können wir in all diesen Bereichen an Lösungen mitwirken. Behörden Spiegel: Könnten Sie vielleicht noch ein, zwei konkrete aktuelle Angebote nennen, wo ServiceNow momentan im Public Sector hierzulande unterwegs ist? Detlef Krause (links) ist Vice President EMEA Central und Deutschlandchef von ServiceNow. Stefan Fischer (rechts) leitet den Bereich Public Sector bei ServiceNow. Fotos: BS/ServiceNow

wir im öffentlichen Sektor gemacht. Systeme mit älteren Technologien gehören sicherlich heute zu den großen Hindernissen im öffentlichen Sektor. Wir glau-

“Unsere Lösung für das Impfmanagement in Deutschland zeigt, dass es möglich ist, dem Bürger einfache und transparente Prozesse zu bieten.” Krause: Grundsätzlich sprechen wir alle Branchen an. Wir sind zwar vertikalisiert und fokussieren uns auf einzelne Industrien, aber das Gesamtportfolio hat für jede Branche passende Lösungen. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt das Geschäft mit dem Public Sector in Ihrem Unternehmen? Krause: Die größten Projekte der letzten Quartale von ServiceNow International haben

ben, dass auch dort die digitale Transformation vom steigenden Datenvolumen getrieben wird, von der wachsenden Anzahl an Hacker-Angriffen sowie hohen Anforderungen und Erwartungen der Bürger. Diese wollen den Prozess in der öffentlichen Verwaltung so haben, wie wir ihn in anderen Lebensbereichen gewohnt sind. Eine integrierte Cloud-Lösung kann hier helfen, den digitalen Wandel erfolgreich zu gestalten und gleichzeitig Einsparpotenziale zu heben.

Vor diesem Hintergrund investieren wir aktuell massiv in den Public Sector, in Ressourcen, in den Aufbau des Teams. Mit Stefan Fischer konnten wir einen Leiter gewinnen, der über viel Erfahrung im Public Sector verfügt. Sein Team ist in letzter Zeit bereits um 300 Prozent gewachsen. Dies zeigt, welche Bedeutung dieser Bereich für uns hat und dass wir unseren Auftritt hier zukünftig weiter ausbauen werden. Behörden Spiegel: Herr Fischer, welche Bereiche des Public Sectors haben Sie mit Ihren Angeboten besonders im Fokus? Lässt sich das eingrenzen? Fischer: Nein, denn wir haben ja eine Situation, in der alle Bereiche des öffentlichen Bereichs die Digitalisierung vorantreiben. Auf der Bundesebene spricht man über die IT-Konsolidierung, bei den Ländern und Kommunen ist es das Thema Onlinezugangsgesetz und die Modernisierung der Verwaltung ganz generell. Im

KI für die Smart City Handlungsimpulse für die kommunale Praxis (BS) Künstliche Intelligenz (KI) ist längst Bestandteil unseres Alltags. Der Transformationsdruck auf die Kommunalverwaltungen wächst, weil die Stadtgesellschaft eine moderne, bürgernahe und zukunftsfähige Verwaltung erwartet. Kundenfokussierte digitale Dienstleistungen, die medienbruchfrei, zeit- und ortsunabhängig nutzbar sind – ähnlich dem Serviceangebot, der Verfügbarkeit, Bedienerfreundlichkeit und Reaktionsgeschwindigkeit kommerzieller Anbieter – bilden einen zentralen Bedarf. Zur Digitalisierung der Leistungen der Smart City kann Künstliche Intelligenz (KI) einen wesentlichen Beitrag leisten. Denn: KI kann in vielfältigen potenziellen Einsatzgebieten der Kommunalverwaltung – oft als geringer Anteil an IT-Lösungen – Vorgänge beschleunigen, Aufgaben effizient und kostengünstig erledigen, Transparenz und Teilhabe fördern sowie zu nutzerfreundlichen Services in höherer Qualität und damit zu einer stärkeren Zufriedenheit der Stadtgesellschaft beitragen. KI erfüllt allerdings keinen Selbstzweck und ist keine Allzwecklösung, sondern ein hilfreiches Werkzeug. Ihr Einsatz in der Kommunalverwaltung bedingt die Auseinandersetzung u. a. mit Aspekten der Wirtschaftlichkeit, potenzieller Abhängigkeit von Dienstleistern, Vorbeugung vor Diskriminierung, dem Datenschutz, der Dokumentation und Überprüfbarkeit sowie letztlich der Übernahme von Verantwortung für Entscheidungen. Nicht alle rechtlichen Voraussetzungen zu jedem Aspekt des

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Einsatzes von KI sind bisher geklärt. KI stellt andere Fragen an Vergabe, Projektmanagement, Betrieb, Organisation und Anspruchsgruppen und benötigt neue Antworten. Zudem sind Innovationen und neue Ideen in Kommunalverwaltungen nicht immer einfach einzubringen. Schulungen für Führungskräfte und Mitarbeitende vermitteln Wissen und Fachkenntnis, wirken Ängsten und Widerständen entgegen und können zur Akzeptanz der Systeme beitragen. KI bietet zahlreiche Vorteile und eine noch größere Anzahl an Einsatzmöglichkeiten über

nahezu die gesamte Leistungspalette der Kommunalverwaltungen. KI benötigt Aufmerksamkeit in den Kommunen. Die Autoren möchten dazu ermutigen, diese Schlüsseltechnologie als Möglichkeit anzusehen, Digitalisierungsinitiativen erfolgreich zu ergänzen und zum Nutzen der Stadtgesellschaft einzusetzen. Hierzu zeigen sie entlang einer technischen Kategorisierung quer zu den Smart-City-Themenfeldern vielfältige Anwendungsbeispiele auf. Viele Lösungen sind schon durch andere Branchen erarbeitet und können teils mit wenigen Anpassungen übertragen werden.

Veranstaltungshinweis Zum Thema “Künstliche Intelligenz für die Smart City – Handlungsimpulse für die kommunale Praxis” geben Tabea Hein (KI-Managerin/ Beraterin), Dr. Götz Volkenandt (Geschäftsführer Kompass Projektpartner GmbH) gemeinsam mit Jens Visser (Projektleiter Digitale Transformation/ Stadt Bocholt) am 16. und 23 April 2021 ein zweiteiliges Webinar. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit unter www.fuehrungskraefte-forum .de, Suchwort “Smart”.

Programm Polizei 2020 werden in den nächsten Monaten die Weichen für eine schrittweise Umsetzung gestellt. Krankenhäuser sind über das Krankenhauszukunftsgesetz und dessen Finanzierung aufgefordert, die stärkere Vernetzung von Leistungserbringern und bessere Patientenanbindung voranzutreiben. Wenn man dann die

Fischer: Sehr gerne. Bei Themen der IT-Konsolidierung auf Bundes- und Landesebene bietet z. B. unser IT-Portfolio jede Menge Ansatzpunkte. Das beginnt beim IT-Service und IT-Operation-Management. Wir haben standardisierte und automatisierte Prozesse rund um IT. Das erstreckt sich dann weiter auf Software-Asset-Management für Transparenz und Compliance im Softwarebestand. Wir bieten

Tools für umfassendes Projektmanagement oder ermöglichen die Überwachung von Risiken z. B. in der Zusammenarbeit mit wichtigen Lieferanten in ITInfrastrukturen. Digitalisierung, das zeigt sich aktuell in der Pandemie ganz besonders, braucht Standards. Das Prinzip “Einer für alle” im Rahmen der OZG-Umsetzung deutet unmissverständlich auch in Richtung einer einheitlichen IT-Architektur für Plattform und Basiskomponenten. Damit schließt sich der Kreis zu ServiceNow. Wir können schnell eine Vielzahl von Services bereitstellen und die Interaktion zwischen Bürgern und der Verwaltung transparent abbilden. Dabei nutzen wir sowohl bewährte Fachverfahren als auch neue Applikationen. ServiceNow baut mit seinem Kundenservicemanagement, der App Engine und einer Technologieplattform für Integration, Workflows und Automatisierung letztendlich eine Brücke zwischen Verwaltung und Bürgern. Damit können wir auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene Projekte unterschiedlicher Reifegrade in der Umsetzung unterstützen. Unsere Lösung für das Impfmanagement in Deutschland zeigt, dass es möglich ist, dem Bürger einfache und transparente Prozesse zu bieten, dabei vorhandene Fachverfahren und Register zu inte­grieren und letztendlich übergreifende Prozessketten anzubieten. Das können wir schnell, wirksam und sehr pragmatisch.

Ein neues Datenrecht Die Digitalisierung ist nur die Spitze des Eisbergs (BS/Manuel J. Heinemann*) Ein neues Datenrecht entsteht – weitgehend unbemerkt und mit weitreichenden Folgen – auch für die Verwaltung. Zwei komplexe Herausforderungen treffen aufeinander. Die Digitalisierung ist das beherrschende Thema in Verwaltungen. Und auch in Unternehmen und in der Politik. Neben der Fortentwicklung und Umsetzung des E-Governments stellt das OnlineZugangsgesetz die Behörden derzeit vor große Herausforderungen. Die Zukunft wird geprägt von Open Government und Mobile Government. Und auch weitere technische Entwicklungen, beispielsweise im Bereich AR/VR und in der Quantentechnologie, werfen ihre ersten Schatten auf die Verwaltung. Der Blick ist auf technische Umsetzungen, organisatorische Veränderungen und die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen gerichtet. Wie ein Eisberg, verborgen unter der Wasseroberfläche, bilden Daten jedoch den entscheidenden und weitaus größeren Teil der Wirklichkeit. Die gesamte Verwaltung, ja die Gesamtheit von Unternehmen und auch die Gesellschaft selbst, bauen und gründen inzwischen auf der Verarbeitung von Daten. Big Data, große Datenmengen, prägen die Arbeitsabläufe und Prozesse. Fragt man nach dem rechtlichen Rahmen, fällt der Blick jedoch zumeist auf den Datenschutz und den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Die DSGVO ist als grundlegendes Regelwerk gut bekannt. Daten sind jedoch ein Regelungsgegenstand von weitaus größerer Tiefe. Wem gehören Daten? Welche Verfügungs- und Zugangsrechte bestehen an Daten? Wie sind Daten in Verträgen zu behandeln? Und wer haftet für Schäden aufgrund von Datenverarbeitungen? Das sind nur einige Fragen, die vordringlich der Klärung bedürfen. Dahinter steckt ein grundlegendes Problem: Die Rechtsordnung kennt Daten als Rechtsobjekte weitgehend nicht. Daten sind keine körperlichen Gegenstände im Sinne des Sachenbegriffs nach § 90 BGB. Es sind ihre beson-

deren Eigenschaften, die Daten auszeichnen und die eine rechtliche Einordnung und Regelung bedingen. Um nur einige Beispiele dieser besonderen Eigenschaften zu nennen: Daten können beliebig oft vervielfacht werden, ohne dass sie verschleißen. Sie können in sehr kurzer Zeit weltweit an eine unbegrenzte Zahl von Empfängern übermittelt werden. Sie lassen sich sehr leicht verändern und auch manipulieren. Daten können auf geringem Platz in großer Menge gespeichert werden. Und vor allem: Daten haben einen großen wirtschaftlichen Wert. Sie sind zutreffend schon so oft als Rohstoff der Zukunft, als neues Gold, als neues Öl, bezeichnet worden. Die zentrale Eigenschaft, die Menschen vor diese neuen Herausforderungen durch Daten stellt, ist aber: Wir Menschen haben keinen Sinn für Daten. Wir können Daten nicht sehen, nicht riechen, nicht schmecken, nicht hören, nicht anfassen und fühlen. Nur über Ausgabegeräte und in aufbereiteter Form sind Daten für Menschen sichtbar und verständlich. Wir Menschen können keine Maschinensprache, keinen nativen Code, lesen. Nahezu unendliche Ketten von Nullen und Einsen sind für Menschen unverständlich und erst recht nicht nachvollziehbar. Daten sind in elektronischer Form etwas Neues. Und deshalb

braucht es einen neuen Rechtsrahmen, ein Datenrecht. Genau dieses neue Datenrecht entsteht gerade. Es gibt erste Ausarbeitungen in der Fachliteratur. Damit aber besteht für Verwaltungen und vor allem für die Beschäftigten die einmalige Gelegenheit, diese Entwicklung von Beginn an mit zu verfolgen. Die Klärung der zentralen Fragen zum Umgang mit Daten erfolgt genau jetzt.

Fazit Die zukünftige Datenverarbeitung in Verwaltungen erfordert auf allen Ebenen ein Grundwissen und Verständnis im Datenrecht. Die Verwaltung braucht Daten-Governance und Datenmanagement. Die komplexe Herausforderung des neu zu entwickelnden Datenrechts trifft dabei auf den komplexen Prozess der Digitalisierung. Dies erfolgt in einer Zeit, in der der digitale Wandel bereits in voller Fahrt ist, in der Europa sich mit Datendemokratie- und Persönlichkeitsrechten zwischen den Polen USA und China aufstellt. Darin liegen große Chancen, aber auch Risiken, die es zu vermeiden gilt. Das richtige Handeln erfordert zunächst das Erkennen und Verstehen des neuen Datenrechts. Wie würden Sie die Rechte an Daten, den Umgang mit Daten und die Wertschöpfung aus Daten regeln?

Veranstaltungshinweis “Das neue Datenrecht – Herausforderung für Behörden mit akutem Handlungsbedarf” lautet der Titel eines von Manuel J. Heinemann ­geleiteten zweistündigen Webinars am 20. Mai 2021. Weitere Informationen sowie eine Anmeldemöglichkeit unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Datenrecht”. *Der Referent des Webinars und Autor dieses Beitrags, Manuel Heinemann, Volljurist und Diplom-Kaufmann (FH), ist Hochschullehrer und Fachleiter Recht der Digitalisierung an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Altenholz.


Informationssicherheit

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Auf der Zielgeraden

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auptaugenmerk des Updates des ersten IT-Sicherheitsgesetzes von 2015 ist die Ausweitung der Prüf- und Kontrollbefugnisse des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). So soll unter anderem das BSI die Erlaubnis erhalten, Sicherheitslücken informationstechnischer Systeme zu öffentlichen Telekommunikationsnetzen festzustellen. Des Weiteren sieht das Gesetz vor, die Pflichten für Betreiber von Kritischen Infrastrukturen und Unternehmen im öffentlichen Interesse auszuweiten. Das übereinstimmende Urteil der Sachverständigen in einer Anhörung des Bundestagsausschusses Inneres und Heimat zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 fiel vernichtend aus. Zwar sei die Gesetzesvorlage im Grundsatz richtig und wichtig, in der aktuellen Version aber völlig unzureichend, waren sich die Experten einig. Sebastian Artz vom Digitalbranchenverband Bitkom kritisierte das Gesetzesvorhaben als bereits zum jetzigen Stand überholt. Er forderte ein dynamisches Regelwerk, in dem die Wirtschaft nicht als Gegner, sondern als Verbündeter angesehen wird. Weiterhin solle das BSI den Stand der Technik nicht einfach definieren und festlegen, sondern müsse dynamisch reagieren. Ähnlich äußerte sich Manuel Atuf von der Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastruktur. Er bemängelte die völlige “Strategie- und Ziellosigkeit des gesamten Verfahrens”. Nach dem Bonner Staatsrechtler Prof. Dr. Klaus F. Gärditz ist das Gesetz auch rechtlich fragwürdig. Es ergäben sich verfassungswie auch verwaltungsrechtliche Bedenken. Auch die Eingriffsvoraussetzungen für die Behörden

Behörden Spiegel / März 2021

Bundestag und Bundesrat beraten über das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (BS/Uwe Proll/Paul Schubert/Benjamin Stiebel) Nach Jahren der Vorbereitung und zahlreichen Entwürfen befindet sich das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 auf der Zielgeraden. In den ersten Befassungen in Bundestag und Bundesrat gab es neben einigen kritischen Anmerkungen auch viel Lob, insbesondere von den Ländervertretern. Die Verbände gehen mit dem Kabinettsentwurf deutlich härter ins Gericht.

Das langerwartete IT-Sicherheitsgesetz 2.0 ist auf der Zielgeraden. Eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode wird aber nur möglich sein, wenn Bundestag und Bundesrat keine grundlegenden Änderungen mehr vornehmen.

seien nicht klar geregelt, so Gärditz. Schließlich wurde moniert, dass Bundesbehörden mit der Gesetzesnovelle nicht verpflichtet werden, ihnen bekannt gewordene Sicherheitslücken den betroffenen Herstellern zu melden. Viele dieser Kritikpunkte teilt auch die Opposition im Bundestag. Überwiegend Zustimmung gab es bei der Befassung im Bundesrat. Diskutiert wurden die vorgesehenen Ausnahmen

Foto: BS/areebarbar, stock.adobe.com

der Gültigkeit des Gesetzes in Bezug auf das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung.

Verabschiedung vor der Bundestagswahl? Sollte das Gesetz an diesen Stellen jedoch noch einmal nachgebessert werden, so befürchtet das Bundesministerium des Inneren (BMI), könnte eine Verabschiedung in dieser Le-

gislaturperiode scheitern. Denn das Notifizierungsverfahren für den Gesetzentwurf ist bereits bei der Europäischen Kommission

eingeleitet. Eine Änderung in den oben genannten Punkten würde zu einer veränderten Gesetzeslage führen und erforderte dann ein neues Notifizierungsverfahren bei der EU, das mindestens drei Monate dauern würde. Damit wäre eine Verabschiedung in dieser Legislaturperiode wohl kaum realistisch, denn nach der parlamentarischen Sommerpause dürfte im September keine Bundestagssitzung mehr stattfinden, die noch Gesetze verabschiedet. Eine weitere Diskussion dreht sich um die Rolles des BSI. Die Arbeit der Cyber-Sicherheitsbehörde erhält viel Lob, auch von der Opposition. Dennoch wabert die Diskussion um die auch von der Opposition ins Spiel gebrachte größere Unabhängigkeit des BSI vom Bundesinnenministerium, das ja als Sicherheitsministerium wahrgenommen wird. Wenn also das BSI unter anderem die IT-Sicherheit in der Luftfahrt, im Gesundheitswesen und bei anderen Themenfeldern mitbearbeiten soll, stellt sich die Frage, wie das eine nachgeordne-

te Behörde des BMI legitimieren soll. Diskussionsvorschläge gibt es daher reichlich. Die Trennung zwischen Rechtsaufsicht über das BSI durch das BMI einerseits und der Fachaufsicht andererseits, verteilt auf andere Ressorts wie das Verkehrsministerium oder das Gesundheitsministerium, stehen schon seit längerem im Raum. Das BMI hat hieran aber naturgemäß kein allzu großes Interesse. Dennoch wäre es nach Aussage von Parlamentariern durchaus möglich noch bis zur Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes 2.0 die Verlagerung von der Fachaufsicht zu einer reinen Rechtsaufsicht durch das BMI einzubauen. Geteilte Fachaufsichten über nachgeordnete obere Bundesbehörden sind kein Novum. Das Statistische Bundesamt (Destatis) ist ein profundes Beispiel hierfür. Das Statistikamt untersteht der Rechtsaufsicht des BMI, seine einzelnen Abteilungen, die sich mit Fachstatistiken aus verschiedenen Politikfeldern beschäftigen, unterliegen der Fachaufsicht anderer Ressorts. Falls die Verabschiedung des Gesetzes tatsächlich in die nächste Legislaturperiode verschleppt wird, wäre auch noch eine andere Option auf dem Tisch. Das BSI könnte dann, wie von Oppositionspolitikern vorgeschlagen, einem neuen Digitalministerium nachgeordnet werden.

KI-Systeme in der öffentlichen Verwaltung Einhegung bei Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich

(BS/Prof. Dr. Dieter Kugelmann) Künstliche Intelligenz ist allgegenwärtig und zugleich schwer fassbar. Auch in der öffentlichen Verwaltung werden zunehmend Systeme eingesetzt, die unter den Oberbegriff Künstliche Intelligenz (KI) gefasst werden können. Allerdings gibt es im Einzelnen erhebliche Unterschiede zwischen dem Einsatz von algorithmisch basierter Software und darüber hinausgehenden Systemen, die sich maschinelles Lernen zunutze machen. Von menschenähnlichen Robotern, die den Bürgerservice im Sozialamt durchführen, sind wir noch sehr weit entfernt. Es geht vielmehr um unterstützende Software, um den Bediensteten der Verwaltung die Arbeit zu erleichtern. Ein wichtiger Punkt bei der erforderlichen Differenzierung ist der Datenschutz. Im Unterschied zu dem Begriff der Künstlichen Intelligenz ist der Begriff des Datenschutzes sehr Ein Damoklesschwert für Behörden als Verantwortliche? klar konturiert und mit einer Reihe von grundlegenden Prinzipien unterlegt. Diese Prinzipien gelten auch für (BS/Manuel J. Heinemann) Behörden sind für den Datenschutz, namentlich für die Einhaltung der Daten- den Einsatz von KI-Systemen. schutzgrundsätze verantwortlich und zur Rechenschaft verpflichtet. Diese gesetzlichen Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 und 2 DSGVO i.V.m. Art. 4 Ziff. 7 DSGVO sind weitgehend bekannt. Eine neue Entwicklung mit Die Konferenz der unabhängigen sind vielfache erheblichem Risikopotenzial ist jedoch unbedingt zu berücksichtigen: Die Rechtsfolgen von Datenschutzver- Datenschutzaufsichtsbehörden Schritte in diese stößen durch Behörden im Hinblick auf Schadensersatzansprüche. Hier hat das Bundesverfassungsgericht des Bundes und der Länder (DSK) Richtung bereits Prof. Dr. Dieter Kugelmann ist (BVerfG) eine aktuelle Entscheidung von großer Tragweite getroffen. Landesbeauftragter für den hat in ihrer Hambacher Erklärung gegangen worden.

Schadensersatz bei Datenschutzverletzungen

In der Praxis erfolgen Datenschutzverstöße durch Beschäftigte, gleich, ob es sich um Angestellte oder um Beamte handelt, die im Rahmen der Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben die Anforderungen des Datenschutzes verletzen. Bei der Verletzung dienstlicher Pflichten, die einen datenschutzrechtlichen Verstoß zur Folge haben, ist zwischen den Auswirkungen für den Verantwortlichen und dem handelnden Beschäftigten zu unterscheiden. An dieser Stelle liegt das wenig bekannte Risiko mit erheblichem Ausmaß. Auf der Seite der Verantwortlichen wird das Risiko erkannt, bei Datenschutzverstößen Maßnahmen und Sanktionen durch die Aufsichtsbehörden zu erfahren. Es wird auch das Risiko erkannt, eine negative Presse und entsprechende Öffentlichkeit zu erfahren. Letzteres wird zumeist weitaus mehr gefürchtet als etwaige Maßnahmen der zuständigen Aufsichtsbehörde. Das in Unternehmen größte Risiko einer hohen Bußgeldzahlung kommt hingegen bei Behörden grundsätzlich nicht zum Tragen, weil die Landesdatenschutzgesetze entsprechende Behördenprivilegien vorsehen. Gegen Behörden oder sonstige öffentliche Stellen werden keine Geldbußen verhängt.

