Behörden Spiegel Mai 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

G 1805

DIGITALE

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de Alles dazu auf

Nr. V / 37. Jg / 19. Woche

Berlin und Bonn / Mai 2021

n Seiten 25, 40

und 41!

www.behoerdenspiegel.de

Die BayernApp

Herausforderungen für die Bundeswehr

Genau die richtige Mischung

Judith Gerlach über den mobilen OnlineVerwaltungswegweiser............................ Seite 30

Im Gespräch mit Generalinspekteur Eberhard Zorn �������������������������������������������� Seite 50

Katy Völker über ihre Arbeit als Aufsichtsperson......................................... Seite 52

Überrollt?

EU will Rechtsetzung verbessern (BS/stb) Um die Rechtsetzung zu verbessern, schlägt die EUKommission Maßnahmen vor, die besonders die Zusammenarbeit zwischen EU-Organen, Mitgliedsstaaten und weiteren Interessengruppen stärken sollen. So sollen bürokratische Hindernisse gemeinsam abgebaut werden. Konsultationen der Öffentlichkeit sollen vereinfacht werden. Neue Belastungen für Bürger/-innen und Unternehmen sollen immer durch Entlastungen ausgeglichen werden (One-in-one-outGrundsatz). Außerdem soll die strategische Vorausschau in die Politikgestaltung einbezogen werden, um sich abzeichnenden Trends besser Rechnung zu tragen. Noch im laufenden Jahr will die Kommission ihren eigenen Dienststellen konkrete Leitlinien an die Hand geben.

Neuer Phänomen­ bereich (BS/mfe) Im Zusammenhang mit den – zum Teil gewaltsamen – Protesten gegen die CoronaBeschränkungen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einen neuen Phänomenbereich eingerichtet. Hier geht es um die verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates. Innerhalb dieses Bereichs wurde ein bundesweites Sammelbeobachtungsobjekt “Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates” eingerichtet, in dem die relevanten Akteure nachrichtendienstlich bearbeitet werden. Das SammelBeobachtungsobjekt ermöglicht sowohl eine Bearbeitung als Verdachtsfall als auch als erwiesen extremistische Bestrebung. Hintergrund ist der Umstand, dass die Zuordnung der maßgeblichen Personenzusammenschlüsse oder Einzelpersonen oftmals schwierig ist.

Öffentlicher Dienst geht in der nächsten Sparwelle unter, wenn sich nichts ändert (BS/Jörn Fieseler) Die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler zeigt nach fünf Jahren des Rückganges eine neue Rekordsumme von über 2,092 Billionen Euro an. Allein der Bund macht in diesem Jahr neue Schulden in Höhe von 240 Mrd. Euro. Nach der Pandemie wird Deutschland einerseits sparen und andererseits Steuern erhöhen müssen. Von Ersterem wird auch der Öffentliche Dienst nicht verschont bleiben. Dabei ist die Lage schon jetzt dramatisch. Es bleibt nur ein Ausweg. Die gemachten Schulden müssen zurückgezahlt werden. Diese Ausgaben künftigen Generationen aufzuerlegen, wäre grob fahrlässig. Die Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg haben gezeigt, wo es hingeht. Obwohl mehr Polizei- und Lehrerstellen geschaffen werden sollen, brachte die CDU im Südwesten der Republik den Vorschlag in die Verhandlungen ein, im Zuge der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen rund 3.000 Stellen in der Ministerialbürokratie und den nachgeordneten Bereichen zu streichen. Geschätztes Einsparvolumen: rund 500 Millionen Euro. Denn dem Ländle werden in der nächsten Legislatur rund drei bis vier Milliarden Euro fehlen. Entsprechend stehen größere Investitionsvorhaben der Koalitionäre noch unter Haushaltsvorbehalt und werden erst realisiert, wenn die nötigen Gelder vorhanden sind. Im Gegenzug haben sich die alten und neuen Regierungsparteien darauf verständigt, die rechtlichen Grundlagen für eine Nahverkehrsabgabe zu schaffen, die die Kommunen erheben dürfen. Damit soll der ÖPNV finanziert werden. Was in Baden-Württemberg passiert, wird sich auch in anderen Ländern und dem Bund wiederfinden. Spätestens nach der Bundestagswahl werden die

Der Öffentliche Dienst droht wie ein Surfer von der nächsten Welle überrollt und unter Wasser gespült zu werden, wenn sich an der Aufgabenwahrnehmung nichts ändert. Foto: BS/EpicStockMedia, stock.adobe.com

Debatten um eine Erhöhung der Einkommens- und Erbschaftssteuer und die Einführung neuer Steuern, wie der lang diskutierten Vermögenssteuer kommen. Zugleich wird der Staat an den Ausgaben sparen. Das geht am einfachsten beim Personal. Es ist zu befürchten, dass das Versorgungsniveau der Pensionäre abgesenkt wird. Oder künftig weniger Beamte und dafür mehr Angestellte eingestellt werden.

Noch einfacher ist es, frei werdende Stellen nicht mehr nachzubesetzen. Aber: Schon jetzt fehlen im Öffentlichen Dienst rund 300.000 Stellen, um die vorhandenen Aufgaben adäquat erledigen können, rechnet der DBB Beamtenbund und Tarifunion vor. Zeitgleich werden in den nächsten zehn Jahren rund eine Millionen Menschen altersbedingt aus dem Öffentlichen Dienst ausscheiden. Entspre-

chend muss parallel massiv in die Digitalisierung von Verwaltung, Schule, Gesundheitswesen, Polizei und Kommunen investiert werden (siehe Seite 25), um Prozesse zu vereinfachen. Das vorhandene Personal muss von Routineschritten entlastet werden, um die fachlichen Aufgaben erfüllen zu können. Doch beides zusammen wird nicht ausreichen. Weder lässt sich angesichts der Zahlen genü-

gend neues Personal finden noch können Verwaltungsprozesse so digitalisiert und vereinfacht werden, dass dadurch die fehlenden Kräfte kompensiert werden können. Auch im Zusammenspiel nicht. Bliebe nur die Möglichkeit, staatliche Aufgaben zu priorisieren und zu reduzieren. Doch eine grundlegende Aufgabenkritik wird es nicht geben. Einerseits gibt es kaum Aufgaben, die komplett gestrichen werden könnten. Andererseits haben schon die Reformversuche Anfang der 2000erJahre unter dem Stichwort “New Public Management”, zu Deutsch “Neues Steuerungsmodell”, gezeigt, dass dieser Schritt nicht gemacht wird. Doch genauso, wie Beton aus Wasser, Gesteinskörungen und Zement besteht, braucht es für einen zukunftsfähigen Öffentlichen Dienst eine dritte “Zutat”: eine grundlegende Staatsreform. Andernfalls droht der Öffentliche Dienst von der nächsten Welle überrollt und wie ein Wellenreiter unter Wasser gespült zu werden. Die Pandemie hat an vielen Stellen die Schwachpunkte offengelegt. Konkrete Reformvorschläge für klarere Strukturen und Verantwortlichkeiten liegen unter anderem mit dem Buch “NeuStaat” schon vor. Die Aufgabenwahrnehmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss neu austariert werden.

Kommentar

Es brennt – diesmal bei der Feuerwehr!

(BS) Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) gibt trotz der Neuwahl seines Präsidenten weiterhin kein gutes Bild in der Öffentlichkeit ab. Es fehlt an Geschlossenheit und Transparenz. Der neue Präsident Karl-Heinz Banse aus Niedersachsen muss nun schnell handeln. Die internen Streitigkeiten im DFV, der mit seinen rund 1,3 Millionen Mitgliedern eine der wichtigsten Säulen für Rettung, Gefahrenabwehr und Ehrenamt ist, müssen rasch beendet (BS/mj) Die Kommission “Gleich- werden. Doch das könnte noch schwierig werden.

Gerechtigkeit, Teilha­ be, Chancengleichheit

wertige Lebensverhältnisse”, unter Vorsitz von Bundesinnenminister Horst Seehofer hat ihren Zwischenbericht vorgelegt. Darin heißt es, Entwicklungen würden sich, nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie, beschleunigen. “Wir sehen, dass gerade dort, wo schon soziale Schieflagen sind, gerade dort, wo die strukturschwachen Regionen sind, wo Eltern ihre Kinder vielleicht nicht in dem Maße unterstützen können, dass dort die Pandemie noch mal viel stärker wirkt”, erklärt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Co-Vorsitzende der Kommission. Als Gegenmaßnahmen wurden unter anderem verschiedene Infrastrukturprogramme und die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung eingeführt.

So bezweifeln einige weiterhin die ordnungsgemäße Einberufung der Delegiertenversammlung, auf der Banse gewählt wurde. Zeitweise stand sogar eine Nichtigkeitsfeststellungsklage im Raum. Befremdlich ist zudem, dass sich alle Vizepräsidenten, von denen mehrere zum Rücktritt des früheren Präsidenten Hartmut Ziebs beitrugen, auf der Versammlung einer Bestätigung unterzogen. Denn eine solche ist in der DFVSatzung nicht vorgesehen. Es gibt nur die Möglichkeit einer (Ab-)Wahl. Nicht mehr zeitgemäß und dringend reformbedürftig ist darüber hinaus, dass das Veto eines einzigen Delegierten ausreicht, um die Aufzeichnung des Livestreams der Delegiertenversammlung zu verhindern.

Hier braucht es unbedingt mehr Offenheit und Transparenz. Auch die Feuerwehr muss ins digitale Zeitalter aufbrechen. Ebenfalls gefordert ist der Verband im Rahmen des Rechtsstreits mit seiner Bundesgeschäftsführerin. Sie hat ihren Arbeitgeber aufgrund von Diskriminierungs- und Sexismusvorwürfen vor dem Arbeitsgericht Berlin verklagt. Auch wenn das Verfahren dort derzeit ruht und von beiden Seiten vorerst nicht weiterverfolgt wird, braucht es hier Aufklärung. All das zeigt: Der DFV befindet sich weiterhin in rauem Fahrwasser. Sein neuer Präsident ist direkt gefordert. Eine Schonzeit gibt es für ihn nicht. Handelt KarlHeinz Banse nicht rasch und kon-

sequent, wird es in den Sozialen Medien noch viel mehr Einträge als ohnehin schon unter dem Hashtag #nichtmeinDFV geben. Das darf nicht geschehen. Der neue DFV-Präsident ist dringend aufgefordert, weiteren – möglicherweise irreparablen – Schaden vom Verband und damit auch von den Feuerwehren in Deutschland sowie dem ehrenamtlichen Engagement abzuwenden. Das ist er ihnen schuldig, auch damit der DFV weiterhin als kompetenter Partner wahrgenommen wird. Vorschläge zur Weiterentwicklung des Verbandes liegen – sogar von diesem selbst entwickelt – auf dem Tisch. Sie müssen jetzt nur noch aufgegriffen werden.

Marco Feldmann

Zeitverschiebung


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Mai 2021

Ob Asphalt oder Einsen und Nullen, unsere Infrastruktur ist im Wandel. Dabei gilt es, Versäumnisse der Vergangenheit zu überwinden und neue Innovationen umzusetzen. Herausforderungen gibt es viele – von der Planung bis zur Nutzung, von Aalen bis Oldenburg, von Mensch bis Maschine – doch auch Lösungen gibt es einige! Foto: BS/Hurca!, stock.adobe.com

Infrastruktur im Wandel Es ist kompliziert

Zwischen funktionieren und üben

Heiter bis wolkig

Autobahn GmbH, BMVI und Bundesrechnungshof ...... Seite 6

Digitale Planungsmethode BIM befindet sich im Roll-out .......................................... Seite 21

Die Aussichten von Gaia-X im Sommer 2021 ............ Seite 32

Sanierung maroder Sportstätten Länder wollen stärkere Bundesbeteiligung an den Kosten ............................................................ Seite 9

Reform der Polizei-IT muss schneller werden

Den Verkehrsproblemen entschweben

Programm “Polizei 2020” vereinheitlicht .................. Seite 40

Urbane Seilbahnen sollen den ÖPNV ergänzen ......... Seite 22

Herausforderung Big Data

Urbane Zukunft

Wege zur Mobilität von morgen

Handelsketten machen Druck, Förderprogramme bauen auf .................................... Seite 19

Mobilitätsherausforderungen treffen viele Lebensbereiche ............................................... Seite 23

Sicherheitsbehörden müssen immer mehr Daten bewältigen ............................................ Seite 46

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

NeueStadt.org Neue Veranstaltungsplattform des Behörden Spiegel (BS/Malin Jacobson) Städte und Gemeinden bilden die Lebenswirklichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern ab, prägen deren Alltag und setzen Beschlüsse von Bund und Ländern um. Sie sind Begegnungsort und Lebensraum, Verwaltungszentrum und Identitätsbereich. So heterogen wie die Kommunen, so vielfältig sind auch ihre Lösungen. Deshalb bietet NeueStadt.org kommunalen Entscheidern, Verwaltungspraktikern und Interessierten die Möglichkeit, sich zu allen Aspekten des kommunalen Zusammenlebens sowie der Verwaltungstätigkeit auszutauschen.

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In Partner- und FortbildungsWebinaren, Webkonferenzen, Online-Kongressen und kostenfreien Online-Diskussionsrunden wird die gesamte Infrastruktur – die soziale wie materielle – beleuchtet und debattiert. Alles, was die Stadt von heute und von morgen tangiert. Die Bandbreite der Themen reicht von elektrischen Antrieben für Busse über Seilbahnen als weiteres Verkehrsmittel im ÖPNV (siehe Seite 22) bis hin zur Entwicklung der Innenstädte in der Post-CoronaZeit. Auch aktuelle Kontroversen, beispielsweise der Zusammenbruch der Greensill Bank, sind Thema. Daneben sprechen wir über die Zukunftsfähigkeit von Holzbauten und Planstädten, Abfall- und Kreislaufwirtschaft, Kunst und Kultur in Kommunen sowie die Einbindung von zivilgesellschaftlichem Engagement und Start-ups. Immer dabei: Kommunale Vertreterinnen und Vertreter, die einen Einblick in ihre Lebensund Arbeitswelt geben, ebenso wie Fachreferentinnen und -referenten. Moderiert wird der Austausch von unseren versierten Moderatorinnen und Mode-

ratoren und ergänzt von Fragen aus dem Publikum. Expertise, Interesse und Zukunftsvisionen – das sind die Grundlagen für einen gelingenden Diskurs. Die Kommunen und ihre Bedürfnisse sowie deren innovatives Know-how in den Fokus zu

nehmen, ist das Anliegen von NeueStadt.org. Sie bietet kommunalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Plattform unter Gleichgesinnten und exklusive Austausch- und Weiterbildungsoptionen. Schauen Sie vorbei unter www.neuestadt.org und folgen sie auf Twitter @NeueStadt_org Mehr zu den Diskussionsrunden auf den Seiten 15 und 21.

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/StMD, Kurt Krieger Foto 2: BS/Bundeswehr, Sebastian Wilke Foto 3: BS/Feldmann

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Ann-Kathrin Herweg (Online-Redaktion), Malin Jacobson (Kommunen, Online-Redaktion), Bennet Klawon (Katastrophenschutz), Tanja Klement (Online-Redaktion), Matthias Lorenz (Online-Redaktion), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Thomas Petersdorff (Digitale Gesellschaft), Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Tim Rotthaus (OnlineRedaktion), Paul Schubert (IT, IT-Sicherheit), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Dr. Barbara Held (Sonderkorrespondentin Digitalfunk), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Sofie Hubein, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige AnzeigenPreisliste Nr. 32/2021, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Mai 2021

KNAPP

Offenbarungseid

Kein Antidiskriminierungsgesetz im Ländle

Keine Reform des Familienzuschlags / Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden nicht umgesetzt (BS/Jörn Fieseler) “Die bundesbesoldungsgesetzliche Umsetzung der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4. Mai 2020 (2 BvL 4/18 und 2 BvL 6/17) bleibt den parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs bzw. einer eigenständigen Gesetzesinitiative der Bundesregierung vorbehalten”, heißt es im Gesetzentwurf zur Anpassung der Beamtenbesoldung 2021/2022, kurz: BBVAnpÄndG. Damit verpasst die Bundesregierung die fristgerechte Umsetzung der BVerfG-Urteile zum Mindestabstand zur sozialhilferechtlichen Grundsicherung. Das BVerfG hat in seinen beiden Beschlüssen zum Alimentationsprinzip die Gesetzgeber zum Handeln gezwungen. Auch wenn die Beschlüsse gegen die Länder Berlin und NordrheinWestfalen ergangen sind, ist auch der Bundesgesetzgeber gefordert. Beide Beschlüsse tangieren Inhalt und Ausgestaltung des Artikels 33 V GG. Damit sind die Beschlüsse auch mittelbar für den Bund anwendbar. Im Falle Berlins ging es um den gesetzlichen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau, bei NRW um die Alimentation kinderreicher Beamtenfamilien. Konkret um die Gehaltsbestandteile bei Richter(inn)en und Staatsanwält(-inn)en mit drei bzw. vier Kindern.

Wohnkosten berücksichtigen Entsprechend sollte in der Ursprungsfassung des Gesetzentwurfes ein regionaler Ergänzungszuschlag als eigenständiger Besoldungsbestandteil eingeführt werden, um künftig eine amtsangemessene Alimentation in der Bundesbesoldung zu gewährleisten. Dazu sollte sich der Ergänzungszuschlag grundsätzlich am Wohnort des Besoldungsberechtigten orientieren. So hätten die Vorgaben des BVerfG zur Berücksichtigung der Wohnkosten und zum Abstandsgebot zum Grundsicherungsniveau aufgegriffen werden können. Doch in der jetzt im Bundestag behandelten Fassung (Drucksache 19/28677) fehlt dieser Ergänzungszuschlag. Nicht zuletzt, weil Gewerkschaften und Interessensverbände gegen den neuen Zuschlag votierten.

Auftrag von 2019 Dieser sollte ausschließlich an den Familienzuschlag geknüpft und Letzterer damit mit reformiert werden. Diesen Auftrag hatte der Innenausschuss des Deutschen

Man mag es nicht sehen und hören wollen, doch drüber reden muss man: Der Bundesgesetzgeber hat es versäumt, bei einem Entwurf zur Änderung der Beamtenbesoldung Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen und den Bundestag in der Begründung aufgefordert, eine Lösung zu finden. Das ist peinlich für die Ministerialverwaltung. Foto: BS/MoreVector, stock.adobe.com

Bundestages seinerzeit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 2019 im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz (BesStMG) erteilt. Auch bei diesem Gesetz sollte der Familienzuschlag ursprünglich reformiert werden, die Überlegungen scheiterten aber auch damals am Widerstand der Gewerkschaften (siehe Behörden Spiegel August 2019, Seite 3). In der aktuellen Diskussion sollte der regionale Ergänzungszuschlag an den Familienzuschlag gekoppelt werden. Beamt(-inn)en sollten ihn erhalten, wenn sie verheiratet oder verwitwet sind und einen Familienzuschlag der Stufe eins erhalten sowie für die Kinder, für die ihnen Kindergeld gewährt wird. Zudem sollte sich der neue Zuschlag an der jeweiligen Mietstufe nach dem Wohngeldgesetz orientieren. Damit wollte der Gesetzgeber einen Vorschlag der Karlsruher Richter aufgreifen, der rechtlich nicht zu

beanstanden gewesen wäre. Doch gerade die Anknüpfung an die Stufen des Familienzuschlags ist für Gewerkschaften nicht akzeptabel gewesen. Stattdessen solle die Grundbesoldung in Gänze angehoben und darauf aufbauend sollten regionale Besonderheiten ergänzend berücksichtigt werden, unabhängig davon, ob die Beamt(-inn)en familienzuschlagsberechtigt sind oder nicht, fordert der DBB Beamtenbund und Tarifunion. Auch die Neujustierung des Familienzuschlages stößt auf Kritik. Ursprünglich sollte der Zuschlag in Stufe eins nur noch für verheiratete, verwitwete (für die Dauer von 24 Monaten) oder alleinerziehende (nach den Voraussetzungen des Einkommenssteuergesetzes) Beamt(-inn)enn gelten. Geschiedene und zum Unterhalt verpflichtete Staatsdiener/-innen würden leer ausgehen. Ebenso wie Männer und Frauen in sogenannten Patchwork-Familien. Das käme einer Verengung des

Familienbegriffes gleich, obwohl die gelebten Familienmodelle immer vielfältiger würden, beanstandet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Die Ehe stehe zwar grundgesetzlich unter besonderem Schutz, doch solle sie durch das Besoldungsrecht nicht besonders gefördert werden. Auch der Ergänzungszuschlag blieb nicht verschont. Die Staffelung nach den sieben Stufen des Wohngeldgesetzes könne die tatsächlichen Wohnkosten in vielen Fällen nicht realitätsgerecht abbilden, mahnt der DGB weiter an.

Reform vertagt Dazu kommt es nun nicht. Das Bundeskabinett hat die Reform des Familienzuschlages gestrichen. Die zeit- und inhaltsgleiche Anpassung der Bundesbesoldung an das Tarifergebnis sollte jedoch nicht gefährdet werden. Deshalb ist das Gesetz in gekürzter Form in den Bundestag eingebracht worden. Dadurch müssen die Bundesbeamt(-inn)en nach Ablauf

der Umsetzungsfrist der Beschlüsse des BVerfG im Juli 2021 von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen und die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation auf diesem Wege geltend machen. Das wird für den Bund teuer, denn berechtigte Widersprüche müssen rückwirkend gezahlt werden. Die nächste Bundesregierung, egal welche Farben sie hat, wird im Koalitionsvertrag eine Reform der amtsangemessenen Alimentation festschreiben müssen. Dazu wäre es überlegenswert, das Grundgehalt ausschließlich als Lohn für geleistete Arbeit zu verstehen und die übrigen Anforderungen des Alimentationsprinzips über Zulagen zu regeln. Dabei bietet sich auch gleich die Möglichkeit, das Zulagenwesen deutlich zu vereinfachen. Wenn es schon Ideen gibt, Steuererklärungen auf dem Bierdeckel machen zu können, sollte das für die Gestaltung des Zulagenwesens auch eine Zielvorgabe sein. Einen Versuch ist es wert.

(BS/jf) In Baden-Württemberg wollen Grüne und CDU in der neuen Legislaturperiode ein Antidiskriminierungsgesetz nach Berliner Vorbild schaffen. Der BBW – Beamtenbund und Tarifunion fordert die Koalitionäre auf, das Vorhaben aufzugeben. “Streichen Sie dieses Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag”, betont der BBW-Landesvorsitzende Kai Rosenberger. Die Gewerkschaft werde nicht tatenlos zusehen, wenn öffentlich Beschäftigte ohne Not mithilfe eines Landesantidiskriminierungsgesetzes unter Generalverdacht gestellt würden. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes seien durch das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes an dieses und damit an das Diskriminierungsverbot des Art. 3 GG gebunden. Sollte die Landesregierung an ihren Plänen festgalten, werde der BBW alles daransetzen, dieses Vorhaben zu stoppen.

Kosten kritisiert (BS/jf) Dass der Bund auf die steigenden Inzidenzzahlen reagiert und eine Testpflicht durch die Arbeitgeber festgelegt hat, wird seitens der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) grundsätzlich befürwortet. Zugleich warnt VKA-Hauptgeschäftsführer Niklas Benrath vor einer “Explosion der Kosten” für die ohnehin finanziell stark belasteten kommunalen Arbeitgeber. Aufgrund ausbleibender Einnahmen bei der Gewerbesteuer sei die finanzielle Lage der kommunalen Arbeitgeber dramatisch. “Wir fordern daher die Bundesregierung zu einem entschlossenen Umgang bei der Bewältigung der Corona-Pandemie auf. Das bedeutet aber auch, den kommunalen Arbeitgebern keine weiteren bürokratischen und finanziellen Bürden aufzuerlegen und die entstehenden Kosten zumindest anteilig zu kompensieren”, so Benrath in Richtung von Bund und Ländern.

Zukunft Personalentwicklung Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Öffentlichen Dienstes

7. – 8. September 2021, GOP Varieté-Theater, Bundesstadt Bonn

Je nach Pandemielage wird die Tagung virtuell durchgeführt.

ZUKUNFTSWEISENDE THEMEN, u. a.:

REFERENTEN, u. a.: Birgitta Radermacher, Regierungspräsidentin der Bezirksregierung Düsseldorf

Herausforderung Pandemie – der Öffentliche Dienst als systemrelevanter Faktor und die Bedeutung für das Personalmanagement

Marco Weißer, Büroleiter der Verbandsgemeinde Höhr-Grenzhausen

Erfolgreich ausbilden in einer Kommunalverwaltung, auch in herausfordernden Zeiten

Dr. Julia Borggräfe, Abteilungsleiterin für Digitalisierung und Arbeitswelt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Digitalisierung und Arbeitswelt – Herausforderungen für den Öffentlichen Dienst

Holger Kliewe, Staatskanzlei des Landes SchleswigHolstein

Personalrekrutierung – Arbeitgebermarke Öffentlicher Dienst

► ALL-AGILE HR? Erkenntnisse zum Reifegrad der HR-Funktion in der agilen Transformation ► Agile Personalentwicklung ► Mitarbeiter erfolgreich entwickeln ► Erweitertes Onboarding & Mitarbeiterbindung ► Mitarbeiterqualifizierung in der Praxis ► Zehn goldene Regeln schlechter Personalauswahl ► Personalauswahl rechtssicher gestalten

Fotos: Jakub Jirsk, Fotolia.com; ©Roberto Pfeil (Radermacher); © Armin Wähling WM-SH (Kliewe); matzkeFoto_sm (Borggräfe)

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de ► Suchwort „Zukunft Personalentwicklung“

Eine Veranstaltungsreihe des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Behörden Spiegel / Mai 2021

Kampagne gestartet

Upskilling durch modulares Lernen

GdP will mehr Wertschätzung für Polizisten

Wie Managementkompetenzen die digitale Transformation in Behörden beschleunigen

(BS/mfe) Der Beruf der Polizistin oder des Polizisten ist laut Umfragen seit Jahren einer der beliebtesten und am meisten geschätzten überhaupt. Gleichzeitig schlagen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – nicht nur im Zusammenhang mit Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus – vermehrt Hass und Gewalt entgegen. Das will die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nicht hinnehmen.

(BS/Prof. Dr. Christian Schachtner*) Der tiefgreifende Wandel unserer Arbeitswelt vollzieht sich aktuell branchenspezifisch in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während Industrie 4.0 bzw. Digital Health, nicht zuletzt aufgrund der pandemischen Krise, dynamisch wie nie in der Transformation digitalen Arbeitens neue, bislang nie gekannte Dynamik aufnehmen, bleibt es bei ersten Ansätzen und Einzellösungen im öffentlichen Sektor. Eine datenbasierte Revolution ist zumindest flächendeckend auf keiner föderalen Ebene der Bundesrepublik greifbar bzw. in Sichtweite. Doch woran liegt dies? Dies mag vielfältige Gründe haben, dennoch werden machbare Schritte einer Annäherung an Trends weiter nicht erkannt bzw. aus Gründen fehlender Innovationskultur nicht aktiv aufgegriffen.

Eine Kampagne soll helfen. Sie erfolgt unter dem Slogan “100 Prozent Einsatz verdienen 100 Prozent Einsatz”. Dadurch soll die Öffentlichkeit erfahren, welche Probleme es bei der polizeilichen Arbeit gibt. Außerdem soll die Politik für mehr Engagement für die Vollzugsbeamten, Tarifbeschäftigten und Verwaltungsbeamten der Polizeien gewonnen werden. Sie müsse einen angemessenen Rahmen schaffen, um den alltäglichen Polizeidienst zu erleichtern. So sei es etwa nicht hinnehmbar, dass die Besoldung zwischen den Ländern unterei­ nander sowie zwischen Bund und Ländern inzwischen derart unterschiedlich sei. Polizeibeschäftigte erster und zweiter Klasse dürfe es nicht geben. Zudem werden verstärkte Investitionen in Technik, Digitalisierung, Liegenschaften, Ausstattung und Personal sowie verbesserte berufliche Perspektiven gefordert.

Mindestens bis zur Bundestagswahl Bei Aktionen vor Bundestag und Bundesrat wurden die entsprechenden Forderungen den politisch Verantwortlichen bereits

Mithilfe einer neuen Kampagne will die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Arbeitsbedingungen für Polizeibeschäftigte verbessern. Im Zuge dessen gibt es zahlreiche Forderungen an die Politik. Foto: BS/GdP

übergeben. Laufen soll die Kampagne, die eigentlich bereits im November letzten Jahres starten sollte – aufgrund von Corona dann allerdings verschoben wurde – mindestens bis zur Bundestagswahl Ende September. In einigen Bundesländern ist sie sogar noch länger angesetzt, bis zu eineinhalb Jahren. Der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Dietmar Schilff betonte:

“Wertschätzung ist mehr als verbale Akklamation.” Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger und Sicherheit für die Polizeibeschäftigten dürfe keine Frage des Haushalts sein. Außerdem verlangte er: “Die Politik muss Entscheidungen treffen, die die Polizeien für unerwartete Lagen, deren Entwicklungen und womöglich dauerhaften Wirkungen widerstandsfähiger macht.”

KOLUMNE

Nein sagen – souverän und konsequent (BS) Warum fällt es so viel leichter, “ja” als “nein” zu sagen? Dabei bringt dieses kleine Wörtchen Klarheit, zeigt Grenzen auf und schützt einen nicht zuletzt vor sich selbst. “Ein einfaches “Nein” lasse ich nicht zu!”, so lautete meine Forderung als Leiterin des Kundenmanagements bei einem kommunalen IT-Dienstleister. “Ein “Nein” muss immer von einer Alternative begleitet sein, eine anderen Option bieten; suchen wir einen Weg!”, fuhr ich fort. Ich wollte, dass wir unserer Beratungsaufgabe bestmöglich nachkamen. Das Konzept wurde auch von den Kunden angenommen und ging den Kundenmanager(inne)n in Fleisch und Blut über. Gegenüber dem Vorgesetzten Nein zu sagen, ist ähnlich heikel. Dennoch folge ich auch hier dem Bedürfnis, dem Beratungsauftrag meiner Führungskraft gegenüber ebenfalls vollumfänglich nachzukommen. Grenzen aufzuzeigen

U

nter diesen Vorzeichen sind niederschwellige Einstiege in die Digitalisierung hilfreich. Ein gutes Beispiel dafür ist “eGovPraxis Personal”. Diese neue Expertenlösung von Wolters Kluwer digitalisiert die Sachverhaltsprüfung als zentralen Prozessschritt innerhalb der Vorgangsbearbeitung. Der spezifische Informationsbedarf von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern im Personalamt wird dazu auf sehr einfache Art und Weise bedient. Die Anwendung stellt Rechtsinhalte aus dem Tarif- und Beamtenrecht praxisgerecht bereit und verknüpft sie mit lokal geltenden Regelungen wie hausinternen

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom. Foto BS/privat

und damit auf Risiken und Gefahren hinzuweisen, ist ein wichtiger Bestandteil des “Führens nach oben”. Aber ein Nein zeigt auch Belastungsgrenzen auf und bewahrt vor mentaler wie psychischer Überforderung; es wirkt also als aktiver Selbstschutz. Auf gleicher Führungsebene – also in horizontaler Richtung –

hilft ein Nein, Übergriffe abzuwehren und ist ein wichtiger Beitrag zur Klärung bestmöglicher Zuordnung von Verantwortung. Hier gilt übrigens das Gleiche wie im ersten Beispiel. Auf der Managementebene sollte ein Nein ebenfalls von einer Alternative oder anderen Option begleitet sein. Schließlich geht es darum, eine Lösung für die Organisation zu finden. In der Führung von Mitarbeitenden geht es darum, Orientierung zu geben, Entscheidungen zu treffen und Grenzen aufzuzeigen. Das schafft Klarheit und gibt Halt wie Stabilität. Ablehnungen brauchen in erster Linie Konsequenz und vergleichbares Vorgehen in gleichartigen Kontexten wie Situationen. Doch wahre Souveränität zeigt, wer verborgene Optionen sucht, eigene Grenzen kennt und neue Wege aufzeigt. Ein klares Nein kann dabei ein positiver Ausgangspunkt sein.

Die Anforderungen der Service erbringenden Arbeitswelt verlangen es aber gerade, auf Kundenbedürfnisse zielgerecht einzugehen und kreative Lösun­gen zur Implementierung von Service-Erweiterungen zu finden. Ein Grund für diesen Umstand mag sein, dass sich die Entwicklung eines zeitgemäßen Weiterbildungskonzepts bei vielen Dienststellen nicht ergeben hat. Die öffentlichen Arbeitgeber und Dienstherrn beschäftigen sich in der überwiegenden Mehrheit nicht mit der konzeptionellen Neuausrichtung von Lernmodellen und -kultur als hausweiter Strategie.

Kein aktives Kompetenzmanagement Vielmehr werden nur thematische Neuerungen als isolierte Präsenzveranstaltungen in klassische Lernangebote umgesetzt. Aktives Kompetenzmanagement mit der Ermittlung des Kompetenzbedarfs, der Gestaltung mitarbeiterzentrierter Bildungsformate und Angebote zum selbstgesteuerten Lernen in selbstgewählter Umgebung sind noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen. Dieses Phänomen zeigt sich jedoch über vielfältige Wirtschaftsbranchen hinweg, wie aus den Ergebnissen der “Upskilling”-Trendstudie “Digitalisierung und Neues Lernen” der IU Internationale Hochschule hervorgeht.

Skill Gap an ­Kompetenzen und Talenten Insgesamt wurden in den Anfangsmonaten des Jahres 2020, d. h. vor Ausbruch der Covid19-Pandemie, insgesamt 953 berufstätige Experten (oberste Führungsebene/Geschäftsführer: n = 181; mittlere Führungsebene: n = 292; Personalab­ teilung: n = 205; Mitarbeiter: n = 255) in einem quantitativqualitativen Fragebogensetting befragt. Über 80 Prozent der Studienteilnehmer gehen davon aus, dass die Lücke zwischen bestehenden Kompetenzen bzw. Potenzialen und den aufgrund des gesellschaftlichen Wandels entstehenden Anforderungen

in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird. Auch eine zur selben Zeit von McKinsey veröffentlichten Studie kommt zum Ergebnis, das bereits heute und zunehmend in naher Zukunft ein “Skill Gap” an Kompetenzen und Talenten in wichtigen Zukunftsfeldern entstehen wird.

Strategischer Schwerpunkt Mit dem Ausdruck “Upskilling” beschreiben Organisationen einen strategischen Schwerpunkt auf fachspezifischen und handlungsorientierten Weiterbildungsformate für bestehende Aufgabenprofile oder für den Übergang in ein anderes Funktionsprofil innerhalb der Institution. Neben den “weichen“ Faktoren wie Change Management oder Kollaborationskompetenz werden Führungskräfte mit einem Mindset benötigt, die Fähigkeiten und Kenntnisse ihrer Mitarbeiter durch UpskillingMaßnahmen gezielt entwickeln und fördern können. Wieso haben diese Erkenntnisse aber noch nicht zu einer Umsetzung in der Praxis vieler Unternehmen und Organisationen geführt? Als häufigste Argumente werden Zeitmangel (40 Prozent) oder ein fehlendes zielgerichtetes Weiterbildungsangebot (30 Prozent) genannt, weshalb modulares Lernen mit thematisch komprimierten Einheiten in zeitlicher Unabhängigkeit an Bedeutung gewinnt. Hier ist das Angebot, gerade bezogen auf das Management der öffentlichen Verwaltung noch gering ausgeprägt. Zeit- und Ortsunabhängigkeit können über virtuelle Angebote am besten umgesetzt werden, wichtig ist aber, dass praxisrelevante Beispiele auch im Blended-Format besprochen werden. Insbesondere der persönliche Bedarf des Lernenden sollte bei der Programmgestaltung berücksichtigt werden.

Behörden Spiegel-Seminar zum Thema Um die Möglichkeiten eines Upskilling-Programms kennenzulernen, veranstaltet der Behörden Spiegel daher ein Infoseminar, in dem u. a. die Zu-

Ansetzen, wo der Nutzen spürbar ist

kunftskompetenzen im öffentlichen Sektor näher dargestellt werden und hierauf aufbauend vier Managementfelder öffentlicher Dienststellen inhaltlich komprimiert dargestellt werden sollen: 1. Public- und Nonprofit-Management: Kollaboration mit gemeinnützigen Organisationen, Wirtschaft und Wissenschaft, sowie Entwicklung eigener Geschäftsmodelle sowie rechtliche Formen der Zusammenarbeit, 2. C hange Management: Aspekte der Förderung einer innovativen Arbeitskultur, Analyse von Hemmnissen und Akteursverhalten sowie Visualisierung von Veränderungserfolgen, 3. Projektmanagement: vorgehen im agilen Setting sowie im “Wasserfall-Modell”, häufige Fehler von Projektleitern, strukturierte Ansätze einer realistischen Projektplanung und Evaluation der Mehrwerte für Folgeprojekte, 4. Controlling: Zielförderliche Umsetzung von Transparenzkennzahlen im operativen internen Rechnungswesen sowie im strategischen Controlling, um erfolgskritische Projekte im Ampelsystem einzuordnen. Insofern soll lebenslanges Lernen durch praxisorientierte Themenstellungen auf akademischem Niveau im Team greifbar gemacht werden. Zu diesen Themen werden separate Mi­ croabschlüsse (sog. “Diplomas”) angeboten, bei denen durch die Bearbeitung von zukunftsweisenden Aufgabenstellungen der Transfer von methodischen Handlungsoptionen in komplexen Rollen simuliert werden soll. Dies stellt damit bereits den ersten Schritt dar, um die Managementkompetenz in den Verwaltungsalltag zu tragen. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “upskilling” *Prof. Dr. rer. pol. Christian Schachtner leitet den Studiengang Public Management an der IU Internationale Hochschule.

immer mit Blick auf den Arbeitsalltag der Anwendenden zu entwickeln und ihnen einen Unkomplizierter Einstieg in die Digitalisierung bei Personalämtern unmittelbaren Nutzen zu bie(BS/Marian Möhren*) Echte Digitalisierung bildet nicht einfach bestehende analoge Prozesse digital ab, sondern nutzt die Mittel und ten – und das am besten ohne Möglich­keiten der Digitalisierung für eine Prozessoptimierung. Das erfordert zwar zunächst eine Abkehr vom “Das haben wir schon immer umfassende Einarbeitung und so gemacht” und erscheint manchem deshalb wenig attraktiv. Entsteht jedoch durch den veränderten Prozess eine unmittelbare Entlastung, IT-Implementierung. Genau steigt ­automatisch die Akzeptanz. Wichtig dafür ist, den Mitarbeitenden glaubhaft den Nachweis zu erbringen, dass digitalisiertes Arbeiten­ das gelingt eGovPraxis Personal: Es steigert die Effizienz ihnen einen Mehrwert liefert. bei der Sachverhaltsprüfung, Dienstanweisungen oder Ar- die Informationen, die sie zur niger Klärungsbedarf bei den mit Kolleginnen und Kollegen sorgt innerhalb kürzester Zeit teilen. So steht das Wissen allen für eine merkliche Entlastung beitsmaterialien. An die Stelle Beantwortung personalrechtli- Rechtsämtern anmelden. im Team zur Verfügung und von Sachbearbeiterinnen und mehrerer Wissensquellen tritt cher Fragestellungen wirklich der Austausch zu relevanten Sachbearbeitern und zeigt so, also eine einzige, die alle rele- brauchen. Das erleichtert und Teamwork im Personalamt verbessern Rechtsinformationen kann wie hilfreich Digitalisierung ist. vanten Inhalte auf einer digitalen beschleunigt die praktische Plattform bündelt. Personalsachbearbeitung si­ Gleichzeitig lassen sich lokales auf einfache Weise in digitaDie Mitarbeitenden haben gnifikant. Die Verständlichkeit Wissen und Arbeitsergebnis- ler Form stattfinden. Der für *Marian Möhren, Senior Technomit eGovPraxis Personal als und Vollständigkeit der Inhalte se in eGovPraxis Personal als die Akzeptanz wichtige Ansatz logy Product Manager, Geschäftsdigitale Cloudlösung jederzeit sorgt in der Praxis außerdem digitale Handakte zusammen- hinter Produkten wie eGov- bereich Public Digital, Wolters und von überall Zugriff auf dafür, dass Personalämter we- stellen, lokal speichern und Praxis Personal ist, Lösungen Kluwer Deutschland


Aktuelles Öffentlicher Dienst

Behörden Spiegel / Mai 2021

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enn beachtet werden muss, dass sich ein Studium für den gehobenen Dienst weiterhin lohnen soll. Erreichen zu viele Aufsteiger aus dem mittleren Dienst die Besoldungsgruppe A 11, besteht die Gefahr, dass das Studium und eine Karriere im gehobenen Dienst an Attraktivität verlieren. Um in den Genuss der erweiterten Aufstiegsmöglichkeit zu kommen, müssen Beschäftigte des mittleren Polizeivollzugsdienstes seit mindestens vier Jahren das Amt des Polizeiobermeisters beziehungsweise der Polizeiobermeisterin (Besoldungsgruppe A 8) bekleiden. Zudem müssen sie sich nach ihrer Persönlichkeit sowie ihren Fähigkeiten für den gehobenen Dienst eignen und ihre letzte dienstliche Beurteilung muss mindestens auf der “Leistungsstufe zwei unterer Bereich” gelegen haben. Im Zuge der Verordnungsreform ist außerdem geplant, die Möglichkeit zum Bewährungsaufstieg vom gehobenen in den höheren Dienst zu schaffen. Beamtinnen und Beamte, die diesen Weg beschreiten wollen, müssten dann – sollte die Novellierung wie geplant erfolgen – seit mindestens fünf Jahren ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 bekleiden. Des Weiteren müssten sie persönlich und fachlich für den höheren Dienst geeignet sein, ein Auswahlverfahren durchlaufen und in ihrer letzten Beurteilung mindestens mit der “Leistungsstufe zwei” bewertet worden sein. Sofern besetzbare Stellen vorhanden sind und ein dienstliches Bedürfnis besteht, soll ihnen dann die Laufbahnbefähigung bis zur Besoldungsgruppe A 14 (Polizeioberrat/Polizeioberrätin beziehungsweise Kriminaloberrat/Kriminaloberrätin) verliehen werden. Vorgesehen ist dann auch ihre Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) in Münster-Hiltrup.

Modulare Maßnahme in Bayern möglich Bei der Bayerischen Polizei können Beschäftigte des mittleren Vollzugsdienstes bis nach A 11 befördert werden. Aber auch dann bleiben sie weiterhin Angehörige des mittleren Dienstes. Im gehobenen Dienst kann maximal bis nach A 13 befördert werden. Darüber hinaus existiert für den Aufstieg vom gehobenen in den höheren Polizeidienst – neben dem “klassischen” Weg eines DHPol-Studiums – die Möglichkeit, eine modulare Qualifizierungsmaßnahme zu durchlaufen, die mit einem Prüfungsgespräch abgeschlossen wird und im Freistaat selbst stattfindet. Anschließend können maximal Dienstposten der Besoldungsgruppe A 14 erreicht werden. Weiter gehende Beförderungen sind nur möglich, sofern an der DHPol studiert wurde. In Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg besteht keine Möglichkeit zum prüfungsfreien Aufstieg vom mittleren in den gehobenen Polizeidienst. Bei der Bundespolizei ist kein feststellungsfreier Aufstieg möglich, wie Andreas Roßkopf, Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), berichtet. Für den Aufstieg vom mittleren in den gehobenen Dienst besteht jedoch die Möglichkeit, ein Feststellungsgespräch zu absolvieren. Daran nehmen neben dem “Prüfling” dann ein Angehöriger des höheren und zwei Angehörige des gehobenen Dienstes teil. Wird dieses Gespräch bestanden, muss für den Aufstieg kein weiterer Lehrgang durchlaufen werden. Voraussetzung für die Teilnahme an einem solchen Gespräch ist ein Mindestalter von 40 Jahren. Zudem müssen Bewerberinnen und Bewerber mindestens Polizeiobermeister beziehungsweise -obermeisterinnen sein. Bei der

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Aufstiegsmöglichkeiten werden erweitert Berlin will Polizeilaufbahnverordnung novellieren (BS/Marco Feldmann) In der Bundeshauptstadt sollen bewährte Kräfte des mittleren Polizeivollzugsdienstes prüfungs- und studienfrei noch weiter in den gehobenen Dienst aufsteigen können. Bislang können sie maximal das Amt des Polizeioberkommissars beziehungsweise der Polizeioberkommissarin erreichen. Dies entspricht der Besoldungsstufe A 10. Künftig sollen Beförderungen bis nach A 11 möglich sein. Dies dürfte jedoch nur in Ausnahmefällen tatsächlich geschehen. dieser könne im Vergleich zu den Regelungen für die übrigen Landesbeamten in der Fachrichtung Polizei sehr viel früher und einfacher erreicht werden. So müsse ein Polizist dafür nur eine Dienstzeit von drei Jahren zurückgelegt haben. Dann könne er bereits aus seinem Eingangs­ amt der Besoldungsgruppe A 7 heraus zum Aufstieg zugelassen werden. Nach den allgemeinen Regelungen würden hingegen ein Amt der Besoldungsgruppe A 8 und eine Bewährung auf zwei verschiedenen Dienstposten gefordert. In Berlin soll der Aufstieg vom mittleren in den gehobenen Polizeivollzugsdienst vereinfacht werden. Hierfür ist eine Novellierung der Polizeilaufbahnverordnung vorgesehen. Auch in anderen Bundesländern gibt es erleichterte Aufstiegsmöglichkeiten. Foto: BS/benjaminnolte, stock.adobe

nordrhein-westfälischen Polizei gibt es schon seit Langem nur noch eine zweigliedrige Laufbahn, bestehend aus dem gehobenen und dem höheren Dienst. Eine Einstellung in den mittleren Dienst erfolgte letztmalig 2001. In den höheren Dienst führen mehrere Wege. Zum einen ist für Juristinnen und Juristen ein Direkteinstieg möglich. Für Angehörige des gehobenen Dienstes gibt es zum anderen zwei Aufstiegsmöglichkeiten. Entweder absolvieren sie ein zweijähriges Master-Studium an der DHPol. Bedingungen hierfür sind jedoch, dass sie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ihre jeweilige Behördenleitung zustimmt. Oder sie durchlaufen eine modulare Qualifizierung. Dieser Weg steht Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der Besoldungsgruppe A 13 offen, die sich aufgrund ihrer Eignung, Leistung und Befähigung besonders bewährt haben. Sie absolvieren eine 40-tägige Theorieausbildung mit einer Abschlussprüfung. Danach finden Hospitationen im Düsseldorfer Innenministerium und in allen drei Landesoberbehörden statt. Dies sind das Landeskriminalamt (LKA), das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) und das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP).

Praxisaufstieg eins zu eins anwenden In Sachsen schließlich, wo noch die dreigliedrige Polizeilaufbahn existiert, gibt es den erleichterten Aufstieg in der Fachrichtung Polizei schon seit längerer Zeit in der Laufbahnverordnung. Laut dem GdP-Landesvorsitzenden Hagen Husgen sei er vom Prinzip her zwar eine gute Sache für diejenigen, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllten, habe aber auch seine Schwächen. So bemängelt er unter anderem, dass eine Beförderung nur bis zur Besoldungsgruppe A 11 (beziehungsweise A 14 beim Aufstieg vom gehobenen in den höheren Dienst) möglich sei, da diese Kolleginnen und Kollegen nicht selten auf Dienstposten eingesetzt würden, die höher bewertet seien. Dadurch sei es ihnen oftmals nicht möglich, die Besoldung entsprechend ihrem Dienstposten zu erreichen. Zudem dürfe der erleichterte Aufstieg nicht zu einer “Zwei-Klassen-Gesellschaft” führen, mahnt Husgen. Er fordert zudem eine Eins-zueins-Anwendung des sogenannten Praxisaufstiegs. Dann wäre es nämlich möglich, im Falle eines erheblichen dienstliches Bedarfs – der aus seiner Sicht zweifelsfrei gegeben ist – von einer Aufstiegsprüfung abzusehen. Des Weiteren wären die Beförderungsmög-

lichkeiten nicht begrenzt. Das lehnt das Dresdner Innenministerium jedoch ab. Zur Begründung

wird dort angeführt, dass der Regelaufstieg Vorrang vor dem erleichterten Aufstieg habe. Denn

Niedrigere Hürden zum Regelaufstieg in Sachsen Aufgrund dieser deutlich niedrigeren Zulassungshürden zum Regelaufstieg sollten der prüfungserleichterte und der prü-

fungsfreie Aufstieg die absolute Ausnahme sein. Des Weiteren würde es das Laufbahnprinzip als wesentlicher Grundsatz des Berufsbeamtentums unter dem Prinzip des Abstandsgebots gebieten, einen angemessenen Abstand zwischen Ausnahme und Regel auch im Rahmen des Laufbahnrechts zu schaffen. Außerdem könne nur durch die gebotenen Differenzierungen vermieden werden, dass der grundständige Erwerb der Laufbahnbefähigung durch Studium und Vorbereitungsdienst im Rahmen des Regelaufstiegs entwertet werde. Zudem müsse beachtet werden, dass die Übertragung von Ämtern der Besoldungsgruppen A 12 und A 13 entweder mit der Ausübung von Führungsdienstposten einhergehe oder es sich um Dienstposten für herausgehobene Sachbearbeiter handele. Diese Funktionen könnten nur dann vollumfänglich sachgerecht wahrgenommen werden, wenn die Bediensteten eine umfassende Ausbildung in Form eines Studiums erfolgreich absolviert hätten. Und das könne nur über den Weg des Regelaufstieges realisiert werden.


Bund

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Es ist kompliziert

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in Kernpunkt der BRH-Kritik betrifft die sogenannten Kooperationsvereinbarungen (KOV). Diese schloss die Autobahn GmbH mit den Ländern, um in einigen Bereichen einen möglichst reibungslosen Übergang von Projekten und Prozessen zu gewährleisten. Die KOV lassen sich in drei Bereiche eingliedern: IT-KOV, welche der GmbH die Möglichkeit geben, für höchstens drei Jahre weiter auf die IT-Infrastruktur der Länder zuzugreifen, allgemeine KOV, die ebenfalls für bis zu drei Jahre laufen und grundsätzliche Regelungen enthalten, und Einzel-KOV, die Einzelfälle wie zum Beispiel den gemeinsamen Betrieb einer Verkehrsleitzentrale betreffen. Diese sind nicht immer auf drei Jahre begrenzt. So listet der BRH beispielsweise zwei KOV auf, die bis 2028 gelten und regeln, dass die GmbH ein Land bei der Umsetzung zweier Bundesstraßenprojekte unterstützt.

Behörden Spiegel / Mai 2021

Autobahn GmbH, BMVI und Bundesrechnungshof (BS/Matthias Lorenz) Es ist die große Reform der Verwaltung der Bundesfernstraßen. Seit dem 1. Januar 2021 liegt die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für die Bundesautobahnen beim Bund, genauer gesagt bei der hierfür gegründeten Autobahn GmbH. Doch die komplette Entflechtung der Aufgaben erweist sich als schwierig, bisher ist sie nicht gelungen. Dazu kommt Kritik aus dem Bundesrechnungshof (BRH): In einem Bericht von Ende März 2021, welcher dem Behörden Spiegel vorliegt, wirft die Behörde dem Bundesverkehrsministerium (BMVI) gleich an mehreren Stellen vor, die geltende Gesetzeslage zu überschreiten.

Überschreitung der zulässigen Amtshilfe? “Alle drei Modelle der KOV stehen grundsätzlich im Widerspruch zur Absicht des Gesetzgebers, die Verwaltungen zu trennen und gerade keine Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern zu schaffen”, so der BRH in seinem Bericht weiter. Darüber hinaus würden die KOV regelmäßig die Grenzen der zulässigen Amtshilfe überschreiten, weil sie sachlich und zeitlich nicht eng genug eingegrenzt seien. Auch hätten bestimmte Leistungen von der Autobahn GmbH öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Besonders kritisch sieht der BRH schließlich die Unterstützung von Ländern bei laufenden Bundesstraßenprojekten durch die GmbH: “Planung und Bau einer Bundesstraße sind nach dem Grundgesetz Aufgaben der Auftragsverwaltung. Die Autobahn GmbH darf sie schon deshalb

unklar zu sein. Die Sprecherin teilt lediglich mit, die vom BMVI vorgeschlagene Lösung sei dem Ministerium verwehrt worden. “Die DEGES bleibt deshalb zunächst in ihrer bisherigen Form bestehen.” Alois Rainer, Verkehrspolitiker der CSU und verkehrspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sagt: “Der aktuelle Zustand darf nicht von Dauer sein.” Das BMVI und die Länder würden derzeit jedoch an einer Lösung arbeiten, um die DEGES doch noch in die Autobahn GmbH zu integrieren. Lühmann rechnet damit, dass man die landesbezogenen Projekte in der DEGES nun einfach auslaufen lasse. Ihr Kollege Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, fordert, die Doppelzuständigkeiten, auch wenn sie anfangs kaum vermeidbar gewesen seien, so schnell wie möglich herunterzufahren. “Das Ziel der Reform war es gerade, die Verwaltung der Bundesfernstraßen durch Synergieeffekte effizienter zu machen.” Auch seine Fraktion habe beim BMVI frühzeitig auf rechtliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit DEGES und GmbH aufmerksam gemacht. Von ministerieller Seite habe es immer geheißen, es bestünde kein Problem. “Jetzt ist das Problem leider doch aufgetaucht.”

Viele Millionen für externe Berater

Seit dem 1. Januar 2021 ist die Autobahn GmbH für alles rund um das Thema Autobahnen zuständig.

nicht wahrnehmen.” Darüber hinaus sei der GmbH diese Aufgabe im Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bun-

desfernstraßen (InfrGG), welches die Grundlage der Reform bildet, nicht zugewiesen worden. Das BMVI weist die Kritik des BRH zurück. So lege das BMVI

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keine einzelfall-, sondern eine aufgabenbezogene Amtshilfe zugrunde. In Bezug auf die Unterstützung bei BundesstraßenProjekten schreibt das Ministerium, dass nach seiner Auffassung “nicht gegen die grundgesetzliche Aufgabentrennung zwischen Bund und Land verstoßen” werde. Die Unterstützung sei demnach zulässig, weil “hoheitliche Aufgaben nicht übertragen werden und die Verantwortung für Planung und Bau der betroffenen Projekte beim Land bleibt”. “Die Ausführung von Planung und Bau für Bundesstraßen in Auftragsverwaltung ist zwar nicht unmittelbar vom Unternehmensgegenstand gedeckt, den das InfrGG und der Gesellschaftsvertrag der Autobahn GmbH des Bundes vorgeben”, ergänzt eine Sprecherin des BMVI. Die im Gesetz in Rede stehenden Aufgaben sollten aber auch gar nicht zum dauerhaften Gegenstand der GmbH werden, sondern seien befristet. Generell werde das BMVI die KOV laufend evaluieren, so die Sprecherin weiter. Teil dieser Evaluierung sei auch die Vergaberechtskonformität der KOV. In seiner Stellungnahme zum BRH-Bericht stellt das Ministerium außerdem fest, der GmbH obliege eigenverantwortlich die vergaberechtliche Beurteilung. Kirsten Lühmann, die verkehrspolitische Sprecherin der SPDBundestagsfraktion, verteidigt die KOV gegen die Kritik des BRHs. “Natürlich kann man bestimmte Leistungen auch ausschreiben und von einer externen Firma machen lassen, aber das ist doch albern, wenn der Staat über die Ressourcen verfügt”, sagt sie mit Blick auf die allgemeinen KOV. Was die IT-KOV betreffe, handele es sich um die sehr komplexe Situation, dass der Bund mehr als 16 verschiedene Systeme vereinheitlichen müsse. “Das Implementieren von einem alten auf ein neues System ist nicht mal ebenso gemacht.” Damit es bei Projekten nicht zu Verzögerungen durch die Umstellung komme, sei es ein “völlig normaler und rich-

Foto: BS/Erich Westendarp, pixabay.com

tiger Vorgang”, dass die GmbH für eine Übergangszeit noch auf die IT-Infrastruktur der Länder zurückgreife. Hinsichtlich der teilweise langen Laufzeiten von Einzel-KOV (bis 2028) gesteht Lühmann ein: Wie der BRH halte auch sie dies für einen sehr langen Zeitraum. “Die Alternative wäre jedoch, die Projekte sofort übergehen zu lassen, mit der Gefahr, dass dabei Kompetenzen, Daten und Projektfortschritte verloren gehen. Deswegen ist die jetzige Regelung die bessere.”

GmbH und DEGES: ein nicht gelöster Grundgesetzkonflikt Ein weiterer Kritikpunkt, den der BRH in seinem Bericht vorbringt, betrifft das Verhältnis zwischen der Autobahn GmbH und der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES), an welcher sowohl Bund als auch Länder Anteile halten. Das Problem ist laut BRH, dass der Bund nun an zwei Gesellschaften beteiligt sei, die an der Planung und am Bau von Autobahnen mitwirkten. Damit liege ein Verstoß gegen das Grundgesetz vor, welches in Art. 90 GG festlegt, dass sich der Bund “zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen” kann. Wie sowohl der BRH als auch das BMVI festhalten, ließe sich dieser Konflikt mit einer Verschmelzung von GmbH und DEGES lösen. Dazu kam es jedoch nicht, weil das BMVI im Gegensatz zum BRH davon ausging, dass die GmbH nach der Verschmelzung auch solche Projekte der DEGES hätte weiterführen dürfen, welche weiterhin in der Zuständigkeit der Länder sind. “Genau diese Bedenken, die der BRH jetzt hat, hatten wir in der SPD von Anfang an auch”, so Kirsten Lühmann. An einer Regelung sei das BMVI aber gescheitert. Deswegen beuge sich das Ministerium jetzt trotz anderer Rechtsauffassung der Empfehlung des BRHs, die Verschmelzung vorerst nicht durchzuführen. Wie nun der Konflikt mit dem Grundgesetz aufgelöst werden soll, scheint im BMVI bisher

Auch wegen weiterer Punkte stehen die Autobahn GmbH und das BMVI in der Kritik. So waren laut eines Berichts des BMVI an den Verkehrsausschuss des Bundestags Ende März 2021 noch offene Rechnungen in Höhe von rund 600 Mio. Euro nicht bezahlt, obwohl davon rund 25 Prozent bereits fällig gewesen wären. Der Bundesrechnungshof wiederum kritisiert in seinem Bericht die zahlreichen Beraterverträge, über welche das BMVI keinen Überblick gehabt habe. Verträge seien geschlossen worden, “ohne den Bedarf oder die Wirtschaftlichkeit zu untersuchen”. Das BMVI habe zusammen mit der GmbH bis September 2019 Leistungen für mehr als 99 Mio. Euro beauftragt und so das vergebene Auftragsvolumen um rund 315 Prozent überschritten. Damit sei gegen Haushalts- und Vergaberecht verstoßen worden. Demgegenüber betont das BMVI, es habe Beraterverträge “grundlegend nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und im Rahmen wirtschaftlichen Handelns” geschlossen. Allerdings räumt es ein, Fehler begangen zu haben. Deswegen sei man aus den Verträgen ausgestiegen. CSU-Verkehrspolitiker Rainer unterstreicht, dass dürfe nicht vergessen man, dass es sich bei der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung um eine der größten Verwaltungsreformen in der Geschichte der Bundesrepublik handele. “Hier mussten Strukturen entflochten werden, die in über 70 Jahren herangewachsen sind. Das ist eine Mammutaufgabe. Dafür braucht man externe Unterstützung.” Allerdings müsse diese externe Unterstützung sukzessive verringert werden und letztendlich auslaufen. Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, kritisiert den Abschluss der Beraterverträge hingegen scharf. “Dass sowohl das Ministerium als auch die Autobahn GmbH selbst für so viele Millionen Euro Berater engagieren, dass sie den Überblick über die Beraterschar verlieren, ist nicht nur peinlich, sondern zeigt, dass Scheuers Haus vollkommen die Kontrolle über die Reform verloren hat.” Die Reform nütze letztendlich nur den externen Beratern, während die Steuerzahlerinnen und -zahler die Zeche zahlen müssten.



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usgerichtet an der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 50, 217 - 234) ermöglicht die Gebühr – anders als die Steuer –, dass individuell veranlasste Kosten der Verwaltung im Einzelfall durch einen adressierbaren Gebührenschuldner ganz oder teilweise gedeckt werden können. Die erste Phase der Reform des Gebührenrechts lieferte daher zunächst den neuen rechtlichen und methodischen Rahmen zur Bestimmung und Festsetzung kostendeckender Gebührensätze für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen des Bundes. In einer zweiten Phase der Gebührenrechtsreform haben die Bundesministerien bis zum 1. Oktober 2021 sämtliche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen im eigenen Verantwortungsbereich nach den neuen rechtlichen Grundlagen zu bestimmen und in fachbereichsübergreifenden oder sachgebietsbezogenen Besonderen Gebührenverordnungen zusammenzufassen.

Besondere Gebührenverordnung als “Leuchtturm” Das BMI als das für diese Reform federführende Ressort hat die eigene Besondere Gebührenverordnung (BMIBGebV) mit der Unterstützung des “Dienstleistungszentrums der Bundesregierung für bessere Rechtsetzung” im Statistischen Bundesamt (StBA) mit einem Vorlauf von zwei Jahren bereits am 1. Oktober 2019 in Kraft gesetzt. Mit dieser

Steuern zahlen reicht nicht Rechtssichere und kostendeckende Gebührenbestimmung (BS/Carsten Haider /Jörg Buntkirchen*) In der öffentlichen Wahrnehmung wird Nachhaltigkeit sehr häufig mit Ressourcenverbrauch oder ökologischen Zusammenhängen in Bezug gesetzt wird. Für die Bundesregierung zählen auch solide Staatsfinanzen und ausgeglichene öffentliche Haushalte als ein politisch beeinflussbares zentrales Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung. Dass solide öffentliche Haushalte und damit eine generationengerecht gelebte Kultur der Nachhaltigkeit nicht ausschließlich als ein Appell an den Haushaltsgrundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Mittel verstanden werden darf, hat die Bundesregierung zu einem Leitgedanken der Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes gemacht. Verordnung wurden die über 200 gebührenfähigen Leistungen im Zuständigkeitsbereich des BMI, die von Geschäftsbereichsbehörden sowie dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Gebührenerhebung nach der Datenschutz-Grundverordnung bzw. dem De-Mail-Gesetz erbracht werden, in einem Regelwerk zusammengeführt. Durch eine systematische Aufbereitung der gesammelten Projekterfahrungen, eine ausführliche öffentliche Darstellung der Untersuchungsergebnisse sowie nicht zuletzt auch die vorab in Kraft getretene Pilot-Gebührenverordnung des BMI selbst sollte den übrigen Ministerien für die eigenen Reformanstrengungen so viel Orientierungshilfe wie möglich an die Hand gegeben werden.

Kostendeckend, rechtssicher, anwenderfreundlich Während der ca. 30-monatigen Ausarbeitung der BMIBGebV entwickelten BMI und das Projektteam im StBA gemeinsam mit den gebührenerhebenden Behörden

einen Gebührenkatalog, der den erhebenden Stellen und auch den Gebührenschuldnern selbst eine möglichst einfache, transparente und unbürokratisch anwendbare Tatbestandssammlung anbietet und gleichzeitig die Vorgaben an die Rechtssicherheit und das nach dem Bundesgebührengesetz (BGebG) vorgesehene Kostendeckungsprinzip für die individualisierbaren behördlichen Kosten erfüllt. Zentrale Vorgaben für das Gebührenrecht des Bundes enthalten das BGebG und die Allgemeine Gebührenverordnung (AGebV). Nach § 11 BGebG sieht das Recht drei zu differenzierende Gebührenarten vor. Während bei Festgebühren für eine Verwaltungsleistung ein allgemeingültiger Gebührensatz verlangt wird, bestimmt sich die Gebührenhöhe bei Zeitgebühren stets nach dem im Einzelfall angefallenen Zeitaufwand. Insbesondere bei häufig vorkommenden Gebührentatbeständen verursachen Festgebühren den geringsten Verwaltungsaufwand, da die Gebührenhöhe direkt aus der Verordnung entnommen wer-

Impfangebot für alle Polizisten Aber unterschiedliche Strategien in den Bundesländern (BS/Florian Schröder/Marco Feldmann) Im Rahmen der Freischaltung der Priorisierungsgruppe drei für Corona-Impfungen soll allen Polizeibeamten und -beamtinnen ein Impfangebot unterbreitet werden. Polizistinnen und Polizisten, die durch Tätigkeiten wie Streifen oder Einsätze auf Demonstrationen einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, war bereits größtenteils in Priorisierungsgruppe zwei eine Impfung angeboten worden. Der bisherige Fortschritt und die Strategie für die nun anstehenden Impfungen der übrigen Polizeibediensteten unterscheiden sich dabei jedoch stark zwischen den einzelnen Bundesländern. Bereits die Anteile der Polizeibeamten, die von den Dienststellen der Länder den jeweiligen Priorisierungsgruppen zugeordnet wurden, weisen erhebliche Differenzen auf. So zählt beispielsweise Niedersachsen 51 Prozent der Mitarbeitenden der Polizei zu Priorisierungsgruppe drei, die Polizei Berlin 32,8 Prozent, Baden-Württemberg 17 Prozent. Aufgrund der unterschiedlichen Anzahl der Polizisten, die demnach bereits Priorisierungsgruppe zwei zugerechnet worden sind, verläuft auch der Fortschritt der Impfung innerhalb dieser Gruppe unterschiedlich. Während in Niedersachsen und Berlin allen Angehörigen der Gruppe zwei bereits ein Impfangebot unterbreitet werden konnte, konnte in Baden-Württemberg erst 79 Prozent der Polizisten aus Priorisierungsgruppe zwei eine Impfung angeboten werden.

Hohe Impfbereitschaft Aus der Polizei Berlin ist dabei von einer hohen Bereitschaft zur Impfung unter den Polizistinnen und Polizisten zu hören. Und auch in Niedersachsen wollen rund 89 Prozent der priorisierten Beamten der Gruppe zwei das Impfangebot annehmen. Während einige Bundesländer wie Sachsen keine statistische Erhebung der tatsächlich geimpften Bediensteten vornehmen, heißt es aus Schleswig-Holstein, dass rund 57 Prozent der Beschäftigten bereits eine Erstimpfung erhalten haben. Die Zweitimpfungen sollen im Mai folgen. Auch die Frage nach polizeieigenen Impfzentren wird von den Ländern unterschiedlich beantwortet. So soll im Saarland für die Impfung der Bediensteten aus Priorisierungsgruppe drei ein eigenes Impfzentrum im Landespolizeipräsidium eingerichtet werden. In Baden-Württemberg

Behörden Spiegel / Mai 2021

Das Gebührenrecht muss reformiert werden. Tatkräftige Unterstützung gibt es durch das Dienstleistungszentrum der Bundesregierung für bessere Rechtsetzung. Schon über 450 Gebührentatbestände hat das Zentrum analysiert. Foto: BS/MQ-Illustrations, stock.adobe.com

den kann. Gleichzeitig gewährt die Festgebühr den Gebührenschuldnern frühzeitig ein hohes Maß an Transparenz über die anfallenden Kosten. Rahmengebühren bewegen sich je nach Aufwand zwischen einer rechtlich festgelegten Ober- und Untergrenze und erfordern in der Anwendung ein der Zeitgebühr entsprechendes Abrechnungsund Dokumentationsverfahren. Unregelmäßig oder in schwankender Höhe anfallende Auslagen, die nicht in die Gebühr einzurechnen sind, wie beispielsweise Dienstreisen, werden für alle Gebührenarten ergänzend erhoben. Bei der konkreten Ausarbeitung der Gebührentatbestände für die BMIBGebV und der Bestimmung der Gebührensätze hat sich ein zweistufiges Vorgehen bewährt. Zunächst wurden alle Arbeitsschritte innerhalb der gebührenrechtlich relevanten behördlichen Leistungen gemeinsam mit den gebührenerhebenden Stellen selbst analysiert und dokumentiert. Dabei wurden alle involvierten Verwaltungsebenen, vor Ort bis auf Sachbearbeiterebene hinweg, einbezogen. In einem zweiten Schritt wurden dann die zeitlichen Aufwände mithilfe von schriftlichen Befragungen oder

persönlichen Experteninterviews ermittelt. Im Anschluss daran erfolgten die Aufbereitung und Auswertung der Daten, die Festlegung der optimalen Gebührenart sowie die Erstellung der Verfahrens- und Ergebnisdokumentation einschließlich der Ausweisung der Gebührenhöhe. Zur Quantifizierung der durchschnittlichen Bearbeitungszeiten wurde auf die Stundensätze der Anlage 1 der AGebV zurückgegriffen, die sich im Wesentlichen an den Personalkostensätzen (PKS) des Bundesministeriums der Finanzen orientieren. Die Berechnung eigener behördenspezifischer Stundensätze nach der Anlage 2 der AGebV ist jedoch grundsätzlich immer möglich.

Mehr als 450 Gebührentatbestände Im Geschäftsbereich des BMI war von besonderer Herausforderung, dass die Bundespolizei (BPOL), wie die meisten Polizeien der Länder auch, nun erstmals selbst das Erheben von Gebühren in den polizeilichen Alltag zu integrieren hatte. Neben der BPOL wurden zudem die Gebühren der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS), des Bundesamts für Sicherheit in

der Informationstechnik (BSI), des Bundesverwaltungsamts (BVA), des Bundeskriminalamts (BKA) und des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) empirisch bestimmt. Bei der Bestimmung der Gebührensätze wurde versucht, auf Grundlage der jeweiligen fachrechtlichen Regelungen Gebührentatbestände inhaltlich so gegeneinander abzugrenzen, dass eine Bündelung zeitlich homogener Tätigkeiten und damit die Bestimmung einer Festgebühr, unter der verbindlichen Konrolle der Streuung bzw. Varianz der Bearbeitungszeiten, möglich wurde. Festgebühren sind aus der Perspektive des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsetzung erstrebenswert, weil damit der laufende Erfüllungsaufwand in der Verwaltung minimiert wird. Neben der BMIBGebV konnte der Arbeitsbereich im StBA bis heute auch bei weiteren Gebührenverordnungen mit seiner erworbenen fachlichen Expertise auf dem Schnittpunkt von Fachressort und Fachbehörden unterstützen, so zum Beispiel das Auswärtige Amt bei der Erstellung seiner Besonderen Gebührenverordnung, die zum 1. Oktober 2021 in Kraft treten wird und die Gebühren der deutschen Auslandsvertretungen und Honorarkonsularbeamten regelt, oder der geplanten Novellierung der Luftsicherheitsgebührenverordnung, von der, neben der BPOL, auch das Luftfahrt-Bundesamt und die Luftsicherheitsbehörden der Länder betroffen sind. Insgesamt wurden im Dienstleistungszentrum der Bundesregierung für bessere Rechtsetzung bereits mehr als 450 Gebührentatbestände aus verschiedenen Verordnungen verfahrenstechnisch analysiert und mehr als 9.000 Zeitaufschreibungen oder Interviews statistisch-mathematisch ausgewertet. *Carsten Haider und Jörg Buntkirchen arbeiten im Referat “Aufwandsermittlungen und Verfahrensanalysen für bessere Rechtsetzung” des Dienstleistungszentrums der Bundesregierung für bessere Rechtsetzung im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Der inhaltliche Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt dabei auf dem Feld der besseren Rechtsetzung im Bereich des Gebührenrechts des Bundes.

Mehr Innovationskraft und Wirtschaftlichkeit Die Bundesländer verfolgen unterschiedliche Strategien bei der Impfung von Polizeibediensteten gegen das Coronavirus. Foto: BS/alirazagurmani9272, pixaybay.com

Planungs- und Architekturkonzept zur Digitalisierung der Beschaffung veröffentlicht

(BS/jf) Der erste Meilenstein des Kooperationsprojekts “Digitalisierung der Beschaffung” ist mit der Veröffentlichung des Planungs- und Architekturkonzepts erreicht. Es ist das Ergebnis der Konzeptphase und fasst soll die bereits bestehende Impf- Gründen, aber auch aufgrund die technischen Entscheidungen zusammen.

struktur des Landes genutzt werden. Auch die Polizei Berlin setzt auf die landeseigenen Impfzentren, hat aber ebenfalls bereits ein Konzept für eine potenzielle eigene Einrichtung entwickelt. In Sachsen ist die Impfung durch den polizeiärztlichen Dienst an den Standorten Dresden, Leipzig und Chemnitz geplant. In Priorisierungsgruppe drei wird weitgehend keine weitere Differenzierung durch die Polizeien der Länder vorgenommen. Die Polizei Berlin unterscheidet innerhalb Priorisierungsgruppe drei jedoch wiederum drei Gruppen: aufgrund von Fachexpertise unabdingbare Personen, Bedienstete in Führungs- und Schlüsselpositionen sowie Mitarbeiter mit geringem Bürgerkontakt.

Einteilung durch Polizeibehörden selbst In Nordrhein-Westfalen liegt die Anzahl der bereits unterbreiteten Impfangebote im Innenministerium nicht vor. Außerdem gibt es dort keine zuverlässige Zahl zu geimpften Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei, da eine Impfung sowohl aus dienstlichen

von persönlichen Umständen nach der Coronavirus-Impfverordnung erfolgen könne. Hinzu kämen mögliche Restdosen, die Beschäftigten der Polizei im Einzelfall zur Verfügung gestellt werden könnten, heißt es. Zur Einteilung in die einzelnen Priorisierungsgruppen habe das Ministerium von Ressortchef Herbert Reul (CDU) den Polizeibehörden einen Entscheidungsrahmen vorgegeben. Diese ordneten ihr Personal allerdings selbst nach eigenen, auf das individuelle Infektionsrisiko bezogenen Parametern in die jeweiligen Priorisierungsgruppen ein. Innerhalb der Priorisierungsgruppe drei sei auch keine tiefer gehende Rangfolge vorgesehen. Damit Angebote der Impfzentren zuverlässig abgerufen werden könnten, müssten die zu impfenden Beschäftigten flexibel ausgewählt werden können, heißt es zur Begründung. Grundsätzlich erfolge die Impfung der Beschäftigten der nordrhein-westfälischen Polizei dabei durch die Impfzentren der Kommunen. Eine Unterstützung durch den polizeiärztlichen Dienst sei möglich.

Vergleichbar mit dem Ansatz zur Entwicklung des Standards XRechnung werden hierfür bestehende (Peppol-)Standards und Infrastrukturen geprüft, profiliert und bei Bedarf fortgeschrieben. Ziel ist die Schaffung von europaweit nutzbaren, standardkonformen und praxistauglichen Lösungen für die deutsche Verwaltung und ihre Partner. Einzelne Komponenten – wie beispielsweise für den Bereich der digitalen Bestellung (XBestellung) – werden dabei noch zur Laufzeit des Projekts (bis Ende 2022) in Zusammenarbeit mit ausgewählten Lieferanten pilotiert.

