Behörden Spiegel Juni 2017

Page 1

Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. VI / 33. Jg / 23. Woche

Berlin und Bonn / Juni 2017

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Wer sich wohlfühlt, leistet gute Arbeit

Überall 30-Zonen wären falsch

“Die Arbeit ändert sich ständig”

Staatssekretärin Dr. Bernadette Weyland

Siegfried Brockmann plädiert für Rücksicht und

Oberstaatsanwalt Andreas May jagt

zum BGM in Hessen ............................... Seite 13

Überblick statt starrer Regeln ................ Seite 16

Cyber-Kriminelle .................................... Seite 56

Neuer Richterwahlausschuss

(BS/jf) Niedersachsen beabsichtigt, die demokratische Legitimation der Justiz zu stärken. Dazu soll ein neuer Wahlausschuss eingerichtet werden, der bei der Besetzung von herausgehobenen Ämtern ab der Besoldungsgruppe R 3 mitentscheidet. Das neue Gremium wird laut Gesetzentwurf aus sechs Abgeordneten des Landtages, vier Vertretern der Richter- und Staatsanwaltschaft und einem Vertreter der Rechtsanwaltschaft bestehen. “Mit der Beteiligung des Wahlausschusses sind Personalentscheidungen in der Justiz künftig noch stärker demokratisch legitimiert als bisher”, sagte Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz. Zudem würden Stellenbesetzungsverfahren deutlich transparenter.

Alle Einnahmen für die Feuerwehr (BS/mfe) In Baden-Württemberg wird das gesamte Aufkommen der Feuerschutzsteuer den Feuerwehren zur Verfügung gestellt. Sie erhalten in diesem Haushaltsjahr mehr als 50 Millionen Euro. Rund 80 Prozent davon fließen in neue Fahrzeuge und die Instandsetzung von Gerätehäusern. Hinzu kommen 10,6 Millionen Euro, die die Gemeinden als pauschale Unterstützung für die Ausstattung und Ausbildung der Feuerwehrangehörigen sowie für kleinere Beschaffungsvorhaben bekommen. Im Vergleich zu 2016 erhalten die Wehren im Ländle damit etwa zehn Millionen Euro mehr. Innenminister Thomas Strobl sagte zu den Zuweisungen: “Das große Antragsvolumen macht deutlich, dass die Gemeinden sehr viel für die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, für den Brandschutz, die Technische Rettung und die Hilfeleistung tun.”

Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken (BS/jf) Der Deutsche Landkreistag (DLT) fordert von der Bundesregierung, die koordinierende Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) zu stärken. Dazu soll das von den Gesundheitsämtern zu vollziehende Bundesrecht einer systematischen Aufgabenkritik – insbesondere bezogen auf EUVorgaben – unterzogen werden. Viele der übertragenden Aufgaben scheinen aus Sicht des Kommunalverbandes nicht zwingend erforderlich zu sein. Außerdem müsse im SGB V sichergestellt werden, dass der ÖGD der Landkreise bei kommunalen Zusammenhängen und kassenübergreifenden Leistungen mit der regionalen Koordination von Maßnahmen betraut werde. Die Forderung ist eine von insgesamt 25, die der DLT für die nächste Legislatur im Bund aufgestellt hat.

Zu enge Maschen Mutationen des Terrorismus – keine Antworten? (BS/R. Uwe Proll) Die deutschen Sicherheitsbehörden rüsteten sich Ende der 70er-Jahre im Kampf gegen den Terrorismus mächtig auf, fünfstelliger Personalzuwachs, neue Großdateien und Suchmethoden, veränderte Gesetze. Das heutige Gesicht des Terrorismus stellt Behörden jedoch vor fast unlösbare Aufgaben. Neue Formen der Zusammenarbeit sind unabdingbar. Seinerzeit verstand man unter Terrorismus meißt linksextreme Organisationen wie die Rote Armee Fraktion (RAF). Andernorts die Roten Brigaden, die IRA oder die ETA. Diese strukturierten terroristischen Organisationen wurden von mächtigen Sicherheitsapparaten in ganz Europa niedergerungen. Allein in Deutschland hatten sich 13 originär mit Anti-Terror-Aufgaben beauftragte, insgesamt sicherlich 50 Behörden, zu jener Zeit und basierend auf diesen Erfahrungen auf den Kampf gegen Terrorismus organisiert. Dabei spielte vielfach die Geldbeschaffung der Terrororganisationen eine große Rolle bei ihrer Enttarnung. Internationale Abkommen verpflichteten die Unterzeichnerstaaten zur Verhinderung zur Zahlung von Lösegeld bei Entführungen. Ihr eigener hoher Organisationsgrad wurde ihnen zum Verhängnis. Mit der Hamburger Atta-Zelle wuchs ein neues Phänomen, das die Sicherheitsbehörden erneut forderte, doch auch hier war es letztlich der hohe Organisationsgrad von Al-Qaida, der die Organisation im internationalen Anti-Terror-Kampf vernichten ließ, bis letztlich zur Tötung ihres Anführers Osama bin Laden. Jetzt hat sich das Gesicht des Terrorismus gewandelt. Dem sind die Behörden allerdings nicht gewachsen. Zum einen ist

Schlupflöcher soll es keine geben, sie müssen geschlossen werden. Gleichzeitig dürfen die Maschen nicht so eng werden, dass die Sicherheitsbehörden sich ins eigene Fleisch schneiden. Foto: BS/©fotogerstl, Fotolia.com

ihre Organisation und Struktur auf einen streng organisierten Terrorismus mit eigenen Strukturen, Kommunikationswegen und Befehlsketten ausgerichtet. Zum anderen sind bei der Aufklärung zu enge gesetzliche Maschen ein Hindernis, die die Handlungsfähigkeit der AntiTerror-Behörden nach wie vor

einschränken. Ein Beispiel: Ein 15-jähriges Mädchen begeht einen Mordanschlag auf dem Hannoveraner Hauptbahnhof mit einem Küchenmesser an einem Bundespolizisten. Erst danach wurde eine Gesetzesänderung wirksam, die in die Anti-TerrorDateien auch Minderjährige ab einem Alter von 14 Jahren auf-

nehmen lässt. Doch was, wenn es beim nächsten Attentat ein 13-Jähriger ist? Waren früher umfangreiche logistische Vorarbeiten in großen Gruppen Kennzeichen für Terroranschläge, so ist es heute das Brotmesser oder der gestohlene Lkw. Keine Waffen im eigentlichen Sinn, die man sich

illegal besorgen muss und damit auffällt. Und keine vorher notwendige Finanzierung. Selbstradikalisierung von Individuen statt geheimer Treffen von Zellen. Hierauf haben die Behörden noch keine Antwort gefunden. Jederzeit und jeden Tag kann sich ein Individuum radikalisieren, durch losen Kontakt zu ISLeuten Anweisungen erhalten und Einzel- oder Massenmorde begehen. Mehr Überwachung ist das eine, doch ein Umdenken und auch eine Umstrukturierung ist das notwendig andere. Ein Kriminalhauptkommissar ohne Arabischkenntnisse mit festen Dienstzeiten eignet sich nicht für das, was jetzt an einem Informationsnetzwerk notwendig wäre. Das polizeiliche Grundprinzip “vor die Lage kommen” erfordert andere Mittel. Verdeckte Aufklärung und mehr UnderCover-Einsätze, aber wie? Die Aussichtslosigkeit dieses Bemühens zeigt eine in Berliner Sicherheitskreisen jüngst geführte Debatte: Soll man israelisches Personal, das arabisch spricht und arabisch aussieht, zur Infiltration der islamistisch-radikalisierten Szene in Deutschland einschleusen? Notwendig, und zwar dringend, wäre eine kooperative Zusammenarbeit der Sozial- und Familienpolitik mit der der Inneren Sicherheit, eine Antwort aus einem Guß.

Kommentar

Es darf ein bisschen mehr sein (BS) Ganze elf Zeilen nahm der Öffentliche Dienst im jetzigen 185-seitigen Koalitionsvertrag auf Bundesebene ein und es gab einen Satz zum Bonn-Berlin-Gesetz. Darin ein allgemeines Bekenntnis zum Berufsbeamtentum und wenig Konkretes. Viel zu wenig für die nächste Legislatur. Es wird unterschieden zwischen Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Öffentlichen Dienst und klaren Vorhaben. So heißt es: “Der Öffentliche Dienst braucht eine demografievorsorgende Stellen- und Personalpolitik, moderne, attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen sowie partnerschaftliche Personalvertretungen.” Zu den umzusetzenden Maßnahmen gehört lediglich, den höheren Dienst für BachelorAbsolventen zu öffnen. Und auch das ist nicht vollständig umgesetzt worden. Nur in den technischen Laufbahnen ist dieser Einstieg möglich. Vo– rausgesetzt, die Person verfügt über mehrere Jahre Berufserfahrung. Immerhin: Im Sinne

der Demografievorsorge ist ein Stellenpool im Bundeshaushalt eingerichtet worden. Der nächsten Regierung werden einige wenige Aktivitäten nicht reichen. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen sind Beurteilungsrichtlinien und Frauenförderung in Einklang zu bringen. Die Gewinnung von Nachwuchskräften funktioniert nur, wenn Vater Staat als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird (siehe dazu die Seiten 2, 5 und 14). Dafür ist nicht nur das Laufbahnrecht in die Zeit zu setzen, überhaupt müssen die althergebrachten Grundsätze des Beamtentums neu interpretiert werden. Auch im Rahmen der Diskussionen um die Einführung einer Bürgerversiche-

rung mit den Beamten als festem Bestandteil und nicht zuletzt, wenn die Entscheidung zum Streikverbot für Beamte durch die Gerichte gefallen ist. Und die partnerschaftliche Personalvertretung gelingt auch nur, wenn dazu das Bundespersonalvertretungsgesetz modernisiert wird. Erste Willensbekundungen sind inzwischen ja da. Bei allem ist der Bund gefordert, den gesetzlichen Rahmen zu gestalten und mit gutem Beispiel voranzugehen. Das Bekenntnis zum Berufsbeamtentum muss mit Leben gefüllt werden, mit deutlichen Zielen. Das darf ruhig etwas ausführlicher ausformuliert werden als auf elf Zeilen. Jörn Fieseler

Am Ende der Legisla-Tour


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Juni 2017

Digitaler Föderalismus & Dänemark Digitalen Knoten zum Platzen bringen 1. Fachkongress Digitaler Staat tagte zum digitalen Föderalismus........................................................................... S. 29

Sprung über den föderalen Schatten IT-Planungsratsvorsitzende sieht gute Ansätze, aber viel Nachholbedarf ................................................................. S.34

Konsolidieren hoch drei Frischer Wind weht nicht nur durch die Bundes-IT ..................................................................................................S. 35

Große Affinität zum Digitalen Der Fachkongress “Digitaler Staat” des Behörden Spiegel löste in diesem Jahr den “Effizienten Staat” ab: Mehr als 700 Teilnehmer und Referenten bescherten der Veranstaltung aus dem Stand einen Besucherrekord. Mehr denn je gelang es, eine ganze Reihe inspirierender Lösungen aus dem diesjährigen Partnerland Dänemark zu zeigen. Schon vieles ist digital im Staate unseres nördlichen Nachbarn, woran sich nicht nur der Bund, sondern auch die deutschen Lande orientieren können. Passend dazu der inhaltiche Schwerpunkt dieses Jahr: digitaler Föderalismus. Foto: BS/Giessen

Dänemark: besserer Service, geringere Kosten...........................................................................................................S. 35

Projekt digitaler Föderalismus Neuer Trendreport “Digitaler Staat” vorgestellt ........................................................................................................S. 37

Legitimität & Ordnung Kippen, Kot und illegaler Sperrmüll Wien setzt auf Enforcement / Deutsche Großstädte mit verschiedenen Ansätzen ....................................................S. 15/17

Künftig fast 700 ÖPNV-Kameras in Mittelfranken Massiver Ausbau in Nürnberg und Fürth .................................................................................................................. S. 15

Überall 30-Zonen wären falsches Zeichen Verkehrssicherheitsexperte: Rücksicht und Überblick statt starrer Regeln ................................................................S. 16

Einwandfrei legales und gleichermaßen legitimes Verhalten mögen nicht immer eins zu eins passgenau sein. Im Umgang mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gilt es deshalb für Staat und Kommunen, Verhältnismäßigkeit walten zu lassen beziehungsweise die Abwägung zwischen diesen beiden öffentlichen Zielen aktiv zu gestalten. Nicht nur bei der Polizei (Foto), sondern auch bei vielen städtischen und verkehrsstrukturellen Planungen hat sich in der Vergangenheit einiges bewegt: Bürger und Stakeholder werden öfter frühzeitig in rechtliche Prozesse einbezogen.

Halterkostenhaftung verlangt DPolG-Bundesvositzender Wendt fordert Übernahme der Verwaltungsgebühren ....................................................S. 27

Umbruchzeit für Spielhallen Übergangsfrist für Betreiber läuft zur Jahresmitte ab ............................................................................................... S. 28 Impressum

Foto: BS/Helen Carruthers, CC BY-NC-ND 2.0, flickr.com

Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innenspiegel

Online informieren, offline überzeugen Azubi-Recruiting Trends 2017 für den Public Sector veröffentlicht (BS/jf) Über 80 Prozent der Bewerber und Auszubildenden sehen die Ausgewogenheit zwischen Beruf und Freizeit als besonders wichtig für ihre Karriere an. Weitere 78,1 Prozent wollen eine sinnvolle Tätigkeit ausüben. An dritter Stelle, mit 40 Prozent, steht der Wunsch, immer mehr zu verdienen, fast gleichauf mit dem Wunsch, immer mehr zu lernen (38,7 Prozent). Führungskraft wollen nur ein Viertel der Befragten werden. Dies geht aus der Branchenedition Public Sector der gemeinsamen Studie “Azubi-Recruiting Trends 2017” von u-form Testsysteme und dem Behörden Spiegel hervor. in Gruppen oder Online-Kurse immerhin noch von über einem Viertel. Doch die Realität sieht anders aus. Zwar schätzen die Ausbildungsverantwortlichen die verschiedenen Elemente ähnlich hoch ein, praktisch sind sie jedoch kaum vorhanden. Beim Thema Digitalisierung und Ausbildung bestehen somit immernoch gravierende Defizite.

1.477 Teilnehmer aus dem Öffentlichen Dienst nahmen an der Umfrage teil. Darunter 950 Auszubildende und Bewerber sowie 527 Ausbildungsverantwortliche. Rund ein Drittel von diesen sind hauptberufliche Ausbilder, die übrigen zwei Drittel haben im Tagesgeschäft andere Aufgaben zu erfüllen. Bei 45,3 Prozent stehen für die Ausbildung maximal fünf Stunden pro Woche zur Verfügung. Bei weiteren 19,5 Prozent sind es fünf bis zehn Stunden.

Diese und weitere Ergebnisse aus der Branchenedition Public Sector der gemeinsamen Studie “Azubi-Recruiting Trends 2017” finden Sie auch auf Seite 14 in dieser Ausgabe. Den vollständigen Bericht finden Sie unter: www.testsysteme.de/ studie.

Praktika und Probearbeit Ziel der Studie ist es, die Sichtweise von Bewerbern und Auszubildenden mit denen der Ausbildungsverantwortlichen zu vergleichen, um daraus möglichst praxisorientierte Handlungsempfehlungen abzuleiten. Dabei wird der gesamte Prozess von der Job-Auswahl über Stellensuche und Bewerbung bis zur Einstellung und dem Lernen in der Ausbildung betrachtet. So stehen etwa bei der Stellensuche vor allem digitale Plattformen hoch im Kurs. Dennoch spielen Berufs- und Ausbildungsmessen keine un-

tergeordnete Rolle, wie die Autoren schreiben. Sie seien keine lästige Pflichtübung für die Schülerinnen und Schüler, wie aus den Kommentaren der Befragten hervorgehe. Interessant seien Messen vor allem, weil sie Gelegenheiten des persönlichen Erlebnisses beziehungsweise Kontakts böten. Noch wichtiger für die junge Generation sei das Kennenlernen vor Ort. Rund zwei

Drittel der Befragten wünschten sich Praktika und Einstellungstests in Bewerbungsverfahren. Hier hat der Öffentliche Dienst noch Nachholbedarf, gerade mal 18,4 Prozent (Praktika) beziehungsweise 6,8 Prozent (Probearbeit) der Ausbildungsverantwortlichen bieten diese beiden Elemente an. Ähnlich verhält es sich beim lebenslangen Lernen und beim

E-Learning. Gegenüber den fast 40 Prozent der Bewerber, die diesen Aspekt als wichtig für das eigene Berufsleben sehen, glauben dies nur 16,5 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen. Wikis, Lern- und Erklärvideos werden von der Hälfte der befragten Auszubildenden und Bewerber als wichtig erachtet, ebenso wie digitale Lernkarten. Digitale Systeme zum Lernen

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/HMDF Foto 2: BS/GDV Fot 3: BS/Henke

Beilagenhinweis Einer Teilauflage des Behörden Spiegel liegt eine Publikation der Technischen Akademie Wuppertal, der xdot GmbH sowie der Peter Kenkel GmbH bei.

Herausgeber und Chefredakteur R. Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Carsten Köppl Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Julian Einhaus (Kommunal- und Energiewirtschaft, ÖPP), Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Tobias Henke (IT-Sicherheit), Carsten Köppl (Demografie, Länder und Kommunen), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), R. Uwe Proll (Politik, Parlament), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/ 726262212, Fax 030/72626-2210 Layout Beate Dach, Cornelia Liesegang, Jenn Tran Verlag Bonn Anzeigen / Redaktion / Vertrieb, Tel. 0228/97097-0, Fax 0228/ 97097-75 Verlag Berlin Redaktion / Vertrieb, 10317 Berlin, Kaskelstr. 41, Tel. 030/557412-0, Fax 030/557412-57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 28/2017, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Sparkasse KölnBonn, IBAN: DE06370501980007503063, BIC: COLSDE33; Berliner Bank AG, IBAN: DE03100708480482263100 BIC: DEUTDEDB110; Postbank, IBAN: DE24370100500022690509 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag / Redaktion / Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 970 Telefax: 0228/970 97-75 Altpapieranteil 100%


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Juni 2017

Anwendung ist der Schlüssel

KNAPP

Beurteilung zwischen neutralen Formulierungen und subjektiver Handhabe / NRW: Umsetzung katastrophal (BS/Jörn Fieseler) Wer weniger Zeit im Büro verbringt, wird seltener bei Beförderungen berücksichtigt. So die Faustregel, wenn es um die Beurteilung von Beamtinnen und Beamten im Öffentlichen Dienst geht. Nach wie vor sind Präsenz und “Vollzeit jederzeit” die dominanten Paradigmen. Damit entsteht eine indirekte Diskriminierung von denen, die wegen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entweder mobil oder in Teilzeit arbeiten. In den meisten Fällen Frauen. Doch woran liegt das? Nicht an den rechtlichen Regelungen und den Beurteilungsrichtlinien. Jedes System wird vom menschlichen Unterbewusstsein manipuliert, wie die Hirnforschung zeigt. Stereotype spielen eine große Rolle. “Brüllt ein Mann, ist er dynamisch, brüllt eine Frau, gilt sie als hysterisch”, beschreibt Prof. Dr. Matthias Spörrle, Professor für Wirtschaftspsychologie u. a. an der Hochschule für Angewandtes Management in Erding und an der Privatuniversität Schloss Seeburg, die unterschiedliche Betrachtung der Geschlechter mit einem Zitat von Hildegard Knef. “Denn der Mensch präferiert Denkabkürzungen”, so Spörrle. Schon deshalb, weil das Gehirn zwei Prozent der Körpermaße ausmache, aber 20 Prozent der Energie verbrauche. Daher sei es selbstverständlich, dass das Organ sich Arbeit sparen möchte. Die Folge: Der Einzelfall werde oft nicht vollständig gesehen und analysiert, stattdessen werde auf einfache Wahrnehmungsschablonen zurückgegriffen. So werde Menschen, die groß sind, eher zugetraut, ein Land zu regieren als kleinen Menschen, so der Wissenschaftler mit Blick auf die letzten US-Präsidentschaftswahlen.

Denken in Kategorien Damit einhergehend würden Ähnlichkeiten präferiert. Muster werden geprägt und bestätigt. Männer und Frauen würden entweder als “nett” oder als “kompetent” gesehen. In ersteren Fall werde damit die Hausfrau oder der Softi assoziiert, im zweiten Fall der Karrieretyp, der harte Hund oder der Vamp. Stereotype würden unterbewusst bevorzugt, führte Spörrle auf der 13. Frauenpolitischen Fachtagung der DBB Bundesfrauenvertretung aus. “Dieses assoziative und kategorisierende Denken spart zwar Energie, ermöglicht jedoch auch Gruppenbildungen und führt zu

tis. Die abgewählte Landesregierung hätte es jedoch geschickter umsetzen können und nicht so brachial, so der Dienstrechtsexperte. Noch deutlicher wird Roland Staude ,Vorsitzender des DBB NRW: “Wir haben ein erhebliches rechtliches Problem.” Frauenförderung sei zwar richtig, könne aber per Gesetz nicht verordnet werden. Die Beamten hätten Anspruch auf eine rechtliche belastbare Situation, nicht auf eine rechtliche vertretbare.

Vorgesetztenbeurteilung einführen

Beurteilungen sind von subjektiven Entscheidungen geprägt. Gerade Frauen haben dabei das Nachsehen. Der Schlüssel liegt aber nicht in der Änderung des Rechts, sondern in einer geschlechtsneutralen Anwendung der Kriterien. Foto: BS/©denisismagilov, Fotolia.com

Diskriminierung und Ungleichbehandlung.” Aber: Der Mensch ist das einzige Lebewesen, dass seine Denkmuster reflektieren kann”, betont der Wissenschaftler. Was heißt das konkret für das Beurteilungssystem? Auch da werden Stereotype bedient, ist sich Dr. Andrea Jochmann-Döll, Gründerin der GEFA Forschung + Beratung sicher: “Frauen- und Männerleistungen werden unterschiedlich bewertet.” Soziale Wertschätzung von Kolleginnen und Kollegen einerseits gelte andererseits als mangelnde Entscheidungsstärke. Auch die Ausdifferenzierung der Leistungsbeurteilung, teils auf die dritte oder vierte Nachkommastelle, änderte dies nicht, ganz im Gegenteil. Überhaupt unterliegt aus der Sicht von Jochmann-Döll

das Leistungsprinzip in der Beurteilung einer dreifachen Fiktion: erstens der Gerechtigkeit, zweitens der Messbarkeit und drittens der individuellen Zurechenbarkeit von Leistung. Wie zum Beispiel die Leistung von Polizeibeamten beurteilen, die im Team arbeiten? Welche Kriterien und Kennzahlen anwenden? Die Zahl der Festnahmen, der aufgenommenen Tatbestände und geschriebenen Berichte? Und wie die unterschiedlichen Kriminalitätsformen berücksichtigen?

“Das Recht ist gut” Auch die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Frauenförderung in NRW hält die GEFA-Gründerin nicht für zielführend. Das Gericht hatte vorgeschlagen, statt

der Leistungsmerkmale die Eignungs- und Befähigungsmerkmale stärker zu gewichten. “Auch dadurch werden geschlechtsbezogene Strukturen gefestigt.” Denn wer könne garantieren, dass diese Merkmale nicht ebenfalls diskriminierend bewertet würden. Demgegenüber wertet Prof. em. Dr. Dr. Ulrich Battis das Urteil inhaltlich positiv. Überhaupt: “Das Recht ist gar nicht mal so schlecht.” Aber nur weil etwas in einem Gesetz stehe, bedeute das nicht, dass alles eindeutig geregelt sei. “Die Juristen wissen, es gibt Riesenunterschiede.” So auch bei dem in Rede stehenden § 19 Abs. VI Landesbeamtengesetz NRW. Dieser enthalte ein hohes Maß an unbestimmten Rechtsbegriffen, die ausgefüllt werden müssten, erläutert Bat-

Jochmann-Döll hält es daher für sinnvoller, nicht auf die rechtliche Ebene abzustellen, sondern die Einflussfaktoren im Beurteilungssystem zu verringern. “Je größer der subjektive Einfluss, desto größer die mögliche Prägung von Stereotypen.” Entscheidend seien ziel-, mess- und objektivierbare Kriterien für die Feststellung von Leistung, Eignung und Befähigung. Dazu gehöre auch, Kriterien zu vermeiden, die schwer erfüllbar seien. Flexibilität dürfe nicht als unbegrenzte Arbeitszeit interpretiert werden, Arbeitseinsatz nicht als dauerhafte Präsenz vor Ort. Und bei Teilzeitbeschäftigten dürfe nur die Arbeit bewertet werden, die in der Arbeitszeit geleistet werde, nicht die Abwesenheit. Dazu müssten alle Mitarbeiter und vor allem die Führungskräfte sensibilisiert werden. Über einen Top-down-Prozess von der obersten Führungsebene an. Auch sollte die Gleichstellungskompetenz der Führungskräfte in den Blick genommen und für den weiteren Karriereweg beurteilt werden, so Jochmann-Döll. Staude geht sogar noch einen Schritt weiter und schlägt eine Vorgesetztenbeurteilung vor.

Bewegung nach drei Jahren Stillstand (BS/jf) 2013 haben die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nach eigener Aussage die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) zu Verhandlungen für einen bundesweiten Tarifvertrag für die Kampfmittelräumdienste erstmals angefordert. Jetzt ist die Bereitschaft da. “Unser Ziel ist ein bundeseinheitlicher Tarifvertrag, der sowohl bei der Bewertung der Tätigkeiten und Eingruppierung der Beschäftigten als auch bei der Anerkennung von Erschwerniszulagen eine angemessene Anpassung erfährt”, heißt es von den beiden Gewerkschaften. Bisher gibt es mehrere unterschiedliche Tarifverträge in den Ländern, die letztmalig 1998 angepasst wurden. Die TdL berichtet auf Nachfrage des Behörden Spiegel, Anfang Mai eine Aufforderungen für Verhandlungen bekommen zu haben. Dazu sei die Tarifgemeinschaft bereit.

Sachsen-Anhalt zieht nach (BS/jf) In Sachen Verbot der Gesichtsverhüllung will nach dem Bund auch die Landesregierung in Sachsen-Anhalt eine entsprechende Regelung in das Landesbeamtengesetz aufnehmen. Dazu soll der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften eingebracht werden, der sich derzeit auf Arbeitsebene in der Abstimmung befindet. Dies geht aus einer Mitteilung von Markus Kreye, Leiter der Abteilung “Ressortkoordinierung, Planung und föderale Angelegenheiten” in der sachsenanhaltinischen Staatskanzlei an den Landtag hervor. Ob weitere gesetzliche Änderungen vorgenommen werden sollen, ist noch offen. Eine entsprechende Abfrage in den anderen Ressorts ist erfolgt. Deren Ergebnisse werden noch ausgewertet.

Zukunft Dienstrecht

Arbeits-, tarif- und beamtenrechtliche Entwicklungen 21. – 22. November 2017, Maritim Hotel, Bonn

§

Mit Beiträgen u. a. von:

Christoph Tillmanns, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – Fluch oder Segen für die Personalpraxis?

Karin Spelge, Richterin am Bundesarbeitsgericht (6. Senat): Aktuelle Rechtsprechung des 6. Senats zum TVöD und TV-L

Weitere Informationen zur Tagung „Zukunft Dienstrecht“ sowie zu den einzelnen Referenten unter: www.zukunft-dienstrecht.de

Dr. Rüdiger Linck, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht (10. Senat): Aktuelle Rechtsfragen der Arbeitsvergütung

Eine Veranstaltung des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

Seite 4

Behörden Spiegel / Juni 2017

Zurück zum Markenkern?

Zwischen Marktschreier und Leisetreter

Kampfkandidatur um DBB-Bundesvorsitz

Neues Gesicht der DBB Jugend

(BS/rup) Überraschungen sind in der deutschen Beamtenschaft meist wenig beliebt, das gilt somit auch für ihre Interessenvertretungen. Doch was der Deutsche Beamtenbund auf seinem Gewerkschaftstag vom 19. bis 21. November 2017 erleben wird, sorgt zumindest für Publikumsspannung. Ernst G. Walter, 58, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft – eine Sparte innerhalb der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), hat den Hut in den Ring zur Wahl des Bundesvorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes und Tarifunion geworfen. Hinter der Personalie steckt jedoch mehr als ein Name, es geht erneut um die Frage des Markenkerns des Beamtenbundes: Soll der Vorsitzende ein(e) Beamter/-in oder ein(e) Angestellte(r) sein?

(BS/jf) Mit 93,3 Prozent (180 Delegiertenstimmen) wurde Karoline Herrmann als neue Bundesvorsitzende der Jugendvertretung im DBB Beamtenbund und Tarifunion gewählt. Mit dem Amtswechsel soll die bisherige Arbeit vorgesetzt werden: “Seien sie Vorbild” – wie es Staatsekretär Hans-Georg Engelke aus dem Bundesinnenministerium formulierte.

Kasse für wohlmöglich weitere Streiks auffüllen. Wenn es ums Geld geht, ist meist Ende mit lustig, so auch hier. Die monetäre Frage bildete die emotionale Basis für eine erneut aufkommende Diskussion, ob der Deutsche Beamtenbund und Tarifunion nun von einem Angestellten oder einem Beamten geführt werden soll. Schon dem jetzigen Vorsitzenden Klaus Dauderstädt, der von der GeKandidiert für den DBB-Bundesvor- werkschaft der Sozialversicherungen (GDS), im wesentlichen sitz: Ernst G. Walter. Foto: BS/Dombrowsky Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Angestelltenverhältnis) Immer wieder mal flackert auch kam, wurde dies als Makel anim Beamtenbund der Streit auf, gerechnet. Der bisher aussichtsden die Differenz im Beschäf- reiche und einzige Kandidat für tigungsverhältnis auch in der die Wahl zum BundesvorsitzenWahrnehmung der entspre- den im Herbst war Ulrich Silberchenden Interessen folgen lässt bach, 55, Bundesvorsitzender – nämlich Beamtenschaft auf der Komba, die ebenfalls durch der einen und Angestellte auf der Angestellte geprägt ist. anderen Seite. Jahrelang schien Im Hintergrund suchten schon der einstige Machtkampf zwi- seit Längerem die sogenannten schen beiden Beschäftigungs- “Granden”, so unter anderem gruppen ausgestanden, doch der Ehrenvorsitzende und ehedie letzten großen Streikwellen, malige Bundesvorsitzende Peter nicht nur der Gewerkschaft Heesen, nach personellen Alterder Lokführer (GDL), sondern nativen, sprich einer Beamtin insbesondere auch von Kinder- oder einem Beamten, den sie gärtnerinnen und anderen städ- als solchen in das Rennen um tischen Beschäftigten, die in den Bundesvorsitzenden schider Gewerkschaft der Kommu- cken wollten. Mit dem Bundesnalbeamten und -angestellten polizisten Ernst G. Walter haben (Komba) organisiert sind, riss sie einen Kandidaten gefunden. in die Streikkasse des Beamten- Walter zum Behörden Spiegel: bundes ein großes Loch. Dies “Ich will den Beamtenbund mit musste dann vor einiger Zeit auf- der Stärkung seiner Markengefüllt werden. Besonders den kompetenz wieder die Bedeureinen Beamtengewerkschaften tung in der Gesellschaft und der stieß dies äußerst bitter auf, Öffentlichkeit zurückgeben, die denn ihnen ist der Streik gene- er einmal hatte, und dabei alle rell verboten. Dennoch sollten Landesbünde und Mitgliedsgesie nun mit “Nachzahlungen“ die werkschaften an den notweni-

gen Entscheidungsprozessen innerhalb des DBB-Beamtenbundes und Tarifunion beteiligen und zugleich stärken. “Zurück zum Markenkern also, was beim Beamtenbund eben auch nur Beamter heißen kann. Walter weiter: “Der DBB ist für mich die wirkungsvollste Interessenvertretung des Berufsbeamtentums in Deutschland.“ Nach anfänglichem freundlichem Zögern hat sich jedoch die eigene Gewerkschaft des Kandidaten, die DPolG, mittlerweile gegen die Kandidatur des Polizisten positioniert. Das lässt den allerdings kalt. Derweil führt er eine Kampagne und bereist Sitzungen und Veranstaltungen anderer Gewerkschaften, um dort Rede und Antwort zu stehen. Bei den Besuchen Walters bei interessierten Mitgliedsgewerkschaften im DBB lässt er keinen Zweifel an den gemeinsamen Tarifverhandlungen zwischen DBB und Verdi weiterhin festzuhalten, doch dürfe dabei – was viele im Beamtenbund empfinden –dass eigene Licht nicht unter den Scheffel gestellt werden. An Kritik am jetzigen Bundesvorsitzenden und seiner Politik mangelt es dabei nicht. Es werde kein “weiter so” geben, zwei Drittel aller Mitglieder der Dachgewerkschaft wären Bundes-, Landes- und Kommunalbeamte, diese gelte es als eigenständige Berufsgruppe besser in der Öffentlichkeit zu präsentieren, die Notwendigkeit der eigenständigen Beamtenversorgung und das Beihilferecht zu verteidigen.

“Wir sind die Zukunft, wir sind bereit und auf uns ist Verlass, wenn man uns lässt”, sagte die frisch gewählte 27-Jährige, die aus der Komba-Jugend stammt. Besonders die sachgrundlosen Befristungen sind der Mecklenburg-Vorpommerin ein Dorn im Auge. Diese seien heute das beste Verhüttungsmittel, besser als die Antibabypille, so Herrmann. Die Karriere im Öffentlichen Dienst sei ein Stolperpfad für alle, die die eigene Zukunft planen wollten. Verschärft werde die Situation durch fehlende Aufstiegschancen. “Das hat nichts mit Generationengerechtigkeit zu tun.” Außerdem verurteilte sie jegliche Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Diese fange oftmals schon mit Beleidigungen an. Zugleich stellte sie die Frage, warum die Jugend keinen Sitz in der neunköpfigen Bundesleitung des DBB habe.

Kein Sitz in der Bundesleitung Die Antwort gab der noch amtierende Bundesvorsitzende und erste Gratulant, Klaus Dauderstädt: “Die Bundeleitung ist ein Gremium, das aus den Reihen der Delegierten beim Gewerkschaftstag gewählt wird. Außerhalb des Delegiertentages kann kein Sitz durch eine Wahl vergeben werden.” Damit bleibt nur die Möglichkeit, selbst zu kandidieren (siehe nebenstehenden Artikel). Er lobte die geleistete Arbeit der Jugendorganisation und dankte der bisherigen Vorsitzenden Sandra Kothe für die geleistete Arbeit. “Du hast die Jugend im DBB etabliert und außerhalb bekannt gemacht.” Für Herrmann und ihre Stellvertreterin und Stellvertreter besteht die Herausforderung darin, nicht zu

Blumen zum Start: die neue Bundesjugendleitung mit Patrick Pilat, Liv Grolik, der Vorsitzenden Karoline Herrmann, Christoph Strehle und Robert Kreyßing (v. l.) Foto: BS/dbb jugend, Markus Klügel

laut und nicht zu leise auf die Themen und Handlungsfelder aufmerksam zu machen. Es gelte, den richtigen Ton zwischen einem Marktschreier und einem Leisetreter zu finden, sagte Bettina Bundszus-Cecere, Leiterin der Abteilung Kinder und Jugend im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). “Macht erkennbar, wofür die Jugend steht”, forderte Bundszus-Cecere die fünfköpfige Leitung auf. Neben Herrmann wurden als Stellvertreterinnen und Stellvertreter gewählt: Liv Grolik (31, Junge Polizei) mit 155 Stimmen, Patrick Pilat (28, VDStra-Jugend) und Christoph Strehle (27, DSTGJugend) mit jeweils 144 und Robert Kreyßing (28, VBOB-Jugend) mit 132 Stimmen.

Attraktivität erhöhen Ebenso forderte BMI-Staatssekretär Engelke, “dass Sie sich an der Gesellschaft beteiligen, gerne auch kritisch”. Die Gesellschaft sei vielfältig geprägt, das spiegle sich auch im Öffentlichen Dienst wider. Allerdings noch nicht

genügend. 22 Prozent der Menschen in Deutschland hätten einen Migrationshintergrund. Aber nur sieben Prozent der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Im Bund seien es zwar etwas mehr, trotzdem müssten die öffentlichen Arbeitgeber ihre Bewerberkreise vergrößern, betonte Engelke. Deshalb müsse man sich fragen, ob es im Öffentlichen Dienst genügend Vorbilder gebe, damit genügend junge Leute als Nachwuchskräfte gewonnen werden könnten. Dazu gehöre auch, Fachkräfte zielgruppengerecht anzusprechen. Dies gelinge mit der neuen Plattform durchgestartet.de, auf der unter anderem sämtliche Stellenangebote im Öffentlichen Dienst eingesehen werden könnten. Nach einem Monat verzeichne die Plattform 40.000 Klicks, ein guter Wert für den Start. Das allein reiche jedoch nicht aus. Deshalb forderte Engelke auf: “Machen Sie weiter, werben Sie für Nachwuchs, werben Sie mit guten Arbeitsbedingungen für die Vielfältigkeit und die Bedeutung des Öffentlichen Dienstes.”

Wissen für die Praxis Jahrbuch zum TV-L darf in keiner Personalverwaltung fehlen (BS/jf) Ob rauchfreier Arbeitsplatz, Verminderung der Jahressonderzahlungen oder die Besserstellung bei fiktiven Aufstiegen, insgesamt zehn Änderungen und Ergänzungen hat der Tarifvertrag der Länder (TV-L). Durch Entscheidungen der Gerichte ist das Vertragswerk geändert, aber auch bestätigt worden. Zu Letzteren gehört auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts über die zulässige Privilegierung einschlägiger Berufserfahrung in der Stufenzuordnung beim selben Arbeitgeber vom 23. Februar 2017. Eine Klägerin wollte § 16 Abs. II TV-L wegen der unmittelbar wirkenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeitsbestimmungen für unzulässig erklären. Sie begehrte eine höhere Stufeneingruppierung (Stufe fünf statt Stufe zwei). Aber das BAG verneinte dies. Der Paragraf weise keinen hinreichenden Auslandsbezug auf. Stattdessen regele er die Zuordnung in die jeweiligen Stufen einer Entgeltgruppe, wenn der Arbeitnehmer bereits beim selben oder auch bei anderen Arbeitgebern eine mindestens einjährige einschlägige Berufserfahrung mitbringe, oder der Arbeitgeber unter den Voraussetzungen des Satzes vier der Vorschrift förderliche Zeiten berücksichtige, schreibt Jörg Effertz im TV-LJahrbuch Länder 2017. Dieses enthält nicht nur den Tarifvertrag der Länder mit den neuen Entgelttabellen und den Ergebnissen der diesjährigen Tarifrunde, der Autor widmet in dem 1.528 Seiten umfassenden Werk ein ausführliches Kapitel der neuen Entgeltordnung für

die Landesbeschäftigten. Dabei strukturiert Effertz in übersichtlicher Weise die einzelnen Paragrafen. Nach dem jeweiligen Vertragstext folgen vorhandene Protokollerklärungen der Tarifparteien und im Anschluss die Erläuterungen. Die Ausführungen sind klar gegliedert, in verständlicher Sprache dargestellt und trotzdem kompakt. Extra hervorgehobene Beispiele verdeutlichen die jeweiligen Sachverhalte. Dabei nimmt der Autor nicht nur die jeweilige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte in den Blick, sondern verweist auch auf andere Gesetze und Tarifverträge, in denen ähnliche Sachverhalte geregelt sind, und arbeitet Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede heraus. Abgerundet wird das Werk durch ein kleineres Kapitel, in dem Effertz einen aktuellen Diskussionspunkt zusammenfassend darstellt. 2016 war dies das Thema Kündigung im Krankheitsfall, in der aktuellen Auflage widmet er sich der Vorbeschäftigung bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen. Trotz der über 1.500 Seiten ist das Jahrbuch ein kompaktes Nachschlagewerk und sollte in keiner Personalverwaltung fehlen. Denn es wird seinem Untertitel vollkommen gerecht: Wissen für die Praxis.

Jörg Effertz, TV-L-Jahrbuch Länder 2017, Walhalla Fachverlag, Regensburg 2017, 1.528 Seiten, 27,95 Euro Foto: BS/Walhalla Verlag

Einziger Wermutstropfen: Zu den einzelnen Kapiteln gibt es zwar ein farbliches Register an den Außenseiten, dieses markiert jedoch nur den Umfang der einzelnen Kapitel. Unterkapitel, wie etwa für weitere Tarifverträge neben dem TV-L, etwa den sogenannte Überleitungstarifvertrag TVÜ-Länder oder den Tarifvertrag für Ärzte an Universitätskliniken, sind nicht hervorgehoben, sodass diese am ehesten nur mit dem Daumenkinoeffekt gefunden werden können.


Aktuelles Öffentlicher Dienst / Bund

Behörden Spiegel / Juni 2017

B

ehörden Spiegel: Herr Seidel, welchen Status quo verzeichnen Sie hinsichtlich des Fachkräftemangels? Seidel: Wir wissen, dass in allen technischen und naturwissenschaftlichen Bereichen erhebliche Probleme bei der Stellenbesetzung bestehen. Nach den mir vorliegenden Informationen können lediglich 30 Prozent der offenen Stellen angemessen besetzt werden. Diese Situation wird sich weiter zuspitzen aufgrund des demografischen Wandels. Das Durchschnittsalter in den technischen Fachverwaltungen ist höher als in anderen Bereichen. In einzelnen Fachverwaltungen gibt es einen Altersdurchschnitt über 55 Jahre. Deshalb wollen wir noch vor der Sommerpause alle Landesregierungen bitten, die Anzahl der unbesetzten Stellen und das Durchschnittsalter in den technischen und naturwissenschaftlichen Fachverwaltungen zu erheben. Behörden Spiegel: Wie sehen die jetzigen Bewerberverhältnisse aus?

Seite 5

“Das Dienstrecht steht im Wege” Jan Georg Seidel zur Nachwuchsgewinnung im technischen Dienst

licht, wie Zulagen, Höhergruppierungen oder Erfahrungsstufen höher zu setzen, um den Öffentlichen Dienst von der Bezahlung her attraktiver zu machen.

(BS) Was muss der Öffentliche Dienst unternehmen, um heute und in Zukunft ausreichend Fachkräfte für die technischen und naturwissenschaftlichen Verwaltungen zu gewinnen? Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erläutert Jan Georg Seidel, Bundesvorsitzender der BTB Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft im DBB Beamtenbund und Tarifunion, den derzeitigen Bewerbermangel und macht Vorschläge, wie der Öffentliche Behörden Spiegel: Und die Möglichkeiten im Tarifrecht? Dienst insgesamt attraktiver werden kann. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

“Es ist sehr schwer, überhaupt neue Kollegen zu finden, die die Anforderungen erfüllen”, beschreibt Jan Georg Seidel, Bundesvorsitzender der BTB Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft, die Nachwuchssorgen in den technischen und naturwissenschaftlichen Verwaltungen.

Seidel: Für das Land BadenWürttemberg wurden Zahlen veröffentlicht. Sie sind für die gesamte Bundesrepublik exemplarisch. Dort kam auf drei Stellen ein Bewerber, der die Anforderungen erfüllte. Zudem ist Foto: BS/Fieseler zwischen Bewerbung und qualifizierter Bewerbung zu differen- weil sie damit ihren Lebensstanzieren. Es gibt zwar Ausschrei- dard nicht weiterführen kann. bungen mit 100 Bewerbern auf Die dritte Bewerbung kam von zehn Stellen, aber in der Aus- einer 70-jährigen Architektin. schärfung der Unterlagen wird Diese wollte vielleicht ihre Rente festgestellt, dass die wenigsten aufbessern. Aus formalen Gesichtspunkten konnte sie nicht den Anforderungen genügen. Hinzu kommt, dass im tech- eingestellt werden. Ähnliche Beispiele gibt es in nischen und im naturwissenschaftlichen Bereich Menschen allen Metropolen. Die ganze mit Berufserfahrung gesucht Rheinschiene ist mit technischen und werden. Der T r a n s f e r “In einzelnen Fachverwaltun- n a t u r w i s von prak- gen gibt es einen Altersdurch- senschaftlichen Fachtischer Erschnitt über 55 Jahre.” kräften fahrung aus sehr schwer der Wirtschaft in den öffentlichen Dienst zu besetzen. Wir erleben in den ist ein echter Mehrgewinn, der technischen und naturwissenaber bei den Rahmenbedingun- schaftlichen Verwaltungen in gen im öffentlichen Dienst nicht Düsseldorf und Köln ein starkes Wettbewerbsumfeld, mit starmehr zu realisieren ist. ken Arbeitgebern in der WirtBehörden Spiegel: War das schaft. Dort ist es sehr schwer, überhaupt neue Kollegen zu schon immer so? finden, die die Anforderungen Seidel: Nein. Im Jahr 2000 erfüllen. Viele springen schon war die Situation noch anders: während der LaufbahnausbilDa hatten wir in vielen Berei- dung wieder ab oder beenden chen, z. B. in der Bauwirtschaft, kurz danach das Beamtenverkonjunkturell schlechte Zeiten, hältnis und wechseln in die freie sodass viele gute Fachkräfte ge- Wirtschaft zurück. wonnen werden konnten. Behörden Spiegel: Und in Jetzt ist das Pendel umgeschlagen und wird in den nächsten ländlichen Regionen? Jahren nicht zurückschlagen. Seidel: Hier sieht die Situation Mir liegen beispielsweise aktuell zwei Fälle aus Niedersachsen anders aus. In den Ballungszenvor, wo Headhunter Ingenieure tren ist der Öffentliche Dienst aus der Bauverwaltung für die im Wettbewerb, im ländlichen Wirtschaft gewinnen wollen. Es Bereich gibt es Menschen, die wird mit Großprojekten und fi- mit der Region stark verbunden nanziellen Verbesserungen ge- sind. Da ist eine Bezirksregieworben. Da liegt die Vermutung rung ein attraktiver Arbeitgeber, nahe, dass es Auftragnehmer auch wegen der Standortsicherder öffentlichen Hand sind und heit. Aber auch dort gehen die diese die Kompetenzen der Mit- Bewerberzahlen zurück. Die arbeiter in den Bauverwaltun- Auswahlmöglichkeiten werden gen sehr zu schätzen wissen. kleiner. Andere Ausnahmen sind Städte Im Ergebnis wird intensiv abwie Münster mit Universitäten. geworben. Bei den Naturwissenschaften Behörden Spiegel: Gibt es an- finden wir dort noch genügend Bewerber. Allerdings nicht bei dere Beispiele? den Ingenieuren. Bei Biologen Seidel: Ja. Die Stadt München scheint es noch einen Überhat kürzlich eine Architekten- hang zu geben, wir brauchen stelle ausgeschrieben. Eingrup- aber Chemiker, Bauingenieure, piert gemäß Tarifvertrag in die Elektroingenieure, MaschinenEntgeltstufe zehn. Beworben bauingenieure, um fachlich gut haben sich drei Personen. Davon aufgestellt zu sein. Biologen alhat eine Bewerbung die forma- lein reichen nicht. len Anforderungen nicht erfüllt, Behörden Spiegel: Woran liegt es fehlte die Qualifizierung zum Architekten. Die zweite Bewer- es, dass zu wenig Menschen mit bung kam von einer Architektin, technischer Ausbildung in den die sofort ablehnte, als sie die Öffentlichen Dienst kommen? Höhe des Gehalts erfahren hat,

Seidel: Über Jahre ist das meinsam im Verbund mit andePersonal in den technisch-na- ren Ländern auszubilden. Das turwissenschaftlichen Verwal- geht in sehr vielen Bereichen. tungen abgebaut worden. In- Und: Die Länder profitieren so zwischen haben wir an vielen auch von einem fachlichen AusStandorten überalterte Perso- tausch über die eigenen Grenzen nalkörper, d. h. wir haben einen hinweg. Das inzwischen nach erhöhten Bedarf. Im Gegenzug der Föderalismusreform unterwerden gute, qualifizierte Hoch- schiedlich entwickelte Dienstschulabsolventen viel stärker recht steht hier im Wege. am Markt umworben. Zum Beispiel über Partnerschaften, um Behörden Spiegel: Wären junge Menschen schon während auch Ausbildungsformen wie des Studiums für das Unterneh- die gemeinsame Akademie im men zu gewinnen. Dagegen bie- Öffentlichen Gesundheitsdienst tet der Öffentliche Dienst einen denkbar? Einstieg mit einer eineinhalbbis zweijährigen LaufbahnausSeidel: Eine Akademie in bildung bzw. Probezeit mit ge- Deutschland wäre genau richtig ringem Einkommen. Und das oder auch drei bis vier regional ist im föderalen System noch verteilt. Da sehe ich noch sehr unterschiedlich und schlechter viel Potenzial. geworden. Für Bewerber ist das ein Schritt zurück, den diese Behörden Spiegel: Wie wirkt bewusst in Kauf nehmen, um sich das Laufbahnwesen auf die dann verbeamtet zu werden. Fachkräftegewinnung aus? Die Verbeamtung ist der einzige große Mehrwert des ÖffentliSeidel: Das ist ein weiteres chen Dienstes. Die Statusfrage Hindernis. Insbesondere für den wird in Zukunft zur Gewinnung mittleren und gehobenen techvon Fachnischen kräften von Dienst ist “Im Ergebnis wird intensiv entscheies in vielen abgeworben.” dender BeLändern zu deutung starr. Die sein. Das hat noch etwas Ex- beruflichen Möglichkeiten für klusives. eine Weiterentwicklung sind Beim Einkommen kann der Öf- meist nicht gegeben, es gibt ein fentliche Dienst nicht mit der Endamt, das oft die Sackgasse freien Wirtschaft konkurrieren. ist. Hin und wieder gibt es AusIm Schnitt betragen die Unter- nahmen, wenn jemand einen schiede um die 30 Prozent, wenn Aufstieg macht. In vielen Bunman z. B. die Tarifverträge aus desländern wurden die Laufder Metall- oder Baubranche bahnen zwar vereinfacht, ein als Vergleichsmaßstäbe heran- exakter Blick in das Dienstrecht zieht. zeigt: Bis man in die nächste Ebene kommt, sind die Hürden Behörden Spiegel: Bleiben wir nach wie vor die gleichen. Zum bei den Vorbereitungsdiensten. Beispiel die Beurteilung bis hin Sind diese noch zeitgemäß? zu Quotenregelungen. Seidel: Der Vorbereitungsdienst ist sehr unterschiedlich von Land zu Land. Für die meisten Bereiche, wie z. B. beim staatlichen Arbeitsschutz, aber unerlässlich. Er vermittelt den technisch gut ausgebildeten Kollegen Erfahrungen und Wissen, die sie woanders gar nicht sammeln können. Und er integriert die Kollegen in die Verwaltung. Schließlich sind die Kollegen im Staatsdienst tätig, d. h. an sie werden von der Gesellschaft besonders hohe Ansprühe gestellt. Etwa bei der Gefahrenabwehr, z. B. dem Strahlenschutz. Dann muss der Staat handlungsfähig und kompetent sein. Dazu brauchen die Kollegen nicht nur das technische Wissen, sie müssen auch das Verwaltungshandeln, etwa die schematischen Abläufe, kennen. Im Prinzip brauchen wir Verwaltungsingenieurwesen mit einem kleinen, qualitätsvollen Anteil Verwaltungrecht an dieser Stelle. Insgesamt haben viele Verwaltungsspitzen und die Politik noch nicht erkannt, wie wichtig die technischen und naturwissenschaftlichen Fachverwaltungen sind, um bei künftigen Anforderungen entwicklungsfähig zu sein. Der technische Fortschritt wird dem Staat zukünftig viel abverlangen. Behörden Spiegel: Nun hat Thüringen entschieden, in 13 Laufbahnen den Vorbereitungsdienst aus Kostengründen zu streichen. Seidel: Das ist nicht gut und in der Tat eine Fehlentscheidung. Besser ist es, wenn die Ausbildungszahlen zu gering sind, ge-

Behörden Spiegel: Wie kann der Öffentliche Dienst dem Dilemma entgehen und mehr Fachkräfte gewinnen?