Schadensersatzansprüche nicht ausgeschlossen Keine Ausnahme besteht jedoch bei Schadensersatzansprüchen der betroffenen Personen gegen Behörden. Die DSGVO enthält in Art. 82 DSGVO eine ausdrück-

Behörden droAss. iur. und Dipl.-Kfm. (FH) hen damit gleiManuel J. Heinemann ist chermaßen wie Fachleiter Datenschutz und Unternehmen Recht der Digitalisierung der SchadensersatzVerwaltung an der Fachhochklagen in erhebschule für Verwaltung und lichem Ausmaß. Dienstleistung in Altenholz Zum Teil wird von bei Kiel und Dozent der Cyber einer KlageindusAkademie. trie gesprochen, Foto: BS/privat wie man sie beispielsweise bei liche Anspruchsgrundlage für den Dieselklagen vorfindet. Ein den Schadensersatz sowohl für Regress gegen die handelnden materielle als auch für immate- Beschäftigten dürfte in den werielle Schäden. Diese wird durch nigsten Fällen zum Tragen komden Erwägungsgrund 146 noch men. Die Schwelle zur groben unterstrichen, der in Satz 3 einen Fahrlässigkeit oder zum Vorsatz weiten Schadensbegriff erken- werden Beschäftigte regelmäßig nen lässt. Die Behörden sind nicht überschreiten. Den Behördamit von Schadensersatzan- den blieben dann nur arbeitssprüchen bei Datenschutzver- rechtliche und bei Beamten disstößen gleichermaßen betroffen ziplinarrechtliche Maßnahmen. wie Unternehmen. Die Zukunft von Schadensersatzklagen steht Behörden sollten Maßnahmen treffen dabei vor einer grundlegenden Frage: Gibt es eine Mindestgrenze Behörden sollten sich dringend für immaterielle Schadensersatz- mit der Thematik von Schadensansprüche, eine sogenannte Ba- ersatzansprüchen bei Datengatellgrenze? Diese Frage müsse, schutzverstößen befassen und so das Bundesverfassungsgericht entsprechende technische und in einer aktuellen Entscheidung, organisatorische Maßnahmen durch den Europäischen Ge- zur Vermeidung kennen und richtshof (EuGH) geklärt wer- umsetzen. Insbesondere die den (Beschluss des BVerfG vom Rechenschaftspflicht gebietet 14.01.2021, 1 BvR 2853/19). insoweit ausreichende NachDeshalb entschied das Bundes- weise über die Umsetzungsmaßverfassungsgericht zugunsten nahmen zur Verhinderung von des Beschwerdeführers und be- Datenschutzverstößen. Einmal fand eine Vorlagepflicht im Rah- mehr kommt es für Behörden men einer Vorabentscheidung also auf die beiden wesentlian den EuGH. Wie der EuGH chen Anforderungen im Datendiese Frage beurteilt, ist offen. schutz an: Die Umsetzung der Die bisherigen Entscheidungen notwendigen und zielführenden des EuGH lassen jedoch eher Maßnahmen zum Datenschutz eine Entscheidung zu Lasten der und die Dokumentation dieser Maßnahmen. Verantwortlichen erwarten.

aus dem Jahr 2019 die Grundlagen festgehalten. Ausgangspunkt ist der Schutz der Menschenwürde. Auch beim Einsatz von KI-Systemen muss letztlich der Mensch im Mittelpunkt stehen. Das hat Folgen. Vollständig automatisierte Entscheidungen oder Profiling, also eine Profilbildung über eine Person mittels automatisierter Datenverarbeitung, sind nur eingeschränkt zulässig. Die Datenverarbeitung unterliegt den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, Zurechenbarkeit und der Fairness. Die Gefahr, dass maschinelle Systeme Diskriminierungen bewirken, ist groß. Ihr ist entgegenzutreten, indem immer nachvollziehbar sein muss, wie dem Grunde nach die Anwendung funktioniert. Zudem muss sichergestellt werden, dass ein Eingreifen im Falle von unzulässigen Abweichungen rechtlich und praktisch möglich ist. Denn die Verwaltung ist auch beim Einsatz von KI-Systemen an Gesetz und Recht gebunden. Die allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsätze der Transparenz und der Zweckbindung geben die Richtung vor. KI-basierte Anwendungen dürfen personenbezogene Daten nur zu einem vorher bestimmten, durchgehend einzuhaltenden Zweck verwenden. Die Datenverarbeitungen sind der jeweiligen Verwaltungsbehörde zurechenbar, sie trägt die Verantwortlichkeit für die Rechtmäßigkeit. Gerade beim Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure, etwa indem eine Anwendung von einem Dienstleister betrieben wird, der von einer Behörde herangezogen oder beauftragt wird, ist die

Datenschutz und die Informationsfreiheit in RheinlandPfalz. Foto: BS/LfDI RLP

grundsätzliche Verantwortlichkeit zu klären. Dies sollte im Vorfeld des Einsatzes der Systeme erfolgen.

Zahlreiche Anwendungs­ beispiele

Der Einsatz von KI-Systemen in der öffentlichen Verwaltung kann unter unterschiedlichen Gesichtspunkten eine Rolle spielen. Die Bewerberauswahl in entsprechenden Verfahren der Personalgewinnung kann durch algorithmische Systeme unterstützt werden. Die Polizei betreibt bereits vielfach Abfragesysteme, die mittels KI-Systemen erweitert und ausdifferenziert werden sollen. Erste Landespolizeigesetze enthalten entsprechende Klauseln, die auf moderne Analysetools gemünzt sind. Das predictive policing ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Pilotprojekte beschäftigen sich damit, ob etwa umfangreiches Material im Verfahren zur Bekämpfung der Straftaten der Kinderpornografie durch Computersysteme vorgesichtet werden kann. Dies würde eine wünschenswerte Verringerung der erheblichen Belastung bedeuten, denen Beamtinnen und Beamte in diesen Zusammenhängen ausgesetzt sind. Darüber hinaus ist aber auch in der allgemeinen Verwaltung die Digitalisierung auf dem Vormarsch. In der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes und der E-Government-Gesetze

Verantwortlichkeit regeln

In allen diesen Zusammenhängen muss vor dem Einsatz des KI-Systems geklärt sein, wie in groben Zügen das System funktioniert. In aller Regel wird hierfür eine Datenschutz-Folgenabschätzung erforderlich sein. Die Empfehlungen aus Sicht des Datenschutzrechts gehen dahin, Verantwortlichkeit frühzeitig zu klären und ggf. vertraglich die entsprechenden Sphären abzusichern. Das KISystem darf keine Black-Box sein. Wenn Fehler passieren, muss ein Verantwortlicher benannt werden können. Falls also die Verwaltung ein entsprechendes System kauft, liegt es nahe, dem Hersteller, Verkäufer oder Betreiber vertraglich Lasten aufzubürden. Die Verwaltung sollte nur KI-Systeme einsetzen und anwenden, die in groben Zügen erklärbar und nachvollziehbar sind. Dabei geht es nicht um das wissenschaftliche Programm der sog. erklärbaren KI (explainable AI), sondern um die Wahrung der Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in der Demokratie. KI bedarf der technischen und organisatorischen Einhegung. Dies ist aus Sicht des Datenschutzrechts zwingend erforderlich, wenn und soweit personenbezogene Daten verarbeitet werden. Der Einsatz von KI-Systemen in der öffentlichen Verwaltung wird regelmäßig politisch zu entscheiden sein. Das Datenschutzrecht gibt hierfür klare Leitlinien vor.


Informationssicherheit

Behörden Spiegel / März 2021

Freunde und Helfer im Cyber-Raum

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as tun, wenn im mittelständischen Produktionsbetrieb oder im kleinen Handwerksunternehmen die Rechner den Dienst versagen, weil Cyber-Kriminelle alle Festplatten verschlüsselt haben? Eine Antwort will das BSI geben. Unter dem Namen CyberSicherheits-Netzwerk (CSN) will das BSI eine flächendeckende, dezentrale Struktur aus Helfern aufbauen. Die Idee: Wenn die IT wegen eines Virenbefalls verrücktspielt, kann man sich vertrauensvoll an das HelferNetzwerk wenden. Dabei soll je nach Schwere des Falls und je nach Kompetenz der oder des Betroffenen eskaliert werden. Das BSI spricht von der “digitalen Rettungskette”. Zunächst findet jeder auf der Website des CSN Hilfe zur Selbsthilfe: Checklisten für den Ernstfall, Handlungsempfehlungen, FAQs. Kommt man damit nicht weiter, ruft man beim Cyber-Sicherheits-Netzwerk an und bekommt persönliche Hilfe – deutschlandweit. Einige Probleme lassen sich direkt am Telefon in den Griff bekommen, in vielen Fällen wird ein längeres Analyse-Gespräche nötig sein. Wenn die Luft brennt, kann auch ein vom Netzwerk zertifizierter Dienstleister ausrücken und vor Ort helfen.

BSI baut auf Ehrenamt Im Notfall ausrücken: Dazu gibt es schon lange Ideen im BSI. So wurde vor einigen Jahren die gesetzliche Grundlage geschaffen, Mobile Incident Response Teams (MIRTs) vorzuhalten, die auf Wunsch bei schweren ITVorfällen Betroffene vor Ort bei der Schadensbewältigung unterstützen. Zielgruppe sind neben der Bundesverwaltung auch Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS). Durchgesetzt hat sich das Modell für die Unternehmen nicht. Ein Knackpunkt sind ungeklärte Haftungsfragen: Wer steht dafür gerade, wenn

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BSI will KMU bei Sicherheitsvorfällen unterstützen (BS/Benjamin Stiebel) Mit einem Cyber-Sicherheits-Netzwerk will das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) künftig kleinen und mittleren Unternehmen bei Cyber-Angriffen schnell und unkompliziert Hilfe anbieten. Ein ähnliches Angebot gibt es schon in Baden-Württemberg. Bei beiden Modellen stellt sich die Frage, ob sie sich überhaupt langfristig tragen können. bei Wiederherstellungsmaßnahmen, die BSI-Beschäftigte in Unternehmensnetzwerken vornehmen, Schäden entstehen? Private Dienstleister im Auftragsverhältnis können sich gegen Ansprüche versichern, bei einer obersten Bundesbehörde liegen die Dinge komplizierter. Darum gab es ursprünglich noch einen anderen Plan, der aber in der Schublade blieb: Das BSI hätte demnach eine Cyberwehr nach dem Prinzip der freiwilligen Feuerwehr aufbauen sollen. Das Bundesamt hätte dann nur die Einsatzleitung übernommen, die freiwilligen Helfer hätten aus der Wirtschaft unentgeltlich abgestellt werden sollen. Diese Idee wird dem Grundsatz nach nun wieder aufgegriffen, allerdings mit KMU als Zielgruppe. Auch beim Cyber-SicherheitsNetzwerk übernehmen nicht BSI-Beschäftigte die Rolle des Freunds und Helfers im CyberRaum. Die Behörde organisiert die Plattform und zertifiziert die kommerziellen Dienstleister, die im Ernstfall ausrücken. Den Großteil des operativen Geschäfts sollen aber die sogenannten digitalen Ersthelferinnen und Ersthelfer, also Ehrenamtliche, erledigen. Diese werden durch das BSI kostenlos geschult und können dann erste Hilfe am Telefon leisten. Im zweiten Glied der digitalen Rettungskette kommen die sogenannten Vorfallexpertinnen und -experten zum Zug. Sie führen längere Analyse-Gespräche mit den Kunden durch und geben spezifischere Unterstützung. Die Vorfallexperten

Erste Hilfe bei IT-Sicherheitsvorfällen in KMU? Das BSI und das Land BadenWürttemberg setzen dabei auf Partner und Freiwillige aus der Wirtschaft. Foto: BS/Stockwerk-Fotodesign, stock.adobe.com

durchlaufen eine mehrtägige Aufbauschulung bei kommerziellen Schulungsanbietern oder im Rahmen ihres Studiums und erhalten eine Personenzertifizierung. Ob die ehrenamtlichen Helfer sich dann in ihrer Freizeit engagieren sollen oder sie sich vom Arbeitgeber freistellen lassen sollen, ist noch unklar. Bei den früheren Plänen zur Cyberwehr für den KRITIS-Bereich stand jedenfalls im Raum, dass die teilnehmenden Unternehmen die Einsätze ihrer Angestellten als Arbeitszeit verbuchen und vergüten sollten. Ob sich unter diesen Vorzeichen ein flächendeckendes

Netzwerk aus Ersthelfern und Experten aufbauen lässt, bleibt abzuwarten. Zunächst soll das CSN mit einem Pilotbetrieb in Bonn starten. Mit an Bord sind der Cyber Security Cluster Bonn und die Universität Bonn. Wenn das Konzept aufgeht, soll das Netzwerk später auf weitere Regionen ausgeweitet werden.

Baden-Württemberg hat vorgelegt Dabei muss dann aber andererseits sichergestellt werden, dass keine Doppelstrukturen geschaffen werden, denn es gibt in Baden-Württemberg

lokal begrenzt bereits ein vergleichbares Angebot – unter dem Namen “Cyberwehr”. Das vom Digitalministerium schon 2018 eingeführte Ersthilfeangebot für KMU im Ländle dürfte ein Vorbild für das CSN gewesen sein. Auch die Cyberwehr arbeitet mit Dienstleistern zusammen, die bei Bedarf vermittelt werden und auch hier erfolgt die operative Arbeit nicht aus der Verwaltung heraus. Die Cyberwehr ist im Kern ein achtköpfiges Team wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe. Anders als beim geplanten Cyber-SicherheitsNetzwerk des BSI wird bei der Cyberwehr aber nicht so feingranular entlang einer digitalen Rettungskette eskaliert. Die Hilfe beginnt hier immer mit einem Anruf und die Fallbearbeitung folgt einem klaren Schema. Wie bei einem klassischen Notruf werden zunächst alle relevanten Daten aufgenommen. Im Erstgespräch erfolgt noch keine Einschätzung – es gibt höchstens allgemeine Tipps, zum Beispiel ob der Betroffene bei einem laufenden Angriff den Stecker ziehen sollte oder nicht. Im zweiten Schritt wird dann ein längeres telefonisches Vorfallanalyse-Gespräch geführt. Darin wird genau geklärt: Was ist konkret vorgefallen, welche Systeme sind im Einsatz, welche Schäden liegen vor und welche Schwachstellen könnten im Spiel gewesen sein? Hinterher gibt es eine schriftliche Einschätzung mit ersten konkreten Handlungsempfehlungen. In dieser zweiten Stufe ist bereits

ein Experte eines Partner-Dienstleisters der Cyberwehr involviert – für die Betroffenen ist alles bis hierhin kostenlos. Und in der Regel ausreichend: Fast immer genügte den Kunden bisher diese Fernanalyse, um selbst Maßnahmen zu ergreifen oder die Schadensbegrenzung ggf. mit eigenen Vertragsdienstleistern anzugehen. Bis Oktober 2020 hatten 135 Hilfesuchende bei der Cyberwehr angerufen. Nur eine gute Handvoll von Ihnen ließ sich ein kostenpflichtiges Angebot für einen Vor-Ort-Einsatz durch einen von der Cyberwehr ausgewählten Partnerdienstleister machen. Im Sinne der Cyber-Sicherheit ist das erfreulich. Der Cyberwehr bereitet es aber Kopfzerbrechen. Ursprünglich waren die Projektbeteiligten davon ausgegangen, dass deutlich häufiger Vor-OrtEinsätze nötig wären. Auf dieser Grundlage hätte ein Geschäftsmodell entwickelt werden können, um zumindest kostendeckend zu arbeiten, sobald die Förderung des Landes ausläuft. Das passiert Ende 2022, Fortsetzung ungewiss. Noch ist also alles andere als klar, ob die Modelle “Cyber-Sicherheits-Netzwerk” des BSI und “Cyberwehr” des Landes BadenWürttemberg sich langfristig tragen werden. Die Beteiligten stehen jedenfalls im engen Austausch, um in Zukunft Doppelstrukturen zu vermeiden. Die naheliegende Lösung sähe so aus: So, wie man beim klassischen Notruf immer bei der lokalen Rettungsstelle landet, könnte ein Anruf bei der bundesweiten Hotline des CSN zur Cyberwehr geleitet werden, wenn man von Baden-Württemberg aus anruft. Kleinen Unternehmen, denen es oftmals schon an ordentlichen Präventionsmaßnahmen geschweige denn Notfallplänen mangelt, dürfte die unkomplizierte Hilfe jedenfalls einiges nützen.

Gemeinsam im Kampf gegen Cyber-Kriminalität (CAk) Beim diesjährigen Münchner Cyber Dialog (MCD) vom 16.–17. Juni 2021 diskutieren, erarbeiten und beraten Verantwortliche der ITund Unternehmenssicherheit, Know-how-Träger und Gestalter des öffentlichen Sektors aktuelle Cyber-Angriffsvektoren und die sich daraus ergebenden technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen. Im Fokus des Online-Kongresses stehen die Bedrohungen Ransomware und Cyber-Spionage. Der MCD fand seit der ersten Ausgabe 2014 fünf Mal und zuletzt bereits ausschließlich als Online-Event statt und hat sich als eine Plattform für den Dialog und Wissensaustausch etabliert. Ziel der Veranstaltung ist es, Erfahrungen und Best Practices, Einschätzungen so-

Münchner

CYBER Dialog wie Prognosen untereinander auszutauschen und vom Wissen der Mitstreiterinnen und Mitstreiter, Kolleginnen und

Kollegen sowie der Expertinnen und Experten zu profitieren. Deswegen freuen wir uns bereits sehr über die Zusagen unter anderem von Carsten Meywirth, Abteilungsleiter Cybercrime, Bundeskriminalamt, Letitia Kernschmidt, CERT-Bund, Vorfallsbearbei-

tung und Verbindungsstelle Cyber-Abwehrzentrum, oder Lukas Knorr, Leitender Oberstaatsanwalt, Zentralstelle Cybercrime Bayern. Als Schirmherren begrüßen wir zudem den Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft e. V. (BVMW).

Unsere Seminare im April 2021 ■ Mobile Device Security Berlin*, 13.04.2021 ■ Open Source Intelligence (OSINT) für Fortgeschrittene Frankfurt am Main*, 13.04.2021

PROGRAMM Mittwoch, 16.06.2021 10:00 Uhr

Begrüßung, Einleitung und Grußworte

10:20 Uhr

KEYNOTE: Cyber-Kriminalität 2021 – eine Bestandsaufnahme

10:35 Uhr

KEYNOTE: Unternehmen vs. Cyber-Kriminelle: auf sich allein gestellt?

10:50 Uhr

IMPULS: Moderation des Spannungsverhältnisses Sicherheit und Freiheit im Cyber-Raum

11:00 Uhr

Zwischen Anarchie und Über-Regulierung: Rechtsdurchsetzung im Cyber-Raum

11:35 Uhr

Pause

11:40 Uhr

KEYNOTE: Schutz vor Cyber-Kriminalität

12:00 Uhr

WERKSTATT: Cyber-Vorfall. Wann und wie hilft der Staat?

12:20 Uhr

WERKSTATT: Neue Anforderungen an Geschäftsgeheimnisse

12:40 Uhr

WERKSTATT: DSGVO-Meldungen beim Cyber-Vorfall

13:00 Uhr

Zusammenfassung und Abschluss erster Tag

18:00 Uhr

DIALOGABEND: Online-Dinner

■ Krisensicher mit IT-Risikomanagement und -Notfallplanung Berlin*, 13.04.2021 ■ Erfolgreich Sensibilisierungskampagnen planen und umsetzen Berlin*, 14.04.2021 ■ Online-Zertifizierungskurs: IT-Security-Beauftragte/r Erstes Modul: 14.04.2021 Letztes Modul: 05.05.2021 ■ Netzwerk- und WLAN-Sicherheit Düsseldorf*, 20.04.2021 ■ Aktuelle Angriffsvektoren demonstriert und diskutiert Siegburg*, 20.04.2021

PROGRAMM Donnerstag, 17.06.2021

■ Lernpfad: Crashkurs Datenschutzbeauftragte/r Siegburg*, Erstes Modul: 20.04.2021 Siegburg*, Letztes Modul: 13.07.2021

10:00 Uhr

Eröffnung

10:05 Uhr

DIALOGFORUM: Prävention und Reaktion bei Cyber-Spionage

10:45 Uhr

DIALOGFORUM: Schutz gegen Ransomware

11:25 Uhr

Pause

11:30 Uhr

Ransomware-Erfahrungsbericht

11:45 Uhr

PANEL: Ransomware, APTs, Missbrauch von Schlüsseltechnologien – Cyber-Kriminalität von morgen

12:30 Uhr

Abschluss Münchner Cyber Dialog 2021

*ggf. Durchführung als Online-Seminar

www.muenchner-cyber-dialog.de

Anmeldungen und Programm 2021: www.cyber-akademie.de

Grafik: BS/Dach unter Verwendung von ribkhan, stock.adobe.com

NEUES AUS DER CYBER AKADEMIE


Informationssicherheit

Seite 36

Wie weit sind Quantencomputer?

E

in Quantencomputer basiert auf der Quantenphysik, also einem anderen Prinzip als derzeit verwendete Computer. Heutige Rechentechnik basiert auf Bits, der kleinsten informativen Einheit eines herkömmlichen Computers. Ein Bit hat zwei definierte Zustände, 0 oder 1. Quantencomputer rechnen dagegen mit Qbits, die auch Zwischenzustände annehmen können. Am Vergleich einer rotierenden Münze wechseln die Zustände ständig zwischen “Kopf” (Zustand 0) und “Zahl” (Zustand 1). Der Vorteil zeigt sich deutlich, wenn man nun mehrere Qbits koppelt. So kann man mit zwei Qbits schon vier Zustände (0 und 0, 0 und 1, 1 und 0 sowie 1 und 1) abdecken. Da ein Quantencomputer aber alle möglichen Ergebnisse quasi gleichzeitig darstellt, ist das Finden der richtigen Lösung das eigentliche Problem. Für die Brechung des RSA-Algorithmus wären geschätzt mehrere 1.000 bis 10.000 logische Qbits und damit mehrere Millionen physikalische Qbits erforderlich. Dabei ist ein logisches Qbit rauschfrei ohne jegliche Störungen von außen, tatsächlich rechnen aber Quantencomputer in der Praxis mit durch Umwelteinflüsse “verrauschten” physikalischen Qbits. Um einen Algorithmus fehlerfrei auszuführen, müssen die Störungsfehler der physikalischen Qbits korrigiert werden. Bei der aktuell besten Surface-Code-Fehlerkorrektur brauchen man immer noch mindestens etwa 100 physikalische Qbits für jedes logische Qbit. Der in diesem Zusammenhang oft genannte Supercomputer

Eine Bestandsaufnahme für die IT-Sicherheit (BS/Oliver Wege*) Quantencomputer werden in naher Zukunft für Kopfzerbrechen im Bereich der IT-Sicherheit sorgen. Schon 1994 stellte der Wissenschaftler Peter Shor einen mathematischen Algorithmus vor, mit dem man die bei der RSA-Verschlüsselung verwendeten Primzahlen in endlicher Zeit bestimmen kann. Mit einem Quantencomputer ließe sich das Verfahren in der Praxis brechen. Auch das “Diskrete Logarithmus-Problem” (DLP) ist per Quantencomputer lösbar. Derzeit basieren fast alle Verschlüsselungen im Web auf dem RSA- oder DLP-Algorithmus. Allerdings ist es bisher noch nicht gelungen, einen ausreichend leistungsfähigen Quantencomputer zu bauen.

Das IBM-Q-System wurde 2019 eingeführt und erlaubt cloudbasiert erste Experimente. Verschlüsselungssysteme lassen sich damit aber nicht brechen. Foto: BS/DP, stock.adobe.com

D-Wave wurde zwar schon mit Google-Hilfe von 1.024 Qbits (in 2016) auf 2.048 QBits (2019) aufgerüstet. Allerdings basiert er auf der Technik des “Quantenausglühens” zum Auffinden eines globalen Minimums über den Umweg des Zustandes niedrigster Energie. Damit lassen sich Optimierungsprobleme lösen. So hat Volkswagen mit dem D-Wave-System 2017 das erste kommerzielle Projekt gestartet und versuchte damit, Pekings

Dr. Erdmann: Zu Beginn der Pandemie hat das Thema Homeoffice viele Behörden ziemlich kalt erwischt – genau wie viele Unternehmen auch. Ausstattung und Kapazitäten waren auf einen Homeoffice-Anteil von wenigen Prozent ausgelegt, plötzlich sollten zwischen 50 bis 100 Prozent von zu Hause aus arbeiten. Gerade für obere Bundesbehörden kommt noch die Schwierigkeit dazu, dass immer VS-NfD-Kriterien erfüllt werden müssen, wenn von außen Zugriff auf deren Netz ermöglicht werden soll.

(BS) Homeoffice ist in aller Munde. Auch in der Verwaltung hat sich in den letzten Monaten viel bewegt. Doch die eigentliche Kür wäre es, dienstliche Anwendungen sicher und komfortabel von überall zugänglich zu machen. Wie mobil die Verwaltung bereits arbeitet und ob für die Sicherheit Abstriche gemacht werden müssen, erklärt Dr. Christoph Erdmann, Gründer und Geschäftsführer von Secusmart, im Interview.

Foto: BS/secusmart

Behörden Spiegel: Schnell und agil reagieren war das Gebot der Stunde. Gleichzeitig warnen viele davor, dass die IT-Sicherheit beim Thema Homeoffice oft zu kurz käme. Sind die Sorgen berechtigt? Dr. Erdmann: Grundsätzlich sind solche Sorgen nachvollziehbar. Wenn im Krisenmodus erst einmal operative Handlungsfähigkeit in den Fokus rücken muss, liegt die Befürchtung nahe, dass

nen. Technisch werden derzeit nahe dem absoluten Nullpunkt arbeitende, supraleitende Metallringe verwendet. Im Stadium der Supraleitung kann Strom in beide Richtungen zugleich und ohne Widerstand fließen. Diese Art der Quantencomputer verknüpft dann die analogen einzelnen QBits mittels digitaler Interconnects. Cloudbasiert konnte schon einmal jeder erste Experimente mit dem “IBM-Q”System und zunächst fünf QBits

Überall flexibel und sicher auf Netze und Anwendungen zugreifen

Sicherheit zunächst hintangestellt wird. Bei den Bundesbehörden sind aber, anders als in der Industrie, Sicherheitsarchitekturen und -Konzepte schon vor einer Krise vorhanden gewesen. Die sind auch nicht über Bord geworfen worden. Man hatte also bereits sichere Netze und sichere Lösungen und musste sich darum kümmern, dass das in schnellen und agilen Projekten skalierbarer wird. Wenn ein Mitarbeiter von zu Hause aus Zugriff auf seine dienstlichen E-Mails braucht, kommt er dort schlicht nicht heran, ohne die vorgeschriebenen Sicherheitsmechanismen zu durchBestehende Services schnell und sicher mobil umsetzen: laufen. Es gibt da Das ist für Dr. Christoph keinen Spielraum Erdmann der Schlüssel zum für unsichere UmErfolg. wege.

Die Verwaltung hat aber schnell reagiert: Beschaffungen angestoßen, Kapazitäten erweitert und vor allem auch unbürokratisch Projekte auf den Weg gebracht. Inzwischen sind die Behörden ziemlich gut aufgestellt, was Infrastruktur und Ausstattung angeht. Viele dieser Projekte laufen auch aktuell noch.