Diskussion eröffnet Bremens Finanzstaatsrat Dr. Martin Hagen erklärt: “Die lückenlose Digitalisierung der Beschaffungsprozesse in Bund, Ländern und Kommunen ist ein wichtiger Beitrag zur Steigerung der Innovationskraft und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung.” Das Architekturkonzept wird im Laufe des Projektes fortgeschrieben und um jeweils neue Erkenntnisse ergänzt. Die fach-

spezifische Diskussion ist hiermit eröffnet: Mit dem jeweils aktuellen Stand dieses Dokuments werden Konsultationen mit der interessierten Fachöffentlichkeit durchgeführt.

Kommentare erwünscht Ziel ist dabei, die Akzeptanz der Projektergebnisse bei allen Stakeholdern zu fördern und zugleich die Qualität zu verbessern. Hierzu werden regelmäßig strukturierte Rückmeldungen eingeholt, die in die weitere Arbeit des Kooperationsprojekts einfließen. Der Prozess ist für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich und transparent gestaltet, es erfolgt keine Auswahl einzelner Interessenträger. Unter www.xoev.de/ de/beschaffung ist das Konzept veröffentlicht. Für Kommentare und Vorschläge steht ein Formular zur Verfügung. Martin Hagen: “Ihre Meinung ist uns wichtig! Über eine große Beteiligung würden wir uns freuen.”

Erfolgreiche Standardisierung Mit dem Standard XRechnung konnte in den vergangenen

Jahren ein zentraler Teil des öffentlichen Einkaufs zwischen öffentlichen Stellen und ihren Lieferanten erfolgreich digitalisiert werden. Im Vorhaben “Digitalisierung der Beschaffung − Kooperationsprojekt zur standardbasierten Digitalisierung des öffentlichen Einkaufs- und Beschaffungsprozesses” entwickeln – unter Federführung des Senators für Finanzen Bremen – das Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat (BMI), das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NordrheinWestfahlen, das Ministerium des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz und die Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT) auf diesen Erfolgen aufbauend Grundlagen und Lösungen, die eine durchgängige digitale und standardbasierte Kommunikation in öffentlichen Ausschreibungs- und Beschaffungsverfahren ermöglichen. Informationen zum Beteiligungsprozess sowie das Konzept stehen unter www.xoev.de/de/beschaffung im Netz.


Finanzen

Behörden Spiegel / Mai 2021

Wegschauen und Wegducken

D

ie Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030). Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie legt fest, welchen Beitrag Deutschland zur Umsetzung der Agenda 2030 leisten will. Die Bundesregierung hat darin ihre Nachhaltigkeitsziele festgelegt und das Streben nach einer nachhaltigen Entwicklung zum Leitprinzip staatlichen Handelns erklärt. Das bedeutet, dass die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen jeder staatlichen Maßnahme identifiziert und berücksichtigt werden sollen.

Keine Nachhaltigkeit auf Druck der Wirtschaft Der Bundesrechnungshof prüfte bei mehr als 50 Maßnahmen und Programmen übergreifend, ob und inwieweit die Ressorts Nachhaltigkeitsaspekte in der Verwaltungspraxis berücksichtigten. Dabei stellte er fest, dass Nachhaltigkeitsaspekte häufig vernachlässigt wurden. So versäumten in 44 Prozent der Fälle die geprüften Stellen, Nachhaltigkeitsaspekte bei der Festlegung der Ziele ihrer Maßnahmen zu berücksichtigen. Damit blieb unklar, ob und inwieweit die Maßnahmen zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele hätten beitragen können oder sogar müssen. “Die geprüften Stellen verzichteten dabei zum Teil bewusst darauf, Nachhaltigkeits-

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Nachhaltigkeit wird bei Finanzen vernachlässigt (BS/lkm) Die Bundesverwaltung lässt bei fast jeder zweiten finanzwirksamen Entscheidung Nachhaltigkeitsaspekte außer Acht. Zu diesem Ergebnis kommt der Bundesrechnungshof in seinen aktuellen Prüfergebnissen, die seine Bemerkungen 2020 ergänzen. Zwar habe die Bundesregierung Nachhaltigkeit zum Leitprinzip erklärt. In der Verwaltungspraxis würden die Bundesministerien es jedoch häufig versäumen, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte einer Maßnahme angemessen zu berücksichtigen. aspekte zu berücksichtigen und begründeten dies z. B. damit, dass Entscheidungen bereits im Vorfeld feststanden oder einem interessengeleiteten Einfluss unterlagen”, heißt es im Prüfbericht. Nach eigenen Angaben habe beispielsweise das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter anderem auf Druck der Verbände keine Nachhaltigkeitsziele in die Milchsonderbeihilfeverordnung aus dem Jahr 2016 aufgenommen.

Regeln nicht gekannt und keine Kontrolle In 55 Prozent der Fälle sei das Vorgehen der geprüften Stellen bei der Umsetzung der Maßnahmen methodisch nicht geeignet gewesen, Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen. Häufig hätten die Stellen die einschlägigen Regelungen und Methoden nicht gekannt. So verzichtete zum Beispiel das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bei der Förderung maritimer Technologien darauf, die Programmziele mit Indikatoren zu hinterlegen, um deren Bei-

trag zu den Nachhaltigkeitszielen messen zu können, obwohl es hier einen grundsätzlichen Nachhaltigkeitsbezug erkannt hatte. In 62 Prozent der Fälle hätten die geprüften Stellen nicht kontrolliert, ob die mit der jeweiligen Maßnahme verfolgten Ziele erreicht worden seien – und damit auch nicht, inwieweit sie zu den Nachhaltigkeitszielen beigetragen habe. Infolgedessen fehlte hier bereits die Voraussetzung für einen langfristig nachhaltigen Einsatz der finanziellen Mittel. Diese Konsequenz sei den Stellen nicht immer bewusst gewesen. So gewährte zum Beispiel das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit einem Naturschutzverband über mehr als 30 Jahre hinweg Zuwendungen als institutionelle Förderung, ohne die Ergebnisse und Wirkungen dieser Förderung zu messen und zu bewerten. “Nachhaltigkeit als Leitprinzip wird – anders als von der Bundesregierung gefordert – von der Bundesverwaltung nicht wirklich gelebt”, kritisieren die

Traurige Aussichten: Eine Auswertung des Bundesrechnungshofes zeigt, dass die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie in den Bundesministerien vielfach nicht gelebte Praxis ist. Häufig blieben Nachhaltigkeitsaspekte bei der Zieldefinition unberücksichtigt, waren die gewählten Methoden ungeeignet oder die Zielerreichung wurde nicht kontrolliert. Foto: BS/RitaE, pixabay.com

Prüfer des Bundesrechnungshofes. “Besonders bedenklich ist dabei, dass die Ressorts einschlägige Regelungen nicht kennen oder Nachhaltigkeitsaspekte zum Teil bewusst nicht berücksichtigt wurden”, so die Prüfer weiter. Laut Bundeskanzleramt haben einige Res-

sorts inzwischen Maßnahmen ergriffen, um diese Defizite abzustellen. Darüber hinaus hat das Bundeskanzleramt mitgeteilt, dass es zwar federführend für die Nachhaltigkeitsstrategie zuständig sei. Nach dem verfassungsrechtlich verankerten

Ressortprinzip obliege es jedoch den Bundesministerien, die Nachhaltigkeitsstrategie in den von ihnen verantworteten Politikfeldern eigenständig umzusetzen. Laut Bundesrechnungshof habe die Bundesverwaltung damit aber ihr Potenzial zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele nicht ausgeschöpft. Zudem werde sie so auch ihrer Rolle als Vorbild nicht gerecht. “Auch unter Wahrung des Ressortprinzips muss es möglich sein, mit Unterstützung des Staatssekretärsausschusses die Aktivitäten der Ressorts besser zu koordinieren und Nachhaltigkeit als Leitprinzip stärker zu verankern”, so die Prüfer in ihrem Bericht. Das Bundeskanzleramt sollte seine federführende Rolle für die Nachhaltigkeit stärker wahrnehmen und stärker als bisher dafür werben, dass die Ressorts die notwendigen Strukturen schaffen, um Nachhaltigkeitsaspekte in der Verwaltungspraxis konsequent zu berücksichtigen. Hierzu könnte das Bundeskanzleramt von den Ressorts zum Beispiel eigene Strategien und Konzepte für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie einfordern. “Denn letztlich braucht die Bundesverwaltung konkrete Handlungsanleitungen, damit sie Nachhaltigkeit als Leitprinzip mit Leben füllen und ihren Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele leisten kann”, heißt es abschießend im Bericht der Rechnungsprüfer.

Vergleichbare Rechnungslegung in der EU

Sanierung maroder Sportstätten

Thüringen positioniert sich gegen EPSAS

Länder wollen stärkere Bundesbeteiligung an den Kosten

(BS/lkm) Ende April trafen sich die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zum elften Mal im Rahmen der EPSAS Working Group, um sich zu den beabsichtigten harmonisierten Rechnungslegungsstandards im Vorfeld eines gemeinschaftsrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens zu beraten. In Deutschland sind die Einschätzungen zu den Harmonisierungsbedarfen für die öffentliche Rechnungslegung sehr unterschiedlich.

(BS/lkm) Der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf für Sportstätten in Deutschland beläuft sich dem Deutschen Olympischen Sportbund zufolge auf mindestens 31 Milliarden Euro. Viele Sportstätten wurden in der Vergangenheit nicht so gepflegt, wie dies nötig gewesen wäre. Zwar sind kommunale Sportstätten vornehmlich eine Länderaufgabe, doch mit dem großen Modernisierungs- und Sanierungsstau steigt jetzt der politische Druck für den Bund, sich an der Instandsetzung zu beteiligen.

EPSAS steht für European Public Sector Accounting Standards. Dahinter steht die Idee, einheitliche Rechnungslegungsstandards für alle Mitgliedsstaaten der EU zu entwickeln, um die Transparenz und die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Thüringens Finanzministerin Heike Taubert sieht jedoch die Bestrebungen kritisch, die doppische Rechnungslegung als einheitlichen Standard in Europa einzuführen. Dieser würde bei einer verbindlichen Einführung auch für Kommunen, Bundesländer und den Bund gelten. Für Vergleiche unter den Staaten Europas oder der Überprüfung von Förderzusagen brauche es ohne Zweifel eine ausreichende Datengrundlage. Diese könne in den Thüringer Kommunen aber ebenso mit der erweiterten Kameralistik und auf Landesebene mit Nebenrechnungen erreicht werden. “Wir haben hier keinen Nachholbedarf”, so Taubert. Allein die Einführung würde Thüringen einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag kosten. Ein Benefit für die Landes- oder Kommunalpolitik werde jedoch kaum gesehen. Vergleiche mit der Wirtschaft würden verkennen, dass Land und Kommunen Aufgaben der Daseinsvorsorge erfüllten, die nicht gewinnorientiert seien und auch nicht wahllos privatisiert werden könnten. Ähnlich skeptisch sieht auch Werner Gatzer, Staatsekretär im Bundesministerium der Finanzen, die einheitlichen Standards. Die Frage, ob EPSAS notwendig sind, um die Transparenz der Rechnungslegung und Vergleichbarkeit der öffentlichen Haushalte tatsächlich zu verbessern, sieht er “weiterhin unbeantwortet.” Harald Riedel, Kämmerer der Stadt Nürnberg und Vorsitzender des Finanzausschusses des Deutschen Städtetages, hin-

gegen betonte: “Die laufenden Modellprojekte zeigen, dass EPSAS die Chance für ein vereinheitlichtes Rechnungswesen der öffentlichen Verwaltungen gerade auch innerhalb Deutschlands bietet.” Ein großer Befürworter der EPSAS ist auch das Land Hessen. Das Land hat als erstes Bundesland und als eine der ersten Gebietskörperschaften in Europa einen Jahresabschluss nach Grundsätzen internationaler Rechnungsführung aufgestellt. “Hessen ist seit Jahren Vorreiter transparenter Haushalte. Die Geschäftsberichte weisen Jahr für Jahr nicht nur aktuelle Ausgaben und Belastungen aus, sondern sie zeigen offen und schonungslos, welche Folgekosten politische Entscheidungen von heute noch in Jahren und Jahrzehnten haben werden. Polizistinnen und Polizisten etwa, die wir heute aus gutem Grund einstellen, damit Hessen sicher bleibt, werden in Jahrzehnten ihre verdienten Pensionszahlungen des Landes bekommen. Haushalte, die die doppelte Buchführung, kurz Doppik, anwenden, zeigen diese Zukunftskosten auf”, so Hessens Finanzminister Michael Boddenberg.

Kritik am Nutzen Die aus deutscher Sicht an dem EPSAS-Projekt geäußerte Kritik mache sich, so Boddenberg, unter anderem an einer möglichen Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts bei einer verpflichtenden Einführung von EPSAS und einem fraglichen KostenNutzen-Verhältnis fest. Auch die Ausrichtung des Jahresabschlusses an IPSAS, die das Vorsichtsprinzip mit einem tendenziell niedrigeren Vermögensund Ergebnisausweis nicht als vorrangigen Rechnungslegungsgrundsatz verankert hätten,

werde in Deutschland bislang äußerst kritisch gesehen. Es bestehe die Sorge, dass mit IPSAS eine zu positive und damit unrealistische Darstellung der Haushaltslage einhergehen könnte. “Transparente Finanzberichterstattung ist kein Selbstzweck. Politisch Entscheidende sowie Bürgerinnen und Bürger benötigen einen klaren Blick auf die Staatsfinanzen und die Verwendung des Geldes der Steuerzahlenden. Daran sollten wir bei uns daheim, aber ganz sicher auch in Europa ein Interesse haben. Deutschland profitiert von der EU, bringt sich aber auch solidarisch mit viel Geld in die Gemeinschaft ein. Transparentes Haushalten zu vergleichbaren Maßstäben in ganz Europa sollte uns daher ein wichtiges Anliegen sein. Deutschland sollte hierbei vorangehen, mitgestalten – und nicht auf der Bremse stehen”, betonte Boddenberg. Das kaufmännische Vorsichtsprinzip besitze in Deutschland für die Bilanzierung der öffentlichen Hand zu Recht einen hohen Stellenwert. Es lasse sich aber auch im Rahmen eines IPSAS-Abschlusses umsetzen, meint Boddenberg. Die öffentliche Rechnungslegung in Deutschland biete aktuell auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen ein sehr heterogenes Bild. Boddenberg fordert daher eine Standardisierung der doppischen Rechnungslegung in Deutschland sowie eine belastbare Vermögensrechnung von allen Gebietskörperschaften. “Ein aussagekräftiger Ausweis des Vermögens und der Schulden eines Landes setzt ein doppisches Rechnungswesen voraus. Diese Transparenz sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in Europa schuldig”, so Boddenberg.

Vielerorts wurde die Sanierung von Sportstätten vernachlässigt. Mittlerweile hat sich hier ein Sanierungsbedarf in Höhe von rund 31 Milliarden Euro angehäuft. Vonseiten der Länder steigt jetzt der Druck auf den Bund, sich daran zu beteiligen.

So fordert Thüringens Sportminister Helmut Holter eine Investitionsoffensive für den Sport. Die Länder alleine könnten dies nicht schaffen. “Der Bund muss hier in die Vorhand kommen und richtig investieren”, forderte der Landesminister. Ein Großteil der Finanzierung sollte dabei vom Bund gestellt werden, so Holter. Der Landesminister schlägt hierfür einen sehr hohen Finanzierungsanteil für den Bund vor: 90 Prozent Bund und zehn Prozent die Länder. Auch der Deutsche Olympische Sportbund würde einen Ausbau der Förderprogramme des Bundes begrüßen. Zwar gebe es vereinzelt sportfreundliche Sonderprogramme in den Ländern. Diese reichten aber nicht aus, so Andreas Silbersack, Vizepräsident Breitensport/ Sportentwicklung beim Deutschen Olympischen Sportbund. Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Lutz Thieme von der Hochschule Koblenz warnt jedoch vor einem “Schweinezyklus”: “Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht in einen Schweinezyklus kommen, und der Bund in absehbarer Zeit immer wieder damit konfrontiert wird, massiv in diese Infrastruktur zu investieren.” Wolle man dies vermeiden, müssten aus seiner Sicht die strukturellen

Foto: BS/planet_fox, pixabay.com

Barrieren beseitigt werden, die verhinderten, dass Kommunen und Länder in ausreichendem Maße in die Sportinfrastruktur investieren könnten. Der Präsident des Landesportbundes Berlin, Thomas Härtel, nimmt hier aber auch die Länder in die Pflicht: Um den Schweinezyklus zu vermeiden, müssten die Kosten für die regelmäßige bauliche Unterhaltung der Sportstätten in den Länderhaushalten berücksichtigt werden.

Konservative Förderpraxis Bislang sind viele Kommunen bei der Finanzierung von Sportstätten oft auf Förderprogramme der Länder und des Bundes angewiesen. Die Beantragung von Mitteln aus diesen Programmen sei aber alles andere als einfach. Oft sei es schwierig, sich in den vielen Förderprogrammen zurechtzufinden. Teils passten die Programme auch nicht auf das, was vor Ort tatsächlich gebraucht werde, meint Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Aber nicht jede Kommune müsse voll ausgestattet sein und beispielsweise ein eigenes Schwimmbad haben, meint Achim Haag, Präsident der Deutschen LebensRettungs-Gesellschaft: “Das The-

ma der Interkommunalen Zusammenarbeit ist in meinen Augen das Gebot der Stunde. Da kann man sich über interkommunale Kosten eines interkommunalen Bades unterhalten und dann sinkt das Ganze.” Ähnlich sieht es auch Prof. Dr. Robin Kähler, Vorstandsvorsitzender der Internationalen Vereinigung für Sport- und Freizeiteinrichtungen in Deutschland: “Es geht in Zukunft nur noch, wenn auf der Bundes-, Landes-, und Kommunalebene viel mehr intersektoral und interdisziplinär zusammengearbeitet wird.” Zudem sei die Sportförderung heute sehr konservativ. Die Rahmenbedingungen für die Sportförderung seien stark normiert und zentralisiert. Bisher sei die Sportförderung so geregelt, dass nur eine bestimmte Art von Sportstätten gefördert werde. Die Förderpraxis sei sehr konservativ und orientiere sich nicht an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen. Kähler empfiehlt, die Förderprogramme so zu gestalten, dass die Kommunen die Freiheit bekommen, die Förderung wirklich gezielt zur Lösung ihrer Probleme einzusetzen, anstatt ganz bestimmten Normen entsprechen zu müssen. Dies schaffe oft nur noch mehr Probleme.


Beschaffung / Vergaberecht

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Mehr Zeit für Schule

Behörden Spiegel / Mai 2021

► Entscheidungen zum Vergaberecht

So funktioniert digitale Schule (BS/Jennifer Jentschke/Florian Klasen) Theorie ist wichtig für die Planung, die Umsetzung in die Praxis schließlich die Kür. Das gilt insbesondere, wenn es sich um komplexe Projektreihen wie die Digitalisierung von Bildungseinrichtungen handelt. Ein kommunaler IT-Anbieter hat gemeinsam mit Spezialisten eine Komplettlösung entwickelt, die mit digitaler, intuitiver Ausrichtung für die Praxis das Thema digitale Schule umsetzt.

Eine Rundum-sorglos-Lösung für die digitale Schule basierend auf vier Modulen in einem auf zehn Punkte aufbauenden Prozess. Fotos: BS/rku.it

In der Webinar-Reihe “Wie wird Schule digital – aus der Praxis für die Praxis” vermitteln ab Ende Mai drei Webinare von je 180 Minuten Hintergründe und Praxiswissen. Hierbei gilt es, neben der Nennung von Fördermaßnahmen auch deren Generierung ebenso zu berücksichtigen wie das Aufzeigen von medienbruchfreien Lernmöglichkeiten oder die erfolgreiche Integration von digitalen Lerntools über alle Klassen und Altersstufen hinweg. Der Praxisteil stellt in jedem der drei Seminare einen spezifischen Baustein dar, der den Teilnehmerinnen und Teilnehmern verdeutlicht, wie die Umsetzung genau erfolgen kann. Die Inhalte wurden gemeinsam mit Spezialisten wie Reinhold Harnisch von FutureControlX1 entwickelt. Das Ziel ist es, mit den drei Webinaren die grundlegenden Schritte darzustellen, um die Digitalisierung von Schulen vor Ort umzusetzen. Die zentralen Praxisinhalte beziehen sich auf den Medienentwicklungsplan (MEP), der die Grundlage für die Fördermöglichkeiten darstellt. Hier kommt es insbesondere auf die Durchführung an, die mit einem digitalen Tool zeitsparend und intuitiv in wenigen Stunden durchgeführt werden kann. Dazu kommen wichtige und entscheidende Hinweise zum Thema DigitalPakt, um den sich die gesamte Förderung

Digitalisierung in Schulen in der Praxis ganzheitlich, nachhaltig, kurzfristig und sicher Florian Klasen ist Projekt- und Teamleiter “Digitalisierung umzusetzen. So und Innovation” bei der rku.it. basieren auch die für die Praxis konzipierten Module für Bildungseinrichtungen auf bereits bestehenden und bewährten Lösungen aus dem Bereich IT. Damit Jennifer Jentschke arbeitet die Praxis auch in dort als Innovationsmanaalle Lösungsangegerin. bote vorab integriert ist, bietet die Komplettlösung “Digitale Schule” rku.it-Kompetenz von Spezialisten. Damit präsentiert dreht und der leider nur noch bis im Portfolio der rku.it die “Digitale 2021 die Möglichkeit bietet, das Schule” eine Gesamtlösung für Gesamtprojekt zu refinanzieren. die nachhaltige BildungslandWeitere Praxisthemen sind das schaft mit smarten, an der Pramedienbruchfreie Lernen als Er- xis ausgerichteten pädagogischen folgsfaktor und das Thema Daten- und technischen Modulen. Hier sicherheit in allen Belangen. Im kommt zuerst die Beratung mit dritten Webinar werden abschlie- einer Bestandsaufnahme und dem ßend digitale Tools vorgestellt, die entscheidenden digital angeboteverdeutlichen, wie erfolgreich di- nen Medienentwicklungsplan. Das gitales Lernen im Klassenzimmer Modul Fördermittel bezieht sich neben der Erstellung des Bedarfsaussehen kann. Wie die gesamte Webinar-Rei- plans insbesondere auf die Evaluhe zum Thema zeigt, gilt es, die ierung des Vergabeverfahrens von Fördermitteln. Das Thema Schulung schärft das IT-Verständnis und das gesamte Spektrum der digitalen Medien im Unterricht bis hin zu den zertifizierten Bereichen Datenschutz und Datensicherheit. Das vierte Modul IT umfasst die Unterstützerleistung bei der Auswahl von passender Hard- und Software sowie die Wartung und die System- und Netzwerkadministration der digitalen Schule, · Submissionen sodass die Anwendung zuverlässig und sicher im täglichen digitalen Unterricht zur Verfügung steht. Zusammengefasst sind es vier smarte Module: Beratung, Fördermittel, Schulung und IT. Sie gemeinsam bieten in einem auf zehn Punkten aufbauenden Prozess eine aufeinander abgestimmte und aufbauende Rundum-sorglosLösung für alle Entscheidenden bei der Einführung der digitalen Schule unter dem Motto: ganzheitlich – sicher – nachhaltig – intuitiv. Daran ausgerichtet orientiert sich schließlich das auf die Praxis ausgelegte Webinar-Angebot: • 26. Mai 2021, Webinar: Das Schulsystem in Deutschland, • 31. Mai 2021, Webinar: ITAnforderungen an die Schule von heute, • 2. Juni 2021, Digitale Medien in den Unterricht integrieren.

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen

► BIETERFRAGE

Irreführende Antwort Missverständnis verstärkt statt beseitigt Die Objektleitung für die Ausführung von Gebäudereinigungsleistungen kann entweder von einem kaufmännischen Angestellten oder von einem Vorarbeiter übernommen werden. Das hat weitreichende Auswirkungen: Für den Vorarbeiter ist der Rahmentarifvertrag anwendbar, für einen Angestellten ist er dies nicht. Nun würde man davon ausgehen, dass ein angestellter Objektleiter sicherlich mehr verdient als ein Vorarbeiter. Dem ist aber nicht immer so. Dies war einem Auftraggeber offenbar nicht bewusst, als er die Frage eines Bieters zu beantworten hatte, ob für den Objektleiter der “Tariflohn” mit oder ohne Lohnnebenkosten einzutragen sei. Die Antwort lautete: Einzutragen ist der “Tariflohn” zzgl. Nebenkosten. Diese Antwort erhielt nur der Fragesteller, die anderen Bieter nicht. Der Fragesteller kalkulierte daher auch für seinen angestellten Objektleier mit dem Tariflohn. Ein Konkurrent, der die Antwort nicht erhalten hatte, wollte seinen angestellten Objektleiter schlechter bezahlen und sollte den Zuschlag erhalten. Das OLG Frankfurt hingegen kommt zu dem Schluss, dass in diesem Verfahren ein Zuschlag nicht möglich ist. Die Antwort des Auftraggebers hatte nämlich das Missverständnis nicht ausgeräumt, sondern ausschließlich den Fragesteller in seiner Fehlannahme noch bestärkt. Im Ergebnis waren so keine vergleichbaren Angebote möglich. OLG Frankfur a. M.t (Beschl. v. 24.11.2020, Az.: 11 Verg 12/20)

► VERFEHLUNG

Ausschluss nicht ­zwingend Die Prognose entscheidet Vor elf Jahren hatte die Muttergesellschaft eines Bieters für den Betrieb eines kommunalen Stromnetzes mit mehreren anderen Kommunen Verträge geschlossen, die später von der Landesenergiekartellbehörde beanstandet worden waren. Ein Kartellverfahren gegen die Muttergesellschaft wurde weniger als drei Jahre vor der aktuellen Ausschreibung eingestellt. Die meisten der beanstandeten Verträge waren inzwischen weisungsgemäß beendet worden, der Übergewinn an die Staatskasse abgeführt. Gegen den geplanten Zuschlag an diesen Bieter wendet sich ein Konkurrent unter anderem mit dem Argument, der Bieter hätte wegen des noch nicht lange genug zurückliegenden Abschlusses des Kartellverfahrens ausgeschlossen werden müssen. Das Verfahren habe einen schweren Wettbewerbsverstoß belegt. Ein Ausschluss ist nicht zwingend. Die Drei-Jahres-Frist bezeichnet die Höchstdauer der Vergabesperre. Der Auftraggeber darf und muss aber im Einzelfall eine Prognose erstellen, ob die erwiesene Verfehlung noch für den künftigen Auftrag von Bedeutung ist. Im konkreten Fall war es nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber in Ansehung der lange zurückliegenden Zeit des rechtswidrigen Vertragsschlusses und der Einstellung des Kartellverfahrens nur gegen Auflagen, aber

ohne Bußgeld, die Verfehlung nicht als besonders gravierend eingeschätzt hat. OLG Karlsruhe (Beschl. v. 16.12.2020, Az.: 15 Verg 4/20)

► ERMESSEN

Tatsachengrundlage fehlt Kein Ausschluss ohne Anhörung In zwei Gymnasien war die Reinigungsfirma R. eingesetzt. Sie erbrachte dort über viele Jahre unbeanstandet die Grund- und teilweise auch die Glasreinigung. Im Jahr 2019 häuften sich Beschwerden über die Grundreinigung, derentwegen der Auftraggeber die Verträge kündigte und neu ausschrieb. R. bewarb sich auf die Neuausschreibung sowohl auf das Los Grund- wie auf das Los Glasreinigung. Nur im Los Glasreinigung wurde R. wegen der früheren Schlechtleistung ausgeschlossen. Das OLG München hebt diesen Ausschluss auf: Es fehlten die Anhörung von R., eine dokumentierte Prognose über die künftige Leistung und die ordnungsgemäße Ermessens­ ausübung. R. hatte nämlich vorgetragen, auf die Beschwerden mit organisatorischen Änderungen reagiert zu haben, um sie für die Zukunft zu vermeiden. Dies habe der Auftraggeber nicht in seine Entscheidung einbezogen. Zudem fehlt in der Vergabeakte jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob denn überhaupt für die Zukunft weitere Mängel zu erwarten seien. Bei der Ermessensausübung habe der Auftraggeber die lange ungestörte Vertragsbeziehung ebenso wenig berücksichtigt wie die Tatsache, dass die Mängel im Wesentlichen bei der Grundreinigung aufgetreten seien. Hier sei die Ermessenausübung sogar in sich widersprüchlich: Im Los Grundreinigung, also dort, wo die Mängel aufgetreten waren, werde R. zugelassen, im mängelfreien Los Glasreinigung erfolgte der Ausschluss. Das OLG stellt klar: Der Auftraggeber muss zunächst R. anhören und kann erst nach erfolgter Anhörung eine erneute Ermessensentscheidung treffen. OLG München (Beschl. v. 29.01.2021, Az.: Verg 11/20)

► KORRUPTION

Vergaben der letzten 20 Jahre Auftraggeber muss offenlegen! Die gefühlte Wahrheit ist nichts wert, egal wie stark das Gefühl ist. Sie bedarf immer der Überprüfung anhand objektiver Daten. Das wusste auch der Inhaber eines Ingenieurbüros, der den Eindruck hatte, dass seit vielen Jahren der immer gleiche Konkurrent die Aufträge einer Stadtverwaltung erhält. Als er erneut ohne für ihn ersichtlichen Grund bei der Ausschreibung für die Tragwerksplanung eines städtischen Gebäudes unterlag, war bei ihm die kritische Grenze erreicht. Nun verlangte er von der Stadt unter Berufung auf das Baden-Württembergische Informationsfreiheitsgesetz (LIFG) Auskunft über alle in den vergangenen 20 Jahren vergebenen Aufträge zur Tragwerksplanung nebst Auftragsvolumen und Auftragnehmer, um sein Gefühl zu überprüfen. Diese Auskunft wollte ihm die Stadt nur eingeschränkt gewähren.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe bestätigt den Auskunftsanspruch. Die vorangegangene Korrespondenz lasse erkennen, dass die angeforderten Daten in der Verwaltung vorlägen. Der Datenschutz stehe dem Auskunftsanspruch nicht entgegen, denn selbst wenn es sich bei den Auftragnehmern um natürliche Personen handeln sollte, so seien die geforderten Angaben nicht dem privaten, sondern nur dem beruflichen Lebensbereich zuzuordnen. Ein Schutz von Geschäftsgeheimnissen steht ebenfalls nicht entgegen, weil die Angabe des Auftragswertes allein keinen Rückschluss auf die Kalkulation zulasse – zumal die Aufträge alle nach HOAI vergeben worden sein müssten, weswegen gar keine nennenswerten Preisunterschiede in den Angeboten bestanden haben könnten. Vielmehr dient das LIFG gerade dem Grundgedanken einer transparenten Verwaltung und der Förderung der sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder, weswegen die Auskunft durch den Zweck des LIFG gedeckt ist. VG Karlsruhe (Beschl. v. 13.08.2020, Az.: 13 K 4994/19)

► MASSTOLERANZEN

Suppentasse passt nicht Auch “falsche” DIN ist zulässig Der Auftraggeber schrieb einen Rahmenvertrag für die Lieferung von Suppentassen aus. Dem LV legte er eine technische Zeichnung bei, aus der die wesentlichen Maße der Tassen hervorgingen. Zugleich erklärte er, die Tassen müssten stapelbar sein. Ein Bieter hat den letzten Satz missverstanden. Er meinte, die neuen Tassen müssten sich gemeinsam mit den vorhandenen stapeln lassen. Deswegen fertigte er seine Muster nicht anhand der Zeichnung, sondern anhand einer von ihm beschafften Bestandstasse des Auftraggebers. Ergebnis: Seine Tasse weicht um etliche Millimeter von den LV-Maßen ab, mehr als die DIN ISO 2768 zulässt, die der Auftraggeber vorausgesetzt hatte. Gegen seinen Ausschluss wehrt sich der Bieter ohne Erfolg. Tatsächlich wollte der Auftraggeber nämlich das Format seiner Tassen umstellen, damit sie künftig nicht nur für Suppe, sondern auch für Salat verwendet werden können. Dass seine Tasse unter Anwendung der für Porzellan einschlägigen DIN 66072 noch in dem Bereich zulässiger Toleranzen gelegen hätte, hilft dem Bieter nicht. Der Auftraggeber darf durchaus auch atypische Normen wie die DIN ISO 2768 für feinmechanische Werkstücke voraussetzen, solange ihre Vorgaben von den Herstellern eingehalten werden können. Dass dies hier der Fall ist, ergibt sich daraus, dass alle Bieter die geringeren Toleranzen der DIN 2768 eingehalten hatten, sogar der Antragssteller – jedenfalls gemessen an der von ihm zum Maßstab genommenen Bestandstasse. VK Bund (Beschl. v. 14.10.2020, Az.: VK 1-78/20)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Personelles

Behörden Spiegel / Mai 2021

Seite 11

Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt

Referat 01 Ministerbüro, Kabinetts-, Landtagsangelegenheiten Bundestags-, Bundesrats- und Europaratsangelegenheiten ORR‘in Melanie Schulz

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Stand: Mai 2021

Ministerium für Inneres und Sport Halberstädter Str. 2/am Platz des 17. Juni 39112 Magdeburg Telefon: 0391 / 567-01 Telefax: 0391 / 567-52 90 poststelle@mi.sachsen-anhalt.de

Minister Michael Richter

-55 03 Referat 03 Hauptamtliche Gleichstellungs­ beauftragte

Foto: BS/© MI LSA

RD‘in Claudia Morris

Staatssekretärin Anne Poggemann

Referat 02 Presse und Öffentlichkeitsarbeit Ang Danilo Weiser

Referat 04 Zentrale Beschwerdestelle, Korruptionsprävention

-55 04

MR Stefan Damke1  0391/5075571

Abteilung 1 Zentrale Angelegenheiten und Personalmanagement

Abteilung 2 Öffentliche Sicherheit und Ordnung

Abteilung 3 Kommunal- und Hoheitsangelegenheiten, Migration und Sport

Ang‘e Dr. Beate Bettecken

-51 01

MDgt‘in Christiane Bergmann

Vertr.: LMR Rolf Bock

-51 60

Vertr.: MR‘in Brigitte Scherber-Schmidt -52 01

Referat 11 Organisation, Zentrale Dienste MR‘in Regina Stolle

-51 12

RD Dr. Rene Seidel

-51 62

-52 85

-51 60

LdsPD Karl Albert Grewe

-53 22

-54 04

-55 71

-54 01

Vertr.: MR Volker Harms

-53 23

MR‘in Cordula Karbus

MR Rolf Mietzner

-52 11

-53 09

Referat 33 Statistik, Meldewesen, EU-Recht im kommunalen Bereich

MR Lutz Georg Berkling

-52 71

Referat 25 Personalangelegenheiten, Aus- und Fortbildung sowie Dienstrecht der Polizei, Polizeiärztlicher Dienst -52 83

Referat 26 Strategie und neue Steuerungsmodelle, EU/Internationale polizeiliche Zusammenarbeit, Medienarbeit LMR Andreas Schomaker

-53 23

Hauptschwerbehindertenvertretung beim MI LSA (ohne Polizei)

-22 26

Hauptpersonalrat der Polizei beim MI LSA

-52 46

Personalrat des MI LSA (ohne Abt. 4)

-51 11

Hauptschwerbehindertenvertretung der Polizei beim MI LSA 0391/2501218

Personalrat des MI LSA (Abt. 4)

-59 05

Schwerbehindertenvertretung des MI LSA

-54 84

-39 01

Referat 41 Grundsatz, Geheimschutz, Querschnittsaufgaben

Referat 42 Auswertung und Beschaffung, Rechtsextremismus/-terrorismus

Referat 43 Auswertung und Beschaffung, Linksund Ausländerextremismus/-terrorismus, Islamismus/Islamistischer Terrorismus

Referat 44 Extremismusprävention, Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz

Referat 45 Observation und Ermittlungen, G10Stelle, Mitwirkende Behörde

Referat 36 Sport MR Jochen Bleckmann

-54 60

1) m.d.W.d.G.b.

Behördlicher Datenschutzbeauftragter Dr. Joachim Wilkens

Hauptpersonalrat beim MI LSA (ohne Polizei) -51 70

-53 32

-53 85

Interessenvertretungen:

MDgt Jochen Hollmann

Referat 35 Erstaufnahme, Unterbringung, Rückführung MR Volker Harms

LRD Udo Bolsmann

-53 20

Referat 34 Ausländerrecht, Staatsangehörigkeit, Personenstandswesen, Integration MR Johannes Wiedemeyer

Referat 24 Brand- und Katastrophenschutz, Zivile Verteidigung, Militärische Angelegenheiten, Rettungswesen

Abteilung 4 Verfassungsschutz

-53 10

Referat 32 Kommunalfinanzen und kommunale Wirtschaft

MR‘in Katrin Stöver Referat 23 Polizei – Führung, Einsatz, Kriminalitätsbekämpfung, Verkehr

Referat 16 Digitale Verwaltung, Informationstechnik MR Jörg Rudowski

Projektgruppe Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder

MR Dr. Bert Spadinger

Referat 15 Verwaltungsrecht, Datenschutz, Informationsfreiheit, Archiv- und Stiftungswesen MR Dr. Joachim Wilkens

-52 01

Referat 22 Organisation/Ressourcenmanagement und IKT der Polizei

Referat 14 Organisation der Landesverwaltung, E Government-Recht MR Ulf Radler

MR‘in Brigitte Scherber-Schmidt 

MDgt‘in Christa Dieckmann

Referat 31 Allgemeines Kommunalrecht, Wahlen

-51 46

Referat 13 Haushalt LMR Rolf Bock

-52 00

Referat 21 Recht der Gefahrenabwehr

Referat 12 Personalmanagement, Personalentwicklung MR‘in Kathrin Schneeberg

-55 35

-54 04

Informationssicherheitsbeauftragte (ISB) des Ministeriums für Inneres und Sport (ohne Polizei) Andrea Heinecke 0391/5075573 Extremismusbeauftragter des Ministeriums für Inneres und Sport Stefan Damke 0391/5075571

Zentrale Beschwerdestelle, Korruptionsprävention Liebknechtstr. 65 39110 Magdeburg 0391 / 5075570 Telefax: 0391 / 5075579

Abteilung 4: Nachtweide 82 39124 Magdeburg 0391 / 5673900 Telefax: 0391 / 5673999


Diplomaten Spiegel

Seite 12

D

ort wird vor 66 Jahren Ahmed Latheef geboren, heu­ te Botschafter der Malediven in Deutschland. 40 Jahre ist der sportlich wirkende Mann im di­ plomatischen Dienst, den er 1983 im maledivischen Außenministe­ rium antritt, sich vor allem um die Südasiatische Wirtschaftsge­ meinschaft SAARC (South Asian Association for Regional Coope­ ration) kümmert, dann mit den auswärtigen Beziehungen seines Landes beschäftigt ist und zwi­ schen 2004 – 2007 den Aufbau einer ständigen maledivischen Vertretung in New Dehli (Indien) bewerkstelligt, bevor er im sel­ ben Jahr in Beijing (China) und, nach Stationen im heimischen Außenamt, 2019 Botschafter in Berlin wird.

Behörden Spiegel / Mai 2021

Sonne, Meer, Licht und Schatten Ein Gespräch mit dem maledivischen Botschafter Ahmed Latheef in Berlin (BS/ps) Die Malediven sind eine Inselkette und heißen deshalb so. Ihr Name kommt von “Mala”, einer Gebetskette, mit vielen einzelnen Perlen. Nomen est omen – die “Malediven” bestehen aus 19 Inselgruppen mit 1.196 Atollen, die im Indischen Ozean, südwestlich von Indien und Sri Lanka liegen. 220 der “Perlen” sind bewohnt, ragen rund einen Meter aus dem Meer und sind mit 298 Quadratkilometer so groß wie Leipzig. Allerdings hat jenes 605.407 Einwohner, während der ganze Staat 531.000 Einwohner hat, wovon die meisten,153.379, in der Hauptstadt Malé leben.

Vor über 30 Jahren in Berlin “Als unsere Botschaft 2016 von Brüssel nach Berlin “übersiedelt”, werden die herzlichen Beziehun­ gen zwischen unseren Ländern weiter ausgebaut”, konstatiert Botschafter Latheef zufrieden. “Ich war vor einigen Jahren schon einmal in Deutschland und beim Mauerfall 1989 sogar in Berlin. Seither hat sich das Land enorm entwickelt. Während meines jet­ zigen, etwas mehr als zweijäh­ rigen Aufenthalts kann ich die Herausforderungen wertschätzen, vor denen dieser Staat damals politisch, wirtschaftlich und sozial gestanden hat. Ich verstehe nun auch die komplexen Probleme bes­ ser, die Deutschland als führende Nation in Europa und der Welt angehen muss. Es ist auch eine historisch äußerst interessante Zeit, in der es zunehmend mit neuen hoheitlichen oder sozialen Situationen und gesellschaftlichen Fragen und Aufgaben konfrontiert wird und verbindliche, ausgewo­ gene Lösungen findet. Überdies dürften auch die bevorstehenden Land- und Bundestagswahlen für seine Zukunft von entscheidender Bedeutung sein.”

Herzliche Beziehungen Im fast 8.000 km fernen Insel­ staat zweifelt niemand daran, dass wir das, so wie in den 55 Jahren unserer bilateralen diplomati­ schen Beziehungen auch, schaf­ fen. “Seit damals pflegen unsere Länder enge und beste Kontakte, teilen ähnliche Ansichten und Interessen zu internationalen The­ men, wie etwa zum Klimawandel. Deutschland spielt eine entschei­ dende Rolle bei der Entwicklung der Malediven, insbesondere bei

“In jüngster Zeit wurden unse­ re Investitionsgesetze novelliert, um es Ausländern zu ermögli­ chen, Eigentum zu erwerben und langfristige Visa zu be­ kommen. Diese Änderungen machen Investitionen auf den Malediven einfacher, profitabler und ebnen den Weg für einen besseren Lebensunterhalt der Einheimischen, wodurch sie die Möglichkeit erhalten, bessere Einnahmen für lokale Unter­ nehmen zu erzielen. Ferner ist es unser Ziel, mehr für die Aus­ bildung der Jugend zu tun, die demokratische Werte zu wahren und weiterhin aktiv an inter­ nationalen Klimaschutzmaß­ nahmen teilzunehmen, hoffend, dass wir weltweit eine positive Veränderung bewirken können.” Wie weit der gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Auf­ schwung geht, wird sich noch weisen, denn Corona verschont auch die Malediven nicht.

Corona auf den Malediven

Repräsentiert die Republik der Malediven in Deutschland: Botschafter Ahmed Latheef.

Botschafters Rezept Kulhi Boakibaa (scharfer herzhafter Kuchen zum Tee)

Zutaten: 3 Tassen geräucherter Thunfisch, gewürfelt oder in Scheiben geschnitten bzw. 3 Dosen Thunfischstücke, 1 Tasse Kokosnuss – abgekratzt / gerieben, 1 Tassen Reis – über Nacht eingeweicht und grob gemahlen, 2 Dorset Naga (chinesischer Paprika / Ghost Chili / Githeyo Mirus) – fein gehackt, 1 Tasse Curryblätter – fein gehackt, 1 Tasse Zwiebel – fein geschnitten, 5 Knoblauchzehen – gepresst / gerieben / sehr fein gehackt, 1 EL Ingwer – gerieben, 1 Tasse Zitronensaft,

der Unterstützung unseres De­ mokratisierungsprozesses und dem sozioökonomischen Fort­ schritt. Es bleibt ein Top-Touris­ musmarkt, für den mittlerweile auch Deutsche arbeiten. Darüber hinaus haben auch die gegen­ seitigen Handelsbeziehungen in den letzten Jahren zugenommen.

Traditionelle Handwerkskunst: “Laajehun”, bei dem Holz in die gewünschte Form gedrechselt und dabei mit verschiedenen Lackschichten verziert wird. Im Bild eine Vase.

1 TL Kurkumapulver, 1 Tasse Wasser, Salz. Zubereitung: Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Curryblätter, Chilis, Zitronensaft, Kurkumapulver und Salz zerdrücken. Fügen Sie den Thunfisch, den Reis, die Kokosnuss und schließlich das Wasser hinzu und mischen Sie eine dicke pastöse Mischung. Auf einer beschichteten Pfanne gleichmäßig verteilen und bei mäßiger Hitze (Gasherd Stufe 4 / 180 °C) backen, bis sie braun wird (ca. 45 Minuten).

Wir exportieren Fischprodukte nach Deutschland, importieren von dort zunehmend mehr Güter und Waren und deutsche Un­ ternehmen investieren bei uns. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir uns weiterhin bilateral und multilateral in Bereichen von beiderseitigem Interesse engagie­ ren”, berichtet Latheef.

Tourismus, mit 30 Prozent des Bruttoinlands-Produkts, der wichtigste Wirtschaftszweig. “Jede davon”, so Latheef, “ist ein voller Erfolg, wie sich z. B. an der großen Zahl internatio­ naler Firmen oder Hotelketten zeigt, die bei uns tätig sind. Das Land bietet potenziellen Unter­ nehmern enorme Investitions­ möglichkeiten, insbesondere für die “blaue Wirtschaft” und die “soziale Förderung”. Erstere sind Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur und Entwicklung neuer, besserer Technologien,

Fotos: BS/ Botschaft der Republik Malediven

wie z. B. Solaranlagen für Er­ neuerbare Energien.” “Bei den sozialen Projekten, dem zweiten Investitionssektor, geht es u. a. um den Bau von Gemein­ dezentren, Schulen, Einrichtun­ gen für Behinderte, Kliniken und Behandlungszentren sowie das Anlegen von Parks für den Um­ weltschutz und vieles mehr. Ich denke, Projekte für erneuerbare Energien und saubere Abfallbe­ wirtschaftung wären daher sehr erfolgversprechend und sind in Kooperation zwischen deutschen und maledivischen Unternehmen bereits in Arbeit”, sagt Latheef.

Klimawandel im Fokus

Die Botschaft hört man wohl, al­ lein so manchem fehlt der Glau­ be, wie lange es dem Archipel im Indischen Ozean, angesichts des globalen Klimawandels, steigender Meeresspiegel und häufiger Überschwemmungen noch “gut” geht? “Der Schutz “Blaue Wirtschaft” und vor dem Klimawandel ist eine “soziale Förderung” der Säulen unserer Politik, die mit Erfolg große Anstrengungen Die meisten Investitionen für den Übergang zu Erneuerba­ auf den Malediven erfolgen im ren Energien unternimmt, ein schrittweises Verbot von EinwegKunststoffprodukten eingeleitet hat und an einer sicheren und nachhaltigen Abfallbewirtschaf­ tung arbeitet.” “Präsident Ibrahim Mohamed Solih hat in diesem Zusam­ menhang ein ehrgeiziges Ver­ sprechen gegeben, nämlich bis 2030 eine Netto-null-Emission zu erreichen. Obwohl dies nicht leicht ist, sind wir zuversichtlich, dieses Ziel zusammen mit der Unterstützung der internationa­ len Gemeinschaft, insbesondere mithilfe auch unserer deutschen Freunde, zu erreichen. Ich sehe die Zukunft der Malediven als sehr strahlend und vielverspre­ chend an. Im Jahr 2011 haben wir den Status eines WEL hin­ ter uns gelassen. (Anmerkung der Redaktion: WEL – Wenig Entwickeltes Land, ein von den Vereinten Nationen definierter sozialökonomischer Status für 46 besonders arme Länder, die auch als Vierte Welt bezeichnet werden). Dies ist eine Anerken­ nung der Fortschritte meines Landes und wir sind stolz, nun Die Malediven und Deutschland pflegen seit Langem “enge und beste Kontak- ein Land mit gehobenem mittle­ te”, meint der Botschafter. Nicht nur wegen des Tourismus, sondern auch beim rem Einkommen zu sein”, ist der Klimawandel. Botschafter überzeugt.

“Wir hatten Covid-19 zunächst unter Kontrolle, erleben jedoch mit den Mutationen eine wei­ tere Krankheitswelle, sodass der Lock- und Shutdown lan­ desweit verlängert wurde. Die Impfaktion der Bevölkerung begann bei uns am 1. Februar 2021 für alle Menschen über 20 Jahre. Um die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie abzuschwächen, versucht die Regierung in Malé, die Wirt­ schaft zu diversifizieren, also weitere Zweige neben dem Tou­ rismus zu entwickeln, wie z. B. mit einer nachhaltigen Fischerei und Agrarindustrie. Urlauber dürfen nur mit aktuellen ne­ gativen (PCR-)Corona-Tests einreisen. Das erschien uns vertretbar, denn die Malediven sind der perfekte Ort für Isolati­ on. Durch unser OROI-Konzept (One-Resort-One-Island) bleiben die Inseln eines der sichersten Reiseziele. Seit Mitte Juli 2020 unsere Grenzen wieder offen sind, haben wir mit 555.494 Touristen bis Ende des Jahres einen stetigen Anstieg verzeich­ net. 2021 trifft das mit bislang 200.000 Gästen wiederum zu. Was sicher auch daran liegt, dass die paradiesischen Eilande auch in Deutschland sehr beliebt sind. Ich habe jedenfalls noch niemanden getroffen, der uns nicht kennt”, sagt Latheef mit ei­ nem Lächeln. Die Malediven, die­ se “schwimmenden Träume” (frei nach Theodor Storm), mit ihrem konstant warmen, tropischen Klima, den Palmen, Lagunen und langen Stränden, sind ein Ort, in den man sich verlieben “muss”. Trotz aller Schatten, die zum Licht gehören. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ruhestand genießen Die von Ahmed Latheef zeigt, dass er bei “seinen Leisten” ge­ blieben ist und daher nie mit jemanden tauschen mochte. Und das ist, wie er findet, auch gut so. “Ich habe eine wundervolle Familie, eine liebevolle und für­ sorgliche Frau, die mich immer unterstützt und mit mir durch dick und dünn gegangen ist, zwei großartige Kinder, die mich verehren und denen es gut geht, und vier fröhliche Enkelkinder, die wir wie alle Großeltern ver­ wöhnen dürfen. Zudem habe ich auch eine erfolgreiche Karriere gehabt und während meiner langen Zeit im Auslandsdienst viel erreicht. Als Sportler habe ich mich auf nationaler Ebene hervorgetan und bin stolz da­ rauf, den Ehrenpreis für meine Rolle als Sportler und meinen Beitrag zum Tischtennissport im letzten Jahr vom Präsidenten der Malediven erhalten zu haben. Ich kann mich jetzt auf die nächs­ te Lebensphase nach meiner Amtszeit freuen und möchte den Ruhestand damit verbringen, meine Zeit meiner Familie zu widmen und ein ruhiges Leben zu führen.”


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Mai 2021

Bürgermeister von Übergriffen betroffen Neues Internetportal soll für Prävention, Hilfestellung für Betroffene und Vernetzung sorgen (BS/Matthias Lorenz) “Sie sind nicht allein” ist die Botschaft, die im Mittelpunkt stand, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Schirmherr des Projekts das neue Internetportal “Stark im Amt – Portal für Kommunalpolitik gegen Hass und Gewalt” freischaltete. Es soll Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Landrätinnen und Landräten, aber auch Personen aus deren Umfeld Hilfe bieten, wenn sie von Beleidigung, Bedrohung und Gewalt betroffen sind. Darüber hinaus leistet das Portal, welches auf Initiative der Körber-Stiftung zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden ins Leben gerufen wurde, Präventionsarbeit und trägt zur Vernetzung unter den Kommunalpolitikern bei.

D

ass Handlungsbedarf besteht, zeigen mehrere aktuelle Umfragen. So gaben in einer repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der KörberStiftung 57 Prozent der 1.641 befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an, dass sie oder Personen aus ihrem privaten Umfeld aufgrund ihrer Tätigkeit schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen wurden. Dieser Wert lag bei einer Umfrage des Magazins “Kommunal” für die ARD-Sendung “Report München” mit 72 Prozent sogar noch mal deutlich höher. Laut der Kommunal-Umfrage lag dieser Wert vor einem Jahr noch bei 64 Prozent. Aus beiden Umfragen lässt sich ablesen, dass die Werte höher liegen, je größer die Kommune ist, in der die Bürgermeister tätig sind. Des Weiteren kommt die Erhebung zu dem Ergebnis, dass 39 Prozent aller Bürgermeister schon einmal durch E-Mails, Briefe oder Faxe und 35 Prozent in Sozialen Netzwerken beleidigt oder bedroht wurden. Ebenfalls 35 Prozent hätten demnach in direkter Begegnung Beleidigung oder Bedrohung erfahren. Von Sachbeschädigung betroffen waren bereits sieben Prozent. Schon einmal körperlich bedrängt wurden fünf Prozent. Darüber hinaus gaben in der Umfrage 14 Prozent aller Befragten an, dass auch ihre Familie oder andere Personen aus dem privaten Umfeld bereits von Beleidigung, Bedrohung oder körperlicher Gewalt, die in Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Bürgermeister steht, betroffen waren. Auf der virtuellen Veranstaltung zur Freischaltung des Portals berichteten zwei Kommunalpolitiker eindrücklich von ihren

Freischaltung von “Stark im Amt”. Von links: Tatjana König, Vorständin Körber-Stiftung, Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetags, Elke Büdenbender und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, Ralph Spiegler, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes

Erlebnissen mit Hass und Bedrohung. Burkhard Jung, Leipzigs Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetags, sagt, für ihn habe der Tabubruch 2015 begonnen, als wegen der Flucht vieler Menschen nach Deutschland der Hass zutage getreten sei. Ein für ihn unvergesslicher Moment sei gewesen, als ein Galgen an einem Container auftauchte, zusammen mit der Botschaft: “Jung, verrecke!”. “Da war für mich klar, jetzt geht‘s ums Ganze, jetzt müssen wir uns wehren.” Die Bürgermeisterin von Zossen, Wiebke Schwarzweller, erzählt von starken Anfeindungen im Wahlkampf, unter anderem, weil ihr Lebensgefährte türkischstämmig sei. “Man braucht ein gutes Nervenkostüm und ein starkes

Foto: BS/David Ausserhofer, Körber-Stiftung

Umfeld”, so Schwarzweller. Darüber hinaus zeigt die forsa-Umfrage, dass die Sorge vor Übergriffen sogar Einfluss auf das politische Agieren der Bürgermeister haben kann. Lediglich 32 Prozent gaben an, ihr Verhalten nicht geändert zu haben. 38 Prozent aller Bürgermeister sagten, sie seien gegenüber ihrer Umgebung vorsichtiger oder misstrauischer. 37 Prozent verzichten weitestgehend auf die Nutzung von Sozialen Medien. 30 Prozent äußern sich seltener zu bestimmten Themen als früher, elf Prozent meiden bestimmte Orte oder Veranstaltungen. Darüber hinaus erklärten 19 Prozent, aus Sorge um ihre Sicherheit und die ihrer Familie schon mal konkret über einen Rückzug aus der

Politik nachgedacht zu haben. Es herrscht Einigkeit, dass diese Zahlen das demokratiegefährdende Potenzial von Übergriffen zeigen. “Wir sehen die langsame Zersetzung demokratischer Strukturen”, warnt Jung. Gerade auf kommunaler Ebene sei der Weg vom Wort zur Tat kurz, wie der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder das Messerattentat auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker zeigten. Diesen Aspekt unterstreicht auch Anna-Lena von Hodenberg, Expertin für digitale Gewalt bei der HateAid gGmbH. “In der Kommune ist man auch auf privater Ebene einfach angreifbar. Es sind leicht Informationen verfügbar, zum Beispiel

die Privatadresse oder die Schule der Kinder.” In diesem Licht fordert Reinhard Sager, Landrat im Kreis Ostholstein und Präsident des Deutschen Landkreistags, die Bürgerinnen und Bürger zu mehr demokratischer Beteiligung auf. “Demokratie lässt sich nicht verordnen, man muss sie leben und immer wieder verteidigen.” Das Portal hilft Kommunalpolitikern nun, mit den Übergriffen besser umgehen zu können. Dazu nennt es zum Beispiel Ansprechpartner, an die sich Betroffene wenden können. Darüber hinaus sind auf dem Portal auch Präventionstipps zu finden. In ihnen geht es unter anderem um die rechtliche Lage, aber auch um den Schutz der Mitarbeitenden oder den Schutz des eigenen Zuhauses. Ein großes Thema ist darüber hinaus der Umgang mit Online-Hetze. Außerdem soll das Portal den Bürgermeistern bei der Vernetzung in diesem Themengebiet behilflich sein. Von Hodenberg hält dieses Angebot unter anderem deshalb für wichtig, weil aus Umfragen hervorgehe, dass viele Politiker “unglaublich resilient” seien. “Sie glauben, Beleidigungen und Bedrohungen gehören zu ihrem Job dazu und dass man diese aushalten muss.” Das Portal zeige den Amtsträgern, dass dem nicht so sei. “Der Hass gefährdet die Grundfeste unserer Demokratie”, so Bundespräsident Steinmeier. Gerade die kommunale Ebene sei durch ihre Bürgernähe Beleidigungen und Bedrohungen besonders exponiert ausgesetzt. Der Start des Portals sei der Beweis, dass die Gesellschaft nicht hilflos sei, wenn es um den Schutz ihrer Bürgermeister gehe. “Wir haben heute ein Versprechen eingelöst: Sie sind nicht allein.”

KNAPP Investitionen für Infrastruktur erleichtern (BS/mj) Finanzielle Entlastung und vereinfachte Verwaltungsabläufe für Kommunen – so lassen sich die Änderungen des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) und des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (EKrG) zusammenfassen. Für Bund (9,5 Mio. Euro) und Länder (2,2 Mio. Euro) entstehen hingegen rund 11,7 Millionen Euro zusätzliche jährliche Haushaltsausgaben. Die Gesetzesänderungen betreffen in erster Linie Bahnübergänge und andere Kreuzungsbauwerke. Momentan werden Investitionen nicht vollständig für Mobilitätsverbesserungen aller sich kreuzenden Wege ausgeschöpft, da es laut Bundesregierung es bisher zu wenig Anreize für kommunale Baulastträger gebe, um gemeinsame Maßnahmen zu planen. Die Neuregelung fördert auch den Ausbau von Radwegen.

Ländliche Wegenetze werden modernisiert (BS/mj) Baden-Württemberg investiert rund 768.000 Euro in den Erhalt und Ausbau von Feldwegen. “Ein modernes ländliches Wegenetz zu unterhalten, ist eine kostspielige Daueraufgabe für die Kommunen” erläutert Peter Hauk, Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, die Investition. Als Naherholungsraum und wichtiges Verkehrsnetz für die Landwirtschaft ist die Instandhaltung ländlicher Wege ein wichtiger struktureller Faktor. “Eine grundlegende Sanierung ist oftmals besser und langfristig auch günstiger, als immer nur zu reparieren”, so Hauk. Im Rahmen des 2018 eingerichteten baden-württembergischen Förderprogramms zur “Nachhaltigen Modernisierung ländlicher Wege” stehen bis Ende 2021 zehn Millionen Euro Fördermittel zur Verfügung.

Zukunft – Stadt und Region

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Die neue Veranstaltungsplattform des Behörden Spiegel


Daten & Fakten

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Stichprobenbefragung zu

T I E B R KURZA n e n u m m in Ko

Behörden Spiegel / Mai 2021

(BS/jf) Rund 14,4 Mio. Menschen haben laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2020 in Deutschland Kurzarbeitergeld bezogen. Auch wenn es in den Kommunalver waltungen nur in einzelnen Fällen zur Kurzarbeit kam, waren in den kommunalen Eigenbetrieben deutlich mehr Menschen betroffen, wie eine Stichprobenbefragung des Behörden Spiegel unter 100 Kommunen zum ersten (April, Mai) und zweiten (November, Dezember) Lockdown im Jahr 2020 zeigt.

KURZARBEIT in Verwaltungen Nein

98

Ja

2

%

%

KURZARBEIT in Eigenbetrieben Nein

60

Ja

40 %

%

Quelle: Behörden Spiegel, eigene Recherche und Berechnungen

Verteilung Betriebe nach Anteil Mitarbeiter/-innen in KURZARBEIT*

Anteil Betriebe nach Auszahlungsdauer Kurzarbeitergeld*

6,6

40 35

in Prozent

9,8

35,9

30 25 20

10

Ein Monat

Zwei Monate

Drei Monate

< 10 Prozent 11−25 Prozent 26−50 Prozent 51−75 Prozent 76−90 Prozent > 91 Prozent *Angaben in Prozent, Werte gerundet

31,1

5 0

14,8

24,3

21,6

18,9

15

8,1

29,5

Vier Monate

*Angaben in Prozent, Werte gerundet Während des ersten (April, Mai) und zweiten (November, Dezember) Lockdowns 2020 machten die Kommunen in unterschiedlicher Dauer von der Kurzarbeit Gebrauch. Quelle: Behörden Spiegel, eigene Recherche und Berechnungen

So heterogen wie die kommunale Landschaft, so unterschiedlich groß war der Anteil der Beschäftigten in den Eigenbetrieben, die in Kurzarbeit gehen mussten.

Quelle: Behörden Spiegel, eigene Recherche und Berechnungen

Personen in KURZARBEIT in ausgesuchten Wirtschaftszweigen 160.000

80.000

156.255

140.000 120.000

60.000

112.441

100.000

50.000

80.000

40.000

60.000

30.000

40.000

35.780

20.000 0

71.802

70.000

März 2020

April 2020

Energieversorgung Wasserversorgung, Abwasser/Abfall

Mai 2020

Juni 2020

August 2020

Grundstücks- und Wohnungswesen Öffentl. Verwalt., Verteidigung, Soz.

Grafiken/Illustration: BS/Karin Vierheller; unter Verwendung von Grafiken von toricheks, stock.adobe.com

3.405 3.091 1.391 1.524

20.000

26.181 17.404 9.639 Juli 2020

6.364

10.000

September 2020

0

Oktober 2020

Erziehung und Unterricht Kunst, Unterhaltung und Erholung

November 2020

Dezember 2020

Januar 2021

Februar 2021

März 2021

April 2021

Quelle: BS/Bundesagentur für Arbeit: "Angezeigte Kurzarbeit − Deutschland"

Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Mai 2021

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Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Sarah Süß, Bürgermeisterin der Gemeinde Steinhagen (Kreis Gütersloh)

Foto: BS/Felix Hüffelmann

Behörden Spiegel: Frau Süß, wie sind Sie zur Politik gekommen und was hat sich seit damals verändert? Süß: So lange ist das noch nicht her. Ich bin erst vor wenigen Jahren zur Kommunalpolitik gekommen und die Geschichte ist auch ein bisschen kurios. Politisch interessiert war ich schon immer. Ich war immer Sozialdemokratin, das liegt einfach an meinen Grundwerten, wobei in meiner Familie niemand politisch aktiv war. Aber so richtig zum Parteieintritt hat es nie gereicht. Bis ich 2015 nach Steinhagen gezogen bin. Hier kannte ich erst mal niemanden. Um ein bisschen mehr ins Gemeindeleben reinzukommen und mehr Menschen kennenzulernen, habe ich mich 2016 aus einer Schnapsidee heraus als Heidekönigin beworben. Eigentlich dachte ich, dass sie mich eh nicht nehmen – da ich nicht von hier stamme. Da habe ich aber falsch gedacht, ich wurde gewählt. Durch das Jahr als Heidekönigin habe ich so viele Menschen kennengelernt und mich mit der Gemeinde so verbunden gefühlt, dass ich mich weiterhin engagieren wollte. Unter den Menschen, die ich kennengelernt habe, waren auch Gemeinderatsdamen und -herren. Nach dem Ende dieser Heideköniginnenamtszeit habe ich einen der SPDRatsherren angesprochen und ihm erzählt, dass ich eigentlich immer mal in die SPD eintreten

Von der Heidekönigin zur Ratsherrin Deutschlands jüngste Bürgermeisterin spricht über Herausforderungen und Chancen (BS) Sarah Süß (SPD) ist eine der jüngsten Bürgermeisterinnen Deutschlands. Wie sie in der Gemeinde Steinhagen (Kreis Gütersloh) Fuß gefasst hat und was es bedeutet, als junge Frau in der Kommunalpolitik tätig zu sein, erzählt sie im Interview mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellte Malin Jacobson. Haus” sind. Der Teil dazwischen ist meiner Meinung nach sehr schlecht abgedeckt. Dabei ist das ein großer Teil der Gesellschaft, für den man eigentlich Politik machen will.

Nach wie vor sind Frauen in der Kommunalpolitik unterrepräsentiert.

wollte, mich aber nie so richtig dazu durchringen konnte. Der hat mich kurzerhand zu den Fraktionssitzungen mitgenommen. Die allererste war sogar eine Haushaltssitzung, also wirklich das Trockenste, was man sich kommunalpolitisch so vorstellen kann und für einen Laien auch erst mal schwer nachzuvollziehen. Aber es hat mich nicht abgeschreckt, ich bin der Partei beigetreten und dann tatsächlich wenige Monate später als sachkundige Bürgerin im Sozialausschuss aktiv geworden. Das war letztendlich erst Ende 2017 / Anfang 2018, von daher hat sich in der Kommunalpolitik seitdem noch nicht so viel geändert.

Behörden Spiegel: Was sind die besonderen Herausforderungen als unter 30-Jährige in der Kommunalpolitik? Süß: Es ist ganz oft so, dass man in einen Raum kommt – im Moment meistens in einen digitalen – und man ist wirklich ganz allein auf weiter Flur. Egal, ob es jetzt Kommunalpolitik im Sinne der politischen Fraktion oder der Ortsvereine ist oder auch bei meinen Amtskolleginnen und -kollegen. Das ist schon problematisch. Ich kenne das von vielen jüngeren Aktiven, beispielsweise aus dem Kreis der Jusos, die das erste Mal in ihrem Ortsverein in eine Sitzung kommen und dann

BS/aitoff, pixabay.com

Behörden Spiegel: Welche Erfahrungen haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen des “Netzwerkes Junge Bürgermeister*innen” in Bezug auf Kooperationen und Austausch mit älteren Amtskolleginnen und Kollegen gemacht?

sitzen da nur ältere Männer. Das schreckt erst mal ab. Es ist zudem oft schwierig für eine junge Person, gerade für eine junge Frau, sich durchzusetzen und so ernst genommen zu werden, wie sie es verdient hätte. Das liegt aber wahrscheinlich auch daran, wie Kommunalpolitik gestrickt ist. Meistens ist es ein sehr zeitraubendes Ehrenamt, bei dem die mittlere Altersstruktur teilweise komplett fehlt. Zum einen gibt es die Jugendorganisationen, also Schüler und Studenten, die sich engagieren. Zum anderen fangen viele dann erst wieder an, sich zu engagieren, wenn die Kinder “aus dem Gröbsten raus oder aus dem

Süß: Was den Austausch angeht, habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Gerade hier in der näheren Umgebung haben wir einen alters- und parteiunabhängig guten Austausch. Ob das überall so ist, kann ich nicht sagen – wünsche ich aber jedem. Es ist gut zu wissen, dass man jemanden – egal ob gerade neu gewählt oder schon länger im Amt – einfach mal ansprechen und Fragen stellen kann. Anders bei der neuen Zusammensetzung unseres Gemeinderates. Hier hat die Verjüngung des Rates nach der letzten Wahl etwas Unruhe mit sich gebracht. Nun gilt es, alle Ratsmitglieder zusammenzubringen. Das hängt auch damit

zusammen, dass ich selbst noch neu im Amt bin und mir meine Erfahrungen und mein Standing erst noch erarbeiten muss. Das sehe ich als Herausforderung für mich, aber auch für alle anderen Kommunalpolitikerinnen und -politiker. Jeder muss seine Rolle finden und gerade die Neuen dürfen nicht abgeschreckt, sondern müssen mitgenommen werden. Schließlich sollen sie die Möglichkeit haben, sich und ihre Interessen und Themen einzubringen und motiviert zu verfolgen. Behörden Spiegel: Was würden Sie anderen jungen Menschen raten, wie sie politisch aktiv werden und etwas bewegen können? Süß: Einfach machen ist das Stichwort. Jede und jeder hat unterschiedliche Schwerpunkte, Interessen und Themen. Aber es lohnt sich, sich einzubringen. Man muss kein Multitalent und nicht in allen Fragen aktiv sein. Man kann sich nur für seinen individuellen Schwerpunkt oder für das Thema einsetzen, was einem am Herzen liegt. Das reicht schon. In der Kommunalpolitik und gerade in der Verwaltung ist es manchmal zäh. Dicke Bretter sind zu bohren, vieles geht langsam vonstatten, aber jeder Einsatz zählt. Man muss einfach beginnen, sich zu engagieren.

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D

ienstunfähigkeit (DU) – das kommt bei Beamten doch gar nicht so oft vor, oder? Das größte Risiko ist, das Risiko zu unterschätzen. Tatsächlich wurden 2018 16 Prozent der pensionierten Beamten wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.1 Wie sieht es heute aus? Wird ein Beamter dienstunfähig, sollte sein Einkommen über den Dienstherrn abgesichert sein. Richtig? Nicht ganz. Je nachdem, auf welcher Stufe der Karriereleiter der Beamte steht und wie viele Dienstjahre

Dienstunfähigkeit – sind Beamte über den Dienstherren ausreichend abgesichert? (BS) Der Arbeitsalltag von Beamten ist vielfältig. Das macht die Arbeit interessant, aber auch anstrengend. Und das wiederum erfordert Einsatz. Jeden Tag leisten Beamte sehr viel. Aber denken sie auch genügend an sich selbst? Besonders das Thema Dienstunfähigkeit wird oft vergessen. er bereits geleistet hat, ist er gesetzlich mehr oder weniger abgesichert – oder auch gar nicht. Bei Beamten baut sich die ge-

setzliche Absicherung erst ab einer Verbeamtung auf Lebenszeit sowie einer fünfjährigen Wartefrist langsam auf. Deshalb macht es Sinn, sich privat abzusichern – z. B. mit der Berufs- und Dienstunfähigkeitsversicherung der Allianz Lebensversicherungs-AG. Ein neues, passgenaues Produkt, das eine Einkommensvorsorge mit einer auf den Beamten zugeschnittenen Absicherung im Falle der Dienst-

Foto: BS/Niels Schubert

unfähigkeit bietet. Dazu gehört auch eine “echte” DU-Klausel. Das bedeutet, dass sich die Allianz bei der Leistungsentscheidung für den in den Ruhestand versetzten Beamten an die Entscheidung des Dienstherrn anlehnt. Die Berufs- und Dienstunfähigkeitsversicherung erlaubt es Beamten, alles in einem Vertrag zu regeln. Denn sie leistet bei Berufsunfähigkeit, wenn die Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr ausgeübt werden kann. Zudem ist die Dienstunfähigkeit abgedeckt, also wenn der Dienstherr den Beamten in den Ruhestand versetzt bzw. entlässt.

Die Absicherung ist auch als Zusatzbaustein zu folgenden Altersvorsorgeverträgen der Allianz möglich: zur fondsgebundenen Allianz BasisRente InvestFlex (mit und ohne Garantie) und zur fondsgebundenen Allianz StartUp Invest mit reduziertem Startbeitrag. Für die Fondsanlage steht Ihnen eine große Auswahl von qualitätsgeprüften Fonds und ETFs zur Verfügung. Eine Einteilung in zwei Phasen erfolgt hierbei nicht; auch die Höhe der Rente bleibt gleich. Der Abschluss der Versicherung ist für Beamte auf jeder Karrierestufe geeignet – auch wenn sie sich noch im Studium

Quelle: BS/Allianz

oder in der Ausbildung befinden. Zudem bietet diese Versicherung für Beamte die Möglichkeit, die BU-/DU-Rente entsprechend ihrer Lebenssituation zu erhöhen, z. B. wenn sie eine höhere Besoldungsgruppe erreichen, ihre Ernennung zum Beamten auf Probe oder zum Beamten auf Lebenszeit erfolgt, sie heiraten oder Kinder bekommen. Warum also mit der Vorsorge warten? Schließen Sie jetzt die Versorgungslücke – je früher, desto besser. Denn wer viel leistet, darf sich selbst dabei nicht vergessen. Erfahren Sie jetzt mehr über die Berufs- und Dienstunfähigkeitsversicherung der Allianz unter: allianz.de/du

1B undesamt für Statistik, 2018 (https:/www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/12/ PD19_494_742.html) 2 Quelle: 7. Versorgungsbericht der Bundesregierung, 03/2020 (http://www.bmi.bund.de/ SharedDocs/downloads/ DE/publikationen/themen/ oeffentlicher-dienst/siebterversorgungsbericht.pdf?__ blob=publicationFile&v=4) 3 Quelle: Allianz 2019


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Personelles

Behörden Spiegel / Mai 2021


Behörden Spiegel / Mai 2021

Personelles

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Kommunalpolitik / Personelles

Behörden Spiegel / Mai 2021

Kommunikation auf Augenhöhe

fördern eine größere Hingabe zur Aufgabe als ein Befehls– und Gehorsamsstil.

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ch muss gestehen: Als Bürgermeister hatte ich anfangs einen etwas überholten Blickwinkel zu Führungsprozessen. Ich verstand zwar schon damals, dass eine Autorität qua Amt wenig wert ist und dass man nicht autoritär führen muss, um Autorität zu genießen. Ich war der festen Überzeugung, die wertvollste Eigenschaft für eine Führungskraft ist Fachkompetenz. Heute weiß ich, dass sie zwar nicht schadet, aber auch nicht essenziell ist. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich anlässlich der Neubesetzung einer Stelle mit Führungsaufgaben. Ich hatte bereits einen jungen, sehr fachkompetenten Mitarbeiter für diese Aufgabe “ausgeguckt”. Doch dieser lehnte ab, sah sich für diese Stelle ob der großen Verantwortung nicht gewachsen.

Phänomene mit fatalen Auswirkungen Nun, dachte ich, wenn er keine Verantwortung übernehmen will, wird er auch seinem beruflichen Weiterkommen im Wege stehen. Muss das wirklich so sein? Wollen wir engagierten, fachkompetenten Mitarbeitenden nur deshalb keine berufliche Entwicklungschance bieten, weil sie sich

Führungskultur in der öffentlichen Verwaltung

Fähigkeit zum kritisierenden Feedback

(BS/Rolf Hartmann) Viele Prozesse in der öffentlichen Verwaltung sind mittlerweile digitalisiert. Hier muss sich der Öffentliche Dienst nicht vor der Privatwirtschaft verstecken. Wenn es um Führungskultur geht, hinkt die öffentliche Verwaltung leider noch erheblich hinterher. Die Thematik “Führung” wird in der Beamtenwelt überwiegend doch noch sehr traditionell betrachtet und diskutiert. Dies ist wenig verständlich. Das wertvollste Kapital eines Betriebes ist das Personal. Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen für die Privatwirtschaft wie auch für den Öffentlichen Dienst. Ohne die Mitarbeiter/-innen läuft eben nichts. Umso wichtiger ist es, dass Führungsprinzipien in der öffentlichen Verwaltung entstaubt werden.