Seidel: Momentan gewinnen türlich eine Verpflichtung, im Anschluss eine gewisse Zeit im wir genügend Menschen, die das Öffentlichen Dienst tätig zu sein. Beamtenverhältnis wünschen. Diese Zeit muss sinnvoll bemes- Über das Angestelltenverhältnis sen sein, damit man die Men- zu gehen, ist keine grundsätzlischen nach Ablauf nicht abrupt che Lösung. Allerdings könnten ältere Fachverliert. “Manche Länder greifen kräfte über Zum aneine besonderen muss schon auf duale dere tarifder ArbeitStudiengänge zurück.” rechtliche geber atRegelung traktiver werden hinsichtlich der Ent- für Techniker und Naturwiswicklungsmöglichkeiten und senschaftler gewonnen werden. der Einstiege. Es ist nicht nah- Dafür wäre eine eigene Entvollziehbar, das gut ausgebilde- geltordnung für Techniker und te Leute im höheren Dient in Naturwissenschaftler hilfreich. A 13 anfangen müssen, wenn Daran arbeiten wir als BTB, wir da einen erhöhten Bedarf müssen aber noch viel Überzeuhaben. Es gibt vergleichbare Be- gungsarbeit leisten, auch bei rufe, oder Mediziner, die können Partnern und Freunden. schon in einer höheren Besoldungsgruppe einsteigen, warum nicht auch bei Beamten im technischen Dienst? Behörden Spiegel: Also das Laufbahnrecht ändern? Seidel: Besser ist ein Fachkräftegewinnungsgesetz, wie es der Bund 2012 verabschiedet hat. Dadurch hat der Bund zahlreiche Möglichkeiten, Fachkräfte zu werben und zu gewinnen. Auch in den Ländern sind solche Gesetze notwendig. Wir brauchen natürlich ein Gerüst für den großen allgemeinen Teil im Dienstrecht. Wir brauchen auch den technischen Dienst im Staatsdienst – tatsächlich im Beamtenverhältnis. Darauf kann man ein Fachkräftegewinnungsgesetz draufsetzen, dass dann weitere Zusätze ermög-

Während in ländlichen Regionen noch genügend Nachwuchskräfte für den technischen Dienst gefunden werden, etwa bei den Vermessungstechnikern hier im Bild, sieht es in Metropolen ganz anders aus. Foto: BS/Karl-Heinz Laube, pixelio.de

Neuer Hauptstadtvertrag Bund erhöht Ausgleichszahlungen an Berlin erheblich

(BS/mfe) Vertreter der Bundesregierung und des Berliner Senats haben sich auf einen neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag geeinigt, der kürzlich unterzeichnet wurde. Der Kontrakt gilt für die Jahre 2018 bis 2027 und sieht unter anderem eine massive Steigerung der Zahlungen Seidel: Nicht durch das Ab- des Bundes an das Land Berlin für die Bewältigung hauptstadtbedingter senken der Einstellungsanfor- Sicherheitsaufgaben vor. derungen. Wir brauchen in den technischen Verwaltungsdiensten Menschen mit fundiertem Wissen und Sachverstand. Das kann man sich nicht über Wikipedia anlesen. Das gilt übrigens auch für die Verwaltungsspitzen, dort brauchen wir nicht nur Verwalter, sondern Führungskräfte mit Fachverstand. Bis dato werden die Anforderungen runtergeschraubt und fehlendes Wissen soll durch Fachschulungen kompensiert. Das gelingt nicht richtig, kostet viel Zeit und ist nicht der geeignete Weg. Der Öffentliche Dienst muss so attraktiv sein, das die guten Fachkräfte zu uns kommen wollen. Behörden Spiegel: Wie? Seidel: Es gibt viele Möglichkeiten. Manche Länder greifen schon auf duale Studiengänge zurück. Zum Beispiel in der Bauverwaltung. Dort wird ein Studium zum Bauingenieur angeboten und der praktische Teil kann in der Verwaltung abgeleistet werden. Oder die Finanzierung läuft mit Anwärterbezügen, wie es im allgemeinen Verwaltungsdienst schon immer gemacht wurde. Das ist ein sehr gutes Mittel. So kann ein Stück weit Bildungs- und Sozialpolitik betrieben werden, indem Menschen der Zugang zu einer höheren Bildung ermöglicht wird. Zu so einem Studium mit Anwärterbezügen gehört na-

Für den Bund unterschrieb Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU, 2.v.l.) den neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag. Für das Land Berlin wiederum unterzeichnete unter anderem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) den Kontrakt, der bis 2027 gilt. Foto: BS/Bundesministerium der Finanzen

Die entsprechenden Mittel sollen von derzeit noch nur 60 Millionen Euro pro Jahr auf zunächst 100 Millionen Euro jährlich anwachsen. Ab 2022 sollen es dann sogar 110 Millionen und ab 2023 schließlich 120 Millionen Euro pro Kalenderjahr sein. Dies entspricht einer Verdoppelung der Mittel ab der zweiten Hälfte der Vertragslaufzeit im Vergleich zur derzeit noch geltenden Regelung. Über die gesamte neue Finanzierungsperiode betrachtet, fließen in diesem Bereich damit 1,1 Milliarden Euro nach Berlin. Sie werden verwendet, um zum Beispiel den Objektschutz vor konsularischen Vertretungen oder die Absicherung von Demonstrationszügen sicherzustellen. Bundesfinanzminister Dr. Wolf-

gang Schäuble (CDU) erklärte zu dem neuen Vertragswerk: "Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen: Hier findet unsere Demokratie statt. Hier erleben ausländische Besucher ein würdiges und attraktives Schaufenster der Bundesrepublik." Der Bund nehme seine Verantwortung bei der Bewältigung der Mehraufwendungen durch den Kontrakt wahr. Dazu gehörten nicht nur der Beitrag des Bundes zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit, sondern auch die Unterstützung von Berlins beeindruckendem Kulturangebot. Durch die lange Laufzeit bis 2027 sorge der neue Hauptstadtfinanzierungsvertrag für Planungssicherheit, zeigte sich der Ressortchef überzeugt.


Länder

Seite 6

Behörden Spiegel / Juni 2017

Wider den Kollaps

Alles für die Kultur

Berlin: neue Berechnungen zur Besoldung

Neue obere Landesbehörde in Mecklenburg-Vorpommern

(BS/jf) In Sachen Besoldung liegt Berlin immer noch auf Platz 17 im Bund-Länder-Vergleich. Bis 2021 soll sich (BS/jf) Die staatliche Schlösser- und Gärtenverwaltung soll modernisiert und unter dem Dach des Finanzmidas ändern, die Besoldung auf den Durchschnitt der Länder angestiegen sein. Der DBB Beamtenbund und nisteriums vereint werden. Ziele sind der Abbau von Doppelzuständigkeiten und die Nutzung von SynergieTarifunion hat dazu neues Zahlenmaterial vorgelegt und will damit den Prozess beschleunigen. effekten. Nicht alle sind mit diesen Plänen einverstanden. Massive Kürzungen der Sonderzahlungen, Wegfall des Urlaubsgeldes, die Nichtgewährung von Einmalzahlungen bei gleichzeitigen Nullrunden haben dazu geführt, dass Berlin das das niedrigste Besoldungsniveau in Deutschland hat. Um die rote Laterne abzugeben, ist beabsichtigt, “die Beamtenbesoldung jährlich mit einem zusätzlichen Prozentpunkt über dem Durchschnitt der Tariflöhne der Bundesländer zu erhöhen”, berichtet Innensenator Andreas Geisel. So soll zum Ende der Berliner Legislaturperiode 2021 die Besoldung den Durchschnittswert der Länder erreicht haben.

Sonderzahlung.

400 bis 500 Euro Differenz

So beträgt die Differenz bei einem Oberinspektor (Besoldungsgruppe A10) im Alter von 42 Jahren, verheiratet, nach 20 Jahren Berufserfahrung zum Bund rund 435 Euro, zu Bayern etwa 390 Euro, zu NRW knapp 213 Euro und zu Thüringen rund 190 Euro. Einzig zu Brandenburg zahlt Berlin schon mehr, fünf Euro im Monat. Im Fall eines Studienrates (A 13) fallen diese Differenzen noch höher aus. “Die mittlerweile eingetretenen Konsequenzen dieser halsstarrigen RotZeitverzögerung unnötig DBB Beamtenbund und Tarifunion Berlin stiftpolitik sind verheerend: Dementsprechend fordert (Hrsg.), Besoldungsrückstände im Land Berlin, Gehaltsunterschiede von 400 bis 500 Euro monatFrank Becker, Landesvorsit- Stand April 2017 lich in ein und derselben zender des DBB Beamtenverlocken bunds und Tarifunion in der Besoldungserhöhung von 2017 Besoldungsgruppe Hauptstadt: “Senat und Abge- und 2018 um weitere 0,5 Pro- Landesbeschäftigte zu einem Wechsel in die überwiegend in ordnetenhaus müssen in Sa- zent angehoben. “Die Zeiten der ungerechten Berlin angesiedelten Bundeschen Angleichung schnellstens handeln, um die Berliner Ver- Bezahlung von Beamtinnen und behörden. Frisch ausgebildete waltung vor einem Kollaps zu Beamten in Berlin müssen end- Beamte werden sich überlegen, bewahren.” Deshalb ist es für lich vorbei sein”, betont Becker. von welchem Dienstherrn sie den Gewerkschafter umso un- Dazu hat seine Organisation nun ihre Ernennungsurkunde entverständlicher, dass bislang der neues Zahlenmaterial vorgelegt. gegennehmen wollen und mehaktuelle Tarifabschluss nicht Auf über 40 Seiten wird die Brut- rere tausend Stellen, die in den zeit- und inhaltsgleich über- to-Besoldung für Berliner Beam- nächsten Jahren aus Alterstragen worden ist. Stattdessen te mit typischen Biografien für gründen in Berlin frei werden, werde “die ohnedies alarmieren- verschiedene Besoldungsgrup- dürften bei der jetzigen “Bede Situation mit Überlegungen pen mit der der entsprechen- zahlung light” nicht mit qualiin Richtung Zeitverzögerung den Beamten in repräsentativ fizierten Nachwuchskräften zu unnötig verschärft”. Auch, weil ausgewählten Bundesländern besetzen sein”, zieht Becker sein die übrigen Länder nicht untä- verglichen. Rechengrundlagen Resümee. Er hoffe daher, dass tig sind. So hat das benacharte sind die Grundbesoldung, die das vorgelegte Zahlenmaterial BesoldungsanpassungsBrandenburg neben der zeit- allgemeine Stellenzulage, soweit den und wirkungsgleichen Über- sie gewährt wird, der Familien- prozess maßgeblich beschleunahme des Tarifergebnisses die zuschlag und eine eventuelle nige.

2013 stellte ein Beratungsunternehmen fest, dass die Verwaltung und Vermarktung der Schlösser und Gärten in Mecklenburg-Vorpommern ineffizient sei. Der Grund: Die Zuständigkeiten waren auf verschiedene Landesinstitutionen verteilt. Der Betrieb für Bau und Liegenschaften Mecklenburg-Vorpommern (BBL M-V) verantwortet zwar die bauliche Betreuung der insgesamt 17 Schlösser und Gärten, aber nicht den Betrieb und die Verwaltung aller Objekte. Diese Aufgaben werden zudem von dem Staatlichen Museum Schwerin wahrgenommen. Darüber hinaus werden Aufgaben wie die Erstellung musealer Konzepte, der wissenschaftliche Aufbau, das Marketing sowie das Controlling der Besucherservices im Finanzministerium wahrgenommen. Dadurch entstanden Doppelstrukturen und -zuständigkeiten, die sich auch in dem rund 80-köpfigen Personalkörper widerspiegeln. Die Lösung aus Sicht der Landesregierung: die Errichtung einer neuen oberen Landesbehörde im Finanzressort mit Namen Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern zum 1. Januar 2018. Dadurch sollen u. a. “Synergieeffekte im personellen und fachlichen Bereich, insbesondere bei Personalverwaltung, IT-Betreuung, Shopeinkauf und -betrieb, Produktentwicklung, Haushaltsplanung und -durchführung erzielt werden”, heißt es in einem Gesetzentwurf der Landesregierung. Der sei ein Schritt in die richtige Richtung, bewertet Eg-

Schloss Güstrow, hier im Bild, ist eins von 17 Objekten, die zur Schlösser- und Gärtenverwaltung gehören. Letztere soll effizienter organisiert werden. Foto: BS/Birgit Winter, pixelio.de

bert Liskow, CDU-Abgeordneter im Landtag, das Vorhaben. Auch DBB-Landesvorsitzender Dietmar Knecht befürwortet grundsätzlich das Vorhaben, “denn es deckt sich mit den Forderungen des DBB M-V nach Entbürokratisierung und Deregulierung”. Die Synergieeffekte scheinen seiner Meinung nach aufgrund der ohnehin starken Aufgabenverdichtung kurzzeitige Arbeitsentlastungen zu ermöglichen. “Meine Erfahrungen aus ähnlichen Reformen sind aber die, dass mit den geplanten Zahlen Akzeptanz im Landtag hergestellt werden soll, die tatsächliche Situation in der Folge aber erheblich abweicht”, so Knecht. Anders Jeannine Rößler, stellvertretende Landesvorsitzende der Partei Die Linke in dem Bundesland: “Für uns steht hier der rein ökonomisch-fiskalische Gedanke im Vordergrund und nicht der kulturell-bildungspo-

litische.” Zudem befürchtet die Diplom-Kauffrau einen Stellenabbau, da alles im Gesetzentwurf auf eine Verschlankung hinweise. “Sämtliche Dienstund Arbeitsverhältnisse der im BBL M-V, im Staatlichen Museum Schwerin und im Finanzministerium tätigen Beamten und Tarifbeschäftigten werden von der Landesbehörde fortgeführt. Für Auszubildende gilt dies entsprechend”, entgegnet Liskow. Erforderliche Versetzungen sollen sozialverträglich erfolgen. Zum Personalabbau wäre es sowieso gekommen, erläutert Knecht. Schon wegen des Personalkonzepts 2010 und dem Bekenntnis im Koalitionsvertrag zu diesem. Die Bündelung werde die Stellenstreichung lediglich hemmen. Der Gewerkschafter befürchtet, dass “mit Blick auf steigende Krankenstände das Personal weiter wie eine Zitrone ausgepresst wird”.


Finanzen

Seite 7

Behörden Spiegel / Juni 2017

EU lockert Beihilferecht

Keine perfekte Lösung

Freistellung auf Häfen, Flughäfen und Kultur ausgeweitet

Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs

(BS/lkm) Die Europäische Kommission will bestimmte öffentliche Fördermaßnahmen für Häfen, Flughäfen, Kultur und Gebiete in äußerster Randlage der EU nicht mehr vorab prüfen. Öffentliche Investitionen sollen damit erleichtert werden. In den Behörden soll mit den Änderungen der Verwaltungsaufwand verringert werden. Zudem kann man sich in Brüssel dann mehr auf die größeren Fälle konzentrieren.

(BS/lkm) Bundestag und Bundesrat haben Anfang Juni die Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs beschlossen. Dem Ergebnis waren jahrelange Verhandlungen vorausgegangen. Der Finanzausgleich gilt als eines der bedeutendsten Gesetzgebungsverfahren der laufenden Legislaturperiode. Der Kompromiss zwischen Bund und Ländern gefällt aber nicht jedem.

Die Lockerungen im EU-Beihilferecht gelten unter anderem für den Regionalflughafen Leipzig/Halle. Foto: BS/Fabi-DE, cc by sa 2.0, flickr.com

“Die Kommission kann sich nun auf die Beihilfemaßnahmen mit den stärksten Auswirkungen auf den Wettbewerb im Binnenmarkt konzentrieren”, sagte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in Brüssel. “Damit folgt sie auch im Beihilferecht ihrem Grundsatz, in großen Fragen Größe und Ehrgeiz zu zeigen und sich in kleinen Fragen durch Zurückhaltung und Bescheidenheit auszuzeichnen.” Die EU-Wettbewerbsaufsicht hat das Beihilferecht für öffentliche Investitionen in Häfen, Flughäfen und Kultur vereinfacht. Mitgliedsstaaten können nun öffentliche Investitionen in Regionalflughäfen mit bis zu drei Millionen Passagieren im Jahr mit voller Rechtssicherheit und ohne vorherige Kontrolle seitens der Kommission tätigen. Dies erleichtert laut EU-Kommission öffentliche Investitionen in über 420 Flughäfen in der EU, auf die rund 13 Prozent des Luftverkehrs entfallen.

Zudem können Behörden die Betriebskosten kleiner Flughäfen mit bis zu 200.000 Passagieren pro Jahr decken. Die kleinen Flughäfen machen fast die Hälfte aller Flughäfen in der EU aus, wickeln aber nur 0,75 Prozent des Luftverkehrs ab. Daher seien bei diesen Flughäfen keine beihilfebedingten Verfälschungen des Wettbewerbs im Binnenmarkt zu befürchten. Sogenannte “Geisterflughäfen” würden mit den Vereinfachungen im Beihilferecht aber nicht entstehen. Die Regeln würden sicherstellen, dass benachbarte Regionen nicht mit geförderten Flughäfen in einen Subventionswettlauf miteinander eintreten. Die Freistellung gelte nur für Flughäfen, die mindestens 100 km oder 60 Minuten Reisezeit voneinander entfernt liegen, sagte Vestager. Bei den Häfen können durch die Lockerungen öffentliche Investitionen von bis zu 150 Mio. Euro in Seehäfen bzw. bis zu 50 Mio. Euro in Binnenhäfen ohne

vorherige Kontrolle seitens der Kommission getätigt werden. Ferner will die EU Förderungen für Kulturprojekte und für multifunktionale Sport- und Freizeitinfrastruktur nur unter die Lupe nehmen, wenn hohe Beihilfen gewährt werden. Bei Kulturprojekten müssen Förderungen nur noch dann angemeldet werden, wenn Investitionsbeihilfen von mehr als 150 Millionen Euro bzw. Betriebsbeihilfen von jährlich mehr als 75 Millionen Euro gewährt werden. Die AnmeldeSchwellenwerte bei Sportinfrastrukturen und multifunktionalen Freizeitinfrastrukturen wurden von 15 Millionen auf 30 Millionen Euro erhöht. Für Behörden soll es damit einfacher werden, Unternehmen, die in Gebieten in äußerster Randlage der EU tätig sind, einen Ausgleich für die daraus entstehenden Mehrkosten zu gewähren, sodass die Probleme und Besonderheiten dieser Unternehmen (z. B. ihre Abgelegenheit und Abhängigkeit von wenigen Erzeugnissen) besser in den Fördermaßnahmen berücksichtigt werden können. Vergabe- und Beihilferechtsexpertin Dr. Ute Jasper begrüßt die Änderungen im Beihilferecht: “Die Vereinfachungen werden vielen Kommunen und Bundesländern die Investitionen in Infrastruktur erleichtern. Sie können jetzt viel einfacher als bisher Projekte über ihre Tochterunternehmen abwickeln, ohne in zeitraubende Beihilfeprüfungen einzusteigen. Auch die Finanzierung über Darlehen wird einfacher, weil Banken keine Rechtsrisiken wegen unerlaubter Subventionen mehr befürchten müssen”, so Jasper gegenüber dem Behörden Spiegel.

Neue Anlagerichtlinien für NRW Pensionsfonds investiert künftig nachhaltig (BS/lkm) Nordrhein-Westfalen hat seine Anlagerichtlinien für den Pensionsfonds des Landes um den Aspekt der Nachhaltigkeit erweitert. Seit Juni wird neben Sicherheit und Rentabilität nun auch die Nachhaltigkeit bei einer Anlageentscheidung berücksichtigt. “Die neuen Anlagerichtlinien für den Pensionsfonds NordrheinWestfalen orientieren sich an etablierten nationalen sowie internationalen Nachhaltigkeitskriterien und ermöglichen gleichzeitig ein rentables Anlagemanagement”, sagt Nordrhein-Westfalens Finanzminister NorbertWalter-Borjans. In den Anlagerichtlinien wird Nachhaltigkeit als ökonomischer Erfolgsfaktor betrachtet. Die Nachhaltigkeit eines Finanzprodukts, gemessen an der Qualität der Leistungen auf ökologischem oder sozialem Gebiet sowie im Bereich der Unternehmensführung, hat Auswirkungen auf das Risiko-Rendite-Profil der Kapitalanlage. Somit wird eine nichtnachhaltige Anlage im Gegensatz zu einer vergleichbaren nachhaltigen Anlage mit einem erhöhten Risikoprofil bewertet und würde daher nicht in die Anlageüberlegungen mit einbezogen werden.

“Grüne Bundesanleihen” gefordert In einem Antrag forderten die Grünen nun auch den Bund auf, bei seinen Geldanlagen die Nachhaltigkeit mitzuberücksichtigen. Bei Finanzanlagen der öffentlichen Hand soll Nachhaltigkeit neben Liquidität, Stabilität und Rendite als gleichberechtigtes Anlagekriterium gelten. Die Bundesregierung investiere beispielsweise mit dem

Versorgungsfonds für Bundesbeamte in die fossile Wirtschaft und andere nicht nachhaltige Geschäfte. Über Aktien- und Anleihemärkte oder direkte Beteiligungen investiere die öffentliche Hand ungefiltert in Staaten und Unternehmen, die Kohle verstromten und völkerrechtlich geächtete Waffen herstellten. Nicht einmal Kinderarbeit werde ausgeschlossen. Gleichzeitig fordere sie ethisches Verhalten von privaten Investoren. “Das ist unglaubwürdig”, konstatieren die Abgeordneten in ihrem Antrag. Allein beim Fonds für Beamtenpensionen und den Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit müssten Aktien fossiler Unternehmen im Wert von rund 100 Millionen Euro verkauft und die Beträge nachhaltig investiert werden, fordern die Grünen. Auch gesetzliche Krankenkassen sollen bei ihren Anlagen das Nachhaltigkeitskriterium beachten. Darüber hinaus fordert die Fraktion, “die anstehende Anlage des Atommüll-Fonds an Nachhaltigkeitskriterien auszurichten und somit nicht in Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft zu investieren”. Die Bundesregierung wird zudem aufgefordert, “grüne Bundesanleihen” herauszugeben, um nachhaltige Investitionen zu finanzieren. Außerdem soll die Finanzierung von Kohle-

projekten durch die staatliche KfW-Bank beendet werden. Unternehmen sollen über ihre Maßnahmen zur Minimierung von Klimarisiken berichten und Finanzinstitute Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Kapitalanlagen und Kreditvergaben benennen.

Die Länder bekommen mehr Geld, der Bund mehr Macht.

Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, dass das Ergebnis nicht “unproblematisch” sei, die Fachöffentlichkeit sehe die Bund-Länder-Finanzregelungen kritisch. Es sei nicht gelungen, mehr Transparenz herzustellen und Anreizsysteme besser zu gestalten. Es sei wie jeder Kompromiss keine “perfekte Lösung”. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) betonte den Kompromisscharakter des Paketes. Es sei sicherlich kein “Meisterwerk” geworden. Jeder habe Abstriche machen müssen. Die Neuverhandlungen waren notwendig geworden, da der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern sowie der Solidarpakt II 2019 auslaufen. Die letzte Reform des Länderfinanzausgleichs fand Ende der sechziger Jahre statt. Im Oktober letzten Jahres einigten sich Bund und Länder auf eine Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab 2020. Für die konkrete Umsetzung mussten aber noch viele Detailfragen und eine Reihe von Grundgesetzänderungen angegangen werden. Mitte Mai hatten sich Regierungsfraktionen dann auch darauf verständigt. Der bisherige Länderfinanzausgleich wird in seiner jetzigen Form abgeschafft. Stattdessen werden die finanzschwachen Länder über den Umsatzsteuerausgleich unterstützt, wobei die Finanzkraft der Kommunen stärker berücksichtigt wird. Hinzu kommt ein 9,5-Milliarden-Bundeszuschuss. Die neuen Regeln gelten unbefristet, es sei denn, dass mindestens drei Länder oder der Bund nach 2030

Hessen und Berlin setzen bereits auf Nachhaltigkeit Während man im Bund noch diskutiert – der Antrag der Grünen wurde Anfang Juni an den Wirtschaftsausschuss weitergeleitet – haben neben NRW andere Bundesländer bei den Pensionsund Versorgungsfonds schon auf nachhaltige Anleihen umgestellt. Vorreiter war hier Hessen. Hier gibt es bereits seit 2007 eine nachhaltige Anlage für den Versorgungsfonds für Landesbeamtete. Laut Bundesbank lag die jährliche Rendite bei vergleichbarem Risiko um zwei Prozentpunkte pro Jahr höher als bei der nichtnachhaltigen Anlage des Bundes. Das Land Berlin stellte Anfang 2017 auf eine nachhaltige Kapitalanlageumundließhierzueigenseinen Index entwickeln, der Firmen aus der fossilen Brennstoffindustrie und schwere Kontroversen im Sinne des “UN Global Compact” ausschließt. Darüber hinaus werden von den im Index vertretenen Unternehmen branchenspezifische Standards in puncto Nachhaltigkeit gefordert.

eine Neuordnung einfordern. Bis zur einvernehmlichen Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, höchstens jedoch für fünf Jahre, gelten die alten Regeln fort.

“Höchst problematisch” Im Gegenzug für die Finanzhilfen sagten die Länder dem Bund auch strukturelle Veränderungen zu. So wird der Stabilitätsrat gestärkt, indem er auch die Schuldenbremse der Länder überwacht, ferner erhält der Bund mehr Kontrollrechte bei der Mitfinanzierung von Länderaufgaben und darf die Bildungsinfrastruktur finanzschwacher Kommunen mitfinanzieren. Auch werden die Rechte des Bundes in der Steuerverwaltung gestärkt. Ferner wird es eine neue Bundesfernstraßengesellschaft geben, welche auf sonstige Fernstraßen ausgeweitet werden kann. Diese neue Gesellschaft ist einer der am stärksten kritisierten Punkte der BundLänder-Vereinbarung. Kritiker befürchten, dass damit die Autobahnen privatisiert würden. Gerade mit ÖPP werde trotz schlechter Erfahrungen mit “Toll Collect” und anderen Projekten die Tür für “Raubverträge zur Ausplünderung des Steuerzahlers” geöffnet, kritisierte Sahra Wagenknecht von den Linken. Die Öffentlich PrivatenPartnerschaften (ÖPP) wurden im Grundgesetz eingeschränkt, möglich sind sie aber dennoch. Scharfe Kritik kommt auch vom Bundestagspräsidenten, Norbert Lammert. Er hält die Verfassungsänderungen für “formal grenzwertig”, “indiskutabel”

Foto: BS/Ralf Luczyk, www.hinein.eu, pixelio.de

und “höchst problematisch”. Die Gesetzesänderungen würden eine Entwicklung “hin zum Zentralstaat” befördern. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sprach für die Länder von einem “guten Ergebnis” und entgegnete, dass auch die Solidarität unter den Ländern bestehen bleibe, wenn auch in etwas geringerem Umfang. Kritisch werden auch die Bundesfinanzhilfen an finanzschwache Kommune gesehen. “Wir setzen hier ein schwieriges Signal und falsche Anreize. “Statt Bundeshilfen für finanzschwache Kommunen im Grundgesetz zu normieren, sollten die finanziell zuständigen Länder alles daran setzen, die Finanzschwäche von Kommunen zu beheben. Das eigentliche Ziel müsste es sein, dass es keine finanzschwachen Kommunen gibt. Stattdessen werden finanzschwache Kommunen jetzt sogar in der Verfassung verankert”, sagte Ingbert Liebing, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Man müsse damit rechnen, dass Länder künftig Kommunen bei Investitionsbedarf an den Bund verwiesen. Dennoch stimmte er den Gesetzesänderungen zu, da in der Gesamtbetrachtung – trotz aller struktureller Kritik – der Abschluss der Verhandlungen wichtiger sei. Notwendig für die geplanten Reformen waren insgesamt 13 Grundgesetzänderungen. Hinzu kamen etliche weitere Gesetzesänderungen, mit denen die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern neu geregelt wurde.

Dicke Bretter Diskussion um EPSAS-Einführung (BS/gg) Die einheitlichen Rechnungslegungsstandards für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union EPSAS (European Public Sector Accounting Standards) waren Gegenstand einer Diskussionsrunde, die Mitte Mai im Rahmen des Kongresses “Digitaler Staat” in Berlin standfand. Hier wurde erneut deutlich, wie komplex und vielschichtig das Vorhaben ist und dass es bis zu einer Verständigung auf einheitliche Standards noch zahlreiche “dicke Bretter” zu bohren gilt. Intensiv und unmittelbar sind auch die drei Diskutanten in diesen Prozess eingebunden. So vertritt Dr. Jan Finken aus dem Bundesministerium der Finanzen den Bund in der EPSAS Working Group und ist Mitglied der EPSAS-Zelle zu den Prinzipen der EPSAS-Standards. Die Position des Bundes ist insbesondere an einer Stelle klar: selbst wenn die EPSAS eines Tages kommen, soll die Wahlfreiheit der Rechnungslegungsart beim Bund und den Ländern erhalten bleiben. Der Bund moniert zudem die Governance der EUKommission. Man brauche “ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren”, so Finken, und eine breitere Beteiligungsstruktur

bei der Standardsetzung als dies bislang der Fall sei. Seit mehreren Jahren beteiligt sich auch der Hessische Rechnungshof intensiv an der Diskussion zu EPSAS. Als Experte auf der Arbeitsebene ist Dr. Andreas Glöckner nicht nur Beobachter in der “EPSAS Working Group”, sondern auch Mitglied in der “Task Force EPSAS Standards” und der “Cell on principles related to EPSAS standards”. Die Hessen stehen den EPSAS durchaus positiv gegenüber, sind als erstes Flächenland in der Doppik ja auch besser aufgestellt als manch andere Länder. Aber auch hier ist man nicht bereit, für die Einführung der EPSAS von bewährten Prinzipien der öffent-

lichen Verwaltung in Deutschland abzurücken. So müsse ein zukünftiger Standard Objektivierungs- und Vorsichtsprinzip berücksichtigen, so Glöckner. Thomas Müller-Marqués Berger, EPSAS-Experte von E&Y, zeigte sich trotz aller Bedenken optimistisch, dass es gelingen werde, sich auf “maßgeschneiderte EPSAS” zu verständigen. Im weiteren Verlauf der Diskussion, die derzeit vornehmlich auf der Fachebene geführt wird, könne man dann auch weitere Akteure mit einbinden und die Beteiligungsstruktur ausweiten. An diesem Punkt sei die Diskussion um einheitliche europäische Rechnungslegungsstandards derzeit aber noch nicht.


Beschaffung / Vergaberecht / E-Vergabe

Seite 8

Behörden Spiegel / Juni 2017

E-Vergabe vs. Faktor Mensch

Wenn billig zu teuer ist

Mit Widerständen der Mitarbeiter umgehen

Warum die Bewertung der Leistung in IT-Ausschreibungen so wichtig ist

(BS/jf) Eigentlich muss die E-Vergabe ab 1. Januar 2020 in Deutschland verpflichtend angewendet werden. Die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) sieht jedoch Ausnahmen vor. Auch wenn alle Vorteile für den elektronischen Prozess auf der Hand liegen, was tun, wenn Beschaffer und Mitarbeiter in den Vergabestellen ihn nicht anwenden wollen?

(BS/Dr. Johann Peter Franz/Martin Lux) Die jüngste wechselhafte Vergabe-Rechtsprechung macht es Vergabestellen immer schwerer, in einem Verfahren die Qualität respektive die Leistung zu bewerten. Das folgende fiktive Szenario beschreibt häufige Probleme bei der Bewertung von IT-Ausschreibungen sowie mögliche Lösungsansätze.

Oberhalb der Schwellenwerte ist die E-Vergabe bereits ab Oktober 2018 verpflichtend, unterhalb fast 1,25 Jahre später. Eigentlich. Denn bei Auftragswerten unterhalb von 25.000 Euro sowie bei beschränkten Ausschreibungen und Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb sieht die UVgO eine Kann-Regelung vor. Diese Ausnahmen könnten dazu führen, dass in kleinen Beschaffungsstellen die Akzeptanz zur EVergabe weniger ausgeprägt ist als in anderen Bereichen. Dirk Scheuer und Herbert Kotzab haben sich deshalb in einem Forschungsprojekt gezielt mit dem “Faktor Mensch” im Rahmen von E-Procurement-Systemen auseinandergesetzt. Dazu haben die Autoren die Beziehungsstränge zwischen Mitarbeitern und Führungskräften analysiert, Befindlichkeiten zwischen den Probanden aufgedeckt und die Problemsituation bei der Nutzung einer E-ProcurementSoftware erörtert. In einem zweiten Schritt wurden diese durch konkrete Schulungen beseitigt. Die Beteiligten werden zudem in regelmäßig stattfindenden Audits befragt. Die Ergebnisse können nachgelesen werden in

Ronald Bogaschewsky, Michael Eßig, Rainer Lasch, Wolfgang Stölzle (Hrsg.): Supply Management Researsch, Aktuelle Forschungsergebnisse 2016, Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, 323 Seiten, 59,99 Euro

dem vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) mit herausgegebenen Buch “Supply Management Research 2016”, im Beitrag “Systemische Intervention zur Forcierung der innerbetrieblichen Nutzung einer E-Procurement-Software”.

Die Vergabestelle eines öffentlichen Auftraggebers schreibt erstmals die Beschaffung von 250 PCs aus. Sie bekommt technische Anforderungen aus der IT-Abteilung, die auf die Nennung von Herstellern und Komponenten drängt. Eine herstellerneutrale Formulierung kann nur mit Mühe durchgesetzt werden. Sie bereitet den Mitarbeitern, für die der Vergabegegenstand IT neu ist, Schwierigkeiten. Die Reibungen in der Zusammenarbeit mit der Fachabteilung machen die gemeinsame Ausarbeitung einer “komplexen” Bewertungsmatrix unmöglich. Man entscheidet sich deshalb für den Preis als alleiniges Entscheidungskriterium und hält die Anforderungen an Güte und Qualität der Geräte allgemein.

Wie es nicht ablaufen sollte Zur Angebotseröffnung liegen viele Angebote unterschiedlichster Hersteller vor. In der vierten Wertungsstufe zeigt sich, dass die angebotenen Modelle teilweise nicht vergleichbar sind. Die IT würde den Zuschlag gerne einem der Markenanbieter erteilen, die hochwertige Geräte zu günstigen Preisen angeboten haben. Der Zuschlag wird aber dem günstigsten Angebot eines

Eine Plattform für alle Die “Vergabekooperation Berlin” (BS/Joachim Klühspies*) Mit der “Vergabekooperation Berlin” soll zum einen die Firmen- und Bieterakzeptanz für das Thema E-Vergabe in und um Berlin erhöht und zum anderen auch weiteren Betrieben des Landes Berlin die Vergabeplattform zur Verfügung gestellt werden. Mit der Einführung eines E-Vergabe-Systems bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB) war es erklärtes Ziel, die Vergabe von Bau- und Dienstleistungen, Beschaffungsaufträgen und Material langfristig komplett digital abzubilden. Die besonderen Herausforderungen für das Projekt waren die Abbildung der bestehenden Aufbau- und Ablauforganisationen mit den Standardsoftwarelösungen AI Vergabemanager und AI Vergabeplattform. Neben der Bereitstellung von Vorlagen zur Durchführung von Vergabeverfahren nach den aktuellen Vergabeverordnungen und der Sektorenrichtlinie wurden auch spezielle kundenspezifische Vorlagen für nichtformalisierte freihändige Vergabeverfahren realisiert. Kurz nach Produktivsetzung der neuen Vergabeplattform der Berliner Wasserbetriebe wurde der Gedanke zur Vergabekooperation Berlin geboren. Als erster Kooperationspartner haben sich die Berliner Bäderbetriebe an der Plattform betei-

ligt. Kurz darauf folgten die Berliner Verkehrsbetriebe, die AFM Adlershof Facility Management GmbH und der Forschungsverbund Berlin e. V. Als jüngster Partner beteiligt sich die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH. Die Möglichkeit, auf Auftraggeberseite das Vergabemanagementsystem beliebig an spezielle Kundenwünsche anzupassen, ist der große Vorteil dieser Lösung. Sowohl die BWB wie auch der Forschungsverbund Berlin e. V., für welche jeweils spezielle Kundenanforderungen umgesetzt wurden, nutzen die gleiche Software und Plattform wie Kunden mit standardisierten Prozessmodellen wie u. a. die Berliner Bäder-Betriebe und die AFM Adlershof Facility Management GmbH. Diese Flexibilität wird durch die offene Struktur der AI Vergabelösungen ermöglicht. So ergeben sich zur Nutzung der Plattform die folgenden zwei Möglichkeiten: Gerade für Vergabestellen mit wenigen Nutzern ermöglicht die BWB die Einrichtung eines Mandanten in ihrem beste-

Die Plattform “Vergabekooperation Berlin” und die derzeitigen Nutzer

henden System. Dagegen nutzen Kunden, wie z. B. der Forschungsverbund Berlin e. V. und die AFM Adlershof Facility Management GmbH, jeweils eine eigene Installation des AI Vergabemanagers, welche an die Vergabekooperation Berlin angebunden ist. Der große Vorteil für die Bieter besteht darin, nicht zwischen verschiedenen Plattformen wechseln zu müssen. Mit dem Bieterwerkzeug AI Bietercockpit können Vergabeunterlagen eingesehen, elektronische Angebote erstellt und abgegeben werden. Die gesamte Kommunikation mit den Vergabestellen verläuft ebenfalls elektronisch über die Plattform. Mit der Nutzung der Plattform “vergabekooperation.berlin” erfüllen sowohl die teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber als auch die Wettbewerber und Bieter die Anforderungen des neuen Vergaberechts. *Joachim Klühspies, leitet den Bereich Vertrieb und Marketing der Administration Intelligence AG.

Foto: BS/AI AG

Dr. Johann Peter Franz ist Senior Consultant Vergabemanagement bei der IABG GmbH. Martin Lux leitet das Referat für EDV-Beschaffungen der Ludwig-Maximilians-Universität München. Fotos: BS/privat

bisher unbekannten Herstellers erteilt. Die ersten gelieferten PCs fallen im Betrieb durch laute Lüftergeräusche auf. Die Nutzer sind unzufrieden und wollen die neuen Geräte eintauschen – notfalls sogar gegen ihre alten PCs. Auch die Supportmitarbeiter haben ihre liebe Mühe mit den defektanfälligen Geräten. Die Gehäuse wirken schlecht verarbeitet und lassen sich nur mit Werkzeug öffnen, defekte Komponenten sind im Kabelgewirr kaum zu erreichen. Updates der PCs auf Windows zehn scheitern an Treiberproblemen. Es zeigt sich, dass der Hersteller weder Produktions-, noch Servicemängel in den Griff bekommt. Die allgemeine Unzufriedenheit mit den PCs bleibt über die Betriebsdauer von vier Jahren bestehen.

Besser Wenige Monate später steht eine neue PC-Ausschreibung an. Diesmal möchte man es besser machen und informiert sich genau über den Markt und die Vergabepraxis. Zusammen mit der IT-Abteilung wird nach bestem Wissen eine Bewertungsmatrix erstellt, in die auch die Rückmeldungen von Nutzern einfließen. Die Kriterien werden prozentual gewichtet, technische und ergonomische Anforderungen genau beschrieben. Die Anforderungen an die Eignung der Bieter werden deutlich verschärft. Dieses Mal gibt es bei der Ange-

botseröffnung eine überschaubare Anzahl von besser vergleichbaren Angeboten. Bei der Wertung setzt sich ein Angebot durch, mit dem Vergabestelle und Fachabteilung zufrieden sind. In der Stillhaltefrist beantragt ein nicht berücksichtigter Bieter ein Nachprüfungsverfahren aufgrund fehlender Transparenz bei den Bewertungskriterien. Die Vergabekammer stellt jedoch fest, dass das Angebot des Bieters nachweislich gut bewertet worden sei und lediglich aus preislichen Gründen nicht den Zuschlag erhalten habe. Es sei folglich kein Schaden entstanden. Die Vergabestelle kommt mit einem blauen Auge und einer zeitlichen Verzögerung davon. Im Betrieb verhalten sich die neuen PCs weitgehend unproblematisch. Zwei kleine Wermutstropfen bleiben: Die PC-Lüfter werden unter Volllast sehr laut, z. B. wenn Standardanwendung X einen Bericht erzeugt. Eher zufällig stellt ein Mitarbeiter des Supports fest, dass die PCs im Vergleich zu Wettbewerbsprodukten recht viel Strom verbrauchen. Alle Mitarbeiter arbeiten trotzdem gerne mit den Geräten.

Erfolg durch Qualitätskriterien Auch bedingt durch den Erfolg arbeiten Vergabestelle und Fachabteilung mittlerweile sehr gut zusammen. Man hat ein gemeinsames Verständnis, dass die gründliche Vorbereitung von

Ausschreibungen sehr gut investierte Zeit ist. Beide arbeiten auch jeweils auf ihrem Gebiet daran, für zukünftige Ausschreibungen besser gerüstet zu sein. Die Vergabestelle entwickelt die bestehenden Bewertungskriterien weiter, um diese dadurch für die Bieter transparenter zu machen. Um die Unsicherheiten bei der Bewertung von Angeboten zu beseitigen, wird ein Workshop mit einem Berater durchgeführt, mit dem ein Wertungskonzept auf der Basis der einfachen Richtwertmethode entwickelt wird. Die Qualität der PCs aus der zweiten Ausschreibung entlastet die Mitarbeiter der Fachabteilung deutlich. Durch die entstandenen Freiräume kann man Mitarbeiter auf eine Fortbildung zum Testen von IT-Geräten schicken. Denn bei der nächsten Ausschreibung will man die Qualität angebotener PCs selbst an Testgeräten messen und bewerten. Ähnlich wird man bei den anstehenden Vergaben von Druckern, Monitoren und Notebooks vorgehen, um gute und energieeffiziente Geräte beschaffen zu können. Zusammen mit der Vergabestelle sieht man diesen Ausschreibungen nun gelassen entgegen. Weitere Information und Anmeldung unter: www.fuehrungskra efte-forum.de, Suchwort “Bewertungskriterien”

Save the Date Die Anwendung qualitativer Bewertungskriterien bei der Vergabe von IT-Leistungen thematisieren die beiden Autoren in einem Seminar des Behörden Spiegel. Dieses findet am 11. Oktober 2017 in München statt.

Umfangreiche Terminberechnung VIZSON veröffentlicht kostenlosen Terminrechner “e-VA Termin” für Vergabeverfahren (BS/Michael Jurischka*) Mitarbeiter von Vergabestellen und weitere Beteiligte (z. B. Planungsbüros) können ab sofort kostenlos unter kalender.e-va.eu ihre Kalender für Vergabeverfahren berechnen lassen. Für viele dürfte das eine große Zeitersparnis bedeuten, weil dadurch die ansonsten manuelle Berechnung entfällt. VIZSON stellt damit den Terminrechner e-VA Termin aus der von ihr vertriebenen Vergabemanagementsoftware e-VA vor. E-VA Termin bietet jeden Termin auch als Startdatum für die Berechnung an und berücksichtigt bundes- und landesweite Feiertage. Alle voreingestellten gesetzlichen Fristen können manuell verändert werden. Dabei können Nutzer auswählen, ob die jeweilige Frist in Kalender- oder in Werktagen angegeben ist und ob das berechnete Datum an einem Wochenende oder einem Feiertag liegen darf. Neu ist die kostenpflichtige Version e-VA Termin Pro. Für ein geringes Entgelt können sämtliche Angaben gespeichert und wieder abgerufen, eigene individuelle Fristen eingegeben und die Ergebnisse per E-Mail inklusive Dateianhängen in unterschiedlichen Formaten versendet werden. Außerdem bietet diese Version den Export in das .icsFormat an, das den Import in alle üblichen Kalenderanwendungen erlaubt. Wird der Terminrechner innerhalb der Vergabemanagementlösung e-VA genutzt, können sämtliche berechnete Termine in ein Vergabeverfahren übernommen werden. Für Kurzentschlossene bietet

VIZSON bis zum 1. Juli 2017 25 Prozent Rabatt für das erste Jahr. Weitere Informationen finden

Die Vorteile auf einen Blick Vorbelegung mit gesetzlichen Fristen

Sie auf: https://kalender.e-va. eu . *Michel Jurischka ist freier Journalist.

e-VA Termin

e-VA Termin Pro

ja

ja

Bundes- und landesweite Feiertage

ja

ja

Sämtliche Verfahrensarten

ja

ja

Berechnungsstart selbst festlegen

ja

ja

Alle Fristen individuell veränderbar

ja

ja

Fristen in Kalender- oder Werktagen angeben

ja

ja

Einstellen, ob berechnete Termine an Wochenenden und Feiertagen liegen dürfen

ja

ja

Bis zu drei Angebotsrunden

ja

ja

Export nach .pdf- und . xlsx- Format

ja

ja

Auf mobilen Endgeräten nutzen

ja

ja

Speichern eigener Vorlagen

-

ja

E-Mail-Versand inkl. Anhängen im .pdf- , .xlsx - und .ics-Format

-

ja

Eigene individuelle Fristen

-

ja

Export in .ics-Format für Kalenderanwendungen

-

Ja

Bezeichnung mit benutzerdefinierten Kalendernamen

-

ja

Vergabekalender in Verfahren übernehmen*

-

ja

*Nur in Verbindung mit dem Vergabemanagementsystem e-VA, Information: kalender.e-va.eu Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 9

Mit Zwang oder freiwillig?

MELDUNG

Nachhaltige Beschaffung mittels Einkaufskatalog

Wirksam?

(BS/Jörn Fieseler) Sollen öffentliche Auftraggeber nachhaltig einkaufen können oder müssen? Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag ist die Frage klar zu be- (BS/jf) Der Wirtschaftsausantworten. Per Antrag drängen Sie auf eine Änderung der “Richtlinien über die Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge”. Davon unabhängig schuss des Deutschen Bundesbleibt die Frage nach dem Wie und der Beschaffungsorganisation. tages hat den Weg für das WettDamit nachhaltige Beschaffung in einer Verwaltung wirklich gelingen kann, braucht es viel Zeit, motivierte Mitarbeiter in den Vergabestellen und vor allem Transparenz. Zu letzteren gehören Informationsveranstaltungen und Schulungen der Mitarbeiter in den Fachämtern. So die Empfehlungen der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) in ihrem kürzlich veröffentlichten Praxisleitfaden “Dialog global – Nachhaltig Einkaufen im Rathaus”.

Beispiel Mainz In dem knapp 40-seitigen Leitfaden erläutert die SKEW, wie soziale und ökologische Kriterien in der Landeshauptstadt Mainz genutzt werden. Dort wurde 2016 ein Projekt mit dem Ziel aufgelegt, den vorhandenen elektronischen Einkaufskatalog stärker auf umweltfreundliche und fair gehandelte Produkte auszurichten. Die Mainzer Beschaffung ist dezentral organisiert, eine zentrale Vergabestelle fungiert vor allem als koordinierende Einheit und zur strategischen Beschaffung. Zur letzteren gehören die Ausschreibung von Rahmenverträgen, das Setzen von Standards und das Führen eines elektronischen Einkaufskataloges für sogenannte C-Artikel (siehe Hinweiskasten). Dazu gehören unter anderem Büromaterialien, Reinigungsmittel, Hygienepapiere, Arbeitsschutzmaterialien und andere Produkte mit kurzer Lebensdauer. Der Katalog umfasst rund 35.000 Produkte in 40 Produktgruppen. Insgesamt sind etwa 2,5 Mio. Artikel bestellbar, da der Katalog eine Schnittstelle zu einem Onlineshop eines Lieferanten beinhaltet. Für den Einkauf nachhaltiger C-Artikel sind damit nicht

Wie das Beispiel Mainz zeigt: Nachhaltige Beschaffung und elektronischer Einkaufskatalog sind eine hervorragende Kombination, um ökologische Kriterien bei C-Artikeln wie Büromaterialien zu berücksichtigen. Foto: BS/Thorben Wegnert, pixelio.de

ABC-Kategorien von Artikeln (BS/jf) Beschaffungsobjekte werden mittels der ABC-Klassifizierung kategorisiert. Für die Einteilung wird das Verhältnis zwischen Verbrauchsmengen und dem Wert der Beschaffungsgegenstände genutzt, wie die SKEW ausführt. A-Artikel sind durch einen geringen mengenmäßigen Anteil mit einem hohen Verbrauchswert gekennzeichnet. B-Artikel haben einen mittleren mengenmäßigen Anteil und einen mittleren Wert. C-Artikel zeichnen sich durch hohe Verbrauchsmengen bei gleichzeitig geringem Verbrauchswert aus.

die 640 Einkäufer innerhalb der Fachbereiche und Beteiligungen der Stadt verantwortlich, sondern die Zentrale Vergabestelle. Diese stellt die Produkte im webbasierten Einkaufskatalog bereit, die Einkäufer bestellen per Mausklick und der Lieferant sendet die Bestellung an eine der rund 200 Lieferadressen. Allerdings: Eine vollständig nachhaltige Beschaffung ist und bleibt eine Illusion. Durch den Direktkauf kann nicht ausgeschlossen werden, dass Produkte beschafft werden, die nicht nachhaltig sind. Obwohl mit rund 2.600 Produkten eine der größten Grup-

pen im Katalogsystem, entschieden sich die Mainzer, die nachhaltige Beschaffung zuerst bei den Büroartikeln zu verbessern. Grund: In diesem Bereich gibt es bereits Standards und Hilfestellungen, etwa über die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung. Dazu haben die Mitarbeiter der Zentralen Vergabestelle und einer eingerichteten AG Nachhaltige Beschaffung sämtliche Produkte hinsichtlich ökologischer Kriterien bewertet und in vier unterschiedliche Stufen eingeordnet. Stufe null umfasst diejenigen, die noch nicht bewertet wurden oder bei denen es überhaupt nicht mög-

217 neue klimafreundliche Autos Bundesministerien erweitern Flotte / Handlungsbedarf unterschiedlich (BS/jf) Über 200 Fahrzeuge, die weniger als 50 g CO2 pro Kilometer emittieren, sollen auf Bundesebene in diesem Jahr beschafft werden. Die meisten im Finanzressort (131). Allerdings: Bei einem derzeitigen Anteil von 2,5 Prozent (203 Fahrzeuge) ist dies ein Tropfen auf den heißen Stein für eine klimafreundliche Fahrzeugflotte. Generell sind die Fahrzeugflotten der obersten Bundesbehörden unterschiedlich groß. Teilweise werden nicht nur für das Ministerium selbst, sondern auch für deren Geschäftsbereichsbehörden die Daten gesammelt. Anders sind die Zahlen für das Ressort von Minister Wolfgang Schäuble nicht zu erklären. Ähnlich auch die Situation in Ursula von der Leyens Verteidigungsressort. Das BMVg nutzt aktuell 141 Pkws, deren CO2-Austausch weniger als 50g/km beträgt (1,92 Prozent am Gesamtbestand). Allerdings deckt das Ministerium seinen handelsüblichen Mobilitätsbedarf durch Anmietung bei einem Auftragnehmer. Eigene Beschaffungen sind daher nicht geplant.

Spitzenreiter BMVi Im Bundesverkehrsministerium zählen bereits 71,4 Prozent der Fahrzeugflotte (25 Autos) zu den Klimafreundlichen. Dabei handelt es sich bei allen Kraftfahrzeugen um jene, die den Kriterien des Elektromobilitätsgesetzes (EmoG) entsprechen. Weitere 21 sollen in diesem Jahr hinzukommen. Über die Hälfte der Fahrzeuge im Bundespresseamt weisen ebenfalls einen geringen CO2-Ausstoß auf (55,56 Prozent). Dies sind fünf der insgesamt neun Fahrzeuge. Acht Autos sollen 2017 noch

Über 420 Fahrzeuge, wie der BMW 330e, mit einem CO2-Ausstoß unter 50 g/ km sind bei den Bundesministerien bereits im Einsatz. Foto: BS/Zytonits, cc-by-sa-2.0, flickr.com

angeschafft werden. Im Bundesgesundheitsministerium sind derzeit acht von 21 Fahrzeugen (38 Prozent) entweder Hybridoder Elektrofahrzeuge. In den Bundesministerien für Umwelt, Bau, Naturschutz und Reaktorwesen (BMUB: 32 Prozent, sieben Pkws), für Wirtschaft (BMWi: 29 Prozent, sieben Pkws), für Bildung und Forschung (BMBF: 28,6 Prozent, sechs Pkws), für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ: 25 Prozent, vier Pkws) sowie im Auswärtigen Amt (18,8 Prozent, vier Pkws) sollen insgesamt 30 Fahrzeuge mit geringem CO2Ausstoß angeschafft werden. Damit würde in allen Häusern der Anteil am Gesamtbestand auf um die 50 Prozent ansteigen.

In den übrigen Ressorts ist der Anteil von Fahrzeugen, die weniger als 50 g CO2/km emittieren, deutlich geringer. Während im Bundesinnenministerium (BMI: 13,6 Prozent, drei Pkws) und um Bundesjustizministerium (BMJV: 20 Prozent, zwei Pkws) noch zweistellige Angaben erreicht werden, sind es in den übrigen weniger als zehn Prozent. Diese Angaben gehen aus einer Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf eine Frage des Bundestagsabgeordneten Stephan Kühn (Bündnis 90/Die Grünen) hervor. Konkrete Daten, wann die Fahrzeuge für die jeweiligen Ressorts beschafft werden, wurden nicht genannt.

lich ist, insgesamt 0,24 Prozent. Stufe eins umfasst die Artikel, die ausnahmslos positiv (knapp 51 Prozent) und damit empfehlenswert sind. In Stufe zwei sind diejenigen eingruppiert, die sowohl positive wie negative Eigenschaften aufweisen und damit als neutral gelten (25 Prozent). Die übrigen fast 24 Prozent der Waren werden als mangelhaft und nicht empfehlenswert eingestuft (Stufe drei). Langfristig soll der Anteil der empfehlenswerten Produkte weiter erhöht werden. Dazu wird überlegt, im Katalog diese Produkte als erstes vor weniger nachhaltigen Produkten anzeigen zu lassen. Dahinter steckt die Überlegung, dass Einkäufer im Katalog nicht lange suchen, sondern bereits das oberste Produkt bestellen. Außerdem sollen die Bewertungen im Stufensystem noch kenntlicher gemacht werden, etwa durch farbliche Markierungen.

Herausforderung Standardisierung Eine zweite Variante wäre, weniger nachhaltige Waren und Artikel aus dem Sortiment zu nehmen und zu standardisieren. Wie kompliziert dies allerdings sein kann, wird ebenfalls im Leitfaden anschaulich geschildert, am Beispiel eines Bleistiftes. Um deren Fülle zu reduzieren, wurde zuerst versucht, den Härtegrad zu vereinheitlichen. Doch während einige Verwaltungen einen Härtegrad HB benötigen, sind andere, etwa der stenografische Dienst, auf einen weicheren Härtegrad

angewiesen. Und wieder andere, etwa das Stadtplanungsamt, benötigt aufgrund der Exaktheit von Plänen und Zeichnungen wiederum härtere Bleistifte. Auch bei den Farben des Stiftes konnte keine Einheitlichkeit erzielt werden, da Einheiten wie das Grünflächenamt leuchtende, knallige Farben benötigen, damit die Stifte in Beeten und auf Rasenflächen wiedergefunden werden können.

