Behörden Spiegel Januar 2024

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Leitmedium für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. I / 40. Jg / 3. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / Januar 2024

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Wegbereiter, Wegbeschreiter Egal, welchen Berg es bei der Modernisierung und Transformation der öffentlichen Verwaltung zu erklimmen gilt, die einzelnen Projekte werden nur erfolgreich und nachhaltig realisiert werden können, wenn der Mensch von Anfang bis Ende des Weges entscheidender, gestaltender und umsetzender Faktor bleibt. Mehr Informationen zu diesem Schwerpunktthema auf Seite 2.

Grafik: BS/ Marvin Hoffmann unter Verwendung von mast3r / Macrovector, stock.adobe.de

Auf der Spur des Geldes Lindner gründet das Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität (BS/ Hans-Jürgen Leersch) Drogenkartelle, Kleptokraten und Menschenhändler waschen ihr schmutziges Geld nur zu gerne in Deutschland. Geht es nach Finanzminister Christian Lindner (FDP), soll damit durch das geplante Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz bald Schluss sein. „Mit dem Gesetzentwurf zeigen wir der organisierten Finanzkriminalität die rote Karte“, gab sich der Minister kurz vor Weihnachten im Bundestag überzeugt. Die Opposition bezweifelt dies. Der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer spricht sogar von „Entwarnung für alle professionellen Geldwäscher, Mafiosi und Clans“. Das Geldwäsche-Problem ist massiv. Die SPD-Abgeordnete Frauke Heiligenstadt beziffert den Schaden durch Geldwäsche in Deutschland auf rund 100 Milliarden Euro jährlich. Auch Lindner räumt ein: „Deutschland genoss bisher den bescheidenen Ruf, ein Paradies für illegale Finanzgeschäfte zu sein.“ Aufsehen erregte der Fall eines 19-Jährigen aus dem Clan-Umfeld in Berlin, dem mehrere Immobilien gehörten. Obwohl die Herkunft des Vermögens unklar blieb, mussten die beschlagnahmten Vermögensgegenstände wieder zurückgegeben werden. Fälle wie dieser zeigen den Nachholbedarf der Bundesrepublik bei Adressfeld

der Geldwäsche-Bekämpfung. Abhilfe soll das neue Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität (BBF) im Geschäftsbereich von Lindners Finanzministerium schaffen. „Wir schlagen damit ein neues Kapitel bei der Bekämpfung der Geldwäsche auf“, so Lindner. Zuständigkeiten würden gebündelt. Habe man in der Vergangenheit vorrangig die Vortaten (Bekämpfung von Betrug, Drogenhandel, Menschenhandel) im Blick gehabt, werde jetzt „der Spur des Geldes“ gefolgt.

Keine durchgreifenden Befugnisse? Zur künftigen Organisationsstruktur sieht der Gesetzentwurf vor, die bestehende Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfS) und die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) zum 1. Juli 2025 von der Generalzolldirektion (GZD) in das BBF zu überführen. Im BBF soll es künftig eine Zentralstelle für Geldwäscheaufsicht (ZfG) geben. Ein Ermittlungszentrum Geldwäsche (EZG) soll für strafrechtliche Ermittlungen bei bedeutsamen Fällen der internationalen Geldwäsche mit Deutschlandbezug eingerichtet werden. Allerdings wird das EZG nur ergänzend zu den Strafverfolgungs-

Deutschland wird Geldwäscheparadies bleiben.“

Matthias Hauer, CDU-Abgeordneter

behörden tätig werden können. Gedacht ist etwa an die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen. Zudem wird das BBF mit dem Bundeskriminalamt (BKA) durch die Errichtung einer Gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG) verzahnt. Im BKA selbst wird es einen „nachhaltigen Ressourcenaufbau“ im Bereich Geldwäsche geben. Fälle wie den des 19-jährigen Immobilienbesitzers können mit diesem Entwurf nicht zufriedenstellend gelöst werden. Lindner gab das im Bundestag offen zu, als er auf die „Einziehung hochwertiger Vermögensgegenstände unklarer Herkunft“ zu sprechen kam: „Noch befinden wir uns in Abstimmung innerhalb des Ressortkreises.“ Wie zu hören ist, gibt es besonders im Justizministerium von Lindners Parteifreund Marco Buschmann Widerstand, Vermögen unklarer Her-

kunft ohne strafrechtliche Verurteilung einziehen zu können. Lindner sprach von einer „Reihe von sorgfältigen Abwägungen“ hinsichtlich der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.

Justiz modernisieren Die Berliner Justizsenatorin Dr. Felor Badenberg will sich während ihrer Amtsperiode der Modernisierung der Justiz annehmen. Seite 5

Ohne Nachbesserungen keine Erfolgsaussichten Der gesamte Stellenbedarf des BBF wird auf 997 Stellen bis 2027 beziffert. „Die Planstellen und Stellen, die für FIU und ZfS im Bundeshaushalt veranschlagt sind, werden zum 1. Januar 2025 von der Generalzolldirektion zum Bundesamt umgesetzt“, heißt es dazu im Gesetzentwurf. Mehrbedarf muss innerhalb des Einzelplans ausgeglichen werden. Allerdings können hier bei den Haushaltsberatungen Änderungen erfolgen. Die Union zieht ein bitteres Fazit: „Deutschland wird Geldwäscheparadies bleiben“, sagt Hauer. Die Ampel-Koalition schaffe Behörden-Chaos mit überlappenden Strukturen. Lindners neue Behörde dürfe nicht einmal verdeckte Ermittlungen durchführen, kritisiert Hauer. Wenn also bis zum geplanten Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens am 23. Februar im Bundestag nicht nachgebessert wird, wird es für die organisierte Finanzkriminalität nur die gelbe Karte geben.

Mehr Klimaresilienz Wetterextreme wie Hochwasser stellen die Kommunen immer häufiger auf Belastungsproben. Mit dem Konzept der Schwammstadt kann gegengesteuert werden. Seite 12

Zeitenwende im Westen Die Idee des ideologischen Posthistorismus von der Herrschaft westlicher Lebensformen wird mit der Realität des Ukraine-Krieges konfrontiert. Seite 35


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Januar 2024

Auf den Dienst kommt es an

Loyal, qualifiziert und am Recht orientiert...................................................... Seite 4

Müllberge

Abfallproblematik in Städten.......................................................................Seite 11

Können und können wollen

Fachverfahren und Personal müssen cloud-ready werden.............................Seite 24

Ein Jahr EUMAM

Mehr als 10.000 ukrainische Soldaten in Deutschland ausgebildet..............Seite 33

Folgen Sie diesem Icon: Dieses Icon finden Sie auf mehreren Seiten der aktuellen Ausgabe. Es zeigt an, dass es sich bei dem jeweiligen Beitrag um einen Schwerpunktartikel zum Thema „Faktor Mensch“ handelt.

Kurs und Diskurs

Kommentare

Zusammen und vor Ort (BS) Die Kompetenz nationaler Unternehmen wird unterschätzt. Genauso wenig sichtbar ist, wie aktuell Milliarden Subventionen in Branchen investiert werden, in denen ausländische Firmen nach wie vor Marktführer sind. Was an Budget in eine Dresdner Chipfabrik fließt, könnte genauso gut Projekten der Cyber-Agentur oder der SPRIND zugutekommen, die für neue Projekte zum Teil noch zusätzliches USamerikanisches Budget benötigen. Daneben herrscht Unverständnis, wenn deutsche Unternehmen für die Anwendung ihrer Technologien von Dr. Eva-Charlotte Proll und Produkte auch ein gewisses Volumengeschäft fordern. Die Rolle der nationalen Wirtschaft kommt auch in strategischen Papieren der Bundesregierung nicht ausreichend vor. Immer wieder wird zwar die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Technologien bemängelt, aber schlussendlich fehlen die klaren Bekenntnisse zu deutschen und europäischen

Partnerschaften. Auch wenn der Ruf nach Standardisierung als Allheilmittel daherkommt, darf dies nicht zu neuen Abhängigkeiten führen. Denn auch diese können auf die souveräne Meinungsbildung und Handlungsfähigkeit des deutschen Staates einen signifikanten Einfluss haben. In multiplen Krisen unbekannten Ausmaßes ist für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein klares politisches Bekenntnis zu hiesiger Hochsicherheitstechnologie notwendig. Nur so bewahrt sich Deutschland Resilienz und Vertrauen. Die Politik muss Arbeitsplätze durch die Ansiedlung von ausländischen Unternehmen schaffen. Klingt gut. Doch ebenjene Stellen könnten auch schnell wieder gestrichen werden, z. B. durch einen Politikwechsel in den USA. Politik und Verwaltung müssen ihr Bewusstsein dafür schärfen. Letztlich wird man im Wettbewerb der Systeme – Demokratien versus Autokratien – nur die Oberhand behalten, wenn staatliche Souveränität (technologisch und physikalisch) aufrechterhalten werden kann.

Ein Missstand kommt selten allein

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. Herausgeberin und Chefredakteurin Dr. Eva-Charlotte Proll Stellvertretender Chefredakteur Guido Gehrt Leiter des Berliner Büros Ralph Kotsch Aktuelles Öffentlicher Dienst Ann Kathrin Herweg, Sven Rudolf, Hans-Jürgen Leersch Kommune Marlies Vossebrecker, Scarlett Lüsser Digitaler Staat Benjamin Hilbricht, Paul Schubert, Anna Ströbele Sicherheit & Verteidigung Bennet Biskup-Klawon, Jonas Brandstetter, Thomas Hönig, Lars Mahnke, Klaus Pokatzky Sonderkorrespondenten BOS Dr. Barbara Held, Gerd Lehmann Online-Redaktion Tanja Klement Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Zentraler Kontakt Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Tel. 0228/970 97-0 Verlag Berlin 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0

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Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Altpapieranteil 100 Prozent

Für Bezugsänderungen:

(BS) Demonstrationen und das Streikrecht sind wichtige Bestandteile einer Demokratie und sollen an dieser Stelle nicht unnötig infrage gestellt werden. Aber ist es zu viel verlangt, von den Verantwortlichen ein wenig mehr Umsicht zu fordern? Seit Dezember machen die anhaltend hohen Pegelstände, besonders in Niedersachsen, Schlagzeilen. Während sich die Lage vielerorts langsam entspannt, ist dort nach wie vor noch kein Ende in Sicht. Auch an vielen Flüssen sind Brücken ganz oder teilweise gesperrt, Straßen streckenweise unbefahrbar. Der Öffentliche Personennahverkehr ist mitunter ebenfalls betroffen. Für viele, die zur Schule, zur Arbeit oder zu Terminen müssen, ist die Vielfalt verfügbarer Verkehrsmittel aktuell sehr wichtig. Auch Umleitungsstrecken sind unverzichtbar. Trotzdem blockierten die Bauernverbände mit ihren Protesten am 8. Januar nicht nur die Innenstädte, sondern auch Verkehrsknotenpunkte und Autobahnauffahrten. In Mecklenburg-Vorpommern war morgens jede einzelne Autobahnauffahrt betroffen. Auch in den übrigen Ländern sorgten die Aktionen für massive Behinderungen. Inwiefern man die Zusage, Rettungskräfte könnten die Blockaden passieren, auch praktisch jederzeit einhalten kann, ist fraglich.

Und inmitten dieser Situation kündigte die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) nach Ende des Weihnachtsfriedens einen mehrtägigen Streik im Güter- und Personenverkehr an, der das Schienennetz weitgehend lahmlegen sollte. Ja, streng genommen finden Proteste und Streiks nacheinander statt. Aber war es angesichts des Anfang Januar vorliegenden Angebots der Deutschen Bahn und den Kompromissbemühungen der Politik wirklich notwendig, den Verkehr in Deutschland eine volle Arbeitswoche lang so stark einzuschränken? Den Rückgang des Hochwassers kann niemand beschleunigen. Aber die Auswirkungen auf Lieferketten, Mobilität und Co. durch geplante Aktionen so zu verstärken, ist unverhältnismäßig, wobei die jeweivon Tanja Klement ligen Verhandlungspartner nicht die Haupt-Leidtragenden sind. Allen voran die Lokführer verspielen mit ihren Aktionen immer mehr das Verständnis der Bevölkerung, wenn sie nicht auch auf deren Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Ein Umstand, den Verantwortliche zukünftig stärker verinnerlichen sollten, denn Missstände kommen selten allein und nur wenige davon plötzlich.


Aktuelles Öffentlicher Dienst

Behörden Spiegel / Januar 2024

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ie neuen Rahmenbedingungen für den TV-L stehen und versprechen Sonderzahlungen und Gehaltsanpassungen. Die Vorsitzenden der Gewerkschaften zeigen sich zufrieden. So sagt verdi-Vorsitzender Frank Wernecke, dass die Länder mit den Ergebnissen an den Bund anschließen konnten und einige wichtige Grundsteine gelegt werden konnten. So zum Beispiel im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes der Länder, der nach wie vor besonders Frauen betreffe, so Milanie Kreutz, Vorsitzende der DBB-Bundesfrauenvertretung. Sie führt aus: „In diesen Bereichen konnten wir unter Anderem den Wegfall besonderer Stufenlaufzeiten, die Anhebung der Entgeltgruppe S9, eine Zulage von 130 Euro für die Gruppen bis S9 und bis zu 180 Euro für die übrigen Gruppen erwirken.“ Ulrich Silberbach, der Chef des Deutschen Beamten Bundes (DBB)

Warum eigentlich Töchter? TAG DER BETEILIGUNGSVERWALTUNG 27.-28. Februar 2024, Hamburg

www.beteiligungsverwaltung.org

Länder gleichen an den Bund an Ergebnisse der Tarifverhandlungen der Länder (BS/sr) Anfang Dezember waren die Tarifverhandlungen der Länder, trotz offiziell leerer Kassen von Erfolg gekrönt. Auch durch Streiks unterstützt, konnten die Gewerkschaften ein gutes Ergebnis erzielen. Damit ist das Thema allerdings noch nicht abgeschlossen. Nun geht es um die Übertragung der Ergebnisse auf die Beamten der Ländern.

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Tarifergebnisse auf die Beamten zu erreichen bedarf es potenzieller Druckmittel wie des Streikrechts. Dasselbe ist nach Aussagen der Gewerkschaften zur Erreichung der Ergebnisse entscheidend gewesen. Bei Beschwerden im Jahr 2018 vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterten sie jedoch.

Streikverbot legitim

Kaum sind die Tarifverhandlungen der Länder abgeschlossen, geht es darum, diese Ergebnisse auch zeitnah auf die Beamten zu überGrafik: BS/B. Dach; snyGGG auf stock.adobe.com tragen. Das Tauziehen zwischen Gewerkschaften und den 15 Ländern hat also noch kein Ende.

bezeichnet den Gleichzug mit dem Bund als großen Verhandlungserfolg. „Die Arbeitgebenden haben letztlich eingesehen, dass sie es sich schon aus Eigeninteresse nicht leisten können, auf einem immer härter umkämpften Arbeitsmarkt bei der Bezahlung weiter zurückzufallen. Wer Beschäftigte binden und motivieren will, muss sie wettbewerbsfähig bezahlen“, erklärte Silberbach in Potsdam. Die Einkommenssteigerungen für die Beschäftigten liegen zwischen acht und 16 Prozent.

Tarifergebnisse Zum 1. November 2024 werden die Tabellengehälter um den Sockelbe-

trag von 200 Euro erhöht und im Februar 2025 dann noch einmal um 5,5 Prozent, aber mindestens um 340 Euro. Zum Dezember beginnt dann außerdem die stufenmäßige Auszahlung eines steuerfreien Inflationsausgleiches in Höhe von insgesamt 3.000 Euro. Auch für Auszubildende der Länder gibt es eine Gehaltsanpassung. Sie erhalten über zwei Stufen insgesamt 150 Euro mehr als zuvor. Sie erhalten darüber hinaus einen Inflationsausgleich in Höhe von 1.000 Euro. Auch wurde die Übernahme von Auszubildenden geregelt. So sollen alle abschließenden Auszubildenden mit der Note ausreichend oder besser für zwölf weitere Mona-

te und bei einer Note von befriedigend oder besser sogar dauerhaft übernommen werden. Die Vertragslaufzeit des neuen TV-L beläuft sich auf 25 Monate und endet somit am 31. Oktober 2025. Silberbach rief jedoch in Erinnerung, „der nächste Schritt ist auch schon klar: Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Länder den Tarifabschluss zeitgleich und systemgerecht auf die Landes- und Kommunalbeamten sowie auf die betroffenen Pensionäre übertragen. Zeitspiel werden wir nicht dulden.“ Die Verhandlungen sind für den DBB also noch keinesfalls abgeschlossen. Um die zeitnahe Umsetzung der

Denn mit dem Eintritt in das Beamtenverhältnis wird das Recht auf Streik ausgeschlossen. Damit soll ein Weiterfunktionieren des Staates im Ernstfall sichergestellt werden. Nun stimmt auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Dezember 2023 zu. Das Streikverbot verletzt nach dem Urteil des EGMR nicht das Recht auf Versammlungs- und Organisationsfreiheit. Als Begründung verwies der Gerichtshof auf die Vorkehrungen, die bei Schaffung der Richtlinien vorgenommen wurden, um sicherzustellen, dass den Beamten genügend Möglichkeiten zur Vertretung ihrer beruflichen Interessen zur Verfügung stehen. Disziplinarmaßnahmen, die z. B. gegen streikende Lehrer getroffen wurden, sind somit rechtmäßig. Bei der Umsetzung der Tarifergebnisse auf die Beamten sollten nach der Begründung des EGMR auch genügend Druckmittel vorhanden sein, um diese zeitnah herbeizuführen.

Lieber Freizeit als Geld

Anzahl der Krankheitstage steigt

Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst sehen einen neuen Trend

Prävention wichtiger denn je, um AU zu vermeiden

(BS/Ralph Kotsch) Unlängst schallte ein Hilferuf durchs Land. Junge Beamtinnen und Beamte, so war zu lesen, seien schlechter qualifiziert als ihre Altersgenossen in den Jahren zuvor. Das klingt dramatisch. Ist es so?

(BS/sr) Die Zahl der Krankheitsfälle steigt weiter. Während der deutsche Durchschnitt bald die 20 Tage knacken wird, hat der Öffentliche Dienst diese Marke schon lange hinter sich gelassen. Allgemein steigt die Krankheitsquote auch nach der Corona-Pandemie weiter.

Die Qualität des Bewerberfelds habe deutlich abgenommen, sagt zum Beispiel die Präsidentin des Oberlandesgerichts Hamm, Gudrun Schäfers. Mindestanforderungen in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch würden nicht erreicht. Von rund 16.000 zu vergebenden Stellen seien zum Stichtag 1. September nur rund 9.700 besetzt worden. „Die Differenz von fast 60 Prozent der Stellen ist ein deutliches Zeichen mangelnder Attraktivität des öffentlichen Dienstes“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbunds NRW, Roland Staude. Das sieht nicht jeder so: Frank Simon zum Beispiel. Er ist Sachbearbeiter an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Die These der nachlassenden Qualität könne er nicht bestätigen. „Es ist unsere Aufgabe als Hochschule, die jungen Menschen zukunftssicher, kompetent und handlungsfähig in einem komplexen beruflichen Umfeld zu machen.“ Die Absolventinnen und Absolventen hätten sehr unterschiedliche Kompetenzen. Allerdings, so Simon, beobachte er eine neue Entwicklung in den letzten fünf Jahren. „Jetzt öffnen wir uns auch älteren Quereinsteigern, also nicht nur Abiturientinnen und Abiturienten. Aber das AssessmentCenter müssen alle absolvieren. Wir senken unsere Anforderungen nicht, sondern bleiben bei unserem Anspruch.“ Andreas Hemsing ist einer von sechs stellvertretenden Bundesvorsitzenden des deutschen Beamtenbunds und Tarifunion in Berlin. Er sitzt in einem Bürogebäude an der Friedrichstraße mit Blick auf den Innenhof. „Wir müssen attraktiver werden, um an Nachwuchs zu kommen“, sagt Hemsing angesichts der dünnen Bewerber-Decke. „Wir

2023 machte bereits im Oktober den Eindruck, ein neues Rekordjahr für die Zahl der Krankheitstage zu werden. Die gesetzlichen Krankenkassen vermeldeten Krankheitsquoten von fünf Prozent und mehr. Ein Wert, der bereits nah an den Gesamtwert des Jahres 2022 von 5,6 Prozent heranreichte. Dabei stehen die Zahlen des meist krankheitsreicheren Winters noch aus. Die Deutschen könnten dadurch in diesem Jahr deutlich mehr als durchschnittlich 20 Krankheitstage ansammeln. Ein Wert, den die öffentliche Verwaltung schon länger geknackt hat. Durchschnittswerte von mehr als zwanzig Krankheitstagen sind hier schon seit 2015 zu verzeichnen. Warum das der Fall ist, lässt sich allerdings nicht genau sagen. Fest steht nur, dass mit Krankheit einhergehende Thema Arbeitsunfähigkeit (AU) der Umgang damit betrifft den Öffentlichen Dienst stärker als die Privatwirtschaft.

müssen auch schwächere Kandidatinnen und Kandidaten nehmen, weil die Auswahl nicht mehr so groß ist. Junge Leute sind experimentierfreudig und wechseln hin und her.“ Früher, sagt Hemsing, blieb ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin bis zur Rente in einem Unternehmen. „Das ist vorbei.“ Die Work-Life-Balance sei vielen jungen Menschen wichtiger geworden. „Wenn man junge Leute fragt, ob sie lieber mehr Geld haben oder die Arbeitszeit reduzieren wollen, würde sich das Gros für Freizeit entscheiden.“ Das habe aber nichts mit mangelnder Motivation zu tun, sondern mit einer anderen Lebenseinstellung. Hemsing hebt das Positive der Situation hervor. Der Öffentliche Dienst werde in zunehmendem Maße für Quereinsteiger und Studienabbrecher interessant. Diese würden Beständigkeit und Sicherheit suchen, aber auch eine sinnstiftende Aufgabe. „Hier erschließen sich für den Öffentlichen Dienst neue Potenziale, weil diese Zielgruppe bereits über Erfahrungen verfügt und damit schneller in eine bestehende Organisation integriert werden kann.“ Zudem hätte sie ein realistischeres und weniger ideologisches Verständnis der Arbeitswelt. Die Kommunen müssten lernen, sich auf die veränderten Wünsche der heutigen Generation einzulassen. Viele öffentliche Arbeitgeber befassten sich längst mit der Modernisierung der Arbeitswelt mit entsprechenden Tarifverträgen. „Die These, dass die Qualität der Bewerbungen für die Studiengänge gesunken ist, kann ich also nicht bestätigen“, sagt Andreas Hemsing. „Die jungen Beamtinnen und Beamten sind ähnlich kompetent oder inkompetent wie vor zehn, zwanzig Jahren. Wir sortieren das Bewerberfeld aus. Das war schon immer so.“

Veränderte Arbeitswelt Die Gründe für den Anstieg der Krankheitsquote sind vielseitig: das Alter der Beschäftigtn steigt (zum einen weil sie länger arbeiten und zum anderen, weil der öffentliche Dienst an sich altert) und damit mitunter auch die Anfälligkeit Krankheitsausfälle. Ein entscheidender Faktor sind aber auch die Arbeitsbedingungen. Schließlich machen Skelett- und Muskelerkrankungen einen Großteil der Erkrankungen aus, was eine Folge der Schreibtischarbeit sein kann. Der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zufolge steigt die Zahl der physischen Erkrankungen seit 2011 dabei nur leicht. Allerdings sind ebendiese Erkrankungen auch die langwierigsten, mit denen Arbeit-

Eine gebrochene Hand ist immer ein Grund für eine Arbeitsunfähigkeit. Foto: BS/sferrario1968 auf pixabay.com

nehmerinnen und Arbeitnehmer zu kämpfen haben. Eine solche Erkrankung muss jedoch nicht direkt zu einer AU führen. So kann ein Büroarbeiter mit einem gestauchten Knöchel vielleicht immer noch aus dem Homeoffice arbeiten.

Prävention und Integration Bei vielen Krankheitstagen und dadurch fehlender Leistung wird sich auf Dauer wohl jeder Arbeitsgeber mit dem Kündigungsgedanken beschäftigen. Ganz so einfach ist eine Kündigung dann aber nicht. Zwar beinhaltet Krankheit keinen Kündigungsschutz, aber sie ist auch kein harter Kündigungsgrund, wenn die AU nicht gerade vorgetäuscht ist. Sollte man doch versuchen, eine Kündigung zu erwirken, sind es gerade die Präventionsmaßnahmen, die einem Geld und Gerichtsverfahren ersparen können. Vor allem das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) spielt hier eine entscheidende Rolle.

Denn Klagen auf Kündigung bzgl. AU scheitern in den meisten Fällen an einem nicht oder unzureichend durchgeführten BEM. Wichtig ist hier noch das nach einer erneuten Krankheit erneut ein BEM durchgeführt werden muss. Dabei kann in einem BEM auch eine konkrete Lösung für das Krankheitsproblem gefunden werden, gerade dann, wenn der Betroffene an der Findung einer solchen Lösung interessiert ist. Präventions- und Integrationsarbeit als solche kann auch außerhalb eines BEM vieles zur besseren Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leisten. Nach Aussagen der BAuA kann jeder in Sicherheit und Gesundheit investierte Euro einen Ertrag von 2,20 Euro erbringen. Prävention lohnt sich für den Arbeitgeber also in jedem Fall. Ob damit die Zahlen des Öffentlichen Dienstes wieder gesenkt und an den Bundesdurchschnitt angeglichen werden können, bleibt zu hoffen.


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Bund

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Auf den Dienst kommt es an

s gibt einen finanziellen Überfluss durch Rekordeinnahmen – mit 916,1 Milliarden im Jahr 2023 verzeichnet Deutschland die höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten. Statt einer radikalen Aufgabenkritik, in der alle staatlichen Leistungen und Subventionen auf den Prüfstand kommen, versteht sich Politik weiterhin als Geldverteilungsmaschine, das ist ihr bestes Können. Doch das ist in Anbetracht des begonnenen Krisenzyklus ein Politikverständnis von gestern. Jede Familie und jede Firma streicht Ausgaben, wenn es knapp wird. Doch Deutschland leistet sich noch Entwicklungshilfe für den wirtschaftlichen Rivalen China, für Indien – dort bereitet man eine Marsmission vor – und pflegt althergebrachte Scheck-Diplomatie: Ausbau der Fahrradwege in Peru. Nach dem Silvester-Kater erwacht Deutschland im Anbetracht des eignen Antlitzes vor dem Spiegel mit Erschrecken. Ein „gutes“ Gesetz – so heißt das neuerdings – jagt das andere und vermehrt den Bürokratieaufwand. Die eingetretene Delegitimationsspirale wird bei den Wahlen 2024 die Republik erschüttern. Es gibt sechs Punkte, mit denen Verwaltung und Öffentlicher Dienst einen Beitrag leisten können, um strukturelle und legitimative Defizite zu beheben oder zu mildern. Erstens: Der Beamtenbund sieht ein Fehlen von 550.000 Mitarbeitern im Öffentlichen Dienst, dies, obwohl die Beschäftigtenzahl mit 5,2 Millionen fast die ultimative Obergrenze der Wiedervereinigung erreicht hat und in den letzten Jahren Hunderttausende eingestellt wurden. Aber eben nicht Lehrkräfte, Kindergärtnerinnen und Kindergärtner oder Soldatinnen und Soldaten. Die allgemeine Verwaltung wurde durch Ministeriale – alleine die Ampel schaffte 1.600 neue Stellen nur in der Bundesregierung –, unzählige, teils parallel arbeitende Agenturen, GmbHs und öffentlichrechtliche Anstalten aufgebläht. Allein drei Innovationsagenturen wurden geschaffen und eine weitere soll noch folgen. Jede Behörde freut sich über neue Planstellen. Die müssen rasch besetzt werden, damit sie nicht beim nächsten Haushalt als unbesetzte wieder wegfallen. Das funktioniert nur durch Einstellung derjenigen, die im leeren Arbeitsmarkt nicht zu den Eliten ihres Fachs zählen. Eine Studie der NRW-Landesregierung belegt: Es kommen nicht die Bes-

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ilberbach hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf: Mit scharfen Worten kritisierte er das Fernbleiben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf der DBB-Tagung. Er sei enttäuscht darüber, dass Faeser diesen Termin nicht wahrnehme. Die Art und Weise der Absage sei bis heute einzigartig in der Tradition zwischen BMI und DBB. Weder habe es eine Nachricht noch eine Begründung gegeben, warum die schriftliche Zusage nicht eingehalten wurde. „Diese Stillosigkeit haben wir bisher im ansonsten guten und vertrauensvollen Miteinander zwischen BMI und DBB noch nicht erlebt,“ sagte Silberbach. Dann wandte sich der Bundesvorsitzende dem eigentlichen Inhalt der Tagung zu, die er mit dem Motto „Starker Staat – wehrhafte Demokratie“ überschrieben hat. Er müsse feststellen, dass der Staat bei Weitem nicht so stark sei, wie er sein sollte. Eine Vielzahl von Krisen stellten das Land und seine Institutionen auf eine harte Probe. Um das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit des Staates sei es nicht gut bestellt. Laut

Behörden Spiegel / Januar 2024

Loyal, qualifiziert und am Recht orientiert (BS/Uwe Proll) Das Jahr 2024 wird kein leichtes sein. Alle Infra- und Strukturprobleme der letzten Jahrzehnte bleiben weiter ungelöst, im Gegenteil: Es sind noch weitere durch zwei Jahre Ampel-Koalition und internationale Ereignisse dazugekommen.

Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes sollten dem Minister im Zweifelsfall WiderFoto: BS/Cookie Studio, stock.adobe .com spruch leisten.

ten, sondern die, die eben da sind (siehe dazu auch S.03). Das hat dramatische Folgen für die Qualität des Personalkörpers. Wurde früher nur Juristen mit Prädikatsexamen die Ehre zuteil, in einem Ministerium zu arbeiten, reicht heute das bestandene Staatsexamen. Es müssen aber die Besten sein die für den Staat arbeiten, nicht die die gerade da sind. Zweitens: Die Corona-Allgemeinverfügungen und Gesetze haben tiefe Spuren eines überbordenden, ja übergriffigen Staates nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch bei den Beschäftigten selbst hinterlassen. Polizistinnen und Polizisten, die in Bayern Parkbänke inspizierten, weil man da selbst alleine nicht sitzen durfte, oder Ordnungsämter, die Bürgerinnen und Bürger in ihren Wohnungen aufsuchten, um die Einhaltung der Quarantäne zu kontrollieren, fühlten sich missbraucht. Einen solchen Unsinn wollen die Beschäftigten nicht noch mal machen müssen. Krisenunfähigkeit hat den Öffentlichen Dienst auf diese Weise diskreditiert. Unabhängige Experten reden nicht nach dem Munde des Ministers, der Kluge holt sich zudem Widersprechende an Bord, um nicht den Gesamtblick in der eigenen Blase zu verlieren. Drittens: Vergessen gilt in der Politik als Grundtugend. 2021 starben an Ahr und Erft 188 Menschen, weil

eine mangelnde Vorsorge und ein dilettantisches Krisenmanagement den Ablauf bestimmte. Nur drei Politiker mussten gehen. Ein halbes Dutzend Untersuchungsausschüsse haben die Ereignisse aufgearbeitet und Maßnahmen vorgeschlagen. Daraus wurde nichts, bis das aktuelle Hochwasser Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen erreichte. Das nennt der ehemalige THW-Präsident Albrecht Broemme die Katastrophen-Demenz. Notwendige Schutzmaßnahmen nachdem das Wasser weg ist, einfach zu unterlassen oder zu verschieben, ist politische Verantwortungslosigkeit. Was nach 2021 als fehlend identifiziert wurde, fehlt jetzt mancherorts immer noch: Sandsäcke, Wasserpumpen, sogenannte Container-Module und weiteres. Fachbehörden sollten mehr Kompetenzen und den gesetzlichen Auftrag zur Beschaffung derselben erhalten. Viertens: Manch einen verwundert es jährlich immer mehr, wa­ rum Transparency International die Bundesrepublik noch in der Spitzenliga der Korruption sieht. Ganz einfach: Weil Großprojekte wie der Berliner Flughafen oder aktuell wieder Rüstungsprojekte dafür Belege liefern, dass Korruption auch hierzulande ein immanentes Problem ist. Hinzu kommt Vetternwirtschaft, man denkt an Nigeria oder Argentinien, nein, auch hierzulande übliche Amigo-Affären schienen ein

Privileg der CSU, was die sog. Maskenaffäre 2020 auch wieder bestätigte, doch ist sie auch bei anderen zu Hause. Die „Graichen-Affäre“ im Hause des Grünen Robert Habeck spricht Bände. Ganze untereinander verwandte Seilschaften wurden ins Ministerium gezogen, obwohl die Sache auch vorhandene Bundesbeamte hätten erledigen können. Sie sind verpflichtet und machen wasserdicht, was die politische Leitung vorgibt, noch besser, sie widersprechen, wenn sie es für gesetzlich nicht durchsetzbar halten. Das tut die eigene Entourage natürlich nicht. Auch die Stadt Bonn ist ein Beispiel: Obwohl sich die Stadt bald in der Haushaltsfindung wiederfinden wird, hat die grüne OB Katja Dörner mit Mehrheit im Stadtrat 438 neue Positionen geschaffen. Darunter zahlreiche hochdotierte Beschäftigte, die zur Erreichung der Klimaziele notwendig seien. Man kann sich weiterhin denken, welche „Expertise“ das Parteibuch dabei für eine Rolle gespielt hat. Auch hier gilt: Die guten, erfahrenen Beamt­innen und Beamten hätten es aufgrund ihrer Verwaltungserfahrung unideologisch rechtssicher machen können. Der Staat muss vor Inanspruchnahme durch Parteigänger geschützt werden. Der Beamten-

grad ist hochfunktional und nicht parteipolitisch. Fünftens: Die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes gelten zu Recht als die Anwälte der Beschäftigten, häufig auch als Experten in der Sache, nämlich dann, wenn es Journalisten um eine schnelle,

Mit dem Doppelwumms ist es nicht getan DBB-Vorsitzender Ulrich Silberbach fordert einen Abbau des Reformstaus (BS/Ralph Kotsch) Mit einer kämpferischen und streckenweise polemischen Rede hat der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach die Jahrestagung des DBB Beamtenbunds und Tarifunion in der Kölner Messe eröffnet. einer DBB-Befragung glauben nur 27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, dass der Staat in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Die Ursachen liegen nach Silberbachs Analyse in den vielen internationalen Krisen: Pandemie, Naturkatastrophen, Überfall auf die Ukraine und Angriff der Hamas auf Israel. Mit Bundeskanzler Olaf Scholz ging Silberbach hart ins Gericht. Dieser habe in einer Regierungserklärung gesagt, dass sich Deutschland nur modernisieren könne, wenn es auf Krisen reagieren und als starkes Industrieland wettbewerbsfähig bleiben und den Reformstau auflösen könne. „An dieser Stelle sage ich: ja, richtig! Aber das ist ja nicht neu. Und wann soll das bitte endlich geschehen?“ Damit war Silberbach noch nicht fertig. Der Kanzler müsse den Menschen im Land klare Perspektiven

Silberbach fordert endlich das versprochene Handeln von Bundeskanzler Scholz und seiFoto: BS/Ralph Kotsch ner Regierung ein.

aufzeigen. „Kein Verwalten, sondern gestalten!“, forderte der DBB-Bundesvorsitzende. Mit Kanzler-Flos-

keln wie „Wumms“ oder „Doppelwumms“ sei es nicht getan. „Jetzt ist unverzüglich konkretes Handeln

markante Antwort zu einem Sachproblem geht. So weit, so gut. Dass aber eine Gewerkschaft eine Genossenschaft (nichts anderes als eine Firma) gründet, um zu ihrem eignen Arbeitgeber in Konkurrenz zu treten, ist neu. Nun organisiert die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) nur wenige Beamte, die eine Treuepflicht haben und dafür alimentiert werden, aber Tarifbeschäftigte, die sich frei für einen anderen Arbeitgeber entscheiden können. Aus Sicht der GDL ist das ein kluger Ausweg aus dem misslichen Zustand des Einheitstarifs. Doch trotz Solidaritätsbekundungen im Beamtenbund, dem die GDL angehört, rumort es dort an der Basis: Nicht nur wegen der Streikkosten und womöglich Schadensersatzansprüche der Bahn, sondern insbesondere wegen des den vielen Beamten zuwiderlaufenden Eindrucks, hier gehe es nicht mehr um ein besonderes Treueverhältnis zum Dienstherren, sondern um Mehreinnahmen um jeden Preis. Auch innerhalb Kommunalgewerkschaft (im Beamtenbund die Komba) wurde diskutiert eine Firma zu gründen, Kommunen Beschäftigte abwerben – besonders wo jetzt schon viele fehlen – und dann diese als Zeitarbeitsfirma an die Kommunen zurückleihen. In den Uni-Kliniken läuft das so: Ein Großteil des Pflegepersonals wird geliehen, zu 60 Prozent Personalkosten. Davon geht ein Teil an die Pflegekräfte, die so mehr verdienen, als sie durch eine Tarifanstellung hätten erreichen können. Die Mehrkosten zahlen die Kassen bzw. der Steuerzahler. Aber dann werden aus Gewerkschaften Zeitarbeitsfirmen. Das diskreditiert nicht nur die Gewerkschaften, sondern wieder die Verwaltung selbst. Sechstens: 2024 ist ein Jahr, in dem der Öffentliche Dienst aus den dauerhaft negativen Schlagzeilen raus sollte. Sonst folgt er der Delegitimationsspirale, in die die Politik sich selbst begeben hat. Der Öffentliche Dienst muss der Garant für das Vertrauen in die Demokratie bleiben oder besser: wieder werden. All die Amtsleiter, Abteilungsleiter und Präsidenten müssen aufhören, vor einer teils ideologisierten, teils orientierungslos gewordenen Politik widerspruchslos zu sein. Sachlicher Widerspruch bei Unsinn ist gefragt. Die Verwaltung ist der Staat. Regierungen kommen und gehen. Vertrauen, Konstanz und Akzeptanz werden durch eine rechtssichere öffentliche Verwaltung, die der Politik auch widerspricht, hergestellt.

angesagt!“ Nehme man die Deutsche Bahn zum Maßstab, dann wisse man: Bis 2070 werde sich nicht allzu viel ändern. „Pünktlich kommen bis dahin nur die absurd hohen Bonuszahlungen für völlig frei schwebende Vorstände.“ Silberbach gestand ein, dass Deutschland noch nie so hohe Steuereinnahmen für die öffentliche Hand zur Verfügung hatte wie heute. Andererseits hätte die Bundesrepublik aber noch nie einen so großen Investitionsstau und noch nie so viele Krisen gleichzeitig zu bewältigen. Jetzt müssten alle Staatsaufgaben geprüft werden. Nur so könne man das über Jahrzehnte gewachsene Subventionsdickicht von mittlerweile fast 70 Milliarden Euro lichten, in dem für fast jedes „Grüppchen“ etwas dabei sei. Vor Deutschland liege ein Jahr mit Wahlen in Europa sowie in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen, sagte Silberbach. „Die Ergebnisse dieser Wahlen werden auch ein Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie sein!“


Länder

Behörden Spiegel / Januar 2024

B

ehörden Spiegel: Was haben Sie sich für ihre Amtsperiode vorgenommen? Gibt es dabei geliebte oder ungeliebte Schwerpunkte? Dr. Felor Badenberg: Ich bin jetzt seit mehr als acht Monaten Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz hier in Berlin. In den ersten Monaten mussten wir uns zunächst orientieren. Wo steht die Berliner Justiz zum Beispiel bei Digitalisierung, Personalentwicklung oder Referendarausbildung? Welche Aufgaben liegen vor uns? Wo besteht Verbesserungsbedarf? Auf dieser Grundlage haben wir gemeinsam mit dem Haus Strategien erarbeitet, Themen festgelegt und diese zügig angepackt. Dazu zählt zum Beispiel die Modernisierung der Justiz. Darunter verstehe ich unter anderem mehr Geschwindigkeit bei Verfahren, mehr Digitalisierung bei Arbeitsprozessen und gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. Wir müssen Lösungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger erarbeiten und umsetzen. Behörden Spiegel: Mit welchen Maßnahmen möchten Sie das erreichen? Mit Sicherheit und Ordnung? Badenberg: Die Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse, stellen unterschiedliche Anforderungen an den Staat und auch an die Justiz. Wir müssen auch viele von ihnen zurückgewinnen, denn das Vertrauen in den Rechtsstaat leidet, weil er teilweise behäbig oder zu zurückhaltend erscheint. Der Rechtsstaat und seine Institutionen müssen wehrhaft sein und den Zugang zum Recht gewährleisten. Und wir müssen zeigen, dass wir keinen Raum lassen für Kriminalität, Extremismus oder sonstige verfassungsfeindliche Aktivitäten. Das Thema Organisierte Kriminalität ist in Berlin besonders drängend. Gerade die illegalen Aktivitäten sogenannter Clans stellen ein großes Problem dar. Die Justiz muss härter, konsequenter und schneller gegen solche Strukturen vorgehen. Behörden Spiegel: Was hindert

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Automatisierung und KI in der Justiz Cyber Innovation Hub für effektivere Fallbearbeitung (BS) Die Berliner Justiz wurde über Jahre nicht ausreichend finanziert. Zur ohnehin starken Auslastung kommen neue Fälle hinzu. So laufen in Berlin aktuell zahlreiche Verfahren im Zusammenhang mit Klimaaktivismus. Auch einzelne Schriftsätze zur Clan-Kriminalität weisen 700 Seiten auf. Die Justizsenatorin Dr. Felor Badenberg spricht im Interview mit Dr. Eva-Charlotte Proll und Paul Schubert darüber, wie die Berliner Justiz gestärkt, modernisiert und digitalisiert werden soll.

Das Vertrauen in den Rechtsstaat leidet, weil dieser teilweise behäbig oder zurückhaltend erscheint“

Dr. Badenberg will mehr Geschwindigkeit in die Berliner Justiz bringen. Foto: BS/HC.PLAMBECK

die Justiz an der Durchführung ihrer Aufgaben? Badenberg: Die Gegenseite nutzt häufig Verschleierungstaktiken. Außerdem verfügen viele der Straftäter in diesem Bereich über erhebliche finanzielle Mittel – häufig aus illegalen Aktivitäten – was die Verfolgung zusätzlich erschwert. Genau hier setzen wir an, indem wir besonders auf die Vermögensabschöpfung setzen. Hier gehen wir bereits wichtige Schritte und verfolgen diesen Weg konsequent weiter. Behörden Spiegel: An welcher Stelle müssen die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte unterstützt werden? Badenberg: Ein Ermittlungsverfahren nimmt Zeit in Anspruch, in der Beschuldigte ihre Vermögenswerte in Sicherheit bringen können. Wenn Grundeigentum und Luxusgüter veräußert und das Geld fern-

ab der eigenen Person gesichert ist, kann es nicht mehr eingezogen werden. Im Rahmen des im Dezember verabschiedeten Doppelhaushalts für 2024/25 sind wir hier massiv tätig geworden und haben eine starke Grundlage für mehr Tempo bei der Vermögenssicherung gelegt: Sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, werden die Vermögenswerte gesichert. Dafür muss aber auch die Stelle, die für die Sicherstellung dieser Vermögensgegenstände zuständig ist, personell ausreichend ausgestattet ein. Behörden Spiegel: Wie möchte man die Arbeit dort in Zukunft sicherstellen? Badenberg: Wir haben die Staatsanwaltschaft erheblich gestärkt. Es wird viel und komplexe Ermittlungsarbeit benötigt, wenn zum Beispiel Einkommensverhältnisse verschleiert wurden. Insofern müssen wir auch die Gerichte, die diese

Verfahren betreuen, materiell und personell besserstellen und die entsprechenden Fortbildungsmöglichkeiten anbieten. Behörden Spiegel: Werden in der Berliner Justiz auch Automatisierungs- und KI-Systeme genutzt? Badenberg: Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, einen Cyber Innovation Hub einzuführen. In meinem Haus werden wir künftig Möglichkeiten für technologische Innovationen in der Justiz, insbesondere durch KI, prüfen. Es wird vor allem darum gehen, vereinfachte und effizientere Prozesse durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu ermitteln. Die erforderlichen finanziellen Mittel dafür haben wir im Doppelhaushalt 2024/2025 beschlossen. Jetzt geht es darum, diese Vorhaben auch durchzusetzen. Ferner haben wir uns auch auf der Justizministerkonferenz mit der Frage befasst. Es gibt bereits viele

Arbeitsschritte, die standardisiert sind. Hier kann daher bereits heute schon an bestimmten Stellen der Personalaufwand reduziert werden. Nun müssen wir schauen, wie wir diese Prozesse implementieren. Insbesondere im Öffentlichen Dienst sind Menschen mit IT-Expertise schwierig zu finden, weil wir nicht die finanziellen Mittel wie die Privatwirtschaft haben. Insofern müssen wir auch mit unseren Kapazitäten und Ressourcen gut umgehen und länderübergreifend Projekte digitalisieren. Der Cyber Innovation Hub soll genau da ansetzen und ich bin sehr froh, dass er bei uns in der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz angesiedelt werden soll. Behörden Spiegel: Jetzt hat Berlin mit der Letzten Generation (LG) eine Vereinigung, die insbesondere in der Hauptstadt mit ihren Aktionen sehr präsent ist. Wie geht die Justiz damit um? Badenberg: Die angemessenen Strafen für die Aktionen der sogenannten Letzten Generation sind ein Thema, das in Berlin sehr emotional diskutiert wird. Das verwundert nicht, denn teilweise war die Stadt regelrecht lahmgelegt, etliche Menschen waren in ihrem Alltag von den Aktionen betroffen. Das Landgericht München hat kürzlich in einer Entscheidung bestätigt, dass der Anfangsverdacht für die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorlag. Das hat zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Bewertung hier in Berlin, aber es ist Aufgabe der Justiz, solche Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen und in weitere Entscheidungen einzubeziehen bzw. einzuordnen. Inwiefern die sogenannte Letzte Generation in Berlin insgesamt eine kriminelle Vereinigung bildet, ist eine Frage, die die Gerichte im konkreten Fall zu bewerten haben. Mir ist besonders wichtig, dass die Frage der Bildung einer kriminellen Vereinigung juristisch bewertet wird und sachfremde Erwägungen bei aller Emotionalität der Debatte außer Betracht gelassen werden.