Professionelle Führungskräfte besitzen die Fähigkeit zu kritisierendem Feedback. Dies muss ein ständiger Prozess sein. Das traditionelle Mitarbeitergespräch (einmal im Jahr) ist nicht ausreichend. Feedback geben soll zur Deeskalation führen und Konflikte lösen. Es geht nicht darum, Schuldige zu suchen bzw. zu sanktionieren. Fragen, die die Vergangenheit betreffen, sind selten zielführend. Besser ist es, wenn die Fragen eine Support-Funktion haben: “Was brauchen Sie, um das Ziel zu erreichen? Was steht Ihnen im Weg?” Es geht ausschließlich um Lösungsorientierung.

nicht in der Lage fühlen, Führungsaufgaben zu übernehmen? Umgekehrt streben bei diesem Verständnis für Führungsaufgaben ungeeignete Bewerber nach Führungspositionen, und zwar eigentlich nur deshalb, weil sie beruflich “voran”kommen wollen. Beide Phänomene haben fatale Auswirkungen. Als Führungskraft braucht man eher Generalisten, die eine Vielzahl von Fähigkeiten mit sich bringen und nicht ausschließlich ein/e Spezialist/in auf einem Gebiet sind. So sind Generalisten insbesondere in der Top-Führungsebene in der Privatwirtschaft vorzufinden.

Menschlichkeit bleibt auf der Strecke Wie sieht die Wirklichkeit im Öffentlichen Dienst aus?

schaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) Rolf Hartmann war von 2004 bis Ende Oktober 2020 Bürentwickelt. Für germeister der Gemeinde die KGSt muss eiBlankenheim. Foto: BS/privat ne Führungskraft vor allem folgende Kompetenzen haben: Ethische Kompetenz, persönliche Kompetenz, strategische Kompetenz, soziAuch heute noch wird in al- ale Kompetenz, Führungskompeler Regel der/die(fachlich) tenz, Personalentwicklungskombeste Sachberarbeiter/-in petenz, Diversitykompetenz und Abteilungsleiter/-in. Gleichwohl digitale Kompetenz. Sobald ein wissen wir, dass im Führungs- Abgleich zwischen diesem Orienbereich weit überwiegend andere tierungsrahmen und dem eigeFaktoren für eine kompetente nen Führungsverständnis erfolgt Rollenwahrnehmung erforderlich ist, bietet sich die Bildung einer sind. Es sind Kompetenzen, die Lenkungsgruppe (z. B. bestehend vorwiegend im sozial-kommuni- aus Orga- und Personalfachkräfkativen Bereich liegen. ten, Personalrat und FührungsNeue Steuerungsmodelle sehen mannschaft). Zunächst hat eine oft die Reduzierung von Fach- Stärken- und Schwächenanalyse bereichen vor, weil man sich zu erfolgen. Die Fragen müssen damit eine höhere Effizienz der lauten: Was lief bei uns in den Aufgabenerfüllung verspricht. letzten Jahren z. B. im HandDas Problem ist, dass damit lungsfeld Personalgewinnung eine zu große Leitungsspanne gut, was lief weniger gut? Darverbunden ist. Die Zahl der un- auf aufbauend sollten ebenfalls terstellten Mitarbeiter/-innen ist wieder pro Handlungsfeld die einfach zu groß, um wirklich eine konkreten Herausforderungen tragfähige Bindung aufzubau- benannt werden, die auf die Peren. Hinzu kommt die Krux des sonalentwicklung zukommen Prinzips der Gesetzesmäßigkeit (demografische Entwicklung, der Verwaltung. Somit muss bei Digitalisierung etc.). der Führung alles dem Einhalten des gesetzlichen Regelwerkes Analogie zum Sport bedingungslos untergeordnet Dann sollte man sich fragen: werden. Das “Sieben gerade Was wollen wir konkret in den sein lassen” und damit auch jeweiligen Handlungsfeldern ein Stück Menschlichkeit bleiben bewirken? Dabei muss die Verauf der Strecke. waltungsspitze den Aufbau einer Eine Verwaltungsspitze wird Führungskultur zum eigenen nur so gut sein können, wie es Prozess machen. das Team ist. Es kommt also Für mich müssen Führungsdarauf an, ob die Mitarbeiter/- kräfte Vertrauen entwickeln innen der Führungskraft folgen können, für sich, aber auch wollen. Das werden sie dann für die ihnen unterstellten tun, wenn diese die Erwartungen Mitarbeiter/-innen. Ein Klima der Mitarbeiter/-innen erfüllen von Misstrauen und Kontrolle kann. verursacht schlechte Gefühle der Mitarbeiter/-innen. Ein fehOrientierungsrahmen für lertolerantes Klima (natürlich Führungskräfte müssen beratungsresistenten Behörden müssen eine Füh- Mitarbeiter/-innen deutlich die rungskultur aufbauen! Einen Grenzen gesetzt werden) wird wertvollen Orientierungsrahmen sich positiv auf die Leistungshat die Kommunale Gemein- fähigkeit und Entwicklung aus-

wirken. Natürlich bedarf es einer professionellen Distanz. Diese ist aber nicht zu verwechseln mit sozialer Kälte. Respekt entsteht jedoch aus wirklichem Interesse und Fürsorge. Es bedarf –wie im Sport – einer positiven Präsenz: “Ich bin bei dir und bleibe so lange, bis wir gemeinsam das Problem gelöst haben.”

Kein Handlungsdruck für Beschäftigte Sehr häufig belastet ein unsäglicher Ressortegoismus die Arbeitsergebnisse der Gesamtorganisation. Schlechte Führungskräfte sehen sich nicht als Mannschaft, sondern belächeln Vorgänge, die in einer anderen Abteilung schiefgegangen sind. Gute Führende kümmern sich um kooperative Strukturen, haben Freude am Erfolg des anderen, am Erfolg des Gesamtkonzerns. Sie beziehen die Mitarbeiter/-innen in die Entscheidungsprozesse ein. Sie setzen auf Transparenz. Sie holen alle Beteiligten “ins Boot” und versorgen alle gleichzeitig mit den relevanten Informationen. Organisationen entwickeln sich über Kommunikationsprozesse, nicht über Organisationsverfügungen. So werden Entscheidungen zumindest nachvollziehbar, auch wenn sie keine Zustimmung finden. Intransparentes Vorgehen macht das Arbeitsklima kälter. Führungspersönlichkeiten versetzen ihre Mitarbeitenden nicht in Handlungsdruck. Sie setzen mehr auf einen längeren Beobachtungszeitraum mit verbindlichen Prioritäten und festen Terminen. Es bleibt stets das Ziel im Blick. Gute Führende schützen ihre Mitarbeitenden vor hyperaktiver Betriebsamkeit und bloßem Aktionismus. Während traditionelle Führungsprinzipien auf Unterordnung und Gehorsam setzen (das starre Beamtenrecht tut seines dazu, Stichwort: Weisung), muss es heute heißen, dass nicht das getan wird, “was ich sage”, sondern “wir das machen, was wir vereinbart haben”. Kommunikationsprozesse auf Augenhöhe

Was ist zu tun? Das starre Beamtenrecht und das öffentliche Tarifrecht bilden leider keine günstigen Rahmenbedingungen für die Umsetzung eines neuen Führungsverständnisses. Hier sind der Gesetzgeber bzw. die Tarifpartner gefragt. Wir brauchen mutige Behördenleiter/-innen, die eine neue Führungskultur etablieren wollen. Moderne Führung kann man lernen. Gerade junge Führungskräfte wünschen sich Fortbildung und Coaching. Wir dürfen nicht die Dinge nur deshalb tun, weil wir sie schon immer so gemacht haben. Führung muss sich neu erfinden und sich neu definieren. Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.) bringt es auf den Punkt: “Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht – sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.”

MELDUNG

Handlungsfreiheit für kommunale Gremien (BS/mj) Brandenburgs Kabinett hat eine Rechtsgrundlage für Hybridsitzungen und vereinfachte Bürgerbegehren kommunaler Gremien konstituiert. Die Änderungen von Kommunalverfassung und Standarderprobungsgesetz sollen die Kommunen fördern. Innenminister Michael Stübgen erklärt: “Kommunen brauchen den Spielraum, um Maßnahmen zum Bürokratieabbau und gegen den demografischen Wandel aktiv zu testen und attraktiv mitzugestalten.”

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. 1 3. B Bürgermeisterkongress ürgermeisterkongress

HEIMAT, DIE STADT

22 22.-23. Juni 2021 Leonardo Le e Hotel, Weimar W

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des

Foto: Matthiass Ecker ckkert

Eröffnungsredner: Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Mai 2021

Urbane Zukunft

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in entscheidender Faktor für urbane Lebensräume ist die Gestaltung von Innenstädten. Schon vor der Pandemie wurde ein “Wegsterben” beobachtet – diese Entwicklung hat sich jetzt sogar noch beschleunigt. Dr. Uwe Brandl, Erster Bürgermeister der Stadt Abensberg und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB): “Eine Revitalisierung der Ortskerne kann man nur schaffen, wenn man Frequenz in den Ortskern bringt. Gerade Dinge des täglichen Bedarfs müssen in den Quartieren angeboten werden.” Das kann seiner Meinung nach aber nicht gelingen, wenn Einzelhändler nur in Verkaufsflächen von mindestens 2.000 m 2 rechneten. Gerade in kleineren Quartieren seien die Grundstücksflächen schon so begrenzt, dass sich oft nur Flächen von 800m 2 ergäben. Die Politik müsse darum auf die “großen Fünf” (Anmerkung der Redaktion: Edeka-Gruppe, Rewe-Gruppe, Schwarz-Gruppe, Aldi-Gesellschaften und DM) zugehen und neue Raumkonzepte erarbeiten, so Brandl in der Auftaktdiskussion “Urbane

Handelsketten machen Druck, Förderprogramme bauen auf (BS/Malin Jacobson) Klimawandel, Energie- und Verkehrswende, der Verlust der Biodiversität, Ressourcenknappheit, die rasanten Entwicklungen bei Einzelhandel und Gastronomie sowie Migration und demografische Entwicklung – all das sind Handlungsfelder, die von Städten und Gemeinden in Angriff genommen werden müssen. Aber wie können zukunftsfähige Lebensräume für Bürgerinnen und Bürger gestaltet werden?

Auftaktdiskussion der Veranstaltungsplattform NeueStadt.org zum Thema “Urbane Zukunft”. V.l.n.r. oben: Dr. Susanne Lottermoser (BMI), Jörn Fieseler (Behörden Spiegel), Olaf Lies (Umweltminister Niedersachsens); v.l.n.r. unten: Dr. Uwe Brandl (DStGB) und Philipp da Cunha (MdL Mecklenburg-Vorpommern) Screenshot: BS/Dach Zukunft” der Veranstaltungs- Susanne Lottermoser, Leiterin plattform NeueStadt.org. der Unterabteilung SW I Bau“Die Handelsketten versuchen, politik und Stadtentwicklung genau die gegenteilige Position des Bundesinnenministeriums. durchzusetzen”, erläutert Dr. Diese Einschätzung kann Philipp

50 Jahre Städtebauförderung Praxisbeispiele zu Handlungsfeldern und Finanzierung (BS/mj) “Der Bund hat ein enormes Interesse daran, dass es den Kommunen gut geht”, erläutert Susanne Lottermoser, Unterabteilungsleiterin für Stadtentwicklung und Wohnen des Bundesinnenministeriums (BMI), in der Auftaktdiskussion “Urbane Zukunft” der Veranstaltungsplattform NeueStadt.org (siehe oben). Aus diesem Grund wurde vor 50 Jahren die Städtebauförderung ins Leben gerufen.

Wer will fleißige Handwerker seh‘n? Der muss in die Kommunen gehen. Stein auf Stein, Stein auf Stein – das Städtchen wird bald fertig sein. BS/anncapictures, pixabay.com

Seit 1971 wurden über 9.000 Maßnahmen gefördert und dafür rund 19 Milliarden Euro vom Bund beigesteuert. An der Finanzierung der Städtebauförderung beteiligen sich Bund, Länder und Gemeinden grundsätzlich zu je einem Drittel. Der kommunale Anteil könne jedoch bei interkommunalen Maßnahmen, historischen Altstädten oder Rückbaumaßnahmen auf bis zu zehn Prozent gesenkt werden.

Gesundschrumpfen und Innenstadt stärken Ein Beispiel hierfür ist die Stadt Altenburg am östlichen Rand des Freistaates Thüringen. Problemfelder waren hier zum einen sinkende Bevölkerungszahlen, die ein “Gesundschrumpfen” mit sich brachten. Zum anderen galt es, den “unwiderruflichen Verlust des baukulturellen Erbes als Haupt­ identität der Stadt Altenburg zu verhindern”, heißt es seitens der Stadt Altenburg. Hierzu gehörten die Bewahrung der Bestandsfassaden und der Ausbau noch nicht sanierter Straßenabschnitte. “Um die Altenburger Altstadt langfristig zu beleben, werden Mischnutzungen in den Gebäuden gefördert.” Priorisierung war ein wichtiges Planungselement, um sowohl “Gesundschrumpfen” als auch die Stärkung der Innenstadt umsetzen zu können. Die Sicherung gefährdeter Gebäude hatte hier besonderen Vorrang, während Straßensanierungen erst mittelbis langfristig umgesetzt wurden. Dabei wurden unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten verschiedener Förderprogramme genutzt: die Städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, der Stadtumbau Ost (sowie das Bund-Länder-

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Programm “Stadtumbau Ost – Programmteil Aufwertung”), der Investitionspakt und das Thüringer Landesprogramm “Strukturwirksame städtebauliche Maßnahmen”. Das Volumen der Bundesfinanzhilfen betrug von 1991 bis 2017 über 25 Millionen Euro. Eine wichtige Lernerfahrung, die im Laufe der Sanierungsarbeiten gemacht wurde, war, Eigentümer und Bürger zu mobilisieren. Im sogenannten Stadtforum Altenburg wurden Ideen und Strategien gebündelt und diskutiert, Veranstaltungsreihen initiiert und Kaufinteressenten für den Erhalt stadtbildprägender Gebäude mobilisiert.

Förderung auch für kleinere Städte Auch kleinere Städte und Gemeinden erhalten Förderungen im Rahmen der Städtebauförderung. Glückstadt im Landkreis Steinburg wurde in diesem Rahmen bis einschließlich 2018 rund eine Millionen Euro an Bundesmitteln zur Verfügung gestellt. Um öffentliche und private Dienstleistungen für die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, gründete Glückstadt mit den Umlandgemeinden die Kooperation “Zukunftskonzept Daseinsvorsorge Glückstadt und Umland”. Der Fokus lag dabei auf Barrierefreiheit im öffentlichen Raum. Organisiert wurden die Planungen und Maßnahmen von einer Lenkungsgruppe, die sich nach Fertigstellung auf eine Stadt-Umland-Kooperation ausweiten soll. Dies gebe die Möglichkeit, bisherige Prozesse zu verstetigen sowie für interkommunale und akteursübergreifende Zusammenarbeiten – auch in den Umlandgemeinden.

da Cunha, MdL MecklenburgVorpommern, bestätigen. Handelsketten würden primär große Geschäfte aufziehen und im Fall von kleineren Ladenflächen in Innenstädten mehrere Wohnhäuser für sich vereinnahmen, um auf die gewünschte Fläche zu kommen. “Wir haben uns in der Vergangenheit ein Stück weit erpressen lassen”, konstatiert Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz. “Die Botschaft war immer: Entweder wir bauen da oder wir gehen aus dem Ort raus.” Dem Einzelhandel müsse aber auch klar sein, führt er weiter aus, dass Innenstädte zum Verweilen einladen müssen und dass es darum mehr brauche als drei Riesengeschäfte. “Kleinteiliger und erlebnisorientierter zu denken, ist eine Chance.”

Ansatzpunkte für Förderung Für vielfältige Innenstädte reicht es aber nicht, Großkonzerne zu beschränken. Das Kleingewerbe muss gestärkt werden, um es in den Innenstädten zu halten und wettbewerbsfähig zu machen. Lottermoser erläutert in diesem Zusammenhang, wie unter dem Stichwort Koproduktion neuartige Projekte und Experimente gefördert werden. Es gehe darum, Gewerbetreibende mit digitalen Firmen zusammenzubringen und so neue Konzepte und Wertschöpfungen zu erhalten. Ein konkretes Beispiel für einen solchen Projektaufruf ist laut Lottermoser die “PostCoronaStadt”, welche 13 Pilotprojekte fördert und auf NeueStadt.org in mehreren Diskussionsrunden thematisiert wird. Ein weiterer Ansatzpunkt für

die Stadtentwicklung ist die Städtebauförderung, welche auch die kommunale Zusammenarbeit fördert. “Ganzheitliches Planen, Entscheiden und Handeln, aber auch Engagement, Initiative und Kreativität der Bürgerinnen und Bürger vor Ort werden durch dieses Förderinstrument zum Ausgangspunkt einer vorausschauenden und bedarfsgerechten Stadtentwicklung”, heißt es anlässlich von 50 Jahren Städtebauförderung (siehe unten) aus dem Bundesinnenministerium (BMI). Lottermoser: “Der Bund unterstützt Kommunen durch rechtliche Rahmenbedingungen und durch finanzielle Unterstützung. Im Rahmen der Städtebauförderung sind das 70 Millionen Euro pro Jahr. Insgesamt sind in dieser Legislaturperiode, unter Berücksichtigung aller Projekte, rund sechs Milliarden Euro in den Städtebau geflossen.” In der Praxis reiche dies aber noch nicht, um die Innenstädte so gestalten zu können, wie es nötig wäre, um zukunftsfähigen Lebensraum zu erzeugen, argumentiert Brandl.


Kommunaler Haushalt

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Behörden Spiegel / Mai 2021

Resiliente öffentliche Daseinsvorsorge

Kommunale Kulturangebote

Kommunen als Treiber zukunftsfähiger Strukturen

Museen – Mehr als eine Frage der Öffnungszeiten

(BS/Dr. Jörg Hopfe*) Eine kommunal betriebene Bäckerei im bayerischen Wolframs-Eschenbach oder ein gemeindeeigener Dorfladen im niedersächsischen Fürstenberg sind sicher Beispiele für eine sehr weitgehende Interpretation kommunalen Handelns. Die Anforderungen und Erwartungen an eine resilient gestaltete öffentliche Daseinsvorsorge sind im Zuge der Corona-Pandemie aber deutlich gestiegen. Und den Kommunen kommt dabei eine wichtige Rolle zu – auch mit einer stärkeren bürgerlichen Partizipation.

von Dr. Ulrich Keilmann

Während vor der Coronakrise der deutschlandweit bestehende kommunale Investitionsrückstand allgemein im Fokus stand, treten verstärkt spezifischere Investitionsbedarfe etwa durch Klimaschutz, Klimafolgenanpassung und Digitalisierung in den Vordergrund. Neben den Investitionserfordernissen im Gebäude-, Straßen- und Kulturbereich hat die Pandemie auf weitere zu beseitigende Defizite in der Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur aufmerksam gemacht. Vor dem Hintergrund zu erwartender Einnahmeausfälle und steigender Ausgaben sehen sich die Kommunen einer multiplen Belastungsprobe gegenüber.

Ansätze ist die unternehmerische und Projektsteuerungskompetenz der Kommune. Ein gelungenes Praxisbeispiel bietet die Gemeinde Neuenrade. Mit ihrem kommunaleigenen MVZ gewann sie den zweiten Platz beim NRW.BANK.Ideenwettbewerb 2019-2020. Neuenrade erhöht mit dem MVZ seine Attraktivität für junge Allgemeinmediziner. Zu deren Vorteilen zählen geringere finanzielle Aufwände für den Berufseinstieg, eine feste Anstellung bei einer kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts, kollegialer Austausch sowie – dank Teilzeitmöglichkeit – eine hohe Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Krise und Chance

Finanzpotenzial der Genossenschaft Dennoch liegen in der Krise auch

Chancen. Denn allen Beteiligten führen die Pandemiefolgen vor Augen: Die öffentliche Infrastruktur und auch Daseinsvorsorge müssen resilienter gestaltet werden. Den Kommunen kommt hierbei eine zentrale Rolle als Motor der Transformation zu. Es gilt, neue Konzepte insbesondere für die öffentliche Daseinsvorsorge anzustoßen – etwa im Bereich der Bildung und der digitalen Lernformen, der Bewältigung des demografischen Wandels oder der medizinischen Versorgung. Um bei letzterem Beispiel zu bleiben: Die hausärztliche Versorgung ist ein wesentlicher Standortfaktor für Kommunen – auch weil immer mehr Menschen aufs Land ziehen. Medizinische Versorgungsstrukturen müssen im ländlichen Raum vielerorts gestärkt werden. Die Digitalisierung eröffnet hierbei völlig neue Möglichkeiten – Stichwort “Telemedizin”.

Medizinische Versorgungszentren Aber auch als Träger medizinischer Versorgungszentren (MVZ) werden ländliche Kommunen immer wichtiger. Als solche stellen sie auch das Personal der MVZ ein – Praxismanager inklusive. Dieser hält die Ärzte von Bürokratie frei und erlaubt ihnen so, noch stärker am Patienten zu arbeiten. Entscheidend für den Erfolg solcher

Auch genossenschaftlich lassen sich Institutionen der kommunalen Daseinsvorsorge betreiben – seien dies MVZ oder zum Beispiel Schwimmbäder. Die beteiligten Bürger bringen dabei nicht nur eine starke Kundenbindung mit. Sie bedeuten auch ein großes Finanzierungspotenzial. Denn die ohnehin großen Ersparnisse vieler Privathaushalte sind während der Krise weiter gestiegen. Genossenschaften bieten dadurch auch dort eine Lösung, wo Förderprogramme noch nicht vorhanden sind. Und der Wunsch der Bürger nach Partizipation ist groß. Das zeigen viele Studien. Kommunen selbst sollten

erst dann unternehmerisch aktiv werden, wenn es unbedingt nötig und kein anderer Akteur in Sicht ist. Vor allem gilt es, Aktivitäten Dritter anzustoßen. Auch hierbei sollten Ämter sich so gut wie möglich vernetzen: raus aus dem Silo-Denken, rein in ämterübergreifende Teamarbeit. Trotz bestehender umfangreicher Vorgaben des Datenschutzes kann es ein intelligentes Datenmanagement erlauben, vorhandenes Wissen ämterübergreifend nutzbar zu machen und Prozesse besser aufeinander abzustimmen. Das Start-up Polyteia und die Hertie School in Berlin haben das 2020 in einer Studie unterstrichen und Handlungsempfehlungen abgeleitet – zum Beispiel die Entwicklung abteilungsübergreifender Datenstrategien. Interkommunal gilt es, verstärkt zu kooperieren. Die Möglichkeiten reichen von Arbeitskreisen über Zweck- und Planungsverbände bis hin zu gemeinsamen Entwicklungsagenturen und Wirtschaftsförderungsgesellschaften. Und wo immer möglich, sollten neben Ämtern auch Bürger, Unternehmen und Investoren an einen Tisch gebracht werden. So können Kommunen Potenziale aktivieren – als Treiber resilienterer Strukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge. *Dr. Jörg Hopfe ist Bereichsleiter Förderberatung & Kundenbetreuung bei der NRW.BANK.

So fördert die NRW.BANK kommunale Infrastrukturinvestitionen Digitalisierung von Schulen und Verwaltung, Innenstädte im Wandel, Klimaschutz und Klimafolgenanpassung, Radwege, Busse und Bahnen – die Kommunen in NRW müssen und wollen auch in der Krise in ihre Infrastrukturen investieren. Die NRW.BANK steht ihnen dabei mit Förderprogrammen für öffentliche und soziale Infrastrukturen in NRW zur Seite – zum Beispiel mit den Programmen NRW.BANK. Kommunal Invest und NRW.BANK.Moderne Schule. Die Darlehen aus beiden Programmen vergibt die Bank aktuell zu einem negativen Zinssatz. Davon können die Kommunen bei der langfristigen Finanzierung von Investitionen profitieren – zum Beispiel in das hochaktuelle Thema der Luftreinhaltung in Innenräumen, aber auch in jedes andere kommunale Infrastrukturthema. Aktuelle Indikationen zu den Förderprogrammen der NRW.BANK sind unter www.nrwbank.de/ konditionen abrufbar.

Die Länder besitzen die Kulturhoheit. Das bedeutet, ihnen steht in diesem Bereich grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz zu. Die meisten der Landesverfassungen enthalten Bestimmungen zur Kultur. Staatszielbestimmungen verpflichten die Länder und die Kommunen, Belange der Kultur bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Aus den grundsätzlich freiwilligen kommunalen Kulturaufgaben werden aber durch die Staatszielbestimmung keine Pflichtaufgaben. Gemessen an den Kulturausgaben sind die Kommunen unter den öffentlichen Anbietern im bundesweiten Maßstab der wichtigste Akteur für Kulturangebote. Im Flächenländervergleich sind indes teilweise deutliche Unterschiede zu erkennen. Der Kommunalisierungsgrad als kommunaler Anteil an den gesamten Landes- und Kommunalausgaben (auf Basis des kameralen Grundmittelkonzepts) betrug 2017 nach dem Kulturfinanzbericht 2020 durchschnittlich 60,7 Prozent. Den niedrigsten Wert hatte das Saarland mit 35,5 Prozent und den höchsten Wert Nordrhein-Westfalen mit 77 Prozent. Hessen hatte mit 67,8 Prozent den zweithöchsten Wert. Bemerkenswert ist die Stabilität der Größe, da im Vergleich zu 2016 der Kommunalisierungsgrad der meisten Flächenländer weitgehend unverändert geblieben ist. Ein hoher Anteil der Kommunen an den Kulturausgaben insgesamt sagt gleichwohl nichts über Regionen oder gar einzelne Kommunen innerhalb eines Landes aus. Es gibt jeweils Kommunen mit (sehr) geringen oder (sehr) hohen Kulturausgaben. Die Spannweite ist hoch. Daneben reicht der Blick ausschließlich auf die Höhe der monetären Kulturförderung nicht aus. Mehr Geld ausgeben führt nicht notwendigerweise zu einem besseren Angebot. Gerade im Kulturbereich geht es um die Qualität und die Wirkung der Angebote. Passenderweise hat die Überörtliche Prüfung sich diesem wichtigen Thema angenommen und in der 220. Vergleichenden

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Prüfung „Kultur“ u.a. die Aufwendungen für die Kulturförderung vergleichend bewertet. Exemplarisch wurde in einer Detailbetrachtung die Wirtschaftlichkeit der Museen von sechs hessischen Städten ab 50.000 Einwohner in den drei Dimensionen: • Jahresöffnungsstunden, • Besucher und • Aufwand je Besucher analysiert und visuell aufbereitet (s. Abbildung 1). Abbildung 1: Jahresöffnungsstunden, Anzahl Besucher und Aufwand je Besucher der Museen der Sonderstatusstädte und der kreisfreien Städte 2018 Der Zusammenhang zwischen Öffnungsstunden und Besucherzahlen liegt auf der Hand. Museen mit längeren Jahresöffnungsstunden wiesen im Vergleich höhere Besucherzahlen auf. Auffällig sind die Kreise oben rechts. Besonders die Grimmwelt und das Naturkundemuseum (beides Kassel) sowie das Museum Schloss Philippsruhe in Hanau hatten die höchsten Besucherzahlen. Und das bei vergleichsweise geringem monetären Aufwand je Besucher. Öffnungszeiten in Verbindung mit einem für potenzielle Kunden „guten Angebot“ sind in Museen ergo eine Stellgröße für die Besucherzahlen. Die Wirtschaftlichkeit einer Einrichtung hängt daneben von der Preisgestaltung ab. Es können drei Möglichkeiten der Preisgestaltung für den Eintritt umgesetzt werden: freier Eintritt, freiwilliges Eintrittsgeld oder festgelegte Eintrittspreise. Gerade die Einführung eines freien Eintritts bedeutet Einnahmeverzicht für die Kommunen, der notfalls an anderer Stelle kompensiert werden muss. Außerdem ist er kein Allheilmittel für die Attraktivitätssteigerung eines Muse-

ums. Sachverständige haben im Fachausschuss für Medien und Kultur im Deutschen Bundestag u.a. die Einführung eines freien Eintritts nur dann positiv bewertet, wenn dies in Verbindung mit anderen museumsspezifischen Maßnahmen zu einer langfristigen Steigerung der Besucherzahlen führt. Insgesamt sollte die Attraktivität eines Museums nicht nur über kostenintensivere längere Jahresöffnungsstunden, sondern auch über neue Konzepte wie zum Beispiel erlebnisorientierte Angebote oder innovative Möglichkeiten des ganzheitlichen Erfassens gesteigert werden. Ebenso kann durch Sonderausstellungen, spezielle Aktionstage oder Events Interesse bei potenziellen Besuchern geweckt werden. All das steht unter einem Vorbehalt: Dem der individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommunen (vgl. etwa § 19 Absatz 1 Hessische Gemeindeordnung). Unsere 220. Vergleichende Prüfung hat im Ergebnis gezeigt, dass attraktive und vielfältige kulturelle Angebote auch mit vergleichsweise geringem Mitteileinsatz möglich sind. Der „lockdown-bedingte“ Kulturentzug könnte – so sicher die Hoffnung einiger – zu einer neuen Museumslust führen. Dazu bedarf es allerdings attraktiver Formate. Sicher ist, dass es unter der angekratzten finanziellen Leistungsfähigkeit mancher Kommunen Museumsangebote künftig nicht leichter haben werden, sich im Wettbewerb mit anderen freiwilligen Leistungen zu behaupten. Lesen Sie mehr zum Thema „Kultur“ im Kommunalbericht 2020, Hessischer Landtag, Drucksache 20/3456 vom 25. September 2020, S. 46 ff. und 228 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Kommunaler Finanzgipfel

31. August – 1. September 2021, GOP Varieté-Theater, Bundesstadt Bonn

Referenten, u. a.: Prof. Dr. Dörte Diemert, Stadtkämmerin, Stadt Köln

Uwe Zimmermann, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer, Deutscher Städte- und Gemeindebund

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln

Christian Peirick, Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch

Fotos: © Stadt Köln (Diemert); © DStGB (Zimmermann)

Je nach Pandemielage wird die Tagung virtuell durchgeführt.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / Mai 2021

Zwischen funktionieren und üben Digitale Planungsmethode BIM befindet sich im Roll-out (BS/Jörn Fieseler) 2030 werden zwischen 80 und 85 Prozent aller Bauausschreibungen auf Basis des Building Information Modellings (BIM) durch­ geführt, so die Schätzung dreier Experten. Aktuell befindet sich die digitale Planungsmethode im Roll-out, nachdem Pilotprojekte durchgeführt, Erfahrungen gesammelt, die Machbarkeit geprüft und Rechtsfragen geklärt wurden. Doch wichtige Aspekte sind noch nicht abschließend geklärt. Im Kreis Viersen gibt es seit 2017 eigens einen BIM-Manager, um die Planungsmethode in der Kreisverwaltung zu etablieren. Als erstes Projekt sollte ein Neubau des Kreisarchives umgesetzt werden. “Wir haben viele Fehler gemacht”, berichtet Jan van der Fels. Doch es habe sich gelohnt. Das Building Information Modelling sei nicht nur eine Planungsmethode, sondern auch eine Datenbank, die sich für die zirkuläre Wertschöpfung nutzen lasse, so der Viersener BIM-Manager – von der Planung über das Bauen, Betreiben und Sanieren bis zum Rückbauen und Wiederverwerten von Baustoffen. Dementsprechend soll es in Viersen auch genutzt werden, um ein Schadstoffkataster einzurichten. “Wir probieren vieles aus und üben noch”, so van der Fels.

Schnittstellenmanagement und Standards “Die Potenziale sind enorm, wenn man den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes mit BIM betrachtet”, ist auch Marcel Kaupmann, Leiter der Referate Digitalisierung und Ingenieurwesen bei der Bundesingenieurkammer, überzeugt. Elementare Grundlage sei einerseits, dass alle das gleiche Verständnis von BIM hätten, von der Planungsphase an. Andererseits brauche es vor allem offene Standards, so Kaupmann. BIM setze mehr denn je auf die Kooperation aller Akteure beim Bau. “Dafür sind viele Schnittstellen nötig, die klar und eindeutig sein müssen.” “Es funktioniert schon sehr viel”, entgegnet Dr. Jan Tulke, Geschäftsführer planen-bauen 4.0 GmbH. Vor allem im Hochbau. Durch das IFT-Datenmodell seien die meisten Strukturen schon abbildbar, dennoch werde an der Weiterentwicklung gearbeitet, um für verschiedene Gewerke weitere Schnittstellen schaffen

zu können. Dabei gehe es nicht nur um die Frage des Dateiformates, sprich um den Standard der Daten, sondern auch um ein integratives System. Daran hätten auch die Softwareentwickler ein Interesse. Schon jetzt gebe es eine Vielzahl von Spezifikationen, sodass die Hersteller gezwungen seien, ihre Modelle und Projekte miteinander abzugleichen und Schnittstellen zu programmieren. Das Schnittstellenmanagement und die Schaffung von Standards werde die Branche aber noch eine Weile beschäftigen. “Auch hier üben wir noch”, gibt van der Fels zu. Zwar nutze der Kreis schon eine breite Produktpalette, das zentrale Tool sei jedoch weiterhin der Datenaustausch via File-Server. “Der dateibasierte Austausch wird uns noch eine Weile erhalten bleiben”, prognostiziert Tulke. Das kann Kaupmann, nur bestätigen. In vielen Büros gebe es zwar das

Orientierung am PCGK Dabei gibt es Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten sowohl verwaltungsintern als auch -extern. Neben der Frage des Ziels und Umfangs des Auftrags an das Beteiligungsmanagement (sog. Verwaltungsperspektive) sind für ein maßgeschneidertes und optimal aufgestelltes Beteiligungsmanagement die Größe und die Komplexität des Beteiligungsportfolios (sog. Portfolioperspektive) für den konkreten Personalbedarf vor Ort von entscheidender Bedeutung. Inzwischen haben sich bundesweit viele Städte und Gebietskörperschaften mit einem sog. PublicCorporate-Governance-Kodex (kurz: PCGK) verpflichtet, eine

BIM in der Nutzungsphase BIM ist jedoch nicht nur in der Planungs- und Bauphase relevant, sondern auch in der Nutzungsphase, um in dieser Phase bessere Informationen zur Verfügung zu haben. Dies sei im Ausland einer der Haupttreiber gewesen, erinnert Tulke. “Die Planungskosten machen nur zwei Prozent der Gesamtkosten eines Bauprojektes aus, sind aber für 90 Prozent der Betriebs-

phase verantwortlich”, erinnert Kaupmann. Entsprechend groß sei das Kosteneinsparpotenzial, wenn alle notwendigen Informationen in einem digitalen Modell vorlägen. Und bei bestehenden Gebäuden? Zwar sei es mit enormem Aufwand verbunden, Bestandsgebäude in BIM-Modellen abzubilden. Allerdings werde schon jetzt bei umfangreichen Umbauten oder Sanierungen BIM genutzt, um digitale Modelle der Gebäude zu erhalten. Auf der anderen Seite gebe es in der Nutzungs- oder Betriebsphase andere Anwendungsfälle, z. B. für das Umzugs- oder Schlüsselmanagement. Für diese bräuchte es kein umfangreiches Planungsmodell, hier würden schon einfache Raummodelle ausreichen. Diese ließen sich schneller erzeugen. Zumal es auch hier bereits Hersteller gebe, die sich darauf spezialisiert hätten.

Die Schule als Wohlfühlort CO2-neutrale Böden für den Klimaschutz (BS) Wer in einer angenehmen Atmosphäre lernt, ist kreativer und leistungsfähiger. Diese Überlegungen standen auch beim Neubau der Grundschule Werlte im niedersächsischen Emsland im Vor­ dergrund.

Ein echter Hingucker: Die mit sechs Farben gestaltete Treppe in der Grundschule Werlte. Foto: BS/nora systems

Bei der Bodengestaltung setzten die Architekten aufgrund der guten Erfahrungen aus vorangegangenen Projekten wieder auf nora Kautschukböden. “Die Beläge haben alle Anforderungen stets bestens erfüllt – sie sind robust, optisch attraktiv, unterstützen eine gute Raumakustik und lassen sich darüber hinaus einfach reinigen”, unterstreicht Ansgar Rensen vom Architekturbüro Hambrock Bauplanung GmbH, der das Bauvorhaben als Projektleiter verantwortet hat. Insgesamt wurde noraplan sentica auf mehr als 3.500 Quadratmetern in acht unterschiedlichen Farbtönen verlegt. Attraktiver Blickfang ist die bunte Treppe, auf welcher der Belag in sechs verschiedenen Farben installiert wurde. Durch ihre Langlebigkeit und den wirtschaftlichen Unterhalt

B

eteiligungsmanagement im öffentlichen Sektor ist eine komplexe und umfangreiche Aufgabe. Die Organisation des Beteiligungsmanagements ist bundesweit sehr unterschiedlich gestaltet. Es werden sowohl Lösungen innerhalb als auch außerhalb der Verwaltung gewählt. Gleichwohl ist die verwaltungsinterne Ansiedlung des Beteiligungsmanagements mit einem zentralen Verwaltungsansatz nach wie vor der ganz typische Lösungsansatz für den kommunalen Bereich. Die Organisation des Beteiligungsmanagements erfolgt in einem Amt, Fachbereich, Referat, einer Abteilung oder Stabsstelle meist im Finanzbereich (evtl. auch im Bereich Oberbürgermeister bzw. Landrat).

Interesse, mit BIM zu arbeiten, doch gerade den kleineren Ingenieurbüros mangele es an geeigneten Projekten. Entsprechend werde es noch einige Zeit dauern, bis es zu vollständigen BIM-Angeboten komme. In den meisten Ingenieurbüros erfolge die Planung immer noch mit den klassischen Instrumenten. Wenn der öffentliche Auftraggeber eine BIM-Planung erlaube, werde diese bislang “on top” hinzugefügt.

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“Lost in Space” Das erste Jahr in der Beteiligungsverwaltung (BS/Lars Scheider) In den letzten Jahren sind die quantitativen und qualitativen Anforderungen an Beteiligungsverwaltung und -management der öffentlichen Hand stark gestiegenen. Dabei birgt insbesondere im Bereich der Beteiligungsverwaltung das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen und Auffassungen ein nicht unerhebliches Potenzial für Konflikte. Die Professionalisierung der Beteiligungsverwaltung hat Auswirkun­ gen innerhalb und außerhalb der Verwaltungsorganisation. kere Bedeutung bekommen. So ist das Quartals-Reporting ein wichtiges Instrument, bei dem die Quartalsabschlüsse der Beteiligungsunternehmen zu einem Gesamt-Quartalsbericht zusammengefasst werden. Der Quartalsbericht orientiert sich idealerweise an den Vorgaben Lars Scheider ist Abteilungsleiter Beteiligungsmanagedes ParagraFen ment der Stadtkämmerei der 90 Aktiengesetz. Stadt Frankfurt am Main. Wesentliche Kenn zahlen sind die Ist-, Foto: BS/privat Plan- und Vorjahreszahlen der GuVPositionen. Dabei haben die Hochrechnungen auf Steuerung am Gemeinwohl der das Jahresergebnis für den AnaBürgerinnen und Bürger orien- lysegehalt als “Blick nach vorn” tieren, wobei der wirtschaftliche für die Unternehmensanalyse Erfolg der Gebietskörperschaft eine besondere Bedeutung. Um als “Konzernmutter” berücksich- diesen Berichte zeitnah und mit ausreichenden Informationen tigt werden soll. des Beteiligungsmanagements Controlling mit “Blick nach den Aufsichtsratsmitgliedern vorn” und dem Gesellschafter rechtBeteiligungsmanager/-innen zeitig zu liefern, bedarf es kluger müssen den Überblick über alle interner Arbeitsprozesse. Dabei Beteiligungsgesellschaften sowie ist insbesondere die Gremienderen gesellschaftsrechtlich und arbeit für das Beteiligungsmabetriebswirtschaftlich relevanten nagement von immer größerer Aspekte haben. Dabei hat das Bedeutung. Beteiligungscontrolling in den Für ihre Tätigkeit in einem letzten Jahren eine immer stär- öffentlichen Unternehmen begute, verantwortungsvolle Unternehmensführung und -kontrolle bei ihren Beteiligungsunternehmen zu sichern. Analog zu den jeweils geltenden Gemeinde- und Kreisordnungen soll sich diese

nötigen Aufsichtsratsmitglieder neben branchenspezifischem Wissen verlässliche Kenntnisse über die rechtlichen Rahmenbedingungen im Spannungsfeld zwischen Gesellschaftsrecht und öffentlichem Auftrag, um Entscheidungen sicher treffen zu können. Die Arbeit in Aufsichtsratsgremien geht mit einer Reihe von Rechten und Pflichten für die individuellen Aufsichtsratsmitglieder und das Gremium insgesamt einher, die sich bei öffentlichen Unternehmen typischerweise aus verschiedenen regulativen Rahmenbedingungen (z. B. Gemeindeordnung, PCGK, GmbH-Gesetz, Aktiengesetz) ableiten. Angesichts des spezifischen Charakters öffentlicher Unternehmen sind die institutionellen und regulativen Rahmenbedingungen dieser Unternehmen an der Schnittstelle zwischen der privatrechtlichen und der öffentlich-rechtlichen Regelungssphäre in der Regel besonders heterogen bzw. komplex.

Komplexe rechtliche ­Anforderungen Auch die Entwicklung der Geschäftsführervergütung in öffentlichen Unternehmen ist ein

zunehmend wichtiger werdender Aspekt. Denn sie ist eines der zentralen Steuerungsinstrumente und somit ein wichtiger Teil der “Good Governance” der öffentlichen Hand. Aber auch wegen der erhöhten Sensibilität der Öffentlichkeit beim Thema “Managergehälter” unterliegen auch die Geschäftsführerbezüge einer verstärkten Beobachtung. In der Praxis ergeben sich bei dem Thema Geschäftsleitung für die öffentliche Hand auch hier aufgrund des klassischen Spannungsfeldes zwischen Ertragsorientierung versus öffentlichem Zweck komplexe

können nora Böden auch im Hinblick auf die Lebenszykluskosten punkten. Die KautschukBeläge sind nicht nur äußerst widerstandfähig und pflegeleicht, sondern müssen auch nicht beschichtet werden – ein großer Vorteil. Ein weiteres Plus: nora Kautschukböden sind CO2neutral, was den Bauherrn auch mit einem Zertifikat bescheinigt wurde. „Wir arbeiten kontinuierlich daran, den CO2-Fußabdruck unserer Produkte immer weiter zu senken“ so Martina Hoock, nora Marktsegment-Spezialistin für das Bildungswesen. Die unvermeidbaren Treibhausgasemissionen werden durch den Erwerb von Emissionsminderungszertifikaten kompensiert, mit denen Klimaschutzprojekte finanziert werden. Weitere Informationen unter www.nora.com.

Anforderungen bezüglich der Themen Auswahl, Anstellung/ Bestellung, Vergütung und Abbestellung von Geschäftsführern. Die Komplexität der rechtlichen Fragestellungen im Beteiligungsmanagement wird insbesondere durch die Auflagen des EU-Beihilfenrechts erhöht. “Verbotene Beihilfe” nach Artikel 107 Abs. 1 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU, besser bekannt als Lissabon-Vertrag) ist jeder Vorteil ohne angemessene Gegenleistung, den das (Beteiligungs-)Unternehmen unter marktüblichen Bedingungen nicht erhalten hätte. Neben den Beteiligungsunternehmen sind Kommunen und die kommunalen Gebietskörperschaften selbst direkt als sog. beihilfengewährende Stelle betroffen, wenn sie staatliche Zuschüsse zuwenden, Bürgschaften oder Darlehen gewähren.

Mehr zum Thema Unter dem Titel “Beteiligungsmanagement für Einsteiger (XXL)” thema­ tisiert der Autor in einem ganztägigen Webinar des Behörden Spiegel am 31. August 2021 die Grundlagen des Beteiligungsmanagements. Damit schließen wir die Lücke zwischen dem zweitätigen Webinar “Instrumente für ein modernes Beteiligungsmanagement” am 18./19. Mai 2021 sowie vom 30. September bis 1. Oktober 2021 und den eintägigen Vertiefungsveranstaltungen zum Thema Beteiligungscontrolling und Aufsichtsrat am 22. November 2021. Abgerundet wird das Angebot durch den Webkongress “EU-Beihilfenrecht für Kommunen und kommunale Unternehmen” am 28./29. Juni 2021. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort: “Beteiligungsmanagement”.


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och gibt es in Deutschland keine Stadt, die eine urbane Seilbahn in ihren ÖPNV integriert hat. Zu den Kommunen, die dies versuchen wollen, zählt neben München und Stuttgart auch Bonn. Hier soll eine Seilbahn den Venusberg, auf dem ein Wohnviertel und die Universitätsklinik liegen, mit der Stadt im Tal und mit der anderen Rheinseite verbinden. “Mit der Seilbahn vermeidet man weitestgehend Eingriffe in Stadt und Natur, weil man das Stadtgebiet überschwebt”, erklärt Dirk Delpho, Sachgebietsleiter im Bonner Stadtplanungsamt und dort seit Jahren für das Seilbahnprojekt zuständig. Dazu kämen die im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln geringen Bauzeiten und Baukosten. Peter Lorenz, erster Stellvertretender Vorstand des Verbands Deutscher Seilbahnen, ergänzt: “Der zentrale Antrieb der Seilbahn sorgt für eine positive Energiebilanz.” Hinzu kämen viel Komfort und eine gute Sicherheitsbilanz.

Den Verkehrsproblemen entschweben Urbane Seilbahnen sollen den ÖPNV ergänzen (BS/Matthias Lorenz) Für viele Kommunen klingt es verlockend: Ein öffentliches Verkehrsmittel, welches weder im Stau steht noch für welches Schienen verlegt und Tunnel gegraben werden müssen. Mit urbanen Seilbahnen, so die Idee, ließe es sich einfach über städtische Verkehrsprobleme hinwegschweben. In anderen Regionen der Welt, zum Beispiel in Südamerika, wenden einige Städte dieses Konzept erfolgreich an. Doch in Deutschland leisten Kommunen, die ein solches Projekt umsetzen wollen, Pionierarbeit. wendig, weil bei neuartigen Ideen wie urbanen Seilbahnen viele Fragen geklärt werden müssen. Einige davon sind rechtlicher Natur, aber: “Das Recht hindert den Bau von Seilbahnen grundsätzlich nicht. Erste Landesnahverkehrsgesetze, zum Beispiel in NRW und Rheinland-Pfalz, erwähnen Seilbahnen ausdrücklich”, so die Einschätzung von Dr. Jan Deuster, ein auf öffentliches Wirtschaftsrecht spezialisierter Rechtsanwalt der Kanzlei CBH. Dieser Einschätzung stimmt sein Kollege und Planungsrechtexperte Dr. Tassilo Schiffer zu. “Die planerischen Hürden sind alle zu meistern, es

Im Bild die Koblenzer Seilbahn, die ihren Dienst zur Bundesgartenschau 2011 aufnahm. Foto: BS/Emilian Danaila, pixabay.com

Bonn zählt damit zu den Städten, die sich mit Seilbahnen auf neues Terrain begeben. Trotzdem unterschieden sich die Probleme,­ auf die man stoße, nicht grundsätzlich von den Problemen bei der Umsetzung anderer Infrastrukturmaßnahmen, sagt Sabine Djahanschah, Referatsleiterin für Architektur und Bauwesen bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). “Jedoch sind die Prozesse oft nicht so eingespielt wie bei anderen Verkehrsvorhaben.” Aus diesem Grund betont auch Delpho: “Man kann anderen Kommunen nur empfehlen, eine vernünftige Projektstruktur einzurichten. Das ist ein Vollzeitjob.” Diese professionelle Projektstruktur ist unter anderem not-

geht darum, die Schranken in den Köpfen der Bürger und Politiker zu überwinden.” Bei der Planung von urbanen Seilbahnprojekten müssten drei große Punkte beachtet werden, so Schiffer weiter. Zunächst seien geeignete Strecken zu identifizieren. Dann müsse man das konkrete Genehmigungsregime des jeweiligen Bundeslandes beachten. Schließlich gelte es, den Trassenkorridor auf Hindernisse zu überprüfen, also eine Variantenprüfung durchzuführen. Generell solle man sich hier auf ähnliche Schwierigkeiten wie zum Beispiel bei der Planung von Höchstspannungsleitungen einstellen. “Es ist ein Unterschied, ob ich eine Trasse am Boden plane oder in der Luft.” Und doch sind einige rechtli-

che Punkte noch nicht geklärt, wie Sachgebietsleiter Delpho aus Bonn berichtet. Zwar könnten auch beim U-Bahn- und Straßenbahnbau Grundstücke beeinträchtigt werden. “Aber noch hat kein Gericht entschieden, in welcher Höhe man zustimmungsfrei über Grundstücke schweben darf.” Deswegen versuche man in Bonn, so gut es gehe über öffentlichem Raum zu bleiben. Um die Bürgerinnen und Bürger vor Blicken in Haus und Garten zu schützen, könne man darüber hinaus technische Vorkehrungen an den Seilbahngondeln treffen.

Bürgerbeteiligung zum ­richtigen Zeitpunkt Ein weiterer wesentlicher Punkt, so Delpho weiter, sei eine frühzeitige Bürgerbeteiligung, in welcher man die Bevölkerung über die Idee informiere. “In Bonn haben wir uns dafür entschieden, gleichzeitig mit der Durchführung der Machbarkeitsstudie ein Bürgerbeteiligungsverfahren durchzuführen.” So habe man die Bürger zum Beispiel darüber informieren können, dass die Machbarkeitsstudie zehn Trassenvarianten vorstellte, von denen letztendlich zwei, davon eine VorzugsVariante, übriggeblieben seien. Auch in Koblenz, wo eine Seilbahn ihren Betrieb im Rahmen der Bundesgartenschau 2011 aufgenommen hat, wurden die Bürger frühzeitig miteinbezogen. Der Baudezernent der Stadt, Bert Flöck, berichtet von zahlreichen Vorträgen und Informationsveranstaltungen. “Das Thema Seilbahn war bei der Bevölkerung das Thema, welches am allerwenigsten diskutiert wurde”, so Flöck. Dies habe daran gelegen, dass die Seilbahn in Koblenz nicht über bebautes Gebiet schweben sollte. Im Zuge der Bürgerbeteiligung hält es Djahanschah vor allem für wichtig, aufseiten der Kommune gut vorbereitet zu sein. “Um in eine Bürgerbeteiligung zu gehen, sollte man sich schon gut überlegen, welche Argumente es in der konkreten

Die neue Ziellinie 2.500 Mbit/s Glasfaserausbau erfährt neuen Schub (BS/Hans Güldenpenning*) Seit 2007 engagiert sich die DNS:NET als einer der großen alternativen Telekommunikationsanbieter für eine zukunftsfähige Infrastruktur in Deutschland auf Glasfaserbasis. Dies geschieht im großen Umfang über den eigenwirtschaftlichen Ausbau. Der Ausbau der regionalen Glasfaserinfrastrukturen und des eigenen DNS-NET Glasfaserringes durch mehrere deutschen Bundesländer hat dabei eine lange Tradition und setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen und regionalen Unternehmen. In den kommenden Jahren plant die DNS-NET Gruppe, über 2,5 Mrd. Euro in den Eigenausbau zu investieren und eine Million Glasfaseranschlüsse zu realisieren. Hunderte Städte und Gemeinden verfügen mittlerweile über eine leistungsfähige BreitbandInfrastruktur “Made in Brandenburg”, In der Regel sind nach der Bauphase von sechs bis zwölf Monaten die Anschlüsse aktiviert und im Regelbetrieb. Mit jahrzehntelanger Erfahrung im Breitbandausbau kennt die DNS:NET als Unternehmen aus der Region die Bedürfnisse der Einwohner und setzt auf persönliche Betreuung. Die drei Rechenzentren in Berlin bieten georedundante und hochverfügbare Lösungen, über 250 Mitarbeiter in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt bauen und betreiben die Glasfasernetze, die ständig erweitert werden. In der Brandenburger Region haben verschiedene Kommunen wie Michendorf oder Stahnsdorf eine enge Kooperation angestrebt und entsprechende Kooperationsverträge unterzeichnet. In der Region

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Potsdam-Mittelmark konnten sich gleich mehrere Gemeinden den Gigabitausbau sichern, indem sie in den Dialog mit den Anbietern getreten sind und sich am leistungsfähigsten Betreiber orientierten. So sollen in der Gemeinde Stahnsdorf über 1.000 Kilometer Glasfaserkabel “Made in Brandenburg” verlegt werden. Damit könnten rund 7.000 weitere Haushalte zusätzlich schnellste Glasfaserverbindungen nutzen. Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers (Bürger für Bürger) unterzeichnete im Januar 2021 im Rahmen eines digitalen Meetings zwischen der Gemeinde Stahnsdorf und Telekommunikationsunternehmen die Kooperationsvereinbarung zwischen Kommune und Anbieter: “Im Dezember 2020 beschloss die Gemeindevertretung mit deutlicher Mehrheit, dass die DNS:NET mit dem privatwirtschaftlichen, flächendeckenden Breitbandausbau in Stahnsdorf

und den dazugehörigen Ortsteilen beauftragt werden soll. Für die Gemeinde wird damit eine neue Qualität bei der Internetversorgung sichergestellt. Die möglichen Geschwindigkeiten bieten eine hervorragende Perspektive und sichern Familien und Unternehmen moderne digitale Teilhabe”, so Bürgermeister Bernd Albers. Weitere Kommunen des Umlandes haben inzwischen ihr Interesse bekundet, FTTH – also Glasfaser bis ins Haus – “Made in Brandenburg” zu bekommen. Dort wo gebaut wird, können nämlich bis zu 2.500 Mbit/s realisiert werden, was deutschlandweit einmalig ist. Zu den konkreten Projekten, die derzeit umgesetzt werden, gehören die Orte Bernau, Michendorf, Nuthetal, Stahnsdorf, Schulzendorf, Zeuthen und Eichwalde im Berliner Umland. *Hans Güldenpenning ist freier Journalist

Situation für eine Seilbahn gibt.” Diese müsse man dann sauber kommunizieren können, um die Bürger qualifiziert zu informieren. Insofern seien Vorabwägungen, zum Beispiel durch Machbarkeitsstudien, wichtig. Dass eine Bürgerbeteiligung immer auch ein Risiko sein kann, zeigt das Beispiel Wuppertal. Dort scheiterte ein Seilbahnprojekt 2019 am Widerstand in der Bevölkerung.

Seilbahnen können gefördert werden Auch wichtig ist die Frage, wie man die Seilbahnen in den bestehenden ÖPNV integrieren

kann. Hier gilt es, sich über die Einpreisung in das bestehende Ticketsystem genauso Gedanken zu machen wie über den Betreiber und die Anbindung der Seilbahn an andere ÖPNV-Angebote. Schließlich ist auch relevant, inwiefern Seilbahnen gefördert werden können. Rechtsanwalt Deuster geht grundsätzlich davon aus, dass solche Projekte gefördert werden können. Auch Delpho berichtet, dass die Stadt Bonn von Land und Bund grundsätzlich Fördermittel bekommen könnte. Dies hänge damit zusammen, dass Seilbahnen sowohl im ÖPNV-Gesetz des Landes NRW

als auch im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) erwähnt würden. “Hierfür ist jedoch eine volkswirtschaftliche Kosten-NutzenUntersuchung erforderlich”, erklärt Delpho. Diese werde normalerweise bei Schienenprojekten durchgeführt. Dabei würden die Kosten des Projekts in Relation zu dessen Nutzen gesetzt. Beim Nutzen spielten zum Beispiel Faktoren wie Unfallvermeidung, Klimafreundlichkeit und Zeitersparnis für die Fahrgäste eine Rolle. Um Förderung gemäß des GVFG zu erhalten, sei es ferner notwendig, das EUBeihilferecht zu beachten. “Wer in diesen Verästelungen letzte Zweifel hat, kann sich auch an die EU-Kommission wenden”, so Rechtsanwalt Deuster. “Es ist nicht vorstellbar, dass Brüssel am Ende Bedenken dagegen hätte.” Eine Diskussion über das Thema findet sich auch auf der Plattform NeueStadt.org (dort: Mediathek).

Lesenswert und praxisnah “Künstliche Intelligenz für die Smart City” (BS/jf) Künstliche Intelligenz (KI) wird ein wichtiger Teil der Kommune der Zukunft sein – so die These von Tabea Hein und Götz Volkenandt in ihrem Buch “Künstliche Intelligenz für die Smart City”. Die im Januar 2021 erschienene Abhandlung will Handlungsimpulse für die kommunale Praxis aufzeigen. Kommunale Verwaltungen befinden sich im Spannungsfeld vielfältiger Fragestellungen: gesellschaftlicher Veränderungen wie demografischer Wandel und gesetzliche Neuregelungen, finanzieller Engpässe und politischer Vorgaben. Sie müssen sowohl auf aktuelle Themen wie auch auf disruptive Ereignisse und Krisen reagieren und dabei Themen wie Nachhaltigkeit, Open Data, das Konzept der Smart City, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz im Blick haben. Als Teil der föderalen Struktur Deutschlands werden die Kommunen aus der Stadtgesellschaft heraus mit den verschiedensten Anforderungen konfrontiert. Die öffentliche Verwaltung, auch die Kommunalverwaltung, muss sich diesen Anforderungen stellen und dabei den Megatrend Künstliche Intelligenz im Kontext der digitalen Transformation der Stadtverwaltung und zur Umsetzung eines Gesamtkonzeptes einer Smart City sinnhaft einsetzen.

Wettbewerblicher Dialog für KI-Lösungen Dazu beschreibt das Autorenteam zunächst die Grundlagen von KI und zeigt dann anhand des Chatbots eine Möglichkeit des Einstiegs in die Welt der Künstlichen Intelligenz auf. Weitere KI-Anwendungsmöglichkeiten werden ebenso aufgezeigt wie sinnhafte Vorgehensweisen zum Einsatz von KI in Kommunen. Die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz werden gut verständlich ausgeführt. Dabei werden Nutzen und Potenziale von KI für die Kommunalverwaltung aufgezeigt. Gleichzeitig wird deutlich gemacht, dass Ethik und Datenschutz unbedingt beachtet werden müssen, um KI-Angebote zu schaffen, denen die Nutzer vertrauen können. Die beiden Autoren weisen auf Besonderheiten bei der Vergabe von KI-Lösungen hin. Es sollten neue Wege der Vergabe gefunden werden, z. B. der mehrphasige wettbewerbliche Dialog. Diese innovativen Vergabeverfahren sind erforderlich, weil KI-Lösungen selten Standardlösungen sind. Somit ist es kaum möglich, Leistungsbeschreibungen zu erstellen. Diese sollten durch funktionale Beschreibungen ersetzt werden. Vergabever-

fahren von KI-Lösungen sind anspruchsvoller als ansonsten übliche Vergabeverfahren im öffentlichen Kontext. Eine besondere Herausforderung für die Kommunen besteht darin, KI für den Bürger nutzbringend in Services umzuwandeln.

Schlüsselrolle Führungskraft Wie auch bei vielen anderen innovativen Themen kommt den Führungskräften in den Kommunalverwaltungen eine Schlüsselrolle zu. Diese sollten über Kompetenzen bzgl. Digitalisierungsthemen sowie zu den Grundlagen der KI verfügen und hierzu auch ihren Mitarbeitenden eine offene und positive Haltung vermitteln. Für das Gelingen der digitalen Transformation und den nutzbringenden Einsatz von KI als Service für den Bürger ist eine entsprechende Haltung der Verwaltungsspitze und ihrer Führungskräfte zwingend erforderlich. Die Einsatzmöglichkeiten von Chatbots auch in öffentlichen Verwaltungen sind vielfältig. Ein Ausblick kann sein, dass große Teile des First-Level-Supports hierüber abgebildet werden. Bei den vielfältigen KI-Anwendungsmöglichkeiten, die von den Autoren aufgezeigt werden, wird deutlich, dass es nicht auf die Größe der Kommune ankommt bei der Frage, ob der Einsatz von KI sinnvoll ist. Dies wird am Beispiel Posteingang, -verteilung und -ablage sehr deutlich. Der Hinweis auf interkommunale Zusammenarbeit in diesem Kontext ist überaus wichtig. Nicht jede (kleine) Kommune muss das Rad neu erfinden. Das Potenzial von KI ist unerschöpflich, so die Autoren. Da-

bei ist KI aber immer nur ein Mittel zum Zweck und kann die Digitalisierung insgesamt signifikant voranbringen. Hilfreich und in ihren Komponenten schlüssig aufgebaut sind die Empfehlungen der Autoren zum Vorgehen beim Einsatz von KI in den Kommunen. Trotz aller vorhandenen Hindernisse (z. B. bzgl. Umsetzungsstand des OZG) ist Abwarten keine Option. Die KI-verantwortliche Abteilung sollte aufbauorganisatorisch hoch angeordnet sein. Es bedarf einer KI-Strategie und entsprechender Personal- und Finanzressourcen. Allerdings dürften sich diese Fragen wohl nur für größere Kommunen stellen. Wie unterschiedlich die Vorgehensweisen sind, verdeutlichen fünf Gastbeiträge von Praktikern aus fünf verschiedenen Kommunen und eines Professors an einer Hochschule. Dies hängt sicherlich mit der unterschiedlichen Größe der Kommunen zusammen. So stehen in der Landeshauptstadt München andere Ressourcen für die Themenfelder Digitalisierung, KI und Smart City zur Verfügung als z. B. in einer Mittelstadt wie Bocholt/ NRW. Allen Beiträgen gemein ist die Botschaft, dass das Voranbringen dieser Themenfelder vor Ort auch immer ganz wesentlich mit der Kompetenz und dem Engagement der handelnden Akteure verknüpft ist. Diese brennen für ihre Themen und schaffen Vertrauen und Akzeptanz. Und diese Eigenschaften sind, neben all den anderen in dem Buch aufgezeigten Empfehlungen, unabdingbare Voraussetzung dafür, die in Deutschland vorhandenen Defizite in der Digitalisierung und der Durchdringung mit Online-Services auszugleichen. Insgesamt stellt das Buch einen überaus lesenswerten und praxisnahen Leitfaden rund um das Thema Künstliche Intelligenz und die Relevanz von KI für die Kommunalverwaltung dar. Akteure in den Kommunen, die sich mit Themen der digitalen Transformation oder Smart City befassen, werden durch die sehr klare Struktur des Buches in die verschiedenen Themen eingeführt. Dabei wird immer anhand von Beispielen auf die Praxisrelevanz Bezug genommen.


Kommunale Infrastruktur

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Z

um jetzigen Zeitpunkt der Corona-Pandemie arbeiten rund 30 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von zu Hause aus. Viele, die trotzdem präsent bei der Arbeit sein müssen, steigen auf den motorisierten Individualverkehr, sprich den eigenen Pkw, um. Dabei ist der Umstieg in Anbetracht der immer noch hohen CO2-Bilanz der Verkehrsspate nicht unbedingt zielführend. So zählt der Verkehrssektor nach Energiewirtschaft und Industrie mit 18,2 Prozent zum drittgrößten Verursacher von Treibhausemissionen in Deutschland. Dazu kommt, dass im Gegensatz zu den meisten anderen Sektoren der Ausstoß in diesem Bereich seit 1990 nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Kerstin Schreyer (CSU), Staatsministerin im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, sieht sich nun nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Klimaschutzgesetz in einer besseren Verhandlungsposition, wenn es um die Verteilung von Haushaltsgeldern geht. “Wir müssen viel Geld in die Hand nehmen”, betont Schreyer. Verkehrspolitik zu gestalten, sei jedoch ein langwieriger Akt. Es müsse viel geplant werden und die Maßnahmen, zum Beispiel das Verlegen von neuen Schienen und die Beschaffung von Bahnen, nähme viel Zeit in Anspruch.

Mit den drei “Vs” zur Wende Dennoch gebe es nicht das “eine” Konzept, das für alle Kommunen zielführend sei. “Wir werden nicht jedes Dorf an die Schiene anbinden können”, so die Staatsministerin. Es seien vielmehr unterschiedliche Konzepte gefordert. Aber auch in der Stadt bringe es nichts, Autofahrer auszubremsen und Pkws aus den Innenstädten zu verbannen. “Jeder braucht seinen Platz im Verkehr”, sagt Schreyer. Einige Verkehrsteilnehmer seien auf Autos angewiesen. Diesen Verteilungskampf um Raum im Ver-

Wege zur Mobilität von morgen Mobilitätsherausforderungen treffen viele Lebensbereiche (BS/Bennet Klawon) Kaum ein Bereich vereint die großen Themen der Gesellschaft wie Mobilität. Ob nun Klimawandel, Leben auf dem Land und in der Stadt, Arbeit der Zukunft und Teilhabe – alle Themen finden sich in der Frage wieder, wie Menschen von A nach B kommen. Doch es gibt schon zahlreiche Überlegungen und Konzepte, wie die Mobilität von morgen in der Stadt und auf dem Land organisiert werden kann.

Fragen der Klimaverträglichkeit und der gleichwertigen Lebensverhältnisse von Stadt und Land müssen bei Mobilität immer mitgedacht werden. Foto: BS/David Mark, pixabay.com

kehr sieht auch Prof. Dr. Klaus Bogenberger, Lehrstuhlinhaber für Verkehrstechnik an der Technischen Universität München. Als Strategie zur Minderung der CO2-Emissionen könnten sich Kommunen an den drei “Vs” orientieren. Als erstes müsse Verkehr vermieden werden. Mit dem Umstieg auf das Homeoffice sei man dabei schon auf einem guten Weg. Zweitens müsse eine Verlagerung auf andere Verkehrsmittel, wie ÖPNV oder Fahrrad, stattfinden. Letztlich müssten alte Antriebstechniken verträglich abgewickelt werden. Das bedeute, Abstand vom Verbrennungsmotor zu nehmen und alternative Antriebsarten zu fördern. Die Entwicklung zu mehr Homeoffice müsse jedoch im Auge behalten werden, wenn auch nach der Pandemie immer mehr Menschen von ihrem Arbeitsort wegzögen und eher weitere Strecken in Kauf nähmen, wenn Präsenz gefordert sei. Beim Umstieg auf Homeoffice und einer Verlagerung auf andere Verkehrsmittel spiele im

MELDUNGEN

Anstieg von Fahrradunfällen

(BS/fs) 47.920 Verkehrsunfälle ereigneten sich im vergangenen Jahr im Freistaat Thüringen. Die Anzahl der Unfälle verringerte sich damit im Vergleich zum Vorjahr um 14,1 Prozent. Die Zahl der dabei getöteten Personen ist mit 2.724 so niedrig wie noch nie seit der Einführung der Verkehrsunfallstatistik (VKU) vor rund 60 Jahren. Ein Anstieg ist jedoch bei der Unfallbeteiligung von Radfahrern zu verzeichnen. Im Einklang mit dem Abwärtstrend der Unfälle sank auch die Anzahl der im Verkehr Schwerverletzten um rund zehn Prozent, die Anzahl der Leichtverletzten um 14,6 Prozent. Die Abnahme der Unfallzahlen spiegelt sich auch in den Statistiken für die einzelnen Fahrzeugtypen und Verkehrsteilnehmer wider: Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Güterfahrzeugen

gingen um acht Prozentpunkte, Unfälle mit Beteiligung von motorisierten Zweirädern um 8,6 Prozent zurück. Ebenso waren 120 Fußgänger weniger als im Vorjahr an Unfällen beteiligt. Die Zahl der Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Radfahrern stieg indes um 4,9 Prozent. In rund 57 Prozent der Fälle sind die Zweiradfahrer dabei selbst als Unfallsverursacher verzeichnet worden. Für die Trends wird vornehmlich die durch die Corona-Pandemie veränderte Mobilität der Menschen als ursächlich betrachtet. Die Unfallursachen hätten sich im Vergleich zu den Vorjahren jedoch nicht gravierend verändert, heißt es. Mit rund 29 Prozent ist eine überhöhte Geschwindigkeit die häufigste Unfallursache, die Nichtbeachtung des Vorfahrtsrechts folgt mit 24,5 Prozent an zweiter Stelle.

Radverkehrsförderung massiv gesteigert (BS/mj) Deutschland soll Fahrradland werden! Wie die deutsche Fahrradzukunft konkret aussehen soll, erläutert der Nationale Radverkehrsplan 3.0 (NRVP) – die Radverkehrsstrategie des Bundes bis 2030. Als Strategie und Bürgerplan soll der NRVP 3.0 Bund, Ländern und Kommunen sowie Wirtschaft und Wissenschaft als Leitlinie für die Radverkehrsförderung in ganz Deutschland dienen. Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Erarbeitung des Plans hat ergeben, dass lückenlose Radverkehrsnetze und Verkehrssicherheit die wichtigsten Ansatzpunkte

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für eine gelingende Radverkehrsförderung sind.Bis 2023 fördert das Bundesverkehrsministerium (BMVI) die Radinfrastruktur mit rund 1,46 Milliarden Euro. Der Bau von Radschnellverbindungen wird von 2021 bis 2023 mit rund 50 Millionen Euro jährlich unterstützt. Insgesamt 127 Millionen Euro stehen für innovative Modellprojekte und rund 660 Millionen Euro für Infrastrukturprojekte der Länder und Kommunen zur Verfügung. Zudem werden das “Radnetz Deutschland” mit rund 46 Millionen Euro und “RadverkehrsProfessuren” mit 8,3 Millionen Euro finanziell gefördert.

besonderen Maße der ÖPNV eine Rolle. Der gehöre jedoch gerade in der Corona-Pandemie zu den großen Verlierern. Es brauche Konzepte, damit wieder mehr Menschen nach der Pandemie zu diesem Verkehrsmittel zu-

rückkehrten, so Bogenberger. ÖPNV ist aber nicht gleich ÖPNV. Während in der Stadt die Taktung entscheidend sei, seien in ländlichen Regionen Pünktlichkeit und Verlässlichkeit gefragt. Dort sieht der Wissenschaftler jedoch ein Problem. ÖPNV auf dem Land sei meist zu unrentabel, weil auf der einen Seite das Angebot permanent vorhanden sein müsse und auf der anderen Seite die Nachfrage nur punktuell vorhanden sei. Als Lösung sieht Bogenberg Mitfahrzentralen oder Pooling-Angebote, bei denen die Bürgerinnen und Bürger sich bei Bedarf Mitfahrgelegenheiten organisieren könnten.

“Verbrenner ist keine Technologie der Zukunft” Ein ähnliches Beispiel kennt auch Dr. Stefan Carsten mit dem Fahrservice “Omobi” aus Ober-

bayern. Dort werde schon ein Rufbussystem erfolgreich umgesetzt. Dies sei jedoch nur ein Aspekt. Die großen Entwicklungen hat Carsten, seines Zeichens Zukunftsforscher, Stadtgeograf und Mobilitätsexperte, eher vor Augen. Es müssten nicht die gleichen Verhältnisse wie in den Städten abgebildet werden. Es brauche aber in der Zukunft mehr Wahlmöglichkeiten auf dem Land. “Wir befinden uns in einer Transformationsphase von einer Industrie zu einer wissens- und informationsbasierten Gesellschaft”, so Carsten. Dies habe auch Auswirken auf unser Leben in der Stadt. Das Stadtbild stamme immer noch aus den 1950erund 1960er-Jahren, mit breiten Straßen, vielen Parkplätzen und Parkhäusern. In Zukunft werde mehr Wert auf eine lebenswertere und gesundere Stadt gelegt, die

die Menschen unmittelbar gestalten könnten. Für die weitere Entwicklung der Mobilität seien jedoch die Rahmenbedingungen wichtig und die seien elektrisch, zeigt sich der Zukunftsforscher überzeugt. “Der Verbrenner ist keine Technologie der Zukunft”, betont Carsten. Er appelliert, mehr in die Forschung von Akkus, Wasserstoff und Brennstoffzellen zu investieren. Die Enkel würden es danken. Er geht davon aus, dass in drei bis vier Jahren EMotoren an die Leistung und die Reichweite von Verbrennern herankommen. Die Zukunft liegt aber auch in der dezentralen Verteilung von Mobilitätsangeboten. Mobilität müsse dorthin, wo sie noch nicht sei. Das Ziel liegt nach Carsten in der “Ein-MinutenStadt”. Das heißt, innerhalb einer Minute sollen sich Bürger für ein Mobilitätsangebot entscheiden und es nutzen können. Gerade die Zukunft des ÖPNV müsse nachhaltig, flexibel und integriert sein, dabei brauche es eine nahtlose Kooperation der Angebote über alle Räume. Dabei stellt der Forscher klar: “Ich will nicht über Tarifbereiche sprechen. Ich will Flexibilität und Wahlfreiheit.”


Kommunale Sicherheit

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“Es wird von mir keine Alleingänge geben!”

rechte der Betroffenen möglichst transparent aufzuarbeiten.

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ehörden Spiegel: Was sind Ihre ersten Ziele für die DFVPräsidentschaft? Karl-Heinz Banse: Ich habe hierzu fünf Ziele formuliert. Erstens: Vertrauen zurückgewinnen. Es ist mein vordringlichstes Ziel, mich mit meiner ganzen Kraft dafür einzusetzen, dass wieder Ruhe und Kontinuität in den Gremien unseres Verbandes erreicht werden. Mein Ziel ist, dass unsere Mitglieder in den Feuerwehren, aber auch der politische Raum uns weiterhin als kompetenten Partner wertschätzen. Das ist aber nur möglich, wenn wieder alle Landesfeuerwehrverbände vertrauensvoll und kameradschaftlich zusammenarbeiten. Die ersten Schritte hierzu sind mit der Eröffnung des Dialogs gemacht. Zweitens: Verbandsarbeit mit den verschiedenen Feuerwehrbereichen intensivieren: Es ist mir wichtig, die Vernetzung der Bereiche Freiwillige Feuerwehren, Berufsfeuerwehren, Werkfeuerwehren und Jugendfeuerwehr weiter zu optimieren. Es wird von mir keine Alleingänge geben! Es ist mir als DFV-Präsident ein besonderes Anliegen, die “einheitliche Stimme” aller Feuerwehren Deutschlands zu sein, ohne dabei direkten Einfluss auf innerverbandliche Angelegenheiten einzelner DFV-Mitgliedverbände zu nehmen. Behörden Spiegel: Was sind die weiteren Ziele? Banse: Lobbyarbeit weiter ausbauen: Die Fortführung und der kontinuierliche Ausbau der Lobbyarbeit mit den Institutionen, politischen Gremien auf Bundesund auf europäischer Ebene sind einen enorm wichtige Aufgabe. Beispielhaft und aus ganz aktuellem Anlass nenne ich hier die Weiterentwicklung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), wie sie Mitte März vorgestellt wurde. In der jetzigen Zeit mit einer weltweiten Pandemie sind wir verpflichtet, unsere großen Einsatzerfahrungen auch auf der BBK-Ebene einzubringen. Viertens: Transparenter arbeiten. In einem Zeitalter der Digitalisierung ist es zwingend notwendig, Informationsverbreitung und Kommunikationskanäle auf den Prüfstand zu stellen. Daher sollten die berichtsfähigen und umfangreichen Arbeiten und Leistungen des DFV noch

DFV-Präsident Banse zum Neubeginn seines Verbandes (BS) Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) befand sich seit 2019 in unruhigen Fahrwassern und wurde von verschiedenen Streitigkeiten erschüttert. Der neue Präsident des DFV, Karl-Heinz Banse, hat sich viel vorgenommen und will den Verband wieder zusammenführen. Wie er sich die Arbeit mit seinen Vizepräsidenten und den Kritikern vorstellt, erklärt Banse im Interview. Die Fragen stellten Marco Feldmann und Bennet Klawon.