Muss-Regeln im Freistaat Und in Bayern? Dort sollen öffentliche Auftraggeber entsprechend dem Antrag der Grünen Umweltschutz- und Energieeffizienzaspekte beachten müssen. Dazu sind bspw. die Anforderungskriterien der europäischen Energieverbrauchskennzeichnung, der Durchführungsrichtlinien nach der EuP-Richtlinie oder freiwillige Kennzeichnungsprogramme wie Blauer Engel, Europäisches Umweltzeichen oder der Energy Star heranzuziehen. Des Weiteren sollen im Rahmen der Eignungsprüfung bei europaweiten Ausschreibungen von Bietern Nachweise für die technische Leistungsfähigkeit verlangt werden, aus denen hervorgeht, das sie Normen für das Umweltmanagement erfüllen, sofern diese im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen. Außerdem sollen bei der Wertung die Lebenszykluskosten sowie zu erwartende Treibhausgasemissionen berücksichtigt werden. Wann der Antrag im Landtag beraten wird, steht noch nicht fest.

bewerbsregister (Drucksache 18/12051) freigemacht. Damit kann das Gesetz in der nächsten Sitzungswoche Ende Juni verabschiedet werden. Es bleibt aber die Frage, ob die gewünschten Wirkungen auch erzielt werden? Mit dem Register sollen Erkenntnisse über Ausschlussgründe von Vergabeverfahren von Unternehmen gesammelt werden, indem Strafverfolgungsbehörden und die für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden des Bundes und der Länder entsprechende Hinweise übermitteln. Allerdings: erst ab einer Höhe von 50.000 Euro. Die CDU/CSU-Fraktion verteidigte diese Grenze, hielt eine Höhe von 5.000 Euro für unverhältnismäßig. Diese wurde wiederum vom Bundesrat und den anderen Parteien begrüßt. 90 bis 95 Prozent würden bei 50.000 Euro Bemessungsgrenze nicht erfasst. Gerade die Entscheidungen der Kartellbehörden der Länder gäben den Kommunen jedoch deutliche Hinweise, so die Länderkammer. Trotzdem stimmten die Sozialdemokraten und die Grünen zu, auch wenn die Oppositionspartei sich ein “bisschen mehr Mut zur Umsetzung” gewünscht hätte. Aber ein Einstieg sei besser als keiner, begründet die SPD ihre Entscheidung. Ob die gewünschten Effekte damit eintreten und die Länder von ihren Registern Abstand nehmen, bleibt offen, da diese Regelungen enthalten, die weit über das Bundesregister hinausgehen.


Beschaffung / Vergaberecht / E-Vergabe

Seite 10

Viel Bewegung

► Entscheidungen zum Vergaberecht

UVgO, Mindestlohn und Evaluation (BS/Jörn Fieseler) Die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) gilt nicht unmittelbar, sie muss per Gesetzesänderung zur Anwendung gebracht werden. Im Bund geschieht dies im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. In den Ländern in den Tariftreue- und Vergabegesetzen. In Niedersachen, Hamburg und Berlin gibt es noch andere Änderungen. Als eines der ersten Länder hat Niedersachsen für das eigene Tariftreue- und Vergabegesetz (NTVergG) eine Gesetzesänderung ins Landesparlament eingebracht, um die UVgO zur Anwendung zu bringen. Darüber hinaus ist das NTVergG evaluiert worden. Wesentliche Erkenntnis: Öffentliche Auftraggeber, die in § 99 Abs. IV GWB genannt sind – sprich Subventionsempfänger – sollen vom Geltungsbereich des Landesgesetzes ausgenommen werden. Ebenso Sektorenauftraggeber. Beide sind bislang unterhalb der Schwellenwerte und ab einem Auftragswert von 10.000 Euro verpflichtet, das Tariftreue- und Vergabegesetz anzuwenden. Gerade Empfänger von Subventionen seien ehrenamtlich tätig und mit dem Vergaberecht überfordert. Deshalb wollen viele die Haftungsrisiken bei fehlerhafter Anwendung nicht übernehmen.

Für Sektorenauftraggeber enthält das Landesgesetz teilweise Verschärfungen gegenüber der oberhalb der Schwellenwerte geltenden Sektorenverordnung (SektVO). Das Gesetz wird nach der Sommerpause im August im Wirtschaftsausschuss des Landtages weiter beraten.

Fair-Trade-Leitmotiv in Hamburg Auch in der Freien und Hansestadt Hamburg ist eine Änderung des Vergabegesetzes (HmbVgG) vorgesehen, um die Anwendung der UVgO zu ermöglichen. Darüber hinaus sollen die Regelungen zum Mindestlohn europafest gemacht werden. Diese gelten künftig nur noch für Auftragnehmer, die die Leistung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erbringen. Damit werden explizit die Auftragnehmer vom Mindestlohn ausgenommen, die nicht

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

Behörden Spiegel / Juni 2017

in Deutschland ihren Sitz haben. Notwendig sei diese Regelung wegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache C 549/13 vom September 2014. Darüber hinaus ist beabsichtigt, fair gehandelten Produkten bei öffentlichen Aufträgen den Vorzug zu geben. Vorausgesetzt, mindestens zwei Unternehmen bieten vergleichbare Produkte an. Ausdrücklich heißt es im Gesetzentwurf, dass ein Markt noch nicht vorliege, wenn ein Produkt erstmals von einem einzigen Anbieter als fair gehandelt verkauft werde. Das zusätzliche Erfordernis der wirtschaftlichen Vertretbarkeit begrenze als übergreifendes Prinzip des Haushaltsvergaberechts diese Verpflichtung und sei als Aufforderung an die öffentlichen Auftraggeber zu verstehen, zu prüfen, ob trotz des zu erwartenden Mehrpreises für faire Produkte das sozialpolitische Ziel der Förderung des sozialen Handels im konkreten Einzelfall mit haushaltsrechtlichen Erfordernissen in Einklang zu bringen sei. Eine weitergehende Regelung sei wegen der Marktdynamik nicht möglich. Das Gesetz ist an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien der Bürgerschaft überwiesen worden.

Umfangreiche Gesetzesänderungen Rheinland-Pfalz plant im Zuge der UVgO eine Neufassung der Verwaltungsvorschrift über das öffentliche Auftrags- und Beschaffungswesen. Wann die Arbeiten dazu abgeschlossen sein werden, ist noch nicht bekannt, auf jeden Fall soll noch in diesem Jahr die Änderung erfolgen. Parallel müssen auch das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Landeshaushaltsordnung geändert werden, um die Gleichrangikeit der öffentlichen und der beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb zu ermöglichen.

Neun Euro oder dynamische Regelung In Berlin soll der vergabespezifische Mindestlohn angehoben werden. Die Regierungsparteien (SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke) in der Bundeshauptstadt wollen ihn auf neun Euro erhöhen. 16 Cent über dem bundeseinheitlich geltenden Wert. Ausreichen wird die Anhebung aber trotzdem nicht, um vor Altersarmut zu schützen. Dafür müsste der Wert nach Berechnungen von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Wissenschaftlern auf rund zwölf Euro angehoben werden. Dieser Schritt sei notwendig, weil der bundesgesetzliche Mindestlohn inzwischen höher sei als das Berliner Mindestentgelt von 8,50 Euro. Nach dem Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) ist die Höhe des Mindestentgelts jährlich zu überprüfen und eine Anpassung im gleichen Zeitraum, mindestens aber alle zwei Jahre vorzunehmen. Die FDP im Abgeordnetenhaus plädiert stattdessen für eine dynamische Anpassung entsprechend der Mindestlohnanpassungsverordnung des Bundes. Damit würde nicht nur ein einheitlicher sozialer Standard bei der Auftragsvergabe festgelegt, auch müssten die Berliner Abgeordneten künftig nicht mehr über die Höhe des vergabespezifischen Mindestentgeltes beraten. Die CDU sprach sich ebenfalls für dieses Vorgehen aus.

► E-VERGABE

Kommunikation fehlgeschlagen Expertenwissen nicht vorausgesetzt Der Bieter wollte auf Nummer sicher gehen. So startete er zwei Tage vor Angebotsschluss einen Test zur elektronischen Übermittlung seines Angebotes auf die E-Vergabe-Plattform des Auftraggebers. Das hat einwandfrei funktioniert. Nur am Nachmittag des nächsten Tages ging es nicht mehr: Der Server meldete regelmäßig zurück, dass der Bieter seine “Proxy-Einstellungen” ändern solle. Nur was zu ändern wäre, war nicht zu ermitteln. Weder stand es in der Fehlermeldung, noch konnte die Hotline des Plattformanbieters das Problem lösen. Dem Bieter lief die Zeit davon. Vier Minuten vor Angebotsschluss sandte er das Angebot schließlich einfach per E-Mail. Die Übertragung auf die Plattform gelang erst über vier Stunden nach dem Schlusstermin, nachdem sich eine übergeordnete ServiceEbene des Plattformbetreibers eingeschaltet hat. Der Bieter soll den Zuschlag erhalten. Ein unterlegener Konkurrent glaubt aber, beide Übermittlungen seien formal fehlerhaft (die erste nicht geheim, die zweite zu spät) und daher nicht wertbar. Die Vergabekammer sieht es wie die Vergabestelle. Das Angebot könne gewertet werden. Nach umfangreicher Beweisaufnahme kommt sie zu dem Schluss, dass das Kommunikationshindernis ausschließlich in die Verantwortung der Vergabestelle fiel. Erst über einen Remote-Zugriff konnte der Plattformbetreiber die Einstellungen beim Bieter so gegenüber der im Handbuch vorgesehenen Standard-Einstellung ändern, dass die Übertragung gelang. Ein solches Expertenwissen zur Herstellung der Kommunikation dürfe beim Bieter nicht vorausgesetzt werden. Daher seien die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss wegen Verspätung nicht erfüllt. VK Baden-Württemberg (Beschl. v. 30.12.2016, Az.: 1 VK 51/16)

► DOKUMENTATION

Kochen oder Chillen Methodenvergleich transparent machen Für die Flüchtlingsverpflegung hatte der Auftraggeber den Bietern keine Vorgabe gemacht, nach welchem Verfahren sie die Mahlzeiten zubereiten sollten. So blieb die grundsätzliche Möglichkeit, sowohl mit “Cook-and-Chill”-Methode die Speisen in der Großküche zuzubereiten und vor Ort lediglich auszugeben, als auch sie direkt vor Ort zu kochen. Einem Bieter war es nicht geheuer, dass er keine Vorgabe für das Zubereitungsverfahren bekam. So erläuterte er in seiner KonzeptDarstellung, dass er sowohl auf das eine wie auf das andere Verfahren eingerichtet sei. Er gab allerdings nicht zwei Angebote ab, sondern bot nach Wahl des Auftraggebers beide Möglichkeiten zu gleichen Konditionen an. Den Zuschlag bekam er nicht, weil ein Konkurrent bei der Darstellung des Leistungskonzeptes besser abgeschnitten hatte. Darauf beantragte er die Nachprüfung. Die Vergabekammer bemängelt nun

die Konzeptbewertung. Es sei aus der Dokumentation nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen für welche Aussagen des Konzeptes wie viele Punkte vergeben worden seien. Insbesondere aber vermisst die Vergabekammer, dass überhaupt nicht erkennbar sei, ob und wie sich die Auswahl zwischen den beiden Herstellungsmethoden auf die Konzeptbewertung ausgewirkt hat. Wenn der Auftraggeber grundsätzlich unterschiedliche Methoden zulässt, muss er sich mit deren Vorund Nachteilen auseinandersetzen und diese Erwägungen dokumentieren. Daher muss die gesamte Bewertung der Konzepte wiederholt werden. VK Baden-Württemberg (Beschl. v. 22.12.2016, Az.: 1 VK 50/16)

► NACHPRÜFUNG

Schutzschrift wirkt Aber sie spart kaum Zeit ein Der Auftrag für Rohbauarbeiten krankt an laufenden Unstimmigkeiten zwischen Auftraggeber und -nehmer. So entschließt sich der Auftraggeber, den Vertrag zu kündigen und mit den übrigen Bietern des ursprünglichen Verfahrens ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu starten. Auch an diesem Verfahren möchte der gekündigte Auftragnehmer erneut teilnehmen, Er hält die Kündigung für unbegründet. Er könnte sich in einem neuen Verfahren eines Nachunternehmers für diejenigen Arbeiten bedienen, die der Auftraggeber zuvor bemängelt habe. Mit dieser Begründung rügt er die Verfahrenswahl. Der Auftraggeber teilt mit, dass er der Rüge nicht abhelfen werde und reicht zugleich eine Schutzschrift bei der Vergabekammer ein, mit der er darlegt, dass dieses Unternehmen wegen vorheriger Schlechtleistung ausgeschlossen würde und daher nicht antragsbefugt sei. Zwei Tage später beantragt das Unternehmen tatsächlich die Nachprüfung und trägt zudem eine ganze Reihe von Vergabeverstößen vor. Die Vergabekammer folgt letzten Endes der Argumentation der Schutzschrift. Dennoch stellt sie den Nachprüfungsantrag zu, gibt den Parteien Gelegenheit zu weiterer Äußerung und beraumt eine mündliche Verhandlung an. Letztlich gerät das Nachprüfungsverfahren in die Weihnachtstage, was eine Verlängerung der Fünf-Wochen-Frist erforderlich macht. Die Entscheidung ergeht schließlich 15 Wochen nach dem Einreichen der Schutzschrift. Da freut sich der Auftraggeber über den Erfolg, rätselt aber, wozu das Instrument der Schutzschrift eigentlich dient. VK Nordbayern (Beschl. v. 13.01.2017, Az.: 21.VK-319438/16)

► ENERGIEEFFIZIENZ

Dieselverbrauch angeben Tatsächlicher Verbrauch nicht vorhersehbar Die Frage, wie viel Kraftstoff ein Fahrzeug wirklich verbraucht, treibt die Autofahrer schon seit Jahren um: Immer wieder wird bekannt, dass die im Test gemessenen Verbräuche in der Realität nicht einzuhalten sind. Wie aber kann man dann in Vergabeverfahren noch die Energieeffizienz der

Fahrzeuge vergleichen? Ein Abfallwirtschaftsbetrieb hatte daher in seine Vergabeunterlagen hineingeschrieben, er wolle den Kraftstoffverbrauch pro Einssatzstunde der einzusetzenden Müllfahrzeuge wissen. Auf Bieternachfrage bestätigte er ausdrücklich, dass er nicht etwa den vom Fahrzeughersteller angegebenen Verbrauch zu erfahren begehre, sondern den tatsächlichen. Diesem Ansinnen tritt die Vergabekammer entgegen: Der Auftraggeber verlange hier Unmögliches. Ein Bieter hatte eingewendet, dass der tatsächliche Verbrauch ja gar nicht vorher angegeben werden könne. Schließlich hänge er von der Topografie des Sammelgebietes (Steigungen?) ebenso ab wie von der tatsächlichen Verkehrssituation (Stau?). Ebenso spielten der jeweilige Beladungszustand und selbst das Wetter eine Rolle dabei, wie viel Diesel ein Fahrzeug tatsächlich verbrauche. Eine solche Angabe könne erst nach mehreren Monaten Testbetrieb im Auftragsgebiet gemacht werden. Der Argumentation war die Vergabekammer gefolgt und hat das Verfahren entsprechend zurückversetzt. VK Baden-Württemberg (Beschl. v. 13.03.2017, Az.: 1 VK 6/17)

► INTERIMSAUFTRAG

Keine Fakten schaffen Aber wie ist das zu verhindern? Die Rundfunkanstalt schrieb den Betrieb von Sendetechnik aus, die für den Sendebetrieb unverzichtbar ist. Es darf daher keinerlei Leistungsunterbrechung geben. Über den Zuschlag streiten sich der – jetzt unterlegene – Vorauftragnehmer und sein potenzieller Nachfolger. Das Verfahren vor der Vergabekammer ist zum Ende des Vorvertragszeitraumes noch nicht abgeschlossen. Daraufhin vergibt die Rundfunkanstalt den Auftrag “interimsweise” an den potenziellen Nachfolger. Diese Interimsbeauftragung versucht der Vorauftragnehmer zu unterbinden, weil er fürchtet, dass dadurch Fakten zugunsten des Nachfolgers geschaffen würden. Die Vergabekammer sieht die Interimsbeauftragung gleichermaßen kritisch. Den im laufenden Verfahren gestellten Antrag auf Untersagung der Interimsbeauftragung aber weist sie ab. Zwar würden dadurch Teile des Auftrages bereits abgearbeitet, dieser Teil sei jedoch gemessen an der Vertragsdauer von mindestens vier Jahren nicht so erheblich, dass er eine Untersagungsverfügung rechtfertigen könnte. Dass der Interimsauftrag freihändig vergeben worden sei, mag zwar ebenfalls einen Vergebverstoß darstellen. Der sei dann aber in einem zweiten (Interims-)Verfahren geschehen und müsse daher mit einem neuen Nachprüfungsantrag angegriffen werden. Die beiden Verfahren seien voneinander getrennt zu betrachten. VK Südbayern (Beschl. v. 29.12.2016, Az.: Z3-3-3194-147-11/16)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄


-3615

-3078

Referat I C – Beteiligungsmanagement II Anja Naujokat

Referat I D – Liegenschaften Harald Fuchs

-4185

Der Aufsicht der Senatsverwaltung für Finanzen unterstehen: Sonderbehörden: Finanzämter Landeshauptkasse Berlin Landesbetriebe: Staatliche Münze Landesbetrieb für Gebäudebewirtschaftung Körperschaften des Öffentlichen Rechts: Steuerberaterkammer Berlin

Referat I G – Wiedervereinigungsrecht und Offene Vermögensfragen (LARoV) Thomas Heinemann -4158

Referat I F – Kreditmanagement Susanne Reichenbach

Referat I E – Standortförderung, Finanzierungshilfen und Bürgschaften Franz-Josef Cremers -3067

-3102

Referat I B – Beteiligungsmanagement I Dieter Schippers

Referat I A – Grundsatzangelegenheiten der Beteiligungspolitik, Public Private Partnership, Zielbilder Thomas Wolf -2773

-4108

-2021

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.

TrEW – Projekt Transaktion Energiewirtschaft Anja Naujokat

-3615

HKR – Projekt Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen Land Berlin Dr. Michael Wojahn -2311

Referat II F – Angelegenheiten der Einzelpläne 07, 12 und 13 sowie der entsprechenden Bezirkshaushaltspläne Günter Schulz -2245

Referat II E – Angelegenheiten der Einzelpläne 01, 02, 05, 06, 15, 20, 21, 25 und 29 sowie der entsprechenden Bezirkshaushaltspläne Iris Brockmann -2141

Referat II D – Angelegenheiten der Bezirke sowie des Einzelplans 11 sowie der entsprechenden Bezirkshaushaltspläne Katrin Dube -2227

Referat II C – Angelegenheiten des Einzelplans 10 sowie der entsprechenden Bezirkshaushaltspläne und Entgeltstelle Soziale Dienstleistungen Dr. Annika Lange (komm.) -2936

Referat II B – Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans, Grundsatzangelegenheiten des Öffentlichen Rechnungswesens des Landes Berlin, Haushalts-, Gebühren- und Beitragsrecht, Aufsicht über die Landeshauptkasse sowie Angelegenheiten des Einzelplans 29 Oliver Rohbeck -4163

Referat IR – Innere Revision und Prüfungen im Erhebungsverfahren Helmut Mattern 9024-10453

-2020

-3503

-4141

-4136

Referat II A – Grundsatzangelegenheiten der Finanzpolitik, Finanzstrategien und Bund-Länder-Finanzbeziehungen Dr. Bernhard Speyer -3027

Leitstelle Investitionsplanung (LIP) Ansgar Ostermann

Abteilung II – Finanzpolitik und Haushalt Torsten Puhst

Staatssekretär Geschäftsbereich B Klaus Feiler

-4171

Referat II G – Angelegenheiten des Einzelpläne 03, 08 und 09 sowie der entsprechenden Bezirkshaushaltspläne Thorsten Steinmann -4124

Justiziariat – Juristische Dienstleistungen Dagmar Herold

Referat VD D – Entwicklungsdienstleistungen: audit berufundfamilie, Organisations- und Personalentwicklung, Gesundheitsmanagement, Arbeitsschutz, Fortbildung, grundsätzliche Angelegenheiten der Beschäftigtenvertretungen, Laufbahnbehörde und Ausbildung für den Steuerverwaltungsdienst, Finanzschule Berlin Rita Schröder -3162

Referat VD C – Finanzdienstleistungen: Sach- und Personalhaushalt, Personalwirtschaft, Controlling, Personalleitstelle Thomas Biedermann -3153

Referat VD B – Zentrale Dienstleistungen: E-Government und Kommunikation, Standortbezogener Dienstbetrieb, Landesausgleichsamt (LAA) Matthias Voigt -3689

Referat VD A – Erbschaften und Selbstversicherung Ulrike Hempel-John

Abteilung VD – Verwaltungsmanagement und Dienstleistungen Dr. Maria Henriette Abel -4178

Tel.: -4174

Leitungsreferat, Gremienangelegenheiten Kristin Weller

Foto: BS/Anno Dittmer

Senator Dr. Matthias Kollatz-Ahnen

Referat III H – Automation in der Berliner Steuerverwaltung Volker Luthardt 9024-10205

Referat III G – Controlling und Organisation in der Berliner Steuerverwaltung Theodor Plock 9024-10431

Referat III F – Außenprüfungsdienste, Steuerfahndung, Steuerstrafrecht, Steuerberatungsrecht Rainer Kannemann 9024-10143

Referat III E – Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Erhebung, Vollstreckung Susanne Ott 9024-10220

Referat III D – Grundsteuer, Erbschaft- und Schenkungsteuer, Bewertung, Gemeindesteuern, Spielbankabgabe, besondere Verkehrsteuern Bettina Werth 9024-10102

Referat III C – Umsatzsteuer, Zölle und Verbrauchsteuern Helmut Mattern 9024-10453

Referat III B – Einkommensteuer, Lohnsteuer, Arbeitnehmerbesteuerungsverfahren, Kirchensteuer, Wohnungsbauprämie, Vermögensbildung der Arbeitnehmer, Zinsinformationsverordnung, Investmentsteuergesetz Claus Schnitzer 9024-10127

Referat III A – Grundsatzfragen, Steuerpolitik, internationales Steuerrecht, Körperschaftsteuer, Gemeinnützigkeitsrecht, Gewerbesteuer, Umwandlungssteuerrecht Holger Borkamm 9024-10423

Abteilung III – Angelegenheiten der Steuerverwaltung Ute Goetsch 9024-10134

-4126

Abteilung I – Vermögen und Beteiligungen Hans-Jürgen Reil

-4114

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Eva Henkel

Finanzreferent, Europaangelegenheiten Jan Köhler

Staatssekretärin Geschäftsbereich A Dr. Margaretha Sudhof

030/9020-0 030/9020-2624 poststelle@senfin.berlin.de www.berlin.de/sen/finanzen

Zentrale Datenstelle der Landesfinanzminister (ZDL) Martin Braun Postanschrift: ZDL Berlin, 11055 Berlin, (030) 189100-611

Telefon: Fax: E-Mail: Internet:

Senatsverwaltung für Finanzen Klosterstr. 59, 10179 Berlin

Senatsverwaltung für Finanzen

-2901

PStat – Statistikstelle Personal Monika Randow

-2137

Referat IV C – Demografiemanagement und Interner Arbeitsmarkt Martina Ruppin -2148

Referat IV B – Tarifrecht und Recht der Arbeitnehmer, Zusatzversorgung und Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrecht Simone Mayr -3062

Referat IV A – Grundsatzangelegenheiten Personal, Personalpolitik Michael Weidenhammer -2900

Abteilung IV – Landespersonal Martin Jammer

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Senatsverwaltung für Finanzen, Stand: Juni 2017

Behörden Spiegel / Juni 2017

Personelles Seite 11


Diplomaten Spiegel

Seite 12

“D

er Tourismus boomt und hat sich zu einem unserer wichtigsten Wirtschaftszweige entwickelt und übersteigt sogar die Einnahmen aus der Fischerei” freut sich Martin Eyjólfsson, seit August letzten Jahres isländischer Botschafter in Berlin. “Überall werden Hotels und Unterkünfte gebaut, um dem Besucherstrom gerecht zu werden. Nicht zuletzt hat uns das aus der Krise geholfen.”

Behörden Spiegel / Juni 2017

Investoren sehr willkommen Ein Gespräch mit dem isländischen Botschafter Martin Eyjólfsson in Berlin (BS/ps) Mitunter ist es auf der nach Großbritannien zweitgrößten Insel Europas natürlich auch kalt. Dann macht Island, vom mittelhochdeutschen “Eisland”, nicht nur wegen der zahlreichen Gletscher, die knapp zwölf Prozent des Landes bedecken, seinem Namen alle Ehre. Aber durch den Golfstrom sind die Winter dort mild und die Sommer, im Vergleich zu unseren, mit zwölf bis 15 Grad eher kühl. Den gut 340.000 Isländern ist das recht und den zahlreichen, vor allem deutschen Besuchern, auch.

Schwierige Regierungsbildung Hierzu war es zwischen 2008 und 2011 infolge der Insolvenz der US-Bank “Lehman Brothers” gekommen, die alle drei großen isländischen Geschäftsbanken mitreißt. Diese haben nun nicht nur wegen des eigenen Missmanagements Schwierigkeiten bei der Refinanzierung ihrer kurzfristigen Schulden, sondern auch, weil Kontoinhaber in Holland und Großbritannien ihr Geld abziehen. Im Verhältnis zur Größe seiner Wirtschaft ist dieser Banken-Zusammenbruch, in den auch isländische Politiker verstrickt sind, der größte von allen Ländern in der Wirtschaftsgeschichte. Doch mittlerweile wächst die Wirtschaft Islands wieder, die Staats- und Bankschulden sind abgebaut und das Land hat sich im Großen und Ganzen erholt. “Allerdings ist das nicht die ganze Geschichte, denn die Menschen haben in der Krise auch das Vertrauen in die Politik und die leitenden Institutionen verloren. Die neue Regierungsbildung war zum Beispiel sehr schwierig. Wir sind auf einem guten Weg, aber es wird noch einige Zeit brauchen, bis das Vertrauen in unser System zurückgekehrt ist.” Martin Eyjólfsson ist sich dessen sicher. Der 46-jährige Jurist steht seit 1996 in Diensten seines Landes. Ob im isländischen Außenministerium, in Brüssel, als Botschafter in Liechtenstein, beim Heiligen Stuhl in Rom oder als Repräsentant in Genf – ihm ist es wichtig, “die skandinavische Offenheit und Transparenz beizubehalten. Wir müssen vor allem vermitteln, was unsere Herausforderungen im politischen oder wirtschaftlichen Zusammenspiel zweier Länder sind. Und genau das habe ich mir zur Aufgabe gemacht. Nicht nur meinen diplomatischen Auftrag hier zu erfüllen, sondern darüber hinaus auch der Öffentlichkeit transparent und nachvollziehbar die Arbeit unserer Institutionen zu präsentieren. Wir wollen Island in Deutschland und Deutschland unseren Mitbürgern zeigen und die Zusammenarbeit beider Länder stärken und ausbauen. Bilateraler Austausch, das ist der Grundgedanke, von dem die jeweiligen Zuständigkeiten ausgehen.”

Goethe-Institut nach Island holen “Zu diesem Vorhaben gehören Interviews wie diese, eine enge Zusammenarbeit mit Vereinen und Gesellschaften, Firmen und Institutionen, die mit Island arbeiten. Aber auch insbesondere Gespräche und Vorträge über unsere Ziele halte ich für einen Teil meiner Aufgabe hierzulande. Als langfristiges Ziel habe ich mir vorgenommen, die “Barbershop Conference” (zur Wahrung der Gleichstellung der Geschlechter) in Berlin zu veranstalten. Um die Gleichberechtigung von Mann und Frau voranzutreiben, können die Frauen nicht alleine kämpfen. Wir müssen die Männer einbinden und aus dem Thema des Feminismus ein Thema des Menschenrechts machen. Wir haben bereits in New York, Brüssel und Genf erfolgreich eine solche Konferenz veranstaltet und möch-

Martin Eyjólfsson ist seit August letzten Jahres isländischer Botschafter in Berlin. Neben ihm seine Frau Eva Thengilsdóttir.

eine mögliche EU-Mitgliedschaft geben kann. Der amtierende Außenminister Islands Thórdarson hat jedoch schon verlauten lassen, dass er und seine Partei, die zwei Drittel der Regierungssitze innehat, einen solchen Antrag nicht einbringen werden und sind damit klar gegen einen EUBeitritt Islands.”

Fischerei bleibt Grundpfeiler

“Gravity” vom bekannten isländischen Künstler Húbert Nói Jóhannesson

ten es auch in Deutschland tun. Mein zweites, aber nicht weniger wichtiges, langfristiges Ziel ist, das Goethe-Institut nach Island zu holen. Wir sind im Dialog mit dem Institut und der politischen Ebene beider Länder und ich hoffe sehr, dass wir dieses Vorhaben verwirklichen können. Es wäre ein großer Schritt in der deutsch-isländischen-Partnerschaft.” Derweil scheint das Ziel eines EU-Beitritts Islands, angesichts der Krise der Gemeinschaft, in noch größere Ferne zu rücken. “Die stärkste Partei in der jetzigen Regierung, die Unabhängigkeitspartei, hat in den letzten Jahren stets dem Europäischen Wirtschaftsraum, dem (EWR-) Abkommen Vorrang vor der EUMitgliedschaft gewährt. Die auf Eis gelegten Gespräche darüber, sind das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen.” “Die Koalition ist sich einig darüber, dass es erst zum Ende der Amtszeit eine Abstimmung über

“Man kann nicht einen einzelnen Grund benennen, weswegen einige Parteien dafür oder dagegen sind. Ganz allgemein ist es einfach schwieriger, jemanden davon zu überzeugen, wenn man nicht in bester Verfassung ist. Und selbstverständlich haben Langzeit-Probleme, wie der “Brexit”, die Flüchtlings- und die Eurokrise auch eine negative Meinung in der Öffentlichkeit hinterlassen. Aber nicht nur auf Island, das gilt für viele Staaten der EU, in denen eine derzeit negativ geladene Stimmung gegen die EU herrscht. Besonders fehlende Gemeinsamkeiten in der Fischerei müssen hier hervorgehoben werden. Aus isländischer Sicht ist das ein ganz entscheidender Faktor, denn die Fischerei bleibt weiterhin ein Grundpfeiler der isländischen Wirtschaft, und das schon fast seit einem Jahrhundert. Viele sehen hier das entscheidende Hindernis für eine potenzielle Mitgliedschaft in der EU, auch wenn es durchaus weitere gibt.” Davon einmal abgesehen, ist die EU bei Weitem der größte Handelspartner Islands und der EWR-Vertrag sowie das Schengener Abkommen sichern seit Jahren eine enge Kooperation. “Diese Zusammenarbeit und Partnerschaft”, so Botschafter Eyjólfsson, “ist der Ausgangspunkt unserer Außenpolitik und von größter Bedeutung. Wir sind zuversichtlich, dass dieses Bündnis auch in den kommenden Jahren so sein wird.”

Zwischen den Welten Doch damit ist – wie mit des Geschickes Mächten – kein ewger Bund zu flechten (F. v. Schiller), vor allem wenn ein Verbündeter nun Donald Trump heißt, ein “America-first”-Präsident ist und die eigene Insel geopolitisch zwischen alter und neuer Welt, mitten im Atlantischen Ozean liegt. “Unsere Beziehungen mit den USA und Nordamerika waren immer schon stark und

Fotos: BS/Dombrowsky

Botschafters Rezept In Knoblauch gebratene Hummerschwänze (Hvítlauksgrillaour humar): Zubereitung Hummerschwänze: Hummerschwänze der Länge nach aufschneiden und das Fleisch mit einem scharfen Messer lösen. Die Schale umklappen. Toastbrot rösten und in kleine Würfel schneiden oder reißen. Ein Stück Butter in der Pfanne zergehen lassen. Das Brot mit dem kleingeschnittenen Knoblauch, der Petersilie und etwas Zitronensaft darin anbraten. Anschließend die Brotkrümel auf den Hummerschwänzen verteilen und im Ofen grillen. Mit einem trockenen Chablis servieren. Zubereitung Skyr-Dessert: Skyr (Isländische Quarkspeise) mit Zucker und Zitronensaft verrühren. Sahne schlagen und langsam das Skyr und die Sahne vermengen. Dann in eine Dessert-Schale geben und mit Ahornsirup übergießen. Anschließend mit Blaubeeren und geriebener Zitronenschale servieren.

von großer Bedeutung für uns. Wir sind enge Verbündete und bauen auf die gleichen gesellschaftlichen Werte. Doch ein enger Freund wird immer die ungeschönte Wahrheit aussprechen. Schon in den ersten Trump-Tagen äußerte unser Außenminister Thórdarson größte Sorge über den Einreisestopp für sieben muslimische Staaten. Er sprach darüber hinaus von großer Enttäuschung über die Anordnung, das Angebot von internationalen Organisationen zurückzuhalten, welche Informationen über Abtreibungen und den Zugang zu sicheren Kliniken für Abtreibungen bereitstellen. Aber trotz dieser Differenzen darf man nicht vergessen, dass die isländischamerikanischen Beziehungen weiter der Eckpfeiler unserer Außenpolitik für die nächsten Jahre bleiben werden.” Die deutsch-isländischen Beziehungen sind, um bei Schillers Glocke zu bleiben, “fest gemauert in der Erden”, vulgo: ausgezeichnet und vielfältig in Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Tourismus. 2012 begehen Deutschland und Island das 60-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen und – EU-Mitgliedschaft hin oder her – Island ist für deutsche Investoren allemal interessant.

ähnlichen Fabelwesen, d. Red.) denkt, ist Island in vielerlei Hinsicht ein idealer Anlaufplatz für die unterschiedlichsten Wirtschaftszweige. Zunächst bieten wir zuverlässige und Erneuerbare Energien zu konkurrenzfähigen Preisen. Ein Sektor der seit Jahren an Bedeutung gewinnt. Zudem macht das Freihandelsabkommen zwischen China und Island insbesondere die Erschließung neuer Märkte für Unternehmen einfach. Und insgesamt herrscht ein zuverlässiges Geschäfts- und Arbeitsklima auf Island, zu dem sich auch die Behörden verpflichtet haben. Eine positive Haltung der Regierung gegenüber Investoren und Projekten macht den Standortwechsel für Unternehmen sehr einfach. Und zu guter Letzt gibt es hier hoch bis höchst ausgebildete Fachkräfte auf allen Gebieten. Unser ausgezeichnetes Schulsystem, Förderung von

Vulkane und Trolle “Auch wenn man vielleicht zunächst an Vulkane und Trolle (aus dem Nordgermanischen für Unhold, Riese, Naturwesen, ist “Troll” heute der allgemeine Ausdruck für jede Art von mehr oder weniger menschen-

Kater “Bangsi” in der Residenz

Auslandsjahren der Studenten sowie spezialisierte Universitäten sorgen überdies für hoch qualifizierte Arbeitskräfte.” Das “Geschäft” läuft gut für den Botschafter und den Privatmann Eyjólfsson, trotz ständiger berufsbedingter Standortwechsel. “Meine Familie hat schnell verinnerlicht, dass “zu Hause” der Ort ist, wo auch immer man zu einer bestimmten Zeit lebt. Deswegen versuchen wir nichts zu vermissen, wenn wir im Ausland sind. Aber natürlich muss ich zugeben, dass man immer die Familie vermisst. Viele Isländer sind in tiefster Seele mit der Natur verbunden und das gilt auch für uns. Und so vermisse ich die Zugvögel, die im Frühling den Sommer auf Island ankündigen. Ich könnte auch Skyr erwähnen, aber diese traditionell isländische Proteinquelle (ähnlich Quark oder dickflüssigem Jogurt) ist seit einiger Zeit in fast jedem Supermarkt hier erhältlich. Jetzt vermisse ich es nur noch, wenn es mal wieder ausverkauft ist. Auf der anderen Seite ist Berlin ein großes Privileg. Wir lieben einfach alles an dieser lebendigen, wunderschönen und bezaubernden Stadt. Die Menschen hier sind offen und herzlich und wir wurden hier mit offen Armen empfangen.”

Die Deutschen lieben Island-Krimis Und sie mögen mehr als anderswo “Island-Krimis”. “Es ist wirklich großartig, mit welcher Begeisterung diese hierzulande verschlungen werden. Auf den deutschen Buchmessen wird man regelrecht “ermordet”, wenn es keine Exemplare dieser Lieblingskrimis mehr gibt. Heute sind es etwas zehn solcher Autoren, die Bücher in Deutschland veröffentlichen. Arnaldur Indridason und Yrsa Sigurdardóttir sind die wohl bekanntesten. Wir haben die TV-Krimiserie “Trapped” produziert, die im Dezember 2015 erfolgreich im ZDF lief. Und im Oktober 2016 zeigte die ARD den Islandkrimi “Der Tote im Westfjord” mit Franka Potente. “Wenn ich Krimis lese, dann schalte ich gedanklich den Alltag ab und entspanne mich. Es ist eine willkommene Abwechslung vom stressigen Alltag. Trotz allem bin ich etwas skeptisch in letzter Zeit und überdenke mein Hobby, seit ich auf den Krimi “Späte Sühne” von Viktor Ingolfsson gestoßen bin, der mit dem mysteriösen Tot des Isländischen Botschafters in Berlin beginnt. Ich weiß auch nicht, ob es ein gutes Zeichen ist, dass mein Assistent vor einer Woche angefangen hat, den Krimi zu lesen. Warten wir es ab.” Vielleicht sollten Exzellenz zur Vorsicht doch den Beruf wechseln und etwas “Ungefährlicheres” tun? “Am liebsten würde ich mit Johann Wolfgang Goethe tauschen. Zunächst, um zu sehen, wie er mit dem Berg an Papieren auf meinem Schreibtisch klarkäme, aber zum anderen, weil es mir helfen würde, das Goethe-Institut nach Island zu holen”.


Gesundheit / Versorgung

Behörden Spiegel / Juni 2017

A

ls ein Ressort, das schon angesichts der permanenten Fortentwicklung der Steuergesetzgebung ständigen Neuerungen sowie organisatorischen und technischen Anpassungserfordernissen unterliegt, hat die hessische Finanzverwaltung dem Thema frühzeitig besondere Beachtung geschenkt. Wir begreifen es als eine wichtige Säule des behördlichen Gesundheitsmanagements. Als eine der ersten öffentlichen Verwaltungen in Hessen verfügen wir über ein für den gesamten Geschäftsbereich geltendes Grundkonzept zur Durchführung der Beurteilung arbeitsplatzbezogener psychischer Belastungen (Gefährdungsbeurteilung, kurz: GB Psych). Dieses wurde zusammen mit dem arbeitsmedizinischen Dienstleister des Landes Hessen, der medical airport service GmbH, entwickelt und erfüllt die Standards der Leitlinie der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie.

Turnusmäßig, freiwillig und anonym Das für alle Dienststellen verbindliche Konzept verfolgt einen umfassenden Ansatz, indem es die GB Psych in das behördliche Gesundheitsmanagement integriert. Unabhängig von der gesetzlichen Verpflichtung ist also auch bei der GB Psych unser erklärtes Ziel, den Arbeitsalltag in den Dienststellen so gesundheitsförderlich wie möglich zu gestalten und dem Fürsorgegedanken bestmöglich Rechnung zu tragen. Denn wir möchten, dass in der hessischen Finanzverwaltung das Motto gelebt wird: “Nur wer sich wohlfühlt, kann auch gute Arbeit leisten!”

D

ie Zahlen zu den finanziellen Entwicklungen seitens der Gütersloher Stiftung (siehe Behörden Spiegel, Februar 2017, Seite 15) seien im Ergebnis nichts Neues, resümiert Hans Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, auf dem Forum Öffentlicher Dienst des DBB Beamtenbunds und Tarifunion. Überhaupt komme das Thema Bürgerversicherung mit schöner Regelmäßigkeit auf die politische Agenda, nämlich kurz vor den Bundestagswahlen. Aber: “Jede Bundesregierung, egal in welcher Parteienkonstellation, hat am bestehenden System festgehalten”, unterstreicht Engelke. Und das nicht erst seit gestern. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werde die Diskussion um eine Bürgerversicherung geführt, aber sie sei immer an der Kostendiskussion gescheitert, schildert er die Historie.

Karlsruher Vorgaben “Der Dienstherr muss aufgrund seiner Fürsorgepflicht Vorkehrungen treffen, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Angehörigen auch bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen nicht gefährdet ist”, schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Das hat schon 2008 entschieden: “Ob er dieser Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise Genüge tut, bleibt seiner Entscheidung überlassen.” Dementsprechend ist die Bundesregierung der Ansicht, “das derzeitige, fein austarierte, effiziente und effektive System zwischen Besoldung, Versorgung und Beihilfe bietet die Gewähr für die Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben.” Zudem besitze Deutschland mit dem dreisäu-

Seite 13

Wer sich wohlfühlt, leistet gute Arbeit Gesundheitsmanagement im Öffentlichen Dienst in Hessen (BS/Dr. Bernadette Weyland) Einen Großteil unseres Lebens verbringen wir auf der Arbeit. Schon alleine aus diesem Grund erscheint es nur logisch, dass unser Wohlbefinden und damit auch unsere Psyche mit von Rahmenbedingungen abhängen, die wir an unserem Arbeitsplatz vorfinden. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass etwa zu viel beruflicher Stress auf Dauer krank machen kann. Insbesondere die Zunahme psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeiten und Frühverrentungen zeigt, dass dieses Thema eine hohe Aufmerksamkeit verdient. Klar ist aber auch: Ein gutes Arbeitsklima und ein positives Arbeitsumfeld sind durchaus gesundheitsfördernde Ressourcen. All dies hat den Bundesgesetzgeber bewogen, die “psychischen Belastungen bei der Arbeit” in die nach dem Arbeitsschutzgesetz vorgesehene Beurteilung der Arbeitsbedingungen im Wege einer Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen. Kern des Konzepts GB Psych ist die sich wiederholende Durchführung einer PC-gestützten, freiwilligen und anonymen Mitarbeiterbefragung, die es allen teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen ermöglicht, ihre persönliche Einschätzung zu ihrem Arbeitsplatz und den Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit unmittelbar einfließen zu lassen. Zu diesem Zweck ist der verwendete Fragebogen so aufgebaut, dass die Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer bei den einzelnen Themenfeldern mit konkreten Aussagen konfrontiert werden und mithilfe einer vorgegebenen Skala angeben können, wie stark die jeweilige Aussage auf sie zutrifft. Zusätzlich zur Beurteilung der psychischen Belastungen ist außerdem eine Zufriedenheitsbefragung enthalten. Evaluiert wird dabei zum Beispiel die Zufriedenheit mit der Führungskultur, mit Fortbildungsangeboten, aber etwa auch mit der Verfügbarkeit und Ausstattung von Besprechungsräumen oder mit Kantinenöffnungszeiten und -angeboten. Damit geht das selbstentwickelte Befragungstool, das in der hessischen Finanzverwaltung angewandt

des arbeitsmedizinischen Dienstes – also als externe Dienst“Wir wollen, dass es unleistung – und seren Beschäftigten gut ausschließlich in geht!”, betont Dr. Bernadette Weyland, Staatsseaggregierter Form kretärin im hessischen Midurchzuführen. nisterium der Finanzen. Etwaigen Zweifeln hinsichtlich Foto: BS/HMDF der Anonymität des Verfahrens kann somit von wird, deutlich über die Anforde- vorneherein begegnet werden. rungen der reinen Gefährdungs- Darüber hinaus regelt eine in beurteilung und damit über die enger Zusammenarbeit mit dem bundesgesetzlichen Vorgaben Hauptpersonalrat abgeschloshinaus. sene Anonymitätsvereinbarung verbindlich alle Fragestellungen Externe Auswertung steigert zu diesem Themenkomplex. Akzeptanz Angesichts der Größe des FiEine sich an die Befragung nanzressorts und der damit anschließende Ergebniskom- einhergehenden Datenfülle ist munikation, bis in die jeweilige die strukturierte turnusmäßige Dienststelle und die einzelnen Durchführung des Verfahrens Arbeitsbereiche hinein, bietet für uns unumgänglich. Nicht in Gewähr dafür, dass alle Teilneh- jeder Ressortdienststelle wird merinnen und Teilnehmer über jedes Jahr befragt. Vielmehr erdie Ergebnisse und den Umgang folgt die Befragung nach Grupmit diesen informiert werden. pen, in welche die Dienststellen Unsere bisherigen Erfahrungen des Geschäftsbereichs eingeteilt zeigen, dass es für die Akzep- werden. Soweit allerdings der tanz der Mitarbeiterbefragung Verwaltungsaufbau der Dienstsehr von Vorteil ist, die Auswer- stellen verschiedener Gruppen tung der Befragungsergebnisse homogen ist, werden Ergebnisse durch einen Arbeitspsychologen auch übertragen. So sind bei den

in drei Regionalgruppen eingeteilten Finanzämtern die Ergebnisse einer im jeweiligen Turnus befragten Gruppe auch für die beiden anderen Gruppen repräsentativ, sodass Folgemaßnahmen aus einer Befragung für alle Finanzämter greifen können.

Gesundheitliche Belange ernst nehmen Auch die sich an die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung anschließende Maßnahmenplanung muss sich am Fürsorgegedanken orientieren. Neben der Einbindung aller zuständigen Stellen – Personal-, Organisations- und Automationsbereiche, aber auch der steuerlichen Fachreferate der Oberfinanzdirektion und des Ministeriums – bedarf es hierbei vor allem auch des Engagements der Führungskräfte. Ohne diese kannjedeAnstrengungimbehördlichen Gesundheitsmanagement letztlich nicht erfolgreich sein. Daher sind die Führungskräfte unseres Geschäftsbereichs für die Umsetzung des ganzheitlichen Gesundheitsmanagements mitverantwortlich. Dazu gehört, dass sie die gesundheitlichen Belange ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nehmen

Wird die Gesundheitsversorgung damit wirklich besser? Zwischen Bürgerversicherung und Beihilfesystem (BS/Jörn Fieseler) Mehr Beitragszahler in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) – für eine gerechtere Finanzierung. Besonders die privatversicherten und beihilfeberechtigten Beamten stehen nicht erst seit der Bertelsmann-Studie im Fokus. Darüber wird heftig diskutiert. Studien, die sämtliche Aspekte der Diskussion beleuchten, gibt es nicht. Das System “GKV” kann aber nicht mit den Beamten reformiert werden, ohne die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die Gesundheitsbranche und die 40-Prozent-Personalausgabengrenze an den Gesamtausgaben der öffentlichen Haushalte zu betrachten. ligen Aufbau aus GKV, Privater Krankenversicherung (PKV) und Beihilfe eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. “Was Besseres habe ich noch nicht gesehen”, betont Engelke. Dem kann sich Dr. Volker Leienbach, Verbandsdirektor des Verbands der Privaten Krankenversicherung e. V., nur anschließen: “In Deutschland gibt es die geringsten Selbstbeteiligungen, die geringsten Wartezeiten und die freie Arztwahl”, nennt er drei Vorteile und verweist auf das PKV-Publik Spezial-Magazin vom Juni 2017. Rund zehn Prozent der Bevölkerung und 13 Prozent der Ausgaben werden durch die PKV und die Beihilfe abgedeckt. 90 Prozent der Menschen in Deutschland sind in der GKV versichert, die rund 60 Prozent der Ausgaben trägt. Und: “Im Gegensatz zur GKV ermöglicht die PKV rund 12,5 Mrd. Euro Mehrumsätze”, erklärt Dr. Dennis A. Ostwald, Geschäftsführer der WifOR Wirtschaftsforschung. Insgesamt ist das Gesundheitswesen einer der wichtigsten Branchen in Deutschland. 12 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP), 16 Prozent der Beschäftigten sind hier tätig. “In der Gesundheitswirtschaft wird jeder achte Euro des BIP erwirtschaftet. Darunter eben auch die Mehrumsätze durch die PKV”, von denen der Wissenschaftler nicht glaubt, dass sie eins zu eins mit einer Bürgerversicherung erzielt würden. Denn die privaten Krankenversicherer hätten eine höhere Arbeitsproduktivität als die durchschnittliche Krankenversicherungsbranche. Das sei statistisch und makroökono-

misch bewiesen. Ostwald musste jedoch zugeben, dass es konkrete Erhebungen bei der GKV noch nicht gebe. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass ein Beamter für jedes Kind einen eigenen Krankenversicherungsvertrag bei den Privaten abschließe, während in der gesetzlichen Versicherung familienangehörige Kinder beitragsfrei versichert seien, ergänzt Leienbach. Er sieht anhand der ausgegebenen Mehrumsätze die Privaten zudem als Türöffner für Innovationen, etwa hinsichtlich neuer Behandlungsmethoden. Anders die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie sieht in ihrem Positionspapier “Der Weg zur Bürgerversicherung” diese unter Gerechtigkeitsaspekten als richtige Lösung, auch wenn ein Übergang nicht einfach sei. Des Weiteren fordert sie die Wahlfreiheit zwischen privater oder gesetzlicher Versicherung für Beamte, die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze und die Einbeziehung weiterer

beitragspflichtiger Einkommen, etwa aus Kapitaleinkünften. “Der DBB Beamtenbund und Tarifunion spricht sich ganz klar für die Sonderversorgung der Beamten mit Beihilfe und Privater Krankenversicherung aus”, sagt Hans-Ulrich Benra, Fachvorstand Beamtenpolitik und stellvertretender Bundesvorsitzender des DBB. “Wenn wir unsere Beamten in die GKV überführen würden, müsste der Freistaat einen dreistelligen Millionenbetrag mehr zahlen als

mit der Beihilfe”, beschreibt Dr. Alexander Voitl, Abteilungsleiter im Bayrisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, die haushalterischen Auswirkungen für Bayern.

40-Prozent-Grenze ade Das dürfte dann auch den politisch festgesetzten 40-Prozent-Anteil der Personalkosten am jährlichen Gesamtetat der Länder übersteigen. “Denn die Bruttobezüge der aktiven Beam-

und ihre Führungsinstrumente so nutzen, dass Belastungen am Arbeitsplatz, soweit möglich und vor Ort beeinflussbar, reduziert werden. Unerlässlich ist dabei, dass sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Wertschätzung entgegenbringen und ihnen mit Vertrauen und Offenheit begegnen. Schon alleine auf diese Weise können sie deren Ressourcen und das psychische Wohlbefinden ungemein stärken. Angesichts dieser bedeutenden Rolle nehmen die Führungskräfte auch im Rahmen der Durchführung der GB Psych eine wichtige Funktion wahr. Ihnen obliegt die Kommunikation der Befragungsergebnisse auf Ebene der Arbeitsbereiche. Darauf werden sie im Vorfeld der Befragung in Workshops vorbereitet, in denen es um die Klärung der eigenen Rolle im Verfahren, die Vermittlung grundlegender Kenntnisse wie auch den Umgang mit den späteren Ergebnisberichten geht. Das Ressortkonzept wurde in den vergangenen Monaten einer ersten Bewährungsprobe unterzogen. Im aktuellen Befragungsturnus wurde die GB Psych für alle 35 hessischen Finanzämter anhand einer Mitarbeiterbefragung in den zwölf Ämtern der Regionalgruppe Nord erstellt. Nachdem die Befragungsergebnisse den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Dienststellen sowie den zuständigen Interessenvertretungen vorgestellt und erläutert worden sind, gilt es nun, geeignete Folgemaßnahmen zu erarbeiten, umzusetzen und anschließend ihre Wirksamkeit zu evaluieren. Denn: Wir wollen, dass es unseren Beschäftigten gut geht!

ten sind von vornherein – unter Berücksichtigung der künftigen Pensionsansprüche – niedriger festgesetzt”, wie es die Karlsruher Richter zur amtsangemessen Alimentation vom 5. Mai 2015 festhielten (Randnummer 123). Heißt im Umkehrschluss: Würden die Beamten in eine Bürgerversicherung überführt, müssten die Bruttobezüge angehoben werden. Mit welchen Konsequenzen? Stellenstreichungen bis schlimmstenfalls die Handlungsfähigkeit des Staates nicht mehr gewährleistet ist? Mehrere Nullrunden, um die Kosten zu deckeln und damit als unattraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und keine geeigneten Bewerber (siehe Seite 5) mehr zu bekommen? Oder weniger Mittel für andere Aufgaben, wie den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur?


Recruiting

Seite 14

Behörden Spiegel / Juni 2017

Ausbildungsplatzsuche (BS/Jörn Fieseler) Was ist jungen Auszubildenden im Öffentlichen Dienst bei der Stellensuche eigentlich wichtig? Wie gehen Sie bei der Bewerbung und bei der Anzeigensuche vor? Wie sollte der Bewerbungsprozess idealerweise ablaufen und welche Lernmöglichkeiten werden in der Ausbildung präferiert? Step by Step sind in der Branchenedition Public Sector der Studie “Azubi-Recruiting Trends 2017” (siehe auch Seite 2) diese Fragen von Auszubildenden und Ausbildern beantwortet worden. Nicht immer sind die öffentlichen Stellen auf der Höhe der Zeit. Was ist bei der Wahl des Ausbildungsberufes besonders wichtig? Angaben Bewerber u. Auszubildende

69,7%

Einschätzung der Bewerberantworten durch Ausbildungsverantwortliche

64,7% 51,9%

47,9%

43,8%

65,7%

53,4% 46,5% 31,3%

35,0%

Argumente für die Wahl des Ausbildungsortes? Angaben Bewerber und Azubis 2016

gute Möglichkeiten der Übernahme bieten

Spaß an der Arbeit bieten

Angaben Bewerber und Azubis 2017 Einschätzung der Bewerberantworten durch Ausbildungsverantwortliche

33,4%

mögliche Jobsicherheit

30,9%

gute Übernahmechancen im Betrieb

40,4% 37,1% 42,0%

Ausbildungsbetrieb in Wohnortnähe 16,3%

Höhe der Vergütung

Wunsch- u. Ausbildungsberuf wurden angeboten Stellenanzeige in Tageszeitungen

55,4% 59,4%

54,6% 54,8%

41,1% 40,9%

25,6% 35,6%

22,2% 14,2%

Welche Instrumente kommen im idealen Auswahlprozess zur Anwendung?

In der Ausbildung: Welche Lernmittel werden gewünscht? finden Bewerber und Auszubildende wichtig finden Unternehmen wichtig, wird aber noch nicht eingesetzt werden von Unternehmen bereits eingesetzt

56,5% 51,5%

47,8% 42,0%

Wunsch der Bewerber

78,9% 87,9%

Praktika

67,0% 18,4%

Probearbeit

66,8% 6,8%

8,4% 2,2% s eo

ik i

kl är

vid

W Le

rn

/-

Er Illustrationen: BS/Liesegang; ©Trueffelpix, Fotolia.com; ©Robert Kneschke, Fotolia.com Quellen: Branchenedition Public Sector der gemeinsamen Studie “Azubi-Recruiting Trends 2017” von u-form Testsysteme und Behörden Spiegel

e

Einstellungstests

26,9% 12,6% 16,7% 9,9%

15,0%

ta l

95,5% 98,4%

Di gi

Sichtung der Bewerbungsunterlagen

40,3% 28,5%

s

97,3% 97,6%

46,2%

39,3%

Nutzung Ausbilder im Verfahren

Interview / Bewerbungsgespräch

51,3%

6,9%

1,4% Vi Aug rtu m al en Re te al d ity

Ausbildungsund Berufsmessen

y/

Online-Angebot der Agentur für Arbeit

e

Karrierewebseite des Unternehmens

40,3%

27,0% 22,3%

Le rn ka Di rte g ge it n m ale ei S ns y s a t in me em de n L e z r G er um ru nen pp e

Suchmachine mit Ausbildungsberuf und Ort

28,5% 37,1%

lit

FIRMA XYZ

rs

Nutzung Ausbilder im Verfahren

Re a

Angaben Bewerber u. Auszubildende

54,6% 59,7%

Ku

Wo wird ein Ausbildungsplatz gesucht?