Bildungsniveau sinkt Die Krise des Systems zeigt ihre Folgen (BS/sr) Die Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler sind bei der im Dezember 2023 veröffentlichten PISA-Studie nach wie vor im Mittelfeld. Gerade in der Mathematik und der Lesefähigkeit fallen deutsche Schüler ab und sind nur noch knapp über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Kurz-, mittel oder langfristige Besserung sind jedoch nicht in Sicht. Das deutsche Bildungssystem steckt in einer Krise, aber dieses Problem existiert nicht erst seit gestern. Augenscheinlich werden die Auswirkungen dieser Krise bei der Betrachtung der Ergebnisse der letzten PISA-Studie, denn hier befinden sich die Punkte der deutschen Schülerinnen und Schüler seit 2015 in einem Negativtrend. 2022 lagen die Ergebnisse nur knapp über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Den deutlichsten Verlust an Punkten gab es im Bereich Mathematik. Hier erreichten deutsche Schülerinnen und Schüler im Schnitt 475 Punkte, was nur drei über dem Durschnitt aller OECD-Länder (472) liegt. Besserung und mehr Geld wurden bereits seit 2008 versprochen, über Veränderungen seither viel diskutiert. Signifikante Verbesserungen im Bildungssystem für Schülerinnen und Schüler so wie Lehrkräfte blieb jedoch aus. Die Probleme sind sogar größer geworden und wurden durch die Corona-Pandemie noch einmal verdeutlicht. Die mangelnde Digitalisierung an Schulen konnte zwar mit Blick auf die technische Aus-

stattung durch den Digitalpakt aufgeholt werden. Die Lehrkonzepte und -methoden, was den Umgang mit digitalen Medien angeht, sind jedoch nach wie vor veraltet. Eine Modernisierung obliegt dem Engagement der jeweiligen Schulleitungen. Daneben hat sich die Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche lernen – abseits der Digitalisierung – erheblich verändert. Die Rufe nach einer Reform des Systems oder einem Masterplan Bildung werden lauter. Gerade für die aktuelle Situation verweisen einige Expertinnen und Experten auf die Auswirkungen, welche die Corona-Pandemie auf Schulen im ganzen Land, ja sogar der ganzen Welt hatte. Allerdings gehen die Meinungen hier weit auseinander. Denn auch wenn viele Länder, welche ihre Schulen während der Pandemie schließen mussten, rückläufige Ergebnisse aufwiesen, so gibt es auch Länder, die ihre Werte verbessern konnten. Die im Vergleich schlechten Ergebnisse der deutschen Schülerinnen und Schüler in der PISA-Studie des Jahres 2022 könnten aber durchaus auch auf Auswirkungen der

Pandemie zurückzuführen sein. Ein großes Problem bleibt der Fachkräftemangel im Bildungssystem. Von fehlenden Lehrkräften bis zu unbesetzten Schulleiterstellen: Überall in Deutschland mangelt es in den Schulen an Personal (siehe hierzu auch Seite 6). Auch wenn bei betroffenen Führungspositionen Ersatz- oder Vertretungsregelungen in Kraft sind, schafft dieser Umstand zusätzliche Belastungen für das bestehende Personal. Die Vorschläge zur Lösung der Probleme bleiben unvollständig. So wird zwar die Anpassung des Lehramtsstudiums gefordert, konkrete Vorschläge gibt es allerdings nicht. Auch die Abschaffung des Numerus clausus würde nicht zwangsläufig zu einer gesteigerten Anzahl der Lehramtsstudenten führen. Und die Probleme werden sehenden Auges größer. In den kommenden Jahren gelten in einigen Bundesländern Rechtsansprüche auf ganztägige Betreuung, wie die offene Ganztagsschule in NRW. Wie trotz aktuellem Personalmangel, Lösungen im besten Fall gemeinsam angegangen werden, daran scheitert es bisher.

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Zahlen & Daten

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Behörden Spiegel / Januar 2024

Wir suchen:

Schulleiter/-in

Keine Schule ohne Leitung (BS/Ann Kathrin Herweg) „Auch wenn Schulleitungsstellen nicht besetzt sind, so bedeutet dies nicht, dass an diesen Schulen die Leitungsfunktion nicht wahrgenommen werden würde. In diesen Fällen bestimmt Paragraf 60 Absatz 2 Schulgesetz eine für alle Schulformen einheitliche Vertretungsreihenfolge“ heißt es aus dem nordrhein-westfälischen Schulministerium. Das Schulgesetz wie auch eine Ersatzregelung sind Ländersache. Doch auch in anderen Bundesländern gilt: Ist der Schulleiter oder die Schulleiterin verhindert, übernimmt eine Vertretung.

Vakante Schulleitungsstellen an allgemeinbildenden Schulen in Prozent

391 Die Schulformen sind in den Ländern unterschiedlich organisiert. Mal umfasst die Grundschule vier Jahre, mal – wie in Berlin – sechs Jahre, mal werden – wie in Baden-Württemberg – unterschiedliche Schulformen wie Grund- und Werkrealschule an einer Schule gebündelt. So muss die Verteilung offener Stellen auf Schulformen in jedem Land gesondert betrachtet werden. Auch liegt es bei den Ländern, wie oft eine Erhebung der offenen Stellen erfolgt. In Hessen z. B. wird nur in unregelmäßigen Abständen eine Auflistung der unbesetzten Schulleitungsstellen vorgenommen. Durchschnittlich befinden sich hier rund fünf Prozent der Stellen im Besetzungsverfahren.

40

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BadenWürttemberg

Bayern

Berlin

MecklenburgVorpommern

Niedersachsen

NordrheinWestfalen

RheinlandPfalz

SachsenAnhalt

davon vakant

Anzahl Schulleitungsstellen

Schulleitungsstellen in Sachsen-Anhalt

Schulleitungsstellen in Bayern

vakante Stellen

93

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59 8

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vakante Stellen

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Grundschulen

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Sekundarschulen

Förderschulen

Gemeinschaftsschulen

Grund- und Mittelschulen Gymnasien

Realschulen

Förderschulen

Gesamtschulen

Besoldung der Schulleitungsämter in Nordrhein-Westfalen

Grundschule

Hauptschule

Realschule

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A 14

A 14 / A 14 Z / A 15

Sekundarschule A 14 Z / A 15 / A 15 Z

Gesamtschule

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Gymnasium

A 15 Z / A 16

Förderschule A 14 / A 14 Z / A 15 / A 15 Z / A 16

Die Besoldung ist abhängig von der Schülerzahl und/oder dem Ausbaustand der Schule. Bei Förderschulen ist die Besoldung von Schülerzahl, Förderschwerpunkt und Bildungsbereich abhängig. Der Zusatz "Z" bezeichnet den Anspruch auf eine Amtszulage. Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von klyaksun, nadia_snopek; stock.adobe.com | Stand: Dezember 2023


Finanzen

Behörden Spiegel / Januar 2024

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as ist immerhin ein Erfolg für den Bundeskanzler, der in den Beliebtheitsrankings unter allen Kabinettsmitgliedern an letzter Stelle rangiert und von vielen Beobachtern schon als Auslaufmodell oder als – wie die Amerikaner sagen – „Lame Duck“ (lahme Ente) eingestuft wurde. Natürlich hat die Ampelkoalition das Finanzchaos selbst zu verantworten, als sie 2021 zu der vom Verfassungsgericht verworfenen Geldschöpfung über Schattenhaushalte griff. Aber SPD, Grüne und FDP haben es auch geschafft, die größte Krise seit Bestehen ihrer Koalition zu bewältigen. Ein Nachtragshaushalt wurde vorgelegt und noch im Dezember vom Bundestag beschlossen, sodass die Haushaltsprobleme von 2023 gelöst waren. Für die Wiederaufbaukosten nach der Flut im Ahrtal musste aber die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt werden.

Einigung tut allen weh Koalition überwindet Haushaltskrise mit schmerzhaften Einschnitten (BS/Hans-Jürgen Leersch) Bundeskanzler Olaf Scholz war etwas zu optimistisch gewesen, als er den Bundesbürgerinnen und -bürgern nach dem Haushaltsschock aus Karlsruhe Ende November zusicherte: „In Ihrem Alltag – hier und heute – ändert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts.“ Einige Wochen später ist klar: Es wird sich 2024 eine Menge ändern. Was sich aber nicht ändern wird, ist die Regierung. Scholz hat die Ampel zunächst stabilisiert. gestrichene Umweltbonus für Elektroautos zu Protesten geführt hatte. Aber das wichtigste Instrument von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der Klima- und Transformationsfonds (KTF), ist erhalten geblieben. Alle zentralen Programme könnten trotz der Streichungen im zweistelligen Milliardenbereich konsequent fortgesetzt werden. Der Standort und die Wertschöpfung in der industriellen Transformation könnten gesichert und zukunftsfähig gemacht, zigtausende Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden.

Klima- und Transformationsfonds bleibt erhalten Die Einigung auf die Eckpunkte des Haushalts 2024 trägt die Züge eines klassischen Kompromisses, der bekanntlich dann erzielt wird, wenn allen Beteiligten etwas, aber nicht zu viel weh getan wird. Allerdings trifft es, anders als von Scholz prognostiziert, auch diejenigen, die nicht am Verhandlungstisch im Kanzleramt saßen: Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf höhere Preise für Flugtickets durch die Anhebung der Ticketsteuer ebenso einstellen wie auf höhere Kraftstoff- und Heizkosten (bei Gas und Öl) durch Erhöhung der CO2-

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ehörden Spiegel: Laut aktuellem Bericht zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes Hessen wurde die Schuldenbremse 2022 eingehalten. Ist es aus Ihrer Sicht essenziell, daran auch in Zukunft festzuhalten? Dr. Wallmann: Die Einführung der Schuldenbremse in Hessen geht zurück auf eine Volksabstimmung 2011. Demnach war es eine Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Also gebietet es der demokratische Anstand, diese Entscheidung zu respektieren und einzuhalten. Gleichzeitig ist dies auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Nachfolgende Generationen sollen nicht unsere Zeche zahlen. Hier gilt es aus meiner Sicht abzuwägen. Einerseits sollten Zins- und Tilgungsbelastungen für zukünftige Haushalte reduziert werden. Andererseits muss der Staat – insbesondere in Krisenzeiten – durch gezielte Investitionen die regionale Wirtschaft unterstützen, um somit auch Arbeitsplätze zu erhalten. Behörden Spiegel: 2022 konnten die höchsten Steuereinnahmen seit 15 Jahren im Land Hessen erzielt werden. Welche Faktoren haben das begünstigt? Dr. Wallmann: Die hohen Steuereinnahmen stehen interessanterweise auch in Zusammenhang mit der erhöhten Inflation. Denn: Erhöhte Verbraucherpreise führen zu erhöhten Umsatzsteuereinnahmen für den Staat. Behörden Spiegel: Sie mahnen wiederkehrende Defizite bei der Digitalisierung an, die Nachteile mit sich bringen. Welche Kosten oder Ausgaben könnten durch eine bessere Digitalisierung in bestimmten Bereichen vermieden werden? Dr. Wallmann: In vielen unserer diesjährigen Prüfungen stellten wir schleppende Digitalisierung fest,

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Festhalten an der Schuldenbremse Aus der vorläufigen Haushaltsführung 2024 soll in den kommenden Wochen eine beIllustration: BS/Dach; eyewave, stock.adobe.com schlussfähige Haushaltsplanung werden.

Abgabe. Die besonders betroffenen Landwirte, denen die Diesel-Verbilligung und die Kfz-Steuervergünstigung gestrichen werden sollten, reagierten mit massiven Protesten und sogar der Blockade einer Nordsee-Fähre, auf der sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) befand. Inzwischen kündigte die Koalition an, die Kürzungen zu

einem Teil zurückzunehmen beziehungsweise später wirksam werden zu lassen. Auch die Plastik-Abgabe, die von Unternehmen erhoben werden soll, soll erst später wirksam werden. Doch insgesamt war die grüne Koalitionsseite zufrieden und schrieb in einem Hintergrundpapier von einer „soliden Lösung“, auch wenn der mit sofortiger Wirkung

Die SPD war zufrieden, da es einen Abbau des Sozialstaats, wie er von breiten Teilen des politischen Spektrums und insbesondere der CDU gefordert worden sei, nicht geben werde. In einer Analyse der Sozialdemokraten werden jedoch Einschnitte in einzelnen Haushaltstiteln als „für die SPD schmerzlich“ bezeichnet. Dass Renten- und Arbeitslosenversicherung mit weniger Geld vom Bund auskommen sollen, dürfte aber nicht das letzte Wort sein. Wenn in den Sozialkassen

Nicht auf die lange Bank schieben Investitionen mit Bedacht umsetzen (BS) Trotz Haushaltskrise, Personalnotstand und Hindernissen bei der Digitalisierung dürfen Nachhaltigkeitsinvestitionen nicht grundsätzlich ausgesetzt werden, mahnt Dr. Walter Wallmann, Präsident des Hessischen Rechnungshofes. An welchen Stellen Ausgaben reduziert werden könnten, erläutert er im Interview mit Marlies Vossebrecker. nicht nur beim Datenbankgrundbuch, sondern auch bei der Asservatenverwaltung der Polizei. Dies führte beispielsweise zu erhöhtem Personalaufwand aufgrund notwendiger Mehrfacherfassungen bei der Asservatenverwaltung. Ein anderes Beispiel: Die Justiz produziert jedes Jahr rund 21.500 laufende Meter an Schriftgut – damit zählt sie zu den größten Produzenten in der Landesverwaltung. Für die Lagerung in Archivräumen fallen natürlich Kosten an. Die Archivierung in digitaler Form ist hier deutlich günstiger – insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass Schriftstücke teilweise bis zu 130 Jahre oder sogar dauerhaft aufbewahrt werden müssen. Ein großes Problem ist aus meiner Sicht die mangelnde Registervernetzung in Deutschland: Wenn Deutschland miteinander vernetzte Register hätte – also der Datenaustausch untereinander möglich wäre – könnten viele aufwendige Verfahren automatisiert ablaufen. Dies würde zu Personalkosteneinsparungen führen. So zeigt das Verfahren um die letztjährige Neuberechnung der Grundsteuer, dass eigentlich alle Daten vorhanden sind (insbesondere die Grundbuchdaten) und trotzdem nochmals von jeder Eigentümerin bzw. jedem Eigentümer manuell eingegeben werden müssen. Dies führt zu Fehlern und macht eine verwaltungsseitige Überprüfung notwendig. Für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Verwaltungsmitarbeitende ist dies im Zeitalter der Digitalisierung nur schwer vermittelbar. Behörden Spiegel: Das Vorhaben zur Digitalisierung des Grundbuchs

Die […] angesprochene Nachhaltigkeitstransformation kann nicht auf die lange Bank geschoben werden.“

Trotz der bundesweit schwierigen finanziellen Lage liegt für Dr. Walter Wallmann, Präsident des Hessischen Rechnungshofes, die Priorität in Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Foto: BS/Hessischer Rechnungshof

musste wegen unzureichender Software vorerst auf Eis gelegt werden. Was braucht es aus Ihrer Sicht für die erfolgreiche Digitalisierung des Grundbuchs? Dr. Wallmann: Beim digitalen Grundbuch handelt es sich um ein länderübergreifendes IT-Projekt. Hierbei will jedes Land seine individuellen Wünsche berücksichtigt finden. Außerdem sind die fachlichen und technischen Anforderungen oft sehr unterschiedlich. Unsere Prüfungserfahrungen zeigen, dass es wichtig ist, zu Beginn der Kooperation eine vollumfängliche Anforderungsanalyse durchzuführen. Grundsätzlich scheitern solche

Projekte auch häufig, weil die abzubildende Gesetzes- und Regelungslage kompliziert und von einer Vielzahl an Detailnormen geprägt ist. Diese sind nicht sinnvoll digitalisierbar. Wenn wir die staatlichen Verwaltungsprozesse einfacher und damit digitalisierbar machen wollen, brauchen wir endlich einfachere Gesetze und den Verzicht auf Mehrfacherfassung von bereits vorhandenen Daten. Behörden Spiegel: Das Jahr 2024 wird wohl ebenso wie 2023 ein Krisenjahr werden. Daher fordern Sie, Ausgaben zu reduzieren. An welchen Stellen sehen Sie das größte Einsparungspotenzial? Dr. Wallmann: Neben aktuellen geopolitischen Krisen liegt vor uns auch eine Haushaltskrise, die es zu bewältigen gilt. Daher ist es notwendig, Ausgaben zu reduzieren. Meines Erachtens müssen daher alle Aufgaben und die damit verbundenen Ausgaben auf den Prüfstand. Wir müssen klar priorisieren und uns dabei fragen: Was können wir uns aktuell noch leisten?

Geld fehlt, werden die Zuschüsse nach alter Tradition im Laufe des Jahres wieder erhöht. Und dass es beim Bürgergeld zu Einsparungen kommt, indem mehr Menschen in Arbeit gebracht werden sollen, entspringt eher dem Prinzip Hoffnung als einer realistischen Erwartung. Für die FDP war wichtig, dass die Belastungen für Unternehmen und Haushalte „so gering wie möglich“ gehalten wurden, wie es in einer Bewertung aus dem Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) heißt. Wichtige Entlastungen wie die Senkung der Stromsteuer für Unternehmen des produzierenden Gewerbes (drei Milliarden Euro) und das Wachstumschancengesetz (sechs Milliarden) seien gesichert worden. Und durch höhere Freibeträge und Verschiebung der Einkommensteuersätze würden die Steuerzahler 2024 um 15 Milliarden Euro entlastet. Für Lindner besteht die klare Konsequenz darin, an der Schuldenbremse festzuhalten. Doch da ist das letzte Wort nicht gesprochen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich fordert erneut die Aussetzung der Schuldenbremse für 2024. Die als Begründung angeführte hohe deutsche Ukraine-Hilfe (acht Milliarden) scheint ihm verfassungsfest zu sein. „Wir leben nicht in normalen Zeiten“, so Mützenich. Er sieht sehr große Risiken, falls die Bremse nicht gelockert wird: „Wir begeben uns in die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung.“ Doch seine Forderung könnte auch den Hintergrund haben, die Debatte über eine Reform der Schuldenbremse zu bestärken.

Die Personalausgaben haben einen wesentlichen Anteil am Landeshaushalt und müssen deshalb besonders in den Fokus genommen werden. Seit 2014 wurden im Landeshaushalt über 20.000 neue Stellen geschaffen. Die Personalausgaben haben sich seit 2014 von 8,7 Milliarden Euro auf knapp 11,4 Milliarden Euro 2022 erhöht. Diese Ausgaben werden sich allein aus den aktuellen Besoldungsanpassungen deutlich weiter erhöhen. Hier wird das Land eine Kehrtwende einleiten müssen. Dabei muss es kritisch hinterfragen, ob tatsächlich jede der in den nächsten Jahren frei werdende Stelle nachbesetzt werden muss – und angesichts des Fachkräftemangels, ob diese überhaupt nachbesetzt werden kann. Behörden Spiegel: Sollten Investitionen, wie etwa die Nachhaltigkeitstransformation, wegen der erschwerten Finanzlage vorerst aussetzt werden? Dr. Wallmann: Vor uns liegen in den kommenden Jahren einige Transformationsprozesse. Diese werden wir aber nicht alle auf einmal finanziell stemmen können. Auch hier gilt es wieder zu priorisieren. Dabei werden auch wünschenswerte und sinnvolle Projekte vorerst wohl zurücktreten müssen. Die von Ihnen angesprochene Nachhaltigkeitstransformation kann nicht auf die lange Bank geschoben werden. Denken Sie zum Beispiel an unseren Staatswald: Hier müssen wir feststellen, dass die Auswirkungen des Klimawandels mittlerweile nicht mehr nur beim Spaziergang durch den Wald, sondern auch beim Blick in die Bilanz sichtbar werden. Aufgrund neuer Schäden mussten wir im Jahr 2022 weitere 50 Millionen Euro abschreiben. Dies ist ein weiterer Grund, beim Klimaschutz voranzukommen! Wenn uns dies nicht gelingt, dann sind die bilanziellen Probleme unsere geringsten Sorgen!


Beschaffung / Vergabe

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Behörden Spiegel / Januar 2024

► Entscheidungen zum Vergaberecht ► NEGATIVER PREIS

► FEUERWEHR

► AUSWAHLVERFAHREN

► WERTUNGSFORMEL

► OPEN HOUSE

Unzulässiges Verbot

Reibungslose Organisation

Bekannt und bewährt

Interpolation gegen null

Nicht nur für Arzneien

Fehler im HVA Straßenbau

Als Anforderung an den Bieter möglich

Nicht immer verkehrt

Verzerrte Ergebnisse

Ohne Auswahl kein Vergaberecht

Wenn es brennt, muss alles klappen wie am Schnürchen. Die Feuerwehr hat also hohe Ansprüche an die eigene Organisation. Entsprechend hoch dürfen auch die Anforderungen sein, die sie an ihre externen Dienstleister stellt, selbst wenn die Leistung nicht akut einsatzbezogen ist. So hatte eine Feuerwehr verlangt, dass Bieter, welche den Auftrag zur Reinigung und Aufarbeitung persönlicher Schutzausrüstungen im Feuerwehr- und Rettungsdienst erlangen wollen, detailliert ihre internen Verfahrensabläufe darlegen sollten, ergänzt um Angaben zur persönlichen Qualifikation der eingesetzten Mitarbeiter. Ein Anlagenkonvolut von 95 Seiten mit Nachweisen und Zertifikaten eines Bieters genügte der Feuerwehr nicht, weil gerade die Darstellung der Verfahrensabläufe darin nicht enthalten war. Der Bieter aber erklärte, er könne diese Abläufe nicht vorab schildern, denn sie würden ja erst im Auftragsfalle im Detail mit dem Auftraggeber gemeinsam entwickelt. Dass er dennoch ausgeschlossen werden sollte, wollte er nicht akzeptieren. Die Vergabekammer aber gibt der Feuerwehr recht. Insbesondere wäre zu erklären gewesen, wie es der Bieter konkret sicherstellt, dass die Reinigungsund Pflegevorschriften für die Ausrüstung eingehalten werden. Die vorgelegten Belege jedoch zeigten nur, dass – aber nicht wie – er dies gewährleistet. Die Forderung danach war wirksam erhoben worden und ist auch im Hinblick auf die Sicherheit der Feuerwehrleute nicht unangemessen.

Im Vergaberecht gilt der Grundsatz, dass zwar Schlechtleistungen aus früheren Aufträgen zum Ausschluss eines Bieters führen können. Der Umkehrschluss jedoch, nur auf solche Bieter zu setzen, die dem Auftraggeber bereits als zuverlässig und leistungsfähig bekannt sind, ist nicht zulässig: Das würde den Wettbewerb unangemessen stark einschränken. Die Beschränkung auf „Hoflieferanten“ führe zu abnehmender Leistung und überhöhten Preisen. Viele, aber nicht alle Grundsätze des Vergaberechts sind auf verwaltungsinterne Auswahlverfahren übertragbar, wie zum Beispiel für die Zulassung des einzigen Wirtes auf einem Volksfest, worum sich nur zwei Interessenten beworben hatten. Wie es der Zufall wollte, hatten die beiden nach Auswertung der für die Vergabe dieser Zulassung aufgestellten Wertungsmatrix die identische Punktzahl – sowohl der langjährig Tätige wie auch ein neu auf den Plan getretener Konkurrent. Letztlich entschied sich die Gemeinde für den Neuen, weil sie frischen Wind in das Volksfest bringen wollte und im Vorjahr Probleme mit dem Alten hatte. Der Alte bemängelt dies: Das Prinzip „bekannt und bewährt“, was hier negativ ausgelegt wird, habe mangels Bekanntmachung nicht angewendet werden dürfen. Vor dem Verwaltungsgericht München kann er sich mit diesem Argument nicht durchsetzen. Das Prinzip selbst sei in einem solchen Verfahren zulässig, erklärt das Verwaltungsgericht. Es dürfe nur nicht nachträglich in die Entscheidungsfindung eingeführt werden.

Eine der am häufigsten verwendeten Methoden, Preise in Punkte umzurechnen, um eine zusammenfassende Wertung von Preis und Leistung zu ermöglichen, ist die Interpolationsmethode. Dabei werden einer oberen und einer unteren Grenze des Preises Punktwerte zugeordnet und die Punkte für alle dazwischen liegenden Preise durch Interpolation zwischen den beiden Endpunkten ermittelt. Typische Grenzen sind der niedrigste Preis einerseits und dessen Doppeltes oder Dreifaches andererseits. Theoretisch sind auch andere Grenzen möglich, so kann z. B. dem niedrigsten Preis die volle Punktzahl und dem höchsten Preis die Punktzahl null zugeordnet werden. Mit dieser Variante hat sich nun die Vergabekammer des Bundes auseinandergesetzt. Sie hält diese Punktezuteilung schon im Ansatz für problematisch, weil selbst kleine Preisunterschiede zwischen dem ersten und letzten Angebot extreme Wertungsdifferenzen auslösen, welche die Leistungsbewertung vollständig überlagern können. Wird dieses Interpolationsprinzip zudem auch noch in der Leistungsbewertung angewendet, kann dies eine Wertungsreihenfolge ergeben, die eher von Zufälligkeiten bestimmt ist als von einer Wirtschaftlichkeitsabwägung. Tritt dieser theoretisch mögliche Fall nachgewiesenermaßen auch in der Praxis eines konkreten Verfahrens auf, kann auf dieses Wertungsergebnis keine Zuschlagsentscheidung gestützt werden.

Open-House-Verträge sind vor allem bekannt als Alternative zur wettbewerblichen Ausschreibung von Medizinprodukten, welche die Patienten erwerben, aber die Krankenkassen bezahlen. Dem Konstrukt liegt einerseits das sogenannte „sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis“ zugrunde, wonach die Auswahl des konkreten Produktes nicht durch den Auftraggeber erfolgt. Zum anderen gehört dazu ein offener Vertrag, dem jeder Lieferant beitreten kann, der die Leistung zu Konditionen erbringen will, die der Auftraggeber seinerseits einheitlich festgelegt hat. Ist diese Vertragsgestaltung auch für andere Beschaffungsgegenstände möglich? Das Bundessozialgericht (BSG) sieht diese Möglichkeit immer dort gegeben, wo ein solches Dreiecksverhältnis existiert. Das kann dann auch eine Dienstleistung sein, z. B. die Betreuung behinderter Schulkinder. Das Sozialgesetzbuch sieht es als Regelfall an, dass die Betroffenen selbst aus verschiedenen Leistungserbringern auswählen können. Diese Auswahl ist nur möglich, wenn mehrere davon als Vertragspartner zugelassen sind. Daher ist das Open-House-Verfahren nicht nur für alle solche Fälle erlaubt, es ist sogar geboten. Entsprechend hat es das BSG einem Sozialhilfeträger untersagt, diese Leistungen exklusiv im Wettbewerb zu vergeben. Das Vergaberecht mit seinem Leitbild der wettbewerblichen Vergabe muss hier hinter dem Grundsatz der freien Auswahl durch den Patienten zurückstehen.

VK Bund (Beschl. v. 25.09.2023, Az.: VK 2-72/23)

BSG (Urt. v. 17.05.2023, Az.: B 8 SO 12/22 R)

VK Rheinland (Beschl. v. 11.08.2023, Az.: VK 20/23

VG München (Urt. v. 28.03.2023, Az.: 7 E 23.117)

Beim Bau einer neuen Ortsumgehungsstraße wird grobkörniger Boden benötigt, der an vorgegebener Stelle einzubauen ist. Derartiges Material fällt zuweilen an anderen Baustellen als Reststoff an, welcher der Verwertung zugeführt werden muss. Für diese Verwertung erhält der Bauunternehmer eine Vergütung. Ein Bieter im aktuellen Verfahren hat auf einer anderen Baustelle die Verpflichtung übernommen, solchen Boden zu verwerten. Er bietet an, diesen Boden zum Einbau in der Umgehungsstraße zur Verfügung zu stellen. Einen Teil der Vergütung, die er für die Verwertung des Bodens erhält, gibt er in Form eines negativen Einheitspreises an den Auftraggeber der Umgehungsstraße weiter. Der schließt ihn aus, weil er das Formblatt 102 aus dem HVA B-StB in seine Unterlagen einbezogen hatte, in welchem ein Verbot negativer Einheitspreise festgelegt ist. Das OLG Karlsruhe verwirft dieses Verbot. Einem Auftraggeber steht es grundsätzlich nicht zu, den Bietern Mindestpreise für ihre Leistungen vorzugeben. Also ist ein negativer Preis auch ein zulässiger Preis. Das Argument des Auftraggebers, das Verbot negativer Preise solle gerade solche Wiederverwendungen verhindern, weil dann die Bauarbeiten der einen Baustelle vom Fortgang der anderen abhängig würden, greift nicht: Der Bieter ist dann verpflichtet, anderweitig den angebotenen Boden zu beschaffen. Das Risiko, dass seine Kalkulation dann nicht aufgeht, trägt der Bieter. OLG Karlsruhe (Beschl. v. 18.08.2023, Az.: 15 Verg 4/23)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄

Neue Vergabe-Form

G

rund für die Umstellung auf eForms ist dabei eine Anpassung in den Anforderungen für EUweite Ausschreibungen, für welche die neuen Formulare und Anforderungen gelten. Dadurch sollen unter anderem der Datenaustausch zwischen einzelnen Systemen optimiert und die Nutzerfreundlichkeit erhöht werden. Damit in Zukunft nicht zwei Systeme nebeneinander existieren, wurde in Deutschland beschlossen, eForms auch für Nicht-EU-weite Ausschreibungen zu verwenden. So sind die eForms gleichzeitig ein Schritt zur Digitalisierung des öffentlichen Einkaufes. Die größte Änderung, die sich mit der Einführung der sogenannten eForms einstellt, ist, dass die öffentlichen Aufträge nicht mehr in abgeschlossenen, EU-einheitlichen Formularen der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 ausgeschrieben werden, sondern über eine Kombination aus Datenfeldern und abgeschlossenen Formularen. Dadurch kann sehr viel mehr auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Länder und Vergabestellen eingegangen werden, als dies mit den bisherigen Formularen möglich war. Auch griff bei der Umsetzung das Once-only Prinzip nach dem bereits einmal eingetragene Informationen bei zukünftigen Anträgen automatisch ausgefüllt werden sollen.

eForms als Standard für den öffentlichen Einkauf (BS/sr) Durch die Umstellung der Vergabeverfahren sollen EU-weit ausgeschriebene Verfahren optimiert und besser anpassbar gemacht werden. Allerdings muss jedes Land seine eigene eForm ausarbeiten.

Mit der Einführung der eForm auf den deutschen Vergabeplattformen musste auch eine neue Erfassungsmaske etabliert werden, um die Foto: BS/FAMILY STOCK, stock.adobe.com neuen Datenfelder befüllen zu können.

eForm-DE Als Grundlage wird in Deutschland seit Oktober dabei die eFormDE genutzt. Sie unterscheidet sich in einigen Punkten auch von den EU-Vorgaben, indem sie zusätzliche Datenfelder verpflichtend macht. Mit der fristgerechten Einführung der eForm-DE ist Deutschland der Lokalisierungsanforderung nachgekommen. Daneben zählen laut offiziellem Spezifikationen der Koordinierungsstelle für IT-Standards die

Vermeidung von Fehlern und die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Daten zu den großen Zielen der Umstellung auf die eFormDE im öffentlichen Einkauf. Dazu werden konzeptionell drei Gesichtspunkte verfolgt: Erstens die Datenintegrität, das heißt, die Korrektheit, Vollständigkeit und Konsistenz von Bekanntmachungsdaten sollen auf einem hohen Niveau allgemeingültig überprüfbar sein. Zweitens die Datenkongruenz, also die De-

ckungsgleichheit der Dateninhalte, die auch im Austausch von Vergabedaten gewährleistbar bleiben soll. Drittens ermöglicht das Monitoring von erfassten Daten der nachhaltigen Beschaffung. So könne das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) die Einhaltung der Quoten beim öffentlichen Einkauf von Fahrzeugen effektiv überwachen und daraus Maßnahmen ableiten. Da schadstoffarme Fahrzeuge nicht nur oberhalb der

EU-Schwellenwerte öffentlich eingekauft werden, muss das BMDV auch die Möglichkeit erhalten, die gleichen Daten unterhalb der EUSchwellenwerte zu erfassen.

Benchmarking ermöglichen Damit folgt die lokalisierte deutsche eForm in direkter Linie dem letzten Ziel, welches die EU sich mit der Einführung der eForms als neuem Standard der EU-weiten Vergabe gesetzt hat: der Schaffung einer transparenten Datengrundlage. Ob die Datengrundlage entsprechend genutzt wird und inwieweit sich die Daten der anderen Länder dann noch miteinander vergleichen lassen, lässt sich allerdings noch nicht sagen. Ein Ziel soll wie in Deutshcland das sammeln von Daten zu alternativen Antrieben und Treibstoffen in der Beschaffung sein.

Hamburger Vergabetag

18.–19. Januar 2024


-5047

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-5253

-5050

Projektgruppe Digitalisierung – Programm eJuNi – elektronische Justiz Nieders. – Digitalisierung in der Justizverwaltung

Gernot Lustig

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Jessica Laß

Referat 204 Prozessrecht, Kostenrecht, Insolvenz- und Vollstreckungsrecht, Streitschlichtung

Gisa Flesch

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-5100

Referat 203 Bürgerliches Recht, Familienrecht, Ziviles Betreuungsrecht, Öffentliches Betreuungsrecht

Heiko Leitsch

Referat 202 Bundesratsangelegenheiten, Öffentliches Recht, Prozessrecht der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten, Europarecht

Dr. Jan-Christoph Wehage

Referat 201 Wirtschaftsrecht, Amtshaftungsverfahren, Auslandsrechtshilfe (außer Strafrecht), Rechtsanwalts- und Notarangelegenheiten, Rechtsförmlichkeit im MJ, Nieders. Rechtspflege

-5087

Referat 303 Vollzugsgestaltung

Referat 302 Aufsicht, Steuerung, Controlling

Kristine Kurth

Christine Meyer Referat 305 Recht des Justizvollzuges, Medizinische Versorgung

Referat 304 Sicherheit, Belegung, Bauangelegenheiten

Joachim Dietzenschmidt

Dr. Anne Junker

Markus Mertin

Referat 301 Personal, Haushalt, Organisation

Dr. Stephanie Springer

Abteilung III Justizvollzug

Staatssekretär Dr. Thomas Smollich

Dr. Kathrin Wahlmann

Ministerin

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Julia Zwake

Abteilung IV Strafrecht, Strafprozessrecht und soz. Dienste

Niedersächsisches Justizministerium Am Waterlooplatz 1 30169 Hannover Telefon:0511/120-0 Telefax:0511/120-5170 E-Mail: poststelle@mj.niedersachsen.de Internet: www.mj.niedersachsen.de

Dr. Sven Mirko Damm

Referat 404 Strafprozessrecht, Organisierte Kriminalität

Martin Speyer

Referat 403 Soziale Dienste in der Strafrechtspflege, Jugendstrafrecht, Terrorismus

Jessica Knab-Henrichs

Referat 402 Materielles Strafrecht, Rechtshilfe

Referat 401 Korruption, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht Ilva Gelmke

-5072

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Persönliche Referentin der Ministerin

Daniel Graschtat

Leiter des Büros der Ministerin, Kabinettsund Parlamentsangelegenheiten

Dr. Thomas Hackner

Foto: BS/MJ Niedersachsen

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05141/5939-111

05141/5939-203

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Sebastian Schuster

05141/5939-203

Referat PA II Zweite juristische Staatsprüfung, Recht der Juristen­ ausbildung, Ausbildungsangelegenheiten, abteilungs­ übergreifende Aufgaben

Dr. Simon Schnelle

Referat PA I Erste juristische Prüfung

Sebastian Schuster

Landesjustizprüfungsamt Juristische Prüfungen, Juristenausbildung

Susanne Wolter

Referat PrävO 3 (LPR) Geschäftsführung und Geschäftsstelle des Landes­ präventionsrats, Kommunale Kriminalprävention, Fachstelle Opferschutz, Prävention häuslicher Gewalt (Koordinierungsstelle häus­liche Gewalt), Qualifizierung und Wissenstransfer in der Kriminalprävention

Dr. Andreas Jakob Schwegel

Referat PrävO 2 (LPR) Prävention von politisch und religiös motiviertem Extremismus, Demokratieförderung, Geschäftsstelle des Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens

Kirsten Böök

Referat PrävO 1 Justizielle Angelegenheiten des Opferschutzes sowie Opferhilfe, Geschäftsstelle des Landes­beauftragten für Opferschutz

Kirsten Böök

Referatsgruppe PrävO Prävention und Opferschutz

Thomas Pfleiderer Geschäftsstelle:

Landesbeauftragter für Opferschutz

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Niedersächsisches Justizministerium Stand: Januar 2024

Personelles

Projektgruppe Neubau Hochsicherheitsgebäude Celle

Isabella Alberding

N.N.

Referat 108 Elektronische Akte in Rechtssachen, ERV, Fachanwendungen, Register, KI

Isabella Alberding

Referat 107 IT (Strategie, Grundsatzangelegenheiten, Betrieb, Haushalt, Sicherheit), Digitale Verwaltung

Dr. Mareike Morgenstern

Referat 106 Justizausbildung, Fortbildung, Internationale Zusammenarbeit im Bereich der Justiz

Birgit Splettstößer

Referat 105 Personalangelegenheiten des MJ – ohne höheren Dienst – Organisation des MJ, Hauptbüro

Dr. Nicole Hellmich

Referat 104 Haushalt, Besoldung, Statistik, Controlling

Gernot Lustig

Referat 102 Aufbau- und Ablauforganisation der Gerichte, Bau und Sicherheit

Vanessa Klingberg

-5099

-5077 -5043

Abteilung II Zivilrecht, Öffentliches Recht

Dr. Thomas Matusche

Kathrin Wessels

Gleichstellungsbeauftragte

Verena Brinkmann Dr. Christoph Sliwka

Pressestelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

Referat 101 Personalangelegenheiten, Personalvertretungs­angelegenheiten, Personalentwicklung

Oliver Sporré

Abteilung I Personal, Haushalt, Organisation

Prof. Dr. Gerhard Wegner Geschäftsstelle: -8750

Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens

Niedersächsisches Justizministerium

Behörden Spiegel / Januar 2024 Seite 9


Diplomaten Spiegel

Seite 10

Behörden Spiegel / Januar 2024

Völkerverständigung zum Anfassen Berliner Gespräch mit Dr. Fernando Morejón Pazmiño, Botschafter von Ecuador (BS/ps) Ecuador ist mit 256.370 Quadratkilometern etwa so groß wie Deutschland – ohne Bayern, was zugegebenermaßen unvorstellbar ist. Grundsätzlich fänden unsere 13 Millionen süddeutschen Landsleute in dem südamerikanischen Staat am Äquator übrigens problemlos Platz. Dort wohnen zwischen Kolumbien, Peru und Pazifik knapp 18 Millionen Menschen, das sind 71 pro Quadratkilometer, in landschaftlich ebenso verschiedenen wie schönen Gegenden: der Sierra (Anden) mit der Hauptstadt Quito und bis zu 6.000 m hohen Bergen, der Küstenregion Costa mit der größten Stadt des Landes Guayaquil (ca. 3,3 Mio. Einwohner), dem Oriente, den Regenwäldern des Amazonas, und den etwa 1.000 km vom Festland im Pazifik gelegenen Galápagos-Inseln.

Grünstirn-Brillantkolibris, Ananas-Ingwer-Pflanze: Sinnbildlich für Ecuadors faszinierende Biodiversität

B

otschafter des geografisch, topografisch und klimatisch so vielfältigen Landes bei uns ist nun zum zweiten Mal Dr. Diego Fernando Morejón Pazmiño. Der heute 63-Jährige kommt 1985 erstmals als Diplomat nach Bonn, wird 1993 Generalkonsul in Berlin und übernimmt dort von 2000 bis 2005 ad interim die Vertretung seines Landes und diese 2016 erstmals für ein Jahr als Hausherr. Wenn nicht in unserer alten oder neuen Hauptstadt präsent, schickt ihn seine Regierung in Quito zur UN in New York, ins eigene Außenministerium und im November 2022 wieder nach Deutschland. Wie schon vor sechs Jahren findet er, „dass unsere bilateralen Beziehungen seit ihrer Aufnahme 1952 allerbestens und seitdem beträchtlich gewachsen sind. Vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit, Umweltpolitik, bei Handel, Investitionen und dualer Ausbildung“.

Dr. Diego Fernando Morejón Pazmiño ist zum zweiten Mal Chefdiplomat in der Bundesrepublik. Foto: BS/Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

In der EU ist Deutschland mit Exporten bzw. Einfuhren von 437 Millionen Euro ein wichtiger Handelspartner Ecuadors. Das am 1. Januar 2017 in Kraft getretene EU-Handelsabkommen hat den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zusätzliche Impulse gegeben. Und durch die von Berlin finanziell kräftig unterstützten Kooperationen können Anliegen der Umwelt, Biodiversität, des gesellschaftlicher Zusammenhalts, Good Governance, Migration, nachhaltiger Stadtentwicklung und Mobilität angegangen und fortgeführt werden. „Die neue Regierung von Daniel

Noboas seit Oktober 2023 im Amt, plant überdies, durch mehr Sicherheit, Bildung, Kultur und die Förderung junger Unternehmen mehr Arbeitsplätze zu schaffen, Handelsbeziehungen, Tourismus, Infrastrukturen und das Gesundheitswesen auszubauen und verstärkt in den Umweltschutz zu investieren. Gleich Ende November wurde das Betäubungsmittelgesetz verschärft, um den Kampf gegen Drogendelikte zu potenzieren“, führt er aus. Ein Großteil des Kokains, das nach Europa geschmuggelt werde, komme aus Ecuador, was mit dem Friedensprozess im Nachbarland Kolumbien zu tun habe. Die Farc-Rebellen und die dortige Regierung haben Frieden geschlossen. Die Farc hatte darauf ihre Waffen abgeben und sich vom Drogenanbau zurückgezogen.

Dominosteine, Wurst und Bier Fernando Morejóns zweiter Start als Chefdiplomat verläuft ganz im Sinne der alten Griechen und damit erfolgreich. Der Doktor der Jurisprudenz findet sich in Deutschland bestens zurecht: „Ich habe 1966 die deutsche Schule in Quito, die es dort seit 106 Jahren gibt, besucht und dabei nicht nur die Sprache gelernt, sondern alles Wissenswerte über die Bundesrepublik, ihre Kultur, Kunst, Bräuche, Weihnachtslieder, Dominosteine, Wurst und Bier. Mitte des Jahres gabs immer eine Kirmes und jeden Montag um sieben Uhr sangen wir in der Klasse unsere Nationalhymnen. Ihre kann ich immer noch… Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland! Danach lasst uns alle streben“, zitiert er den Text fehlerfrei, „und singe sie bei passenden Gelegenheiten gerne mit. Obwohl ich Ausländer bin“, fügt er lachend hinzu. Bewunderung empfindet er für Persönlichkeiten wie den ersten Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer und freue sich, wenn deutsche Bundespräsidenten wie Gustav Heinemann, Johannes Rau, Richard von Weizsäcker und Frank-Walter Steinmeier Ecuador besuchten. Rau stieg sogar während seiner Visite zum Häuptling eines indigenen Stammes auf. Dies hinterließ in der Geschichte der Länder eine herzliche Spur der gelebten Völkerverständigung: über Sprach- und Kulturbarrieren hinweg. In puncto kultureller Annäherung findet er, dass die Ecuadorianer in Lateinamerika als tüchtig, pro-

duktiv und arbeitsam gelten. Man könne sie ganz gut mit den Deutschen vergleichen, die in Europa einen ähnlichen Ruf, als strebsame Nation mit besonders ausgeprägter Berufsethik hätten, erzählt der Botschafter. „Trotzdem habe ich während meiner Bonner Zeit von 1985 – 1989, nicht mit der Wiedervereinigung gerechnet und war damit nicht allein.“ Der damalige SPD-Politiker Dr. Hans-Jochen Vogel, den er sehr geschätzt habe, sagte noch im September 1989: „Die Wiedervereinigung ist schwer zu realisieren. Wir versuchen immer wieder, alles dafür zu tun, aber es ist praktisch unmöglich, die Mauer wegzukriegen“. Einen Monat später begann das Unmögliche möglich zu werden und Johann Wolfgang von Goethe hat wieder einmal recht behalten: „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ (Faust, Teil I). Und manchmal ist das auch gut so. Weniger gut findet Morejón, dass unser Interesse an Ecuador doch einiges zu wünschen übrig lässt. „Warum besucht Kanzler Olaf Scholz bei seiner Südamerika-Reise Anfang 2023 nur Argentinien, Brasilien und Chile und nicht das Land, mit dem seines schon seit über 70 Jahren sehr gute Beziehungen hat?“ Ganz einfach! Alle drei Länder seien reich

an Bodenschätzen, die mit deren Hilfe zu fördern wären, oder, wie Brasilien, daran interessiert, sich mit deutschem Know-how zu reindustrialisieren. „Wir haben daher mit einer Art Werbekampagne alle wichtigen Ansprechpartner in Ministerien, Industrie, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hierzulande kontaktiert und darauf hingewiesen, dass unsere Zusammenarbeit zwar auf allen Ebenen seit vielen Jahrzehnten gut funktioniert, es aber auch weiterhin genug zu tun gibt“ – mit einer auf nachhaltige Erfolge und langfristige Zusammenarbeit gerichteten Winwin-Strategie etwa.

Grüner Wasserstoff Beispiele seien, neben den aktuellen Plänen der Regierung im Umweltschutz, der Ausbau von Infrastrukturen und auch die Herstellung von grünem Wasserstoff, so Morejón. Dabei wird durch Wasserspaltung Wasserstoff gewonnen, wobei die Energie für die Elektrolyse vollständig aus erneuerbaren Energien wie Wind- oder Sonnenenergie stammt. Dass sich damit gut Geld verdienen lässt, zeigt die Tyssenkrupp-Tochter Nucera mit ihrem Elektrolyse-Verfahren. Weitere Kooperationen sieht er

auch im nicht technischen Bereich: „In den ecuadorianischen Anden wachsen lange haltbare, schöne Rosen für den Export, die wir überall für uns sprechen lassen können. Und unsere nachhaltige Landwirtschaft, insbesondere im Amazonasgebiet, liefert besten Kaffee und Kakao, ohne den Regenwald dafür zu roden“, erzählt der Botschafter. Insbesondere die hohe Qualität der Trinkschokolade ist mit einer Tradition von über 5.000 Jahren weltberühmt. Und schließlich wären da die Touristenziele zu empfehlen. „An nur einem Tag kann ein Besucher an unsrem Pazifikstrand zum Frühstück frische Meeresfrüchte genießen, zu Mittag an den Hängen ewig schneebedeckter Berge in den Anden essen und mitten im dichtesten Regenwald zu Abend tropische Delikatessen speisen“, schwärmt er. Am nächsten Tag, nach weniger als zwei Stunden Flugzeit, ist man dann schon auf den Galapagosinseln, einem der sieben Naturwunder der Erde. Daher spreche man von den sogenannten vier Welten Ecuadors: Amazonas-Regenwald, andines Hochland, Pazifikküste und den Galapagosinseln. „Das Besondere daran ist, dass es bei uns eine unübertreffliche Vielfalt an Klima- und Vegetationszonen, Flora, Fauna, Kulturen und Bräuchen gibt.“

Gitarre und Flugzeug In fünf Jahren ist die Diplomatie für Morejón beendet und Señor Embajador dann Pensionär. „Ich freue mich darauf, mir dann endlich einige meiner Wünsche erfüllen zu können. Mit 22 Jahren habe ich den Flugschein gemacht. Mein Vater war bei der Luftwaffe und ich habe natürlich versucht, ihm nachzueifern. Also werde ich es mit der Fliegerei wieder versuchen.“ Das Nächste, was er sich als Ruheständler vorgenommen hat, ist bodenständiger. „Ich werde wieder Gitarre spielen, vor allem klassische Stücke. Ein paar Grundkenntnisse habe ich schon!“ Letzte Frage – mit wem würde er gerne mal tauschen? „Mit Dag Hammarskjöld (1905 – 1961), charismatischer zweiter UNO-Generalsekretär. Der Schwede brachte es 1954 fertig, 6.000 Kriegsgefangene in Korea frei zu verhandeln, 1956 die Suezkrise binnen 48 Stunden in den Griff zu bekommen und im selben Jahr auch noch mäßigend auf die Sowjetunion im Volksaufstand in Ungarn einzuwirken.“ Vielleicht würde er es auch heute schaffen, Friedensverhandlungen einzuleiten, hinterfragt Botschafter Morejón abschließend.