“Es ist mir als DFV-Präsident ein besonderes Anliegen, die “einheitliche Stimme” aller Feuerwehren Deutschlands zu sein.” Karl-Heinz Banse wurde Ende Februar zum Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) gewählt. Zuvor war er Präsident des Landesfeuerwehrverbandes (LFV) Niedersachsen. Foto: BS/privat

transparenter für die Öffentlichkeit gestaltet werden. Alle Feuerwehrangehörigen müssen die Möglichkeit haben, zu erfahren, an welchen Themenstellungen wir derzeit arbeiten. Behörden Spiegel: Wie lautet Ihr letztes Ziel? Banse: Verbandsarbeit weiter professionalisieren: Dass wir unsere Verbandsarbeit auf Bundesebene inklusive der Bundesgeschäftsstelle weiter professionalisieren müssen, steht für mich außer Frage. In den letzten Monaten hat ja bereits eine Arbeitsgruppe unter der Federführung von Kamerad Dr. Knödler Vorschläge für die Weiterentwicklung des DFV erarbeitet. Ich stehe diesen Ideen aufgeschlossen und konstruktiv gegenüber und freue mich schon heute auf eine rege Diskussion in unseren Gremien. Für mich steht jedoch ebenfalls fest, dass der Deutsche Feuerwehrverband in der Vergangenheit eine gute Arbeit geleistet hat – und da beziehe ich ausdrücklich die Amtszeiten aller bisherigen DFVPräsidenten mit ein! Abläufe, die nicht mehr zeitgemäß sind, muss man über Bord werfen. Bewährte Strukturen sollte man aber behalten. Sicherlich können wir uns immer verbessern und modernisieren, jedoch darf das Ganze niemals den Grundgedanken unserer Gründerväter infrage

stellen. Diese wollten, dass die Feuerwehrverbände gemeinsam unter einem Dach mit einer starken Stimme sprechen – daher haben sie sich zum Deutschen Feuerwehrverband zusammengeschlossen. Behörden Spiegel: Ist der viel beschworene Neubeginn im DFV mit den fünf Vizepräsidenten, die Hartmut Ziebs zum Rücktritt zwangen, überhaupt möglich? Banse: Ja. Die Vizepräsidenten sind in der 67. Delegiertenversammlung mit jeweils mehr als 60 Prozent der Stimmen in einer Vertrauensabstimmung bestätigt worden. Nach der Erfahrung in meinen bisherigen Funktionen und auch jetzt als DFVPräsident gehe ich auch für die Zukunft von einer gedeihlichen, vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit mit allen Vizepräsidenten aus. Behörden Spiegel: Wie wollen Sie das Vertrauen innerhalb des Verbandes und zu den Landesverbänden wiederherstellen? Banse: Einer der ersten Schritte war für mich, den direkten Dialog mit dem Verband der Feuerwehren in Nordrhein-Westfalen (VdF NRW) und dem Landesfeuerwehrverband Sachsen-Anhalt zu eröffnen. Mit dem Vorstand des VdF NRW und dem DFV-Präsidium hat es bereits ein erstes Tref-

fen gegeben; auch mit dem LFV Sachsen-Anhalt wird es persönlichen Austausch geben. Dieser Dialog wird weiter fortgesetzt. Natürlich will ich mich auch mit den Akteuren der anderen Landesfeuerwehrverbände austauschen. Behörden Spiegel: In den Sozialen Medien liest man häufig in Kommentaren zum DFV den Hashtag #nichtmeinDFV. Wie wollen Sie das Verhältnis zwischen DFV und der Basis verbessern? Banse: Mich haben nach meiner Wahl zum DFV-Präsidenten sehr viele persönliche Glückwünsche erreicht – viele davon auch über die Sozialen Medien. Häufig erhielt ich auch die Rückmeldung, dass sich Kameradinnen und Kameraden für den DFV hätten positionieren wollen, dies aber aus Angst, dafür mit direkten Angriffen in den sozialen Medien attackiert zu werden, nicht getan hätten. Ich will erreichen, dass wir wie in jedem demokratischen System den offenen Meinungsaustausch ermöglichen – aber ohne dass es persönliche Beleidigungen oder Mobbing gibt. Konstruktive Kritik ist zielführend, destruktive Kritik finde ich verachtenswert. Behörden Spiegel: Werden Sie die interne Affäre rund um den ehemaligen DFV-Präsidenten

Hartmut Ziebs aufarbeiten? Was soll das nächste Mal bei internen Streitigkeiten besser gemacht werden? Banse: Die fünf Vizepräsidenten hatten bewusst nicht den Weg des öffentlichen Anprangerns gewählt. Sie hatten keinerlei öffentliche Vorwürfe oder Angriffe geäußert, sondern den DFV-Gremien ihre Gewissensentscheidung mitgeteilt. Zum Schutz des Deutschen Feuerwehrverbandes hatte sich das Präsidium bewusst nicht an einer öffentlichen Schlammschlacht beteiligt. Interne Streitigkeiten sollten möglichst auch intern geklärt werden. Sollten künftig interne Konflikte nach außen getragen werden, werde ich bemüht sein, diese unter Wahrung der Persönlichkeits-

Behörden Spiegel: Kommen Sie dem Ruf des VdF NRW nach einer externen Aufklärung der Sexismus- und Rassismusvorwürfe nach? Banse: Es gibt seit Sommer 2020 ein arbeitsgerichtliches Verfahren der Bundesgeschäftsführerin mit dem DFV. Mit dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin soll nunmehr geklärt werden, ob es Verstöße gegen das Antidiskriminierungsgesetz gegeben hat. Aufgrund des Schutzes von Persönlichkeitsrechten sowohl von Dritten als auch der Bundesgeschäftsführerin sind in unserem Rechtsstaat die Gerichte dafür zuständig, zu einzelnen vermeintlichen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Im Anschluss an den Arbeitsrechtsprozess werden die aufgezeigten Einzelfälle von einem unabhängigen Personenkreis unter Beteiligung der Bundesfrauensprecherin aufgearbeitet. Der Präsidialrat, und damit selbstverständlich auch der VdF NRW, wird über den Fortgang informiert.

Neue Regeln in Bremen Hansestadt schleppt künftig öfter Fahrzeuge ab (BS/mfe) In Bremen werden Fahrzeuge künftig schneller abgeschleppt. Das sieht ein überarbeiteter Erlass vor. Kraftfahrzeuganhänger ohne Zugfahrzeug dürfen nicht mehr länger als zwei Wochen geparkt werden, es sei denn, die Parkplätze sind entsprechend gekennzeichnet. Diese Fahrzeuge können abgeschleppt werden. Wird der abgestellte Anhänger als Werbefläche genutzt, kann das Fahrzeug in Zukunft bereits vor Ablauf von 14 Tagen abgeschleppt werden, sofern keine Sondernutzungserlaubnis vorliegt. Ähnlich gehen die Behörden in der Hansestadt schon länger mit nicht zugelassenen Autos und Schrottfahrzeugen um. Grund für die neue Erlasslage waren nun wiederkehrende Bürgerbeschwerden über zugeparkte Parkanlagen, Grünflächen und Gehwegen sowie dauerhaft abgestellte Anhänger in Wohngebieten. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) erklärte dazu: “Es kann nicht sein, dass der wenige Parkraum in unserer Stadt auch noch mit Anhängern zugestellt wird.” Zudem ist in dem neuen Erlass festgelegt, dass beim aufgesetzten rechtswidrigen Parken auf Gehwegen auch abgeschleppt werden kann, wenn

die verbleibende Restgehwegbreite 1,50 Meter unterschreitet. Damit ist erstmals ein festes Maß in einem Abschlepperlass festgehalten worden. Darüber hinaus wurde auch das Grillen in öffentlichen Grünanlagen Bremens neu geregelt. Dieses ist nun unter Baumkronen, auf Parkbänken oder anderen Anlagen aus Holz sowie in einem Abstand von weniger als 500 Metern zu Tiergehegen untersagt. Dadurch soll verhindert werden, dass Bäume und Bänke beschädigt oder zerstört werden. Zudem wird aus Tierschutzgründen das Grillen in unmittelbarer Nähe zu Gehegen verboten, da hier die Tiere durch den Geruch von Feuer Stress erleiden. Bei Zuwiderhandlungen sind Bußgelder bis 100 Euro oder Verwarngelder bis 50 Euro möglich. Zudem ist das Grillen auf Kinderspielplätzen untersagt.

Bundeskongress

Bundeskongress

Kommunale Verkehrssicherheit

Kommunale Ordnung

5. – 6. Oktober 2021

6. – 7. Oktober 2021

Würzburg Informationen und Anmeldung unter

www.kommunale-verkehrssicherheit.de | www.kommunale-ordnung.de

Veranstaltungen des


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Mai 2021

Schluss mit Zettelwirtschaft

KNAPP Wirtschafts-ServicePortal.NRW gestartet

Was in der nächsten Legislaturperiode geschehen muss (BS/Uwe Proll) Die aktuelle Pandemie hat die Krise des Landes schonungslos offengelegt. Modernisierungs- und Digitalisierungsprozesse, Entbürokratisierung und Standardisierung, Beschleunigung von Entscheidungsprozessen und schlankere Lösungsfindungen wurden mit Hinweis auf die gute Tradition, den Erfolg der Exportindustrie und das allgemeine Wohlgefühl auf die lange Bank geschoben. Doch selbst die Bundeskanzlerin hat – wenn auch zaghaft –sinngemäß festgestellt: Wir müssen Deutschlands Gründlichkeit jetzt Kreativität und Spontanität gegenüberstellen!

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och was bedeutet das für die staatlichen Bereiche, in denen viel in Digitalisierung investiert, aber wenig erreicht wurde? Nach wie vor hapert es an der Umsetzung. Experimentierklauseln und eine Fehlerkultur fehlen, um hier mehr Digitalisierungsvorhaben vom Papier in die Praxis zu bringen. Klar ist, dass dies spätestens nach der nächsten Bundestagswahl gänzlich anders werden muss. Deswegen startet der Behörden Spiegel in dieser Ausgabe eine Serie, die mit Blick auf die nächste Legislaturperiode die wichtigsten Zukunftsvisionen vorstellt und die verschiedenen staatlichen und staatlich beeinflussten Bereiche daraufhin analysiert. Hierzu werden in den Behörden Spiegel-Ausgaben bis November die Themen Polizei, Schule, Gesundheitswesen, Stadt, Verwaltung, Streitkräfte und Justiz auf ihre Digitalisierungsnotwendigkeiten hin untersucht und gleichzeitig auf ihre Digitalisierungspotenziale abgeklopft.

Digitale Polizei und Feuerwehr Schon heute können Tatorte und Taten “vorhergesehen” werden und somit die Polizei “vor den Tätern vor Ort” sein: dank Predictive Analytics als Form des Data Minings. So können “Hotspots” in einer Stadt lokalisiert und mittels Geoinformationen referenziert werden. Auch im Bereich Cyber Crime versucht die Polizei, mithilfe moderner Technik vor die Lage zu kommen. Wichtig für Polizeibeamtinnen und -beamte ist darüber hinaus das mobile Arbeiten. Im Sinne des “Mobile Policing” gehören dazu nicht nur dienstliche Messenger, sondern auch Applikationen, etwa zur mobilen Erfassung von

wurden bisher aber so gut wie nicht abgerufen.

Digitale Stadt

Oftmals zu lange wird in Deutschland bislang an analogen Prozessen festgehalten. In der nächsten Legislaturperiode müssen die Zeichen daher auf konsequente Digitalisierung stehen. Foto: BS/stux/pixabay

Fingerabdrücken oder Verkehrsunfällen. Doch leider können heute Ersteinschreiter nicht auf Datenbanken im Einsatz zurückgreifen, nicht mal miteinander kommunizieren. Das Projekt 2020 stockt, obwohl 500 Millionen Euro dafür zur Verfügung stehen. Für das zweite Quartal ist eine Ausschreibung eines Generalunternehmers geplant, der die Umsetzung des Zielbilds “Polizei 2020” unterstützen soll.

Digitale Schule Über fünf Milliarden Euro stellt der Bund bis 2024 den Ländern für die Digitalisierung des Bildungswesens zur Verfügung. Wie dringend nötig das Geld für die Ausstattung, aber auch für Konzepte, Aus- und Fortbildung ist und welches Potenzial damit verbunden ist, zeigt nicht zuletzt die andauernde Pandemie. Zwar verdrängt das Smartboard mehr und mehr die klassische Tafel, gleichzeitig ist die Beschaffung von Klassensätzen an digitalen Endgeräten, mit denen die Schülerinnen und Schüler im Umgang

mit neuen Medien ausgebildet werden könnten, noch immer nicht abgeschlossen. Fragen wie es um den Aufbau der notwendigen Infrastrukturen über die Endgeräte hinaus bestellt ist, wie Breitband an Schulen, sind ungeklärt. Wer übernimmt die Administration der Endgeräte? Auf diese Fragen müssen Schulen und Schulträger dringend Antworten finden.

Digitales Gesundheitswesen Elektronische Patientenakte und E-Rezept, Telemedizin und Telematikinfrastruktur, digitale Pflege- und Gesundheitsanwendungen in der Versorgung sowie die Digitalisierung von Meldeprozessen im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) – die Liste der Handlungsfelder für ein digitales Gesundheitswesen ist lang. Die Notwendigkeit zum Handeln ist seit Jahren bekannt. Lösungsverschläge gibt es reichlich, doch die Umsetzung geht nur sehr schleppend voran. Drei Milliarden Euro sind dafür auf den Weg gebracht worden, diese

Die Kommunen sind die erste Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger und erbringen sämtliche Leistungen der Daseinsvorsorge. Doch der überwiegende Anteil der Leistungen wird immer noch analog erbracht. Zahlreiche Möglichkeiten laufen unter dem Stichwort “Smart City”. Von der Ausstattung öffentlicher Gebäude mit frei zugänglichem W-LAN über die Steuerung von Straßenlaternen mittels Bewegungssensoren bis zur Integration von E-Ladesäulen in das kommunale Beleuchtungsnetz. Digitale Lösungen werden jedoch punktuell erarbeitet und nicht flächendeckend eingeführt.

Digitale Verwaltung Dass Staat und Verwaltung auch in Zeiten der Krise noch arbeitsfähig sind, zeigt unter anderem mobiles Arbeiten im Öffentlichen Dienst. Doch das Vereinfachen von Arbeitsabläufen und Prozessen mithilfe neuer Informations- und Kommunikationstechnologien hängt. Es könnte durch digitale Verwaltungsprozesse die Transparenz staatlichen Handelns zum Beispiel durch die Initiativen im Open-Government-Data (OGD)-Sektor erhöht werden. Die IT-Konsolidierung des Bundes erlebt einen Stillstand, die OZG-Umsetzung ist gefährdet, die Netze des Bundes wackeln wegen Homeoffice in der Pandemie. Vier Milliarden Euro stehen zur Verfügung, doch es fehlt der Ruck.

Digitale Streitkräfte Die Digitalisierung bei der Bundeswehr und das Impfen gegen Corona haben durchaus Gemeinsamkeiten: Bei beidem

HEssenDIGITAL Vernetzte Verwaltung in Land und Kommunen

22. Juni 2021 www.hedigital.de

#hedigital21

KEYNOTE Prof. Dr. Kristina Sinemus Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung Foto: HMIND / Salome Roessler

Eine Veranstaltung des

ist Deutschland eher Schlusslicht als Vorreiter und weltweit gepriesene Lösungen wurden zwar in Deutschland entwickelt und hergestellt, danach dann erfolgreich in die Welt exportiert, nur Deutschland selbst ziert sich noch mit der Beschaffung. Dementsprechend gibt es zwei Sichtweisen, die vorhandenen Hochtechnologieprodukte der deutschen Industrie und das, was der Soldat tatsächlich in der Hand hält. Deutschland kann mehr und die Bundeswehr hat auf jeden Fall mehr verdient. In dem Sonderteil wird der Behörden Spiegel aufzeigen, woran die Digitalisierung der Bundeswehr tatsächlich krankt und Beispiele präsentieren.

Digitale Justiz Mit der Nutzung von digitalen Instrumenten können Verfahren besser strukturiert und die Bearbeitung von standardisierten respektive einheitlichen Aufgaben automatisiert und unterstützt werden. Auch die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) sollte in die Prozesse miteinbezogen werden. Bereits jetzt ist klar, dass KI das Potenzial birgt, Justizpersonal zu entlasten, ohne die Entscheidungsgewalt der richterlichen Unabhängigkeit zu beschränken. Zudem: Der Stau von nicht abgearbeiteten VerfahDIGITALE ren wächst und wächst. E-Justiz, Video-Vernehmungen und digitaleDeutschland Register sind wirdMangelware. digitalisiert

AGENDA2025

DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

Mehr zur Digitalen Agenda 2025 für die Polizei auf den Seiten 40 und 41.

(BS/gg) Das Land NRW hat ein umfassendes digitales Zugangstor für die Wirtschaft gestartet – das Wirtschafts-Service-Portal. NRW (WSP.NRW). Dazu wurde eine weitreichende Kooperation mit den kommunalen Spitzenverbänden, der IHK NRW und dem Westdeutschen Handwerkskammertag vereinbart. Das Portal ging nun mit 31 Verwaltungsleistungen an den Start gehen und soll bis zum Sommer um weitere 41 Services ergänzt werden. Zu den Potenzialen erklärte NRW-Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart: “Dauerte etwa die analoge Gründung eines Gaststättenbetriebes einen oder mehrere Arbeitstage, so sinkt der Zeitbedarf über das WSP.NRW nun auf eine halbe Stunde. Das spart Gründerinnen und Gründern eine halbe Million Arbeitsstunden im Jahr.”

Bremen stellt KI-Strategie vor

(BS/pet) Die Hansestadt Bremen hat ihre KI-Strategie “BREMEN. KI – Strategie für Künstliche Intelligenz” offiziell vorgestellt. Nach einem über einjährigen Erarbeitungsprozess, an dem mehr als 70 Beteiligte aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Kammern sowie Gewerkschaften und Beschäftigte der Bremer Verwaltung mitgewirkt haben, wurde die Strategie Ende 2020 beschlossen. Als Kernelement hat das KIZentrum seine Arbeit bereits Anfang 2021 im TechnologieZentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) an der Universität Bremen aufgenommen. Im Rahmen des Projektes sollen in den nächsten eineinhalb Jahren eine virtuelle Plattform sowie eine real existierende Anlaufstelle entstehen. Mit “BREMEN.KI” will die Hansestadt den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft intensivieren und so zur Attraktivität der Region beitragen.


Informationstechnologie

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OZG: im Ziel vereint

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a wäre zum einen der hessische Weg, der bei der OZGUmsetzung auf Expertise und Know-how der Kommunen setzt. Denn: “Wenn wir über Verfahren sprechen, die auf kommunaler Ebene vollzogen werden, brauchen wir die Fachexpertise aus der kommunalen Ebene, die sich einbringt bei der Entwicklung von entsprechenden Antragsverfahren“, erklärt Mirco Sander, Leiter des Referats ITPlanungsrat und ebenenübergreifende Zusammenarbeit in der Hessischen Staatskanzlei. Die kommunalen Verwaltungen sind der erste Ansprechpartner, wenn es um die Erledigung von Verwaltungsleistungen geht. Wer einen Führerschein beantragen oder ein Gewerbe anmelden will, wendet sich an seine lokale Verwaltung. Damit die im Onlinezugangsgesetz bestimmten Leistungen auf dieser Ebene bis 2022 angeboten werden können, stellt Hessen seinen Landkreisen, Städten und Gemeinden diverse Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Kommunen können selbst aus den Programmen die für sie passende Förderung auswählen. Eine Übersicht über die angebotenen Hilfen bietet die hessische OZGFörder-Fibel.

IT-Beratung aufs Haus Die Unterstützung des Landes Hessen für seine Kommunen basiert auf der Umsetzungsvereinbarung “OZG Hessen Kommunal”, die bereits 2019 beschlossen wurde. Darin wurde festgesetzt, dass das Land die OZG-Umsetzung auf kommunaler Ebene mit 17 Millionen Euro finanziert. Den Kommunen wird unter anderem die Digitalisierungsplattform “civento” kostenfrei zur Verfügung gestellt. Außerdem können Kommunen im Zuge der Umsetzungsvereinbarung kostenlose Beratungsleistungen rund um die Umsetzung des OZG und die Digitalisierung ihrer Behörden in Anspruch nehmen. Die Beratungsleistungen werden von der ekom21 erbracht, dem größten kommunalen ITDienstleistungsunternehmen in Hessen. Das Konzept umfasst vier Module, die für den eigenen Bedarf zusammengestellt werden können. Darunter fallen eine Einführung in die Grundlagen des Onlinezugangsgesetzes, eine Umsetzungsberatung für die OZG-Digitalisierung, ein Modul zur Digitalisierung von Kommunen sowie weiterführende Beratungen unter Einbeziehung der

Behörden Spiegel / Mai 2021

Trotz unterschiedlicher Strategien bauen die Länder auf die Mitwirkung ihrer Kommunen (BS/Kilian Recht/Matthias Lorenz/Thomas Petersdorff) Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) geht in die finale Runde: Noch knapp anderthalb Jahre bleiben Bund, Ländern und Kommunen, die insgesamt 575 Leistungsbündel der öffentlichen Verwaltung zu digitalisieren. Zwar hat die Pandemie – und mit ihr einhergehend: das Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung – nochmals merklich Schwung in die Angelegenheit gebracht; doch bedeutet das nicht, dass die digitalpolitischen Bestandsaufnahmen im föderalen Deutschland überall gleich ausfallen. Größer noch sind die Unterschiede bei der strategischen Ausrichtung auf dem Weg hin zum einen Ziel: die Kommunen bei der OZG-Umsetzung mit ins Boot zu holen. E-Akte. Pro Kommune finanziert das Land jeweils zwei Module.

Mit gutem Beispiel vorangehen Ein weiteres Förderbudget geht mit einer Höhe von insgesamt 1,5 Millionen Euro an die OZG-Modellkommunen. Diese Kommunen sollen vorangehen, Konzepte, Schnittstellen und digitale Prozesse entwickeln und erproben. Nach einer Bewerbungsphase wurden 15 Kommunen von den kommunalen Spitzenverbänden für die Förderung auserwählt. So sollen Blaupausen entwickelt werden, die nach Abschluss der Projekte von anderen Kommunen nach dem Einer-für-alle-Prinzip (EfA) kostenneutral weitergenutzt werden können. Darunter fällt die Digitalisierung von häufig nachgefragten OZG-Leistungen mitsamt der Entwicklung passender Schnittstellen zu gängigen Fachverfahren. Oder auch die Entwicklung einer Kommunikationsplattform für Bürgeranfragen und Beteiligungsmöglichkeiten.

BaWü: eine Strategie mit zwei Ausprägungen Anders stellt sich die Lage im südlichen Nachbarland BadenWürttemberg dar. Zwar ist auch hier eine der zentralen Fragen, wie die kleineren Kommunen bei der OZG-Umsetzung mit ins Boot geholt werden können. Der Weg zum Ziel jedoch fällt anders aus. Die Herausforderung bestehe darin, auch diejenigen zu erreichen, die sich nicht den ganzen Tag über Digitalisierung den Kopf zerbrächen, erklärt Dr. Michael Zügel, Referatsleiter EGovernment, Open Government, Verwaltungsmodernisierung im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration BadenWürttemberg. Darum setze das Land bei der OZG-Umsetzung auch auf eine Doppelstrategie. Einerseits gebe es komplizierte Verwaltungsdienstleistungen – wie beispielsweise Baugenehmigungen –, wo es sich lohne, gründlich vorzugehen und auf die Nutzerorientierung zu achten.

Das Ziel anvisiert: Obwohl die Strategien unterschiedlich ausfallen, geht es den Ländern bei der OZG-Umsetzung insbesondere darum, die Kommunen miteinzubinden; derart soll der digitale Erfolg in die Fläche getragen werden. Foto: BS/41330, pixabay.com

Dies nehme aber viel Zeit in Anspruch. Deswegen brauche es andererseits auch “einen Strang, wo man schnell Dinge umsetzt, auf welche die Bürger dann schon mal zugreifen können”, so Zügel. Dies ist der sogenannte Universalprozess. Eingebettet in die Landesplattform service-bw und für alle Kommunen nutzbar, ermöglicht das Verfahren, schnell Bürgerservices ins Digitale zu übertragen. Nach dem Baukastenprinzip können Kommunen aus einmal entwickelten Leistungen, Formularen und Modulen eigenständig Online-Verwaltungsleistungen zusammensetzen und anbieten. Darin enthalten ist auch die Möglichkeit zur Individualisierung der Formulare.

Zwischen Tempo und neuen Denkweisen Fraglich bleibt bei alledem, wie das Leistungsangebot bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt. Marian Schreier, Bürgermeister der Stadt Tengen, plädiert für einen nutzer-

BADENWÜRTTEMBERG 1. Juli 2021 Online-Kongress

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freundlichen Ansatz. Der Kern der OZG-Umsetzung berühre notwendig immer auch die Frage, wie Verwaltung in Zukunft organisiert werden müsse: “Hier geht es um eine andere Art und Weise, wie wir Services anbieten. Man muss sich ganz stark am Nutzer orientieren”, so Schreier. Diese Meinung wird nicht überall geteilt. Robert Geist, Digitalisierungskoordinator der Stadt Waiblingen, hält es für den falschen Ansatz, sich allein auf die User Experience zu fokussieren. “Wichtig ist es vielmehr, erst mal etwas zu haben.” Man müsse sich zunächst aus der digitalen Steinzeit herausarbeiten. Ein schlechter digitaler Prozess sei anfangs schonmal besser als nichts. “Wir müssen bei der Digitalisierung einen Schritt nach dem anderen gehen.” Dem hält Schreier entgegen, dass man deutlich ambitionierter sein müsse. “Es darf nicht unser Anspruch sein, einfach nur Formulare in eine elektronische Form zu überführen.” Im Zuge der OZG-Umsetzung sei es an-

gebracht, auch mal bestimmte Entwicklungsstufen zu überspringen. Der Ausgangspunkt müsse immer die Lebensrealität der Bürger sein. Unabhängig davon, welcher Weg beschritten werde – der Blick ins Ausland lohne in jedem Fall. Der Auffassung ist Prof. Dr. Robert Müller-Török, Professor für ­E-Government an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg. “Gerade bei der Digitalisierung kann man hier sehr viel lernen.” Natürlich sei es auch wichtig, eine angemessene Infrastruktur mit Breitbandinternet und 5G aufzubauen. Entscheidend sei der Faktor Zeit: “Ich glaube nicht, dass wir noch viel Zeit haben, bis ein Konzern bestimmte Leistungen anbieten wird”, so der Professor. Die Gefahr sei dann, dass man als Staat irgendwann nur noch zahlender Kunde sei und nicht gestalten könne. “Damit werde ich als staatliche Verwaltung verdrängt und obsolet.”

Nds.: das große Ganze im Blick behalten Klar ist: Die Digitalisierung ist ein fortwährender Prozess – folglich muss sie von Politik und Verwaltung auch so gedacht werden. Der Auffassung ist man im Norden der Republik, in Niedersachsen. Damit die OZG-Umsetzung in Niedersachsen funktioniert, muss jedoch nicht nur im eigenen Bundesland gute Arbeit geleistet werden. Dies liegt an der Arbeitsteilung der Länder: Jedes Land übernimmt die Federführung in bestimmten Themenfeldern und stellt die entwickelten Dienste dann den anderen Bundesländern zur Nachnutzung zur Verfügung. Niedersachsen hat im Bereich Gesundheit die Federführung übernommen. “Wir entwickeln also für das gesamte Bundesgebiet insgesamt 16 Online-Dienste”, erläutert Dr. Horst Baier, CIO der Landesregierung. Bei der Umsetzung des OZG sei man in einer Schicksalsgemeinschaft mit den anderen Ländern und davon abhängig, was von

dort geliefert werde. “Die ersten Online-Dienste sind zurzeit im Zulauf, diese überprüfen wir jetzt in rechtlicher und finanzieller Hinsicht für den Einsatz in Niedersachsen”, so Baier weiter. Ein weiterer Faktor zum Erfolg: der Einbezug der Fachebenen. Dazu stellt Marianne Rohde, die Leiterin der Geschäftsstelle im Niedersächsischen IT-Planungsrat, fest: “Bei unserem Thema Gesundheit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor die Zusammenarbeit von Fachlichkeit und IT. Das hilft uns sehr bei der Umsetzung unserer Projekte.” Darüber hi­ naus brauche es bei einem solch komplexen Unterfangen wie der OZG-Umsetzung eine klare Strategie, eine kontinuierliche Priorisierung und die Bereitschaft zur Agilität, fügt André Henke, Programmleiter Digitale Verwaltung Niedersachsen, hinzu. “Alle müssen wissen, an welchem Strang gezogen wird.” Das gilt auch für die verschiedenen Föderalismusebenen. Mit Blick auf die Kommunen entfalte das OZG zurzeit mitunter noch eine Bremswirkung bei der Digitalisierung, vermutet Prof. Dr. Peter Daiser, Geschäftsführer des Niedersächsischen Studieninstituts für kommunale Verwaltung e. V. “Mit dem OZG muss eine Lösung installiert werden, die mit der übergeordneten Ebene kompatibel ist. Kommunen könnten deswegen mit Investitionen noch zögern, damit sie nicht in zwei Jahren feststellen müssen, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben.”

Jetzt ist nicht die Zeit zum Sparen Geld ist denn auch einer der zentralen Hebel bei der Umsetzung. “Das Ganze wird nicht billig”, gibt CIO Baier zu bedenken. Der Dezernent für Personal, Digitalisierung und Recht der Stadt Hannover, Prof. Dr. Lars Baumann, betont demgegenüber das Potenzial für die Kommunen, die nunmehr die Chance hätten, massiv zu investieren. Dabei müsse man immer ein Zielbild vor Augen haben. “Der Schlüssel ist, etwas zu liefern, was die Nutzerinnen und Nutzer am Ende überzeugt.” Entscheidend sei dabei aber nicht, auf die perfekte Lösung zu warten. Man müsse Dinge auch schon vorher umsetzen und dann mithilfe von Feedback stetig nachsteuern und verbessern. Generell dürfe man nicht denken, dass nach einer erfolgreichen OZG-Umsetzung alle Arbeit getan sei.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Mai 2021

Data Stewardship

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as Fundament der Arbeit im Statistischen Bundesamt besteht in der Bereitstellung eines breiten Spektrums neutraler, objektiver und fachlich unabhängiger Statistiken in höchster Qualität gemäß den gesetzlichen Anforderungen. International werden im Rahmen des DataStewardship-Ansatzes derzeit verschiedene Möglichkeiten einer zukunftsorientierten Weiterentwicklung der amtlichen Statistik diskutiert. Neue Akteure im Datenökosystem und die digitalen Anforderungen verändern auch die Rolle des Statistischen Bundesamtes in diesem System. Die Herausforderung wird es sein, ein nachhaltiges und trotzdem flexibles Datenmanagement aufzubauen. Data Stewardship umfasst dabei alle Prozesse und Rollen, die die Datenqualität und die optimale Nutzbarkeit der Daten gemäß der Datenstrategie sichern. Daraus ableitend legt das Statistische Bundesamt Maßnahmen fest, um die Rollen als zuverlässiger Statistikproduzent, digitaler Datenmanager sowie nutzerorientierter Informationsdienstleister im neuen Datenökosystem zu etablieren und auszubauen. Ziel der Weiterentwicklung ist die Sicherung und Ausbau der Relevanz der amtlichen Statistik.

Stetig wachsendes Datenökosystem Das stetig wachsende Datenökosystem bringt eine Vielzahl neuer Daten und Datenanbieter hervor. In der Rolle als digitaler Datenmanager gestaltet das Statistische Bundesamt diese Datenlandschaft aktiv mit. Das Ziel ist, durch übergreifende Standards die Nachhaltigkeit und Effizienz der Datennutzung zu steigern. Dafür ist es wichtig, den Überblick über die vorhandenen Daten in der deutschen und europäischen Datenlandschaft zu behalten: Hier setzt die VerwaltungsdatenInformationsplattform (VIP) des Statistischen Bundesamtes an. Sie enthält einen umfassenden Überblick über den Bestand der Verwaltungsdaten bzw. Register in Deutschland und ist Teil der kürzlich verabschiedeten Datenstrategie der Bundesregierung. Um innovative und für Nutzerinnen und Nutzer relevante Informationen und Daten anbieten zu können, erschließt das Statistische Bundesamt neue Datenquellen. Ein Beispiel hierfür ist der Hotspot-Monitor des Statistischen Bundesamtes. Im Rahmen einer Sonderauswertung anonymisierter Mobilfunkdaten analysiert das Statistische Bundesamt die Mobilität während der Corona-Pandemie. Mobilfunkdaten können einen Hinweis darauf geben, wie stark sich das Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger in sogenannten Corona-Hotspots

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Die neue Rolle der amtlichen Statistik (BS/Dr. Georg Thiel) Das sich schnell verändernde Umfeld der amtlichen Statistik – angetrieben durch Digitalisierung und Automatisierung – bietet neue Chancen, stellt aber auch neue Herausforderungen an die Rolle der amtlichen Statistik. Die Reaktionsfähigkeit auf neue Datenbedarfe, die Sicherung der Datenqualität sowie neue Akteure im Datenökosystem machen eine Weiterentwicklung der Rolle des Statistischen Bundesamtes für ein nachhaltiges Datenmanagement nötig. nach Inkrafttreten von Beschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie verändert und wie umgekehrt die Veränderung der Mobilität die Inzidenz beeinflusst hat.

Statistisches Bundesamt fördert Data Literacy Im Rahmen der schnell voranschreitenden Digitalisierung spielt der Umgang mit Daten in allen Bereichen der Gesellschaft eine bedeutende Rolle. In seiner Rolle fördert das Statistische Bundesamt das Verständnis und die Fähigkeit zur Einordnung von Daten (Data Literacy) in Verwaltung, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Aufbauend auf der langjährigen Erfahrung des Statistischen Bundesamtes im Umgang mit Daten sollen die Chancen und Potenziale der Datennutzung aufgezeigt und ein verantwortungsvoller Umgang mit Daten gefördert werden. Hier setzt das Statistische Bundesamt bei den eigenen Beschäftigten an. Mit der DigiTalent-Lernreise, einem Trainee-Programm im Rahmen des Kompetenzmanagements, stellt sich das Statistische Bundesamt den Herausforderungen der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mit dem gezielten Aufund Ausbau digitaler Zukunftskompetenzen bei ausgewählten Beschäftigten. Durch die Teilnahme an der DigiTalent-Lernreise sollen die Teilnehmenden befähigt werden, angestoßene Digitalisierungsinitiativen in den Behörden besser, schneller und motivierter umzusetzen und ihr Wissen und Können als Multiplikatoren zu verbreiten. In der Rolle als nutzerorientierter Informationsdienstleister steigert das Statistische Bundesamt die schnelle und flexible Bereitstellung von Informationen und stellt dabei die Bedürfnisse seiner Zielgruppen in den Mittelpunkt. Das Ziel ist durch eine bedarfsgerechte Bereitstellung die Informationen des Statistischen Bundesamtes möglichst vielen Nutzerinnen und Nutzern einfach zugänglich zu machen. Aufgrund des Bedarfs an einer kompakten Informationsbereitstellung für Entscheiderinnen und Entscheider aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft hat das Statistische Bundesamt das Dashboard-Deutschland veröffentlicht. Dadurch wurde ein An-

Vor diesem Hintergrund diskutierten die Generaldirektorinnen und GeneraldirekDr. Georg Thiel ist Präsident des Statistischen toren der NationaBundesamtes (Destatis). len Statistischen Ämter Europas Foto: BS/Destatis in einem virtuellen Workshop die Rolle, die das Europäische Stagebot an hochaktuellen und hoch- tistische System (ESS) zukünftig frequenten Daten in aggregierter in einer sich immer schneller entForm zu verschiedenen Themen wickelnden digitalen Datenlandaus amtlichen und nichtamtli- schaft einnehmen soll. Auch das ESS steht vor der chen Quellen geschaffen. Neben der nutzerorientierten Aufberei- Aufgabe, sich zukunftsorientiert tung der Daten und der Bereit- weiterzuentwickeln und aufzustellung fundierter Qualitätsaus- stellen. Als gewähltes Mitglied der sagen sowie Meta-Informationen ESS-Partnerschaftsgruppe vertrete zu den Daten stellt die Aktualität ich als Präsident des Statistischen der Daten ein Kernelement des Bundesamtes die deutschen Interessen in dieser richtungsweisenDashboards Deutschland dar. den Zeit. Die Mitgliedschaft in der Europäische Datenstrategie Partnerschaftsgruppe (PG) ist eine Auch in Europa spielt das neue große Chance für das Statistische Datenökosystem eine wichtige Bundesamt, weil wir dadurch in Rolle; die EU hat die Europäi- besonderem Maße an der Weitersche Datenstrategie veröffentlicht. entwicklung des ESS mitwirken

können. Ein zentrales Thema in den Beratungen der PG wird u. a. die Schaffung eines verbesserten Zugangs der amtlichen Statistik zu “privat gehaltenen Daten” sein, wie zum Beispiel Mobilfunkdaten, Scannerdaten, Plattformdaten, Trackingdaten etc. Hier muss die amtliche Statistik ihre Rolle in der sich permanent verändernden Datenlandschaft neu definieren und rechtliche und digitale Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist eine engere Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer Produkte und Methoden, um Innovationen und Synergien des ESS optimal ausschöpfen zu können.

Data Stewardship weltweit ein Thema Viele Länder in Europa und weltweit setzten sich bereits mit dem Thema Data Stewardship und der damit einhergehenden Weiterentwicklung der amtlichen Statistik auseinander. So wurde zum Beispiel in Litauen das Statistikgesetz

dahingehend geändert, dass das Statistikamt nun alle relevanten Statistiken über ein “State Data Governance Information System” zur Verfügung stellen kann. In der Schweiz strebt der Bundesrat an, die Datenbewirtschaftung der öffentlichen Hand durch die Mehrfachnutzung von Daten einfacher und effizienter zu gestalten. Dafür sollen Personen und Unternehmen den Behörden bestimmte Angaben nur noch einmal melden müssen. Damit soll die Grundlage für die Umsetzung des sogenannten Once-Only-Prinzips geschaffen werden. Um die Nutzung der vorhandenen Daten noch effizienter zu gestalten, hat das Statistikamt in Neuseeland sogar einen Government Chief Data Steward benannt. Nun gilt es zu entscheiden, welche Wege das Statistische Bundesamt in Zukunft gehen wird, um die Stellung als relevanter Akteur im deutschen und europäischen Datenökosystem weiter auszubauen. Daten spielen eine immer wichtigere Rolle in der Gesellschaft. Die EU hat mit der Europäischen Datenstrategie und Deutschland mit der kürzlich veröffentlichten Datenstrategie der Bundesregierung darauf reagiert. Statistikämter weltweit stellen sich neuen Herausforderungen und nutzen die Chancen der Digitalisierung. In diesem neuen Datenökosystem ist Data Stewardship eine der Möglichkeiten für die neue Rolle der amtlichen Statistik.

Vernichtende Kritik Sicherheitsforscher nehmen sich die Luca-App vor (BS/stb) Über 70 Sicherheitsforscherinnen und -forscher haben der Luca-App ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Das System erfülle nicht die Anforderungen an Zweckbindung, Offenheit und Freiheit. In einem offenen Brief fordern die Experten aus Deutschland, Österreich und Schweiz eine Rückbesinnung auf die Einhaltung zentraler Grundprinzipien bei der digitalen Kontaktverfolgung: Zweckbindung, Offenheit und Transparenz, Freiwilligkeit, Risikoabwägung. Auf diese hatten sich vor einem Jahr über 600 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verständigt. “Das bereits in vielen Bundesländern eingesetzte Luca-System erfüllt keine dieser Prinzipien”, heißt es nun im Brief. Es bestehe eine Abhängigkeit von einem einzelnen Privatunternehmen mit Gewinninteresse. So hätte der Betreiber des Systems bereits weitere Geschäftsmodelle auf Basis von Luca diskutiert. Da anders als etwa bei der Corona-Warn-App der Bundesregierung der Quellcode nicht offenliege, seien “selbst leicht

zu findende Sicherheitslücken” erst im laufenden Betrieb entdeckt worden. Bewegungs- und Kontaktdaten würden im großen Umfang zentralisiert erfasst und bei einem einzelnen Unternehmen gespeichert. Die versprochene doppelte Verschlüsselung biete keinen ausreichenden Schutz, weil sich Bewegungsprofile schon aus anfallenden Metadaten erstellen ließen. “Eine solch umfassende Datensammlung an einer zen­ tralen Stelle birgt massives Missbrauchspotenzial und das Risiko von gravierenden Datenleaks”, kritisieren die Forscher. Bei der Corona-Warn-App waren solche Bedenken Anlass gewesen, auf eine dezentrale Speicherung zu setzen.

Wirksam oder nicht? Gelobt wurde die Luca-App bisher vor allem, weil mit Kon-

takttagebuch und Gästeregistrierung eine wirksame Kontaktnachverfolgung möglich sein soll. Die IT-Sicherheitsforscher ziehen den Nutzen jedoch in Zweifel. So beschränke sich die Umsetzung bisher im Wesentlichen auf die automatisierte Erfassung von Papierlisten – bei den Gesundheitsämtern erfolge die Auswertung jedoch weiter manuell. Zudem bestehe die Gefahr, dass Gesundheitsämter zusätzlich belastet werden, weil Luca leicht und in großer Zahl falsche oder manipulierte Anmeldungen und Check-ins erlaube. Im Fazit heißt es: “Die mit dem Luca-System verbundenen Risiken erscheinen völlig unverhältnismäßig, da sie den erwarteten Nutzen deutlich überwiegen.” Den offenen Brief haben ITSicherheitsexperten renom-

mierter Forschungsstandorte unterzeichnet, darunter das Forschungsinstitut CODE der Universität der Bundeswehr, das CISPA Helmholtz Center for Information Security, das Karlsruher Institut für Technologie, das Hasso-Plattner-Institut und das Fraunhofer ISI. Zuvor hatte bereits der Chaos Computer Club in einer umfassenden Stellungnahme Sicherheits- und Datenschutzmängel bei Luca festgestellt. Die kommerzielle Luca-App hatte zuvor als wirksamere Alternative zur Corona-Warn-App der Bundesregierung viel Lob erhalten. Inzwischen haben 13 Länder und zahlreiche Landkreise Lizenzen gekauft. Fast die Hälfte der Gesundheitsämter ist angeschlossen. Medienberichten zufolge sollen dafür über 20 Millionen Euro geflossen sein.

Interne Beratung in Behörden NExT veröffentlicht Thesenpapier zu Nutzen und Einsatz

MELDUNGEN

(BS/Magdalena Weiß*) “Jede Behörde kann von einer internen Beratungseinheit profitieren, um sich fit für die Zukunft zu machen”, davon ist Christian Fischbach, BwConsulting und Leiter der Community “Interne Beratung” des NExT-Netzwerkes überzeugt. In einem Thesenpapier gibt (BS/pet) Das Europäische Da- tausch von öffentlichen Datenbe- die Community nun Hilfestellung für den Einsatz interner Beratungseinheiten in der öffentlichen Verwaltung.

Data.Europa.EU ist online tenportal und das Open-DataPortal der EU sind in einer neuen Plattform zusammengefasst worden. Als zentrale Anlaufstelle innerhalb Europas stehen mit der neuen Open-Data-Plattform ab sofort qualitativ hochwertige Daten für alle Mitgliedsstaaten bereit. Mit Data.Europa.EU will die Europäische Union eine zentrale Open-Data-Lösung schaffen, mit der die Wiederverwendung ebenso wie der transparente Aus-

ständen auf europäischer Ebene gefördert werden soll. Ziel des nun freigeschalteten Portals ist es, den Mehrwert öffentlicher Datenressourcen für Gesellschaft, Politik und Ökologie aufzuzeigen und zugleich Anreize zur Förderung von Open-Data-Vorhaben auf nationaler und lokaler Ebene zu setzen. Wie es heißt, wurde Data.Europa.EU im Vergleich zu seinen Vorgängern nicht nur optisch verbessert, sondern bietet auch funktionale Vorteile.

134 Millionen Euro für OZG-Themenfeld (BS/gg) Das Bundesfamilienministerium und die Freie Hansestadt Bremen haben eine Vereinbarung zur Umsetzung digitaler Leistungen im OZG-Themenfeld “Familie und Kind” unterzeichnet. Dafür werden nun 134 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket des Bundes bereitgestellt.

In diesem Themenfeld werden 21 verschiedene Verwaltungsleistungen digitalisiert, die für Bürgerinnen und Bürger z.B. bei einer Schwangerschaft, Geburt oder Adoption eines Kindes, im Kontext der Eheschließung oder im Bereich Vaterschaft, Unterhalt und Sorgeerklärung wichtig sind.

Die komplexen Strukturen und Prozesse von Behörden benötigen hier eine kluge Ergänzung, um langfristig leistungsfähig zu bleiben und staatliche Institutionen auch in einer sich schnell wandelnden Umwelt handlungsfähig zu erhalten. Schnell, flexibel und effizient handeln, komplexe Lösungen querschnittlich bearbeiten – das erfordert eine ausgeprägte Innovations- und Projektfähigkeit, die nicht durch die Linienorganisation einer Verwaltung geleistet werden kann. “Organisationale Ambidextrie” lautet die Devise: das Tagesgeschäft effizient erbringen und sich gleichzeitig kontinuierlich weiterentwickeln. Interne Beratungseinheiten sind dabei ein wesentlicher Baustein, um, als Kompetenzzentren und Innovationszellen für projektbasiertes

Arbeiten, die Behörden bei den Lösungen der Herausforderungen von heute und morgen zu begleiten. Sie beraten neutral, mit Kennerblick von innen heraus, wirken vertrauensvoll mit den Mitarbeitenden zusammen und bewahren Wissens- und Kompetenzzuwächse innerhalb der jeweiligen Behörde. Damit bieten sie für die öffentliche Verwaltung in einer breiten Palette fachlicher und vor allem methodischer Tätigkeitsfelder Mehrwerte, deren potenzieller Nutzen bei Weitem noch nicht erkannt und noch lange nicht ausgeschöpft ist. Dennoch gilt dabei grundsätzlich: Die Beratung muss zum Bedarf der jeweiligen Behörde passen und bedarf einer klaren Abgrenzung zum operativen Geschäft, damit sie nicht zur reinen Personalreserve der

Linie wird. Zudem bewegt sich eine interne Beratungseinheit grundsätzlich im Spannungsfeld zwischen unabhängiger Beratung und hierarchisch-steuernder Einflussnahme der jeweiligen Behörde. Als neutraler Partner soll sie nah an der Linie, aber im Idealfall nicht in diese integriert sein. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind eine klare Festlegung ihrer Rolle und ihres Auftrags innerhalb der Behörde. Interne Beratung lebt nicht zuletzt vom Commitment durch die Leitungsebenen, Zugangsmöglichkeiten zu internen Entscheiderinnen und Entscheidern sowie einer breiten Akzeptanz in der jeweiligen Behörde. Hohe Sichtbarkeit und ein gutes Standing sind essenziell – dafür braucht es eine erfolgreiche Startphase, über die eine langfristige

Nachfrage ausgelöst wird. Eine aktive interne Vernetzung, gute Kundenbeziehungen und eine Kommunikation auf Augenhöhe führen schnell dazu, dass sich der Nutzen interner Beratung als Garant für erfolgreiche Projekte herumspricht. Dann braucht es auch keine zwingende Verpflichtung, interne Beratung in Anspruch nehmen zu müssen. Stattdessen spricht die Leistung für sich selbst. Neugierig, sich ständig weiterentwickelnd, dienstleistungsorientiert, selbstorganisiert, flexibel und verbindlich – das macht eine interne Beratung aus. Das gesamte Thesenpapier steht unter next-netz.de zum Download bereit. *Magdalena Weiß leitet die Kommunikation des NExTNetzwerkes.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Mai 2021

Kompetenzen aufbauen

Behörden Spiegel: Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell im Bereich der IT-Sicherheit?

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ehörden Spiegel: Herr Joos, Sie sind im Februar von der Deutschen Rentenversicherung Bund zum Finanzministerium gewechselt. Haben sie sich schnell eingelebt?

Joos: Ja, es kommt mir mittlerweile so vor, als hätte ich nie woanders gearbeitet. Ich wurde hier sehr gut aufgenommen und konnte gleich mit der Arbeit beginnen, denn die Themen sind eigentlich überall ähnlich. Zudem bin ich von der Kompetenz und dem Engagement der Beschäftigten begeistert. Um es mit einem Zitat von Franz Beckenbauer zu beschreiben: “Ich möchte einmal in meinem Leben in einer Mannschaft spielen, in der elf Leute Fußball spielen können.” Ich glaube, hier im Finanzministerium sind wir da schon nah dran. Behörden Spiegel: Schauen Sie denn auch auf die Digitalisierungsbemühungen in den anderen Ressorts? Joos: Selbstverständlich. Ich habe zum Beispiel einen regelmäßigen Jour fixe mit dem Innenministerium, denn hier ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit besonders wichtig. Man muss zwar nicht immer einer Meinung sein, aber man geht offen, transparent und fair miteinander um. Dann kann man auch Entscheidungen herbeiführen. Behörden Spiegel: Ihr CIOKollege Dr. Markus Richter hat

Das Bundesfinanzministerium gründet ein Innovation Lab (BS) Seit Anfang Februar hat die Bundesfinanzverwaltung (BFV) mit Harald Joos einen neuen IT-Beauftragten. Seitdem soll hierarchieübergreifend Verwaltung neu gedacht und gestaltet werden. Joos möchte vor allem das Miteinander verändern und hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen dafür ein Innovation Lab gegründet, das als Katalysator für neue Ideen dienen soll. Das Interview führte Uwe Proll. Beratungsfunktion im Bund nicht bewältigen werden. Behörden Spiegel: Digitalisierung berührt also nicht nur die technische Seite, sondern führt insbesondere zu einer Veränderung der Organisation und der Arbeitsweise? Joos: Richtig. Deswegen haben meine Kolleginnen und Kollegen und ich die Entscheidung getroffen, ein “Innovation Lab” aufzubauen. In diesem analogen Raum sollen Veränderungen fürs Digitale stattfinden. Hier soll hierarchieübergreifend Verwaltung neu gedacht und gestaltet werden.

Joos: Die Idee finde ich super. Man darf sich nicht zu sehr von externen Beratern abhängig machen, sondern muss die Kompetenzen zum Teil auch selber aufbauen. Darüber hinaus müssen wir zu einer anderen Art von Zusammenarbeit kommen, weg vom strikten hierarchischen Denken. Sonst wird die Digitalisierung in Deutschland in der Verwaltung nicht funktionieren. Allerdings brauchen wir diese Kompetenzen auch im BMF, denn die Herausforderung im Ressort ist groß, sodass wir ­diese allein mit einer zentralen

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ie in vier Handlungsfelder aufgeteilten Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft Daten nutzen, teilen und diese zugänglicher gemacht werden. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Datenbereitstellung und -nutzung signifikant zu erhöhen. Hierfür sollen wichtige Rahmenbedingungen (Kompetenzen, Datenkultur) und Infrastrukturen geschaffen werden. Ein Handlungsfeld soll den Staat selbst zum Vorreiter ­machen. Die Datenkompetenz, Datennutzung und das Veröffentlichen von Daten (Open Data) soll signifikant ausgebaut werden: “Die Verwaltung benötigt für ein vorausschauendes und evidenzbasiertes Handeln auch kurzfristig valide Daten aus unterschiedlichen Bereichen, um Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen überprüfen und die Entscheidungen ggf. anpassen zu können”, so die Datenstrategie. Nur wenn Daten in einer hohen Qualität,

so Harald Joos, IT-Beauftragter der Bundes­ finanzverwaltung, zum wachsenden Bedarf von IT-Dienstleistern in der Bundesverwaltung. Foto: BS/Schubert

Behörden Spiegel: Wie wird dieses Innovation Lab organisiert? Joos: Das Lab ist insbesondere für das BMF, aber auch deren nachgelagerte Organisationen und Behörden gedacht. Ich sehe in einigen Projekten, dass es nicht ideal läuft, weil Menschen nicht ausreichend miteinander reden. Wenn Mitarbeitende Ideen entwickeln, muss es einen Raum geben, in dem die Leute diese aufgreifen und anfangen, sie einzuordnen. Deswegen ist das Lab als Kata-

“Wir müssen weg vom strikten hierarchischen Denken.” neulich vorgeschlagen, eine hausinterne “Beratungsagentur”, welche an das BMI angedockt sein könnte, einzurichten. Die würde dann auch im weiteren Verlauf anderen Ressorts zur Verfügung stehen. Was halten sie davon?

“Ein ITZBund wird den großen Bedarf alleine nicht bewältigen können”,

lysator für die Arbeit im Ressort des BMF gedacht. Wir müssen die Verwaltung vom Denken her verändern, damit wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern die Leistungen erbringen können, die sie von uns erwarten. Behörden Spiegel: Welche Philosophie steckt dahinter? Joos: Wir müssen die Kultur und das Miteinander verändern. Flachere Hierarchien sind ein gutes Mittel dafür. Ich duze sämtliche Mitarbeiter meiner Abteilung, die können mich auch duzen und meine Erfahrung damit ist ausgesprochen positiv. Letztendlich sind wir eine IT-Abteilung, ein “IT-Unternehmen”, wenn sie so wollen, das zufällig in einer Behörde verankert ist und in der IT ist es üblich, dass sich die Kollegen untereinander duzen.

Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt externes Know-how in diesem Prozess? Joos: Im Innovation Lab setzen wir zum Beispiel zunächst auf externe Coaches, intern haben wir noch nicht die ausreichenden Erfahrungen und Ressourcen dafür. Wir wollen dort ausschließlich die Methoden des Design Thinkings anwenden. Natürlich sollen unsere internen Mitarbeiter dieses Wissen aufnehmen und ihre Kompetenzen erweitern, um perspektivisch in der Lage zu sein, das später allein zu gestalten. Behörden Spiegel: Wird sich das Innovation Lab auch mit Themen wie Kryptowährungen und Blockchain auseinandersetzen? Joos: Ja, wir müssen viel mehr vorausdenken, wir müssen viel mehr risikobasierte Ansätze verfolgen und das Wissen der Techniker, die sich mit den Plattformen auskennen, mit dem Know-how der Fachleute, die das Prozesswissen haben, kombinieren. Dazu zählen auch wichtige Themen wie Blockchain und Kryptowährungen. Behörden Spiegel: Wie sieht denn die Cloud-Strategie im Öffentlichen Dienst aus?

Joos: Es wird m. E. eine Verwaltungs-Cloud geben, die aus vielen einzelnen Clouds bestehen wird. Eine dieser Clouds wird die Bundes-Cloud sein. Der Name ist etwas unglücklich gewählt, weil er impliziert: Es gibt nur eine Cloud für den Bund. Die Bundes-Cloud beinhaltet Cloud-Services, die das ITZBund auf Basis von OpenSource-Produkten anbietet. Wenn wir Cloud einmal verkürzt darstellen, dass wir leicht und schnell Leistungen auch aus anderen Rechenzentren als dem eigenen beziehen, dann wäre z. B. Dataport ein Partner, der aktuell das Produkt Phönix anbieten könnte. Warum sollen wir das aus dem ITZBund he­ raus nicht nutzen können? Ich könnte dann auch eine Videokonferenz mit Jitsi machen. Den Ansatz mit Phönix unterstütze ich, weil er die Abhängigkeiten von den Cloud-Angeboten der Hyperscaler – Amazon, Microsoft und Google – reduziert, auch wenn es ein längerer Weg sein wird, den wir hier beschreiten. Behörden Spiegel: Wie kann man den Ressortbereich in der IT führungsfähiger gestalten? Joos: Wir haben mit dem ITZBund einen großen und guten

Dienstleister, der viele Projekte umsetzt und auch ein eigenes Projektcontrolling hat. Eine Idee ist, dass wir eine übergreifende Sicht auf die Projekte schaffen und die Abhängigkeiten zwischen den Projekten noch frü-

her transparent machen und vor allen Dingen auch laufend nachverfolgen. Behörden Spiegel: Das ITZBund ist ihr unmittelbar nachgeordneter Bereich. Welche Vorteile bringt die Umwandlung in eine Anstalt des Öffentlichen Rechts? Joos: Man hat die Entscheidung getroffen, dem ITZBund den Weg in die Selbstständigkeit zuzutrauen, sodass die Akteure selbst die Verantwortung übernehmen können. Naturgemäß hat das ITZBund eine enge Beziehung bei der Softwareentwicklung zum Finanzministerium und auch bei der Infrastruktur. Wir brauchen allerdings mehr Dienstleister in der Bundesverwaltung für alle. Ein ITZBund wird den großen Bedarf der gesamten Verwaltung alleine nicht bewältigen können.

Open Data als Türöffner für datengestützte strategische Steuerung (BS/Marie Jansen/Carlos Ferrero Calle*) Daten heben sich immer mehr als wichtiges Gut hervor, um Krisen besser zu bewältigen. Das hat die Covid-19-Pandemie eindrücklich gezeigt und dies wird auch zukünftig durch den Klimawandel immer relevanter. Daten helfen dabei, bessere Entscheidungen zu treffen und sind Grundlage für eine zielgerichtete strategische Steuerung. Nachdem die EU ihre Datenstrategie mit dem Ziel der Etablierung eines europäischen Daten-Binnenmarktes veröffentlicht hat, hat nun auch die Bundesregierung eine Datenstrategie mit rund 240 Maßnahmen in vier Handlungsfeldern beschlossen.

(Offene) Daten – das ­Waisenkind der Verwaltung Dabei schien es für einige Zeit, dass das lange Schlummern im Schatten der großen Digitalisierungsvorhaben der Verwaltung bei Open Data fast unbemerkt an den Akteuren vorbeizieht. Mit der Datenstrategie ist anzunehmen, dass der “(Open-) Data-Riese” und seine Potenziale endlich geweckt werden. Obwohl es auf allen föderalen Ebenen zahlreiche Open-DataInitiativen gibt (European Data Portal; Umsetzung des OpenData-Gesetzes auf Bundesebe-

ne oder die Bereitstellung von Daten auf Landesebene wie bspw. in Schleswig-Holstein), bleibt die Datennutzung noch weit hinter den Erwartungen zurück. Noch immer besetzt das Thema “Daten” in den meisten Behörden die Rolle des “Waisenkindes”. Abgesehen von der offenen Technologie und Plattformfragen, den Fragen zu Data-Management, -Governance und -Souveränität, gilt es insbesondere, den “DatenschatzMehrwert” zu plausibilisieren sowie Ängste vor Kontrollverlust und ethisch-moralische Bedenken vieler Stakeholder nachhaltig aufzulösen. Meist fehlt in der Verwaltung ein “echter Daten-Verantwortlicher”,

der Datensilos aufbricht, die Qualität der Daten sicherstellt und die Mehrwerte der Daten systematisch herleitet. Ob hier die Strategie des Bundes einen Lösungsansatz liefern wird, bleibt abzuwarten.

Strategische Ressource für komplexe Entscheidungen Daten richtig für sich zu nutzen, auf der Grundlage von Daten strategische Entscheidungen abzuleiten und ganze Organisationen zu steuern, das ist die Zukunft. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, nicht nur stets aktuelle Daten zu haben, sondern diese Daten bundesweit miteinander zu verbinden, damit zeitkritische Entscheidungen schnell getrof-

Behörden Spiegel: Wie ist Ihre Meinung zur Etablierung eines Digitalministeriums nach der kommenden Bundestagswahl? Joos: Zwiegespalten, kein klares Ja oder Nein, denn es kommt auf die Ausgestaltung an. Es ist ein probates Mittel, jetzt eine organisatorische Einheit zu schaffen, die sich um bestimmte Dinge kümmern soll. Einige Aufgaben kann man besser zentral kontrollieren und steuern, um Entscheidungen schneller herbeiführen zu können. Digitalisierung findet allerdings überall statt. Es gibt kein Projekt mehr, wo nicht

“Wir brauchen mehr ­IT-Dienstleister in der Bundesverwaltung.”

Ein ganzheitliches Datenökosystem

mit Metadaten versehen und frei verfügbar bereitgestellt werden, können sie von zahlreichen Stakeholdern genutzt werden.

Joos: Der Schutz der Infrastruktur und der Daten ist unheimlich wichtig. Es steht außer Frage, dass wir diese maximal absichern müssen. Teilweise müssen wir zukünftig auch auf Cloud-Angebote zugreifen, sonst wird es nicht funktionieren, weil wir einfach die Kapazitäten in den eigenen Rechenzentren nicht haben, um z. B. kurzfristig stark skalieren zu können oder weil bestimmte Services nur noch über die Cloud genutzt werden können. Die sichere Nutzung von Cloud-Services wird eine der Herausforderungen bei der Informationssicherheit sein. Das müssen übrigens nicht nur Cloud-Angebote der Hyperscaler sein, die wir nutzen.

fen werden können. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz kann dies zusätzlich beschleunigen und ein wesentliches Puzzleteil neben datengestützter strategischer Steuerung sein. Vielfältige Beispiele finden sich auch im Umweltbereich. So lässt sich z. B. mittels Satellitendaten die optimale Wassermenge für landwirtschaftliche Nutzflächen bestimmen, um den sich zukünftig häufenden Dürreperioden besser zu begegnen. Daten sind ein Instrument, um die Resilienz von Organisationen und Verwaltungen zu erhöhen und (zukünftige) Herausforderungen zu bewältigen. Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass Daten kein Selbstzweck sind, sondern immer in

IT drinsteckt. Insofern gibt es Grenzen einer Zentralisierung, da sonst alle Projekte über ein Digitalministerium laufen würden. Wir würden damit nicht schneller werden, vermute ich. Behörden Spiegel: Was würden Sie denn anstelle eines Digitalministeriums vorschlagen? Joos: Ich könnte mir vorstellen, dass wir in jedem Ministerium Digitalisierungsbeauftragte einrichten. Diese brauchen wir m. E. auch mit einem Digitalministerium. Wir sind leider häufig ein bisschen spät dran. Vor 20 Jahren hätte man ein IT-Ministerium gebraucht, vor fünf Jahren ein Digitalisierungsministerium und jetzt eine andere Einheit. Vielleicht ein Innovationsministerium, wobei der Name eigentlich egal ist, es kommt auf die Inhalte an.

ein entsprechendes Ökosystem eingebettet sein müssen, um eine datengestützte strategische Steuerung zu ermöglichen. Hierfür bedarf es einer institutionalisierten Dateninfrastruktur, offener Schnittstellen und Datensensibilität. Es braucht ein Bewusstsein, Daten als strategische Ressource zu begreifen. Daten offen bereitzustellen, kann dabei der erste Schritt für eine zielgerichtete und effiziente Steuerung in der Verwaltung sein. Die Expertinnen und Experten von Capgemini unterstützen bei allen Schritten hin zu einem ganzheitlichen Datenökosystem. Mehr zum Ansatz einer datengestützten strategischen Steuerung unter www.capgemini.com/ de-de/service/kuenstliche-intel ligenz-strategische-steuerung *Marie Jansen ist Open-Data Expertin bei Capgemini. Carlos Ferrero Calle, ebenfalls Capgemini, ist Themenverantwortlicher für datengestützte strategische Steuerung im öffentlichen Sektor.


Behörden Spiegel / Mai 2021

Informationstechnologie

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Geoportal.de

und, Länder und Kommunen betreiben das Geoportal.de gemeinsam mit dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG). Es öffnet den großen Schatz an Geodaten und macht ihn einem breiten Anwenderkreis zugänglich – und dieses Portal hat nun einen ordentlichen Frühjahrsputz erhalten. Seit dem 26. April erstrahlt das Geoportal.de im neuen Gewand. Die zugrunde liegende Technik wurde erneuert, die Benutzeroberfläche neu gestaltet und die Inhalte wurden umfangreich redaktionell aufgearbeitet. Die Vielzahl der verlässlichen Daten und Karten des Bundes, der Länder, der Kommunen, aber auch von wissenschaftlichen Instituten und Unternehmen sind jetzt noch einfacher zu finden und bieten den Nutzern die Grundlage für diverse Anwendungsszenarien. Der Vorsitzende des Lenkungsgremiums der GDI-DE, Mario Friehl, begrüßt die aktuelle Weiterentwicklung von “Geoportal. de” ausdrücklich. Er sagt: “Mit der Weiterentwicklung ist es uns gelungen, die Geodaten des Bundes, der Länder und Kommunen über ein zentral bereitgestelltes Geoportal beim Bundesamt für Kartographie und Geodäsie für die breite Öffentlichkeit verfügbar zu machen.” Die meisten Herausforderungen sind heute so komplex, dass man digitale Informationen und Daten aus vielen Fachgebieten

Deutschlands Geoportal 2.0 für interdisziplinäre Fragestellungen (BS/GDI-DE/BKG) Geodaten sind für viele Entscheidungen von immenser Bedeutung. Es gibt eine große Vielzahl Geodaten haltender Stellen. So enthält die Geodateninfrastruktur Deutschland (GDI-DE) beispielsweise über 280.000 Geodatensätze aus ganz Deutschland. Diese Geo-Fachdaten sind in den jeweiligen Fachkreisen gut bekannt. Komplizierter wird es jedoch bei themen- und fachübergreifenden Fragestellungen. Hier unterstützt das Geoportal.de mit einer einzigartigen Zusammenstellung unterschiedlichster Geodaten. und die leichte Bedienbarkeit des Geoportals: “Ich bin mir sicher, dass wir mit dem Geoportal.de ein Werkzeug geschaffen haben, welches die Nutzung von Geoinformationen fördert und bei der Bearbeitung vieler Fragestellungen einen echten Mehrwert bietet.”

Plattform für Experten und Laien

Kombination der Karten “Grundwasservorkommen” und “Fernwasserleitungen” Screenshot: BS/BKG

zur Lösungsfindung benötigt. Im neuen Geoportal.de können Datensätze für die Kombination verschiedener Sachverhalte deshalb übereinandergelegt oder in ihrem zeitlichen Verlauf dargestellt werden. Dabei ist die Bandbreite der Themen und der dazugehörigen Daten enorm groß: von Klimawerten aus den letzten Jahrzehnten über stundenaktuelle Pegelstände in den

Flüssen, Unfallorte mit FahrradBeteiligung, natürliche Radioaktivität, Luftbelastungen, Gewässergüte bis hin zu hochgenauen Luft- und Satellitenbildern. Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie ist nicht nur einer der vielen Datenlieferanten, sondern auch technischer Betreiber von Geoportal.de. Prof. Dr. Paul Becker, Präsident des BKG, betont den großen Nutzen

TR RESISCAN Papierdokumente rechtssicher scannen (BS) In Deutschlands Behörden stehen die Zeichen klar auf Digitalisierung. Ein Meilenstein ist die E-Akte, in die auch Papierdokumente übergehen sollen. Ein Prozess, der angesichts strenger Vorgaben nach einer standardisierten Lösung verlangt. Mächtige Aktenberge auf den Schreibtischen, wuchernde Blätterwälder in den Archiven und mittendrin pulsiert das Arbeitsleben – Bilder eines Streifzugs durch die hiesige Verwaltungslandschaft. Zwar läuft in Deutschlands Behörden vieles digital ab. Dennoch ist Papier im Arbeitsalltag allgegenwärtig. Noch. Denn schon seit dem Jahreswechsel 2020 sind die Institutionen des Bundes dabei, auf elektronische Aktenführung umzusteigen – eine zentrale Vorgabe des E-Government-Gesetzes. Die Justiz muss deutschlandweit bis 2026 nachziehen. Für Landesbehörden und Bürgerämter fehlt es meist noch an verbindlichen Fristen. Trotzdem sollten auch sie sich damit beschäftigen, auf die E-Akte umzustellen. Weil sie ohnehin kommen wird. Und weil sie sich lohnt. Papierbasiertes Arbeiten kostet Zeit, nagt an der Effizienz und ist schon gar nicht kompatibel mit mobilem Arbeiten. Zudem wachsen mit jedem Dokument die Archive – und mit ihnen die Lagerungskosten. Papierbestände zu digitalisieren, ergibt also in vielerlei Hinsicht Sinn – wenn man es richtig angeht: Damit handliche Dateien nämlich genauso rechtswirksam sind wie Gedrucktes, muss beim Digitalisieren der Beweiswert erhalten bleiben.

Ersetzendes Scannen ohne Eigenaufwand Den Prozess, den es dafür braucht, beschreibt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in seiner “Technischen Richtlinie 03138 Ersetzendes Scannen” (TR RESISCAN). Beim ersetzenden Scannen entstehen digitale Dokumente, die inhaltlich und bildlich mit ihren gedruckten Originalen übereinstimmen. Sie haben die gleiche Beweiskraft wie die Papierversionen und fließen später in der E-Akte zusammen. Die Originale hin-

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Der “RESISCAN Service” der Bundesdruckerei erfüllt sämtliche Vorgaben der BSI-Richtlinie. Grafik: BS/Bundesdruckerei

gegen werden – bis auf einige besonders sensible Ausnahmen – vernichtet. Bei so viel Rechtssicherheit steht aber auch fest: Die­­ TR RESISCAN verlangt nach professionellen Dienstleistern. Einer von ihnen ist die Bundesdruckerei, die seit Jahren Scanvorhaben für den Bund abwickelt. Ihr BSI-zertifizierter “RESISCAN Service” erfüllt sämtliche Vorgaben der Richtlinie und verspricht dem Kunden ein Komplettpaket. Dieses beginnt schon vor der Scan- und Datenerfassung, hört danach jedoch noch lange nicht auf. So unterstützen die Bundesdruckerei-Experten bereits, wenn es darum geht, die Papierdokumente nach ihrem Schutzbedarf zu klassifizieren. Für jedes Digitalisierungsprojekt gibt’s ein individuelles Konzept. Nach dem sicheren Transport spielt sich der Rest in der Hochsicherheitsumgebung der Bundesdruckerei ab. Das gilt allem voran für den vollautomatisierten Scanprozess, bei dem überdurchschnittlich hohe Qualitätsstandards greifen – darunter auch eine umfangreiche Stichprobenprüfung.

Volle Rechtssicherheit, leere Lager Doch eine ausreichende Scanqualität allein genügt noch nicht für Rechtsicherheit nach der TR RESISCAN. Denn die ist erst

dann erreicht, wenn die digitalen Dokumente unveränderbar sind. Zum Einsatz kommen dafür elektronische Signaturen und Siegel, die seit vielen Jahren ihren festen Platz im Portfolio der Bundesdruckerei-Gruppe haben. Erst nach diesem Integritätsnachweis heißt es Abschied nehmen vom Papier. Dabei lässt die Bundesdruckerei größte Sorgfalt walten: Die zertifizierte Vernichtung berücksichtigt für jedes Dokument die gesetzlich vorgeschriebene Aufbewahrungsdauer und schließt Datendiebstahl aus. Vermissen werden das Papier wahrscheinlich die Wenigsten. Zu schnell dürfte sich die Entlastung der Archive und Lager finanziell bemerkbar machen. Zudem verschlanken die digitalen Dokumente Prozesse, weil sie aufs Wesentliche reduziert, frei von Medienbrüchen und räumlich ungebunden zur Verfügung stehen. Und wer sich beim RESISCAN Service entschieden hat, eine optische Zeichenerkennung (OCR) in die Scans integrieren zu lassen, profitiert zudem von einer Volltextsuche. Diese beschleunigt Rechercheprozesse und Fachverfahren merklich. Das Arbeitsleben wird in der Verwaltung also auch nach dem ersetzenden Scannen pulsieren. Nur ohne Papierberge. Mehr Informationen hierzu unter bdr.de/resiscan

Mit dem Geoportal haben BKG und GDI-DE nicht nur Fachleute und Entscheidungsträger im Visier. Jeder kann diese Plattform nutzen. So wird der Umgang mit Geoinformationen für alle Anwender zu einem “leichten Spiel”. Kurze Videos erläutern die Bedienung der Kartenansicht und der Karten-Werkzeuge. Das Geoportal und viele der darin enthaltenen Informationen sind damit auch sehr gut für Schulen und die Lehre insgesamt geeignet. Wichtig außerdem: Grundsätzlich werden diese Informationen kostenfrei bereitgestellt. Diverse Karten zu kombinieren, auch aus verschiedenen Themenbereichen, ist ein weiterer wesentlicher Vorteil im Geoportal.de: So zählt Deutschland zum Beispiel zu den regenreichen Ländern in Europa, jedoch ist die räumliche Verteilung der Niederschläge sehr unterschiedlich, was an einer Übersichtskarte der langjährigen Niederschläge deutlich wird. Im Vergleich mit einzelnen Jahren wird außerdem ersichtlich, dass die Regenmenge zum Beispiel 2020

deutlich niedriger war als im langjährigen Mittel. Dass dies problematisch ist, zum Beispiel für das Grundwasservorkommen, ist kein Geheimnis, aber es lässt sich im Geoportal besonders gut visualisieren. Durch das Übereinanderlegen der Fernwasserleitungen und der Grundwasservorkommen wird schnell klar, dass geringere Niederschläge sich nicht nur auf lokale Grundwasserspeicher auswirken, sondern davon auch die TrinkwasserVersorgung der Metropolregionen wie Frankfurt, Stuttgart oder des Ruhrgebiets betroffen ist – und mit ihnen die Menschen, die Vegetationen, aber auch die Industrie. Welche Landkreise und wie viele Menschen auf die Zufuhr von Trinkwasser angewiesen sind, lässt sich abschätzen, wenn man die Karte der Fernwasserleitungen mit der Bevölkerungsdichte pro Kreis kombiniert. Und damit ist nur ein Aspekt beleuchtet, wie sich Trockenjahre auswirken können. Ein anderes Phänomen des Klimawandels ist die Zunahme der Sonnenscheindauer. Auch hierzu

gibt es im Geoportal.de anschauliche Vergleichskarten. Kombiniert man diese mit den Daten des generell pflanzenverfügbaren Wassers im Sommer, können sich Experten und auch Laien schnell davon ein Bild machen, was es heißt, wenn in Gebieten mit ohnehin geringem Bodenwasser die Sonnenscheindauer drastisch zunimmt – wie zum Beispiel in großen Gebieten von Brandenburg. Land- und Forstwirtschaft leiden hier nicht nur unter weniger Niederschlägen, sondern auch unter steigender

Mario Friehl ist Vorsitzender des Lenkungsgremiums der GDI-DE. Foto: BS/GDI-DE

Prof. Dr. Paul Becker ist Präsident des BKG. Foto: BS/BKG

Sonnenscheindauer und hohen Temperaturen. Zusätzlich zur Karten-Darstellung der Daten im Geoportal.de bieten die Datenbereitsteller ihre Geodaten zum Teil auch zum Download an. Der Einsatz des neuen Geoportals lohnt sich also, sowohl für fachliche Entscheidungen als auch für das unkomplizierte Auffinden von Geodaten, welche von Bund, Ländern und Kommunen zur Verfügung gestellt werden.