75,2% 79,9%

e-

gute Verdienstmöglichkeiten bieten

lin

zu meinen Interessen und Fähigkeiten passen

On

gute Zukunftschancen bieten

Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Juni 2017

Kippen, Kot und illegaler Sperrmüll

KNAPP

Wien setzt auf Enforcement und passende Infrastrukturen / Deutsche Großstädte mit verschiedenen Ansätzen (BS/Julian Einhaus) Waste Watcher, so heißen die Frauen und Männer in Wien, die für eine saubere Stadt sorgen. Anders als in vielen deutschen Metropolen hat die österreichische Hauptstadt überhaupt kein Verständnis mehr für Kaugummis, Dreck-Ecken und illegalen Abfallberge. Deshalb dürfen die Müll-Sheriffs hier nicht nur direkt durchgreifen und Bußgelder verteilen, sie tun es auch zunehmend! Im vergangen Jahr wurden fast 5.500 Strafen verhängt – tausend mehr als 2015. Die Enforcement-Politik scheint zu wirken. “Die neuen Zahlen belegen einmal mehr, dass wir mit unserer Strategie für eine saubere Stadt goldrichtig liegen, erklärt Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima: “Breit informieren, Angebot schaffen und streng kontrollieren.” Die rot-grün regierte DonauStadt kassiert vor allem für weggeworfene Kippen und hinterlassenen Hunde-Kot. Bürger, die auf frischer Tat ertappt werden, mussten bisher umgehend 36 Euro bezahlen. Seit Anfang März kostet ein sogenanntes Organmandat sogar 50 Euro, bei schwereren Vergehen bis zu 90 Euro. “Die Gelder kommen ausschließlich weiteren Sauberkeitsmaßnahmen zugute – aber jeder kann sich die Strafen ersparen, indem er sich an die Spielregeln hält”, sagt Sima. Wer die Straßen dennoch verschmutzt, muss damit rechnen, von einem zivilen Waste Watcher überrascht zu werden. An manchen Tagen sind bis zu 25 von ihnen in ausgewählten Bezirken unterwegs. Dadurch fließen durchschnittlich 250.000 Euro im Jahr in die Stadtkasse.

In vielen deutschen Kommunen werden Straßenland, Wege und Grünflächen zur Müllentsorgung missbraucht. Foto: BS/Einhaus

Wien ist konsequent, investiert aber auch in entsprechende Infrastruktur. Stadtweit sollen rund 3.500 Automaten zur Verfügung stehen, an denen Hundehalter gratis Plastiktütchen erhalten. Mittlerweile landeten täglich 100.000 “Hundekot-Sackerl” in öffentlichen Papierkörben und privaten Restmüllbehältern – Straßenland und Parks

bleiben sauber. Durch eine App kann man sich eine Karte mit allen Beutel-Spendern in der Umgebung anzeigen lassen. Auch das hat dazu geführt, dass die Donau-Metropole als eine der saubersten Hauptstädte überhaupt gilt und vom Beratungsinstitut Mercer kürzlich zum achten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt

gekürt wurde. Die Studie vergleicht 231 internationale Großstädte anhand von 39 Kriterien, zu denen neben politischen und wirtschaftlichen auch soziale und Umweltfaktoren zählen. Die deutsche Bundeshauptstadt landete hier immerhin auf Platz 13. In puncto Sauberkeit liegt Berlin aber weit dahinter. In Neukölln ließ Bezirksbür-

germeisterin Dr. Franziska Giffey (SPD) kürzlich neue Verbotsschilder an Müll-Hotspots aufstellen, auf denen Bußgelder von bis zu 50.000 Euro angedroht werden. Abschreckung allein wirkt aber nicht. Im Auftrag der bezirklichen Ordnungsämter muss die Berliner Stadtreinigung (BSR) stadtweit rund 24.000 Kubikmeter illegalen Müll pro Jahr entfernen. 4.000 Kubikmeter fallen dabei allein in Neukölln an – bei insgesamt zwölf Bezirken ist das doppelt so viel wie die eigentlich zu erwartende Menge. Die Neuköllner CDU-Bundestagsabgeordnete Christina Schwarzer wirft Giffey deshalb eine zu lasche Vorgehensweise gegen Müll-Sünder vor. Die Rathausspitze verweigere sich weiterhin einer parteiübergreifenden Lösungssuche, kritisiert Schwarzer und fordert eine “Soko Müll”, in der sich Mitarbeiter des Ordnungsamtes und der Polizei vernetzten und effektivere Mittel zur Täterfahndung nutzten. Fortsetzung auf Seite 17

Künftig fast 700 ÖPNV-Kameras in Mittelfranken Massiver Ausbau in Nürnberg und Fürth (BS/Marco Feldmann) Im Nürnberger und Fürther U-Bahnnetz werden künftig dreimal so viele Videokameras im Einsatz sein wie bisher. Ihre Zahl solle von momentan 229 Systemen auf 667 nahezu verdreifacht werden. Das kündigte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an. “Wir stellen 1,5 Millionen Euro zur Verfügung, damit die kommunalen Verkehrsbetriebe die Videoüberwachung umgehend und umfassend optimieren können”, erklärte Herrmann. Dadurch soll es möglich werden, in Zukunft alle Bahnsteige und Verteilergeschosse in den

Stationen des Verkehrsverbundes flächendeckend zu überwachen. Des Weiteren könne mit der Sonderförderung die Aufzeichnungstechnik deutlich verbessert werden. Damit seien Bilder in höherer Qualität möglich, erläuterte der Minister. “Im Ergebnis bedeutet mehr

Videoüberwachung im U-Bahnnetz mehr Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger.” Außerdem kündigte Herrmann an, die Videoüberwachung im gesamten Freistaat intensivieren zu wollen. Dies gelte vor allem an Kriminalitätsschwerpunkten und öffentlichen Plätzen.

Andere Bundesländer sind da noch nicht so weit. In der rotrot-grünen Regierungskoalition Berlins wird zum Beispiel weiterhin heftig darüber gestritten, ob die Videobeobachtung ausgeweitet werden soll. In der Bundeshauptstadt ist die Kameraüberwachung laut Koalitions-

vertrag bisher nur temporär und anlassbezogen zulässig. In Nordrhein-Westfalen wiederum gehen immer mehr Polizeipräsidien dazu über, öffentliche Räume per Video zu kontrollieren. Und auch Polizisten werden dort vermehrt mit Körperkameras ausgestattet.

Weißbuch Stadtgrün (BS/ein) Mehr Natur, auch in der Stadt – um dieses Ziel zu erreichen, hat das Bundesumweltministerium ein Weißbuch samt Handlungsempfehlungen und Maßnahmen für Kommunen veröffentlicht. “Ohne Grün ist alles grau: Natur in der Stadt verbessert die Luftqualität und das Stadtklima, mildert Hitzewellen ab und mindert Lärm”, erklärte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Anfang Mai in Essen. Das Weißbuch enthält auch ein Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre: Urbanes Grün soll u. a. rechtlich besser verankert werden, um Fördermaßnahmen passgenauer zu gestalten. Das Umweltressort will in Zukunft jährlich ein Dialogforum durchführen, um neueste Entwicklungen zu diskutieren und Best-PracticeBeispiele auszutauschen.

Kleine Abwrackprämie (BS/ein) Die “Abwrackprämie”, die Tübingen für alte Mofas oder Roller zahlt, ist laut Stadtverwaltung schon zu mehr als der Hälfte abgeflossen. Die 25.000 Euro des städtischen Förderprogramms sind bis Ende 2018 vorgesehen. Eine Prämie von 200 bis 500 Euro erhalten diejenigen, die ein elektrobetriebene Zweirads – auch Pedelecs – anschaffen und dafür ein altes stilllegen. Bislang seien so 30 umweltschädliche Zweitakter dauerhaft aus dem Verkehr gezogen worden, sagte Oberbürgermeister Boris Palmer. “Das ist gut angelegtes Geld. Jeder abgewrackte Stinker ist ein Gewinn für die Umwelt.” Seit dem vergangen Jahr fördert Tübingen als bundesweit erste Stadt den Umstieg auf elektrogetriebene Zweiräder. Andere Kommunen planten nun, dem Beispiel Tübingens zu folgen. Palmer: “Konkrete Pläne gibt es nach unseren Informationen in Stuttgart, Landshut, Nürnberg und Reutlingen.”

Zukunft Abfallwirtschaft Effizient.Kooperativ.Nachhaltig 10. Oktober 2017, Maritim Hotel, Bonn www.zukunft-abfallwirtschaft.de

Entsorgungswirtschaft zwischen Energie- und Ressourcenwende Zukunft des Dualen Systems Behördliche und wettbewerbliche Strukturen Abfallwirtschaft 4.0 Neue Geschäftsmodelle Eine Veranstaltung des:


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Juni 2017

Überall 30-Zonen wären falsches Zeichen

in die Medien kommen, scheint aber noch stärker zu sein.

Seite 16

B

ehörden Spiegel: Herr Brockmann, um welche Verkehrsteilnehmer dreht es sich maßgeblich, wenn wir über Straßenverkehrssicherheit innerorts sprechen? Brockmann: In der städtischen Verkehrssicherheit geht es besonders um Radfahrer und Fußgänger. Das ist gut an den Statistiken der Bundesländer zu erkennen. Bei den drei Stadtstaaten verschiebt sich das Unfallgeschehen mit schwer Verletzen und Getöteten von den Autoinsassen hin zu Radfahrern und Fußgängern. In den Flächenstaaten kommen hingegen relativ viele Autofahrer zu Tode, die außerorts weit höhere Geschwindigkeiten erreichen – mit entsprechenden Unfallfolgen.

Verkehrssicherheitsexperte: Rücksicht und Überblick statt starrer Regeln (BS) Deutschlandweit sterben weiterhin jährlich mehr als 3.000 Menschen im Straßenverkehr. Ein knappes Drittel der Unfälle passiert innerorts. Der Behörden Spiegel sprach mit Siegfried Brockmann, dem Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UdV) des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), über Instrumente und Möglichkeiten, die insbesondere Kommunen haben, um den Straßenverkehr vor Ort sicherer zu gestalten. Sorgen bereiten ihm vor allem die zunehmende Zahl an Radfahrern und Senioren. Hierfür brauche es neben besseren “Sichtbeziehungen” der Verkehrsteilnehmer auch ein anderes Bewusstsein füreinander. Die Fragen stellte Julian Einhaus. Wenn ich nun aber Regel und Ausnahme umkehre, habe ich nur noch 50-km/h-Schilder; 80 Prozent des Stadtgebietes wären nicht mehr mit einer solchen Appell-Funktion ausgestattet und keiner wüsste, warum die 30 km/h eigentlich einzuhalten sind. Zumindest im Übergangszeitraum wird es auch ein erhebliches Akzeptanzproblem geben. Da würde man intensiv kontrollieren müssen, danach wahrscheinlich auch. Dafür sehe ich wenig Kapazitäten.

Behörden Spiegel: In den Flächenstaaten gibt es tausende Kommunen – hier spielt der Autofahrer als Unfallopfer eine untergeordnete Rolle? Brockmann: In urbanen Regionen kommt es heute vor allem darauf an, die schwächeren Verkehrsteilnehmer – eben Fußgänger und Radfahrer – zu schützen. Aufgrund der ausgereiften passiven und aktiven Sicherheitssysteme rund um das Auto werden Pkw-Fahrer bei Unfällen mit geringer Geschwindigkeit in der Regel weniger schwer verletzt. Tödliche Pkw-Unfälle entstehen innerorts vor allem dann, wenn mehr als 50 km/h gefahren wird. Entweder, weil auf Ausfallstraßen 70 km/h erlaubt sind oder weil Fahrer sich etwa nachts nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Behörden Spiegel: Vielerorts werden flächendeckende 30-km/h-Zonen gefordert. Eine effektives Mittel, um Tote und Schwerverletzte zu reduzieren?

Plakat-Kampagne in Heidelberg: Stärker aufeinander achten und mehr Rücksicht nehmen im Straßenverkehr. Fotos: BS/Einhaus

Brockmann: Nein, das ist es oder sehr gering. Da nützt mir leider nicht. Denn 89 Prozent Tempo 30 überhaupt nichts. der Unfälle zwischen Auto- und Behörden Spiegel: ImmerRadfahrern mit schwer verletzten oder tödlichen Folgen für hin würde sie die Opferzahl den Radfahrer haben eine Pkw- bei den Radlern um elf Prozent Ausgangsgeschwindigkeit unter reduzieren… 40 km/h. Beim Fußgänger verBrockhält es sich ä h n l i c h , “Haltende und parkende Fahr- mann: Das wenn auch zeuge sind die Sichtbehinde- stimmt theoretisch, nicht ganz rung schlechthin.” Verkehrsso ausgeschilder prägt. Diese Zahlen belegen, dass die Einfüh- besitzen aber auch immer eine rung von mehr 30-Zonen so viel Appell-Funktion: Wenn ein Aunicht bringen wird. Die Haup- tofahrer die “30 km/h” sieht, tunfallursache für Radfahrer denkt er sich idealerweise, dass sind das Abbiegen und Kreu- diese Begrenzung einen Grund zen sowie Ein- und Ausfahrten haben muss. Er wird sich daran von Grundstücken. Da ist die orientieren und hoffentlich auch Geschwindigkeit entweder null ein bisschen wachsamer sein.

1,8 Milliarden Euro Hilfe 50 Jahre Stiftung Deutsches Hilfswerk (BS/Christian Kipper*) Ein Sorgentelefon für Eltern mit unheilbar kranken Kindern, ein Haus für alle Generationen oder eine Wohngruppe für mediensüchtige Jugendliche – die Stiftung Deutsches Hilfswerk und die Deutsche Fernsehlotterie helfen in Deutschland dort, wo Hilfe nötig ist. Dieses Tandem für den guten Zweck feiert im Juni sein 50-jähriges Bestehen. Seitdem sorgt die Stiftung für die Verteilung des Reinerlöses aus dem Losverkauf der Fernsehlotterie. Am 7. Juni 1967 fand die erste große Sitzung der Stiftung statt. das Hilfswerk jährlich. Es fördert soziale Maßnahmen freier gemeinnütziger Träger. Das sind beispielsweise Vereine, gemeinnützige GmbHs oder Stiftungen. Diese stellen einen Förderantrag bei der Stiftung. Ein Kuratorium VertreDie Stiftung Deutsches Hilfswerk und die Deutsche Fern- aus sehlotterie feiern im Juni 50-jähriges Bestehen. Im Bild: tern der ARD, Losvergabe mit Willy Brandt bei der Funkausstellung 1967 der Spitzenin Berlin. verbände der Foto: BS/Deutsche Fernsehlotterie Freien WohlDie Fernsehlotterie und die Stif- fahrtspflege sowie der kommutung sind seit 50 Jahren wich- nalen Spitzenverbände berät tige Stützen des solidarischen den Vorstand bei der Vergabe. Miteinanders und Partner des Die endgültige Entscheidung sozialen Lebens in Deutsch- über die Förderung fällt in den land. Gemeinsam mit unseren Vergabesitzungen des VorstanMitspielern fördern wir soziale des. Zwei Mal im Jahr beraten hier unter anderem Vertreter der Projekte im ganzen Land. BAGFW, der ARD, der kommu400 Projekte – so funktioniert nalen Spitzenverbände und des die Förderung BMFSFJ über die Anträge. Nach Ins Leben gerufen wurde die Zustimmung werden die Mittel Stiftung bereits am 23. Febru- schnell an die Förderprojekte ar 1967 vom Norddeutschen weitergegeben. Unser Auftrag bleibt die FördeRundfunk und der Bundesvereinigung der kommunalen Spit- rung und Organisation sozialer zenverbände. Ziel: Die stetig Projekte, die das solidarische steigenden Einnahmen der noch Miteinander in Deutschland jungen Soziallotterie sollten in stärken. Dabei reagieren wir ganz Deutschland für soziale auf aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen im städtiProjekte verteilt werden. Rund 400 Projekte unterstützt schen und ländlichen Raum. So

konnten 2016 allein über einen Sonderfonds rund 25 Millionen Euro an 234 Projekte für geflüchtete Menschen verteilt werden. Insgesamt belief sich die Fördersumme 2016 auf rund 90 Millionen Euro – ein Rekord in der Geschichte des Tandems. Es gilt, das Förderwesen zeitgemäß weiterzuentwickeln und neue Bedürfnisse in der Gesellschaft wahrzunehmen. So brauchen in Zeiten des demografischen Wandels viele Kommunen und Städte Unterstützung bei der Gestaltung des sozialen Miteinanders: Projekte, die Alt und Jung zusammen führen, stehen unter anderem im Fokus. Die Quartiersentwicklung ist ein wichtiger Förderschwerpunkt des Hilfswerks. Mit rund sechs Millionen Euro unterstützte das Tandem hier im vergangenen Jahr 53 Maßnahmen – Tendenz stark steigend. Die gelebte Nachbarschaft im Quartier und der Blick für die Menschen in der Umgebung sind für unsere Gesellschaft sehr wichtig. Deshalb wollen wir in den nächsten Jahrzehnten gemeinsam mit den Mitspielern dort Verantwortung übernehmen, wo Hilfe erforderlich ist. Den Förderantrag und weitere Informationen gibt es auf der Webseite der Fernsehlotterie unter fernsehlotterie.de. * Christian Kipper ist Geschäftsführer der Stiftung Deutsches Hilfswerk und der Deutschen Fernsehlotterie.

Behörden Spiegel: Sie plädieren also dafür, bei der aktuellen Regelung nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) zu bleiben, wonach die Anordnung von Tempo 30 die Ausnahme darstellen und begründet werden muss? Brockmann: Davon haben wir sicherlich mehr, als wenn wir der Ideologie folgen. Ich würde mir aber für die Anordnung deutliche Erleichterungen im Paragrafen 45 der StVO wünschen. Behörden Spiegel: Trotzdem wächst der Radverkehr drastisch und ebenso dessen Unfallzahlen. Braucht es bessere Infrastruktur, um einer weiteren Zunahme entgegenzutreten? Brockmann: Viele Rad-Lobbyisten sagen, man müsse weitaus mehr Mittel in die Infrastruktur investieren. Das stimmt auch für einige Städte wie zum Beispiel Stuttgart, die nach dem Krieg als reine Autofahrer-Stadt ausgebaut wurde. Man darf aber nicht glauben, eine Verdopplung oder gar Verdreifachung des Radverkehrs ließe sich durch entsprechende Investitionen in Radwege und -streifen sicherheitstechnisch einfach kompensieren. Radfahren ist vergleichsweise unsicher. Viele bestehende Konfliktpunkte, vor allem an Kreuzungen und Einmündungen, sind nicht so einfach aufzulösen – gut ausgebaute Radverkehrsanlagen erhöhen zudem die Geschwindigkeit der Radfahrer. Hinzu kommen schnelle Pedelecs und mehr unerfahrene Radler. Behörden Spiegel: Das heißt? Brockmann: Für die Unfallprävention ist es in jedem Fall wichtig, Sichtbeziehungen zwischen den Verkehrsteilnehmern herzustellen. Insbesondere Kreuzungs- und Einmündungsbereiche, Ein- und Ausfahrten müssen derart gestaltet werden, dass sich Auto- und Radfahrer sehen können. Hier sollte der Radweg mindestens für einige Meter an die Straße herangeführt werden. Das bedeutet auch: Der ruhende Verkehr muss dort weg! Haltende und parkende Fahrzeuge sind die Sichtbehinderung schlechthin. Ob Pkw, Lieferverkehr oder was auch immer – Polizei und Ordnungsbehörden müssen hier unbedingt zügig durchgreifen und sofort abschleppen lassen. Bei solchen Verkehrsgefährdungen hat es keinen Sinn, Knöllchen zu verteilen. Behörden Spiegel: Immer wieder werden holländische Städte und die dänische Hauptstadt Kopenhagen als positive Beispiele für ein funktionierendes Miteinander im Verkehr gepriesen. Worin liegt der Unterschied zu uns?

Behörden Spiegel: Durch den demografischen Wandel verändert sich hierzulande auch die Fußgängerschaft. Rollatoren im Stadtbild sind keine Seltenheit mehr. Ein Problem für die Verkehrssicherheit?

Brockmann: Das Überqueren Brockmann: Das Stichwort der Fahrbahn ist in Städten eine lautet: Rücksichtnahme! Egal wesentliche Unfallursache, vor wie gut die Infrastruktur in allem im Dunkeln und in den diesen Städten ausgebaut sein Wintermonaten. Senioren wermag, die Verkehrsteilnehmer den es nicht immer schaffen, achten stärker aufeinander. mehrere hundert Meter bis zur Hierzulande versuchen hin- nächsten Ampel und dann wiegegen viele, ihren rechtlichen der zurück zu gehen. Um Abhilfe Spielraum zu 100 Prozent auszu- zu schaffen, können Kommunen Queschöpfen. “Ich halte nichts von Blitzer- rungshilfen In Deutscherrichten, land wird oft Marathons.” etwa Mitgeschimpft, gehupt und gedroht. Das gilt telinseln oder Zebrastreifen. auch für Radfahrer, beispiels- Letztere sollten entsprechend weise wenn sie aussteigenden beleuchtet sein, denn auch daBusfahrgästen Vorrang gewäh- bei geht es in jedem Fall darum, ren sollen. Bei unseren Nach- Sichtbeziehungen zu schaffen. barn tut man das einfach – aus Eine unserer Studien kommt zu Rücksicht. dem Ergebnis, dass diese Infrastrukturen genauso sicher Behörden Spiegel: Auch in sein können wie AnforderungsDeutschland müssen sich Ver- ampeln – und weniger kosten. kehrsteilnehmer den Gegeben- Als Handlungsgrundlage sollten heiten anpassen… Städte in jedem Fall Verkehrsstärkenprofile nicht nur für den Brockmann: Ja, genau das Auto-, sondern auch für den verlangt die StVO – viele wissen Fußverkehr erstellen. es nur nicht! Das gilt vor allem auch für Autofahrer. Ich würde Behörden Spiegel: Welchen mir wünschen, dass einmal die Nutzen besitzen Sicherheitskampagnen durch Plakat-Aktionen – mehr Rücksicht und Vorsicht durch Schock-Bilder? Brockmann: Das ist schwierig zu beurteilen, weil es um multikausale Zusammenhänge geht. Aus der Psychologie weiß man, dass Schock-Bilder zuerst zwar stärker wirken, die Wirkung aber nach längerer Zeit verblasst – der Mensch glaubt, ihn selbst betreffe das nicht. Persönlich bin ich davon auch nicht überzeugt. Ich glaube aber an den Nutzen von Enforcement. Behörden Spiegel: Wo funktioniert das zum Beispiel?

Siegfried Brockmann ist Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UdV) des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin.

vielen Urteile stärker an die Öffentlichkeit gebracht würden, bei denen Fahrer verurteilt wurden, weil sie ihre Geschwindigkeit nicht der offensichtlichen Gefahrensituation angepasst haben. Deshalb halte ich auch nichts von "Blitzer-Marathons" wie sie in den meisten Bundesländern jüngst wieder stattfanden. Behörden Spiegel: Kein wirksames Instrument?

Brockmann: Berlin unternimmt beispielsweise vermehrt Maßnahmen, um den Schulterblick zu überprüfen. Das ist zwar personalintensiv und schwer zu beweisen, aber einfach mit Gurtund Handy-Kontrollen zu kombinieren – so kommt man auf größere Fallzahlen. Im Idealfall müsste eine mediale Kampagne also nach dem Motto “Achtet drauf!”, mit einer solchen Enforcement-Maßnahme “Wir achten auch darauf!” verknüpft werden. Vor vielen Jahren haben wir schon einmal nachgewiesen, dass beim Thema Drogen weder Prävention noch Polizei-Kontrollen alleine viel bringen, wohl aber im Zusammenspiel.

Brockmann: Geschwindigkeitskontrollen haben zwar Behörden Spiegel: Wie ist es grundsätzlich ein sehr gutes im Zusammenspiel vor Ort – auf Kosten-Nutzen-Verhältnis. Sie wen können kommunale Entvermitteln aber eine absolut scheider im Zweifel bauen, wenn fehlgehende Botschaft: Halt es darum geht, den Verkehr sidich einfach an die Geschwin- cherer zu machen? digkeitsbegrenzung und schon passiert dir nichts. Das ist falsch! Brockmann: Städte und GeFahrer müssen sich Gedanken meinden sind klug beraten, den machen, was sie tun, wenn ein Vorschlägen der lokalen UnfallKind am Straßenrand steht oder kommissionen so gut es geht ein Senior die Fahrbahn über- zu folgen. Diese Gremien setzen queren will. Es gilt hier, stärker sich aus Fachleuten der Straßenan die Verbau-, der “Kommunen sind klug beantwortung Straßenvergegenüber raten, den Vorschlägen der k e h r s b e anderen hörde und lokalen Unfallkommissionen der Polizei Verkehrsso gut es geht zu folgen.” teilnehzusammen. mern zu Oft sind appellieren als auf starre Regeln auch die Verkehrsbetriebe mit dazu setzen. Ein Blitzer-Marathon bei. Gemeinsam beurteilen diese suggeriert aber das genaue Ge- Experten regelmäßig Unfallhäugenteil! Das sehen viele Vertre- fungsstellen und unterbreiten ter der behördlichen Fachebene dem Stadt- oder Gemeinderat mittlerweile ebenso. Der Drang, Vorschläge für Maßnahmen samt damit PR betreiben können und Kostenschätzung.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Juni 2017

Fortsetzung von Seite 15

Neuköllner Ordnungsdienst überlastet “Dazu sollte auch über den Einsatz von Detektiven in Abendund Nachtstunden sowie Videokameras an Schwerpunkten nachgedacht werden”, fordert Schwarzer. Die 40 Mitarbeiter des bezirklichen Ordnungsdiensts seien überfordert. Mit 11.500 Meldungen drehe sich zwar die Hälfte aller Ordnungswidrigkeiten um illegale Müllablagerungen. In ihren Schichten müssten sie sich aber auch um Haus- und Nachbarschaftslärm, Sondernutzungsrechte, Grünanlagen, Straßenfeste, die Einhaltung des Jugendschutz- und Nichtraucherschutzgesetzes, Ladenöffnungszeiten, Parkplätze und vieles mehr kümmern. Hinzu kämen die eingeschränkten Arbeitszeiten von sechs bis 22 Uhr sowie die Dienstkleidungspflicht der Mitarbeiter. Unerkannt zu “ermitteln” geht nicht – der Ordnungsdienst ist eben keine Müllpolizei. Das wird in Neukölln auch an der Aufklärungsquote deutlich. Von 500 eingeleiteten Bußgeldverfahren wurden 2016 lediglich sieben wirkliche Bescheide zugestellt. Die meisten Verfahren scheitern an der “objektivierbaren Nachweisbarkeit”. Bei SperrmüllDelikten werden die wenigsten Täter auf frischer Tat ertappt. Ein Problem auch in anderen Städten.

Dortmund: über 2.000 Einsätze pro Jahr “Bei einem Viertel bis einem Drittel der Beobachtungen liegen Feststellungen mit Beweisen vor”, erklärt Petra Hartmann von der Entsorgung Dortmund GmbH (EDG). Trotzdem werden auch in der ehemaligen Zechenstadt Verfahren häufig eigestellt. Die Vergehen seien oft zu geringfügig und trotz Fotos von Kfz-Kennzeichen nur schwer zu belegen. In Dortmund kommt es jährlich im Schnitt zu 300 Verfahren. Von wilden Müllhalden ist nicht nur die bekannte Nordstadt betroffen, auch Stadtteile wie Mengede und Barop werden vielerorts als wilde Müllkippen missbraucht. Die Zahl illegaler Abfallablage-

rungen sei zwar vom höchsten Stand Anfang der 2000er-Jahre von rund 850 Tonnen auf einen relativ stabilen Stand von 300 Tonnen im Jahr gesunken. Trotzdem müsse die städtische Entsorgung Dortmund GmbH (EDG) dafür mehr als 2.000 Mal ausrücken – das koste ein halbe Million Euro. Die EDG nimmt zudem eine neue Entwicklung wahr. Wäh-

material und Indizien, die auf konkrete Leute hinweisen.” Bei den jährlich über 1.200 Fällen, denen seine Mitarbeiter nachgingen, komme es in immerhin 50 Prozent zu Zahlungen. “Unsere Aufgabe ist es auch, zu informieren und zu versuchen, die Dinge meist gütlich zu lösen”, sagt Chapuis. “Wenn wir Müll-Sünder ermitteln konnten, werden sie erst einmal aufge-

Nach vierwöchiger Pilotierung: In Berlin-Neukölln soll auch künftig ein privater Sicherheitsdienst helfen, Abfallsünder ausfindig zu machen und die Zahl der Mülldelikte zu reduzieren. Im Vergleich zum bezirklichen Ordnungsdienst darf das Privatunternehmen auch nachts und verdeckt ermitteln. Foto: BS/BA Neukölln

rend weniger Abfall am Straßenrand auf Grünstreifen oder in Parks zu finden sei, steige offenbar die Zahl unrechtmäßigen Beistellungen vor allem an Container-Standorten.

Hamburg: gütlich und “Prinzip Hoffnung” Neben einem Mülldetektiv, der direkt für die EDG ermittelt, hat die Stadt deshalb 2014 einen weiteren professionellen Ermittler für eben solche Standorte im Einsatz. Anders als bisher in Berlin kann in Dortmund sieben Tage die Woche und auch nachts ermittelt werden. Das habe vor allem abschreckende Wirkung, die Zahl der tatsächlich mit Bußgeld abgeschlossenen Verfahren steige dadurch aber nur unwesentlich, stellt Hartmann klar. In Hamburg durchforsten vier Zweier-Teams die Stadt, vor allem Stadtteile wie St. Georg und St. Pauli. Es geht sowohl um Sperrmüll als auch um Abfall von Gewerbetreibenden und Anwohnern, erklärt Klaus Chapuis, Leiter der Entsorgungsüberwachung der Stadtreinigung. “Unsere Möglichkeiten sind recht eingeschränkt – wir gucken besonders nach Adress-

fordert, sich zum Sachverhalt zu äußern.” Auch hier geht es meist um wilde Ablagerungen an der Straße, Grünanlagen und rund um die Standplätze von Depotcontainern. Es besteht das Prinzip Hoffnung: Denn im Grunde wird nur der belangt, der ein Delikt auch zugibt. Auf langwierige und kostspielige Prozesse verzichtet die Stadtreinigung, denn sie trägt in jedem Fall die Beweislast. Auch höhere Bußgelder darf die Stadtreinigung nicht erheben, das ist dem Senat vorbehalten. “Unsere Gebühren sind kostendeckend – es geht darum, den uns zusätzlich entstandenen Aufwand wieder reinzuholen.” Davon ließ sich in Berlin-Neukölln bisher nur träumen.

Privater Sicherheitsdienst soll es richten Die prekäre Haushaltlage des Bezirks – rund drei Viertel des Budgets fließen in Transfer- und Sozialleistungen – lässt kaum zusätzliches Ordnungspersonal zu. Bezirksbürgermeisterin Giffey sieht nun offenbar auch eine weitere Möglichkeit. Die kürzlich abgeschlossene vierwöchige Pilotphase mit einem

privaten Sicherheitsdienst als Mülldetektive lief erfolgreich. Die Abfallmengen hätten sich an Hotspots, wo intensiv kontrolliert worden sei während der Testphase reduziert. Erstmals besitze das Bezirksamt nun auch Informationen über den konkreten Hergang einiger Delikte: “Wir wissen jetzt, dass die Ablagerung von Müll in Sekunden geschieht: Teilweise wird er aus dem fahrenden Auto geworfen.” Die Täter gingen vorsichtig vor, checkten, ob sie beobachtet werden. Ein großer Teil der Ablagerungen sei gewerblicher Müll, so Giffey. Weil Täter rund um die Uhr damit rechnen müssten, erwischt zu werden, die Mitarbeiter des Ordnungsamts aber strukturell beschränkt seien, setzt Neukölln nun auf den privaten Dienst. Aber nicht ausschließlich.

Dem kulturellen Problem begegnen Der Bezirk versucht ebenso auf Prävention und kulturellen Wandel zu drängen. Bei Veranstaltungen in Schulen und Kitas setzt die SPD-Politikerin bei den Kleinsten an und versucht einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Sicherlich ein zusätzlicher Baustein. Um aber auch das aktuelle Bewusstsein vieler Erwachsener zu erreichen, müsste auch bei kleineren Vergehen überhaupt mal durchgegriffen werden. Und wenn der Bezirk so viel Enforcement wie in Wien nicht will oder kann, warum dann nicht zumindest ein bisschen mehr Hilfe zur Selbsthilfe leisten? Etwa durch zusätzliche Infrastruktur. Die ohnehin oft überfüllten Abfallbehälter sind in einigen Parks bereits durch großvolumigere Müllkästen ersetzt worden. Das wirkt nicht immer schön, kann aber gerade an heißen Sommertagen erheblich zur städtischen Sauberkeit beitragen. Gleiches gilt für gut zu erreichende Glasflaschenhalter. Das würde auch den vielen Sammlern zugute kommen, die sich in vielen deutschen Großstädten täglich durch die Mülleimer kramen. Warum nicht auch hier erst einmal pilotieren? Und die Erfahrungen anderer Kommunen einbeziehen.

Ländliche Entwicklung für die neue Legislatur Landkreistag fordert neues Bundesministerium (BS/ein) Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat seine Erwartungen an den Bund für die nächste Legislatur bis 2021 formuliert und Ende Mai 25 Forderungen auf- und vorgestellt. Demnach soll u. a. ein Bundesministerium für ländliche Entwicklung entstehen. Außerdem wollen die Landkreise direkt an der Umsatzsteuerverteilung beteiligt werden. Trotz befristeter Finanzspritzen und guter Konjunktur ist es kein Geheimnis, dass viele arme Kommunen im Bundesgebiet es auch künftig bleiben werden. “Zu hoch sind die Kassenkredite und zu gering ist die Investitionskraft aufgrund struktureller Unterfinanzierung”, erklärte LKT-Präsident Landrat Reinhard Sager. Es sei daher geboten, strukturell und dauerhaft etwas für die Kommunen zu tun, “statt immer wieder nur punktuell die größten Löcher zu stopfen”.

25 Forderungen Die Landkreise machen das nun durch einen umfassenden Forderungskatalog deutlich. Im Rahmen der großen Herausforderungen wie Integration, Infrastrukturinvestitionen und des Umgangs mit dem demografischen Wandel zielen zehn von 25 Punkten auf die Stärkung des ländlichen Raums. Es gehe darum, die Landkreise als Wirtschaftsstandorte voranzubringen, um Digitalisierung und Flexibilisierung von Angeboten und um den Ausbau des schnellen Internets, so Sager. Ebenso

und Stabilität bei”, fuhr Sager fort. Aufgrund der mittelständisch geprägten dezentralen Wirtschaftsstruktur müssten die “flächenbezogenen Belange seitens des Bundes weiter gebündelt werden”. Die Landkreise fordern ein “kompetenziell aufzuwertendes Ministerium für die ländliche Entwicklung, das daneben auch für Ernährung und Landwirtschaft verantwortlich ist”. Der Landkreistag hat 25 Forderungen für die kommende 19. Legislaturperiode des Bundes aufgestellt. Foto: BS/Siegfried Baier, pixelio.de

darum, den Öffentlichen Nahverkehr auf Straße und Schiene auch in entlegeneren Gebieten sicherzustellen, um attraktives Wohnen, eine flächendeckende medizinische Versorgung und passende Förderanreize bei Unternehmensansiedlungen. “Die ländlichen Räume mit ihren mittelständischen Unternehmen, starken Sparkassen vor Ort und einer handlungsfähigen kommunalen Selbstverwaltung tragen entscheidend zu unserer ökonomischen Stärke

Staatsminister für Bund-Länder-Koordinierung Darüber hinaus zielen die Landkreise darauf, dass sie neben Städten und Gemeinden künftig an allen kommunal relevanten Gesetzgebungsvorhaben und Maßnahmen des Bundes partizipieren werden. “Die bisherigen Beteiligungsrechte der kommunalen Spitzenverbände reichen nicht aus, um zu einer in sich stimmigen Politik des Bundes in Bezug auf die kommunale Ebene zu gelangen.” Innerhalb der Bundesregierung schlägt man vor, einen Staatsminister für die Bund-Länder-Koordinierung im Kanzleramt zu installieren.

Dies habe sich bei der Koordination im Zuge des Flüchtlingszustroms sehr bewährt. Weil die Sozialausgaben weiter stark stiegen, müssten die Haushalte entsprechend ausgestattet werden und der kommunale Umsatzsteueranteil erhöht werden. Darin müssten auch die Landkreise einbezogen werden, die bislang nicht an den großen Kommunalsteuern partizipierten, aber im kommunalen Bereich den bei Weitem größten Anteil der Sozialausgaben zu tragen hätten. Der bislang wirtschaftskraftabhängig ausgestaltete Verteilungsschlüssel für die kommunalen Ebenen soll demnach ähnlich wie bei den Ländern durch einen einwohnerbasierten Schlüssel ersetzt werden. Dieser könnte nach Vorstellungen des DLT belastungsorientiert gewichtet und ausgestaltet werden. Schließlich fordern die Landkreise, die Breitbandförderung so zu dotieren, dass künftig in allen ländlichen Regionen hochleistungsfähige Netze zur Verfügung stünden. Dafür brauche es sowohl Glasfaser als auch den künftigen Mobilfunkstandard 5G.

Seite 17

Lewe übernimmt 2018 Münsters Oberbürgermeister soll DST-Präsident werden (BS/ein) Der Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe, soll ab Januar 2018 vorerst bis Juli 2019 neuer Präsident des Deutschen Städtetags (DST) werden. Das entschied der DST auf seiner Hauptversammlung in Nürnberg Anfang Juni. Der CDU-Politiker folgt damit auf die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Eva Lohse (auch CDU), die bei der kommenden Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz nicht erneut antritt.

Münsters OB Markus Lewe, hier am Lambertikirchplatz der Fahrrad- und Universitätsstadt Foto: BS/Stadt Münster

Der 52-jähirge Lewe ist studierter Verwaltungswirt und seit 2009 OB der Stadt Münster. Bei seiner Wiederwahl 2015 konnte er sich im ersten Wahlgang mit 50,59 Prozent der abgegebenen Stimmen gegen den SPD-Kandidaten Jochen Köhnke (23,81 Prozent) und die Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink (20,77 Prozent) durchsetzen. Nach dem Studium wurde Lewe Mitarbeiter beim Land-

schaftsverband Westfalen-Lippe. Danach wurde er Revisor im Bistum Münster und avancierte zum Referatsleiter Controlling sowie zum Chef der Organisationsentwicklung des kirchlichen Verwaltungsbezirks. Der gebürtige Münsteraner ist seit 1982 politisch engagiert, zunächst im Vorstand der Jungen Union und der CDU seiner Heimatstadt. Im Jahr 1999 wurde der Kommunalpolitiker dann erstmals zum Bezirksbürgermeister in Münster-SüdOst gewählt. 2004 folgte seine Wiederwahl. Von 2007 bis 2009 übernahm er den Parteivorsitz des CDU-Kreisverbands Münster. Nachdem der frühere OB Berthold Tillmann verkündete, bei der Kommunalwahl 2009 nicht erneut anzutreten, wurde Lewe 2008 zum CDU-Kandidaten für die OB-Wahl erkoren und setzte sich schließlich bei der Kommunalwahl am 30. August 2009 mit 49,48 Prozent gegen den SPD-Kandidaten Wolfgang Heuer durch. Heuer ist heute Dezernatsleiter für Personal und Organisation in der Universitätsstadt. Markus Lewe ist verheiratet und hat fünf Kinder.

MELDUNGEN

Verkaufsoffener Sonntag bleibt schwierig (BS/ein) Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig entschied Mitte Mai, dass die Rechtsverordnung der Stadt Worms zur Freigabe der Ladenöffnung an einem Sonntag unwirksam war. Die Verordnung sah vor, dass am 29. Dezember 2013 sämtliche Verkaufsstellen im Gemeindegebiet von 13 bis 18 Uhr geöffnet sein durften. Das BVerwG stellt fest, dass das vorherige Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) RheinlandPfalz zwar im Einklang mit Bundesrecht davon ausgegangen sei, dass jede Ladenöffnung an einem Sonn- oder Feiertag für sich genommen durch einen Sachgrund gerechtfertigt sein müsse. Entgegen der Auffassung des OVG seien die bundesverfassungs-

rechtlichen Anforderungen des Sonntagsschutzes jedoch nicht schon erfüllt, wenn der Verordnungsgeber alle für und gegen die Ladenöffnung sprechenden Belange berücksichtigt und im Rahmen einer Gesamtabwägung vertretbar gewichtet habe. Als Sachgrund reiche ein alleiniges Umsatz- und Erwerbsinteresse der Handelsbetriebe und das Shopping-Interesse der Kundschaft nicht aus. Ein weitergehendes öffentliches Interesse müsse hinreichend gewichtig sein, so das BVerwG, um die konkret beabsichtigte Ladenöffnung in ihrem jeweiligen Umfang zu rechtfertigen. Ein solcher Sachgrund für eine stadtweite Ladenöffnung habe bei Erlass der Verordnung nicht vorgelegen.

Altena gewinnt Integrationspreis (BS/ein) Die nordrhein-westfälische Stadt Altena (Märkischer Kreis) hat den 2017 erstmals ausgeschriebenen Nationalen Integrationspreis gewonnen. Bürgermeister Dr. Andreas Hollstein nahm die Auszeichnung der Bundeskanzlerin für herausragende Leistungen der Stadt bei der Integration von Flüchtlingen Mitte Mai entgegen. Die 17.000 Einwohner zählende Stadt habe zahlreiche Flüchtlinge freiwillig aufgenommen und bündle verschiedene Instrumente zur Integration in vorbildlicher Wei-

se, so die Begründung des JuryUrteils. Das städtische Leitbild “Vom Flüchtling zum Altenaer Mitbürger” gilt als beispielgebend für eine schnelle und nachhaltige Integration von Migranten vor Ort. Das Bundeskabinett hatte den mit 10.000 Euro dotierten Preis im Mai 2016 im Rahmen ihrer “Meseberger Erklärung zur Integration” ausgelobt. Preisträger können Einzelpersonen, Personengruppen, Organisationen oder Kommunen sein, die von 33 vorschlagsberechtigten Organisationen vorgeschlagen.

München: Grüne Radler-Welle (BS/ein) Grüne Welle für den Radverkehr? “Bislang hat das in München noch keiner versucht”, sagte Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle, seit Mitte Mai werde aber pilotiert, um die IsarStadt attraktiver für Fahrradfahrer zu gestalten. Dafür hat die Stadt ein ein Kilometer langes Straßenstück Im Univiertel ausgemacht, das mit Linienbusverkehr, Autos und Radlern als anspruchsvolles Testumfeld gilt. Die

Pilotierung läuft bis Ende Oktober und wird vom Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TU München wissenschaftlich begleitet. Weil Radfahrer mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs seien, sei es zentral, herauszufinden, auf welche Durchschnittsgeschwindigkeit die Grüne Welle programmiert sein sollte. Die Ergebnisse des Verkehrsversuchs sollen bis Mitte 2018 vorliegen und öffentlich vorgestellt werden.


Personelles

Seite 18

Behörden Spiegel / Juni 2017

Städte, Gemeinden und Landkreise

Stellenmarkt MELDUNG

MELDUNG

Neuer Pforzheimer OB: Polizist mit Balletausbildung

Nach 14 Jahren Vakanz: Hanauer neuer OB

(BS/ein) Pforzheims neuer Oberbürgermeister heißt Peter Boch. Der CDU-Politiker gewann die Kommunalwahl Anfang Mai überraschend im ersten Wahlgang mit 51,5 Prozent der Stimmen. Das bisherige Stadtoberhaupt Gert Hager (SPD) war acht Jahre im Amt und kam nur auf 40,8 Prozent. Die weiteren Kandidaten Dimitrij Walter und An– dreas Kubisch lagen mit 4,8 bzw. 2,8 Prozent abgeschlagen dahinter. Die Wahlbeteiligung betrug 38,6 Prozent. Der 37-jährige Boch war bislang

Bürgermeister der rund 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde Epfendorf im Kreis Rottweil. Nach einer Ballettausbildung machte er eine Ausbildung zum Polizeibeamten und war zeitweilig als Personenschützer für den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus im Einsatz. In seinem “11-Punkte-Plan für Pforzheim” setzt der Vater dreier Kinder vor allem auf die Themen Sicherheit und Sauberkeit. So will er u. a. den Bußgeldrahmen bei Müllsündern ausschöpfen,

intelligente Videoüberwachung neuralgischer Punkte installieren lassen und eine Stabsstelle “Sicherheitsbündnis” im Rathaus einsetzen. Der neue OB will die Stadt durch verkehrstechnische Maßnahmen vom starken Durchgangsverkehr entlasten, setzt auf ein intermodales ÖPNVNetz und sieht die Wirtschaftsförderung, für die auch die Gewerbesteuer gesenkt werden soll, als künftige Chefsache. Pforzheim liegt in Nordbaden und hat rund 122.000 Einwohner.

Peter Boch wird neuer Oberbürgermeister von Pforzheim. Foto: BS/www.peter-boch.de

(BS/ein) Die hessische Stadt Hanau hat die Stelle des Bürgermeisters nach 14-jähriger Vakanz wiederbesetzt. Der bisherige hauptamtliche Stadtrat Axel Weiss-Thiel wurde Anfang Mai von der Stadtverordnetenversammlung für sechs Jahre zum Bürgermeister für Bildung und Soziales gewählt. Der 56-jährige SPD-Politiker sitzt seit 1985 im Stadtparlament und hatte bei seiner letzten Wahl zum Stadtrat 2013 mit Blick auf den kommunalen Haushalt auf den besser bezahlten Bürgermeister-Titel

verzichtet. Bislang bestand der hauptamtliche Magistrat der Stadt aus dem Oberbürgermeister und zwei Stadträten. Nach dem Weggang des zweiten Stadtrats Andreas Kowol Anfang April gilt in Hanau nun die im Januar 2015 modifizierte Hauptsatzung, nach der der Magistrat aus einem Oberbürgermeister, Bürgermeister sowie einem hauptamtlichen Stadtrat und sieben ehrenamtlichen Stadträten bestehen muss. Die Position des hauptamtlichen Bürgermeisters musste folglich besetzt werden.


Personelles / Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / Juni 2017

Interessenkonflikt per se? Kommunalvertreter in Verwaltungsräten der Sparkassen (BS/lkm) Was ist mit dem Bürgermeister, der nicht nur Mitglied im Verwaltungsrat der Sparkasse ist, sondern auch eine wesentliche Funktion in den Stadtwerken bekleidet, die einen Kredit der Sparkasse nicht zurückzahlen? Die EU sieht darin einen Interessenkonflikt und hat Standards aufgestellt, die es Politikern in Zukunft erschweren, ein Aufsichtsmandat bei Sparkassen zu begleiten. Kommunalvertreter schlagen Alarm. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) schlagen vor, dass für Politiker und staatliche Vertreter in Aufsichtsorganen von Banken und Sparkassen die Vermutung eines per se bestehenden generellen Interessenkonfliktes gelten soll. Darüber hinaus sollen die Mindestanforderungen an die Qualifikation von Mitgliedern in Aufsichtsorganen verschärft werden. Kommunale Spitzenverbände befürchten, dass infolge dessen die Verwaltungsräte der Sparkassen in Deutschland mit weniger kommunalen Vertretern besetzt werden. “Das wäre ein Strukturbruch und würde die kommunale Verankerung der Sparkassen wesentlich schwächen”, warnt Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deutschen

Landkreistages. Auch die neuen Mindestanforderungen an die Qualifikation sieht Sager kritisch, sie seien in Bezug auf die Sparkassen nicht sachgerecht. “Ein Landrat als Vorsitzender des Verwaltungsrates einer Sparkasse darf nicht lediglich die “betriebswirtschaftliche Brille” aufhaben, sondern trägt letztlich auch politisch Verantwortung für ein wirksames Agieren des Kreditinstituts im Rahmen des öffentlichen Auftrages. Hier geht es nicht um Rendite, sondern um Wirtschaftsförderung und Daseinsvorsorge zum Wohle des Landkreises.” Der Kommunalverband fordert deshalb Ausnahmen für Trägervertreter. Die EZB jedoch hält an ihrem Standpunkt fest. Gerade weil Sparkassen so bedeutend für

die deutsche Wirtschaft seien, müssten sie auch gut geführt werden. Die Regeln zur “Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit” von Mitgliedern der Leitungsorgane sollen genau das sicherstellen. “Ein Interessenkonflikt verhindert nicht automatisch, dass ein Kandidat Mitglied des Verwaltungsrats wird”, merkt Sabine Lautenschläger, Mitglied des EZB-Direktoriums und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB, zudem an. Sie will den Kommunen ihre Sorgen etwas nehmen. Entscheidend sei, dass der Interessenkonflikt angemessen gehandhabt und begrenzt werde. Nur wenn das nicht der Fall sei, müsste der betroffene Kandidat abgelehnt werden.

Einigung bei kommunalen Finanzhilfen Reform in Mecklenburg-Vorpommern (BS/lkm) Bis kurz vor Mitternacht hatten Mecklenburgs Innenminister Lorenz Caffier (CDU), Finanzminister Mathias Brodkorb (SPD) und die kommunalen spitzenverbände Mitte Mai am neuen Finanzausgleichsgesetz gefeilt. Herausgekommen ist ein Zehn-Punkte-Papier und zufrieden erleichterte Verhandlungspartner. Die zähen Verhandlungen hätten zu einem “guten Ergebnis für die kommunale Familie” geführt, lobte der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg Vorpommern. Caffier sprach von einem “wichtigen und gutem Signal an die Kommunen” nach langer Diskussion und Brodkorb sieht nach dem “steinigen Weg” zur Einigung “eine gute Lösung für alle”. Das Geld komme nun besser da an, wo es auch benötigt werde. Städte und Gemeinden hätten nun endlich Klarheit, mit wieviel Geld sie 2018 rechnen könnten. Die Reform soll in zwei Stufen erfolgen. Die erste Stufe soll 2018 in Kraft treten. Gemeinden, Städte und Landkreise er-

halten demnach pro Jahr rund 44 Mio. Euro zusätzlich über den Kommunalen Finanzausgleich. Zudem sollen die Entlastungsmittel des Bundes in Höhe von jährlich rund 80 Mio. Euro vollständig den Kommunen zugutekommen. Davon fließen rund 35 Mio. Euro in einen Fonds zum Abbau kommunaler Schulden. Der neue Finanzausgleich soll zudem gerechter werden: Steuerschwache und kinderreiche Gemeinden und Städte sollen finanziell gestärkt und steuerstarke Gemeinden und Städte nach dem Solidarprinzip stärker an der Finanzierung steuerschwacher Kommunen beteiligt werden. Hierzu wird die Aus-

gleichsquote für die Verteilung der Gemeindeschlüsselzuweisungen in zwei Schritten von 60 auf 70 Prozent erhöht. Nach diesen ersten Änderungen sollen 2020 in einem zweiten Schritt weitere Anpassungen erfolgen. Dann sollen die zusätzlichen Mittel, die das Land im Länderfinanzausgleich 2020 erreichen konnte, in das System fließen. Das letzte Wort hat hier aber der Landtag, er muss dem neuen Finanzausgleichsgesetz zustimmen. Caffier machte in der Sache direkt Druck: “Die Eckpfeiler sind jetzt gesetzt, die Ausgestaltung kann beginnen.” Man habe einen engen Zeitplan. “Also gehen wir an die Arbeit!”

Die Gemeinde Lindlar (www.lindlar.de) mit ungefähr 22.000 Einwohnern liegt im Herzen des Naturparks „Bergisches Land“ und im Einzugsbereich der Stadt Köln (ca. 30 km Entfernung). Zum 31.12.2017 scheidet der bisherige Kämmerer altersbedingt aus. Für die Einarbeitung ist bereits zum 01.10.2017 die Stelle eines /einer Kämmerers

/ Kämmerin im Verwaltungsvorstand in Vollzeit zu besetzen

Bitte bewerben Sie sich bis zum 14.06.2017 online auf unserem Stellenportal www.interamt.de unter der Stellen-ID 369203. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte der ausführlichen Stellenbeschreibung im Internet unter www.lindlar.de Politik und Verwaltung Jobs und Karriere Stellenangebote.