Rezept des Botschafters Fanesca-Suppe Zutaten (4 Pers.): 1.000 g Kabeljau, 250 g kanarische Bohnen, 250 g weiße Bohnen, 250 g Bayo-Bohnen, 250 g Kidneybohnen, 250 g Linsen, 250 g Kichererbsen, 250 g Mote-Mais, 250 g Erbsen, 250 g Mais, 250 g Ackerbohnen, 250 g Kürbis, 240 g Zucchini, 100 g Weißkohl, 100 g Palmenherzen, 100 g Erdnusscreme, 200 g Cotija-Käse (oder Feta), 30 g Butter, 1 große rote Zwiebel, 1 Lauchzwiebel, 2 Avocados, 2 Kochbananen, 500 ml Milch, 1 TL Knoblauch (kleingeschnitten), 1 EL Koriander, 1 TL Kümmel, 1 TL Oregano, Salz und Pfeffer, Eier nach Belieben, Öl zum Frittieren der Kochbananen, Salat und Crème fraîche Zubereitung: Bohnen einen Tag vorher einweichen, dann separat kochen. Die Kochbananen schneiden und in Öl frittieren. Avocados vierteln, Eier und Käse in Scheiben schneiden. Den Fisch nun ebenfalls kochen, entgräten und einen Teil des Wassers aufheben. Den Weißkohl klein schneiden, kochen und beiseitestellen. Die Milch mit der Erdnusscreme verquirlen und zur Seite stellen. In einem großen Topf rote Zwiebeln, Knoblauch, Lauchzwiebeln, Kümmel, Butter, ein wenig Koriander, Pfeffer und Oregano frittieren. Kürbis und Zucchini in Würfel schneiden, kochen und pürieren. Danach in den großen Topf geben. Dazu noch das vom Fisch aufgehobene Wasser, die Erdnuss-Milch-Mischung, die gekochten Bohnen und die in kleine Scheiben geschnittenen Palmenherzen geben. Das Ganze etwa 15 bis 20 Minuten köcheln lassen und regelmäßig umrühren. Zuletzt noch etwas Creme Fraiche, den Rest des Korianders, Salz und Pfeffer hinzugeben und etwas bei schwacher Hitze köcheln lassen. Die Suppe mit geschnittenen Eiern, Avocado, Salat, Käse und zuvor gebratenen, gelben Kochbananen dekorieren – fertig. Dazu: Pilsner, Foto: BS/ FABIAN PONCE GARCIA, stock.adobe.com Bier oder Riesling.


Kommune Behörden Spiegel

Berlin und Bonn / Januar 2024

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Müllberge (BS/Marlies Vossebrecker) Nicht nur nach der Silvesternacht sind innerstädtische Straßen und Plätze stark verschmutzt: Vielerorts sammeln sich Unrat und Müll im öffentlichen Raum an. Dabei scheint der Gedankengang zu gelten, wo bereits Abfall liegt, kann umso mehr Abfall abgelegt werden. Doch warum haben so viele Kommunen mit immer größeren Mengen an Müll zu kämpfen? Und stehen sie dem Problem machtlos gegenüber?

Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von Davivd, stock.adobe.com (Generiert mit KI)

M

it diesen Fragestellungen sieht sich etwa die Stadt Köln konfrontiert. Da laut Stadt der öffentliche Raum für Freizeitaktivitäten zunehmend an Bedeutung gewinnt, hätten sich gerade Plätze und Grünanlagen zu beliebten Treffpunkten entwickelt. Zusätzlich verstärke der Trend des To-go-Verzehrs durch Einwegverpackungen das Aufkommen größerer Müllmengen. Trotz der intensiven Nutzung des öffentlichen Raums seien Respekt und Wertschätzung ihm gegenüber gesunken, etwa durch unachtsames Hinterlassen von Abfall. Infolge von steigendem Müllaufkommen sei die kontinuierliche Anpassung der Straßenreinigungskosten unumgänglich. Inzwischen lägen die jährlichen Reinigungskosten bei rund 13 Millionen Euro – Tendenz steigend.

Die geschilderten Gegebenheiten bestätigt der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB): In den letzten Jahren habe die mutwillige Vermüllung, sogenanntes Littering, drastisch zugenommen. Ursächlich seien hier vor allem neue Ernährungsgewohnheiten, fehlende Wertschätzung des öffentlichen Raums sowie schlichte Bequemlichkeit: „Betroffen sind nahezu alle Bereiche des öffentlichen Raums: öffentliche Stra-

ßen, Innenstädte, Parkplätze, Flussufer, aber auch Wälder“, erläutert der DStGB. Die Stadt Köln versucht derweil auf verschiedenen Wegen, der wachsenden Problematik beizukommen. Aktuell sind ein Zero-Waste-Konzept sowie der Masterplan Stadtsauberkeit in Arbeit bzw. in Umsetzung, um die Müllmengen zu reduzieren. Daneben existieren verschiedene Kampagnen für Anreize zur Abfallvermeidung. Die Stadt organisiert außerdem Reinigungsaktionen oder bietet ein umfangreiches Entsorgungsangebot etwa für Sperrmüll an und sanktioniert Littering mit teils hohen Geldbußen. Allerdings sind den Kräften des Ordnungsamts oft die Hände gebunden, denn illegale Verschmutzungen können nur dann geahndet werden, wenn sie unmittelbar beobachtet werden. Dies bestätigt der DStGB und verweist auf die Möglichkeit von verstärkten Kontrollen, erhöhten Bußgeldern oder Kampagnen zur Schärfung des Umweltbewusstseins. Doch was sowohl bei Kommunen als auch bei Verbänden in der Theorie schlüssig klingt, verfügt in der Praxis nicht über genügend Durchschlagskraft, um achtloser und mutwilliger Verschmutzung effizient entgegenzuwirken. Die genannten Ansätze führen letztlich zu keiner zufriedenstellenden Lösung. Gerade die Vielzahl an Kleinstverschmutzungen, wie beispielsweise Kaugummi-Ausspucken oder Zigarettenkippen-Hinterlassen, bleibt vielfach ungestraft, weil es keine direkten Zeugen gibt und viele Bürgerinnen und Bürger derartiges Verhalten nicht als ordnungswidrig einstufen dürften. „Nicht die Stadt macht den Müll, sondern die Menschen“, heißt es

aus der Stadt Köln. Es kommt auf die Beteiligung der Bevölkerung an. So organisiert der Kölner Verein KRAKE e. V. etwa ehrenamtliche Müllsammelaktionen. Christian Stock, der Erste Vorsitzende des Vereins, sieht unter anderem in gleichgültigem Verhalten Gründe für die zunehmende Vermüllung

men zählten, die Abfälle illegal im öffentlichen Raum ablagerten, um so gewerbliche Entsorgungskosten zu umgehen. In ganz Berlin beseitige die BSR durchschnittlich rund 35.000 Kubikmeter illegale Müllablagerungen wie Sperrmüll, Elektroschrott und sonstige Abfälle pro Jahr, ausge-

Es vergeht keine Sekunde in Berlin, ohne dass irgendwo Müll im öffentlichen Raum anfällt.“ Anne Sebald, Geschäftsführerin und Projektleiterin von wirBERLIN

Kölns: „Was wir bei den Aktionen des KRAKE e. V. regelmäßig am Rheinufer, in Parks und Wäldern finden, sind Zigarettenstummel, Einwegverpackungen, To-go-Becher, Überbleibsel von Grillfeiern, Glitterkonfetti und Luftballons“, so Stock. Er appelliert an die Menschen, ihr Einkaufsverhalten zu überdenken und etwa auf unnötige Plastikverpackungen zu verzichten.

Mitarbeit der Bevölkerung ist entscheidend Das bürgerschaftliche Engagement sei notwendig, um das Littering einzudämmen, erklärt er, und verweist darauf, dass viele Kommunen Interessierten Gerät für Müllsammelaktionen kostenlos zur Verfügung stellten. In Berlin bereiten neben Littering vor allem Sperrmüll, blaue Müllsäcke und in besonderem Maße auch Bauabfälle Sorgen. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) berichtet von rechtswidrig handelnden Gewerbetreibenden, zu denen etwa unseriöse Entrümpelungs- oder Baufir-

nommen Bauabfälle, so die BSR. Dadurch entstünden jährliche Kosten in Höhe von rund fünf Millionen Euro. „Die Menge an illegalen Müllablagerungen bewegt sich seit Jahren berlinweit auf einem hohen Niveau“, erläutert die BSR und beklagt: „Manche Straßen werden beispielsweise wöchentlich von uns angefahren, um illegale Müllablagerungen zu entfernen.“ Durch eine Gesetzesänderung im Mai 2023 hat die BSR den Auftrag zur unmittelbaren Beseitigung illegaler Müllablagerungen erhalten, wodurch gesonderte Einzelbeauftragungen in diesem Bereich entfallen: „Die erfolgten Gesetzesänderungen ermöglichen es der BSR nun, im Rahmen eines Gesetzesauftrags sowohl illegale Müllablagerungen als auch unerlaubt abgeladene Bauabfälle zu beseitigen – und zwar im öffentlichen Straßenland sowie in Grünanlagen und Forstgebieten. Das hat die Logistik zur Entfernung solcher Ablagerungen im Vergleich zur bisherigen Beauftragungspraxis deutlich verbessert“, heißt es

von der BSR. Ebenso wie die Stadt Köln setzt auch die Hauptstadt auf hohe Bußgelder, Kampagnen und zahlreiche Entsorgungsangebote. Neben 14 Recyclinghöfen gibt es beispielsweise einen Sperrmüll-Abholservice oder ein Gebrauchtwarenhaus für ausrangiertes Mobiliar. Zudem brauche es das Verantwortungsgefühl der Menschen, die vorhandenen Angebote zu nutzen. Bürgerschaftliches Engagement fördert auch die gemeinnützige Initiative wirBERLIN, die sich mit Müllsammelaktionen und Kampagnen gegen die zunehmende Vermüllung Berlins einsetzt. Geschäftsführerin und Projektleiterin Anne Sebald nennt Bequemlichkeit und mangelndes Bewusstsein als Gründe für Littering. Kritisch steht auch sie dem To-go-Verzehr im Freien gegenüber und bestätigt die Beschreibungen der BSR, dass vielerorts Sperrmüll abgelagert wird. Sebald weiß: „Es vergeht keine Sekunde in Berlin, ohne dass irgendwo Müll im öffentlichen Raum anfällt.“ Ähnlich wie Stock sieht auch Sebald die größten Erfolgschancen im bewussten Konsum der Bevölkerung und in der Teilnahme an Reinigungsaktionen, die wirBERLIN seit 13 Jahren regelmäßig anbietet. Dennoch betont Sebald, dass die Kommunikation unbedingt auf Augenhöhe stattfinden solle, unter Verzicht auf moralische Belehrungen. Entscheidend könnten auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sein, die eine Vorbildfunktion darstellten. Zugleich nimmt Sebald die Stadt selbst in die Pflicht: Neben weiteren Programmen zur Umweltbildung und Anreizschaffung für umweltfreundliches Verhalten könnte etwa die Förderung lokaler und nachhaltiger Initiativen hilfreich sein.


Kommunalpolitik

Seite 12

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ie aktuelle Hochwasserlage in Teilen Deutschlands zeigt: Wetterextreme werden auch hierzulande immer mehr zur Belastungsprobe für Kommunen. Während viele Städte und Gemeinden im Sommer unter Hitze ächzen, bringt in anderen Jahreszeiten anhaltender Starkregen Hochwasser mit sich. Steigende Pegel verursachen kostspielige Schäden sowie erhebliche Einschränkungen der Infrastruktur und gefährden Menschenleben. Seit einigen Jahren haben Städte und Gemeinden verstärkt mit solchen Szenarien zu kämpfen. Begünstigt werden Hitzeinseln und Hochwasser dadurch, dass die Urbanisierung stetig zunimmt und viele Flächen innerorts versiegelt sind. Um diesen Problemen entgegenzuwirken und außerdem klimaresilienter zu werden, setzen immer mehr Kommunen auf das Konzept der Schwammstadt. Im Kern verfolgt dieses Konzept, das Regenwasser in der Stadt zu halten und später nach Bedarf – ähnlich wie ein Schwamm – kontrolliert abgeben zu können.

Verschiedene Infrastrukturformen Dabei müssten blaue, grüne und graue Infrastruktur gleichermaßen bedacht werden, erklärt Wolfgang Heidenreich von Green City e. V.: „Begrünte Dächer und Fassaden, Parks, Wiesen und Gärten zählen zur grünen Infrastruktur. Als blaue Infrastruktur bezeichnet man Wasserrückhaltebecken, Versickerungsmulden oder Feucht-

D

ie dramatischen Bilder von der Flutkatastrophe im Ahrtal sind noch nicht vergessen. Wir gewöhnen uns an Trockenperioden im Sommer, an großflächige Waldbrände und besorgniserregendes Niedrigwasser in vielen Gewässern. All das gibt uns eine Vorahnung auf das, worauf die Städte und Gemeinden sich in Zukunft einstellen müssen. Pragmatische Kommunalpolitik beschäftigt sich mangels wirksamer Einflussnahme weniger damit, wie der Klimawandel gestoppt werden kann. Sie braucht vielmehr eine Strategie, um sich den kommenden Herausforderungen des Klimawandels erfolgreich stellen zu können. Unsere Kommunen sind die Akteure, auf die es ankommen wird. Dabei kommt den Verwaltungen und politischen Gremien vor Ort eine entscheidende Bedeutung zu. In den von der Flutkatastrophe betroffenen Kommunen stehen Verwaltungen und Gremien nicht nur unmittelbar in der Verantwortung. Sie sind auch bereits erheblich von den Folgen des Klimawandels betroffen. Die Sensibilität ist in diesen Regionen zwangsläufig sehr hoch. Wetterextreme sind mittlerweile an der Tagesordnung.

Klimaanpassungsstrategien entwickeln Entwicklungen wie sinkende Grundwasserspiegel, Wald- und Bodenschäden oder Veränderungen in der Tier- und Pflanzenwelt stellen alle Kommunen vor große Herausforderungen. Das Gebot der Klimaanpassung ist ein neues Element der kommunalen Daseinsvorsorge geworden. Klimaanpassung wird nur mit den Menschen funktionieren. Wer außer den Kommunen kann hier vernünftige Strategien Rolf Hartmann steuerte von 2004 bis Ende Oktober 2020 als Bürgermeister die Gemeinde Blankenheim. Foto: BS/privat

Behörden Spiegel / Januar 2024

Vom Regen in die Klimaresilienz Schwammstädte gegen Hochwasser und Hitze (BS/Marlies Vossebrecker) Deutschlands Kommunen sind aufgrund des Klimawandels immer häufiger von Hitzeperioden und Starkregen betroffen. Beides senkt nicht nur die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner, sondern richtet auch Schäden an, etwa durch Hochwasser. Das Konzept der Schwammstadt kann Abhilfe schaffen. Doch seine Etablierung gestaltet sich als langwieriger Prozess mit Hindernissen. Artenvielfalt sowie für den Gewässer- und Überflutungsschutz, weil diese Projekte Starkregenfolgen milderten […]. Auf diese Weise könnten letztlich die Lebensqualität und Attraktivität in den Städten gesteigert werden.

Umbau zur klimaresistenten Stadt

Regenwasser kann durch effiziente Methoden der Schwammstadt gespeichert und geFoto: BS/_Alicja_, pixabay.com nutzt werden.

gebiete wie Moore, Feuchtwiesen und Überschwemmungswiesen.“ Unter grauer Infrastruktur verstehe man Zisternen, Sickerkästen oder wasserdurchlässige Bodenbeläge. Durch die Kombination dieser verschiedenen Arten von Infrastruktur und der genannten Maßnahmen könne Wasser versickern, gespeichert oder zur Bewässerung genutzt werden, so Heidenreich weiter. Auch die erst 2018 gegründete Berliner Regenwasseragentur versucht, mittels Schwammstadt-Konzept „das bei uns rare Regenwasser

durch Versickerung, Verdunstung oder andere Nutzung […] auf möglichst jedem Grundstück zu bewirtschaften und nicht mehr abzuleiten“. Ebenso wie Green City e. V. spricht sich die Regenwasseragentur für das Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen aus, wie etwa Mulden-Rigolen-Systeme, Tiefbeete oder offene Wasserflächen, um einen Mehrfachnutzen zu erzielen. Die Schwammstadt sei gut für die Grundwasserneubildung und -schonung, für das Mikroklima (Verdunstungskühle), für die

Auf identische Maßnahmen zum (Regen-)Wassermanagement in Städten greift die Zukunftsinitiative Klima.Werk zurück, ein Netzwerk „aus Kommunen und Emschergenossenschaft im Ruhrgebiet für stadt- und fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit“. Andreas Giga, Leiter des Netzwerks, hebt die Bedeutung des Einsatzes für mehr Klimaresilienz hervor: „Wir müssen diese Maßnahmen zur Klimaanpassung nur konsequent umsetzen, um die Städte klimaresilient umzubauen. Das betrifft städtische und private Infrastrukturen.“ Die Zukunftsinitiative Klima.Werk habe bereits bauliche Lösungen vorzuweisen, um Regenwasser nach dem Prinzip der Schwammstadt zu speichern, versickern und verdunsten zu lassen, damit das Wasser vor Ort

Klimaanpassung: neue Aufgabe der Daseinsvorsorge Maßnahmen in Kommunen (BS/Rolf Hartmann) Der Klimawandel ist nicht mehr vollständig aufzuhalten. Die Folgen sind enorm. Eine Trendumkehr ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil: In jedem Jahr nehmen die Wetterextreme zu. entwickeln. Es sind unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Rat und Verwaltung, die für die Bevölkerung Ansprechpartner vor Ort sind. Die kommunale Ebene darf hier nicht alleine gelassen werden. Bund und Länder müssen den Kommunen verlässliche Klimadaten liefern. Darüber hinaus haben sie die Städte und Gemeinden effektiv zu beraten und vor allem finanziell in die Lage zu versetzen, wirksame Klimaanpassungsstrategien zu entwickeln.

Beispiel NRW: Digitaler Klimaatlas Der Ansatz in Nordrhein-Westfalen könnte Vorbildcharakter für das gesamte Bundesgebiet haben. Im neuen digitalen Klimaatlas NRW sind seit November 2022 alle Karten, Daten und Werkzeuge zum Klimawandel und zur Klimafolgenanpassung in NRW zusammengefasst und nutzerorientiert veröffentlicht. Zuvor gab es nur kleinteiliges Datenmaterial. Für jeden Standort in Nordrhein-Westfalen findet man detaillierte Informationen zur Entwicklung des Klimas vor Ort. Welche thermische Belastung hat meine Stadt am Tag und in der Nacht zu einer definierten Temperatur und Wetterlage? Wo bilden sich in meiner Gemeinde Hitzeinseln und welche Räume werden von Frischluft gekühlt? Die landesweite Starkregenhinweiskarte gibt Informationen über Überflutungsflächen, Überflutungstiefen sowie Fließgeschwindigkeiten, und zwar dann, wenn es zu einem sogenannten „seltenen Starkregen“ (Intervall: 100 Jahre) kommt. Für jeden beliebigen Ort in NordrheinWestfalen sind potenzielle Auswirkungen eines „seltenen Starkregens“ abgreifbar. Den Kommunen werden damit Risikoflächen aufgezeigt.

Eine sinnvolle Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel stellt die Dachbegrünung dar. Gründächer haben multiple Vorteile, wirken sich nicht nur positiv auf das Klima aus, sondern senken auch die Temperaturen in der Stadt. Sie kühlen die Gebäude, halten Regenwasser bei Starkregen zurück, sparen Energie und binden Feinstaub und CO2. Das Gründachkataster NRW trifft für viele Dachflächen adressgenau eine Aussage, ob grundsätzlich eine Dachbegrünung möglich ist. Dachneigung, Exposition und Verschattung spielen eine entscheidende Rolle. Das Gründachkataster hilft mit hochauflösenden Luftbildaufnahmen den Kommunen dabei, eine Potenzialanalyse vorzunehmen. Erkenntnisse aus dem Klimaanpassungsatlas müssen natürlich vor Ort heruntergebrochen werden. Wesentliche Erfolgsfaktoren werden der Wissensstand und die persönliche Motivation der Mitarbeitenden in den kommunalen Verwaltungen sein. Ein erster Schritt in die rich-

tige Richtung ist beispielsweise das Angebot in Nordrhein-Westfalen mit dem Qualifizierungslehrgang „Kommunales Nachhaltigkeitsmanagement NRW“. Es ist ein spezielles Programm zur Fortbildung der kommunalen Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Leider hinkt die allgemeine Verwaltungsausbildung hier hinterher. So hat die Klimaanpassung im Curriculum der Hochschule für Polizei und Verwaltung allenfalls eine ethische Bedeutung.

Hochwasserrisiko und Hitzeproblematik Was kann nun vor Ort zusätzlich getan werden? Grün- und Freiflächen im Stadtgebiet müssen gesichert und (durch Entsiegelung) zurückgewonnen werden. Die Vergrößerung der Misch- und Regenwasserkanäle ist dagegen keine realistische Option, um die Folgen der Regenereignisse abzufedern. Die Abflüsse der bebauten Lagen durch Zuflüsse von wild ab-

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Thementag: Bauen 4.0 – Digitalisierung im Planen, Bauen und Betreiben Dienstag, 23. Januar 2024 10:30 –13:45 Uhr

zur Bewässerung oder Kühlung zur Verfügung stehe, so Giga weiter. Allerdings ist es bei den angewandten Maßnahmen auch ausschlaggebend, bei welchen Gebäuden sie zum Einsatz kommen. Denn es muss zwischen Neubauten und Gebäuden im Bestand unterschieden werden. Giga erklärt, dass die üblichen Methoden zum besseren Wassermanagement in Neubaugebieten in der Regel mittlerweile berücksichtigt würden. Jedoch stelle der Umbau im Bestand eine größere Herausforderung dar und werde dementsprechend bereits seit Jahren gefördert. Heidenreich von Green City e. V. ergänzt: „Bei Neubauten kann bereits bei der Planung der Fokus auf die Wasserspeicherung gelegt werden. Im Bestand geht es darum, zu analysieren, an welchen Stellen Maßnahmen umgesetzt werden können, die dem Prinzip der Schwammstadt entsprechen.“ Beide Ausgangssituationen seien komplex und würden stetig weiter erforscht. Laut Regenwasseragentur muss in Berlin seit 2018 bei Neu- oder bestandsverändernden Umbauten Regenwasser komplett auf den jeweiligen Grundstücken bewirtschaftet werden. Doch eine Regelung für den (Alt-)Bestand stehe noch aus: „Hier wäre aus unserer Sicht, und um regulatorische Eingriffe ins Eigentum zu verhindern, die Schaffung von Förderprogrammen zur Entsiegelung bzw. zum schwammstadtgerechten Umbau sinnvoll“, heißt es von der Regenwasseragentur.

fließendem Wasser der Umgebungsflächen, die vor allem gartenbaulich und landwirtschaftlich genutzt werden, sind um ein Vielfaches größer als die Kapazitäten der Kanäle. Die hierfür erforderlichen Kanaldimensionen zu schaffen, ist schier unrealistisch. Stattdessen bietet sich eine GIS-basierte Fließweganalyse an. Diese ermöglicht eine Visualisierung der Risikoflächen und nimmt eine Bewertung des Starkregenrisikos vor. Ein enger Austausch mit den Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern, insbesondere mit den Betreibenden von Kritischer Infrastruktur, ist anschließend dringend geboten. Das Hochwasserrisiko ist jedem bewusst. Die Hitzeproblematik fällt dagegen vielen nicht unmittelbar auf. Sie gefährdet aber die Gesundheit vieler Menschen und mindert ihre Lebensqualität. Es geht also schlicht um Abkühlung. Denkbar sind zum Beispiel Baumpflanzungen an innerstädtischen Straßen und Plätzen mit Aufenthaltsfunktion, Trinkwasserspender und natürlich – wie bereits aufgezeigt – das Begrünen von Dächern und die Entsiegelung von Flächen. Selbst die Existenzberechtigung von Freibädern bekommt aus diesem Blickwinkel einen neuen Ansatz.

Ina Scharrenbach Bauministerin NRW

Kassem Taher Saleh

MdB Bündnis 90/Die Grünen

Dr. Christoph Krupp Vorstandssprecher BImA

Dr. Heinrich Bökamp Präsident Bundesingenieurkammer


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Januar 2024

G

rundlagen für diese positive Entwicklung sind die frühzeitige Implementierung fester Strukturen und die Definition klarer Prozesse in der Kreisverwaltung, der Aufbau starker Netzwerke und langjährige Bürgerbeteiligungsformate. Landrat Dr. Martin Sommer hat Klimaschutz zur Chefsache erklärt und das Amt für Klimaschutz und Nachhaltigk eit mit dem energieland2050 e. V. in seinem Dezernat angesiedelt. Sein Ansatz: „Ein Schlüsselfaktor für unsere Erfolge im Bereich der Windenergie war, die Bürgerinnen und Bürger früh und direkt zu beteiligen und damit für Akzeptanz und regionale Wertschöpfung zu sorgen.“ Die Grundlagen dafür wurden schon vor über zehn Jahren mit dem Masterplan Wind, der Servicestelle Wind, dem Runden Tisch Windenergie und den Leitlinien für Bürgerenergie geschaffen. Letztere wurden aktuell überarbeitet und erweitert. Darüber hinaus wurde eine kreisweit tätige Bürgerenergiegenossenschaft neu gegründet.

Erfolgsgeschichte Bürgerwind Im Kreis Steinfurt drehen sich momentan rund 300 Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von etwa 600 Megawatt. Damit liegt der Kreis Steinfurt auf Platz drei in NRW. Der bereits 2011 beschlossene Masterplan Wind legte die Grundlage für die Erfolgsgeschichte Bürgerwind. Es wurde ein Runder Tisch einberufen, bei dem sich seitdem mehrmals im Jahr Vertreterinnen und Vertreter von Kreis und Kommunen, Landwirtschaft, Naturschutz, Stadtwerken, Windparks, Planungsbüros sowie regionalen Banken und Sparkassen austauschen. Der Runde Tisch erarbeitete die „Leitlinien für Bürgerenergie“, deren Ziel es war und ist, die Entscheidungskompetenz vor Ort zu halten sowie wirtschaftliche, soziale und naturschutzfachliche Interessen gleichermaßen und angemessen zu berücksichtigen. Dieser Ansatz wurde seitdem konsequent und erfolgreich verfolgt: Gemeinsam und unter breiter Einbindung sind zahlreiche Bürger-

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egensburg steht wie jede andere Stadt vor großen stadtentwicklungspolitischen Herausforderungen. Eine stetig wachsende, vernetzte Stadt sowie dynamische gesellschaftliche und globale Trends werfen große Querschnittsthemen auf, die zu breit und komplex sind, um von einem Fachbereich oder einer Akteursgruppe alleine gelöst zu werden. Eine zukunftsfähige Stadtentwicklung braucht deshalb gemeinsame Ziele und ein interdisziplinäres, partizipatives Vorgehen. Mit dem Stadtentwicklungskonzept Regensburg-Plan 2040 wurde bereits eine wichtige Grundlage zur Bearbeitung dieser Themen im Sinne einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung geschaffen: Regensburg soll in Einklang mit der Neuen Leipzig-Charta zur grünen, gerechten und produktiven Stadt werden. Der Regensburg-Plan benennt dabei Klimaschutz als oberste Priorität und die Digitalisierung als große Chance.

Smart City als Möglichkeitsraum Die Smart-City-Strategie der Stadt Regensburg, die im Rahmen des vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen im Programm Modellprojekte Smart Cities geförderten Projekts REGENSBURG_NEXT entwickelt wurde, greift diese strategischen Grundpfeiler auf und liefert einen konkreten Handlungsrahmen, um diese Zukunftsthemen mithilfe di-

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Auf dem Weg zur Klimaneutralität Bürgerwind als zentraler Baustein (BS/Ralf Marpert) Der Kreis Steinfurt hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu werden und damit einen wichtigen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch im Kreis Steinfurt lag im Jahr 2020 bereits bei rund 88 Prozent.

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2010 2012 2014 2016 2018 2020 2023

Innerhalb der vergangenen zehn Jahre ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien im Kreis Grafik: BS/Spuling; Quelle: Kreis Steinfurt, Marktstammdatenregister Steinfurt weit vorangeschritten.

windparks in der Rechtsform als GmbH & Co KG mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von über 300 Millionen Euro realisiert worden. Über 4.000 Menschen aus der Region haben als Kommanditisten direkt investiert und sind an den

Warum eigentlich Töchter?

Gewinnen beteiligt. Darüber hinaus entsteht weitere regionale Wertschöpfung über neue Arbeitsplätze in den Bereichen Planung, Betrieb sowie Instandhaltung, und auch die kommunalen Haushalte profitieren durch Gewerbesteuern sowie kommunale Umlagen aufgrund § 6 EEG bzw. des Bürgerenergiegesetzes NRW nennenswert. Viele Menschen blicken entsprechend positiv auf den weiteren Zubau bzw. Repowering-Vorhaben in der Region.

Leitlinien für Bürgerenergie – neue Version und Zertifizierung

TAG DER BETEILIGUNGSVERWALTUNG 27.-28. Februar 2024, Hamburg

www.beteiligungsverwaltung.org

Die Leitlinien für Bürgerenergie setzen bis heute bundesweit Maßstäbe und enthalten unter anderem Vorgaben zum Mindestanteil des Eigenkapitals „in Bürgerhand“

sowie zur Ausgestaltung und Höhe der direkten finanziellen Beteiligung. Diese ist ab 1.000 Euro möglich und damit bewusst niedrig gewählt, um eine Partizipation möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Die Leitlinien für Bürgerenergie wurden 2022 aufgrund neuer Rahmenbedingungen und verschärfter Klimaschutzziele aktualisiert und enthalten nun auch Bestimmungen für die Umsetzung von BürgerPhotovoltaikprojekten. Als nächsten Schritt hat der Runde Tisch Wind im Jahr 2023 ein Zertifizierungsverfahren für leitlinienkonforme Bürgerwindparks auf den Weg gebracht. Die Zertifizierung ist ein Meilenstein zur Sicherung und Verstetigung des Themas Bürgerwind. Sie stärkt Akzeptanz und Sichtbarkeit der bestehenden, guten Projekte im Kreis Steinfurt und gibt den Kommunen ein Steuerungsinstrument für die Bewilligung neuer Windprojekte an die Hand.

Gründung einer kreisweit tätigen Bürgerenergiegenossenschaft Im Dezember 2022 wurde ferner die Bürgerenergiegenossenschaft „Energieland Kreis Steinfurt Bürgerenergiegenossenschaft eG“ (EKSBEG) gegründet. Die EKSBEG engagiert sich ausschließlich in Projekten gemäß der o. g. „Leitlinien für Bürgerenergie“ und bietet den Menschen im Kreisgebiet ein niedrigschwelliges Angebot zur finanziellen Beteiligung an lokalen Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien. Mehr als 2.000 Bürgerinnen und Bürger haben sich nach dem initialen Aufruf 2023 zur Zeichnung eines Genossenschaftsanteils der EKSBEG entschlossen. In Zukunft können damit auch z. B. Wind-Re-

Stadtentwicklung mal anders Wie Smart City in der Stadt Regensburg gedacht und gelebt wird (BS/Prof. Dr. Georg Stephan Barfuß, Franziska Meier, Katja Punk*) Die 12. Regionalkonferenz der Modellprojekte Smart Cities in Regensburg präsentierte Stadtentwicklung wie auch Stadtverwaltung in etwas anderem Licht: bunte Impulsvorträge, Speed-Dating und ko-kreative Workshops. Die Stadt Regensburg geht den Weg zur Smart City anders, neu, kreativ – und vor allem: gemeinsam. gitaler und innovativer Lösungen anzugehen. Das „Was“, die großen gemeinsamen Ziele, sind also klar, das „Wie“ gilt es aber gemeinsam auszuloten. Smart City verstehen wir dabei als Plattform für Innovation, Ko-Kreativität und Zusammenarbeit für eine zukunfts- und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung. Denn neben smarten Lösungen und innovativen Projekten braucht die Stadt der Zukunft vor allem auch eine Weiterentwicklung ihrer Kultur, ihres Selbstverständnisses, ihres Mindsets – sowohl in der Verwaltung selbst, als auch darüber hinaus in der gesamten Stadtgesellschaft. Im Mittelpunkt der Smart City Regensburg stehen deshalb alle Menschen, die gemeinsam ihre Stadt gestalten und definieren, wie sie zukünftig in Regensburg leben möchten. Nur so kann Smart City ganzheitlich gelebt werden – und nicht nur von Teilbereichen wie der Wirtschaft oder der Wissenschaft forciert werden. Mit den drei Leitbildern „Wir entwickeln mit allen und für alle“, „Wir denken und handeln offen und lösungsorientiert“ und „Wir eröffnen

Räume für Experimente, Technologien und digitale Teilhabe“ hebt die Smart-City-Strategie die Regensburger Herangehensweise an diese Entwicklung hervor. Anders als viele andere Strategien definieren wir die zentralen Handlungsfelder räumlich anstatt thematisch, um auch ein Denken in Disziplinen, Fachbereichen und Zuständigkeiten aufzubrechen und neue intersektorale Möglichkeitsräume zu fokussieren. Querschnittsthemen und Erfolgsfaktoren berücksichtigen dabei übergreifende Aspekte, wie Organisations- und Infrastrukturen, Kompetenzen und Beteiligung, die es auf dem Weg zur Smart City braucht.

Gemeinsam smart Mit einer Strategie allein ist es natürlich nicht getan. Strategische Visionen und Werte sind nur so gut, wie sie auch verfolgt und gelebt werden. Deshalb nehmen die durchgängige Beteiligung der Stadtgesellschaft und ko-kreative Methoden, aber auch verwaltungsinterne, neue Formen der Zusammenarbeit einen großen Stellenwert ein: Das Zukunftsthema Smart City wird

in einem interdisziplinären Team bearbeitet, das über die gesamte Stadtverwaltung verteilt ist und agil sowie hybrid zusammenarbeitet. Ein Smart-City-Beirat begleitet als Gremium aus Wirtschaft, städtischen Töchtern, Wissenschaft und Gesellschaft sowohl das strategische Gesamtkonzept als auch die operativen Maßnahmen. Viele dieser Maßnahmen sind als Ideen aus der Bürgerschaft entstanden, die von Verwaltung und Stadtgesellschaft zu konkreten Projektplänen ausgearbeitet wurden. Insgesamt sind so acht Umsetzungsprojekte entstanden, die unterschiedlichste Themenbereiche von Klimaresilienz bis Barrierefreiheit behandeln, aber alle eines gemeinsam haben: Jedes der Projekte wird von mehreren Fachbereichen der Verwaltung wie auch externen Umsetzungspartnern bearbeitet und durch Beteiligungsformate weiterentwickelt, getestet und evaluiert. Durch diese vielfältigen Kompetenzen und Perspektiven können Herausforderungen und Potenziale ganzheitlich betrachtet und in zukunftsfähige, nachhaltige Lösungen überführt werden. Die

poweringvorhaben zu echten Bürgerwind-Projekten werden, indem die EKSBEG definierte Anteile am Eigenkapital übernimmt und im Gegenzug neue Gesellschaftsanteile an Bürgerinnen und Bürger der Standortkommune ausgibt.

Breite Unterstützung der Windenergie im Kreis Steinfurt Die Arbeit im Bereich Windenergie – und somit für mehr Klimaschutz – ist im Kreis Steinfurt von einer langjährigen, engagierten Unterstützung der Kreispolitik, der Kommunen und der Verwaltung geprägt. Neben dem Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit arbeitet auch der dort angesiedelte „energieland2050 e. V.“ als Netzwerk von über 100 Unternehmen und den 24 kreisangehörigen Kommunen an der regionalen Energiewende. Bereits 2012 wurde die erste Servicestelle Windenergie mit EU- und NRW-Landesmitteln (LEADER) geschaffen und ist bis heute im energieland2050 e. V. des Kreises Steinfurt eingerichtet. Als wichtige Beratungs- und Informationsstelle hat sie zum Ziel, im Sinne von Bürgerwind zu unterstützen, zu beraten und zu vernetzen.

Ausblick Der Kreis Steinfurt hat sich mit dem Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2040 ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Die Zielerreichung wird nur gelingen, wenn der eingeschlagene Weg einer starken Bürgerbeteiligung konsequent weiterverfolgt wird. Die aktuellen Weltgeschehnisse und die immer deutlicher werdende Klimakrise machen eine schnelle Umsetzung der gesetzten Ziele umso notwendiger. Ralf Marpert besetzt beim energieland2050 e. V. die Servicestelle Wind und ist dort für die Verankerung des Bürgerwinds verantwortlich. Die Servicestelle ist für Information und Dialog zuständig. Foto: BS/privat

dabei entstehenden Lerneffekte, erprobten Prozesse und etablierten Strukturen sehen wir als Chance, auch über die Projektdauer hinaus ein urbanes Innovationsökosystem zu schaffen. Diese Methoden waren auch Kernthema der Regionalkonferenz der Modellprojekte Smart Cities vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, die im Dezember in Regensburg stattfand: Kommunale Vertreterinnen und Vertreter diskutierten zu ko-kreativer Raumentwicklung, interkommunaler Kooperation und verwaltungsübergreifender Zusammenarbeit und erarbeiteten in Design-Thinking-Workshops gemeinsam Lösungen. Und obwohl viele dieser Methoden untypisch für Verwaltungen sind, lassen sich damit smarte Lösungen und kreative Ansätze in einem städteübergreifenden Wissenstransfer in die kommunale Breite übertragen und skalieren. Denn auch das ist eine Erkenntnis aus der bisherigen Arbeit an dem Thema Smart City: Smarte Lösungen müssen nicht immer automatisch auch mit Digitalisierung erreicht werden. *Prof. Dr. Georg Stephan Barfuß verantwortet als Referent für Wirtschaft, Wissenschaft und Finanzen der Stadt Regensburg die Stabsstelle Smart City, in der Franziska Meier und Katja Punk das Zukunftsthema koordinieren.


Personelles

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Behörden Spiegel / Januar 2024

Steuern Sie mit Ihrer Expertise die Querschnittsfunktionen Finanzen, Personal, Organisation und IT unserer Stadt!

Setzen Sie an verantwortungsvoller Stelle Akzente für die zukünftige Entwicklung der sozialen Infrastruktur in Rösrath!

Die Stadt Wolfenbüttel kümmert sich als kommunaler Dienstleister um die öffentlichen Angelegenheiten im gesamten Stadtgebiet. Über 1.000 Beschäftigte arbeiten Tag für Tag für die rund 53.300 Bürgerinnen und Bürger Wolfenbüttels. Wir verstehen uns als historisch gewachsene und gleichermaßen weltoffene, freundliche und vielfältige Kreisstadt – als Wohnzimmer der Region. Als eine der investitionsstärksten Gemeinden Niedersachsens möchten wir unsere Zukunft weiterhin aktiv gestalten.

Die Stadt Rösrath, mit ihren rund 30.000 Einwohner*innen und ihrer Lage im idyllischen Königsforst in Nordrhein-Westfalen, präsentiert sich nicht nur durch ihre vielfältige landschaftliche Schönheit als attraktiver Wohnort, sondern zeichnet sich auch durch eine gute Infrastruktur aus, die eine verlässliche Anbindung an Großstädte wie Köln oder Düsseldorf, gewährleistet. Die Stadtverwaltung mit ihren ca. 220 engagierten Mitarbeitenden spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität in Rösrath.

Hierzu suchen wir im Zuge einer Altersnachfolge zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine engagierte Führungspersönlichkeit als

Im Zuge einer Nachfolgeregelung suchen wir eine umsetzungsstarke Führungspersönlichkeit als

Stadträtin / Stadtrat (w/m/d) für Finanzen und Interne Dienste

Erste Beigeordnete * Erster Beigeordneter (w/m/d)

Die Stadträtin / Der Stadtrat (w/m/d) des Dezernats I soll zugleich zur Stadtkämmerin / zum Stadtkämmerer (w/m/d) berufen werden. Die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Zeit erfolgt für die Dauer von acht Jahren. Eine anschließende Wiederwahl ist möglich. Wir bieten Ihnen eine Bezahlung nach Besoldungsgruppe B 3 NBesG sowie eine Dienstaufwandsentschädigung nach der NKBesVO.

In dieser herausgehobenen Funktion obliegt Ihnen die Leitung des Dezernates II sowie die Stellvertretung der Bürgermeisterin. Dem Dezernat II zugeordnet sind derzeit die Fachbereiche „Bildung und Sport“, „Bürgerdienste und Ordnung“, „Soziales“ und „Jugend“. Eine Änderung des Geschäftsbereiches bleibt vorbehalten. Die Wahl erfolgt für die Dauer von acht Jahren. Die Stelle ist nach Besoldungsgruppe A 16 LBesG NRW bewertet.

Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm. Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Raza Hoxhaj, Gianna Forcella oder Julia Schwick zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm. Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Birger Abromeit, Yanna Schneider und Waishna Kaleth zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

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Übernehmen Sie die Regie und managen Sie Bildung in Braunschweig! Die Volkshochschule Braunschweig GmbH (VHS) ist als Eigengesellschaft der Stadt Braunschweig ein kommunaler Dienstleistungsbetrieb für Bildung, Beratung, Qualifizierung und Kultur. Dabei wirkt sie als gemeinnützige Bildungseinrichtung gemeinsam mit ihren zwei gemeinnützigen 100%igen Tochtergesellschaften VHS Arbeit und Beruf GmbH und Haus der Familie GmbH strategisch und operativ als VHS-Gruppe. Die VHS bietet mit mehr als 200 hauptberuflichen Fachkräften und etwa 600 freiberuflich tätigen Kursleiter*innen ein breit gefächertes hochwertiges und bedarfsgerechtes Programm an Erwachsenenund Familienbildung und dazu maßgeschneiderte Sonderprogramme z. B. für Kinder, Schüler*innen, junge Erwachsene, Ältere, Zugewanderte oder Erwerbslose. Aufgrund des Renteneintritts des derzeitigen alleinigen Geschäftsführers zum Ende des Jahres 2024 suchen wir eine menschlich wie fachlich überzeugende Führungspersönlichkeit als

Geschäftsführung (w/m/d) für die VHS Braunschweig GmbH Um eine Einarbeitungsphase zu ermöglichen, ist die Bestellung der neuen Geschäftsführung bereits einige Monate vor dem Jahresende 2024 geplant.

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Sie suchen als erfahrene Führungskraft eine sinnstiftende Aufgabe? Wir bieten Ihnen ein inspirierendes Umfeld!

Setzen Sie mit Ihren Ideen spannende Projekte zur nachhaltigen Gestaltung unseres Stadtbildes um!

Die Stiftung SPI Sozialpädagogisches Institut Berlin „Walter May“ ist eine gemeinnützige Stiftung des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin e.V. Ihre Projekte und Einrichtungen sind in fünf Geschäftsbereichen und an über 50 Standorten in Berlin, im Land Brandenburg und übergreifend bundesweit tätig. Im Geschäftsbereich Lebenslagen, Vielfalt und Stadtentwicklung mit seinen rund 200 Mitarbeitenden werden ca. 40 Projekte zu den Themen Demokratieentwicklung, Stadtteilarbeit, Jugendarbeit/ Jugendsozialarbeit und jugendpolitische Bildung verantwortet. Um den Geschäftsbereich, mit Sitz in Berlin, zukunftsfähig aufzustellen, suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine gleichermaßen fachlich kompetente wie menschlich überzeugende Persönlichkeit als

Leitung (w/m/d) des Geschäftsbereiches Lebenslagen, Vielfalt und Stadtentwicklung Diese attraktive Position wird nach EG 15 TVöD vergütet. Werden Sie Teil unseres ambitionierten Teams, das sich engagiert für die Lösung sozialer Probleme einsetzt.

Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm.

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Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Waishna Kaleth, Elisa Heinen oder Julia Schwick zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Barbara Morschhaeuser, Waishna Kaleth und Sanny Groß zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfmJobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

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Unsere traditionsreiche Stadt liegt verkehrsgünstig im Herzen des Rheinischen Reviers. Als Stadt möchten wir aktiv den strukturellen Wandel in unserer Region vorantreiben. Hierbei spielt der Fachdienst Bauen eine entscheidende Rolle. Unsere rund 100 Mitarbeitenden planen, koordinieren und führen alle infrastrukturellen Maßnahmen durch. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt suchen wir eine innovative und kommunikationsstarke Führungspersönlichkeit als

Fachdienstleitung Bauen (w/m/d) Die Vergütung für diese attraktive Stelle erfolgt nach A 14 LBesG bzw. EG 14 TVöD-VKA. Als Experte (w/m/d) für hoch- und tiefbautechnische Maßnahmen wissen Sie, worauf es in dieser Position wirklich ankommt. Mit Ihrer strukturierten und analytischen Arbeitsweise sind Sie in der Lage, kommunale Bauprojekte zukunftsorientiert zu planen und erfolgreich umzusetzen. Details zu dieser Position finden Sie in Kürze auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm. Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Annika Lachmann, Theresa Meister oder Roland Matuszewski zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

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Personelles

Behörden Spiegel / Januar 2024

MITGESTALTEN. VERÄNDERN. VORANKOMMEN.

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Wir vertrauen Ihnen das Wertvollste an, was wir haben!

zfm sagt Danke

#TeamRot

Die über 800 Beschäftigten der Stadtverwaltung Fellbach arbeiten tagtäglich in den vielfältigsten Tätigkeiten für die Belange unserer Bürger*innen. Als Verwaltung verfolgen wir dabei den Grundgedanken uns stetig weiterentwickeln zu wollen. Dies beginnt mit der kontinuierlichen Optimierung unserer internen Prozesse.

Die Klingenstadt Solingen liegt mit ihren rund 162.000 Einwohnern verkehrsgünstig in der pulsierenden Metropolregion Rheinland und besticht durch ihre Nähe zum Naturpark Bergisches Land.

und wünscht Ihnen ein erfolgreiches Jahr 2024!

Über 3.500 Beschäftigte bei der Stadt Solingen kümmern sich jeden Tag um die Fragen, Wünsche und Belange der Solingerinnen und Solinger. Verwaltung, Soziales, Kultur, Bauwesen, Sicherheit, Bildung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und vieles mehr – über 130 verschiedene Bereiche sind im Einsatz. Für unsere Mitarbeitenden ist das Personalmanagement zuständig. Von der Ausschreibung über das Bewerbungsverfahren, Einstellung und Onboarding, die persönliche und fachliche Weiterentwicklung, Organisatorisches und Administratives, die Nachwuchsförderung bis hin zum Gesundheitsmanagement.

Die Abteilung Organisation und zentrale Dienste entwickelt organisatorische Standards für unsere Verwaltung. Dabei unterstützt sie die unterschiedlichen Organisationseinheiten bei der Umsetzung von nachhaltigen Veränderungsprozessen. Für die Abteilung Organisation und Zentrale Dienste suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine engagierte und innovativ denkende Persönlichkeit als

Prozess- und Organisationsberater*in (w/m/d)

Wir suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine innovative Führungspersönlichkeit als

Abteilungsleitung Personalmanagement (w/m/d)

In dieser Funktion berichten Sie direkt an den Abteilungsleiter und nehmen gleichzeitig Stellvertretungsaufgaben wahr. Für tariflich Angestellte wird diese Stelle nach EG 11 TVöD vergütet. Für Beamt*innen ist die Funktion nach A 12 besoldet.