Mobile Government

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ber die BayernApp können die Bürgerinnen und Bürger verschiedenste Informationen zu Behörden und deren Verwaltungsdienstleistungen abrufen. Die BayernApp greift dabei auf einen Datenbestand von über 2.500 Verwaltungsleistungen wie beispielsweise die Beantragung der Geburtsurkunde oder die Wohnsitzanmeldung zu. Zu vielen der staatlichen und kommunalen Verwaltungsleistungen sind bereits jetzt Online-Dienste verfügbar und über die App auf-

Behörden Spiegel / Mai 2021

Die BayernApp Der Online-Verwaltungswegweiser für Smartphone und Tablet (BS/Judith Gerlach) Die Bürgerinnen und Bürger sind es inzwischen gewohnt, mit dem Smartphone oder auf dem Tablet einzukaufen oder eine Reise zu buchen. Apps machen das heute für jeden einfach und selbstverständlich. Deshalb ist es uns wichtig, die Kommunikation mit der Verwaltung auch über diesen Weg zu ermöglichen. Mit der BayernApp erleichtern wir das deutlich. Es ist die erste App dieser Art in Deutschland. Bayern ist damit bundesweit ein Vorreiter beim mobilen E-Government. tionen aus den verschiedensten Bereichen des Freistaats abgerufen werden: von Mitteilungen der Staatsregierung über Informatio-

Sie stellen damit rund um die Uhr Informationen und Anträge bereit – und das ohne zusätzlichen Aufwand. Denn die App greift auf den Datenbestand des Redaktionssystems des BayernPortals zurück, das bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz ist. Kommunen beziehungsweise deren kommunale IT-Dienstleister können ihre Daten zu den angebotenen Online-Diensten auch automatisiert per Webservice in das Redaktionssystem einspielen. Alle Verwaltungsleistungen für Bürgerinnen und Bürger werden dann automatisch auch in die BayernApp übernommen. Um die Online-Dienste in der Fläche zur Verfügung stellen zu können, brauchen wir die tatkräftige Unterstützung der Kommunen. Denn sie stellen einen Großteil der Verwaltungsleistungen zur Verfügung. Zahlreiche digitale Modellkommunen und viele andere leisten hier schon einen vorbildlichen Beitrag.

Mit der BayernApp haben wir ein praktisches digitales Werkzeug auf den Weg gebracht. Aber wir stehen erst am Anfang. Das Angebot unserer App soll stetig erweitert werden. Als nächstes wollen wir beispielsweise regionalisierte Statistikdaten integrieren. Damit sollen zukünftig interessante Zahlen, Daten und Analysen zu jedem gewünschten bayerischen Landkreis abrufbar sein, beispielsweise die Entwicklung der Einwohnerzahl oder die örtlichen Beschäftigungszahlen – ein zusätzlicher digitaler Ser-

vice für unsere Bürgerinnen und Bürger.

Mobile First Unser Grundsatz lautet “Mobile First” – insbesondere für die Bürgerdienste! Um möglichst alle digitalen Verwaltungsangebote mobil zu machen, machen wir auch nach Bereitstellung der BayernApp natürlich weiter. Dazu hat die Bayerische Staatsregierung letztes Jahr im Rahmen eines Zwölf-Punkte-Plans “Freistaat Digital” auch verschiedene Maßnahmen zu “Mobile-First”

beschlossen: Beispielsweise werden die Ressorts bis spätestens Ende 2022 ihre bestehenden sowie neuen Internetangebote und Online-Dienste für Bürgerinnen und Bürger konsequent auch für die nutzerfreundliche Bedienung auf Smartphones und Tablets bereitstellen. Wir wollen das aber nicht nur für staatliche Behörden, sondern auch im Bereich der Kommunen unterstützen – denn dort wird ja der Großteil der Verwaltungsleistungen erbracht. Deshalb ist eine der Voraussetzungen unseres Förderprogramms “Digitales Rathaus” für Kommunen, dass die entwickelten Online-Dienste auch in einer für mobile Endgeräte optimierten Form angeboten werden müssen. Unsere Maßnahmen werden einen wesentlichen Beitrag leisten, um dem Mobile Government in Bayern und darüber hinaus einen kräftigen Schub zu verleihen.

mGov4EU EU-Projekt zur Förderung mobiler und grenzüberschreitender Verwaltungsdienste

(BS/Tina Hühnlein*) Durch die praktische Implementierung der seit Juli 2016 vollständig anwendbaren “eIDAS-Verordnung” hat die Europäische Union in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, den grenzüberschreitenden Online-Identifizierungsprozess für Bürgerinnen und Bürger erfolgreich zu vereinfachen. Außerdem ist im Dezember 2020 ein erster Teil der SDG-Verordnung (SDG: Single Digital Gateway) zur Einrichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors zur Verwaltung in der EU in Kraft getreten. Schließlich existiert ein ungebrochener Trend hin zur mobilen und selbstbestimmten Nutzung von Verwaltungsdienstleistungen: Bürgerinnen und Bürger erwarten heute, dass E-Government-Dienste jederzeit bequem per Smartphone nutzNutzerfreundlichkeit und bar sind. Vor diesem Hintergrund ist kürzlich das von der Europäischen Union im Rahmen des Forschungs- und Bürgernähe Innovationsprogramms Horizon 2020 geförderte mGov4EU(“Mobile Cross-Border Government Services for EuJudith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Digitales, bei der Vorstellung der ­ uropa Bei der Entwicklung der App rope”, https://mGov4.EU)-Projekt gestartet, um mobile, grenzüberschreitende Verwaltungsdienste in E BayernApp Foto: BS/StMD, Kurt Krieger waren Nutzerfreundlichkeit und zu ermöglichen. Das Projekt ist offen für weitere Pilotpartner und lädt herzlich zur Mitwirkung ein. rufbar. Der Vorteil ist, dass die Nutzer die zuständige Behörde nicht mehr lange suchen müssen. Die App weist ihnen einfach den Weg. Nach Auswahl einer Leistung und des Ortes können beispielsweise Online-Dienste des Rathauses, Landratsamtes oder Bezirks angezeigt werden.

Die App kann noch mehr Die BayernApp kann aber noch mehr, als nur die Kommunikation mit den Behörden zu erleichtern. Über sie können auch die neuesten Meldungen und Informa-

nen aus den BayernLabs und dem Schulbereich bis zu Polizeimeldungen oder aktuellen Gerichtsentscheidungen. Darüber hinaus zeigt eine Karte die Standorte der BayernWLAN-Hotspots – sehr praktisch, wenn beispielsweise mal unterwegs mobil gearbeitet oder größere Video-Dateien verschickt werden sollen.

Ein Plus an Service für die Kommunen Die Kommunen können über die BayernApp einen noch attraktiveren Bürgerservice bieten:

Bürgernähe sehr wichtig. Deshalb wurden Bürgerinnen und Bürger gleich von Anfang an bei der Entwicklung im Rahmen eines sogenannten Digitallabors mit einbezogen. Herausgekommen ist eine intuitiv bedienbare App, die schnelle Antworten rund um die Verwaltung liefert und so das Leben erleichtert. Begleitet wurde die Entwicklung von der renommierten Stiftung Pfennigparade, die die App hinsichtlich der Barrierefreiheit getestet hat. Denn es ist entscheidend, dass wir durch Digitalisierung Barrieren abbauen und keine neuen schaffen.

Digitales Amt Österreichs M-Government-Plattform

Das mGov4EU-Projekt versammelt führende europäische Experten aus dem Bereich Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft aus Österreich, Belgien, Estland, Deutschland und Spanien, um sichere und datenschutzfreundliche mobile E-Government-Dienste in ganz Europa zu ermöglichen. MGov4EU stellt die Bürgerin und den Bürger in den Mittelpunkt der Betrachtungen und wird ihnen neue, sichere und die Privatsphäre schützende Optionen zur Verwaltung ihrer Identität und ihrer persönlichen Daten bieten – ganz gleich, ob sie oder der E-Government-Dienst sich im Heimatland oder in einem anderen EU-Mitgliedsstaat befinden.

Kombination von eIDAS und Single Digital Gateway

(BS/Kilian Recht) Auch ein Blick ins Ausland offenbart: Mobile-Government-Lösungen gehören zu einer nutzerfreundlichen digitalen Verwaltung dazu. Besonders weit blicken muss man für diese Erkenntnis nicht. In Den regulatorischen Rahmen Österreich steht seit 2019 die App “Digitales Amt“ für iOS und Android zum Download bereit. Einige Funktionen dieses Projektes bildet die Verordsind bereits verfügbar, weitere sind geplant. nung (EU) 2018/1724 über die “Es wird für die Menschen einfacher werden, Amtswege zu erledigen. Das Amt der Zukunft ist digital – 24 Stunden am Tag erreichbar, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr”, postuliert Margarete Schramböck, Österreichs Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort. “Mobile First” sei dabei eines ihrer zentralen Anliegen.

Plattform “oesterreich.gv.at” Ganz in diesem Sinne bringt die App “Digitales Amt“ das Verwaltungsangebot der E-GovernmentPlattform “oesterreich.gv.at“ auf Smartphones und Tablets. Seit dem Start der App im März 2019 wurde sie über 330.000-mal he­ runtergeladen. Und der Vergleich zur klassischen E-GovernmentPlattform zeigt: Das Verlagen nach M-Government-Lösungen überwiegt. 55 Prozent der Inhalte, die sowohl im Web als auch über die App verfügbar sind, wurden über mobile Geräte abgerufen.

Das Amt für die Hosentasche “Digitales Amt” bietet alle Services, mit denen auch die klassische E-Government-Plattform Österreichs aufwartet. Somit sind auf den mobilen Endgeräten bereits Services zur Wohnsitzänderung, zum Wahlkartenantrag oder der digitale “Babypoint” verfügbar, in dem verschiedene Dokumente

rund um den Nachwuchs beantragt werden können. Ebenfalls integriert ist ein Erinnerungsservice zur Reisepassverlängerung sowie die Funktion PDF-Signatur. Damit können Bürgerinnen und Bürger PDF-Dateien, die sie per Mail erhalten haben, direkt am Smartphone rechtsgültig unterschreiben.

Single-Sign-on-Services Neben diesen nativ umgesetzten Verfahren werden zudem auch eine Reihe von Single-Sign-OnServices in der App angeboten, darunter auch die Möglichkeit, Volksbegehren zu unterzeichnen oder digitale Behördenschreiben zu empfangen. Nutzerinnen und Nutzer identifizieren sich auf dem mobilen Amt mittels Handysi­ gnatur über Face- oder TouchID. Das zweithäufig genutzte Verfahren ist laut dem Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) derzeit die Anmeldung eines neuen Hauptwohnsitzes nach einem ­Umzug. Die Ergänzung weiterer Varianten der Wohnsitzänderung wie die Meldung von Nebenwohnsitzen oder ein Umzug ins Ausland sowie laufende Qualitätsverbesserungen seien in Arbeit. Ebenso solle die Anmeldung zur Eheschließung bei den Standesämtern als neues Feature umgesetzt werden. Weiter heißt es aus dem BMDW: Vor allem die Bereitschaft der Mi-

nisterien, in technischer, organisatorischer und gesetzgeberischer Hinsicht eng zu kooperieren, sei entscheidend für die Implementierung von Mobile Government in Österreich gewesen.

Erfolgsfaktor Kooperation Viele der angebotenen Verfahren seien Teil der mittelbaren Bundesverwaltung; die rechtliche Ausgestaltung und die technische Anwendung lägen also beim Bund. Die Ausführung hingegen liege bei den Gemeinden. Hinsichtlich der Verfahren der Bundesländer gebe es aber einen regen Gedankenaustausch. Ausgewählte Inhalte von “oesterreich.gv.at” stünden den Gebietskörperschaften außerdem zur Integration in ihre eigenen Web-Angebote zur Verfügung. Auf “oesterreich.gv.at” bündele man zum Großteil auch schon Leistungen aller Verwaltungsebenen. So werde zentral auf über 1.000 verschiedene Formularinstanzen – davon über 200 Online-Formulare – des Bundes, der Länder und Gemeinden verlinkt, die auch über die App erreichbar seien. Zukünftig werde man prüfen, ob Verfahren der jeweiligen Gebietskörperschaft integriert würden und dann jene nativ umsetzen, die eine entsprechende Nutzerfrequenz aufwiesen.

Einrichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors (Single ­D igital Gateway Regulation – SDGR) zur grenzüberschreitenden Bereitstellung von Diensten, zusammen mit der eIDAS-Verordnung (EU) Nr. 910/2014 für grenzüberschreitende elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt. Das mGov4EU-Projekt stellt die Anforderungen selbstbestimmter und mobiler Bürgerinnen und Bürger in das Zentrum der Betrachtungen und integriert das existierende eIDAS-Ökosystem in das neue einheitlichen Zugangstor zu einem benutzerfreundlichen Gesamtsystem. Im mGov4EU-Projekt sollen die bereits existierenden und die neu entstehenden Möglichkeiten der eIDAS- und SDG-Verordnung genutzt und die Prinzipien “Once-only”, “Digital by default” und “Mobile First” praktisch umgesetzt werden. Nach einer benutzerfreundlichen mobilen Identifizierung und einer expliziten Freigabe durch den Nutzer kann auf bereits verfügbare Daten zugegriffen werden, damit soweit wie möglich auf das bisweilen umständliche Ausfüllen komplexer Formulare verzichtet werden kann. Durch die konsequente Nutzung der in modernen Smartphones verfügbaren Technologien werden die in mGov4EU

anvisierten Lösungen nicht nur den höchsten Sicherheits- und Datenschutzanforderungen Genüge tun, sondern auch eine ausgezeichnete Benutzerfreundlichkeit bieten. Hierbei zielt das mGov4EU-Projekt da­rauf ab, grundlegende Bausteine für sichere und mobil nutzbare EGovernment-Dienste bereitzustellen, die in ganz Europa und darüber hinaus genutzt werden können. Diese Bausteine sollen in ausgewählten Pilotanwendungen in den Bereichen elektronischer Wahlen, der “smarten Mobilität” und nicht zuletzt der mobilen Signatur erprobt und danach einer breiteren Nutzergruppe zur Verfügung gestellt werden. Ausgehend von den mGov4EUEntwicklungen kann auf diese Weise eine vertrauenswürdige Föderation von kollaborativen EGovernment-Plattformen entstehen, die die gemeinsame Bereitstellung und Wiederverwendung von verfügbaren und einfach zu nutzenden öffentlichen Diensten erleichtert.

Interdisziplinäres ­Expertenteam Das Projekt mGov4EU wird vollständig durch das EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 mit einem Budget von 3,9 Millionen Euro gefördert. Für das mGov4EUProjekt haben sich hochkarä-

Das mGov4EU-System auf einen Blick

tige, international erfahrene, interdisziplinäre Experten aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft zusammengefunden. Neben der TECHNIKON Forschungs- und Planungsgesellschaft mbH als Koordinator arbeiten das Zentrum für sichere Informationstechnologie – Austria (A-SIT, zusammen mit der ASIT Plus GmbH), die Donau-Universität Krems, die ecsec GmbH, die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V., der go.eIDAS e. V., die Technische Universität Graz, Scytl, TIMELEX und die Universität Tartu an diesem Projekt. Während der dreijährigen Projektlaufzeit werden mehrere mGov4EU-Pilotanwendungen entworfen und implementiert, um die bereitgestellten Lösungsbausteine und Infrastrukturdienste zu validieren. Unter den Pilotanwendungen finden sich z. B. elektronische Wahlen, “smarte Mobilität” auf Basis von subventionierten Taxifahrten und die mobile Signatur. Interessierte Behörden in ganz Europa sind herzlich eingeladen, sich mit dem mGov4EU-Projekt in Verbindung zu setzen, um an diesen Pilotanwendungen teilzunehmen oder die innovativen Technologien frühzeitig selbst in eigenen Anwendungen zu nutzen. *Tina Hühnlein ist Geschäftsführerin der go.eIDAS Association.

Grafik: BS/go.eIDAS


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Mai 2021

“W

ir wären gerne im digitalen Zeitalter auf dem Mond angekommen, befinden uns aber noch im Kellergeschoss.” Der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach findet klare Worte für den derzeitigen Stand der Digitalisierung in Deutschlands öffentlicher Verwaltung. Fälschlicherweise würden die Missstände dabei meist den Beamtinnen und Beamten angelastet. Tatsächlich habe die Politik jedoch durch Jahre der Austerität den Öffentlichen Dienst “krankgespart”, bemerkt der DBB-Chef. Aktuellen Zahlen zufolge fehlten dem Staat derzeit rund 330.000 Mitarbeitende, 46.000 allein im IT-Bereich. Mehr noch: Bedingt durch den demografischen Wandel würden in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich 1,3 Millionen Beschäftigte den Öffentlichen Dienst verlassen. Silberbach fordert einen “Digitalpakt Verwaltung”, der durch massive Investitionen in Technik, Infrastruktur und Personal die öffentliche Hand als attraktiven Arbeitgeber in Stellung bringen kann. Geradezu exemplarischen Charakter für die Schieflage der

Warten auf den großen Wumms Deutschland nach wie vor im digitalen Kellergeschoss

nur mangelnde Digitalkompetenz bescheinige. Parycek warnt: “Mit jedem Jahr der Digitalisierung verlieren wir weiter das Vertrauen der Menschen. Wir müssen den Beweis antreten, dass wir mit Technologien umgehen können.”

(BS/Thomas Petersdorff) Unter dem Motto “Zu teuer, zu langsam, zu unkoordiniert” hat der Deutsche Beamtenbund (DBB) jüngst zur Diskussion über die Digitalisierung in Deutschland geladen. Neben überzogenen Sparmaßnahmen debattierten die Experten über falschen Perfektionismus, Personalprobleme und den oft als Blockade wahrgenommenen Datenschutz. Die Bilanz ernüchtert: Abgesehen von den mehr operativen Pro­ Es braucht ein neues Narrativ blemen kämpfen Staat und Verwaltung nicht zuletzt auch mit mangelndem Vertrauen seitens der Bürgerinnen und Bürger. Umso wichtiger, dass Geht es nach Konstantin von die Digitalisierung nun endlich an Fahrt aufnimmt. Notz, Fraktionsvize von Bündnis Digitalisierung in Deutschland hat für Silberbach das anhaltende Corona-Kompetenzwirrwarr zwischen Bund, Ländern und den betroffenen Behörden. Stichwort: SORMAS. Nicht nur finde die Software zur Kontaktverfolgung bei Corona-Infektionen nutzerseitig wenig Akzeptanz, auch die Handhabung sei mitunter gewöhnungsbedürftig. So habe ihm ein Mitarbeiter geschildert, dass der Name einer infizierten Person in der digitalen Akte an insgesamt 16 Stellen eingetragen werden müsse. “Das hat nichts mit smarter Digitalisierung zu tun”, kritisiert Silberbach. Nicht smarter verhalte man sich beim Thema Datenschutz, was auch in der aktuellen Krisensituation

Obschon immer wieder beschworen, steht die Zündung bei der Digitalisierung noch aus. Dabei sieht sich die öffentliche Verwaltung zahlreichen Herausforderungen gegenüber; insbesondere beim Personal drückt der Schuh. Foto: BS/geralt, pixabay.com

ein schnelleres Vorankommen behindere. Zwar sei Datenschutz wichtig, so Silberbach, jedoch

Forcierung von Open Source Digitale Souveränität durch europäische Zusammenarbeit stärken

fehle in Deutschland das rechte Verhältnis. Gemessen an den Gefahren, welche die Pandemie für Leib und Leben darstelle, seien die Risiken einer automatischen Weitergabe zentraler Informationen ein vergleichsweise geringes Risiko. Die Gemengelage sei umso verwunderlicher, als “Millionen Menschen” zwar zuließen, dass Google-Dienste regelmäßig Daten abzögen, sich im Falle der Corona-Warn-App jedoch gegen eine Lokalisierung sperrten.

(BS/Frederik Blachetta/Tim Lange*) Mit zunehmender Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steigt die Abhängigkeit von Organisationen und Behörden im Hinblick auf die von einzelnen Herstellern eingesetzte Hard- und Software massiv an. In kritischen Fällen wird die digitale Souveränität sogar eingeschränkt. Di­ gitale Souveränität ist daher vermehrt Gegenstand der Entscheidungsfindung bei Beschaffung, Pflege und Weiterentwicklung öffentlicher IT. Zuletzt hat der IT-Planungsrat im März eine Strategie zur Stärkung der digitalen Souveränität verabschiedet. Entsprechend dieser Strategie soll die Forcierung von Open Source Falscher Perfektionismus zur Reduzierung kritischer Abhängigkeiten in der IT-Ausstattung neben der Verhandlung mit bestehenden Mit Blick auf die gesamte DigiAnbietern geprüft werden (“Hybridstrategie”). talisierung der öffentlichen VerOhne Zweifel bietet Open Source das Potenzial, ein wichtiger Baustein zur Stärkung der digitalen Souveränität zu werden. Die bisherigen Erfahrungen sind jedoch uneinheitlich: Erfolge, wie z. B. das Projekt Phoenix von Dataport oder die Corona-WarnApp der Bundesregierung, und Misserfolge, wie z. B. das gescheiterte Münchner LiMux-Projekt, zeigen, dass Open Source kein Selbstläufer ist. Die gegenüber bisherigen Lösungen zusätzlich benötigten Kompetenzen sind in der Öffentlichen Verwaltung oftmals nicht ausreichend vorhanden; es fehlen Entwicklungs- und Supportprozesse, erforderliche Mitarbeitende sowie Kenntnisse über und Interaktionen in Open-Source-Ökosystemen (z. B. Communities). Wenn die Verwaltung verstärkt Open Source, wie beispielsweise Kubernetes als Container-Infrastruktur oder Linux als Betriebssystem, einsetzen will, lohnt sich ein Blick auf die Erfahrungen der Privatwirtschaft. Als GoodPractice hat sich der Aufbau sogenannter Open Source Program Offices (OSPO) etabliert, in denen

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die relevanten Kompetenzen und Aktivitäten einer Organisation gebündelt und koordiniert werden. Das Aufgabenspektrum umfasst u. a. die Erstellung und Umsetzung von Open-SourceStrategien, den Aufbau und die Interaktion mit relevanten Communities (beispielsweise Stiftungen) sowie die Beratung interner Abteilungen bei der Entwicklung und Nutzung von Open Source (z. B. lizenzrechtliche Fragestellungen). Darüber hinaus haben sich OSPO-übergreifende Netzwerkstrukturen gebildet (z. B. TODO Group), über die Praxisbeispiele ausgetauscht und gemeinsame Kollaborationen ausgelotet werden.

Zahlreiche Open-SourceInitiativen in Europa Innerhalb Europas gibt es mittlerweile in vielen Verwaltungen relevante Initiativen zum Aufbau von OSPOs und entsprechenden nationalen Netzwerken (u. a. EU, DE, FR). Diese Initiativen sollten übergreifend vernetzt werden. So können Synergien bei der Lösungsentwicklung in Entwickler- und Anwender-Communities

gefördert und Lerneffekte beim Aufbau von OSPOs genutzt werden. Aus dieser Zusammenarbeit könnte eine “European Government OS Alliance” entstehen. Die Allianz könnte beispielsweise Lizenzierungs-Handreichungen abstimmen, Kompetenzprofile für erforderliche Rollen und Standard-Support-Prozesse für den Betrieb in öffentlichen Rechenzentren erarbeiten. Mit abgestimmten Strategien könnten Weichen gestellt werden, damit Open Source ein effektiver Baustein zur Stärkung der digitalen Souveränität der öffentlichen Verwaltung in Deutschland und Europa werden kann. *Frederik Blachetta ist Partner und Geschäftsführer bei Strategy&, der Strategieberatung von PwC. Er leitet den Bereich Core Government und berät Ministerien und Behörden in IT-strategischen Fragestellungen.Tim Lange ist Senior Manager bei Strategy&. Schwerpunkt seiner Beratungstätigkeit ist die Begleitung von Klienten des öffentlichen Sektors im Rahmen der digitalen Transformation.

waltung sei das Grundproblem demnach auch ein mentales. In Deutschland würden digitale Tools meist erst dann eingesetzt, wenn sie zu “110 Prozent” geprüft

seien. Bis zum tatsächlichen Rollout sei die fragliche Lösung dann meist schon wieder veraltet. Statt alle Eventualitäten immer schon im Vorfeld durchgehen zu wollen, solle man sich eher an den skandinavischen Ländern orientieren, die sehr viel schneller bei Implementierung und Skalierung neuer Tools und Services seien, appelliert Silberbach. Bestätigung kommt von Prof. Dr. Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer Institut FOKUS. Er verweist konkret auf das Beispiel Dänemarks, wo die Bevölkerungsstruktur mit der Deutschlands vergleichbar sei. Anders als hierzulande werde beim nördlichen Nachbarn jedoch jede Gesetzesnovelle auf ihre Digitaltauglichkeit geprüft. Davon sei man in Deutschland noch weit entfernt. Eine weitere Ursache für das mangelnde Tempo liegt für Parycek in der föderalen Struktur des Landes. “Das größte Problem ist, dass wir in Deutschland ein konservatives Gesamtsystem haben. Das betrifft die Ausgestaltung der Ministerien und die Datennutzung. Die Liebe zum Papier ist so stark ausgeprägt wie in keinem anderen Land in Europa”, so Parycek. Diese Abwehr von Politik und Verwaltung gegenüber neuen Technologien mache sich nicht zuletzt aufseiten der Bevölkerung bemerkbar, die dem Staat

90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, offenbart sich ein Teufelskreis. Immerhin sei es oftmals das mangelnde Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger gewesen, das Digitalisierungsprojekte der öffentlichen Hand zu Fall gebracht habe. Für von Notz ein zentraler Faktor: Vertrauen. “Unsere öffentliche Verwaltung ist eine der Grundlagen dafür, dass in Deutschland viele Dinge gut laufen.” Das gelte auch mit Blick auf den häufig kritisierten Datenschutz, der “höchstrangige Güter wie die Menschenwürde” bewahren helfe. Von Notz plädiert für ein neues Digital-Narrativ in Deutschland, in dem Rechtsstaatlichkeit und Bürgerpartizipation einen prominenten Platz einnehmen müssten. Konkret bedeute das, mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen, um Vorhaben gemeinsam umzusetzen. Für die notwendige Konsistenz auf politischer Ebene müsse ein “Koordinator am Kabinettstisch” her, der auch Verantwortung übernehmen könne. Gegenüber dem inzwischen wieder heiß diskutierten Digitalministerium hätte das den Vorteil, das Querschnittsthema Digitalisierung ganzheitlich angehen zu können. Überhaupt sei die Vorstellung, digitale Aufgaben nur einem Ministerium anzuvertrauen, während die übrigen Fachressorts analoge Politik betrieben, doch recht abwegig, so von Notz.


Informationstechnologie

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Heiter bis wolkig

A

m eindeutigsten lässt sich noch die Motivation für das Vorhaben erläutern. Erklärtes Ziel ist der Aufbau einer europäischen Dateninfrastruktur, die allen Beteiligten bei der Nutzung von Cloud-Technologien Datensouveränität sowie die Wahrung der Datenschutz-Grundverordnung (DGSVO) und anderer europäischer Regularien garantiert. Das daraus erwachsende GaiaX-Eco-System soll nicht nur den technologischen Fortschritt in den Sektoren der europäischen Wirtschaft (Verticals) vorantreiben, sondern auch der europäischen IT-Industrie insgesamt langfristigen Auftrieb verleihen. Dahinter steht überwältigende internationale Marktmacht, die sogenannte Hyperscaler in den letzten Jahren im Bereich Cloud-Technologien erlangt haben: Firmen wie Amazon, Google, Microsoft, Facebook, aber auch das chinesische Alibaba haben die riesigen, international verteilten Rechenzentren ihres Kerngeschäfts erfolgreich so ausgebaut, dass sie sich für Unternehmen wie Endverbraucher mit einer Vielfalt von hochskalierbaren Cloud-Diensten praktisch unentbehrlich gemacht haben. Sie verarbeiten die vertraulichsten Daten ihrer europäischen Kunden überall in der Welt, auch in den USA und China. Verschärft wird das Problem durch den US Cloud Act (Clari­ fying Lawful Overseas Use of Data Act) von 2018, durch den US-Behörden von den Anbietern auch die Herausgabe von Daten erzwingen können, die in Rechenzentren in Europa gespeichert sind. Dies ist nicht im Sinne der europäischen Nutzer

Behörden Spiegel / Mai 2021

Die Aussichten von Gaia-X im Sommer 2021 (BS/Dr. Barbara Held) Das Projekt Gaia-X soll nach dem Willen seiner Initiatoren den Aufwuchs eines DGSVO-konformen, hochsicheren und leistungsfähigen Cloud-Angebots für Europa vorantreiben. Auf Basis europäischer Standards und vernetzter Infrastrukturen soll ein europäisches Cloud-Ökosystem organisiert werden. und widerspricht darüber hinaus europäischem Recht und insbesondere der DSGVO.

Das Gaia-X-Modell Mit dem technologischen Trend vor Augen, der im Zeitalter des Internets der Dinge (IoT) Richtung dezentraler Datenverarbeitung und -speicherung (Edge) geht, haben die Gaia-Initiatoren von vornherein auf eine föderierte (federated) Lösung mit selbstständigen Akteuren gesetzt. Holzschnittartig lässt sich die geplante gesetzeskonforme Gaia-X-Dateninfrastruktur als ein standardisiertes Netzwerk von Vermittlungsplattformen und Knoten in ganz Europa beschreiben, dessen Teilnehmer und Dienstleistungen aufgrund ihrer vereinheitlichten Selbstbeschreibungen eindeutig identifizierbar und klassifizierbar sind. Dazu gehören technische Angaben wie Funktionsumfang und Schnittstellen sowie Informationen über ISO-Zertifizierungen, Datensicherheit, Datenschutz und den Standort der Cloud bzw. des Dienstes. Normierte Kataloge von Teilnehmern und Diensten sollen das Angebot für die Nutzer übersichtlich und leicht zugänglich gestalten. Diese können dann die benötigten Services nach Bedarf zusammenstellen und bei den

Dem großen Potenzial von Gaia-X steht derzeit noch eine gewisse Ideenlosigkeit mit Blick auf Anwendungsfälle in der öffentlichen Verwaltung gegenüber. Foto: BS/anncapictures, pixabay

Anbietern buchen. Im Idealfall soll sich Gaia-X für die Kunden wie eine einzige Cloud anfühlen.

Umsetzung Noch existiert alles nur auf dem Papier; Infrastruktur, Softwarekomponenten und Nutzeroberfläche fehlen. Deren Aufbau setzt aber eine enorme organisatorische, technische und juristische Standardisierungsleistung voraus.

Technisch will man auf Bewährtes zurückgreifen. Offene Standards sind Pflicht, die Nutzung von Open-Source-Software erwünscht. Damit soll den Kunden ein mögliches Vendor-Lockin, das sie auf einen Anbieter festnagelt, erspart bleiben. Etliche bestehende Anwendungen für den Aufbau von Cloud-Services basieren auf Open Source. Gaia-X plant deshalb ein eigenes SoftwareRepository. Die vorhandenen Lö-

sungen müssen aber zunächst Gaia-X-konform gemacht und untereinander integriert werden. Die Roadmap ist ehrgeizig: schon im September 2021 sollen die Prototypen für die “Federation Services” verfügbar sein. Parallel müssen noch so grundlegende Fragen wie Sicherheitsbedingungen, Authentifizierungsmechanismen, Einzelheiten des Compliance-Monitorings und der Sanktionierung oder der möglichen Zertifizierung von Diensten geklärt werden. Zweifel an der Einhaltung der Roadmap sind daher angebracht.

Zügiger Aufbau der ­Organisation Als der Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier das Projekt Gaia-X auf dem ITGipfel 2019 der Öffentlichkeit vorstellte, stand schon ein Jahr Vorarbeit des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie einschlägigen Industrieunternehmen dahinter. Ebenfalls abgestimmt war das Projekt mit Altmaiers französischem Amtskollegen Bruno Le Maire. Ein knappes Jahr später, im September 2020, wurde in Brüssel die “GAIA-X European Association for Data and Cloud, AISBL” formal beantragt. Die deutschfranzösischen Gründungsmitglieder der Non-Profitgesellschaft sind: 3DS Outscale, Amadeus, Atos, Beckhoff Automation, BMW, Bosch, CISPE, DE-CIX, Deutsche Telekom, Docaposte, EDF, Fraunhofer Gesellschaft, German Edge Cloud, IMT, International Data Spaces Association, Orange, OVH, PlusServer, Safran, SAP, Scaleway, and Siemens. Seitdem hat sich die Brüsseler Firma eine Organisationsstruktur mit Vorstand, Geschäftsführung und Beirat sowie einer ganzen Reihe von Arbeitsgruppen gegeben, die sich thematisch nach

Branchen oder nach verschiedenen Aspekten der technischen Umsetzung geordnet um die operativen Aufgaben kümmern. Neugegründete nationale “Hubs” in den EU-Mitgliedsstaaten sollen den regionalen Aufbau unterstützen. Auch eine Kommunikationsabteilung gibt es: https://www. data-infrastructure.eu. Am 8. März 2021 übernahm der italienische IT-Experte Francesco Bonfiglio die Geschäftsführung (CEO) der Firma. Nach einem Vorstandsbeschluss dürfen sich seit Ende März weitere 212 IT-Firmen und Organisationen als Mitglieder der europäischen Cloud-Allianz Gaia-X bezeichnen. Kritik hervorgerufen hat dabei, dass Unternehmen aus China und den USA, wie Huawei und Alibaba sowie Amazon, Google, Microsoft und sogar Palantir, darunter firmieren. In einem Interview mit dem Tagesspiegel sah CEO Bonfiglio das eher als Vorteil: “Wenn die Hyperscaler sich entscheiden, die Prinzipien von Gaia-X anzunehmen und einzuhalten, wäre das eine große Chance für alle Beteiligten.”

Wo bleibt die öffentliche Verwaltung? Die eigentliche Erhebung der Anwendungsfälle ist in der Gaia-XRoadmap für Ende 2021 vorgesehen. Trotzdem fällt die derzeitige Ideenlosigkeit in Bezug auf die öffentliche Verwaltung auf. Der von Gaia-X vorgestellte Chatbot für den Bürgerkontakt trägt kaum etwas zur Lösung der digitalen Kernprobleme der Verwaltung bei. Das Thema “Smart Cities” dagegen ist interessant, aber hauptsächlich hier von privatwirtschaftlichen Nutzern geprägt. Hoffnung setzen BMWI und Gaia-X-Gemeinde nun auf den Förderwettbewerb des BMWI, das insgesamt rund 190 Millionen Euro für innovative Anwenderprojekte ausgelobt hat. Noch bis zum 7. Mai können bei der Bundesnetzagentur entsprechende Anträge eingereicht werden (www.bnetza.de/gaia-x). Optimistisch stimmt auch die Tatsache, dass die deutsche Dataport den Vorsitz der GaiaX-Arbeitsgruppe für den Sektor öffentliche Verwaltung übernommen hat. Von einem großen ITDienstleister der öffentlichen Verwaltung darf man sich Ideen für interessante und innovative Szenarien erwarten.

Lichtblick: Der Bedarf ist da Für Erleichterung in der Gaia-XCommunity sorgte in der letzten Aprilwoche dann noch die Nachricht, dass nach BMW, SAP und Daimler auch Volkswagen dem Projekt “Catena-X” beigetreten sei. Das vom BMWI im Rahmen von Gaia-X geförderte Projekt soll einerseits helfen, unternehmensinterne Prozesse der großen Hersteller zu optimieren, andererseits soll es einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch ermöglichen und damit Hersteller eng mit Zulieferern vernetzen. Neben den Autoherstellern sind bereits Bosch, ZF Friedrichshafen sowie Henkel und Schaeffler der Allianz beigetreten. Das Engagement der mächtigen Automobilbranche könnte zum Aufbruchssignal werden.

IT als Treiber der Verwaltungsmodernisierung: Der Newsletter E-Government, Informationstechnologie und Politik des Behörden Spiegel

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Behörden Spiegel / Mai 2021

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ehörden Spiegel: Frau Herzog, im Zuge der CoronaPandemie wurde besonders deutlich, dass Deutschland bei der Digitalisierung der Schulen stark hinterherhinkt. Trotzdem werden die Fördermittel des Digital-Pakts Schule nur schleppend abgerufen. Wie kann das sein? Herzog: Dass Deutschland beim Thema Digitalisierung im Mittelfeld liegt – ganz besonders im Bildungssektor – ist kein Geheimnis. Die Corona-Pandemie hat den Handlungsbedarf von Kommunen, Schulträgern und ihren Partnern noch mal verstärkt. Während bei der Ausstattung von Schulen, Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern mit Endgeräten wie Laptops inzwischen einiges passiert ist, wurde eine Tatsache jedoch häufig übersehen: Für eine erfolgreiche digitale Bildungsvermittlung braucht es vor allem leistungsfähige und gleichzeitig flexible Netzwerke mit sicherer Konnektivität. Eine bandbreitenstarke WLAN-Abdeckung muss zu einer Grundversorgung für Schulen gehören wie Strom und Wasser. Gleichzeitig fehlen oft die Personalressourcen für Digitali-

Transparent und sicher Das Netzwerk als zuverlässige Plattform für das digitale Lernen

Hartmann: Generell sind Schu-

sierungsinitiativen und für die Erstellung der Medienentwicklungspläne als notwendige Vo­ raussetzung für die Beantragung der Fördergelder. Und teilweise dauert es schlichtweg, bis alle notwendigen Vorarbeiten wie beispielsweise die Verkabelung abgeschlossen sind. Bildungseinrichtungen sind deshalb umso mehr auf erfahrene Netzwerkpartner angewiesen, die ihre Anforderungen genau kennen und kompetent umsetzen. Notwendig sind IT-Infrastrukturen, die sich einfach und mit geringem Personalaufwand bedienen lassen – ohne Abstriche bei Skalierbarkeit und Sicherheit. Abschließend kann ich aber sagen, dass der Digitalpakt inzwischen definitiv Fahrt aufnimmt. Behörden Spiegel: Herr Hartmann, was müssen Schulen bei

Schülerinnen und Schülern vor jugendgefährdenden Inhalten über verschiedene, auch private, Endgeräte hinweg zu gewährleisten?

“Fehlende Personal­ ressourcen für Digitali­ sierungsinitiativen” Katja Herzog ist Sales Director Public Sector Germany bei Aruba, einem Unternehmen der Hewlett Packard Enterprise. Foto: BS/Aruba

der Einrichtung ihrer Netzwerkinfrastruktur beachten, auch, um den Schutz von minderjährigen

Digitalisierung und die Beweiskraft elektronischer Dokumente (BS/Petra Waldmüller-Schantz*) Die Einführung von E-Akten-, DMS- und/oder ECM-Systemen spielt eine zentrale Rolle in der Digitalisierung. Kostenreduktion, Effizienzsteigerung und steigende Transparenz sind einige der Potenziale, die durch solche Systeme ausgeschöpft werden können. Dass das papierlose Büro nicht nur dem Zeitgeist heutiger Arbeitsabläufe entspricht, sondern dabei ein essenzieller Bestandteil ist, hat nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie gezeigt. Homeoffice und verteiltes Arbeiten ohne Zugriff auf benötigte Unterlagen sind wenig zielführend.

Die wichtigsten Herausforderungen • Elektronische Dokumente liefern aus sich heraus keine Anhaltspunkte für ihre Integrität und Authentizität sowie für den Schutz und die Wahrung von Rechtsansprüchen des Ausstellers oder Dritter und den Nachweis der Ordnungsmäßigkeit im elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehr. • Über die geforderten langen Aufbewahrungszeiträume und trotz der immer kürzer werdenden informationstechnischen Innovationszyklen hinweg müssen die Lesbarkeit und Verfügbarkeit von Speichermedien und Datenformaten gewährleistet sein, vorzugsweise unabhängig von einzelnen Produkten und Herstellern.

ihrer Technologie-Partner achten – um sowohl den netzwerk- als auch sicherheitstechnischen Anforderungen zu entsprechen?

(BS) Die Digitalisierung der Schulen war schon vor der Corona-Pandemie ein großes Thema, bei dem die Entwicklung jahrelang weit hinter den len gut beraten, einen TechnoErwartungen zurückblieb. Diese Defizite wurden nun durch die Krise weithin sichtbar. Eine “Baustelle” sind leistungsfähige schulische Netzwerk­ logiepartner zu wählen, der viel infrastrukturen. Wie man diese herstellt und was dabei zu beachten ist, erläutern Katja Herzog und Lars Hartmann im Interview. Erfahrung im Bereich des öffent-

Was aufbewahren und was nicht?

Hersteller der vorgenannten Systeme haben dafür gesorgt, dass Daten und Dokumente elek­ tronisch abgebildet, bearbeitet und revisionssicher archiviert werden können. Um den gesetzlichen Aufbewahrungsplichten nachzukommen, reicht diese Art der Archivierung allerdings nicht aus. Dies liegt vor allem an der fehlenden Möglichkeit, Integrität und Authentizität eines Dokumentes nachweisen zu können; weder bei einem digital zugestellten Dokument noch nach einer “Transformation” von Papierdokumenten in elektronisches Datengut. Daraus resultiert ferner die Unsicherheit, welche Dokumente denn nun eigentlich doch im Original aufbewahrt werden müssen und welche nicht. Der Gesetzgeber referenziert in unterschiedlichsten Gesetzen, Verordnungen und Grundsätzen die Aufbewahrung elektronischer Daten und Dokumente, die einen regelrechten Dschungel an Vorschriften abbilden. Diese konkretisieren in der Regel Aufbewahrungsfristen, nicht jedoch die technischen Anforderungen an die Aufbewahrung. Diese Anforderungen ergeben sich meist eher indirekt, beispielsweise über das E-Government-Gesetz, das BSI-Gesetz oder die eIDASVerordnung der Europäischen Kommission.

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• Der Zugriff auf Daten und Dokumente muss auch und gerade in der elektronischen Welt den Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicherheit genügen, auch über lange Zeiträume und den Wechsel von Systemen hinweg. • Digital “geborene” Dokumente und Daten, die mit elektronischen Signaturen und Siegeln versehen sind, spielen eine immer wichtigere Rolle. Die eIDAS-Verordnung hat mit der Möglichkeit sog. Fernsignaturen bzw. -siegel maßgeblich dazu beigetragen. • Auch die Abgabe von Zustimmungs- und Willenserklärungen mit dem Online-Ausweis oder Protokolle zur einmaligen Authentisierung werden aus Gründen der Integrität, Authentizität und Nachvollziehbarkeit mit signierten/gesiegelten Protokollen versehen. Nur mittels dieser sind vollständige Umsetzungen beispielsweise des Onlinezugangsgesetzes, des Registermodernisierungsgesetzes oder auch der SingleDigital-Gateway-Verordnung überhaupt realisierbar.

Technische Richtlinie 03125 (TR-ESOR) des BSI Ziel der Technischen Richtlinie 03125 des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), der sogenannten TR-ESOR, ist es, sowohl für die digitalen Inhalte als auch deren Metadatensätze folgende Punkte über den gesamten Lebenszyklus, sprich über sehr lange Zeiträume hinweg, zu gewährleisten: • Verfügbarkeit und Lesbarkeit, • Integrität (Unversehrtheit), • Beweiswerterhaltung von Si­ gnaturen aller in der eIDASVerordnung genannter Verfahren und Zeitstempel, • Authentizität (daraus folgt auch die Nichtabstreitbarkeit) sowie • Datenschutz, Datensicherheit und Vertraulichkeit. Da die kryptografischen Algorithmen, auf denen eine elektronische Signatur basiert, im Laufe der Zeit “schwach” werden können und somit als Sicherungsmittel nicht mehr geeignet

sind, gleichzeitig aber die Beweiswerterhaltung auf Basis dieser Algorithmen beruht, müssen TR-konforme Systeme entsprechende Maßnahmen ergreifen. Die TR-ESOR spezifiziert auf Grundlage der eIDAS-Verordnung, des Vertrauensdienstegesetzes und weiterer bestehender rechtlicher Normen und technischer Standards in einem modular aufgebauten Konzept die übergreifenden Anforderungen und Kriterien für die langfristige Beweiswerterhaltung mittels elektronischer Signaturen. Die hierbei entstandene Referenzarchitektur definiert funktionale und sicherheitstechnische Mindestanforderungen, gemäß denen Systeme, Komponenten, Schnittstellen und deren Zusammenspiel für den Beweiswerterhalt aufgebaut, überprüft und in Betrieb genommen werden können.

BSI-zertifizierte Lösung Governikus LZA Das komplexe Verfahren der Beweiswerterhaltung bzw. -erzeugung durch Anbringung von Signaturen/Zeitstempeln, Prüfung von Signaturen/Zeitstempeln, Erneuerung von Signaturen/Zeitstempeln – sprich die manuelle Erzeugung der Evidence Records über Hashbäume mit verschiedenen Komponenten und Modulen – ist jedoch eine erhebliche organisatorische sowie zeit- und kostenintensive Methode. Die Referenzimplementierung der TR-ESOR des BSI Governikus LZA (ab Q3/2021 Governikus DATA Aeonia) übernimmt das komplexe Verfahren automatisiert. Durch die in der Richtlinie spezifizierten Standards und Schnittstellen ist die Integration in eine bestehende IT-Infrastruktur und Anbindung an vorhandene Systeme einfach durchzuführen. Mehr Informationen: https:// www.governikus.de/sicheredaten/governikus-lza/ *Petra Waldmüller-Schantz ist Director Communications bei Governikus.

Hartmann: Zunächst mal muss das Netzwerk eine transparente, sichere und zuverlässige Plattform für das digitale Lernen sein, unabhängig von Art und Zugehörigkeit der Endgeräte. Diese Plattform soll schulisches Arbeiten ermöglichen, gleichzeitig aber unerwünschte Inhalte unterbinden und den Zugang zu bestimmten Websites klar festlegen – Zugriffe auf einen Messenger-Dienst also nur in der Pause zulassen. Für Besucher wiederum, beispielsweise Teilnehmer von VHSKursen am Abend, gelten dann wieder andere Regeln. Das bedeutet: Um für die verschiedenen Zielgruppen Netzwerk-Zugänge zu schaffen und gleichzeitig Einfallstore für Cyber-Angriffe verschlossen zu halten, muss das Thema Sicherheit ganzheitlich mitgedacht werden. Da sich alle User und Endgeräte ein WLAN-Netz und damit die physikalische Infrastruktur teilen, werden Benutzerrollen vergeben, um zu definieren, welcher User mit welchem Endgerät von welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt Zugriff auf Webinhalte hat. So erhalten Lehrkräfte mit Schullaptops andere Zugriffsrechte als die Gebäudetechnik oder Schüler mit eigenen Tablets. Schulen oder Schulträger können somit granular festlegen, wer wann und wo ins Netz kommt. KIbasierte Analysen unterstützen darüber hinaus dabei, mögliche

Sicherheitsrisiken zu identifizieren, bevor sie zu einem ernsthaften Problem werden. Behörden Spiegel: Viele Schulen fühlen sich bei Planung, Implementierung und Betrieb von Netzinfrastrukturen überfordert und fürchten unüberschaubare Folgekosten. Wie kann man die Schulen hier unterstützen und ihnen diese Angst nehmen? Herzog: Für Schulen und Schulträger existieren eine ganze Reihe von Unterstützungsmöglichkeiten seitens ihrer WLANAnbieter: Netzwerk-Consultants bieten Fachkompetenz, was Planung betrifft, damit anschließend die passende Lösung beauftragt werden kann – mit einem klaren Kosten- und Zeitrahmen. Auch verfügen eine ganze Reihe von Fachhandelspartnern über eine Menge Know-how, auf dem sich aufbauen und die Implementierung vorantreiben lässt. Als Hersteller hat Aruba in den letzten Jahren viel Erfahrung sammeln können, was die Planung, den Aufbau und den späteren Betrieb von Netzwerk-Lösungen in Bildungseinrichtungen betrifft. An der Seite von starken Partnern können dadurch eine perfekte Umsetzung der WLAN-Einrichtung, ein effizienter Betrieb sowie die kostengünstige Wartung des Netzwerks sichergestellt werden. So kommt es in keiner Phase zu bösen Überraschungen. Behörden Spiegel: Netzwerk ist nicht gleich Netzwerk: Worauf müssen Schulen bei der Wahl

lichen Sektors mitbringt und die Netzwerkanforderungen des Bildungssektors gut kennt. Aruba als Netzwerkanbieter verfügt über ein dediziertes Kompetenz-Team für Schulen sowie konkrete Lösungsbaukästen, um Netzwerke

“Schulisches ­Arbeiten ermöglichen und ­unerwünschte Inhalte unterbinden” Lars Hartmann ist als Vice President Sales DACH ebenfalls für Aruba tätig.

Foto: BS/Aruba

schnell und zukunftssicher einzurichten. Um Datenschutz-Konformität zu garantieren, haben wir bereits 2016 ein DatenschutzCompliance-Programm eingerichtet, das auf einem Privacyby-Design-Prozess aufbaut. Mit diesem Prozess stellen wir sicher, dass die aus der DSGVO resultierenden Anforderungen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten vollumfänglich erfüllt werden – über alle Produkte, Lösungen sowie Serviceleistungen von Aruba hinweg.


Informationstechnologie

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Immenses Innovationspotenzial

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is zum Jahr 2022 werden sich deutlich über die Hälfte aller IT-Infrastrukturen laut den Marktbeobachtern von Gartner an den Daten ausrichten. Es geht demnach künftig nicht mehr um “Data Centers”, sondern um “Centers of Data”. Dabei spielt die Cloud eine wichtige Rolle.

Souveräne, digitale CloudInfrastruktur entwickeln Das europäische Gaia-X-Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, eine souveräne, digitale CloudInfrastruktur zu entwickeln, in deren Umgebung künftig neue Geschäftsmodelle und innovative Lösungen mit Mehrwert-Services für Unternehmen und Bürger betrieben werden können. GaiaX berücksichtigt die speziellen Anforderungen an IT-Sicherheit und Datenschutz der EU. Ab sofort ist Materna Mitglied bei der internationalen, gemeinnützigen Gesellschaft Gaia-X AISBL. Der Verein wird die Arbeit und Zusammenarbeit innerhalb der Gaia-X-Community festigen und erleichtern. Die Expertise von Materna liegt in den Bereichen Public Sector, intelligente Verkehrssteuerung und Mobilitätssysteme.

Behörden Spiegel / Mai 2021

Materna ist Mitglied bei Gaia-X

prognostiziert werden – für LkwFahrer und Speditionen eine wichtige Information, um die Ruhezeiten einzuhalten.

Daten zunehmend ­Schlüsselelement (BS/Johannes Rosenboom) Das europäische Cloud-Projekt Gaia-X will eine vernetzte, offene Dateninfrastruktur auf Basis europäischer Werte

aufbauen. Gaia-X schafft keine Konkurrenz zu den großen Cloud-Anbietern. Vielmehr geht es darum, bestehende Systeme und ihre Daten mithilfe Mit Gaia-X kann ein wichneuer Software-Komponenten intelligent miteinander zu verknüpfen. tiges Element für die weitere Materna wird in die Ausgestaltung der sogenannten International Data Spaces, der virtuellen Datenräume, die langjährige Fachexpertise als IT-Dienstleister und Lösungsentwickler einbringen. In diesem Rahmen wird Materna konkrete Anwendungsszenarien für Gaia-X entwickeln, etwa für die Bereiche Public Sector, intelligente Verkehrssteuerung und Mobilitätssysteme, Healthcare sowie Smart Living/Smart Cities. Materna wird die branchenspezifische Lösungskompetenz aus bereits umgesetzten Kundenlösungen und Förderprojekten aktiv einbringen.

Sichere Datenräume schaffen Im Kern geht es darum, sichere Datenräume zu schaffen, über die Unternehmen unterschiedlicher Branchen souverän mit ih-

ren Daten wirtschaften können. Denn sowohl Behörden als auch Unternehmen erzeugen Werte, indem sie Daten aufbereiten, gezielt zur Verfügung stellen oder selbst als Grundlage für neue digitale Dienste nutzen. Es bedarf also einer Infrastruktur, in der Daten zuverlässig und standardisiert nutzbar gemacht werden können, mit verbindlichen SLAs, die für jeden Marktteilnehmer gelten. Dazu ist keine neue Cloud erforderlich, sondern eine SoftwareSchicht über der bestehenden Infrastruktur. Diese Schicht sollte neutral zertifiziert sein, um die Sicherheit der Daten zu gewährleisten und – nicht zu vergessen – Geschäfts- und Dienstmodelle auf Basis der Daten zu ermöglichen. Materna nimmt hier eine Vorreiterrolle ein und engagiert sich

terna auf bereits gemachte Erfahrungen zurück, etwa durch den gemeinsam mit Johannes Rosenboom ist ­Leiter Vertrieb, Marketing dem Bundesmiund Business Development nisterium für Verbei Materna. Foto: BS/Materna kehr und digitale Infrastruktur realisierten “Mobilitäts Daten Marktplatz” (MDM) für die Bundesanbereits in mehreren aktuellen stalt für Straßenwesen (BASt). Förderprojekten. So etwa in ei- Beispielsweise nutzt das Bunnem Projekt zum Aufbau eines deskartellamt den MDM bei Mobility Data Space, das vom der Sicherstellung der MarktBundesministerium für Ver- transparenz. Mit den Daten, kehr und digitale Infrastruktur die planmäßig auch anonyme (BMVI) gefördert wird und vor Mobilfunkdaten und vieles mehr einiger Zeit gestartet ist. Darin umfassen sollen, lassen sich wird das Konzept der Interna- aber auch komplexere Aufgational Data Spaces aus Gaia- ben lösen. Zum Beispiel könX auf die Domäne Mobilität nen damit die Auslastungen der angewandt. Zudem greift Ma- Lkw-Parkplätze an Autobahnen

Digitalisierung vieler Lebensbereiche entstehen. Denn Daten werden nicht nur immer mehr zum Schlüsselelement zahlreicher Geschäftsprozesse, sie sind auch für alle Bereiche der öffentlichen Hand zunehmend wichtig. Daten können Dienste ermöglichen, aus denen intelligente Lösungen für viele Herausforderungen entstehen. Nur wenn es möglich ist, diese Daten durch vertrauenswürdige Technologien zu Informationen werden zu lassen, kann das Potenzial der digitalen Transformation ausgeschöpft werden. Dazu müssen aber alle Teilnehmer jederzeit die volle Hoheit über ihre Daten haben, ohne Wenn und Aber. Und auch der politische Wille, eine entsprechende technologische Plattform zu schaffen, ist vorhanden. Gaia-X birgt ein immenses Potenzial für Innovationen.

Umgang mit OZG-Daten

E-TRAINING: Neu in Führung – vom Mitarbeitenden zur Verwaltungsführungskraft Den Einstieg souverän meistern

Eine erste Führungsposition bringt neue Verantwortung und Herausforderungen mit sich. Erlernen Sie daher in der Webinar-Reihe „Neu in Führung“ die richtigen Tools und Techniken, gewinnen Sie Klarheit über Ihre neue Führungsrolle und Ihre innere Haltung und schaffen Sie so die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Ihren zukünftigen Mitarbeitenden! Jedes Modul besteht aus zwei Teilen mit zeitlichem Abstand: Trainer-Input und Praxis-Coaching. Für die Zeit dazwischen erhalten Sie Übungsaufgaben, Fragestellungen oder Fallbeispiele, deren Bearbeitung dann zu Beginn des zweiten Teils gemeinsam besprochen wird. Die Teilnehmerzahl ist auf max. 10 Personen begrenzt.

THEMENÜBERBLICK: MODUL 1: Als Persönlichkeit überzeugen Trainer-Input: 07.06.2021 Praxis-Coaching „Persönlichkeitsentwicklung“: 02.07.2021 MODUL 2: Das Team im Blick behalten Trainer-Input: 16.07.2021 Praxis-Coaching „Teammatrix“: 20.07.2021 MODUL 3: Die eigenen Mitarbeitenden gezielt fordern und fördern Trainer-Input: 30.07.2021 Praxis-Coaching „Gesprächsführung“: 12.08.2021 MODUL 4: Kommunikation und Kooperation erfolgreich praktizieren Trainer-Input: 13.08.2021 Praxis-Coaching „Schwierige Situationen gekonnt meistern“: 20.08.2021 MODUL 5: Die eigenen Ziele systematisch erreichen Trainer-Input: 30.08.2021 Praxis-Coaching „Die Karriere im Blick“: 09.09.2021

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchwort „Neu in Führung“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com

Datenexplosion, -management und -integration (BS/Claus Jandausch*) Das Onlinezugangsgesetz (OZG) und dessen künftige Umsetzung sind Triebfedern für weitere Digitalisierungsfelder. Die Digitalisierung des Staates ist untrennbar mit der Wertschöpfung von Daten verbunden: digitaler Nachhaltigkeit, Smart City und digitalem Schutz von Bürgern und Staat. Für eine erfolgreiche Umsetzung des OZGs der Zukunft braucht es drei Bausteine. Optimierte Prozesse, eine Daten-Management-Plattform und eingebaute Intelligenz (Künstliche Intelligenz, Machine Learning) bilden ein resilientes Fundament, um Mehrwert, Agilität und Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. Digitalisierung ist untrennbar mit Daten verbunden. Die pandemische Situation ist ein Auslöser für neue Kraftanstrengung zur Digitalisierung des Staates. Wenn sich Serviceportale als Ende-zu-Ende-Kundenreisen mit Mehrwert erweisen, Unternehmen und Partner eingebunden sind, die Verwaltung in Echtzeit und proaktiv kommuniziert, Bürgerbeteiligung (E-Partizipation) und Smart City gelebt werden, ergeben sich neue Möglichkeiten zur Wertschöpfung der hier ausgetauschten Informationen und Daten. Damit dies noch besser gelingt, müssen analoge Prozesse im ersten Schritt über ein Prozessmanagement optimiert werden. Denn ein analoger Prozess wird seine Fehler und Makel auch digitalisiert beibehalten. Gleiches gilt für das Daten- und Informationsmanagement. Denn Echtzeit-Auskunft ist direkt proportional zur Leistungsfähigkeit der Daten- und Informationsmanagement-Plattform (DIP). Und Sicherheit sowie Schutz von Bürger und Staat sind unabdingbar. Die DIP bildet somit das resiliente Fundament, auf

dem jede Digitalisierung aufbaut. Für die erfolgreiche Umsetzung des OZG bedarf es noch eines dritten Bausteins: Intelligenz. Eingebaute Intelligenz umfasst einerseits responsive Bürgerportale mit Unterstützung durch intelligente und selbstlernende Suche, Chat-Funktionen mit Spracherkennung und VideoID-Verifizierung. Dies gilt auch für eine proaktive Verwaltung, wo Machine Learning und KI Unterstützung in der Fallbearbeitung liefern, aber auch zur Erkennung von Missbrauch und Betrug beitragen. Mit der Digitalisierung gehen messbarer Nutzen, mehr Agilität und Geschwindigkeit sowie Mehrwerte für Bürger und Verwaltung einher. Oracle bietet die Flexibilität, dies sowohl On-Premises wie auch in der Cloud oder hybrid zu realisieren. Ein Gedanke zum Schluss: Was neben Technologie nicht vergessen werden sollte, ist die Umsetzung in Co-Creation von Beginn an. *Claus Jandausch ist Senior Account Manager Public Sector bei Oracle Deutschland.

MELDUNG

Work4Germany geht in die zweite Runde

(BS/kr) Das Fellowship-Programm “Work4Germany“ bringt wieder junge Praktikerinnen und Praktiker aus der Privatwirtschaft in die Bundesverwaltung. Während des sechsmonatigen Programms etablieren die Fellows gemeinsam mit den verantwortlichen Mitarbeitenden der Bundesbehörden neue Arbeitsmethoden in der Verwaltung. Im zweiten Jahr starten gleich 23 Projekte – doppelt so viele wie im Pilotjahr. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde das Programm in diesem Jahr auf 20 Plätze erweitert. Markus Richter, Staatssekretär im BMI und CIO des Bundes, hat im Pilotjahr selbst positive Erfahrungen mit den Fellows im

BMI gemacht:“Work4Germany ist ein wichtiger Baustein, um bei der Digitalisierung der Verwaltung und darüber hinaus innovative Ansätze und Ideen auszuprobieren. Der frische, unvoreingenommene Blick der Fellows unterstützt die positive Arbeitskultur. Das Programm trägt zu einer guten, ressortübergreifenden Zusammenarbeit bei”, so Richter. Die Fellows arbeiten in diesem Jahr unter anderem an einem ReDesign der ministeriellen Gesetzesvorbereitung, an OnboardingSystemen für neue Mitarbeitende und an Zukunftsthemen wie der Koordination des Hubs für das Cloud-Projekt Gaia-X.


Informationssicherheit

Behörden Spiegel / Mai 2021

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Datenschutz in die Arbeitsorganisation bringen

Bundestagswahlen in Gefahr

Eine besondere Herausforderung für Führungskräfte

Cyber-Angriffe und Desinformation befürchtet

(BS/Prof. Dr. Tino Schuppan/ Stefanie Köhl/Heidrun Müller) Die Corona-Pandemie hat noch einmal die weit verbreitete Wahrnehmung verdeutlicht, dass “der Datenschutz” (vor allem digitale) Entwicklungen verhindert. Dabei wurden nur langjährige Versäumnisse bei Organisation und Technik in Bezug auf den Datenschutz offengelegt. Dazu beigetragen hat sicher auch die in Deutschland weit verbreitete Interpretation von Datenschutz als vorwiegend rechtliches Problem. Im Ergebnis wurde und wird Datenschutz hauptsächlich von Personen umgesetzt, die qua Profession organisatorische und technische Fragen nur untergeordnet betrachten. Auf genau diese Fragen kommt es jedoch bei der Umsetzung an.

(BS/Benjamin Stiebel) Die Bundestagswahlen rücken näher und damit wachsen auch Sorgen um eine Beeinflussung des Wahlergebnisses durch Hacker-Angriffe. Während eine direkte Manipulation des Wahlablaufs als eher unwahrscheinlich gilt, stehen Parteien und Mandatsträger im Fokus. Dazu werden gezielte Desinformationskampagnen im Vorfeld der Wahl befürchtet.

Die generellen Anforderungen der DSGVO sind mittlerweile überall bekannt, doch schaut man genauer in die Verwaltungspraxis fällt auf: Datenschutz wird häufig als Thema für Rechtsexperten gesehen und fristet in den meisten Organisationen nach wie vor ein SiloDasein. Zudem hat das Thema bei Führungskräften selten Priorität oder es mangelt am Verständnis für deren Verantwortlichkeit. Dabei stellt die DSGVO ganz klar: Datenschutz betrifft alle in der Organisation und die Verantwortlichen sind eben nicht die Datenschutzbeauftragten, sondern die Behördenleitungen.

Datenschutz als “Black Box” Datenschutz ist selten in der (Arbeits-)Organisation angekommen. Ein Schicksal, dass das Thema mit IT-Sicherheit teilt. Als Folge bleibt Datenschutz eine “Black Box“ im Organisationsgefüge, in die man, wenn es gar nicht zu vermeiden ist, möglichst spät in einem Projekt etwas hineingibt und aus der im günstigsten Fall eine positive Entscheidung herauskommt. Fakt ist jedoch: die komplexen Datenschutzanforderungen können nur dann erfüllt werden, wenn sie in der gesamten Organisation verstanden und auch als Teil der Kultur gelebt werden. Deswegen kommt man nicht umhin, das Thema stärker in der Organisation zu verankern und nicht vielleicht sogar noch auf externe Datenschutzbeauftragte abzuwälzen nach dem Motto: “Aus den Augen aus dem Sinn”.

Datenschutz muss Teil der Arbeitsorganisation werden. Das erfordert nicht nur, Mitarbeiter für das Thema zu sensibilisieren. Vielmehr sind es die Führungskräfte, die dafür Sorge zu tragen haben, dass Prozesse und Arbeitsabläufe von Anfang an datenschutzkonform gestaltet werden. Ähnlich wie bei der Konstruktion eines Autos: Wenn Sicherheit nicht von Anfang an mitberücksichtigt wird, kann man sich noch so ein schönes Design ausdenken; es kommt nicht zur Umsetzung. Daher stellt sich die Frage, wie ComplianceAnforderungen besser in die Arbeitsorganisation eingebettet werden können und zwar so, dass der Umsetzungsaufwand für alle Beteiligten möglichst gering ist.

Wege in eine datenschutzkonforme Verwaltung Die bestehenden Defizite erfordern eine neue Herangehensweise an den “Fremdkörper” Datenschutz, nämlich Datenschutz “unspürbar” in die Arbeitsorganisation zu integrieren. Die Maßnahmen sind nicht primär datenschutzrechtlich, sondern folgen der Erkenntnis, dass es an der Umsetzung in der Arbeitsorganisation und dem Bewusstsein, nicht jedoch am generellen Wissen um die Problematik mangelt. Dafür hat das SHI in Zusammenarbeit mit eGovCD die Methode PRIMO entwickelt, die eine datenschutzsensible Prozessgestaltung ermöglicht (weitere Informationen unter www.dsgvo-stressfrei.de). Mitarbeitende werden dort abge-

holt, wo personenbezogene Daten in den Arbeitsprozessen verarbeitet werden. Für jeden Prozess wird gemeinsam ein einheitliches Verständnis geschaffen, sodass Datenschutz nicht getrennt von anderen Bereichen betrachtet oder an “Experten” wegdelegiert wird. Das hat den großen Vorteil, dass das Thema aus der juristischen Fachecke herausgeholt wird, die Komplexität reduziert und im Ergebnis eine datenschutzkonforme Prozessgestaltung stattfindet.

Online-Seminar im Juni, September und November Wie es konkret gelingen kann, Datenschutz näher an die Prozess- und Organisationsgestaltung zu bringen, erfahren Sie im Online-Seminar des Behörden Spiegel Führungskräfteforums “Datenschutz vom Kopf auf die Füße stellen”. In dem kostenfreien Seminar werden statt langweiliger Gesetzesinterpretationen konkrete praktische Methoden und Werkzeuge dargestellt und datenschutzkonforme Prozesse gemeinsam entwickelt. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeit online unter www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort: “Kopf” *Prof. Dr. Tino Schuppan ist Research Fellow am SHI Stein-Hardenberg Institut. Stefanie Köhl ist CEO und Heidrun Müller ist Senor Beraterin bei der eGovernment Consulting and Development GmbH (eGovCD).

“Die Bundestagswahlen und auch Landtagswahlen sind durch Cyber-Attacken gefährdet”, warnt der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Bernstiel. Dabei handelt es sich nicht nur um Bedrohungsszenarien. Angriffe und Versuche der Einflussnahme finden längst statt. So wurde erst kürzlich eine gezielte PhishingAttacke auf Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie auf Kommunalpolitikerinnen und -politiker mehrerer Länder bekannt. Die Verfassungsschutzbehörden vermuten dahinter die Hacker-Gruppe “Ghostwriter”, die dem russischen Nachrichtendienst GRU nahesteht. “Wir beobachten leider zunehmend Cyber-Angriffe auf Mandatsträger im Vorfeld und während Wahlen”, so Bernstiel. “Das ist natürlich ein gravierender Eingriff in unser demokratisches Grundsystem.”

Online-Medien werden instrumentalisiert Es wird befürchtet, Angreifer könnten über gekaperte Konten vertrauliche oder kompromittierende E-Mails und Daten von Kandidatinnen und Kandidaten sammeln. Diese könnten gezielt kurz vor der Wahl über Nachrichtenportale und Soziale Netzwerke verbreitet werden, um Stimmung gegen etablierte Parteien und Mandatsträger zu machen. Erstmals im großen Stil war diese Strategie zur US-Präsidentschaftswahl 2016 gegen Hillary Clinton angewendet worden. Die Akteure damals: eine russische Hackergruppe mit Verbindung zum Kreml. Im Superwahljahr 2021 warnen die Sicherheitsbehörden Mandatsträger und Parlamente vor derartigen Angriffen. Das Bundesamt für Sicherheit

Auch, wenn per Zettel und Stift gewählt wird. Angreifer nutzen digitale Mittel, um Einfluss auf das Ergebnis der Bundestagswahl zu nehmen: Durch Attacken auf Parteien und Mandatsträger und gezielte Desinformationskampagnen.

in der Informationstechnik (BSI) berät intensiv die Parteien zur Cyber-Sicherheit, auch bei den Corona-bedingt online durchgeführten politischen Veranstaltungen wie Parteitagen. Die FDP-Bundestagsfraktion forderte zum Schutz der Bundestagswahlen jüngst zusätzliche Maßnahmen. Bundes- und Landeswahlleiter, das BSI und Nachrichtendienste sollen demnach eine gemeinsame Taskforce bilden. Tatsächlich arbeiten die Wahlleiter und das BSI bereits seit 2018 in einer Bund-LänderArbeitsgruppe zusammen an der Absicherung der elektronischen Übermittlung der vorläufigen Ergebnisse in der Wahlnacht. Das offizielle Endergebnis wird nach wie vor anhand der schriftlichen Wahlniederschriften ermittelt und ist entsprechend nicht für Cyber-Angriffe anfällig.

Sorge um Deep Fakes Misstrauen in die demokratische Ordnung und die Integri-

Foto: BS/Tim Reckmann, www.pixelio.de

tät der Wahlen lässt sich auch säen, ohne das Wahlprozedere direkt anzugreifen oder E-MailKonten zu kapern. “Ausländische Kräfte versuchen, massiv auf Wahlen Einfluss zu nehmen, indem sie Falschinformationen verbreiten”, warnt Bernstiel. Deutschland ist ein sehr beliebtes Ziel. So hat der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) seit Ende 2015 allein über 700 Beispiele für Desinformationskampagnen russischen Ursprungs festgestellt. Dabei besteht die Sorge, dass die Urheber von Falschnachrichten sich vor der Bundestagswahl sog. Deep Fakes bedienen könnten. Diese erlauben es, Stimme und Mimik von Politikern in Videoclips zu simulieren. Bis solche Clips als Fälschungen entlarvt wären, könnten sie vielfach verbreitet und auf fruchtbaren Boden getroffen sein – gerade in Zeiten weitverbreiteter Vorbehalte gegen Staat und Politik.

Homeoffice ist da, um zu bleiben IT-Sicherheit lässt zu wünschen übrig (BS/sp) Homeoffice ist kein kurzfristiger Trend, die meisten Unternehmen möchten das Angebot aufrechterhalten oder ausbauen. Auch im Öffentlichen Dienst gewinnt das Modell an Befürwortern. Kritisiert wird vor allem die IT-Sicherheit am häuslichen Arbeitsplatz. Hier ist noch viel Nachholbedarf. Das zeigt eine vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) veröffentlichte Studie über die Nutzung und die IT-Gefahren von Homeoffice. Im Gesamtdurchschnitt arbeiten etwa 64 Prozent der Befragten voll oder teilweise im Homeoffice. Bis Ende 2020 konnten laut DBB Beamtenbund und Tarifunion auf Bundesebene 67 Prozent der Beschäftigten dauerhaft ins Homeoffice wechseln, auf Landesebene waren es 55 Prozent und auf kommunaler Ebene 37 Prozent. Aktuell wird in rund 42 Prozent der Unternehmen auf unternehmenseigene IT zurückgegriffen. Vor allem Kleinstunternehmen nutzen überwiegend private IT-Sicherheit. Das BSI empfiehlt, langfristig auf den Einsatz privater IT zu verzichten und auf sichere IT-Lösungen zurückzugreifen. Die Autorin der Studie Agnieszka Pawlowska ruft zu besseren Sicherheitsmechanismen auf: “Die meisten Organisationen haben einen guten Passwortschutz, nutzen allerdings kein VPN und auch die Mehrfaktorauthentifizierung wird nicht so genutzt, wie wir es uns wünschen würden.” Auch die Ausgaben für IT-Sicherheitssoftware ist ausbaufähig. Über 50 Prozent der Unternehmen investieren weniger als zehn Prozent der IT-Ausgaben in Cyber-Sicherheit. Hier empfiehlt das BSI, mindestens 20 Prozent zu veranschlagen. Arne Schönbohm, Präsident des BSI, weist auf die Gefahren von Cyber-Attacken hin:

Homeoffice wird auch über die Pandemie hinaus in vielen Branchen zunehmen. Das BSI warnt davor, die IT-Sicherheit auf die leichte Schulter zu nehmen.

“Jedes vierte Unternehmen was einen Cyber-Angriff erlebt hat, hat schwerwiegende oder sogar existenzbedrohende Schäden davongetragen. Jeden Tag werden etwa 320.000 neue Schadprogramme im digitalen Raum registriert. Wir beobachten auch, dass die IT-Sicherheit lange ein Fach­thema war und nicht in der Entscheidungsebene angekommen ist. Hier sehen wir aber einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess.” Achim Berg, Präsident des Branchenverbands Bitkom weist vor allem auf die steigende Professionalität hin: “Die Qualität der Angriffe wird höher, auch

Foto: BS/Elchinator, www.pixabay.com

Phishing und Ransomware werden immer beliebter.” Vor allem die staatlich-finanzierten HackerAngriffe aus Ländern wie China, Russland und dem Iran bereiten dem Bitkom-Chef Sorgen. “CyberSicherheit muss endlich Chefsache werden”, so Berg. Corona hat aber auch seine positiven Nebenerscheinungen. Rund ein Drittel der Unternehmen haben aufgrund der besonderen Situation Digitalisierungsprojekte zeitlich vorgezogen oder neu geplant. Vor allem ITProgramme, die im Homeoffice genutzt werden können – wie Video-Konferenz-Systeme – wurden besonders häufig eingeführt.


Informationssicherheit

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Behörden Spiegel / Mai 2021

Beschäftigtendatenschutz reloaded

Langzeitspeicherung kritisiert

Rechtssicherheit schaffen – mit oder ohne Gesetz

Ergebnisse von Corona-Test sollen frühzeitig gelöscht werden

(BS/Marit Hansen) Mehr Digitalisierung im Arbeitsleben bringt verbesserte Steuerungsmöglichkeiten der Abläufe mit sich: durch Beobachtung der einzelnen Bearbeitungsschritte, Identifikation von Verbesserungspotenzialen und Optimierung der Arbeitsprozesse. Auch wenn gar nicht beabsichtigt ist, die Beschäftigten “gläsern” werden zu lassen, entstehen Datenspuren wie sekundengenaue Bearbeitungsmarkierungen an Dokumenten, Protokollierungen der Zugriffe oder Informationen über das Kommunikationsverhalten per Telefon, E-Mail oder Messenger.

(BS/pet) In einer gemeinsamen Erklärung fordern der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit M-V und die IHK Neubrandenburg für das östliche Mecklenburg-Vorpommern eine Überarbeitung der Corona-Landesverordnung M-V (Corona-LVO M-V). Sie kritisieren die vierwöchige Speicherpflicht von Corona-Schnelltest-Ergebnissen.