Taxis staufrei ans Ziel zu lotsen. Für das Brechen von Verschlüsselungen eignet sich diese Technik allerdings nicht. Im Gegensatz zu solchen quasi analogen Quantencomputern arbeiten Google, IBM und Intel (Tangle Lake) sowie die aus ehemaligen IBM-Mitarbeitern gegründete Firma Rigetti an universellen “Quantenprozessoren”, die logische Operationen in einem gatterbasierenden Quantensystem ausführen kön-

(später 16 QBits) durchführen. Darüber hinaus hat IBM einen ersten Prototypen eines “Quantenprozessors” mit zunächst 17 QBits vorgestellt, der aktuell auf 72 QBits ausgebaut wurde. Daneben gibt es noch weiterhin die Technik der Ionenfallencomputer (Fa. IonQ) und Fehlstellen in Kristallen, die mit QBits arbeiten können. Bei Ionenfallencomputern muss nicht bis zum absoluten Nullpunkt gekühlt werden, man könnte sogar bei Raumtemperatur rechnen, allerdings steigt dann die jetzt schon hohe Fehlerrate weiter an. In fünf Jahren sollen Ionenfallencomputer mit etwa 50 QBits zur Verfügung stehen. Einen anderen Weg geht man bei den Quantensimulatoren auf Basis parallel rechnender GateModell-Computer (z. B. der ITDienstleister Atos), allerdings haben all diese Systeme auch weit unter hundert QBits. Ebenfalls eigentlich nicht der Kategorie eines “echten” Quantencomputer zuzurechnen sind die “Digital Annealiner” von Fujitsu und Hitachi, die auf “Simultan Annealing” (Einbeziehung eines Wahrscheinlichkeitsparameters für die beste Lösung) beruhen. Doch eignen sich solche Digital Annealiner auch nicht zur Brechung von

Verwaltungsarbeit mobil

B

ehörden Spiegel: Die CoronaPandemie hat einen regelrechten Homeoffice-Boom ausgelöst. Hat die öffentliche Verwaltung im Zuge dessen ihren Rückstand gegenüber Unternehmen aufgeholt?

Behörden Spiegel / März 2021

Behörden Spiegel: Heißt das, technisch und organisatorisch gesehen sind alle Voraussetzungen für sicheres Homeoffice und mobiles Arbeiten erfüllt und es ist nur noch eine Frage des Willens, das im entsprechenden Maßstab umzusetzen? Dr. Erdmann: Bezüglich des technischen Zugangs: ja. Aber um von zu Hause oder unterwegs richtig arbeiten zu können, ist noch eine andere Frage entscheidend: Sind alle Anwendungen und Verfahren so weit digitalisiert und mobilisiert, dass sie auch von außerhalb des Behördennetzes funktionieren und komfortabel handhabbar sind? Der Schlüssel für erfolgreiche Digitalisierung und echte Mobilität liegt in der Flexibilität, bestehende Apps und Services schnell und mit geringem Aufwand nach VS-NfD zu

heben und nutzbar zu machen. Genau an der Stelle sehen wir derzeit unsere Hauptaufgabe gemeinsam mit den Kunden. Behörden Spiegel: Wie sieht echtes mobiles Arbeiten für die Bediensteten denn ganz praktisch aus? Können sie am Ende mit beliebigen privaten Geräten sicher auf alle Dienste zugreifen oder geht es nur mit dem dienstlichen Smartphone bzw. Tablet? Dr. Erdmann: Bei unseren Kunden in der Bundesverwaltung funktioniert es auf Basis dienstlicher Geräte, die außerhalb der gehärteten dienstlichen Umgebung auch die private Nutzung ermöglichen. Das Gerätemodell ist deshalb vorgegeben, weil es Teil der Evaluierung und Zulassung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist. Man muss eben sicherstellen, dass das Gerät, von dem aus Zugriffe auf das Verwaltungsnetz erfolgen, sicher ist. Behörden Spiegel: Zulassungspflichtig sind auch Updates ihrer Lösung und des Betriebssystems. Wie sehr wirkt sich das bremsend aus? Dr. Erdmann: Wir machen das schon sehr lange und arbeiten mit dem BSI da sehr gut zusammen. Die Prozesse sind inzwischen so organisiert, dass wir schon sehr früh mit der sogenannten Vor-Evaluierung anfangen können, sodass die eigentliche Evaluierung gerade bei bestehenden Lösungen recht schnell geht. Natürlich will man als Hersteller und als Nutzer ungern auf Neuerungen warten müssen. Außerdem gibt es in der Sicherheits-Community die Debatte, inwiefern eine gründli-

che Evaluierung vorab besonders bei sicherheitskritischen Patches unterm Strich mehr Risiken vermeiden hilft als dadurch aufrechterhalten werden. Das BSI geht mittlerweile mehr und mehr in die Richtung “Patching befo-

re Evidence”. Das heißt Sicherheitspatches werden zunächst eingespielt, um bekannte Lücken zu schließen und im Nachgang wird durch die gründliche Evaluation sichergestellt, dass nicht neue Sicherheitsprobleme ent-

RSA-Verschlüsselungen. Die Zielrichtung ist eher die Austestung der Post-Quanten-Kryptografie. Die EU will nun auch nicht mehr zurückstehen und mit Googles Hilfe einen eigenen Quantencomputer OpenSuperQ mit 100 QBits bis zum Jahr 2021 bauen (Forschungszentrum Jülich). Aktuell wird die Möglichkeit diskutiert, als Zwischenschritt Quantenprozessoren als Coprozessoren zu verwenden. Da klassische Computer schon viele Aufgaben gut können, sollen (ähnlich wie bei den KI-Chips) diese Quantencoprozessoren den Rechner nun ergänzen. Damit würde man das Problem der heutigen bisher erreichten niedrigen QBit-Zahl etwas relativieren können. *Oliver Wege ist Leiter der ITLeitstelle.

MELDUNG

Betrug bei Schnelltests (BS/stb) Den Andrang auf die neuen Corona-Schnelltests könnten Cyber-Kriminelle für sich ausnutzen. Sicherheitsexperten des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) warnen vor betrügerischen Angeboten in Fake Shops. Diese lockten Kunden mit besonders günstigen Angeboten zu sehr begehrten Produkten, die nach der Bezahlung aber nie ausgeliefert würden. Eine beliebte Vorgehensweise sei dabei, Sicherheitslücken in Webseiten von Organisationen zu nutzen, indem die Täter dort eine Weiterleitung zu ihrem Fake Shop hinterlegten.

standen sind. Dieses Vorgehen macht Sinn, weil die Geräte, über die wir sprechen, heute alle zentral gemanagt werden. Sollten im Nachhinein Probleme festgestellt werden, können jederzeit und schnell Maßnahmen bis hin zum Firmware-Rollback ergriffen werden. Mehr zum mobilen Arbeiten erfahren Sie auf dem kostenlosen “Nutzertag Secusmart” am 17. März 2021 ab 14:30 Uhr. Anmeldung unter sales@secusmart.de

Tool für IT-Grundschutz BSI-Kompendium 2021 in DocSetMinder abgebildet (BS/Piotr W. Nürnberg*) Seit Februar steht das novellierte Grundschutz-Kompendium zur Verfügung. Behörden, die ihre Informationssicherheit Tool-gestützt, nach BSI-Standardreihe 200-x und Kompendium 2021 ausrichten wollen, erhalten das DocSetMinder-Modul “IT-Grundschutz” kostenlos. Die Informationssicherheit in einer Organisation kann erst gelingen, wenn die Geschäftsprozesse (Fachverfahren) und die zu ihrer Ausübung notwendigen Ressourcen klar identifiziert sind. In Prozessen werden Daten und Informationen verarbeitet, deren Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit es zu schützen gilt. Sie bilden den Anfang der Schutzbedarfsfeststellung. Der Schutzbedarf vererbt sich auf die im Prozess eingesetzten Anwendungen, Systeme und Infrastruktur. Das IT-Grundschutz-Tool DocSetMinder bietet alle notwendigen Strukturen und Vorlagen zur Erfassung der Organisation. Mit aus der BSI-Methodik abgeleiteten Logiken unterstützt DocSetMinder die Zuständigen bei der Schutzbedarfsfeststellung, Modellierung und Risikoanalyse. Den Anwendern werden beispielsweise die zur jeweiligen Absicherungsmethode (Basis-, Standardabsicherung, erhöhter Schutzbedarf), der Kompendium-Schicht und dem Zielobjekttyp passenden

Bausteine mit Sicherheitsanforderungen vorgeschlagen. In der expliziten Risikoanalyse markiert das Tool die zu betrachtenden elementaren Gefährdungen auf Basis der hinterlegten Kreuzreferenztabellen. Dank eines integrierten Aufgaben- und Workflow-Managements können definierte technisch-organisatorische Maßnahmen zur Umsetzung an Mitarbeiter delegiert werden. Eine Auswertung des In-

formationssicherheitszustands ist mithilfe der mitgelieferten Berichte (A0-A6) jederzeit auf Knopfdruck möglich. DocSetMinder bildet den ITGrundschutz einschließlich Branchen- und Sektor-Profile effektiv und effizient ab und macht so die Organisation “Ready for Audit”. *Piotr W. Nürnberg ist Geschäftsführer der Allgeier CORE GmbH.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / März 2021

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit Programm “Polizei 2020” hinkt den Planungen erheblich hinterher

KNAPP Überarbeitung gestartet

(BS/Gerd Lehmann/Marco Feldmann) Vor nunmehr mehr als vier Jahren kündigten die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder ein ganz großes Vorhaben an: die (BS/bk) Der ÜberarbeitungsVereinheitlichung und Konsolidierung des bis dato zersplitterten polizeilichen Informationswesens in Deutschland auf der Basis eines fachlichen und technischen Gesamtsystems. prozess der “Empfehlungen für Zur Umsetzung der “Saarbrücker Agenda” initiierte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) 2017 das Programm “Polizei 2020”. Mit der Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) wurde die gesetzliche Grundlage zur Stärkung der Zentralstellenfunktion des BKA, und zur Modernisierung der ITArchitektur und zur Verbesserung des Informationsflusses zwischen den Polizeibehörden geschaffen. Kernziele des Programms waren und sind nach wie vor die Verbesserung der Verfügbarkeit polizeilicher Informationen und die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Datenschutzes unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016 zum BKA-Gesetz. Im Mittelpunkt des Vorhabens steht die Bereitstellung eines komplett neuen, einheitlichen Verbundsystems für die Polizeibehörden von Bund und Ländern beim Bundeskriminalamt (BKA). Schlüssel des Erfolges sollen ein “gemeinsames Datenhaus” und ein “smarter Datenzugriff” sein.

Neues Verständnis Wer annahm, das im Jahr 2017 initiierte und gestartete Programm würde im Jahr 2020 die Ziellinie erreichen, wurde enttäuscht. Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Bundestagsdrucksache 19/15346 im Dezember 2020 geht hervor, dass das Jahr 2020 vielmehr als der gemeinsame Ausgangspunkt und eigentliche Start des Programms “Polizei 2020” zu sehen sei. Die drei Jahre nach dem Kick-off erfolgte Aussage löst zwar Erstaunen aus, ist aber dennoch nicht völlig abwegig. Immerhin wurde das Projekt erst mit der im Dezember 2019 im Rahmen der Innenministerkonferenz (IMK)

Bei der polizeilichen Informationstechnologie klafft eine große Lücke zwischen dem Wunsch nach mehr Einheitlichkeit und der Realität vor Ort. Diese Kluft muss schnellstens geschlossen und überbrückt werden. Hier sind alle Verantwortlichen gefragt, im Bund und in den Ländern. Foto: BS/stock.adobe.com, Robert Kneschke

in Lübeck verabschiedeten Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung eines Polizei-IT-Fonds und über die Grundlagen der Zusammenarbeit bei der Modernisierung des polizeilichen Informationswesens von Bund und Ländern sowie der Einrichtung eines Verwaltungsrates als strategisches Entscheidungsgremium auf ein halbwegs abgesichertes organisatorisches und finanzielles Fundament gestellt.

dem Aufbau der Projektstrukturen erfolgte die Bestandsaufnahme der mehr als 2.000 für den Verbund relevanten Anwendungen. Darauf aufbauend wurden ein länderübergreifendes Vorgehensmodell mit gemeinsamen Finanzierungsmodellen und Steuerungsstrukturen sowie ein Grobkonzept und ein erster fachlicher “Bebauungsplan” erarbeitet.

Langsamer Aufbau

Realisierungszeit von zehn Jahren

Unbeschadet dessen wurde das Projekt im Jahr 2017 gestartet. Die Leitung des Projektes übernahm ein Bund-Länder-Lenkungsausschuss unter Vorsitz der Leitungsebene des BMI. Die Programmleitung wurde dem BKA mit dem eigens eingerichteten Programmstab übertragen. Darüber hinaus hat jedes Programm für das zugeordnete Verfahren eine eigene Projektleitung. Der Aufbau der Projektstrukturen in Bund und Ländern sowie deren personelle und materielle Ausstattung gestaltete sich als nicht gerade einfach und nahm eine gehörige Zeit in Anspruch. Nach

Parallel dazu wurden die bereits vor dem Start des Programms “Polizei 2020” laufenden Verbundprojekte Polizeilicher Informations- und Analyseverbund (PIAV) und einheitliches Fallbearbeitungssystem (eFBS) als Einzelprojekte unter dem Dach des Programms “Polizei 2020” fortgeführt. Nachdem Mitte 2018 die operativen Komponenten der ersten beiden Stufen von PIAV in den Wirkbetrieb gegangen waren, folgten Mitte 2020 auch die Stufen drei und vier. Das eFBS ging im Mai 2020 in den Wirkbetrieb, allerdings nur bei den Länderpolizeien in Baden-

Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Hessen. Auffallend ist, dass ständig neue teilnehmerübergreifende Bestandsprojekte, die bisher bei einzelnen Teilnehmern geführt wurden, in das Programm “Polizei 2020” zur Konzeption und Umsetzung in die Planungen aufgenommen werden und teilweise auch unmittelbar in die Realisierung gehen. Da sich das gemeinsame Datenhaus, das einheitliche fachliche Datenmodell und technische Austauschformat (XPolizei-Standard) und auch das Rechte- und Zugriffskonzept (IAM) noch in der Konzeptions- beziehungsweise Weiterentwicklungsphase befinden, stellt sich die Frage, auf welcher Basis all dies geschieht. Bei dieser Vorgehensweise verwundert es allerdings nicht, dass die Realisierungszeit für das Gesamtvorhaben mittlerweile auf zehn Jahre geschätzt wird und die Phase der konzeptionellen Vorbereitung noch immer nicht vollständig abgeschlossen werden konnte.

Unterschiedliche Sichtweisen Aus der eingangs zitierten Antwort der Bundesregierung ergibt sich, dass in diesem Jahr weitere Verfahrensschritte vorgesehen sind. Dazu gehören unter anderem die Beauftragung eines Generalunternehmers für die Programmumsetzung sowie die Konzipierung des zentralen Datenhauses. Zur Frage, welchen Zeitraum die Umsetzungsplanung insgesamt umfasst, führte die Bundesregierung aus, dass mit der Einrichtung des PolizeiIT-Fonds im Jahr 2020 zunächst eine mittelfristige Planung von fünf Jahren abgedeckt und diese jährlich fortgeschrieben werde. Beim grundsätzlichen Planungshorizont werde von einem Zeit-

raum von circa zehn Jahren ausgegangen. Während die politische und ministerielle Ebene ebenso wie das BKA stets herausstellen, dass sich das Programm auf einem guten Weg befindet und sich immer wieder ausdrücklich zu den Zielen bekennen, ist die Sicht der Arbeitsebene der zahlreichen Länderpolizeien durchaus eine andere. Die Erfahrungen der Vergangenheit wirken nach. Nicht wenige mit großen Versprechen gestartete Großprojekte der polizeilichen IT endeten kläglich. Vielerorts fehlt der Glaube, dass es diesmal anders sein könnte. Der Wille zum Umstieg auf neue gemeinsame Verfahren ist daher nicht sonderlich groß. Das Bekenntnis zu einheitlichen Verfahren endet spätestens dann, wenn das eigene Verfahren nicht Gegenstand der Vereinheitlichung ist. Die mit der Geschäftsordnung des Verwaltungsrates vereinbarte Governance, die eine adäquate Entscheidungsfindung bei reduzierten Abstimmungsaufwänden gewährleisten soll, steht auf dem Prüfstand und war Thema auf der jüngst stattgefundenen Sondersitzung des Verwaltungsrates. Dort sollte auch eine Entscheidung zum Themenkomplex Vorgangsbearbeitungssystem fallen. Neben der Komplexität des Programms “Polizei 2020” und den unterschiedlichen Projektorganisationen in den Ländern erschwert auch die notwendige Berücksichtigung der fachlichen und technischen Prozesse sowie der föderalen Bedarfe den Entwicklungsprozess. Über neue Lösungsansätze nachzudenken, lohnt sich. So verlangte die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag jüngst von der Bundesregierung, mit den Landesregierungen einen “Digitalpakt für die Polizei” auszuarbeiten.

Gemeinsame Regelungen zum Einsatz von Drohnen im Bevölkerungsschutz” wurde auf Initiative des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katas­ trophenhilfe (BBK) begonnen. Am Prozess sind u. a. der Deutsche Feuerwehrverband (DFV), die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF) sowie das Technische Hilfswerk (THW) beteiligt. Als besonders wichtig werden bei der Überarbeitung die Erkenntnisse der Kräfte mit dem Einsatzgerät eingeschätzt. Dabei sollen die Erfahrungen aus der Erprobungsphase ausgewertet werden. Ein aktualisiertes Dokument wird gegen Ende 2021 bzw. Anfang 2022 erwartet.

Erwarten Sie das Unerwartete (BS/df) Der Befehlshaber der niederländischen Streitkräfte, Admiral Rob Bauer, hob bei einer Debatte die Bedeutung der Politik hervor. “Wir gehen dahin, wo Sie uns hinschicken”, betonte Bauer. “Alles, worum wir bitten, ist, dass die Politiker uns erlauben, unsere Arbeit zu machen. Unsere Sicherheit sollte uns dies wert sein.” Dabei reichten Worte und Medaillen nicht aus, vielmehr sei auch das Bekenntnis der Politik zur Ausrichtung und zum Budget der Streitkräfte erforderlich. Man müsse sich schließlich auf das Unvorhersehbare einstellen. “In den fast 40 Jahren, die ich beim Militär bin, habe ich sehr viel erlebt: den Fall der Mauer, NineEleven, Georgia, ISIS, Ukraine, Covid-19. Immer wieder wurden wir überrascht. Tatsächlich ist fast das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, dass wir überrascht sein werden. Und wenn das passiert, können wir nicht weiter an der Tür des Weißen Hauses klingeln.”


Katastrophenschutz

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Neuer DFV-Präsident und alte Konflikte

MELDUNG

Anpassung gefordert (BS/bk) Der Landesverband Hessen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und die vier DRK-Rettungsdienstschulen des Landes sehen dringenden Handlungsbedarf bei der Digitalisierung der Sanitäterausbildung. In einem Positionspapier stellen die Rotkreuzler fünf Forderungen an die Landesregierung in Wiesbaden. Der Landesverband und die Schulen sehen die Erfahrungen des vergangenen Jahres und die guten Ergebnisse der digitalen Ausbildung in ihrer Fortführung gefährdet. Deshalb fordern sie, dass die Digitalisierung der Rettungsdienstschulen konsequent weitergeführt und gefördert werden muss. Der Einsatz von digitalen Unterrichtsformen muss weiterhin möglich sein. Darum soll sich die hessische Landesregierung im Bundesrat dafür einsetzen, dass die Ausbildungsund Prüfungsordnungen dementsprechend angepasst werden. Zudem soll der Einsatz von digitalisierten Ausbildungsformaten standardisiert werden. Konkret soll vermehrt auf sogenanntes Blended Learning, also der Kombination aus E-Learning und Präsenzveranstaltungen, bei die Aus- und Fortbildung gesetzt werden. Bei der Notfallsanitäterausbildung soll dieser Anteil bis zu 20 Prozent der Gesamtstunden betragen. Die Landesregierung soll dies in eigener Zuständigkeit regeln. Schlussendlich fordern der Landesverband und die Schulen, an dem Digitalpakt Hessen teilhaben zu können. Der virtuelle Unterricht, welcher im Zuge der Corona-Pandemie eingeführt wurde, um weiter Sanitäterlehrgänge durchführen zu können, habe “seither besonders gute Lernerfolge” gezeigt.

Behörden Spiegel / März 2021

Karl-Heinz Banse muss viel Vertrauen zurückgewinnen (BS/Marco Feldmann/Bennet Klawon) Mit 52 Prozent der Stimmen wurde Karl-Heinz Banse zum neuen Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) gewählt. Damit findet die Hängepartie im DFV nach mehr als einem Jahr ein Ende. Ob ein Neustart nach dem Rücktritt des vorherigen Präsidenten und den internen Konflikten gelingt, ist ungewiss. Banse, zuvor Präsident des Landesfeuerwehrverbandes Niedersachsen (LFV Nds), erklärte in seiner Bewerbungsrede auf der 67. Delegiertenversammlung des DFV, die aufgrund der CoronaPandemie digital stattfand, fünf Ziele für seine Präsidentschaft. Er wolle wieder Vertrauen zurückgewinnen und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verbänden der Länder und weiterer Interessenverbände stärken, um als “einheitliche Stimme” der Feuerwehren in Deutschland gehört zu werden. Drittens will Banse die Lobbyarbeit ausbauen. Dies bedeutet zum Beispiel konkret, dass er unterstützend auf die Neuausrichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) Einfluss nehmen möchte. Ebenso soll der DFV unter seiner Präsidentschaft transparenter arbeiten und interne Vorgänge in der Öffentlichkeit besser kommunizieren. Als letztes Ziel gab Banse die weitere Professionalisierung der Verbandsarbeit aus. Besonders der Rückgewinn des Vertrauens wird für Banse zunächst die Hauptaufgabe sein. Dies wurde im Verlauf der virtuellen Versammlung offensichtlich. Schon im Grußwort des Präsidenten des Landesfeuerwehrverbandes (LFV) Berlin, Sascha Guzy, klang der Wunsch nach Ruhe im Verband an. Es sei wichtig, endlich wieder kameradschaftlich zusammenzuarbeiten. Die kleinen Störfeuer innerhalb des Verbandes müssten unbedingt eingestellt werden. Der neue Präsident müsste auch eine faire

Karl-Heinz Banse wurde mit 52 Prozent der Stimmen zum neuen DFV-Präsidenten gewählt. Seiner Wahl vorausgegangen war jedoch eine lebhafte Delegiertenversammlung mit vielen Diskussionen. Und eine gewisse Rechtsunsicherheit bleibt, zumindest bei einigen Beteiligten. Foto: BS/Matthias Oestreicher, DFV

Chance bekommen, so Guzy. Der Berliner wünschte sich zudem, dass endlich auf die Bedürfnisse der Kameraden vor Ort eingegangen werde.

Gegenwind aus NRW Besonders viel Widerspruch kam aus dem Verband der Feuerwehr in NRW (VdF NRW). In einem Antrag trug der nordrhein-westfälische Verband rechtliche Bedenken gegen die ordnungsgemäße Einberufung der Versammlung vor. So sei die Einberufung zu der Versammlung fehlerhaft gewesen, da sie nur vom Vizepräsidenten Herrmann Schreck unterzeichnet

worden sei, obwohl in der Satzung des DFV gefordert werde, dass die Versammlung vom Präsidenten einberufen werde. Der VdF NRW wünschte sich ein rechtsicheres Verfahren und verwies auf ein Gerichtsverfahren in Berlin, bei dem ein ähnlicher Fall verhandelt wird (Landgericht Berlin; Aktenzeichen 27O32/21). Die rechtlichen Bedenken rühren aus dem Vereinsrecht her. Im Normalfall wird nach einer solchen Versammlung ein Ergebnisprotokoll angefertigt und anschließend an alle Delegierten versandt. Diese haben vier Wochen Zeit, gegebenenfalls Einwände zu erheben. Wenn dies nicht der Fall ist, wird das Protokoll rechtswirksam vom Versammlungsleiter – in diesem Fall von Schreck – unterzeichnet. Danach werden die Änderungen im Vereinsregister, hier also die Änderung auf dem Präsidentenposten, von einem Notar veranlasst. Das Registergericht, im Falle des DFV das Amtsgericht Charlottenburg, überprüft den Vorgang dann nochmals und kann die Eintragung eines neuen Präsidenten auch verweigern. So hat das Registergericht den Beschluss der Delegiertenversammlung dahingehend zu prüfen, ob Zweifel an der Wirksamkeit der Bestellung des neuen Vorstandes bestehen. Zweifel liegen dann vor, wenn schwerwiegende Verstöße gegen das Gesetz oder die Satzung vorliegen. Des Weiteren hat das Registergericht zu prüfen, ob die Anmeldung in der erforderlichen Form von den Vertretungsorganen in vertretungsberechtigter Zahl vorliegt. Zudem ist zu prüfen, ob alle veränderten Tatsachen

inhaltlich angemeldet worden sind und die für die Eintragung erforderlichen Daten vorliegen. Sofern Eintragungshindernisse bestehen, erfolgt entweder eine Zwischenverfügung mit der Aufforderung zur Mängelbeseitigung oder eine Zurückweisung der Anmeldung. Gegen beide Entscheidungen kann Beschwerde eingelegt werden. Der VdF NRW ist sich jedoch sicher, dass nicht korrekt eingeladen wurde und das ganze Verfahren auf rechtlich unsicheren Beinen steht. Pikant dabei ist: Hätte man neu geladen, wäre die neue Delegiertenversammlung erst nach dem 10. April möglich gewesen. Ab diesem Datum hat Banse jedoch sein 59. Lebensjahr vollendet und wäre gemäß der DFV-Satzung nicht mehr zum Präsidenten wählbar gewesen. Die Versammlungsleitung war hingengen überzeugt, dass das Vorgehen bei der Einberufung rechtsicher sei. Prompt kam auch Kritik vom Landesfeuerwehrverband Schleswig-Holstein (LFV S-H) am Antrag des VdF NRW. So hieß es in einer Wortmeldung, dass “eine kleine Gruppe seit einem Jahr die Delegiertenversammlung verhindern” wolle. Auch DFV-Vizepräsident Dr. Christoph Weltecke kritisierte die Bedenkenträger. Es sei nicht die Zeit für Formalismus, sondern der Moment, Zukunft zu schaffen, so Weltecke.