Die Stelle ist mit Besoldungsgruppe A 15 LBesG NRW bzw. EG 14 TVöD ausgewiesen und hat einen Arbeitszeitanteil von 100%.

Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm.

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Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Alexander Wodara, Annika Lachmann oder Roland Matuszewski zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

2023

2024

Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Maren Kammerer, Sanny Groß und Waishna Kaleth zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

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Innovative Führung mit technischem Know-how: Ihre wegweisende Rolle bei der SWU Netze GmbH!

Um dem Strukturwandel in der Region aktiv zu begegnen, wurde im Jahr 2000 die Stadtentwicklungsgesellschaft mbh (SEG) als Tochtergesellschaft der Stadt Frechen gegründet. Ziel ist eine nachhaltige Baulandpolitik zu betreiben und dadurch positiven Einfluss auf die stadtentwicklungspolitische Gesamtentwicklung der Wohn- und Gewerbegebiete zu nehmen. In den nächsten Jahren soll dabei schwerpunktmäßig das Gelände der ehemaligen Brikettfabrik „Grube Carl“ mit einem Projektvolumen von bis zu 150 Mio. Euro infrastrukturell und baulich entwickelt werden. So entstehen insgesamt ca. 1.500 neue Wohneinheiten für die Stadt Frechen.

Abwasser ist unser Geschäft – Als Tochtergesellschaft der Stadt Lünen ist unser Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung Lünen AöR (SAL) verantwortlich für den effizienten Betrieb und die nachhaltige Instandsetzung der städtischen Abwasseranlagen sowie für die ordnungsgemäße Durchführung der Gewässerunterhaltung und des Gewässerausbaues. Wir sind ein moderner Abwasserbetrieb, bei dem die Zufriedenheit unserer Kund*innen im Mittelpunkt steht. Wir agieren als Dienstleister für unsere 15.000 Kund*innen und steuern ein jährliches Budget in Höhe von 23 Mio. Euro sowie Investitionen von 5 Mio. Euro mit dem Fokus auf Service, Wirtschaftlichkeit und Weitsichtigkeit.

Als eigenständige GmbH sorgt die Netzgesellschaft der SWU Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm GmbH (SWU) seit 18 Jahren in der Region Ulm, Neu-Ulm sowie in umliegenden Gemeinden Hermaringen mit ihren ca. 400 Mitarbeitenden für einen zuverlässigen Netzbetrieb: Neben Strom- und Gasnetzen verantworten wir außerdem den Betrieb, Ausbau und die Weiterentwicklung von Trinkwasser-, Fernwärmesowie Telekommunikationsnetzen. Mit rund 32.000 Leuchtstellen betreiben wir zusätzlich die Straßenbeleuchtung in der Region. Als leistungsstarker und kundenorientierter Ansprechpartner gewährleisten wir so eine verlässliche Infrastruktur der modernen Daseinsvorsorge, die eine reibungslose Versorgung in der Region garantiert.

Um diese bedeutsamen Aufgaben langfristig zu verfolgen, suchen wir idealerweise für das zweite Quartal 2024 eine fachlich versierte und kommunikationsstarke Führungspersönlichkeit als

Zum nächstmöglichen Zeitpunkt suchen wir eine pragmatische und fachlich versierte Führungspersönlichkeit als

Im Zuge einer Altersnachfolge suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine gleichermaßen strategisch denkende wie umsetzungsorientierte Führungspersönlichkeit, die als

Geschäftsführung (w/m/d)

Leitung Finanzen (w/m/d)

Auf Basis des Großprojektes „Grube Carl“ sowie des geplanten Ruhestandes des bisherigen Geschäftsführers (nebenamtlich) wird die Position im Zuge der Neubesetzung als Vollzeitstelle ausgeschrieben. Gehen Sie davon aus, dass die vertraglichen Rahmenbedingungen Sie überzeugen werden.

In dieser Funktion berichten Sie direkt an die Vorständin der SAL und nehmen gleichzeitig Stellvertretungsaufgaben wahr. Zum Aufgabenbereich zählt das Sachgebiet Finanzen, Organisation und Recht. Diese attraktive Position ist für tariflich Angestellte nach EG 14 TVöD vergütet. Für Beamt*innen ist die Funktion nach A 14 LBesG NRW besoldet.

Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm.

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Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Annika Lachmann, Alexander Wodara oder Roland Matuszewski zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Alexander Wodara, Theresa Meister oder Roland Matuszewski zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfm-Jobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen.

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

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die erfolgreiche Entwicklung der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm Netze GmbH mit Weitblick und Fingerspitzengefühl fortsetzt. Mit Hilfe Ihrer Neugierde und Offenheit brechen Sie aus Altbekanntem aus und stoßen Neuerungen an. Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm. Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Theresa Meister, Annika Lachmann und Roland Matuszewski zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über die zfmJobbörse unter www.zfm-bonn.de/jobboerse zukommen. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

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Technische Geschäftsführung (w/m/d)

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Kommunaler Haushalt

Seite 16

Behörden Spiegel / Januar 2024

VIER FRAGEN – VIER ANTWORTEN Interview mit Professorin Dr. Dörte Diemert, Kämmerin der Stadt Köln Foto: BS/Stadt Köln

Kompromisse finden

B

ehörden Spiegel: Mitte 2023 prognostizierten Schätzungen für Köln eine höhere Einnahme von Steuergeldern als ursprünglich geplant. Wie ist nach der zweiten Schätzung im Oktober 2023 der aktuelle Stand? Prof. Dr. Diemert: Angesichts der zahlreichen Risiken hatten wir die Steuererträge im laufenden Kölner Doppelaushalt 2023/2024 zurückhaltend geplant. Das hat sich sehr bewährt. Nach der letzten Steuerschätzung ergibt sich nun die Chance auf höhere Zuwächse, allerdings sind diese zu einem großen Teil inflationsgetrieben. Außerdem halten sie mit der dramatischen Entwicklung auf der Aufwands- und Kostenseite nicht mit. Die Lücke zwischen Aufwand und Ertrag in unserem Haushalt klafft immer weiter auseinander. Wichtig sind jetzt verlässliche Signale an die Wirtschaft, damit der für die Steuererwartungen entscheidende konjunkturelle Aufschwung auch Fahrt aufnimmt. Behörden Spiegel: Auch auf Köln kommen Kostensteigerungen zu. Welche Bereiche sind aktuell am stärksten betroffen und wie können die Herausforderungen gemeistert werden? Diemert: Als Großstadt bewältigen wir derzeit eine Reihe von Zusatzaufgaben. Die Wohngeldreform hat enormen zusätzlichen Personalbedarf erfordert. Der Ausbau des Ganztags, aber auch der KiTa-Plätze bindet Mittel und natürlich kosten die erheblichen zusätzlichen Bedarfe für Unterbringungsplätze, Versorgung und Integration von geflüchteten Menschen ebenfalls. Es gibt hier ein breit getragenes Engagement,

Mehrbelastung erfordert verstärkte Resilienz (BS) Für die Finanzen der Stadt Köln stehen die Zeichen auf Sturm. Mit Blick auf allseits steigende Kosten setzt die Stadtkämmerin Prof. Dr. Dörte Diemert auf Risikomanagement, Zukunftsorientierung und klare Prioritäten. Die Fragen stellte Marlies Vossebrecker. aber auch erhebliche zusätzliche Belastungen für den städtischen Haushalt. Mit Blick auf den Gesamthaushalt zeigen sich die Kostensteigerungen derzeit insbesondere bei den Personalkosten. Hier hat der Tarifabschluss alle Budgets gesprengt. Wir müssen bei den städtischen Personalkosten erheblich nachsteuern, aber auch bei der Personalförde-

getüberschreitungen. Langfristig machen sich hohe Kosten für die Realisierung von öffentlichen Investitionsvorhaben leider dann in höheren Abschreibungen und bei den Finanzierungskosten bemerkbar. Letztere rücken mit der Zinswende ohnehin wieder stärker in den Fokus. Auch wenn sich erste Entspannungssignale bei den Zinsen abzeichnen, rechnen wir nicht mit

Resilienz ist ein umfassender Ansatz, der neben der Krisenfestigkeit auch die langfristige Orientierung an Transformationszielen in den Blick nimmt.“

rung für externe Träger und natürlich bei denen der städtischen Gesellschaften. Das betrifft besonders den Sozial-und Jugendbereich, etwa im Bereich der Kita-Betreuung, beim Offenen Ganztag oder der wirtschaftlichen Jugendhilfe, die seit der Corona-Pandemie ohnehin massiven Mehrbedarf hat. Sorgen bereitet auch nicht erst seit heute die Entwicklung der Baukosten. Trotz großzügiger Risikozuschläge kommt es vermehrt zu gravierenden Kostensteigerungen und Bud-

einer Rückkehr zum Niedrigzinsniveau des letzten Jahrzehnts. Unsere Investitionskredite weisen in der Regel lange Laufzeiten aus. Das mildert zwar den Anstieg, gleicht den Zinsanstieg aber nicht aus. Gleiches gilt für Energiekosten etwa für die Beheizung der städtischen Gebäude oder für die Versorgung mit Strom und Straßenbeleuchtung. Nach den jüngsten Signalen aus Berlin zum Haushaltsstreit ist hier mit weiteren Kostensteigerungen zu rechnen.Das laufende Ge-

schäft zu finanzieren und gleichzeitig die Stadt in die Zukunft zu führen, das ist die Herausforderung für das gesamte Stadtmanagement. Für das kommende Haushaltsaufstellungsverfahren kommen wir um deutlich engere Rahmenvorgaben nicht umhin und diskutieren mit unseren politischen Vertreterinnen und Vertretern über die Priorisierung von Großbauprojekten. Das ist mühsam und kostet auch unsere Politik viel Kraft. Der notwendige Spagat zwischen den Anforderungen von heute und morgen wird ohne finanzielle Konsolidierung und Umschichtungen im Haushalt und erst recht nicht ohne verlässliche Förderung der Transformationsaufgaben gelingen. Behörden Spiegel: Ein großes Thema unter den Kommunen ist die Nachhaltigkeitstransformation. Verfolgt Köln hier ebenfalls Projekte oder Strategien? Diemert: Mit dem Ende Dezember verabschiedeten Aktionsplan Klimaschutz nimmt die vom Rat beschlossene Nachhaltigkeitstransformation bei uns in Köln weiter Fahrt auf. Allerdings ist auch dieses umfangreiche Maßnahmenpaket mit einem stattlichen Preisschild versehen. Da kein Projekt ohne Finanzierung auskommt, lande ich wieder bei meinem oben ausgeführten Thema: Es braucht eine klare Zukunfts-

orientierung und Priorisierung. Wir werden Kompromisse finden müssen. Zudem sind wir seit 2019 mit der Einführung des Nachhaltigkeitshaushalts deutschlandweit vorangegangen und haben außerdem unsere Anlagerichtlinien im Jahr 2020 an strengen Ausschlusskriterien und zusätzlichen Nachhaltigkeitsforderungen ausgerichtet. Schließlich beschäftigen wir uns intensiv mit Sustainable-Finance-Ansätzen: Unser erster Green Bond wird voraussichtlich im ersten Quartal 2024 zur Finanzierung von grünen Projekten aus dem Bereich energieeffizienter Schulbauten sowie der Mobilitätswende platziert. Zusammenfassend gilt in Köln: Nachhaltigkeit kostet, aber wir tun auf der Finanzseite alles, um diesen Weg gangbar zu machen. Behörden Spiegel: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Resilienz in Krisenzeiten. An welchen Stellen setzt Ihre Stadt dabei an? Diemert: Resilienz ist ein umfassender Ansatz, der neben der Krisenfestigkeit auch die langfristige Orientierung an Transformationszielen in den Blick nimmt. Es geht darum, die Stadt nicht nur sicher durch die Krisen zu bringen, sondern sie trotz aller Verwerfungen langfristig im Sinne der Nachhaltigkeit umzubauen. Dazu haben wir Resilienz tief in unserer städtischen Finanzstruktur verankert – in Form gängiger Instrumente, also Feedbackschleifen, Modularität, Diversität und Redundanz. Vom Frühwarnsystem über ein engmaschiges Controlling bis zu langfristigen Prognosemechanismen ist alles dabei. Das sind nur einige Beispiele von vielen.

„Verkehrssicherungspflicht auf kommunalen Spielplätzen“

Spielplätze sichern, Haftungsfälle vermeiden Spielplätze sollen Kindern die Möglichkeit geben, in sicherer Umgebung vielfältige Spielerfahrungen zu sammeln und Sozialverhalten zu lernen. Spielplätze dienen zunehmend auch als Begegnungsstätte von Jung und Alt in Form sogenannter Mehrgenerationenspielplätze. Spezielle Seniorenspielplätze mit Trainings- und Sportgeräten werden von Kommunen immer häufiger eingerichtet. Kommunen tragen die Verkehrssicherungspflicht auf den von ihnen betriebenen öffentlichen Spielplätzen. Schwere Unfälle sind dort zwar selten, kommen aber leider dennoch immer wieder vor. In solchen Fällen können den Verantwortlichen in den Kommunen sogar strafrechtliche Konsequenzen drohen. Um der Verkehrssicherungspflicht nachzukommen, haben Kommunen die öffentlichen Spiel-

plätze zu kontrollieren, zu warten und instand zu halten. Erforderlich sind dabei Inspektionen nach der Installation und vor Freigabe der öffentlichen Nutzung von Spielgeräten, wöchentliche Sichtkon­ trollen, detaillierte Funktionskontrollen mindestens alle drei Monate sowie jährliche Hauptinspektionen durch sachkundige Personen.

Sicherungspflicht nicht immer umgesetzt Für den Kommunalbericht 2023 untersuchten wir bei 18 ausgewählten Kommunen, ob sie ihren Verkehrssicherungspflichten auf ihren öffentlichen Spielplätzen im Jahr 2021 nachgekommen sind. Die Untersuchung zeigte, dass lediglich zwei Kommunen ihren Verkehrssicherungspflichten vollumfänglich nachgekommen sind. Eine Kommune hatte keine der geprüften Verkehrssicherungs-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­ schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

maßnahmen durchgeführt. Unfälle und Verletzungen können hier schnell zu Haftungsfällen führen. Die Überörtliche Prüfung empfiehlt allen Kommunen, die öffentlichen Spielplätze entsprechend der einschlägigen Vorschriften zu kontrollieren, zu warten und instand zu halten. Hierfür sollten die Kommunen sachkundige Fachkräfte ausbilden und regelmäßig fortbilden, eine interkommunale Zusammenarbeit mit Nachbarkommunen etablieren oder die Aufgaben an externe Dienstleister vergeben. Lesen Sie mehr zu diesem Thema im Kommunalbericht 2023, Hessischer Landtag, Drucksache 20/11686 vom 21. November 2023, S. 142 ff. Der vollständige Bericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar. In der Dezember-Ausgabe haben wir Herrn Dr. Keilmann im Artikel „Nachhaltigkeit finanzieren“ auf Seite 18 fälschlich zitiert. Er spricht sich nicht für input-, sondern für ergebnisorientiertes Handeln bezüglich kommunaler Nachhaltigkeitsfinanzierung aus.

Jahreshauptinspektion 2021

turnusmäßige wöchentliche Sichtkontrollen im 2. Quartal 2021

turnusmäßige Funktionskontrollen im 2. Quartal 2021

letzte Aus- oder Fort­ bildung zur Sachkunde Verkehrssicherungs­ pflicht1)

Abtsteinach

P

P

P

2019

Bad Karlshafen

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W

P

2019

Bromskirchen

P

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2022

Feldatal

P

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Fischbachtal

P

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2016

Flörsbachtal

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W

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Gorxheimertal

P

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2019

Groß-Bieberau

P

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2018

Hammersbach

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Hirzenhain

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Kefenrod

P

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2016

Malsfeld

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2009

Nüsttal

P

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2019

Ottrau

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Rasdorf

Ä

Ä

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2016

Ringgau

P

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Romrod

P

W

Ä

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Schwarzenborn

P

W

P

2016

P = ja, Ä = nein, W = teilweise erfüllt und/oder nicht dokumentiert 1) DIN 79161 fordert für qualifizierte Spielplatzprüfer mindestens alle drei Jahre eine Fortbildung. Um die Sachkunde für die Sicht- und Funktionskontrollen nachzuweisen, empfiehlt sich daher eine Fortbildung alle drei bis fünf Jahre. 2) Sachkundige Fachkraft ausgeschieden Quelle:BS/eigene Erhebungen; Stand: Juli 2022


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / Januar 2024

I

n diversen Städten hat das Tempolimit auf 20 km/h bereits erfolgreich Einzug gehalten, dazu zählen beispielsweise Hannover, Xanten oder Mühlheim an der Ruhr. Als nächstes möchte auch die Stadt Frankfurt am Main diesen Schritt wagen. Jedoch kann eine Stadt nicht nach Gutdünken eine solche Zone einrichten, denn die Straßenverkehrsordnung (StVo) führt klare Richtlinien dafür. So kann Tempo 20 nur da eingerichtet werden, wo „[i]n zentralen städtischen Bereichen mit hohem Fußgängeraufkommen und überwiegender Aufenthaltsfunktion“ zu rechnen ist, wie der StVo § 45 Absatz 1d) zu entnehmen ist. Die sogenannten „verkehrsberuhigten Geschäftsbereiche“ plane die Stadt Frankfurt in Blöcken zwischen den Hauptverkehrsstraßen, welche im Zuge des Luftreinhalteplans zur Verringerung der Stickstoffoxide (NOx) bereits eine einheitliche Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h hätten, erklärt Ingmar Bolle, Sprecher des Straßenverkehrsamtes der Stadt Frankfurt am Main. Mittlerweile seien drei verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche bereits umgesetzt, weitere seien in Planung.

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Tempo 20: Freie Fahrt Innenstadtbereiche auf 20 km/h drosseln, ist das überall sinnvoll? (BS/Scarlett Lüsser) Tempo-20-Zonen in Innenstädten einzurichten, wird in deutschen Städten immer mehr zum Trend, denn es trägt zur Verbesserung des Klimas bei und lädt auch zum längeren Verweilen ein. Aber ist eine solche Zone wirklich für alle Innenstädte sinnvoll und vor allem umsetzbar?

Für mehr Miteinander Durch die Drosselung des Tempos sollen Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende mehr in den Vordergrund gerückt werden. Wie Bolle meint, sollen die Bürgersteige so einladender werden und für mehr Begegnungsfläche sorgen, da die Begrenzung auch für andere Verkehrsteilnehmende wie E-Scooter und Fahrräder gelte. Die Tempo20-Zone „ermöglicht ein besseres Miteinander für alle und schafft hierdurch ein sicheres Verkehrsklima in Seitenbereichen wie auch im Mischverkehr auf der Fahrbahn. Insgesamt wird so auch ein Beitrag für eine attraktive, lebendige und zukunftsfähige Innenstadt geleistet“, so Bolle. Doch auch wenn die Stadt an anderer Stelle noch mehr Tempo20-Zonen einführen würde, ist hier bereits die erste Hürde zu finden: „Die bestehenden Tempo-30-Zonen in Bereichen mit überwiegender Wohnnutzung bleiben erhalten, auch wenn es sich die Stadt anders wünschen würde: Die Anordnungs-

D

eutschlandweit gibt es mindestens 700 dokumentierte Motorradlärm-Hotspots, an denen teilweise Lärmspitzen von deutlich über 80 Dezibel (dB) erreicht werden – der für unterschiedliche Motorradklassen maximal erlaubte Lautstärkewert liegt bei 77 dB. Wie bei einer Fachtagung des Bundesverbands gegen Motorradlärm von Psychologieprofessor Dr. Hansjörg Znoj erklärt wird, sei aus psychologischer Sicht der Lärm von vielen Motorradfahrenden ausdrücklich erwünscht. Die „ungestüme Kraftentfaltung“ setze zusammen mit dem gefährlichen Dröhnen hormonelle Prozesse in Gang, die für Risikosportarten üblich seien. Mit dem Motorradfahren sei eine gewisse Freiheit verbunden, ein Ausbruch aus dem Alltag, der allerdings auch mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegenüber der Umwelt einher gehe.

Ähnlicher Skandal wie beim Dieselgate? Das Hauptproblem seien vor allem Auspuffklappen, wie der Leiter der Kontrollgruppe Motorrad in Stuttgart, Polizeihauptkommissar Thomas Hohn meint. Manche Methoden, mit denen man die Auspuffanlagen manipulieren könne, seien

Überqueren der Straße für Fußgängerinnen und Fußgänger sicherer und einfacher zu machen. Von diesen drei Zielen wurde allerdings nur das Senken der Durchschnittsgeschwindigkeit zufriedenstellend erreicht. Zwei Gründe wurden hierfür genannt: Zum einen verbiete die StVo die Einrichtung von Ampeln und Fußgängerüberwegen in verkehrsberuhigten Bereichen, auch Fahrradwege seien nicht vorgesehen in einer solchen Zone. Zum anderen sei die in verkehrsberuhigten Bereichen vorgesehene Rechts-vorlinks-Regelung im Falle der Venloer Straße problematisch gewesen. Durch den Versuch, den Vorgaben für eine Tempo-20-Zone gerecht zu werden, wurden Fahrradschutzstreifen und andere Fahrbahnmarkierungen mit gelben Markierungen überkreuzt, Ampeln ausgeschaltet und Zebrastreifen ebenfalls außer Kraft gesetzt. Die Folge dieser Maßnahmen: ein Verkehrschaos. Verwirrende Linienführungen und unklare Verkehrsregeln sorgten dafür, dass das Konzept die zweite Stufe nur in abgewandelter Form erreichte. Eine Tempo-30-Zone wurde eingerichtet, mitsamt Einbahnstraße und sämtlichen Fahrbahnmarkierungen, Zebrastreifen und Ampeln, die wieder eingeführt wurden.

Fazit: Auch andere Konzepte können sinnvoll sein Verkehrszonen der Frankfurter Innenstadt als Plangrafik.

voraussetzungen der StVO sind dort nicht zu erfüllen, wo es keine publikumsintensiven Erdgeschossnutzungen gibt“, bedauert Bolle. Auch Wolfgang Aichinger, Projektleiter für Städtische Mobilität bei der Agora Verkehrswende, sieht die Vorteile der verkehrsberuhigten Bereiche überwiegen. Laut Aichinger seien solche Zonen in vielen deutschen Groß- und Kleinstädten schon lange etabliert, da sie durch die verringerte Kfz-Geschwindigkeit die Aufenthaltsqualität in den Straßen mit Gastronomie und Einzelhandel verbessern würden: „Die Aufenthaltsqualität ist – wie kürzlich eine Erhebung des IFH Köln mit 70.000 Menschen in Deutschland erneut bestätigt hat – der wichtigste Faktor, mit dem Innenstädte gegenüber dem Online-Handel und den Einkaufszentren am Stadtrand konkurrieren können.“

Wie Aichinger erklärt, gäbe es keine Nachteile von Tempo-20-Zonen in Nebenstraßen, da diese nicht dem Durchgangsverkehr, sondern der Erschließung dienen würden. Hinzu käme, dass nicht nur die Kunden der Geschäfte und Restaurants profitieren würden, sondern auch Fußgänger und Radfahrer sicherer unterwegs seien und durch die verminderte Kfz-Geschwindigkeit auch eine Verkehrslärmreduktion herbeigeführt würde. Für das Einrichten einer solchen Zone rät Aichinger: „Hilfreich ist eine hochwertige Gestaltung, die die zum Verweilen einlädt, für gute Sichtbeziehungen sorgt und das Queren einfach macht. Wichtig ist, dass auch die Polizei hinter der Maßnahme steht – und zumindest anfangs durch Kontrollen anwesend ist.“ Jedoch gibt es keine Garantie dafür, dass eine solche Zone überall

Foto: BS/Stadt Frankfurt am Main, Straßenverkehrsamt

funktioniert. So hat die Stadt Köln 2022 in einem zweistufigen Verkehrsversuch austesten wollen, ob eine solche verkehrsberuhigte Zone auf einem Teil der Venloer Straße sinnvoll wäre. In der ersten Stufe des Versuchs sollte eine Tempo20-Zone eingerichtet, in der zweiten dann auch eine Einbahnstraße in besagter Zone eingeführt werden. Jedoch wurde der zweite Schritt, der im Oktober diesen Jahres vorgesehen war, in abgewandelter Form umgesetzt, da sich bereits im Laufe der ersten Stufe herausstellte, dass die eingeführte Geschwindigkeitsbegrenzung nicht zu den gewünschten Ergebnissen führte.

In der Praxis gescheitert? Ziel war es, die Durchschnittsgeschwindigkeit in diesem Bereich zu senken, ebenso wie den Durchgangsverkehr und außerdem das

Freiheitsgefühle Motorradlärm raubt Anwohnerinnen und Anwohnern den letzten Nerv (BS/Scarlett Lüsser) Laut getunte Motorräder donnern bei schönem Wetter durch den Ennepe-Ruhr-Kreis – auch an Sonntagen. Vielen Anwohnerinnen und Anwohnern sind diese Lärmspitzen ein Dorn im Auge – oder besser im Ohr. Nicht umsonst gibt es einige Bürgerinitiativen und Verbände, die sich gegen Motorradlärm stark machen. fast nicht nachzuweisen und ließen sich entweder schon „ab Werk“ oder auch nachträglich einbauen, sodass ganz legal extremer Lärm produziert werden könne. Eine Analogie zwischen Auspuffklappen und dem Dieselskandal sieht auch Dorothee Saar, die bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) das Ressort Luftreinhaltung und Verkehr leitet. Diese Klappen seien, ähnlich wie beim Dieselgate, während der Prüfung dazu da, den geforderten dBWert nicht zu überschreiten, würden aber während der tatsächlichen Fahrt bei vielen Motorrädern nicht länger zum Einsatz kommen. Daher kündigt die DUH, die mit dem Bundesverband gegen Motorradlärm kooperiert und die Veranstaltung mitausrichtete, eine Musterklage gegen Fahrzeughersteller an, die mittels dieser Auspuffklappen die Zulassungsvorschriften umgingen. Auch Anwohnende melden sich zu Wort, beispielsweise durch die Anwohnerinitiative Vereinter

Fahrradfahrende können die Einbahnstraße in beide Richtungen befahren und polizeiliche Kontrollen sollen bei der Etablierung der neuen Regelungen helfen. Nach den ersten Wochen zieht die Stadt eine positive Bilanz, auch wenn die Wegnahme einer Fahrtrichtung zu Verkehrsverlagerungen auf umliegende Straßen führe, wie Christian Dörkes, Abteilungsleiter für Integrierte Mobilitätsplanung im Amt für nachhaltige Mobilitätsentwicklung, erkennt. Dies würde die Stadt im Blick behalten, es sei aber zu erwarten, dass sich die Situation noch einspielen würde. Es zeigt sich also, dass die Einrichtung von Tempo-20-Zonen zwar in vielerlei Hinsicht positiv auf die Aufenthaltsqualität in Einkaufsvierteln auswirken kann, dass es aber noch lange kein Erfolgsrezept für alle Städte und Gemeinden ist und das vor allem auch die Umsetzung eine wichtige Rolle spielt.

unterstützt der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer die einstimmige Aufforderung der Verkehrsministerkonferenz. Diese rief die Bundesregierung dazu auf, den bereits seit 2020 vorliegenden Bundesratsbeschluss zum Motorradlärm endlich zu bearbeiten. Darin würden weitreichende Befugnisse für Länder, Städte und Kommunen gefordert, damit sich individuell um die Probleme vor Ort gekümmert werden könne.

Abhilfe können auch andere Methoden schaffen

Donnernder Lärm, sobald das Wetter passt: Für viele Motorradfahrerinnen und -fahrer Foto: BS/Adobe Firefly gehören frisierte Auspuffklappen zum Fahrspaß dazu.

Arbeitskreis gegen Motorradlärm (VAGM e. V.). Besonders an Ortsausgängen oder stark befahrenen Strecken sei die Lärmbelästigung zu Ruhezeiten besonders extrem. Dies mindere nicht nur die Wohnund Lebensqualität in der Region, sondern betreffe natürlich auch die

Gesundheit in besonderem Maße. Von den anwesenden Motorradverbänden werde sich daher mehr Dialog mit echten Zugeständnissen gewünscht. Doch da sich wohl kaum alle verursachenden Motorradfahrerinnen und -fahrer zu solchen Zugeständnissen überreden ließen,

Doch nicht nur Bundesratsbeschlüsse können bei Lärmproblemen Abhilfe schaffen, sondern auch Lärmaktionspläne. Diese können von Städten und Kommunen aufgestellt werden, wenn Lärmkarten ihrer Umgebung angefertigt werden, um anschließend Maßnahmen zur Lärmminderung auszuarbeiten und zu ergreifen. Zu diesem Thema veranstalten die DUH und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) am 20. Februar eine Netzwerkveranstaltung in Dortmund. Weitere Infos zur Veranstaltung finden Sie hier.


Kommunale Sicherheit

Seite 18

I

m Nachgang zum Großeinsatz am 1. Mai 2021 entstand zunächst in Hamburg der Bedarf, die Prozesse in der Verfahrenssicherung zu überdenken und zu digitalisieren. Nach einigen Arbeitssitzungen mit Vertretern und Vertreterinnen von Bereitschaftspolizei, Schutzpolizei, LKA und IT wurde in der Produktgruppe Mobilität der IT-Kooperation beschlossen, die bundeseinheitlichen Vordrucke Kurzbericht, Sammelbericht und Sammelliste zu implementieren. Ziel sollte es sein, alle Daten elektronisch mobil zu erfassen und medienbruchfrei in ein Vorgangsbearbeitungssystem (VBS) – in den Teilnehmerländern der ITKooperation ComVor – zu übertragen. Der Abarbeitungsprozess für Einsatzkräfte und Betroffene polizeilicher Maßnahmen im Rahmen von Großlagen sollte beschleunigt werden, um die Dauer der Grundrechtseingriffe zu reduzieren und Polizeikräfte schneller wieder verfügbar zu haben.

Behörden Spiegel / Januar 2024

Digitalisierung schreitet voran Die App mKS erleichtert Polizeikräften den Arbeitsalltag (BS/Dirk Weinberg*) Papierdurchschläge der bundeseinheitlichen Kurz- und Sammelberichte gehören dank der App mKS (mobiler Kurz- und Sammelbericht) in der Polizei Hamburg der Vergangenheit an.

Foto: BS/Dirk Weinberg, Hamburg

Übermittlung in das Vorgangsbearbeitungssystem realisierbar ist, wird zukünftig ein PDF-Export möglich sein.

Interoperabilität mit weiteren Apps

mKS erleichtert Polizeialltag Herausgekommen ist die App mKS, die innerhalb der IT-Kooperation der Länder Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Thüringen entwickelt wurde und seit Anfang November 2023 in Hamburg auf den polizeilichen „MobiPol“-iPhones produktiv genutzt wird. Orientiert an den Apple DesignRichtlinien deckt mKS den gesamten Workflow der Verfahrenssicherung – von der Identitätsfeststellung über Gewahrsam- bzw. Festnahme von Personen und Sicherstellung von Sachen, bis zum Transport und Einlieferung von Personen zur bzw. in die Gefangenensammelstelle – intuitiv, lückenlos und

Die Polizistinnen und Polizisten können die Verfahrenssicherung nun direkt vor Ort auf ihrem Tablet oder Smartphone durchführen. Foto: BS/Dirk Weinberg, Hamburg

digital ab. Unter Einbeziehung der ISM-Beauftragten der Kooperationsländer wurde besonderes Augenmerk auf die Vernetzung der mobilen Endgeräte über Bluetooth Low Energy gerichtet, was die verschlüsselte Datenübergabe untereinander ermöglicht. So können bei Kontrollen von Personengruppen

die jeweilig erfassten Daten vor Ort schnell, einfach, sicher und offline zusammengeführt werden. Sind Personen fest- oder in Gewahrsam genommen und werden mit einem Gefangenentransport zu einer Sammelstelle gefahren, werden alle im Zusammenhang mit der Person erfassten Daten ohne

Ordnungsamt erhält Helme In Berlin-Reinickendorf erhalten Ordnungsamtsmitarbeiter besonderen Schutz (BS/lm) Das Ordnungsamt Reinickendorf erhält eigenen Angaben zufolge deutschlandweit als erstes Ordnungsamt Helme zum Schutz seiner Bediensteten. Seit 2019 gehört bereits eine stichsichere Weste zur Ausstattung. Mit der Modernisierung der Schutzausrüstung reagiert das Amt unter anderem auf das zunehmende Ausmaß an Gewalt, das Repräsentanten des Staates aus der Bevölkerung entgegen schlägt. Bezirksstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) betonte: „Vor dem Hintergrund sich verändernder Bedingungen und zunehmender Herausforderungen sehen wir es als unsere Verantwortung, die Schutzausstattung unseres Außendienstes zu modernisieren und an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Die deutlich gestiegene Anzahl an Gewaltvorfällen gegenüber dem Außendienst, spricht eine

Dirk Weinberg ist Polizeihauptkommissar und seit 2020 in der IT der Polizei Hamburg tätig. Er ist dort als stellvertretender Referatsleiter im Bereich Mobile Anwendungen und Auskunftssysteme an der Entwicklung von polizeilichen Apps für die dienstlichen Smartphones „MobiPol“ beteiligt.

deutliche Sprache.“ Die Situation habe sich seit der Corona-Pandemie für die Außendienstmitarbeiter drastisch verändert, die Stimmung sei aggressiver.

720 Übergriffe im Jahr 2022 Im Jahr 2022 gab es 720 Übergriffe auf Außendienst- und Verkehrsüberwachungskräfte. Die Zahl von Verbundeinsätzen mit anderen Sicherheits- und Ordnungsbehörden, die ein Höchstmaß an Sicherheit und eine enge Kooperation erforderten, sei deutlich gestiegen. Vor dem Hintergrund grundlegender klimatischer Veränderungen dien-

ten die Helme zudem als Schutz vor den Folgen von Stürmen und anderen Wetterphänomenen. „Die Einführung der Schutz- und Einsatzhelme ist Teil eines umfassenden Modernisierungsprozesses unserer Schutzausstattung. Wir investieren weiterhin in Schulungen und Übungen, um sicherzustellen, dass unsere Teams optimal auf die vielfältigen Herausforderungen vorbereitet sind, denen sie in ihrem Dienst begegnen können. Wir sind davon überzeugt, dass diese Maßnahme die Sicherheit und Effektivität unserer Einsatzkräfte erheblich steigern wird“, so Schrod-Thiel.

800 Euro je Helm

Im Berliner Bezirk Reinickendorf genießen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des OrdFoto: BS/BA Reinickendorf nungsamts nun zusätzlichen Schutz durch Helme.

Die Helme dienen zudem der Sicherheit bei potenziellen Großschadensereignissen wie Evakuierungen aufgrund von Katastrophenlagen oder Bombenentschärfungen. Die Entscheidung, die persönliche Schutzausstattung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu optimieren, komme ihrer Sicherheit und ihrem Wohlbefinden zugute, kommentierte Schrod-Thiel. Die Kosten für die 20 beschafften Helme belaufen sich auf knapp 16.000 Euro. Sie verfügen über Nackenschutz und Visier, sind stoßgedämpft und können mit Funk ausgestattet werden. Die 1.500 bis 1.900 Gramm schweren Helme können im Einsatzfahrzeug deponiert und bei Bedarf genutzt werden. Das Aufsetzen sei freiwillig. Die 45 Mitarbeitenden im Außendienst arbeiten im Zweischichtsystem für die 270.000 Einwohnerinnen und Einwohner des Berliner Bezirks.

Zeitverlust an den Transporteur und die Sammelstelle übermittelt. Eine daraus erstellte Transportliste dokumentiert lückenlos den Verbleib der jeweiligen Person. Jeder Person kann eine Individualnummer oder ein Barcode zugeordnet werden, der mittels eines implementierten Scanners erfasst werden kann. Alle Daten werden papierlos an das Vorgangsbearbeitungssystem übermittelt, so dass dem Sachbearbeiter im Büro sofort alle Objektdaten zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung stehen. Für den Fall, dass keine direkte

Im Zusammenspiel mit den anderen Apps aus der IT-Kooperation ergeben sich zeitgemäße Workflows, die den Bearbeitungsprozess vereinfachen und beschleunigen sowie die Datenqualität erhöhen. So können mit mScan Ausweisdokumente eingescannt, die Daten über mARS (mobiles Abfrage- und Recherchesystem) mit den polizeilichen Auskunftssystemen abgeglichen und anschließend direkt in mKS übernommen werden. Bei einer Identitätsfeststellung ohne Ausweis könnten mittels der App mDakty im mobilen Fast-ID-Verfahren anhand der Papillarleistenabbilder Personendaten über mARS ermittelt und ebenfalls direkt nach mKS exportiert werden. Die lizenzfreie App mKS wird auch in Zukunft weiterentwickelt und verbessert. Über den hessischen Themenführer Mobilität ist die App in das Programm P20 eingebracht und wird dort zukünftig auf der MAI-Plattform (Modulare Applikations-Integrationsplattform) bereitgestellt werden. In der Bereitschaftspolizei Hamburg wird mKS mittlerweile regelmäßig eingesetzt und ist dort aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken.

Ergänzung für den Warnmittelmix Katastrophenschutz auf Taxen (BS/sl) Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) fügt dem Modularen Warnsystem (MoWaS) einen neuen Kommunikationsweg für Warnungen hinzu: Die Dachmonitore von Taxis der Firma UZE Mobility. Der bundesweite Warnmittelmix soll eine weitere Methode der Bevölkerungswarnung hinzubekommen, wie das BBK Anfang Dezember bekannt gibt. Hiernach sollen die Dachmonitore von Taxis, die mit UZE-Technologie ausgestattet sind, als mobile Warnmöglichkeit fungieren. Die knapp 600 Fahrzeuge sind vor allem in Großstädten wie Berlin, Frankfurt am Main oder München unterwegs und fügen sich in den Warnmittelmix von Bund und Ländern ein. Dazu gehören beispielsweise auch Sirenen, Cell-Broadcasting oder die Warn-App NINA, neben den klassischen Medien wie Radio und Fernsehen. Anstelle von einem einzelnen TaxiSchild auf dem Dach eines solchen Fahrzeugs wird eine Art Dachgepäckträger installiert, auf dem ein doppelseitiger Monitor zwischen zwei Taxischildern angebracht wird. Nun ist frontal und von hinten nach wie vor der Taxihinweis zu sehen, doch von den Seiten aus kann man auf den rechteckigen Monitoren Werbebotschaften oder eben Warnmeldungen lesen. Der Vorteil der mobilen Taxi-Dachmonitore bestehe darin, dass sie der Bevölkerung helfe, direkt auf konkrete Katastrophen zu reagieren und z. B. Schutz suchen zu können. „Unsere Stärke liegt darin, viele verschiede-

ne Warnmittel zu nutzen, um möglichst viele Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen zu erreichen“, fügt Ralph Tiesler, Präsident des BBK, hinzu.

Warnung vor Katastrophen Ursprünglich wären die Dachmonitore dazu gedacht, lokal angepasste Werbung zu schalten, die sich der Umgebung oder dem Wetter angepasst verändere, erklärt Dr. Dr. Ing. Alexander N. Jablovski, der Geschäftsführer von UZE. Der zusätzliche Einsatz als Katastrophenwarnmittel spreche für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Technik. Denn auch in einem Katastrophenfall könne man die ausgestrahlte Warnung lokal anpassen. Um die Betriebstauglichkeit des MoWaS zu testen, führt das BBK regelmäßige Testtage durch, die sogenannten „Bundesweiten Warntage“. Im Ernstfall können unterschiedliche Vorfälle eine solche Warnung auslösen, beispielsweise ein Brandfall oder bei extremen Wetterereignissen, aber auch Ereignisse die die Versorgung und Infrastruktur oder die öffentliche Sicherheit betreffen. Nicht zuletzt sind aber auch die „CBRN-Gefahren“ zu nennen, also Gefahren chemischer, biologischer, radioaktiver oder nuklearer Art.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

Berlin und Bonn / Januar 2024

www.behoerdenspiegel.de

Ein Kompromiss (BS/Benjamin Hilbricht) Die letzten Verhandlungen haben drei Tage gedauert. Viel stand auf dem Spiel, jetzt haben sich Rat und Parlament der EU auf einen Kompromiss für die Künstliche-Intelligenz-Verordnung (KI-VO) geeinigt. Niemand ist so ganz zufrieden.

Grafik: BS/ Marvin Hoffmann unter Verwendung von visart / Thanaphon, stock.adobe.com

„W

ir irren uns nie“, sagt HAL 9000 über sich selbst, die Stimme unmenschlich sanft. Auf die Hybris folgt der Fall. HAL tötet nach und nach vier von fünf Astronauten an Bord. Der fiktive Supercomputer aus Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968) wollte nur eines: seine Mission vollenden. Die Menschen stellten sich dabei als Hindernis heraus, also wendete er sich gegen sie. Erst als der letzte verbliebene Astronaut den Menschen gewaltsam wieder in den Mittelpunkt stellt, indem er HAL abschaltet, wird alles wieder gut. Die Geschichte von der irregewordenen Maschine hat das Bild der Menschen von Künstlicher Intelligenz (KI) geprägt. Zumindest das Bild der Europäer. Für das weltweit erste Gesetz zur Regulierung von KI wählte die EUKommission einen risikobasierten Ansatz. Die Künstliche-IntelligenzVerordnung der EU (KI-VO oder AI Act) teilt Systeme maschinellen Lernens nach Risiko ein. Je nachdem wie gefährlich ein System oder sein Anwendungsbereich sind, müssen die Betreiber mehr oder weniger Auflagen erfüllen. Sogenannte Systeme mit „unannehmbarem Risiko“ – wie beispielsweise Social-Scoring-Tools – verbietet die EU vollständig. Das Projekt war und ist kontrovers. Die Gesetzgeber sahen insbesondere den Bereich der Strafverfolgung als sehr gefährlich an. Hier könne Künstliche Intelligenz großen Schaden anrichten. Während Konservative sich für den Einsatz von KI durch Strafverfolgungsbehörden aussprachen, wollten Liberale dies verhindern. Zugleich befürchteten Liberale und Konservative eine Überregulierung

der neuen Technologien und der gerade erst entstehenden Ökosysteme. Entsprechend hoch war der Gesprächsbedarf in der letzten Trilogverhandlung über den AI Act. Die Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Rat und dem Parlament hätten „extrem lange gedauert“, berichtet der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss. Er schätzt: „circa 36 bis 37 Stunden. Das war natürlich in den späteren Stunden ermüdend, dennoch waren alle Parteien konzentriert.“

Einen guten Kompromiss erkennt man daran, dass niemand so ganz zufrieden ist. Demnach scheint die KI-Verordnung ein Erfolg zu sein. Der Rat und das Parlament hätten äußerst gegensätzliche Positionen vertreten, schildert Voss. Dies habe vor allem generative KI und biometrische Daten betroffen. Das Europa-Parlament hatte sich sehr für ein umfassendes Verbot biometrischer Gesichtserkennung mithilfe von KI eingesetzt. Einen guten Kompromiss erkennt man daran, dass niemand zufrieden ist. Demnach scheint das Ergebnis der dreitägigen Marathonsitzungen in der letzten Trilogverhandlung ein Erfolg zu sein. Unannehmbar riskante KI-Syste-

me oder Einsatzszenarien wie Social Scoring wurden verboten. Die Betreiber und Entwickler hochriskanter KI-Systeme müssen gewisse Transparenzvorgaben erfüllen. Wenn sie dem nicht nachkommen, drohen Geldbußen von bis zu sieben Prozent des globalen Jahresumsatzes oder 35 Millionen Euro, je nachdem was höher ist.

Historischer Moment Die EU hat damit einen wesentlichen Schritt zur weltweit ersten Regulierung von Systemen Maschinellen Lernens geschafft. „Dies ist ein historischer Moment“, begrüßte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Einigung. „Trotz massiver Bemühungen der liberalen Kräfte im Europäischen Parlament ist es uns leider nicht gelungen, ein grundsätzliches Verbot von biometrischer Gesichtserkennung durchzusetzen“, bedauert hingegen der digitalpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Maximilian Funke-Kaiser. Stattdessen werde die FDP ein nationales Verbot prüfen. Denn laut dem Kompromiss darf Echtzeit-Biometrie beispielsweise zur gezielten Suche nach Verdächtigen bei schweren Straftaten eingesetzt werden. Dazu zählen im Vorschlagstext Terrorismus, Menschenhandel, Vergewaltigung und weitere. „Es ist bedauerlich, dass ein Verbot von biometrischer Echtzeit-Identifizierung nicht erreicht wurde“, äußerten auch die Berichterstatter der SPD-Fraktion im Bundestag, Parsa Marvi und Armand Zorn. Aber das EU-Parlament habe es geschafft, Massenüberwachung in der Europäischen Union zu verhindern. „Die gesetzliche Festschreibung der Tatbestände zur Nutzung schließen

einen pauschalen Einsatz aus“, erklärten die SPD-Bundestagsabgeordneten. Dagegen hatte Axel Voss vor den Verhandlungen auf X, vormals Twitter, geschrieben, dass Gesichtserkennung für die Strafverfolgung nicht vollkommen ausgeschlossen werden dürfe. Nach den Verhandlungen lobte Voss vor allem den Einsatz der Europäischen Volkspartei-Fraktion (EVP) gegen Überregulierung. „Aber lassen Sie uns klar sagen: Wir haben versucht, das Beste aus einem undurchführbaren Ansatz zu machen. Wir sind immer noch nicht überzeugt, dass dies der richtige Weg ist, um Europa für KI wettbewerbsfähig zu halten“, schrieb Voss auf X. Es sei gut, dass die EU den Menschen schütze und der KI einen Rahmen gebe. Aber die Technologie sei für die Wettbewerbsfähigkeit fundamental. Voss hätte sich deshalb „eine bessere und praktikablere Anwendung von KI gewünscht“. Scharfe Kritik kommt aus der Wirtschaft. „Die Einigung zum AI Act ist ein politischer Schaufenster-Erfolg zulasten von Wirtschaft und Gesellschaft“, teilte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom mit. Dr. Bernhard Rohleder findet, dass die KI-Verordnung tief in die Technologie eingreife. „Die EU bindet damit den Unternehmen einen regulatorischen Klotz ans Bein.“ Vor allem besteht Rohleder zufolge die Gefahr, dass zu viele konkrete gesetzliche Vorgaben Innovationen verhindern könnten. Der AI Act erlege den Unternehmen mehr Regeln auf, um Verbraucherrechte zu schützen, urteilte dagegen Ramona Pop, Vorständin des verbraucherzentrale Bundesverbands. Das sei gut.

Der Kompromissvorschlag muss noch vom EU-Rat und -Parlament angenommen werden. Voss vermutet, dass das Parlament im Februar oder spätestens im März über die KI-Verordnung abstimmen werde. Danach entscheidet der Rat. Zudem sind noch die technischen Details festzulegen und die juristische Feinformulierung vorzunehmen. Zwei Jahre, nachdem Rat und Parlament das Gesetz verabschiedet haben, tritt die KI-Verordnung in Kraft. Verbotene Systeme unterliegen aber einer kürzeren Frist, betont Voss. Sie seien bereits sechs Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU verboten.