Im öffentlichen Bereich wird das deutlich bei der Einführung der E-Akte, der Verlagerung von Tätigkeiten ins Homeoffice oder dem kollaborativen Arbeiten in organisationsübergreifenden Teams. Spezielle IT-Systeme liefern Antworten auf die Fragen, wo Mitarbeiter Unterstützung benötigen, wie man sie möglichst gut fördern kann und ob sie die erwartete Leistung erbringen. In einigen Unternehmen gibt es Bonuszahlungen für beim Dienstantritt ausgeruhte Beschäftigte, die per Smartwatch einen mindestens siebenstündigen Schlaf nachweisen können. Für Audio- oder Video-Massenbewerbungsgespräche kommen Programme zum Einsatz, die die Reaktionen der Bewerbenden auf automatisiert gestellte Fragen auswerten. Dabei wird schnell unübersichtlich, wer über wen welche Daten sammeln kann und inwieweit Dienstleister die Informationen – möglicherweise auch für eigene Zwecke – auswerten.

Bislang kein spezielles Gesetz Wie lässt sich die Datenverarbeitung im sich verändernden Arbeitsleben fair und datenschutzkonform gestalten? Vor allem: Wie werden die Rechte der Beschäftigten gewährleistet, und wie können Arbeitgeber sich darauf verlassen, dass die Gestaltung ihrer Verarbeitung rechtssicher ist? Das Datenschutzrecht liefert hierfür Anhaltspunkte. Artikel 88 der Datenschutz-Grundverordnung sieht aber gerade für den Bereich der Beschäftigten eine Spezifizierungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten vor. In Deutsch-

Marit Hansen ist Landesbeauftragte für Datenschutz Schleswig-Holstein

Private und dienstliche Daten trennen

Neben der Festlegung von roten Linien für Ver Foto: ULD Schleswig-Holstein arbeitungen, die besonders stark in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, gehört zu den Grundprobleland ist seit langem eine Rege- men das Problem der Trennung lung im Bundesdatenschutzge- zwischen “privat” und “dienstlich”, setz enthalten (§ 26 BDSG), aber gerade bei mobilem Arbeiten oder im Koalitionsvertrag haben sich im Homeoffice. Kritisch ist eine CDU/CSU und SPD verabredet, Vermischung von privaten und die Schaffung eines eigenstän- dienstlichen Daten, sowohl bei digen Gesetzes zum Beschäftig- der Speicherung von Dokumenten tendatenschutz zu prüfen, das oder Fotos als auch bei Telefondie Persönlichkeitsrechte der nummern und Anruflisten in den Beschäftigten am Arbeitsplatz Adressbüchern von Handys. Wähschützt und Rechtssicherheit für rend den Arbeitgeber die private Kommunikation nichts angeht, den Arbeitgeber schafft. Die Diskussion über ein Be- müssen Bürger- oder Kundenschäftigtendatenschutzgesetz daten in der dienstlichen Sphäbegann schon in den 1980er re verbleiben. Diskutiert werden Jahren. Im Jahr 2010 brachte etwa rechtliche Trennungsverdie Bundesregierung sogar einen pflichtungen, die der Arbeitgeber Gesetzentwurf in den Bundestag durch Geräte oder softwareseitiein (BT-Drs. 17/4230), der jedoch gen Abschottungen für die dienstnicht verabschiedet und in der lichen Daten umsetzen müsste, folgenden Legislaturperiode nicht wobei gleichzeitig die Privatdaten erneut aufgegriffen wurde. Auch dem Arbeitgeberzugriff entzogen in den letzten Monaten vor der wären. Bundestagswahl wird es nicht gelingen, ein – noch nicht einmal Personalvertretung mit im Spiel entworfenes geschweige denn in der Regierung abgestimmtes – BeBeim Beschäftigtendatenschutz schäftigtendatenschutzgesetz in spielen neben den organisationsKraft zu setzen, zumal ein Copy eigenen Datenschutzbeauftragten & Paste von früheren Entwürfen die Personal- bzw. Betriebsräte angesichts der Änderungen des eine wichtige Rolle. Ihre Aufgabe europäischen Datenschutzrechts der Mitbestimmung umfasst die und des technischen Fortschritts Einführung von informationstechnicht zielführend wäre. nischen Systemen zur Verhaltens-

16.-17. Juni 2021

oder Leistungskontrolle. Aufgrund der zahlreichen anfallenden Daten bergen aber viele Systeme zumindest das Potenzial einer Überwachung der Beschäftigten. Die Personal- und Betriebsräte fühlen sich immer wieder überfordert, wenn sie anhand der üblichen Dokumentation von einzuführenden Systemen die Risiken für Beschäftigte erkennen und Abhilfemaßnahmen aushandeln sollen. Wünschenswert wäre nicht nur eine aussagekräftige Darstellung vonseiten der Hersteller und Anbieter informationstechnischer Systeme in Bezug auf Beschäftigtendatenschutz, sondern auch unterstützende Funktionalität: z. B. Konfigurationsmöglichkeiten, welche Daten überhaupt und ob sie lokal, bei der eigenen Organisation oder bei Dienstleistern gespeichert werden; automatisierte Routinen zum Löschen, Anonymisieren oder Pseudonymisieren; Dashboards über die erfassten Daten für eine bessere Transparenz gegenüber den Beschäftigten; sofern Kontrollen notwendig sind: definierte Prozesse, ggf. im Mehraugenprinzip, mit Protokollierung zur Nachvollziehbarkeit. Künftig sollte im Beschäftigtenkontext die Rechtssicherheit für alle Beteiligten gestärkt werden – wenn nötig, auch ohne ein spezielles Gesetz. Warum nicht Kriterien definieren, wie Hersteller, Anbieter und Arbeitgeber ihre Compliance mit den Anforderungen des Beschäftigtendatenschutzes nachweisen können? Dann ließe sich mit Zertifizierungen und Gütesiegeln die Spreu vom Weizen trennen.

Online-Event

Nach den gültigen Bestimmungen der Corona-LVO M-V müssen Bürgerinnen und Bürger bei der Inanspruchnahme bestimmter Dienstleistungen einen negativen Corona-Test vorweisen oder alternativ einen Schnelltest vor Ort machen. Eine Regelung, die unter Aspekten des Datenschutzes grundsätzlich nicht zu beanstanden sei, befindet der Landesdatenschutzbeauftragte Heinz Müller. Anders die langen Speicherzeiten: Denn laut Corona-LVO M-V muss das Ergebnis eines vor Ort gemachten Schnelltests für mindestens vier Wochen nachgehalten werden. Für den Datenschützer ein Unding, da

das Ergebnis eines Schnelltests nur einmal für die Inanspruchnahme der Dienstleistung verwendbar sein soll. “Ich kann nicht nachvollziehen, welchen Zweck die Speicherung in der Pandemiebekämpfung erfüllen soll”, so Müller. Der Datenschützer befürchtet, dass die Dokumentation primär dazu dienen soll, Verstöße gegen die Testpflicht oder ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit einem positiven Schnelltest zu ahnden. Eine solche “anlasslose Speicherung auf Vorrat” stelle Unternehmen genauso wie Bürgerinnen und Bürger jedoch unter Generalverdacht, moniert Müller.

Smoltczyk wirft hin Berliner Datenschutzbeauftragte legt letzten Bericht vor (BS/pet) Maja Smoltczyk steht für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung: Das teilte die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit im Rahmen der Vorstellung ihres Jahresberichtes mit. Smoltczyk, hätte für eine weitere fünfjährige Amtszeit kandidieren können, schlug die Option damit aber aus. Ihre Amtszeit sei geprägt gewesen von großen Umbrüchen im Datenschutz und in der Gesellschaft, angefangen bei der Datenschutzgrundverordnung, bis hin zur andauernden Corona-Pandemie, bilanziert die Datenschützerin. Es sei eine herausfordernde Zeit gewesen, trotzdem sei sie “sehr dankbar”, an der Gestaltung dieser tiefgreifenden Veränderungen

mitgewirkt haben zu dürfen. Im Jahresbericht heißt es, zahlreiche datenschutzrechtliche Fragen seien zur Zulässigkeit einzelner Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bis hin zur Gestaltung des digitalisierten Lebens aufgekommen. Entsprechend hoch sei die Anzahl der eingegangenen Fälle gewesen: Insgesamt 4.868 Eingaben notiere die Aufsichtsbehörde für das vergangene Jahr. Hinzukommen 925 Datenpannen bei Berliner Unternehmen und Behörden.

Münchner

CYBER Dialog

Gemeinsam im Kampf gegen Cyber-Kriminalität

2021

Referent/-innen: Carsten Meywirth, Abteilungsleiter Cybercrime, Bundeskriminalamt

Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer, Bundesverband mittelständische Wirtschaft e.V.

Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender, Bund Deutscher Kriminalbeamter e. V.

Letitia Kernschmidt, CERT-Bund, Vorfallsbearbeitung und Verbindungsstelle Nationales Cyber-Abwehrzentrum

Dirk Fleischer, Security Consultant (CSO/ CISO), Dürr AG

Prof. Dr. Gina Rosa Wollinger, Professur für Soziologie und Kriminologie, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW

FORMATE: Keynotes, Online-Panels, Dialogforen und Werkstätten

Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Bündnis 90/ Die Grünen

Und viele weitere

FOKUS: Threat Landscape, Ransomware, Cyber-Spionage, sicheres Homeoffice

Aktuelles Programm und Anmeldung unter: www.muenchner-cyber-dialog.de Eine Veranstaltung der Cyber Akademie – Ihr Zentrum für digitale Souveränität

Medienpartner:

Kooperationspartner:


Behörden Spiegel / Mai 2021

A

llerdings reichen die heutigen Sicherungsmechanismen schon bald nicht mehr aus und müssen ergänzt werden: Nicht nur wandelt sich das Energiesystem deutlich durch die notwendige Energiewende, auch die Digitalisierung innerhalb und außerhalb der Energieversorgung bringt neben vielen Chancen auch neue Risiken mit sich, die in ihren Ausprägungen nicht immer vorhersehbar sind. Dies hat im Wesentlichen vier Ursachen: 1. In Zukunft wird annähernd jedes Gerät, vom Kühlschrank über die Wärmepumpe und den elektrischen Hausspeicher bis hin zum Elektrofahrzeug, mit dem Internet verbunden sein. Dies birgt die Gefahr, dass durch über das Internet übertragene Schaltbefehle eine große Anzahl dieser Geräte simultan an- oder abgeschaltet werden. Im schlimmsten Fall wäre dieser Effekt dramatischer als das gleichzeitige Abschalten mehrerer Großkraftwerke. 2. Die technische Systemkomplexität erschwert die Vorhersage von Auswirkungen im operativen Betrieb. Die tages-, wetter- und jahreszeitabhängige Stromerzeugung aus Photovoltaik- und Windenergieanlagen erfordert schnelle – häufig sofortige – Reaktionen. Nicht zuletzt können auch die zukünftigen Strommärkte eine schwer vorhersagbare Systemdynamik verursachen. 3. Ungewissheit über zukünftige politische und technische Entwicklungen erschwert ein optimales Systemdesign. Das Systemdesign des elektrischen Energiesystems – unter anderem technischer Aufbau und Prozesse, Richtlinien, Regulierung – basiert auf expliziten und impliziten Annahmen über die Zukunft. Wahrscheinlich

Informationssicherheit

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Stromversorgung und Digitalisierung

Weitere Informationen vom Projekt ESYS gibt es hier:

Erhöhtes Risiko oder erhöhte Sicherheit? (BS/Dr. Christoph Mayer) Die Gesellschaft hängt in besonderer Weise von der Stromversorgung ab. Blackouts, also großflächige, lang andauernde Stromausfälle, sind besonders bedrohlich, weil das Stromsystem eine Sonderstellung unter den Kritischen Infrastrukturen einnimmt. Wasserversorgung und -entsorgung, Transport, Gesundheitswesen sowie Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) reagieren bereits nach kurzer Zeit empfindlich auf Störungen in der Stromversorgung. Ein großer Blackout verursacht also hohe gesellschaftliche und ökonomische Schäden, die zudem zu Vertrauensverlusten in Politik und Gesellschaft führen können. Das deutsche Stromsystem hat sich dank kluger und schnell reagierender Regulierung, hoher Investitionen in die Infrastruktur und der Einbettung in den europäischen Verbund bisher als äußerst robust erwiesen. Bestandteile des Energiesystems gesehen wurden. Ein weiteres Risiko Dr. Christoph Mayer ist Bereichsleiter Energie am bilden staatliche OFFIS – Institut für InforAktivitäten, die – matik. etwa zur Verbrechensverfolgung – Foto: BS/privat zunehmend Wert darauf legen, dass Sicherheitslücken in Software unerwerden sich jedoch einige kannt bleiben. Diese können dieser Annahmen als falsch dann mittels “Staatstrojanern”, herausstellen – daraus könaber eben auch von Hackern genutzt werden. Zudem lassen nen möglicherweise Risiken Behörden auch selbst Software für die Versorgungssicherheit erarbeiten, um in Systeme einentstehen. zudringen. Sowohl diese Soft4. Da fast alle technischen und ware als auch das damit verkaufmännischen Prozesse inbundene Know-how gelangen nerhalb und außerhalb der zum Teil auf den freien Markt Energieversorgung durch inund werden dann von bösarformationstechnische Systetigen Akteuren erworben und me unterstützt werden, kann deren Fehlverhalten (etwa eingesetzt. Für die ersten drei Punkte bietet nach einem Cyber-Angriff) zu größeren Auswirkungen Digitalisierung viele Lösungen. in der Stromversorgung füh- Neben dem Einsatz von Künstren. Bisher zählen nur große licher Intelligenz, verbesserten Anlagen und Infrastrukturen Datenanalysemöglichkeiten und als Kritische Infrastrukturen, Standards für den Einsatz von dementsprechend sind deren Digitalisierung sind hier ein hoIKT-Systeme gegen digita- hes Innovationstempo und große le Störereignisse relativ gut Flexibilität zu nennen. IKT-Innoabgesichert. In Zukunft geht vationen sind um ein Vielfaches jedoch auch eine Gefahr von schneller im Einsatz als energieIKT-Systemen aus, etwa den technische Komponenten, die oft Software-Plattformen der Her- jahrzehntelang im Feld genutzt steller von Elektrofahrzeugen, werden können. Ohne massive die bisher überhaupt nicht als Digitalisierung gibt es kein siche-

res Energiesystem, weder heute noch in Zukunft! Doch wie begegnet man den unzweifelhaft vorhandenen Gefahren durch Digitalisierung? Expertinnen und Experten von “Energiesysteme der Zukunft” (ESYS), einem gemeinsamen Projekt der deutschen Wissenschaftsakademien, empfehlen dazu unter anderem die folgenden Maßnahmen: - Die Regulierung muss auch für “Schwärme” kleinerer Systeme – also auch für Akteure außerhalb der Energieversorgung – Verordnungen für die Sicherheit der Stromversorgung entwickeln. Dies meint beispielweise Gerätehersteller, Plattformbetreiber sowie die Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze. Da es um Energieversorgung geht, kann das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik diese Aufgabe nicht allein meistern. - Staatliche Akteure müssen die Risiken, die sie durch nicht veröffentlichte Sicherheitslücken in Software und die Entwicklung staatlicher Werkzeuge für Cyber-Angriffe erzeugen, besser gegen den Nutzen in der Verbrechensbekämpfung abwägen und entsprechend handeln. Diese Abwägung sollte nicht allein von Innenministerien vorgenommen werden, die ein eigenes Interesse an den entsprechenden Sicherheitslücken und CyberWerkzeugen haben.

- Hersteller von IKT in kritischen Anwendungen wie in 5G-Kommunikationsnetzen, von denen in Zukunft die Energieversorgung in Teilen abhängen wird, sollten einer besonderen Prüfung unterzogen werden, besonders wenn diese Hersteller in Teilen staatlicher Kontrolle unterliegen. - ( Möglichst internationale) Notfallteams mit speziellem Know-how sowohl im Bereich der Cyber-Abwehr als auch der Energieversorgung sollten aufgebaut werden, um präventiv und reaktiv insbesondere die für die Versorgungssicherheit verantwortlichen Netzbetreiber bei der Abwehr von Cyber-Angriffen zu unterstützen. - Nicht zuletzt müssen geeignete Organisationsstrukturen entwickelt werden, die nationale und internationale Störfälle oder bedrohliche Entwicklungen für die Stromversorgung erfassen, auswerten und den für die Versorgungssicherheit Verantwortlichen zur Verfügung stellen. Als Fazit lässt sich also feststellen, dass Digitalisierung einen westlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten kann und muss. Jedoch hat die Politik in den nächsten Jahren einige Hausaufgaben zu erledigen, um diese Digitalisierung so zu gestalten, dass die Risiken beherrschbar bleiben.

MELDUNG

Lage nicht erfasst (BS/stb) Die Bundesregierung kann keine genauen Angaben zu abgewehrten Cyber-Angriffen auf die Stromnetze in Deutschland machen. Zwar sind Netzbetreiber zur Meldung von Störfällen in IT-Systemen verpflichtet. Dabei erfolge aber keine explizite Meldung von Cyber-Angriffen und “somit auch keine Erfassung der allgemeinen Angriffslage”, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion. Im vergangenen Jahr seien zwölf ITbezogene Störfälle gemeldet worden. Darunter könnten Störfälle aufgrund von Schadsoftware sein.


DIGITALE AKADEMIE MAI 2021 Update IT-Sicherheit für Expert*innen: Aktuelle Schwachstellen, Angriffe und Patches 20.05.2021

Künstliche Intelligenz – Rechtssichere Nutzung in der öffentlichen Verwaltung 20.05.2021

Das neue Datenrecht – Herausforderung für Behörden mit akutem Handlungsbedarf 20.05.2021

Barrierefreie Websites – Selbstbewertung verstehen und durchführen 21.05.2021

Vertiefung und Aufbauwissen Microsoft Word 26.05.2021 – 09.06.2021

BSI-Grundschutz – Praktische Umsetzung 26.05.2021

Vertiefung und Aufbauwissen Microsoft Excel 28.05.2021 – 23.06.2021

Grundlagen Microsoft PowerPoint 28.05.2021 – 04.06.2021 JUNI 2021 Social Engineering – Die Psycho-Tricks der Hacker 01.06.2021

Sofortmaßnahmen bei einem Cyber-Angriff 01.06.2021

Malware-Autopsie 02.06.2021

Grundlagen Kryptowährungen – Funktionsweise und Anwendung 08.06.2021

Think digital: Digitalisierung der Verwaltung und Auswirkungen auf die Führung 08.06.2021 – 09.06.2021

Beschaffung von Cloud-Leistungen mit den EVB-IT 08.06.2021 – 09.06.2021

Barrierefreie Webanwendungen im Rahmen der BITV und des OZG – Synergien im Projekt nutzen 10.06.2021

Barrierefreie Websites – Selbstbewertung verstehen und durchführen 11.06.2021

Führung von virtuellen Teams 15.06.2021

Softwarelizenzmanagement der öffentlichen Hand 15.06.2021

Sichere IT-Integration: von Drucken und Telefonen bis hin zu Smart Devices 16.06.2021

Home Office – Arbeits- und datenschutzrechtliche Anforderungen 16.06.2021

Online-Meetings und Telefonkonferenzen erfolgreich leiten 21.06.2021

Erfolgreich kommunizieren in Online-Meetings und Telefonkonferenzen 22.06.2021

Die Stimmung im Home Office erkennen und das Team zusammenhalten 22.06.2021

Service Design für die öffentliche Verwaltung

23.06.2021 – 24.06.2021

IT-Sicherheitsrecht: Überblick und praktische Umsetzung aktueller Regelungen

23.06.2021

www.digitaler-staat.online


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Mai 2021

Investition in die Sicherheit Deutschlands Aktueller Blick auf die Ausstattung der Bundeswehr

KNAPP Unterstützung für Gambia

(BS/Dorothee Frank) Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Ausrüstung der Bundeswehr – besonders des Deutschen Heeres – in vielen Bereichen entweder nicht das moderne Zeitalter (BS/mfe) Die baden-württemberabbildet oder in ungenügender Stückzahl vorhanden ist. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte mehrfach an, es besser als ihre Vorgängerin machen zu wollen. gische Landespolizei hilft ihren

Kolleginnen und Kollegen im afrikanischen Gambia im Rahmen einer Auslandsmission. Ziel ist die Stärkung der inneren Stabilität in dem Land, das das kleinste auf dem afrikanischen Festland ist. In diesem Jahr sind Lehrgänge und ausbildungsbegleitende Ausstattungshilfen vorgesehen. Bereits seit September 2018 unterhält die baden-württembergische Polizei enge Beziehungen nach Gambia.

N

un stellt Deutschland für die NATO-Speerspitze VJTF 2023 eine Brigade. Die Zustimmung – und somit auch Aufnahme der Planungen – erfolgte nach dem NATO-Gipfel von Warschau im Jahr 2016. Zieht man die Zeit für die notwendige Integration und Übung der Systeme bei den Soldatinnen und Soldaten ab, blieben etwa fünf Jahre für die Beschaffung. Dennoch wird die vorgesehene deutsche Brigade nicht rechtzeitig zur VJTF voll ausgestattet sein. Dies bedeutet, dass bestimmte Systeme (Helme, Schutzwesten…) nicht für alle Soldaten vorhanden sind und deshalb in der Truppe eingesammelt, gereinigt und geprüft werden müssten, um schließlich der VJTF 2023 zur Verfügung stehen. Wikipedia weiß allerdings, dass die Brigade der kleinste Großverband ist: “Mehrere Bataillone verschiedener Truppengattungen werden zu einem Truppenkörper zusammengefasst und bilden mit selbstständigen Kompanien bzw. Batterien eine Brigade. Die Brigaden der Kampftruppe führen das Gefecht der verbundenen Waffen und umfassen 3.000 bis 5.000 Soldaten (KSK ca. 1.100) unter Führung eines Brigadekommandeurs, meist im Rang eines Brigadegenerals.” Es ist in der über 180.000 Soldatinnen und Soldaten umfassenden Bundeswehr also noch nicht einmal möglich, innerhalb von fünf Jahren eine Brigade – den kleinsten Großverband – auf einem einheitlich modernen Stand auszurüsten.

Fragmentierung erschwert Beschaffung Das Problem sind die Stückzahlen, die Kleinteiligkeit und die geringe Lobby der Heeresrüstung. Wenn die Marine vier Fregatten braucht, dann sind das geschlossene Systeme mit einem Hauptauftragnehmer und dem entsprechenden industriepolitischen Interesse der Politiker, in deren Bundesländern und Wahlkreisen diese Fregatten und deren Zubehör gebaut werden. Für Fregatten können auch Flugzeuge und andere klar fassbare Systeme gesetzt werden. Bei der Brigade sieht dies ganz anders aus. Es war schon ein großer Schritt, als für das Soldatensystem Infanterist der Zukunft

Erstes Verbindungs­ büro beim BBK

Kampfpanzer Leopard 2 des Panzerbataillons 104 im Rahmen der Brigadegefechtsübung “Grantiger Löwe”

(IdZ) erstmals ein Hauptauftragnehmer gewählt wurde, statt jedes einzelne Element (Schuhe, Schutzweste, Elektronik…) einzeln auszuschreiben. Dennoch stellt auch der IdZ nur ein kleines Element der Brigade dar. Wenn also der Inspekteur Marine mit dem Konzept eines neuen Fregattengeschwaders in die Verhandlung geht, reicht ihm ein Aktenordner und eine Stunde Erklärung. Wenn der Inspekteur Heer hingegen eine Brigade 2.0 der Politik vorstellen möchte, bräuchte er bereits einen Trolley für die ganzen Ordner und am Ende der stundenlangen Ausführungen wäre seine Zuhörerschaft geistig komplett überlastet. Dabei kosten beispielsweise die vier Fregatten F126 mit geplanten 5,27 Milliarden Euro etwa ebenso viel wie die Division 2027 mit ca. 5,9 Milliarden Euro.

Konsequenzen der Verdrängung Dies rächt sich, da auch die industriepolitischen Konsequenzen bei Großprojekten einfacher darstellbar sind als bei den fragmentierten Heeresprojekten. Wenn beispielsweise KraussMaffei-Wegmann (KMW) statt

Der PLAN HEER zeigt die Planungen des Kommandos Heer mit den notwendigen Zeitachsen. Bild: BS/Deutsches Heer

einer Leopard-Modernisierung oder des zweiten Loses Puma ein paar mehr Boxer verkaufen kann, dann müsste doch alles gut sein, oder? Was spielt es für eine Rolle, ob Kampfpanzer oder Gepanzertes Transport-Kraftfahrzeug unter Vertrag gehen? Die Systeme sind anders, die Entwickler andere, die Elektronik verschieden, die Fertigung unterschiedlich. Weitere Beispiele zu nennen, könnte allein diese Seite füllen. Der Hinweis auf einen möglichen zusätzlichen BoxerAuftrag als Ersatz für das zweite Los Puma nutzt höchstens der Gesamtbilanz, nicht dem Erhalt von Fähigkeiten. Wenn Boxer statt Puma oder eines LeopardUpdates bestellt werden, dann wird die Fertigung neu ausgerichtet, Mitarbeiter umgeschult und viele Experten verlassen das Unternehmen, um woanders ihre Panzer-Expertise einzubringen. Der Kommandant eines Leopard würde sich schließlich auch nicht einfach auf einen Multi-Lkw setzen lassen. Aber da gibt es ja noch das MainGround-Combat-System (MGCS), das deutsch-französische Projekt zur Beschaffung eines neuen Kampfpanzers. Milliarden stehen hier im Raum. Allerdings erst in zehn bis fünfzehn Jahren. Weder die großen Panzerhersteller noch deren Unterauftragnehmer können die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre von einem Versprechen auf zukünftige Aufträge leben. Oder von den Studiengeldern, die zudem mit Frankreich zu teilen sind. Der Wegfall der Kernkompetenzen zieht weite Kreise. Wo kein Panzer, da auch keine Panzerhaubitze, kein Bergepanzer, kein Brückenleger etc. pp. Ähnliches gilt für Heckler & Koch, Rohde & Schwarz und weitere Mittelständler. Auch hier zeigt sich wieder, wie komplex und fragmentiert die Heeresbeschaffungen sind. Dabei sind die Auswirkungen dieser “kleinen” Beschaffungen sowohl auf die Bundeswehr als auch den Erhalt von Schlüsselfähigkeiten und -technologien in der deutschen Industrie enorm.

Wenn der Inspekteur Heer, Generalleutnant Alfons Mais, in seinem Interview auf Seite 51 dieser Ausgabe sagt, dass die Großvorhaben des Heeres “seit 2018 bis Ende 2020 nur 13 Prozent aller 25-Mio-Euro-Vorlagen ausgemacht” hätten, dann zeigt das, welcher Investitionsstau in der größten Teilstreitkraft der Bundeswehr herrschen muss.

Fehlerkultur Dies sind keine neuen oder bemerkenswerten Erkenntnisse. Bereits im November 2020 sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer zweiten Grundsatzrede: “Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zulasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Betriebs nicht zustimmen. Diesen Fehler hat die Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten gemacht und er hat die Streitkräfte bis ins Mark getroffen. Das darf sich nicht wiederholen. Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird – oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.” Diese Aussage muss sich allerdings an der Realität messen lassen – und da ist bereits heute absehbar, dass zwei Drittel der finanziellen Ausrüstungsmittel in wenigen Großprojekten gebunden werden, die hauptsächlich für die Luftwaffe bestimmt sind. Die Problematik der kleinteiligen Heeresbeschaffungen wurde bisher nicht gelöst. Ein Beweis dafür ist, dass es nicht möglich war, eine Brigade bis zur VJTF 2023 vollumfänglich modern auszustatten.

Division als Maßstab Dabei ist die Brigade nicht nur der kleinste Großverband, sondern zudem gewissermaßen out-of-date. Sie war in Zeiten der Ausrichtung auf den Einsatz eine tragende Säule, mit der Rückkehr zur Landes- und Bündnisverteidigung ist sie es nicht mehr. In-

Foto: BS/Bundeswehr/photothek, Gottschalk

ternational ist die Division zum Maßstab geworden. Die Division steht in der Klassifizierung über der Brigade, umfasst mehrere Brigaden und kommt so auf 10.000 bis 20.000 Soldaten. Es gibt nur wenige Länder der westlichen Welt, die überhaupt noch eine Division stellen können. Die USA sind hierzu natürlich in der Lage, ebenso wie die potenziellen Gegner China und Russland. Bei den weiteren NATO-Staaten sind es Frankreich, Großbritannien, Polen und – theoretisch – Deutschland. Theoretisch, denn wenn innerhalb von fünf Jahren keine Brigade vollumfänglich gerüstet werden kann, dann sieht es mit einer Division noch schlechter aus. Dabei wird auch der Beitrag zu internationalen Einsätzen mittlerweile in Divisionsstärke angefragt bzw. angeboten. Bei einer Division zählt nicht die reine Mann-Stärke, sondern die vorhandenen Fähigkeiten. Lufttransport oder Minenräumdienst gehören beispielsweise ebenso dazu wie die Kampfverbände oder die sanitätsdienstliche Unterstützung. Um im Bündnis für ein vernetztes Gefecht überhaupt von Nutzen zu sein, würde es nicht ausreichen, wenn Deutschland zwar mit genügend Soldaten und Systemen aufwartet, deren technologischer Stand allerdings dem des Kalten Krieges entspricht. Für die Modernisierung braucht es wiederum konkrete finanzielle Mittel, und zwar für jedes einzelne der vielen notwendigen Heeresprojekte. Diese müssen zudem so eingesteuert werden, dass die Industrie mit einer kontinuierlichen Auslastung einerseits arbeiten und andererseits überleben kann. Auch wenn – wie zu hören ist – nur eine der geplanten Divisionen aus schweren Kräften bestehen wird und die beiden weiteren die mittleren Kräfte abbilden sollen, sind hierfür genügend finanzielle Mittel notwendig, um die vorhandene, minderwertige oder veraltete Ausstattung entweder zu modernisieren oder zu ersetzen. Diese Gelder scheinen allerdings bereits gebunden, in einigen wenigen Großprojekten.

(BS/bk) Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) richtete das erste Verbindungsbüro unter Leitung von Dr. Heike Spieker beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ein. Damit soll das bestehende Netzwerk im Bevölkerungsschutz im Hinblick auf das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz gefestigt werden. Spieker ist seit vielen Jahren im Generalsekretariat des DRK in leitender Position tätig. Sie wird die Hilfsorganisation unter anderem in ihrer Rolle als Nationale Hilfsgesellschaft im Bundesamt vertreten. Das BBK und das DRK wollen im besonderen Maße in den Bereichen Förderung des Ehrenamtes, Ausstattung, Erste-HilfeAusbildung und Pflegeunterstützungskräfte zusammenarbeiten. Konkret liegen die Schwerpunkte bei der Kooperation auf dem “Labor 5000”, dem Sanitäts- und Betreuungsdienst und den Nationalen Reserven. Es sollen weitere Verbindungsbüros folgen.

Großes Technologieprogramm für EUAgenturen (BS/mfe) Die EU-Agenturen euLISA und Frontex erweitern ihre Partnerschaft mit der Privatwirtschaft. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Cyber-Sicherheit und Sicherheitslösungen. Konkret geht es bei eu-LISA, die für IT-Großsysteme im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht verantwortlich ist, um die Entwicklung sowie den Betrieb einer Infrastrukturplattform. Der Auftrag hat ein Gesamtbudget von 442 Millionen Euro bei einer maximalen Laufzeit von sechs Jahren. Er umfasst die Bereitstellung von Hard- und Software sowie das Design, den Einsatz, das Testen und den Support der IT-Infrastruktur für eu-LISA und Frontex, die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache. Eu-LISA hat ihren Sitz in Tallin und verwaltet derzeit Eurodac, das Schengener Informationssystem und das Visa-Informationssystem (VIS). Darüber hinaus entwickelt eu-LISA das Einreise-/Ausreisesystem (EES), das Europäische Reiseinformations-Genehmigungssystem (ETIAS) und das Europäische Strafregisterinformationssystem – Drittstaatsangehörige (ECRISTCN). Frontex wiederum fördert, koordiniert und entwickelt das europäische Grenzmanagement in Übereinstimmung mit der EU-Grundrechtecharta und dem Konzept des integrierten Grenzmanagements.


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Behörden Spiegel / Mai 2021

IT-Reform muss schneller werden

MELDUNG

“Polizei 2020” soll es richten

VR-Brillen in NRW

(BS/Gerd Lehmann/Uwe Proll) Voraussetzung für eine erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere die Bekämpfung des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität (OK), ist eine uneingeschränkte Kooperation der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern und ein lückenloser Informationsaustausch des szenenspezifischen Informationsauskommens. (BS/mfe) In Nordrhein-Westfalen Nahezu alle Befundberichte über schockierende Vorfälle im letzten Jahrzehnt wiesen neben Kohärenzproblemen bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden erhebliche Defizite werden ab sofort Virtual-Realitybeim Informationsaustausch aus. Brillen im Rahmen der polizeiAls mitursächlich für diesen Mangel wurden das Fehlen einer IT-Infrastruktur zum Teilen relevanter Informationen zwischen den Polizeibehörden des Bundes und der Länder und die zersplitterte IT-Landschaft der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern analysiert. Dieser Befund rief die Bundesländer auf den Plan. Sie initiierten auf ihrer Herbsttagung im Jahr 2016 die “Saarbrücker Agenda” mit dem Ziel, die IT-Landschaft zu harmonisieren und zu modernisieren. Im Frühjahr 2017 nahm dann der Bundesinnenminister das Heft in die Hand und startete das Programm “Polizei 2020”. Die Botschaft des Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, lautet seither: “Föderal geht nur digital.”

Konkrete Ergebnisse lassen auf sich warten Anfang Dezember wird die Innenministerkonferenz (IMK) in Stuttgart wieder zusammentreten und einen Statusbericht zum Programm “Polizei 2020” entgegennehmen. Auch viereinhalb Jahre nach dem Start des Programms sind die Erwartungen groß. Das Programm stotterte am Anfang erheblich. Natürlich nahmen der nicht gerade leichte Aufbau der Projektstrukturen in Bund und Ländern sowie deren personelle und materielle Ausstattung eine gehörige Zeit in Anspruch. Zeitaufwendig war insbesondere die zur Zielerreichung notwendige, gründliche Bestandsaufnahme

E

rmittlerinnen und Ermittler stoßen dabei nicht selten auf riesige, unstrukturierte Datenmassen, die für ein späteres Gerichtsverfahren beweissicher ausgewertet und aufbereitet werden müssen. Allein in Bayern wurden 2019 in über 7.190 Ermittlungsverfahren mehr als 20.800 digitale Asservate, davon mehr als 11.000 Mobiltelefone, untersucht. Die Rohdatenmenge lag bei mehr als 4,7 Petabyte (circa 4,4 Billiarden Zeichen). Nur zur Verdeutlichung: Die Inhalte aller Universitätsbibliotheken in den USA umfassen circa zwei Petabyte. Das ist nicht einmal die Hälfte der Daten in der digitalen Forensik Bayerns in einem Jahr. Daten von mehreren hundert Terabyte (ein Terabyte entspricht 1.024 Gigabyte) sind längst keine Besonderheit mehr. Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre und der enorm gestiegenen Datenmengen in Ermittlungsverfahren suchte man innerhalb der Bayerischen Polizei nach Lösungen, die aufwendige und langwierige Datensichtung effizienter zu gestalten und die Auswertung insgesamt zu vereinfachen. Zeitaufwendige Geschäftsprozesse, der physische Versand digitaler Daten und autarke Auswerterechner in den Dienststellen sollten abgelöst werden. Zwar war über eine spezielle Infrastruktur im Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA) grundsätzlich eine gemeinsame Fallbearbeitung verschiedener Ermittler und Dienststellen möglich, jedoch musste dies aus Ressourcengründen auf herausragende Fälle beschränkt bleiben. Leitungskapazitäten, der stetige Ausbau und steigende fachliche Anforderungen wurden immer mehr zu einer Herausforderung. Somit war das Ziel klar: ein landesweites Auswertenetz der digitalen Forensik. Organisa-

bearbeitungssystems (eVBS) votierten die Vertreter der Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die über funktionierende, jüngst eingeführte Systeme verfügen. Der Vertreter des Landes Sachsen schloss sich dem Veto an. Das zeigt, wie schwierig Digitales im Föderalen ist.

Interimslösung bis auf Weiteres

Bei der Polizei ist viel Informationstechnologie (IT) im Einsatz. Diese muss den Bedürfnissen der Zeit angepasst werden. Die entsprechende Reform muss in Zukunft schneller gehen. Foto: BS/Anne Garti, pixelio.de

der zersplitterten IT-Landschaft der Sicherheitsbehörden im Bund und in den Ländern. Neben dem Zentralsystem INPOL existieren 19 Teilnehmersysteme und unzählige Bearbeitungssysteme in den Ländern, die von Eigenentwicklungen, Sonderlösungen, Schnittstellen, unterschiedlichen Dateiformaten und Erhebungsregeln geprägt sind. Insgesamt wurden mehr als 2.000 für den Verbund relevante Anwendungen bewertet. Beim Wechsel der Gesamtprojektleitung im Juni 2019 lagen ein länderübergreifendes Vorgehensmodell mit gemeinsamen Finanzierungsmodellen und Steuerungsstrukturen sowie ein erstes Grobkonzept vor. Die neue Projektleitung steht vor großen

Aufgaben. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass das Projekt erst mit der im Dezember 2019 im Rahmen der IMK in Lübeck verabschiedeten Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung eines Polizei-IT-Fonds und über die Grundlagen der Zusammenarbeit bei der Modernisierung des polizeilichen Informationswesens von Bund und Ländern und der Einrichtung eines Verwaltungsrates als strategisches Entscheidungsgremium auf ein halbwegs gesichertes organisatorisches und finanzielles Fundament gestellt werden konnte. Darüber hinaus stand – länderseitig – gelegentlich auch ein Mangel an Kooperationsbereitschaft der am Projekt Beteiligten einer zeit-

nahen Lösung im Wege. Mit dem Wechsel der Gesamtprojektleitung im Juni 2019 ging auch eine Abwendung von der bisherigen Vorgehensweise einher. In den Vordergrund rückte die Projektleitung das schnelle Vorzeigen erster Arbeitsergebnisse.

Vereinheitlichung ökonomisch sinnvoll Auf der To-do-Liste der vorrangig zu entwickelnden Verfahren stehen jetzt teilnehmerübergreifende Bestandsprojekte, die bisher bei einzelnen Teilnehmern geführt wurden und deren Vereinheitlichung ökonomisch sinnvoll ist. Allerdings: Gegen die Beauftragung der Entwicklung eines einheitlichen Vorgangs-

Der im Rahmen der Errichtung des IT-Fonds als zusätzliches Steuerungs- und Entscheidungsgremium etablierte Verwaltungsrat befasste sich mit der Angelegenheit kürzlich in einer Sondersitzung. Danach sind das eVBS und das Asservatenmangementsystem (eAMS) nicht mehr Gegenstand des unverzüglich durchzuführenden Vergabeverfahrens “Generalunternehmer”. Die Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bieten ihre Vorgangsbearbeitungssysteme den anderen Ländern bis auf Weiteres als Interimslösung (iVBS) an. Die Bereitstellung des sächsischen Systems als iVBS wird noch geprüft. Die Gesamtprojektleitung von “Polizei 2020” hat den Interimsbetrieb der iVBS sicherzustellen und für deren Transformation in das Zielbild des Programms zu sorgen. Es bleibt zu hoffen, dass nach sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl die politische Priorisierung weiter bei der Vereinheitlichung der IT der Polizei bleibt.

Große, unstrukturierte Daten als Herausforderung Bayerische Polizei verfügt über Auswertenetz für digitale Forensik (BS/Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer/Michael Lutz) Die Digitalisierung verändert unser Leben und ist mittlerweile untrennbar mit unserer modernen Gesellschaft verknüpft. Social Media, Videostreaming und Homeoffice sind hier nur einige Beispiele. In nahezu jedem Ermittlungsverfahren spielen digitale Asservate – vor allem Daten von Smartphones – eine immer wichtigere Rolle.

Müssen Polizisten Smartphones auswerten, fallen regelmäßig riesige Datenmengen an. Hier braucht es Lösungen, die mehr Effizienz bei der Analyse bieten. Foto: BS/©Khunatorn, stock.adobe.com

torische Anforderungen, Datensicherheit und Datenschutz mussten berücksichtigt sowie der fachliche Bedarf der Ermittlungsbeamten auch für die Zukunft abgedeckt werden. Der Zugriff auf die Daten muss vom Standardarbeitsplatz jeder Polizeidienststelle, aber auch über die eigene regionale Zuständigkeit hinaus, zum Beispiel im Rahmen von Sonderkommissionen, möglich sein. Die “Chain of Custody” (Beweismittelkette), die die Behandlung von digitalen Spuren bis zur Einbringung des Beweismittels vor Gericht dokumentiert und somit die Authentizität und Integrität der Spuren nachvollziehbar macht, muss zur Sicherung des Strafverfahrens eingehalten werden.

Projekt wurde Ende 2018 begonnen Der Startschuss fiel Ende 2018. In einer ersten umfangreich an-

Auswertenetzes intensiv getestet. Nach positiven Erfahrungen wurde Prof. Dr. Wilhelm Schmidschließlich im Apbauer ist Landespolizeipräril 2019 das Prosident Bayerns. jekt SIERA (“Sichtung, Ermittlung Foto: BS/Bayerisches Staatsminisund Auswertung”) terium des Innern, für Sport und unter FederfühIntegration rung des BLKA mit der Errichtung des bayernweiten Auswertenetzes Kriminaloberrat Michael Lutz ist Referent für Cyber Crime beauftragt. In und Digitale Forensik im Baydrei Phasen sollerischen Staatsministerium ten sukzessive aldes Innern, für Sport und le LandespolizeiIntegration. präsidien an das Auswertenetz anFoto: BS/Bayerisches gebunden und daLandeskriminalamt rüber hinaus die bestehende Langelegten Machbarkeitsstudie hat desanwendung kontinuierlich das BLKA zusammen mit meh- weiterentwickelt und ausgebaut reren Polizeipräsidien den tech- werden. Oberste Priorität hatte nischen Aufbau eines möglichen dabei die Absicherung des beson-

ders geschützten Polizeinetzes vor Schadsoftware. SIERA ist ein vom Polizeinetz völlig unabhängiges Computernetzwerk mit einer komplexen IT-Infrastruktur. Mit vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifizierten Vorrichtungen (sogenannten SINA-Boxen) werden die Datenleitungen verschlüsselt und zudem mittels Firewalls gegen fremden Zugriff gesichert. In jedem Polizeipräsidium wurden SIERA-Server installiert.

Keine Übermittlung ermittlungsrelevanter Daten Spezialisten der digitalen Forensik bereiten die forensischen Daten auf und stellen diese anschließend über eine eigene Benutzer- und Rechteverwaltung für den präsidiumsübergreifenden Zugriff von jedem Standardarbeitsplatz der Bayerischen Polizei zur Verfügung. Dabei findet keine Übermittlung der ermittlungsre-

lichen Unfallpräventionsarbeit eingesetzt. In einem ersten 360-Grad-Film, den die Landespolizei eigens für das Pilotprojekt erstellt hat, wird der Nutzer zunächst virtuell auf ein Fahrrad gesetzt. Der Proband erlebt dann während der Fahrt, wie er von einem abbiegenden Lkw-Fahrer übersehen und erfasst wird. In der zweiten Einstellung wechselt die Perspektive und man betrachtet die Abläufe aus der Sicht des Berufskraftfahrers. Speziell dieser Blick aus dem Führerhaus dürfte den meisten Radlern fremd sein und ihre Sinne für den “toten Winkel” und seine Gefahren schärfen. Schon länger setzt die nordrhein-westfälische Polizei bei ihrer Präventionsarbeit nicht nur auf das Mahnen und Warnen, sondern auch auf das “Erlebbarmachen” der Gefahrenmomente im Straßenverkehr. Technische Hilfsmittel, wie Gurtschlitten oder auch die sogenannte Torkelbrille zur Darstellung körperlicher Einschränkungen nach dem Konsum von Drogen oder Alkohol, gehören schon seit Jahren zum polizeilichen Repertoire. Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte: “Mit dem Einsatz der Virtual RealityBrillen heben wir die Präventionsarbeit bei Verkehrsunfällen mit schweren und schwersten Unfallfolgen im Straßenverkehr auf ein neues Level.” Man wolle etwas Neues, Modernes ausprobieren. Das Pilotprojekt wird bis Jahresende laufen. Vorerst nehmen zehn Kreispolizeibehörden teil, unter anderem in Aachen und Dortmund.

levanten Daten statt, sondern es wird mittels Remotezugriff eine Sichtung über den Arbeitsplatz ermöglicht. Die Auswertesoftware auf dem SIERA-Server wird dabei “ferngesteuert”. Übertragen werden ausschließlich Bildschirmdaten, sodass gefährliche Schadprogramme nicht ins hochsensible Polizeinetz gelangen können. Hierzu reicht eine geringe Bandbreite bei den Datenleitungen vollkommen aus, was sich positiv auf die laufenden Betriebskosten auswirkt. Durch die konstruktive Zusammenarbeit der IT-Spezialisten aller Polizeipräsidien konnte mit SIERA die bisherige, (zeit-)aufwendige Auswertung forensischer Daten wesentlich effizienter gestaltet werden. Durch die Systemarchitektur von SIERA ist es möglich, auf fachliche Anforderungen schnell zu reagieren und dabei gezielt spezielle Auswertesoftware zur Verfügung zu stellen.

Auswertenetz wird weiter ausgebaut In der letzten Phase des Projektes wird das Auswertenetz weiter ausgebaut. Zuletzt wurde eine leistungsfähige Software zur Auswertung von sogenannten Mobile Devices (Smartphones, Tablets) angebunden. Seit Anfang des Jahres können Ermittlungsdienststellen aller bayerischen Polizeipräsidien zur Auswertung von mobilen Endgeräten hierauf zugreifen. Die äußerst positive Resonanz der Sachbearbeiter führt dazu, dass die Polizeipräsidien den Ausbau des Auswertenetzes und die Auswertekapazitäten kontinuierlich vorantreiben. Nach und nach werden weitere forensische Produkte integriert und komplettieren damit den Leistungsumfang, damit die Bayerische Polizei für die zukünftigen Herausforderungen noch besser gerüstet ist.


Behörden Spiegel / Mai 2021

D

ies wird exemplarisch besonders deutlich an dem Phänomen des Verbreitens von kinderpornografischen Erzeugnissen, bei dem sowohl Erwerb als auch Verbreitung nahezu ausschließlich über digitale Kanäle erfolgen. Durch die vollständige Digitalisierung hinterlassen die Täter aber eben auch Spuren, die es so in der vordigitalen Zeit nicht gab und die daher früher auch nicht entdeckt werden konnten. Die Kriminalistik muss sich daher ebenfalls digitalisieren und auf die dafür notwendige professionelle technische Infrastruktur zurückgreifen können. Auf dem Weg zu einer modernen und zukunftsfähigen IT-Architektur verharren wir häufig in einer Risikobetrachtung und in der Ausrichtung am Bestehenden. Digitalisierung muss aber stärker als Chance betrachtet werden, Risikobetrachtung und die Chancensuche in Einklang zu bringen und aus den Möglichkeiten der Digitalisierung ein tragfähiges kriminalistisches Prozessmodell zu entwickeln, das uns langfristig erfolgreich macht.

Übertragung großer Datenmengen in Echtzeit möglich Mit der Polizei-Cloud NRW – oder sperriger: der “Hybriden und integrativen Plattform Polizeiliche Sondernetze” (HiPoS) – verfügt Nordrhein-Westfalen über ein performantes und skalierbares System für nahezu alle polizeilichen Anforderungen. HiPoS stellt

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Digitalisierte Kriminalität Polizeien müssen mit der Zeit gehen

Standort gemeinsam und in Echtzeit Ermittlungen und aufwendige forensische Untersuchungen auch gemeinsam durchzuführen. Der physische Standort verliert an Bedeutung.

(BS/Johannes Hermanns/Helmut Picko) Wir befinden uns in einem der größten Umbrüche der Geschichte. Technische Entwicklungen verändern mit atemberaubender Geschwindigkeit die Art, wie wir leben, und damit auch die Kriminalitätsphänomene, die kriminalistischen Methoden und Technik ist nicht alles die polizeilichen Taktiken. Neue oder angepasste Modi Operandi, die Verlagerung von Straftaten in den virtuellen Raum und exponenziell anwach- Die Bereitstellung innovativer sende Datenvolumina zwingen zu neuen Konzepten und kriminalistischen Prozessen. und leistungsfähiger Technik ist plattformen und Mediatheken (HiPoS-PolTube) zur Johannes Hermanns ist Landeskriminaldirektor NordVerfügung. rhein-Westfalens. Selbst aus ländlichen Einsatzräu Foto: BS/Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen men können große Datenmengen in Echtzeit auf HiPoS übertragen und dort ohne weiteren Zeitverzug kollaborativ verarbeitet Helmut Picko ist Kriminaldirektor und Projektleiter “Lanwerden. Mit dem desprojekt TKÜ NG – VideoSE dazu entwickelten – HiPoS” im Landesamt für HiPoS-ForensikZentrale Polizeiliche Dienste Desktop können Nordrhein-Westfalen. solche Fremdoder besser Foto: BS/Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NordrheinSchmutzdaten ohWestfalen ne Vermischung mit sonstigen behördlichen Dain landeseigenen Rechenzentren ten von den Büroarbeitsplätzen neben Datenspeichern im zwei- mit fortschrittlichen Werkzeustelligen Petabyte-Bereich und gen ausgewertet werden. HiPoS enormer Rechen- und Grafikleis- stellt auch die flächendeckende tung auch KI-basierte Analyse- audiovisuelle Vernehmung, die Software und neuronale Netze, Übertragung und Auswertung moderne Kollaborationssysteme der 3D-Laser-Tatortvermessung auf Basis von Videokonferenzsys- oder die Echtzeitübertragung von temen (HiPoS-VKS), Schulungs- Drohnenbildern auf jeden einzel-

nen Polizei-Computer und viele andere Funktionen sicher. Damit verfügt die Polizei über ein universelles und modernes System, das die heutigen und wohl auch die Anforderungen von morgen erfüllen kann.

Fähigkeiten und Kooperationsformen anpassen Kaum ist dieser wichtige Meilenstein erreicht, zeigt sich, dass die mit der Cloud einhergehenden enormen neuen Möglichkeiten trotz der begleitenden Fortbildungsmaßnahmen und Prozessmodellierungen mit den tradierten (kriminal-)polizeilichen Prozessen und Organisationsstrukturen alleine noch nicht umfassend ausgeschöpft werden können. Dazu sind angepasste Fähigkeiten und veränderte Formen der Zusammenarbeit erforderlich. Die Ausrichtung von Organisation, Belegschaft und die Veränderung von Prozessen werden nun als eine neue und noch größere Herausforderung wahrgenommen. Es ist wichtig, neue und moderne Lösungen einzusetzen. Gleichzeitig müssen die Mitarbeitenden

aber auf diese neuen Lösungen und Abläufe vorbereitet und entsprechend geschult werden. Die Fortbildung muss von starren, nur langfristig planbaren Angeboten zu einem dynamischeren und integrativeren System entwickelt werden, das alle vorhandenen Expertisen kurzfristig verfügbar machen kann. Auch hier sind neue Technik und maßgeschneiderte Kollaborationssysteme erforderlich. Die Polizei NRW macht bei der Umsetzung eines durchgreifend digitalisierten Lern-Management-Systems gute Fortschritte und ersetzt Präsenzveranstaltungen durch virtuelle Schulungen, auch in Echtzeit (virtuelle Präsenz). Neben den Menschen müssen Organisation und Prozesse auf die neuen technischen Möglichkeiten ausgerichtet werden. Von besonderer Bedeutung war dabei ein Konzept, das kollaborative Zusammenarbeit an dislozierten Standorten und Arbeitsplätzen ermöglichen sollte. So sind die kriminalpolizeilichen Ermittler nun technisch in der Lage, unabhängig vom eigenen physischen

nur ein erster Schritt in die digitale kriminalpolizeiliche Zukunft. Die Transformation der kriminalpolizeilichen Beweissicherungsund Beweisführungsprozesse, der Fortbildung, der Ausrichtung der Organisation und die Vorbereitung der Menschen auf diese Entwicklungen sind nun die noch viel größeren Herausforderungen der nächsten Jahre. Wir müssen unsere Ermittler heute auf den Umgang mit Straftaten und Technologien vorbereiten, die erst morgen entwickelt oder erfunden werden. Die disruptiven digitalen Entwicklungen verändern die Kriminalität radikal. Aber es entstehen auch völlig neue Möglichkeiten, Kriminalität frühzeitig zu entdecken und aufzuklären. Nur die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine wird uns zukünftig erfolgreich machen. Dazu brauchen wir Führungskräfte und Kriminalisten, die nicht nur 100 Prozent kriminalistisch, sondern auch 100 Prozent digital denken und handeln, die in einer digitalen Welt zu Hause sind und deren Leidenschaft die digitale Kriminalistik ist.

Ortung von Streifenwagen der Polizei

Großer Aufholbedarf

Pilotprojekt zur Optimierung der Einsatzvergabe

Beim Zoll hat das digitale Zeitalter noch nicht begonnen

(BS/Gerd Lehmann) Im Sommer 2018 startete die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen der fortgesetzten Modernisierung und Vereinheitlichung der Leitstellentechnik (MVL) ein Pilotprojekt zur “Konsolidierung der fachlichen Anforderungen der Funktionalitäten des Global Positioning Systems (GPS) im Einsatzleitsystem eCebius”. Laut Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW (LZPD) handelt es sich bei dem Pilotprojekt formal nicht ausschließlich um ein Landesprojekt, sondern auch um eine Zuarbeit für die bundesweite Arbeitsgruppe “Pilotierung GPS”.

(BS/Frank Buckenhofer) Es ist noch nicht lange her, da wurden gemeine Schurken in Karteikartensystemen archiviert. Ältere können sich vielleicht noch erinnern, mit welcher Sorgfalt Schränke mit steifen Papierkarten befüllt wurden. Die rasante digitale Entwicklung der letzten 50 Jahre ermöglichte jedoch den Verzicht auf derartig träge Systeme und schaffte moderne digitale Datenbanken, die heute bei der Bewältigung täglicher Lagen wertvolle Informationen liefern.

Grundsätzliches Ziel des Projektes ist es, per GPS-Monitoring die Einsatzvergabe zu optimieren und die Eigensicherung der Einsatzkräfte zu verbessern. Das Leitstellenpersonal kann mit dem Verfahren auf einer Karte sowohl die Standorte der Einsatzkräfte als auch deren Status sehen. Dadurch, dass die Entfernung zum Einsatzort dem Leitstellenpersonal übermittelt wird, können Einsätze schneller vergeben und die Kräfteverteilung effizienter koordiniert werden. Dies führt dazu, dass Polizeikräfte schneller an Tat- und Einsatzorten eintreffen können und erhöht somit die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger.

Bereits im Einsatz Neben der sicheren und hochverfügbaren Sprachkommunikation ermöglicht der BOS-Digitalfunk auch eine schmalbandige Datenkommunikation, mit der eine GPS-basierte Fahrzeug- und Personenortung der Einsatzkräfte realisiert werden kann. Eine Reihe von BOS-Diensten nutzt die GPS-basierte Fahrzeug- und Personenortung bereits bei der Auslösung von Notrufen der Einsatzkräfte. Durch Betätigung einer Notruftaste am Funkendgerät wird mit dieser Funktion ein bevorrechtigter Gruppenruf aufgebaut. Diese besondere Bevorrechtigung, die sogenannte Notrufpriorität, sorgt in einer stark belasteten Funkzelle für einen besonders schnellen Rufaufbau. Das BOS-Digitalfunknetz ist so konfiguriert, dass der Notruf immer die Leitstelle erreicht, die für die notrufende Person örtlich zuständig ist. Beim Absetzen des Notrufs erfolgt zudem eine automatische Übermittlung der GPS-Position des Notrufenden. In Not geratene Einsatzkräfte können dadurch schnell lokalisiert werden. In kritischen Situationen

kann dies für die Einsatzkräfte eine Lebensversicherung sein. An dem derzeit noch bestehenden Problem des Auseinanderlaufens der Notrufmeldung und der GPS-Position bei Aufenthalten der Einsatzkräfte in anderen Zuständigkeitsbereichen wird gearbeitet. Eine Lösung ist in Kürze zu erwarten.

Vielfältige Anforderungen Das in Nordrhein-Westfalen laufende Pilotprojekt betrifft das Verfahren bei Notrufen nur am Rande. Im Mittelpunkt steht das GPS-Monitoring zur Optimierung der Einsatzvergabe und dessen Einbindung in das Einsatzleitstellensystem. Im Einsatzfall müssen die Positionsdaten aller im Zuständigkeitsbereich befindlichen Kräfte ermittelt, über den Organisationskanal des Digitalfunksystems ständig oder bedarfsgerecht übermittelt, an das Leitstellensystem übergeben und dort kartografisch dargestellt werden. Im Fokus des Pilotprojektes stehen daher unter anderem die Belastung des Digitalfunknetzes durch das GPS-Monitoring unter verschiedensten Szenarien, Möglichkeiten, Mechanismen und Grenzen zur Optimierung der Netzbelastung sowie die Integration des GPS-Monitorings in das Einsatzleitsystem. Gleiches gilt für die Prüfung von Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung einer “intelligenten Steuerung” im Einsatzleitsystem. Die über eine Schnittstelle an das Einsatzleitsystem übertragenen Ortsdaten dienen allein der kartografischen Darstellung. Eine Speicherung und die damit einhergehende Möglichkeit zur rückwirkenden Auswertung von Ortsdaten ist auch künftig nicht vorgesehen. Die Projektleitung obliegt dem LZPD. Vertreter der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Be-

hörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) stehen der Projektleitung beratend zur Seite. In das Pilotprojekt sind neun Leitstellenarbeitsplätze und 214 Hand- und Fahrzeugfunkgeräte der Kreispolizeibehörde Mönchengladbach einbezogen. Die Funkgeräte sind so eingestellt, dass sie nicht nur bei einem Notruf, sondern regelmäßig Positionsdaten an die eigene Leitstelle senden. Zusätzlich wird bei der Landesleitstelle des LZPD NRW die GPSgestützte Positionsdarstellung bei landeszentralen Einsatzeinheiten wie der Polizeifliegerstaffel und den Diensthundeführern getestet. Die Nutzung des GPSMonitorings ist von den Datenschutzbeauftragten der Behörden begleitet worden und hat die Zustimmung der Personalvertretungen erhalten. Die Positionsdaten werden nicht gespeichert, auch nicht für eine spätere Einsatznachbereitung.

Keine Beanstandungen Die Verwendung der bisher freigegebenen Parameterwerte ist aus netzbetrieblicher Sicht für das Digitalfunknetz und die Systemumwelt sachgerecht. Ergebnisse zur Prüfung der Auswirkungen alternativer Parameterwerte liegen derzeit noch nicht vor. Die vorhandene und eingesetzte Hardware funktioniert bisher ohne Beanstandungen. Das GPS-Monitoring genießt bei den Einsatzkräften eine große Akzeptanz. Zu dieser Feststellung kommt auch eine wissenschaftliche Untersuchung, die im Rahmen einer Master-Arbeit durchgeführt wurde. Die Zusammenführung der Leitstellentechnik und des Einsatzleitstellensystems ist sehr komplex. Daher ist die ursprüngliche Laufzeit von 18 Monaten verlängert worden. Sie endet nunmehr Ende September.

Schnell machten sich viele Behörden an die Nutzung digitaler Systeme. Vorreiter war sicher auch der frühere Präsident des Bundeskriminalamtes Horst Herold. Ein solcher Horst Herold, der mit Innovation, Tatendrang, Mut und Kreativität seine Behörde in die Moderne führte, fehlt im Zoll bis heute. Sowohl die digitale Welt des Zolls als auch dessen Aufbauorganisation verstricken sich im internen Patchwork. Von schlagkräftiger Kriminalitätsbekämpfung kann kaum die Rede sein. Dabei sind die vielfältigen Polizeiaufgaben des Zolls oft ein gutes Geschäft. Er verfolgt fast immer Menschen, die mit ihren Straftaten das ganz große Geld verdienen. Am Ende bestehen gute Chancen auf erfolgreiche Vermögensabschöpfung.

Keine intelligente Datenbank Dennoch fehlt es beim Zoll an professioneller IT. Der Zoll speichert zum Beispiel seine Bösewichte in mehreren unvernetzten und nicht etwa in einer intelligenten Datenbank. Im Ergebnis führt das dazu, dass es beim Zoll keine Stelle gibt, die Zugriff auf alle Datenbanken hat. Will man also wissen, ob der Zoll einen Verdächtigen im Visier hat und möglicherweise sogar gegen ihn ermittelt oder ermittelt hat, muss man sich immer die Mühe machen, in verschiedenen Dienststellen und dort auch noch bei unterschiedlichen Stellen nachzufragen. Hier findet die untaugliche Patchworkorganisation in den Datenbanksystemen ihre Entsprechung. Beim Zoll sind sämtliche Kontroll-, Fahndungsund Ermittlungsaufgaben nicht gebündelt, sondern größtmöglich filetiert. Der Zoll verfügt auch nicht über ein gemeinsames Arbeitsplatzsystem. Selbst die in Corona-Zeiten so wichtigen Telefonkonferenzen der Leitungen oder Sitzungen

rieren könnte, schafft der Zoll Frank Buckenhofer ist Vorgleich eine Vielsitzender der Bezirksgrupzahl von Datenpe Zoll in der Gewerkschaft banken, in denen der Polizei (GdP). er die Betroffenen und Beschuldig Foto: BS/GdP-Bezirk Bundespolizei ten und die Informationen dazu speichert, die allerdings selten State of the Art der Personalräte erfordern die sind. Von den nötigen Schnittkörperliche Verlagerung von mo- stellen zu den benachbarten Bebilen PCs von dem einen Teil der hörden und Programmen ganz Verwaltung in den anderen, weil zu schweigen. Als ein Dienststellenleiter sich Rechner der Zollfahndung nicht mit der nötigen Konferenztechnik noch vor Kurzem einen dezidierausgerüstet sind. ten Überblick über das EinsatzAuch fehlen umfangreiche geschehen der letzten fünf Jahre Auswerteprogramme. Während an der Dienststelle verschaffen Polizei- und Finanzbehörden voll- wollte, konnte er nur auf eine umfänglich etwa IDEA nutzen, Vielzahl täglich neu gefertigter verfügt der Zoll nur über Grund- Worddokumente zurückgreifen. funktionen. Ähnlich sparsam war Nach einer langen Zeit der hänman auch bei der Software für dischen Auswertung durch eine den Digitalfunk. Viele Features Arbeitsgruppe hatte er die gewurden gar nicht erst beschafft. wünschten Zahlen. Nun wusste Streifenwagenbesatzungen oder er, an welchen Tagen, zu welchen Ermittlungskräfte träumen noch Tages- und Nachtzeiten, an welvon schneller Informationsverar- chen Orten, welche Täter, wegen beitung mittels Smart-Technik. welcher Straftaten aufgegriffen Tablets als Einsatzmittel klin- und diese bearbeitet wurden, gen beim Zoll nach Science-Fic- wie lange die Einsätze jeweils tion. Gleichzeitig werden große dauerten und zu welchen ProbleMengen Geld für unzureichend men es gekommen ist. Mit einer funktionale Programme ausge- tauglichen Einsatzsoftware hätte geben. Das aktuelle Drama um man dies mit wenigen Mausklicks PROFIS bei den Einheiten zur ausdrucken können. Für manch Bekämpfung von illegaler Be- hohe Führungskraft sind aber schäftigung und Schwarzarbeit bereits in Word verfasste Meldungen Softwarelösungen. spricht Bände. Obwohl die GeneralzolldirekViele neu gefertigte tion immer wieder GegenteiliDokumente ges behauptet, verfügt sie nicht Statt für sämtliche Kontroll-, über zeitnahe, auswertefähige Fahndungs- und Ermittlungs- Informationen zu Taten, Tatbedienste ein taugliches Programm teiligten, Tatumfängen, Tatorten, zu entwickeln, mit dem man die Tatzeiten, Tatmitteln, GeschädigErmittlungsverfahren sowie die ten, Begehungsweisen, SchmugTäterinnen und Täter, Tatorte, gelwegen und -verstecken u.v.m. Tatmittel, Beweismittel, Erlang- An keiner Stelle liegen Daten zeittes u.v.m. erfassen, Erkenntnisse nah zur strategischen Nutzung speichern, auswerten, analysie- und Benennung einer aktuellen ren und auch Statistiken gene- polizeilichen Lage zentral vor.


SONDERBEILAGE des Behörden Spiegel

zum vierjährigen Bestehen der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich Berlin und Bonn / Mai 2021

Etabliert und positiv bewertet ZITiS-Präsident Wilfried Karl zieht Bilanz (BS) Die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) feiert ihren vierten Geburtstag. Im Interview mit dem Behörden Spiegel blickt ihr Präsident Wilfried Karl zurück und in die Zukunft. Außerdem beschreibt er die Arbeit seiner Behörde. Die Fragen stellten Benjamin Stiebel und Marco Feldmann.

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ehörden Spiegel: Herr Karl, die ZITiS gibt es nun seit vier Jahren. Konnte sich die Behörde in dieser Zeit als Technikkompetenzzentrum im Sicherheitsbereich etablieren? Wilfried Karl: Die Bilanz nach vier Jahren ist überaus positiv. Wir haben mittlerweile nicht nur die notwendige Infrastruktur für unsere Arbeit geschaffen, sondern es ist uns auch gelungen, in einem kompetitiven Segment des Arbeitsmarktes qualifiziertes Personal zu finden und einzustellen. Wir haben 2017 fast bei null begonnen, ohne Infrastruktur und nur mit einem kleinen Aufbauteam. Heute sind wir über 200 Kolleginnen und Kollegen – ein Wachstum, das in dieser Zeit nicht allzu viele Unternehmen schaffen! Behörden Spiegel: Was zeigt das aus Ihrer Sicht? Karl: Dadurch konnten wir in kurzer Zeit schon zeigen, dass wir wertvolle Ergebnisse für die Arbeit unserer Kunden, die Polizeien des Bundes und das Bundesamt für Verfassungsschutz, aber auch für andere Sicherheitsbehörden liefern. Hier arbeiten wir an zahlreichen Projekten und sind auch in der Forschung aktiv, eigenständig und in Kooperationen wie zum Beispiel mit der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Die an uns herangetragenen Bedarfe übersteigen derzeit unsere Ressourcen, das zeigt mir, dass wir ZITiS nicht nur im Sicherheitsbereich etablieren konnten, sondern dass man uns noch viel mehr zutraut. Behörden Spiegel: Was sind die aktuellen Herausforderungen der Sicherheitsbehörden?

Bürgerinnen und Bürger bei. Wir bieten die bestmögliche Unterstützung für eine in Zukunft noch bessere Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden. Damit sind wir ein zentrales Element in der Cyber-Sicherheitsstrategie des Bundes. Zudem sind wir eine moderne Behörde mit zukunftsgerichteten Arbeitsweisen und neuester Technik. Wer uns kennenlernt, merkt schnell, dass ZITiS anders ist als die stereotype Vorstellung von Behörden und Beamten. Wir bieten den Raum für Erfindergeist und Kreativität, die Krawatte kann zu Hause bleiben.

technisch tun können. Deshalb dürfen sie nicht von der technischen Entwicklung abgekoppelt werden. Das würde ihre Auftragserfüllung zunehmend behindern, wenn nicht zukünftig gar unmöglich machen. Das kann nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sein, die vom Staat zu Recht Schutz und Sicherheit erwarten dürfen, zum Beispiel vor Kriminellen, die illegale Drogen oder Missbrauchsdarstellungen von Kindern über moderne Kommunikationsnetze vertreiben. Behörden Spiegel: Welche Vorteile bietet Ihre Behörden noch? Karl: Auf Bundes- und Landesebene haben wir zahlreiche Sicherheitsbehörden, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Bei den technischen Herausforderungen gibt es aber große Überschneidungen. Da macht es sowohl fachlich als auch aus Steuerzahlersicht Sinn, wenn die technische Forschung und Entwicklung an einer zentralen Stelle gebündelt wird. Das erzeugt genau die Synergien, die für eine erfolgreiche Arbeit ausschlaggebend sind. Zudem wäre es kaum sinnvoll, die raren Experten für diese Spezialthemen auf viele Stellen zu verteilen.

Behörden Spiegel: Welche zusätzlichen Aufgaben soll die ZITiS künftig Behörden Spiegel: Worauf kommt es zudem an? übernehmen?

Wilfried Karl ist Präsident der ZITiS. Foto: BS/ZITIS

Weiterentwicklung der Technik für Entwicklungen und Standardisierungen. Von den nächsten GeneraBehörden Spiegel: Was sind die die Sicherheitsbehörden. tionenwechseln im Mobilfunk über Aufgaben der ZITiS genau und wie Behörden Spiegel: Wie kommen KI-unterstützte Cyber-Angriffe bis gehen Sie an diese heran? zu den Möglichkeiten der QuantenSie zu Ihren Aufträgen? technologie sind das Themen, die in Karl: Im Gegensatz zu SicherheitsKarl: Zu unseren Kunden gehören wenigen Jahren Auswirkungen auf behörden wie zum Beispiel dem Bundeskriminalamt haben wir keine in erster Linie das Bundeskriminal- die Arbeit der Sicherheitsbehörden Eingriffsbefugnisse und arbeiten amt, die Bundespolizei und das Bun- haben können. Und dann sollten wir deshalb nicht operativ an konkreten desamt für Verfassungsschutz. Mit damit umgehen können. Fällen. Unsere Aufgabe ist, die Be- diesen beschließen wir gemeinsam hörden des Bundes mit Sicherheits- die Schwerpunktthemen und Pro- Behörden Spiegel: Können auch aufgaben bei technischen Fragen jekte, die die ZITiS bearbeiten soll. die Sicherheitsbehörden der Länder zu unterstützen und zu beraten. Zusammen mit weiteren Sicherheits- von Ihrer Arbeit profitieren? behörden des Bundes bilden sie den Karl: Durch die Zentralstellenfunksogenannten Beirat der ZITiS. Um das entwickeln zu können, was ge- tion des Bundeskriminalamtes und braucht wird, müssen wir wissen, wo des Bundesamtes für Verfassungsder Schuh drückt, was die Probleme schutz profitieren auch die entspreder täglichen Arbeit sind und wo die chenden Sicherheitsbehörden auf Grenzen der aktuellen Methoden Landesebene von den Ergebnissen und Systeme liegen. Deshalb ist der ZITiS. Zudem können die Lanuns eine enge Zusammenarbeit mit dessicherheitsbehörden ihre techniDas heißt in erster Linie Forschung den Ermittlern, den Analysten und schen Bedarfe an das Bundeskrimiund Entwicklung von technischen den Anwendern besonders wichtig, nalamt oder an das Bundesamt für Lösungen und Methoden im Sicher- aus diesen Kontakten entstehen die Verfassungsschutz richten, die dann wiederum die jeweiligen Themen heitsbereich, aber auch Marktsich- Aufträge an die ZITiS. und Handlungsfelder bündeln und tung und Trendscouting. Thematisch konzentriert sich unsere Arbeit auf Behörden Spiegel: Was wird da- im Beirat als Aufgaben für die ZITiS einbringen können. die Bereiche digitale Forensik, Te- rüber hinaus von Ihnen erwartet? lekommunikationsüberwachung, Karl: Neben diesen gemeinsam Behörden Spiegel: Welchem Krypto- und Big-Data-Analyse. festgelegten technologischen Selbstverständnis folgt die ZITiS bei Behörden Spiegel: Worum geht Schwerpunkten und Entwicklungs- ihrer Arbeit? projekten erwartet man von ZITiS es noch? auch, dass wir den Blick auf zukünf- Karl: Wir leisten einen technischen Karl: Neben der Bearbeitung von tige Herausforderungen im Cyber- Beitrag für die effektive Gefahrenabaktuellen Problemstellungen ist das Bereich richten. Daher betreiben wir wehr und Strafverfolgung durch die frühzeitige Erkennen von mittelfris- anwendungsbezogene Forschung zuständigen Behörden und tragen tigen Bedarfen und strategischen und beobachten technologische damit mittelbar zum Schutz der Handlungsfeldern die zentrale Herausforderung der ZITIS. Mit anwendungsbezogener Forschung blicken wir weiter in die Zukunft, sind auch Partner für Forschung und Wissenschaft. National wie international pflegen wir Kooperationen mit Universitäten, Forschungseinrichtungen, Behörden, Instituten oder Unternehmen. Gerade durch die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Industrie schaffen wir Synergien für eine passgenauere

Sicherheitsbehörden müssen das, was ihre gesetzliche Aufgabe ist, auch technisch tun können. Karl: Unsere Gesellschaft wird digitaler, und das immer dynamischer, nicht nur in der Kommunikationstechnik. Kriminelle nutzen aber die für mehr Datensicherheit und Datenschutz entwickelten Technologien für ihre illegalen Zwecke. Zum Beispiel werden Anonymisierungstechniken eingesetzt, um illegale Waren unerkannt über das Internet anzubieten. Ermittlungsund Aufklärungsarbeit muss sich der schnell ändernden Lebenswirklichkeit anpassen können und es wird immer wichtiger, passende Werkzeuge hierfür zu entwickeln. Behörden Spiegel: Und hier kommt die ZITiS ins Spiel? Karl: Genau. Mit der sich schnell entwickelnden Technologie Schritt halten zu können, idealerweise hier auch eine Nasenlänge voraus zu sein: Diese für alle Behörden herausfordernde Aufgabe zielgerichtet zu bündeln, das war der Auslöser für die Gründung der ZITiS. Sicherheitsbehörden müssen das, was ihre gesetzliche Aufgabe ist, auch

und Wertschöpfung finden mehr und mehr außerhalb Deutschlands statt. Mit zunehmender Digitalisierung geht auch eine zunehmende Abhängigkeit von Systemen und Methoden einher, die oft nicht in Deutschland oder der EU hergestellt oder entwickelt werden. Ein Beispiel: Ein für die Auftragserfüllung der Sicherheitsbehörden wichtiger Teil der technischen Geräte, Werkzeuge und Methoden im Bereich der digitalen Forensik, Datenanalyse und Mustererkennung wird bereits heute aus dem Nicht-EU-Ausland bezogen, da sie auf nationaler Ebene oder in der EU kaum noch verfügbar sind.

Im Gegensatz zu Sicherheitsbehörden wie zum Beispiel dem Bundeskriminalamt haben wir keine Eingriffsbefugnisse und arbeiten deshalb nicht operativ an konkreten Fällen.