Seite 19

“Kommunales Steuerungssystem”

Die fünf Komponenten des ganzheitlichen Steuerungssystems von Dr. Ulrich Keilmann

Die Kommunen sind durch die Kommunalverfassungen der Länder dazu verpflichtet, ihre Haushalte dauerhaft auszugleichen. Der Haushaltsausgleich ist aber nicht nur eine Rechtsvorschrift, sondern vielmehr eine Selbstverständlichkeit im politischen Eigeninteresse einer jeden Kommune. Politische Handlungsspielräume können nur gewahrt und ausgebaut werden, wenn der Haushaltsausgleich gelingt. Wichtige Voraussetzung dafür ist ein ganzheitliches Steuerungssystem, das aus Sicht der Überörtlichen Prüfung aus fünf Komponenten besteht: 1. Strategisches Zielsystem: Grundlage für eine nachhaltige Haushaltswirtschaft ist die Entwicklung strategischer Ziele, um die jährliche Haushaltsplanung und -bewirtschaftung in eine einheitliche Richtung steuern und die Komplexität der Maßnahmenentscheidungen verringern zu können. Die Überörtliche Prüfung empfiehlt, die Gemeindestrategie durch die Bildung von strategischen Oberzielen (OZ) in Handlungsfeldern (HF) zu konkretisieren. 2. Teilhaushalte mit Zielen und Kennzahlen: Die strategischen Ziele sollten im Rahmen der jährlichen Haushaltsplanung in operative Produktziele (P-Ziele) überführt und auf der Ebene von Teilhaushalten zusammengefasst werden. Die Ziele und Zielerreichungskennzahlen bilden dabei die Basis für die Haushaltswirtschaft und konkretisieren den finanziellen Handlungsrahmen (Budget). 3. Budgetierung: Die Kommunalverwaltung sollte eigen-

verantwortlich und kurzfristig Maßnahmen an geänderte Rahmenbedingungen anpassen können. Dies erfordert einen flexiblen Budgetzuschnitt. Eine solche Flexibilisierung wird durch die Bildung von Budgets auf Ebene der Teilhaushalte / Produkte erreicht. 4. Kosten- und Leistungsrechnung: Gerade in Bereichen der Gebührenkalkulation sowie mit hohem Steuerungsbedarf (wie Baumanagement und Gebäudemanagement) oder mit hohem Steuerungsinteresse (wie freiwillige Leistungen) ist die vollständige Ermittlung der Kosten und Erlöse der wesentlichen Verwaltungsleistungen und Produkte notwendig. 5. Berichtswesen: Zur Erhöhung der Transparenz und Erleichterung der Steuerung sollten die Berichte adressatenorientiert aufgebaut sein. Dabei sollten die Berichtsdaten und der Detaillierungsgrad auf die jeweilige Entscheidungsebene und den jeweiligen Entscheidungsbedarf zu

zu

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/Hessischer Rechnungshof

abgestimmt sein. Gleichzeitig sollten die Berichtszeitpunkte auf die Entscheidungsprozesse und Informationsbedürfnisse angepasst werden. Die Überörtliche Prüfung empfiehlt, an die Verwaltungsführung und die politischen Gremien mindestens zum Ende eines Quartals den Stand der Haushaltswirtschaft und der Zielerreichung zu berichten. Lesen Sie mehr zum Thema “Haushaltssteuerung” im Kommunalbericht 2016, Hessischer Landtag, Drucksache 19/3908 vom 2. Dezember 2016, S. 162 ff.

Quelle: BS/Eigene Darstellung

Tax Compliance in der Verwaltung? Herausforderungen nutzen (BS/Silvia Michel) Tax Compliance ist seit einiger Zeit in aller Munde und macht auch vor der öffentlichen Hand nicht halt. Für bestehende Arbeitsabläufe soll überprüft werden, ob diese den aktuellen Anforderungen der Finanzverwaltung entsprechen. Die Herausforderungen, denen sich die öffentliche Verwaltung aufgrund des neuen Umsatzsteuerrechts stellen muss, können genutzt werden, um ein wirksames internes Kontrollsystem Steuern aufzubauen. Die Erfüllung steuerlicher Pflichten gehört zur Aufgabe der gesetzlichen Vertreter. Für Steuern gelten die gleichen Sorgfaltspflichten wie zur Einhaltung anderer gesetzlicher Bestimmungen. Um den gestiegenen Anforderungen zu entsprechen, haben viele Unternehmen und öffentliche Einrichtungen interne Kontrollsysteme (Compliance Management Systeme) etabliert. Diese internen Kontrollsysteme (IKS) sollten auch steuerliche Aspekte beinhalten. Einerseits um gesetzeskonformes Verhalten sicherzustellen, aber auch um persönliche Risiken für die Verantwortlichen zu minimieren. Spätestens mit der Verschärfung der Regelungen zur Berichtigung von Steuererklärungen und der steuerlichen Selbstanzeige (§§ 153, 371 AO)

Umsatzbesteuerung für juristische Personen öffentlichen Rechts Silvia Michel ist Wirt(§§ 2, 2b UStG schaftsprüferin, Steuerberan. F.). Der Umterin und Partnerin bei der fang steuerlicher Trinavis GmbH & Co. KG. Pflichten der öfSie begleitet die öffentliche fentlichen Hand Hand bei Projekten zu § 2b wird damit weiter UStG und IKS Steuern. steigen. Um sich Foto: BS/Trinavis darauf vorzubekommt dem IKS Steuern eine reiten, muss die Verwaltung neue Bedeutung zu. Das Vor- alle entgeltlichen Leistungen, liegen eines IKS Steuern soll bestehende Kooperationen und bei der Vorsatzfeststellung des sonstige Einnahmen aufnehSteuerpflichtigen berücksich- men und steuerlich neu bewertigt werden. Auch das Institut ten. Die daraus resultierenden der Wirtschaftsprüfer begrüßt steuerlichen Folgen sind so in den Ansatz, im Vorliegen eines die Geschäftsprozesse der VerIKS Steuern ein Indiz gegen waltung zu integrieren. Das neue Umsatzsteuerrecht Leichtfertigkeit und Vorsatz zu erfordert somit ein Überdenken sehen. Zentrale Bestandteile eines IKS der bisherigen VerwaltungsabSteuern sind schriftliche Richtli- läufe. Im Zuge der steuerlichen nien und dokumentierte Verfah- Bestandsaufnahme und Neuberensabläufe, die den Beschäftig- wertung für die §§ 2, 2b UStG n. ten verpflichtend aufzeigen, wie F. können derzeitige Arbeitsabmit steuerlichen Themen, Fris- läufe i. Z. m. Steuern überprüft, ten, Abrechnungsvorschriften, besser dokumentiert und so vorDokumentationspflichten etc., bereitet werden, dass eine Anumzugehen ist. Das erfordert, passung an das neue Umsatzdass Steuerthemen in den re- steuerrecht jederzeit möglich levanten Bereichen der Verwal- ist. Die Anforderungen, der sich die öffentliche Verwaltung i. Z. tung fest integriert sind. Fast zeitgleich zu den Ver- m. mit dem neuen Umsatzsteulautbarungen des Bundesfi- errecht stellen muss, können nanzministeriums (BMF) zur genutzt werden, um gleichzeitig Berichtigung falscher Steuer- ein wirksames IKS Steuern im erklärungen änderte das Steu- erforderlichen Maße auf- bzw. eränderungsgesetz 2015 die auszubauen.



Stadtwerke / Kommunalwirtschaft

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 21

Steuerung im Wirtschaftszyklus

Punktuelles Aufladen

Quartals-Reporting, Jahresabschluss und strukturierte Wirtschaftsplananalyse

Höhere Anforderungen an Infrastrukturbetreiber

(BS/Lars Scheider*) Eine Reihe von Bilanzskandalen und nicht zuletzt die Finanzkrise waren Auslöser mehrerer Gesetzesänderungen, die jeweils eine Verbesserung von Steuerung und Transparenz sowie eine verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmensführung zum Ziel hatten. Dadurch ist der Anspruch an die Steuerung und Transparenz der Unternehmensführung bei den städtischen Beteiligungsunternehmen – nicht nur in Frankfurt am Main – kontinuierlich angestiegen. Dies wirkt sich auch auf das Beteiligungscontrolling aus.

(BS/ein) Der Bundesrat hat Mitte Mai die Erste Änderungsverordnung der Ladesäulenverordnung beschlossen. Vor allem müssen Anbieter nun Ladevorgänge ohne vorherigen Abschluss eines längeren Stromliefervertrags erlauben (“Punktuelles Aufladen”).

des Geschäftsjahres darüber beschließen kann. Wesentliche Bestandteile eines Wirtschaftsplans sind der Erfolgsplan, der Finanzplan, der Vermögensplan, der Personalplan und die mittelfristige Finanzplanung. Neben der Wirtschaftsplananalyse selbst sind jedoch schon bei der Wirtschaftsplanerstellung ggf. steuernde Maßnahmen notwendig. Deshalb ist der Beschlussfassung im zuständigen Gesellschaftsorgan vorgelagert ein Abstimmungsgespräch mit Vertretern der Gesellschafterin Stadt Frankfurt am Main über den Entwurf des Wirtschaftsplans (sog. Wirtschaftsplangespräch). Vor dem eigentlichen Wirtschaftsplangespräch wird der Themenschwerpunkt für die Wirtschaftsplangespräche durch das Beteiligungsmanagement festgelegt und erfolgt der Datenversand der Beteiligungsunternehmen in die Datenbank (AMI) des Beteiligungsmanagements der Stadt Frankfurt a. M., worauf hin die Vollständigkeitsund Plausibilitätsprüfung bis hin zur strukturierten Analyse durch das Beteiligungsmanagement erfolgt.

Künftig müssen Ladesäulenbetreiber sicherstellen, dass es die Möglichkeit gibt, cash oder mit Karte zu zahlen oder ein Bezahlzugang über Smartphone-Apps bzw. mobile Webseiten existiert. Auch kostenloses Laden ist weiterhin möglich. Die Stadtwerke begrüßen den “langfristig verbindlichen Rechtsrahmen” und wollen einen “wesentlichen Beitrag” zum weiteren Aufbau von Ladeinfrastruktur leisten. Strom könne nur im Rahmen bestimmter Dienstleistungen kostenlos und leichter abgegeben werden. Unternehmen und Kunden haben laut dem Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) nun einen großen Gestaltungsspielraum für die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen. DieergänzteLadesäu- Die neue Ladesäulenverordnung soll einheitlilenverordnung schaffe chere Standards für das E-Tanken schaffen. auch die Grundlage Foto: BS/Einhaus dafür, so die Nationale Plattform Elektromobilität einigen Vorgaben ausgenom(NPE), dass durch einheitliche men werden. So gelten hierfür Standards und Ladeleistungen zum Beispiel nicht der Steckerüberall diskriminierungsfrei ge- Standard und die Anzeigepflicht laden werden können. “Für die gegenüber der BundesnetzagenNutzer stellt die neue Ladesäu- tur und die daraus folgende Relenverordnung sicher, dass sie gulierungskompetenzen. Die Novellierung setzt auch ihr Elektrofahrzeug überall problemlos laden können”, erklärte die Vorgaben der europäischen NPE-Chef Henning Kagermann. Richtlinie über den Aufbau der “Unterschiedliche Ladeszenari- Infrastruktur für alternative en vom Normalladen bis zum Kraftstoffe (2014/94/EU) um. Schnellladen bieten für jedes Mit der Ladesäulenverordnung Nutzungsverhalten eine prakti- vom März 2016 wurde diese EURichtlinie in deutsches Recht kable Lösung.” Der Gesetzgeber schafft mit der überführt. Die nun erlassene Änderungsverordnung darüber Erste Verordnung zur Änderung hinaus einen sogenannte Inno- der Ladesäulenverordnung ervationsfreiraum für Ladepunk- gänzt die bisher nicht geregelten te bis 3,7 Kilowatt, die von Aspekte der EU-Richtlinie.

Unabhängig von der Größe des Beteiligungsportfolios, dessen Grades der Diversität sowie der Komplexität des Steuerungsprozesses ist die Steuerung im Wirtschaftszyklus eine elementare Aufgabe des Beteiligungsmanagements. Durch die Anwendung von bestimmten Instrumenten kann diese Kernaufgabe sehr effektiv und effizient erreicht werden. Dazu gehören Quartalsberichte, Jahresabschlüsse und eine strukturierte Wirtschaftsanalyse. Maßgeblich für das operative Beteiligungscontrolling ist das Quartals-Reporting. In dessen Rahmen werden die Quartalsabschlüsse der direkten und indirekten städtischen Mehrheitsbeteiligungen sowie der Eigenbetriebe vom Beteiligungsmanagement zu einem Gesamt-Quartalsbericht zusammengefasst. Die vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnungen der Gesellschaften werden in engem Kontakt zwischen den Unternehmensbetreuern des Beteiligungsmanagements und den zuständigen Controlling-Abteilungen analysiert und erläutert. Wesentliche Kennzahlen sind die Ist-, Plan- und Vorjahreszahlen der GuV-Positionen. Zudem werden Hochrechnungen auf das Jahresergebnis erfasst und analysiert. Die Berichte dienen der zeitnahen und ausreichenden Information des Aufsichtsrates und der Gesellschafter sowie der Vorbereitung eventuell erforderlicher Steuerungsmaßnahmen. Es wird darauf geachtet, dass die der Stadt gemeldeten Quartalsergebnisse denen des Aufsichtsrates inhaltlich entsprechen bzw. Hinweise auf zeitlich bedingte Abweichungen im Ausnahmefall erfolgen.

Jahresabschlüsse und “Dashboards” Jahresabschluss und Lagebild werden durch die Geschäftsführung gemäß den gesetzli-

Transparenz und verantwortungsvolle Führung: Der Anspruch, städtische Beteiligungsunternehmen zu steuern, ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Foto: BS/Kecko, CC BY-ND 2.0, flickr.com,

chen Vorgaben erstellt. Mit dem Beteiligungsmanagement wird die zeitliche Planung so abgestimmt, dass eine rechtzeitige Erstellung des Beteiligungsberichts und des Gesamtabschlusses der Stadt Frankfurt am Main (Konzernabschluss) gewährleistet ist. Zu dem Vorgespräch zwischen Jahresabschlussprüfer und Geschäftsführung über die wesentlichen Ergebnisse der Abschlussprüfung sind das Beteiligungsmanagement und das Revisionsamt beizuziehen (sog. Abschlussgespräche). Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Qualität des Jahresabschlusses ist die Vergabe der Prüfungsleistung. Das Beteiligungsmanagement ist beauftragt, für die städtischen Mehrheitsgesellschaften vorbehaltlich anderer zu beachtender vergaberechtlicher Anforderungen spätestens nach Ablauf von fünf Jahren Angebote über die Prüfung der Jahresabschlüsse von mindestens drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einzuholen. Zur Unterstützung der Unternehmensanalyse entwickelte

das Beteiligungsmanagement 2012 zudem für die Gesellschaften und Eigenbetriebe sogenannte “Dashboards”. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung wesentlichen Finanz-, Personal- sowie Leistungskennzahlen über mehrere Jahre, die visuell aufbereitet dem jeweiligen Adressaten einen schnellen Überblick über die Geschäftsentwicklung ermöglicht.

Strukturierte Wirtschaftsplananalyse Neben der Quartalsberichterstattung und dem Jahresabschluss kommt dem Wirtschaftsplan für den Aufsichtsrat und für das Beteiligungsmanagement in seiner Anteilseignerfunktion eine zentrale Bedeutung zu. Der Wirtschaftsplan dient der Konkretisierung der Planung und ist Grundlage für die Geschäftsführung. Die Geschäftsführung hat für jedes Geschäftsjahr einen Wirtschaftsplan aufzustellen und dem zuständigen Organ (Aufsichtsrat und/oder Gesellschafterversammlung) so rechtzeitig vorzulegen, dass dieses vor Beginn

*Ass. jur. Lars Scheider ist Abteilungsleiter Beteiligungsmanagement der Stadtkämmerei der Stadt Frankfurt am Main.

Mehr zum Thema Unter dem Titel “Instrumente eines modernen Beteiligungsmanagements” erläutert der Autor in einem Vertiefungsseminar des Behörden Spiegel am 9. und 10. November 2017 in Hamburg den Wechsel vom passiven Verwalten zum aktiven Steuern. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www. fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort Vertiefungsseminar

Ohne Vorbereitung kein Erfolg

Nach Rekommunalisierung

Wärmewende befeuern

Notfallmanagement bei öffentlichen Unternehmen

Konzessionsabgabe in Gebührensatz rechtswidrig

Polnische Delegation informiert sich in Rheinland-Pfalz

(BS/ Dietrich Läpke*) “Et kütt wie et kütt” und “et hätt schon immer jot jejange” – diese beiden Paragrafen des kölschen Grundgesetzes sind eine ganz schlechte Richtschnur für die Bewältigung von Notfällen und Krisen.

(BS/ein) Gebührenbescheide eines kommunalen Eigenbetriebes sind rechtswidrig, wenn in den Gebührensatz auch eine Konzessionsabgabe einfließt. Das geht aus Urteilen des Verwaltungsgerichts (VG) Kassel vom 27.03.2017 (Az.: 6 K 1347/12.KS und 6 K 412/13.KS) hervor.

ternehmen, die sich vorher mit dem Unerwarteten oder für die meisten Mitarbeiter und Führungskräfte Undenkbaren auseinandersetzen, werden auch Notsituationen ohne schwerwiegende Konsequenzen überstehen können. Dieses gilt in besonderem Maße für Unternehmen, die für die öffentliche Daseinsvorsorge der Bürgerinnen und Bürger z. B. im Bereich Energieund Wasserversorgung und Gesundheitswesen zuständig sind. Mit dem neugestalteten Seminar “Notfallmanagement und Risikoanalysen für Behörden und Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge” des Behörden Spiegel werden die Teilnehmer praxisnah auf die Bewältigung verschiedener Notfälle vorbereitet. Ausgehend von der Vermittlung von Grundwissen zu Notfallvorsorge, Risikoanalysen und Krisenmanagement werden Bedeutung und Struktur z. B. von Notfallplänen und Krisenstäben erläutert. Schwerpunkt des Seminars sind verschiedene Workshops und Planspiele, bei

den Städten Vellmar und Kassel hatten sich gegen Wassergebührenbescheide gewandt, weil die Stadt Kassel als Trägerin der Wasserversorgung im Jahr 2012 auf Gebühren umgestellt hatte. Zuvor rechnete die Städtische Werke Netz + Service GmbH die Wasserversorgung privatrechtlich über Entgelte ab. Die Rekommunalisierung ist nach Ansicht der Kläger rechtsformmissbräuchlich und daher rechtswidrig, da sich die Stadt dadurch der Aufsicht der Kartellbehörde entziehe. Das VG führt aus, dass nach der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung der Einbezug einer Konzessionsabgabe dann nicht in Betracht kommt, wenn ein gemeindlicher Eigenbetrieb eine solche an die den Betrieb führende Gemeinde direkt erbringe. Sonderrechtsbedingte Verschiebungen, die sich aufgrund der im Einzelfall gewählten Organisation ergäben, dürfen demnach auf den Umfang der gebührenfähigen Kosten und somit auf die Gebührenhöhe keinen Ein-

(BS/ein) Eine Delegation aus der polnischen Wojwodschaft Podlasien (Nordostpolen) hat sich Anfang Mai über Konzepte und Maßnahmen der Energiewende informiert. Die Woiwodschaft Podlasien sei ähnlich strukturiert wie Rheinland-Pfalz, fast identisch groß und noch deutlich stärker ländlich geprägt, sagte der rheinland-pfälzische UmweltstaatsDenn nur die Behörden und Un- denen die Teilnehmer proaktiv Drei Grundstückseigentümer in fluss haben. Nach Ansicht der 6. sekretär Thomas Griese. – durch zielgerichtetes Handeln die Entwicklung eines Szenarios selbst bestimmend – Notsituationen erfahren können. Das Seminar findet am 18. und 19. Oktober 2017 in Bonn statt und richtet sich an Beschäftigte auf der Führungs- und Arbeitsebene, die für das Notfallund Krisenmanagement ihrer Behörde bzw. ihres Unternehmens verantwortlich sind oder künftig entsprechende Aufgaben übernehmen sollen. Das Dozententeam mit langjähriger Erfahrung in der Ausbildung von Krisenstäben in Behörden und Unternehmen gewährleistet eine erfolgreiche Schulung. Weitere Informationen zu Programm und Anmeldung unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Notfallmanagement”. *Dipl.-Ing. Dietrich Läpke war Referats- und Abteilungsleiter “Einsatz” der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk und Leiter der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz.

Kammer könne bei der von der Stadt gewählten Ausgestaltung der Wasserversorgung nichts anderes gelten: Denn der Eigenbetrieb der Stadt entrichte aufgrund eines mit der städtischen Versorgungsgesellschaft, die Eigentümerin der Wasserverteilungs- und -gewinnungsanlagen sei, geschlossenen Pacht- und Dienstleistungsvertrages ein Pacht- und Dienstleistungsentgelt, in dem die Konzessionsabgabe enthalten sei, die die städtische Versorgungsgesellschaft an die Stadt zahle. Das von dem Eigenbetrieb gezahlte Pacht- und Dienstleistungsentgelt werde sodann als Kosten für in Anspruch genommene Fremdleistungen in die Gebührenkalkulation eingestellt. Die in der Gebührenberechnung enthaltene Konzessionsabgabe werde im Ergebnis an die Stadt Kassel weitergeleitet und fließe dort in den allgemeinen Haushalt. Das Gericht hat die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Kassel zugelassen.

“Mit Nahwärmenetzen wie in der Gemeinde Schillingen, dem Holzheizkraftwerk in Neuerburg, der energieautarken Kläranlage in Trier oder dem Verbund-Projekt Westeifel haben wir beispielgebende Projekte, die auf großes Interesse stoßen”, erklärte Griese. Vieles davon könne auch in Polen umgesetzt werden. Rheinland-Pfalz sei mit 40 Prozent Eigenversorgung auf einem guten Weg. Mit einem Anteil von 47 Prozent an der Stromerzeugung im Jahr 2016 spielten Sonne, Wind, Wasser und Biomasse bereits eine zentrale Rolle in der rheinland-pfälzischen Energieversorgung, so Griese. “Die Zukunft der Energiewende ist dezentral und flexibel – sie findet in der Region statt.” Der Vizemarshall der Woiwodschaft Podlasiens, Maciej Zywno, sagte, dass das Konzept der Energieagentur als Beratungsstelle und Motor für innovative Projekte in den Gemeinden auch eine Idee für seine Region sein könnte.

Lokale Wärmenetze können z. B. durch Blockheizkraftwerke (Bild) gespeist werden. Foto: BS/MWM Energy, CC BY-NC-ND 2.0, flickr.com

Beim Leuchtturmprojekt Verbundsystem Westeifel könnten insgesamt 48 bestehende Biogasanlagen der Region an eine Leitung angeschlossen werden. “Die intelligente Nutzung von Biogas ist ein Schlüssel für die dezentrale Energieversorgung. Damit kann je nach Bedarf schwankender Strom aus Wind und Sonne ausgeglichen werden”, sagte der Staatssekretär. Daneben müsse vor allem die Wärmewende in ländlichen Gemeinden forciert werden.


Kommunale Infrastruktur

Seite 22

Behörden Spiegel / Juni 2017

Aus dem kühlen Untergrund

Ressource “Information” immer wichtiger

Münchner Stadtwerke setzen auf Fernkälte

Facility Management für Nachhaltigkeit in öffentlichen Gebäuden

(BS/ein) Im Grunde funktioniert Fernkälte ähnlich wie Fernwärme: Wasser wird zentral gekühlt und über ein Rohrnetz an verschiedene Gebäude gepumpt. Dort nimmt es die Abwärme aus den Gebäudeklimatisierungen auf und wird über eine zweite, parallel verlaufende Leitung wieder zur Kälteerzeugung transportiert, erneut abgekühlt und wieder zur Verfügung gestellt. Ein Kreislauf.

(BS/Prof. Dr. Andrea Pelzeter) Gebäude beanspruchen viele Ressourcen – in Form von Geld, Rohstoffen, Energie – und stehen damit stets im Fokus, wenn es um Einsparziele geht, insbesondere bei der Einhaltung der langfristigen Ziele zur Reduktion der CO2-Emissionen. Im Falle von Neubauten kann man sich am Leitfaden Nachhaltiges Bauen bzw. am zugehörigen Bewertungssystem BNB orientieren (www.nachhaltigesbauen.de), um möglichst gut nutzbare, ressourcen- und umweltschonende Gebäude zu konzipieren.

Die Stadtwerke München (SWM) gehen bei diesem Verfahren noch einen Schritt weiter und nutzen Grundwasser und unterirdisch verlaufende Stadtbäche, um Kälte zu erzeugen. Geothermisch gewonnene Kälte im oberirdischen Rohrkreislauf also. Durch diese natürliche Kühlung wird laut SWM deutlich weniger elektrische Energie für die Kälteerzeugung benötigt. Die Rede ist von einer Gesamtstromersparnis von 70 Prozent gegenüber individueller Maschinenkälte mit Kühlturm. Das spare rund 25.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Da es sich bei der Fernkälte um ein geschlossenes System handelt, findet auch kein Wasseraustausch statt und damit kein Eingriff in die Wasserökologie. Es gebe ein starkes Interesse an neuen

Netzanschlüssen sowie Einzellösungen, erklärt Dr. Florian Bieberbach, Vorsitzender der SWM-Geschäftsführung. “Experten rechnen allein im Münchner Innenstadtbereich mit seinen vielen Büro-, Gewerbe- und Einzelhandelsimmobilien mit einem Kältepotenzial von mindestens 150 Megawatt.” Bieberbach sieht den Ausbau der Fernkälte als weiteres Zeichen für den generellen Ausbau regenerativer Energieversorgung in der Landeshauptstadt. Insgesamt hätten die SWM bislang mehr als 30 Millionen Euro in den Ausbau des Münchener Fernkältenetzes investiert. Die “Kältezentrale” befindet sich in den Kellergeschossen des Stachusbauwerk – des größten Untergrundbauwerks Europas im Zentrum Münchens. Darunter fließt der Große

Westliche Stadtgrabenbach. In diesem Kältekraftwerk werden zwölf Megawatt (zwölf Mio. Watt) erzeugt. Eine durchschnittliche Klimaanlage für ein Bürogebäude hat zwischen 100 und 500 Kilowatt (100.000 bis 500.000 Watt). Zusätzlich stünden neun Eisspeicher zur Verfügung, die zusammen rund 170.000 Liter fassen. Die Eis-Wannen werden nachts, wenn weniger Nachfrage besteht, eingefroren und bei steigendem Bedarf tagsüber aufgetaut. So soll die Anlage kontinuierlich beansprucht und Verbrauchsspitzen ökonomischer wie ökologischer abgedeckt werden. Auch in anderen europäischen Großstädten wie Barcelona, Amsterdam oder Wien gibt es bereits Fernkältenetze. Zumeist wird hier die Abwärme von Kraftwerken zur Kälteerzeugung genutzt.

Innovative Müllplätze prämiert Mit Blick auf die Welt von heute und morgen (BS/ein) Neubau, Umbau, Sanierung im Bestand – die Gestaltung von Müllentsorgung will sich bislang meist weder in moderne Lebensumgebungen noch in städtebauliche Pläne einfügen. Besonders für die Wohnungswirtschaft sei dies ein wichtiges Thema, sagte Maren Kern, Vorstand beim BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen: “Hier spielen Komfort und Barrierearmut, aber auch die Anforderungen an eine moderne Mülltrennung eine große Rolle.” Ein Wettbewerb hat nun teils zweckdienliche, teils schöne, mindestens aber interessante Impulse hervorgebracht und die theoretische Auswahl an Alternativen künftiger Abfall-Zwischenlager erhöht. Das betrifft nicht nur Stadtplaner und Immobilienbranche, auch Entsorgungsunternehmen haben ein Interesse – vor allem an praktikablen Lösungen.

Gut zugänglich, möglichst barriefrei Die Berliner Stadtreinigung (BSR) baut zwar selbst keine Müllplätze, holt aber täglich Tausende Tonnen aus privaten und öffentlichen Gebäuden. “Gut zugängliche, innovative und möglichst barrierearme Müllplätze sind nicht nur für die Mieterinnen und Mieter, sondern auch für unsere Beschäftigten wichtig”, erklärte BSRChefin Dr. Tanja Wielgoß. Der Wettbewerb, der neben dem BBU und der BSR auch vom Bund Deutscher Architekten ausgelobt wurde, richtete sich sowohl an Wohnungswirtschaft und Bauträger als auch

Einer von zehn Gewinnern: Der Entwurf “Ellipse” von Dagmar Gast Landschaftsarchitekten BDLA wurde in der Kategorie “State oft the Art” ausgezeichnet. Foto: BS/BSR

an Architekten, (Landschafts-) Planer, Studierende und Auszubildende. Kleine wie umfassende Lösungen, Ideen für einzelne Standplätze, clevere Detaillösungen oder auch Gesamtkonzepte für Immobilien konnten in drei Kategorien “heute” (State of the Art), “morgen” (Next Generation) und “in einer fernen, fernen Zukunft” (Freestyle) eingereicht werden. Aus 71 Bewerbungen ermittelte die Jury zehn Preisträger. “Die kreativen Ansätze wurden liebevoll, engagiert und

mit Blick auf die Welt von morgen umgesetzt”, so Andreas R. Becher, Vorstand des Bundes Deutscher Architekten (BDA) und Vorsitzender der Jury. “Sie kommen von jungen Menschen und sprechen gerade diese an und setzen sich mit deren Erfahrungswelt und Erwartungen auseinander.” Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Ideen, die auf der Website der BSR zu sehen sind, in der ein oder anderen Weise künftig ins Berliner Stadtbild einfließen. Vielleicht auch darüber hinaus.

Rasche Verlegung im laufenden Betrieb Bezirksregierung Niederbayern setzt auf nora nTx (BS) In kürzester Zeit Büroräume im neuen Look: Dank des neuen selbstklebenden Kautschukbodens nora nTx konnten die Mitarbeiter der Bezirksverwaltung Niederbayern unmittelbar nach der Renovierung schon wieder an ihren Schreibtischen sitzen. Die Sanierung im laufenden Betrieb ist einer der großen Vorteile des Schnellverlegesystems von nora systems. Die alten Beläge eines Objekts müssen nur leicht angeschliffen und gegebenenfalls grundiert werden, daher gibt es bei der Verlegung kaum Staub und Schmutz. Die Zimmer oder Flure können direkt nach der Verlegung wieder betreten, gereinigt, eingeräumt und genutzt werden. Ein weiterer entscheidender Faktor für die Verantwortlichen aus der Bauabteilung der Bezirksverwaltung: Nora nTx kann direkt auf bestehenden Bodenbelägen installiert werden. Dies spart nicht nur Zeit und Geld. Gerade in Gebäuden, in denen

Boden auf Boden, schnell und sauber: Das sind die großen Vorteile des Schnellverlegesystems von nora systems. Foto: BS/www.mm-fotowerbung.de

durch eine klassische Bodensanierung die Gefahr bestünde, historische Bausubstanz zu beschädigen, ist das neue System eine Alternative.

Weitere Details und Informationen zur Verlegung von nTx Belägen im Objekt finden Sie auf folgender Webseite http:// ntx.nora.com/de-ins.

Hier hat der Gebäudebetrieb bzw. das Facility Management eine Schlüsselrolle. Facility Management hat sich zur Aufgabe gemacht, Gebäude für ihren Lebenszyklus zu optimieren. Das beginnt mit der kontinuierlichen Anpassung an sich ändernde Nutzungsanforderungen, geht über die schonende Pflege und Wartung bis zur Nutzung von Instandsetzungen zur Verbesserung von Gebäudeelementen in Hinblick auf die Vision eines Gebäudes, das Energie aus der Umwelt “erntet”, speichert und nur sehr sparsam nutzt. Aber auch die auf die Nutzungsprozesse bezogenen Facility Services wie z. B. das Catering bieten Potenziale zur Ressourcen- und Umweltschonung (u. a. durch Einsatz regionaler, saisonaler Lebensmittel). Eine detaillierte Auflistung dazu findet sich in der GEFMA-Richtlinie 160-1: Nachhaltigkeit im Facility Management – Bewertungssysteme (www.gefma.de).

Auch neuere Gebäude können noch verbessert werden Selbstverständlich ist das Potenzial in schlecht gedämmten Gebäuden mit veralteter Gebäudetechnik am größten. Aber auch in einem Gebäude, das z. B. in den 90er-Jahren gebaut wurde, kann durch sorgfältiges Abstimmen aller technischen Elemente und punktuelles Austauschen ein Einspareffekt von zehn bis 20 Prozent erzielt werden. Hier ist z. B. der hydraulische Abgleich in Heizungsanlagen zu nennen, der Austausch von Pumpen, ein regelmäßiger Filtertausch in Lüftungsanlagen (reduziert Luftwiderstand und damit Luftförderleistung) etc. Auch im Detail liegen Potenziale: Die elektromagnetische Offenhaltung von Brandschutztüren in häufig begangenen Fluren kann meist ab 18 Uhr und am Wochenende abgeschaltet werden. Analog können die Temperaturniveaus in den beheizten Räumen um einige Grad abgesenkt werden. In modernen Gebäuden mit vorhandener Gebäudeautomatisation kann man eine nutzungsangepasste Steuerung auch für Beleuchtung, Lüftung, Drucker etc. umsetzen. Aber auch die kürzlich fertiggestellten Gebäude bergen häufig ein erstaunlich hohes Verbesserungspotenzial, weil

Material in Kreisläufen nutzen.

Quelle: BS/Pelzeter

und Recyclingprozesse besser geplant und umgesetzt werden. In der Summe gibt es also viele Möglichkeiten (ganzheitliche Darstellung vgl. Pelzeter: LebensFoto: BS/Pelzeter zyklusmanagement, Beuthdie Einstellung der techni- Verlag 2017), aber noch wenige schen Komponenten bei Ge- Erfolgsgeschichten. bäudeübergabe erst noch auf die tatsächlichen Anforderun- Einregelungsphase in den ersten zwei Jahren gen durch die Gebäudenutzer eingestellt werden müssen Vermutlich wird oft an der fal(oder weil Anlagen durch nicht schen Stelle gespart: Die Einbeeingewiesene Personen ab-/ ziehung von Facility Managern umgestellt werden, was keine als Berater in der PlanungsphaSeltenheit darstellt). se könnte zur Verbesserung der Nutzbarkeit in Hinblick auf VerGebäudelebenszyklus änderungs- und Sekundärproin den Blick nehmen zesse (bis hin zur MüllentsorAußer zur Energie- und damit gung ohne Treppenhindernisse) zur CO2-Einsparung kann Faci- beitragen. Die Beauftragung eility Management bei Instandset- ner Einregelungsphase während zungen zur Schaffung geschlos- der ersten zwei Nutzungsjahre sener Stoffkreisläufe beitragen, wäre vorteilhaft. Zudem sollte es indem reparaturfähige Elemente eine Strategie geben, auf welchen eingesetzt werden, z. B. Holzfens- mittelfristigen Gebäudezustand ter, und bei diesen auf die Mög- alle einzelnen Instandsetzungslichkeit des Recyclings geachtet prozesse durch Ausnutzung von Verbesserungswird, z. B. durch Vermeidung technischen von schadstoffhaltigen Anstri- möglichkeiten ausgerichtet werchen, Klebern oder Dichtungs- den sollen. Facility Management kann zur massen. Alle genutzten Ver- und Gebrauchsmittel sollten hohe Nachhaltigkeit im Gebäudebetrieb beitragen durch: Beratung Recyclinganteile aufweisen. Die Ressource “Information” in der Gebäudekonzeption, Einerhält im Gebäudesektor zuneh- regelung und Anpassung aller mende Bedeutung. Durch eine technischen Anlagen an die jekonsequente Zusammenfüh- weils aktuellen Nutzungsanrung von Informationen aus der forderungen, Ausrichtung von an Bau- und der Nutzungsphase Instandsetzungsaufgaben (z. B. durch Anwendung von BIM ganzheitlicher Verbesserungs– Building Information Model- strategie und kontinuierliche, ling) können Instandhaltungs- digitale Dokumentation. Prof. Dr. Andrea Pelzeter verantwortet an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin den Dualen Studiengang “Technisches Facility Management” und leitet den GEFMA-Arbeitskreis Nachhaltigkeit.


Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 23

Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen M

it dem 1. Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen, der am 1./2. Juni in Berlin stattgefunden hat, ist es gelungen, wichtige Themen der Daseinsvorsorge anzusprechen und sie in Fachbeiträgen und Diskussionen zu vertiefen. Handlungsleitend für zukünftige Sozialpolitik, deren Ziel es ist, die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen und somit eine ausreichende Ausstattung mit sozialer Infrastruktur und einen Zugang für alle im Rahmen von Daseinsvorsorge zu schaffen, sind auf der Veranstaltung gute Beispiele, Maßnahmen und Projekte aus unterschiedlichen Bereichen präsentiert worden. Es wurde deutlich: In soziale Infrastrukturen zu investieren, bedeutet, vernetzte und integrierte Versorgungsstrukturen auf- und auszubauen, lebendige Nachbarschaften und sorgende Gemeinschaften zu fördern, präventive und gesundheitsfördernde Strukturen anzulegen und auszubauen, integrative Prozesse und Interkulturalität ebenso wie die Digitalisierung im Sozialbereich voranzutreiben und technische Lösungen zu nutzen sowie eine entsprechende überregionale Finanzierung und Unterstützung zu sichern. Vor allem gilt es, Zugänge zu sozialen Infrastrukturen inklusiv zu schaffen, sodass alle in gleichem Maße die Möglichkeit erhalten, daran teilzuhaben. Die gesundheitlichen, pflegerischen, teilhabeorientierten sowie die Betreuungsstrukturen sind aufeinander abzustimmen

Kommune setzt den Hut auf Daseinsvorsorge neu denken – vernetztes Handeln aller Akteure im Quartier erforderlich (BS/Julian Einhaus/Dagmar Vogt-Janssen*) Vor nur wenigen Jahren prognostizierten Demografen wie Politiker landauf, landab den Rückgang der Bevölkerung in Deutschland, eine zunehmende “Vergreisung” der Gesellschaft und Fachkräftemangel in nahezu allen Gesundheits- und Handwerksberufen. Spätestens seit Herbst 2015 ist Deutschland Zuwanderungsland Nummer eins in Europa, besitzt eine Multi-Kulti-Gesellschaft und bemüht sich so unbürokratisch wie möglich, jungen Menschen aus Zuwanderungsländern und mit Migrationshintergrund Studien- oder Ausbildungsplätze anzubieten und Migrantenfamilien über Wohn- und Arbeitsplatzangebote in Deutschland zu halten und zu integrieren. Der soziodemografische Wandel hat sich verändert, seine Herausforderungen ebenfalls. Das neue Format des früheren Demografie-Kongresses des Behörden Spiegels richtet seinen Fokus auf die Daseinsvorsorge und damit auf die Ausgestaltung und Zugänge sozialer Infrastrukturen. und an den Schnittstellen der einzelnen Bereiche zu verbessern. Auf dem Zukunftskongress wurden zahlreiche Beispiele aufeinander abgestimmter und an den Zielgruppen orientierter Infrastrukturen vorgestellt. Ein Referent erklärte, dass es “Möglichkeiten ohne Ende” gebe. Ein solch großes Potenzial von Gestaltungsmöglichkeiten sei “Fluch und Segen” zugleich – so hieß es in einem Vortrag –, da von den Kommunen bzw. einer steigenden Zahl von Gemeinschaften auf lokaler Ebene entsprechende Aktivitäten vor Ort in den Quartieren auch vorausgesetzt würden. “Wir müssen die Dinge wieder zurückholen vor Ort”, so sagte Brigitte Döcker, Mitglied des Bundesvorstands der Arbeiterwohlfahrt. Es gehe hier um den Ausbau und Erhalt sozialer Infrastrukturen, nicht nur um Infrastrukturen im klassischen Sinne wie passende Gebäude und barrierefreie Lebensumfelder. Vor allem müsse der Weg dahin führen, die verschiedenen Akteure im Sozialraum an einen Tisch zu bekommen und mit-

“Zehn Milliarden Euro”

Vom 11. Demografie- zum 1. Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen: Anfang Juni diskutierten in Berlin 100 Fachleute unter Programmleitung Dagmar Vogt-Janssens (links) über Ansätze und Lösungen der bevölkerungsstrukturellen Herausforderungen. Fotos: BS/Giessen

einander zu vernetzen, so der einhellige Tenor der rund 100 Teilnehmer des Fachkongresses, der in diesem Jahr auch mit neuer Ausrichtung vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert wurde. Neben den Präsentationen im Hauptprogramm wurde in insgesamt neun Fachforen über unterschiedliche Bereiche zu

sozialer Infrastruktur informiert und diskutiert. Referenten und Fachpublikum tauschten sich aus über Quartiers- und Stadtentwicklung, jugendgerechte Strukturen, pflegerische Versorgung, neue Wohnformen, integrierte gesundheitliche Versorgungsstrukturen und Unterstützung von Angehörigen, Integration und Inklusion, technische Unterstützungssys-

Digitale Zugänge schaffen

teme und Digitalisierungsmöglichkeiten, die Rolle der Freien Wohlfahrt und der Kommunen, Bildungsnetzwerke und Demografiestrategien. Als ein wichtiges Ziel, um Reibungsverluste zu verringern und den Menschen in den Mittelpunkt der Infrastrukturentwicklung zu stellen, wurde eine sektorenübergreifende Versorgung hervorgehoben. Damit

einher gehen müsse eine Reduzierung von Schnittstellen; sowohl zwischen einzelnen Versorgungsbereichen der ambulanten, teilstationären und stationären Versorgung als auch zwischen den Verantwortungsund Finanzierungsträgern einzelner Zuständigkeitsbereiche und Lebensphasen. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass angesichts der soziodemografischen Veränderungen in Deutschland gerade auf die Sozialsysteme in absehbarer Zeit weitere starke Belastungen zukommen würden. Auch waren sich Referenten und Teilnehmer einig, dass trotz technischer Entwicklungen dem direkten sozialen Umfeld, dem Quartier und der Nachbarschaft in Zukunft eine hohe Bedeutung zukommen werde. Mit Blick auf die steigende Zahl von Hochbetagten an der Gesamtbevölkerung werde der soziale Nahraum wichtiger denn je. Aber auch die kleinste Ebene allein löst nicht alle Probleme, das wurde in den Podiumsdiskussionen der Veranstaltung immer wieder offensichtlich. Es braucht den Motor Kommune, ebenso aber die Unterstützung durch Bund und Länder sowie ein stärkeres Miteinander in der Gesellschaft. *Dagmar Vogt-Janssen ist fachliche Leiterin des Zukunftskongresses Soziale Infrastrukturen. Die Volljuristin und Gesundheitswissenschaftlerin (MPH) ist stellv. Fachbereichsleiterin Senioren der Landeshauptstadt Hannover.

Enger Austausch notwendig

Staatssekretär Kleindiek: Kommunen nicht alleine lassen “Keine Gesellschaft kann ohne Care-Orientierung leben” Die nächsten Herausforderungen im Gesundheitswesen (BS/ein) Zehn Milliarden Euro pro Jahr seien notwendig, um es richtig zu machen, erklärte Dr. Ralf Kleindiek auf dem 1. Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen in Berlin. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bezog sich damit auf die große Herausforderung, der sich Länder und Kommunen bei der Kinderbetreuung ausgesetzt sähen. “Der Bund muss sein Engagement deutlich und auf Dauer ausweiten”, so Kleindiek. “Wir werben dafür, dass in der nächsten Legislaturperiode Haushaltsüberschüsse dort hinein fließen.” Bislang finanziere der Bund Kinderbetreuung mit 2,5 Mrd. Euro. Darunter sei etwa das Programm KitaPlus, durch das Einrichtungen gefördert würden, die zu Randzeiten Kindern von Arbeitnehmern im Schichtdienst oder aus der Gastronomie zugute kämen. Die Förderung für Sprach-Kitas habe sein Ministerium zuletzt auf 200 Mio. Euro verdoppelt. Wichtige Investitionen, denn es gehe um eine “Wachstumsbranche”. Schon heute stünden mehr als 700.000 Plätze allein für UnterDreijährige zur Verfügung. Die Zuwanderung und die erneut gestiegene Geburtenrate ließen den Bedarf in den kommenden Jahren noch steigen, sagte Kleindiek. Betreuungsangebote ermöglichten es, frühzeitig Deutsch zu lernen und sich hierzulande integrieren zu können. Dass dafür vielerorts nicht ausreichend Erzieherinnen vorhanden seien, zeigte kürzlich ein Besuch Manuela Schwesigs in einer Einrichtung. Bei einer KitaEinweihung musste die ehemalige Ministerin feststellen, dass von den 69 nur 28 Plätze belegt werden konnten. “Es hat schlicht an der notwendigen Anzahl an Erzieherinnen und Erziehern ge-

Dr. Ralf Kleindiek ist Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

fehlt”, so Kleindiek. Ein Berufsfeld, in dem es am stärksten dort an Personal mangele, wo ohnehin Abwanderung und Alterung vorherrsche. Der Staatssekretär betonte insbesondere den Stellenwert der kommunalen Ebene. Einrichtungen und Aktivitäten, bei denen sich Menschen um anderen kümmerten, befänden sich in ihrem unmittelbaren Umfeld. Vor Ort sei man nur gemeinsam in der Lage, die Daseinsvorsorge für alle sicherzustellen. “Wir können die Kommunen hier nicht alleine lassen.” Gerade in ländlichen Regionen liege die Zahl der Über-64-Jährigen etwa 20 Prozentpunkte über derjenigen in urbanen Regionen.

(BS/ein) Wie will ich leben, vor allem im Alter? So unterschiedlich sich Menschen heute auch im hohen Alter noch geben, so unterschiedlich blickten jüngere Leute auf die Zukunft. “Immerhin 36 Prozent sehen im Alter neue Chancen – und das ist toll!”, erklärte Dr. Jürgen Gohde, Kurator im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA). Gleichwohl sei vieles zu diskutieren, selbst unter Begriffen und Zielen wie Selbständigkeit und Selbstbestimmung verstünden die Menschen aufgrund verschiedener sozialer Erfahrungen unterschiedliche Dinge. Ob krank oder gesund, dieser oder jener kultureller Hintergrund – es gehe darum, Zugänge zu Lebensqualität zu schaffen. Um den Schutz von Selbstbestimmung und Integrität künftig sicherstellen zu können, hält Gohde es für notwendig, auch die Öffnung digitaler Angebote grundrechtlich zu verankern. Menschliche Pflege sei zwar durch Technisierung nicht zu ersetzen. Vieles könne aber besser gemacht werden, etwa durch digitale Dokumentation von Bedarfen und Leistungen. Auf diese Weise könnten Personal und Menschen entlastet werden für Gestaltungsaufgaben einer Kultur der Achtsamkeit. Der Fachkräftemangel in der Pflege sei eine riesige Herausforderung, sagte der frühere Präsident der Deutschen Krankhausgesellschaft. Man könne nicht einfach so Pflegekräfte von hier nach da “exportieren”. Es handle sich um regionale Arbeitsmärkte und brauche jeweils eine regionale Gesamtverantwortung, die soziale Infrastrukturen und lokale Gemeinschaften und Quartiere im Blick habe. “Regionalplanung ist extrem wichtig, weil eine Ebene das Problem nicht lösen kann.” Wenn man vor einigen Jahren gefragt hätte, wer von den Älte-

ren mit einem Smartphone unterwegs sei, dann hätten viele abgewiegelt. Heute würden immer mehr Haushalte zu Smart Homes und quasi durch “Autopiloten” begleitet. Laut einer Studie könnten sich mittlerweile 92 Prozent der Menschen vorstellen, von medizinischen Assistenzsystemen begleitet und 68 Prozent von Sicherheitstechnik begleitet zu werden. Eine weitere Untersuchung kam jüngst zu dem Ergebnis, dass vergangenes Jahr 60 Prozent aller Arbeitnehmer pendelten. “Wenn ich über die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf rede, muss ich über Verkehr sprechen. Wer kümmert sich um Familie, wer um die Nachbarschaft?”

Dr. Jürgen Gohde ist Kurator im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) und evangelischer Theologe.

(BS/jf) Drei Dinge müssten bei der Gesundheitsversorgung in Deutschland in der nächsten Legislaturperiode vorangetrieben werden: Die sektorenübergreifende Zusammenarbeit, eine Qualitätsoffensive und die Digitalisierung. 2018 soll die elektronische Patientenakte Realität werden. Für 70 Mio. Patienten sollen die rund 150.000 Praxen, circa. 2.000 Krankenhäuser, etwa 20.000 Apotheken ihre Daten in der Patientenakte speichern, berichtete Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit. “Es ist schön, dass auch das Bundeswirtschaftsministerium inzwischen die Bedeutung des Themas erkannt und einen neun-Punkte-Plan dazu vorgelegt hat”, so der Staatssekretär weiter. Die Telematik sei aber nur ein Ausdruck der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit. Zu dieser gehöre auch die Vergütung und Bedarfsplanung. Ein sehr, sehr dickes Brett, das mit allen Beteiligten gebohrt werden müsse. Dazu zählten auch die Planungen im Bereich der niedergelassenen Ärzte, die mit denen der Krankenhäuser abzustimmen seien. Wenn in einer Region ein kleines Krankenhaus mit 50 bis 80 Betten nicht überlebensfähig sei und gleichzeitig niedergelassene Ärzte in den Ruhestand gingen und Praxen mangels Nachfolgern geschlossen würden, wie solle dann die gesundheitliche Versorgung sichergestellt werden, fragte Stroppe. Dafür müssten Lösungen gefunden werden. Überhaupt seien die scherenartig auseinandergehenden Entwicklungen zwischen Städten

Fordert mehr sektorenübergreifende Zusammenarbeit bei der Gesundheitsversorgung: BMGStaatssekretär Lutz Stroppe.

und ländlichem Raum eine der zentralen Dimensionen im Gesundheitswesen und im Zuge der demografischen Veränderung. In den Ballungszentren sei die Versorgungssituation gut, bei den Praxen auf dem Lande nicht mehr. Damit einher gehe die positive Entwicklung, dass die Gesellschaft immer älter werde und länger gesund leben könne. Aber auch der Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen. Deshalb müsse als dritter Aspekt in der nächsten Legislatur eine Qualitätsoffensive vorangetrieben werden. “Die Menschen vor Ort müssen wissen, was geschieht, der Patient ist der einzige, der die gesamte Strecke der Behandlung von der Diagnose bis zur Reha miterlebt, deshalb muss er alle Informationen haben” erläutert Stroppe.


Kongress Soziale Infrastrukturen

Seite 24

Behörden Spiegel / Juni 2017

Voneinander lernen

Perspektiven für das Wohnen

Wenn Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen

Sozialräume in der Stadt und auf dem Land zukunftssicher gestalten

(BS/stb) Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet einen unternehmerischen Ansatz, bei dem privat- (BS/stb) In einer Podiumsdiskussion zum Thema Sozialraumentwicklung in Ballungsgebieten und ländlichen wirtschaftliche Akteure sich aktiv für soziale Ziele und eine nachhaltige Entwicklung im eigenen Haus und in Räumen tauschten sich die Teilnehmer über gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen und Herausfordeder Gesellschaft einsetzen. rungen bei der Gestaltung von Wohn- und Lebensräumen aus. Wenn man es mit diesem Ansatz ernst meint, solle man aber “nicht nur an Spenden denken”, sagte Brigitta Wortmann, Senior Political Advisor bei BP Europa SE und Mitglied im Sprecherrat des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE). “Bei CSR geht nicht darum, wie man Geld ausgibt, sondern vor allem darum, wie man es verantwortungsvoll verdient.”

Vielfalt schätzen CSR solle nicht als Modell verstanden werden, wie freie Geldmittel zur Verbesserung des Firmen-Images in beliebige Projekte gesteckt werden könnten, erklärte Wortmann. Vielmehr beginne verantwortungsvolles Handeln schon in der Gestaltung der eigenen Geschäftsprozesse und beim Umgang mit Mitarbeitern, aber auch Geschäftspartnern und Kunden. Wie ein solches Engagement im eigenen Unternehmen zielführend um-

gesetzt werden kann, illustrierte Wortmann anhand einiger praktischer Beispiele. Gemeinsam mit Daimler, der Deutschen Bank und der Deutschen Telekom rief BP 2006 die Charta der Vielfalt ins Leben. Die mittlerweile über 2.600 Unterzeichner der Urkunde bekennen sich zur Pflege einer Organisationskultur, die die Voraussetzung für Respekt und Wertschätzung jedes Einzelnen schafft und die Vielfalt in der eigenen Organisation und in der Gesellschaft als Potenzial versteht. Dies im Unternehmen auch nachhaltig umzusetzen, sei gerade in Zeiten einer wachsenden Verunsicherung gegenüber dem Fremden nicht immer leicht, räumte Wortmann ein. Auch sei es oftmals schwierig, in heterogenen Teams zur konstruktiven Zusammenarbeit zu finden. Würden erste Vorbehalte überwunden, würden aber gerade solche Teams “besonders gute und innovative Lösungen hervorbringen”.

Lernen und Lehren

Stellte seine Lernkaskaden vor: Murat Vural ist Gründer und geschäftsführender Vorsitzender des Vereins Chancenwerk. Fotos: BS/Giessen

Ein Modell, dass schon seinem Gründungszweck nach die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung beinhaltet, stellte Murat Vural vor. Der Gründer und geschäftsführende Vorsitzende des Vereins Chancenwerk hat ein Fördermodell für Schüler entwickelt, das gute Lernerfolge bei geringer finanzieller Belastung einkommensschwacher Familien erlauben soll. In sogenannten Lernkaskaden werden ältere Schüler von studentischen Kursleitern unterstützt – im Gegenzug verpflichten sich die älteren Schüler, selbst jüngere Schüler regelmäßig beim

“Nicht nur an Spenden denken”, erklärte Brigitta Wortmann, Senior Political Advisor bei BP Europa.

Lernen zu unterstützen. Die Idee hat Erfolg und ist Vural zufolge bereits in 30 Städten mit 3.800 Schülern und 400 Studierenden als Kursleitern umgesetzt worden. Dabei ist das Modell flexibel anpassbar und beispielsweise auch in der Ausbildung oder bei der Integration junger Flüchtlinge einsetzbar. Am Beispiel eines Projektes mit Hornbach stellte Vural auch einen Ansatz vor, dem Fachkräftemangel gerade in handwerklichen Berufen entgegenzuwirken. An Schnuppertagen wurden nach dem Prinzip der Lernkaskade Schüler mit Azubis der Baumarktkette zusammengebracht, um Einblick in den Ausbildungsalltag zu bekommen. Bei solchen Projekten dürfe aber nicht nur an kurzfristigen Erfolg gedacht werden, betonte Vural. “Die Schnuppertage können und sollen nicht direkt zu mehr Bewerbern führen”, stellte er klar. Allerdings zeige sich bei teilnehmenden Schülern, dass ein Reifeprozess bei der eigenen Zukunftsplanung angestoßen würde.

Diversity als Querschnittsaufgabe

Als eines der Hauptthemen identifizierte Cornelia Rundt, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niedersachsen, die Integration der Flüchtlinge, die in den Jahren 2015 und 2016 in Deutschland aufgenommen worden seien. Nachdem mit der Verteilung der Menschen auf die Länder und der Erstaufnahme die “Kurzstrecke” zum großen Teil bewältigt worden sei, müsse nun die Konzentration auf die “Langstrecke” erfolgen. Eine nachhaltige Integration hänge vor allem davon ab, Lösungen für das Wohnen mit langfristiger Perspektive zu finden.