Mit der KI-Verordnung hatte Europa sich eine gewaltige Aufgabe gestellt. Die Krux ist offensichtlich. Technologien des maschinellen Lernens haben ihre volle Entfaltung noch gar nicht erreicht. Doch die EU wollte eine Art Grundgesetz für Künstliche Intelligenzen schreiben. Sie musste die Brücke schlagen zwischen der Angst vor einer Maschine, die Menschen schadet und den Chancen, die diese neue Technologie bietet. Das Ergebnis ist genau das, wozu HAL 9000 nicht in der Lage war: ein Kompromiss.


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Informationstechnologie

„V

Die ePA für alle kommt 2025

ersetzen Sie sich in die Situation: Sie sind als chronisch kranker Patient bei einem Facharzt neu einbestellt. Dann ist es die Regel, dass zu dem Zeitpunkt ein Teil der Befunde nicht da ist“, erläutert Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD). Die Laborwerte, Röntgenbilder etc. seien auf den Servern der Praxen und Krankenhäusern verteilt, in denen der Patient in der Vergangenheit behandelt wurde. Um an die benötigten Daten zu kommen, würden zum Teil „unnötige Doppeluntersuchungen“ durchgeführt, oft finde die Behandlung aber ohne die Daten statt. „Das führt zu Fehldiagnosen, zu Behandlungsfehlern, in jedem Fall zu einer suboptimalen Therapie. Das Geld wurde ausgegeben, aber die Daten sind nicht da, wo man sie braucht“, resümiert der Bundesgesundheitsminister. Für diesen Fall gibt es nun eine Lösung. Dank des im Dezember beschlossenen „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz) sollen die Daten künftig immer zugänglich sein, wenn man sie braucht – in der elektronischen Patientenakte (ePA) gespeichert. Geplant ist, dass diese Anfang 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet wird. Wer keine ePA nutzen möchte, muss Widerspruch einlegen (Opt-out). Die elektronische Patientenakte, die es bislang gibt, muss aktiv beantragt werden (Opt-in). Nur rund ein Prozent der Patientinnen und Patienten haben dies getan. Die privaten Krankenversicherungen können ihren Versicherten ebenfalls eine Opt-outePA anbieten. Menschen ohne Smartphone sollen ihre ePA in ausgewählten Apotheken einsehen können.

Effizientere Medizin

Lauterbach zufolge bewirken diese Neuerungen eine „deutliche Verbesserung aus Sicht der Patienten“ sowie eine „effizientere Medizin“. Auch für das medizinische Personal sei das Digital-Gesetz ein Fortschritt. Die Daten könnten von ihnen künftig ökonomisch, schnell und einfach in die elektronische Patientenakte

Behörden Spiegel / Januar 2024

Zwei Gesetze zur Modernisierung des Gesundheitswesens verabschiedet (BS/Anna Ströbele) Der Bundestag hat zwei Gesetze für das Gesundheitswesen beschlossen: Eines betrifft die Digitalisierung und ein zweites die Nutzung von Gesundheitsdaten (GDNG). Damit gilt das E-Rezept seit dem 1. Januar 2024 als verbindlicher Standard und die elektronische Patientenakte (ePA) für alle wird voraussichtlich 2025 eingeführt. Aus den Verbänden kommt überwiegend Zuspruch für die Vorhaben. Die kurze Einführungsfrist der ePA sowie die Qualität ihrer Technik werden jedoch infrage gestellt.

Mit der elektronischen Patientenakte sollen Ärztinnen und Ärzte auf einen Schlag alle wichtigen Informationen erhalten – ein entscheidender Vorteil bei Neubehandlungen. BS/Adobe Firefly

eingegeben werden. Mit der ePA erhalten die Versicherten zudem eine digitale Medikationsübersicht. So sollen ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln besser vermieden und Ärztinnen und Ärzte im Behandlungsprozess unterstützt werden. Die Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, begrüßt die Zielstellung der Gesetze: „Die Hausärztinnen und Hausärzte wollen und brauchen eine funktionierende Digitalisierung – und dafür ist insbesondere eine praxistaugliche ePA ganz entscheidend.“ Bis zum heutigen Tag funktioniere die Technik allerdings sehr schlecht, weswegen der Verband nicht glaubt, dass „die verantwortlichen Akteure es schaffen,

diese massiven Probleme innerhalb eines Jahres in den Griff zu bekommen“.

Änderungen ohne Rückfragen Buhlinger-Göpfarth kritisiert ebenfalls die kurzfristigen Änderungen am Digital-Gesetz. Diese seien ohne Beratung und Rückkoppelung mit den Praktikern dazugekommen. Tatsächlich wurden für das GDNG noch sechs und für das Digitalgesetz 33 Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen gebilligt. Demnach verpflichtet der Gesetzgeber die Ärzte, bestimmte Daten in die ePA einzuspeisen. „Bisher lag dies im Ermessen der Ärztinnen und Ärzte,“ so die Bundesvorsitzende. Sollte die Technik der ePA zum Zeitpunkt ihrer Einführung

für alle also nicht gut funktionieren, müssten die Ärzte diese trotzdem verwenden und hätten so einen „zusätzlichen Zeitfresser“ – ein echtes Problem angesichts ihrer „extremen Belastung“, erklärt der Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) berichtet, Ärztinnen und Ärzte würden verpflichtet, Medikationsdaten, Arztbriefe, Entlassbriefe und Befundberichte standardmäßig in die ePA einzustellen. Ziel sei die Verfügbarkeit dieser wichtigen Dokumente auf einen Blick. Weitere Informationen, auch aus vorangegangenen Behandlungen, könnten in die ePA eingestellt werden, wenn das für die Versorgung des Versicherten erforderlich sei und der Versicherte dies verlange. Der Befüllung der ePA könnten die Versicherten allerdings widersprechen. Das gelte laut BMG insbesondere für sensible Daten und Dokumente: „Hier werden die Versicherten gesondert auf ihre Widerspruchsmöglichkeit hingewiesen.“ Wie Buhlinger-Göpfarth findet auch Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, den Zeitplan für die Einführung der ePA „zu straff“. Die kurze Frist sei zwar ein richtiges Signal an die Industrie, die Produkte so schnell wie möglich zu entwickeln. Aber die Versicherten sollten genug Zeit für eine informierte Entscheidung für oder gegen die ePA haben, bemerkt Pfeiffer. Aus diesem Grund befürwortet sie den Start der ePA für alle im Juli 2025 statt Anfang des Jahres. „Denn es hilft letztlich niemandem, wenn die Opt-out-ePA zwar schnell, aber unausgereift eingeführt wird.“ Insgesamt zeigt sich

Pfeiffer zufrieden mit den Gesetzen: „Endlich bekommen dann die Patientinnen und Patienten die Hoheit über ihre Daten.“ Die gematik GmbH definiert die technischen Anforderungen an die ePA für alle. Im Dezember hat sie die Spezifikationen zur ePA vorab veröffentlicht und wartet nun auf die Kommentare der Gesellschafter der gematik, um die finalen Spezifikationen zu veröffentlichen. Sobald diese vorlägen, würden die Industriehersteller mit den konkreten Umsetzungen beginnen, sodass die ePA für alle ab 2025 zur Verfügung stehe, informiert die gematik.

Datenhoheit bei Patienten

In die ePA für alle sollen Dokumente sowie Daten eingestellt werden können. Die konkreten Inhalte und die Datenformate der ePA werden der gematik zufolge nach und nach ausgebaut werden. Die Hoheit der Daten liege aber immer bei den Patientinnen und Patienten, die Inhalte einzelner Dokumente verbergen und löschen könnten. Der Zugriff auf die ePA erfolgt über eine App auf dem Smartphone oder Tablet. Auch eine Desktop-Version soll angeboten werden. In der ePA-App soll das weiterentwickelte E-Rezept zugänglich sein. Das Digital-Gesetz sieht weiterhin die verstärkte Nutzung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und der Telemedizin vor. Auch in der Psychotherapie sollen demnach Videosprechstunden durchgeführt werden. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) greift Lauterbach zufolge „wie ein Zahnrad“ in das Digital-Gesetz, denn: „Mit der digitalen Nutzung der Gesundheitsdaten werden wir diese so aufbereiten, dass sie für die Forschung verwendet werden können.“ Ziel sei es, langfristig ein interessantes Land zur Durchführung von Studien und für Innovationen in der Medizin zu werden. Außerdem soll durch die Datennutzung die Behandlung von Patienten im Rahmen der personalisierten Medizin verbessert werden. Für die Datenfreigabe aus der ePA wird ebenfalls ein Widerspruchsverfahren eingeführt.

Über kurz oder Lang – Für ein digitales Deutschland –

Aus der Praxis für die Praxis Eine Kolumne von Christina Lang

Geht es Ihnen auch so? Über die Feiertage, im Kreis von Familie und Freunden, ist mir wieder einmal deutlich geworden, wie wichtig und schön Gemeinschaft ist. Wie viel besser vieles geht – trotz häufig unterschiedlicher Sichtweisen. Zum Glück sind wir auch bei unseren Bemühungen um einen digitalen Staat nicht auf uns alleine gestellt. Neben den direkten Kolleginnen und Kollegen treffen wir gerade im öffentlichen Sektor auf allen Ebenen auf Menschen, die – genau wie wir – die Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben können und wollen. Die Kraft dieses gemeinsamen Arbeitens lässt sich besonders in sogenannten „Communitys of Practice“ beobachten. Der Name ist Programm: Hier geht es nicht um theoretischen Austausch, sondern darum, aus der Praxis voneinander zu lernen, Synergien zu erkennen und einander zu motivieren. Menschen, die an oder in einem ähnlichen Themenfeld arbeiten, treten so in den Dialog. Der DigitalService ist seit seiner Gründung in Communitys of Prac-

tice aktiv – und zwar auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Die Themen sind dabei so vielfältig wie die Verwaltungsdigitalisierung auch: von Barrierefreiheit bis Open-Source-Coding. Eines unserer Ziele als DigitalService ist, unsere Erkenntnisse aus der Umsetzungsarbeit für die digitale Transformation der Verwaltung auch anderen zugänglich zu machen. Aber wir profitieren selbst auch von dem Austausch in Communitys: In einem Community-Format erfuhr jemand aus unserem Team von einem Kollegen auf Landesebene von einem gemeinnützigen Dienstleister mit Spezialisierung auf Barrierefreiheit, bei dem Menschen mit Behinderung als Expertinnen und Experten tätig sind. Daraufhin nahmen wir Kontakt auf und arbeiten heute mit ihnen daran, dass Kommunikation und Produkte des DigitalService inklusiv sind. Das Vorwissen aus der Community hat uns also geholfen, schnell einen kompetenten Partner zu finden.

Christina Lang ist Chief Executive Officer (CEO) des DigitalService. Foto: BS/DigitalService

Und im September'23 war ich im Rahmen eines internationalen Community-Treffens auf der Veranstaltung „Digital Government Exchange“ in Singapur mit dem Government Digital Service, der staatlichen Digitalisierungseinheit Großbritanniens, im Austausch. Die Kolleginnen und Kollegen teilten, für welche Anwendungsfälle sie KI in der Verwaltung testen und welche Guidelines sie ihren Mitarbeitenden für die Nutzung von generativen KI-Programmen gegeben haben. Es ist hilfreich und inspirierend, sich international zu technologischen Entwicklungen

und dem Umgang damit auszutauschen – und gerade, weil andere Länder weiter sind als wir, können wir viel nachnutzen oder von Fehlern anderer lernen. Somit fungieren die Communitys als lebendiges Curriculum – und gehen dennoch weit über das Lernen hinaus. Sie helfen den Teilnehmenden, einander bei gleich gelagerten Herausforderungen zu unterstützen, Praktiken weiterzuentwickeln, Disziplinen voranzutreiben, Motivation zu spenden sowie organisationsübergreifende Verbindungen aufzubauen. Wenn ihr euch nun fragt, welche Communities in Deutschland eigentlich existieren und wie ihr konkret mitmachen könnt, kann ich euch drei tolle Organisationen empfehlen: Das Nationale E-Government Kompetenzzentrum e.V. (NEGZ) vernetzt seit 2013 Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissen-

schaft, die zum Ziel haben, den digitalen Staat voranzutreiben. Der 2018 gegründete Verein NExT ist ein Netzwerk, mit dem die Verwaltung aus sich heraus eine Struktur geschaffen hat, um Mitarbeitende aus allen Organisationen der öffentlichen Hand zusammenzubringen. Im Rahmen von diversen Veranstaltungsformaten kommen Menschen aus der Verwaltung über hierarchische und föderale Ebenen hinweg in einen vertraulichen Austausch. Externe sind hier explizit ausgeschlossen. Der GovTechCampus Deutschland orchestriert seit 2021 den Aufbau einer GovTech-Community in Europa und bietet Bund, Ländern und Kommunen eine zentrale Infrastruktur für die Zusammenarbeit mit der Technologieszene. Zusammen mit vielen weiteren sind diese Institutionen maßgebliche Wegbereiter für den Fortschritt der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland. Ich freue mich sehr darauf, wenn wir uns in diesem Jahr wieder zusammensetzen und zeigen, dass wir gemeinsam stark sind!


Informationstechnologie

E

s ist nicht erst vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Israel, bei denen grausame Gewalttaten durch Terroristen in Sozialen Netzwerken viral gingen, klar: Die deutsche Umsetzung des DSAs drängt. Denn nicht nur die Frist zur Umsetzung des sog. DigitaleDienste-Gesetzes, der 17. Februar 2024, rückt immer näher. Es wird Zeit, dass Nutzerinnen und Nutzer und nicht zuletzt unsere Demokratie und freiheitlich-demokratische Ordnung endlich besser geschützt werden.

Prof. Dr. Kristina Sinemus ist Hessische Ministerin für Digitale Strategie und EntwickFoto: BS/HMinD lung.

Für die Bundesregierung schien dieses Problem lange wenig Priorität zu haben: Nachdem ein erster Entwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz bereits im Februar 2023 kursierte, wurde ein Referentenentwurf erst im August 2023 veröffentlicht. Eine Befassung im Bundeskabinett erfolgte schließlich am 20. Dezember 2023. Dieser späte Beschluss bedeutet aber, dass wichtige Zeit für eine dem Thema angemessene Debatte im Bundestag und im Bundesrat vertan wurde und die Verzögerungen innerhalb der Bundesregierung Bundestag und Bundesrat unter zeitlichen Druck set-

Der Digital Services Act Durchbruch beim Kampf gegen Hass im Netz? (BS/Catarina dos Santos-Wintz/Prof. Dr. Kristina Sinemus/Ina Scharrenbach) Furchtbare Gewaltdarstellungen in Videos und Fotos, dazu Falschinformationen, Rassismus und teils menschenverachtende Hetze: Es wird erneut deutlich, dass Inhalte auf sozialen Plattformen viel stärker reguliert werden müssen. Das Inkrafttreten des Digital Services Acts (DSA) Mitte November 2022 war ein richtiger und wichtiger Schritt, um das Netz zu einer sichereren und vertrauenswürdigeren Umgebung zu machen, Grundrechte der Nutzer zu schützen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu schaffen. Denn die Auswirkungen von Hass im Netz auf unsere Gesellschaft, insbesondere auf Kinder und Jugendliche, sind verheerend. Das ist richtig, denn die Landesmedienanstalten verfügen über langjährige Erfahrung und personelle Ressourcen in der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung gegenüber Plattformen. Da derzeit aber ebenfalls an einer Reform des Jugendmedienstaatsvertrags gearbeitet wird, sollten Änderungen entsprechend wechselseitig im Sinne der verfassungsrechtlichen Kompetenzen koordiniert werden. Auch soll die Bundesnetzagentur, die zukünftig den nationalen Koordinator, also die Aufsicht, stellen wird, endlich Rechtssicherheit bekommen. Denn die Behörden stimmt sich schon jetzt in informellen EU-Arbeitsgruppen mit den anderen nationalen Koordinatoren ab, ohne bislang ein Mandat dafür zu haben.

Berücksichtigung der Landesmedienanstalten Entgegen dem ursprünglichen Referentenentwurf sollen nun die Landesmedienanstalten angemessen berücksichtigt werden. Nach intensiven Debatten sollen sie in die Aufsicht in Bezug auf den Jugendmedienschutz eingebunden werden.

wie es die EU ursprünglich im DSA angelegt hatte und was auch beim Netzwerkdurchsetzungsgesetzes kritisiert wurde. Denn einerseits muss unbedingt eine „Verantwortungsdiffussion“ vermieden werden, zu welcher das föderale Geflecht in der Bundesrepublik Deutschland in besonderem Maße zu verleiten scheint. Weiterhin ist das Merkmal der Unabhängigkeit des Koordinators ein rechtlich so wichtiger Punkt, dass jeglicher Zweifel daran

vermieden werden muss. Neben der Aufsicht und der Ermittlung, sind – falls nötig – der Durchgriff bei Verstößen und eine angemessene Reaktion hierauf eine große Herausforderung. Die nationale Aufsicht muss klug und effizient organisiert sein, denn von einer raschen Durchsetzung der Regeln hängt ab, ob Soziale Medien tatsächlich transparenter werden und ob Moderationsregeln konsequenter angewendet werden können. Hierzu

Wir benötigen verbraucherfreundliche Regelungen, also möglichst niedrigschwellige Verfahren ohne großen bürokratischen Aufwand.

Koordinator für digitale Dienste Dabei kommt der Koordinierungsstelle (Koordinator für digitale Dienste) in Zukunft eine zentrale Bedeutung zu. Entscheidend wird sein, wo diese Stelle im Geflecht der nationalen und föderalen Zuständigkeiten angesiedelt sein wird, wie unabhängig sie agieren kann, wie viel Personal ihr zur Erledigung zur Verfügung stehen wird und welche Rolle ihr zugeschrieben wird. Hier scheint zwar nun eine Lösung ge-

Eine ernsthafte und intensive Diskussion ist kaum möglich, ohne die Umsetzungsfrist der EU zu reißen. zen. Eine ernsthafte und intensive Diskussion ist kaum möglich, ohne die Umsetzungsfrist der EU zu reißen, was potenziell Strafzahlungen nach sich zieht. Gleichzeitig wächst der Einfluss der Plattformen jeden Tag, ohne dass die gesetzliche Regulierung hiermit Schritt hält. Denn anders als französische und irische Behörden hat es die Bundesregierung abgelehnt, durch ein Abkommen mit der EU schon vor Ablauf der nationalen Umsetzungsfrist auf gewaltvolle Online-Inhalte reagieren zu können.

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funden worden zu sein, dennoch stellt sich nach wie vor die Frage, ob die Bundesnetzagentur die geeignete Aufsichtsstelle zur Durchsetzung und Überwachung ist. Denn sie ist primär für die Regulierung von Telekommunikations- und Energiemärkten zuständig. Ob die Komplexität der digitalen Dienste und die erforderliche Fachexpertise durch die BNetzA in der nun vereinbarten Ausstattung in vollem Umfang abgedeckt werden kann, bleibt abzuwarten. Es ist aber von grundlegender Bedeutung, eine unabhängige und spezialisierte Aufsicht zu etablieren, die von politischer Einflussnahme unberührt agieren kann. Zwar sind entsprechende Bemühungen der BNetzA festzustellen; dennoch stellt sich die Frage, ob der Aufbau einer neuen, spezialisierten Einrichtung für die Plattformaufsicht nicht sinnvoller bleibt,

brauchen wir verbraucherfreundliche Regelungen, also möglichst niedrigschwellige Verfahren ohne großen bürokratischen Aufwand. Wir werden uns in den kommenden Wochen und Monaten, auch im Deutschen Bundestag und im Bundesrat, weiterhin intensiv und konstruktiv auf Bundes- und Länderebene mit den Kolleginnen und Kollegen beraten. Bei allen Gesprächen werden wir das übergeordnete Ziel des Gesetzes, die Sicherheit und die Stärkung der Vertrauenswürdigkeit in soziale Plattformen, nicht aus den Augen verlieren. Mehr zum Thema „Digital Services Act“ auch auf der Seite 28 in dieser Ausgabe.

Ina Scharrenbach ist Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen. Foto: BS/F. Berger, MHKBG NRW 2021

schneller, stärker, souveräner – GEMEINSAM. Partnerland 2024: Dänemark

Vienna House Andel’s, Berlin

Impulse unter anderem von:

Anne Marie Engtoft Meldgaard, Denmark‘s Tech Ambassador

Martina Klement, Staatssekretärin für Digitalisierung und CDO Berlin

Dr. Markus Richter, Staatssekretär im BMI und CIO der Bundesregierung

Dr. Ariane Berger, Leiterin Digitalisierung, Deutscher Landkreistag

Die Bundesnetzagentur soll endlich Rechtssicherheit bekommen.

Dr. André Göbel, Präsident der FITKO

Catarina dos Santos-Wintz ist als Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion Mitglied des Deutschen Bundestages. Foto: BS/Tobias Koch

DIGITALER-STAAT.ORG

Illustration: BS/B. Dach unter Verwendung von Tatiana; aleksandr; Sergey Niven, (alle stock.adobe.com)

Behörden Spiegel / Januar 2024


Informationstechnologie

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B

ehörden Spiegel: Was verbirgt sich hinter IMI?

Knežević: IMI hilft, Sprachbarrieren zu überwinden. Das „Internal Market Information System (IMI)“ ist in 23 Amtssprachen der EU verfügbar und macht so die Kommunikation in der eigenen Landessprache möglich. „Behörden über Grenzen hinweg verbinden“ – mit diesem Ziel entwickelte die Europäische Kommission 2008 das System IMI. Seitdem tauschen nationale, regionale und lokale Behörden aus den verschiedenen EUStaaten über dieses mehrsprachige Online-Tool Informationen aus. Behörden Spiegel: Wie funktioniert dieses Instrument im Binnenmarkt? Knežević: Das flexible IMI-System kann für verschiedene Arten des Austauschs genutzt werden – zwischen zwei Behörden oder zwischen einer initiierenden Behörde und mehreren Empfängerbehörden in den anderen Mitgliedsstaaten (Mitteilungen

Behörden Spiegel / Januar 2024

Tor zum digitalen Europa 15 Jahre Binnenmarkt-Informationssystem IMI (BS) Seit 15 Jahren erleichtert das Binnenmarkt-Informationssystem IMI die Zusammenarbeit von Behörden in der EU. Beim Europäischen Berufsausweis oder der Überprüfung öffentlicher Urkunden wie polizeilicher Führungszeugnisse ist IMI bereits stark gefragt – und wächst weiter. In Deutschland wird IMI vom Bundesverwaltungsamt koordiniert. Der Behörden Spiegel sprach hierzu mit Jasna Knežević, nationale IMI-Koordinatorin im Bundesverwaltungsamt in Köln. und Vorwarnungen). Möglich sind zudem Abfragen in Datenbanken. Die Nutzung von IMI ist schnell und dank hoher Datenschutz-Standards sicherer als E-Mail oder Telefon.

Behörden Spiegel: Welche Bedeutung hat IMI für im Ausland lebende Personen?

Behörden Spiegel: Wie oft wird IMI genutzt?

Jasna Knežević ist nationale IMI-Koordinatorin im Bundesverwaltungsamt in Köln. Foto: BS/BVA

eine zügige Überprüfung der Berufsqualifikation ermöglicht, wenn eine berufstätige Person ihrem Beruf im Ausland nachgehen möchte, etwa als Krankenschwester in Dänemark oder als Lehrer in Schottland. Wenn eine Behörde im Ausland Rückfragen zur deutschen Berufsqualifikation oder zur Echtheit eines Dokuments hat, kann diese eine direkte Anfrage an die deutschen Amtskollegen senden und innerhalb kürzester Zeit die Antwort erhalten. Die gleichen Vorteile hat IMI auch in den anderen Rechtsbereichen, zum Beispiel bei der Niederlassung von Unternehmen im Ausland. Behörden Spiegel: Welche Themen sind in IMI besonders gefragt? Knežević: Am häufigsten sind Anfragen zu Berufsqualifikationen. Hier wird die EU-Freizügigkeit live in die Praxis umgesetzt. Die meisten entsprechenden IMI-Anfragen versenden wir nach Rumänien und Polen und wir erhalten am meisten Anfragen aus Österreich, Norwegen und den Niederlanden.

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Behörden Spiegel: Wer profitiert von IMI am meisten? Knežević: IMI wird zwar ausschließlich von Behörden genutzt. Letztlich kommt die Vereinfachung der Behördenzusammenarbeit innerhalb der EU aber den Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen zugute.

Die Dienstleistungsrichtlinie war einer der ersten Rechtsbereiche, für den IMI angewendet wurde.“

Knežević: Anfangs wurden 30 Informationsanfragen pro Monat gestellt, inzwischen gibt es monatlich über 1.500 Anfragen. Insgesamt haben sich inzwischen mehr als 12.400 Behörden EU/EWR-weit registriert. Die Nutzung nimmt weiter zu.

Am häufigsten sind Anfragen zu Berufsqualifikationen. Hier wird die EU-Freizügigkeit live in die Praxis umgesetzt.“

Knežević: Es sorgt dafür, dass Bürgerinnen und Bürger eine bessere und schnellere Hilfe bekommen. Wie gelingt dies? Zum Beispiel, indem IMI

NIMIC der anderen Mitgliedsstaaten in allen Fragen, die das IMI betreffen. In jedem Bundesland wurde zusätzlich eine IMI-Länderkoordinatorin bzw. ein -koordinator eingesetzt.

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Viele Menschen leben heute zeitweise oder langfristig in einem anderen EUMitgliedsstaat. Dies betrifft Personen jeder Altersstufe, wie das Beispiel einer Seniorin aus Deutschland zeigt, die als Immobilienmaklerin ihrem Beruf in Österreich nachgehen wollte und den Europäischen Berufsausweis beantragte. Dank IMI konnte der Antrag innerhalb der vorgeschriebenen Frist von vier Monaten bearbeitet werden. Der Europäische Berufsausweis, der 2016 eingeführt wurde, ist das erste europäische Verwaltungsverfahren, das von der Antragstellung bis zum Abschluss komplett online abläuft. Aktuell gibt es ihn für fünf Berufe: Krankenpfleger/in, Apotheker/in, Physiotherapeut/in, Bergführer/in und Immobilienmakler/in. Behörden Spiegel: Können Sie weitere Beispiele aus der Praxis nennen? Knežević: Zu spürbaren Erleichterungen hat auch das vereinfachte Verfahren zur Anerkennung öffentlicher Urkunden innerhalb der EU geführt. Dies betrifft zum Beispiel die Anerkennung von Geburtsurkunden,

Aktuell sind bundesweit über 5.600 Behörden in IMI registriert.“

Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt das Bundesverwaltungsamt? Knežević: In Deutschland stellt der Aufbau von IMI wegen des föderalen Staatsaufbaus eine echte Herausforderung dar. Denn auf Bundes- und Landesebene sowie auf kommunaler Ebene ist eine Vielzahl von Ämtern einzubinden. Aktuell sind bundesweit über 5.600 Behörden in IMI registriert. Auf Bundesebene wird das IMI-System deshalb durch eine nationale IMI-Koordinatorin betreut, die sogenannte NIMIC. Diese Funktion wird von Beginn an im Bundesverwaltungsamt wahrgenommen, dem zentralen Dienstleister des Bundes. Behörden Spiegel: Welche Aufgaben haben Sie als nationale IMI-Koordinatorin? Knežević: Als NIMIC bin ich – gemäß der IMI-Verordnung (EU) 1024/2012 – dafür zuständig, dass das IMI-System in Deutschland reibungslos funktioniert. Neben der Beratung und Koordination der beteiligten nationalen Stellen diene ich als zentrale Ansprechpartnerin für die Europäische Kommission und die

Dokumenten über Eheschließung und -scheidung oder von polizeilichen Führungszeugnissen. Ein anderes Beispiel ist die Dienstleistungsrichtlinie. 2009 eingeführt, war sie einer der ersten Rechtsbereiche, für den IMI angewendet wurde. Ob ein Unternehmen in einem anderen Mitgliedsstaat rechtmäßig niedergelassen ist, ob dem Gewerberegisterauszug vertraut werden kann oder ob ein Insolvenzverfahren gegen eine Firma besteht, kann über IMI angefragt bzw. bestätigt werden. Behörden Spiegel: Wie geht es weiter? Knežević: IMI wird immer weiter etabliert und technisch verbessert. Seit 2023 gibt es 20 Rechtsbereiche, in denen die grenzüberschreitende Behördenzusammenarbeit mithilfe von IMI abgewickelt wird, u. a. seit Dezember 2023 die Überprüfung der Echtheit von Nachweisen im Rahmen der Single-Digital-GatewayVerordnung (EU) 2018/1724 und in Verbindung mit dem Once-OnlyTechnical-System (OOTS). Weitere Rechtsbereiche werden folgen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Januar 2024

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„Künstliche Intelligenz in Kommunen“

Schon jetzt den zweiten Schritt denken In der Kolumne vom Oktober (Behörden Spiegel 10/2023, Seite 30) habe ich dazu aufgerufen, lauter über KI zu diskutieren und vor allem mutiger in der Umsetzung zu werden. Angesichts der bestehenden kommunalen Herausforderungen – insbesondere durch den Arbeitskräftemangel – ist diese Auseinandersetzung mit dem Thema KI in den Kommunen mehr als verständlich. Bleibt zu hoffen, dass es nicht bei der rein theoretischen Diskussion bleibt, sondern die Kommunen mutig experimentieren – mit Weitblick und einer gehörigen Portion Lernkultur. Dabei sollte das Thema KI differenziert betrachtet werden. In der letzten Kolumne bin ich auf schwache und starke KI eingegangen. In diesem Zusammenhang geht es jetzt um KI in Expertensystemen und die sog. generative KI.

KI-Expertensysteme basieren auf menschlichem Wissen KI-Expertensysteme basieren auf explizitem menschlichem Wissen, das von Expertinnen und Experten in Form von Regeln und Logiken festgelegt wird.

chende Systeme zu nutzen und den Schritt zur generativen KI nicht aus den ­Augen zu verlieren: Darum muss es jetzt gehen, um die bestehenden Herausforderungen wirklich meistern zu können. Generative KI setzt auf maschinelles Lernen, insbesondere auf neuronale Netze. Aus großen Datenmengen wird gelernt und darauf aufbauend werden neue Inhalte generiert. Genera­ tive Modelle können beispielsweise Texte, Bilder, Musik und vieles mehr erzeugen. Gerade zur Weihnachtszeit konnte man in den Sozialen Medien viele KI-generierte Weihnachtsbilder entdecken.

Eine Kolumne von Marc Groß, Vertreter des Vorstands und Programmbereichsleiter Organisations- und Informationsmanagement der KGSt Foto: BS/KGSt

Diese Systeme sind darauf ausgerichtet, ganz bestimmte Aufgaben unter Verwendung des vordefinierten Wissens zu lösen. Ein Beispiel ist die sogenannte Straßenzustandserfassung, bei der Straßen mit einem kommunalen Fahrzeug abgefahren werden, um den Straßenzustand mit einer Kamera zu erfassen und Zustandsdaten zu sammeln. Diese werden dann von einer KI mittels Bilderkennung analysiert, um Schäden zu klassifizieren. Solche und ähnliche KI-Expertensysteme, die auf Bild-, Textund Spracherkennung basieren, werden zunehmend in Kommunen eingesetzt. Ihre Leistungsfähigkeit ist überschaubar, auch wenn das Potenzial zur Prozessoptimierung groß ist. Entspre-

Verschiedene Einsatzmöglichkeiten in kommunalen Kontexten Generative KI kann in verschiedenen kommunalen Kontexten eingesetzt werden. Beispielsweise können automatisiert generierte Pressemitteilungen oder Newsletter für die Presse- und Öffentlich-

keitsarbeit erzeugt werden. Sie kann aber auch eingesetzt werden, um automatisch qualitativ hochwertige Übersetzungen zu erstellen. Dies unterstützt eine effektive Kommunikation, was nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Integration interessant ist. Weitere Anwendungsmöglichkeiten finden sich in den Bereichen Bürgerbeteiligung, Verkehrsmanagement und Bürgerservice usw.

Generative KI braucht einen klaren Rahmen Mehr noch als bei KI-Expertensystemen braucht generative KI einen klaren Rahmen. Denn sie lernt und generiert Inhalte selbstständig, ohne vorher festgelegte Regeln. Sie weist damit eine höhere Autonomie bei der Erstellung neuer Inhalte auf. Dies bedeutet, dass neben der notwendigen Experimentierfreude insbesondere ethische Aspekte und der Datenschutz zu berücksichtigen sind. Entsprechende Modelle lernen aus großen Datensätzen. Sensible Daten müssen geschützt werden. Zudem können solche

Modelle Vorurteile aus den Trainingsdaten übernehmen, was zu unfairen oder diskriminierenden Ergebnissen führen kann. Auch hier sind Gegenstrategien erforderlich. Darüber hinaus müssen natürlich auch die Qualität der Daten sowie die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berücksichtigt werden. Hinzu kommen die notwendigen Kompetenzen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Sie müssen aufgebaut und festgelegt werden.

Den technologischen Anschluss nicht verschlafen Es gibt viel zu tun und die Diskussion ist alles andere als trivial. Aber das sind auch die Herausforderungen, vor denen die Kommunen stehen, nicht. Da hilft nur eines: Den technologischen Anschluss nicht verschlafen, schon jetzt den zweiten Schritt denken und die Themen beherzt anpacken. Nicht alleine, sondern mit der Innovationskraft der gesamten kommunalen Familie.

Es braucht mehr Leadership, Geschwindigkeit, Optimismus und Kreativität sind gefordert (BS/gg) „Beim Digitalisieren der Verwaltung ist mehr Geschwindigkeit gefragt, nicht heute, nicht morgen, sondern gestern“, hob Matthias Kohlhardt auf dem Kongress „Innovatives Management“ hervor. Für den MACH-Vorstandsvorsitzenden wird dafür allem voran Leadership benötigt, weil dies Digitalisierung vorlebe und vorantreibe. Ann-Cathrin Riedel, Geschäftsführerin von NExT e.V., hob hier hervor, wie wichtig eine optimistische Grundstimmung im Verwaltungsumfeld sei. „Pessimismus bringt uns nicht weiter – Alarmismus aber auch nicht“, bekräftigte sie. Es gebe auch gelungene Beispiele aus der Vergangenheit, etwa die Corona-Hilfe an Studierende, die innerhalb weniger Monate ausgezahlt worden sei. Schnelle Entscheidungen mit einem klaren Ziel vor Augen hätten dies möglich gemacht. Die Verwaltung in Deutschland stehe aktuell vor zwei gewaltigen Herausforderungen, erklärte Sascha Friesike, Professor für Design digitaler Innovationen und Studiengangsleiter des berufsbegleitenden Master-Studiengangs Leadership in

digitaler Innovation an der Universität der Künste Berlin. Es müssten jetzt passende Bedingungen geschaffen werden, damit Verwaltungsarbeit mehr Raum für Kreativität ermögliche. „Da ist zum einen der digitale Wandel, der die Arbeitsweise verändert. Darauf muss man kreativ reagieren und gestalten“, sagte Friesike. Auf der anderen Seite stehe die Verwaltung vor der Herausforderung des Fachkräftemangels. „Das bedeutet, dass die Arbeit der Verwaltung neu strukturiert werden muss. Auch das ist eine kreative Aufgabe, die es zu bewältigen gilt.“ Die Verkürzung von Prozessen und der Einsatz neuer Technologien sind Aufgaben, die mit einer kreativen Herangehensweise gemeistert werden können.

SIE SORGEN DAFÜR, DASS DAS ÖFFENTLICHE LEBEN FUNKTIONIERT. WIR BEGLEITEN SIE DABEI MIT SMARTEN LÖSUNGEN IN DIE DIGITALE ZUKUNFT. In der Verwaltung sind digitale Lösungen der Weg, um den öffentlichen Auftrag optimal zu erfüllen. DATEV bietet dafür leistungsstarke und rechtssichere Software für Finanz-, Personalwesen und Verwaltungsprozesse. Das macht DATEV und die steuerlichen Berater zu verlässlichen Partnern an Ihrer Seite.

Colocation für digitale Services Landeshauptstadt vertraut noris network Rechenzentrumsbetrieb an Die digitale Transformation sorgt in Einrichtungen der öffentlichen Hand für Aufbruchstimmung. Das galt auch für die IT-Verwaltung der Landeshauptstadt München und die Modernisierung der Rechenzentrumsinfrastruktur. Eine interne Kostenaufstellung hatte ergeben, dass die Anmietung in einem Datacenter günstiger war als die Errichtung eines zweiten eigenen Rechenzentrums. „In der Evaluierung verschiedener Colocation-Anbieter ging das Rechenzentrum München Ost von noris network als Gewinner hervor“, sagt Andreas Kwekkeboom, Leiter Rechenzentrum bei der Landeshauptstadt München. Der entscheidende Punkt: die Zertifizierungen. So beeinfluss-

ten neben ISO 20000-1, ISO/ IEC 27001 und BSI-Grundschutz besonders die EN-50600-Zertifizierung des Rechenzentrumsanbieters und IT-Dienstleisters das Votum. Hinzu kamen klare Anforderungen für die Planung der Gewerke, die Sicherheit und Verfügbarkeit. „Es ist eine zwingende Vorgabe der Stadt München, dass die IT nicht aus der Hand gegeben werden darf.“ Nicht weniger relevant war den IT-Experten auch das Thema Nachhaltigkeit. Die Landeshauptstadt hat sich fest vorgenommen, bis zum Jahr 2030 CO2-frei zu sein. Dafür sorgt der KyotoCooling-Wärmetauscher. Er ermöglicht zu mehr als 90 Prozent des Jahres eine indirekt freie Luftkühlung.

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Cloud

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ber drei Jahre sind seit dem Beschluss des IT-Planungsrates (ITPR) zur Deutschen Verwaltungscloud-Strategie (DVS) vergangen und der Betrieb erster Cloud-Services ist ausgeschrieben: • Das Beschaffungsamt des Bundes (BeschA) lanciert eine Public Cloud-Ausschreibung. • Das ITZBund hat eine CloudPlattform On-Premises ausgeschrieben, auf denen der Technologielieferant nur reglementierte Zugriffe hat, da die Cloud in den ITZBund-Rechenzentren gehostet wird. • Die govdigital hat eine Ausschreibung für einen Cloudbroker veröffentlicht, der den Mitgliedern der Genossenschaft verschiedene Cloud-Angebote offerieren soll. Die gemeinsame Bereitstellung von Marktangeboten könnte später unter dem Titel „gdcloud“ laufen, wobei dazu auch Unterstützungsleistungen angeboten werden sollen. • Die Sozialversicherungen, darunter die Bundesagentur für Arbeit (BA), die Rentenversicherung und die Unfallversicherung haben Anfang Januar ebenso einen Multicloud-Broker ausgeschrieben.

Zeitgleich arbeiten viele IT-Dienstleister und auch die Genossenschaft govdigital daran, ein eigenes Portfolio in Form eines KubernetesClusters als Betriebsplattform aufzubauen. Hier sollen existierende Rechenzentren verschiedener ITDienstleister eine gemeinsame Applikationsschicht betreiben. Eine solche gemeinschaftliche Leistungserbringung soll ab dem zweiten

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ehörden Spiegel: Das Projekt IT-Konsolidierung Bund geht 2024 ins zehnte Jahr. Das ITZBund ist hier einer der zentralen Akteure. Wie weit sind Sie bei der Betriebsund Dienstekonsolidierung? Dr. Alfred Kranstedt: Das Wichtigste ist eigentlich, dass wir seit der Reorganisation des Projektes im Jahr 2019 einen stabilen Zeit- und Meilensteinplan haben und auch keine budgetären Anpassungen vornehmen mussten. Das schafft Verlässlichkeit für alle Beteiligten. Die Betriebskonsolidierung läuft in der zweiten Welle nach Plan. Im Sommer wird die Umsetzung der dritten von vier Wellen starten. Gleichzeitig werden im Sommer die ersten Projekte der ersten Welle abgeschlossen. Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden, auch wenn wir uns bei bestimmten Projekten einen höheren Konsolidierungsumfang gewünscht hätten. Bei der Dienstekonsolidierung sieht es ähnlich aus: Die Phase der Neuentwicklung von Diensten ist überwiegend vollzogen und wir befinden uns im Rollout, der grundsätzlich bis 2025 abgeschlossen sein soll. Das wird mitunter nicht mit allen Diensten bis zum Ende gelingen, aber wir sind auf einem guten Weg. Behörden Spiegel: Eine gute CloudInfrastruktur wird zukünftig das Rück-

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Können und können wollen Fachverfahren und Personal müssen cloud-ready werden (BS/Dr. Eva-Charlotte Proll) Die deutsche Verwaltung hat sich auf den Weg begeben, skalierfähige Cloud-Infrastrukturen aufzubauen, erste Ausschreibungen für den Betrieb wurden auf den Weg gebracht. Dennoch ist eine Vielzahl an Fachverfahren nicht einfach in die Cloud migrierbar, ganz zu schweigen von organisatorischen und personellen Veränderungen. Quartal 2024 möglich sein. Zudem führt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) das Projekt einer Microsoft Sovereign Cloud (MSSC) in Kooperation mit Delos aus und erarbeitet eine souveräne CloudPlattform (Proof of Concept). Eine solche soll im Juli 2025 in den LiveBetrieb übergehen und den Betrieb der Microsoft Arbeitsplätze in der Bundesverwaltung sicherstellen. Auch das ITZBund konsolidiert zur Bundescloud 2.0 (s. hierzu auch das Interview unten.). Für die Sozialversicherungen bildet die ausgeschriebene Multi-Cloud-Plattform eine der drei Säulen bei der Cloud-Nutzung. Sie konsolidieren daneben jeweils ihre eigenen Rechenzentren und wollen zusätzlich nationale oder europäische Cloud-Lösungen mit hohem Vertraulichkeitsniveau anbieten. Schlüssel für einen reibungslosen Übergang in die Cloud-Nutzung ist für Harald Joos, Cloudbeauftragter der Deutschen Rentenversicherung Bund, die „Bezugswege zu öffnen“ und einen „niedrigschwelligen Einstieg“ zu gewährleisten.

Transformation betroffen. Auch Alexander Wallner, CEO von Plusserver, sieht die Notwendigkeit von Prozess- und Fachverfahrensmodernisierungen. „Technologie“, so Wallner, sei „nicht der limitierende Faktor“.

Enabler enabeln

Wollen wir Cloud-ready sein?

Holger Lehmann, Leiter des Projektes IT-Konsolidierung (ProITK) und Pressesprecher des ITZBund betonte auf dem Cloud-Thementag des Behörden Spiegel im Dezember, Cloud sei ein „Enabler für die Digitalisierung“. Bei der Einführung gebe es keinen Königsweg, aber der Anwendungsfall und eine vorgelagerte Datenklassifizierung seien ausschlaggebend, ob, was, wie und wann in die Cloud komme. Um vorhandene Fachverfahren und Anwendungen zu modernisieren, zu migrieren, zu ersetzen oder aus der Cloud zu kontrollieren, brauche es nicht nur die Technologie, konstatiert Thomas Treml, CTO Cloud Public Sector, Microsoft. Die Organisationen seien genauso von einer

Jörg Kremer, Abteilungsleiter Föderales IT-Architekturmanagement, Projekte und Standards bei der Föderalen IT-Kooperation (FITKO), prognostiziert für die kommenden Jahre aufgrund der Cloud-Nutzung „sehr große Herausforderungen für IT-Dienstleister“. Die Cloud-Nutzung fordere neben Zusammenarbeits- und Finanzierungsmodellen wie „pay per use“ (z. B. API-Aufrufe) auch die vorherrschenden Entscheidungsstrukturen der letzten 20 Jahre heraus. Pia Karger, Abteilungsleiterin Digitale Gesellschaft, Informationstechnik im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), hebt die Bedeutung der Cloud als Standardisierungsprojekt für die Digitalisierung der

ready! Cloud-ready ist mehr als nur technologisch „ready-to-use“ zu sein. Grafik: BS/Spuling unter Verwendung von StevenIrawan, stock.adobe.com

deutschen Verwaltung hervor. Es sei die Aufgabe der Deutschen Verwaltungscloud (DVC), ein Multicloud-Angebot zu schaffen, das auch den Wechsel zwischen verschiedenen Angeboten erlaube. Denn um die digitale Souveränität zu stärken, brauche es „Interoperabilität und Portabilität sowie das Setzen auf offene Standards“, so Karger. Ein solches Angebot soll gemäß der DVS in mehreren Schritten erfolgen: zunächst über die Einrichtung einer Koordinierungsstelle und anschließend die Schaffung eines CloudService-Portals ähnlich einem Marktplatz. Letzteres ist seit 2023 in einer ersten Version zugängig.