Karl: Unsere Aufgaben sind im Erlass zur Errichtung der ZITiS klar definiert. Die Schwerpunkte sind Forschung, Entwicklung und Beratung. Im Rahmen dieses klaren Auftrags geht es auch darum, spezifisches Wissen aufzubauen und bereitzustellen. Wir wollen die ZITiS so zu einem Garanten für die digitale Souveränität der Sicherheitsbehörden weiterentwickeln. Behörden Spiegel: Was ist dabei wichtig? Karl: Die krisenfeste Versorgungssicherheit von Kernfähigkeiten ist dabei enorm wichtig. Das heißt, beispielsweise im Bereich der Telekommunikationsüberwachung, keine Abhängigkeit von Nicht-EUHerstellern. Oder bei der Analyse großer Datenmengen heißt das, dass die Sicherheitsbehörden bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz, Machine Learning oder Algorithmen nur kommerzielle Produkte einsetzen, die analysiert und bewertet sind. So gewährleisten wir einen sicheren Einsatz bei den Sicherheitsbehörden. Das sollte an einer zentralen Stelle erfolgen und hier sehe ich ein zentrales Aufgabenfeld für die ZITiS. Behörden Spiegel: Haben Sie hier noch ein Beispiel? Karl: Die Einführung des Mobilfunkstandards der fünften Generation, das 5G-Netz, stellt auch die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen. Wir schauen aber jetzt schon, wie sich die sechste Generation auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden auswirken könnte. Das frühzeitige Erkennen und Evaluieren technologischer Trends und daraus dann das Ableiten, wie wir mit diesen Erkenntnissen umgehen, ist essenziell und ebenfalls eine wichtige Aufgabe, der wir uns mehr widmen müssen. Behörden Spiegel: Was bedeutet für Sie der Begriff der digitalen Souveränität? Karl: Deutschland ist Teil einer globalen Welt und nutzt in vielen Sektoren globale Lieferketten. Die Corona-Pandemie hat uns in den verschiedensten Lebensbereichen gezeigt, was in einer Krise dazugehört, um handlungsfähig zu bleiben. Digitale Innovation, Entwicklung

Karl: Meines Erachtens muss gerade im Bereich der Inneren Sicherheit garantiert sein, dass der Staat souverän handeln kann – nicht nur in Krisen. Hier kann die ZITiS einen Beitrag leisten: Erstens beim Aufbau entsprechender Fähigkeiten und Ressourcen, um Komponenten und Systeme selbst bewerten und nachvollziehen zu können. Zweitens bei der Forschung und Entwicklung eigener Produkte, die von den Sicherheitsbehörden genutzt werden können. Mein Ziel ist es, dass die Sicherheitsbehörden Technologien entsprechend ihrer eigenen Anforderungen selbstbestimmt und sicher einsetzen können – sie also nutzungssouverän sind. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt die digitale Souveränität bei der Arbeit der ZITiS? Karl: Die ZITiS ist ein wesentlicher Baustein der digitalen Souveränität in Deutschland. Sicherheitsbehörden sollen auch künftig mit den technischen Herausforderungen Schritt halten können und handlungsfähig bleiben. Aus meiner Sicht ergeben sich hier vier Rollen für die ZITiS: Erstens baut ZITiS absolut notwendige Kernfähigkeiten für eine krisenfeste Sicherheit auf, um den Erhalt der staatlichen Fähigkeiten sicherzustellen. Zweitens ist ZITiS in der Lage, Produkte und Methoden zu bewerten, insbesondere diejenigen, die wir nicht selbst herstellen. So sind unsere Sicherheitsbehörden in der Lage, selbstbestimmt moderne Technologie zu nutzen. Drittens leistet ZITiS einen wesentlichen Beitrag bei der Bündelung und Koordinierung von Ressourcen und Dienstleistungen. Gerade wegen der hohen finanziellen Investitionen und der großen fachlichen Komplexität ist eine behördenübergreifende Bündelung besonders wichtig. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt die ZITiS noch? Karl: Und zu guter Letzt wollen wir das dafür notwendige Wissen bei ZITiS aufbauen und dauerhaft erhalten. Denn wir brauchen dringend Experten mit Spezialwissen, die wir gegebenenfalls noch mit einer gezielten Ausbildung zusätzlich qualifizieren. Diese Experten sind unverzichtbar für die künftige Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden.


4 Jahre ZITiS

Behörden Spiegel / Mai 2021

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Verschlüsseln meistern Hochleistungsrechnen und Quantencomputing (BS/Axel Treßel*) Verschlüsselung ist mittlerweile fester Bestandteil zahlreicher Abläufe und Anwendungen im Internet. Sie ist ein integraler und notwendiger Bestandteil jedes digitalen Pro­ zesses, um die drei Grundziele der Integrität, der Vertraulichkeit und der Authentizität in der ITSicherheit sicherzustellen. Kommunikation, Finanzen, Handel, Kritische Infrastrukturen (KRITIS), Gesundheitswesen und vieles mehr wären ohne moderne Verschlüsselungsverfahren undenkbar.

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erschlüsselung ist daher grundsätzlich essenziell notwendig zur Wahrung von Privatsphäre und zum Schutz von persönlichen oder anderweitig schützenswerten Daten. Kämen sie ungeschützt in den Besitz von Dritten, könnten diese damit viel Schaden anrichten. Man denke nur an persönliche Bank- oder Gesundheitsdaten. Leider werden kryptografische Verfahren aber auch von Kriminellen genutzt, um ihre Daten oder insbesondere Kommunikation gegen staatlich legitimierte Überwachungsmaßnahmen oder Strafverfolgung zu schützen. Die beweisführenden Exekutivkräfte kommen täglich mit Straftaten wie Kinderpornografie, Cyber Crime oder Terrorismus in Berührung und können die dazu sichergestellten Daten wegen verwendeter Verschlüsselung oft nicht wie erforderlich untersuchen und auswerten. Der breite Einsatz von Verschlüsselung stellt Sicherheitsbehörden in der Beweisführung vor eine große Herausforderung. Teilweise entwickeln sich sogar ganze Kommunikationskonzepte auf Basis von verschlüsselten Mobilgeräten wie im Falle von EnchroChat, die bevorzugt durch kriminelle Organisationen genutzt werden. Im Bewusstsein, dass sich die Kommunikationsinhalte dem Zugriff von Sicherheitsbehörden entziehen können, wägen sich Mitglieder der Organisierten Kriminalität (OK), Terroristen oder auch Drogenhändler auf der sicheren Seite und gehen ihren Geschäften nach.

Verfügbares High ­Performance Computing Das Geschäftsfeld Kryptoanalyse widmet sich in seinem Arbeitsfeld

von Rechnern, die unser bisheriges Verständnis von Computern verändern. Diese neue Art von Computern funktioniert nicht mehr mit digitalen Bits, sondern mit den Eigenschaften von Quanten, also den kleinsten Dingen, die uns umgeben. In der Quantenmechanik hat ein als Quant bezeichnetes Teilchen unendlich viele Zustände und bewegt sich statt auf einer fest definierten Bahn gleichzeitig auf unterschiedlichen Pfaden. Ein Phänomen, das unserem tagtäglichen Erleben widerspricht und daher nur schwer verständlich ist. Die Quanteninformatik nutzt nun diese Eigenschaften von Quanten zum Bau von Quantenrechnern und damit zur Berechnung von verschiedenen Problemstellungen, die auf den bisher bekannten digitalen Computern nur sehr langsam oder auch überhaupt nicht zu lösen sind. Die Sicherheit gewisser kryptografischer Systeme basiert darauf, dass es zum heutigen Zeitpunkt kein effizientes Verfahren zur Faktorisierung von großen Zahlen gibt. Der von Peter W. Shore entwickelte Algorithmus erlaubt das Faktorisieren großer Zahlen auf solchen Quantencomputern in einer erheblich kürzeren Zeit als in herkömmlich binären Großrechnern. Auch wenn Quantencomputer zum heutigen Zeitpunkt noch nicht verfügbar sind, so erlaubt die technische Entwicklung in diesem Bereich doch die Vermutung, dass Quantensysteme in den nächsten Quantencomputing in der fünf Jahren ihre Anwendung im nahen Zukunft? Bereich der Kryptoanalyse finden In Zukunft wird, wenn es um Re- werden. Die ZITiS sieht es als ihchenleistung geht, ein weiteres re Aufgabe, die Entwicklung von Thema wichtig und interessant: Quantencomputern zusammen Quantencomputing. Quantencom- mit Wissenschaft und Industrie zu puter sind eine gänzlich neue Art begleiten und möglichst frühzeitig Methoden und Techniken, die eine gerichtlich verwertbare Entschlüsselung von sichergestellten Datenbeständen ermöglichen. Drei Themenfelder und Methoden, mit denen sich die Kryptoanalyse in der ZITiS beschäftigt, sollen hier kurz vorgestellt werden: Eine Möglichkeit, an die Daten eines verschlüsselten Datenträgers in einem Ermittlungsverfahren zu gelangen, ist die Verwendung von HighPerformance-Computern (HPC). HPC sind Hochleistungsrechner, die ein Vielfaches an Rechenleistung und Speicherkapazität herkömmlicher Desktop oder Serversysteme bieten. Oft verwenden HPC auch spezielle Computer-Technologien, die in den herkömmlichen Serversystemen nicht zu Anwendung kommen, aber in diesem speziellen Bereich ihre Berechtigung haben. Das Geschäftsfeld Kryptoanalyse optimiert dazu Methoden und Verfahren, um mit dem zur Verfügung stehenden Hochleistungsrechner eine Entschlüsselung zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Verschlüsselungsprogramme analysiert und hochperformante Analyseprogramme entwickelt. Auch wenn Verschlüsselungsalgorithmen mathematisch in der Praxis selten angreifbar sind, so können doch Angriffspunkte für die Kryptoanalyse gefunden werden, die unter Zuhilfenahme des HPC einen Zugriff auf die verschlüsselten Daten ermöglichen.

Sicherer Datentransfer Behördenkommunikation erfolgt im Spannungsfeld

Die gerichtlich verwertbare Entschlüsselung sichergestellter Datenbestände ist für Sicherheitsbehörden von entscheidender Bedeutung. Foto: BS/ZITiS

die Nutzung für die Aufgabenbereiche der Sicherheitsbehörden zu ermöglichen.

Forschung im Bereich der Kryptoanalyse Neben den Themen im Quantenbereich und HPC beschäftigt sich die ZITiS auch mit der Steganografie, also der Erkennung von Daten, die in unauffälligen Dateien versteckt wurden. Ein klassisches Beispiel für Steganografie ist das Verstecken von Bildern in Bildern. Als Trägermedien können neben Bildern aber auch andere Dateiformate wie Videos, Audio- und Textdateien oder Netzwerkprotokolle und Online-Streams genutzt werden. Straftäter wählen insbesondere dann steganografische Methoden statt klassischer Verschlüsselung, wenn Nachrichten übermittelt werden sollen, ohne Verdacht zu erregen. Die kriminellen Anwendungsfälle für Steganografie sind daher vielfältig und reichen von in Medien-

daten versteckten illegalen Inhalten über in Bildern versteckter Malware bis hin zur geheimen Exfiltration vertraulicher Daten. Die Methoden zur Einbettung von geheimen Inhalten, die diese Programme und Apps verwenden, sind mannigfaltig, ständiger Weiterentwicklung unterworfen und für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar. Für die Strafverfolgung ergeben sich daraus einige Herausforderungen: Zum einen ist in vielen Fällen nicht klar, ob in vorliegenden Daten geheime Inhalte versteckt sind und, falls ja, welches Programm zur Einbettung verwendet wurde. Dies erschwert den präzisen Einsatz vorhandener Erkennungssoftware. Zum anderen gibt es für einige der neuartigen Versteckmethoden noch keine geeigneten Detektionstools. Im EU-Projekt UNCOVER forscht ZITiS daher an grundlegenden neuen Methoden zur Erkennung von Steganografie, die mit möglichst geringem Aufwand möglichst vie-

le versteckte Inhalte detektieren können. Diese Beispiele geben einen kleinen Einblick, wie wichtig und vielfältig die Forschung und Entwicklung der ZITiS im Bereich Kryptoanalyse für die Arbeit und Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden ist. Denn natürlich ist die Bundesregierung für sichere Verschlüsselung, auch Ende-zu-Ende Verschlüsselung, und das Ziel ist nach wie vor Verschlüsselungsland Nummer eins werden. Forderungen nach einer Schwächung von Kryptoverfahren oder das Hinterlegen von Schlüsseln sieht die deutsche Kryptopolitik nicht vor. ZITiS entwickelt dafür Alternativen und wird so dafür sorgen, dass trotz starker Verschlüsselung auch künftig keine Einschränkungen benötigt werden und diese Eckpunkte der deutschen Kryptopolitik weiterhin Bestand haben. *Axel Treßel ist Geschäftsfeldleiter Kryptoanalyse bei der ZITiS.

Sicherheit

(BS/Sebastian Borchi*) Jede Behörde verarbeitet sensible Daten und tauscht diese unter an­ derem mit Empfängern außerhalb des eigenen Netzwerks aus. Das stellt hohe Anforderungen an die Datensicherheit der Behörden, vor allem bei der Übermittlung. Eine Lösung für einfache und sichere Kommunikation ist somit für Behörden unverzichtbar geworden. Während der Datenaustausch innerhalb der Behörde unproblematisch vonstattengeht, schafft er zwischen den Ämtern oder mit externen Empfängern große Herausforderungen. E-Mails sind hierbei als unsicher einzustufen und große Dateianhänge lassen sich damit nicht senden und empfangen. Mangels sicherer Alternativen bleibt häufig nur der Weg per Brief, Fax oder USB-Stick beziehungsweise Festplatte, die Ihren Weg mittels Boten finden. Auch bekannte Public-CloudDienste sind keine Lösung. Hiermit verliert die IT die Kontrolle über die Dateien, die dann außerhalb der eigenen Infrastruktur liegen. Damit wird gegen Gesetze, die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie Compliance-Vorgaben verstoßen. Die Server der gängigen Dienste stehen zumeist in den USA, was die Nutzung nach dem Fall

von Privacy Shield grundsätzlich ausschließt.

Verschlüsselte Daten­ übertragung ist ein Muss

Behörden eine sichere und einfache Lösung, die sich in wichtige Kommunikationsprozesse, unter anderem Outlook, integrieren lässt. So bleibt der Austausch von großen und sensiblen Daten genauso einfach wie das Versenden einer normalen Mail, wird aber um den Aspekt Sicherheit ergänzt.

Überall, wo große oder sensible Daten übertragen werden sowie Sicherheit und Nachvollziehbarkeit gefragt sind, kommen Behörden an einer sicheren Lösung mit Ende-zuEnde-Verschlüsselung nicht vorbei. *Sebastian Borchi ist Head of Sales Der Softwarespezialist FTAPI bietet Public bei FTAPI. FTAPI ermöglicht den sicheren Versand großer oder sensibler Daten. Die Lösung des Software-Unternehmens lässt sich problemlos in Kommunikationsprozesse integrieren. Das gilt unter anderem für Outlook. Fotos: BS/FTAPI

Die Lösung von FTAPI weist auch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auf.

braucht situative Anpassungen, kein reines On/Off.


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Behörden Spiegel / Mai 2021

Sehr schnell auf Pandemie reagiert Bei der ZITiS konnte rasch auf Homeoffice umgestellt werden (BS) Die Corona-Pandemie stellte auch die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) vor bis dato noch nicht gekannte Herausforderungen. Wie diese bewältigt werden konnten und was die Behörde unternimmt, um sich im Kampf um (weibliche) IT-Fachkräfte zu behaupten, erläutert Vizepräsident Hans-Christian Witthauer. Das Gespräch führten die Behörden Spiegel-Redakteure Benjamin Stiebel und Marco Feldmann.

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ehörden Spiegel: Welche Lehren konnte die ZITiS für ihre Arbeit bislang aus der Corona-Pandemie ziehen? Welche Anpassungen und Veränderungen in internen Abläufen gab es? Hans-Christian Witthauer: Die Corona-Pandemie hat uns alle überrascht. Wenn es einen Virus geben würde, der die Welt lahmlegt, hätten wir wohl eher mit einem Computervirus und nicht mit einem biologischen Virus gerechnet. Letztendlich war Zeit der entscheidendere Faktor, um arbeitsfähig zu bleiben. Wir haben nicht auf Vorgaben gewartet, sondern schnell Maßnahmen getroffen, wie die Mitarbeitenden ins Homeoffice zu schicken, einen Krisenstab gegründet, der proaktiv Richtlinien, Meldewege und Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeitenden festgelegt hat und natürlich die IT durch Videokonferenztools zum bestmöglichen Arbeiten im Homeoffice aufzurüsten. Somit haben wir es geschafft, quasi von heute auf morgen, mit über 90 Prozent des Personals effizient und effektiv vom Homeoffice aus arbeiten zu können.

Videokonferenz aufrechtzuer­hal­ten. Außerdem waren wir als junge Behörde bereits mit moderner, mobiler IT ausgestattet. Somit konnten wir bis dato erfolgreich den Schutz der Mitarbeitenden gewähren und quasi nahtlos weiterarbeiten.

falls den Vorteil, durch jeden neuen Mitarbeitenden neue Sichtweisen auf das Thema Digitalisierung und deren Realisierungsmöglichkeiten gewinnen zu können. Behörden Spiegel: Welche Vorteile bringt das mit sich?

Behörden Spiegel: Was unternimmt die ZITiS, um den Ansprüchen Witthauer: So fließen kontinuiereiner modernen Behörde und einer lich neue Technologien und Ideen zeitgemäßen Verwaltung gerecht in unsere Arbeit ein und helfen uns, zu werden?

Behörden Spiegel: Was waren die Erfolgsfaktoren?

Witthauer: ZITiS hat den Vorteil, dass wir aufgrund der Neugründung mit unterschiedlichen Personen aus der Behördenwelt, der Wirtschaft und der Forschungslandschaft eine ganz neue und eigene Unternehmenskultur aufbauen konnten. Das Wissen von unterschiedlichen Arbeitskulturen konnte von Anfang an in die Prozesse und Arbeitsabläufe der ZITiS einfließen und tut es auch weiterhin. Wir haben somit eine atypische Behördenlandschaft mit flachen Hierarchien, schnellen Reaktionszeiten und einem kreativen Arbeitsumfeld mit modernen und ergonomischen Arbeitsplätzen, Kreativräumen für innovatives Arbeiten und Kollaborationstools für vernetztes Arbeiten geschaffen.

Witthauer: Erfolgsfaktoren waren zum einen unsere Entschlussfreudigkeit, denn da diese Situation für alle neu war, hätte uns das Warten auf Vorgaben höchstwahrscheinlich den entscheidenden Vorsprung gekostet. Zudem war für uns die Kommunikation entscheidend, um Unsicherheiten und Gerüchten frühzeitig entgegenwirken zu können. Uns war eine stärkere Kommunikation der Führungskräfte wichtig und die Aufforderung an alle Mitarbeitenden, auch den informellen Austausch, der durch die persönliche Begegnung am Arbeitsplatz weggefallen ist, per Telefon oder

eine innovative Behörde sein zu können. Es kommt uns allerdings ebenfalls zugute, dass wir mit knapp 250 Mitarbeitenden derzeit noch eine kleine Behörde sind, die sich Witthauer: Die Aufgabe der ZITiS schneller mit neuen digitalen Trends ist es, die deutschen Sicherheitsbe- und Möglichkeiten auseinandersethörden in Bezug auf ihre informati- zen und Prozesse relativ schnell und onstechnischen Fähigkeiten durch agil anpassen kann. Tools, Werkzeuge und Beratung bei ihrer täglichen Arbeit zu unterstüt- Behörden Spiegel: Welche Auswirzen. Um unsere Arbeit gut machen kungen hatte die Corona-Pandemie zu können, liegt es also in der Natur auf die Bewerberzahlen? der Sache, dass die ZITiS immer am Puls der Zeit der Digitalisierung Witthauer: Der Öffentliche Dienst sein muss. Die ZITiS hat dank ihres bietet auch in Krisenzeiten einen kontinuierlichen Aufwuchses eben- sicheren Arbeitsplatz, weshalb man Behörden Spiegel: Wie stellt sich die ZITiS der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung? Inwiefern verändert das die Arbeit der ZITiS?

von einer Attraktivitätssteigerung ausgehen könnte. Allerdings darf man nicht vergessen, dass ein Jobwechsel – insbesondere in einer Krise wie dieser – auch Unsicherheiten birgt, wie Probezeit, eine neue Arbeitskultur und vieles mehr. Auch wenn wir tatsächlich eine Steigerung der Bewerbungszahlen von 2019 auf 2020 feststellen konnten, gehen wir nicht davon aus, dass dieses Behörden Spiegel: Wie gelingt es ausschließlich auf die Pandemie zu- Ihnen – auch im Wettbewerb mit

Wir haben somit eine atypische Behördenlandschaft mit flachen Hierarchien, schnellen Reaktionszeiten und einem kreativen ­Arbeitsumfeld.

Hans-Christian Witthauer ist Vizepräsident der ZITiS. Foto: BS/ZITiS

rückzuführen ist. ZITiS hat in den vergangenen Jahren einige Erfolge feiern können und sich mit Forschungsprojekten, einer Studienförderungsoffensive sowie erfolgreicher Unterstützung unserer Bedarfsträger und einer Marketingstrategie einen Namen gemacht und an Bekanntheit zugenommen. Behörden Spiegel: Und welche Rolle spielt das Onboarding neuer Kolleginnen und Kollegen? Witthauer: Um Unsicherheiten bei einem Jobwechsel entgegenwirken zu können, haben wir schon sehr

Entwicklung der TKÜ, 5G und 6G Technik muss immer mit der Zeit gehen (BS/Wolfgang Holzapfel*) Mit der Einführung des Mobilfunkstandards der fünften Generation und der beginnenden Entwicklung des Standards der sechsten Generation sowie der damit verbundenen grundlegenden Änderung der Kommunikationsarchitekturen stehen die Sicherheitsbehörden vor großen Herausforderungen. Mit der Forschung und Entwicklung neuer Technologien unterstützt ZITiS die Behörden dabei, die Möglichkeiten zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) weiterhin zu erhalten.

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um einen besteht die Notwendigkeit, die Systeme aufgrund des beständig steigenden Datenvolumens und dem Auftreten neuartiger Telekommunikations- und Telemediendienste stetig weiterzuentwickeln. Zum anderen müssen auf Ebene der nationalen und internationalen Standardisierung und der Gesetzgebung die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für eine funktionsfähige TKÜ geschaffen werden. Die ständig fortschreitenden Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wirken sich auf das Nutzungsverhalten der Gesellschaft und damit auch auf sonstige (entstehende) Technologiebereiche aus. Telekommunikation ist nicht mehr auf die leitungsvermittelte Telefonie beschränkt. Durch die Entwicklungen neuer Technologien und Standards werden immer leistungsfähigere Datenverbindungen über Kabelnetze, Glasfaser, Mobilfunk und Satellit bereitgestellt, die Telekommunikation über unterschiedliche Netzinfrastrukturen ermöglichen. Aus Nutzersicht spielt es keine Rolle, welches Medium

beziehungsweise welches Netz für die Kommunikation und den Austausch von Daten genutzt werden. Durch diese hybriden Szenarien ist die Komplexität der TKÜ in den letzten Jahren stetig gewachsen.

mittelte Kommunikationsnetze, den sogenannten Over-The-Top-Diensten (OTT), ist für die Sicherheitsbehörden seit mehreren Jahren eine große Herausforderung. Die klassische Ausleitung durch die verpflichteten Netzbetreiber liefert aufgrund der Vermehrt Ende zu Ende Verschlüsselung kaum verwertbare ­verschlüsselt Ergebnisse für die TKÜ. Aufgrund Die vermehrte Nutzung von Ende dieser Tatsache ist die Nutzung dieser zu Ende verschlüsselten Messenger- Dienste zur Durchführung strafbarer diensten zur Kommunikation und zum Handlungen in den PhänomenbereiAustausch von Daten über paketver- chen Organisierte Kriminalität (OK) Durch Forschung und Entwicklung neuer Technologien unterstützt die ZITiS die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Foto: BS/ZITiS

früh dem Onboarding neuer Kolleginnen und Kollegen einen hohen Stellenwert beigemessen und einen strukturierten Prozess mit einem klassischen administrativen Anteil sowie auch Vorträgen und Informationsveranstaltungen entwickelt. Sich bei der ZITiS aufgenommen zu fühlen und Teil der Arbeitskultur zu werden, ist unser oberstes Ziel. Auch wenn das ZITiS-Onboarding in ursprünglicher Form ausschließlich in Präsenzform stattgefunden hat, konnten wir große Teile des Onboardings ohne Probleme in einen virtuellen Raum verlegen. Die Einarbeitung erfolgt dann je nach Notwendigkeit und dienstlichen sowie privaten Möglichkeiten, zum Beispiel Kinderbetreuung vor Ort oder virtuell.

und Extremismus, aber auch zur Verschleierung der eigenen Identität beim Austausch von Kindesmissbrauchsmaterial oder zur Verbreitung von Hass und Hetze im Netz stark angestiegen. Hier bietet ZITiS technische Lösungen aus verschiedenen Technologiefeldern, die Ermittlungen unterstützen und die Durchsetzung bestehender Befugnisse der Sicherheitsbehörden ermöglichen. Mit der Einführung der fünften Generation des Mobilfunks wird das Angebot an Telekommunikations- und Telemediendiensten weiter zunehmen. Der 5G-Standard gilt als digitale Schlüsseltechnologie mit disruptivem Potenzial. Durch hohe Übertragungsraten und geringe Latenzzeiten sollen neue Einsatzbereiche ermöglicht und zur Marktreife gebracht werden. Auch Datenschutz und Sicherheit sollen – neben den positiven Effekten des Kernprinzips “Security und Privacy by Design” der 5G-Technologie auf die Sicherheit der Kommunikation – mit dem neuen Standard signifikant verbessert werden. Durch die eingesetzten Verschlüsselungs-, Virtualisierungs- und Anonymisie-

überrascht. Auch die Bewerbungsgespräche selbst laufen anders ab, als man es sich bei einer Behörde vorstellen mag. Durch Schnelligkeit, persönliche Ansprechpartner für Rückfragen und eine lockere und wertschätzende Atmosphäre im Vorstellungsgespräch zeigen wir als ZITiS, dass wir nicht nur anderes sein wollen, sondern auch anders sind. Behörden Spiegel: Was spricht noch für die ZITiS? Witthauer: Zudem ist der Auftrag der ZITiS ein Attraktivitätsbonus, egal ob für IT-Spezialistinnen und -spezialisten oder Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Wer möchte nicht gerne in einem Job arbeiten, bei dem er “Gutes” tut und als Teil der ZITiS einen Beitrag dazu leisten kann, die Sicherheitsbehörden bei ihrer Arbeit zu unterstützen und somit vielleicht die Welt etwas sicherer zu machen? Behörden Spiegel: Wie hoch ist eigentlich der Frauenanteil in den technischen Berufsfeldern der ­ZITiS? Witthauer: Aus dem Bericht der Agentur für Arbeit vom August 2019 ist der Anteil an Frauen in MINTBerufen auf 15,4 Prozent gestiegen. Hier kann die ZITiS insgesamt einen Frauenanteil von 27,5 Prozent in den MINT-Bereichen dagegenhalten, auch in Führungspositionen.

der Privatwirtschaft und anderen Behörden Spiegel: Was ist hier Bundesbehörden – genügend IT-Spezialisten für die ZITiS zu gewinnen? noch zu verbessern? Witthauer: Wenn ich auf unsere stetig steigende Anzahl an Mitarbeitenden schaue und auch sehe, wie rasant unsere Geschäftsfelder in den letzten Jahren aufgewachsen sind, können wir stolz feststellen, dass uns der Wettbewerb mit Privatwirtschaft und Bundesbehörden bislang sehr gut gelungen ist. Unsere steigende Bekanntheit und natürlich spannende Forschungsprojekte sind hier sicher ein Grund dafür. Um allerdings mit der Privatwirtschaft um Fachkräfte konkurrieren zu können, muss man auch als Behörde mehr bieten als einen sicheren Arbeitsplatz und geregelte Arbeitszeiten. Mit unserer ZITiS-Benefitsliste haben wir schon im Vorfeld eines Bewerbungsgespräches einige positiv

Witthauer: Wir stellen im Rahmen von Personalmessen und Gesprächen immer wieder fest, dass sich zwar viele junge Menschen mit einer Ausbildung oder einem Studium in MINT-Berufen auseinandergesetzt haben, ihnen allerdings die Vorstellungskraft fehlt, was man zum Beispiel als Informatiker später in seiner täglichen Arbeit macht. Hier gilt es also nicht nur für die ZITiS, sondern auch für alle anderen Unternehmen, Hochschulen und Informationsformate, die technischen Berufsfelder erlebbarer zu machen und Perspektiven für zukünftige Arbeitsgebiete aufzuzeigen. So lässt sich dann vielleicht auch der Frauenanteil in technischen Berufsfeldern erhöhen.

es weitere Vervielfachungen der Leistungsfähigkeit und damit neue Geschäftsmodelle und Nutzungsmöglichkeiten geben wird. Daher müssen die gesetzlich legitimierten Anforderungen der Sicherheitsbehörden frühzeitig in den Bereich In verschiedenen der Standardisierung eingebracht Gremien aktiv werden, um bei der Entwicklung der Für die deutschen Sicherheitsbehör- kommenden Standards berücksichden ist es daher von hoher Bedeutung, tigt zu werden. Auch hier engagiert die Entwicklung von Technologiestan- sich die ZITiS im Bereich der Fordards und rechtlichen Grundlagen schung frühzeitig in der Entwicklung in den entsprechenden Gremien zu und Definition dieser Standards. begleiten und den legitimen Anspruch Unverzichtbar und zentral des Staates einer effektiven Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch das Der Zugang zu elektronischen BeInstrument der TKÜ sicherzustellen. weismitteln zur Prävention, GefahDie ZITiS engagiert sich daher in na- renabwehr und Strafverfolgung wird tionalen und internationalen Gremien, gerade im Zeitalter der Digitalisierung um durch die aktive Mitwirkung in der immer wichtiger, um schwere KrimiStandardisierung und der nationalen nalität wie sexuellen Missbrauch von Gesetzgebung als zentrale Instanz Kindern, OK und Terrorismus effektiv und Dienstleister für die deutschen bekämpfen zu können. Die TKÜ bleibt Sicherheitsbehörden deren Anforde- daher auch in Zukunft ein unverzichtrungen zu transportieren und daran bares und zentrales Instrument für mitzuwirken, technische und rechtli- die Sicherheitsbehörden, um ihren che Lösungen zur Erreichung dieses Auftrag zur Verfolgung von Straftätern Ziels zu schaffen. Die Entwicklung der und den Schutz der Bürgerinnen und Mobilfunkstandard-Generationen Bürger erfüllen zu können. Durch den Aufbau eigener natioerfolgt im Zehn-Jahres-Rhythmus. Daher sind aktuell neben der Beglei- naler Fähigkeiten in Forschung und tung des 5G-Standards hinaus auch Entwicklung und ein hohes Maß an weitere Entwicklungen zwingend zu technischer Expertise leistet die ZITiS beobachten und in die entsprechen- vier Jahre nach Gründung hier ihren den Gremien einzubringen. Bereits Beitrag zur digitalen Souveränität jetzt, während der Etablierung des der Sicherheitsbehörden des Bundes. 5G-Standards, hat die Entwicklung des darauffolgenden Standards der *Wolfgang Holzapfel ist im Gesechsten Generation (6G) begonnen. schäftsfeld TelekommunikationsHier ist ebenfalls zu erwarten, dass überwachung der ZITiS tätig.

rungstechniken wird die Vorgabe des Gesetzgebers zur Bereitstellung einer effektiven TKÜ durch die Sicherheitsbehörden jedoch deutlich erschwert. Wichtige Einsatzmittel drohen unwirksam zu werden.


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Die Beschäftigten der ZITiS sind national wie international eng vernetzt. Außerdem beteiligen sie sich an zahlreichen grenzüberschreitenden Forschungsprojekten. Darüber hinaus können Interessierte von Studienförderungen profitieren. Foto: BS/ZITiS

Zahlreiche Kooperationen ZITiS arbeitet mit verschiedenen Akteuren zusammen (BS/Marco Feldmann) Sicherheit kann nur gemeinsam und ganzheitlich gewährleistet werden. Hierfür muss ressort- und ebenenübergreifend sowie möglichst auch international kooperiert werden. Nur so erhalten alle Beteiligten die notwendigen Informationen. Dieser Zusammenarbeit hat sich auch die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) verschrieben.

S

ie kooperiert eng mit anderen Akteuren aus dem Bereich der Inneren Sicherheit. Diese Aufgabe ist bereits in ihrem Errichtungserlass festgeschrieben. Dort heißt es: “Die Zentrale Stelle hat die Aufgabe, Behörden des Bundes mit Sicherheitsaufgaben im Hinblick auf informationstechnische Fähigkeiten zu unterstützen und zu beraten.” Zudem soll sie demnach die Behörden des Bundes mit Sicherheitsaufgaben in technischer Hinsicht unter anderem bei der Verwendung der entwickelten Produkte, im Rahmen von Wissensmanagement durch Bereitstellung einer Wissensplattform sowie insbesondere auch durch technischen Support unterstützen. Die ZITiS, in der die Expertinnen und Experten disziplinenübergreifend zusammenarbeiten und durch Clusterbildung Synergien schaffen, versteht sich selbst als Dienstleister für die Behörden in den Bereichen digitale Forensik, Big-Data-Analyse,

Kryptoanalyse, Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) sowie in technischen Fragen zur Kriminalitätsbekämpfung und Gefahren- und Spionageabwehr. Essenziell ist dafür auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und der Digitalwirtschaft. Es braucht eine gemeinsame Vernetzung von Staat und Wirtschaft auf dem Gebiet der technologischen Trendforschung. Aus diesem Grund haben die ZITiS und der Bitkom kürzlich eine Kooperation vereinbart, um ein gemeinsames Verständnis von technologischen Trends zu schaffen, die für die Sicherheitsbehörden relevant sind. Darüber hinaus können gemeinsam Synergien zwischen Wirtschaft und Verwaltung generiert, Wissenspotenziale ausgetauscht und genutzt sowie zusammen Projekte, zum Beispiel Trendanalysen, realisiert und ein Expertennetzwerk aufgebaut werden. Mission der Stelle ist es

immer, den Sicherheitsbehörden die technischen Mittel und Methoden an die Hand zu geben, mit denen sie ihren gesetzlichen Auftrag nicht nur in der digitalen Gegenwart, sondern auch in Zukunft noch besser erfüllen können.

International unterwegs Auch grenzüberschreitend ist die ZITiS aktiv. So beteiligt sie sich sowohl an zahlreichen internationalen Standardisierungsgremien als auch Forschungsprojekten. Zudem besitzt sie seit März 2019 die Voll-Mitgliedschaft im Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) mit Sitz im französischen Sophia Antipolis. Das ETSI ist eine gemeinnützige Organisation, die von der Europäischen Union als Europäische Organisation für Normung anerkannt ist und das Ziel verfolgt, weltweit anwendbare Standards für die Informations- und Kommunikationstechnologien zu schaffen. Durch die Mitgliedschaft

Research@ZITiS Forschung, um auf der Höhe der Zeit zu sein (BS/Dr. Christian Hummert*) Die Menschen in Deutschland und Europa leben in einer durch und durch technologisierten und datafizierten Welt. Das Wissen der Welt ist nur einen Klick entfernt und viele Informationen liegen in Echtzeit vor. Doch Teil der Realität ist auch, dass neue, moderne Technologien von Kriminellen und Verbrechern missbraucht werden. Das kann nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sein, die vom Staat zu Recht Schutz und Sicherheit erwarten dürfen. Deshalb müssen die Sicherheitsbehörden am Puls der technischen Entwicklung bleiben. Die ZITiS hat die Aufgabe, die Behörden des Bundes mit Sicherheitsaufgaben in ihren Cyber-Fähigkeiten zu unterstützen und zu beraten. Dazu entwickelt und erforscht sie neue Methoden und Werkzeuge in den Feldern digitale Forensik, Telekommunikationsüberwachungstechnik, Kryptoanalyse und BigData-Analyse. ZITiS bündelt die für diese Aufgabe notwendigen Kompetenzen erstmalig behördenübergreifend an einer Stelle und kann sich unabhängig von konkreten Fällen und notwendiger Ermittlungsarbeit gezielt auf neue Technologien konzentrieren. Die Sicherheitsbehörden erhalten als Kunden der ZITiS neue Methoden, Werkzeuge und Forschungsergebnisse und werden so maßgeblich in ihrer zukünftigen Arbeit unterstützt. Doch wie genau sieht die Forschung in der ZITiS aus? Kriminelle, die sich bereichern wollen, aber auch Feinde der Demokratie und der freiheitlichen Werte nutzen IT für immer ausgefeiltere Straftaten und Cyber-Angriffe. Hier müssen die Sicherheitsbehörden am Ball bleiben, idealerweise immer etwas voraus sein. Tatsächlich ist es nicht einfach, vorherzusehen, welche Technologien in drei oder fünf Jahren relevant sind und woran Kriminelle gerade arbeiten. Und doch leistet die ZITiS hier, vier Jahre nach ihrer Gründung, einen bedeutenden Beitrag. Es wurden wichtige Forschungsprojekte angestoßen, um an zukunftsorientierten Themen zu arbeiten. Dabei findet die Forschung sowohl intern in der ZITiS statt, es werden aber auch Aufgaben in Forschungskooperationen und als Auftragsforschung vergeben. Ein weiteres Standbein ist die Drittmittelforschung. Um sich den He­ rausforderungen stellen zu können, sind insbesondere starke Netzwerke vonnöten. Die ZITiS vernetzt sich in nationalen und internationalen Konsortien mit anderen Spitzenforschungseinrichtungen und arbeitet

gemeinsam an den drängenden Problemen. Nur so kann ein fachlicher Austausch auf extrem hohem Niveau stattfinden. Zudem erlaubt die Drittmittelforschung der ZITiS die Qualifizierung von Doktoranden in Kooperation mit promotionsberechtigten Universitäten. Dies leistet einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung von hochqualifiziertem Fachpersonal in Cyber-Fragen. Ein weiterer Vorteil von Drittmittelforschung ist der Wettbewerb. Indem die Forschungsanträge der ZITiS mit den Anträgen von anderen Forschern konkurrieren, entstehen in diesem kompetitiven Verfahren noch bessere Projekte und die ZITiS kann sich so evaluieren und erhält wertvolles Feedback von außen. Der Bereich Forschung innerhalb der ZITiS umfasst aber noch einige weitere Kernelemente. Ein paar Beispiele: Essenziell wichtig ist eine behördenübergreifende Koordination der Cyber-Forschung in Deutschland. Die ZITiS hat deshalb ein Projekt gestartet, um eine solche Koordination zentral für die Sicherheitsbehörden aufzubauen. Dies findet in enger Kooperation mit der neuen Cyber-Agentur des Bundesinnen- beziehungsweise Bundesverteidigungsministeriums statt. Ziel ist es, strategisch Knowhow aufzubauen, damit die Sicherheitsbehörden bereits heute wissen, welche neuen Herausforderungen in den nächsten zwei bis fünf Jahren auf sie zukommen. So können schon jetzt Kenntnisse und Werkzeuge aufgebaut werden, um die Probleme der Zukunft anzugehen. Ein zweiter Punkt: Forschung wird häufig in einem Atemzug mit Lehre genannt. Neben der schon beschriebenen Ausbildung von Doktoranden unterstützt die ZITiS die Hochschulausbildung durch das Angebot von Praktika und die Betreuung von Abschlussarbeiten. Mehrere ZITiS-Angehörige leisten in Lehraufträgen an deutschen Hoch-

schulen und Universitäten einen Beitrag zur Ausbildung von Fachpersonal. Nicht zuletzt hat ZITiS in Zusammenarbeit mit der Universität der Bundeswehr München mit der Einrichtung eines spezialisierten Vertiefungsfaches im Studiengang “Master Cyber-Sicherheit” begonnen, gezielt solche Kompetenzen an Studierende zu vermitteln, die in Sicherheitsbehörden für die technische Entwicklung benötigt werden. Und drittens: Die ZITiS hat ein professionelles Forschungsprojektmanagement eingeführt. Spezielle Forschungsprojektmanager unterstützen die ZITiS-Forscher unter anderem bei der Antragsstellung. Sie entlasten damit nicht nur die Forscher, sondern tragen auch zu einer Professionalisierung des Forschungsprozesses bei. Eine durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Studie vom Juli vergangenen Jahres kam zu dem Schluss, dass der administrative Aufwand von Forscherinnen und Forschern zwischen 2007 und 2018 um 20 Prozent gestiegen ist. Dies geht zulasten der eigentlichen Forschungstätigkeit. ZITiS geht hier einen innovativen neuen Weg. Die große Anzahl an anspruchsvollen Forschungsprojekten, die Zuerkennungsquote bei Drittmitteln, die Bewerberzahlen auf Doktorandenstellen und nicht zuletzt die Forschungsergebnisse, die, wenn diese zur Veröffentlichung geeignet sind, in peer-reviewed Fachjournalen veröffentlicht werden, zeigen, dass sich die ZITiS auf einem guten Weg befindet und ihren Platz in der deutschen und europäischen Forschungslandschaft einnehmen wird. Die ZITiS forscht, um für die Herausforderungen der Sicherheitsbehörden im Cyber-Raum die richtigen Antworten zu finden. *Dr. Christian Hummert ist Geschäftsfeldleiter für digitale Forensik bei der ZITiS.

im ETSI kann die ZITiS an den “Technical Standardisation Groups” (TSGs) teilnehmen und mit abstimmen. Dadurch hat sie Zugang zu den aktuellsten Informationen zu globalen Mobilfunkstandards und ist an der Entwicklung von Standards unmittelbar beteiligt. Gaststatus hat die ZITiS darüber hinaus in der IT-Forensikgruppe des Europäischen Netzwerks von Forensikinstituten (ENFSI). Dies ist insbesondere für den Bereich der digitalen Forensik von erheblicher Relevanz.

Studienförderung möglich Des Weiteren ist die Stelle seit Dezember letzten Jahres offizieller Partner von “Komm, mach MINT”. Der Nationale Pakt für Frauen in

MINT-Berufen ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Ziel ist es, mehr Mädchen und Frauen für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge zu begeistern sowie Hochschulabsolventinnen für Karrieren in Wirtschaft und Wissenschaft zu gewinnen. Die ZITiS bietet – in Kooperation mit der Universität der Bundeswehr München – auch Studienförderungen an. Unterstützt werden zwei Bachelor-Studiengänge (Informatik sowie Technische Informatik und Kommunikationstechnik) und der Master-Studiengang Cyber-Sicherheit. In diesem Zusammenhang übernimmt die ZITiS alle Studien- und Trimestergebühren und

bietet Praktikamöglichkeiten bei sich. Außerdem zahlt sie bei den Bachelor-Studiengängen eine Studienbeihilfe von monatlich 1.145 Euro für die Regelstudienzeit von drei Jahren und bietet eine Übernahmegarantie in ein festes Arbeitsverhältnis nach erfolgreichem Abschluss. Hierfür verpflichten sich die ZITiS-Studierenden, die ein ziviles Studium absolvieren, mindestens drei Jahre für die ZITiS tätig zu sein. Beim Master-Studium wird bereits ein festes Gehalt gezahlt, dessen Höhe sich unter anderem nach den Vorkenntnissen richtet. Darüber hinaus bietet ZITiS Möglichkeiten für Pflichtpraktika und interessante Themen für Abschlussarbeiten.

Errichtet im Jahr 2017 (BS/mfe) Die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) wurde am 6. April 2017 errichtet. Bei ihr handelt es sich um eine nicht rechtsfähige Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Präsident ist Wilfried Karl. Am 1. April 2021 hatte die ZITiS insgesamt 242 Mitarbeiterinnen und Die ZITiS hat ihren Sitz im Großraum München. Mitarbeiter. Laut Bundeshaushalt verfügt sie Foto: BS/ZITiS in diesem Jahr über ein Budget in Höhe von 64,6 Millionen Euro. Ihren Sitz hat die ZITiS im Raum bündelt sie das technische Know-how mit CyberMünchen. Als Dienstleister der Behörden und Bezug und unterstützt die BOS mit Forschung, Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) Entwicklung und Beratung.

ZITiS ist mit einem Alter von vier ­Jahren längst aus der Kindheit ­herausgewachsen. Dank der hohen ­Expertise und des beeindruckenden Engagements der Mitarbeitenden hat sich ZITiS als ein echter Schrittmacher der technologischen Entwicklung im Sicherheitsbereich etabliert. Es ist beispiel­gebend, wie ZITiS dabei immer wieder mit Start-up-Kultur, agilen Arbeitsweisen und lösungsorientiertem Vorgehen in kurzen Zeitläufen die komplexen Bedarfe bedient. Das gilt übrigens auch für ­klassische Verwaltungsthemen wie das ­Personalmanagement. Dr. Markus Richter, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sowie Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik Foto: BS/Henning Schacht

ZITiS ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen im digitalen Zeitalter. Mit neuen Kommuni­ kations­mitteln und Verschlüsselungsver­ fahren müssen auch unsere Strafverfol­ gungs­b ehörden Schritt halten. In der ZITiS werden dafür die nötigen Werkzeuge und Methoden erforscht. Diese Expertise ist für Polizei und Verfassungsschutz ­unerlässlich, um Gefahren abwenden und Verbrechen aufklären zu können. Ich bin froh, ZITiS auf den Weg gebracht zu haben.

Dr. Thomas de Maizière (CDU), MdB, Bundesminister des Innern a. D. und Unterzeichner des ZITiS-Errichtungserlasses Foto: BS/Deutsche Telekom Stiftung


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Immer größere Bedeutung als Spur Das Kraftfahrzeug als Spezialfall im Internet der Dinge (BS/Dr. Christian Hummert*) Unsere Gesellschaft wird digitaler, und das immer dynamischer. Ein Beispiel: Anfang des Jahres 2021 meldeten Prozessorenhersteller, dass inzwischen die unglaubliche Zahl von 180 Milliarden Prozessoren mit ARM-Architektur ausgeliefert wurden. ARM-Prozessoren kommen besonders häufig in eingebetteten Systemen, das heißt in kleinen elektronischen Helferlein zum Einsatz. Wären die Prozessoren gleichmäßig auf die Menschheit verteilt, würde das bedeuten, dass jeder Mensch auf der Welt 22,5 ARM-Prozessoren besitzt.

U

nd dabei ist ARM bei Weitem nicht die einzige Prozes­ sorarchitektur, die es auf der Welt gibt. Diese vielen elek­ tronischen Geräte speichern alle­ samt Daten, darunter auch solche, die vielleicht zu einer Spur oder zu einem Beweis in Strafverfahren werden können oder die Sicher­ heitsbehörden dabei unterstützen, die Bürger zu schützen. Sind diese elektronischen Geräte dann noch mit dem Internet verbunden, bil­ den sie das sogenannte “Internet der Dinge” (englisch: “Internet of Things” oder kurz “IoT”). Nun ist uns wohl allen bewusst, dass unser Smartphone mit dem Internet verbunden ist. Aber wie sieht das bei des Deutschen liebstem Besitz aus – dem Auto? Moderne Autos sind zu fahrenden Computern geworden. Im Jahr 1987 wurde das erste elektronische Steuergerät zur

Motorsteuerung eines Dieselmotors in Serie verbaut, heute enthält ein modernes Premiumauto bereits über 100 elektronische Steuergeräte. Die Elektronik eines solchen Autos wiegt etwa 250 Kilogramm. Typisch sind gleich mehrere SIM-Karten, die das Fahrzeug auf mehreren Kanälen mit dem Internet verbinden. Bei diesen Zahlen geht es nicht um autonom fahrende Fahrzeuge oder etwa um Elektrofahrzeuge, sondern auch um einen modernen “klassi­ schen” Verbrenner.

Fahrzeuge als wichtige Spuren Die Komplexität von Fahrzeugelek­ tronik lässt sich auch gut an diesem Beispiel ablesen. Die Elektronik einer Boeing 777 enthält circa 6,7 Mil­li­onen Zeilen Programmcode. Die Elektronik eines Autos im Jahr 2018 enthielt schon mehr als 20 Millionen Zeilen Code. Kraftfahrzeuge können

sehr wichtige Spuren für Sicherheits­ behörden sein. Dies gilt natürlich vor allem für die Verkehrsunfallrekon­ struktion und Unfallanalyse. Aber auch bei Straftaten kann das Auto zu einer Spur werden, die Auswer­ tung von Fahrzeugdaten führte schon oft zu Ermittlungserfolgen. Diese Beispiele zeigen aber, dass die Auswertung solcher elektroni­ schen Steuergeräte hochkomplex ist. Während es auf dem Markt für die forensische Untersuchung von Mobiltelefonen eine ganze Reihe von Anbietern gibt, ist die Verfügbarkeit solcher Werkzeuge zur forensischen Auswertung von Kfz-Daten eingeschränkt. Genau hier setzt beispielhaft die Ar­ beit von ZITiS an. Die ZITiS entwickelt und erforscht aus diesem Grund Tools zur forensischen Analyse für die deutschen Sicherheitsbehörden. Die Weiterentwicklung und Digitali­

Mehrere Kernaufgaben (BS/mfe) Hauptaufgaben der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) sind die Forschung, Entwicklung und die Beratung. Bei der Forschung geht es vor allem um die anwendungsbezogene Forschung gemäß des Jahresarbeitsprogramms sowie in Zusammen­ arbeit mit Wissenschaft, Universitäten, Instituten und Unternehmen. Zudem unterhält die ZITiS den wissenschaftlichen Dialog mit Partnern weltweit. Im Bereich der Entwicklung stehen Strategien, technische Lösungen und Werkzeuge im Fokus. Außerdem ist hier die Koordination gemeinsamer Projekte für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) wichtig. Bei der Beratung der BOS geht es vor allem darum, ge­ bündelte Expertise und Wissen bereitzustellen sowie als zentraler Ansprechpartner der BOS zu technischen Fragen zu fungieren.

sierung von Fahrzeugen hat Auswir­ kungen auf die Strafverfolgung und damit auch auf die digitale Forensik. War noch vor 20 Jahren der PC die wichtigste digitale Spur, ist es heute das Smartphone. Ob das in zehn Jahren aber immer noch der Fall ist, darf bezweifelt werden. Fahrzeuge und zahlreiche Gegenstände des “täglichen Lebens” werden immer weiter digitalisiert und speichern immer mehr Daten über den Nutzer, Besitzer und über die Umwelt. Die ZITiS konzentriert sich auf das Kfz als Spur in der Strafverfolgung,

Martina Link, Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes (BKA)

Foto: BS/Bundeskriminalamt

Mit ZITiS verbindet uns eine enge Zusammenarbeit im Bereich der Cyber-Sicherheit. Dabei steht die Grundlagenforschung in unterschiedlichen Forschungsfeldern im Fokus. Um diese zu vertiefen, werden wir mit ZITiS auf dem Campus der UniBw München einen Neubau mit gemeinsamen Forschungslaboren und -infrastrukturen beziehen. So vergrößern wir den Raum für gegenseitige Vernetzung und Wissenstransfer. Wir etablieren damit ein Ökosystem für Innovation und Austausch.

Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek, Leiterin des Lehrstuhls für Kommunikationssysteme und Netzsicherheit an der Universität der Bundeswehr München und Leitende Direktorin des Forschungsinstituts CODE (Cyber Defence) Foto: BS/privat

Foto: BS/Blue Planet Studio, stock.adobe

nicht für die Unfallrekonstruktion oder -analyse. ZITiS forscht und entwickelt seit 2019 in diesem Bereich, um die digitale Forensik in diesem Bereich voranbringen. Ziel ist, dass die operativ tätigen Sicherheitsbehörden durch das Hinzuziehen von digitalen Spuren aus Kfz Verbrechen noch effektiver aufklären können. Denn eines ist

sicher: Daten aus Kraftfahrzeugen für die Strafverfolgung auswertbar zu machen, wird eine der Kernauf­ gaben der Forschung im Bereich der digitalen Forensik in den kom­ menden Jahren. *Dr. Christian Hummert ist Geschäftsfeldleiter für digitale Forensik bei der ZITiS.

Herausforderung Big Data Sicherheitsbehörden müssen immer mehr Daten bewältigen (BS/ZITiS*) Die Digitalisierung unserer Welt in Wechselwirkung mit steigenden Speicher- und Rechenressourcen führte in den letzten Jahren zu einem massiven Anstieg an zu verarbeitenden Datenmengen. Illustriert wird dies beispielsweise durch die Nutzung Sozialer Netzwerke. Die Anzahl der aktiven monatlichen Facebook-Nutzer weltweit stieg von circa 200 Millionen im Jahr 2009 bis Ende 2020 auf circa 2,8 Milliarden um das 14-Fache. Dementsprechend sind auch die Sicherheitsbehörden bei Ermittlungen mit riesigen Mengen an Daten konfrontiert.

In Kürze bezieht die ZITiS weitere Büros im Gebäude NEO in München. Foto: BS/CA Immo

Digitale Informations- und Kommuni­kationstechnologien sind Grundlage des modernen gesellschaft­ lichen und wirtschaftlichen Lebens. Mit ihrer Nutzung für kriminelle Zwecke gehen für die Sicherheitsbehörden aber auch neue und sich stetig ändernde Herausforderungen einher. Die ZITiS bündelt für die Bundessicherheits­ behörden die technische Forschung und Entwicklung – auch durch modernes Wissensmanagement. Mit der ZITiS weiß das BKA einen geschätzten und wichtigen strategischen Partner an seiner Seite.

Fahrzeuge sind inzwischen wichtige Spuren für die Sicherheitsbehörden. Sie auszuwerten, ist jedoch nicht immer einfach. Die ZITiS forscht hier an innovativen Möglichkeiten.

Aufgrund immer weiter zunehmender Datenmengen muss bei der Analyse zunehmend automatisiert werden. Hierfür braucht es entsprechende Infrastruktur. Foto: BS/ZITiS

Das Auswerten, ja selbst schon das einfache Sichten aller vorliegenden Daten in einem Ermittlungsverfah­ ren, ist inzwischen nur durch den Einsatz technischer Mittel leistbar. Deswegen ist es zwingend notwen­ dig, Auswerteprozesse weiter zu automatisieren und dabei sicherzu­ stellen, dass die Vertrauenswür­ digkeit, die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit der Analysen jederzeit gewährleistet ist. Auto­ matisierung erlaubt es, die Ana­ lysen schnell, effizient, skalierbar und flexibel zu gestalten und somit auf aktuelle Ereignisse zu reagieren sowie den Zeitdruck in der Ermitt­ lungsarbeit zu bewältigen.

KI als Schlüsseltechnologie Die Entwicklung der dafür nötigen Systeme ist eine komplexe Aufgabe, bei der viele Themengebiete und Technologien wie modernste Hard­ ware, Software, statistische Methoden und ethisch-rechtliche Rahmenbe­ dingen miteinander vereint werden müssen. Darüber hinaus engagiert sich das Geschäftsfeld Big-Data-Ana­ lyse der ZITiS im Bereich polizeilicher Internetrecherche, Datenbanktech­ nologien und Analyseplattformen. Insbesondere die Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI), hier das Teilgebiet des Maschinellen Lernens (ML), sind als Schlüsseltechnologien für die Analyse großer, heterogener Massendaten zu bewerten. ML ist dabei nicht auf eine spezielle tech­ nische Domäne beschränkt, sondern kann sowohl in der Verarbeitung von Bild-, Video-, Audio- als auch

Textdaten verwendet werden. Auf­ grund dieser zentralen Rolle für Analysetätigkeiten ist ML eines der zentralen Forschungs- und Entwick­ lungsgebiete im Geschäftsfeld BigData-Analyse der ZITiS. Das Gebiet umfasst dabei For­ schungsaktivitäten zu Methoden und Lösungen von ML, die sich für den Einsatz bei Sicherheitsbehörden eignen könnten, sowie die Erklärung dieser Algorithmen, damit Verarbei­ tung und Ergebnisse für die ermit­ telnden Beamten nachvollziehbar sind. Beispielsweise erforscht die ZITiS Möglichkeiten der Detektion von Hasskriminalität im Netz mit dem Ziel, Polizistinnen und Polizisten bei der Bewertung der strafrechtlichen Relevanz von Postings in Sozialen Netzwerken zu unterstützen. Da­ neben wird im Geschäftsfeld auch konkret an der Entwicklung und Be­ reitstellung neuer und Verbesserung bestehender Software gearbeitet, um zum Beispiel Erkennungsalgorithmen auch unter schlechten visuellen Be­ dingungen zuverlässige Ergebnisse liefern zu lassen.

Es geht um Vernetzung

einheitliche, hochqualitative Testund Trainingsdaten für KI-Anwen­ dungsfälle zur Verfügung zu stellen und auszutauschen. KI als innovative Technologie und Anwendung birgt neben den viel­ fältigen Chancen auch neue Risiken bei deren Einsatz. Die Risiken liegen unter anderem in einer möglichen Intransparenz und mangelnder Er­ klärbarkeit von KI-Ergebnissen und in grundsätzlichen ethisch-gesell­ schaftlichen Bedenken bezüglich des Einsatzes. Diese Chancen und Risiken zu bewerten, benötigt ein verändertes beziehungsweise neues Instrumentarium. Dies wird auch von verschiedenen nationalen und internationalen Gremien gefordert (zum Beispiel Datenethikkommis­ sion der Bundesregierung, hoch­ rangige Expertengruppe KI der EUKommission, Enquete-Kommission KI des Deutschen Bundestags). Gerade im Handlungsfeld der Inne­ ren Sicherheit, wo im Einzelfall in die Grundrechte der Bürger eingegriffen wird, ist die Bewertung von Algo­ rithmen ein entscheidender Faktor für Vertrauensbildung, Transparenz und Rechtssicherheit des Einsatzes von KI. Die ZITiS in ihrer zentralen Funktion ist prädestiniert, um hier in Zukunft die Querschnittsaufga­ be bei der Algorithmenbewertung für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zu übernehmen.

Im Rahmen ihrer Zentralfunktion hat sich die ZITiS die organisatori­ sche und kollaborative Vernetzung der deutschen Sicherheitsbehörden auf die Fahne geschrieben, um einen direkten Austausch zwischen For­ schern, Entwicklern und Technikern der Sicherheitsbehörden zu ermög­ *Die Autorenschaft für diesen lichen. So hat die ZITiS neben dem Wissens- und Quellcodeaustausch Artikel liegt beim Team Big-Dataauch die Möglichkeit geschaffen, Analyse der ZITiS.


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Forschung für die Sicherheit

FORMOBILE

Einsatz von KI zur Früherkennung von Straftaten

Ziel: Komplette forensische Kette zur Analyse abdecken

(BS/Dr. Eleanor Hobley/Dr. Christian Hummert*) Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zeigt in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg von politisch motivierten Straftaten mit Internetbezug. Die Bundesregierung ist dieser Entwicklung unter anderem mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität begegnet, welches am 3. April 2021 in Kraft getreten ist. Aufgrund wachsender Datenmengen wird Künstliche Intelligenz (KI) eine Schlüsseltechnologie im Umgang mit den Herausforderungen von Hasskriminalität im Internet.

(BS/Dr. Christian Hummert*) Smartphones und andere mobile Endgeräte sind entscheidende Beweismittel in Strafverfahren. Genau wie die Bürger jeden Tag telefonieren, Kurznachrichten austauschen oder Termine organisieren, verwenden auch Kriminelle Mobiltelefone zur Vorbereitung oder unmittelbaren Ausführung von Verbrechen. In fast jedem Ermittlungsverfahren der Strafverfolgung werden Mobiltelefone sichergestellt und müssen forensisch ausgewertet werden. Durch die Vielzahl verschiedener Hersteller und Geräte ist dies eine komplexe Aufgabe.

ZITiS untersucht den möglichen Einsatz von KI zur Unterstützung der Sicherheitsbehörden bei Ihrer Arbeit. Im Projekt KISTRA erforscht ZITiS gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und sieben weiteren Partnern Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für den ethisch und rechtlich vertretbaren KI-Einsatz durch Sicherheitsbehörden zur frühzeitigen Erkennung von Straftaten der Hasskriminalität. Ziel ist die Erkennung von Gefahrenü­ bergängen, sodass Straftaten verhindert werden können. Unsere Partner sind die Ruhr-Universität Bochum, die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Munich Innovation Labs GmbH, die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die Technische Universität Berlin, die Technische Universität Darmstadt und die Universität Duisburg-Essen. Das Projekt verfolgt die Entwicklung eines ganzheitlichen Ansatzes der möglichen Anwendung von KI in Sicherheitsbehörden. Zu den übergeordneten Zielen gehört unter anderem die Rechtmäßigkeit und

ethische Vertretbarkeit der angestrebten KI-Lösungen und daraus resultierender Methoden für Sicherheitsbehörden. Hierbei stehen die KI als Unterstützungswerkzeug zur Bewertung der strafrechtlichen Relevanz möglicher Hasskriminalität im Internet sowie die Einordnung der Hasskriminalität in Themenfelder und Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität durch die Polizei im Fokus. Aber auch die sozialwissenschaftliche Betrachtung von Hasskriminalität im Internet wird im Projekt bearbeitet.

Vielfältige Resultate sind zu erwarten Des Weiteren ist die Erforschung von adaptiven KI-Methoden zur Unterstützung der polizeilichen strafrechtlichen Bewertung von Vorgängen, die Hasskriminalität betreffen, ein Kernanliegen. Darüber hinaus wird die ganzheitliche Betrachtung der einzelnen technischen Komponenten und wissenschaftlichen Ergebnisse und deren Übertragung in eine technische Gesamtlösung

(Framework) im Projekt realisiert. Die Ergebnisse von KISTRA werden deshalb sowohl sozialwissenschaftliche, ethische und rechtliche Gutachten umfassen sowie technische Lösungen wie zum Beispiel Softwaredemonstratoren. Neben der direkten Anwendung beim BKA können auch weitere Behörden mit Sicherheitsaufgaben von den Ergebnissen partizipieren. Stärke des Projekts ist die ganzheitliche Betrachtung der Wirkung und Bewertung der Hasskriminalität unter Berücksichtigung unterschiedlicher Akteure inklusive einer juristischen Begleitung, sodass eine praxisorientierte Gesamtlösung erreicht werden kann. Die geplanten Ansätze und daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Lösungen werden den Ermittlungsbehörden ermöglichen, Straftaten im Internet deutlich schneller zu erkennen und Kriminalität besser zu bekämpfen.

Die ZITiS beteiligt sich an dem europäischen Verbundprojekt FORMOBILE, das von der EU im Rahmen von “Horizon 2020” gefördert wird. Projektziel ist, die komplette forensi­ sche Kette zur Auswertung mobi­ler Endgeräte abzubilden. Das bedeutet, den Weg eines solchen Mobiltelefons – vom sogenannten First Responder, dem Polizisten, der das Gerät sicherstellt, bis hin zum Sachverständigen, der das Gutachten im Auftrag des Gerichts erstellt – abzubilden. FORMOBILE hat dabei drei Ziele. Erstens: Schaffung eines Standards für die forensische Auswertung solcher Geräte, zweitens: Entwicklung von Werkzeugen für die Strafverfolgung und drittens die Konzeption eines Trainingsprogramms für Schulungen der Beamten. Dabei sollen sowohl die Bedarfe von nichtspezialisierten Polizisten bis hin zu hochspezialisierten Experten in Forensiklaboren berücksichtigt werden. *Dr. Eleanor Hobley ist ForschungsleiIm FORMOBILE-Konsortium haben terin Big-Data-Analyse bei der ZITiS. sich 19 Partner aus elf Nationen Dr. Christian Hummert ist dort Ge- zusammengeschlossen. Dabei haschäftsfeldleiter für digitale Forensik. ben sich Strafverfolgungsbehörden,

gar verhindern. Eine dritte Kategorie von Werkzeugen beschäftigt sich mit der Datenauswertung. Dazu gehört auch die Analyse bösartiger Software (Malware) für Mobiltelefone. Ziel ist, effiziente Werkzeuge für die Strafverfolgung zu entwickeln und so die Auswertung zu unterstützen.

Neues Curriculum geschaffen Für das notwendige Training der Sicherheitsbehörden wurde ein neues Curriculum geschaffen. In Zukunft sollen die Inhalte der einzelnen Module sowohl online als auch in Präsenzveranstaltungen in der Schulung eingesetzt werden können. Die Beteiligung an FORMOBILE ist ein großer Erfolg für die ZITiS und zeigt, dass sich die noch junge Behörde bereits im europäischen Forschungswettbewerb durchsetzen kann. Die Ergebnisse werden Europa sicherer machen. *Dr. Christian Hummert ist Geschäftsfeldleiter für digitale Forensik bei der ZITiS.

Zahlreiche Forschungsprojekte

Genau wie die BDBOS ist auch die ZITiS eine junge Behörde, die in vielerlei Hinsicht überrascht und nur wenig den gängigen Vorstellungen von Verwaltung entspricht. Uns eint aber mehr als das: Um technologische Trends früh zu erkennen und etwa gemeinsam die ­Integration von Künstlicher Intelligenz als Unterstützung für die Sicherheitsbehörden bei ihrer Arbeit voranzutreiben, ist neben technischer Expertise und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch gegenseitiges Vertrauen entscheidend. Ich gratuliere der ZITiS herzlich zum vierten Geburtstag und freue mich auf die weitere Vertiefung der Zusammenarbeit. Andreas Gegenfurtner, Präsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) Foto: BS/BDBOS

Das forensische Institut der Niederlande ist sehr stolz auf seine Kooperation mit Partnern aus dem Bereich der Forensik. Schon vor der Einrichtung der ZITiS war das forensische Institut der Niederlande bereits mit einigen heutigen ZITiS-Mitarbeitern in Kontakt. Nach einem formalen Besuch im März 2019 wurde eine Zusammen­arbeit etabliert. Wir kooperieren inzwischen unter ­anderem im EU-Projekt FORMOBILE mit der ZITiS. Für mich ganz persönlich ist die ZITiS ein wertvoller Partner mit hochqualifizierten Mitarbeitern. Coert Klaver, Forensisches Institut der Niederlande

Firmen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und NGOs zusammengefunden. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren, von denen bereits 22 Monate geleistet wurden. Im Bereich der Standardisierung wurde ein gemeinsamer Standard erarbeitet. Dieser liegt beim Europäischen Komitee für Normung (CEN) öffentlich aus und kann derzeit von jedem Bürger kommentiert werden. Ziel des entwickelten Standards ist es, grenzübergreifende Ermittlungsverfahren zu vereinfachen und die Qualität der forensischen Analyse von Smartphones europaweit zu verbessern. Die im Projekt zu entwickelnden Werkzeuge gliedern sich in drei aufeinander aufbauende Kategorien. Zum einem sollen Daten aus Mobiltelefonen gesichert werden. Das schließt auch Daten aus Clouds ein, die nicht direkt auf dem Telefon gespeichert sind. Zum anderen gilt es, die gesicherten Daten zu dekodieren. Dabei geht es auch darum, Techniken zu begegnen, die eine forensische Analyse erschweren oder

“KISTRA” ist eines von mehreren Forschungsprojekten, an denen die ZITiS beteiligt ist. Logo: BS/ZITiS

suchung von Mobilfunktelefonen, die Erweiterung bestehender forensischer Tools um neue technische Analysefähigkeiten und die Durchführung von Trainings für europäische Strafverfolgungsbehörden. Bei “DIGFORASP” steht die Entwicklung eines Netzwerkes zur Erforschung des Potenzials der Anwendung von KI im Bereich der digitalen Forensik im Mittelpunkt. Bei “EU-HYBNET” geht es um die Bildung eines europaweiten Netzwerks zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen.

2. Mai 2017: Der Leiter des ZITiS-Aufbaustabes begrüßt seinen ersten Mitarbeiter, einen Bundespolizisten. Gemeinsam befestigen sie Schilder an Türen und Treppen, die den Weg zum neuen Technik-Dienstleister weisen. Wieder feiert ZITiS Geburtstag und ist inzwischen zu einem wichtigen Partner geworden. Im Namen der Bundespolizei gratuliere ich zu vier Jahren des effizienten Aufbaus von Wissen und Fähigkeiten, zielgerichteter Forschung, ­praxisnaher Entwicklung und engagiertem ­Service zum Nutzen der Bedarfsträger!

Horst Kriesamer, Direktor in der Bundespolizei, Leiter der Abteilung 5 “Zentrum für Informations- und Kommunikationstechnik” im Bundespolizeipräsidium Foto: BS/BPol

Foto: BS/NFI

Sicherheitsbehörden müssen die Chancen der Digitalisierung nutzen und sich bestmöglich auf Gefahren aus dem Cyber-Raum vorbe­reiten. Die ZITiS leistet durch die Erforschung und Entwicklung von digitalen Lösungen und Produkten für diese einen wichtigen Beitrag. Mit unserer Kooperation schaffen wir ein gemeinsames Verständnis über die Relevanz von Technologie-Trends für die BOS. Das kann für eine effektive Cyber Crime-Bekämpfung ebenso hilfreich sein wie für die Weiter­ entwicklung von Sicherheitsfeatures in der Wirtschaft. Dr. Christian Weber, Bereichsleiter Öffentliche Sicherheit & Verteidigung Bitkom

(BS/mfe) Gemäß ihrem Auftrag ist die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) an vielen Forschungsprojekten beteiligt. Dazu gehören unter anderem die Vorhaben “KISTRA”, “FORMOBILE”, “DIGFORASP” und “EU-HYBNET”. Bei “KISTRA” geht es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Früherkennung von Straftaten. Das Projekt ist im Juli 2020 gestartet. Ziel ist die Erforschung der Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für den ethisch und rechtlich vertretbaren KI-Einsatz durch Sicherheitsbehörden zur frühzeitigen Erkennung und Prävention von Straftaten der Hasskriminalität. Ziele des Projektes “FORMOBILE – From Mobile Phones to Court” sind die Entwicklung eines europaweiten Standards zur forensischen Unter-

Als Nachrichtendienst sind wir bei unserer Arbeit abhängig von leistungsfähiger IT und Technik. In allen Bereichen unseres Hauses benötigen wir zeitgemäße Kenntnisse und Anwendungen, zum Beispiel bei Big Data, Künstlicher Intelligenz und Kryptoanalyse. Neben Partnerbehörden und Forschungseinrichtungen ist ZITiS ein junger, aber zunehmend wichtiger Partner, um die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen. In gemeinsamen Projekten entsteht eine ver­ trauensvolle und für alle gewinnbringende Kooperation. Foto: BS/Bitkom

Jörg Funk, Chief Technology Officer (CTO) des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Foto: BS/BfV


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Mai 2021

Ausweitung auf Ermittlungen vorgeschlagen

Ermittlungszwecken überhaupt möglich sei.

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S

o plädiert etwa Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück, dafür, dieses Instrument in Fällen besonders schwerer Straftaten über Fahndungszwecke hinaus auch für Ermittlungen zu erlauben. Hierzu sollte aus seiner Sicht der neu geplante Paragraf 163g StPO entsprechend angepasst werden. Aus Südbecks Sicht sollte die Technik bei Ermittlungen etwa zu Mord und Totschlag, Raub, Erpressung, Bandendiebstahl oder gewerbsmäßiger Hehlerei Anwendung finden. Ähnlich äußern sich Dr. Axel Isak, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Baden-Baden, sowie sein Kollege von der Münchner Generalstaatsanwaltschaft, Dr. Alexander Ecker. Alle halten – ebenso wie Dr. Gerwin Moldenhauer, Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof – darüber hinaus die automatische Kennzeichenerfassung für Fahndungen für sachgerecht und begrüßenswert. Laut Ecker würde die Ausweitung auf Ermittlungen den praktischen Anwendungsbereich der Technik vergrößern. Außerdem würde eine Speicherung der Daten, wodurch später dann Abgleiche möglich wären, zu mehr Effektivität bei der Strafrechtspflege führen. Ecker versperrt sich dabei jedoch nicht einem eventuellen Richtervorbehalt. Als zwingend – auch im Bereich von Fahndungen – erachtet einen solchen die Bundesrechtsanwaltskammer. Der Deutsche Anwaltverein schließ-

Kennzeichenerfassung könnte künftig öfter genutzt werden

Kein Richtervorbehalt geplant Im Rahmen der Reform ist

(BS/Marco Feldmann) In die Strafprozessordnung (StPO) soll eine explizite Befugnis zur automatischen Kennzeichenerfassung im öffentlichen vorgesehen, eine ausdrückliVerkehrsraum zu Fahndungszwecken aufgenommen werden. Sachverständige Juristen erachten das größtenteils als sinnvoll und sachgerecht. che Regelung zur automatischen Sie haben teilweise aber noch weiter gehende Forderungen. Kennzeichenerfassung in die

Bei der automatischen Kennzeichenerfassung werden Fahrzeuge und ihre Nummernschilder aufgezeichnet und analysiert. Diese Befugnis soll nun explizit in die Strafprozessordnung (StPO) aufgenommen werden. Dies trifft jedoch nicht nur auf Zustimmung. Foto: BS/Th. Reinhardt, pixelio.de

lich lehnt das Instrumentarium komplett ab.

Opposition uneins Auch aus dem politischen Raum kommt nicht nur Zustimmung. So sieht die Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag das Instrument zu Fahndungszwecken kritisch. Eine Ausweitung auf Ermittlungszwecke wird dort abgelehnt. Hierfür seien die Grundrechtseingriffe zu schwerwiegend, heißt es zur Begründung. Außerdem würde

man sich dort zunächst eine Evaluierung des Instrumentariums wünschen, bevor dieses explizit in die StPO aufgenommen wird. Von der Berichterstatterin der Grünen-Fraktion, Canan Bayram, heißt es: “Ich befürchte, dass die im Regierungsentwurf geplante Regelung nur ein Zwischenschritt ist, der langfristig auf die Möglichkeit der (Vorratsdaten-) Speicherung von Verkehrsdaten zu Ermittlungszwecken abzielt.” Wenn nachvollzogen werden könne, wer wann und wo mit seinem

Auto vorbeigefahren sei, stelle dies einen erheblichen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre der Menschen dar, so Bayram. Der rechtspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Roman Reusch, hingegen spricht sich für das Instrument und auch für dessen Ausweitung auf Ermittlungszwecke aus. Die automatische Kennzeichenerfassung sei deutlich treffsicherer als stichpunktartige Kontrollen durch Beamte, etwa im Rahmen der Schleierfahndung. Mithilfe der Technik, die nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung zum Einsatz kommen solle, gewinne man dann neue Ermittlungsanhalte und generiere einen ermittlungstechnischen Mehrwert, meint der Leitende Oberstaatsanwalt a. D. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Dr. Jürgen Martens, hält die Ausgestaltung der automatisierten Kennzeichenerfassung wie im Gesetzentwurf vorgesehen für wohl vertretbar. Er bemängelt jedoch, dass der Begriff der Ermittlungen ungenügend umrissen sei. Die anlasslose, allgemeine Erfassung und Speicherung von Kennzeichen hält Martens derweil für rechtlich unzulässig. Axel

Müller, dem Berichterstatter der Unionsfraktion, geht der vom Bundesjustizministerium vorgelegte Gesetzentwurf nicht weit genug. Die automatische Kennzeichenerfassung gehe über die Möglichkeiten einer bloßen Fahndung eines engen Personenkreises, gegen den sich ein recht konkreter Tatverdacht richte, kaum hinaus. Damit sei das Instrument “ein recht stumpfes Schwert”. “Bei den Bemühungen, Beteiligte organisierter Straftaten, die eben gerade noch nicht näher umrissen sind, ausfindig zu machen, hilft er nicht. Das müsste aber das Ziel einer “Fortentwicklung” der Strafprozessordnung sein”, findet Müller. Er will sich deshalb für eine weiter gehende Fassung einsetzen. Sein SPD-Kollege, Dr. Johannes Fechner, Berichterstatter und Obmann seiner Fraktion im Rechtsausschuss, hingegen will zunächst den Ausgang anhängiger Verfahren zu Mindestspeicherfristen vor dem Bundesverfassungsgericht sowie dem Europäischen Gerichtshof abwarten. Erst wenn dort entschieden und Rechtssicherheit geschaffen worden ist, könne man rechtssicher beurteilen, ob in Deutschland die automatische Kennzeichenerfassung auch zu

StPO aufzunehmen. Daran fehlt es derzeit noch. Die Maßnahme wird aktuell zwar oftmals auf eine andere StPO-Norm gestützt. Dieses Vorgehen ist allerdings rechtlich schwierig. Deshalb soll nun mehr Handlungs- und Rechtssicherheit geschaffen werden. Geplant ist, dass Kennzeichen von Fahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung automatisch mit technischen Geräten und ohne Wissen des Betroffenen erhoben werden dürfen. Dies soll allerdings nur örtlich begrenzt und temporär im öffentlichen Verkehrsraum zulässig sein. Weitere Voraussetzung ist, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegen. Die Anordnung der Maßnahme soll im Regelfall durch die Staatsanwaltschaft erfolgen. Nur in Eilfällen ist eine Anordnung durch ihre Hilfspersonen, also Polizeibeamte, geplant. Ein Richtervorbehalt ist nicht vorgesehen. Das Instrumentarium der automatischen Kennzeichenerfassung ist umstritten. Zuletzt hatte das Brandenburger Verfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben.