Vorwurf des unkameradschaftlichen Handelns In der Aussprache kritisierte Dr. Jan Heinisch vom VdF NRW das unkameradschaftliche Verhalten im Konflikt zwischen dem ehemaligen DFV-Präsidenten Hartmut Ziebs und fünf der sieben Vizepräsidenten, die Ziebs das Vertrauen entzogen hatten. Die Vizepräsidenten hätten 2019 der Aufforderung von Ziebs nachkommen und zurücktreten sollen. Damit wäre ein schneller Neubeginn schon 2019 möglich gewesen, so Heinisch. Ebenso kritisierte er die Aufklärungsarbeit in der Sexismus- und Rassismus-Affäre beim DFV. Es bedürfe einer Aufklärung durch externe Personen. Der Verband bringe jedoch selbst kein Licht ins Dunkel. Vizepräsident Lars Oschmann wehrte sich gegen diesen Vorwurf. Denn das Arbeitsgericht Berlin, an dem der Rechtsstreit zwischen der DFV-Bundesgeschäftsführerin Dr. Müjgan Percin und ihrem Arbeitgeber verhandelt wird, trage sehr wohl zur Aufklärung bei. Percin wirft Personen im Verband Diskriminierung und sexuelle Belästigung vor (Arbeitsgericht Berlin; Aktenzeichen: 44

Ca 6831/20). Allerdings wird das Verfahren laut Gericht derzeit nicht weiterverfolgt. Es habe zwar ein Gütetermin vor dem Einzelrichter stattgefunden. Allerdings hätte keine der beiden Parteien anschließend einen Kammertermin zur Verhandlung beantragt. Man wolle erst versuchen, sich außergerichtlich zu einigen. Der VdF NRW will nun zunächst die weitere Entwicklung abwarten und nicht sofort eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Delegiertenversammlung einreichen.

“Kein Spitzenverband zum Selbstzweck” Zur Wahl als DFV-Präsident standen neben Banse der Berliner Landesbranddirektor Dr. Karsten Homrighausen und der Vizepräsident des Landesfeuerwehrverbandes Brandenburg (LFV BB), Frank Kliem. Homrighausen hielt einen Neuanfang beim DFV für erforderlich. Denn dessen Strukturen seien nicht krisenfest. Er verlangte, sich wieder stärker an den von der Feuerwehr verkörperten Werten zu orientieren. Außerdem brauche es mehr Transparenz innerhalb des Verbandes sowie eine bessere Einbindung der Basis. Schließlich, so Homrighausen: “Der DFV ist kein Spitzenverband zum Selbstzweck.” Frank Kliem plädierte für einen modernen, innovativen, leistungsfähigen und selbstkritischen DFV, der sich “von innen selbst erneuern” solle. Etwas befremdlich mutete an, dass Kliem die Bühne nicht nur für eine Vorstellung seiner Person nutzte, sondern auch für Kritik an Homrighausen. Dieser sei nicht in ausreichendem Maße unabhängig und könne sich nur im Nebenamt um den DFV kümmern. Außerdem bestehe die Gefahr, dass der Verband eine zweite Direktion der Berliner Feuerwehr werde. Die Reformund Neuanfangideen Homrighausens gehen ihm zu weit, auch mit Blick auf die Bestimmungen der DFV-Satzung. Zugleich betonte Kliem aber im Gespräch mit dem Behörden Spiegel auch: “Ich habe großen Respekt vor der Person von Dr. Karsten Homrighausen. Es geht mir um die Sache, nicht um Personen oder Posten.” Nach seiner Nichtwahl will sich Kliem auf seine Arbeit im Landesfeuerwehrverband Brandenburg konzentrieren. Banse und Homrighausen hatten auf Kritik an ihren Mitbewerbern verzichtet. Ebenfalls befremdlich wirkte der Beschluss der Delegierten, keine Aufzeichnung des Livestreams der Versammlung zu gestatten.


Behörden Spiegel / März 2021

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aut dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) lag der Anteil von neu zugelassenen Pkws in Deutschland, die einen elektrischen Antrieb – darunter fallen batterieelektrisch, Plug-in oder Brennstoffzellen – hatten, bei 13,5 Prozent aller Zulassungen im Jahr 2020. Die Anzahl der neu zugelassenen Pkws mit reinem Elektroantrieb habe um über 200 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugelegt. Der Anteil der E-Mobilität bei den BOS legte nicht im gleichen Maße wie beim privaten Verkauf zu. Wenig verwunderlich ist die Experimentierfreude bei der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr. Schon auf mehreren Rettungsund Feuerwachen werden für unterschiedliche Szenarien verschiedene Fahrzeuge getestet. Deshalb erzeugte die Vorstellung eines elektrischen Lösch- und Hilfsfahrzeugs (eLHF) bei der Berliner Feuerwehr viel Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit. Bei dem eLHF handelt es sich um Fahrzeug des Typs “Rosenbauer RT”. Die elektrische Reichweite beträgt rund 300 Kilometer. Außerdem wird ein elektrischer Betrieb an der Einsatzstelle von 60 bis 90 Minuten gewährleistet. Um längere Einsatzzeiten zu gewährleisten, verfügt das eLHF über einen Dieselmotor, der als sogenannter “Range Extender” den Akku aufladen kann.

Positive Erfahrungen bei Berliner Feuerwehr Zwar wurde das eLHF schon im September vergangenen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt. Es wird jedoch erst seit Anfang Februar auf der Feuerwache Mitte getestet. Als Nadelöhr erwies sich auch hier die Landeinfrastruktur. Es sollen zwei unterschiedliche System getestet werden. Die Schnellladesäule für eLHF nimmt in etwa den gleichen Platz wie eine Telefonzelle ein. Im Jah-

Katastrophenschutz

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Noch am Anfang E-Mobilität bei Feuerwehr und Rettungsdienst (BS/Bennet Klawon) Es gibt wohl kaum ein größeres Thema in Bezug auf die Energie- und Verkehrswende als die Einführung von alternativen Antrieben. Oftmals steht der Individualverkehr im Vordergrund der Diskussion. Doch wie sieht der Umsetzungsstand bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) aus? Welche Vorteile erhoffen sich die Verantwortlichen? passen. Anfahrtswege von teilweise 60 bis 70 Kilometern seien für den eRTW zu weit. Die Insel Borkum sei jedoch ein perfektes Einsatzgebiet. Er könne sich sehr gut vorstellen, dass in Zukunft E-Fahrzeuge vermehrt in Großstadtgebieten, auf Werks- oder Klinikgeländen gesetzt werden könnten. Kritisch sieht er jedoch die Verwendung in weiten ländlichen Gebieten. Dort sei die Reichweite immer noch der limitierende Faktor. Ebenso dürfe die Umstellung auf E-Mobilität nicht an der Ladeinfrastruktur scheitern und erfordere hier mehr Engagement.

Reichweite allein nicht der einzige Faktor Während die Verbreitung von E-Autos im privaten Bereich zunimmt, steht die E-Mobilität bei Rettungsdienst und Feuerwehr noch am Anfang. Foto: BS/Markus Distelrath, pixabay.co resverlauf wechselt das Fahrzeug den Einsatzkräften.Ob mehr E- vergangenen Jahres im Einsatz. auf die Wachen Schöneberg und Einsatzfahrzeuge in Zukunft be- Es handelt sich um ein PilotproSuarez. Das Einsatzfahrzeug ist schafft werden, hängt von einem jekt des DRK-Landesverbandes “ganz normal im Einsatzdienst” erfolgreichen Projektverlauf ab. Niedersachsens. Feldmann, der integriert und fahre die identi- Eine Entscheidung zur Auswei- den eRTW mitgestaltet hat, beschen Einsätze wie die anderen tung der E-Flotte wird jedoch erst schreibt das Fahrverhalten wie LHFs der Berliner Feuerwehr. Es 2022 erwartet. Ein verstärkter bei einem “Autoscooter”. “Das sei jedoch noch zu früh, um eine Einsatz erscheint zum jetzigen ruhige, aber schnelle Anfahren Zwischenbilanz zu ziehen, so die Zeitpunkt jedoch nur im internen ist besonders für den Patienten Berliner Feuerwehr. Dienst, wie bei Kurierfahrten oder sehr angenehm”, erläutert der Erste positive Rückmeldungen von der Pressestelle, gegeben. Rotkreuzler. Jedoch sei bei dem kommen auch vonseiten des eRTW noch ein bisschen mehr Betriebsrates der Feuerwehr. Das Einsatzgebiet Disziplin von den Kräften gefragt, entscheidet Das eLHF sei aus Arbeits- und da beim Einrücken auf die WaGesundheitsschutz nur zu beBesonders begeistert zeigt sich che das Fahrzeug sofort wieder grüßen. Zum einen seien die Hary Feldmann, Geschäftsführer anschlossen werden müsse. Dies Geräte besser angebracht, die der DRK-Rettungsdienst GmBH, sei aber kein Problem. verbauten Sitze ergonomischer von dem auf der Nordseeinsel Feldmann betont jedoch, dass und die ruhigere Geräuschkulis- Borkum eingesetzten elektri- das Einsatzgebiet entscheidend se bei der Fahrt ermögliche eine schen Rettungstransportwagen sei. Es müssten die Einsatzrabessere Kommunikation zwischen (eRTW). Der eRTW ist seit Mai des dien und die Art der Einsätze

Christian Schwarze, Branddirektor bei der Berufsfeuerwehr Stuttgart und Vorsitzender des Fachausschusses Technik bei der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF), schätzt das Potenzial ähnlich wie die Berliner Feuerwehr ein. Abgesehen von der Nutzung im innerbetrieblichen Bereich sei die reine E-Mobilität im tatsächlichen Einsatzbetrieb noch mindestens mittelfristig nicht nutzbar. Auch die Feuerwehr Stuttgart nutzt bisher reine Elektrofahrzeuge nur im Zubringerdienst für übergeordnete Führungsdienste. “Bei Lösch-, Hubrettungs-, Rüstwagen und ähnlichen Fahrzeugen ist nicht allein die reine Reichweite entscheidend. An einer Einsatzstelle eingetroffen, müssen die Fahrzeuge auch viele Stunden lang über ihren Motor

die Feuerlöschkreiselpumpe, die Hydraulikpumpen für den Drehleiteraufbau, den fest eingebauten Stromerzeuger betreiben”, gibt Schwarze zu bedenken. Die europäischen Normen schreiben zudem für die Leistung bei Feuerwehrfahrzeugen eine Mindestreichweite von 300 Kilometern vor und dass die fest eingebauten Ausrüstungen mindestens vier Stunden über den Fahrzeugmotor angetrieben werden können müssen. “In diesen vier Stunden stellt eine Feuerwehr jetzt sicher, dass Kraftstoff zur Einsatzstelle gebracht wird und die Fahrzeuge nachgetankt werden, was in einigen Fällen dann auch alle vier Stunden wiederholt werden muss. Wann und wie diese Anforderung des sozusagen unendlichen Betriebs mit reiner Elektromobilität umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten, zumal diese Anforderung an Feuerwehrfahrzeuge besonders ist und mit keinen wirklich nennenswerten Stückzahlen verbunden sind”, so Schwarze. Ähnlich dem eLHF der Berliner Feuerwehr sieht Schwarze auch den Einsatz von E-Fahrzeugen nur mit einer Kraftstoffreserve auf dem Fahrzeug als gangbar. Denn nur eine solche Reserve könne den Betrieb für einen längeren Einsatz absichern. Ebenso stünden für die Verbreitung von E-Mobilität bei Feuerwehren noch die deutlich höheren Kosten bei der Beschaffung sowie die Kosten für die Rückfallebene entgegen. Dies sei für die meisten Kommunen kaum zu leisten, schätzt Schwarze. Trotz einiger vielversprechender Pilotprojekte steht die E-Mobilität bei der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr noch am Anfang. Viele Probleme, wie einer langen Einsatzbetrieb oder die Nutzung in nur eng definierten Einsatzbereichen, müssen noch gelöst werden.


Katastrophenschutz

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Behörden Spiegel / März 2021

Stärkere Rolle für das BBK

Neue Struktur

Amt ähnelt noch zu sehr einem bürokratischen Zwitter

Berliner Feuerwehr künftig prozessorientierter

(BS/Sandra Bubendorfer-Licht) Wir beschäftigten uns in der Politik mit vielen Fragen: Wie halten wir die Wirtschaft am Laufen, wie schützen wir unsere Alten vor der Corona-Pandemie, wie verhalten wir uns zum Fall Nawalny gegenüber Russland, wie verteilen wir Einnahmen der Steuern und müssen wir den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verlängern? Die Themenbreite ist riesig und da überrascht es nicht, dass es auch Nischenthemen gibt.

(BS/Marco Feldmann) Die Berliner Feuerwehr erhält eine neue Aufbauund Ablauforganisation. Sie wird in Zukunft eine deutlich prozessorientiertere Abteilungsstruktur aufweisen. Der Umstrukturierungsprozess soll bis Mitte des Jahres abgeschlossen sein.

wird heute auch am Hindukusch verteidigt. Auch das Elbhochwasser 2002 zeigte erschreckend auf, wie in einem föderalen Staat die Strukturen der Katastrophenhilfe an ihre Grenzen kommen können, wenn es keine Absprachen, kein Vertrauen, keine Struktur, keine Organisation und kein Miteinander gibt. Nicht mal vier Jahre dauerte es, bis man den Fehler der Leichtund Gutgläubigkeit wettmachen musste und 2004 das Bundesamt für BevölkerungsSandra Bubendorfer-Licht (FDP) ist seit 2019 Mitglied schutz und Katasdes Deutschen Bundestages trophenhilfe (BBK) und ordentliches Mitglied gründete. Eine des Ausschusses für Inneres Behörde, von deund Heimat. In ihrer Fraktion ren Existenz der ist sie für Katastrophenschutz breiten Bevölkezuständig. Foto: BS/Deutscher rung kaum etwas bekannt wäre, Bundestag, Inga Haar wenn es nicht im September 2020 Haushaltssanierungsgesetz 1999 das fulminante Scheitern des beschloss, das Bundesamt für ersten bundesweiten Warntags Zivilschutz (BZS) abzuwickeln seit der Wiedervereinigung gegeund es als eine Abteilung im Bun- ben hätte. Selbst ein bekanntes desverwaltungsamt (BVA) ein- politisches Magazin aus Hamzugliedern, war das Politikfeld burg nannte es in seinem AufmaKatastrophenhilfe und Bevölke- cher nur “das vergessene Amt”. rungsschutz vollständig margi- Dabei zeigt uns doch die Coronanalisiert. Man verließ sich auf Pandemie gerade eindrucksvoll, vorhandene Strukturen, ohne die wie wichtig Koordination und Zukunft nur erahnen zu können. Planung wären. Doch wie so oft, kommt es anders. Seine volle Kompetenz darf Der Terroranschlag am 11. das Bundesamt nur im VerteiSeptember 2001, der die USA digungsfall und nicht im Kataund die freie Welt mitten ins strophenfall ausspielen. Diese Herz traf, begründete ein neues Trennung führt dazu, dass das Bedrohungsszenario, welches Bundesamt in Friedenszeiten, in bisher unvorstellbar war. Hand- denen wir uns glücklicherweise lungsbedarf zeigte sich in vielen befinden, eher einem bürokratiFeldern der Innenpolitik wie Au- schen Zwitter gleicht. Ein Gerangel um die Kompeßenpolitik, denn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland tenzen und Zuständigkeiten Eines dieser Nischenthemen war nach dem Ende des Kalten Krieges das Thema Zivilschutz. Niemand konnte sich mehr vorstellen, dass ein Konzept zur zivilen Verteidigung zum Schutz der Bevölkerung bei einer militärischen Invasion gebraucht werden könnte. Man wiegte sich kurzzeitig in einem Gefühl der absoluten Sicherheit. Der Ernstfall, er war in weiter Ferne. Als der Bundestag durch das

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icherheitsvorsorge zum Schutz der Bevölkerung war in den Augen vieler obsolet geworden. Als dann am 24. März 2011 mit Hinweis auf die dauerhaft veränderte sicherheits- und verteidigungspolitische Lage auch die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, war der (vorläufige) Schlussstein in diesem Prozess gesetzt. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Bundesvorsorge für den Bevölkerungsschutz in geringerer Intensität weiterbetrieben und hing mit der starken Betonung der Doppelnutzen-Strategie auch von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in den einzelnen Regionen des Landes ab. Als dem Deutschen Bundestag Anfang Januar 2013 der “Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012” vorgelegt wurde, der sich unter anderem mit einem modifizierten SARSErreger und dessen Auswirkungen auf Land und Gesellschaft beschäftigte, trat das Thema aber wieder einen Schritt nach vorne. Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass nahezu die gesamte Bevölkerung in Deutschland betroffen sein würde (78 Millionen Menschen in drei Wellen, ehe ein adäquater Impfstoff zur Verfügung stand) und dass letztlich etwa zehn Prozent der Betroffenen an der Erkrankung versterben würden.

Keine reine Katastrophenschutzzentrierung mehr Als der Bundesrechnungshof im Dezember 2013 seine Bemerkungen Nummer 17 unter der Überschrift “Gesamtstaatlicher Bevölkerungsschutz erfordert bessere planerische und rechtliche Grundlagen” vorlegte, begann in vielen Köpfen bereits ein Umdenken. Der Rechnungshof forderte dazu auf, Abstand zu

zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist vorprogrammiert. Verstehen Sie mich nicht falsch, das föderale System macht in diesem Zusammenhang durchaus Sinn, denn es ist ein Gewinn für die Flexibilität und erleichtert es, sich auf die örtlichen Begebenheiten besser einzustellen. Ein zentralisiertes System wie beispielsweise in Frankreich zeigt in der Corona-Pandemie, dass es nicht automatisch effizienter ist. Allerdings sind die He­ rausforderungen im Wandel. Die Corona-Pandemie, die gestiegene hybride Bedrohungslage durch Anschläge und Extremwettereignisse aufgrund des anhaltenden Klimawandels zeigen uns, dass es Katastrophen und Krisen gibt, die eine bundesweite Bewältigung fordern.

Vorbereitung ist alles Vorbereitung ist hierbei alles und daher ist es richtig wie wichtig, dass das Bundesamt Risikoanalysen erstellt. Unabhängig von deren Erstellung müssen daraus aber auch konkrete Handlungsschritte abge-

leitet werden. Die Risikoanalyse aus 2012, “Die Pandemie durch Virus Modi-SARS”, hätte viele Möglichkeiten aufgezeigt, um auf die Corona-Pandemie besser vorbereitet zu sein. Um diese Prävention umsetzen zu können, brauchen wir das BBK, denn es ist die einzige Institution, die eine bundesweite Infrastruktur und Materialversorgung für Krisenfälle zum Beispiel für Schutzkleidung, technische Gerätschaften oder Masken aufbauen und koordinieren kann. Ein Dialog über eine mögliche Verfassungsänderung wird folgen müssen. Oder um es mit Prof. Dr. Drosten zu sagen: “There is no glory in prevention.” Nur wenn wir begreifen, dass wir für den Ernstfall stets gerüstet sein müssen, um vorbereitet zu sein, retten wir Leben, Umwelt und Zivilisation. Dazu braucht das Bundesamt endlich eine stärkere Rolle als Zentralstelle. Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sind zwar keine Wahlkampfschlager, aber Ausdruck großer Verantwortung und Verpflichtung.

MELDUNG

Übergriffe sind Normalität (BS/bk) Rettungsdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter erleben im Zeitraum eines Jahres mindestens einen Übergriff im Einsatz. Dies geht aus einer nicht repräsentativen Studie des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) hervor. In drei Viertel aller Fälle sind Patienten selbst die Täter. Der Großteil der betroffenen

Kräfte erlebte ausschließlich verbale Gewalt wie Beleidigungen. Rund ein Drittel der Einsatzkräfte berichtete von verbalen und körperlichen Angriffen. 14,1 Prozent der Befragten erfuhren nur körperliche Gewalt wie Tritte oder Schläge. Ein Fünftel der Befragten erlebte ein- bis zweimal pro Woche verbale Gewalt.

Das berichtet Per Kleist, Projektleiter der “Struktur 2020” und zugleich Leiter des Stabes bei der Berliner Feuerwehr. Im Zuge der Reform findet eine Aufgabenbündelung im Leitungsstab und in mehreren neuen Abteilungen statt. Dabei handelt es sich im Einzelnen um die Abteilung “Einsatzvorbereitung Brand- und Bevölkerungsschutz/Technische Gefahrenabwehr”, die Abteilung “Einsatzvorbereitung Rettungsdienst”, eine Abteilung für die Einsatzsteuerung und eine für den Einsatzbetrieb. Die Leitung der letztgenannten wird der bisherige Leiter der Direktion West übernehmen. Dort wird es sieben Einsatzbereiche geben. Sechs von ihnen sind für jeweils zwei Bezirke zuständig. Ein weiterer Einsatzbereich kümmert sich um die stadtweiten Aufgaben der Organisationseinheit Rettungsdienst sowie des Technischen Dienstes. Auch die anderen ehemaligen Direktionsleiterposten werden den neuen Abteilungen zugeordnet. Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst wird Bestandteil der Behördenleitung. Dies wird mit der Vielzahl seiner gesetzlich übertragenen Aufgaben begründet. Die Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienstakademie (BFRA) und der Zentrale Service werden als vorhandene Abteilungen in die neue Struktur übernommen. Allerdings wechselt die IT vom Zentralen Service in die Abteilung “Einsatzsteuerung”. Dafür wird die Logistik stärker beim Zentralen Service gebündelt. Die Zuständigkeit für Forschungsprojekte wird im Stab angebun-

Nationale Pandemievorhaltung Bausteine für eine flexible Reaktion (BS/Björn Stahlhut*) Vorsorge und Vorhaltung entsprachen lange nicht dem Zeitgeist. Es klang unwirtschaftlich und gestrig. Immer musste dargestellt werden, welchen Alltagsnutzen eine Ressource hat, die man als Vorsorge für besondere Lagen vorhalten wollte. Es trat ein Überbietungswettwerb ein, wer die vermeintlich alten Zöpfe schneller abschneiden würde, wer sich weiter von der vermeintlich überkommenen Sicherheitsvorsorge, von teuren Vorhaltungen zumal, distanzieren würde und wer größere Deckungsbeiträge zu den angespannten Haushalten liefern würde. nehmen von der reinen Katastrophenschutzzentrierung und empfahl eine gemeinsame Bewältigungsstrategie und -struktur für Bund und Länder im Falle von Krisen unter Einbindung der Hilfsorganisationen. Die Ebola-Lage 2014/15 auf dem afrikanischen Kontinent veranlasste dann die Community im Bevölkerungsschutz, über die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen im Bereich der Versorgung von hochinfektiösen Patientinnen und Patienten nachzudenken. Diese große Gesundheitslage wäre eine Gelegenheit gewesen, um in Ruhe die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen und in Entscheidungen umzumünzen. Die spezifischen Eigenschaften des Ebola-Erregers und die damit verbundene Einschätzung, dass der Erreger es nicht nach Deutschland schaffe, nahmen dem Prozess aber wieder die Dynamik. Im Juli 2016 erfolgte dann die Vorstellung des Weißbuches 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik, in dem erstmals Pandemien und Seuchen als sicherheitspolitische Herausforderung von globalem Ausmaß gewertet wurden. Besonders die Überlastung nationaler und internationaler Gesundheitsversorgung und die massive Störung transnationaler Verkehrs- und Wirtschaftssysteme wurden ge-

nannt. Aber eben auch die Erkenntnis, dass neben den Gesundheitsrisiken vor Ort Erreger auch nach Deutschland gelangen und die Bevölkerung gefährden können. Die kurze Zeit später erlassene “Konzeption Zivile Verteidigung” (KZV) nahm diese Bedrohungseinschätzung wieder auf. Der Prozess der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge ist seitdem aber auch nur teilweise vorangekommen. Verstärkt wurden die Ausführungen des Weißbuches und der KZV noch durch eine Vielzahl von Expertinnen und Experten, die in den Jahren 2017/18 auf wissenschaftlicher Grundlage vermehrt sagten: “Es ist nicht mehr die Frage, ob eine Pandemie kommt, es ist nur noch die Frage, wann sie kommt!”

Gesundheit und Sicherheit verknüpfen Das Deutsche Rote Kreuz nahm die Lage von Beginn an ernst. Die Verknüpfung von Gesundheit und Sicherheit steht seitdem im Fokus der Überlegungen für einen starken und wirksamen Bevölkerungsschutz. Die Strategie “Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz – Notfallversorgung im DRK” ist sichtbarer Ausdruck eines Denkens, das personelle, materielle und strategische Fragen bei der Bewältigung von großen Gesundheitslagen angeht.