Erfolg nur mit den Anwendern Die Leitung des Umsetzungsprojektes aus der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie liegt bei der FITKO. Diese konsolidiert, wie eine föderale Cloud-Struktur im Detail aussehen könnte. Auf der Basis der Vielzahl an Bedarfen innerhalb der Verwaltung soll sie im Laufe des Jahres 2024 ebenjene Koor-

Volle Kraft voraus Personell, technologisch, serviceorientiert, nachhaltig (BS) Das ITZBund ist in den letzten Jahren auf mehr als 4.200 Beschäftigte gewachsen. Gleichzeitig stand die IT-Konsolidierung nicht mehr so im Vordergrund wie in den vergangenen Jahren. Aber so ist das eben mit Projekten, die voranschreiten. Der Behörden Spiegel sprach mit ITZBund Direktor Dr. Alfred Kranstedt über laufende Vorhaben und neue Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit. Das Interview führte Dr. Eva-Charlotte Proll. grat der digitalen Verwaltung sein. Welche Rolle nimmt ihr Haus für die Bundesverwaltung ein und wie ist der aktuelle Stand? Kranstedt: Das ITZBund hat eine Doppelrolle. Zum einen sind wir Cloud Provider, wir betreiben eine eigene große Cloud-Plattform, die Bundescloud, und die IT-Betriebsplattform Bund. Die Bundescloud ist in unseren Rechenzentren angesiedelt und wird auch von uns weiterentwickelt. Zum anderen bereiten wir als Broker die Cloud-Leistungen anderer Anbieter auf und stellen sie der Bundesverwaltung zur Verfügung. Dazu bauen wir ein Multi-Cloud-Management auf, wo wir zentrale Portale anbieten, in denen Cloud-Leistungen bestellt werden können. Wir werden auch die ganzen Service-Prozesse darüber koordinieren, damit wir SupportStrukturen anbieten können. Das ist wichtig, da wir die Cloud nicht nur verkaufen, sondern sie auch betreiben können. Unser eigenes Cloud-Angebot steht und wird jetzt um weitere

Angebote von Drittanbietern ergänzt. Wir werden also spätestens im Jahr 2026 ein umfassendes Cloud-Angebot in allen wesentlichen Bereitstellungsformen anbieten können. Behörden Spiegel: Ein weiteres Schlagwort der Stunde ist Resilienz. Das ITZBund betreut insgesamt über 130.000 Endgeräte. Wie sind Sie beim Thema IT-Sicherheit gerüstet? Kranstedt: Inzwischen sind es sogar in etwa 140.000 Endgeräte, was allerdings nicht 140.000 Nutzern entspricht. Denn unter diese Endgeräte fallen sowohl Computer, Laptops, Tablets als auch Smartphones, und natürlich gibt es Nutzerinnen und Nutzer, die mehr als ein Gerät haben. Letztlich kommen wir aber in Summe auf rund 100.000 Nutzerinnen und Nutzer. Die Endgeräte spielen bei den Cyber-Angriffen eine zentrale Rolle, weil gerade Schadsoftware häufig durch E-Mails verbreitet wird. Insofern ist der Schutz der Endgeräte sehr, sehr wichtig. Wir

sorgen für einen aktuellen Virenschutz und überprüfen verdächtige Mail-Anhänge. Bei verdächtigen Mails arbeiten wir sehr intensiv mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und anderen Sicherheitsbehörden zusammen. Mit Anwendungen, wie gekapselten Browsern, stellen wir

Dr. Alfred Kranstedt ist Direktor des Informationstechnikzentrum Bund – kurz ITZFoto: BS/ITZBund Bund.

dinierungsstelle einrichten. Dabei sieht sich die FITKO, laut ihrem Präsidenten Dr. André Göbel, nicht als Betriebsdienstleister. Sie werde also keine eigenen Infrastrukturen aufbauen. Diese Aufgabe kommt laut Karger öffentlichen IT-Dienstleistern zu. Dennoch sieht Karger in der FITKO einen wesentlichen „Treiber“ des Umsetzungsprojektes. Die Bedarfe der Kommunen sieht Christian Stuffrein, Referent beim Deutschen Landkreistag, mit ebenjenen Ausschreibungen jedoch nicht adressiert. Er appelliert, die „Praktikabilität“ nicht aus dem Auge zu verlieren. Viele Kommunen forderten Cloud-Angebote, die sie direkt einsetzen können, sog. Ready-to-use-Lösungen. Die Ausschreibungen ermöglichen laut Guido Massfeller, Vertriebsdirektor Öffentliche Auftraggeber bei Google, zwar den Einstieg. Dennoch: Kraemer bemängelt, oft würden technologische Fragen in den Vordergrund gerückt, während strategische und organisatorische Fragestellungen erst im Nachgang beantwortet würden. Die Verwaltung stehe vor der Herausforderung, „in Mitarbeiterqualifikationen investieren“ zu müssen. Auch Georg Sebald, Leiter Souveränität und Sicherheit bei Delos Cloud, betont die „schönste Plattform“ helfe nichts, wenn die Behörde den Service nicht in voller Breite nutzen könne. Hier geht es zur Aufzeichnung des gesamten Cloud-Thementags:

Am 27. Februar 2024 findet auf Digitaler Staat Online ein weiterer Thementag statt, der insbesondere die Cloud für Kommunen in den Fokus nimmt:

sicher, dass sich der Schadcode nicht ausbreitet. Das ist wichtig und wir bitten immer wieder um Verständnis, dass diese Sicherheitsmaßnahmen im Einzelfall natürlich auch mit gewissen Einschränkungen einhergehen. Auch wenn es lästig sein kann, sollte uns die Sicherheit unserer zentralen Infrastrukturen das wert sein. Behörden Spiegel: Das ITZBund hat erheblichen personellen Zuwachs erfahren. Wie integrieren Sie neue Kollegen? Kranstedt: Wir haben mittlerweile 4.200 Beschäftigte und werden mit diesem Personalstamm auch für die Zukunft planen. Der Personalzuwachs hat das Haus sehr verändert und es war eine große Herausforderung, sich der Einarbeitung von so vielen neuen Kolleginnen und Kollegen widmen zu können und diese zu integrieren. Wir gewährleisten, dass es immer erfahrene Kolleginnen und Kollegen in einem Bereich gibt, die neue Beschäftigte einarbeiten können. Was den Kompetenzaufbau angeht, haben wir eine Kooperation mit der Hochschule des Bundes, mit der Bundeswehrhochschule und weiteren Hochschulen, um zielgerichtet Aus- und Fortbildung betreiben zu können, die auf unsere Bedarfe angepasst ist.


Cloud

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Kontrolle und Sicherheit der Daten Cloud – geht das auch souverän? Digitalisierung ist in aller Munde – aber wie steht es um die Kontrolle und Sicherheit der Daten? In einer Welt, in der Effizienz und Digitalisierung Hand in Hand gehen sollten, bleibt oft die Frage nach der Souveränität in der Cloud – ist das nur ein Wunschtraum? Dabei sind nicht die technischen Möglichkeiten oder die Machbarkeit der entscheidende Punkt, sondern meist schwierige Rahmenbedingungen und Vorbehalte. Kommt dann noch der Einsatz von Cloud-Technologie ins Spiel, erlebt man häufig einen Abwehrreflex:Die Vorteile digitalisierter Prozesse rücken in den Hintergrund, regulatorische Bedenken übernehmen die Zügel und die Diskussion über Selbstbestimmung und Datenhoheit beginnt einmal mehr.

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abei kann Datensouveränität auch mit Cloud gelingen – am einfachsten mit einer Cloud, die Souveränität direkt integriert hat. Souveräne Cloud-Lösungen helfen dabei, Souveränität nicht immer von Neuem zu diskutieren, sondern auf einer soliden und zukunftsfähigen Basis direkt mit Digitalisierungsprojekten loszulegen – das gilt auch und gerade für regulierte Branchen wie den öffentlichen Sektor.

Solide Plattform für regulierte Branchen Immer mehr Anbieter entdecken diese Möglichkeiten und nutzen sie aus, um Services schnell am Markt anzubieten. Ein Beispiel ist die Minddoc GmbH. Sie ist eine Tochter der Schön Klinik Gruppe, der führenden Klinikgruppe für psychosomatische Medizin. Minddoc bietet die psychologische Expertise der Klinikgruppe auf digitalen Kanälen an. Konkret handelt es sich um drei Digital-Health-Produkte, die zum Teil in einer App gebündelt sind. Zum einen eine Plattform für das Management der Therapien: Therapeuten und Patienten nutzen diese, um beispielsweise Termine zu koordinieren. Zum zweiten einen Online-Video-Chat für die eigentlichen Therapiesitzungen. Zum dritten eine mobile App für die mentale Selbstfürsorge.

Die öffentliche Verwaltung kann von den in die Cloud integrierten Souveränitäts-MehrFoto: BS/zeenika, stock.adobe.com werten profitieren und die Digitalisierung vorantreiben.

Um sein innovatives Geschäftsmodell im Umfeld von „Digital Health“ zu realisieren, hat sich Minddoc für die T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud entschieden. Mit ihr kann das Unternehmen die weitgehenden Compliance- und Sicherheitsanforderungen in der Gesundheitsbranche erfüllen und mit einem TeleHealth-Dienst durchstarten. Raphael Luchini, der CTO von Minddoc, resümiert: „Die Sovereign Cloud passt perfekt zu unserem Geschäftsmodell: Innovation und Compliance für Gesundheitsanwendungen.“ Alle Daten bleiben

sicher in Deutschland – vor dem Zugriff Unberechtigter geschützt. Minddoc ist nicht der einzige Anbieter von Services im Gesundheitssegment, der die T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud für sein Geschäftsmodell nutzt. „Mit der Sovereign Cloud haben wir die passende Plattform gefunden, um eine Business-Gelegenheit schnell zu realisieren und dauerhaft compliant anzubieten“, erläutert Mathias Polig, der CEO von Vertical-Life. Während der Corona-Pandemie hat Vertical-Life mit No-Q ein völlig neues Geschäftsmodell entwickelt,

Souverän digitalisieren mit der Cloud Erfahren Sie mehr zur T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud – einer Cloud nach deutschen Maßstäben.

das sich am Markt dauerhaft etabliert hat: eine webbasierte Lösung für das Impfmanagement. Sie umfasst Terminkoordination, Ressourcensteuerung (den Abgleich von Impfdosen und Impfkapazitäten), Kundenverwaltung, Dokumentation, Abrechnung und Personalplanung. Heute wird sie nun zusätzlich auch für die Vereinbarung anderer regelmäßiger Gesundheitsdienste genutzt, beispielsweise Tests. Mit den eingebauten, zusätzlichen Souveränitätskontrollen konnte der Anbieter die Sicherheits- und Privacy-Anforderungen des Gesundheitsmarktes erfüllen. Heute sind 4.500 Business-to-BusinessKunden, allein 2.500 Apotheken, auf der Plattform als Anbieter von Gesundheitsdiensten registriert.

Vertraulichkeit für Übersetzungsdienste Aber es sind nicht nur regulierte Branchen, die den Wert einer souveränen Cloud schätzen. Auch die Kunden von Lengoo forderten einen souveränen Umgang mit ihren Daten. Lengoo bietet HALOS an, einen KI-basierten Übersetzungsdienst, der direkten Zugang zu unternehmensinternen Systemen hat. HALOS passt sich so an die Sprache des Unternehmens an, das den Dienst nutzt. Allerdings wird HALOS auch für Übersetzungen vertraulicher Dokumente ein-

gesetzt, z. B. für Korrespondenz auf Geschäftsführungsebene. Die Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass die Daten, die sie HALOS überlassen, nicht abfließen – eine Vertrauensfrage, die Lengoo mit dem Einsatz der souveränen Cloud effizient beantworten konnte. Das Unternehmen kann die überlassenen Daten so kompromisslos schützen. „Die T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud schafft für uns höhere Datensouveränität und damit mehr Kundenvertrauen in unsere sprachbasierten KI-Lösungen“, erklärt Alexander Gigga, der CMO von Lengoo. Organisationen in regulierten Branchen und solche, die vertrauliche Daten verarbeiten, profitieren von den Mehrwerten souveräner Clouds, indem sie Datenschutz und Compliance-Anforderungen problemlos erfüllen und gleichzeitig das Vertrauen ihrer Kunden in die sichere und verantwortungsvolle Handhabung sensibler Informationen stärken. Sie setzen damit auf eine zukunftssichere und hochinnovative Plattform für Datensouveränität, die ihr Business-Modell auf ein solides Fundament stellt. Auch öffentliche Einrichtungen können von den in die Cloud eingebauten Souveränitäts-Mehrwerten profitieren und die Digitalisierung ihrer Prozesse erfolgreich vorantreiben.


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IT-Sicherheit

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Kriege und Desinformation

er Konflikt im Nahen Osten seit Oktober 2023 kann auch als Informationskrieg verstanden werden“, erklärt Oberst Dr. Ferdi Akaltin. Er ist Kommandeur des Zentrums Operative Kommunikation bei der Bundeswehr und erklärte auf der Berliner Sicherheitskonferenz, dass die Hamas sich bereits vor dem Angriff am 7. Oktober auf den „Social Media Warfare“ vorbereitet habe. Dies zeige auch die Masse an Videos und Bildern auf Sozialen Netzwerken. Die Terrorgruppe Hamas hatte ihren Überfall auf Israel umfangreich z. B. durch Bodycams dokumentiert. Die Werbemodelle auf den Plattformen befeuerten diese Praxis – also das Verbreiten von z. B. gewalttätigen Videos – auch weiter: „Wenn die Nachrichten, die verbreitet werden, schlecht sind, generiert das mehr Traffic.“ Damit steigen die Einnahmen, sagt Akaltin. Das erkläre auch die Zunahme von Fake News, die durch dieses System weiter gestärkt würden. Neben dem Nahost-Konflikt sei der Informationskrieg bereits in der Ukrai­ne zu beobachten gewesen, so Generalleutnant Tom Richardson Copinger-Symes, stellvertretender Kommandeur des Strategic Command des Vereinigten Königreiches. Der Präsident der Ukraine sei mit seinem Zitat „I need ammunition, not a ride“ bekannt geworden und hätte in den Sozialen Netzwerken viel Anerkennung und Respekt für seine Einstellung bekommen. Des Weiteren ging Copinger-Symes auf das Geheimdienst-Briefing des Secret Intelligence Service des Vereinigten Königreiches ein. Dieser veröffentlicht seit 2022 täglich Statements zum Krieg in der Ukraine. Dabei werden teilweise brisante Informationen freigegeben. „Dadurch konnte auch der Geheimdienst wieder Vertrauen zu den Bürgerinnen und Bürgern Großbritanniens aufbauen.“ Das Problem sei dabei nur: Es dauere

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ine sehr wirksame Maßnahme gegen Angriffe durch Quantencomputer findet man in der Quantentheorie selbst. Im Bereich kleinster Teilchen ist es danach unmöglich, die Teilcheneigenschaften genau zu vermessen, da die Messung an sich bereits das Messergebnis beeinflusst (Heisenbergsche Unschärferelation). So kann man hier einen theoretisch nachweisbare sicheren Schlüsselaustausch (Quantum-Key-Distribution – QKD) realisieren, um dann mittels klassischer symmetrischer Verschlüsselung weiterhin geheime Nachrichten auszutauschen. Wird der Schlüsselaustausch abgehört, erfolgt durch die „Zwischen-Messung“ des Angreifers bereits eine Änderung der Teilcheneigenschaften und der Angriff wird somit erkennbar (No-Cloning-Theorem). Inzwischen unternehmen alle großen Länder vielfältige Anstrengungen in dieser Hinsicht. Die Reichweite der Quantenkryptografie ist aber aufgrund der gegenwärtig verwendeten Glasfasertechnologie wegen deren Absorptionsverhaltens technisch auf maximal 200 Kilometer beschränkt (derzeit verfügbare Systeme schaffen 20-50 Kilometer), dann muss ein Signalverstärker (ein sogenannter Quantenrepeater) zwischengeschaltet werden. Deshalb werden QKD-Satelliten ins All geschickt; das technisch hier führende China konnte damit bereits einen Quantenkanal zwischen zwei 12.000 Kilometer entfernten Bodenstationen per Laser realisieren. In Deutschland wurde eine Quantenkryptografie terrestrisch zwischen dem Dienstsitz des BMBF

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Informationsschlachten als Grundpfeiler des modernen Krieges (BS/Paul Schubert) Moderne Kriege werden nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im digitalen Raum gewonnen. Dabei geht es insbesondere um die Informationshoheit. Neben dem Ukraine-Krieg ist auch die Auseinandersetzung in Nahost ein Beweis dafür, welche Bedeutung damit einhergeht. lange, Vertrauen aufzubauen und es gehe schnell, es wieder zu verlieren, so Copinger-Symes.

Ukraine gewinnt Informationskrieg Bereits in der Frühphase des Krieges sei es den ukrainischen Streitkräften gelungen, „den Informationskrieg zu gewinnen“, sagt Oberst Dr. Markus Reisner, Offizier des österreichischen Bundesheeres. Allerdings bringe eine Hoheit im Informationskrieg noch längst keine Überlegenheit im physischen Krieg: „Die Gegenoffensive ist durch mangelndes Equipment und durch die schwindende Unterstützung des Westens gescheitert.“ Er fordert mehr Ehrlichkeit bei der Kommunikation durch den Westen – auch bei militärischen Verlusten bei den ukrainischen Streitkräften. Russland profitiere auch von den pazifistischen Einstellungen großer Teile der westlichen Bevölkerung. So hätten lediglich 20 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Österreichs 2015 angegeben, ihre Heimat im Ernstfall verteidigen zu wollen, erzählt Reisner.

Videos und Bilder werden zweckentfremdet In Deutschland sei die Einstellung ähnlich, deshalb müsse die „Kultur der deutschen Streitkräfte hinterfragt werden“, forderte der Journalist Thomas Wiegold. Es müsse öffentlich besser kommuniziert werden, dass die Ukraine ohne die Unterstützung des Westens nicht gewinnen könne. Das würde sich sicherheitspolitisch

Generalleutnant Tom Richardson Copinger-Symes ist der Meinung, dass das tägliche Geheimdienst-Briefing des britischen Geheimdienstes das Vertrauen der Bürgerinnen und Foto: BS/Trenkel Bürger zu ihren Streitkräften gestärkt habe.

AR und KI arbeiten im Grunde neutral, handeln aber nach unserem Verhalten und Wertesystem.“

auf den gesamten europäischen Raum negativ auswirken. Der Informationskrieg wirke sich aber nicht nur auf kriegsteilnehmende Parteien aus. Mittlerweile hätten die Urheber nicht mehr die Kont-

rolle über ihre eigenen Videos, Bilder und Geschichten. Damit sei es möglich, diese Aufnahmen falsch zu kontextualisieren. So seien sowohl im Ukraine-Krieg als auch im Nahost-Konflikt Aufnahmen ver-

Quantencomputerabwehr Noch Probleme bei den Signaturverfahren (BS/Oliver Wege) Derzeit wird davon ausgegangen, dass es in ca. 15- 20 Jahren mit Quantencomputern und der Anwendung des Shor-Algorithmus möglich sein wird, die gegenwärtig verwendeten asymmetrischen Kryptoverfahren wie RSA und ECC brechen zu können. Weniger betroffen sind symmetrische Verschlüsselungen. Hier gibt es zwar auch schon einen Quanten-Algorithmus (benannt nach dem Entwickler Lov Grover), als Gegenmittel kann jedoch einfach die Schlüssellänge verdoppelt werden (z. B. von AES-128 auf AES-256 oder von SHA-256 auf SHA-512). und BSI in Bonn im August 2021 erprobt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Meldung, dass ab 2024 von der deutschen Nordsee aus Weltraum-Raketen starten sollen. Von einem Spezialschiff aus sollen Satelliten ins All gebracht werden. Dieses ist auch aus Sicht einer ganzheitlichen deutschen Quantenkryptografie zu begrüßen. Damit könnte man zukünftig den Bundesministerien in Berlin und Bonn einen sicheren QKD zur Verfügung stellen und weiterhin geschützt geheime Informationen über den IVBB (Informationsverbund Berlin-Bonn) austauschen. In der EU leitet die Deutsche Telekom den Aufbau von EuroQCI. EuroQCI soll auch aus einem terrestrischen und einem Teil im Weltraum bestehen. Glasfaserkommunikationsnetze verbinden dabei auf der Erde strategische Standorte auf nationaler und grenzüberschreitender Ebene. Das Weltraumsegment basiert auf Satelliten und soll nationale Quantenkommunikationsnetze in der gesamten EU miteinander verbinden. Allerdings ist diese Technik teuer und sehr aufwendig. Wenn die Verschlüsselungspartner nicht direkt in der Nähe der Bodenstationen sitzen, tritt die Problematik des Verschlüsselungsaufbruchs auf. Auch

kann die Satellitenkommunikation leicht gestört werden.

Quantenkryptografie ersetzt keine Verschlüsselung Auf absehbare Zeit wird deshalb die Quantenkryptografie nicht die derzeitige verschlüsselte Internetkommunikation ersetzen können. Deshalb wurde die Post-Quanten-Kryptografie (PQC) als zweite Antwort der Wissenschaft entwickelt. Dabei werden hochkomplexe Verfahren aus der höheren Mathematik ausgesucht, die sowohl gegen Angriffe mittels Quantencomputern als auch gegen Angriffe in der klassischen Computertechnik resistent sind. Die amerikanische Standardisierungsorganisation NIST hatte in einem bis 2022 laufenden Wettbewerb in drei Runden versucht, aus den verschiedenen Hauptklassen (gitterbasierende, codebasierende, isogeniebasierende und multivariaten Kryptografie) einen Sieger zu küren. Zur Verschlüsselung (PKE) und Schlüsselentkapselung (KEM) wurde das gitterbasierende Verfahren Crystals-Kyber zur Standardisierung ausgewählt. Weitere drei codebasierende Kandidaten (Classic McEliece, BIKE, HQC) sowie das isogeniebasierende SIKE sollen in einer weiteren Runde nochmals nä-

her betrachtet werden. Was etwas an das „Stochern im Nebel“ erinnert, hat einen ernsten Hintergrund: Niemand kann sagen, ob es nicht doch einem findigen Mathematiker gelingt, ein Verfahren auszuhebeln. Und so ging es SIKE: das Verfahren wurde Anfang August diesen Jahres mit einem Laptop in etwas mehr als einer Stunde gebrochen. Zudem sind Praktikabilitätsaspekte zu beachten: So erzeugt Classic McEliece zwar kurze Chiffraten, verwendet aber dazu gigantische Schlüssel von mehreren MByte und ist damit wohl nur für Spezialfälle geeignet.

Neuer Aufruf für quantensichere Signaturverfahren Bei den digitalen Signaturen wurden das ebenfalls gitterbasierende Verfahren Crystals-Dilithium zur Standardisierung ausgewählt. Da aber das Verfahren oft auch lange Signaturen erzeugt, wurden noch das ebenfalls gitterbasierende Verfahren FALCON sowie SPHINCS+ (das auf dem relativ einfachen Prinzip von Einwegen – also Hashs – beruht) zusätzlich standardisiert. Und auch hier wurde ein Verfahren der dritten Runde (Rainbow) gebrochen. Zudem stellen allgemein hashbasierende Verfahren entweder zu hohe Anforderungen für den

breitet worden, die aus anderen Konflikten stammen: „Menschen suchen sich gezielt Informationen, die ihre eigene Meinung bestärken“, sagt der Journalist. So werden insbesondere auf Telegram, TikTok und dem Twitter-Nachfolger X Videos verbreitet, die aus dem Syrien-Krieg stammen. Digitalexperten raten dazu, Medien durch eine Bilderrückwärtssuche zu überprüfen. Im besten Fall werden diese Medien durch mehrere Suchmaschinen verifiziert. Auch die Rolle von Augmented Reality (AR) und Künstlicher Intelligenz (KI) wird in Desinformationskampagnen immer größere Bedeutung einnehmen. Jüngstes Beispiel ist das verbreitete Deep-Fake-Video von Bundeskanzler Scholz über ein vermeintliches Verbot der Alternative für Deutschland (AfD). So sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit, dass das „nicht auf die leichte Schulter zu nehmen“ sei. Des Weiteren würden rechtliche Schritte geprüft. Die politische Satire wurde von der Gruppierung „Zentrum für politische Schönheit“ erstellt. In dem Kurzfilm fordert Scholz die Bevölkerung vermeintlich dazu auf, Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei auf einer eigens aufgebauten Webseite hochzuladen.

Vorteile von KI und AR nutzen Auch wenn AR und KI in manchen Fällen auch zu Manipulation und Desinformation genutzt werde, sollten die Vorteile nicht außer Acht gelassen werden, erklärt ­Copinger-Symes von den britischen Streitkräften: „AR und KI arbeiten im Grunde neutral, handeln aber nach unserem Verhalten und Wertesystem.“ Es gehe also darum, die Technik zu unserem Vorteil zu nutzen, um Falschinformationen, Hass und Hetze in den Sozialen Netzwerken zu bekämpfen, resümierte Copinger-Symes.

alltäglichen Einsatz oder kranken an anderen praktischen Problemen (wie SPHINCS+), da beispielsweise die Gesamtzahl der Signaturen pro Schlüsselpaar im Merkle-tree begrenzt ist. Die NIST hatte deshalb 2023 einen neuen Aufruf für quantensichere Signaturverfahren gestartet. Eingereicht wurden weltweit 40 weitere Verfahren. Praktisch hatte Google bereits 2016 seinen isogeniebasierenden PostQuanten-Algorithmus „New Hope“ testweise in die Canary-Version seines Chrome-Browsers eingebaut, der „nur“ mit der fünffachen Schlüsselgröße gegenüber klassischen Verfahren auskommt. Dieses Verfahren wurde allerdings in der dritten Runde des o. a. NIST-Wettbewerbes nicht mehr berücksichtigt. Ansonsten stehen bisher nur Testtools, wie die Open-Source-Kryptobibliothek Botan, zur Implementation von PostQuanten-Verfahren bereit. Das BSI empfiehlt seit Anfang 2020 eine Hybrid-Strategie, da die Gefahr gesehen wird, dass verschlüsselte Informationen bereits jetzt auf Vorrat gesammelt und später mit Quantencomputern entschlüsselt werden. Im Vorgriff auf eine entsprechende Technische Richtlinie rät es zudem zur Implementation von als sicher einzustufenden Verfahren. International wird zunehmend der Begriff Kryptoagilität ins Spiel gebracht, der erstmals 2009 von Byan Sullivan geprägt wurde. Kurz gesagt beinhaltet er, dass überall dort, wo Kryptografie genutzt wird, ein Austausch oder ein Update der kryptografischen Verfahren schnell und einfach möglich sein muss.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Januar 2024

J

eden Tag entdeckt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) rund 70 neue Schwachstellen, sogenannte Zero Days. Das berichtete die BSI-Präsidentin Claudia Plattner auf dem 15. Jubiläum des Cyber-Sicherheitsforschungszentrums Fraunhofer ATHENE. Schwachstellen sind Hintertüren, durch die Hacker in ein fremdes Computer-System eindringen. Davon gibt es viele bekannte, manche gepatcht, manche ungepatcht. Aber alle Schwachstellen sind mögliche Wege in ein fremdes System. Üblicherweise sollten die Entdecker von Schwachstellen sie deshalb an das BSI melden. Dieses informiert dann den Hersteller, damit unter Umständen ein Patch entwickelt werden kann. Manchmal wird die Schwachstelle auch sofort öffentlich gemacht, damit Nutzer die gefährliche Soft- oder Hardware unschädlich machen können. Doch dieses Vorgehen hat einen Nachteil. „Sobald eine Schwachstelle bekannt ist, wird sie ausgenutzt“, gibt Prof. Dr. Haya Schulman zu bedenken, die bei Fraunhofer ATHENE nach neuen Angriffen und Schwachstellen forscht. Auch Hacker lesen die veröffentlichten Schwachstellen und greifen an. Doch nicht nur sie. Nachrichtendienste nutzen Sicherheitslücken aus (s. auch Seite 28).

Gegner ohne rechtliche Restriktionen „Der Bundesnachrichtendienst ist für seine Aufgabe auf die eine oder andere Schwachstelle angewiesen“, findet Matthias Mielimonka (Bundesnachrichtendienst). Die Dienste nutzten Schwachstellen, um in die IT ihrer Ziele einzudringen. Dafür brauche es rechtliche Ausnahmen von einer ansonsten umfassenden Pflicht, Lücken dem BSI zu melden und möglichst zu schließen, fordert Mielimonka. „Wenn wir alle Schwachstellen schließen, ist vielleicht der Cyber-Sicherheit gedient, aber nicht der gesamtstaatlichen Sicherheit“, sagt Mielimonka. „Russland und China sind Gegner, die keinerlei rechtliche Restriktionen haben“, springt ihm sein Kollege, der Leiter Cyber-Abwehr des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), bei: Jadran

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icherer als hochsicher geht es nicht – in diesem Sinne ist die Hochsicherheit ultimativ. Danach kommt nichts mehr. Sie ist der wesentliche Baustein, um Vertrauen in staatliche Institutionen zu gewährleisten. Sie ist auch universell und in diesem Sinne nicht verhandelbar. Dazu gehört auch, welche Technologien zur Umsetzung von sicheren und hochsicheren staatlichen Verschlusssachen in Deutschland zum Einsatz kommen. In krisengeprägten Zeiten, in denen politische Systeme im Wettbewerb miteinander seien, sowie einer herausfordernden Cyber-Sicherheitslage, hätten Lösungen „made in Germany als Exportschlager“ nach wie vor eine große Bedeutung, so Sebastian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

70 Zero Days pro Tag Schwachstellenmanagement und gutes Cyber-Lagebild fehlen weiterhin (BS/Benjamin Hilbricht) Das Lagebild könnte besser sein – die Befugnisse auch, finden Behördenvertreter. Was fehlt? Das Bundesinnenministerium (BMI) hat ein Schwachstellenmanagement versprochen. Bislang ist nichts weiter dazu bekannt geworden. Doch der Bedarf ist da.

ten praktischen Grund, die Dinger zuzumachen“. Es kämen ständig neue nach. „Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen ‚sofort alles schließen‘ und ‚alles offen lassen‘“, konstatierte Wilfried Karl. Er steht als Präsident der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) vor. Diese entwickelt Soft- und Hardware für die Sicherheitsbehörden unter anderem zur Telekommunikationsüberwachung. Karl plädiert in dieser Frage für Risikoabwägungen. Und er berichtet, dass er einmal in einem Interview gesagt habe, dass Deutschland aktive Cyber-Abwehr bräuchte. Daraus sei die Schlagzeile entstanden „Cyber War: ZITiS-Präsident Wilfried Karl will den digitalen Gegenschlag“. Er habe mit allem gerechnet, aber nicht mit dem Riesenstapel Bewerbungen, die dann bei der Behörde eingegangen seien.

Bleibt bei Worten

Schwachstellen sind wie ein Riss in der Abwehr, durch den Angreifer ins System eindringen.

Mesic schildert es als frustrierend für die Arbeitsebene, wenn der Gegner jede Schwachstelle nutzt, die er finden kann, während man selbst ­wenig dagegenhalten dürfe. Trotzdem behalte der Verfassungsschutz nicht jede Schwachstelle für sich, sondern melde sie meistens weiter, damit sie geschlossen werden könne. Es sei fast ein „internationaler Teamsport“, sagt Mesic. Die Geheimdienste anderer Nationen warnten Deutschland vor neuen Schwachstellen und laufenden Angriffen und man revanchiere sich. Auch staatsintern wird ein gemeinsames Lagebild erstellt. Doch das lässt aus Sicht der deutschen Sicherheitsbehörden einiges zu wünschen übrig. „Im Nationalen Cyber-Abwehrzentrum müssen wir die Informationen besser zusammenführen“, findet Generalmajor Jürgen Setzer. Der stellvertretende Inspekteur des Kommandos Cyberund Informationsraum (CIR) kriti-

sierte bei der 15-Jahr-Feier: „Die großen Internetprovider haben teilweise bessere und schnellere Lagebilder als wir.“ Die verschiedenen Cyber-Sicherheitsbehörden – BSI, BKA, die Nachrichtendienste und das Militär – müssten sich noch besser vernetzen. Eine Aufgabe, für die das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (Cyber­AZ) gegründet wurde, eine behördenübergreifende Plattform, in die Bundeswehr, Polizei, Nachrichtendienste und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Verbindungsleute entsenden. Hier tauschen die Sicherheitsbehörden ihre Informationen über die Lage im Cyber-Raum aus und koordinieren ihre Maßnahmen und Operationen. Es gebe Optimierungspotenzial bei Lagebildern, gab die Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unumwunden zu. „Bei der Automatisierung der Lagebilderstellung haben wir auch technisch

Foto: BS/Hilbricht mit Adobe Firefly

noch was zu tun“, erläuterte Plattner. Noch habe das Lagebild etwas Anekdotisches. Dennoch erhält das CyberAZ auch Lob. „Vor der Gründung des Nationalen Cyber-Abwehrzentrums war es vom Zufall abhängig, ob man eine Information erhält“, sagt Jadran Mesic. Die Behörden würden ein gemeinsames Lagebild „hinkriegen, wenn wir ernsthaft zusammenarbeiten“. Doch die Zusammenarbeit fällt manchmal schwer. Denn das BSI positioniert sich gegen die nachrichtendienstliche Nutzung von Schwachstellen. „Jede Schwachstelle kann gegen uns verwendet werden“, warnt BSI-Präsidentin Plattner. Eine Sicherheitslücke offen zu lassen, stelle ein großes Risiko für Deutschland selbst dar. Denn eine für Nachrichtendienste brauchbare Schwachstelle sei eine, die sich in vielen Systemen finde – nicht zuletzt in den eigenen. Da das BSI rund 70 Schwachstellen pro Tag finde, gebe es auch „einen gu-

Ultimativ und universell Freiheit, Sicherheit und Hochsicherheit (BS/ecp) Es braucht digitale Souveränität, damit Deutschland und Europa in Krisen selbstständig auf Basis eigener Erkenntnisse, sicherer Informationsverarbeitung und Kommunikationssysteme politisch handeln können. Hierbei kommt der nationalen Hochsicherheitstechnologie eine signifikante Rolle zu. Praktisch manifestiere sich dies in „guten Gesetzen“, betont der Abgeordnete. Die NIS2-Richtlinie leiste einen wesentlichen Schritt in diese Richtung, dennoch brauche es neben der technologischen

Sicherheit auch eine „strategische Kultur der Sicherheit“ in den Köpfen der Menschen, so Hartmann. Ebenjene basiere immer auf Entscheidungen für die nationale Sicherheit, denn „Sicherheit ist die

Mithalten und -gestalten Demzufolge, so betonte Hartmann im Rahmen eines Parlamentarischen Abends des Behörden Spiegel, gehe auch der Begriff der Zeitenwende mit einer strategischen Neuausrichtung einher, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wahren müsse. Dies geschehe u. a., indem sich der Staat vor Cyber-Attacken schütze.

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Grundvoraussetzung für Freiheit“, fuhr er fort. Immer wieder wird jedoch die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Technologien bemängelt. Axel Deininger, Vorstandsvorsitzender der secunet Security Networks AG, fordert aus diesem Grund, die vertrauensvolle Zusammenarbeit deutscher und europäischen Akteure aufseiten von Staat, Verwaltung und Industrie auf zukunftsfähige Fundamente zu stellen: „Hochsicherheit wird es ohne eine breite Basis an souveränen Sicherheitslösungen nicht geben“, so Deininger, aber dies bedürfe eines ordnungspolitischen Rahmens. Dazu müssten Politik und Verwaltung mit Wirtschaft und Wissenschaft „auf Augenhöhe“ kooperieren, um mit anderen Staaten wie den USA und China mithalten zu können.

Lückenlos zusammenführen Der innenpolitische Sprecher der SPD im Deutschen Bundestag, Sebastian Hartmann, erhebt den Anspruch, das NIS2-Umsetzungsgesetz für den Bund zugunsten der nationalen Souveränität noch im ersten Quartal des neuen Jahres zu verabschieden. Foto: BS/Proll

Für eine Plattformökonomie brauche es stärkere deutsche und europäische Lösungen, so das Plädoyer

Generalmajor Setzer betont: „Wir haben Kräfte, die offensiv wirken können und bestens ausgebildet sind.“ Für Einsätze und Operationen gälten dabei die Paragrafen des Grundgesetzes, die auch sonst den Einsatz der Bundeswehr regelten. Dennoch gibt es bei Schwachstellen einen prozessualen Mangel. Wann eine Schwachstelle zu melden ist und wann die Sicherheitsbehörden sie zu anderen Zwecken

Die Wahrheit liegt irgendwo ­zwischen ‚sofort alles schließen‘ und ‚alles offen lassen.‘“ Wilfried Karl (ZITiS)

zurückhalten dürfen, dafür gibt es keinen eindeutigen Prozess. Die Ampelregierung hat im Koalitionsvertrag versprochen, dem abzuhelfen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat das Versprechen in ihrer „Cybersicherheitsagenda“ erneuert. Bislang ist es bei Worten geblieben.

des secunet-Vorstands. Für einen hohen technologischen Schutz bedürfe es unter Einbeziehung der nationalen Wirtschaft Investitionen, stimmte auch Andreas Könen, Abteilungsleiter Cyber- und Informationssicherheit im Bundesministerium des Inneren (BMI), zu. Dies gelinge nur, wenn in der Breite ein Basissicherheitsniveau hergestellt werde. Für Könen beginnt Hochsicherheit bei Verschlusssache „Nur für den Dienstgebrauch“. Davon ausgehend müsse der IT-Grundschutz „gangbar, lückenlos und übergangsfrei“ mit den Anforderungen des Geheimschutzes zusammengeführt werden, um sich vor Spionage und anderem zu schützen. Über all dem stehe, so Könen, die Resilienz der Systeme zu stärken. Auf dieses Ziel zahlen laut Könen die NIS2-Richtlinie sowie die Initiative seines Hauses „Informationssicherheit Neu Denken“ (IND) ein. Ressortübergreifend würden hier Ideen zum Schutz der staatlichen Cyber-Sicherheit diskutiert. Auch Deininger konstatierte, die aktuelle Sicherheitslage erlaube es „keinesfalls, das Sicherheitsniveau von VS-NfD abzusenken und sich damit in geopolitische Abhängigkeiten in den Lieferketten, aber auch in den Plattformen zu begeben“.


IT-Sicherheit

Seite 28

Behörden Spiegel / Januar 2024

Landesmedienanstalten setzen sich durch Bundeskabinett beschließt Digitale-Dienste-Gesetz (BS/Benjamin Hilbricht) Es war ein Ringen um Zuständigkeiten. Das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) dient vor allem dazu, die für die Umsetzung der Vorschriften des Digital Services Acts der EU (DSA) verantwortlichen Stellen zu bestimmen. Besonders umstritten war dabei der Jugendmedienschutz.

G

rundsätzlich soll eine Stelle bei der Bundesnetzagentur für die Koordination der DSA-Umsetzung verantwortlich sein. Dort werde eine „starke Plattformaufsicht“ geschaffen, „um die neuen Verpflichtungen für Online-Dienste auch in Deutschland konsequent durchzusetzen“, erklärte Bundesdigitalminister Dr. Volker Wissing (FDP). Dafür hat die Bundesregierung rund 70 Stellen vorgesehen. Datenschutzaspekte verantwortet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Im Kinderund Jugendmedienschutz ist die Lage komplizierter. Während das Bundesdigitalministerium (BMDV) noch im Referentenentwurf einzig die Bundeszentrale für den Kinder- und Jugendmedienschutz benannte, enthält der Kabinettsentwurf nun die zusätzliche Spezifierung, dass für Maßnahmen „nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag […] die nach den medienrechtlichen Bestimmungen der Länder benannten Stellen zuständige Behörde“ seien. Hier haben sich die Landesmedienanstalten durchgesetzt. Sie pochten auf ihre rechtliche Zuständigkeit nach dem Jugendmedien-

schutz-Staatsvertrag und nach der Verfassung, wonach die Medienaufsicht staatsfern zu organisieren sei. Außerdem auf ihre Kompetenz, die sie in ihrem jahrelangen Kampf für echte Jugendschutzmaßnahmen bei Pornoplattformen erworben hätten. Von einer „guten Entscheidung“ sprach Dr. Tobias Schmid, der Europabeauftragte der Landesmedienanstalten und Direktor der Landesme-

Laut eigener Aussage haben sich die Medienanstalten bereits seit Monaten auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet. In einer speziell für den DSA geschaffenen Taskforce hätten sie Prozesse entwickelt, um gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen. So hätten sie rund 600 Fälle von Hassrede und Gewaltdarstellungen an die EU melden können, nachdem die Hamas Israel angegriffen hatte. Mehr als jedes andere Land.

Verzögerungen abzusehen

Der Digital Services Act (DSA) der EU muss bereits am 17. Februar in den Mitgliedsstaaten umgesetzt sein. Diese Frist wird Deutschland nicht mehr einhalten können.“

Dr. Bernhard Rohleder (Bitkom)

dienanstalt NRW. Sie sei „sowohl im Interesse des Schutzes der Bevölkerung als auch [gut] für die Sicherung einer staatsfernen Medienaufsicht.“ Er lobte die föderale Struktur. Diese habe bei der grenzüberschreiten-

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en Begriff „Cyber-Nation“ verbinden die meisten Leser vermutlich zuerst mit Israel. Dort arbeiten Staat, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft Hand in Hand schon seit Langem daran, das Land zur führenden Nation in der Cyber-Sicherheit zu machen – und das mit bemerkenswertem Erfolg. Im April 2023 entwickelten wir in einem Artikel für die FAZ die Vision, wie auch Deutschland zur Cyber-Nation werden kann. Was müssen wir tun, um unsere Cyber-Sicherheit zu verbessern, um unser Innovationssystem voranzubringen, um aus wissenschaftlicher Exzellenz im Markt erfolgreiche Innovationen hervorzubringen? Unsere Vision der Cyber-Nation Deutschland erhielt viel Unterstützung. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat unsere Vision als Leitgedanken der Strategieentwicklung übernommen und spricht jetzt von der Cyber-Nation Deutschland. Wie üblich zum Jahreswechsel, möchten wir gute Vorsätze fassen: Was ist konkret zu tun, um Deutschland zur Cyber-Nation zu machen? Erstens und am offensichtlichsten: Die Sicherheit

den Durchsetzung digitalen Medienrechts in den letzten Monaten ihre Stärke gezeigt. Damit spielt er auf zweierlei an. Die EU-Kommission hat auf Betreiben der deutschen Landesmedienanstalten die Pornoplattformen Pornhub, Stripchat und XVideos zu Very Large Online Platforms (VLOPs) ernannt. Damit müssen sie die strengsten Auflagen des DSA erfüllen. Außerdem haben

die Landesmedienanstalten geholfen, Verstöße der Online-Plattform X (ehemals Twitter) gegen den DSA zu dokumentieren. Dadurch konnte die EU-Kommission nun ein DSA-Verletzungsverfahren gegen X eröffnen.

Unzufrieden mit der Benennung der Landesmedienanstalten zeigte sich dagegen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). „Nicht nachvollziehbar ist, dass laut Kabinettsentwurf die Landesmedienanstalten ebenfalls eine zuständige Behörde werden sollen“, kritisierte Lina Ehrig. Die Leiterin des Teams Digitales und Medien im vzbv betonte, dass Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft davon abgeraten hätten, die Plattformaufsicht derart zu verkomplizieren. Der Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder begrüßte das DDG, obwohl es eine „übermäßig lange Hängepartie“ gewesen sei. Die

Gute Vorsätze für 2024 Schritte zur „Cyber-Nation“ Deutschland (BS/Haya Schulman/Michael Waidner) Deutschland kann mehr. Haya Schulmann und Michael Waidner geben der Bundesrepublik vier gute Vorsätze an die Hand, damit sie zur Cyber-Nation wird. unserer IT-Infrastruktur muss verbessert werden. Bund, Länder, Wirtschaft und Wissenschaft

Haya Schulman ist Professorin für CyberSicherheit am Institut für Informatik der Goe­t he-Universität Frankfurt am Main und Mitglied im Direktorium des Nationalen Forschungszentrums für angewandte Cybersicherheit Foto: BS/Farideh Diehl ATHENE. Michael Waidner ist Professor für Sicherheit in der Informationstechnologie im Fachbereich Informatik der Technischen Universität Darmstadt, Leiter des Fraunhofer-Instituts für sichere Informationstechnologie Foto: BS/privat SIT und CEO von ATHENE.

müssen enger und effektiver zusammenarbeiten und Daten und Fähigkeiten teilen, um ein übergreifendes und umfassendes Lagebild zu erstellen. Cyber-Angreifer nutzen alle technologischen Fortschritte und sie machen weder an Landes- noch an Unternehmensgrenzen halt. Die Verteidiger sollten dieselben Möglichkeiten haben. Lagebilder sind wichtig, genügen aber nicht. Behörden und Unternehmen müssen auch ihre IT-Sicherheitsarchitekturen renovieren und auf Zero Trust umstellen. Und damit dies tatsächlich passiert, muss der Staat entsprechende Anreize setzen. Übergreifend braucht es mehr Fokus z. B. auf Infrastruktur- und Internetsicherheit und auf die Schaffung sicherer Identitäten.

Weg von Besserstellungsverbot und TVöD Zweitens: Behörden brauchen mehr IT-Sicherheitsfachleute. Aktuell haben Behörden wie auch

Grafik: VectorMine, stock.adobe.com

12.-13. Juni 2024, Hotel Adlon Berlin

Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, kaum eine Chance, mit den Gehaltsangeboten der Wirtschaft mitzuhalten. Umgekehrt besteht aber gerade bei Behörden oft der größte und aus gesamtgesellschaftlicher Sicht auch dringendste Bedarf. Wir sollten deshalb mehr Möglichkeiten schaffen, aus dem engen Korsett des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) auszubrechen. Geld ist aber nicht alles. Wir müssen auch die Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Staat verbessern und Möglichkeiten schaffen, wie Fachkräfte für begrenzte Zeit zwischen den Welten wechseln können. Wir müssen besser herausstellen, welche besonderen Werte und fachlichen Möglichkeiten staatliche Stellen bieten können und wir sollten diese Möglichkeiten gezielt ausbauen. Wer für den Staat arbeitet, arbeitet für die Gemeinschaft, für die IT-Infrastruktur Deutschlands, nicht nur für eine einzelne Firma, ein einzelnes Netz, ein einzelnes Produkt. Das eröffnet auch mehr Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln, Expertise aufzubauen und unterschiedliche Dinge zu sehen. Wer besonders gut ist in seinem Beruf, will zudem die Welt beeinflussen und braucht dazu den notwendigen Freiraum – das steht noch zu oft im Widerspruch zum sehr rigiden und bürokra­tischen Vorgehen in Behörden. Zur Cyber-Nation Deutschland gehört letztlich auch, dass die Menschen stolz sind auf diese Cyber-Nation und darauf, für sie zu arbeiten. Drittens müssen wir unsere Innovationsfähigkeit verbessern: Deutschland gehört zu den führenden Nationen in der Cyber-­ Sicherheitsforschung, aber spielt

Er hat erfolgreich für die Benennung der Landesmedienanstalten im Digitale-DiensteGesetz (DDG) gekämpft: Dr. Tobias Schmid, der Europabeauftragte der Landesmedienanstalten und Direktor der Landesmedienanstalt NRW. Foto: BS/Landesanstalt für Medien NRW, Annette Etges

Verabschiedung sei überfällig. „Der Digital Services Act (DSA) der EU muss bereits am 17. Februar in den Mitgliedsstaaten umgesetzt sein, diese Frist wird Deutschland nicht mehr einhalten können“, prophezeite Rohleder aber auch. Denn das Gesetz muss noch von Bundestag und Bundesrat genehmigt werden. Dass dies binnen anderthalb Monaten erfolgt, ist unwahrscheinlich. Lesen Sie mehr zum Digital Services Act auf Seite 21.

im kommerziellen Bereich weltweit eine nur untergeordnete Rolle. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass sich angewandte, innovationsorientierte Forschung für den einzelnen Forschenden mehr lohnt. Wer aus Hochschule oder außeruniversitäre Forschung heraus ein Start-up gründen will, der muss größtmögliche Freiheit und Unterstützung erhalten. Das Besserstellungsverbot bei überwiegend öffentlich finanzierter Forschung verhindert die angemessene Honorierung von Spitzenleistungen in Forschung und Transfer und sollte überdacht werden. Auch die Unternehmen in Deutschland selbst müssen mehr auf die deutsche Forschung schauen und bereit sein, in den Aufbau eigener F&EFähigkeiten in Deutschland zu investieren.

Aktive Cyber-Abwehr jetzt! Viertens: Der Staat muss konkretisieren, welche Maßnahmen der aktiven Cyber-Abwehr umgesetzt werden sollen. Mittlerweile beteiligen sich deutsche Kriminalämter und Staatsanwaltschaften regelmäßig und mit großem Erfolg an internationalen Aktionen gegen Cyber-Kriminelle. Trotz positiver Absichtserklärungen aus dem Bundesinnenministerium fehlen aber immer noch die konkreten Festlegungen zu den rechtlichen und technischen Kompetenzen und auch dazu, wer die technischen Kompetenzen entwickeln soll. All diese Punkte sollten in der Neuauflage der nationalen CyberSicherheitsstrategie Deutschlands behandelt werden. Die Cyber-Sicherheitsstrategie der USA und die darauf aufbauenden Initiativen und Vorgaben könnten ein gutes Beispiel auch für Deutschland sein, insbesondere hinsichtlich technologischer und zeitlicher Konkretheit. Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft sollten zudem deutlich frühzeitiger und mehr in die Strategieentwicklung eingebunden werden.


19.-20. November 2024, Berlin

Sicherheit & Verteidigung Berlin und Bonn / Januar 2024

www.behoerdenspiegel.de

Titelgrafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von mimacz; aliyev84; WoGi Leone_v, stock.adobe.com

Behörden Spiegel

www.euro-defence.eu

(BS/Jonas Brandstetter) Als weltweit zweitgrößter Unterstützer liefert Deutschland massenhaft Güter in die Ukraine. Gleichzeitig stehen im neuen Jahr mit Quadriga und European Defender militärische Übungen ins Haus, wie man sie seit den 1980erJahren nicht mehr kennt. Die Bundeswehrlogistik ist mit großen Herausforderungen konfrontiert.