Nicht-Finanzsektor muss mehr melden

Es geht nur gemeinsam

Geldwäschebekämpfung weist noch Verbesserungsbedarf auf

Präventionsarbeit durch eine breite Wertschätzung für die Polizei

(BS/mfe) Geldwäsche findet keineswegs nur im Kontakt mit Banken statt. Auch Notare und Gütehändler, wie zum Beispiel Gebrauchtwagenhändler oder Juweliere, müssen für die Problematik sensibilisiert werden. Hier scheint allerdings noch einiges zu tun zu sein. Denn aus dem sogenannten Nicht-Finanzsektor gehen bislang nur wenige Geldwäscheverdachtsmeldungen bei der “Financial Intelligence Unit” (FIU) ein.

(BS/Christoph Bernstiel) “Damit die Polizei genauso gut ausgestattet ist wie das Verbrechen.” Das war die Idee des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Hans Jürgen Irmer, der 1996 die unabhängige und überparteiliche Bürgerinitiative “Pro Polizei Wetzlar” gründete. In den letzten 25 Jahren wurde die örtliche Polizei mit zahlreichen Veranstaltungen, Seminaren und Vorträgen unterstützt. Darüber hinaus wurde mit Spendengeldern die Ausstattung der Beamtinnen und Beamten verbessert.

Dies müsse dringend verbessert werden, verlangt der Leiter der Einheit, Christof Schulte. Das Meldeaufkommen von Notaren habe sich nach einer verschärften Verordnung bereits erhöht, so der FIUChef weiter. Bei anderen Akteuren aus dem Nicht-Finanzsektor sei aber noch deutlich Luft nach oben. Daniel Schmedding, Head of Legal and Compliance beim Unter- Im Kampf gegen Geldwäsche sind insbesondere die Akteure aus dem Nichtnehmen Kerberos Compliance- Finanzsektor gefordert, sich noch mehr zu engagieren und Verdachtsfälle den Managementsysteme, verdeutlich Aufsichtsbehörden zu melden. Foto: BS/Tumisu, pixabay.com dies anhand von Zahlen. So gebe es im Finanzsektor rund 8.000 böten sich hier zahlreiche Tatge- lobt auch der BundestagsabgeVerpflichtete, die 99 Prozent aller legenheiten und unterschiedliche ordnete Sepp Müller (CDU). Das Geldwäscheverdachtsmeldungen Begehungsweisen. Für die Zukunft Mitglied des Finanzausschusses machten. Im Nicht-Finanzsektor wünscht sich der Kriminalbeamte mahnt allerdings eine noch inhingegen existierten hingegen rund eine Ausdehnung der Beweiser- tensivere Kommunikation der eine Million Verpflichtete. Sie wür- leichterung und die Einführung Geldwäscheaufsichtsbehörden den aber nur ein Prozent aller jähr- einer Bargeldobergrenze. in Bund und Ländern an. Hier lichen GeldwäscheverdachtsmelFür mehr Vernetzung plädiert sieht Müller unter anderem die dungen abgeben. Zudem sei hier auch FIU-Chef Schulte. Seine Ein- Finanzämter zunehmend in der von einer erheblichen Dunkelziffer heit, die eine Verwaltungsbehörde Pflicht. Denn deren Mitarbeiauszugehen, meint Schmedding. bleiben und aus seiner Sicht nicht ter könnten als Verpflichtete Denn im Nicht-Finanzsektor fän- zu einer Ermittlungsbehörde um- nach dem Geldwäschegesetz den Prüfungen der Verpflichteten gewandelt werden sollte, verfüge auch Verdachtsmeldungen an deutlich seltener statt als bei den dazu inzwischen in allen Lan- die FIU abgeben, würden dies Finanzinstituten. Außerdem sei die deskriminalämtern über Verbin- bislang aber nicht tun. Hier Aufsicht hier – da sie bei den Bun- dungsbeamte. Nur in Nordrhein- bestehe noch deutliches Verdesländern und nicht beim Bund Westfalen befinde sich das Projekt besserungspotenzial. Gleiches liege – deutlich heterogener und noch in der Pilotierungsphase. Im gelte für die Rückmeldequote mehr zersplittert. Dies trage dazu dortigen LKA in Düsseldorf hat der der FIU an die Verpflichteten bei, dass das Geldwäschegesetz FIU-Verbindungsbeamte Anfang und die Meldebereitschaft von in den einzelnen Behörden sehr April seinen Dienst aufgenommen. Notaren. Sie würden sich nununterschiedlich ausgelegt werde, Die Pilotierungsphase soll sechs mehr nicht mehr wegen der bemängelt Schmedding. Zudem Monate betragen. Anschließend Verletzung von Berufsgeheimsei in diesem Bereich teilweise der sowie nach der gemeinsamen Prü- nissen strafbar machen, wenn Datenschutz hinderlich, ergänzt fung des Mehrwerts besteht für sie eine Verdachtsmeldung abDr. Philipp Amann, Head of Strategy beide Behörden die Möglichkeit, gäben, die sich schlussendlich des Europäischen Zentrums zur die Testphase zu verlängern und als unbegründet erweise, so der Bekämpfung der Cyber-Kriminali- eine dauerhafte Entsendung ein- Christdemokrat. Hinsichtlich der Erhöhung der Rückmeldequote tät (EC3) bei Europol in Den Haag. zuleiten. verspricht sich Müller viel vom Beweiserleichterung ausweiten Finanzämter gefordert Einsatz Künstlicher Intelligenz Umso wichtiger sei die (institutioEbenfalls pilotiert werde bei der (KI). Hilfreich für die Geldwänelle) Vernetzung aller in die Geld- FIU derzeit der Einsatz von Künst- schebekämpfung ist aus seiner wäsche involvierten Akteure, meint licher Intelligenz (KI). Hier werde Sicht zudem die Pflicht für alle Marc Schäfer vom nordrhein- es aber immer technische Grenzen Verpflichteten im Finanz- und westfälischen Landeskriminalamt geben, weshalb auch in Zukunft Nicht-Finanzsektor, sich ab (LKA). Denn Geldwäsche sei kei- ein Mensch die letzte Entscheidung 2024 online in einem Meldeneswegs opferlos, sondern mache in jedem Sachverhalt treffen müs- system der FIU anzumelden. die Organisierte Kriminalität (OK) se. Die Zusammenarbeit zwischen Ob dies tatsächlich hilft, bleibt erst wirklich rentabel. Außerdem FIU und Landeskriminalämtern jedoch vorerst abzuwarten.

Mittlerweile hat sich die Idee des Vereins zu einem kleinen Exportschlager entwickelt. Denn es gibt Propolizeigliederungen unter anderem in Berlin, Gießen, Weilburg, Frankfurt am Main und seit Juli 2020 auch im Süden von SachsenAnhalt. Als jemand, der unseren Sicherheitsbehörden persönlich sehr nahesteht und der weiß, wie schwer es unsere Polizistinnen und Polizisten im Alltag manchmal haben, ist es mir wichtig, auch öffentlich für unsere Polizei einzutreten. Ziel des Vereins ist es, unsere Polizei nicht nur materiell und gesetzlich zu unterstützen, sondern ihr auch gesellschaftlich Rückendeckung zu geben. Dass dies leider dringend notwendig ist, zeigen undifferenzierte Debatten über Rassismus in der Polizei oder vermeintlich strukturelle Rechtsextremismusprobleme. Besorgniserregend ist zudem die Entwicklung der Widerstandshandlungen gegen Vollzugsbeamte. Allein in Sachsen-Anhalt kam es im Jahr 2020 zu 856 Übergriffen auf 1.554 Polizistin-

Christoph Bernstiel (CDU) ist Mitglied des Innenausschusses im Deutschen Bundestag. Er ist direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Halle (Saale), Landsberg, Kabelsketal und Petersberg.

nen und Polizisten. Wir müssen die schützen, die uns schützen sollen. Angriffe auf Polizeibeamte sind ein No-Go und sie dürfen nicht in gesellschaftlichen Debatten relativiert werden. Deshalb ist es uns wichtig, die Perspektive der Polizei stärker in den öffentlichen Fokus zu bringen und den Dialog zu Bürgerinnen und Bürgern zu stärken.

Breit aufgestellt Aus diesem Grund wurde Pro Polizei Sachsen-Anhalt-Süd bereits bei der Gründung breit aufgestellt. Neben Politikern und Polizisten aus Bund und Land sind auch

Foto: BS/privat

verschiedene Unternehmer als Mitglieder engagiert. Darüber hinaus versteht sich der Verein als Förderer aller Blaulichtorganisationen und Ordnungskräfte. Denn gute Präventionsarbeit kann nur gemeinsam

gelingen. Die Gründung des Vereins mitten in der Corona-Pandemie hatte natürlich auch gravierende Auswirkungen auf bereits geplante Veranstaltungen und Aktivitäten. Dennoch ist die Mitgliederzahl bereits gewachsen und der Vorstand freut sich auf erste große und öffentlichkeitswirksame Veranstaltung im Spätsommer. Schön wäre es, wenn wir in 25 Jahren auf unseren Verein blicken und eine ähnliche Erfolgsgeschichte erzählen könnten wie die Kolleginnen und Kollegen in Wetzlar. Denn jeder Erfolg des Vereins stärkt unseren Sicherheitsbehörden den Rücken.

Noch Luft nach oben Cyber-Sicherheit muss weiter verbessert werden (BS/mfe) Bei der Cyber-Sicherheit von öffentlicher Verwaltung und privaten Unternehmen besteht noch deutliches Verbesserungspotenzial: Hier brauche es im präventiven Bereich noch mehr Sensibilisierung für Gefahren aus dem digitalen Raum und bei der Repression eine Stärkung der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Das meint der Fraktionsvorsitzende und Innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger. Er verlangt zudem, dass die BOS Verwaltungen und Unternehmen noch besser vor Cyber-Attacken schützen. Dabei handelt es sich aus seiner Sicht um eine staat-

liche Aufgabe, die ausgebaut und intensiviert werden müsse. Es brauche bei allen Beteiligten aber auch ein größeres Problembewusstsein für die Gefahren aus dem Digitalen, ergänzt Sven Kohlmeier, Sprecher für Rechtspolitik, Netzpolitik und Datenschutz der SPD im Berliner Landesparlament. Gleiches

meinen Paul Fresdorf von der Berliner FDP-Fraktion sowie Benedikt Lux von Bündnis 90/Die Grünen. Fresdorf hält es auch für überlegenswert – parallel zur regulären Beamtenbesoldung – über eine spezielle Besoldung von IT-Fachkräften im Öffentlichen Dienst nachzudenken. Ansätze hierzu gab es bereits.


Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / Mai 2021

“Mehr Bund im Katastrophenschutz?”

K

atastrophenlagen waren in der Vergangenheit in der Bundesrepublik hauptsächlich örtlich begrenzt. Nur in einigen wenigen Fällen, wie bei den Flutkatastrophen Anfang der 2000er Jahre oder bei den immer häufigeren Waldbränden, waren mehrere Bundesländer grenzübergreifend betroffen. Die Corona-Pandemie stellt somit gesehen eine Besonderheit dar. Über einen langen Zeitraum sind bundesweit alle Ebenen gleichermaßen betroffen. Angefangen bei der Beschaffung von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) im Frühjahr und Sommer vergangenen Jahres über ein abgestimmtes Vorgehen bei der Verteilung von Intensivpatienten oder der Organisation der Impfzentren: Das Maß an Koordination war stets hoch. Während man beim Infektionsschutz auf Bundesebene einen Schritt weiter ist, sind die Diskussionen über Bundeskompetenzen im Katastrophenschutz noch gerade erst warmgelaufen. Die Gefahren von Pandemien seien schon lange bekannt gewesen, sagt Albrecht Broemme, Präsident a. D. des Technischen Hilfswerks (THW) und Vorsitzender des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit. Das Problem sei nur gewesen, dass die Erkenntnisse aus diesem Wissen nicht in Vorbereitungen übersetzt worden seien. “Das Streben nach einer perfekten Lösung verhindert die gute”, meint Broemme. Eine Trennung zwischen der politischen und der fachlichen Entscheidungsebene sei deshalb geboten, um eine tragbare Lösung zu finden. Bei der Bekämpfung sei das föderale System jedoch unverzichtbar. Es brauche jedoch eine klar vorgegebene “Linie von oben”, so Broemme. Die vertikale und horizontale Zusammenarbeit im Bevölkerungsschutz sei

Diskussion über mehr Bundeskompetenzen geht weiter (BS/Bennet Klawon) Zu offensichtlich wurden die Defizite und Grenzen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr in der Pandemie. Doch welche Konsequenzen aus der Krise gezogen werden sollen, wird scharf diskutiert. Mehrere Expertinnen und Experten ziehen nach einem Jahr Pandemie einige Lehren und sehen Verbesserungspotenzial beim integrativen Hilfeleistungssystem. Im Vordergrund stand wieder die Frage nach einer Kompetenzverschiebung zugunsten des Bundes im Katastrophenschutz. werden. Als Beispiele einer föderalen Partnerschaft könnten das gemeinsame Vorgehen von Bund und Ländern bei der Verlegung von Patienten von überlasteten Intensivstationen oder das Maritime Sicherheitszentrum (MSZ) an Nord- und Ostsee genannt werden. Beim MSZ handelt es sich um ein Kooperations- und Kommunikationsnetzwerk, das die operativen Kräfte von Bund und Küstenländern bündelt. Neben den Wasserschutzpolizeien der Länder sind dort unter anderem die Bundespolizei, der Zoll und das Havariekommando vertreten. Es brauche dabei jedoch eine vertragliche Grundlage für eine föderale Zusammenarbeit, betont Götz.

Eine BAO könnte es richten

Wie viel Bund darf es sein? Die Diskussion um Bundeskompetenzen im Katastrophenschutz geht unvermindert weiter.

momentan noch zu unstet und lückenbehaftet. Das Vermengen der politischen mit der fachlichen Ebenen führe dazu, dass politische Entscheidungen auch in fachliche Details eingriff, was weder erforderlich noch sinnvoll sei.

“Föderales System hat funktioniert” Dr. Alexander Götz, Vorsitzender des Arbeitskreises V “Feuerwehrangelegenheiten, Rettungswesen,

Foto: BS/InstagramFOTOGRAFIN, pixabay.com

Katastrophenschutz und zivile Verteidigung” bei der Innenministerkonferenz (IMK), sieht das Hilfeleistungssystem “trotz mancher Ermüdungserscheinungen” gut aufgestellt. “Es hat funktioniert.” Es bedürfe keiner Zentralisierung von Kompetenzen, sondern einer besseren föderalen Zusammenarbeit, um Maßnahmen im Katastrophenschutz zu koordinieren. Jedoch müsse die Vorsorgeplanung stärker werden. Es müssten dabei Akteure im

Neue Evolutionsstufe bei Masken Virentötende Masken made in Israel (BS/bk) Seit Beginn der Pandemie wird über kaum eine Infektionsschutzmaßnahme so gestritten wie über die Verwendung von Masken, offiziell Mund- und Nasenschutz. Die Evolution der Masken, von selbstgenähten Nase-Mund-Bedeckungen über medizinische Masken hin zu FFP2-Masken, soll mit einem neuen Maskentyp eine neue Stufe erreichen. Ein Unternehmen aus Israel hat eine Maske entwickelt, die Viren, die auf die Maske treffen, innerhalb von fünf Minuten abtötet. Dr. Jeff Gabbay, US-israelischer Textilwissenschaftler und verantwortlicher Entwickler der patentierten BioBlocX-Masken, sieht in den Masken den einfachsten Weg zur Viruseindämmung. Denn der Clou an seinen Masken ist folgender: Die BioBloX-Masken filtern nicht nur Viren beim Einund Ausatmen, sondern töten innerhalb von fünf Minuten Viren dabei ab. Dies sei, so Gabbay, bisher einmalig auf der Welt. Möglich macht dies ein mehrlagiges Textil. Die fünflagigen bzw. dreilagigen Masken verfügen über Membranen, die die Virenübertragung durch die Bedeckung massiv verlangsamen, und über bioaktive Lagen, die unter anderem mit Kupferoxiden versetzt sind und so die Viren abtöten. Diese Masken sollen so selbststerilisierend sein. Dies bedeutet, unterstreicht Gabbay gegenüber dem Behörden Spiegel, dass die Maske zwei Aufgaben gleichzeitig übernehme: Filtration und Abtötung. Die Abtötung hat man sich von einem unabhängigen Labor bestätigen lassen.

Gegen Krankenhauskeime entwickelt Das Textil war ursprünglich nicht für den Gebrauch als alltägliche Maske konzipiert. Gabbay entwickelte die Zusammensetzung des Materials zur Bekämpfung von Krankenhauskeimen, die jährlich unzählige Opfer fordern. Das Material sollte eigentlich vorrangig bei Bettlaken

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Gesundheitsschutz stärker in die Pflicht genommen werden. Dies solle notfalls durch eine gesetzgeberische Tätigkeit untermauert werden. Die Reformen, die im Katastrophenschutz nun angestoßen würden, sollten auch schnell umgesetzt werden, forderte Götz. Die Vorsorgeplanung in Form von Lagern und Beschaffungsmaßnahmen müsse dringend ausgebaut werden. Während die Corona-Impfstoffe zentral vom Bund über die Europäische Union beschafft wurden, beschafften zu Beginn der Krise viele Länder und Kreise eigenständig Schutzausrüstung und warteten nicht auf das Agieren des Bundes. An diesem Beispiel wird deutlich, dass auch die unteren Katastrophenschutzbehörden ihren Teil beigetragen haben. Zu groß ist die Sorge bei manchen Katastrophenschützern, dass auf der untersten Ebene die eigenen Strukturen zurückgebaut bzw. vernachlässigt werden und sich zu sehr auf die höheren Ebenen wie den Bund verlassen wird. Diese “Rückfallstrukturen” machen das deutsche Hilfeleistungssystem jedoch so stark. Die Zusammenarbeit müsse zudem vertikal und horizontal, also fach-, amts- und ressortübergreifend institutionalisiert

Eine stärkere und permanentere Einbindung des Bundes in den Katastrophenschutz kann sich Gerd Friedsam, Präsident des THW, vorstellen. Aus der Sicht des THW-Präsidenten sind die die vorhandenen Systeme der Bewältigung zwar alle vorhanden, jedoch nicht ausreichend genutzt worden. Er plädierte für eine Einrichtung von ressortübergreifenden Krisenstäben z. B. unter Federführung des Innenressorts. Die ressort- und ebenenübergreifende Stabsarbeit in Form einer besonderen Aufbauorganisation (BAO) soll so schnellere und fundierte Entscheidungen ermöglichen und die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern verbessern. Diese Krisenstäbe sollen bei allen Lagen aktiviert werden. Diese Stäbe sollen dann Lageberichte und Entscheidungsvorlagen den jeweiligen Staatskanzleien und dem Bundeskanzleramt vorlegen. Auf Grundlage dieser Informationen sollen dann die Entscheidungen auf exekutiver Ebene getroffen werden. Diese Ablaufänderung bedürfe keiner Gesetzesänderung oder einer Zuständigkeits- bzw. Kompetenzverschiebung im Katastrophenschutz, zeigt sich Friedsam überzeugt.

Mehr Kompetenzen bei bundesweiten Lagen Als Verfechter einer Grundgesetzänderung für mehr Kompetenzen des Bundes im

Katastrophenschutz tritt Prof. Dr. Christoph Gusy, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld, auf. Katastrophe sei nicht gleich Katastrophe. Alle Katastrophen müssten deshalb ungleich gemanagt werden, so Gusy. Auch eine Pandemie könne weder komplett dezentral noch komplett zentral bewältigt werden. Es brauche eine Bewältigung vor Ort und eine zentrale Steuerung. Das Problem im deutschen Bevölkerungsschutz sei aber, dass das geltende Recht die Ebene zur Gefahrenabwehr in die Pflicht nehme, die nicht immer am besten geeignet sei, eine Katastrophe zu bewältigen. Umgekehrt sei es jedoch sinnvoller: “Im Bundesstaat sollte dafür stets diejenige Ebene zuständig sein, die die Aufgaben nach ihrer Ressourcenausstattung am besten wahrnehmen kann”, so der Rechtswissenschaftler. Daraus folgt für ihn, dass es einer Neujustierung im Bevölkerungsschutz bedarf. Es brauche eine Grundgesetzänderung, damit der Bund bei bundesweiten Katastrophen Vollzugskompetenzen bekomme. Dies könne durch eine Bundesbehörde für den Katastrophenschutz geschehen, die ergänzend zu den Landesbehörden aktiv werde. “Je eher eine Katastrophe bundesweit wirkt, desto eher muss der Bund zuständig sein”, zeigt sich Gusy überzeugt. Der Bund brauche, seiner Auffassung nach, neben Koordinationsrechten auch Weisungsrechte. Dies bezieht sich nicht nur auf die staatlichen Stellen, sondern auch auf die privaten Hilfsorganisationen. Der Jurist mahnt in seiner Bilanzierung der Krisenbewältigung eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Behördenvielfalt auf Bundesebene und deren Leistungsfähigkeit an. Ein Kompetenzaufbau auf Bundesebene bedürfe aber im gleichen Maße ebenso einer Neuordnung des Bevölkerungsschutzes auf den untergeordneten Ebenen. Gusy betont jedoch: “Die neuen Vollzugsaufgaben des Bundes sollten diejenigen der Länder und Kommunen ergänzen, nicht ersetzen.” Diese vielstimmige Debatte zu lösen und die unterschiedlichen Vorschläge zu ordnen, wird jedoch frühstens zum Ende des Jahres, wahrscheinlicher sogar erst 2022 auf der Agenda der Politik sein. Bis dahin kann das komplexe Geflecht aus Landes- und Bundeskompetenzen in dieser Legislaturperiode nicht zufriedenstellend entwirrt werden.

Optische Technologien für Echtzeitlagebilder Mit dem Innovation Lab OPTSAL von der Forschung in den Einsatz (BS/Julia Gonschorek/Ralf Berger*) Im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) stehen die Gewährleistung und Stärkung der öffentlichen Sicherheit und die Anpassung des Staates und der Gesellschaft an aktuelle sicherheitsrelevante Entwicklungen im Vordergrund. Maßgebliches Ziel ist hier der strategische Ausbau von Kooperationen zwischen Wissenschaft, Industrie Die Masken von BioBlocX sollen durch ihren fünflagigen Aufbau nicht nur Viren und Anwendern. filtern, sondern auch die Krankheitserreger innerhalb von fünf Minuten abtöten.

und Überzügen, Handschuhen, Handtüchern und Schutzkleidung zum Einsatz kommen. Durch ihre Beschaffenheit könne die Maske nun maximal zehn bis zwölf Stunden täglich getragen werden. Ebenso könne die Maske bis zu zwei Monate genutzt werden. Damit sei sie wesentlich nachhaltiger und kostengünstiger als vergleichbare Schutzausrüstung. Durch ihre antiviralen Eigenschaften sieht Gabbay die Maske als einen wichtigen Baustein im Kampf gegen das Coronavirus und gegen andere Viruserkrankungen. Während Impfungen nur für einen bestimmten Virus entwickelt würden, würden die Masken auch

Einen entscheidenden Beitrag dazu leistet das im Sicherheitsgegen andere Viren helfen. Ebenso bereich neu eingerichtete Inwürde die Maske auch bei den novation Lab OPTSAL (Optical Mutationen des Coronavirus gleich Technologies for Situational gut funktionieren. Die BioBlocX- Awareness Lab) am DLR. Ziel Masken werden mittlerweile in von OPTSAL ist es, innovative Europa gefertigt und die o. g. sind optische Technologien und MeFFP2-zertifiziert. Die Masken wer- thoden für Lagebilder gemeinsam den vom deutschen Unternehmen mit Nutzern, Forschern und InBioBlocX Europe GmbH vertrie- dustriepartnern zu entwickeln, ben. Viren abzutöten und nicht zu integrieren und unter openur teilweise zu filtern, biete, so rativen Gesichtspunkten zu Gabbay, die einzige derzeitige Mög- validieren. Der Aufbau von OPTSAL balichkeit, die Verbreitung des Coronavirus aktiv zu bekämpfen und siert auf der Projektförderung einzudämmen. Interesse an dieser des DLR-Instituts für Optische Maskenentwicklung haben bereits Sensorsysteme (DLR-OS) durch mehrere Sicherheitsbehörden, ein die Helmholtz-Gemeinschaft. Bundesland und ein westeuropäFür nähere Informationen: www. ischer Staat angemeldet. optsal.de Foto: BS/BioBlocX Europe GmbH

Das MACS-Kamerasystem unterstützt Rettungs- und Sicherheitskräfte dabei, mit UAV-gestützter Luftaufklärung vor die Lage zu kommen. Foto: BS/DLR

*Julia Gonschorek ist Leiterin OPTSAL und Ralf Berger ist Abteilungsleiter DLR OS-SEC sowie

Sprecher OPTSAL am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).


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eutschland hat in der Pandemie Solidarität mit seinen europäischen Partnern und Verbündeten bewiesen und sie, wo immer möglich, im Kampf gegen das Coronavirus unterstützt, auch mit Personal und Fähigkeiten der Bundeswehr. So wie Anfang des Jahres, als die Ärzte und Pfleger unseres Sanitätsdienstes in Portugal eine Intensivstation betrieben, um dem Land beim Überwinden der zweiten Welle zu helfen. Aber auch wenn die Pandemie derzeit unser gesellschaftliches Leben bestimmt und weltweit Einfluss auf das politische Handeln hat, so dürfen wir uns dennoch nicht von der Tatsache ablenken lassen, dass unsere Sicherheit auch jenseits der Pandemie von vielschichtigen äußeren Bedrohungen beeinflusst wird.

Herausforderungen für die Bundeswehr Gastbeitrag des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Eberhard Zorn (BS/General Eberhard Zorn) Das Coronavirus beeinflusst unsere Art zu leben seit mehr als einem Jahr in allen Bereichen – ob privat, beruflich oder auch sicherheitspolitisch.

“Für die Landes- und Bündnisverteidigung brauchen wir wieder Verbände und Großverbände, die geschlossen verlegt und eingesetzt werden können.” General Eberhard Zorn, Generalin­ spekteur der Bundeswehr Foto: BS/Bundeswehr, Sebastian Wilke

China und Russland Mit der Massierung von Truppen an der ukrainischen Grenze hat Russland jüngst erneut unter Beweis gestellt, dass es seine Interessen unvermindert zielstrebig verfolgt. Es rüstet seine Streitkräfte in allen Dimensionen auf, es modernisiert seine Waffensysteme und weitreichenden Raketen, die auch uns in der Mitte Europas bedrohen können. Auch China investiert zunehmend in seine Streitkräfte und hat angekündigt, bis 2049 ein “world class military” aufzubauen. Zwar wird der Einsatz militärischer Mittel das chinesische Handeln absehbar nicht dominieren, der angekündigte Kapazitäts- und Fähigkeitsaufbau zeigt dennoch, dass China sein Handeln auch durch starke Streitkräfte absichern will. Ferner sehen sowohl China als auch Russland die Informationsüberlegenheit und vor allem die Deutungshoheit über Informationen als wesentliches Element des strategischen Wettbewerbs. Für unsere westlichen, pluralistischen Gesellschaften sind die gezielte Nutzung von Information und Desinformation, deren Verbreitung über Soziale Medien sowie das Entstehen von Informationsblasen und Echokammern Herausforderungen, die wir im

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ie einsatzbereite Bundeswehr muss jeder Herausforderung rechtzeitig und angemessen begegnen können, gleichzeitig gewinnt der Auftrag “First Responder” für Deutschland in Europa hohe Bedeutung. Und das geht nur mit luftbeweglichen Kräften. Ein Alleinstellungsmerkmal des Heeres – neben der Fähigkeit zum hochintensiven Gefecht mit mechanisierten Großverbänden – ist die Fähigkeit zu Operationen im bodennahen Luftraum, mit Unterstützung durch weitere Kräfte. Dies gilt für alle Operationsarten und Intensitäten. Die Fähigkeitslücke bezüglich eines Transporthubschraubers mit höherer Nutzlast, Reichweite und vergrößertem Innenladeraum in der Gewichtsklasse eines Schweren Transporthubschraubers (STH, früher Future Transport Helicopter (FTH) genannt) entstand durch die oben genannten Einsatzformen und -forderungen, das weltweite Operationsgebiet sowie die Bauweise zukünftiger Einsatzfahrzeuge. Dabei wurden, beginnend 2000, zunächst in der NATO und später, 2009, der European Defence Agency (EDA) die grundsätzlichen fliegerischen Leistungsparameter des Luftfahrzeugs STH unter anderem wie folgt beschrieben und später durch die bedarfsbegründenden Dokumente verfeinert: • Dienstgipfelhöhe 7.000 m MSL, mindestens aber 5.000 m, • Hover Out of Ground Effect (HOGE), also stationärer Schwebeflug ohne “Bodenpolster” für mindestens 30 Min. in Höhen bis zu 3.000 m bei Zuladung von neun Metric Tons, • Fluggeschwindigkeit höher als 300 km/h,

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eigenen Handeln noch stärker berücksichtigen müssen.

Angriffsmethoden und -räume Im Cyber-Raum registrieren wir täglich tausende Angriffe auf unsere Datennetze. Sie offenbaren, dass sich sowohl für staatliche als auch für nichtstaatliche Akteure in den vergangenen Jahren neue strategische Handlungsmöglichkeiten eröffnet haben. Aber auch in den klassischen Dimensionen führen immer kürzer werdende Innovationszyklen und disruptive Technologien zu Veränderungen, die sich auf die Möglichkeiten der Kriegsführung auswirken. Die Nutzung von Drohnen als Offensivwaffen in einem konventionellen Szenario, wie wir sie im Konflikt um Bergkarabach gesehen haben, ist hierfür nur ein Beispiel. Eine solche Einsatzform ist für die Bundeswehr nicht vorstellbar. Wir beobachten sie aber sorgfältig, um unsere Streitkräfte adäquat vor neuen Gefahren zu schützen und einem potenziellen Gegner den Vorteil auf dem Gefechtsfeld zu verwehren. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir unsere Wertevorstellungen vor allem gegen den internationalen Terror verteidigen müssen. Weltweit aufkeimende

Machtrivalitäten erfordern aber zunehmend, dass wir uns zusammen mit unseren Wertepartnern konsequent für die regelbasierte internationale Ordnung einsetzen. So werden wir beispielsweise noch in diesem Jahr mit einer Fregatte im Indo-Pazifik präsent sein, auch um die Kooperation mit unseren Wertepartnern in der Region weiter auszubauen. Letztlich gilt es aber ebenso, dem internationalen Terror weiter die Stirn zu bieten, denn er breitet sich weiter aus. Die islamistischen Anschläge in Wien und Paris haben uns im vergangenen Jahr auf schreckliche Weise vor Augen geführt, dass die Gefahr, die von ihm für unsere westlichen Gesellschaften ausgeht, noch immer nicht gebannt ist. Und auch der Blick in die Sahelzone zeigt, dass wir dem Terror weiter mit Beharrlichkeit entgegentreten müssen. Entsprechend engagiert sich Deutschland in den Missionen der Europäischen Union (EU) und der Vereinten Nationen (VN) in Mali; zudem bilden wir seit über drei Jahren im Rahmen der bilateralen “Military Assistance Mission Gazelle” nigrische Spezialkräfte aus. Wir sind bereit und haben den Willen, uns noch stärker in der Region einzubringen. Vor Kurzem haben wir in der EU die Einrich-

tung eines neuen Ausbildungszentrums in Sévaré angeregt, um die malischen Sicherheitskräfte umfassender auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Denn langfristig wird der Sahel nur dann an Stabilität gewinnen, wenn die G5-Staaten selbstverantwortlich für ihre Sicherheit sorgen können. Dies gilt auch für andere Krisenregionen, in denen sich Deutschland und die Bundeswehr im Rahmen des internationalen Krisenmanagements engagieren.

Neue Prioritäten Über 20 Jahre waren die Einsätze des internationalen Krisenmanagements dominierend, insbesondere der nun zu Ende gehende Einsatz in Afghanistan hat die Bundeswehr geprägt. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 haben Abschreckung und Verteidigung im Bündnis wieder Priorität. Die mit der Landes- und Bündnisverteidigung verbundenen Aufgaben sind für die Bundeswehr die anspruchsvollste Aufgabe. Das bringen alle unsere politischen und strategischen Grundlagendokumente zum Ausdruck – und entsprechend bestimmen die mit diesen Szenarien verbundenen Herausforderungen vorrangig unsere Streitkräfteplanungen. Für die Landes- und Bündnisverteidigung brauchen wir wieder Verbände und Großverbände, die geschlossen verlegt und eingesetzt werden können. Unsere Planungen sehen deshalb vor, dass unser Heer bis 2031 über drei zum hochintensiven Gefecht befähigte Divisionen verfügt. Partnern und Alliierten, die nicht mehr über die entsprechenden Strukturen verfügen, ermöglichen wir schon heute, sich an uns anzulehnen. So schaffen wir gemeinsam schlagkräftige Verbände wie bei der NATO-Speerspitze, der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), für die wir gerade erst

in Verantwortung waren und über die wir 2023 erneut die Führung übernehmen werden. Wir wissen um die Bedeutung, die sich nicht nur aus unserer wirtschaftlichen Stärke, sondern auch aus unserer geografischen Lage in der Mitte Europas ergibt. Als Drehscheibe der Allianz sind wir Aufmarschgebiet und rückwärtiger Operationsraum. Durch die Gestellung von Infrastruktur, Logistik und Host Nation Support ermöglichen wir schnelle Truppenbewegungen. Und auch mit dem Joint Support and Enabling Command in Ulm haben wir als Framework-Nation Verantwortung übernommen. Durch all diese Anstrengungen leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Abschreckung und zur Verteidigung im Bündnis.

Steigende Anforderungen Die bestehenden Herausforderungen sind vielfältiger denn je. Damit ist klar, dass auch die Anforderungen an Deutschland und die Bundeswehr weiter steigen. Deutschland muss einen entsprechenden Beitrag zu Sicherheit und Frieden in und für Europa leisten. Wir müssen uns dafür einsetzen und einbringen, die europäische Handlungsfähigkeit zu stärken. Die Stärkung europäischer Handlungsfähigkeit ist dabei keine Schwächung der NATO und stellt sie schon gar nicht infrage, im Gegenteil: Unsere Allianz funktioniert und erfüllt ihren Zweck. Für die Bundeswehr bedeutet diese gewachsene Verantwortung, dass sie so aufgestellt sein muss, dass sie ihren Kernauftrag, die Landes- und Bündnisverteidigung, und auch die gleichrangigen Aufgaben des internationalen Krisenmanagements wahrnehmen kann. Sie muss eine moderne, einsatzbereite Bündnisarmee sein, die es Partnern und Alliierten durch ihren breiten Fähigkeitsmix ermöglicht,

Zukunft des taktisch-operativen Lufttransports Forderungen an einen schweren Transporthubschrauber (BS/Generalmajor a. D. Reinhard Wolski). Die Bedrohungsanalysen für mögliche Bündnis- und Landesverteidigung wie auch für “Low Intensity Conflicts” und asymmetrische Kriege liegen vor, ebenso die Verstärkungs- und Reaktionsplanungen im Rahmen der NATO. Ob der Schwerpunkt künftig auf Operationen niedriger bis mittlerer Intensität außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes liegt, oder Operationen hoher Intensität (Art. V) eintreten können, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. • Nutzlast 13 Tonnen bis 15 Tonnen, • Reichweite 1.000 km mit 6.5 Tonnen Nutzlast, 300 km mit 13 Tonnen Nutzlast, • Bis zu 50 vollausgerüstete Soldaten, mindestens jedoch 36. Diese multinationalen Planungen scheiterten, ebenso eine Vereinbarung zwischen den Firmen Boeing und Eurocopter (heute Airbus) über die Neuentwicklung eines europäischen schweren Transporthubschraubers. Übrig blieb ein nationaler deutscher Alleingang, der in das 2020 zunächst ausgesetzte Vergabeverfahren mündete. Zur Spezifizierung des Bedarfs wurden Missionsprofile beschrieben, die durch den STH zu erfüllen sind. Man fokussierte dabei auf den Einsatz von Spezialkräften, Personnel Recovery, aber auch auf luftgestützte Einsätze/ Air Assault. Diese Einsätze erfolgen vorwiegend im Wirkverbund Landstreitkräfte-Luftstreitkräfte und umfassen alle Luftfahrzeugmuster sowie vernetzte Unmanned Aerial Systems (UAS). Hier treffen wir auf einen Kernpunkt operativer Forderungen: Der digitalisierte Verbund von modernen Kampf-, Aufklärungs- und Transporthubschraubern, zusammen mit UAS, ist ein Kernelement moderner Operationsführung, auf die die Bundeswehr nicht verzichten darf. Wer denkt, er könne Landoperationen

erfolgreich ohne das Nutzen der dritten Dimension führen, hat das Gefecht in der zweiten Dimension verloren. Die STH-Besatzung muss Einsatzaufträge sowohl unter Feindbedrohung oder -einwirkung, sehr schwierigen Nacht- und Geländebedingungen als auch bei extrem niedrigen Sichtweiten durchführen, wenn die Entscheidung gesucht wird, eine kritische Lage bereinigt werden muss oder Personal schnell zu evakuieren ist. Eine sehr herausfordernde Mission wäre z. B. auch das Zusammenwirken mit Seestreitkräften in einem streitkräftegemeinsamen Umfeld (Joint Environment). Die luftfahrzeuginterne Führungsfähigkeit unterstützt die “Situational Awareness” der Besatzung und der Einsatzkräfte. Die luftfahrzeugexterne Führungsfähigkeit umfasst, den Einsatzforderungen folgend, HF, VHF, UHF und EHF-Verbindungen, die resilient ausgelegt sind. Die Avionik unterstützt mit Flugführungssystemen und Missionsplanungs- und Unterstützungssystemen die Luftfahrzeugbesatzung. Dabei ist eine offene Avionikstruktur zu wählen, die Produktverbesserungen, die Implementierung auch neuer taktischer Grundlagendaten, Geländedaten und taktischer Datenlinks (TDL) zulässt. Schwierige Landungen, z. B. Staub- oder Schneelandun-

gen, müssen durch sensorgestützte Landehilfen unterstützt werden. Dazu gehört eine Anzahl verschiedener Sichtsysteme für die Flugführung bei Nacht und schlechter Sicht, die den Besatzungsmitgliedern bestmögliche Sicht und Diskreditierung von Zielen und Umgebung bietet. Aktive und passive Schutzmaßnahmen vergrößern die Bandbreite einer solchen Auftragsdurchführung. Während Passagiere und Missionsspezialisten im Innenladeraum, dem “hinteren Kampfraum” des Hubschraubers, durch ballistischen Schutz und Sitze mit erheblich erhöhter Crash­sicherheit geschützt werden und hier bisher der Schwerpunkt der Schutzkonzepte lag, sollte für den STH ein

integriertes Schutzkonzept zur Anwendung gebracht werden. Grundsätzlich gilt dabei: • Triebwerke und andere dynamische Komponenten sind so ausgelegt, dass sie den Hubschrauber schützen. • Der Hubschrauber schützt Besatzung und Passagiere/Missionsspezialisten/Ladung. • Besatzung und Missionsspezialisten erfüllen den Auftrag. Diese relativ einfache Regel resultiert dann in einem umfassenden Konzept mit Teilaspekten wie hoher Agilität des Gesamtsystems im Fluge auch bei hoher Zuladung, hohen Leistungsreserven in der Gesamt-Triebwerksleistung sowie aktiven und passiven Schutzsystemen.

Nachfolgemuster dringend gesucht: CH-53 GS verbringt Außenlast in Afghanistan. Foto: BS/Bundeswehr, Frank Krautscheid

reibungslos andocken zu können – ganz gleich in welchem Szenario. In den vergangenen Jahren haben wir dazu schon viel veranlasst. Und wir sehen erste Erfolge. Eine grundlegende Reform der Bundeswehr ist nicht erforderlich. Die seit 2016 eingeleiteten Trendwenden greifen. Wir füllen personell weiter auf, der Ausstattungsgrad in den Streitkräften steigt und unsere Reserve wächst. Allerdings sind die angestrebten Verbesserungen noch nicht überall zu spüren und wir müssen den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Wir haben unsere Defizite in den vergangenen Jahren ausführlich analysiert. Die Analysen liegen auf dem Tisch. Ein Blick hinein zeigt: Es ist an der Zeit, die Bundeswehr noch konsequenter auf die Erfordernisse der Zukunft auszurichten, um auf die sich immer deutlicher abzeichnenden Entwicklungen zu reagieren. Wir werden bestehende Lücken in der Ausrüstung und Ausstattung weiter schließen und die Fähigkeiten der Bundeswehr in der gesamten Bandbreite unter Berücksichtigung des technologischen Wandels weiter modernisieren, damit sie ihre Rolle für die beschriebenen Herausforderungen umfassend wahrnehmen kann. Wo erforderlich, werden wir Führungs-, aber auch Beschaffungs- und Nutzungsstrukturen adaptieren, um diese funktionaler und resilienter zu machen. Schon in diesem Frühjahr werden wir die erforderlichen Justierungen durch die Veröffentlichung von “Eckpunkten für die Bundeswehr der Zukunft” veranlassen, um die Bundeswehr ohne langwierige Reform, mit schnellen Schritten für künftige Herausforderungen gut aufzustellen. So vorbereitet, werden wir zusammen mit unseren Partnern und Alliierten auch in Zukunft für den Frieden und die Freiheit in Deutschland, Europa und der Welt einstehen.

General Eberhard Zorn spricht auf der ersten digitalen Berliner Sicherheitskonferenz am 18. Mai: www.euro-defence.eu.

Die Besatzungsausbildung erhält bei einem zukünftigen STH noch mehr Gewicht als bisher. Zusammen mit dem STH sind deshalb konsequent auch die Komponenten eines modularen Ausbildungssystems zu entwickeln und zu beschaffen, die bei den gegenwärtigen Luftfahrzeugen nicht oder nur unzureichend ab­gebildet werden konnten. Da die Realflugstunde zukünftig auch eine knappe Ressource sein wird, muss eine “Familie” der Ausbildungsmittel für einen STH inte­grierte Lern- und Trainingssysteme, Cockpit- Cabin- sowie Techniktrainer und Full-MissionSimulatoren etc. umfassen. Der STH wird hoffentlich ab ca. 2024 als zukünftiger Transporthubschrauber die Deutschen Streitkräfte im Einsatz unterstützen, wo immer und in welcher Intensität dieser Einsatz auch stattfinden mag. Besatzung und der volldigitalisierte Hubschrauber bilden dabei eine synergetische und untrennbare Einheit im Einsatz, die es dem Bedarfsträger – vornehmlich der luftbeweglichen Infanterie sowie den Spezialkräften – ermöglichen wird, das volle operationelle Leistungsspektrum zur Dominanz in symmetrischen und asymmetrischen Konflikten auszunutzen. Die Beschaffung eines STH ist, an den ersten Planungen gemessen, seit zehn Jahren überfällig. Jedes weitere Jahr der Verzögerung lässt eine einzigartige Fähigkeit weiter verschwinden, über die Deutschland einst mit über 100 mittleren Transporthubschraubern in Europa verfügte und die heute angesichts ungewisser Konflikte noch wichtiger ist als bisher.


Verteidigung

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ehörden Spiegel: Ihr Vorgänger hat den “Bierdeckel-Plan Heer” herausgegeben. Das Zwischenziel VJTF 2023 wurde nach Ihren Worten auf bundeswehr.de noch nicht erreicht. Wie ist der derzeitige Sachstand?

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Die Entwicklung des Deutschen Heeres Interview mit dem Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais

(BS) Die strukturellen Planungen des Heeres hängen immer an der materiellen Ausstattung – und diese ist in der Vergangenheit zugunsten anderer Großprojekte oftmals ausgeblieben. Allerdings dürfe Deutschland nicht – etwa durch veraltete Funktechnologie von vor dem Mauerfall – zur Gefahr Generalleutnant Alfons Mais: der Bündnispartner in einem Einsatz werden, betonte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, im Interview mit dem Behörden Wie jeder Plan steht und fällt Spiegel. Die Fragen stellten Dorothee Frank und Generalmajor a. D. Reinhard Wolski.

auch der PLAN HEER mit dem Eintreffen von Grundannahmen wie z. B. ausreichender Finanzierung und zeitgerechtem Zulauf von Material. Viele Bestimmungsgrößen liegen dabei nicht in der Hand des Heeres. Wir haben in dem langen Anlauf zur VJTF 2023 vieles geschafft. Wir haben ein neues Battle-ManagementSystem eingeführt. Wir haben das “System Panzergrenadier”, bestehend aus dem Puma VJTF und dem “Infanteristen der Zukunft Erweitertes System” (IdZ ES) durch eine herausfordernde Einsatzprüfung gebracht. Das wird uns voraussichtlich auch mit dem Leopard II A7V noch in diesem Jahr gelingen. Wir haben die Grundmobilität gestärkt, die Einsatzstrukturen organisatorisch und personell verstärkt. In der Ausbildungslandschaft für die VJTF wurde das Gefechtsübungszentrum qualitativ verbessert und vieles weitere mehr. Es ist also bei Weitem nicht so, als wäre nichts passiert. Es ist aber auch wahr, dass wir nicht so weit gekommen sind, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir können im Heer zwar einiges durch Material- (und auch Personal-)verschiebungen für die VJTF kompensieren, wir dürfen dabei aber nicht außer Acht lassen, dass jede Verschiebung beim abgebenden Truppenteil teils große Lücken hinterlässt, die sich auch auf den Ausbildungsstand der abgebenden Truppe auswirken. Das ist gerade vor dem Hintergrund sich ohnehin pandemiebedingt aufstauender Ausbildungsbugwellen besonders schmerzhaft. Unbefriedigend ist, dass wesentliche Fähigkeitslücken (wieder) nicht zeitgerecht geschlossen werden können. Angesichts aktueller Konflikte ist die Bedrohung aus dem bodennahen Luftraum erneut sehr stark in den Fokus gerückt. Obwohl das Heer bereits 2016 auf diese Bedrohung hingewiesen hat, werden die ersten Systeme der qualifizierten Fliegerabwehr wohl erst während des laufenden VJTF-Auftrages in der Truppe verfügbar sein. Hier bedarf es jetzt gemeinsamer Anstrengungen, ggf. auch abseits etablierter Prozesse und Verfahren, um dieses Projekt endlich mit Priorität zu realisieren. Behörden Spiegel: Als aktuellen Schwerpunkt benannten Sie die Division 2027. Wie soll diese konkret aufgestellt sein?

Generalleutnant Mais: Während die VJTF sich in der Umsetzungsphase befindet, ist die Division 2027 unverändert mein absoluter Planungsschwerpunkt, denn mit dieser Division erfüllen wir zukünftig umfangreiche Bündnisverpflichtungen und prägen für unsere multinationalen Partner eine starke Schulter aus. Dabei – um es knapp zusammenzufassen – wird die Division 2027 nicht viel anders aussehen als eine heutige Division. Nur dass das Material und Gerät in ausreichendem Umfang vorhanden sein soll und – teils weil neu beschafft, teils weil nachgerüstet – um einiges moderner sein wird. Die Bedeutung der für die Division benötigten 266 Schützenpanzer Puma VJTF, der 43 schweren Waffenträger auf Basis der Plattform Boxer wie auch von verbesserten Führungssystemen habe ich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder betont. Aber die Modernisierung betrifft auch ganz andere Bereiche. Ein Beispiel: Moderne

Transportfahrzeuge erlauben das schnelle, automatisierte Abladen bzw. Aufnehmen von Ladepritschen und stehen nach wenigen Minuten für den Folgeauftrag bereit. Stehen diese nicht zur Verfügung, dann entscheiden erst viele anpackende Hände darüber, wie lange das Be- und Entladen dauert – während der Lkw steht und die Soldatinnen und Soldaten vor Ort verwundbar sind. In der Summe ist die Division 2027 – verglichen mit anderen, teils politisch sensitiven Großprojekten, deren Realisierungskosten und Umsetzungsrisiken weit höher liegen – ein verhältnismäßig kostengünstiges Projekt, das sich zudem relativ schnell und verlässlich realisieren lässt. Auf dem Preisschild stehen in den nächsten Jahren ca. 5,9 Mrd. Euro offene Bedarfe. Fakt ist aber: Einmal sicher finanziert, wird die Division 2027 im Bündnisrahmen sicherheitspolitische Wirkung entfalten und die Zuverlässigkeit Deutschlands untermauern – in Zeiten, wo wir Aufmärsche russischer Landstreitkräfte in erheblichem Umfang an der Grenze zur Ukraine sehen, auch dringend geboten. Diese Bedrohung ist, unabhängig von ihrem operationellen Kontext, real, sie ist nicht hybrid, nicht Cyber, man kann sie anfassen. Behörden Spiegel: Was muss hierfür in Rüstung und Struktur geschehen? Generalleutnant Mais: Das hängt maßgeblich davon ab, was die zukünftige Hauptrichtung der Bundeswehr sein wird. Die für die nächsten Jahre entscheidende Frage nach dem “Ob” und “Wie” einer Stärkung der Dimension Land gruppiert sich ganz klar um den gewählten Organisationsansatz: “Fahren” eines optimierten Grundbetriebs oder ein zunehmend kaltstartfähiges, schrittweises Hineinwachsen in die uneingeschränkte Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung. Die Potenzialanalysen erwartbarer Gegner erfordern für die Landstreitkräfte wieder organische und aus dem Stand einsatzbereite Großverbände mit schneller Verfügbarkeit. Gerade für eine glaubhafte Abschreckung weit vorne an den Bündnisgrenzen muss ich alle Kräfte in derselben Beintasche beieinanderhaben. Wir können uns in unsicheren, undurchsichtigen Lagen kein Umgliedern, keine internen Unterstellungswechsel, keine fragmentierten Kontingentaufstellungen mehr leisten. Dafür wird der mögliche Gegner uns keine Zeit lassen. Nur kohäsiv organisierte und weitgehend bruchfrei aus einer Hand geführte Landstreitkräfte werden am “scharfen Ende” der Landes- und Bündnisverteidigung bestehen können. Behörden Spiegel: Was wären die jeweils drei wichtigsten Projekte in Richtung 2027? Generalleutnant Mais: Ich werde oft gefragt, “Was ist das Wichtigste für das Heer?”. Dahinter steckt oft die Idee, die nicht genannten Dinge “wegzupriorisieren”. Also Kurzantwort: Das Heer braucht moderne Vollausstattung aller Systemverbünde in allen Domänen. Was dafür bislang – unter Verweis auf unsere Ambitionen und die Zusagen gegenüber der NATO – vom Heer für die Division 2027 gefordert

führen uns eines wieder wie durch ein Brennglas vor Augen: Die Bedrohung durch Unmanned Aerial Systems – UAS – im bodennahen Luftraum ist real, letal und eben auch zunehmend im Internationalen Foto: BS/Deutsches Heer Krisenmanagement relevant. Für wurde, sollte nun auch verläss- diese Fähigkeitslücken brauchen wir schnelle Lösungen, die zum lich zufließen. Problem passen. Und zwar bereits Behörden Spiegel: Das Heer heute, nicht erst, wenn es zu spät konkurriert mit mehreren früher ist. Es handelt sich so gesehen als “gesetzte Großvorhaben” be- in größerem Maßstab um einen zeichneten Projekten. Werden “Sofortbedarf im Einsatz”! Das von Ihnen angesprochene diese Vorhaben dem Heer nicht die Luft bei der Modernisierung Luftverteidigungssystem Nahund Nächstbereichsschutz – LVS abdrehen? NNbS – kann dabei zum Problem Generalleutnant Mais: Groß- passen, jedoch ist die umfasvorhaben des Heeres haben seit sende Fähigkeit zur Abwehr von 2018 bis Ende 2020 nur 13 Pro- Bedrohungen durch Kleinstdrohzent aller 25 Mio.-Euro-Vorlagen nen nicht in der Anfangs-, sonausgemacht. Dieses Delta kön- dern erst der Folgebefähigung nen unsere oftmals kleinteilige- des LVS NNbS vorgesehen, alren Aufgabenpakete im Heer, so frühestens zum Ende dieses immerhin die größte Teilstreit- Jahrzehnts. Hier gilt es jetzt im kraft, nur teilweise erklären. Ich engen Zusammenwirken mit der will damit nicht den Blick für den Luftwaffe zu prüfen, wie die aus enormen Nachholbedarf auch in diesem Teilprojekt erforderlichen anderen Bereichen verstellen, Komponenten zur Abwehr von denn bei allen Teilstreitkräften Kleinst-UAS vorgezogen werden und militärischen Organisati- können, um diese gravierende onsbereichen gibt es viel zu tun. Fähigkeitslücke, die alle Kräfte Nur darf es im Umkehrschluss gleichermaßen betrifft, schnellstnicht dazu führen, dass un- möglich zu schließen. sere vergleichsweise kleineren Diesem Ziel dürfen weder VerBeschaffungsvorhaben immer antwortlichkeiten und Abläufe im den “großen Brocken” geopfert werden. Das betrifft nicht nur die Frage der durchhaltefähigen Befähigung des Heeres für seine Aufgaben. Moderne und vor allem verfügbare kriegstaugliche Ausrüstung ist zugleich eine wesentliche Voraussetzung für gute Ausbildung und letztendlich auch die Motivation der Truppe – der aktiven Truppe, unserer Reserve und nicht zuletzt auch der Frauen und Männer, die sich als Bewerber für eine Laufbahn im Heer interessieren. Wenn den Soldatinnen und Soldaten weiterhin nur veraltete Technologie zur Verfügung stehe, “dann werden wir auf einem modernen Gefechtsfeld zum Bremsklotz und zur Gefahrenquelle für andere”, betont der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais.

Behörden Spiegel: Noch einmal zur Domäne Wirkung. Welche Lehren zieht das Deutsche Heer aus dem Ukraine-Konflikt – außer der sehr stringenten Entwicklung qualifizierter Fliegerabwehr neben dem Projekt Nah- und Nächstbereichsschutz der Luftwaffe? Generalleutnant Mais: Das Heer hat bereits 2016 die zunehmende Bedrohung durch kleine und kleinste Drohnen aus dem bodennahen Luftraum erkannt und daher bereits damals das Projekt der qualifizierten Fliegerabwehr zum Schutz der VJTF (L) 2023 angestoßen. Wie bereits zuvor gesagt, gehört auch dieses Projekt zu denjenigen, die leider aufgrund von Projektverzögerungen nicht zeitgerecht für die VJTF zur Verfügung stehen werden. Wenn jetzt alle an der Einführung beteiligten Stellen an einem Strang ziehen, dann ist aber ein Zulauf der ersten Systeme ca. Mitte 2023 realistisch. Das müssen wir mit Nachdruck verfolgen. Das ändert aber nichts daran, dass die qualifizierte Fliegerabwehr sowohl qualitativ als auch quantitativ nicht ausreichend für den Schutz der Landstreitkräfte ist. Hier schaue ich einerseits auf die Division 2027, gleichzeitig aber auch auf die aktuellen Einsätze im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements. Denn alle aktuellen Konflikte

Planungsprozess noch langwierige Technologieentwicklungen entgegenstehen. Vielmehr sollten wir schnell marktnahe und bewährte Technologien testen und beschaffen. Behörden Spiegel: Wie entwickelt sich die zweite Angriffsachse auf dem Bierdeckel, das Heer 4.0 2032? Generalleutnant Mais: Beide Achsen im PLAN HEER hängen voneinander ab – mangelnder Angriffsschwung auf der einen Seite wirkt sich negativ auf die andere aus. Und auf der unteren Angriffsachse gibt es Nachsteuerungsbedarf! Hier müssen wir hart um die Haushaltsmittel in Höhe von ca. 1,2 Mrd. Euro für die ersten der kommenden Umsetzungsschritte kämpfen. Wenn diese bislang nur zu einem Bruchteil freigegeben oder gar umgesetzt werden, wie z. B. im Falle der Digitalisierung landbasierter Operationen (DLBO) oder für einen durchgängigen Informations- und Kommunikationsverbund, dann erfüllen wir absehbar nicht mehr den Anspruch, den wir an uns selbst als Anlehnungsnation haben. Wenn es absehbar weiter so ist, dass unsere europäischen Partner ihre Funkgeräte erst in den Notbetrieb herunterschalten müssen, um mit deutscher Verbindungstechnik von vor dem Mauerfall zu kommunizieren, dann werden wir auf einem modernen Gefechtsfeld zum Bremsklotz und zur

Gefahrenquelle für andere. Das schadet dem Heer und damit den Landstreitkräften und ist schlussendlich keine sonderliche Motivation für die Männer und Frauen in der Truppe, die das Erlebte mit unserem erklärten Willen zur Multinationalität kaum mehr in Deckung bringen können. Behörden Spiegel: Zwei letzte kurze Fragen: Was ist zurzeit das höchste Risiko für die Entwicklung des Deutschen Heeres, was die größte Chance? Generalleutnant Mais: Höchstes Risiko: Fehlende finanzielle Hinterlegung zur auftragsgerechten Ausstattung des Heeres und, um es nochmals hervorzuheben, die langfristig fehlende Fähigkeit zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten gegen Bedrohungen aus dem bodennahen Luftraum. Das Ausbleiben dauerhaft steigender Investitionsanstrengungen für das Heer hat zur Folge: Verlust des Eigenschutzes, der Führungs- und Aufklärungsfähigkeit und der Wirkungsdominanz unserer Landstreitkräfte gegen einen mindestens gleichwertigen Gegner – mit allen Folgen für die Sicherheit unseres Landes. Größte Chance: Das unverändert enorme Engagement und Potenzial der Soldatinnen und Soldaten des Heeres, gemeinsam unseren Auftrag zu erfüllen. Das beweisen sie jeden Tag in den laufenden Einsätzen und Einsatzgleichen Verpflichtungen. Und gleichzeitig die herausragende multinationale Zusammenarbeit innerhalb der LandstreitkräfteCommunity in Europa, die in ihrer unterschiedlichen Ausprägung von tiefer Integration, gemeinsamen Übungen, gegenseitiger Unterstützung im Einsatz bis hin zur koordinierten Weiterentwicklung von Fähigkeiten reicht.


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ier ist die gebürtige Thüringerin, die an der Technischen Universität Dresden studierte, seit 2012 tätig. Zuvor arbeitete die 38-Jährige im Bereich medizinische Ergonomie an der Technischen Universität Berlin. Hier war sie unter anderem mit der richtigen Bedienung von Medizinprodukten befasst. “Dort fehlten mir allerdings die praktischen Einblicke”, berichtet sie. Von 2008 bis 2010 arbeitete Völker bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Dabei handelt es sich um eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMAS. Hier sei aufgrund ihrer Beschäftigung mit den Themen Ergonomie und Mensch-Maschine-Interaktion die Nähe zur Praxis deutlich größer gewesen. An ihrer Arbeit bei der Unfallkasse schätzt sie eines ganz besonders: “Hier gibt es genau die richtige Mischung zwischen Theorie und Praxis”, unterstreicht die Maschinenbauingenieurin, die in der Vertiefung Arbeitsingenieurwesen studierte. Bei Letzterem merkte Völker schnell, dass “die reine Beschäftigung mit Technik für mich nicht zielführend war. Der Mensch war mir immer wichtiger als die Technik.” Genauso wichtig sei ihr bereits im Studium die Gestaltung gesunder Arbeit gewesen.

Zahlreiche Praxisbezüge vorhanden Bis zu ihrem Wechsel zur Unfallkasse Berlin hätten ihr allerdings die praktischen Einblicke persönlich nie ausgereicht. Dies sei nun als Aufsichtsperson, wofür sie eine zweijährige, in die Berufstätigkeit integrierte Ausbildung absolvieren musste, deutlich besser. Bereits die Ausbildung sei “sehr interessant und umfangreich” gewesen und habe ihr verschiedenste Einblicke in den Arbeitsschutz gegeben. Außerdem findet sie den praktischen Einblick bei der Unfallkasse sehr gut. “Hier habe ich genau das gefunden, was ich gesucht habe. Bei der Unfallkasse gibt es zahlreiche praktische Bezüge und exakt die richtige Aufteilung zwischen Praxis, Beratung und Aufsicht”, lobt sie. Nun hat Völker, die auch Ausbildungskoordinatorin bei der Unfallkasse ist und als solche den in Ausbildung befindlichen Aufsichtspersonen tiefe Einblicke in die von ihr kontrollierten Betriebe gibt, umfangreiche Befugnisse als Aufsichtsperson. Dazu gehören gemäß der Bestimmung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter anderem die Möglichkeit zur Akteneinsicht, ein jederzeitiges Betretungsrecht von Dienstgebäuden sowie zu Bereichen, in denen datenschutzrechtliche Fragen und Betriebsgeheimnisse eine besondere Rolle

Behörden Spiegel / Mai 2021

Genau die richtige Mischung Katy Völker ist Aufsichtsperson bei der Unfallkasse Berlin (BS/Marco Feldmann) Sie kontrolliert den Arbeitsschutz im Öffentlichen Dienst der Bundeshauptstadt. Zudem überwacht sie – gerade in Zeiten der Corona-Pandemie – die Einhaltung der Corona-Arbeitsschutzverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Denn die gilt auch für die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen. Die Rede ist von Katy Völker, Aufsichtsperson bei der Unfallkasse Berlin. ganz anders, berichtet Völker. “Seit März vergangenen Jahres hat bei uns der große Ansturm eingesetzt.” Inzwischen kämen ihre Kollegen und sie teilweise an Ressourcengrenzen, da sie bei jeder Änderung der Infektionsschutzverordnungen unzählige An- und Nachfragen erhielten und immer an den entsprechenden Prozessen beteiligt würden.

Mehr Unabhängigkeit wegen spezieller Struktur

Katy Völker arbeitet als Aufsichtsperson bei der Unfallkasse Berlin. Im Rahmen dieser Tätigkeit kontrolliert sie den Öffentlichen Dienst der Bundeshauptstadt mit Blick auf den Arbeitsschutz. So führt sie auch Kontrollen und Beratungen durch, wie hier im Bezirksamt Spandau. Fotos: BS/Feldmann

spielen. Außerdem dürfen Völker und ihre Kolleginnen und Kollegen Stoffproben nehmen, Befragungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchführen, bei denen die Befragten zur Wahrheit verpflichtet sind, und Ermittlungen bei Unfällen und Berufskrankheiten anstellen.

Ehrenamtlich in DRK-Wasserrettung aktiv Dies ist etwa der Fall, wenn ein gesamtes Amt von Corona betroffen ist. “Dann schauen wir, woher dieser massive Ausbruch gekommen sein könnte”, erläutert die gebürtige Suhlerin, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich bei der Wasserwacht des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) engagiert. Zugleich macht die begeisterte Sporttaucherin jedoch auch deutlich: “Von diesen Rechten machen wir im Öffentlichen Dienst jedoch nur ganz selten Gebrauch. Das gilt auch für die Möglichkeit von unangekündigten Besuchen, da wir diese Instrumentarien hier im Regelfall schlicht nicht benötigen”, betont die Aufsichtsperson. Zuständig ist Völker unter anderem für die Tarifbeschäftigten von sechs der zwölf Berliner Bezirksämter, die andere Hälfte kontrolliert und berät ein Kollege von ihr, sowie für die Theater, Opern, Museen, Archive und Bibliotheken der Stadt. Dazu zählen unter anderem der

Ihr geht es bei ihren Begehungen nicht um das Belehren oder das Ausschöpfen aller rechtlichen Möglichkeiten. Dies sei im Öffentlichen Dienst auch überhaupt nicht nötig, meint die studierte Maschinenbauingenieurin. Viel wichtiger sei die Gesunderhaltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Friedrichstadtpalast und die Staatsoper. Dort berät sie auch zu Fragen des Arbeitsschutzes, etwa zu Hygienekonzepten, und schult Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes zu Fragen betreffend Gefährdungsbeurteilungen. Bei Letzterem stellt Völker immer wieder fest, dass es hier bei Führungskräften teilweise noch an Wissen und Sicherheit mangelt. Sie sagt aber auch: “Verstöße im Arbeitsschutz erfolgen nicht

Hier hat ein Widerspruch des Arbeitgebers auch keine aufschiebende Wirkung. Dazu meint die Aufsichtsperson, die den Aufbau der Corona-Impfzentren mit koordiniert hat und dafür von der Unfallkasse freigestellt wurde: “Das erlebe ich regelmäßig. Zu dieser Maßnahme muss ich etwa zweibis dreimal im Jahr greifen. Das trifft dann bei den Arbeitgebern zwar nicht immer auf Wohlwollen und Verständnis, die betroffenen Arbeitnehmer "Wir wollen, dass die Beschäftigten halten sich aber sicher und gesund arbeiten können. daran, weil hier auch viel aufgrund Außerdem geht es uns darum, sie zu von Gewohnheiten geschieht.” Eine schützen." solche Anordnung aus Böswilligkeit, sondern aus erlässt Völker etwa, wenn ungesiUnwissen oder Zeitdruck.” chert auf Dächern gearbeitet wird Rein rechtlich darf die Aufsichts- oder sie einen nicht sachgerechperson übrigens auch Kontrollen ten Umgang mit Gefahrstoffen im Homeoffice durchführen, da feststellt. Eine weitere Sanktionsmögliches sich dabei um einen Arbeitsplatz wie jeden anderen auch keit besteht in der “normalen” handelt. “In der Praxis machen Anordnung ohne Dringlichkeit. wir das jedoch nicht, auch weil Vorab wird der Arbeitgeber dabei es sich bei der Unverletzlichkeit unter Fristsetzung zur Mängelder Wohnung um ein wichtiges beseitigung aufgefordert. Kommt Grundrecht handelt und eine er dieser nicht nach, findet ein solche Maßnahme juristisch sehr Anhörungsverfahren statt. Zeigt gut hergeleitet werden müsste”, sich der Arbeitgeber weiterhin erläutert Völker. Beratungen zur uneinsichtig, wird eine förmliche Gestaltung von Telearbeitsplät- Anordnung mit der Möglichkeit zen werden von den Unternehmen zum Widerspruch innerhalb einer aber immer wieder nachgefragt. Frist von vier Wochen erlassen. Generell würden ihre Kollegen Anschließend kann der Fall in und sie immer sehr genau abwä- das Widerspruchsverfahren oder gen, was sie den Betrieben und sogar vor Gericht gehen. Wird Beschäftigten zumuten könnten eine rechtskräftig gewordene und was möglicherweise unver- Anordnung, in der die Unfallhältnismäßig wäre. Augenmaß kasse konkrete Vorgaben macht, und Ermessen seien sehr wich- weiterhin nicht befolgt, kann ein tig. Handlungsleitend sei dabei Bußgeld erlassen werden. Zudem zweierlei: “Wir wollen, dass die besteht die Möglichkeit zur ErBeschäftigten sicher und gesund satzvornahme oder sogar zum arbeiten. Außerdem geht es uns Erlass von Zwangshaft. “Im Öffentlichen Dienst haben darum, sie zu schützen.” wir dieses Instrumentarium allerVerschiedene Handlungsdings bisher nur äußerst selten möglichkeiten benötigt”, erzählt Völker. Denn: Um das durchsetzen zu können, “Der Öffentliche Dienst ist viel steht Völker, die vor Ausbruch besser als sein Ruf.” So hätten der Corona-Pandemie pro Jahr auch die öffentlichen Arbeitgeetwa zehn bis 15 anlassbezo- ber viele ihrer Beschäftigten ins gene überwachende Begehun- Homeoffice geschickt und dort gen durchführte, bei denen sie arbeiten lassen, soweit das die selbst den Termin festlegt und jeweilige Tätigkeit zuließ. eine sehr umfangreiche Organisationsprüfung vornimmt, ein Hohes Arbeitspensum wegen vielfältiger Instrumentenkasten Corona zur Verfügung. Das schärfste Das habe auch Auswirkungen Schwert ist die sofort vollziehbare auf die Unfallkasse selbst geAnordnung, die auch im Rahmen habt. Im ersten Lockdown ab von Beratungsterminen erfolgen Februar letzten Jahres sei es kann, um die die Behörde selbst dort für einen Monat sehr ruhig gebeten hat. gewesen. Es hätten kaum BeDabei handelt es sich um eine schäftigte angerufen, um sich unmittelbare Tätigkeitsuntersa- beraten zu lassen oder Fragen zu gung wegen Gefahr im Verzug. stellen. Inzwischen sei das wieder

In der Bundeshauptstadt gibt es als staatliche Arbeitsschutzbehörde das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi). Dieses nimmt den Beratungs- und Überwachungsauftrag gemäß Arbeitsschutzgesetz wahr. Die Unfallkasse hingegen, bei der es sich auch um eine Berufsgenossenschaft handele, habe ebenfalls sowohl einen beratenden als auch einen überwachenden Charakter. Sie habe zudem andere Befugnisse und Möglichkeiten als das LAGetSi. Daher stehe man mit der Behörde, die rein rechtlich auch den Öffentlichen Dienst sowie die Unfallkasse als Arbeitgeber kontrollieren dürfte, in engem Austausch. “Wir haben kein Konkurrenzverhältnis zum LAGetSi, sondern ergänzen uns sehr gut”, meint die Aufsichtsperson. Es gebe absprachegemäß eine Arbeitsteilung zwischen den Einrichtungen. Das LAGetSi kümmere sich demnach auch um den sozialen Arbeitsschutz und Fragen des Mutterschutzes. Die Unfallkasse Berlin berate und kontrolliere

den Öffentlichen Dienst. Zugute kommt ihr dabei aus Völkers Sicht, dass sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die sich selbst trägt und nicht zum Land Berlin gehört. Damit sei man als Berufsgenossenschaft, auch wenn man nicht so heiße, nicht in die Verwaltungsstrukturen eingebunden. “Wir tragen uns vielmehr selbst und haben eine Selbstverwaltung, die sich per Sozialwahl aus unseren Mitgliedsbetrieben zusammensetzt. Da wir, im Gegensatz zum LAGetSi, nicht Teil der Strukturen sind, können wir gegenüber dem Öffentlichen Dienst anders auftreten. Außerdem haben wir mit dem autonomen Regelwerk der Unfallversicherungsträger ein ergänzendes Recht, das detaillierter auf einzelne Branchen wie zum Beispiel den Hoch- und Tiefbau eingeht, und können manchmal noch differenzierter als etwa das LAGetSi in die Betriebe und Tätigkeiten hineinschauen.” Das liege auch darin begründet, dass die Arbeitsgrundlage für das LAGetSi ausschließlich das staatliche Arbeitsschutzrecht sei. Wegen der Selbstverwaltungsstruktur kontrolliert sich die Unfallkasse, die auch einen starken Fokus auf Ermittlungen bei Arbeitsunfällen hat, arbeitsschutzrechtlich selbst und versichert ihre Beschäftigten auch eigenständig. Die Fachaufsicht über die Unfallkasse Berlin wird derweil von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wahrgenommen. Dort werde unter anderem geprüft, ob die Unfallkasse ihr Ermessen richtig ausübe. Zudem fänden dort Schlichtungen statt, wenn es zu Streitfällen mit anderen Behörden komme, so Völker. Im Gegensatz zu einigen verbeamteten Kollegen in anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften, wo es dann auch noch Aufsichtsbeamte gibt, ist sie bei der Unfallkasse Berlin übrigens als Tarifbeschäftigte angestellt.

Die Unfallkasse Berlin

Die Unfallkasse Berlin ist auch für Arbeitsschutzkontrollen im Öffentlichen Dienst zuständig. Foto: BS/Unfallkasse Berlin

(BS/mfe) Die Unfallkasse Berlin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung für das Land Berlin. Bei ihr sind über eine Million Menschen versichert. Dazu gehören unter anderem Angestellte und Auszubildende des Landes Berlin, Beschäftigte in Privathaushalten, ehrenamtlich Tätige sowie Kinder in Tageseinrichtungen, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende. Sie hat die gesetzliche Aufgabe, Unfällen am Arbeitsplatz, in der Schule und auf den damit verbundenen Wegen vorzubeugen und sie mit allen geeigneten Mitteln zu verhüten. Ebenso soll sie Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren vorbeugen und diese verhindern. Sofern ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, gewährleistet die Unfallkasse Berlin mit allen geeigneten Mitteln die medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation. Außerdem sichert sie entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag die Verletzten und die unter einer Berufskrankheit Leidenden oder deren Angehörige finanziell ab und entschädigt sie gegebenenfalls. Die gesetzliche Unfallversicherung ist eine für die Versicherten beitragsfreie Sozialversicherung. Sie wird von den Unternehmen und vom Land Berlin finanziert. Die Unfallkasse Berlin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. An der Spitze stehen Vertreterversammlung und Vorstand. Diese setzen sich jeweils paritätisch aus gewählten, ehrenamtlich tätigen Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zusammen. Die Aufgabe der Vertreterversammlung ist in etwa mit der eines Parlamentes vergleichbar: Sie beschließt über das autonome Recht, zum Beispiel über die Satzung oder die Unfallverhütungsvorschriften. Der Vorstand legt die Grundsätze der Verwaltungstätigkeit fest, stellt den Haushaltsplan der Unfallkasse auf und führt die Beschlüsse der Vertreterversammlung aus. Die Fachaufsicht über die Unfallkasse Berlin, die über fünf Stabsstellen sowie vier Abteilungen verfügt, nimmt die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wahr. Beim Arbeitsschutz arbeitet die Unfallkasse Berlin eng mit dem Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) zusammen.


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