Als gesetzlich anerkannte Nationale Rotkreuz-Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland und freiwillige Hilfsgesellschaft der deutschen Behörden im humanitären Bereich stehen dabei besonders die Aufgabe, das Recht und die Pflicht im Vordergrund, sich mit dem gesamten Potenzial auf den Schutz der Bevölkerung bei Katastrophen, Krisen und bewaffneten Konflikten vorzubereiten und an deren Bewältigung im Rahmen des Bevölkerungsschutzes mitzuwirken. Die Hilfeleistung allein nach dem Maß der Not der hiervon Betroffenen ist für das DRK dabei ausschlaggebend. Um diese Verpflichtungen auch in Zukunft sicherstellen zu können, sind in einzelnen Bereichen besondere Schwerpunkte erforderlich: Mit einer Bundesvorhaltung füllt das DRK nationale Deckungslücken im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz und ergänzt bestehende Vorhaltungen des Gesamtverbandes, um so auch auf die neuen Bedrohungslagen angemessen und zeitgerecht reagieren zu können und einen leistungsfähigen Anknüpfungspunkt für einen ressortübergreifenden Einsatz zu bieten. Das entspricht der besonderen Rolle als Auxiliar und dem Mandat des DRK im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz. Der DRK-Rettungsdienst ist Teil der nicht-polizeilichen Gefahren-

abwehr, der alltäglichen Aufgabenerfüllung im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz, aber auch ein Teil der Vorbereitungen auf die Aufgaben des DRK im bewaffneten Konflikt. Der DRKRettungsdienst ist damit mehr als die Erbringung einer landesrechtlich normierten Dienstleistung. Um die personellen, materiellen und strukturellen Ressourcen des DRK-Rettungsdienstes jederzeit erfolgreich zum Einsatz zu bringen, müssen alle Verbands­ ebenen die Risiko- und Gefahrenpotenziale in ihrem Zuständigkeitsbereich kennen und sich auf die vulnerablen Gruppen und ihre spezifischen Versorgungsbedarfe einstellen. Das DRK setzt sich auf allen Verbandsebenen dafür ein, dass die Ehrenamtlichen, gesetzlich abgesichert, die Möglichkeit haben, im DRKRettungsdienst mitzuwirken.

Resilienz stärken Für den Bereich der Breitenausbildung ist entscheidend, die Resilienz der Bevölkerung in gesundheitlichen Lagen durch Ausbildung in Erster Hilfe, im Selbstschutz und in der Nachbarschaftshilfe zu stärken. Parallel sind belastbare Strukturen auf allen Ebenen zur Einbindung von Laien in die Bereiche Gesundheitsversorgung und Pflegeunterstützung erforderlich. Dies ermöglicht auch die jederzeitige und systematische Einbindung

den und soll perspektivisch an der BFRA angesiedelt werden. Die Gewaltpräventionsbeauftragte der Berliner Feuerwehr, die derzeit direkt dem Landesbranddirektor untersteht, wird Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements und ist mit diesem dann dem Ständigen Vertreter des Landesbranddirektors unterstellt. Die Organisationsverfügungen für die neuen Abteilungen befinden sich laut Kleist derzeit in der Erstellung und werden dann in den personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsprozess eingebracht, so der Projektleiter. Kleist sagt über die neue Struktur: “Dazu haben wir uns intensiv mit den Kollegen aus München ausgetauscht, da die bereits prozessorientiert organisiert sind.” Die Berufsfeuerwehren in Köln und Hamburg sind übrigens weiterhin deutlich aufgabenorientierter strukturiert. Vom Personalrat der Berliner Feuerwehr kommt allerdings Kritik an der Reform. Sie bringe auf der Wachebene keine Verbesserungen mit sich, bemängelt Lars Wieg. Der Personalratsvorsitzende meint: “Es ist schade, dass für die Beschäftigten bei der Strukturreform nichts herauskommt.” Wenn man sich schon an München orientiert habe, wo aus der einzelnen Funktion des Wachleiters drei Funktionen gemacht wurden, hätte man diesen Schritt auch in der Bundeshauptstadt gehen sollen. “Insbesondere hätten wir die Schaffung eines Geschäftszimmers auf den Feuerwachen begrüßt”, so Wieg.

von sogenannten ungebundenen Helfern in die Hilfeleistungspotenziale des DRK. Zu den spezifischen Aufgaben des DRK gehört schließlich auch die Zusammenarbeit mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr im bewaffneten Konflikt. Dazu erfolgt eine flächendeckende und strukturierte Vorbereitung auf die Aufgaben im bewaffneten Konflikt bereits im Alltag. Die Rückbesinnung auf die Landesund Bündnisverteidigung hebt die Bedeutung dieser Zusammenarbeit. Es stellen sich aber auch immer neue Fragen, auf die gemeinsame Antworten gefunden werden müssen. Etwa die hybride Bedrohung, bei der militärische und nichtmilitärische Aktivitäten kombiniert werden, die bei Weitem nicht nur auf das gegnerische Militär zielt, sondern auch die Gesellschaft mit einbezieht. Den Sanitätsdienst der Bundeswehr und das DRK verbindet ein starkes Band, das belastbar genug für die Herausforderungen der Zukunft ist. Der Grundstoff, aus dem dieses Band gewebt ist, ist die beiderseitige Verpflichtung eines Handelns für die Menschlichkeit. Abschließend ist festzustellen: Das DRK hat stets betont und daran gearbeitet, dass alle seine gesundheitlichen und sozialen Ressourcen und Einrichtungen so aufgestellt sein müssen, dass sie in der Lage sind, einen Beitrag zur Bewältigung einer großen Gesundheitslage zu leisten. Sie sind damit Bausteine für flexible Reaktion. Genau darauf kommt es auch in Zukunft an. Nicht nur im DRK! *Björn Stahlhut ist kommissarischer Teamleiter Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz beim Deutschen Roten Kreuz (DRK).


Innere Sicherheit

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Sicherheit neu denken

Berliner Feuerwehr erprobt Einsatzdrohnen

INNOVATION HUB 110 in Hessen mit flachen Hierarchien

Einsatzleitende können Luftunterstützung anfordern

(BS/Marco Feldmann) Im INNOVATION HUB 110 der hessischen Polizei wollen die Verantwortlichen neue Wege (BS/Torsten Gräser*) Zusätzlich zu den üblichen Führungsmitteln werden in Deutschland vermehrt UAV gehen. Es gehe darum, Sicherheit neu zu denken, sagt der Leiter des Hubs, Bodo Koch. “Wir denken groß und (Unmanned Aerial Vehicles), d. h. Drohnen, bei den Feuerwehren eingesetzt. Pilotprojekte laufen bereits bei fangen klein an. Auch wollen wir mehr machen und weniger planen”, so der Leitende Kriminaldirektor. diversen Feuerwehren. Auch die Berliner Feuerwehr beschäftigt sich intensiv mit dieser modernen einsatztaktischen Unterstützung. So startete im August 2020 der einjährige Probebetrieb von vier Einsatzdrohnen.

Innovativ sind aber nicht nur die Ansätze, sondern auch die inter­ nen Strukturen der am Frankfur­ ter Westhafen seit August 2020 neu eingerichteten Organisations­ einheit. So sind die Hierarchien dort sehr flach ausgestaltet. Es existiert nur eine Leitungsebene mit Bodo Koch und Daniel Becker an der Spitze. In der Umsetzung der Projekte setzt man auf Team­ arbeit und Eigenverantwortlich­ keit. “Als ein Baustein unserer Digitalstrategie sind wir wie ein Schnellboot konstruiert, um die digitale Transformation der Polizei zu gestalten. Dabei setzen wir auf agiles Arbeiten, digitale Kompe­ tenz und Start-up-Mentalität”, unterstreicht Koch. Ziel sei es, sich schneller an dynamische Lagen und Herausforderungen anzu­ passen. Denn aufgrund immer stärker global und digital agieren­ der Krimineller müsse die Polizei hier entsprechende Fähigkeiten fortentwickeln und im digitalen Raum Präsenz zeigen, sagt Koch. Dazu bedürfe es ebenso des kontinuierlichen Ausbaus eige­ ner technischer und methodischer Kompetenzen. Auch an einer stär­ keren Vernetzung der Polizeien un­ tereinander führe kein Weg vorbei. Und: Der Hub wurde auch mit Tarifstellen analog der Wertigkei­ ten des höheren Dienstes ausge­ stattet. Das ist für IT-Spezialisten interessant, bei deren Bezahlung Polizeien ansonsten gegenüber der Privatwirtschaft oftmals nur zwei­ ter Sieger sind. “Darüber hinaus bieten wir”, so Koch, “das Angebot einer spannenden Arbeit mit Sinn als echtes Argument für einen Job bei der hessischen Polizei.”

Schwerpunkt auf ­Softwareentwicklung Organisatorisch ist der INNOVA­ TION HUB 110, bei dem es sich um eine dauerhafte Einrichtung mit kurzen Wegen handelt, an sein Wiesbadener Stammhaus,

das Hessische Polizeipräsidium für Technik (HPT), angebunden. Man arbeitet auf Augenhöhe mit der dort ansässigen Abteilung für polizeiliche IKT, die sich – sozusa­ gen arbeitsteilig – schwerpunkt­ mäßig auf den Betrieb und die Weiterentwicklung bestehender IT-Systeme für die hessische Po­ lizei konzentriert. Gemeinsam können so schnell und zielgerich­ tet moderne Softwarelösungen an die hessischen Polizistinnen und Polizisten gebracht werden. Eröffnet wurde der Hub im Au­ gust letzten Jahres bewusst in der Metropole Frankfurt am Main als zentralem Knotenpunkt in Hessen und Deutschland, was die Vernet­ zung mit Wissenschaft, Wirtschaft und auch polizeilicher Fachlich­ keit erleichtert. Er umfasst derzeit rund 30 Mitarbeiter, von denen der größte Teil Tarifbeschäftigte und der andere Teil erfahrene hessische Polizeibeamte sind.

Fachebenen werden ­einbezogen Inhaltlich fokussiert der IN­ NOVATION HUB 110 laut Leiter Koch, der unmittelbar dem HPTPräsidenten Karl-Heinz Reinstädt untersteht, die priorisierten The­ men der Digitalstrategie der hes­ sischen Polizei. Dabei entwickle man unter Einbeziehung des Top-Managements eine jeweils einjährige Agenda. Diese “Road­ map” würde dann nochmals in Dreimonatspläne für die jeweiligen Teams aufgeteilt. Der inhaltliche Fokus liegt auf der Entwicklung von IT-Lösungen, die der polizeili­ chen Fachlichkeit einen Mehrwert bringen. So wird momentan eine Forensikplattform zur besseren Bekämpfung von Kinderporno­ grafie und sexuellem Missbrauch von Minderjährigen entwickelt und hessenweit ausgerollt. Da­ bei geht es insbesondere darum, Ermittlerinnen und Ermittlern die Verarbeitung großer und belasten­

der Datenmengen auf technisch höchstem Niveau zu ermöglichen. Zentrale Kriterien sind sowohl die Schnelligkeit der Umsetzung als auch die benutzerfreundliche Gestaltung der Softwarelösung. Außerdem werden innerhalb der Teams, in denen auch Vertreter anderer Polizeibehörden des Lan­ des mitarbeiten, etwa aus dem Landeskriminalamt (LKA), neue Applikationen für die Landespolizei entwickelt. Dabei ist es Koch wich­ tig, die Möglichkeiten der Technik auf Augenhöhe mit der Fachlichkeit und damit den späteren Nutzern zu besprechen. So steht eine Anwen­ dung zur Personenabfrage vor der Pilotierung. Eine App zur Aufnahme und weiteren Verfolgung von Ord­ nungswidrigkeiten soll im Sommer dieses Jahres zur Verfügung ste­ hen. Bereits vorhanden ist eine digitale und mobile Anwendung zur Bearbeitung von Verkehrsunfällen. Gleiches gilt laut Hub-Leiter Koch für eine Analyseplattform zum bes­ seren Erkennen von Tat- und Täter­ zusammenhängen. “Zudem haben wir eine mobile Anwendung zur Einsatzplanung und Kopplung mit dieser Analyseplattform für Spezi­ aleinheiten und operative Einheiten entwickelt”, berichtet der Leitende Kriminaldirektor. All das verbesse­re den Informationsaustausch zwi­ schen den Organisationseinheiten und dadurch beispielsweise die Bekämpfung von Terror und Or­ ganisierter Kriminalität.

Über den Tellerrand schauen Wichtig sei es gleichzeitig aber auch, polizeiliche Kompeten­ zen mit Erkenntnissen aus der Wissenschaft und der Privat­ wirtschaft zu verknüpfen. “Aus diesem Grunde arbeiten wir eng mit Partnern an der Technischen Universität Darmstadt sowie mit Start-ups zusammen”, so Koch. Darüber hinaus erfolgt ein inten­ siver fachlicher Austausch mit dem Bundeskriminalamt (BKA).

MELDUNG

Weitere Waldbrandzentrale in Betrieb genommen (BS/mfe) In Brandenburg hat die neue Waldbrandzentrale Nord in Eberswalde ihren Be­ trieb aufgenommen. Neben ihr existiert in der Mark inzwischen nur noch eine weitere in Wüns­ dorf. Diese hatte ihren Betrieb vor rund einem Jahr aufgenom­ men. Früher gab es insgesamt

sechs Waldbrandzentralen, die nun allerdings an zwei Standor­ ten zusammengeführt wurden. Zudem hat der Landesbetrieb Forst Brandenburg in den letz­ ten drei Jahren sein automati­ siertes, sensorgestütztes System zur Waldbrandfrüherkennung modernisiert. Hierfür wurden 4,2

Millionen Euro aus dem Europä­ ischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) genutzt. 105 Sen­ soren erfassen im Rahmen des Frühwarnsystems automatisiert aufsteigende Rauchwolken in Brandenburg und melden dies an eine Waldbrandzentrale.

Drohnen eröffnen mithilfe einer Sichtkamera eine neue Perspek­ tive der Lagebilddarstellung durch die Vogelperspektive. Die Technik ist eine Unterstützung für die Einsatzleiterinnen und Einsatzleiter bei komplexen Lagen wie Großbränden, Waldbränden, Überschwemmungen oder Um­ weltverschmutzungen sowie zur Personensuche. Im Mai 2019 gründete die Berliner Feuerwehr die Arbeitsgruppe (AG) Drohnen­ einsatz. Die AG hat in ihren ers­ ten Sitzungen sämtliche Themen der Drohnenbeschaffung, der Ausbildung und des Einsatzes betrachtet. Darüber hinaus wur­ den aber auch Haftungsfragen hinsichtlich der Drohnen im Übungs- und Einsatzflug be­ rücksichtigt. Außerdem wurden beabsichtigte Einsatzszenarien in einem vorläufigen Nutzungskon­ zept festgelegt sowie die Anforde­ rungen an die zu beschaffende Technik in einer nachvollziehba­ rer Leistungsbeschreibung für eine Ausschreibung dargestellt. Vor dem Start des Probebetrie­ bes wurden die Einsatzleitenden in mehreren Videokonferenzen durch die Mitglieder der AG über die grundsätzlichen, rechtlichen und technischen Einsatzbedin­ gungen informiert. Der Gesamt­ einsatzleitende entscheidet in Abstimmung mit dem Droh­ nenführer über den tatsächli­ chen Einsatz der Drohne. Für den Probebetrieb wurden vier baugleiche Drohnen inklusive Smart Controller und Zubehör

beschafft. Die Kosten für die vier marktüblichen Standarddrohnen belaufen sich auf rund 15.500 Euro. Die beschafften Drohnen sind mit einem Startgewicht von unter zwei Kilogramm und ihrer kompakten Bauweise für die unterschiedlichen Einsatz­ szenarien vollumfänglich aus­ gestattet. Des Weiteren ist die beschaffte Drohne die kleinste und leichteste mit einer parallel einsetzbaren Wärmebildkamera. Die Drohne kann Live-Bilder zur Bodenstation übertragen. Ihre Flugzeit beträgt circa 30 Minuten pro Akkuladung. Eine Funktion zum Zoomen gibt es nicht. Einsatzvorbereitend war es erforderlich, einen Teil des Personals der Führungsunter­ stützung als Drohnenführer auszubilden. Hierfür wurde ein externer Dienstleister beauftragt. In einer weiteren Fortbildungs­ maßnahme sollen zusätzliche Mitarbeitende qualifiziert wer­ den, um einen 24/7-Betrieb zu gewährleisten. Neben der Aus­ bildung stehen den Piloten unter anderem ein Betriebshandbuch, ein informationstechnisches Si­ cherheitskonzept und ein Daten­ schutzkonzept zur Verfügung. Die Einsatzdrohnen werden auf den drei Einsatzleitwagen (ELW 2) mitgeführt. Die vierte Drohne ist zu Schulungszwecken auf der Berliner Feuerwehr- und Ret­ tungsdienstakademie (BFRA) stationiert. Die Drohnen wer­ den entweder mit dem ELW 2 zu einer Einsatzstelle transportiert

oder gezielt angefordert und mit einem kleineren Fahrzeug (MTF) zum Einsatzort gebracht. Ein Einsatzleitwagen ist durch Kräfte der Berufsfeuerwehr, die beiden anderen ELW 2 sind mit Kräften der Freiwilligen Feuerwehr be­ setzt. Die Drohne soll vor allem bei Großschadenslagen, Wald­ bränden und Einsätzen in großen Höhen oder Tiefen (zusammen mit dem Team der Speziellen Rettung aus Höhen und Tiefen) eingesetzt werden. Aber auch bei Überschwemmungen ist der Einsatz denkbar. Dafür können georeferenzierte Aufnahmen zur Verfügung gestellt werden. Zur Detektion von Glutnestern, aber auch zur Personensuche kann auf die fest installierte Wärmebildkamera zurückge­ griffen werden. Außerhalb des Einsatzgeschehens können über eine Drohne zum Beispiel Anten­ nenmasten für den Bereich der Informationstechnik oder Dächer der Dienstgebäude der Berliner Feuerwehr für das Gebäudema­ nagement kontrolliert werden. Seit dem Start des Probebetriebes wurden diverse Einsätze durch die Drohnenteams begleitet. Das Feedback der Einsatzleitenden war bisher positiv. In der Aus­ wertung dieses Probebetriebes wird über die Anschaffung von weiteren beziehungsweise ande­ ren Drohnen beraten. *Torsten Gräser ist Leitender Branddirektor bei der Berliner Feuerwehr.


Innere Sicherheit

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Wirkbetrieb ab 2025

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ls das zuständige Home Office 2013 nach längeren Vorstudien und öffentlichen Diskussionen den Aufbau eines Breitbandnetzes für den Daten- und Sprachverkehr der britischen BOS verkündete, war die internationale Fachwelt skeptisch, aber fasziniert. Bis Ende 2016 sollten die gesamte einsatzkritische Kommunikation in das neue Mobilfunknetz migriert und das bestehende nationale TETRA-Netz nachfolgend abgeschaltet werden, so der ambitionierte Plan. Damit waren die Briten weltweit die Ersten, die die Komplett-Migration von Sprach- und Datendiensten eines schmalbandigen nationalen BOS-Netzes auf Breitband in Angriff nahmen.

Behörden Spiegel / März 2021

Britisches ESN wird stufenweise eingeführt (BS/Dr. Barbara Held) Seit acht Jahren treibt das britische Home Office die Einführung eines nationalen breitbandigen Mobilfunknetzes (ESN) für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) voran. Nach etlichen Verzögerungen geht Version 1.0 des Emergency Services Networks (ESN) nun 2022 in den Pilotbetrieb.

“Cheaper, better and smarter” Im Vordergrund der politischen Entscheidung stand 2013 das Kostenargument: Das RundumSorglos-Paket der Betreiberfirma Airwave schlug jährlich im britischen Haushalt mit über 400 Millionen Pfund zu Buche. Vom Übergang des Betriebs in kommerzielle Mobilfunknetze versprach sich die konservative britische Regierung unter Premierminister David Cameron erhebliche Einsparungen. Zudem liefen die Airwave-Lizenzen im 450-MHz-Bereich aus. Und im Sinne der nationalen Souveränität schien auch die Ablösung des australischen Investors wünschenswert, der die ursprünglich britische Firma (BT Group) übernommen hatte. Dabei hatte sich eine andere britische Regierung im Jahr 2000 bei Aufbau und Betrieb des landesweiten TETRA-Netzes ebenfalls aus Kostengründen ausgerechnet für das jetzt öffentlich geschmähte Generalunternehmermodell entschieden, in dem die Betreiber-Firma Airwave die gesamte Infrastruktur von Kernund Zugangsnetz besitzt und die benötigten Funklizenzen hält. Zwar war die schon 2000 ausgerollte Kommunikationsinfrastruktur in den Anfangsjahren alles andere als ein Erfolg. Die Funkabdeckung war unzureichend und die Umstellung des Funkverkehrs von analog auf digital erwies sich im Alltag der Einsatzkräfte als schwierig. Vor allem die mächtige London Metropolitan Police bekämpfte das neue digitale Netz und seinen Betreiber Airwave auf politischen und publizistischen Kanälen. Zur Zeit des Migrationsbeschlusses waren jedoch Leistungsfähigkeit von Netz und Betreiber bei den britischen BOS ausgesprochen anerkannt. Insbesondere die Funkversorgung der Olympischen Spiele 2012 wurde hoch gelobt. Diese BOS blickten daher überwiegend misstrauisch auf die

Breitbandige Mobilfunknetze sind auch für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) im Vereinigten Königreich von großer Bedeutung. Fotos: BS/Home Office UK

Aktivitäten des neuen Emergency Services Mobile Communications Programme (ESMCP), das im Home Office verantwortlich Ausschreibung und Betrieb des künftigen ESN steuern sollte. Moderne Breitbanddienste waren erwünscht; keinesfalls wollte man jedoch gewohnte TETRAFunktionalitäten aufgeben.

Erheblicher Modernisierungsbedarf Steve Whatson, stellvertretender ESMCP-Direktor und seit 2018 auch im Vorstand der TCCA, des internationalen Branchenverbandes für Kritische Kommunikation, weist darauf hin, das, ganz abgesehen vom Kostenargument, tatsächlich Handlungsbedarf bestand. Nach mehr als einer Dekade Wirkbetrieb war der Modernisierungsbedarf des alternden TETRA-Netzes enorm. Gleichzeitig zeichnete sich damals im internationalen Standardisierungsgremium 3GGP eine rasante Entwicklung der Mobilfunktechnologie Richtung 4G und bald auch 5G ab. Die internationale BOS-Kommunikationsbranche, auch die TCCA, engagierte sich stark in diesen Gremien, um die Bedürfnisse ihrer Organisationen, Betreiber und Industrie in den neuen Standards und künftigen Telekommunikationskomponenten abzubilden. Diesmal wollten die BOS international an der Economy of Scale des technologischen Mainstreams teilhaben. Nach

Willen des Home Office sollten die Kunden des ESMCP die ersten BOS sein, die von den neuen Funktionalitäten und Einsparungen profitierten.

Start mit Widerständen Der Startschuss zum ESN-Aufbau fiel 2014 mit einer komplexen Ausschreibung in mehreren Losen, aus der EE (British Telecom) als Netzwerkbetreiber und die amerikanische Firma Motorola Solutions als Systemintegrator hervorgingen. Das Vertragsvolumen wurde auf bis zu 1,2 Milliarden Pfund veranschlagt. Die Laufzeit war zunächst bis 2024 begrenzt. Schon bald nach dem Zuschlag geriet das Projekt in zeitlichen Verzug. Dabei spielten unter anderem unterschiedliche Firmenkulturen und die komplexe Projektstruktur eine Rolle. Hinzu kam, dass die Verantwortlichen im Home Office den Widerstand der anspruchsvollen und selbstbewussten britischen BOS-Organisationen unterschätzt hatten, die nicht mehr hinter Komfort und Verfügbarkeit des TETRANetzes zurückfallen wollten und dies medienwirksam kundtaten. 107 regionale Blaulichtorganisationen, darunter 45 Polizeien, gehören zu den Kunden des ESMCP und erheben in den Governance-Gremien des Programms ihre Stimme. Rund weitere 300 Organisationen aus dem Gelblicht-Bereich nutzen das derzeitige TETRA-Netz und

14.–15. September 2021 Europa im Krisenmodus: Legitimität – Führung – Ausstattung

www.europaeischer-polizeikongress.de Eine Veranstaltung des

sind dementsprechend Migrationskandidaten für ESN. Steve Whatson geht aber davon aus, dass eine Reihe von ihnen die kostenträchtige Migration in das neue Hochsicherheitsnetz nicht mitmachen werden, da sie ihre Bedürfnisse in kommerziellen Netzen oder lokalen Lösungen abbilden können.