Zielgerichtete Integrationsangebote Dass die Zurverfügungstellung einer angemessenen Wohnung aber noch nicht alles sein kann, darüber waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Als weitere Säule wurde über kulturelle Angebote gesprochen, die auch eine Plattform für Begegnungen darstellen könnten zwischen Migranten und denen, die schon fest in sozialen Strukturen vor Ort eingebunden sind. “Bei Integrationsbemühungen erzielt man oft besonders gute Erfolge, wenn es gelingt, Kinder und vor allem die Mädchen durch die Angebote zu erreichen”, erklärte Dr. Christian Lieberknecht, Geschäftsführer GdW Bundesverband deutscher Wohnungsund Immobilienunternehmen e. V. Diese würden durch ihre Neugier oft viel mitnehmen und dann in ihre Familien bringen. Auf eine andere Zielgruppe machte Ministerin Rundt aufmerksam: “Die jungen Frauen sind bei den frühen Zuwande-

Auf dem Podium (v.l.n.r.) : Dr. Christian Lieberknecht, Geschäftsführer GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V., Cornelia Rundt, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Niedersachsen, Brigitte Döcker, Mitglied des Vorstandes, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.

rungswellen vernachlässigt worden.” Heute müsse es gelingen, jungen Migrantinnen durch Zugang zur Sprache und durch Eintrittschancen in den Arbeitsmarkt zur Unabhängigkeit zu verhelfen, forderte Rundt. Nur so könnten gleichberechtigte Rollenmuster entwickelt werden, die sich auch über die nächste und übernächste Generation übertragen.

Altersgerechtes Wohnen Ein weiteres zentrales Thema der Podiumsdiskussion war das altersgerechte Wohnen. Brigitte Döcker, Mitglied des Vorstandes des Arbeiterwohlfahrt Bundesverbands e. V., forderte, dass angesichts des zunehmenden Anteils älterer Menschen in vielen Räumen die stationäre Altenpflege deutlich ausgebaut werden müsse. “Das erfordert Wege, qualifizierte Kräfte zu bündeln”, betonte Döcker. Ziel müsse eine Quartiersentwicklung sein, die es Alten durch entsprechende Wohnformen und Angebote vor Ort ermöglichte, solange wie

möglich in ihrer vertrauten Umgebung und in ihren gefestigten sozialen Strukturen leben zu können. Derzeit sei dies oft schlicht nicht möglich, weil die Voraussetzungen nicht gegeben seien. “Dass wir in Deutschland deutlich unter zehn Prozent altengerechte Wohnungen haben, ist eine Katastrophe”, stellte Döcker heraus. Cornelia Rundt mahnte, dass zu oft nur in finanziellen Kategorien gedacht würde. Sie forderte, mehr über inklusive Ansätze nachzudenken. Alternative Wohnformen wie Mehr-Generationen-Häuser würden eine gute Möglichkeit darstellen, Sozialraumentwicklung nachhaltig zu gestalten und soziale Strukturen zu stärken, die mehr Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung förderten. Sie stellte allerdings klar, dass es keine Patentlösungen geben werde. “Aufgrund der sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in den unterschiedlichen Regionen müssen auch unterschiedliche Lösungen gefunden werden”, sagte Rundt.

Wir brauchen neues Wir-Gefühl

Demografiestrategien vor Ort / Werkstatt unterstützt

Keine Unterscheidung zwischen Integration und Inklusion

(BS/jf) Der demografische Wandel gestaltet sich so vielfältig, wie Städte und Gemeinden heterogen sind. Pauschale Aussagen, wie “Städte wachsen, Gemeinden schrumpfen”, sind nicht möglich. Umso wichtiger ist es, dass sich Kommunen bei diesem Themenfeld strategisch ausrichten und die Verwaltung als Ganzes das Thema in den Blick nimmt. Gute Beispiele gibt es schon heute.

(BS/jf) Die Chaos-Phase mit dem massiven Zustrom von Geflüchteten ist vorbei, Deutschland befindet sich mitten in der Integrationsphase – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Konzepte sind keine Mangelware, an der Umsetzung scheitert es noch. Es muss in die Köpfe der Menschen. Was nicht gebraucht wird, ist eine Diskussion um des Kaisers Bart.

“Es geht nicht nur darum, neue Baugebiete auszuweisen, um damit neue Menschen in die Kommune zu locken. Dem demografischen Wandel kann man auch begegnen, indem die Lebensqualität vor Ort verbessert wird”, berichtet Prof. Dr. Christoph Strünck, Leiter des Instituts für Gerontologie in Dortmund, im Rahmen eines Kooperationsforums des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Seine Forschungen belegen: Attraktivität und Lebensqualität sind wesentlich für Identifikation und sozialen Zusammenhalt. “Aber wir wissen wenig darüber, was Städte und Gemeinden attraktiv macht.” Für eine Demografiestrategie sei es deshalb essenziell, die eigene Situation zu kennen. Zahlreiche Daten lägen dazu in der Verwaltung vor, würden aber nicht mit anderen Zahlen in einen Kontext gesetzt.

“Integrationsangebote müssen für alle ausgerichtet werden, wir müssen im größeren Zusammenhang denken und nicht nur Flüchtlinge, sondern alle Menschen mit Migrationshintergrund einbeziehen”, beschreibt Ulrich Weinbrenner, Leiter des Stabes Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration im Bundesministerium des Innern, die aktuelle Aufgabe. Aber: Die Integration-Hilfe müsse mehr individualisiert werden. In der Sache stimmt ihm Wolfgang Barth, Leiter der Abteilung Migration und interkulturelle Öffnung beim Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V., zu. Zugleich fragte er aber auch: “Was bedeutet Integration?” Eine einheitliche Definition gebe es nicht, ebenso auf die Frage, wann jemand integriert sei. Die Definitionshoheit liege bei der Mehrheit. Barth hält es daher für sinnvoller, nicht von Integration, sondern von Inklusion zu sprechen. Letztlich sei es eine Diskussion um des Kaisers Bart, so Weinbrenner vom BMI. Entscheidend sei die Frage, was ist die Aufgabe der Aufnahmegesellschaft? Deutschland sei eindeutig eine Einwanderer- und Integrationsgesellschaft, aber die Diskussion, was dafür zu tun sei, sei noch nicht abgeschlossen. Müssten sich nur die Einwanderer ändern oder auch die aufnehmende Bevölkerung?

Demografiewerkstatt Kommunen Das ist nicht nur eine kommunale Aufgabe. “Wir wollen konkret mitgestalten”, betont Dr. Matthias von Schwanenflügel, Abteilungsleiter im BMFSFJ und zuständig für den Demografischen Wandel. Deshalb hat sein Haus die Demografiewerkstatt Kommune eingerichtete, mit einer Projektlaufzeit von fünf Jahren. “Der demografische Wandel hört nicht zum Ende

der Legislatur auf, deshalb die längere Laufzeit”, so von Schwanenflügel. “Ziel der Werkstatt ist, acht Kommunen exemplarisch bei der Erstellung schlüssiger Demografiestrategien zu unterstützen”, ergänzt Prof. Dr. Martina Wegner aus dem BMFSFJ. Jede Kommune werde individuell beraten, am Ende sollen neue Projekte und Prozesse entstehen sowie ein Methodenkoffer entwickelt werden, der auch von anderen genutzt werden könne, erläutert die Wissenschaftlerin der Hochschule München. “Denn Diversity ist eine Querschnittsaufgabe.”

Politik und Verwaltung überzeugen “Jeder Gemeinderat muss sich selbst fragen, was er mit Maßnahmen erreichen will und ob er das auch schafft”, so Strünck. In der waldreichsten Kommune Mecklenburg-Vorpommerns, in Grabow, hat dieser die Folgen des demografischen Wandels nicht betrachtet, Initiativen des Bürgermeisters regelmäßig abgelehnt. Bis Bürgermeister Stefan Sternberg in einer nicht öffentlichen Sitzung Bilder einer Wohnungsöffnung bei einem 93-jährigen Verstorbenen zeigte. Der Mann, der sein ganzes Leben im Ort verbracht hatten konnte nicht auf dem Friedhof beerdigt werden, weil für die Sozialbestattung das günstigs-

te Urnengrab gewählt werden musste. Dieses ist 70 km entfernt und kostet 90 Euro. In Ahlen ist die Demografiestrategie ein Vorhaben der gesamten Verwaltung, berichtet Ursula Woltering. 180 Mitarbeiter aus allen Fachbereichen seien zu einer dienstlichen Veranstaltung mit Anwesenheitspflicht vom Bürgermeister einberufen und konkret gefragt worden, wo sie beim demografischen Wandel mithelfen und was sie konkret tun könnten. Etwa im Einwohnermeldeamt, das dem Fachbereich Jugend mitteilen könne, wenn Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund nach Ahlen ziehen. “Das Ergebnis ist sehr gut, die ganze Verwaltung fungiert als Multiplikator”, berichtet die Leiterin des Fachbereichs Jugend, Soziales und Integration der Stadt. Ihr Fazit lautet daher: “Die Verwaltung kann mehr, wenn alle sektorenübergreifend zusammenarbeiten.”

Landräte sollten Bürgermeister mitreißen Und der dritte Teil der kommunalen Familie? “Wir versuchen, den Blick über die Gemeinden zu heben”, berichtet Dr. Markus Mempel vom Deutschen Landkreistag (DLT). Landräte könnten als Katalysatoren fungieren und die Bürgermeister der kreisangehörigen Städte und Gemeinden mitreißen.

Über die Aufgaben einer Aufnahmegesellschaft diskutierten Wolfgang Barth, Inse Böhming, Moderatorin Dagmar Vogt-Janssen, Ulrich Weinbrenner und Dr. Eric Wallis (v.l.n.r.).

“Wir brauchen ein neues WirGefühl”, unterstreicht Barth. Es reiche nicht aus, irgendwo Baracken zu bauen, die ankommenden Menschen müssten direkt in den Alltag integriert werden, ohne Differenzierung. “Wenn Lukas und Miroslav Weltmeister werden, dann sind es unsere Jungs. Wenn sie arbeitslos sind und in prekären Lebenssituationen, nicht.” Ähnlich sieht es Dr. Eric Wallis von den RAA-Regionalzentren für demokratische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern. “Wir müssen die Menschen vor Ort mitnehmen, auch diejenigen, die skeptisch gegenüber Flüchtlingen sind.” Diesen kulturellen Wandel könne niemand in die Köpfe der Bevölkerung eintrichtern. Stattdessen müssten den Menschen Freiräume gelassen werden, sich gegenseitig zu ent-

decken. “Dazu gehört nicht nur Positives, sondern auch Negatives.” Z. B. was passiert mit dem Ort, wenn nicht integriert wird? Was passiert, wenn in einem Dorf, wenn der Einzelne seine Tür zuschließt? Diese Entscheidung müsse den Menschen überlassen werden, allerdings sei auf die negativen Folgen hinzuweisen, so Wallis. AfD und NPD seien so erfolgreich, weil sie gute NegativKampagnen betrieben. Und welchen Beitrag können die Hochschulen dazu leisten? Dort gibt es bereits seit Längerem ein breites Engagement, berichtet Inse Böhmig, Referentin “Initiativprogramme des Präsidiums” an der Humboldt-Universität zu Berlin. An der HU richtet es sich u. a. an studieninteressierte Geflüchtete, dazu gehören Beratungs- und Integrationsangebote sowie Sprachkurse.


Kongress Neue Mobilität / Mobilität

Behörden Spiegel / Juni 2017

“Im Prinzip geht jetzt schon alles”

O

bwohl es in Deutschland oft noch nicht richtig kommuniziert werde, besäßen nicht nur viele E-Autos, sondern mittlerweile auch Elektro-Busse Serienreife, sagte der Verbandspräsident. “Im Prinzip geht jetzt schon alles!”

Vorsprung ausländischer Fahrzeug-Hersteller Teilnehmer der Veranstaltung berichteten von ihren Erfahrungen bei Besuchen etwa in Japan, wo nicht nur E-Autos, sondern auch Wasserstoff-Fahrzeuge schon seit Jahren zum Stadtbild gehört. Sigl vermittelte nach dem zurückliegenden Besuch der Consumer Electronics Show in Las Vegas seinen Eindruck einer aufgeschreckten deutschen Automotive-Szene angesichts des offenbar jahrelangen Vorsprungs ausländischer Fahrzeug-Hersteller. “Die Welt schläft nicht, ob USA, China oder Indien, an diesem Thema wird massiv gearbeitet!” Umso wichtiger erscheint es, dass hierzulande stärker an einem Strang gezogen wird. Der Kongress Neue Mobilität versammelte deshalb rund 130 Vertreter aus vor allem kommunalen Behörden, Verkehrs-

Kongress Neue Mobilität zeigt Möglichkeiten und Lösungen für die öffentliche Hand (BS/Julian Einhaus) “Die Hamburger Hochbahn will 1.000 E-Busse anschaffen”, sagte Kurt Sigl, das sei selbst für eine solch große Verkehrsgesellschaft nicht einfach so aus dem Ärmel zu schütteln. Ökologische wie ökonomische Kriterien sprächen aber längst dafür, erklärte der Chef des Bundesverbands eMobilität. Ganz unterschiedliche Ansätze, Voraussetzungen und Probleme nicht nur rund um die elektromobile Fortbewegung zeigte der Kongress Neue Mobilität Anfang Mai in Leipzig.

Von der Theorie in die Praxis: Der Kongress Neue Mobilität des Behörden Spiegel zog Anfang Mai gemeinsam mit der Sächsischen Energieagentur (SAENA) über 130 Interessierte nach Leipzig. Die Teilnehmer, vor allem aus kommunalen und Landesbehörden, konnten sich nicht nur von den unterschiedlichen Beiträgen im Hauptprogramm und den Fachforen informieren und inspirieren lassen, auch dem neuen Fahrgefühl wurde die Veranstaltung gerecht: Renault stellte dafür den Kangoo ZE als Fünfsitzer, einen “Polizei-Zoe” (siehe Foto) sowie den Zoe ZE40 mit längerer Reichweite zur Verfügung. Für Probefahrten rund um das Leipziger Hotel Westin standen zudem der Nissan Leaf und der Elektro-Van e-NV 200 bereit. Fotos: BS/Einhaus, Bauer

verbünden und -gesellschaften, von Infrastruktur- und Fahrzeuganbietern, Verbänden, Dienstleistern sowie Mitglieder der Start-up-Szene. Im Fokus standen in diesem Jahr, neben politischen Strategien und Fördermaßnahmen, stadt- und verkehrsplanerische Ansätze, die die strukturellen Anforderungen der künftigen Mobilität

“Der öffentliche Raum gewinnt an Bedeutung.”

Dr. Roman Ringwald ist Vergabe- und Energiewirtschaftsrechtsexperte bei der Kanzlei Becker Büttner Held. Foto: BS/Einhaus

heute schon mitdenken. Ohne Rechts- und Finanzsicherheit funktioniert das nicht. “An die Energiewende haben wir uns gewöhnt”, erklärte Dr. Roman Ringwald, Rechtsan-

walt der Kanzlei Becker Büttner Held. Ohne eine zeitgleiche Verkehrswende seien die verpflichtenden Klimaziele aber bis 2030 nicht zu erreichen. Kommunen müssten deshalb nun beginnen, individuelle Mobilitätskonzepte zu erarbeiten.

Quartiersentwicklung und städtebauliche Verträge Es gehe darum, über das Instrument der Sondernutzungserlaubnis hinaus zu denken. Ähnlich wie mit kommunalen Werbeflächen hätten Städte und Gemeinden die Möglichkeit, Standards zu setzen, Vorgaben zur Entwicklung von Quartieren etwa durch städtebauliche Verträge zu machen und auch infrastrukturellen Wildwuchs etwa bei Ladesäulen und Carsharing

Bochum wird Teil des RS1 meinsamen Vertrag zur Planung des RS1 durch das Stadtgebiet. Die Trasse soll zunächst von der Stadtgrenze Gelsenkirchens aus über Wattenscheid bis in die Bo-

chumer Innenstadt verlaufen. Der zweite Abschnitt soll dann durch das Stadtgebiet bis zur direkt angerenzenden Nachbarstadt Dortmund führen.

Künftig stehen den Kreisen die Finanzmittel direkt zur Verfügung. Damit sollen die kommunalen Verkehrsträger den ÖPNV in der Fläche zielgerichteter stärken. “Wir freuen uns, dass neben der Aufgabenverantwortung nun auch die Finanzverantwortung auf kommunaler Ebene verankert wird”, erklärten der Präsident des Landkreistages, Landrat Joachim Walter, der Städtetagspräsident, Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon sowie der Präsident des Gemeindetages, Roger Kehle. “Damit er-

halten wir neuen Gestaltungsspielraum, um flächendeckend attraktive Busverkehre organisieren zu können.” Das Verkehrsministerium hat Anfang Juni zudem eine neue App vorgestellt. Mit der “VerkehrsInfo BW” vereint das Land nach eigenen Angaben alle verfügbaren Informationen in einem Angebot – jederzeit, überall und immer. Die Entwicklungskosten für die App betrugen rund 180.000 Euro, heißt es. Darin sei auch der Betrieb des Systems in den nächsten dreieinhalb Jahren inbegriffen.

U-Bahn-Verlängerung in Nürnberg (BS/ein) Die U-Bahn-Linie U 3 in Nürnberg ist über das Klinikum Nord bis zum Nordwestring um 1,1 Kilometer verlängert worden. Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly eröffnete die neue Trasse Ende Mai. Im Süden ist ein wei-

terer Ausbau der Strecke über den Stadtteil Großreuth weiter nach Nürnberg-Gebersdorf geplant. Für den Ausbau gibt der Bund insgesamt rund 87 Millionen Euro und der Freistaat Bayern rund 29 Millionen Euro.

Die U3 fährt seit neun Jahren fahrerlos. Zusammen mit der automatischen Linie U2 besitzt Nürnberg bislang die deutschlandweit einzigen Bahnen dieser Art. Hamburg plant, seine U5 entsprechend aufzurüsten.

Brandenburg: ÖPNV-Förderrichtlinie verbessert (BS/ein) Bislang lag die Grenze für zuwendungsfähige Ausgaben bei ÖPNV-Investitionen aus dem Kommunalen Infrastrukturprogramm bei 200.000 Euro. Mit der Neufassung der Richtlinie zur Förderung von Investitionen für den Öffentlichen Personen-

Sachsen im Fokus Um Projekte und Konzepte drehte es sich auch in den sechs Fachforen der Veranstaltung, die nach vorherigen Stationen in Wiesbaden, Düsseldorf, Stuttgart und Bonn dieses Jahr im Leipziger Westin Hotel gastierte. Nicht nur die Gastgeberstadt,

auch die Landeshauptstadt Dresden, das Land Sachsen sowie verschiedene sächsische Einrichtungen stellten Maßnahmen vor, um mehr E-Fahrzeuge “sichtbarer” auf die Straße zu bringen und Erfahrungen im be-

“Die Welt schläft nicht, an diesem Thema wird massiv gearbeitet!” hördlichen Umfeld zu sammeln. In mehreren Vorträgen wurde deutlich, dass die Infrastruktur angepasst werden bzw. mitwachsen muss. Laut einer Untersuchung, die die Landesregierung hat durchführen lassen, liegt der Bedarf sachsenweit bei 325 normalen

Kurt Sigl ist Präsident des Bundesverbandes eMobilität. Foto: BS/Einhaus

Pilotprojekt soll freie Sitz- und Stellplätze anzeigen / ländliche Regionen weiter Problem

Reform der ÖPNV-Finanzierung und neue App im Ländle (BS/ein) Das Land Baden-Württemberg hat sich mit seinen Stadt- und Landkreisen darauf geeinigt, dass die Fördermittel für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) von 2021 an schrittweise von 200 auf 250 Mio. Euro pro Jahr aufgestockt werden. Nach monatelangen Verhandlungen zwischen Landesverkehrsministerium und kommunalen Landesverbänden sollen die zusätzlichen Mittel nun hälftig finanziert werden. Grüne und CDU hatten sich bereits im vergangenen Jahr im Koalitionsvertrag geeinigt.

zu vermeiden. Trotz vieler privater und halböffentlicher Ladepunkte müssten schätzungsweise zehn bis 15 Prozent im kommunalen Straßenland oder auf weiteren Flächen integriert werden. “Der öffentliche Raum gewinnt an Bedeutung.” Die Kommunen seien prädestiniert, aufkommende Nutzungskonflikte sachgerecht zu lösen, so Ringwald. “Dafür brauchen sie Konzepte!”

Ladesäulen mit 816 Punkten und zehn Schnelllade-Einrichtungen mit 21 Punkten. Derzeit existierten rund 200 E-Tankstellen, sagte Barbara Meyer, Abteilungsleiterin im Sächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (siehe seite 25). Die Stadt Leipzig baut derweil ein Netz an Mobil-Stationen auf, erklärte Armin Raupbach von der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft. Damit sollen sich Fahrgäste künftig über die verschiedenen Mobilitätsangebote in der Stadt informieren und neben digitalen Angeboten auch noch analog darauf zugreifen können. Das Ziel: Intermodale Fortbewegung, möglichst ohne Reibungsverluste. Um ein solches System flächendeckend hinzubekommen, sei ein möglichst einheitliches System notwendig, zumindest aber kompatible Strukturen. Auch dieses Jahr machte die Veranstaltung deutlich, dass im Zusammenspiel technischer, organisatorischer und politischer Akteure unterschiedlichste Akteure an einen Tisch zu holen sind, die innovative Ideen, Umsetzungspotenzial und Entscheidungsbefugnisse mitbringen – in der Praxis eine Aufgabe für Kommunen, Stadtwerke und Kommunalverbünde!

Digital im Regionalexpress?

MELDUNGEN

(BS/ein) Bochum wird Teil des Radschnellweges Ruhr (RS1). Vertreter der Stadt und des Landesbetriebs Straßen.NRW unterzeichneten Anfang Juni einen ge-

Seite 25

nahverkehr im Land Brandenburg (RiLi ÖPNV-Invest) sind nun auch Investitionen ab 50.000 subventionierbar. “Viele Städte und Gemeinden hatten kleinere Maßnahmen zur Verbesserung der Zugangsstellen zum ÖPNV nachgefragt”, sagte Verkehrsmi-

nisterin Kathrin Schneider. Mittel könnten nun auch für die Neugestaltung kleiner Bahnhöfe und Haltestellen eingesetzt werden sowie für Park+Ride- und Bike+Ride-Anlagen. Für das ÖPNV-Programm stehen 20 Mio. Euro zur Verfügung.

(BS/ein) Wo sind Sitzplätze frei in der Bahn? Wie viele unbesetzte Stellplätze stehen noch zur Verfügung? Ein neues System soll im Regionalexpress (RE) der Deutschen Bahn (DB) künftig für verlässliche Service-Informationen sorgen. Nicht nur der ehemalige Monopolist, auch private Konkurrenten pilotieren WLAN-Angebote in kleineren Zügen. In der Fläche bieten die Mobilfunkanbieter aber längst nicht das, was sich Bahnbetreiber und Kunden vorstellen. Die fehlende Mobilfunkqualität muss immer wieder durch lokale Medien-Angebote überbrückt werden. Colibri steht für “Coach Link for Broadband Information Exchange” bzw. für ein Pilotprojekt, das es ermöglicht, Fahrgast- und Fahrräderanzahl in den Doppelstockwagen in Echtzeit zu erfassen. Über die App “Digital im Regio” oder Monitore am Fahrzeug können sich Fahrgäste in zwei Zügen der RE-Linien 3 und 5 von Südbrandenburg über Berlin bis an die Ostsee über freie Sitz- und Stellplätze informieren.

Der digitale Zug kommt langsam voran Neben kostenlosem WLAN werden den Kunden ein Entertainment-Paket des Rundfunks Berlin-Brandenburg und Spiele angeboten. Auf den neuen Monitoren sind zudem der Fahrtverlauf sowie Informationen zu den Anschlüssen zu sehen. Die IT-Lösung wurde von der DB-Fahrzeuginstandhaltung erstellt und soll in Zukunft Mängel und Schäden von unterwegs den Werkstätten vorab melden. Züge könnten so aus den Werkstätten schneller wieder auf die Schiene kommen. Bis Ende Oktober würden die Ergebnisse der Testphase gesammelt und danach über den Weiterbetrieb entschieden. Auch auf anderen DB-Strecken fahren einige wenige Nahverkehrszüge mit WLAN, etwa die Elbe-Saale-Bahn. Im Auftrag des Landes Sachsen-Anhalt

stelle die Bahn flächendeckend Internetnutzung im Nahverkehrsnetz zur Verfügung, immerhin zwischen Naumburg, Halle (Saale), Magdeburg, Stendal, Uelzen, Wittenberge, Braunschweig und Burg. Dafür werden insgesamt 60 Regio- und S-Bahn-Wagen mit der notwendigen Technik ausgerüstet. Bei guter Mobilfunkausleuchtung könne eine stabile Internetverbindung aufgebaut werden, erklärte Dr. Wolfgang Weinhold, Chef der Regionalleitung DB Regio Südost. Wie seit Anfang des Jahres in den ICEs wird ein sogenanntes Multi-Provider-System verwendet. Um bestmögliche Verfügbarkeit zu erlangen, schaltet das System Mobilfunknetze verschiedener Anbieter zusammen. Derzeit stünden jedem Nutzer allerdings nur 50 MB Datenvolumen pro Endgerät zur Verfügung. “Bei Mobilfunklücken gibt es attraktive Angebote über ein Informations- und Unterhaltungsportal”, so Weinhold. Aber eben kein Internet.

WestfalenBahn an Feedback interessiert Seit Oktober 2016 verkehrt die WestfalenBahn auf der Strecke Münster – Emden und seit Anfang dieses Jahres auch zwischen Bielefeld, Braunschweig und Rheine samt kostenlosem WLAN-Angebot. Ähnlich wie bei der DB sind Züge mit drahtlosem Netzwerk an den Türen

gekennzeichnet. Die kommunal dominierte WestfalenBahn bittet seine Fahrgäste aktiv um Feedback, erklärt der Leiter der Unternehmensentwicklung, Dr. Stefan Bennemann. Anregungen, Wünsche und mögliche Fehlerbeschreibungen seien sehr wichtig. “So können wir das Netzwerk weiter optimieren. Vom WLAN an sich sind wir überzeugt – wie leistungsfähig die Mobilfunkstrecke zwischen Zugantenne und Sendestationen ist, wird der Praxistext zeigen.” Gerade in ländlichen Gegenden, etwa zwischen Hannover und Minden, brechen die Mobilfunknetze auch hier oft zusammen.

Hohe Belastung einzelner Mobilfunkzellen Trotz Fortschritten in den letzten Jahren stellen gerade ländliche Zugstrecken die Mobilfunkanbieter vor besondere Herausforderungen, räumt auch Telekom-Sprecher Dr. Markus Jodl ein. Schwierig seien nicht nur geografische Unwägbarkeiten wie Berge, Tunnel und stark ländliche Gebiete, sondern auch der Umstand, dass sich im Zug eine hohe Nutzerzahl schnell durch eine Mobilfunkzelle bewege und diese sehr kurz, aber hoch belaste. “Wir sind daher sehr interessiert an Kooperationen mit der Bahn und regionalen Betreibern.”


Seite 26

Kommunale Infrastruktur / Kongress Neue Mobilität

Behörden Spiegel / Juni 2017

Auf leisen Reifen an den Tatort

Nicht auf den Bund warten

Auch für Behörden geeignet

Sachsen: mehr Sichtbarkeit für E-Fahrzeuge

Bürgermeister: Es geht um unsere Wettbewerbsfähigkeit

Ad-hoc-Autovermietung für Stadt und Land

(BS/ein) Früh habe ihre Behörde mit BMW und danach auch mit anderen Herstellern kooperiert, um erste E-Fahrzeuge zu beschaffen, erklärte Barbara Meyer, Abteilungsleiterin im Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. “Wir wollten dann aber noch mehr Sichtbarkeit schaffen.” Deshalb entschied sich das sächsische Verkehrsressorts aus dem eigenen Projekttopf Polizei-Fahrzeuge zu kaufen. Mittlerweile besitzt die sächsische Polizei 24 Modelle der Mercedes BKlasse sowie 13 Renault Zoe.

(BS/ein) Mit frischen Eindrücken von einer Japan-Reise brachte Leipzigs Bürgermeister Uwe Albrecht zweierlei zum Ausdruck: In Fernost ist man technisch teils erheblich weiter. Die japanischen Kommunen stehen aber vor ähnlichen Herausforderungen wie hierzulande – einige Städte verstehen die Situation als aktive Gestaltungsaufgabe andere hätten ihre Bemühungen bereits aufgegeben oder gar nicht erst angefangen. Leipzig zähl sich zu den deutschen Vorreitern in Sachen E-Mobilität.

(BS) Das Angebot spontaner Carsharing-Konzepte ist bislang Großstadtzentren mit einer hohen Auslastung und hoher effektiver Fahrzeit pro Fahrzeug vorbehalten. Kleinere Gemeinden und Mittelstädte können somit nicht an innovativen Angeboten teilhaben, die zur Förderung der Mobilitätsvielfalt beitragen. Das ändert sich derzeit.

Zunächst habe es Vorbehalte seitens der Polizei gegeben, sagte Meyer. “Nun hört man, dass diese Fahrzeuge gerne genutzt werden.” Gerade die Kriminalpolizei habe ihren Vorteil entdeckt: Bei den elektrischen Modellen von Renault gebe es Schalter, die lautes oder leises Fahren ermöglichten. “Je nach Einsatzsituation können sich die Kollegen auf leisen Reifen an den Tatort heranschleichen. “Weiterhin bestünden aber bürokratische Hürden, die Elektromobilität in der Verwaltung erschwerten.

Steinzeit überwinden Bislang nutze die öffentliche Verwaltung meist Tankkarten, um das Auftanken konventioneller Fahrzeuge zu bezahlen. “Nun kommt der Strom aus der Wand”, so Meyer. Das belaste im Falle der Polizei nicht mehr das Innenministerium als Fahrzeughalter, sondern das Finanzressort. “Da sind wir noch Steinzeit.” Ein weiteres Problem: Viele Behörden seien zwar in Liegenschaften des Sächsischen Immobilienmanagements untergebracht, bezögen ihren Strom aber von verschiedenen Energieanbietern. Das erschwere es, einen übergreifenden und günstigen Tarif für Ladevorgänge zu vereinbaren. Pooling und gemeinsame Ausschreibungen könnten künftig auch ein Weg sein, um beim Kauf von E-Fahrzeugen an Rabatte zu kommen.

Barbara Meyer ist Abteilungsleiterin im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Foto: BS/Einhaus

“Wir erwarten in der Zusammenarbeit mit der Polizei Hinweise für weitere Beschaffungen.” Das sächsische Wirtschaftsministerium will bis Mitte 2018 dazu Daten erheben. Schon jetzt sei abzusehen, dass sich Mehrkosten bei der Erstanschaffung von Elektro-Fahrzeugen über die Lebenszeit amortisierten, weil sie weit weniger Bestandteile beinhalten und bei entsprechender Massenfertigung günstiger herzustellen seien. Um den Markthochlauf zügig zu schaffen, seien aber nicht nur die Erfahrungswerte aus den Fahrzeugen selbst relevant. Ebenso gehe es darum, die künftige öffentliche wie private Ladeinfrastruktur zu koordinieren. “Wenn Verlängerungskabel aus jeder Wohnung hängen, kann es nicht funktionieren.”

“Wenn wir in unseren Kommunen nicht im Verkehr ersticken wollen, dann müssen wir da ran!”, unterstrich Albrecht. Leipzig sei, prozentual gesehen, die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands. Und besitzt mit 90 Fahrzeugen nach eigenen Angaben die bundesweit größte kommunale Elektro-Flotte. Auch mit den 160 halböffentlichen und öffentlichen Ladesäulen befinde man sich unter den Top-3 im Städtevergleich. Das ist aber nur eine Zwischenbilanz. “Wir müssen künftig mehr Mobilität durch weniger Verkehr ermöglichen”, sagte der Beigeordnete für Wirtschaft und Arbeit. Ein Ziel, das in der 1,7 Millionen Einwohner zählenden Wirtschaftsregion nur gemeinsam mit Unternehmen und Bürgern funktioniere. Leipzig müsse dazu ganz unterschiedliche Positionen miteinander vereinen. Während sich viele Betriebswirte für durchgängigen Wirtschaftsverkehr zu jeder Tages- und Nachtzeit im Zentrum aussprächen, wollten Anwohner das genaue Gegenteil. “Irgendwann müssen Sie sich als Stadt entscheiden.” Die Mitwirkung der unterschiedlichen Akteure beim neuen Strategiepapier sei “anders als erwartet” verlaufen. Über den Entwurf werde nun der Leipziger Rat beraten, so Albrecht. Eines sei aber schon jetzt klar: “Wir wollen nicht auf die Bundesregierung warten, son-

dern als Kommune den Rahmen steuern.” Die Ausganglage dafür scheint gut. Die unterschiedlichen Cluster in der Region aus Automotive, Energie und Umwelttechnik ermöglichten es, geschlossene Wertschöpfungsketten für die künftige Mobilität aufzubauen.

Geschlossene Wertschöpfungsketten auf- und ausbauen Wissenschaftliche Institute wie das Deutsche Biomasseforschungszentrum, das Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, die Handelshochschule sowie viele kleine Unternehmen ergänzten das Portfolio. “Die Entwicklung wird sicherlich auch Arbeitsplätze kosten. Wer aber rechtzeitig am Start ist, wird schließlich am Ziel ankommen. Wir fühlen uns als Stadt verantwortlich.”

Ein neuer On-Demand-Fuhrpark aus Privatautos soll auch kleineren Kommunen zugute kommen und nachhaltigere Mobilitätslösungen ermöglichen. Eine neue Technologie erlaubt es, parkende Privatautos sofort und nur über das eigene Smartphone zu mieten und zu vermieten. Das Prinzip ist einfach: Auf einer Plattform werden Privatpersonen untereinander und damit Mobilitätsbedarf und Autobesitzer zusammengebracht. “Als erster Anbieter setzen wir konsequent auf innovative Technologien und einfachste Abläufe für Autobesitzer und -nutzer”, erklärt Edgar Scholler, Gründer des Start-upUnternehmens Getaway, auf dem Kongress Neue Mobilität Anfang Mai in Leipzig. Das Portal übernimmt dabei alle Verwaltungsaufgaben, etwa Abrechnungen, Tankkarte und Versicherung.

“Die gemeinschaftliche Nutzung von Autos verbessert damit nicht nur die persönliche Mobilität”, so Scholler, “sondern auch das Stadtbild und die Lebensqualität insgesamt.” Denn: Der durchschnittliche Pkw steht täglich 23 Stunden ungenutzt am Straßenrand, auf dem Stellplatz oder in der Garage. Aktuelle Carsharing-Studien zeigen, dass jedes effizient genutzte Fahrzeug den Bedarf an durchschnittlich bis zu 14 konventionellen Autos kompensiert. Große Potentziale, dieser Ressourcen- und Platzverschwendung zu begegnen, liegen in der Mehrauslastung bestehender Privatautos. Zusätzliches Stadtgrün, Radwege und weniger Fahrzeuge auf Parkplätzen – weniger Autos eröffnen ganz neue Chancen, Stadtbild und öffentlichen Raum zu gestalten und zu nutzen.

MELDUNG

Emissionsfreie Pflasterreinigung

Uwe Albrecht ist Bürgermeister und Beigeordneter für Wirtschaft und Arbeit der Stadt Leipzig. Foto: BS/Einhaus

(BS/ein) Deutlich hörbar – oder auch nicht: Um 70 Prozent unterschreiten die Geräuschemissionen der neuen elektrischen Kehrmaschine der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg (ASF) diejenigen des herkömmlichen Fahrzeugs. Der ökologische Nutzen ergibt sich laut ASF vor allem aus den täglich langen Einsatzzeiten. Zwischen sechs und acht Stunden ist das Kehrfahrzeug in Betrieb. Bei einer durch-

schnittlichen Jahresleistung von 1.100 Stunden und einem Verbrauch von mindestens 7,5 Litern Diesel pro Stunde ergibt sich ein theoretischer Bedarf von rund 8.400 Litern Kraftstoff bzw. ein CO2-Ausstoß von 27 Tonnen jährlich. In Freiburg sollen in einem auf zwei Jahre angelegten geförderten Praxistest nun Betriebstauglichkeit und faktischer Umweltnutzen geprüft und ausgewertet werden.


Behörden Spiegel / Juni 2017

Kommunale Ordnung / Kommunale Verkehrssicherheit

D

Halterkostenhaftung verlangt

adurch seien jährliche Mehreinnahmen zwischen 200 und 400 Millionen Euro möglich, zeigte sich Wendt überzeugt. Auf dem ersten “Bundeskongress Kommunale Verkehrssicherheit” des Behörden Spiegel in Bonn machte er deutlich: “Es kann nicht sein, dass wir den Parksündern dieses Geld abknöpfen, es den Rasern aber erlassen.”

Bußgeldeinnahmen zielgerichtet investieren Und Wendt verlangte: “Es stünde den Kommunen gut zu Gesicht, die Einnahmen aus Bußgeldverfahren nicht einfach in ihren kommunalen Haushalt zu stecken, sondern sie in Verkehrssicherheitsprojekte zu investieren.” Das würde auch die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern. An die Teilnehmer des Kongresses appellierte der DPolG-Chef zudem: “Weder die Polizei noch die Kommunen dürfen sich bei der Geschwin-

Der Leiter der Sondereinheit zur Verfolgung illegaler Autorennen bei der Polizei Köln, Rainer Fuchs, verdeutlichte die enge Verknüpfung zwischen nicht angepasster Geschwindigkeit und der Teilnahme an verbotenen Duellen auf der Straße. Außerdem plädierte er im Kampf gegen diese Raser für einen ganzheitlichen Ansatz, an dem sich mehrere Akteure beteiligen müssten.

DPolG-Bundesvorsitzender Wendt fordert Übernahme der Verwaltungsgebühren (BS/Marco Feldmann) Auch in Deutschland sollte eine Halterhaftung bei allen Verkehrsverstößen eingeführt werden. Das meint zumindest Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Als einen ersten Schritt wünscht er sich eine Halterkostenhaftung. Dies hätte zur Folge, dass der Besitzer eines Fahrzeuges auch bei Verstößen im fließenden Verkehr zumindest die Verwaltungsgebühren für die Erstellung des Bußgeldbescheides zu tragen hätte. digkeitsüberwachung in die Defensive drängen lassen. Es geht jetzt darum, offensiv und selbstbewusst Verkehrsüberwachung zu betreiben. Wir sind nicht die Bösen, sondern die Guten.” Gleichwohl mahnte er sowohl Vertreter der Polizeien als auch der Gemeinden an, Geschwindigkeitsüberwachung als gemeinsame Aufgabe zu verstehen. “Da darf man sich nicht auseinanderdividieren lassen”, unterstrich Wendt, auch wenn es diesbezüglich durchaus Widerstände zu überwinden gelte. Des Weiteren forderte der Gewerkschafter modernste Technik für die Geschwindigkeitsüberwachung und die Schaffung einer angemessenen Verkehrsinfrastruktur durch die öffentliche Hand. Dazu gehöre unter anderem eine sinnvolle und nachvollziehbare Gestaltung des öffentlichen Verkehrsraumes. Es komme entscheidend darauf an, dass die Bürger verstünden, weshalb an einer bestimmten Stelle eine Geschwindigkeitsbegrenzung erlassen worden sei.

Nicht alles an private Firmen abtreten Zugleich trat Wendt aber mehreren aus seiner Sicht zu weitgehenden Forderungen entgegen. So sprach er sich unter anderem dagegen aus, Aufgaben im Bereich der Geschwindigkeitsüberwachung vollständig an Private zu übertragen. Außerdem plädierte Wendt dafür, auch

Zum ersten “Bundeskongress Kommunale Verkehrssicherheit” des Behörden Spiegel in Bonn konnten rund 100 Teilnehmer begrüßt werden. Dabei ergab sich ein intensiver Dialog mit den verschiedenen Referenten. Fotos: BS/Feldmann

Bagatellunfälle weiterhin durch Polizeibeschäftigte aufnehmen zu lassen. Wie eine Kommune die Geschwindigkeitsüberwachung organisiert, erläuterte vor rund 100 Teilnehmern wiederum Carsten Sperling, für Ordnungswidrigkeiten zuständiger Abteilungsleiter bei der Stadtverwaltung Bonn. Dabei betonte er zum Beispiel, dass nordrheinwestfälische Kommunen nur an Gefahrenstellen Geschwindigkeitskontrollen durchführen dürften. Derartige Maßnahmen seien somit nur an Unfallhäufungsstellen und Streckenabschnitten zulässig, auf denen eine erhöhte Unfallgefahr angenommen werden müsse. Dies könne etwa dort der Fall sein, wo zahlreiche schwächere Verkehrsteilnehmer wie zum Bei-

spiel Fußgänger oder Fahrradfahrer unterwegs seien. In der Bundesstadt gebe es derzeit rund 250 nach diesen Kriterien festgelegte Messstellen. Sie würden nach Empfehlungen der Unfallkommissionen, nach Hinweisen der Straßenbaulastträger und der Polizei sowie aufgrund von Unfalllagebildern und Bürgerbeschwerden bestimmt. Dies erfolge im Einvernehmen mit der städtischen Straßenverkehrsbehörde und der Polizei, berichtete Sperling.

Bonn macht noch vieles selbst Die für die Kontrollen erforderlichen Messfahrzeuge, von denen die Verwaltung der Bundesstadt momentan vier besitze, würden angemietet. Dabei stelle der Dienstleister den Fahrer

sowie die Geräteausstattung. Die Stadt wiederum stelle eigene Mitarbeiter als Verantwortliche für die wahrzunehmenden hoheitlichen Aufgaben sowie als Zeugen für die Geschwindigkeitsüberwachung. Zudem übernehme die Verwaltung die Erstellung der Messprotokolle und die Sicherung der aufgezeichneten Daten selbst. Gleiches gelte für die Bearbeitung und Archivierung der Messdaten und Beweisbilder sowie für die Einleitung der Ordnungswidrigkeitenverfahren. Neben den mobilen Messwagen, die werktags zwischen sieben und 20:30 Uhr im Einsatz seien, nutze die Stadtverwaltung inzwischen auch einen semi-stationären, kompakten Blitzanhänger. Dieser komme mindestens für weitere zwölf Monate zum Einsatz, nachdem er bereits ein halbes Jahr lang erfolgreich getestet worden sei und im vergangenen Jahr rund 18.5000 Geschwindigkeitsverstöße registriert habe, kündigte Sperling an. Und weiter: “Die Stadt Bonn wird künftig auch auf Abschnitten von Bundesautobahnen, die im Stadtgebiet liegen, blitzen.” Die dafür erforderliche Genehmigung der Bezirksregierung Köln liege mittlerweile vor. Welche Folgen und Konsequenzen überhöhte Geschwindigkeit haben kann, zeigte Rainer Fuchs von der Kölner Polizei auf. Der Leiter der Sondereinheit zur Ver-

Seite 27

folgung illegaler Autorennen betonte: “Der Beginn eines illegalen Kraftfahrzeugrennens ist immer nicht angepasste Geschwindigkeit.” Und er verdeutlichte: “Illegales Autotuning und verbotene Kraftfahrzeugrennen gehören eng zusammen.” Zugleich räumte der Polizeibeamte aber ein: “Ein illegales Rennen kann allein mit technischer Geschwindigkeitsüberwachung nicht verhindert werden.” Um dieses Ziel zu erreichen, bedürfe es vielmehr einer Netzwerkarbeit. Dafür brauche es Absprachen mit Staatsanwälten, Richtern, Verantwortlichen im Straßenverkehrsamt sowie in der Führerscheinstelle, die Beteiligung des TÜV und eine intensive Kooperation zwischen örtlicher Polizei und Stadtverwaltung, war der Beamte überzeugt. Wenn dieser ganzheitliche Ansatz gelinge, sei die Arbeit auch erfolgreich. So habe seine Sondereinheit inzwischen mehr als 650 Fahrzeuge sichergestellt, die an verbotenen Rennen beteiligt waren, berichtete Fuchs.

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sprach sich für die Einführung einer allgemeinen Halterhaftung in Deutschland aus. Ein erster Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel könne eine Halterkostenhaftung sein, meinte er.

Verkehrsinfrastruktur verändern

Weniger Unfälle durch Section Control

Autos nehmen im öffentlichen Straßenland zu viel Platz ein

Abschnittskontrolle im benachbarten Ausland schon gang und gäbe

(BS/mfe) Die Stadt der Zukunft wird eine ganz andere sein als jene, die bisher bekannt ist. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, die Straßenraumaufteilung zu reformieren und die entsprechende Infrastruktur an die gewandelten Bedürfnisse anzupassen. Dabei müsse dem Fahrradverkehr mehr Bedeutung zugemessen und der zu große Platzverbrauch von Personenkraftwagen eingeschränkt werden.

(BS/Stefanie Stäglin*) Die Abschnittskontrolle ist ein Mittel der modernen Verkehrsüberwachung, um die Verkehrssicherheit noch effektiver und kosteneffizienter zu erhöhen und Unfallzahlen wirkungsvoller und nachhaltiger zu senken. Beispielsweise in Großbritannien, in der Schweiz und in Österreich wird die Abschnittskontrolle bereits seit vielen Jahren sehr erfolgreich zu diesem Zweck eingesetzt.

Das forderte jedenfalls Carsten Hansen vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DstGB). Und er zeigte sich alarmiert, als er berichtete: “Ein erheblicher Teil der Autofahrer fährt mit dem Pkw, weil er sich auf dem Fahrrad zu unsicher fühlt.” Dabei gelte eigentlich: “Die verkehrssichere Stadt ist jene, in der Menschen von acht bis 80 Jahren selbstständig gefahrlos mobil sein können.” Des Weiteren komme es darauf an, in Anbetracht des demografischen Wandels Straßen kinder- und seniorenfreundlich und insgesamt barrierefrei zu gestalten. Dabei sei ein generelles Tempolimit nicht zielführend. “Wir wollen keine pauschale Regelung für Tempo 30 innerorts”, verdeutlichte Hansen. Ungeachtet dessen betonte er: “Geschwindigkeitskontrollen gewährleisten Schutz, sichern Mobilitätsrechte, vermitteln Glaubwürdigkeit sowie Vertrauen und geben Orientierung.” Eines sei dabei klar, so Hansen: “Verkehrssicherheit ist ein Prozess und kein Zustand.”

Als technischer Dienstleister unterstützt Jenoptik das bundesweite Pilotprojekt zur Section Control. In diesem Pilotprojekt wird die Abschnittskontrolle seit März 2015 zunächst in Niedersachsen unter der Schirmherrschaft des Landes getestet. Jenoptik liefert dazu ein System aus der Produktreihe TraffiSection, um das Tempolimit auf einem Abschnitt von knapp drei Kilometern auf der Bundesstraße 6 südlich von Hannover zu kontrollieren. Nach der deutschen Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) wird das System in den Echtbetrieb übergehen.

“Vision Zero” teilweise bereits eingetreten Ebenfalls ein fortlaufender Prozess und zugleich sogar eine Herausforderung auf internationaler Ebene sei die Erfüllung der “Vision Zero”, sagte Walter Niewöhner von der DEKRAUnfallforschung. Diese Form des Straßenverkehrs, bei der es keine Toten und Schwerverletzten mehr gebe, fordere alle Verkehrsteilnehmer. Aber: “In einigen Städten ist die “Vision

Zero” – zumindest für einzelne Jahre – bereits in Erfüllung gegangen”, zeigte sich Niewöhner erfreut. In Deutschland gelte dies unter anderem schon für Aachen, Mönchengladbach und Leverkusen. Auch in Göppingen und Frankfurt an der Oder habe es bereits Jahre ohne einen einzigen Verkehrstoten gegeben.

Hersteller bieten Lösungen Wie die Industrie bei der Erfüllung dieser Vision unterstützen kann, beleuchteten Gerrit Palm von Jenoptik Traffic Solutions und Tomi Savic-Hofer von der Vitronic GmbH. Ersterer widmete sich der abschnittsweisen Geschwindigkeitskontrolle, wie sie im Rahmen eines Pilotprojekts auf einer Bundesstraße im Hannoveraner Raum geplant ist. Dabei betonte Palm: “Die Section Control harmonisiert den gesamten Verkehrsfluss, hat im Hinblick auf die Unfallrate einen positiven Effekt und führt zu einer Reduktion der Anzahl an Verkehrsunfällen.” Und er zeigte sich optimistisch: “Section Control ist die Zukunft der Geschwindigkeitsüberwachung.” Savic-Hofer schließlich erläuterte die Funktionsweise des sogenannten Enforcement Trailers. Dieser Anhänger dient der semi-stationären Geschwindigkeitskontrolle. Derzeit ist er zum Beispiel in Mannheim und bei fünf rheinland-pfälzischen Polizeipräsidien im Einsatz. Dort wird er zur Überwachung von Autobahnen, Landstraßen und Fahrbahnen in Innenstädten verwendet.

Forderte eine Neuaufteilung des öffentlichen Straßenraumes zwischen den einzelnen Arten an Verkehrsteilnehmern: Carsten Hansen vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB).

Auf einige Erfolge bei der Erfüllung der “Vision Zero” – eines Straßenverkehrs ohne Tote – ging Walter Niewöhner von der DEKRA-Unfallforschung ein. Er nannte auch deutsche Städte, die dieses Ziel bereits zeitweise erreicht hätten. Fotos: BS/Feldmann

Sicherheit der Daten ist gegeben Für die Section Control nutzt Jenoptik ihre TraffiSectionTechnik, die mithilfe von Laserscannern Objekte detektiert und klassifiziert. Die Durchschnittsgeschwindigkeit wird über eine längere Strecke hinweg mithilfe von Messsystemen und Kameras an einem Eingangs- und Ausgangspunkt ermittelt. Jedes Fahrzeug wird an beiden Kontrollpunkten registriert und anhand des Kfz-Kennzeichens identifiziert. Diese Daten werden nach der Erfassung am Eingangspunkt sofort anonymisiert und zusätzlich mit einem kryptologischen Verfahren so verschlüsselt, dass zu keinem Zeitpunkt während der Messung Rückschlüsse auf das tatsächliche Fahrzeug oder personenbezogene Daten möglich sind. Auch eine Erkennung von Fahrzeuginsassen ist nicht mög-

Im Rahmen der Section Control wird die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Fahrzeugs über eine längere Distanz hinweg ermittelt. Eine Registrierung findet dabei sowohl an einem Eingangs- als auch an einem Ausgangspunkt statt. Foto: BS/Jenoptik

lich, da die Fahrzeuge von hinten und in geringer Auflösung gescannt werden. Wenn die durchschnittliche Geschwindigkeit der Durchfahrt über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit liegt, wird nach der Ausfahrt aus dem gemessenen Abschnitt ein herkömmliches hochaufgelöstes Frontbild mit Fahrererkennung erstellt. Das System dokumentiert die Daten zur Ahndung des Verstoßes wie Kennzeichen und Fahrerbild automatisch. Dagegen werden alle Daten zu Fahrzeugen, die die Durchschnittgeschwindigkeit nicht überschritten haben, nur für den Zeitraum der Durchfahrt zwischengespeichert und sofort nach dem Verlassen des Abschnitts automatisiert gelöscht. Ein Zugriff auf personenbezogene Daten ist durch die Anonymisierung, die Verschlüsselung und die automatisierte Löschung ausgeschlossen. Die Abschnittskontrolle mit

der TraffiSection-Technik bietet wesentliche Vorteile für die moderne Verkehrsüberwachung. Mit dem Ziel einer erhöhten Verkehrssicherheit wird das Tempolimit effektiver und kosteneffizienter überwacht, da nur ein System für die längere Strecke nötig ist und sich die Verkehrsteilnehmer über einen längeren Abschnitt hinweg an die vorgeschriebene Geschwindigkeitsbeschränkung halten. Dies harmonisiert auch den Verkehrsfluss, wodurch der Bildung von Staus vorgebeugt wird. Die Jenoptik-Technik ermöglicht zudem eine zweifelsfreie Identifizierung und gerichtsverwertbare Dokumentation von Verkehrsverstößen. Mehr unter www.jenoptik.de *Stefanie Stäglin ist Team Leader Marketing & Communications bei der Jenoptik Robot GmbH.


Kommunale Ordnung

Seite 28

Behörden Spiegel / Juni 2017

Völlig neuer Ansatz bei der Videosicherheit

Umbruchzeit für Spielhallen

Panomera®-Technologie ermöglicht Überwachung riesiger Areale

Übergangsfrist für Betreiber läuft zur Jahresmitte ab

(BS/Sebastian Alt*) Dallmeier bietet umfassende Sicherheitslösungen für alle Einsatzgebiete rund um Flughäfen. Insbesondere bei der Kameratechnologie können Kunden aus einem breiten System-Portfolio wählen, um sie bei der Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen im Bereich Sicherheit und Gefahrenabwehr zu unterstützen. Gleichzeitig werden gesetzliche Anforderungen an den Videoeinsatz vollumfänglich erfüllt.

(BS/Lora Köstler-Messaoudi) Für viele Spielhallenbetreiber und Kommunen stehen in diesem Jahr einschneidende Veränderungen an. Zum Jahresende läuft die im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehene Übergangsregelung für Spielhallen aus. Rund 60 kommunale Vertreter aus Ordnungs- und Gewerbeämtern in NordrheinWestfalen trafen sich deshalb kürzlich für einen gemeinsamen Praxisaustausch zur Härtefallregelung und Störerauswahl in Bonn.

Videotechnologie von Dallmeier unterstützt sowohl die land- als auch die luftseitige Flughafenabsicherung. Zudem ist mit den Kameras des Herstellers die Überwachung weitläufiger Gebiete möglich. Foto: BS/© Laif Andersen/Fotolia.com

Darüber hinaus bietet Dallmeier Videomanagement-Lösungen, die den Flughafenbetreibern nicht nur einen vollständigen Überblick über sicherheitsrelevante Ereignisse verschaffen. Die Videodateien können zudem analysiert werden, um Geschäftsprozesse wie die Bodenabfertigung zu optimieren. Die Außenhautsicherung ist bei der Flughafenabsicherung von besonderer Bedeutung. Zahlreiche Vorfälle in der jüngsten Vergangenheit, bei denen unbefugter Zutritt zu Flughafenbereichen eine Rolle spielte, haben dies sehr deutlich gemacht. Bei der Verfolgung von Personen, die sich unbefugt Zutritt zum Flughafengelände verschaffen, ist die Nutzung und Verfügbarkeit eines Videosystems unerlässlich. Noch wichtiger jedoch ist die Verhinderung eines unbefugten Zutritts bereits im Vorfeld.