„D

as Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) entscheidet, was wir liefern. Wir setzen es um“, erklärt Oberst im Generalstabsdienst Stefan Hofmaier, Referatsleiter für Einsatzführung im Territorialen Führungskommando der Bundeswehr. Das schließe nicht nur den Transport mit ein, sondern auch viel Koordination, um Material und Munition einsatz- und abgabefähig zu machen.

Im Kalten Krieg war das noch alles aufeinander abgestimmt.“

Oberst im Generalstabsdienst Stefan Hofmaier Referatsleiter für Einsatzführung im Territorialen Führungskommando der Bundeswehr

Dabei sei die Aufgabe eine Teamleistung: vom Logistikzentrum der Bundeswehr in Wilhelmshafen über das Logistikkommando in Erfurt bis zu Firmenvertretern in München trage man in der gesamten Republik zum Erfolg bei. Selbstverständlich würden bei der Verlegung stets alle Anforderungen, seien sie juristischer oder sicherheitsrelevanter Natur, beachtet. Dabei kann man sich den Umfang der gelieferten Güter, die hinter der einen oder anderen Zeile der diesbezüglichen Bekanntmachungen der Bundesregierung stehen, kaum vorstellen. Medial finden eher Verlege-Highlights Aufmerksamkeit. Die Bundeswehr verbringe viele Massengüter, so Hof-

maier. Allein die gelieferte Winterbekleidung erfordere 60 Sattelzüge. So kämen etwa 27 Milliarden Euro als Gesamtwert der gelieferten Güter zusammen. Damit sei die Bundesregierung ein wichtiger Versorger im größten konventionellen Krieg auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Besonders herausfordernd sei der Transport von Gütern, deren Sicherungsbedarf hoch ist. Doch bei jeder einzelnen Verlegung müssten Hindernisse bewältigt werden – von der diplomatischen Genehmigung über die Verpflegung des Begleitpersonals bis hin zu Bergung und Abschub, wenn etwas auf der langen Strecke ausfällt.

Der Host im Herzen von Europa Die Unterstützung anderer Nationen bei der Versorgung der Ukraine fällt auch unter den HostNation-Support. Eine Aufgabe, die Deutschland aufgrund seiner geografischen Lage zukommt. Der Transport europäischer Hilfsgüter durch Deutschland und Polen ist häufig der einzige Weg in die Ukraine. Andere Routen sind beispielsweise aufgrund der Neutralität von Staaten nicht möglich. Der zentralen Rolle im Host-Nation-Support entsprechend, empfängt Deutschland in einer durchschnittlichen Woche etwa 30 Anfragen. Diese reichen von der großen Material- und Truppenverlegung bis hin zu kleinen diplomatischen Anliegen oder Schiffsbesuchen. Ein großer Arbeitsschwerpunkt sind dabei auch militärische Übungen alliierter Nationen in Deutschland oder durch Deutschland. Mit European Defender und der Übungsreihe Quadriga steht im Jahr 2024 ein umfangreiches Übungsaufkommen bevor. Zwar erscheinen die durch

die Übungen aufkommenden Transportmengen rein quantitativ wenig beachtenswert, diese Betrachtung greift allerdings zu kurz: Auch das erwartete Verkehrsaufkommen von weniger als 0,1 Prozent im gesamtdeutschen Verkehrsnetz sei spürbar, wenn es sich dabei um Marschkolonnen handle, die sich mit niedriger Geschwindigkeit über deutschen Autobahnen bewegten, sagte Hofmaier. Darüber hinaus gelte es, die Herausforderungen der neuen geopolitischen Lage zu meistern. Im Kalten Krieg war Deutschland noch Frontstaat. Heute ist die Grenze weiter nach Osten gerückt. Das deutsche Straßennetz ist nicht für die Belastungen einer großen Truppenverlegung ausgelegt. Schwertransporte oberhalb der 100-Tonnen-Klasse, lassen sich allerdings auf der Straße sowieso nur noch schwierig abbilden. „Im Kalten Krieg war das noch alles auf einander abgestimmt“, erinnert sich der Logistiker.

Der verlässliche Partner auf der Schiene Für lange Fahrten über das Staatsgebiet hinaus ist schweres militärisches Gerät nicht ausgelegt, erklärt Hofmaier: „Wenn Sie solche Strecken auf eigener Kette bewältigen, können Sie das Fahrzeug danach instand setzen.“ Des Weiteren fehle es der Bundeswehr an genügend eigenen logistischen Kräften, um nationale wie internationale Verlegungen ohne zivile Unterstützung zu bewältigen. Logistisch sei die getrennte Verlegung von Personal und Material über große Strecken einfacher, sagt Hofmaier. Während Infanterie komfortabel und schnell Reisen per Flugzeug absolviere, sei die Deutsche Bahn bei Massen- und

lerer Umsetzungsund Lieferzeiten. Ein Vorhaltevertrag ist zwar für die Deutsche Bahn material- und personalintensiv und folgerichtig mit entsprechenden Mehrkosten verbunden, Oberst im Generalstabsdienst Stefan Hofmaier verkürzt die Bereitstellungszeiträume Referatsleiter für Einsatzführung im Territorialen allerdings maßgebFührungskommando der Bundeswehr lich. Für das Jahr 2024 liegt bereits Großmaterialtransporten unschlag- ein Vertrag vor. Für die Verlegebebar. Den besonderen Fähigkeiten darfe angesichts der Aufstellung der einer Verlegung durch die Deutsche Brigade Litauen befinde man sich Bahn entsprechend, besteht eine gerade in der Verhandlung. enge Zusammenarbeit zwischen Bahn und Bundeswehr. Dabei tre- Unikatfähigkeiten der te die Bundeswehr allerdings als Deutschen Bahn regulärer Kunde bei der Bahn auf. Die Deutsche Bahn verfügt laut Hofmaier räumt jedoch eine gewisse Hofmaier über in Europa einzigbevorzugte Behandlung durch die artige Fähigkeiten. Als einziger Deutsche Bahn ein. Dennoch gehe Anbieter auf dem Kontinent hamit dem Dasein als Kunde wie jeder be die Deutsche Bahn sogenannandere einher, dass Bestellfristen te Personenbegleitwagen in ihrem bei der Deutschen Bahn einzuhalten Fuhrpark. Dabei handelt es sich seien. Etwa 30 Tage vergehen, bis um besondere Waggons, in denen die Bahn einen Auftrag ohne vorhe- die Insassen auch ohne externe rige Planung und Vorhalteverträge Stromversorgung autark mitfahren durchführen kann. Insbesondere können. Für Rüstungstransporte der Transport von Übergrößen ist seien diese essenziell. Es leuchtet dabei aufwendig. Bevor die Waggons ein, dass man beim Transport von mit der Schwerlast beladen werden Panzern nicht eben einen Zwischenkönnen, muss die Bahn zunächst halt einrichten kann, um sich im notwendige Simulationen durchfüh- lokalen Supermarkt mit Lebensmitren. Derartige Vorlauffristen sind teln einzudecken oder eine Nacht in mit militärischen Aufmarschplänen der örtlichen Pension zu verbringen. natürlich schwer zu vereinbaren. Deshalb nutzten 22 Nationen die Personalbegleitwagen der DB. Kein Vorwärts ohne Vorhaltevertrag Um den Aufgaben des Host-NatiErstmals 2019 vereinbarte die on-Support gerecht zu werden, sind Bundeswehr daher Vorhalteverträ- auch Investitionen in scheinbare ge mit der DB. Anlässlich der deut- Nebenschauplätze wie Vorhalteverschen Rolle in der Very High Rea- träge notwendig. „Kriegstüchtigkeit“ diness Joint Task Force (VJTF) der entscheidet sich auch an derartigen NATO bedurfte es deutlich schnel- Themen.

Logistisch ist die getrennte Verlegung von Personal und Material über große Strecken einfacher.“


Innere Sicherheit

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trahlender Sonnenschein, grüne Wiesen, im Hintergrund die Kulisse der Bayerischen Alpen – die Bilder des G7-Gipfels vor der malerischen Kulisse des Wettersteingebirges gingen um die Welt. Doch die friedlichen Bilder waren keineswegs garantiert. Seit der Jahrtausendwende kommt es rund um die Treffen internationaler Eliten immer wieder zu gewaltsamen Protesten und Ausschreitungen. Die Sicherung solcher Ereignisse gleicht einer Mammutaufgabe.

Behörden Spiegel / Januar 2024

Noch einmal gut gegangen Das Sicherheitskonzept zum G7-Gipfel 2022 (BS/Lars Mahnke) Ende Juni 2022 richtete Deutschland den G7-Gipfel aus. Der 114-seitige Erfahrungsbericht dazu liegt noch im Innenministerium. Er offenbart den Aufwand, der von der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Wetterstein betrieben werden musste, damit der Gipfel reibungslos ablaufen konnte.

Wenig Vorlaufzeit Und die Vorzeichen waren alles andere als gut: Knapp sieben Monate blieben den Verantwortlichen, um das Mega-Event abzusichern, da das Treffen ursprünglich woanders stattfinden sollte. Zum Vergleich: 2015, als der G7-Gipfel schon einmal auf Schloss Elmau stattgefunden hatte, blieben den Verantwortlichen 15 Monate Vorlaufzeit. Zusätzlich standen die Vorbereitung und der Gipfel selbst 2022 noch im Zeichen der CoronaPandemie. So wurde die Stabsarbeit nicht nur auf virtuelle Formate verlegt, für etwaige Ausfälle musste zudem Redundanz geschaffen und ein Führungsquartett für die Planung installiert werden. Zum Glück konnte man auf die Erfahrungswerte von 2015 zurückgreifen. Dennoch mussten neue Themenfelder wie Cyber Crime und das Hygienekonzept konzeptionell vorbereitet, das Versammlungsgeschehen und der Umgang mit etwaigem Klimaaktivismus geregelt werden. Die Gefahrenabwehr aus der Luft – Stichwort Drohnen – bereitete zusätzliches Kopfzerbrechen. Ein weiteres Problem stellte in Anbetracht der Kürze der Zeit die Unterbringung der Kräfte dar: aufgrund der Oberammergauer Passionsfestspiele und des wegen Corona erhöhten Inlandstourismus waren nur wenige Betten frei. Schlussendlich konnten 23.600 Betten in 253 Unterkünften gebucht werden. Im Zuge der Nachhaltigkeit sollten Eingriffe in die Natur zudem so gering wie möglich gehalten werden.

Streckensicherung war zeitintensiv Zentrale Bedeutung nahm auch

gebereich und die gründliche Schulung für das Einsatzprotokollsystem EPSweb. Die wöchentliche Unterrichtung aller Ministerien und Abschnitte erfolgte über einen Statusbericht, Absprachen wurden in einem Protokollierungssystem festgehalten. Manfred Hauser, Polizeipräsident Oberbayern Süd und Mitglied des Führungsquartetts im Planungsstab, betonte, dass die Hauptherausforderung in der Logistik lag. Insbesondere die Flächen- und Technikbereitstellung musste innerhalb sehr knapper Zeit gewährleistet werden. Herzstück der polizeilichen Logistik stellte die Einsatzzentrale im Eissportzentrum in Garmisch dar. Hier wurde innerhalb von drei Monaten die komplette Logistik eines Polizeipräsidiums aufgebaut. Insgesamt waren dort 85 Arbeitsplätze des Führungsstabs sowie 150 Mitarbeiter der technischen Task Force untergebracht.

Nicht ohne Risiko Friedvolle Aufstellung vor friedlicher Kullisse – die Staats- und Regierungschefs der G7 und EU-Vertreter (v. l. n. r.): Charles Michel, Mario Draghi, Justin Trudeau, Emmanuel Macron, Olaf Scholz, Joe Biden, Boris Johnson, Fumio Kishida, Ursula von der Leyen. Foto: BS/Bundesregierung, Gülland

die Absicherung der Transferstrecke ein. Über 2.000 Lotsungen waren durch die Beamtinnen und Beamten zu leisten. Zwar ging man davon aus, dass die meisten Staatsgäste den Flug per Helikopter bevorzugen, doch musste auch der Transfer via Straßen sorgfältig vorgeplant werden. Dabei war die Protokollstrecke von 135 km vom Flughafen München zum Schloss Elmau zu beachten, aber auch die 27 Ausweichstrecken für den Fall, dass Blockaden oder sonstige vorherzusehende Ereignisse das Befahren der Hauptstrecke unmöglich machten. In einer Schwachstellenanalyse wurden 13.000 neuralgische Punkte wie Schilderbrücken, Kanaldeckel, Tankstellen oder Unterführungen ausgemacht, die einer besonderen Prüfung und Sicherung bedurften. Dem Flughafen München als Teil der Kritischen Infrastruktur kam eine besondere Bedeutung zu. Befürchtet wurden Störungen durch Aktivisten in Form von Drohnen so-

wie die Stürmung des Flugplatzes durch Löcher im Zaun. Insgesamt 13 Streckenkilometer mussten mit technischen Sperren in Form von Bauzäunen vor mutmaßlichen Störern und Blockaden geschützt werden. In zähen Verhandlungen wurde Anwohnern die Zustimmung zur Nutzung der benötigten Flächen abgerungen. Die vertraglich vereinabarte „lastenfreie Übergabe“ gelang, wie Kerstin Schaller, Polizeivizepräsidentin Oberbayern Nord und Verantwortliche für den Einsatzabschnitt 05 vom Flughafen bis München, betonte: „Nicht ein Teil ist im Boden geblieben.“ Einen besonderen strategischen Punkt stellte der Flugplatz Pömetsried dar. Hier sollten die Staatsgäste landen und den Rest der Strecke zum Schloss Elmau mit dem Auto zurücklegen. Das unbeständige Wetter in den Bergen hätte diesem Plan leicht einen Strich durch die Rechnung machen und ein Ausweichen auf die 135 Kilometer lange Protokollstrecke erzwingen können.

Die doppelte Planung erforderte einen enormen Kräfteansatz, denn der Streckenschutz stellte ein einsatzkritisches Merkmal dar. Hätten die Planungen in diesem Bereich nicht gegriffen, wäre der gesamte G7-Gipfel gefährdet gewesen, so Schaller. Erschwerend kam hinzu, dass die US-Sicherheitskräfte bis zum Schluss die Streckenführung für den Transfer des Präsidenten streng geheim hielten. Die Unvorhersehbarkeit möglicher Ereignisse erforderte eine genaue Vorplanung und hohen personellen Aufwand. Die in der Spitze 3.200 Kräfte konnten nicht an einem Ort gesammelt werden, sondern mussten entlang der Strecke verteilt werden.

Zusammenarbeit funktionierte Die gigantische Dimension des Projekts erforderte eine gute Zusammenarbeit auf persönlicher Ebene. Geholfen haben zudem ein solides Kommunikationshandbuch, ein mit einem Ticketsystem arbeitender La-

Auch wenn Hauser und Schaller in ihren Vorträgen auf dem Polizeitag Anfang Dezember 2023 in München betonten, dass der Einsatz von hoher Professionalität geprägt war und bis auf Kleinigkeiten störungsfrei verlief, ist bemerkenswert, wie offen beide ansprachen, dass die Sicherheit des Gipfels nicht immer zu hundert Prozent gewährleistet war. „Die intransparenten Transfers haben uns enormen Kräftebedarf abverlangt. Und der ist durch nichts zu kompensieren außer durch ein Manko an Sicherheit für diesen Einsatz“, so die Polizeivizepräsidentin. Ohne die Blaupause von 2015 hätte die Planungszeit nicht für die Sicherstellung eines ungefährdeten Verlaufs des Gipfels ausgereicht. „Das wäre aus meiner Sicht nur mit massiven Defiziten zu erkaufen gewesen“, so Schaller weiter. „Knapp sieben Monate […] – eigentlich ist das so nicht leistbar. Es ist nichts passiert, wir haben tolle Bilder gehabt. Aber wenn wir wirklich eine Lage gehabt hätten, weiß ich nicht, wie es gelaufen wäre“, wurde Manfred Hauser noch etwas deutlicher: „Wir können froh sein, dass es letztlich so gelaufen ist – das muss man wirklich ganz ehrlich sagen.“

Harte Gangart Die Innenminister tagten in Berlin (BS/rk) Die Ständige Konferenz der Innenminister und Innensenatoren der Länder (IMK) hat sich auf ihrer letzten Sitzung in Berlin mit den Auswirkungen internationaler Ereignisse und Krisen auf die Innere Sicherheit in Deutschland befasst.

16 – 17 APR 2024

Die IMK verabschiedete umfassende Beschlüsse – von der Intensivierung von Präventionsmaßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus über konsequente Strafverfolgung im Netz und der Abschaltung radikal-islamischer Social Media Accounts bis hin zu weiteren Betätigungs- und Vereinsverboten. Zudem bat die IMK das Innenministerium, Einbürgerungstests um Fragen zur besonderen Verantwortung des jüdischen Lebens in Deutschland sowie zum Existenzrecht Israels zu ergänzen. Die IMK begrüße die Absicht der Bundesregierung, Personen mit antisemitischer, rassistischer und sonstiger menschenverachtender Einstellung die Einbürgerung in Deutschland zu verwehren. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich dankbar für die Einigkeit und Geschlossenheit von Bund und Ländern im Kampf gegen Antisemitismus und Islamismus. Man habe die verschärfte Bedrohungslage durch islamistischen Terror genau im Blick.

Jüdisches Leben genießt besonderen Schutz Die Innenpolitikerinnen und Innenpolitiker bekräftigten, dass jüdisches

Leben in Deutschland unter besonderem Schutz des Staates stehe. Dieses Versprechen sei Teil des Wertefundaments. Die IMK sei sich einig, ihren Kurs entschlossen fortzusetzen und insbesondere jede Form von Antisemitismus und Islamismus konsequent zu bekämpfen. Es sei nicht hinnehmbar, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland zu missbrauchen, um auf der Straße ungehemmt israelfeindliche, antisemitische und gewaltverherrlichende Parolen zu skandieren. Weiterhin hat sich die IMK intensiv mit migrationspolitischen Fragen auseinandergesetzt. Sie begrüßt die Verbesserung der Rückführung und die Fortsetzung der wieder eingeführten Binnengrenzkontrollen über den 15. Dezember 2023 hinaus. Dies zeige Wirkung, die Grenzkontrollen und Fahndungsmaßnahmen würden fortgeführt.

Fußballgewalt gibt Grund zur Besorgnis Die IMK zeigte sich besorgt über das Ausmaß der Gewalt in Fußballstadien. Es sei unerträglich, dass es regelmäßig zu gewalttätigen Ausschreitungen komme. „Noch uner-

träglicher ist es, dass Polizistinnen und Polizisten jedes Wochenende den Kopf hinhalten müssen, um Stadiongäste zu schützen und Polizistinnen und Polizisten immer wieder zum Teil schwere Verletzungen davontragen“, sagte Hamburgs Innensenator Andy Gote. Beim Schutz Kritischer Infrastruktur, insbesondere der Sicherheit an Flughäfen, habe man mehrfach feststellen müssen, dass die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen das Eindringen von Unberechtigten nicht wirksam genug verhindern. Die Sicherheitsstandards müssten bundesweit einheitlich erhöht werden. Zudem müssten die Verantwortlichen von stundenlangen Blockaden und Unterbrechungen des Flugverkehrs spürbarer als bisher zur Rechenschaft gezogen werden In Bezug auf die Legalisierung von Cannabis sei allen bewusst, dass dieser Schritt deutliche Auswirkungen auf die Sicherheit habe, hieß es aus den Ländern. Wenn im kommenden Jahr aber eine Legalisierung von Cannabis durch den Bund erfolge, sei das ein unvorbereiteter Einstieg in die unkontrollierte Drogenfreigabe.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Januar 2024

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ehörden Spiegel: Welche Rolle und Bedeutung messen Sie der Polizei in einer Demokratie zu?

Carsten Rose: Wesentlich ist, dass wir als Polizei Träger des sogenannten Gewaltmonopols sind und dem müssen wir uns immer bewusst sein. Das setzt voraus, dass wir ein starkes und selbstbewusstes demokratisches Verständnis haben. So gesehen wird häufig davon gesprochen, die Polizei sei ein Spiegelbild der Gesellschaft. Das sehe ich nicht so, denn wir müssen ein Spiegelbild des demokatiebewussten Teils der Gesellschaft sein. Als Polizei müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir der sichtbare Teil des Staates sind. Daher hat es eine besondere Bedeutung, wenn wir uns dem Thema Demokratie und demokratischen Werten als Institution oder einzelner Handelnder widmen.

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Es braucht den Austausch Zur Rolle des Demokratiebewusstseins in der Polizei Niedersachsen (BS) Die Polizei hat als Träger eines Gewaltmonopols in der deutschen Demokratie eine verantwortungsvolle Aufgabe. Im Gespräch mit Carsten Rose, Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen, erörtert der Behörden Spiegel, welche Rolle die Demokratie in der Polizei spielt. Die Fragen stellte Bennet Biskup-Klawon.

Behörden Spiegel: Warum hat die Polizeiakademie Niedersachsen den Kongress „Netzwerk Demokratiestarke Polizei“ ausgerichtet? Rose: Den ersten dieser Kongresse haben wir 2021 ausgerichtet und er war ein voller Erfolg. Nun haben wir nach zwei Jahren zum zweiten Mal diesen Kongress in Hannover ausgerichtet und wollen das Format verstetigen. Es gibt eine Handvoll Punkte, bei denen der Kongress helfen kann. Zum einen haben wir festgestellt, dass es bei dem Thema Demokratiearbeit wichtig ist, sich zu vernetzen, mit Menschen und Institutionen. Zum Zweiten können wir auf dem Kongress mit zivilgesellschaftlichen Akteuren ins Gespräch kommen. Ein Kongress bietet dazu eine großartige Plattform. Auch für Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung bietet der Kongress eine Plattform, auf der auch kritische Erkenntnisse reflektiert werden können. Viertens können wir auf konstruktive Kritik aus der Zivilgesellschaft aufbauen und uns weiterentwickeln. Es ist ein wesentlicher Teil der Demokratie, dass man aus Austausch und Kritik Stärke zieht. Fünftens würde ich noch einmal betonen, dass wir mit diesem Kongress aufzeigen, dass wir beim Thema Demokratiearbeit als Polizeien ein starker, verlässlicher und wichtiger Partner sind. Das ist vielleicht bisher noch nicht so deutlich geworden bei vielen Akteurinnen und Akteuren in der Zivilgesellschaft. Behörden Spiegel: Welche Erkenntnisse haben Sie für Ihre alltägliche Arbeit mitgenommen? Rose: Ein Punkt, der stärker in den Fokus geraten ist, ist das Stichwort Vertrauen. Wir als Polizei genießen ein sehr hohes Vertrauen als Institution in der Bevölkerung. Aber dieses Vertrauen besteht nicht in allen Bereichen und gerade am Vertrauen in marginalisierten Gruppen müssen wir noch arbeiten. Eine weitere Erkenntnis betrifft den Austausch mit Menschen, die eine andere Perspektive auf unsere Arbeit haben. Denn am Ende des Tages können beide Seiten von dem Austausch lernen. Wir können ein stärkeres Verständnis dafür wecken, warum wir uns in gewissen Einsatzsituationen wie verhalten müssen. Andersherum können wir uns besser in die Perspektiven der Menschen hineinversetzen, die uns gegenüberstehen. Behörden Spiegel: In einer Pressemittelung aus Ihrem Haus heißt es: „Es geht im Kongress immer wieder um die Stärkung der inneren Haltung der Polizeibeschäftigten […].“

Carsten Rose erklärt, dass der Austausch mit der Bevölkerung ein entscheidendes Mittel zur Verbesserung der Polizeiarbeit ist. Foto: BS/Polizeiakademie Niedersachsen

Wie kann denn diese innere Haltung gestärkt werden? Rose: Wir sehen, dass sich unsere Gesellschaft verändert. Die politischen Ränder gewinnen an Stärke und in der sogenannten stabilen Mitte verlieren wir. Es ist daher wichtig, dass unsere Kolleginnen und Kollegen einen klaren Kompass bezogen auf ihre Werte, Grundhaltung und ihre Stärke im Bereich der demokratischen Arbeit haben. Wir als Polizei sind im Gegensatz zu vielen anderen staatlichen Institutionen unmittelbar sichtbar. Bezogen auf das Thema Demokratie und innere Haltung müssen wir uns vor Augen halten, dass wir ein Garant für die Verfassung sind. Grundlegend kann man sich immer auf Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz berufen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wenn jede Kollegin und jeder Kollege sich in jeder Einsatzsituation das vor Augen hält, gerade dann, wenn es schwierig wird, dann haben wir schon viel erreicht. Wir müssen hinschauen, wenn andere wegschauen. Wir müssen hingehen, wenn andere weglaufen, und deshalb ist es wichtig, dass wir in diesen Situationen immer vor Augen haben, die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar, wenn wir für und mit Menschen arbeiten, egal wie er oder sie uns in einer Einsatzsituation gerade fordert. Behörden Spiegel: Ist es schwierig, auf der einen Seite das Gewaltmonopol der Polizei zu verteidigen und auf der anderen auf Kritik am selben einzugehen? Rose: In der Tat ist das nicht immer einfach, aber dennoch lässt es sich sehr gut miteinander vereinen und gerade wir als Träger des Gewaltmonopols müssen schon im Eigenschutz Wert darauflegen, dass unsere Arbeit kritisch begleitet wird.

Wir als Polizei sind im Gegensatz zu vielen anderen staatlichen Institutionen unmittelbar sichtbar.“

Es ist Teil des Verständnisses von Demokratie, dass jedes polizeiliche Handeln auch einer kritischen Betrachtung standhalten muss. Insofern heißt auf Kritik einzugehen nicht, dass wir das Gewaltmonopol zurückfahren wollen, sondern wir müssen uns immer dieser Bedeutung bewusst sein und dieser Verantwortung gerecht werden. Wenn wir Entgleisungen feststellen, müssen wir spätestens dann reagieren – idealerweise erkennen und handeln wir aber vorher. Umso stärker wir jede einzelne Kollegin und jeden einzelnen Kollegen auf der Basis unserer Werte verorten, umso früher erkennen wir Tendenzen, die nicht zu unseren Werten passen. So können wir früher intervenieren und die Wahrscheinlichkeit von Entgleisungen verringern. Behörden Spiegel: Wie soll es denn mit dem Kongress „Netzwerk Demokratiestarke Polizei“ in Zukunft weitergehen? Rose: Mit dem Kongress selbst wird es so weitergehen, dass die Ergebnisse zusammengefasst in einem großen Tagungsband Anfang 2024 publiziert werden. Darüber hinaus stellen wir zur Festigung des Kongresses Überlegungen an, wie wir 2025 einen dritten Kongress ausgestalten. Wir als Polizei Niedersachsen haben bei der Planung des Kongresses zwei starke Partner an unserer Seite. Das ist

zum einen der Verein Gegen Vergessen für Demokratie e. V., mit dem wir Qualifizierungsmaßnahmen entwickeln. Und der zweite große Partner ist die Stiftung Mercator, mit der wir Finanzmittel in erheblichem Umfang generieren konnten, um das Thema Demokratiestarke Polizei in Niedersachsen noch besser einzubringen und in andere Bundesländer zu transferieren. Im Augenblick sind wir in der Nachbereitungsphase des Kongresses. Gleichzeitig sammeln wir als Polizei noch mal wesentliche Ergebnisse und halten sie für uns fest. Die Ergebnisse stellen dann die Basis für die Arbeit in den polizeilichen Bildungseinrichtungen von Bund und Ländern dar. Behörden Spiegel: Welchen Stellenwert nimmt die politische Bildung in der Ausbildung der Nachwuchskräfte ein? Rose: Sie hatte immer schon einen gewissen Stellenwert, der in den letzten Jahren noch deutlich gestiegen ist. Wir haben in vielen der Module des Bachelor-Studiengangs einen stärkeren Fokus auf das Thema gesetzt und sowohl rechtswissenschaftliche Perspektiven als auch politologischen Blickpunkte stärker in den Modulen ergänzt. Zusätzlich bieten wir auch außerhalb des Kernstudiums Fortbildungen an. Kürzlich waren beispielsweise Studiengruppen in Berlin und haben sich zwei Tage zum Thema Demokratie, aber auch zu Erinnerungsarbeit mit Gesprächspartnern verständigt. Dabei haben sie nicht nur die aktuelle parlamentarische Arbeit im Bundestag kennengelernt, sondern z. B. an Orten wie der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und der Topographie des Terrors mit polizeilichem Bezug Entwicklungen in den Zeiten der NS- und der SED-Diktatur reflektiert, entsprechende Orte besucht und mit Zeitzeugen Gespräche ge-

führt. Aktuell arbeiten wir in diesem Zusammenhang auch sehr stark mit der International School for Holocaust Studies Yad Vashem in Bildungsformaten zur Aufarbeitung der hostorischen Verantwortlichkeiten der Polizei zusammen. Behörden Spiegel: Wie sieht es bei ausgebildeten Kräften aus? Werden sie weiterhin sensibilisiert und wie läuft die Fortbildung für die aktiven Beamten ab? Rose: Ja, das ist ein ganz bedeutender Punkt, denn das Thema kann nicht nach drei Jahren Studium beendet sein. Lebenslanges Lernen ist hier elementar. Diesem Ansatz folgen wir. Ein wichtiger Bestandteil ist das Wirken von Polizeiangehörigen, die sich freiwillig als Demokratiepatinnen und -paten des Themas annehmen. Diese Kolleginnen und Kollegen initiieren in den Dienststellen entsprechende Veranstaltungen, Vorträge, Exkursionen und Diskussionsrunden u. a. mit gesellschaftlichen Akteuren. Auch Zusammenkünfte mit marginalisierten Gruppen stehen auf dem Programm. Diese Veranstaltungen sind besonders wichtig, da uns die Geschichte lehrt, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind und demokratiefeindliche Einstellungen in Teilen der Gesellschaft wieder auf dem Vormarsch sind. Gerade unsere Kolleginnen und Kollegen, die tagtäglich in Grenzsituationen des demokratischen Zusammenlebens gefordert sind, müssen ihre demokratische Haltung klar zeigen und in derselben gestützt werden. Behörden Spiegel: Es klang bereits einige Male an: Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit zivilen Akteuren in diesen Bereichen? Rose: Allein kann die Polizei diese Ziele nicht erreichen. Wir sind gut beraten, uns mit zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren zusammenzuschließen, mit ihnen zu kooperieren und zu vernetzen. Wir in Niedersachsen machen das auf unterschiedliche Art und Weise. Zum einen mit großen Partnern, die uns beispielsweise beim Kongress unterstützen. Zum anderen sind es viele kleine zivilgesellschaftliche Organisationen, idealerweise auf kommunaler Ebene, mit denen es zusammenzuarbeiten gilt. Schon dort haben wir entsprechende Gremien, die für Demokratiearbeit leben und diese unterstützen. Das können mi­grantische Gemeinschaften oder Bewegungen sein. Es ist wichtig, dass wir mit diesen in Kontakt kommen. Gleiches gilt auch für

Allein kann die Polizei diese Ziele nicht erreichen.“

Glaubensgemeinschaften. Ein Beispiel sind hier jüdische Gemeinden, zu denen der Kontakt in der gegenwärtigen Situation, wo es um Antisemitismus geht, besonders wichtig ist. Ohne externe Partner auf örtlicher Ebene geht es also nicht, das ist ganz wichtig. Der Einstieg in die örtliche Ebene kann häufig gut gelingen, wenn wir auf den übergeordneten Ebenen die Rahmenbedingungen für dieselben setzen und schaffen. So ist zumindest der Weg, den wir in Niedersachsen beschreiten.


Katastrophenschutz

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Dauerhaft im Krisenmodus?

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ehörden Spiegel: Herr Dr. Funk, Sie sind im Oktober 2023 zum neuen Vize-Präsidenten des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe berufen worden. Welche Herausforderungen sehen Sie im neuen Jahr auf das BBK zukommen?

Dr. René Funk: Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass es eine Vielzahl von Herausforderungen gibt. Zu nennen ist zum einen die fragile Sicherheitslage weltweit, zum anderen aber auch die Gefahr von Zoonosen-bedingten Pandemien wie der Corona Pandemie, aber natürlich auch die deutlich spürbare Zunahme von Extremwetterereignissen. Und das alles vor dem Hintergrund einer besonders herausfordernden Haushaltslage. Das ist eine Aufgabe, die mir viel Respekt abverlangt, aber auf der anderen Seite spornt es mich auch an, diese zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen im BBK anzugehen. Behörden Spiegel: Sie sind vom Bundesamt für Verfassungsschutz ins Amt für Öffentliche Ordnung der Stadt Freiburg im Breisgau gewechselt und nun zum BBK. Welche Erfahrungen konnten Sie in der kommunalen Krisenbewältigung sammeln und welche Impulse wollen Sie in das BBK einbringen bzw. haben sie auch schon eingebracht? Funk: Wenn ich auf meine Erfahrungen in der Krisenbewältigung blicke, sind zwei zentrale Punkte für mich von besonderer Bedeutung. Zum einen muss man in stressigen, herausfordernden Lagen Ruhe bewahren und nicht in Aktionismus verfallen. Zum anderen muss man auch in der Lage sein, unter Druck Entscheidungen zu treffen. Was die Impulse für das BBK angeht, so bin ich der Auffassung, dass Fähigkeiten, die in der Bewältigung von Lagen von Bedeutung sind, auch in der Leitung von großen Organisationseinheiten eine wichtige Rolle spielen. Und das sind letztlich auch die Impulse, die ich ins BBK einbringen will. Zudem Teamarbeit, kombiniert mit eindeutigen

Ein Interview über den Katastrophenschutz in Deutschland (BS) Innenministerin Nancy Faeser hat einen neuen Vizepräsidenten für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn ins Amt berufen. Dr. René Funk, der zuvor das Amt für Öffentliche Ordnung der Stadt Freiburg im Breisgau geleitet hat, berichtet im Gespräch mit Scarlett Lüsser von seinen Erfahrungen im Krisenmanagement und erklärt, was er sich für die Zukunft des BBK vorstellt.

Dr. René Funk ist seit dem 16. Oktober 2023 Vizepräsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) BS/Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)

Strukturen und Abläufen sowie klare Kommunikation und Entscheidungsfreude auf allen Ebenen – gepaart mit einer entsprechenden Fehlerkultur. Behörden Spiegel: Wie haben Sie das kommunale Krisenmanagement während der vergangenen Krisen (Corona-Pandemie, möglicher Blackout) erlebt? Funk: Die Corona-Pandemie war eine sehr intensive und ebenso lehrreiche Zeit. In Freiburg haben wir als erste Großstadt ein flächendeckendes Betretungsverbot für den öffentlichen Raum erlassen. Eine besondere Herausforderung war hierbei, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt im Rahmen der

unterschiedlichen Regeln der Corona-Verordnungen mitzunehmen und die Regelungen letztlich auch durchzusetzen. Das war eine sehr anspruchsvolle Zeit, vor allem, weil sie so lang angedauert hat. Was mir aber besonders in Erinnerung geblieben ist, ist die vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene sowie das besondere und herausragende Engagement der Akteure vor Ort. Ich denke hier an die Kameradinnen und Kameraden der Feuerwehr, des THWs sowie der Hilfsorganisationen, die Kolleginnen und Kollegen der Polizei und der Stadtverwaltung. Es war letztlich ein kollegiales und vertrauensvolles Zusammenspiel. Es lässt sich festhalten, dass Krisenbewältigung zusammenschweißt. Das ist für mich eine ganz wichtige Botschaft. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt ehrenamtliches Engagement bei der Bewältigung von Krisen?

Fachtagung KRITIS Krankenhaus in Krise, Terror, Krieg 14. März 2024 l Berlin

Eine Kooperationsveranstaltung von Gesundheitsstadt Berlin und dem BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) Weitere Informationen:

Behörden Spiegel / Januar 2024

Zur Anmeldung:

Funk: Meine Erfahrungen aus Freiburg haben gezeigt, dass Krisenmanagement sowohl von eingeübten klaren Strukturen als auch vom persönlichen Einsatz der Akteure vor Ort lebt. Den ehrenamtlichen Akteuren kommt hierbei eine ganz wichtige Rolle zu, deshalb muss es eine ebenso wichtige Aufgabe sein, das Ehrenamt zu stärken. Hier sehe ich in vielen Kommunen hervorragende Ansätze. Die Stärkung des Ehrenamts ist – gerade vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels, der auch das Ehrenamt erfasst – unabdingbar. Daher unterstützt das BBK dies auch in besonderem Maße. Behörden Spiegel: Braucht es vor dem Hintergrund der vielfältigen Herausforderungen und der Erfahrungen der Vergangenheit nicht eine Pflichtschulung von kommunalen Führungskräften in Sachen Krisenmanagement und Stabsarbeit?

arif Der T entliche ff für ö htungen c i r Ein gt r t be ä 0. 15 EUR

Funk: Als Vertreter einer Organisation des Bundes lassen Sie mich die Frage so beantworten: Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, dass Führungskräfte auf die Aufgaben im Krisenmanagement gut vorbereitet werden. Deshalb ist es dem BBK ein großes Anlie-

Foto:

Zum einen muss man in stressigen, herausfordernden Lagen Ruhe bewahren und nicht in Aktionismus verfallen. Zum anderen muss man auch in der Lage sein, unter Druck Entscheidungen zu treffen.“

gen, dass wir eine standardisierte Ausbildung in Bund und Ländern für alle Führungskräfte etablieren können. Unsere Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) mit sehr engagierten Kolleginnen und Kollegen leistet da einen ganz wichtigen Beitrag. 2023 haben rund 13.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unsere Seminare besucht. Das ist für die BABZ eine Rekordzahl und das zeigt deutlich, dass der Bedarf an entsprechenden Seminaren und Schulungen besteht. Behörden Spiegel: Wo sehen Sie die größten Defizite bei der Krisenbewältigung in Deutschland? Wo darf noch nachgebessert werden? Funk: Eine Sache, die uns besonders stark macht und um die uns viele Staaten und Länder auch beneiden, ist die Vielzahl an professionell geführten Organisationen im Bereich des Bevölkerungsschutzes und insbesondere die große Anzahl an Ehrenamtlichen im Bevölkerungsschutz. Wir haben zum Beispiel rund eine Million Mitglieder in den Freiwilligen Feuerwehren, das ist eine wahnsinnig hohe Anzahl. Diese besondere Stärke, die uns auszeichnet, ist aber auch zugleich eine besondere Herausforderung in der Koordination. Das zum einen und zum anderen gehört für mich zur Bewältigung der Krise auch die Vorbereitung auf die Krise. Dazu gehören vier zentrale Punkte: Die

Stärkung des Selbstschutzes der Bevölkerung, die Ausbildung – über die wir gerade schon gesprochen haben –, aber auch die Ausstattung und die Übung. Und in allen diesen vier Belangen unterstützt das BBK in besonderem Maße die entsprechenden Communities. Behörden Spiegel: Der ehemalige THW-Präsident Albrecht Broemme spricht häufig von einer „Katastrophen-Demenz“. Nach einem halben Jahr seien die Lehren aus der Katastrophe halbvergessen und nach einem Jahr sei alles vergessen. Teilen Sie diese Auffassung und wie können die Erfahrungen besser aufbereitet werden? Funk: Ja, ich stimme Herrn Broemme im Grundsatz zu. Ich glaube, es ist uns Menschen zu eigen, dass wir belastende Situationen zu verdrängen versuchen und uns mit ihnen nicht tagtäglich beschäftigen möchten. Dies ist allerdings wichtig, um mit diesen Situationen umgehen zu können. Krise ist mittlerweile ein Dauerthema geworden und wenn Sie sich nur vergegenwärtigen, was das Wort des Jahres geworden ist – nämlich Krisenmodus – zeigt dies, dass bereits ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden hat. Durch die Flutkatastrophe im Ahrtal, insbesondere aber auch durch den russischen Angriffskrieg und die Corona-Pandemie sind die Themen rund um den Bevölkerungsschutz viel präsenter in unserer Gesellschaft geworden. Das ist wichtig, denn ein gelungener Bevölkerungsschutz setzt sich zum einen aus der Stärkung des Selbstschutzes in der Bevölkerung und zum andern aus einer adäquaten Krisenvorsorge aufseiten der organisierten und staatlichen Akteure zusammen. Dafür brauchen wir Aufmerksamkeit und ein verlässliches Bild der Risiken und Gefahren, denen unsere Gesellschaft gegenübersteht. Dies muss angstfrei, aber zugleich in realistischer Form erfolgen. Behörden Spiegel: Haben Sie anlässlich ihrer Berufung ins Amt abschließend noch eine Botschaft an die Leserinnen und Leser dieses Interviews? Funk: Gerade vor dem Hintergrund der von Herrn Bundeskanzler Scholz beschriebenen Zeitenwende ist es Herrn Präsident Ralph Tiesler und mir wichtig, dass Bevölkerungsschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird und nicht auf den Staat und ehrenamtliche Einsatzkräfte beschränkt bleibt. Natürlich müssen Vorbereitungen auf entsprechende Krisensituationen vonseiten der staatlichen Einrichtungen und der Hilfs- und Einsatzorganisationen erfolgen, aber auf der anderen Seite brauchen wir eben auch die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger. Um den Selbstschutz der Bevölkerung zu stärken, werben wir stark, denn es ist nie nur der Staat und nicht nur die Bevölkerung, sondern wir müssen alle zusammenarbeiten und jeder muss seinen Teil dazu beitragen. Erst dann ist das Paket quasi vollständig und wir können von gelungenem Bevölkerungsschutz sprechen. Und vielleicht bietet sich als guter Vorsatz für das neue Jahr und als Einstieg in den Selbstschutz ein Blick in unseren „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“ an. Hier gelangen Sie zum „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“.


Behörden Spiegel / Januar 2024

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ir bilden nur aus was nachgefragt wird“, erklärt der stellvertretende Inspekteur des Heeres und Kommandeur Militärischer Grundorganisation, Generalleutnant Andreas Marlow bei einem Hintergrundgespräch im zweiten Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) in Berlin. Seit November 2022 ist er Commander Special Training Command (ST-C) der EUMAM UA. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden passe sich den Bedarfen der ukrainischen Streitkräfte an, führt Marlow weiter aus. Mit diesem Modus Operandi habe man im Jahresdurchschnitt etwa 600 Ukrainer am Tag ausgebildet. Dem gegenüber standen 1.000 Ausbilderinnen und Ausbilder. Das entspricht einem Schnitt von eins zu 1,7. Dieser hohe Personaleinsatz ist auch dem engen Trainingsplan geschuldet. Bis die ukrainischen Soldaten den Dienst für ihr Land an der Front antreten vergehen zwölf Wochen. Auf sechs Wochen Grundausbildung folgen sechs Wochen weiterführende Einsatzausbildung. Eine 40-Stunden-Woche ist im Rahmen einer so ambitionierten Ausbildung nicht umsetzbar. Sechs Tage in der Woche zu jeweils zwölf Stunden bereiten sich die angehenden Soldaten der Ukraine auf ihren Kampfeinsatz vor. „In unserer Zeitrechnung entspricht das drei Monaten Ausbildung“, erläutert Marlow. Die verkürzte Ausbildungszeit hinterlässt Spuren bei

Aus- und Fortbildung bei Sicherheitsbehörden

Ein Jahr EUMAM Mehr als 10.000 ukrainische Soldaten wurden in Deutschland ausgebildet (BS/Jonas Brandstetter) 10.000 ausgebildete Soldaten in über 260 Trainingsmodulen: Das ist die Jahresbilanz der deutschen Bemühungen in der European Union Military Assistance Mission Ukraine (EUMAN UA). Lernerfolg und Erkenntnisgewinn verzeichneten nicht nur die Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte.

Die Ausbildung in Deutschland ist darauf ausgerichtet, den ukrainischen Streitkräften Spezialfähigkeiten bereit zu stellen. Zu sehen Foto: BS/Bundeswehr ist die Ausbildung zum Sturmpionier.

bereits erwähnte ST-C unter der Führung von Andreas Marlow angesiedelt. Demgegenüber steht das Combined Arms Training Command (CAT-C) in Polen. Während am polnischen Standort eher militärische

Die Ausbildung ist ein Geben und Nehmen.“ Generalleutnant Andreas Marlow, Commander Special Training Command (ST-C) EUMAM UA

Ausbildern und Auszubildenden. „Alle wünschen sich, sie hätten mehr Zeit“, konstatiert Marlow. Dass die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten, dem Kriegsgeschehen entsprechend, zum Teil sehr unterschiedlich seien, erschwere die Ausbildung zusätzlich.

Eine europäische Anstrengung Die Ausbildung in Deutschland folgt europäischen Standards. Am 17. Oktober 2022 beschloss der Rat für Auswärtige Angelegenheiten die Durchführung einer Ausbildungsmission. Es handelt sich um die erste Ausbildungsmission auf europäischem Boden. Für die militärische Leitung dieser multinationalen Anstrengung zeichnet sich der Militärische Planungs- und Durchführungsstab der EU in Brüssel verantwortlich. Er steht unter der Leitung seines Direktors, Generalleutnant Michael van der Laan.

Grundkompetenzen vermittelt werden, ist die Spezialausbildung überwiegend in Deutschland verortet. Rechtlich ist die Ausbildung der ukrainischen Soldaten auf deutschem Boden als Mission anerkannt. Sie obliegt demzufolge derselben legalen Grundlage wie beispielsweise die enhanced Forward Presence (eFP) in Litauen. Folgerichtig handelt es sich nicht um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. EUMAM UA ist eine Mission ohne Exekutivmandat. Ziel der gemeinsamen europäischen Anstrengung ist es, ukrainische Soldaten dazu zu befähigen, ihr Land zu verteidigen und die Zivilbevölkerung zu beschützen. In Zahlen heruntergebrochen sollen im Rahmen der Mission bis Ende 2024 rund 30.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten eine Ausbildung durchlaufen. Die Finanzierung der dafür notwendigen Ausrüstung erfolgt gemeinschaftlich über die European Peace Facility.

Fünf Ausbildungsstränge

Die Koordination der Ausbildungsmaßnahmen selbst obliegt zwei multinational aufgestellten Schwersterkommandos. In Deutschland ist das

Konkret bemüht EUMAM UA fünf sogenannte Lines of Effort. Dahinter verbergen sich verschiedene Ausbildungsstränge, für eine schlagfertige Armee. Effort eins entspricht dabei der Grundausbildung. Eine Funktion die, wie Marlow erläutert, zunächst auch von der Bundeswehr ausgefüllt wurde. Mittlerweile habe man sich allerdings vermehrt anderen Aufgaben zugewandt. Line of Effort zwei lässt sich grob als Ausbildung von Spezialistinnen und Spezialisten zusammenfassen. Beispielsweise Sanitäter, Scharfschüt-

zen oder Techniker erlernen hier ihre Aufgabe. Collective Training ist in Line of Effort drei abgebildet. Line of Effort vier gilt der Ausbildung von Führungskräften. Dieser Ausbildungsstrang richtet sich an angehende Offiziere und Unteroffiziere. Abschließend gilt Effort fünf dem Training auf Zug- und Kompanieebene.