Alter und neuer Betreiber 2016 sah sich das ESMCP erstmals kritischen Hearings auf parlamentarischer Bühne ausgesetzt. Das zuständige Public Accounts Committee (PAC) nahm Stephen Webb, den Senior Response Owner (SRO) des Programms im Home Office, ins öffentliche Gebet. Der hochrangig besetzte SRO, nicht etwa der jeweils amtierende ESMCP-Direktor, verantwortet gegenüber dem Parlament die Einhaltung von Projektplanung und millionenschwerem Budget. Bei Nicht-Erreichung der Pro-

grammziele kann das PAC durchgreifende Maßnahmen bis hin zur Beendigung des Programms empfehlen. Bis 2020 haben SOR und Programm diese Prozedur inzwischen schon ganze sieben Mal durchlaufen, was 2016 zu einer grundlegenden Neuorganisation des ESMCP und einer mehrmals revidierten Roadmap führte. Pikant war, dass zu diesem Zeitpunkt ausgerechnet der neue ESN-Systemintegrator Motorola den TETRA-Netzbetreiber Airwave kaufte, was in gewisser Hinsicht dazu führte, dass die Firma Motorola/Airwave sich im Laufe der Zeit als Betreiber selbst ablösen wird. Die Laufzeit des TETRA-Netzes wurde entsprechend zunächst bis 2021/2022, inzwischen sogar bis 2025 verlängert. Das ESN und die künftig benötigten Endgeräte befinden sich auch 2021 noch in der Entwicklungsphase beziehungsweise in der Erprobung durch unterschiedliche BOS in gemeinsamen Pilotprojekten mit dem Home Office. Rund 23.000 EE-Antennen sind auf ESN-Niveau ertüchtigt worden. Hinzu kommen rund 520 neue Basisstationen. Weitere sind in Planung. Das ursprünglich schlank angelegte ESMCP ist inzwischen auf stolze 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsen, darunter viele technische Experten, aber auch 20 Polizisten, zwölf Feuerwehrleute und sechs Rettungskräfte. Geplant ist jetzt die Aufnahme des Pilot-Betriebs der ESN-Version 1.0 für 2022.

Stufenweise Anbindung Stufenweise werden zunächst in “ESN Connect” Datenzentren und Leitstellen für den Datenverkehr an das Netz angebunden. Erst danach folgen unter dem Etikett “ESN Direct” die einsatzkritischen Sprachdienste, die unter anderem vollständig standardkonforme Gruppenrufund Fleet-Mapping-Funktionen

enthalten werden. Die Migration der großen Mehrheit der BOS in das ESN bzw. die Aufnahme des eigentlichen Wirkbetriebs ist für 2025 vorgesehen. Man wolle sicher gehen, so Steve Whatson, dass alle benötigten Dienste vorhanden und voll funktionsfähig seien (“ESN Prime”). Insbesondere bei der Entwicklung und Beschaffung von Endgeräten liege da noch einige Arbeit vor dem Programm und seinen Auftragnehmern, so Whatson. Bei den MRT-Geräten hat das ESMCP auf Unternehmen des heimischen Mittelstands gesetzt und einsatzfähige Komponenten entwickelt. In Sachen HRT arbeitet ESMCP mit Samsung zusammen und versucht sich mit der Integration einer standardisierten Version von Motorolas Kodiak für Gruppenruffunktionen auf dieser Plattform. Derzeit sind 5.000 gehärtete Samsung-Geräte

Steve Whatson ist stellvertretender Direktor des britischen Emergency Services Mobile Communications Programme (ESMCP). Foto: BS/Home Office UK

mit Android 10 und Kodiak 10 im Probebetrieb. Trotzdem blieben Endgeräte auf Basis kommerzieller Smartphones ein schwer lösbares strategisches Problem, erklärt Whatson. Deren Life Cycles seien mit circa vier Jahren gegenüber den TETRA-Geräten kurz und die Geräte in Kombination mit den notwendigen Modifikationen für den BOS-Funk aufwendig zu betreiben. Für die BOS werde das teuer. Zum Thema Einsparungen hält man sich in London inzwischen bedeckt. Für das ESMCP werden derzeit bei einer Gesamtlaufzeit von insgesamt 15 Jahren rund zehn Milliarden Pfund veranschlagt.

Niemals geht man so ganz Großbritannien weiterhin Teil von Europas Sicherheitsarchitektur (BS/mfe) Ungeachtet des Brexits ist das Vereinigte Königreich weiter eng in den Informationsaustausch zur Abwehr von Sicherheitsbedrohungen eingebunden. Zwar musste London nach dem Austritt aus der Europäischen Union das Schengener Informationssystem und andere Datenbanken sowie Analyseprojekte des europäischen Polizeiamtes Europol verlassen. In vielen anderen Bereichen bleiben Zugänge jedoch bestehen. So kann Großbritannien gemäß den sogenannten Prümer Beschlüssen auch in Zukunft Fahrzeugregisterdaten und biometrische Daten in EU-Staaten abfragen. Letzteres bezieht sich insbesondere auf DNA-Spuren und Fingerabdrücke. Zudem hat die Londoner Regierung weiterhin Zugang zum Europäischen Strafregisterinformationssystem (ECRIS) und erhält dadurch Informationen zu Verurteilungen in EU-Nationen. Teil des Regelwerks zum Europäischen Haftbefehl ist es allerdings nicht mehr. Das Vereinigte Königreich tauscht jedoch auch künftig Daten zu Flugpassagieren mit den Staaten der Europäischen Union aus. Dazu bleibt die Londoner Kontaktstelle an das entsprechende Zentralstellennetzwerk angeschlossen. Gleiches gilt für die Meldestellen im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Dabei entstandene Auswertungen teilt Großbritannien dann mit Europol, der Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust) und den Strafverfolgungsbehörden

der EU-Länder. Denn auch nach dem Brexit dürfen britische Behörden mit EU-Agenturen kooperieren. Bedingung hierfür ist die Verpflichtung zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Europäische Gerichtshof kann einzelne Maßnahmen aber nicht mehr kontrollieren.

Verwaltungsvereinbarungen fehlen noch Gleichwohl entsendet London Verbindungsbeamte zu Europol und Eurojust und darf aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft an Gemeinsamen Ermittlungsgruppen teilnehmen. Details dazu müssen jedoch noch in Arbeits- oder Verwaltungsvereinbarungen geregelt werden, die Europol noch mit den britischen Behörden zu schließen hat. Bereits fest zwischen EU und Vereinigtem Königreich vereinbart ist die Einrichtung eines Sonderausschusses für die Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung und der Justiz. Niedersachsens Innenminister, Boris Pistorius (SPD), der Mitglied

des parlamentarischen Kontroll­ ausschusses von Europol ist, sagte: “Auch der Brexit stellt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden vor Herausforderungen. Unser klares Ziel muss es darum sein, auch in Zukunft dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Europa sicher leben können.” Das sei gerade während der Corona-Pandemie eine riesige Herausforderung und könne nur in enger, kon­ struktiver Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn gelingen. Pistorius will Europol weiterentwickeln. Hierzu meint er: “Um die Menschen in Europa wirksam vor internationaler Kriminalität und Terrorismus zu schützen, müssen wir der europäischen Ebene langfristig Exekutivbefugnisse übertragen. So können wir echte grenzüberschreitende und effektive Strafverfolgung gewährleisten.” Der Rückzug hinter die Mauern des Nationalstaats sei aus der Zeit gefallen und werde den längst grenzüberschreitenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / März 2021

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Umstrukturierung geplant

Zu weit gehende Eingriffsrechte?

FIU soll eigene Direktion werden

Sächsisches Polizeirecht auf dem Prüfstand

(BS/mfe) Die “Financial Intelligence Unit” (FIU) soll aufgewertet werden. Die bei der Generalzolldirektion (GZD) angesiedelte Einheit zur Bekämpfung von Geldwäsche soll künftig eine eigene Direktion innerhalb der GZD darstellen. Bislang ist die FIU als Abteilung D in der Direktion VIII – Zollkriminalamt – in der Bundesoberbehörde angesiedelt.

(BS/leh) Um das im April 2019 von der schwarz-roten Landesregierung beschlossene und am 1. Januar 2020 in Kraft getretene Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen wurde im Freistaat schon vorab und regierungsintern gestritten und kontrovers diskutiert. Nach Ansicht der Kritiker stellen die erweiterten Eingriffsbefugnisse der Landespolizei und der Ortspolizeibehörden schwere Grundrechtseingriffe dar und gehen zu weit.

Damit würde der FIU-Leiter vom Posten eines Abteilungsdirektors auf den eines Direktionspräsidenten befördert. Er hätte dann nicht mehr eine Stelle der Besoldungsgruppe B 3 inne, sondern eine der Besoldungsgruppe B 6. Die dafür notwendige Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes wurde bereits in den Deutschen Bundestag eingebracht und wird dort federführend im Finanzausschuss diskutiert. Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Bezirksgruppe Zoll in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), kritisiert die Änderung als “oberflächliche Strukturkosmetik”. Im Übrigen bleibe der vor Monaten angekündigte Vorstoß weit hinter den Erwartungen und Anforderungen an dringend notwendige Nachbesserungen in der Geldwäschebekämpfung zurück. Dreh- und Angelpunkt der erforderlichen Neuausrichtung blieben die Organisation und Arbeitsweise der FIU, ihre Informationszugänge und das eigene Personal.

Immer noch keine eigenständige Intelligence-Behörde “Statt endlich die FIU zu einer wirklich eigenständigen Intelligence-Behörde – außerhalb der Zollverwaltung – zu machen, die mit optimalen Datenzugängen, eigenem Personal, eigener In­ frastruktur und bestmöglicher IT ihren gesetzlichen Auftrag erledigt, belässt man sie in den sehr behäbigen Strukturen der bisher glücklosen Generalzolldirektion, die schon bei der nötigen Modernisierung der Zollverwal-

tung nicht wirklich glänzt”, meint Buckenhofer. Mit der bloßen Neuschaffung einer zehnten Direktion in der Generalzolldirektion ziehe keine neue Qualität in die Arbeit eines der zentralen Elemente der Geldwäschebekämpfung ein. “Es fehlt ein Masterplan zur Bekämpfung von Geldwäsche, Schmuggel, Finanz-, Steuer- und Wirtschaftskriminalität. Halbherzige Reformen helfen nicht weiter”, findet der Gewerkschafter.

Neue Standorte für Aus- und Fortbildung Unterdessen erhält der Zoll bundesweit neue Aus- und Fortbildungsstandorte. Bislang existieren solche Einrichtungen in Münster, im brandenburgischen Plessow und in Sigmaringen. Nun sollen sechs neue Aus- und Fortbildungsstandorte entstehen. Im Großraum Nord wird in Hamburg ein neuer Aus- und Fortbildungsstandort gebaut. Dort sollen perspektivisch mehr als 80 Beschäftigte eingesetzt und rund 400 Anwärterinnen und Anwärter jährlich fortgebildet werden. Im Großraum Rhein/Main wird in Hanau ein früher vom US-amerikanischen Militär genutztes Gelände entsprechend dem Bedarf des Zolls entsprechend umgebaut. An diesem Standort werden perspektivisch mehr als 70 Beschäftigte arbeiten und etwa 275 Anwärter jährlich fortgebildet. Im Großraum West wird die ehemalige Diplomatenschule am Venusberg in Bonn an den Bedarf des Zolls angepasst. Im

Großraum Südost soll, vorbehaltlich abschließender Prüfungen, ein neuer Standort auf einem Teil eines Kasernengeländes im mittelfränkischen Roth entstehen. Dort könnten per­ spektivisch ebenfalls mehr als 70 Beschäftigte eingesetzt und circa 275 Anwärter pro Jahr fortgebildet werden. In den neuen Bundesländern wurde bereits im August 2019 der Ausbildungsbetrieb für den mittleren Zolldienst in Leipzig aufgenommen. Für die Ausbildung von weiteren rund 400 Anwärtern des mittleren Zolldienstes wird zudem eine Ausbildungsstätte in Erfurt entstehen. Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Marco Wanderwitz, sagte dazu: “Künftig werden Nachwuchskräfte des Zolls auch in Erfurt ausgebildet. Das ist ein Beitrag zur Stärkung strukturschwacher Regionen in den neuen Ländern und ein weiteres starkes Signal für den Wirtschaftsstandort Thüringen.” Für die fachtheoretische Ausbildung der Studierenden des gehobenen Zolldienstes, die bisher zentral am Fachbereich Finanzen der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Münster stattfindet, ist ein zweiter Standort notwendig. Hierfür wurde bereits ein entsprechendes Erkundungsverfahren für geeignete Liegenschaften in der Region Rostock eingeleitet. Die Diskussion um die künftige Ausrichtung des Zolls ist damit aber nicht beendet. Die GdP fordert weiter die Einrichtung einer Finanzpolizei.

Neben einem Antrag auf ab­strakte Normenkontrolle vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof ist nun auch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Im Rahmen der Neustrukturierung des Polizeirechts des Landes Sachsen wurde das bisherige Sächsische Polizeigesetz (Sächs.PolG) durch zwei neue Gesetze abgelöst. Die Aufgaben, Organisation und Befugnisse der Gemeinden und Landkreise für die allgemeine Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr im Freistaat regelt nunmehr das Sächsische Polizeibehördengesetz (SächsPBG). Die Ordnungsämter wurden zu Ortspolizeibehörden und bekamen neue, weitr reichende Kompetenzen. So dürfen nun auch Beamte der Ortspolizeibehörden Wohnungen betreten und durchsuchen, den öffentlichen Raum per Video überwachen und unmittelbaren Zwang anwenden. Die Aufgaben, Befugnisse, Datenverarbeitung und Organisation des Polizeivollzugsdienstes im Freistaat Sachsen sind im Sächsi-

schen Polizeivollzugsdienstgesetz (SächsPVDG) normiert. Neben der Anpassung der beiden Gesetze an die Datenschutzrichtlinien der EU und an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz wurde die Eingriffsschwelle auch für die Landespolizei deutlich abgesenkt. Hintergrund dafür war die Einschätzung der Gefahren durch Terrorismus und grenzüberschreitende Kriminalität. Zugleich versprach man sich von den gesetzlichen Regelungen eine Reduktion der bei vielen Bürgern herrschenden Kriminalitätsfurcht.

Bereits im August 2019 stellten die Abgeordneten der Grünenund der Linken-Fraktion im Dresdner Landtag einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof. Sie beantragten, große Teile der neuen Befugnisse, die das neue Gesetz der Polizei einräumt, für nichtig zu erklären.

Nachdem für das Verfahren vor dem Landesverfassungsgerichtshof noch immer kein Termin in Sicht ist, hat nun die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage gegen das sächsische Polizeigesetz eingereicht. Konkret richtet sich die Verfassungsbeschwerde der GFF unter anderem gegen längerfristige Observationen durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, den Einsatz verdeckter Ermittler und von Vertrauenspersonen, Abhör- und Ortungsmaßnahmen außerhalb der Wohnung sowie Datenerhebungen mit Bezug zu Telekommunikation und Internetnutzung. Nach Ansicht der Kläger sind all diese Maßnahmen nach dem neuen Polizeigesetz schon weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr zulässig. Bereits wenn die Polizei lediglich annehme, dass sich in der Zukunft eine gefährliche Situation entwickeln könne – was sich praktisch immer begründen lasse –, könne sie Personen auf vielfältige Weise überwachen.

der Bundestagsabgeordnete Dr. Reinhard Brandl (CSU). So gebe es noch rechtliche, organisatorische und technische Schwierigkeiten. Dazu gehörten neben dem Trennungsgebot, das Brandl nicht mehr für zeitgemäß hält, unter anderem der Föderalismus und das Ressortprinzip. Hinzu kom-

me, dass behördenübergreifende Kooperation hierzulande oftmals noch sehr stark vom Engagement des jeweiligen Behörden- oder Dienststellenleiters abhängig sei, so Brandl auf einer OnlineVeranstaltung von AFCEA Bonn und AFCEA München, die von IBM unterstützt wurde.

Verhandlung noch immer nicht terminiert

MELDUNG

Synergien heben (BS/mfe) Die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sollten künftig vermehrt Beschaffungen bündeln und Infrastrukturen gemeinsam nutzen. Dies könne Synergien bringen. Derzeit gebe es für einen solchen Ansatz oftmals aber noch zu viele und zu hohe Hürden. Das meint


Wehrtechnik

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Klarstand Schützenpanzer Puma zur VJTF 2023 Sachstand des größten Heeresprojektes (BS/df) Die Einführung des Schützenpanzers Puma kann in ihrer Bedeutung in der jüngeren Geschichte der Bundeswehr im Grunde nur mit Großsystemen wie dem A400M, dem Eurofighter oder der Korvette K130 verglichen werden, weil es eben kein Nachfolgesystem war, sondern von der Pike auf neu erschaffen wurde. Einzelne Punkte kamen allerdings in die Kritik. Der Behörden Spiegel sprach mit dem Geschäftsführer der PumaProjektgesellschaft PSM, Björn Bernhard. Das Interview führte Dorothee Frank. Behörden Spiegel: Der Klarstand wird oft als Problem des Pumas genannt, andererseits kursieren auch viele verschiedene Zahlen. Können Sie ein wenig Licht in diesen Sachverhalt und die Berechnungsgrundlagen bringen?

den. Somit bleibt der Panzer im Kampf auch “Der Insassenschutz des bei Gefechtsschäden Schützenpanzers Puma ist handlungsfähig, da sich beispielsweise der Turm mindestens genauso gut wie auch bei einer kaputten, der des Kampfpanzers Leopard verklemmten Luke wei2, bezogen auf entsprechende terhin einsetzen lässt. Bernhard: Ich kann es gerne Für den Puma kann Bedrohung in Form von Ansprendieses Abschalten der versuchen. Das offizielle Vergung und Minen.” fahren der Bundeswehr ist die Sicherheitsüberwadigitalisierte Meldung der machung natürlich den technischen Totalschateriellen Einsatzbereitschaft, die Björn Bernhard, Geschäftsführer der Puma-Projektgesellschaft PSM. DMME-Lage. Hierfür beurteilt den bedeuten, deshalb Foto: BS/PSM der Truppenteil vor Ort, also das heißt er auch KampfBataillon, ob der Panzer seinen Behörden Spiegel: Wird das fungsvorhaben ausgeschlossen schalter und soll nur im Gefecht Auftrag am nächsten Tag erfüllen neue Battle-Management-System worden. Was sind denn die Vor- eingesetzt werden. Wenn es um Leib und Leben geht, interessiekönnte oder nicht. Das Ergebnis von Systematic da schon inte­ teile und die Nachteile? lautet klar oder nicht-klar. Aus griert sein? ren Gewährleistungsbedingundem Klarstand fallen also sämtliBernhard: Im Unterschied zu gen des Friedensbetriebs jedoch che Panzer raus, die am nächsten Bernhard: Die Anbindung des einem bemannten Turm kann nicht. Im Gefechtsbetrieb kann Tag aus welchen Gründen auch Pumas an das Battle-Manage- bei einem unbemannten Turm es für den Soldaten durchaus immer nicht zur Verfügung ste- ment-System erfolgt aktuell. Hier – um damit anzufangen – der sicherer sein, wenn die Sicherhen. Das können Unfälle oder waren weitere Verträge notwen- Kommandant des Panzers nicht heitsfunktionen des Panzers zwar Defekte sein, aber auch einfach dig, um eine Schnittstelle zwi- oben rausgucken und hat damit ausgeschaltet sind, er aber desdie anstehende geplante War- schen den Führungssystemen keinen Blick ins Gelände. Das halb noch fährt und schießt, bis tung. Dieser Klarstand ist die auf Soldatenebene und dem ist eine traditionelle Art, einen eine GefechtsschadeninstandsetBerechnungsgrundlage für den übergeordneten Führungssystem Panzer zu führen, auf Sicht und zung möglich ist. Rüstungsbericht des BMVg. von Systematic zu bekommen. mit dem Blick ins Gelände. Dies Behörden Spiegel: Ich habe Zusätzlich gibt es noch Zielver- Aber auch hier gilt: Der Zeitplan nicht mehr zu können, ist der einbarungen zwischen Industrie, ist zwar eng getaktet, aber wir wesentliche Kritikpunkt an un- gehört, der Puma sei dem Leopard 2 hinsichtlich Panzerung, bemannten Türmen. Diesen Umstand gleichen wir Feuerkraft und Geschwindigkeit dadurch aus, dass im Puma gleichwertig. Können Sie das bemodernste Sichtmittel einge- stätigen oder ausführen? setzt wurden, sowohl moderne Optiken für Richtschützen und Bernhard: Der Insassenschutz Kommandanten als auch für den des Schützenpanzers Puma ist Fahrer und nicht zuletzt für den mindestens genauso gut wie der Schützentrupp zur Rundum- des Kampfpanzers Leopard 2, sicht. Alle diese Systeme sind bezogen auf entsprechende Betag- und nachtsichtfähig, die drohung in Form von AnsprenErgebnisse sieht die Besatzung gung und Minen. Ein Kampfauf Displays. Junge Soldaten panzer ist per se natürlich gegen kommen damit sehr gut zurecht, Beschuss durch andere Panzer sie sind es gewohnt, mit Displays besser geschützt. Was die WafRichtschütze in einem Puma. Der Arbeitsplatz und die Möglichkeiten sind mit zu arbeiten. Älteren Soldaten fenpräzision angeht, sind wir auf früheren Schützenpanzern nicht zu vergleichen. fällt dies etwas schwerer, weil Augenhöhe mit dem Leopard 2. Foto: BS/Bundeswehr, Maximilian Schulz sie eine andere Führungsweise Und wir sind mit der Mobilität auch auf Augenhöhe. Natürlich gewohnt sind. Der entscheidende Vorteil ei- haben wir mit dem Puma den Bundeswehr und BMVg. Unsere sehen aktuell keine Probleme, Zielvereinbarung soll den Klar- ihn zu schaffen. nes unbemannten Turmes ist Vorteil, dass in dessen Entwickstand des Pumas kontinuierlich der Schutzaspekt. Da keiner lung die Erfahrungen aus 30 Behörden Spiegel: Wie ist der mehr drinsitzt, kann bei einem Jahren Nutzung des Leopard 2 verbessern. Dieser Klarstand lag Ende 2020 sogar über den verein- Sachstand der interaktiven elek­ Turmtreffer auch keiner mehr und anderer Waffensysteme einbarten Zielwerten. Daneben gibt tronischen und technischen Do- verwundet werden. Der Turm geflossen sind, beispielsweise was es andere Berechnungen, etwa kumentation für die VJTF-Puma? ist nun mal an der höchsten Motorenentwicklung, Fertigung, Stelle des Panzers positioniert Laufwerke, Schutztechnologidurch die HIL. Bei denen werden grundsätzlich alle Panzer, die mit Bernhard: Die IETD für den und damit exponiert. Darüber en und vieles mehr anbelangt. einer Meldung belegt sind, als Schützenpanzer Puma ist auf hinaus kann man unbemannte Der Puma ist einfach das neuere nicht klar bezeichnet. Mit einer Basis der Flotte, erstes Los, ver- Türme kompakter bauen und System mit allen Vorteilen, die Meldung wird ein Panzer aber abschiedet und erlassen. Aktuell dadurch erhebliches Gewicht 30 Jahre Erfahrung bei Entwickbereits belegt, wenn demnächst ist die IETD für die VJTF-Panzer und Volumen sparen, was man lung, Fertigung und Nutzung von eine Wartung ansteht, er also in Erstellung. In logischer Kon- dann wieder an anderen Stellen Gefechtsfahrzeugen für ein neues nicht in einen längeren Einsatz sequenz kommt die IETD als Do- investieren kann, beispielsweise Design mit sich bringen. gehen sollte. Dementsprechend kumentation immer ein wenig zum Schutz der Soldaten. groß ist oftmals der Unterschied später als das System, weil eine Behörden Spiegel: Wie wäre Behörden Spiegel: Was hat ein Vergleich mit dem Marder, zwischen den Zahlen der HIL Bebilderung und Beschreibung und dem durch die Bundeswehr erst dann abschließend möglich es mit dem Combat-Schalter auf der ebenfalls für die VJTF im Gegemeldeten Klarstand. ist, wenn die Hardware auch ver- sich? spräch ist? fügbar ist. Bernhard: Der Combat- oder, Behörden Spiegel: Ohne in die Hinzu kommt die Überprüfung Bernhard: Der Marder ist ein Früher-war-alles-besser-Schiene durch die Technische Schule Aa- im deutschen Sprachgebrauch, bewährter Schützenpanzer, aber gehen zu wollen, der Klarstand ist chen, die parallel zur taktischen Kampf-Schalter übersteuert die auch mit Nutzungsdauerverlänin den letzten dreißig Jahren kon- Ausbildung der Soldaten in die- Sicherheitsfunktion des Schüt- gerungen ein deutlich älteres tinuierlich zurückgegangen. Sind sem Jahr stattfindet und die zum zenpanzers. Der Panzer über- System. Der Puma ist ein deutlich Ende des Jahres abgeschlossen wacht sich normalerweise selber moderneres, auf die Bedürfnisse moderne Systeme zu komplex? sein soll. Die IETD der VJTF-Pu- und sorgt dafür, dass er bei- der Panzergrenadiertruppe zugeBernhard: Das ist nicht der ma wird also rechtzeitig erlassen. spielsweise nicht überhitzt oder schnittenes und zukunftsfähiges Grund, vielmehr hängt der Klar- Eine Vorabversion gibt es bereits dass der Turm nicht über eine System, weshalb er auch bei der stand auch stark mit der vorhan- heute, um den Soldaten die Be- geöffnete Luke auf der Wannen­ VJTF 2023 seine Fähigkeiten denen Stückzahl und dem Vorrat dienung des Panzerns während oberseite schwenkt und dabei ein beweisen wird. an Ersatzteilen zusammen. der Ausbildung zu ermöglichen. herausspähendes Besatzungsmitglied schädigen könnte. Der Behörden Spiegel: Man könnte Behörden Spiegel: Wird der Behörden Spiegel: Kommen wir Combat-Schalter ist neudeutsch also zusammenfassen, dass der Puma rechtzeitig in die Ausbildung zu einer Besonderheit des Pumas: ein sogenannter Override und Puma zur VJTF 2023 fertig und gelangen, damit er für die VJTF Dem unbemannten Turm. Wegen sorgt dafür, dass diese Über- mit einem ausreichenden Klar2023 zur Verfügung steht? dieses Turms ist der Puma von wachungs- und Sicherheits- stand einsatzbereit sein wird? einigen europäischen Beschaf- funktionen ausgeschaltet werBernhard: Er wird fertig sein. Bernhard: Es gibt einen abgestimmten Zeitplan mit der BunEr wird einen guten Klarstand deswehr. Die 40 VJTF-Panzer haben, einen deutlich höheren, werden aktuell geliefert. Diesen als ihn die Basisflotte hat. Das Monat beginnt die Ausbildung beruht schlicht auf der Tatsache, dass mit dem Puma VJTF und Einweisung der Soldaten schon entsprechende Ersatzteile in die Panzer. Im April startet und Werkzeugpakete mitbestellt dann die größere Ausbildung und Qualifikation mit dem Ziel, wurden, was bei der Basisflotte die Ausbildung bis zum 31. Denicht der Fall war. Er wird natürzember 2021 abzuschließen. Ab lich die Aufgaben eines modernen dem 1. Januar 2022 stünden die Schützenpanzers erfüllen können, Pumas und deren Besatzungen Das präzise Feuern in Bewegung ist eine der herausragenden Fähigkeiten des Pumas. und zwar besser, als es irgendein somit für die VJTF 2023 bereit. Foto: BS/Bundeswehr, Maximilian Schulz Schützenpanzer von heute kann.