Durchgängige Kontrolle muss garantiert sein Infrarot-Kameras sind ein wesentliches Element jedes Videosicherheitssystems und müssen eine Rund-um-die-UhrÜberwachung sicherstellen. Die Produktlinie moderner Dallmeier Infrarot-Kameras ist für diese Aufgabenstellung perfekt geeignet. Die hochperformanten Geräte von Dallmeier sind die richtige Lösung für alle Einsatzgebiete rund um Flughäfen.

Die DF5400HD-DN/IR ist das jüngste Mitglied der IR-Produktfamilie: eine Ultra-HD-Kamera mit integrierter Infrarot-Beleuchtung. Sie wurde speziell für Anwendungen entwickelt, die Bilder in Echtzeit sowohl tagsüber als auch nachts (im Infrarot-Modus) in höchster Auflösung erfordern. Zu den zahlreichen Einsatzmöglichkeiten gehören schwach ausgeleuchtete Bereiche auf dem Vorfeld oder Abschnitte entlang der Flughafenabgrenzung, die nur bei Betreten durch einen Bewegungsmelder beleuchtet werden.

Ganzheitliche Lösungen Die weitläufigen Bereiche und langen Distanzen auf Flughäfen stellen Videoüberwachungssysteme vor besondere Herausforderungen. Bislang war eine Vielzahl von Kameras an unterschiedlichsten Bereichen notwendig, um das gesamte Areal hinreichend überwachen zu können. Mit dem MultifocalSensorsystem Panomera® bietet Dallmeier nun eine komplett neuartige Technologie sowie eine grundsätzlich neue Herangehensweise an das Thema Videosicherheit. Die patentierte Multifocal-Sensortechnologie Panomera® von Dallmeier ist die ideale Lösung für die land- und luftseitige Absicherung und Gefahrenabwehr. Das System wurde insbesonde-

re für die flächendeckende Videoüberwachung großflächiger Areale entwickelt. Mit Panomera® werden enorme Weiten und auch Flächen mit großen Distanzen in einer vollkommen neuen Auflösungsqualität dargestellt, und zwar in Echtzeit und bei hohen Frameraten von bis zu 30 Bildern pro Sekunde. Mit Panomera® kann von einem einzigen Standort aus ein riesiges Areal überblickt werden. Das Multifocal-Sensorsystem kann an jede Kundenanforderung angepasst und die Auflösung nahezu beliebig skaliert werden. Bis zu 35 herkömmliche Megapixel-Kameras können durch ein mit acht Sensoren bestücktes Panomera®-System ersetzt werden.

Rasche Reaktion möglich In Verbindung mit intelligent konzipierten Videomanagement- und Analysesystemen bietet Panomera® zudem einzigartige Möglichkeiten zur Optimierung des Flughafenbetriebs, beispielsweise bei der Reduzierung der Bodenzeiten sowie der Überwachung des Rollverkehrs und von sogenanntem Ground Handling Equipment sowohl auf den Vorfeldern als auch auf den Startund Landebahnen. Dabei kann es sich zum Beispiel um Bodenfahrzeuge auf dem Weg zur Neubestückung von Bordküchen handeln. Das Sicherheitspersonal erhält jetzt, ungeachtet der individuellen Fokussierung zu einem gegebenen Zeitpunkt, einen umfassenden Überblick über das gesamte Flughafengelände, was wiederum bei Vorfällen jeglicher Art zu schnellen Reaktionszeiten führt. Nicht nur im Flughafenbereich, auch branchenübergreifend lautet die wegweisende Devise: keine passive Überwachung, sondern proaktive Videobeobachtung durch Videoinformationssysteme von Dallmeier. Weitere Informationen unter: www.dallmeier.com und www. panomera.com *Sebastian Alt ist im MarketingBereich der Dallmeier electronic GmbH & Co.KG tätig.

Im November läuft in NordrheinWestfalen die Übergangsfrist für Spielhallen aus. Betreiber von Spielhallen benötigen dann neben der gewerberechtlichen Erlaubnis auch eine glücksspielrechtliche Erlaubnis. Voraussetzung zur Erteilung dieser ist unter anderem die Einhaltung von Mindestabständen zu anderen Spielhallen. In Nordrhein-Westfalen sind das 350 Meter. Zudem dürfen Spielhallen nicht mit anderen Spielhallen in demselben Gebäudekomplex untergebracht sein. Da dies jedoch auf viele bestehende Spielhallen zutrifft, stehen die Kommunen vor der schwierigen Aufgabe, aus mehreren legal arbeitenden Betrieben diejenigen auszusuchen, die ihr Geschäft schließen müssen. Mangels eindeutiger und gerichtsfester Vorgaben seitens der Landesregierung herrscht unter den Kommunen in Nordrhein-Westfalen – aber nicht nur dort – große Unsicherheit, was die rechtskonforme Anwendung der Härtefallregelung und der Störerauswahl betrifft. Um kommunale Verantwortlichen bei diesem akuten Problem zu unterstützen, veranstaltete der Behörden Spiegel hierzu einen Praxisaustausch. Beispielhafte Härtefallanträge konnten dort gemeinsam diskutiert werden.

Umfassend begründen Inhaltlich begleitet wurde der Workshop von Christian Benzrath aus dem Referat Recht und Ordnung bei der Stadtverwaltung Langenfeld, Stefan Lenz vom Kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Münster und Jürgen Trümper, Geschäftsführer des Arbeitskreises gegen Spielsucht e. V. In Bezug auf den Härtefall kritisierte Benzrath den Düsseldorfer Erlass. Er gebe den Kommunen keine konkreten Vorgaben zur Hand. Die Kommunen seien damit dem Risiko einer Klagewelle der unterlegenen Spielhallenbetreiber ausgesetzt. “Das Einzige, was ich gut finde und schon anwenden kann, ist das stufenweise Schließungskonzept, so Benzrath. Er warn-

Rund 60 kommunale Vertreter aus Ordnungs- und Gewerbeämtern trafen sich in Bonn zu einem gemeinsamen Praxisaustausch zur Härtefallregelung und Störerauswahl. Foto: BS/Köstler-Messaoudi

te, dass Härtefallanträge immer besser, und Kommunen in Zukunft mit Gutachten übergeflutet würden, da bereits viele Großkanzleien auf das Thema Glücksspiel aufgesprungen seien. Kaum eine Behörde könne hierfür den nötigen Sach- und Fachverstand vorhalten. Einige Kommunen hätten daher schon Wirtschaftsprüfer beauftragt, aber nicht jede Stadt habe Ressourcen hierfür. Die Meinungen gehen beim Härtefall stark auseinander. Während einige Kommunen ihn per se nicht durchführen wollen, gibt es auch welche, die ihn einfach mit einem Musterschreiben genehmigen wollen. Hier warnt der Rechtsdirektor: “Das ist zu einfach, Sie müssen damit rechnen, dass wir auch bei positiven Bescheiden vor Gericht gehen müssen. Eine Härtefallentscheidung sollte daher möglichst umfassend begründet sein.”

Merkmale in der Kritik Auch die Auswahl der Störer sieht Benzrath kritisch. Hier hat Nordrhein-Westfalen den Städten Auswahlkriterien an die Hand gegeben, die bisher nicht für Spielstätten betrachtet wurden. In Langenfeld werde man die Kriterien deshalb nicht verwenden. Ein mögliches Kriterium könne jedoch der Vertrauensschutz sein. Hierzu habe sich der Verfassungsgeber bereits geäußert. Wichtig sei es aber, alles genau zu dokumentieren, jedes Gespräch, auch die informellen.

“Machen Sie es genau, machen Sie es sauber, lassen Sie es gegenlesen und machen Sie die Akte ruhig dick”, empfahl Benzrath den Kommunalvertretern.

MELDUNG

Fehlerteufel eingeschlichen (BS/mfe) Im Beitrag zur geplanten Videoüberwachung in Mannheim (Behörden SpiegelAusgabe Mai 2017, Seite 27) ist der Redaktion ein Fehler unterlaufen. In der Bildunterschrift heißt es, dass es in der Vergangenheit am Mannheimer Wasserturm Fälle von Vergewaltigung gegeben habe. Dies ist nicht der Fall. So stellte sich zum Beispiel ein zunächst angezeigtes Delikt als nachweislich erfunden heraus. Auch andere Vergewaltigungsfälle gab es in dem Bereich nicht. Wir bitten um Entschuldigung. Derweil hat der Kommunale Ordnungsdienst in Mannheim temporär seine Arbeitszeiten ausgeweitet. Noch bis Ende dieses Monats sind die Mitarbeiter donnerstags bis samstags jeweils bis zwei Uhr nachts im Einsatz. Der Erste Bürgermeister Christian Specht sagt dazu: “Eines unserer wesentlichen Ziele ist es, mithilfe der längeren Kontrollzeiten dafür zu sorgen, dass es nachts auf den Straßen und öffentlichen Plätzen leiser ist.”


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Juni 2017

Digitalen Knoten zum Platzen bringen

KNAPP BADV in BVA integriert

1. Fachkongress Digitaler Staat tagte zum digitalen Föderalismus / über 700 Teilnehmer (BS/Carsten Köppl) Es gibt eine neue Dynamik in der Digitalisierung der föderalen Verwaltung, das wurde auf dem 1. Fachkongress Digitaler Staat in Berlin deutlich. Das einstmalige Nischenthema hat es in die Breite der politischen und gesellschaftlichen Diskussion geschafft. Der Druck auf alle staatlichen Ebenen wird dabei spürbar größer. “Wir wissen, was zu tun ist”, sagte Bundes-CIO Klaus Vitt auf dem Digitalen Staat. Jetzt kommt es darauf an, den Druck hoch zu halten und vor allem: schneller zu werden. In einem Staat – mit 83 Millionen Bürgern, 4,3 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, in geschätzt über 20.000 einzelnen Verwaltungen, unterteilt in 12.000 Kommunen, 16 Bundesländern, der Bundesregierung, mit einer Verbände-, Rechts- und Verwaltungskultur, die älter ist, als der Staat selbst – setzen sich neue Ideen wahrlich nicht schnell durch. Helfen mag da die Spieltheorie, wonach nicht die gesamte Gruppe von einer Strategie überzeugt werden muss, sondern nur eine bestimmte Anzahl von Teilnehmern. Ist diese kritische Masse erreicht, wird sich die Strategie selbsttragend durchsetzen. Ob diese kritische Masse nun im Bereich der föderalen IT-Kooperation erreicht wurde, ließ sich auch beim Fachkongress Digitaler Staat nicht wirklich beurteilen, der in diesem Jahr unter dem Motto “Projekt Digitaler Föderalismus” stand. Spürbar war dennoch, dass die Dynamik in den letzten beiden Jahren zugenommen hat. Viele wichtige Vorhaben sind auf den Weg gebracht: Bund-LänderFinanzausgleich und Onlinezugangsgesetz, Portalverbund, Digitalisierungsprogramm, FITKO und Digitalisierungsbudget. Jedoch hat die Bundesregierung mit vielen Gesetzesvorhaben und Programmen (zu) spät in der aktuellen Legislaturperiode begonnen, die sich jetzt schmerzhaft in die Länge ziehen und Gefahr laufen, vom beginnenden Bundestagswahlkampf überstrahlt zu werden. So fällt auch das Urteil des Nationalen Normenkontrollrates zur Umsetzung des Regierungsprogramms Digitale Verwaltung 2020 harsch aus: “Deutschland ist von einer systematischen bundesweiten Digitalisierung der 100 wichtigsten

Herzlich Willkommen zum Digitalen Staat: Über 700 Teilnehmer lauschten rund 130 Referenten, die knapp 2.600 Minuten Programm vorbereitet hatten. Klaus Vitt, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und IT-Beauftragter der Bundesregierung, übernahm die Eröffnungsrede. Fotos: BS/Giessen

Verwaltungsleistungen für Bürger und Wirtschaft immer noch genausoweit entfernt wie zu Beginn der Legislaturperiode.”

Portalverbund weiterhin ungenau Trotz aller Vorhaben und Programme fehlt nach wie vor die föderale Gesamtstrategie, eine Vision, unterlegt mit einem Umsetzungsfahrplan, wie die digitale, ebenenübergreifende Verwaltung in den nächsten Jahren aussehen soll. Die Programme wirken zusammengewürfelt, eine klare Linie ist nur sehr schwer zu identifizieren. Wie sieht das Gesamtbild aus, was hinter Portalverbund, Onlinezugangsgesetz und Digitalisierungsprogramm steckt? Ein paar Fragen konnten auf dem Digitalen Staat beantwortet werden: So sollen die bestehenden Angebote intelligent verknüpft werden, das Bürger- und Unternehmenskonto weiter aufgebaut werden, eine Single-Sign-on-Lösung sowie eine E-Payment-Funktion integriert werden. Dafür solle hauptsächlich auf bestehende Lösungen aufgesetzt werden,

erläuterte Klaus Vitt (dazu Seite 33). Eine erste Standardisierung von Verfahren soll mit dem Digitalisierungsprogramm des IT-Planungsrates vorgenommen werden, hier sollen bis 2018 jeweils drei Prozesse für Unternehmen und für Bürger digitalisiert werden. Dennoch bleiben unzählige Fragen offen: Was ist mit den (sehr vielen) Kommunen, die keine oder nur wenige oder auch nicht die im Digitalisierungsprogramm empfohlenen digitalen Lösungen im Angebot haben? Wie kommen überhaupt die standardisierten drei Prozesse in die breite Fläche? Wer übernimmt die entstehenden Digitalisierungskosten? Und: Wie kann der Standardisierungsprozess beschleunigt werden? Schließlich dauert es bei drei Standardisierungen jedes Jahr und angenommenen 100 Fachverfahren in den Kommunen rund 30 Jahre, bis alle Verfahren standardisiert sind! Bis dahin arbeiten die Verwaltungen von Dänemark (Partnerland des Kongresses, siehe dazu S. 33, 35, 36, 37), Estland und Österreich vollautomatisiert in

Echtzeit mit Sprachsteuerung (siehe dazu S. 36).

Dynamik weiter erhöhen Selbst wenn der Weg beschritten ist, die Aufgaben klar auf dem Tisch liegen, braucht die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland deutlich mehr PS, eine konsequente IT-Governance und klare Leitziele. Auch der neue Trendreport “Digitaler Staat”, den die Prognos AG und der Behörden Spiegel in Kooperation für den Kongress erstellt haben, widmete sich der Frage (siehe dazu S. 37). Eine mögliche Antwort hier: Stärker als in der Vergangenheit muss von “ganz oben”, also Ministerpräsidenten/ -innen und Bundeskanzler/-in eine klare, gemeinsame Vision und Strategie für die Verwaltung von morgen verabschiedet und durchgesetzt werden. “Dem Bund kommt hier eine Schlüsselposition zu, die strategischen Ziele gesetzgeberisch zu begleiten und finanzielle Anreize zur Kooperation zu setzen”, heißt es in den Report. Die derzeit deutlich spürbare Dynamik muss bis

zur Bundestagswahl und vor allem nach der Bundestagswahl nochmals deutlich erhöht werden. Die neue Regierung muss Mut zu großen Veränderungen zeigen und auch die entsprechenden Ressourcen bereitstellen. Jetzt muss von allen Seiten so fest an dem digitalen Knoten gezerrt werden, bis er platzt. Den Regierungschefs in Bund und Ländern muss klar sein: Die Digitalisierung der Verwaltung ist alternativlos – Wirtschaftsstandort, Lebensqualität, Verwaltungseffektivität und -effizienz und nicht zuletzt auch die politische Steuerbarkeit des Staates hängen von ihr ab.

2. Digitaler Staat 20. März – 21. März 2018 Die Vorträge, soweit sie vorliegen, gibt es unter www.digitaler-staat. org/Fruehere-Kongresse . Fotogalerien zum Digtalen Staat unter: digitaler-staat.org/kon gress/impressionen

Neun Modellkommunen Open Government (BS/gg) Im Rahmen des Pilotprojektes “Modellkommune Open Government” des Bundesinnenministeriums und der kommunalen Spitzenverbände konnten sich Kommunen um Unterstützung (50.000 Euro für zwei Jahre) bei der Planung und Umsetzung von Open-Government-Maßnahmen bewerben. Unter den 26 Bewerbern machten schließlich Köln, Bonn, Moers, Oldenburg, Merzenich, Tengen und Brandis sowie die Landkreise Saalekreis und Marburg-Biedenkopf das Rennen. Die Modellvorhaben sollen zeigen, wie Open Government auf kommunaler Ebene in der Verwaltung etabliert werden kann, die Angebote von den Bürgern angenommen werden und die Maßnahmen gleichermaßen innovativ als auch wirtschaftlich für die Kommunen sein können.

Münchner

Münchner Cyber Dialog 29. Juni 2017, München

(BS/gg). Zum 1. Juni hat das Bundesverwaltungsamt (BVA) alle Dienstleistungsaufgaben übernommen, die bislang durch das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) erbracht wurden. Im Zuge der Fusion wechseln rund 1.500 Beschäftigte des BADV mit ihren jeweiligen Aufgaben ins BVA. Zu den Dienstleistungen, die das BADV für zahlreiche Institutionen wahrnahm, zählten u. a. die Abrechnung von Personal- und Personalnebenkosten, Organisationsberatung sowie Infrastrukturaufgaben. Zum 1. Juni gingen diese nun auf das BVA über. Dessen Personalstärke wächst dadurch auf insgesamt rund 5.500 Beschäftigte an knapp 30 Standorten. 2016 hatten das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium des Innern (BMI) vereinbart, Dienstleistungen im BMI-Ressort zu bündeln.

CYBER Dialog

GESTALTETER WANDEL ODER ADMINISTRIERTES CHAOS? Die sichere digitale Transformation in Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft ist entscheidend für die Zukunft des Standortes Deutschland. Gleichzeitig mangelt es oft an entsprechenden, zukunftsorientierten Digitalisierungsstrategien. Seien Sie dabei und diskutieren Sie mit, wenn sich hochrangige Vertreter aus Politik und

REFERENTEN

AUF DEM KONGRESS U.A.

Staatsminister Dr. Marcel Huber MdL, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben

Veranstalter

Verwaltung, der Industrie und IT-Unternehmen zum Münchner Cyber Dialog 2017 treffen.

Peter Batt Abteilungsleiter Informationstechnik, Digitale Gesellschaft und Cybersicherheit; IT-Direktor, Bundesministerium des Innern

Univ.-Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek Direktorin des Forschungszentrums CODE, Universität der Bundeswehr München

www.muenchner-cyber-dialog.de

Carsten Heitmann Vice President IT-Security Governance, Robert Bosch GmbH


Organisation & Management

Seite 30

Kooperation weiter ausbauen

D

ie Flüchtlingssituation habe ganz besonders die Notwendigkeiten und die Möglichkeiten der Digitalisierung vor Augen geführt. Die schnelle und effiziente Registrierung der ankommenden Flüchtlinge habe Bund, Länder und Kommunen vor organisatorische Probleme gestellt. “Ein wesentlicher zentraler Grund hierfür war, dass die Daten der Flüchtlinge zum Teil mehrfach redundant erfasst wurden”, so Batt. Dies habe daran gelegen, dass im Aufnahme- und Asylprozess verschiedene Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene beteiligt seien. Die einzelnen Behörden hätten ihre eigenen IT-Anwendungen, die auf ihr Aufgabengebiet ausgerichtet seien. “Diese unterschiedlichen IT-Anwendungen waren – wenn überhaupt – nur rudimentär über Schnittstellen verbunden”, erklärte der IT-Direktor. Diese heterogene Silo-Architektur habe sich in ineffizienten Prozessen niedergeschlagen. Es habe keine Transparenz über Fallzahlen gegeben und eine gezielte Steuerung sei kaum möglich gewesen. “Damit einher gingen Risiken in Bezug auf Identitätsverschleierung, Mehrfachidentitäten und Möglichkeiten des Leistungsmissbrauchs” führte er weiter aus. In dieser Situation hätten sich Bund und Länder im September 2015 auf die Digitalisierung des Asylverfahrens unter Federführung des Bundes verständigt. Ziel des Vorhabens sei die Umsetzung eines medienbruchfreien Asylprozesses gewesen.

Integriertes Identitätsmanagement Ergebnis dieses Auftrages sei die Realisierung und Einführung des sogenannten “Integrierten Identitätsmanagements” zur Steigerung der Prozesseffizienz des Asylverfahrens gewesen. Diesem habe die Idee zugrunde gelegen, bei der Erstregistrierung der Asylsuchenden alle Daten, die im Laufe des Gesamtprozesses erforderlich seien, einmalig zu erfassen, zentral zu speichern und allen berechtigten Behörden zur Verfügung zu stellen. “Kernanforderung dieses neuen Verfahrens war die Speicherung der Fingerabdrücke, um die Asylsuchenden jederzeit eindeutig identifizieren zu können und damit Mehrfachidentitäten effektiv zu verhindern” so Batt.

Behörden Spiegel / Juni 2017

Führungskräfteforum zum digitalen Asylverfahren (BS/Guido Gehrt) Die Digitalisierung des Asylverfahrens gilt allgemein als mögliche Blaupause für die zukünftige IT-Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Ein Führungskräfteforum des Behörden Spiegel führte Vertreter dieser drei Ebenen in Berlin zusammen, um sich intensiv über bereits Erreichtes, aber auch noch zu meisternde Herausforderungen auszutauschen. Peter Batt, IT-Direktor im Bundesministerium des Innern, lieferte hierfür mit seiner Eröffnungsrede einen wichtigen Impuls für die Diskussionen der gesamten Veranstaltung.

Der IT-Direktor des Bundesministeriums des Innern, Peter Batt (linkes Bild), regte in Berlin die Schaffung eines Nutzerbeirats für die Weiterentwicklung des digitalen Asylverfahrens an. Auch Jens Dieckmann, Bonner Rechtsanwalt für Asyl- und Ausländerrecht, hier im Bild mit Moderatorin Souad El Hasnaoui, Mitarbeiterin der Stabstelle Integration der Stadt Bonn (rechtes Bild), zeigte in seinem Bericht aus der gerichtlichen Praxis weiteres Verbesserungspotenzial bei den Abläufen des (digitalen) Asylverfahrens auf. Fotos: BS/Giessen

Als visueller Beleg der erfolgten Registrierung wurde ein fälschungssicheres, hoheitliches Papier-Dokument ausgehändigt, der Ankunftsnachweis. Alle Daten der Registrierung sollten in einem zentralen Kerndatensystem gespeichert und den beteiligten Stellen gemäß ihrer Berechtigung zur Verfügung gestellt werden. “Da diese Anforderungen kurzfristig umzusetzen waren, konnte man nur auf bestehenden Komponenten aufsetzen. Eine Neuentwicklung hätte viel zu lange gedauert”, erläuterte Batt. Ab Mitte Februar 2016 sei die flächendeckende Einführung des neuen Registrierungsverfahrens in den Ländern gestartet und bereits Ende Mai 2016 erfolgreich abgeschlossen worden. Mit dem Asylpaket II sei der Leistungsbezug von der Vorlage des Ankunftsnachweises abhängig gemacht worden, wodurch der Asylsuchende keine vollumfänglichen Leistungen mehr erhalte, solange der Ankunftsnachweis nicht vorgelegt werde. Der Asylsuchende habe daher ein hohes Interesse, den Ankunftsnachweis zu bekommen. “Damit erreichen wir eine möglichst vollständige Registrierung der Asylsuchenden und übrigens auch eine regionale Steuerung, da der Ankunftsnachweis nur in der zugewiesenen Ziel-Aufnahmeeinrichtung ausgegeben wird”, sagte Batt.

Dass Bund und Länder es in diesem Projekt geschafft hätten, in sehr kurzer Zeit große Veränderungen zu erzielen, gehe auch auf einen neuen Lösungsansatz zurück.

Funktionalität vor Vollständigkeit “Ganz bewusst haben wir uns zunächst darauf beschränkt, eine funktionierende Lösung einzuführen, von der wir wussten, dass sie noch nicht vollständig ist; die aber offen ist für Weiterentwicklungen”, erklärte der ITDirektor. Durch kontinuierliche Verbesserungen würde nun der angestrebte Funktionsumfang mit einer langfristigen Zielarchitektur umgesetzt. Im Gesamtprozess “Asylverfahren” sei die Erstregistrierung allerdings nur der erste Schritt. Über die Unterbringung und Versorgung in den Ländern gehe es zur Durchführung des Asylverfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, schließlich zur sozialen und gesellschaftlichen Integration, aber auch zur Rückkehr bzw. Rückführung. Durch die Digitalisierung des Asylverfahrens könnten Aufnahmeeinrichtungen der Länder auf die Daten der registrierten Personen zugreifen, Meldebehörden würden automatisiert über Neuzugänge informiert, Registerabgleiche und Sicherheitsüberprüfungen erfolgtend-

automatisch. Eine Vielzahl von Behörden sei bereits berechtigt, auf das Kerndatensystem zuzugreifen.

BAMF setzt EGVP ein Auch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) werde fortlaufend an der Beschleunigung der Asylverfahren gearbeitet, wobei neue Technologien einen großen Beitrag leisten könnten. Erläuternd gab Batt das Beispiel der Gerichtsakten: Die Verwaltungsgerichte bearbeiteten die Klagen gegen abgelehnte Asylanträge. Mit dem Ziel, die Dauer dieser Klageverfahren zu verkürzen, sei die Digitalisierung der Kommunikation zwischen den Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und den Verwaltungsgerichten eingeführt worden. Akten und Schriftstücke aus allen Außenstellen könnten nun elektronisch, rechtssicher und verschlüsselt über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) an die Verwaltungsgerichte versendetwerden. Die Verwaltungsgerichte wiederum könnten Aktenanfragen an eine zentrale Stelle in Nürnberg richten. Dadurch seien der Bearbeitungsaufwand und die Durchlaufzeit gegenüber dem Postversand erheblich reduziert worden. Ein Großteil der Verwaltungs-

gerichte verzichte mittlerweile vollständig auf den Papieraktenversand. Rund 1.800 Akten und Schriftstücke würden durchschnittlich pro Tag elektronisch versandt. Die Außenstellen seien durch den wegfallenden Papierversand, beispielsweise auch bei Klageerwiderungen, deutlich entlastet worden. Bund, Länder und Kommunen arbeiten im gemeinsamen Koordinierungsprojekt des ITPlanungsrats bislang offen, kritisch, aber immer konstruktiv zusammen, begleitet von der Projektgruppe Digitalisierung des Asylverfahrens im Bundesministerium des Innern. Batt dankte allen Beteiligten für die stets gute und konstruktive Zusammenarbeit und die vielen guten Ideen zur Weiterentwicklung.

Zielarchitektur umsetzen Nachdem das vergangene Jahr vor allem im Zeichen des Aufbaus des Integrierten Identitätsmanagements gestanden habe, mache man sich nun daran, die Zielarchitektur gemeinsam umzusetzen und verlässliche, stabile und nachhaltige Strukturen für den dauerhaften Regelbetrieb einzuführen. An die Stelle von Arbeits- und Projektgruppen sollen zunehmend verstetigte Strukturen treten. Der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen komme dabei entscheidende Be-

2017: Digitale und mentale Transformation in NRW

deutung zu. “Im Rahmen des Koordinierungsprojekts befassen wir uns gemeinsam mit allen Beteiligten mit der Definition der Rahmenbedingungen und Prozesse des künftigen Betriebsmanagements. Die Betriebsprozesse sollen sich an üblichen Standards des IT-Managements orientieren, jedoch auch die spezifischen Bedürfnisse unserer ebenenübergreifenden Zusammenarbeit berücksichtigen”, erläuterte Batt. Neben einem bereits bestehenden Gremium, in dem sich alle Beteiligten über Störungen und Wartungsfenster austauschten, müsse man Anforderungen an die Weiterentwicklung diskutieren. Hierfür sei eine Art “Nutzerbeirat” denkbar, in den Bundesbehörden, Länder und auch kommunale Spitzenverbände fest eingebunden würden. Im Koordinierungsprojekt habe sich gezeigt, dass die Expertise aus der operativen Praxis unverzichtbar für eine erfolgreiche Fortentwicklung des Systemverbundes sei. Langfristig soll das Kerndatensystem noch stärker mit den Landes- und Kommunalbehörden vernetzt werden. Auch 2017 werde der Bund im Koordinierungsprojekt “Digitalisierung des Asylverfahrens” daher intensiv mit Ländern und Kommunen am weiteren Ausbau der medienbruchfreien Asylprozesse arbeiten.

Intensive Diskussion und Vernetzung Neben Batt trugen auf dem Führungskräfteforum auch zahlreiche Praktiker von Bund (u. a. BAMF-IT-Abteilungsleiter Dr. Markus Richter), Ländern und Kommunen vor, die deutlich machten, an wie vielen Stellen aktuell intensiv an der Digitalisierung des Asylverfahrens gearbeitet wird. In der offenen Diskussion unter der Leitung von Souad El Hasnaoui, Mitarbeiterin der Stabstelle Integration der Stadt Bonn, wurde zudem deutlich, dass es zwischen den einzelnen Akteuren einen hohen Vernetzungsbedarf gibt. Umso mehr zeigten sich die Teilnehmer am Ende der Konferenz mit deren Verlauf zufrieden und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass derartige Tagungen auch in Zukunft wieder stattfinden würden. Der Behörden Spiegel wird seine Leser frühzeitig über entsprechende Veranstaltungsangebote informieren.

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen

Die Verwaltung 4.0 als neuer Servicekern im digitalen Zeitalter 9. November 2017 in Düsseldorf / Neuss Hartmut Beuß

Elisabeth Slapio

Wolfgang Scherer

Der Beauftragte der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Informationstechnik (CIO) eröffnet den Kongress und reflektiert „Ein Jahr E-GovG NRW“.

Die Geschäftsführerin der IHK zu Köln beschreibt die Chance der Kollaboration von digitaler Unternehmensexpertise und Verwaltung 4.0.

Der stellv. Geschäftsführer des Kommunalen Rechenzentrums Minden-Ravensberg/ Lippe prognostiziert die Zukunft der diversifizierten kommunalen IT-Landschaft in NRW.

Ausführliche Informationen zum Programm und Anmeldung unter:

www.e-nrw.info Eine Veranstaltung des


Organisation & Management

Behörden Spiegel / Juni 2017

Vier Jahre Verwaltung 4.0

S

ie – die Verwaltung 4.0 – taucht erstmalig durch die Publikationen der Autoren Kruse und Hogrebe im Behörden Spiegel im Frühjahr 2013 auf. Und zwar nach der Präsentation Industrie 4.0 auf der CeBIT 2013 u. a. durch die Bundeskanzlerin, und Prof. Kagermann, Acatech. Das, mit Industrie 4.0 angekündigte neue Zeitalter für “Made in Germany” hatte bei den Autoren zwei spontane Reflexionen ausgelöst: Industrie 4.0 ist am Standort Deutschland für Zukunft und Wohlstand absolut alternativlos, wollen wir im künftigen globalen Wettbewerb weiter vorn bleiben. Zum Zweiten: Das was Industrie 4.0 am Standort Deutschland bewirken muss, wird vollständig nur gelingen, wenn sich die öffentliche Verwaltung auf allen Stufen des föderalen Staates, mit seinen tausenden Aufgaben, wirtschaftsaffinen Prozessen, Infrastrukturen, Dienstleistungen und Verständnis zu Industrie 4.0 mit vergleichbarem Anspruch auf Augenhöhe mit auf den innovativen 4.0-Zukunftsweg macht. Denn die ca. 4,6 Mio. Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sind das “Betriebssystem” unserer Gesellschaft, des Standortes Deutschland, ohne das – im “Computer-Sprech” – Fachanwendungen wie Industrie 4.0 und andere nicht funktionieren.

Das Kind braucht einen Namen Wie nach jeder Geburt braucht das Kind einen Namen. In diesem Falle einen, der die 4.0-Metapher nutzt, verkörpert und transportierbar macht: Die Verwaltung 4.0. Unmittelbar

Seite 31

Ein “wundersamer” Weg in der Erfolgsspur (BS/Wilfried Kruse/Prof. Dr. Frank Hogrebe*) Na klar: Verwaltung 4.0! Was auch sonst im stürmischen Zeitalter der Digitalisierung und Modernisierung? Aber wieso 4.0? Waren wir nicht vor einigen Jahren erst bei der Verwaltung 1.1 oder – wer besonders anspruchsvoll war – bei der Verwaltung 2.0? Grund genug, die Verwaltung 4.0 – sie ist mittlerweile bundesweit in aller Munde, so als hätte sie es immer schon gegeben – in ihrem Ursprung, ihren Inhalten und ihrem aktuellen, “wundersamen” Weg einmal näher zu beleuchten. nach der CeBIT 2013 entstand gemeinsam mit dem Behörden Spiegel die Idee einer bundesweiten Verbreitung dazu. In der Ausgabe 04/2013: “Industrie 4.0 braucht Verwaltung 4.0” wurden die gegenseitigen Bezüge zunächst deutlich gemacht, in der Ausgabe 05/2013 wurde die Definition, die komplexe, gesamtkonzeptionelle Wirkstruktur der “Verwaltung 4.0” als Rahmenkonzept mit sieben Perspektiven und 27 Komponenten vorgestellt sowie das dafür entwickelte Verwaltung-4.0-Logo. Eine Diskursanalyse Industrie 4.0 und Verwaltung 4.0 folgte durch das IVM² Institut für Verwaltungsmanagement, Mittelstandsforschung und Zukunftsplanung im September 2013. Präsentationen der Verwaltung 4.0 im BMWI, im BMI und auf der “Fachtagung 4.0” im Rahmen des Behörden Spiegel-Kongresses “Effizienter Staat 2014” waren in der Folge Anlass für das im Sommer 2014 erschienene Fachbuch “Deutschland 4.0 – Grundwerk zur Verwaltung 4.0 als Partner von Industrie 4.0 im Zeitalter des Internets der Dinge und der Dienste”. Im April 2015 setzte sich die Erkenntnis durch, dass die bis dato vorhandenen 4.0-Initiativen viel mehr befruchten (müssen) als “nur” die Indus-

Mitterhuber folgt auf Schardt Neue Leiterin der Geschäftsstelle des IT-Planungsrats (BS/gg) Renate Mitterhuber hat zum 1. Juni die Leitung der Geschäftsstelle des IT-Planungsrats im Bundesministerium des Innern übernommen. Sie tritt damit die Nachfolge von Marc Schardt an, der zum Mai BMI-intern ins Haushaltsreferat gewechselt ist. tens vertraut. In letzterer Funktion vertrat sie Hamburgs CIO Jörn Riedel und hat lange Zeit in vielen Arbeitsgruppen des ITPlanungsrats selbst aktiv mitgearbeitet. Die Modernisierung der Verwaltung mittels digitaler Möglichkeiten sowie die Verbesserung von Services für Bürger und Unternehmen ist Renate Mitterhuber seit vielen Jahren Mit Renate Mitterhuber – ein Herzenshier als Referentin auf dem anliegen. “Ich diesjährigen Kongress Difreue mich sehr, gitaler Staat – konnte das jetzt als Leitung BMI eine in der Community anerkannte und bestens der Geschäftsvernetzte Expertin für die stelle aktiv die Leitung der Geschäftsstelle Digitalisierung des IT-Planungsrates geder Verwaltung winnen. in DeutschFoto: BS/Giessen land über das Bund-Länderist sie insbesondere aus ihrer Gremium des IT-Planungsrats letzten Tätigkeit (seit 2009) als mitzugestalten. Mit dem DigiLeiterin des Referats E-Govern- talisierungsprogramm ist viel ment- und IT-Strategie sowie Schwung in die Sache gekomstellvertretende Leiterin der men. Ich möchte gern meinen Abteilung E-Government und Teil dazu beitragen, diesen aufIT-Steuerung im Amt Organisa- rechtzuerhalten”, erklärte sie tion und zentrale Dienste der gegenüber dem Behörden SpieFinanzbehörde Hamburg bes- gel. Die gebürtige Rosenheimerin und studierte Politikwissenschaftlerin Mitterhuber ist seit Anfang der 90er in verschiedenen Funktionen für die Freie und Hansestadt Hamburg tätig gewesen – seit über fünfzehn Jahren insbesondere im Bereich des E-Governments. Mit den Themen, Aufgaben und der Arbeitsweise des IT-Planungsrats

IT als Treiber der Verwaltungsmodernisierung: Der Newsletter E-Government, Informationstechnologie und Politik des Behörden Spiegel

Anmeldung: www.behoerdenspiegel.de newsletter@behoerdenspiegel.de

trie – und die Verwaltung: Die Initiative “Dienstleistungen 4.0” (BMWI, DIHK, Ver.di), es folgte das Grünbuch zu “Arbeiten 4.0”, (BMAS), seit 2016 dazu auch das Weißbuch (BMAS).

Zahlreiche 4.0-Initiativen Die Flut der 4.0-Initiativen und Begriffe setzte daraufhin mit Nachdruck ein – nur einige Beispiele: Wirtschaft 4.0, Mittelstand 4.0, Landwirtschaft 4.0, Kommune 4.0, NRW 4.0, Bildung und Qualifizierung 4.0, Wirtschaftsförderung 4.0, Handwerk 4.0 pp. Und: Seit dem 9. IT-Gipfel der

Bundesregierung im November 2015 auch der “Staat 4.0 – Digital – Souverän – Innovativ”. Für die Autoren dieses Beitrages erneuter Anlass, auf der Basis der Verwaltung 4.0 im Standortgeflecht Deutschlands Zusammenhänge und Einflusssphären noch deutlicher zu machen. Mit dem 2016 erschienenen Fachbuch “Deutschland als Standort 4.0 – Konzepte und Lösungen zur 4.0 Evolution” wurde u. a. die Frage herausgearbeitet, wer und wie am Standort Deutschland die “4.0-Initiativen” sinnvoll gebündelt, aufeinander abgestimmt, orchestriert/dirigiert werden können?

Die “4.0-Welten” dürfen nicht “alter Wein in neuen Schläuchen”, nicht weiterhin Ressortund Kästchendenke nur mit neuem (4.0) Titel sein und werden, sie müssen zu disruptivem und mutigem neuen Denken und Handeln in Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Gesellschaft führen; gefragt sind nicht nur Technik, Organisation und Prozesse, gefragt sind die Köpfe der Führenden und der Mannschaften, ihre Bereitschaft, sich im Sinne von Change-Management mit Offenheit und Begeisterung den neuen Welten in der Digitalisierung zu stellen. Die Verwaltung 4.0 der Zukunft steht nicht mehr nur für den ordnenden, sozialen, schützenden Staat – das auch weiterhin –, sie versteht sich und handelt in Zukunft als unverzichtbares,

zentrales und optimiertes Glied der Wertschöpfungskette am Standort Deutschland im globalen Wettbewerb. Damit steht nicht nur digitale Transformation als Herausforderung an, sondern die “mentale Transformation im digitalen Zeitalter”. Eine Einschätzung, die den “wundersamen” Weg der Verwaltung 4.0 jetzt auch in neue Dimensionen weiterführt: BadenWürttembergs Landesregierung hat sie sich per Koalitionsvertrag als Ziel vorgenommen, Bremen als erster Stadtstaat ebenso. Der IT-Planungsrat hatte die Verwaltung 4.0 in seiner Jahressitzung 2017 zum Leitthema gemacht. Industrie 4.0 übernimmt aktuell den von IVM² bereits 2014 publizierten Anspruch “Deutschland 4.0”. Mehr zu den 4.0-Themen und ihren “wundersamen Wegen” unter www.ivmhoch2.de *Wilfried Kruse und Prof. Dr. Frank Hogrebe sind Geschäftsführer des IVM², Institut für Verwaltungsmanagement, Mittelstandsforschung und Zukunftsplanung.


Seite 32

B

ehörden Spiegel: Herr Achtert, welche Themen werden den Public Sector künftig beschäftigen? Achtert: Die öffentliche Verwaltung wird in den kommenden Jahren mehr denn je gefordert sein. Neben den demografischen und gesellschaftlichen Herausforderungen gilt es, mit den Auswirkungen der technologischen Veränderungen Schritt zu halten. Dazu gehören die Nutzung neuer Kommunikationswege für die Kunden der Verwaltung, die stärkere Automatisierung von Verwaltungsabläufen möglichst ohne Medienbrüche und die Fähigkeit zur schnellen Anpassung von Verwaltungsstrukturen an Veränderungen der Rahmenbedingungen. Ein Trendthema ist aktuell die Konsolidierung der IT. Vor allem auf Bundesebene wird dies künftig eines der beherrschenden Themen sein. Mit der Gründung des ITZBund ist der erste Schritt zur Bündelung und Standardisierung von Betrieb und Services getan. Die eigentliche Herausforderung wird aber in der Konsolidierung der Anwendungslandschaften liegen. Nur wenn es gelingt, fachliche Prozesse zu vereinheitlichen und dadurch über die Grenzen einzelner Behörden nutzbar zu machen, können konsolidierte IT-Systeme wirklich Nutzen stiften. Behörden Spiegel: Wie kann die öffentliche Verwaltung die Digitalisierung meistern? Worin bestehen die besonderen Herausforderungen? Achtert: Die öffentliche Verwaltung muss schneller auf politische Veränderungen sowie auf Erwartungen der Bürger und Unternehmen reagieren. Die Attraktivität des Wirtschafts-

Organisation & Management

Behörden Spiegel / Juni 2017

Mehr denn je gefordert

Achtert: Wir sind davon überzeugt, dass eine offene, partnerschaftliche Unternehmenskultur die Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten und nachhaltiges Wachstum ist. Ein (BS) Das Unternehmen msg präsentierte sich im Mai auf dem Fachkongress “Digitaler Staat” in Berlin (mehr zu der Veranstaltung auf den Seiten angenehmes Arbeitsklima für 29, 33 - 38). Hier referierten Vertreter des Unternehmens in verschiedenen Vorträgen über die Zukunft der deutschen Verwaltung – insbesondere unsere Mitarbeitenden ist uns im Hinblick auf die Digitalisierung. Über deren Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung sprach der Behörden Spiegel mit Werner Achtert, daher sehr wichtig. Dieses Jahr wurden wir bereits zweimal als Geschäftsbereichsleiter Public Sector Business Consulting bei msg. Das Interview führte Guido Gehrt. “Great Place to Work” im gleichenge Verzahnung der Aufbau- über Web-Anwendungen und re hinweg einen sehr guten Ruf namigen Wettbewerb ausgeorganisation, der Geschäfts- Apps sowie die weitere Automa- erworben, auch, weil wir uns ne- zeichnet. Auch unser Bekenntprozesse und der technischen tisierung von Routinevorgängen ben unserer großen Bandbreite nis zum Standort Deutschland, und unserem Erfahrungsschatz unser klarer Wille zur InvesUmsetzung von Fachverfahren in Verwaltungsabläufen. Neue Technologien eröffnen stets stark am Marktbedarf ori- tition und unser überdurchnötig. Ein Beispiel ist das Thema schnittliches E-Rechnung, mit dem sich viele jedoch auch innerhalb der Ver- entieren. Im Behörden derzeit befassen. Die waltung völlig neue Anwen- Moment in- “Beratung im Public Sector W a c h s t u m machen msg technischen Möglichkeiten zur dungsbereiche. So nutzen z. vestieren wir muss auf der Ebene der zu einem automatisierten Bearbeitung B. die ersten Behörden mittler- stark in den politischen Entscheidungs- a t t r a k t i v e n von Eingangsrechnungen sind weile In-Memory-Technologien Ausbau unseträger ansetzen.” Arbeitgeber. längst vorhanden. Die Heraus- für die flexible und schnelle rer Business Die öffentliforderung besteht in den meis- Auswertung von Controlling- Consultingten Fällen in der Anpassung der Informationen. Das schafft für Kompetenz, um die öffentliche che Verwaltung ist für viele der Prozessabläufe in den bestehen- Entscheidungsträger auf allen Verwaltung bei der Gestaltung in Deutschland agierenden inEbenen eine neue Qualität der innovativer Prozesse und Orga- ternationalen Unternehmensden Organisationen. nisationsstrukturen zu beraten. beratungen von untergeordneEntscheidungsgrundlagenDamit bringen wir auch unsere ter Bedeutung. Wir hingegen Behörden Spiegel: Welche BeBehörden Spiegel: Was be- Erfahrungen mit der digitalen bauen unsere Einheit “Busideutung hat der technische Fortdeutet das für msg als Bera- Transformation aus anderen ness Consulting” deutlich aus, Werner Achtert, Geschäftsbereichslei- schritt für diesen Wandel? Branchen wie Versicherungen um den steigenden Bedarf an tungshaus? ter Public Sector Business Consulting Beratung zur Digitalen Transund Banken ein. Achtert: IT-Technik beeinbei msg, spricht im Interview über die formation abzudecken. ErfahAchtert: Für die öffentliche Herausforderungen für die öffentliche flusst praktisch alle LebensbeBehörden Spiegel: Wie posi- renen Beratern, die sich für den Verwaltung im Zuge der Digitalisie- reiche und verändert damit die Verwaltung wird es immer Erwartungshaltung der Bürger wichtiger, dass Berater einer- tioniert sich das Unternehmen, öffentlichen Bereich interessierung. Foto: BS/msg an Verwaltungsprozesse. Aller- seits die Technik beherrschen, um diesen Herausforderungen ren, bietet msg deshalb eine interessante Jobperspektive. standorts Deutschland hängt dings hat der Staat beim Um- um die Potenziale der digitalen zu begegnen? auszuschöpganz wesentlich von einer leis- gang mit Daten eine besondere Transformation tungsfähigen und serviceori- Verantwortung und die Bürger fen. Andererseits müssen sie die entierten Verwaltung ab. Dazu erwarten zu Recht ein hohes Maß Auswirkungen der Technik im muss die Politik proaktiv die an Sicherheit und Datenschutz. Umfeld von behördlichen ProDie Menschen zessen beurteilen können richtigen “Die öffentliche VerwalBeratung im Public Sector möchten wisRahmenbesen, was mit muss auf der Ebene der politidingungen communications, Travel & LogisMsg ist eine unabhängige, tung muss schneller auf ihren Da- schen Entscheidungsträger ansetzen. sowie Utilities und hat sich in international agierende Unternehpolitische Veränderungen ten passiert. setzen. Schon bei der Entschei- mensgruppe mit weltweit mehr als tics Digitale Verüber 35 Jahren als Branchenspezialist etabliert. 2016 hat msg über w a l t u n g s - sowie auf Erwartungen der Mittelfristig dung über neue Gesetze und 6.500 Mitarbeitern. Sie bietet ein abläufe erBürger und Unternehmen wird die Ver- Verwaltungsabläufe müssen die ganzheitliches Leistungsspektrum 1.000 Mitarbeiter neu eingestellt. waltung die Potenziale für innovative ProzesDas Unternehmen unterstützt lauben die aus strategischer Beratung und reagieren.” neuen digita- se berücksichtigt werden. Nur die öffentliche Verwaltung mit ITschnellere intelligenten, nachhaltig wertlen Interakti- dann können digital gestützte und Business Consulting ebenso Abwicklung schöpfenden IT-Lösungen für die wie mit IT-Lösungen “Made in von Prozessen. Darüber hinaus onsmöglichkeiten mit den Bür- Abläufe in den Behörden wirkBranchen Automotive, Banking, Germany” für Bund, Länder und senken sie die Kosten durch gern stärker ausschöpfen. Dies lich umgesetzt werden. Food, Insurance, Life Science & Msg hat sich bei der EntwickKommunen. Vermeidung von Medienbrü- kann erreicht werden durch die Healthcare, Public Sector, Telechen. Dazu ist allerdings eine Öffnung neuer Zugangskanäle lung von IT-Systemen über Jah-

Wie die öffentliche Verwaltung die Digitalisierung meistern kann

Über msg

Leitlinie vorgestellt Rechtssichere Nutzung der E-Akte (BS/gg) Die Teilnehmer des runden Tisches “Rechtskonforme E-Akte”, Dorothea Störr-Ritter, Landrätin des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald, Kay Ruge, Beigeordneter des Deutschen Landkreistages, Marc Groß, Programmbereichsleiter Organisations- und Informationsmanagement der KGSt, Ralf Resch, Geschäftsführer der VITAKO, sowie Bernd Kowalski, Abteilungspräsident Sichere elektronische Identitäten beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), stellten Mitte Mai eine gemeinsam erarbeitete Leitlinie zur rechtssicheren Nutzung der E-Akte vor. Ausgangspunkt war die durch das BSI entwickelte Technische Richtlinie zum ersetzenden Scannen (TR RESISCAN). Diese richtet sich an Anwender aus Verwaltung, Wirtschaft und Justiz und benennt sicherheitsrelevante Maßnahmen, die beim ersetzenden Scannen zu gewährleisten sind. Allerdings ermöglichte sie nicht zuletzt wegen ihrer stark technischen Ausrichtung keine praxistaugliche und rechtssichere Anwendung

für Kommunen. Auf Initiative des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald gründete sich im Rahmen des Nationalen IT-Gipfels ein runder Tisch “Rechtskonforme E-Akte”. Dort wurde in zwei Arbeitsgruppen eine Leitlinie zur praxisgerechten Umsetzung der TR RESISCAN entwickelt. Die Leitlinie zum ersetzenden Scannen von Dokumenten in Kommunen bietet die Grundlagen, um Papieroriginale rechtskonform in elektronische Doku-

mente zu übertragen, ohne dass die Originaldokumente selbst weiterhin aufbewahrt werden müssen. Sie kann im Internet unter www.lkbh.de/e-akte heruntergeladen werden. Landrätin Dorothea Störr-Ritter wird auch im Rahmen des Kongresses “Baden-Württemberg 4.0” am 11. Juli in Stuttgart zum Thema E-Akte referieren. Weitere Informationen zu dieser Veranstaltung unter www.bw-4-0.de.

Mehr Transparenz Niedersachsen will Informationszugangsgesetz (BS/gg) Die Niedersächsische Landesregierung hat im Mai den Entwurf des Niedersächsischen Informationszugangsgesetzes beschlossen. Das “Bürgergesetz”, so Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz, solle dem kritischen Dialog in einer offenen Gesellschaft dienen. Bürger sollen zukünftig einen voraussetzungslosen Auskunfts anspruch gegenüber Ämtern, Behörden und Ministerien erhalten und müssen keine besonderen Gründe mehr vortragen, um Informationen von der öffentlichen Verwaltung zu erhalten. Damit können jedoch auch Kosten verbunden sein. Auskünfte, die innerhalb einer halben Stunde beantwortet werden können, sollen gebührenfrei sein. Ansonsten richtet sich die Höhe der Gebühr nach dem Zeitaufwand, der mit der Antragsbearbeitung verbunden ist. Dies

soll einerseits dem Aufwand der Behörde Rechnung tragen und andererseits Missbrauch vorbeugen. Für personenbezogene Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist die Informationsherausgabe ausgeschlossen, wenn ein betroffener Dritter der Herausgabe widerspricht. Daneben sieht der Gesetzentwurf aufgrund ihrer besonderen Aufgaben und rechtlichen Stellung Ausnahmen für einige Behörden und Institutionen vor. Die informationspflichtigen Stellen werden durch den Gesetzentwurf angehalten, möglichst viele Informa-

tionen im Internet oder in sonstiger Weise zu veröffentlichen. Außerdem sollen die Verwaltungen künftig alle wesentlichen Informationen in einem allgemein zugänglichen zentralen Informationsregister im Internet zur Verfügung stellen. Die Einhaltung der Regelungen soll durch einen Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit überwacht werden. Diese Aufgabe wird dem Landesbeauftragten für den Datenschutz übertragen. Wer seine Rechte auf Informationszugang verletzt sieht, kann sich an diesen Beauftragten wenden.


Digitaler Staat

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 33

Dynamik erhöht

Fünf Thesen zur Digitalisierung

Deutsch-dänischer Erfahrungsaustausch auf “Digitaler Staat”

Digitale Sprachassistenten für Verwaltungsleistungen

(BS/ckö/gg/ein) “Wir müssen uns größere Schritte vornehmen, um aufzuholen, denn in Ländern wie Österreich oder Dänemark schreitet die Entwicklung ebenfalls weiter voran” appellierte Klaus Vitt, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik (Bundes-CIO), in seiner Eröffnungsrede auf dem Fachkongress Digitaler Staat. Dänemark, Partnerland des Kongresses, steht auf Platz eins des EU-Digitalisierungsindex DESI. Das basiere auf einer klaren und langjährigen Agenda, wie Lars Frelle-Petersen, Generaldirektor der Digitalisierungsbehörde im Finanzministerium des Königreichs Dänemark, erläuterte.

(BS/th) Ziel müsse es sein, dass Verwaltungsvorgänge sich eines Tages durch digitale Sprachassistenten erledigen ließen, erläuterte Jürgen Fritsche, Leiter des Geschäftsbereichs Public Sector bei msg systems.

Für den Bund nannte Vitt vier Projekte, die in den nächsten Jahren für die Digitalisierung der Verwaltung von zentraler Bedeutung seien: E-Akte, E-Rechnung, E-Beschaffung und E-Gesetzgebung. Bei der E-Akte, die bis 2020 flächendeckend in der Bundesverwaltung eingeführt sein müsse, laufe derzeit die Ausschreibung des Basisdienstes. Auch die Rollout-Planung stehe, man sei “auf einem guten Weg”. Die E-Rechnung, die öffentliche Auftraggeber ab November 2018 verpflichtend entgegennehmen müssen, sei ebenfalls auf gutem Wege. Hier unterstrich der Bundes-CIO ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit der Freien Hansestadt Bremen. Bei der EBeschaffung komme es, ebenso wie bei der E-Gesetzgebung, darauf an, jeweils den gesamten Prozess in einem System medienbruchfrei abzuwickeln.