Wandelndes Aufgabenprofil Wie bereits angeklungen, hat sich die in Deutschland geleistete Ausbildung im Jahresverlauf zunehmend von der Grundausbildung wegentwickelt. Zentrales Anliegen der Ausbildung in Deutschland ist mittlerweile die Vermittlung komplexerer Inhalte. Insbesondere die Ausbildung von Führungsfähigkeiten wird durch die Ukraine vermehrt nachgefragt. Die aus der Ukraine formulierten Wünsche entsprächen dabei den sich wandelnden Bedürfnissen, erklärt Marlow. Der Kriegsverlauf spiegelt sich also auch in den Ausbildungsbedarfen wider. Während zu Beginn eher Defensivfähigkeiten gefragt waren, stellte sich mit der Sommeroffensive ein Bedarf nach Offensivkompetenzen ein. Darüber hinaus wandelte sich die Kriegsschauplätze von urbanen Gebieten hin zu eher offenen Flächen. Fand der Kampf in der Frühphase des Krieges in städtischem und dicht

bebautem Gelände statt, ist Wald oder freie Fläche mittlerweile das dominierende Terrain. Auch dieser Wandel musste in der Ausbildung abgebildet werden. Gegenwärtig sind ukrainische Soldaten mit einer Situation konfrontiert, die von ausgedehnten Stellungssystemen und großflächig verminten Gebieten geprägt ist. Weil sich die ursprünglich von der Ukraine gewählte Taktik des Einsatzes gepanzerter Fahrzeuge ukrainischer Ansicht nach als uneffektiv erwies, setzt das Land wieder vermehrt auf Infanterie. Mit der infanteristischen Ausbildung „Fighting in Complex Terrain“ trägt die Ausbildung in Deutschland dem Rechnung. „Fighting in Complex Terrain“ vermittelt Fähigkeiten, um in urbanen Gebieten, Stellungssystemen oder im Waldkampf zu bestehen.

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man in der Ukraine beobachten. Darüber hinaus gibt das Geschehen in der Ukraine auch Anlass über größere taktische Konzepte nachzudenken. In der Ukraine stelle man den Sensor to Shooter Link mithilfe sozialer Medien her. Inwiefern man das Smartphone auch in Deutschland in die Aufklärung einbeziehen könnte, gelte es zu ermitteln. Insbesondere aber eine Erkenntnis müsse man aus dem Krieg in der Ukraine ziehen. „Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir in einer derartigen Situation reagieren würden“, fordert Marlow. An diese Erkenntnis schließt sich eine Reihe von Fragen an: Wie will man das Personal, um eine Invasion abzuwehren generieren? Welche Ausbildung müsste dieses Personal durchlaufen? Wo in Deutschland könnte eine derartige Ausbildung durchgeführt werden? Letztendlich lässt sich dieser Komplex in eine Formel herunterbrechen: „Sind wir Kriegstüchtig?“ fragt Marlow. Zwar verweigert sich Marlow, diese Frage zu beantworten, ein von ihm angeführtes Beispiel lässt allerdings eine Tendenz erkennen. Die Zeit, welche die Ukraine investiert, um Zivilisten für den Kampfeinsatz zu befähigen, habe Deutschland aufgewendet, um die eigenen Truppen auf den Einsatz in Afghanistan vorzubereiten. Dabei habe es sich allerdings um erprobte Truppen gehandelt. Aus diesem Grund beauftragte Marlow zu erörtern, ob man die Ausbildungszeit für den Bedarfsfall reduzieren könnte. Marlows Abschlussresümee fällt aber dennoch positiv aus. Er ist stolz auf das, was seine Kolleginnen und Kollegen in den letzten Monaten geleistet haben. Insbesondere aber imponiert ihm die Leistung der Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte, denn „sie wissen nicht, ob sie in ein paar Wochen noch am Leben sind!“

Lehrerfahrung ist auch Lernerfahrung „Die Ausbildung ist ein Geben und Nehmen“, bilanziert Marlow. Den Erfahrungsberichten der nach Deutschland entsendeten Soldaten schenkt man folgerichtig genaustens Gehör. Beispielsweise bei der Anwendung von Drohnen könnte man von den Erkenntnissen aus der Ukraine profitieren. Aber auch wie man Stellungssysteme nach russischer Bauart aufrollt, könne

Generalleutnant Andreas Marlow ist seit September 2023 Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres und Kommandeur Militärische Grundorganisation. Foto: BS/Benjamin Bendig, Bundeswehr

Missionen der Europäischen Union Die Ausbildungsmission EUMAM UA Ukraine stellt zwar die erste Ausbildungsmission auf europäischem Boden dar, sie gliedert sich allerdings in eine Reihe von militärischen und zivilen Missionen ein. Seit 2003 hat die EU mehr als 40 Missionen auf drei Kontinenten durchgeführt. Den kontextuellen Rahmen für diese Bemühungen gibt seit 2009 die Common Security and Defence Policy (CSDP). Diese geht selbst wiederum auf den Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2007 zurück. Dass die EU in der Frühphase der 2000er Jahre ihre internationalen sicherheitspolitischen Bemühungen ausweitete, ist auch der Erfahrung des Kosovo-Krieges geschuldet. 1999, kurz nach dem Krieg im Kosovo, sollte die neu ausgerufene Common Security and Defence Policy der Union die sicherheitspolitischen Vorstellungen der EU vertreten. Sie trägt heute den Namen CSDP, der Anspruch ist aber gleich geblieben. Eine führende Rolle bei friedenserhaltenden Maßnahmen, Konfliktverhütung und der Stärkung der internationalen Sicherheit, ruft die EU als ihre Ziele aus. Das Spektrum, dem man sich bedient, um dieses Ziel zu erreichen, umfasst sowohl zivile als auch militärische Mittel. Derzeit laufen 22 Missionen. 13 sind dem zivilen Sektor zuzurechnen. Dem stehen neun militärische Missionen gegenüber. Damit die EU zivile oder militärische Kräfte entsenden kann, muss zunächst ein Hilfeersuch der Partnernation erfolgen. Darüber hinaus kann auch eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Anlass für eine Mission geben. Auch Drittstaaten können an EU-Missionen partizipieren. Damit ein Hilfeersuchen beantwortet werden kann, müssen alle Mitgliedsstaaten im Rat ihrer Zustimmung erteilen. Gelingt dies, untersteht die Mission während ihrer Durchführungsphase dem Politischen und Sicherheitspolitischem Komitee. Es übt die politische Kontrolle aus und legt die strategischen Ziele fest. Die Vergabe der Kommandostruktur gestaltet sich je nach Art der Mission unterschiedlich. Bei militärischen Operationen mit Exekutivmandat wird ein operatives Hauptquartier in der Regel von einem Mitgliedstaat gestellt. Beispielsweise die Operation Irini zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen ist dieser Kategorie zuzuordnen. Allerdings können alternativ NATO-Kommandostrukturen im Rahmen der Berlin-Plus-Vereinbarungen diese Funktion bedienen. Die militärischen Ausbildungsmissionen in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali, Somalia und Mosambik stehen unter einem Kommando mit Sitz in Brüssel – dem Militärische Planungs- und Durchführungsstab der EU (MPCC). Der MPCC zeichnet sich auch für die Führung der EUMAM UA verantwortlich. Alle zivilen Missionen unterstehen hingegen den Zivilen Planungs- und Durchführungsfähigkeiten (CPCC) des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD).


Verteidigung

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Behörden Spiegel / Januar 2024

PORTRAIT-REIHE: Was machen Sie denn da gerade – Hauptbootsmann Benny Schache?

Unsere Hautfarbe ist die Uniform (BS) Der Protokollfeldwebel des Wachbataillons erzählt Klaus Pokatzky, was nötig ist, wenn fremde Staatsgäste mit militä­ rischen Ehren begrüßt oder Trauerfeierlichkeiten begleitet werden: Grundfitness, Durchhal­ tevermögen, Ehrgeiz, Perfektion.

men jetzt nicht ins Finale. Ich war einfach nur bockig auf mich selber; weil ich es nicht geschafft hatte, meinen Körper unter Kontrolle zu haben.

„Wir sind stolz auf Dich!“ „An wie vielen Protokolleinsätzen ich in den letzten 16 Jahren teilgenommen habe, kann ich gar nicht so genau sagen: Waren es 3.000 oder 4.000?“

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s ist der 19. Juni 2013. US-Präsident Barack Obama wird von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen. Ich stehe vor Schloss Bellevue – und führe die beiden Ehrenposten des Wachbataillons mit ihren Karabinern an. Ins Wachbataillon kam ich 2008 als Wehrpflichtiger. Hier fand ich den Hang zum Perfektionismus wieder, den ich zuvor als Bauzeichner gelernt hatte. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich erst meinen Grundwehrdienst freiwillig auf 23 Monate verlängert, mich dann als Soldat auf Zeit für zwölf Jahre verpflichtet habe – und 2016 Berufssoldat wurde. An wie vielen Protokolleinsätzen ich in den letzten 16 Jahren teilgenommen habe, kann ich gar nicht so genau sagen: Waren es 3000 oder 4000?

Heftige Herausforderungen Heute bin ich der Protokollfeldwebel des Wachbataillons. Mein Protokolloffizier und ich kümmern uns um die zusätzliche ProtokollAusbildung unserer Soldaten, die noch einmal 45 Tage dauert: nach der Allgemeinen Grundausbildung und einer infanteristischen Spezialgrundausbildung. Und vor allem sind wir für die Planung und Durchführung der verschiedenen Einsätze verantwortlich. Das kann manchmal eine heftige Herausforderung sein. Mancher fremde Staatsgast sagt sich recht kurzfristig für seine

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ehörden Spiegel: Herr Generalleutnant Bodemann, Deutschland möchte wieder mehr Verantwortung für die Verteidigung Europas und in der NATO übernehmen, was bedeutet das konkret? Generalleutnant Bodemann: Deutschland kommt aufgrund seiner geographischen Lage eine besondere Bedeutung zu. Wir liegen im Herzen von Europa. Das ist auch geostrategisch bedeutend und geht mit Verantwortung einher. Die Bundesrepublik ist die Drehscheibe der NATO in Europa. Letztendlich geht es deshalb um die Sicherstellung der NATO-Verteidigungsplanung. Es liegt in unserer Verantwortung, dass ein geordneter und geregelter Aufmarsch der NATO-Truppen möglich ist. Denn sollte es zum Verteidigungsfall kommen, laufen die wesentlichen Aufmarschbewegungen durch beziehungsweise über Deutschland. Unsere wesentliche Leistung ist deshalb, die Aufmarschfähigkeit der Alliierten zum Zwecke der Abschreckung zu gewährleisten. Zusätzlich muss Deutschland Host-Nation-Support leisten. Wir versorgen und beherbergen gegebenenfalls die alliierten Kräfte in Deutschland auf ihrem Weg zu den östlichen Grenzen des Bündnisses. Betriebsstoffe, Wasser und Verpflegung etc. müssen bereitgestellt werden können. Behörden Spiegel: Kann die Bundeswehr diese verantwortungsvolle Aufgabe allein bewältigen?

Foto: BS/Wachbataillon

Besuche in Deutschland an und wird dann mit militärischen Ehren empfangen. Wir Soldaten und Soldatinnen des Wachbataillons gehören zum ersten, was er dann von unserem Lande sieht: mit dem Karabiner K98k in der Hand – als Symbol für unsere Wehrhaftigkeit. Aber natürlich ungeladen – als Zeichen unserer Friedfertigkeit. Und wenn wir die Trauerfeierlichkeiten für hochrangige Politiker begleiten, dann bleiben natürlich auch nur wenige Tage für die Vorbereitung. Wir brauchen Unterkünfte, wir brauchen Verpflegung, wir brauchen Zeit zum Vorüben. Als in Offenburg Wolfgang Schäuble beigesetzt wurde, haben wir Freitagmorgen von 06:00 bis 08:00 Uhr innerhalb der Kirche geübt; dann von 08:00 bis 09:30 Uhr vor der Kirche. Wie tragen wir den Sarg die Treppe herunter? Wie langsam müssen der Sarg, die Kränze und die Ordenskissen durch die Stadt zum Friedhof getragen werden – damit die Trauergäste ruhig hinter dem Sarg her schreiten können?

2017 gehörte ich zu den acht Protokollsoldaten, die den Sarg mit Altkanzler Helmut Kohl in das Europaparlament in Straßburg tragen durften. Auch dieser Einsatz bleibt natürlich ewig in meinem Kopf – wie die Ehrenformation für König Charles III. vor dem Brandenburger Tor oder der Große Zapfenstreich zum Abschied für Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Ehrgeiz gehört dazu Was muss ein guter Protokollsoldat mitbringen – und inzwischen natürlich auch eine gute Protokollsoldatin? Vor allem Grundfitness und Durchhaltevermögen: zwanzig, dreißig Minuten stehen können, ohne sich zu bewegen. Das wird ja niemandem in die Wiege gelegt. Und Ehrgeiz gehört dazu, die Perfektion zu erreichen: im Griff des Karabiners, in der Durchführung, im exakt gleichförmigen Marschieren. Das ist mir auch so gut wie immer gelungen. Nur zwei Mal nicht. Als frisch ausgebildeter Protokollsoldat durfte ich bei der Gedenkveranstal-

tung zum 20. Juli im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam einen Kranz tragen. Wir sollten dann alle, wie üblich, mit dem linken Fuß loslaufen. Ich stand rechts vom Kranz; dann gab es das Marschkommando und ich bin mit rechts losgelaufen. Und alle anderen haben mit links begonnen. Das war nicht so gut. Und später dann, als ich schon Unteroffizier war, bei einem Ehrenspalier auf dem Flughafen Tegel, verspätete sich der Staatsgast. Wir warteten also nicht die übliche Viertelstunde neben dem Roten Teppich vor dem Flugzeug, sondern eine dreiviertel Stunde bei minus fünf Grad. Ohne, dass wir uns bewegten – wie es sich für Protokollsoldaten gehört. Als der Gast kam, war ich beim Aufgreifen zu spät mit dem Karabiner, weil mein Arm eingeschlafen war. Und als ich dann später im Bus saß, habe ich mich nur über mich selber geärgert. Das ist wie beim Sport, wenn Du ein wichtiges Spiel verloren hast – als hätte ich einen Elfmeter verschossen und wir kom-

Führung aus einer Hand Zwischen nationalen und internationalen Aufgaben (BS) Generalleutnant André Bodemann ist seit dem 1. April 2023 Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Es ist für die Führung und Koordination aller Verteidigungsaufgaben der Bundeswehr und militärischen Marschbewegungen in Deutschland verantwortlich. Im Interview erläutert er, welche besondere Verantwortung Deutschland in Europa hat und warum die Bundeswehr diese nicht allein bewältigen kann. Die Fragen stellte Jonas Brandstetter. Generalleutnant Bodemann: Wir stehen im engen Zusammenwirken mit der NATO, insbesondere dem JSEC, und unseren Nachbarländern. US-Kräfte landen beispielsweise in den Niederlanden, gelangen von dort bis an die Grenze und wir unterstützen dann beim Transport und Marsch durch Deutschland bis zu den polnischen Kameradinnen und Kameraden. Darüber hinaus spielt auch die Zusammenarbeit mit zivilen Kräften eine bedeutende Rolle. Host Nation Support können wir nicht mit rein militärischen Kräften sicherstellen. Die Bundeswehr leistet ihren Beitrag zur Verteidigung vorn, die zivilen Kräfte müssen im rückwärtigen Raum unterstützen. Insbesondere bei der Logistik fehlen der Bundeswehr die Kapazitäten. Hier muss die zivile Seite unterstützen. Durch Vorhalteverträge beispielsweise mit der Deutschen Bahn werden wir das gewährleisten. Insgesamt ist die sogenannte „Drehscheibe Deutschland“ eine gesamtstaatliche Aufgabe, ebenso wie die Bewältigung der anderen Aufgaben zur Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt die Kritische Infrastruktur? Ist

Schutz Kritischer Infrastruktur hingegen zeichnen sich in Bund und Ländern die Polizei und die Betreiber selbst verantwortlich. Behörden Spiegel: Wie kann die Bundeswehr unterscheiden, wann Infrastruktur der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen ist?

„Wir stehen im engen Zusammenwirken mit der NATO“, sagt der Kommandeur des Territorialen Führungskommandos, Gene­ ralleutnant André Bodemann. Foto: BS/Bundeswehr/Anne Weinrich

es Aufgabe der Bundeswehr, sie zu schützen? Generalleutnant Bodemann: Wir unterscheiden zwischen Kritischer und Verteidigungswichtiger Infrastruktur. Die sogenannte Verteidigungswichtige Infrastruktur ist eine Teilmenge der Kritischen Infrastruktur. Dies sind zum Beispiel militärische Einrichtungen, aber auch Häfen oder andere logistische Einrichtungen. Sie zu schützen ist Aufgabe der Bundeswehr. Für den

Generalleutnant Bodemann: Mit dem Operationsplan Deutschland erstellen wir derzeit einen am Ende ausführbaren Plan, der die militärischen, aber auch zivilen beziehungsweise zivil-militärischen Bedarfe und Beiträge zur Gesamtverteidigung sowie zur Sicherstellung der NATO-Verteidigungsplanungen in Deutschland herausarbeitet. Dabei gilt es unter anderem auch zu identifizieren, welche Kritische Infrastruktur es in Deutschland überhaupt gibt. Die Länder sind hier entscheidend. Sie identifizieren mit uns gemeinsam, was zu schützen ist. An diesem Beispiel wird deutlich, wie bedeutend gemeinsame Lagebilder sind. Ein komplettes operatives Lagebild Deutschland zu generieren, ist deshalb eines meiner Kernanliegen. Die Lagebilder der Dimensionsverantwortlichen müssen durch die Lage-

Aber ansonsten konnte meine Familie, wenn sie mich bei den Einsätzen im Fernsehen beobachten konnte, schnell bei WhatsApp schreiben: „Wir sind stolz auf Dich!“ Ich bin 1986 in Meerane bei Zwickau geboren – mit einer deutschen Mutter und einem Vater aus Mosambik, der als Gastarbeiter nach Sachsen gekommen war. Gerade in einer Kleinstadt gibt es nicht so viele Schwarze; da hat man es immer ein bisschen schwerer. In der Bundeswehr interessierte dann nicht, wie ich aussehe – sondern, was ich lerne und was ich leiste. Am Ende hat immer die Uniform gezählt: Unsere Hautfarbe ist schließlich die Uniform. Aber natürlich war ich dann megastolz, dass ich der erste schwarze Ehrenpostenführer im Wachbataillon wurde. Und wenn vor knapp zehn Jahren der griechische Ministerpräsident wegen der Finanzkrise damals öfter in Deutschland war, und mich innerhalb von drei Monaten sechs oder sieben Mal als Ehrenpostenführer vor dem Bundeskanzleramt sah, dann erkannte er mich schon wieder und grinste. So etwas ist natürlich ein cooler Moment: Der nimmt Dich wahr und der schätzt Dich wert. Das Bild mit Barack Obama hängt immer noch bei meinen Eltern im Wohnzimmer. Und bei mir im Dienstzimmer: Der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten wird vom ersten schwarzen Ehrenpostenführer des Wachbataillons willkommen geheißen.

bilder der zivilen Seite auf der Ebene Bund, Länder und Kommunen sowie durch Polizei, Feuerwehren etc. ergänzt werden. Die Landeskommandos sind die ideale Schnittstelle für diese Aufgabe. Es muss jederzeit einen offenen Kommunikationskanal zwischen der Bundeswehr und den zivilen Ansprechpartnern geben. Behörden Spiegel: Im Rahmen der deutschen Verantwortung in der NATO und angesichts hybrider Bedrohungen scheint die Grenze zwischen nationalen und internationalen Aufgaben zu verschwinden. Ist die Trennung zwischen Territorialem Führungs- und Einsatzführungskommando noch angemessen? Generalleutnant Bodemann: Die Trennung von Verantwortung für die Streitkräfte im Inland und Ausland hat ihre Feinheiten, aber es ist die Struktur, mit der wir arbeiten. Dazu habe ich mich mit dem Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam hinreichend und einvernehmlich abgestimmt. Wir haben eine klare Zuständigkeit und führen zum ersten Mal in territorialen Angelegenheiten in Deutschland aus einer Hand. Das Territoriale Führungskommando zeichnet sich dabei für alle Dimensionen in Deutschland verantwortlich. Dafür brauchen wir ein zentrales Lagebild. Diese Verantwortung endet, wenn wir die Führung der Kräfte an das Einsatzführungskommando übergeben.


Behörden Spiegel / Januar 2024

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in Vater der Idee vom Ende der Geschichte ist Hegels Weltgeist: Die Stelle des Staates und des fortschreitenden Freiheitsbewusstseins nimmt bei Fukuyama die weltweite Geltung der freiheitlichen politischen und wirtschaftlichen Ordnung ein, des liberalen demokratischen Kapitalismus, dessen Vorherrschaft weder Nationalismen noch religiöse Radikalismen oder offene Fragen erschüttern. Dagegen artikulierte Samuel Huntington in einem Aufsatz von 1993 und in einem Buch zwar die Gegenthese, der zufolge westliche Werte weltweit nicht geteilt, sondern bekämpft würden, ein Kampf der Kulturen bevorstehe und die Zeit westlicher Dominanz vorbei sei. Doch im öffentlichen Diskurs des Westens vorherrschend wurde Fukuyamas Zutrauen in die Pax Americana und die Herrschaft westlicher Lebensformen. Wirtschaftliche Globalisierung, die Demokratisierung großer Teile Mittel- und Osteuropas und die Prosperität der Jahrtausendwende zeigten Marktwirtschaft und Demokratie auf dem Vormarsch und kriegerische Konflikte auf dem Rückzug. Man wähnte sich im Westen als historischer Sieger. Fukuyamas These brachte dieses nach 1990 verbreitete Gefühl der Selbstgewissheit und Selbstgefälligkeit zum Ausdruck. Barack Obama höhnte 2014, Russland sei nur eine „Regionalmacht“. Demokratie und Rechtsstaat schienen Exportartikel, Elektrizität stand auch ohne Kernenergie zur Verfügung, Arbeitslosigkeit drohte kaum, Krieg gab es in Europa scheinbar nicht, nur humanitäre Interventionen.

Europa kreist um sich selbst Man genoss daher die „Friedensdividende“ und konzentrierte sich auf sich selbst. „Selbstoptimierung“ und „Achtsamkeit“ wurden Slogans einer Haltung, der es weniger um die Welt als um das Eigene geht, von Gesundheit bis zur Erschließung immer weiterer Gruppen unerlöster Minderheiten. Wer zu die-

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as für die Streitkräfte nutzbare physikalische Funkfrequenzspektrum ist eine begrenzte natürliche Ressource. Sie kann nicht beliebig vergrößert werden und ist daher möglichst effizient zu nutzen. Zunehmend stehen militärische Belange der Bedarfe an Funkspektrum in direkter Konkurrenz zu wirtschaftlichen Interessen. Seit Ende des Kalten Krieges wurden darüber hinaus die zur militärischen Nutzung ausgewiesenen Frequenzbereiche zugunsten ziviler Anwendungen, vor allem für den öffentlichen Mobilfunk, erheblich reduziert. Der NATO-Generalsekretär warnte bereits 2019 die Mitgliedsstaaten vor dem damit einhergehenden Fähigkeitsverlust („Erosion of military spectrum“). Die bisherige militärische Funkfrequenznutzung umfasst eine Vielzahl von wichtigen Funkdiensten für die Streitkräfte wie Flugfunk, Ortungsfunkdienste, Navigation, allgemeinen Funkdienst usw. sowie natürlich für den Mobilfunk für Behörden- und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Die bestehenden Kommunikationssysteme beschränken sich weitestgehend auf den Sprechfunk. Die derzeit zugeteilten Frequenzen decken den Bedarf an Spektrum für eine zeitgemäße breitbandige Kommunikation jedoch in keiner Weise. Aufgrund der physikalisch vorteilhaften Ausbreitungsbedingungen und der besonderen Anforderungen an die breitbandige Kommunikation der Sicherheitskräfte, die im Eventualfall auch ohne jegliche feste In-

Verteidigung / Wehrtechnik

Zeitenwende und Ende der Geschichte Die Realität hat den ideologischen Posthistorismus eingeholt (BS/Prof. Dr. Burkhard Meißner*) Vor dreißig Jahren verkündete der Politologe Francis Fukuyama das Ende der Geschichte. Demokratie und Marktwirtschaft hätten sich durchgesetzt. Nicht mehr der Kampf gegensätzlicher Systeme bestimme den Weltlauf, sondern dauernder Frieden und die Vorherrschaft des Liberalismus, der Kulturen, Religionen und Wertordnungen harmonisieren und integrieren werde. Die Folgen dieser Fehleinschätzung werden in der Ukraine deutlich.

Der Sieg der liberalen Weltordnung und das Ende der Geschichte nach 1989 rücken in den ostukrainischen Stellungssystemen in weite Foto: BS/Lea Bacherle, Bundeswehr Ferne. Zu sehen sind ukrainische Soldaten bei der Ausbildung in Deutschland.

sen gehöre, welche Sonderzeichen geeignet seien, weltanschauliche Besonderheiten identitätsschonend mitzuteilen, welche kolonialen Verletzungen vergangener Personen oder gegenwärtiger Gefühle man als Schuld und Schulden auf sich geladen hat – das wurde, im Gegensatz zur Funktionsfähigkeit der westlichen Institutionen selbst, intensiv debattiert. Es galt nicht Risiken zu nutzen, sondern zu vermeiden: Vorschriften, Gesetze und Gerichte wurden bevorzugte Instanzen der Sicherheitsvermittlung. Die Blaulichtinfrastrukturen dagegen vernachlässigte man, denn man sah sich von Freunden umgeben. Frieden, Freiheit, Demokratie, Fortschritt schienen dauerhaft garantiert. Das alles aber kostete Zeit und Geld, doch am Ende der Geschichte konnte man viel Zeit und Geld erwarten. Man sah sich nicht bedroht,

konsumierte viel und investierte zurückhaltend. Transportflugzeuge, Bahnhöfe, Windparks, Konzerthäuser, Eisenbahnlinien, Flughäfen wurden verspätet fertig, überteuert und selten funktionsgerecht. Wichtiger schien, einen Freiheits-, Friedens-, Demokratie-, Umwelt-, Gleichstellungs- oder Fortschrittsmehrwert zu erzielen, nicht gegen die alle Eventualitäten berücksichtigenden Normen zu verstoßen und Streit zu vermeiden. Man verfolgte daher selbst abwegigste Rechtsfragen, verhandelte unbedeutendste Probleme und nahm Rücksicht auf die Befindlichkeiten kleinster Minoritäten. Minderheiten, Extreme, Ausnahmen und Kleinigkeiten wurden übermäßig wichtig. Man hatte Zeit: Es kam zur Entschleunigung bei Vorsorge, Sicherheit und Investitionen. Seit 2008 machte die Nullzinspolitik der Notenbanken

aus der Zeit ein billiges Gut. Die Ideologie der unendlichen Zeit erschütterten weder Investitionsstaus noch der Angriff Russlands auf die Ukraine 2014. Während Osteuropaexperten vor den imperialistischen und totalitären Entwicklungen Russlands warnten, schloss man das Nord­stream-II-Abkommen. Der öffentliche Diskurs und die Wahrnehmung der Wirklichkeit ignorierten dabei wesentliche Aspekte der Wirklichkeit wie den politischen Islam, den Expansionismus Chinas und die Imperialkriege Russlands. Vorgesorgt wurde dagegen kaum.

Revolutionär ist nur die Rhetorik Seit 2022 ist es mit dem ideologischen Posthistorismus vorbei. Der Bundeskanzler verkündete am 27. Februar 2022 eine „Zeitenwende“. In Mittelalter und früher Neuzeit hieß Zeitenwende „Revolution“, die

Frequenzverfügbarkeit ist Treibstoff der Digitalisierung Die Möglichkeiten der drahtlosen Vernetzung bestimmen unser Leben (BS/Lars Eibinger*) Die Streitkräfte bedürfen zunehmend der drahtlosen Information und Kommunikation, um ihren vielfältigen Aufgaben unter den veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Daher sind verfügbare Frequenzen Voraussetzung für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung. frastruktur auskommen müssen, sind ergänzende Frequenzen im sogenannten unteren UHF-Bereich unabdingbar. Genau wie eine Weiterentwicklung des Mobilfunkstandards samt Datenraten im zivilen Bereich ist dies auch in der Kommunikation der Sicherheitskräfte nur mit geeignetem Zugang zum vorhandenen Frequenzspektrum möglich. Mit der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung und der stärkeren Beachtung hybrider Bedrohungen stehen militärisch nutzbare Frequenzen in Deutschland im sicherheitspolitischen Blickpunkt. Durch die „Zeitenwende“ hat sich die geopolitische Situation auch mit Blick auf nutzbare Frequenzen weiter verschärft. Der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und des nordatlantischen Bündnisses kommt eine außerordentliche geopolitische Bedeutung zu. Ein zusätzlich gesteigerter Bedarf an Frequenzen ergibt sich zum einen aus der besonderen zentralen geografischen Lage der „Drehscheibe Deutschland“ in Europa für den Funkbetrieb von Gaststreitkräften. Zum anderen besteht die Notwendigkeit für eine Flexibilisierung der militärischen Frequenznutzung für

eine schnelle Reaktionszeit in Krisensituationen. Nachdem die Bundeswehr trotz der bekannten Problematik bei den Vergaben der 700- und 450-MHz-Frequenzen im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern kaum berücksichtigt wurde, besteht für die zunehmende Digitalisierung der Streitkräfte nunmehr ein eklatanter Mangel an militärisch nutzbarem Funkfrequenzspektrum im unteren UHF-Bereich. Ohne eine neue Zuteilung von Frequenzen sind nicht kompensierbare, negative Auswirkungen auf die Führungsfähigkeit und mithin auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr absehbar. Dabei hat die Bundesregierung sich in ihrem Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ausdrücklich zur Erlangung einer digitalen Souveränität und Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen ausgesprochen und hat damit die Absicht, die Abhängigkeit von ausländischen Informationstechnologien zu reduzieren. Die digitale Souveränität ist für die Streitkräfte nicht weniger als das Vorliegen der erforderlichen Kontroll- und Handlungsfähigkeiten im Cyber- und Informationsraum, um den verfassungsgemäßen Auftrag

der Bundeswehr ausüben zu können. Ein Handlungsfeld zur Erlangung der digitalen Souveränität der deutschen Streit- sowie Sicherheitskräfte ist die Ausplanung und Umsetzung eines Kernführungsnetzes.

Gemeinsames Frequenzband für Sicherheit und Rundfunk Um dem akuten Frequenzbedarf der Bw zu begegnen, ist eine Mitnutzung im Frequenzband 470– 694 MHz mittlerweile alternativlos. Dieses Band steht bisher fast ausschließlich dem terrestrischen Fernsehrundfunk für DVB-T2 zur Verfügung. Eine durch die Bundesnetzagentur beauftragte unabhängige Studie der Firma Goldmedia untersuchte die perspektivische Nutzung des UHF Bandes. Die Studie gab für die Nutzung der terrestrischen Rundfunkverbreitung mit DVB-T2 eine sinkende Nutzeranzahl an. Hieraus wird abgeleitet, dass der Frequenzbedarf in den nächsten Jahren weiter abnimmt. Die Nutzung des Bands 470- 694 MHz unterliegt zur Zeit einer internationalen Neubewertung. Deutschland spricht sich hierbei für eine gleichberechtige Öffnung des bisher international harmonisierten Rundfunkbands für den allgemeinen Mobilfunk aus. Unter dem allgemeinen

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aber nicht erarbeitet oder erkämpft wird, sondern sich regelmäßig ereignet wie der Umlauf der Gestirne. Zeitenwenden passieren immer; wer von „Zeitenwende“ redet, will diese nicht herbeiführen oder gestalten, sondern abwarten wie die deutsche Regierung – trotz deren revolutionär anmutender Rhetorik. Wie es trotz der Endzeitideologie Krieg, Konflikt und Wandel gab, so gibt es trotz der Zeitenwende Beharrung und Erstarrung. Wer Zeit und Wirklichkeit aus dem Auge verloren hat, den entschuldigt das Sprechen von der „Zeitenwende“ mit der Behauptung, Zeit und Wirklichkeit hätten sich plötzlich verändert. Entscheidendes aber hat sich nicht verändert: Russland intensivierte einen seit acht Jahren geführten Imperialkrieg in seit 2021 absehbarer Weise und Deutschlands seit 2002 rituell wiederholte Investitionsversprechen (Zwei Prozent) werden weiter nur wiederholt. Immer verbinden sich in der Wirklichkeit des Historikers Kontinuität und Diskontinuität. Paradox wäre gewesen, wenn 1989 tatsächlich die Geschichte aufgehört und die Demokratie gesiegt hätte. Noch überraschender wäre es, wenn sich die Welt im Februar 2022 grundsätzlich verändert hätte. „Zeitenwende“ hat eine ähnlich ideologische Funktion wie die Rede vom Ende der Geschichte und die Überzeugung, wir hätten daher sehr viel Zeit. Man sollte wünschen, dass das Reden von der „Zeitenwende“ 2024 viele seiner ideologischen Verzerrungen verliert und praktische Folgen zeigt: Dadurch, dass marode Strukturen erneuert werden, wir schneller agieren, vor allem aber die Ukraine endlich schnell und in genügender Zahl wirksame Waffen erhält, damit sie sich selbst und die Freiheit des Westens wirksamer verteidigen kann. *Professor Dr. Burkhard Meißner ist Inhaber des Lehrstuhls für alte Geschichte an der Helmut-SchmidtUniversität Hamburg.

Mobilfunk sind die dringend nötigen Breitbandanwendungen der Bundeswehr regulatorisch leicht umsetzbar. Sollte sich Deutschland auf der internationalen Bühne nicht durchsetzen, muss die Mitnutzung des Bandes durch die Bundeswehr dennoch im Rahmen der nationalen Entscheidungen erfolgen. Die sicherheitspolitische Lage lässt ein erneutes Vertrösten der Mangelbehebung für die Streitkräfte schlicht nicht zu. Ein erheblicher Teil des Frequenzbands ist bereits heute mit den bestehenden Systemen der Sicherheitskräfte nutzbar und könnte bei Zuteilung unmittelbar für die notwendige mobile Kommunikation genutzt werden. Andernfalls sind aufwendige und damit teure Sonderlösungen für die Frequenznutzung der Streitkräfte notwendig. Das Frequenzband 470–694 MHz bietet genügend Ressourcen, um die bisher vernachlässigte Ausstattung der Sicherheitsbehörden mit Frequenzspektrum zur breitbandigen Kommunikation abzudecken. Dies ist mit lediglich marginalen und lokal begrenzten Einschränkungen beim DVB-T2-Empfang umsetzbar. In diesem Sinne besteht durch Öffnung des UHF-Bands nunmehr die Möglichkeit der „Zeitenwende“ in der Digitalpolitik Rechnung zu tragen. *Oberst im Gerneralstabsdienst Lars Eibinger befasst sich in der Abteilung Cyber/Informationstechnik (CIT) im Verteidigungsministerium unter anderem mit Kommunikation.


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Behörden Spiegel / Januar 2024

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ldefeld ist für ihre Arbeit in ganz Deutschland unterwegs. Die Mittfünfzigerin prüft Kontrollstellen im Ökolandbau. Solche Kontrollstellen überprüfen die Einhaltung der EU-Öko-Verordnung (EU) 2018/848 in Bio-Betrieben. Zu ihren Aufgaben gehört es, die Betriebe vor Ort zu begutachten und anschließend zu zertifizieren. Die deutschlandweit 19 Kontrollstellen arbeiten unabhängig, werden aber in regelmäßigen Abständen von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS), den zuständigen Landesbehörden und der BLE kontrolliert. Diesmal führt es die SchleswigHolsteinerin für ihren Prüfbesuch nach Bayern. Das sogenannte Office-Audit – eine stichprobenartige Kontrolle der Unterlagen im Büro der Öko-Kontrollstelle – hat sie in den Tagen zuvor bereits abgeschlossen. Nun folgt ein Witness-Audit, bei dem sie einen Kontrolleur der ÖkoP Zertifizierungs GmbH zur routinemäßigen Jahreskontrolle eines Bio-Hofs begleitet und dessen Arbeit überprüft. Aldefeld ist an diesem Tag als Fachbegutachterin im Auftrag der DAkkS unterwegs. Zunächst gehen ÖkoP-Kontrolleur und Hofbesitzer gemeinsam einige Daten zum Betrieb durch. Sie dokumentieren Geschäftsbeziehungen, Änderungen am Lageplan, Vorsorgemaßnahmen, Ein- und Verkäufe und einiges mehr. Aldefeld mustert die Situation. Sie war selbst 15 Jahre lang Mitarbeiterin eines Prüfinstituts, bevor sie zur BLE wechselte. Das macht es ihr leicht, sich in die zu prüfenden Kontrolleure hineinzuversetzten.

Doppelt geprüft „Es sind sehr gute Fachleute, die da in den Kontrollstellen sitzen“, so Aldefeld. Eine zielführende Zusammenarbeit von Behörden und privaten Kontrollstellen sowie ein regelmäßiger Abgleich seien wichtig, erläutert sie. Laut den EU-Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau können die Mitgliedsstaaten entscheiden, ob sie das Kontrollverfahren ausschließlich durch staatliche Stellen oder – wie in Deutschland – durch ein staatlich überwachtes privates System durchführen. Für den heutigen Prüfling, Sebastian Schönhammer, ist es das erste Mal, dass eine Mitarbeiterin der BLE seine Arbeit begutachtet. Nachdem die wichtigsten Details besprochen sind, geht es raus zu den Tieren. Auf dem Hof von Familie Färber haben einige Dutzend Legehennen ein Zuhause. Damit ihre Eier als Bio-Eier verkauft werden und das EU-Bio-Logo tragen dürfen, müssen Haltung und Futter strenge Auflagen erfüllen. Der Kontrolleur der Ökoprüfstelle muss sich vor Ort davon überzeugen, dass diese Regeln eingehalten werden. Hofbesitzer Josef Färber und sein Sohn Martin führen ihren Besuch zum Freilaufgehege. Schnell findet sich die Gruppe inmitten von scharrenden und pickenden Hühnern

Aus Liebe zur Natur Auf Kontrollbesuch in Bayern (BS/Ann Kathrin Herweg) Sie beobachtet, lauscht den Gesprächen und hin und wieder macht sie eine kleine Notiz in ihre Unterlagen. Uta Aldefeld ist Diplom-Agraringenieurin und arbeitet seit 2021 im Außendienst der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Ihre Aufgabe: die Kontrolle der Kontrolle.

wieder. Schönhammer macht sich ein Bild von den Haltungsbedingungen und dem Zustand der Tiere und auch Aldefeld schaut sich um. Beim anschließenden Rundgang über den Hof werden u. a. Futtermittelbestände gesichtet. Natürlich lässt Aldefeld es sich nicht nehmen, selbst einige Körner in die Hand zu nehmen. Anschließend fährt man gemeinsam zu verschiedenen Feldern, die die Familie Färber bewirtschaftet, verschafft sich einen Überblick über die Flächen und spricht über die unterschiedlichen landwirtschaftlichen Kulturen, die dort angebaut werden. Zurück auf dem Hof geht es an die Details. Schönhammer lässt sich die Unterlagen aus dem aktuellen Geschäftsjahr zeigen. Aldefeld sitzt mit am Küchentisch der Familie und beobachtet weiterhin aufmerksam das Geschehen. Zu guter Letzt, wenn die Betriebsprüfung zu Ende ist, wird es für den geprüften Kontrolleur noch einmal spannend. Nun gibt es Feedback: Was lief gut und worauf muss in Zukunft genauer geachtet werden? Darüber sprechen Kontrolleur und Fachbegutachterin unter vier Augen. Am Ende des Tages ist klar: Schönhammer hat seinen ersten Kontrollbesuch erfolgreich gemeistert.

Auf Achse Aldefeld bleibt noch für eine Nacht in der Stadt, schließlich wird der Heimweg nach Schleswig-Holstein einige Stunden dauern. Die Reisen und die langen Fahrten seien eine Herausforderung, sagt sie. Doch es ermögliche ihr auch, viele verschiedenen Regionen und Unternehmen in Deutschland kennenzulernen. „Ich würde gern in einem Chor singen, aber das ist schwierig, wenn man nicht regelmäßig zu den Pro-

ben gehen kann“, erklärt Aldefeld. Im Schnitt ist sie für ihren Beruf abwechselnd eine Woche zu Hause und eine Woche unterwegs. Auch privat reist sie gern, vor allem zum Wandern. Einer ihrer letzten Urlaube verschlug sie auf einen Bio-Hof in Österreich. „Wir haben sogar an einer Hofführung teilgenommen“, erinnert sie sich. „Ich schaue dann schon genauer hin“, gibt Aldefeld zu. Man müsse seien Beruf in solchen Momenten ausschalten, ganz funktioniere das allerdings nicht. Gleiches gelte für den Lebensmitteleinkauf. „Ich achte ganz automatisch auf die Kennzeichnungen“, so die Mutter von zwei erwachsenen Kindern: „Berufskrankheit“.

Es sind sehr gute Fachleute, die da in den Kontrollstellen sitzen.“

Aldefeld gehört zur Außenstelle der BLE in Hamburg. Ein eigenes Büro hat sie dort nicht. Stattdessen arbeitet sie von zu Hause aus. Ab sieben Uhr sitzt sie am Schreibtisch. Zunächst telefoniert die Diplom-Agraringenieurin mit den Kolleginnen und Kollegen in Hamburg, bespricht, was an diesem Tag zu tun ist. Dann widmet sich ihren Aufgaben. Wie sie ihren Arbeitstag gestaltet, kann sie sich einteilen. Gründlich plant Aldefeld die nächsten Außentermine und lässt sich schon vorab Unterlagen aus den Kontrollstellen zukommen, um diese durchzuarbeiten. Im Anschluss an die Witness- und Office-Audits erstellt sie Berichte. Auch der fachliche und persönliche Austausch mit anderen Begutachterkolleginnen und -kollegen darf nicht fehlen.

Der Weg in die Landwirtschaft

Auf dem Feld: Zur Betriebsprüfung gehört auch die Sichtung der Außenanlagen. NaturFotos: BS/Herweg liebhaberin Aldefeld ist hier ganz in ihrem Element.

Geboren wurde die BLE-Mitarbeiterin in Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist selbst nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, die Liebe zur Natur begleitet sie dennoch schon ihr Leben lang. Aldefeld hielt sich bereits als Kind viel draußen auf, Biologie war ihr Lieblingsschulfach. Später machte sie ein Praktikum in einer Gärtnerei. Nach dem Abitur hätte Aldefeld gerne Biologie oder Gartenbau studiert. Doch die Regulierung von Studienplätzen in der DDR machte der jungen Frau einen Strich durch die Rechnung. Ihr Va-

ter – selbst erst Gartenbauingenieur und später Biologielehrer – gab den entscheidenden Rat. Er empfahl einen Studiengang im landwirtschaftlichen Bereich. Die Wahl fiel auf Agrarchemie und Pflanzenschutz. Voraussetzung für das Studium war eine landwirtschaftliche Ausbildung. Hier lernte Aldefeld den Beruf der Landwirtin hautnah kennen, lernte u. a. Trecker, Lkw und Mähdrescher zu fahren sowie Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide anzubauen. Die auf ein Jahr verkürzte Lehre war hart, doch Aldefeld profitiert noch heute davon. „Das meiste lernt man in der Paxis“, sagt sie. Im Studium befasste sie sich mit Pflanzenkrankheiten, Schädlingen und der Ernährung der Kulturpflanzen. Nach erfolgreichem Abschluss wollte die Agraringenieurin für Agrarchemie und Pflanzenschutz eine Stelle als Verantwortliche für Pflanzenschutz und Düngung in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) in Mecklenburg antreten. Doch es kam anders, mit der Wende verschwanden die LPGs. Aldefeld entschied sich für ein weiteres Studium – diesmal mit Schwerpunkt in der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaftslehre – und machte ihren Abschluss als Diplom-Agraringenieurin. Damit, dass sie jetzt im Ökolandbau gelandet sei, schließe sich der Kreis, findet die Begutachterin. „Das passt zu meiner Liebe zur Natur.“

Von der Geprüften zur Prüferin Bevor Aldefeld die Stelle bei der BLE angenommen hat, war sie zuerst drei Jahre in der landwirtschaftlichen Beratung in Mecklenburg-Vorpommern tätig. Sie gründete eine Familie und arbeitete anschließend als Auditorin bei einer Zertifizierungsstelle in SchleswigHolstein. Hier kontrollierte sie zunächst vorwiegend konventionelle, später auch ökologische Betriebe. Zuletzt war sie einige Jahre Leiterin der Zertifizierungsstelle. Dann kam in Aldefeld der Wunsch auf, noch mal etwas Neues zu machen. Sie stieß auf eine ausgeschriebene Außendienststelle für den Bereich Biomasse-Kontrolle bei der BLE und bewarb sich, wurde in diesem Bereich eingearbeitet und nach einem Jahr kam der Bereich Ökologischer Landbau hinzu, in dem sie jetzt überwiegend tätig ist. Früher war Aldefeld überwiegend im Norden unterwegs. Dass sie nun für die BLE und die DAkkS Kontrollstellen im ganzen Land besu-

chen darf, freut die Begutachterin. „Es erweitert den Blickwinkel.“ Ihr gefällt es, bei ihren Kontrollen ganz unterschiedliche Unternehmen anzutreffen. Besonders Familienbetriebe, die mit viel Leidenschaft geführt werden und kreative Ideen entwickeln, haben es ihr angetan. „Es ist interessant, zu sehen, wie die Leute mit den Kontrollen umgehen, man kann viel über die Menschen lernen“, erklärt sie. „Manche sind ganz entspannt, andere wollen alles ganz genau wissen.“ Neben den landwirtschaftlichen Unternehmen müssen auch Verarbeiter und Handelsunternehmen kontrolliert werden. Ob Bäckerei, Weinbau oder eine Mittelwandmanufaktur, in der aus Wachs Mittelwände für Bienenstöcke hergestellt werden – Aldefeld lernt bei ihrer Arbeit immer wieder neue Bereiche des Ökolandbaus kennen. Ein besonderer Moment war für die Auditorin ihr erster Besuch bei einem Imker. Sie hatte einen Schutzanzug dabei, doch der Imker versicherte, seine Bienen seien ganz friedlich. Also wagte sich Aldefeld ohne Schutzkleidung zu den kleinen Tierchen. Was zunächst etwas Überwindung kostete, wurde zu einem schönen Erlebnis. Auch solche kleinen Ängste zu überwinden sowie sich in neue Situationen reinzudenken und darauf einzulassen, gehört zu ihrem Beruf.

Außenstellen der BLE Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) hat Außenstellen in Hamburg, Weimar und München. Dort arbeiten insgesamt etwa 125 Mitarbeitende. 100 davon sind im Außendienst tätig. Ihre Hauptaufgabe ist die Prüfung oder Dokumentenbegutachtung von Unternehmen vor Ort. Dabei wird unterschieden zwischen Aufgaben mit „Bezug zur Ware“ und solchen mit „Bezug zur Buch- und Dokumentenprüfung“. Derzeit vollzieht sich ein Generationenwechsel unter den Außendienstmitarbeitenden. Das Durchschnittsalter liegt aktuell bei 45 bis 50 Jahren. In den vergangenen drei Jahren konnten viele junge Mitarbeitende hinzugewonnen werden, die in der Einarbeitung durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen begleitet werden. Auch für Mitarbeitende mit langjähriger beruflicher Erfahrung in einschlägigen Bereichen ist die Arbeit im Außendienst der BLE eine Möglichkeit, sich beruflich zu verändern.


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