Behörden Spiegel / März 2021

MELDUNGEN

Reformierte Ausbildung im Heer (BS/df) Seit etwa neun Monaten durchlaufen die Offizieranwärter des Heeres die veränderte Offizierausbildung. In insgesamt 67 Monaten werden dabei aus den einstigen Rekruten Vorgesetzte von Feldwebeln, Unteroffizieren und Mannschaftssoldaten. Es ist der erste Jahrgang, der die reformierte Ausbildung erhält. “Die Entscheidung, die Ausbildung der Offizieranwärter umzustellen, war richtig, denn so generieren die jungen Soldaten eine engere Verbindung zu ihrer Truppengattung”, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais. Zu den Hintergründen berichtete das Deutsche Heer: “Die alte Offizierausbildung war so strukturiert, dass der angehende Offizier unter “seinesgleichen” blieb. Von der Grundausbildung bis zum Ende des Studiums vergingen fast sieben Jahre, bis die Frauen und Männer aus der höchsten Laufbahn der Bundeswehr in der Truppe ankamen. Die Nachteile waren offensichtlich: Ein Offizier, der zur Truppe versetzt wird und dort als Vorgesetzter fungieren soll, hat vorher kaum gemeinsame Berührungspunkte mit der eigenen Truppengattung. Ob Fallschirmjäger, Pioniere oder Logistiker: Jede Truppengattung hat ihre Besonderheiten, ob es nun Ausbildungsaspekte oder die Mentalität der Soldaten betrifft. Und als dann Vorgesetzter im Dienst bleibt wenig Zeit, sich in diese hineinzudenken, wenn man vorher nur wenige Einblicke in den Dienstalltag erhalten hat. Die Erwartungshaltung an den Offizier ist, dass er sofort in der Lage sein muss, effektiv zu führen und dabei auch seinen Untergebenen fachlich und menschlich gerecht zu werden. Die reformierte Ausbildung trägt dazu bei, dass Offiziere bereits früh den Truppenalltag mit Mannschaften und Unteroffizieren teilen, um genau diese Probleme zu vermeiden. Dafür absolvieren die Offizieranwärter ihre Grundausbildung nicht mehr in den bisherigen Offizieranwärterbataillonen (OA-Bataillone), sondern in den jeweiligen Bataillonen der Verbände gemeinsam und durchmischt mit allen anderen Soldaten.”

Support für das schwedische Luftverteidigungssystem (BS/df) “Diehl Defence erhielt von der schwedischen Beschaffungsbehörde FMV einen Servicevertrag über drei Jahre, um die hohe Verfügbarkeit sowie die Einsatzbereitschaft des schwedischen Luftverteidigungssystems Eldenhet 98 weiterhin sicherzustellen”, berichtete das Unternehmen. “Die Auftragsvergabe folgte auf die Lieferung und Übergabe des IRIS-T-SLS-Waffensystems in 2020.” Hintergrund war die ursprünglich für MEADS, dann für das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) gedachte “günstige” Luftverteidigungslösung IRIS-T SL (Surface Launched). Günstig deshalb, weil unter anderem die von den Luftwaffen genutzten IRIS-T-Lenkflugkörper nach ihrem Ablaufdatum für die Flieger durch das Luftverteidigungssystem genutzt werden können. Diehl Defence entwickelte hierfür eine modulare Lösung, die sich bereits im Export durchsetzen konnte, während Deutschland noch über mögliche Beschaffungen nachdenkt. Die schwedische IRIS-T-SHORAD-Konfiguration ist auf einem Hägglunds-BV-410-Träger und einem Diehl-ML-98-Startgerät installiert. Sie wurde nach mehreren erfolgreichen Schusskampagnen auf dem Erprobungsschießplatz Vidsel das schwedische Luftverteidigungsregiment eingeführt. Das Luftverteidigungssystem wird einen großen Beitrag zum Schutz Europas leisten.

Automatischer Übersetzer am Bundeswehrkrankenhaus

(BS/df) Wer erinnert sich nicht an Captain James T. Kirk aus der Serie Raumschiff Enterprise, für den Sprachprobleme dank des automatischen Übersetzers in seiner Hand auch in weit entfernten Welten kein Problem darstellten. Diese Technologie wird aktuell im Bundeswehrkrankenhaus Berlin eingeführt. Der Kitteltaschenübersetzer soll die Sprachbarrieren überwinden. “Erste Tests des Gerätes brachten eine spürbare Vereinfachung der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten”, meldete der Sanitätsdienst der Bundeswehr. Der Innovationsbeauftragte des Krankenhauses, Stabsfeldwebel Daniel Bürger, erläutert das Projekt: “Einer meiner Kameraden, der Oberstabsarzt Fellmer, war gleich ganz begeistert von der Idee und besorgte sich auf privatem Wege ein Gerät, das er dann bei der freiwilligen Flüchtlingshilfe auf einer griechischen Insel im Einsatz hatte, die er für eine Hilfsorganisation gemacht hat, und er war restlos begeistert von dem Gerät. Er sagte: “Du kannst dir gar nicht vorstellen, ich habe hier Patienten mit Arztberichten aus Afghanistan, mit OP-Berichten aus dem Iran, dann nochmal einen Arztbefund aus der Türkei und der ist jetzt hier. Ich brauchte bloß diesen Befund zu fotografieren und das Gerät hat es eins zu eins übersetzt. Die sprachliche Kommunikation bzw. die sprachlichen Hürden wurden durch dieses Gerät dann deutlich minimiert.” “Aktuell habe das Bundeswehrkrankenhaus Berlin 22 Geräte im Einsatz, das Personal sei begeistert, berichtet Bürger: “Hier bei uns im Klinikalltag, in der Notaufnahme, kam dieses Gerät sehr sehr gut an.”

Israel beschafft die CH-53K (BS/df) Der israelische Verteidigungsminister, Generalleutnant Benjamin Gantz, verkündete Ende Februar die Entscheidung für den neuen schweren Transporthubschrauber der israelischen Streitkräfte (Israel Defense Forces – IDF) mit den Worten: “Lernen sie den neuen IDF-Hubschrauber kennen: CH-53K. Nach Jahren ohne Ausrüstungsplan und mit den meisten Transporthubschraubern aus den 1960er-Jahren habe ich die Ausstattung der Luftwaffe mit neuen Hubschraubern genehmigt, die sich zu den neuen Tankflugzeugen und Kampfjets gesellen werden, die wir letzte Woche genehmigt haben. Dies ist ein bedeutender Schritt für den Aufbau der IDF, der für die Durchführung einer Vielzahl von operativen Aufgaben im Friedensbetrieb und im Kampfeinsatz unerlässlich ist.” Ein offizielles Statement der israelischen Luftwaffe (Israeli Air Force – IAF) ergänzte: “Die Entscheidung wurde nach umfangreicher Sachbearbeitung getroffen, bei der IAF-Mitarbeiter verschiedene Flugplattformen untersuchten und Aspekte wie Technologie, Technik, Wartung und mehr bewerteten.” Israelische Medien hatten vorher berichtet, dass sich die Luftwaffe für das kostengünstigere Angebot von Sikorsky/Lockheed Martin entschieden habe.


Verteidigung

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m Hinblick auf Erfordernisse der Landes- und Bündnisverteidigung, aufgrund der Änderungen der sicherheitspolitischen Lage in und am Rande Europas im Jahr 2014, wurden weitere Kräfte gebunden. Hierbei ist das Heer stets besonders gefordert. Insgesamt leisten täglich rund 1.500 Frauen und Männer des Heeres ihren anspruchsvollen Dienst in den Einsatzländern Afghanistan, Irak, Kosovo und Mali. Damit stellt das Heer mehr als 40 Prozent aller deutschen Kräfte im Einsatz.

Litauen: das Heer bei der Sicherung der Ostflanke Das Deutsche Heer beteiligt sich gegenwärtig dauerhaft an fünf von insgesamt 16 mandatierten Einsätzen und Missionen der Bundeswehr sowie zusätzlich seit 2017 mit einem verstärkten Kampftruppenbataillon an der Enhanced Forward Presence (eFP) der NATO in Litauen. Mit der Mission eFP reagieren die Mitgliedsstaaten der NATO mit der “verstärkten Vornepräsenz” auf die Annexion der Krim durch Russland und die fortgesetzte Destabilisierung der Ukraine. Vor diesem Hintergrund wurden in den baltischen Staaten sowie Polen multinationale Gefechtsverbände aufgestellt. Bereits über 4.000 Soldatinnen und Soldaten des Heeres haben sich bisher an dem multinational zusammengesetzten Kampfverband in Litauen beteiligt. Die Battlegroup (BG) gliedert sich in bis zu vier Manöverelemente mit insgesamt bis zu 1.300 Soldatinnen und Soldaten und ist in die litauische Brigade “Iron Wolf” integriert. Geführt wird die eFP BG LTU durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam. Den Kern des Gefechtsverbandes bilden die gepanzerten Kampftruppen. Zur Vorbereitung auf den Auf-

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Das Heer im Auslandseinsatz Konfliktverhütung und Krisenbewältigung (BS/Oberstleutnant Holger Fritz Offenhausen*) Das Heer steht seit annähernd 30 Jahren im Mittelpunkt der größtenteils landgebundenen Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, die für die Bundeswehr 1991 mit dem Einsatz in Somalia begonnen haben. Es kamen einsatzgleiche Verpflichtungen im NATO/EU-Rahmen hinzu. trag eFP BG LTU übt der deutsche Leitverband mit multinationalen Kräften in deutschen Übungseinrichtungen. Im Rahmen dieser einsatzvorbereitenden Ausbildung werden die multinationalen Kräftebeiträge bereits vor der Verlegung optimal integriert. Vor Ort ist das Üben des Gefechts ein immer wiederkehrendes Element. Die NATO-Truppen trainieren zahlreiche Szenarien – angefangen vom Häuser- und Stellungskampf bis zur Verzögerung eines angreifenden Feindes. Dabei unterstreichen diese Ausbildungs- und Übungsvorhaben die gute multinationale Zusammenarbeit und senden eine klare Botschaft an potenzielle Aggressoren.

Kosovo: für ein sicheres ­Umfeld im Kosovo Die am längsten andauernde Beteiligung ist die an der KFORMission der NATO im Kosovo seit nunmehr fast 22 Jahren. Auftrag ist die militärische Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo gemäß VN-Sicherheitsratsresolution 1244: Die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung, bis die nationale/internationale Zivilpräsenz die Verantwortung für diese Aufgaben übernehmen kann. Auch nach der deutlichen Reduzierung des deutschen Beitrages bleibt eine deutsche Präsenz im KFOR-Einsatz weiter notwendig. Mit dem Director NATO Advisary and Liaison Team (NALT) auf der Ebene B6 schafft man für die NATO die Voraussetzungen, die

weitere Entwicklung der Sicherheitsorganisationen effektiv zu begleiten. Die NATO stellt dabei Beratung mit Fokus auf Fähigkeitsaufbau, Ausbildungs- und Trainingskoordination bereit. Deutsche Soldaten leisten hierbei ebenfalls einen Beitrag im NATO-Hauptquartier und mit einem Feldnachrichtenzug.

Mali: Die Ausbildung geht voran Klarer Schwerpunkt für das Heer sind die derzeitigen Einsätze in Mali. Wir beteiligen uns dort mit der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) und der European Union Training Mission Mali (EUTM MLI) sogar an zwei Einsätzen. Auch wenn der Beitrag des Heeres bei MINUSMA mit rund 900 Soldatinnen und Soldaten der größere ist, liegt der Fokus momentan bei der EUTM MLI. Die mehrwöchige Ausbildung der inzwischen dritten malischen Infanteriekompanie in Sévaré ist bereits abgeschlossen. Eine weitere Einheit wird ab Fe­ bruar 2021 vorbereitet. Die von internationalen Ausbildern der Trainingsmission ausgebildeten malischen Sicherheitskräfte werden vor allem im Zentrum sowie im Norden Malis zur Stabilisierung und Wiederherstellung der staatlichen Integrität eingesetzt. Um die Ausbildung der malischen Streitkräfte zukünftig noch effizienter zu gestalten, gibt es Planungen für die Errichtung

eines EU-Ausbildungszentrums am Standort Sévaré. Ziel ist es langfristig, dass malische Streitkräfte zukünftig selbst befähigt sind, ihre Soldaten auszubilden.

gilt für fünfzehn Monate bis zum 31. Januar 2022. Die personelle Obergrenze ist auf 500 deutsche Soldatinnen und Soldaten festgelegt.

Irak: “Capacity Building” ist das Ziel

Afghanistan: der Auftrag im Wandel

Seit 2015 stellt das Heer Kräfte im Irak. Zuerst wurden die sich im Kampf gegen den Islamischen Staat befindlichen Kräfte der Kurdischen Peschmerga im Nordirak ausgebildet. Mit der anhaltenden Stabilisierung des Iraks konnte das deutsche Engagement auch auf den Zentralirak ausgedehnt werden. In Zukunft wird sich der deutsche Beitrag auf die Beratung der strategischen und operativen Ebene beschränken. Mit der Durchführung von Beratungsleistung im Nord- und Zentralirak durch die NATO Mission in IRAK (NMI) erfolgt eine Schwerpunktverschiebung von der Operation Inherent Resolve hin zu NMI. Schwerpunkt dabei ist die Ausbildung und Beratung von Führungskräften der irakischen Streitkräfte mit dem Ziel des Aufbaus effizienter Organisationsstrukturen im Bereich der militärischen Schulen, Kommandobehörden und der Ministerien. Der Bundestag hat am 29.Oktober 2020 das Mandat zur “Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte – Stabilisierung sichern, Wiedererstarken des Islamischen Staats im Irak und in Syrien verhindern, Versöhnung fördern in Irak und Syrien” verlängert. Es

Seit mittlerweile 19 Jahren ist das Heer mit Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Grundlage unseres Handelns ist das Mandat des Deutschen Bundestages, welches derzeit bis Ende März 2021 gilt. Neben dem Hauptquartier in Masar-i Scharif und den Fähigkeitsbeiträgen, welche die Auftragserfüllung als Framework Nation für unsere verbündeten und multinationalen Partner gewährleisten, erfüllen drei Säulen den Kernauftrag der Mission Resolute Support (RS) – Train, Advise and Assist (TAA). Nach dem Multiplikatorprinzip (Train the Trainers) bildet das TAAC-N auch mit deutschen Heeressoldaten einzelne Führungskräfte aus und berät da­ rüber hinaus den Korpsstab des örtlichen Afghan National Army Corps. Für das Deutsche Heer liegt der Kernauftrag bei dem Force Protection Bataillon (FPBn), welches für die gesicherte Verbringung und Absicherung der zu schützenden Kräfte sowie für die Lagersicherung zuständig ist. In Afghanistan versehen derzeit rund 1.100 Soldatinnen und Soldaten, davon etwa 380 Kräfte des Heeres, ihren Dienst im Einsatz. Mit Abschluss des bilateralen

Abkommens zwischen den USA und den Taliban vom 29. Februar 2020 begannen ein derzeit noch laufender Prozess der Reduzierung der NATO-Kräfte sowie die Eventualfallplanungen zum kompletten Truppenabzug bis zum 30. April 2021. Die Fähigkeiten Lufttransport und Air Medical Evacuation (AirMedEvac) beim Deutschen Einsatzkontingent Resolute Support (RS) werden seit dem 1. Januar 2021 für voraussichtlich 18 Monate durch das Heer mit dem Transporthubschrauber NH90 bereitgestellt. Aufgrund noch ausstehender politischer und militärpolitischer Entscheidungen ist das weitere Vorgehen in Afghanistan derzeit in vielen Richtungen völlig offen und kann sich von der unveränderten Fortführung der Mission bis hin zur vollständigen Beendigung des Engagements bewegen.

Fazit Neben den zahlreichen positiven Erfahrungen, die das Heer im Verlauf der oben genannten Einsätze gesammelt hat, darf nicht verschwiegen werden, dass die Opfer schwer wiegen. Auf der Gedenkstätte, dem Wald der Erinnerung im Einsatzführungskommando der Bundeswehr, wird jener gedacht, die seit 1992 in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr ums Leben kamen. Mit Blick in die Zukunft wird das Heer sich weiter an den aufkommenden einsatzgleichen Verpflichtungen und Einsätzen als Träger landgebundener Operationen beteiligen. Mögen Konflikte zukünftig auch eine virtuelle oder digitale Dimension aufweisen – eine strategische Botschaft des Heeres wird Bestand haben: Die letzten hundert Meter gehören dem Heer. *Oberstleutnant Holger Fritz Offenhausen ist Referent im Kommando Heer I 1 (3).


Verteidigung

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Die Reserve der Zukunft

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uch für den Heimatschutz und die Fortsetzung der Aufgaben im Spannungs- oder Verteidigungsfall und der Aufgaben im Rahmen des Host Nation Supports (HNS) ist die Bundeswehr mit ihrer Reserve zum Aufwuchs zu befähigen, um die aktiven Kräfte ergänzen, unterstützen und entlasten zu können. Das so gezeichnete Bild einer Reserve der Zukunft muss insbesondere einem erhöhtem Personalbedarf Rechnung tragen, weshalb mit der SdR die Grundbeorderung und der neue freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz eingeführt werden. Diese beiden für die Zukunft der Reserve so wichtigen Meilensteine werden in diesem Jahr anlaufen.

Die Grundbeorderung Bei der Grundbeorderung handelt es sich um ein Novum der Wehrergänzung. Sie ist die grundsätzliche Einplanung aller wehrdienstfähig aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in die Reserve für einen Zeitraum von sechs Jahren. Ziel ist eine vollständige Bedarfsdeckung sowohl der Truppenreserve als auch der Territorialen Reserve im Bereitschafts-, Spannungs- oder Verteidigungsfall. Erstere dient der Unterstützung der aktiven Truppe als integraler Bestandteil in allen Organisationsbereichen (OrgBer). Die militärischen OrgBer können die Truppenreserve auch in Form von Ergänzungstruppenteilen zum Aufbau oder zur Verstärkung bestimmter Fähigkeiten aufstellen, wohingegen

Gemischte Struktur und neue Aufgaben (BS/Dr. Patrick Sensburg) Die Strategie der Reserve (SdR) gibt als Grundlagendokument die Aufgaben und Entwicklung der Reserve der Bundeswehr vor. Aus der SdR leiten sich drei Aufgabenschwerpunkte für die Reserve ab, die ihre künftige Rolle definieren und das mögliche Aufgabenfeld von Reservistinnen und Reservisten erheblich erweitern: Sie gewährleistet den Aufwuchs der Streitkräfte, verstärkt die Einsatzbereitschaft und erhöht mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr erheblich. die Territoriale Reserve als Teil der Streitkräftebasis zu territorialen Verbindungs-, Sicherungs- und Unterstützungsaufgaben eingesetzt wird. Die Verbindungsorganisation besteht aus Bezirks- und Kreisverbindungskommandos zu den Landkreisen und Regierungsbezirken der Länder, zu den Nachbarstaaten und den Stützpunkten Hilfeleistungen im Innern in der Streitkräftebasis. Daneben werden den 16 Landeskommandos der Bundeswehr unterstellte Siche-

MdB Oberstleutnant d. R. Dr. Patrick Sensburg ist seit November 2019 Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V. F oto: BS/Vincent Mosch

rungs- und Unterstützungskräfte nach regionalen Gesichtspunkten aufgestellt, die zur Entlastung der aktiven Truppe im Heimatschutz, der Katastrophenhilfe und im Host Nation Support (HNS) vorgesehen sind. Eine Vorreiterrolle spielt hierbei das am 18. Mai 2019 in Dienst gestellte Landesregiment Bayern. Gegenwärtig beläuft sich die entsprechende Planungsgröße

auf jährlich 15.000 neu in die Grundbeorderung zu entlassende Reservistinnen und Reservisten, die im Heimatschutz und hier insbesondere in den neu aufzustellenden Landesregimentern eingeplant werden.

Landesregiment Bayern Die Bundeswehr hat im Mai 2019 das Landesregiment Bayern als Pilotprojekt mit Unterstützung des Reservistenverbandes in Dienst gestellt. Mit dem Projekt prüft die Bundeswehr, ob es effektiv ist, Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSU-Kräfte) in der Struktur eines Regiments zu führen. Als Einheit der Territorialen Reserve dient das Landesregiment der Landes- und Bündnisverteidigung sowie dem Heimatschutz und besteht derzeit aus drei Kompanien der fränkischen RSUKräfte mit rund 300 Soldatinnen und Soldaten der Reserve: Den RSU-Kompanien Ober-, Unterund Mittelfranken. Hinzu kommt eine Stabs-, Versorgungs- und eine Unterstützungskompanie. Mit der Regimentsstruktur sollen die RSU-Kräfte unter einheitlicher Führung reaktionsschneller werden und durch gemeinsame Ausbildungen und Übungen ihre Fähigkeiten sowie das Zusammenwirken verbessern. Der Patenverband der fränkischen RSU-Kompanien, das

Die Reserve wird fester in der Bundeswehr verankert, um das Potenzial besser ausschöpfen zu können. Foto: BS/Bundeswehr, Sebastian Wilke

Logistikbataillon 467 in Volkach, unterstützt die Reservistinnen und Reservisten und damit das Landesregiment bei ihren Ausbildungen. Das Pilotprojekt, welches schon jetzt als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden kann, wird bis Dezember 2021 fortgeführt. Die Ergebnisse sollen nicht nur auf das gesamte Bundesland Bayern, sondern auf alle Bundesländer übertragbar sein. Bei Erfolg können mit den Ergebnissen des Pilotprojekts in allen Bundesländern Landesregimenter aufgestellt werden. Der Reservistenverband ist innerhalb der Projektorganisation maßgeblich beteiligt. Das

Das neue Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr BMVg wählt die HK416 A8 von Heckler & Koch (BS/df) Deutschland hat sich am 1. März für die HK416 in der Version A8 als neues Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr entschieden. Es geht um rund 120.000 Sturmgewehre inklusive Zubehör für 250 Millionen Euro, die in einem Zeitraum von sieben Jahren geliefert werden sollen. Damit geht ein vierjähriger Vergabeprozess nun zu Ende. Am 21. April 2017 wurde die Vergabe des Gewehrs für das System Sturmgewehr Bundeswehr auf der EU-Vergabeplattform “TED” bekanntgemacht, der Abschluss der Verträge war ursprünglich für das erste Halbjahr 2019 vorgesehen. Als letztes waren neben der C. G. Haenel GmbH nur noch zwei Sturmgewehre (HK416 und HK433) von Heckler & Koch im Wettbewerb.

Ausschluss von C. G. Haenel Haenel wurde nun allerdings am 1. März durch das BMVg vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. “Nach Auswertung aller vorgelegten Unterlagen ist das Angebot der Firma C.G. Haenel vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen worden. Die Firma wurde darüber bereits in Kenntnis gesetzt. Nunmehr ist beabsichtigt, den Zuschlag der Firma Heckler & Koch zu erteilen”, berichtet das BMVg. “Unter Berücksichtigung aller vergaberechtlichen Aspekte ist man schlussendlich zum Ergebnis gekommen, dass das Angebot

Beschaffer noch zwischen dem Abwarten eines Urteils zu den Patentrechtsverletzungen, dem Fortführen des Vergabeverfahrens oder einer Neuaufsetzung. Zwei Fälle standen dabei gegen Haenel im Raum: die “Over-theBeach”-Fähigkeit sowie das Magazin. Eine Beurteilung möglicher Patentrechtsverletzungen beim komplexen Over the Beach kann wahrscheinlich nur das Gericht festlegen, bleibt also das Magazin zur Begründung des selbstsicheren Auftretens des BMVg. Hat Haenel gegen die Ausschreibung verstoßen, indem es nicht sagte, dass die Patente für das Magazin bei einer dritten Firma liegen? Wenn diese Falschaussage vorliegt, dann ist es natürlich rechtlich zulässig, diesen Bieter von der Vergabe auszuschließen – nicht aufgrund von Patenrechtverletzungen, sondern aufgrund von Falschaussagen im abgegebenen Angebot. Der Nachweis dieser Falschaussagen ist objektiv schnell zu erfassen und nicht von richterlicher Interpretation abhängig, was die

müsste dementsprechend nicht abgewartet werden.

G36 für die Reservisten Die neue Vergabe bedeutet allerdings nicht, dass das bisher genutzte G36 ein schlechtes Gewehr ist. In einer Sitzung des Deutschen Bundestages im November betonte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: “Wir haben mit dem G36 ein Gewehr, das – auch unabhängig von früheren Untersuchungen – seinen Dienst tut, von dem man aber sagen muss: Es wird am Ende dieses Jahrzehnts in die Jahre gekommen sein. Insofern ist es richtig, dass wir über die Modernisierung reden.” Mit der Ablöse durch die HK416 soll das G36 in der Reserve eingesetzt werden. Wie oben beschrieben, erlangt die Reserve durch die Neuausrichtung der Bundeswehr eine größere Bedeutung, was sich allerdings auch in deren Ausstattung widerspiegeln muss. Das G36 ist und bleibt ein gutes Gewehr, das Reservisten

Das neue Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr: die HK416 A8. Foto: BS/Heckler & Koch

der Firma C.G Haenel wegen der Patentverletzungen auszuschließen ist. Die Wiederholung der Angebotswertung ist damit abgeschlossen.” Dies hört sich wesentlich selbstsicherer an als bisherige Äußerungen aus dem BMVg. Ursprünglich schwankten die

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Sicherheit, mit der das BMVg den Ausschluss verkündete, erklärt und begründet. Der Ausgang der Klage durch Heckler & Koch, dessen erste Verhandlung für diesen Herbst angesetzt ist,

aus ihrer Zeit bei der Bundeswehr kennen und bedienen können. Zudem ist das G36 aufwuchsfähig und kann durch verschiedene Maßnahmen den modernen Anforderungen

angepasst werden. Eine solche Modernisierung wird unter anderem durch STEYR ARMS unter dem Titel “G36 Upgrade Kit” angeboten, bei dem das Gehäuse, der Lauf und der Magazinschacht des Sturmgewehrs ausgetauscht werden. Allein schon durch das Metallgehäuse erhöhte sich dabei die thermische Stabilität in den Tests um ein Vielfaches. Dies wird durch den neuen Lauf unterstützt, sodass die modernisierten G36 thermisch stabilere Eigenschaften erhalten. Die Bedienbarkeit ändert sich nicht, sodass die Reservisten weiterhin mit der Waffe vertraut sein werden. Auch die Infrastruktur, zum Beispiel die Waffenhalterungen in Fahrzeugen, können durch die Reservisten weiterverwendet werden.

Zuverlässige und bewährte Sturmgewehre Die Bundeswehr wird mit der HK416 ein modernes, zukunftsfähiges Sturmgewehr erhalten, das mit 3.400 Gramm (leer) sogar noch leichter ist als das G36. Die HK416 konnte sich zudem bereits bei anderen Streitkräften in Vergabeverfahren durchsetzen, etwa als neues Standard-Sturmgewehr von Frankreich oder Norwegen. Das G36 wird weiterhin in der Reserve verwendet. Hier bieten sich verschiedene Modernisierungslösungen an, damit sowohl der aktive Soldat als auch der Reservist über modernste Systeme verfügen. Die Produkte von Heckler & Koch beweisen bereits weltweit – und seit Jahrzehnten in der Bundeswehr –, dass mit der HK416 A8 sicherlich keine schlechte Wahl getroffen wurde.

eingangs als Erfolgsgeschichte bezeichnete Pilotprojekt Landes­ regiment Bayern muss aus Sicht des Reservistenverbandes schon deswegen so benannt werden, da hier deutlich wird, mit welcher Kraft und Dynamik die Verbindung zwischen Verband und Bundeswehr vermeintliche Hürden, politischer, gesellschaftlicher, finanzieller und materieller Art, zu überwinden vermag. Das Ineinandergreifen von “Agenda Setting” auf politischer Bühne durch den Verband in Verbindung mit der präzisen militärischen Planung unter anderem des Kommandos Streitkräftebasis und der innovativen Projektorganisation des Kommandos für Territoriale Aufgaben der Bundeswehr kann schon heute in der Zwischenbilanz als absolut nachahmenswert für möglicherweise andere Themenbereiche bewertet werden. Hier hat der Reservistenverband schon im Vorgriff eine der Aufgaben der SdR, konkret das “Mitwirken an der Weiterentwicklung der Reserve”, operationalisiert und umgesetzt. Somit ist der Reservistenverband unmittelbar in die Ausgestaltung der Reserve der Zukunft eingebunden und wird künftig durch den neuen freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz noch stärker an diesem Prozess beteiligt sein.

Dein Jahr für Deutschland Einen weiteren Baustein der Personalgewinnung für die Territoriale Reserve und Beschleunigungsfaktor für die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte stellt das 2021 beginnende Projekt “Dein Jahr für Deutschland” dar. Der neue freiwillige Wehrdienst ist in die Territoriale Reserve eingebettet. Seit dem 1. September 2020 können sich Freiwillige auf die zunächst 1.000 Stellen bewerben. Bisher haben sich mehr als 4.000 Bewerberinnen und Bewerber gemeldet, davon wurden rund 1.800 zu Gesprächen in die Karrierecenter der Bundeswehr eingeladen. Die ersten Einstellungen sind bis zum 1. April dieses Jahres und danach zu Beginn jedes weiteren Quartals vorgesehen. Die dreimonatige militärische Grundausbildung sollen die Freiwilligen in Einheiten der Streitkräftebasis absolvieren. Daran wird sich die Dienstpostenausbildung zur Sicherungssoldatin bzw. zum Sicherungssoldaten anschließen, die in Berlin, Delmenhorst oder Wildflecken erfolgen soll. Nach Abschluss der insgesamt siebenmonatigen Ausbildung werden die Freiwilligen in der Region, in der sie verwurzelt und vernetzt sind, für sechs Jahre in einer der bisher 30 Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien, die flächendeckend im Bundesgebiet aufgestellt sind, eingeplant.

Die RSU-Kompanien werden künftig unter dem Namen Heimatschutzkompanien aufgestellt. In diesen sechs Jahren müssen sie insgesamt mindestens fünf weitere Monate Dienst leisten. Damit ihre erworbenen Kompetenzen erhalten und auf dem neuesten Stand bleiben, sollen sie möglichst einmal im Jahr ihren Reservistendienst leisten. Schon die Bezeichnung dieser neuen Form des freiwilligen Wehrdienstes ist Programm: “Dein Jahr für Deutschland – freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz” soll alle Frauen und Männer ansprechen, die sich für das Gemeinwohl und regionale Aufgaben im Heimatschutz interessieren. Der gesellschaftliche und soziale Charakter des insgesamt einjährigen Dienstes steht dabei im Vordergrund, womit Deutschland seiner Verantwortung in Europa gerecht werden will. Deshalb muss das Land selbst in Krisenlagen widerstandsfähiger werden. Die Bundeswehr stärkt mit dem freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz ihre bestehenden Reservestrukturen und die gesamtgesellschaftliche Krisenvorsorge. Die neuen Freiwilligen werden mit ihren Aufgaben unmittelbar für die Bevölkerung spürbar sein und eine Zusammenarbeit mit zivilen Hilfs- und Rettungsorganisationen ist geplant, damit die Hilfen im Krisenfall ineinandergreifen. Der Kreis der Heimatschützer soll so komplettiert werden, ohne dass es zu einem Konkurrenzkampf um Freiwillige oder ehrenamtlich engagierte Köpfe kommt.

Neue Aufgaben für die ­Reserve Das Konzept für die Zukunft soll in allen OrgBer der Bundeswehr auf einer gemischten Struktur, also der Verbindung zwischen Aktiven und Reservisten, aufbauen. In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung des Reservistenverbandes zu sehen, die Zahl der Stellen für Reservisten von 4.500 auf 6.000 Stellen zu erhöhen. Mit diesem Schritt unterstreicht der Verband, dass für die Aufgabenerfüllung der Bundeswehr mehr Reservistinnen und Reservisten notwendig sind, insbesondere im Hinblick auf den Ausbau der gemischten Struktur, in der Reserveelemente und aktive Truppenteile noch enger verzahnt werden. Fest steht schon jetzt, dass Reservistinnen und Reservisten die Truppe künftig noch mehr entlasten werden. So sollen sie Aufgaben im Küstenschutz bei der Marine und Aufgaben im Bereich der Flugsicherung bei der Luftwaffe übernehmen. Aktive Truppe und Reserve sind gleichermaßen für die Aufgabenerfüllung der Bundeswehr unverzichtbar. Eine einsatzbereite Bundeswehr erfordert eine einsatz­bereite Reserve, die das personelle Potenzial bildet, das zur mittelbaren und unmittelbaren Unterstützung der Streitkräfte und ihrer Aufwuchsfähigkeit nötig ist. Dafür bedarf es insbesondere der entsprechenden materiellen und infrastrukturellen Ausstattung sowie einer logistischen Anbindung. Auf diese Weise aufgestellt und eingebunden, ist die Reserve eine wesentliche Säule der LV/BV. Dies schließt den Feldersatz ein. Die Bedeutung der Reserve für die Sicherheitsarchitektur Deutschlands und seine Verbündeten wächst beständig. Sie wird künftig in allen Bereichen und Funktionen zum Einsatz kommen, bedarf dazu aber insbesondere einer personellen, finanziellen und organisatorischen Ausstattung und Einbettung, die dieser Einschätzung gerecht wird. Die Aufgabenfelder der Reserve der Zukunft werden vielfältiger, das Thema Ausrüstung der Reserve wird daher auch eines der kommenden Themen werden.


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Tatort Internet

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arsten Hambloch erledigt eine Arbeit, zu der sich nur wenige imstande sehen. Selbst bei der Polizei. Zugegeben, der Satz klingt ein wenig abgedroschen, im Falle des 32-jährigen Kölners hat er jedoch seine Berechtigung: Hamblochs Aufgabe besteht darin, kinderpornografisches Material zu sichten. Und das Tag ein, Tag aus. Das Schlimmste an seiner Tätigkeit? “Sexuelle Gewalt kennt keine Grenzen. Alles, was der Mensch sich vorstellen kann, wird irgendwo auch ausgelebt. Selbst die absurdesten Praktiken werden festgehalten und verbreitet.” Aktuelle Zahlen geben ihm Recht. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2019 haben Herstellung und Verbreitung kinderpornografischen Materials in den letzten Jahren beträchtlich zugenommen. Seit fünf Jahren verzeichnet das Bundeskriminalamt (BKA) einen Zuwachs um mehr als das Doppelte. Lag die Zahl bekannter Missbrauchsfälle 2016 noch bei rund 5.700, so waren es 2019 über 12.000. Mit Bekanntwerden der Verbrechen in Lügde, Münster und Bergisch Gladbach erreichte diese Entwicklung nun einen traurigen Höhepunkt.

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Carsten Hambloch ist Auswerter beim Kriminalkommissariat 13 der Polizei Köln (BS/Thomas Petersdorff) Groß war die Euphorie, als das World Wide Web Mitte der Neunzigerjahre seinen Siegeszug antrat. Mit dem neuen Medium verband sich nicht weniger als die Hoffnung auf ein virtuelles Utopia. Für jedermann zugänglich, werde das Datenuniversum eine neue Form der Autonomie schaffen, die jeder räumlichen Schranke entbunden sei. Soweit das Versprechen. Heute weiß man um die Kehrseite der mit dem Netz geborenen Freiheit: Hass, Verleumdung, Gewalt und Missbrauch. Einer, der sich berufsbedingt mit dem Schlimmsten befasst, was das Internet anzubieten hat, ist Carsten Hambloch. Er ist Kriminaloberkommissar und Auswerter beim Kriminalkommissariat 13 (KK 13) der Polizei Köln, zuständig für die Bearbeitung von Sexualdelikten, insbesondere die Bekämpfung der Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie. Täglich durchforscht er sichergestelltes Videomaterial auf der Suche nach den Tätern (mehr dazu auch auf Seite 6 dieser Ausgabe).

Jedes Video bedeutet ein neues Beweisstück Was sich geändert habe, will ich von Hambloch wissen. Nicht der Missbrauch an sich, wohl aber die Wege seiner Verbreitung seien mehr geworden, so die Einschätzung des Experten, der im Rahmen der Besonderen Aufbauorganisation Bergisch Gladbach (BAO Berg) selbst an der Aufklärung eines der größten Verbrechen mitwirkt. “Die technischen Möglichkeiten machen es Pädophilen sehr viel leichter als vor einigen Jahren. Dadurch dass heutzutage jeder über einen Internetanschluss verfügt, sind die Inhalte meist nur wenige Klicks entfernt. Hinzu kommen zahlreiche Messenger-Dienste, die es Straftätern ermöglichen, sich großflächig zu vernetzen.” Was die Täter dabei außer Acht ließen, sei, dass mit jedem einzelnen Foto, mit jedem Video oder jeder Chatnachricht ein neues Beweisstück entstehe, das schlussendlich gegen sie verwendet werde. Das macht es für Hambloch und seine Kollegen sicherlich einfacher, aber gewiss nicht leichter. Zwar sind digitale Kanäle eine regelrechte Fundgrube, um vor Gericht ausreichend Indizien zur Überführung der Täter vorlegen zu können. Nichtsdestoweniger bedeutet jeder neue Fall eine weitere Tragödie. Warum also ausgerechnet die Kinderpornografie? Für Hambloch begann alles mit dem Wunsch nach Veränderung. Nach Jahren des Streifendienstes war es für ihn an der Zeit, sich beruflich weiterzuentwickeln. Schon früh habe er sich für die Kriminalpolizei interessiert, erinnert er sich zurück. Nach Zwischenstationen bei der Bereitschaftspolizei und der

Hambloch über die Arbeit im KK 13: “Der Beruf ist sehr abwechslungsreich und interessant. Man bekommt eine Akte und muss diesen Fall dann komplett betreuen, mit der Staatsanwaltschaft korrespondieren, Durchsuchungen vorbereiten und durchführen, Beweismittel sicherstellen und auswerten sowie letztlich das Verfahren zum Abschluss bringen.” Foto: BS/Tim Wegner

Verhandlungsgruppe wechselte er im September 2019 schließlich ins Kriminalkommissariat 12, zuständig für Sexualdelikte. Dort war es seine Vorgesetzte, die ihm den Bereich der Kinderpornografie nahelegte. Unsicher, ob er den Zumutungen der Tätigkeit gewachsen sei, absolvierte Hambloch zunächst die obligatorische Hospitation. Es war das erste Mal, dass er mit den Bildern und Videos konfrontiert wurde, die später seinen Alltag bestimmen sollten. Ein einschneidendes Erlebnis, das, statt abzuschrecken, ihn in seinem Beschluss noch gefestigt hat. “Schnell habe ich gemerkt, dass es persönlich nicht an mich herangeht. Zumindest in den meisten Fällen.” So sieht er es noch heute: “Die Arbeit befindet sich hier wirklich nur auf meinem Computer, auf meinem Desktop. Da bearbeite ich die ganzen Verfahren und sobald ich das Gebäude verlasse, ist die Arbeit auch für den Tag abgehakt.”

“Es ging alles ganz schnell” Nach Einrichtung der BAO ist das KK 13 gegründet worden. Dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nun explizit für die Bekämpfung der Herstellung und der Verbreitung von kinderpornografischem Material zuständig. Immer dann, wenn sexueller Missbrauch von Kin-

dern in einem konkreten Fall anzunehmen ist, ermittelt das KK 12. Was Hambloch damals jedoch noch nicht wusste: Mit Bergisch Gladbach stand bereits ein Fall ins Haus, dessen Ausmaße weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinausgehen. Als sich Ende desselben Monats abzeichnete, dass die Ermittlungen im Rahmen einer BAO nach Köln übergeben werden sollten, befand sich Hambloch noch mitten in der Einarbeitung: “Das Wasser war schon sehr kalt”, sagt er mit einem Lachen im Gesicht. "Es ging alles ganz schnell. Erst wurde bei uns im KK 12 geguckt, wer Urlaub hat und wer nicht. Es wurde darauf geachtet, dass auch genügend erfahrene Ermittler und nicht nur Neue dabei sind und schon war ich mittendrin.” “Mittendrin” – im Falle Bergisch Gladbachs bedeutet das: weit mehr als 30.000 Datenspuren mit einer unbekannten Anzahl an Straftätern im Hintergrund. Alles begann im Herbst 2019 mit der Festnahme eines 43-jährigen Mannes aus Bergisch Gladbach – unscheinbar, Koch, Familienvater. Bei der Hausdurchsuchung stellten die Polizisten vor Ort große Mengen kinderpornografischen Materials sowie Chatprotokolle mit anderen Pädosexuellen sicher. Erst nach und nach wurden die Dimensionen des Netzwerks

Der Teufel liegt im Detail: Bei ihrer Tätigkeit arbeiten die Auswerter mit Listen. Hier eine Übersicht von Schlagworten, die Pädophile im Netz häufig gebrauchen. Foto: BS/Tim Wegner

bekannt, dessen Mitglieder auch außerhalb Deutschlands, in Österreich, Schweden, Finnland, den Niederlanden, Frankreich sowie der Schweiz, operieren. Inzwischen sind mehr als 330 Beschuldigte identifiziert, sieben Tatverdächtige sind in Untersuchungshaft, gegen elf Personen hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, zehn wurden bereits verurteilt. Ein Erfolg, der nicht zuletzt auch auf das Konto Carsten Hamblochs und seiner Kollegen geht.

Mit den Augen den Tätern auf der Spur Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg. Denn bei der Tätigkeit eines Auswerters kommt es buchstäblich auf jedes Detail an. “Neben einem technischen Grundverständnis braucht es vor allem Jagdinstinkt und ein gutes Auge”, hebt Hambloch hervor. Zwar arbeite man bei der Kriminalpolizei mit einer Software, die kinderpornografisches von unbedenklichem Material differenzieren könne, die Durchsicht verdächtiger Dokumente und Videos dauere in der Regel aber sehr lange, da sich hinter jedem Detail ein Indiz verstecken könne. “Wenn wir in einem Video Hinweise darauf haben, dass jemand für den Missbrauch eines Kindes verantwortlich ist, dann gucken wir in jeder hundertstel Sekunde einer Videosequenz nach weiteren Hinweisen. Zum Beispiel Geräuschen. Sei es, dass man draußen einen vorbeifahrenden Zug oder ein Flugzeug hört. Es könnte sich somit um eine Einflugschneise handeln. Wir gucken wirklich nach den kleinsten Hinweisen und ziehen alle Register, um die Täter zu kriegen.” Den Pädophilen auf der Spur. Ein Weg: die Analyse von Chatgruppen. Für Hambloch und seine Kollegen ein mitunter zeit­ intensives Puzzlespiel. Dadurch, dass sich die meisten Delinquenten hinter fiktiven Nicknames verstecken, gleicht die Identifizierung nämlich nicht selten der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Um den Verbrechern dennoch näher zu kommen, arbeitet man mit Listen, in denen minutiös festgehalten wird, was jeder Chatteilnehmer jeweils von sich gibt. Im Idealfall geben die Beobach-

teten, persönliche Informationen über sich preis, zum Beispiel Alter, Wohnort oder Familienangehörige betreffend. Alle Details dienen der Profilbildung. Das kann dauern – Tage, wenn nicht gar Wochen –, führt aber letztlich häufig zum Ziel. Nach und nach löst sich der zunächst rein virtuelle Charakter aus der Anonymität des Netzes und wird zur real greifbaren Person. Und diese lässt sich bekanntlich auch rechtlich belangen: Besteht ein konkreter Tatverdacht, rücken die Teams für die weiteren Ermittlungen aus. “Bisher war die Trefferquote sehr gut. Praktisch jedes Mal sind wir fündig geworden”, freut sich Hambloch.

Kein Ende in Sicht Dann und wann ist er auch selbst mit dabei, inspiziert Datenträger vor Ort, fällt ein erstes Urteil, das auch darüber entscheidet, ob der Verdächtige festgenommen und gegebenenfalls einem Haftrichter vorgeführt wird. In erster Linie geht es aber darum, Kinder aus dem Umfeld der Missbraucher zu holen. Doch wer sind eigentlich die Täter? Pauschal könne man das nicht sagen, klärt Hambloch auf. “Wir haben arbeitslose Täter, welche mit hohem Einkommen, welche

in einem gefestigten sozialen Umfeld, welche, die wir aus MessiWohnungen rausholen. Wir haben den kompletten Querschnitt der Gesellschaft und wir können nicht pauschal sagen, der und der sieht so und so aus oder hat den oder den Beruf und lebt in dem und dem Umfeld – und das ist jetzt ein Pädophiler!” Gerade diese Heterogenität mache die Suche nach Sexualstraftätern auch so ungemein schwierig. Davon abgesehen: Jeder Fund stößt eine neue Tür auf, stellt Verbindungen her, die wiederum neue Gruppen von Verdächtigen ins Licht rücken. “Das nimmt kein Ende”, ist Hambloch sich sicher. Ähnliches gilt wohl auch für sein Wirken im Rahmen der BAO Berg, deren Ermittlungen noch lange nicht abgeschlossen sind. Ich frage Hambloch, ob er schon Ermüdungserscheinungen verspüre. Er verneint. Sicher, auch er habe Momente, in denen ihm die Tätigkeit zusetze. Besonders dann, wenn es persönlich werde. Je mehr er über die missbrauchten Kinder wisse – Alter, Herkunft oder familiärer Hintergrund –, desto schwieriger werde es für ihn, emotional noch Distanz halten zu können. Umso wichtiger darum auch für Polizeivollzugsbeamte in seiner Position: Ein intaktes soziales Umfeld, das einen im Fall der Fälle auffängt und hilft, die gesehenen Gräuel zu verarbeiten. Hambloch selbst findet Zuflucht bei Freunden, der Familie und nicht zuletzt auch den Kollegen, mit denen er sich intensiv austauscht. Zusätzliche Unterstützung erhalten die Auswerter von ihrem Arbeitgeber, der mit regelmäßigen Supervisionsveranstaltungen und einem Sozialraum einen möglichst stressfreien Rahmen schaffen will. “Man versucht wirklich, es so angenehm wie möglich für uns zu machen, sodass keine weiteren Belastungen neben der Arbeit entstehen”, bestätigt Hambloch. Verantwortlich in letzter Instanz sei jedoch jeder für sich allein. Hambloch ist vorsichtig und mit sich selbst im Reinen: “Ich will mit meinem Körper und meiner Psyche keinen Raubbau betreiben. Wenn ich Belastungssymptome bemerken sollte, würde ich nicht zögern und bei meinen Vorgesetzten um eine Pause bitten.” Das ist derzeit für ihn aber noch keine Option. Ihn treibt nur eine Mission: “Wir wollen so schnell es geht die Kinder befreien, die weiterhin einem Missbrauch ausgeliefert sind. Und dann wollen wir natürlich die Täter überführen und festnehmen.” Ein Kampf, der angesichts der schieren Masse an Delikten aussichtslos erscheinen mag. Immer wieder – das bestätigen nicht zuletzt die jüngsten Entwicklungen im Falle Bergisch Gladbachs – ist er jedoch auch von Erfolg gekrönt.

Direktion Kriminalität – Polizei Köln (BS) Die Direktion Kriminalität ist eine von fünf Direktionen der Kreispolizeibehörde Köln mit Sitz im Stadtteil Kalk. Sie wird geleitet von Kölns Kripo-Chef, dem leitenden Kriminaldirektor Klaus-Stephan Becker, und ist der Aufsicht des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen unterstellt. In der Direktion Kriminalität werden von der Sachbeschädigung bis zum Tötungsdelikt und politisch motivierter Kriminalität grundsätzlich alle Strafanzeigen bearbeitet. Eine Ausnahme bilden dabei Verkehrsstraftaten, die der Zuständigkeit der Direktion Verkehr unterliegen. Einen weiteren Aufgabenbereich stellt die Kriminalprävention zusammen mit dem Opfer- und Zeugenschutz dar. Insgesamt besteht die Direktion Kriminalität aus acht Inspektionen mit 43 Kommissariaten. Grundsätzlich findet die Sachbearbeitung durch die einzelnen Kriminalkommissariate zentral für die gesamte Stadtregion statt. Eine Ausnahme bilden die Kriminalkommissariate der Kriminalinspektion fünf, wo allgemeine Straftaten nach dem Tatortprinzip bearbeitet werden. Diese regionale Sachbearbeitung orientiert sich an den Zuständigkeitsgrenzen der sieben Polizeiinspektionen. Um Kriminalität wirksam zu bekämpfen, arbeitet die Direktion Kriminalität in enger Abstimmung mit den Staatsanwaltschaften, den Gerichten und den Ämtern der Stadtregion Köln/Leverkusen zusammen. Hinzu kommt die Kriminalinspektion ST – der polizeiliche Staatsschutz. Sie ist in eine Führungsstelle und drei Kommissariate unterteilt, die für Delikte zuständig sind, die aus politischen Motiven heraus verübt werden. Leiter der Kriminalinspektion ist Kriminaldirektor Michael Esser, (siehe Interview dieser Ausgabe auf Seite 6) der vom Beginn an auch der Leiter und Polizeiführer der BAO Berg ist.



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