Portalverbund aufbauen Vitt betonte die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Dass dies funktioniere, habe die Digitalisierung des Asylverfahrens gezeigt. Nun komme es darauf an, den Portalverbund aufzubauen, um die zahlreichen bestehenden Angebote intelligent zu verknüpfen und auszubauen. Zentrale Merkmale seien dabei das Bürger- bzw. Unternehmenskonto, in dem die Nutzer ihre Stammdaten hinterlegen könnten, ein Postfach, in dem elektronische Dokumente abgelegt werden können, ein SingleSign-on- (einmaliges Anmelden) sowie eine E-Payment-Funktion. Hierzu brauche es keine Neuentwicklungen, man wolle vielmehr “auf Bestehendem aufsetzen”, so der Staatssekretär.

Finanzierung noch offen Vitt ging ebenfalls auf das Digitalisierungsprogramm des IT-Planungsrates ein, in dem bis 2018 jeweils drei Prozesse für Bürger sowie Unternehmen komplett digitalisiert werden sollen und anschließend Eingang in eine Empfehlungsliste des

Bundes-CIO Klaus Vitt eröffnete den Kongress “Digitaler Staat” des Behörden Spiegel in Berlin.

IT-Planungsrates finden sollen. “Dies kann allerdings nur ein Anfang sein. Zukünftig wird es nicht reichen, nur drei Prozesse jährlich zu digitalisieren”, machte Vitt deutlich. Ausdrücklich begrüßte der Bundes-CIO das Digitalisierungsbudget, welches zukünftig die Schlagkraft des IT-Planungsrates erhöhen soll. Bislang müssten sich Bund und Länder aber noch auf den Schlüssel zur Finanzierung dieses Budgets verständigen. “Wir wissen, was zu tun ist, nun kommt es darauf an, konsequent in die Umsetzung zu gehen”, appellierte er an die Teilnehmer des Kongresses.

Dänemark: Effizienz steigern Mehr persönliche Daten an den Staat? Was in Deutschland hoch umstritten ist, ist laut Lars Frelle-Petersen, Generaldirektor der Digitalisierungsbehörde im Finanzministerium des Königreichs Dänemark, Grundlage für bessere öffentliche Leistungen. Und für mehr Vertrauen: “Die Bürger wollen, dass wir auf mehr Daten zugreifen können, um bessere Lösungen zu finden und mehr unserer Aufgaben zu digitalisieren, sodass Vertrauen und Zufriedenheit weiter ansteigen.” Es gehe darum, den Wohlfahrtsstaat zu erhalten. Staat und Kommunen stünden deshalb in der Pflicht, ihrer Aufgabe so effektiv wie möglich nachzukommen. Die weite Digitalisierung würde gerade von Sozialverbän-

den begrüßt. So könnten gehandicapte Menschen eigenständig mit staatlichen Einrichtungen kommunizieren. Um weniger IT-affine Menschen zu unterstützen, seien bis Ende 2014 200.000 Senioren fortgebildet und mit den digitalen Portalen und Instrumenten vertraut gemacht worden. Vieles sei schon erreicht worden. Dänemark hatte sich verpflichtet, bis 2015 mindestens 80 Prozent der öffentlichen Leistungen digital zu erbringen. Mittlerweile liegt man in einigen Bereichen bei fast 90 Prozent, etwa beim elektronischen Bürger-Postfach und der digitalen Signatur, die man gemeinsam mit der Bankbranche entwickelt hat. Die digitale Signatur sei in den vergangenen Jahren fortentwickelt und verbessert worden und werde heute 1,7 Mio. Mal pro Tag genutzt. Dänemark spart durch die Digitalisierung seiner Dienste rund 300 Mio. Euro im Jahr. “Wir haben das durchgerechnet”, betonte Frelle-Petersen.Demnach betragen die Kosten für einen Anruf der Verwaltung 14 Euro, ein Brief an den Bürger kostet 11,70 Euro und auch der EMail-Versand schlägt beim Staat jeweils mit elf Euro zu Buche. Der E-Service über Selbstbedienungsportale fällt mit 4,20 dagegen nicht nur weitaus günstiger aus, sondern ist auch schneller durchgeführt.

Lars Frelle-Petersen ist Generaldirektor der Digitalisierungsbehörde im Finanzministerium des Königreichs Dänemark. Fotos: BS/Giessen

In insgesamt fünf Thesen untermauerte der IT-Experte seinen Standpunkt. Seine erste lautete, dass die Kundenperspektive auch in der öffentlichen Verwaltung die entscheidende sei. Das Ziel müsse sein, möglichst viele Verwaltungsvorgänge zu digitalisieren. “Bislang muss der Großteil der Korrespondenz mit der Verwaltung physisch auf Papier abgegeben werden”. Laut Fritsche wollen die Kunden dies nicht länger. Ein Problem sieht Fritsche im Föderalismus und im Ressortprinzip. Beides würde die digitale Transformation in der öffentlichen Verwaltung behindern. Helfen könne hier nur Druck, damit alle Beteiligten besser miteinander zusammenarbeiteten. Als Beispiel verwies er auf das Thema Flüchtlinge.

“Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert, auch in der Verwaltung” so Fritsche in seiner dritten These. Für

Jürgen Fritsche sieht bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung noch Nachholbedarf.

den Fall, dass die Digitalisierung weiterhin nur zögerlich voranschreite, kann er sich private Unternehmen in der Rolle der Intermediäre vorstellen. Seine vierte These lautet wie folgt: “Die wahre Killerapplikation für die öffentliche Verwaltung ist eine gemeinsame Datenplattform von Bund, Ländern und Kommunen. Das wäre auch interessant für die Wirtschaft.” Anschließend stellte Fritsche die These auf, dass für die digitale Verwaltung Spitzenkräfte benötigt werden. Damit dies weiterhin sichergestellt werde, sei allerdings ein Umdenken in der Ausbildung nötig. “In den Verwaltungsstudiengängen sind Digitalisierung und E-Government Nischenthemen. Dies muss sich ändern.”

Digitalisierung muss Nutzen haben Systemintegrator befürwortet pragmatische Herangehensweise (BS/stb) Hinter den Trendbegriffen der Digitalisierung, die gerade in den letzten Jahren in immer schnellerer Folge die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, steht eine Entwicklung, die im Kern schon älter ist, als die gegenwärtige Aufbruchstimmung vermuten lässt. So sieht es Gerhard Marz, Bereichsvorstand beim Systemhaus Bechtle AG. “Die Digitalisierung ist nicht neu”, sagte er in seiner Keynote. So sei die Logistik im Pharmabereich schon seit Jahrzehnten weitgehend automatisiert und Prozesse seien situationsbedingt anpassbar, erklärte Marz. In der Landwirtschaft seien schon lange satellitengesteuerte, fahrerlose Maschinen im Einsatz. Sogar die Analyse von Bodenproben über Rechenkapazitäten von Satelliten seien schon zur Anwendung gekommen – eine Art früher Cloud-Dienst. Neu sei dagegen das Tempo, in dem Innovationen aufkämen, die zugrundeliegende Technik handhabbarer werde und sich daraus Effizienzgewinne generieren ließen. Beim digitalen Wandel im eigenen Unternehmen oder in eigenen Institutionen und Behörden sei es aber wichtig, nicht nur Trends zu folgen, mahnte Marz, denn “nur der Nutzen zählt.”

Wichtige Baustellen Marz machte deutlich, dass erfolgreiche Digitalisierung nur möglich ist, wenn auch die grundlegenden technischen Vo-

raussetzungen und ausreichende Expertise vorhanden sind. Die Netzabdeckung lasse aber in Deutschland teilweise noch zu wünschen übrig. Außerdem müsse stärker in digitale Bildung investiert werden. Als zentrale Herausforderung für die Verwaltungsmodernisierung kam Marz auf den Föderalismus zu sprechen, den

Gerhard Marz, Bereichsvorstand Bechtle AG, kommentierte die Digitalisierung der Verwaltung aus der Sicht eines Systemintegrators.

er mit dezentralen Organisationsstrukturen in großen Unternehmen verglich. Zwar seien individuell betrachtet schon viele gute digitale Lösungen für Verwaltungsaufgaben entwickelt worden, jedoch würde das große Ganze damit noch nicht vorangebracht. Marz regte an, sich ernsthaft die Frage zu stellen, in welchen Fällen ein Wettbewerb verschiedener in Verwaltungen implementierter Lösungen Sinn mache und wann ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen zur Schaffung einheitlicher Lösungen besser sein könne. Für den Nutzer sei ein einheitliches Erlebnis in jedem Fall das Beste. “Der Kunde muss mit einem Blick alle Leistungen sehen”, sagte Marz. Portale für digitale Dienste müssten noch einfacher, kompakter und übersichtlicher werden. Schließlich betonte Marz: “Es muss ein spürbares Plus an Lebensqualität geben.” Dies solle der Anspruch bei der Konzeption und Entwicklung digitaler Angebote und Prozesse sein.

11. Juli 2017 in Stuttgart

Baden-Württemberg 4.0 Der Staat als Treiber digitaler Innovationen

Der neue Kongress wird die Erarbeitung und Umsetzung der Digitalisierungsstrategie digital@bw fortan begleiten und zusätzliche Impulse setzen – natürlich insbesondere mit dem Fokus auf die öffentliche Verwaltung und die digitale Transformation in den Behörden des Landes und der Kommunen. Schirmherr:

Referenten u.a.: Thomas Strobl, Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg

Eine Veranstaltung des

Stefan Krebs, CIO/CDO des Landes Baden-Württemberg

››› www.bw-4-0.de ‹‹‹

Gunter Czisch, Oberbürgermeister der Stadt Ulm

in Zusammenarbeit mit


Digitaler Staat

Seite 34

Behörden Spiegel / Juni 2017

Sprung über den föderalen Schatten

Machen Sie es einfach!

IT-Planungsratsvorsitzende sieht gute Ansätze, aber viel Nachholbedarf

Ein Votum für die smarte Verwaltung

(BS/stb, jf) “Bei der Verwaltungsmodernisierung sind wir noch längst nicht am Ende angekommen, sondern gerade in der Startphase”, so die Einschätzung der Staatssekretärin im Ministerium für Inneres und Kommunales Brandenburg und Vorsitzende im IT-Planungsrat, Katrin Lange, in ihrer Eröffnung des zweiten Kongresstages beim Digitalen Staat. Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, Kurskorrekturen vorzunehmen. Genau dies strebt Schleswig-Holstein an, mit der neuen “Digitalen Agenda”, die Thomas Losse-Müller, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei, vorstellte.

(BS/jf) “Deutschland hat eine gute Ausgangssituation für die Digitalisierung, aber wir sind in allen Bereichen weit davon entfernt, Weltspitze zu sein”, zitiert Susanne Diehm, Leiterin Public Services und Healthcare, Mitglied der Geschäftsleitung der SAP Deutschland SE & Co. KG, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Zugleich prognostiziert sie einen Kulturwandel zu mehr Transparenz und Offenheit.

“Die umfassende Digitalisierung der Verwaltung ist ein notwendiges und realistisches Ziel”, erläuterte Lange. Es gebe schon einige gute Ansätze, im Vergleich mit Ländern wie Dänemark zeige sich aber, was noch möglich sei. Vom Beispiel Dänemark könne man viel lernen, obwohl die dort ergriffenen Maßnahmen “nicht direkt kopierbar” seien. Insbesondere sei ein Digital-byDefault-Ansatz in Deutschland kaum umsetzbar, merkte Lange an.

Wichtige Weichenstellungen Ausführlich beschrieb Lange die Tätigkeiten des IT-Planungsrats unter ihrem Vorsitz. So habe man sich auf wichtige Eckpunkte verständigt, um das Koordinierungsprojekt Portalverbund voranzubringen. Ziel sei es, dass Bürger “Anliegen mit wenigen Klicks auf allen Ebenen adressieren können”, fasste die Staatssekretärin zusammen. Ergänzt wird das Vorhaben um ein neues Digitalisierungsprogramm unter Federführung des Bundes und des Freistaats Bayern. Es sieht vor, dass bis 2018 je drei Anliegen mit konkretem Nutzen für Bürger oder Unternehmen umgesetzt werden. Im Rennen seien hier unter anderem digitale Lösungen für Elterngeldantrag, Gewerbeanmeldung und E-Rechnung.

Föderalismus angehen

“Wir reden über Big Data, haben aber schon Probleme mit Small Data”, sagte Schleswig-Holsteins Chef der Staatskanzlei, Staatssekretär Thomas Losse-Müller. Fotos: BS/Giessen

Auch die IT-Planungsratsvorsitzende sieht in der föderalistischen Aufgabenverteilung Hemmnisse für die Digitalisierung der Verwaltung. Es ließen sich flächendeckend keine guten Bürgerdienste umsetzen, wenn nicht am selben Strang gezogen würde. “Wir müssen es schaffen, über unseren föderalen Schatten zu springen”, forderte Lange. Nur so könne die Modernisierung Fahrt aufnehmen. Dabei sieht Lange auch den IT-Planungsrat in besonderer Pflicht: Der Dialog mit den kommunalen Verbänden müsse verbessert, die Kommunen bei allen Vorhaben stärker eingebunden werden. Schließlich werde das Gros aller Dienstleistungen für Bürger in den Kommunen erbracht. “Das ist ein hochrespektables Aufgabenpensum”, machte Lange deutlich.

Digitale Agenda zwischen Nord- und Ostsee

Bürger sollen Anliegen mit wenigen Klicks auf allen Ebenen adressieren können, beschrieb Katrin Lange, amtierende Vorsitzende des IT-Planungsrates, einen Schwerpunkt der Arbeit des Rates.

Warum beschäftigt sich Schleswig-Holstein mit der Digitalisierung und gibt sich selbst eine eigene Agenda? Diese Frage stellte Thomas LosseMüller, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei im “echten” Norden. Und gab eine verwundernde Antwort: “Wir sind nicht mehr der Acker nördlich von Hamburg”, so der Staatssekretär. Durch den Glasfaserausbau (derzeit sind 25 Prozent des Landes erschlossen, bis 2020 sollen

es 50 Prozent sein) und die Digitalisierung könne SchleswigHolstein das Land und die Lage zwischen zwei Meeren in Wert setzen, so der Staatssekretär. Die Digitale Agenda fuße deshalb auch auf der Landesentwicklungsstrategie 2030. “Die Digitalisierung ist darin ein entscheidender Faktor.” Daraus seien Leitlinien für die nächsten 15 Jahre entwickelt worden. Zudem fiel die Entscheidung, keine Strategie, sondern eine Agenda zu gestalten. “Wir haben uns auf das reduziert, was die Landesregierung zu erledigen hat, sozusagen fast alles”, sagte Losse-Müller mit einem Lächeln. Neben den Leitlinien, mit klar definierten Zielen und Maßnahmen zu deren Erreichung gebe es aber einen zweiten Bereich, in dem Digitalisierung derzeit gedacht werde: in den einzelnen Ministerien. “Wir reden über Big Data, haben aber schon Probleme mit Small Data”, schilderte der Chef der Staatskanzlei und nannte einige Beispiele. Das Justizressort sei sehr weit bei der Einführung von E-Justice, stehe aber am Anfang bei der Digitalisierung des Archivs. Im Wirtschaftsministerium stehe das Thema vernetzte Mobilität ganz oben auf der Agenda. “Wir brauchen schon fast eine Funktionalreform in diesem Bereich.” Soll der ÖPNV weiter finanziert werden oder investiert das Land künftig in Uber? Und auch im Umweltministerium werde am Einsatz von Sensorik gearbeitet, um die Nitratbelastung von Trinkwasserquellen zu überwachen. Denn Kühe machten nun mal den meisten Mist. Insbesondere die holsteinische Milchkuh, die die beliebteste Kuhrasse der Welt sei. Sie sei der eigentliche Grund für die Digitalisierung: Schleswig-Holsteins Bauern nutzten schon längst ausgefallene Sensorik, mit der die Bewegung der Kühe am Tag erfasst werde. Mit der Auswertung dieser Daten seien wiederum Rückschlüsse auf Krankheiten, Brunft und ähnliches möglich. Außerdem könnten so Futterzusammensetzung und -mengen für die Kühe bestimmt werden. “Bei den Kühen ist die Digitalisierung gang und gäbe.”

Work smarter, not harder

(BS/jf) Der moderne Staat steht unter Druck, mit weniger Ressourcen mehr zu erreichen. In Deutschland wie in Dänemark, dem Partnerland des Digitalen Staates. “Der dänische Digitalbürger verlangt stets nach Verbesserungen”, sagte Dänemarks Botschafter Friis Arne Petersen am Vorabendempfang zum Auftakt des zweitägigen Kongresses in der Botschaft des Königsreichs. Wesentlicher Bestandteil der dänischen Deutschlandstrategie sei die gute Zusammenarbeit. Auch Uwe Beckmeyer, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, freut sich auf den Erfahrungsaustausch. Sein Haus habe vor allem die Digitalisierung der Wirtschaft im Blick und eine eigene digitale Strategie 2025 erarbeitet. Diese umfasse zehn Punkte, darunter die Gründung einer Digitalagentur als “hochleistungsfähiges und international vernetztes Kompetenzzentrum und als Think Tank der Bundesregierung”. Sein Land habe die Möglichkeiten der Digitalisierung bereits genutzt, so Botschafter Petersen, und stets nach der Devise “Work smarter, not harder” agiert. Und Lars Frelle-Petersen, Generaldirektor der dänischen Digitalisierungsbehörde, ergänzte: “Wir wollen nicht nur die Bürger von bürokratischen Hürden befreien, sondern auch unsere Beamten.”

“Der Wandel wird beträchtlich sein, alle Abläufe und Zuständigkeiten müssen überdacht werden”, sagt Diehm. In diesem Zusammenhang sei die Zukunft der Arbeit oder die Arbeit 4.0 ein wichtiges Forschungsthema. Es sei jedoch unverständlich, dass der gesamte Öffentliche Dienst gar nicht oder nur am Rande thematisiert werde. “Das ist einfach falsch.” Denn es entstünden neue Arbeitsplätze mit neuen Inhalten, dafür müssten die Beschäftigten aus- und weitergebildet werden. Informations-, Kommunikations- und Transaktionsprozesse von jedem Ort, zu jeder Zeit, schnell und kostengünstig durchzuführen, das sei die Vision des E-Government. “Doch warum fällt die Umsetzung so schwer? Warum gibt es so viele separate Datensilos? Und warum de facto so wenig EGovernment-Angebot?”, fragte Diehm. Laut Digitalisierungsindex der EU-Kommission belege Deutschland Platz elf. Nur 19 Prozent der Bevölkerung nutzten bislang elektronische Bürgerdienste. Abschließende Antworten auf die Fragen konnte die Leiterin Public Services nicht geben. Aber: Ein wesentlicher Faktor sei eine moderne IT. Diese ermögliche neue, moderne Analy-

Spricht sich für eine smarte, plattformbasierte Verwaltung aus: Susanne Diehm, Leiterin Public Services und Healthcare, Mitglied der Geschäftsleitung der SAP Deutschland SE & Co. KG.

semöglichkeiten, womit bessere Entscheidungsgrundlagen geschaffen werden könnten. “Die Verwaltung muss das Augenmerk auf digitale Interaktionen legen, die Schnittstellen sind zu verringern, alles muss über eine Plattform erledigt werden können – das sind die Ziele von SAP”, so Diehm. Auch, um die Kosten im Blick zu behalten. Dass dies gelinge, zeige das Beispiel der smarten Verwaltung in Rheinland-Pfalz. Dort sei eine Plattform eingerichtet worden, auf der viele Eigenentwicklungen für Personal und Verwaltung konsolidiert worden seien.

Darunter eine smarte Personaladministration ohne jegliche Schnittstellen. Dadurch hätten einerseits hohe Aufwände für die Datenerfassung und die aufwendige Administration unterschiedlicher Systeme verringert werden können. Und andererseits sei die Zahl von Belegen deutlich reduziert worden, weil diese nicht mehr postalisch zu versenden seien. “Wir müssen aber alles tun, um Mitarbeiter, aber auch Bevölkerung fit zu machen für die Digitalisierung, also machen sie es einfach”, fordert das SAP-Geschäftsleitungsmitglied.

Kein “R2D2” Oberndörfer: Verwaltung muss näher an den Bürger / neue Fehlerkultur erwünscht (BS/ein) Beim Einsatz von Robotics in der Verwaltung gehe es nicht darum, dass ein “R2D2” Akten aus den Regalen holt und ausliefert. “Es geht um Algorithmen”, unterstrich Mathias Oberndörfer, Bereichsvorstand Öffentlicher Sektor der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Der Einsatz von Assistenzsystemen werde künftig dazu führen, dass der Bürger nicht mehr zur Verwaltung, sondern die Leistung zum Menschen komme – in der Privatwirtschaft wie beim öffentlichen Sektor. Um dieser Entwicklung stärker Vorschub zu leisten, habe sich KPMG im eigenen Haus neu aufgestellt. Zwar gebe es in der neu eröffneten Dependance in Dresden weiterhin Einzelbüros, grundsätzlich würden von nun an aber agile Arbeitsprinzipien gelten: Keine fest zugewiesenen Arbeitsplätze, dafür viele Orte, an denen in unterschiedlichen Umgebungen und mit verschiedenen Teams gearbeitet werden könne. KPMG verstehe die neue Niederlassung als Leuchtturm für künftiges Arbeiten. “Mit unserem Center of Excellence bringen wir Fachwissen, IT-Wissen und wissenschaftliche Expertise in sämtliche Projekte”, sagte Oberndörfer. Junge Mitarbeiter würden schneller in Personalverantwortung gebracht, dafür seien die Teams kleiner und bestünden aus maximal acht zu betreuenden Personen. Bei all dem gehe es um regelmäßigen Know-how-Transfer. Ein neues Innovationsmanagement soll für jeden Mitarbeiter die Schwelle senken, neue Geschäftsideen und Verbesserungsvorschläge einzureichen. Es gehe nicht nur um einen Wandel der Technologie, sondern auch der Werte. Vertrauen und Sicherheit müssten denjenigen entgegengebracht werden, die mit neuen Ideen zutage kämen und das Unternehmen voranbrächten. “Wir stehen vor den gleichen Themen wie der öffentliche Sektor”, unterstrich Oberndörfer. “Aber wir spüren mehr Druck – es ist ein Wille zur Veränderung entstanden.” Ähnlich habe es während des Flüchtlingszustroms im digitalen Asyl-Management auch in der Verwal-

Mathias Oberndörfer ist Bereichsvorstand Öffentlicher Sektor bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

tung funktioniert. Demnach brauche es den Mut, auch mit weniger ausgereiften Produkten “an den Markt zu gehen”, zu scheitern – möglichst schnell zu scheitern! –, um so wichtige Erfahrungen und Fortschritte zu machen. Den kulturellen

Wandel, der in der Start-upSzene seinen Anfang nahm, sieht Oberndörfer nun auf andere Branchen überspringen. Auch auf die Verwaltung? Mit einer neuen Plattform für Gründer versucht das Institut für öffentlichen Sektor der KPMG gemeinsam mit Startup-Unternehmen innovative Dienste und Instrumente für die öffentliche Hand zu befeuern. Ziel sei es, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Ähnlich wie Einkäufe in Zukunft vielfach vom Sofa aus getätigt würden, müsste die Verwaltung ebenso einfach zu erreichen sein. “Warum müssen Leistungen an Behörden gebunden sein?” Künftig könnten Leistungen über Kioske, Terminal-Lösungen und OnlineAngebote lebenslagenorientiert und stark gebündelt erbracht werden. Wenn Informationen aus anderen Prozessen zur Verfügung stünden, sollten diese ebenso automatisch genutzt werden.

Fanartikel zum Digitalen Staat: Das Logo des Kongresses, extra hergestellt von promo-pins der Kandinsky Deutschland GmbH.


Digitaler Staat

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 35

Insellösungen vermeiden

Experimente wagen

Föderale Verwaltungsdigitalisierung verläuft langsam, aber stetig

Angemessene Fehlerkultur entscheidend

(BS/th) Soll das E-Government von Bund, Ländern und Kommunen gebündelt und standardisiert werden? Wer entscheidet dann über die Stan- (BS/mfe) Bei der Umorganisation von Behörden müssen innovative Wedards und die eingesetzte Software und wer zahlt letztendlich für die Einrichtung der Services? Diese und andere Fragen standen im Fokus der ge beschritten werden. Führen diese zunächst zu einem Scheitern, darf Podiumsdiskussion zum digitalen Föderalismus. das keinesfalls in einer vollständigen Aufgabe des Reformvorhabens münden. Vielmehr bedürfe es eines nachhaltigen Umgangs mit Fehlern, Investitionen in den Ausbau der verlangte Betina Hagerup, Generaldirektorin im Gewerbeamt des däni“Wir kontrollieren den BürokraDigitalisierung an. “Momentan schen Wirtschaftsministeriums. tieabbau und die anstehenden Folgekosten”, sagte Dorothee Störr-Ritter, Mitglied des Normenkontrollrates und Landrätin des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald, und brachte so die Aufgabe ihres Gremiums in Bezug auf die Digitalisierung auf den Punkt. Ziel müsse es sein, die Verwaltung auch mithilfe der Digitalisierung zu verschlanken. Zudem sieht sie den Normenkontrollrat generell in einer führenden Rolle hinsichtlich der Digitalisierung. “Wir haben die Debatte mit zwei Gutachten mit angestoßen”, so Störr-Ritter weiter. Sie wünscht sich, dass die Digitalisierung schneller voranschreite. “Die ganze Welt ist vernetzt, wo ist die Verwaltung 4.0?” fragte die Landrätin. Es müsse nicht zuletzt das Ziel sein, Insellösungen zu vermeiden und eine einheitliche IT-Landschaft zu schaffen. Da sie neben ihrer Arbeit beim Normenkontrollrat auch als Landrätin tätig ist, sieht sie hier allerdings zum Teil einen Gewissenskonflikt. “Ich komme mir manchmal vor wie ein Sandwich”, so Störr-Ritter mit Blick auf IT-Lösungen, die lokal gut funktionierten, die im Sinne einer bundesweit einheitlichen IT-Lösung aber vielleicht durch andere ersetzt werden müssten.

Diskutierten mit den Redaktionsleitern des Behörden Spiegel Carsten Köppl (ganz links) und Guido Gehrt (ganz rechts): Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungsamtes, Jan Tiessen von der Prognos AG, Dorothee Störr-Ritter, Mitglied des Normenkontrollrates und Matthias Oberndörfer, Bereichsvorstand für den Öffentlichen Sektor der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (v. l n. r.). Fotos: BS/Giessen

“Was bisher passiert ist, ist zu wenig”, sagte Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungsamtes, mit Blick auf den bisherigen Ausbau der digitalen Verwaltung. Gleichzeitig betonte er jedoch die Erfolge, die seine Behörde hier vorzuweisen habe. So sei die IT auf Bundesebene inzwischen leistungsstärker und effektiver als noch vor einigen Jahren. “Die Politik hat mit solchen Prozessen allerdings keine Geduld”,

so der Beamte weiter. Der Föderalismus ist für Verenkotte kein Bremsklotz für die Digitalisierung. “Die Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen ist nicht so problematisch, wie sie manchmal dargestellt wird. Das ist alles eine Frage von Standorten und Schnittstellen”, zeigte sich der Präsident des Bundesverwaltungsamtes überzeugt davon, dass hier keine großen Schwierigkeiten bestünden. Allerdings mahnte er notwendige

investieren wir zu wenig”, so Verenkotte. Matthias Oberndörfer, Bereichsvorstand für den Öffentlichen Sektor der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, hat einen ambivalenten Blick auf die Digitalisierung. “Bund, Land und Kommunen kommen zu langsam voran. Dennoch wird vieles zu negativ gesehen, denn die Fortschritte sind spürbar.” Er hofft, dass die nächsten notwendigen Schritte zur Vereinheitlichung der IT-Infrastruktur des Bundes spätestens nach der Bundestagswahl in die Wege geleitet werden. Jan Tiessen von der Prognos AG und Projektleiter für den auf dem Digitalen Staat vorgestellten Trendreport, sieht in Deutschland auch ein Mentalitätsproblem. “Bei uns wird schnell gefragt, warum etwas funktioniert und deshalb werden viele Dinge erst umgesetzt, wenn etwas reibungslos abläuft. Bei der Digitalisierung kann dies allerdings hinderlich sein”, sagte Tiessen. Insgesamt müsse die Nutzerfreundlichkeit stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. “Dem Nutzer ist es egal, ob es einen Portalverbund gibt. Er möchte schnell auf alles zugreifen, so der IT-Fachmann.

Außerdem brauche es für erfolgreiche Reformen eine Stärkung der betroffenen Mitarbeiter, ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnisses zu Partnern sowie einen Einbezug des Chief Executive Officers (CEO) in das Projekt. Darüber hinaus komme es darauf an, Veränderungen schrittweise umzusetzen und nicht auf den einen, großen Umbruch zu setzen, meinte Hagerup. Würden all diese Bedingungen erfüllt, stünde einer erfolgreichen Reform nichts mehr im Wege. Das hätte sie anhand ihrer eigenen Behörde erlebt. Dem Gewerbeamt im Kopenhagener Wirtschaftsministerium sei es schließlich gelungen, den Kundenservice zu digitalisieren, aus 14 Registrierungssystemen eines zu machen und eine moderne IT-Plattform aufzubauen. Zudem würden ihre Mitarbeiter inzwischen deutlich stärker kundenorientiert agieren, vermehrt mit Kollegen aus anderen Abteilungen kooperieren und höhere Zufriedenheitswerte aufweisen. Auch könnten in der gleichen Zeitspanne mehr Fälle bearbeitet werden als früher. Inzwischen sei das Gewerbeamt eine effektive, flexible und serviceorientierte Einrichtung,

Die Generaldirektorin im Gewerbeamt des dänischen Wirtschaftsministeriums, Betina Hagerup, plädierte dafür, Fehler bei Organisationsreformen zu akzeptieren und Veränderungen eher schrittweise als auf einem Schlag umzusetzen.

so Hagerup. Zentrale Merkmale des Behördenhandelns seien mittlerweile Einfachheit, Konsistenz, Mehrwert für die Bürger und Kundenvertrauen. Vor Beginn der Reform im Jahre 2009 habe das Gewerbeamt hingegen noch deutlich papierlastiger agiert und mit unflexiblen ITLösungen gearbeitet.

Große Affinität zum Digitalen

Konsolidieren hoch drei

Dänemark: besserer Service, geringere Kosten

Frischer Wind weht nicht nur durch die Bundes-IT

(BS/mfe) In Skandinavien scheinen zahlreichen Einwohnern effektive Prozesse und eine weitgehend digitalisierte Kommunikation mit der Verwaltung wichtiger zu sein als die Sicherheit ihrer personenbezogenen Daten. Das gelte zumindest für viele seiner Landsleute, meint Thomas Jakobsen von der Verwaltung der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. “Die Dänen sind schlicht und einfach sehr digital”, so Jakobsen.

(BS/ein) Berlin habe ein hervorragendes E-Government-Gesetz sowie eine neue Staatssekretärin, die über eigene Mittel verfüge, freute sich Ines Fiedler, Vorständin des ITDZ Berlin. Gleichwohl sieht sie sich in der Verantwortung für rund 14.000 Rechner – aktuell stehe man mit 70 Behörden in der Diskussion über neue Standards. Eine enorme Herausforderung, bei der es vor allem darum gehe, die vielen Behörden und Führungskräfte mitzunehmen. “Was bleibt in meiner Behörde, was nicht?” Diese Frage treibt die Verantwortlichen vor Ort um, nicht nur beim Land Berlin, sondern auch in hunderten Standorten der Bundesverwaltung.

Ausdruck dessen sei unter anderem, dass es in der skandinavischen Metropole mit rund 1,3 Millionen Einwohnern kaum noch klassische Postämter gebe, weil die Einwohner größtenteils elektronische Zustellungswege nutzten. Diese positive Einstellung gegenüber der Digitalisierung führe zu Kosteneinsparungen und zum Erbringen qualitativ besserer staatlicher Leistungen, zeigte sich Jakobsen überzeugt. Außerdem präsentierte er das Kopenhagener Projekt “International House”. Dort arbeiten in einem Gebäude fünf unterschiedliche Behörden zusammen. Sie alle sind für Teilbereiche der Einwohnerregistrierung verantwortlich. Im Rahmen dieses Modells können Hinzugezogene ihre Anmeldung in der Stadt onlinebasiert durchführen. Anschließend muss der zuständige Sachbearbeiter nur noch – ebenfalls elektronisch – eine Einladung zum persönlichen Gespräch verschicken. Das Verfahren führe sowohl aufseiten der Behörde als auch bei den Kunden zu deutlichen Zeitersparnissen, meinte Jakobsen. Ebenfalls zu einer schnelleren Fallbearbeitung trage das Programm “F 2” der Firma cBrain bei. Die Software erlaube die Zusammenarbeit unterschiedlicher Mitarbeiter aus verschiedenen Behörden innerhalb einer Anwendung, erläuterte der Chief Operating Officer des Unternehmens, Robert Lentz. Das Programm, das von mehreren dänischen Ministerien genutzt werde, biete den Sachbearbeitern auch Checklisten für jeden Vorgang an und zeige dem Beschäftigten, wie weit fortgeschritten der Verfahrensablauf

Morten Ebbesen, Geschäftsführer von Siteimprove, zeigte sich davon überzeugt, das E-Government in Dänemark zu einem besseren Service bei gleichzeitig niedrigeren Kosten geführt habe. Foto: BS/Giessen

sei. Des Weiteren könne aus der Anwendung heraus unmittelbar ein elektronischer Brief an den Antragssteller geschickt werden. Gleiches gelte für Lösungen der Firma Siteimprove. Deren Geschäftsführer Morten Ebbesen betonte: “Unsere Lösungen führen zu einem effizienteren und erfolgreicheren Verwalten digitaler Auftritte.” Darüber hinaus verdeutlichte der Start-upGründer: “E-Government in Dänemark hat zu besserem Service bei geringeren Kosten geführt.” In diesem Zusammenhang erwähnte Ebbesen nicht ohne Stolz, dass in dem nordeuropäischen Königreich 81 Prozent aller Kommunalbehörden Software seines Unternehmens nutzten. Auf Landes- und Bundesebene seien es immer noch 64 Prozent. In Deutschland verwende Hamburg SiteimproveAnwendungen.

In Berlin hat sich Charlottenburg-Wilmersdorf als PilotBezirk freiwillig gemeldet. Nun steht die Inventarisierung an: Wie sieht die aktuelle Situation aus und welche Fachverfahren außer den bekannten existieren noch? Akzeptanz, Wille und das Bewusstsein seien vorhanden, so Fiedler. Ohne moderne Strukturen könne man künftig den Anforderungen der Bürger nicht mehr gerecht werden. “Wir sind selbst ein Teil der Konsolidierung”, sagte Hans-Georg Göhring, Direktor des ITZ-Bund, des zentralen IT-Dienstleisters der Bundesverwaltung. Ein großes Unterfangen: Auf 11.000 Servern summiere sich eine Datenmenge von elf Petabyte. “Zudem wachsen wir im Schnitt um 30 bis 70 Prozent im Jahr.” Dafür ertüchtige oder baue das ITZ-Bund neue große Rechenzentren im Raum Frankfurt/ Wiesbaden, Köln/Bonn und in Berlin. In der aktuellen Aufbau- und Konsolidierungsphase sei vor allem der Austausch mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wichtig. Denn neben dem Wunsch, die IT des Bundes möglichst schnell und kostengünstig zu konsolidieren, gebe es den berechtigten Wunsch, das Sicherheitsniveau zu erhöhen. “Das deckt sich nicht immer”, so Göhring. Aktuell gehe es dabei vor allem um die Ausgestaltung der Bundes-Cloud. Der zweite große IT-Dienstleister des Bundes, die BWI Informationstechnik GmbH, liegt seit Ende 2016 wieder zu 100 Prozent in den Händen des Bundes. Nach dem Ausscheiden von Siemens und IBM sei man nun als Inhouse-Gesellschaft nicht mehr nur für die nichtmilitäri-

Auf dem Podium (v. l. n. r): Moderator Carsten Köppl, Behörden Spiegel; Andreas Noack, CEO Stashcat/Heinekingmedia; Ulrich Meister, Geschäftsführer BWI Informationstechnik GmbH; Ines Fiedler, Vorständin ITDZ Berlin; Hans-Georg Göhring, Direktor ITZ-Bund; Hubert Ludwig, Geschäftsführer Datenverarbeitungszentrum MecklenburgVorpommern.

sche IT der Bundeswehr zuständig, sondern ebenfalls Teil und Akteur der Konsolidierung der Bundes-IT, sagte Geschäftsführer Ulrich Meister. Ein neuer Wind weht auch durch das Datenverarbeitungszentrum Mecklenburg-Vorpommern (DVZ). Nach Landtagswahl und Regierungsumbildung ist das DVZ nun beim Landesministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung angesiedelt, erklärte Geschäftsführer Hubert Ludwig. Als neue CIO ist Staatssekretärin Ina-Maria Ulbrich vor allem für das DVZ zuständig – das rund 70 Prozent des gesamtem IT-Budgets MecklenburgVorpommern, auf sich vereint. “Das findet man in anderen Ländern nicht”, so Ludwig. Die Fahnen standen in den vergangen Jahren auf Wachstum, die Mitarbeiterzahl hat sich von 200 auf 520 Personen erhöht. Der Geschäftsradius endet nicht an

den Landesgrenzen, man dürfe auch in anderen Bundesländern “räubern” und ebenso für die Privatwirtschaft Leistungen erbringen. Das funktioniere allerdings nur, wenn man mit den Standards privater Mitbewerber standhalten könne und konkurrenzfähig bleibe. Deshalb sieht Ludwig in der Personalgewinnung qualifizierter Mitarbeiter ein großes Anliegen. Den Messenger als neuen Standard zu etablieren, das versucht Andreas Noack, CEO bei Stashcat/Heinekingmedia. Ziel sei es, mobile und grenzüberschreitende Kommunikation und Datentransfer auf einer sicheren Plattform laufen zu lassen. “Die Polizei muss mangels Alternativen oft WhatsApp nutzen.” Gerade in der länderübergreifenden Zusammenarbeit ein Problem, so Noack. Es sei kaum möglich, ein Fahndungsfoto von einem Bundesland ins andere zu schicken, geschweige denn über na-

tionale Grenzen hinweg. Um dies zu ermöglichen, müsse das Rad nicht neu erfunden, sondern ein entsprechender Messenger verbessert und genutzt werden.

70 Prozent des gesamten IT-Budgets Mecklenburg-Vorpommerns liegen beim DVZ, erläutert Geschäftsführer Hubert Ludwig.


Digitaler Staat

Seite 36

Behörden Spiegel / Juni 2017

Projekt- und Veränderungsmanager gesucht

Raum für Innovationen

Althergebrachte Grundsätze des Beamtentums hinterfragen

Ideenmanagement bei einem IT-Dienstleister

(BS/jf) Die Idee des papierlosen Büros kann Jubiläum feiern. Seit 20 Jahren wird versucht, diesen Zustand zu (BS/jf) Können öffentliche IT-Dienstleister im Vergleich mit der Privatwirtschaft Schritt halten? Sie können erreichen. Genauso lange dauert nun die Digitalisierung der Verwaltung. Die Umwandlung der Prozesse wird nicht nur, sie müssen, wenn sie am Markt bestehen wollen. Das gelingt nur über die Entwicklung von Innovatioauch zu neuen Hierarchien und einem neuen Typ Führungskraft führen. nen, wie das Beispiel der DVZ Datenverarbeitungszentrum Mecklenburg-Vorpommern (DVZ M-V) GmbH zeigt. “E-Government muss zu den Top-Themen in Deutschland gehören”, unterstreicht Dr. Joachim Bühler, Mitglied der Geschäftsleitung Politik & Wirtschaft im Bitkom e. V. Die Verwaltung sei schließlich ein zentraler Faktor, warum Deutschland weltweit die viertstärkste Volkswirtschaft sei. Der Öffentliche Dienst habe die Industrialisierung und die soziale Marktwirtschaft ermöglicht, lobt Bühler. Nun müsse sie auch die Digitalisierung vorantreiben. “Sie können nicht einen Antrag per Fax fordern, wenn der Bürger gar kein Fax mehr besitzt.” “Wir haben in der nächsten Legislatur ein großes Aufgabenpaket zu stemmen”, bestätigt Kai Whittaker, Mitglied des Deutschen Bundestages der CDU/ CSU-Fraktion. Angefangen bei der Infrastruktur, mit dem elektronischen Personalausweis für alle Bürger und der Vernetzung der Datensilos in den Behörden bis zu einem Verantwortlichen in der Politik, der “das Thema in die Köpfe treibt”. Dafür solle eine Art Agentur eingerichtet werden, die verbindliche Standards für alle festlege und entsprechend budgetär ausgestattet, so der CDU-Politiker. “Wir haben in Berlin ernst gemacht mit der Digitalisierung und uns selbst unter Druck gesetzt”, berichtet Sabine Smentek, Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Grund sei das EGovernment-Gesetz der Haupt-

Diskutierten über den Arbeitswandel in der digitalen Verwaltung: Kai Whittaker, Silvia Bechtold, Olaf Schwede, Moderator Guido Gehrt, Sabine Smentek und Dr. Joachim Bühler. v.l.n.r. Fotos: BS/Giessen

stadt, wonach bis zum 1. Januar 2030 sämtliche Prozesse ausschließlich elektronisch ablaufen sollen. Aktuell werde ein Masterplan für die konkrete Umsetzung erarbeitet, selbstverständlich unter Einbeziehung der Beschäftigten und der Führungskräfte. Trotz aller Intensität, mit der das Thema diskutiert werde, dürften die Beschäftigten nicht übergangen werden, warnt auch Olaf Schwede, Leiter der Abteilung Öffentlicher Dienst/Beamte/Mitbestimmung im DGB Bezirk Nord. Die Digitalisierung verändere nicht nur die Arbeitsprozesse, sondern auch die Arbeitszeiten. Unklar seien zudem die Auswirkungen auf Hierarchien, Verwaltungskultur und Führungsverhalten. “Wenn die Hälfte der Beamten und Tarifbeschäftigten nicht präsent sind, bekommen die Anwesenden dann sämtliche kurzfristigen Aufgaben?”, fragt der Gewerkschafter. “Wir

brauchen andere Führungskräfte”, lautet die Lösung von Silvia Bechtold, Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsamtes (BVA). Ihre Behörde habe 150 Aufgaben, die mehr oder weniger standardisiert seien. Durch die Umstellung auf elektronische Prozesse änderten sich nicht nur Abläufe, “das hat auch was mit Hierarchieabbau zu tun”. Die neuen Führungskräfte müssten sich zu Projekt- und Veränderungsmanagern entwickeln. “Diese Menschen müssen die Digitalisierung von Herzen wollen”, so die Vizepräsidentin. Die Verwaltung müsse es zudem zulassen, dass Führungskräfte im gehobenen Dienst mehr Verantwortung übernähmen. Das setzte aber auch Änderungen im Besoldungs- und Tarifrecht voraus. “Überhaupt müssen die althergebrachten Grundsätze des Beamtentums hinterfragt und neu interpretiert werden”, betont Bechtold.

Stadt. Land. Digital. Verwaltung modernisieren, Städteordnung von 1808 überwinden (BS/ein) 20.000 Verwaltungen an 40.000 Standorten: “So sieht das “Betriebssystem Deutschland” aus”, erklärte Marco Brunzel von der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH. “Ein Modell, das weiterhin nach der preußischen Städteordnung von 1808 funktioniert.” Gerade für regionale Strukturen mit vielfältigsten Aufgaben in wandelnder Umgebung reiche das nicht mehr aus. “Wenn wir die Zukunft wirklich gestalten wollen, müssen wir mutig sein, Neuland betreten und auch mal scheitern dürfen”, unterstrich Brunzel. Es fehle auch an Fördergeldern. Wirklich innovative Ideen und auch kürzere Projekte müssten mit mehr Mitteln des Bundes unterlegt werden. Gleichzeitig würden auch Kooperationen wichtiger: In der Region RheinNeckar nutzten mittlerweile 66 Kommunen gemeinsam ein regionales Service-Center. Die CIOs der drei Länder RheinlandPfalz, Baden-Württemberg und Hessen arbeiten gemeinsam an E-Government- und Modernisierungsvorhaben. Das Kooperationsdenken überwiegt traditionell auch in Kopenhagen. Heute mehr denn je eine Notwendigkeit: Die Stadt

Morten Kabell ist Technischer Bürgermeister der Stadt Kopenhagen.

will bis 2025 die weltweit erste Hauptstadt ohne CO2-Emissionen werden. Das funktioniere nur auf smartem Wege, sagte Morten Kabell, Technischer Bürgermeister Kopenhagens. Alleine schon das jährliche Bevölkerungswachstum von rund zwei Prozent sei ohne digitale Entwicklung nicht nachhaltig zu bewerkstelligen. Das gelte vor allem für den städtischen Verkehr. “Wir haben bereits 40 Mio. Euro in neue smarte LEDStraßenbeleuchtung investiert, sparen damit nicht nur Geld, sondern verbessern mit natürlicherem Licht gleichzeitig die Sicherheit und können jede einzelne neue Laterne steuern.” Mittels Kameras, die ausschließlich Fahrzeuge, aber keine Gesichter identifizieren, werde der Verkehr gelenkt, grüne Wellen für Fahrradfahrer erzeugt und Lastwagen zügig durch die Stadt gelotst. “Für jeden Stopp und jedes Wiederanfahren an einer Ampel verbraucht ein Lkw bis zu einem Liter Diesel” – CO2- und Stickoxid-Emissionen, die man sich in Kopenhagen sparen will. Schon jetzt machen Fahrräder 41 Prozent des Straßenverkehrs aus – für Kabell eine Voraussetzung für mehr Effizienz. Ziel der dänischen Hauptstadt ist es, im Schnitt die Hälfte aller Verkehrsteilnehmer aufs Rad zu bekommen. Die Dänen unterschieden sich in ihrer Bequemlichkeit aber keineswegs von anderen Nationen. “Es ist aber 30 Prozent schneller als mit dem Auto zu fahren.” In Ham-

burg können sich Autofahrer künftig über eine App passende Parklücken anzeigen lassen. Nicht nur das: Das System zeigt auch den schnellsten Weg dorthin, errechnet die Kosten und integriert eine Bezahlfunktion. “Wir verbauen gerade 11.000 Sensoren im Straßenraum der Hansestadt und machen damit die aktuelle Belegung von Parkplätzen transparent”, sagte Ulf Jasser, zuständig für Public Solutions bei T-Systems International. Das Portal “Park& Joy” soll im dritten Quartal 2017 starten und nicht nur die Parkplatzsuche erheblich erleichtern, sondern auch Emissionen sparen helfen. In Hamburg treffen neue Ideen und Technik auf fruchtbaren Boden. Verwaltungsmodernisierung sei ihr ein Herzensanliegen, erklärte Renate Mitterhuber, zuständig für E-Government und IT-Steuerung bei der Freien und Hansestadt Hamburg. “Das hört nie auf – man kann es bis zur Pensionierung betreiben.” Ob E-Akte, Smart Ambulance oder nun beim modernen Service-Konto: Nach vielen Projekten und mit seinen mittlerweile immerhin 80 Online-Diensten stehe Hamburg doch erst am Anfang der Entwicklung. Künftig wolle die Elbstadt “digital first” hoch halten, stetig mehr Leistungen zuerst digital zur Verfügung stellen, mehr Ideen aus den Reihen der eigenen Verwaltung aufgreifen und die Nutzerperspektive von Beginn an stärker mitdenken, so Mitterhuber.

“Wir sehen uns als Dienstleister für die Verwaltung”, betont Hubert Ludwig, Geschäftsführer der DVZ M-V GmbH, eingangs eines Fachforums. Wiederkehrende Leistungen würden deshalb selbst erbracht, Einzelleistungen eingekauft. Letzteres komme aber höchst selten vor, verrät der Geschäftsführer. Zur Erbringung von Dienstleistungen gehöre aber auch die Sanktionierung. “Wenn wir die an uns gestellten Leistungen nicht erfüllen, zum Beispiel die Verfügbarkeit der Dienste nicht gewährleisten, müssen wir an die Verwaltungen Strafzahlungen leisten.” Doch nicht nur aus diesem Grund sei das Verhältnis zwischen dem Dienstleister und der Verwaltung besonders: “Wir sind eine Gesellschaft der öffentlichen Hand, ebenso wie unser Aufsichtsrat. Und auch unser

einziger Kunde ist die öffentliche Hand”, so Ludwig. “Die Verwaltung muss nicht nur innovativ, lern- und reaktionsfähig sein, sie kann es auch”, bringt es Nicole Röttger, zuständig für die Geschäftsfeldentwicklung im DVZ M-V, auf den Punkt. Der neue Personalausweis mit der eID sei ein gutes Beispiel dafür. “Wir wollen diejenigen sein, die die Verwaltung der Zukunft gestalten.” Im DVZ habe man daher einen eigenen Innovationsprozess aufgesetzt. Und nicht nur das: Eine eigenständige Einheit sei eingerichtet worden, die denken dürfe und dafür auch extra Räume bekommen habe. Am Beginn des Prozesses stehe mit der “Denkbar” ein technisches Tool, in dem Ideen aufgeschrieben und kommentiert werden dürften. Würden diese von einer Fachabteilung aufgegriffen, werde die

Idee mittels Design Thinking weiterentwickelt und bewertet. Die nächsten Schritte seien dann die Überführung in ein Produkt, eine Leistung und die Vermarktung der Innovation. “Entscheidend für Innovationen ist ein ganzheitlicher Ansatz”, führt Dr. Peter Triller, Leiter der Abteilung Fachapplikation, weiter aus. Dafür sei die E-Akte der richtige Treiber, nicht die Digitalisierung. Diese stehe zwar für die papierlose Kommunikation, die E-Akte sei für die aktenbasierte Verwaltung jedoch der wichtigere Ansatz. Dabei seien jedoch die Gewaltenteilung und das Ressortprinzip immer wieder hinderlich. Statt der gemeinsamen Nutzung einer Software würden aufgrund dieser beiden Prinzipen mehrere Programme genutzt und damit Synergieeffekte nicht genutzt.

Es kommt auf die Kontexte an Conversational Interfaces bieten zahlreiche Vorteile (BS/mfe) Sie ermöglichen die intuitive Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Sie sind natürlichsprachige Schnittstellen und agieren mit “Machine-learning-Algorithmen”, die Angaben von Bürgern analysieren sollen: “Conversational Interfaces”. Damit sie aber richtig arbeiten und auch die Mitarbeiter in Verwaltungen entlasten können, müssen sie ausreichenden und passgenauen Daten gefüttert werden. Das meint Mark Lubkowitz von msg Research. Er unterstrich: “Conversational Interfaces leben vom Kontext.” In sie hinein programmiert werden müssten unter anderem verschiedene Äußerungsmöglichkeiten eines Begriffs, Adressen, personenbezogene Daten oder auch Angaben zu bereits getätigten Bestellungen jedes Einzelnen. Nur dann könnten sie Menschen im Alltag tatsächlich unterstützen. Dafür hätten die Systeme grundsätzlich einen großen Vorteil: Sie richteten sich nach dem Anwender und nicht umgekehrt, verdeutlichte Lubkowitz. Und sie wiesen noch andere Vorzüge auf. So könnte mit Conversational Interfaces etwa barriere-, bedien- und sprachfrei agiert werden. Außerdem brächten sie die Digitalisierung voran und entlasteten Mitarbeiter. Im Öffentlichen Dienst genutzt werden könnten sie beispielsweise für die Bewältigung wiederkehrender, strukturierter oder zielorientierter Aufgaben. Bedingung dafür sei allerdings, dass die entsprechenden Vorgänge bereits digitalisiert worden seien.

Sei dies der Fall, könnten diese Schnittstellen zum Beispiel für die Reservierung von Wunschkennzeichen, zur Verlängerung von Parkausweisen oder zur Meldung von Ampelstörungen genutzt werden. Gleiches gelte für die Abmeldung von Fahrzeugen, zeigte sich Lubkowitz überzeugt. Künftig möglicherweise denkbar wären auch eine Verlängerung von Personalausweisen oder die Ummeldung von Bürgern auf diesem Wege, meinte er. Eben diese Orientierung an den Bedürfnissen der Bürger als Kunden mahnte in Bezug auf Datenplattformen auch Dr. Stephan Melzer, Geschäftsführer des Unternehmens minnosphere, an. Er appellierte an die Zuhörer: “Fassen Sie den Bürger in seiner Gesamtheit auf!” Zugleich zeigte sich der CEO überzeugt: “Datengetriebene Geschäftsmodelle sind das Kernelement der digitalen Transformation.” Damit diese jedoch gelinge, komme es entscheidend darauf an, dass Datenplattformen domänenübergreifend genutzt werden könnten und sie untereinander vernetzt seien.

Des Weiteren müssten solche Lösungen in der Lage sein, “machine learning” zu betreiben. Und noch etwas sei wichtig: Auf Datenplattformen müssten die Rollen getrennt werden. Dort müsse es klar definierte Datenerzeuger, -eigentümer und -nutzer geben, verlangte Melzer. Nur wenn diese Aufteilung sichergestellt sei, führten Datenplattformen auch zu einem Mehrwert für die Nutzer und zu Innovation. Außerdem müssten derartige Lösungen die Kontrolle, Transparenz und Effizienz der Datenflüsse garantierten können, meinte der minnosphereGeschäftsführer. Der Innovationsbeauftragte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Donatas Valys, schließlich unterstrich, dass der Digitalisierungsprozess auch alle Bereiche seiner Behörde betreffe. Gleiches gelte für zahlreiche Schnittstellen zwischen dem BAMF und anderen Organisationen. Ungeachtet dessen gab sich Valys abschließend selbstbewusst: “Innovationen sind auch in Ämtern und im Öffentlichen Dienst im Allgemeinen möglich.”

Volles Haus

Mit über 720 Besuchern und komplett ausgebuchter Ausstellungsfläche verzeichnete der 1. Fachkongress Digitaler Staat einen wahren Besucher- und Ausstelleransturm, der hin und wieder den Veranstaltungsort, das DBB Forum in Berlin, an seine Kapazitätsgrenzen brachte. Es gab viele Gespräche auch abseits des Programms, persönliche Treffen, Interviews und Kundengespräche. Die Dynamik der Digitalisierung war auch auf dem Kongress deutlich spürbar.


Digitaler Staat

Behörden Spiegel / Juni 2017

Projekt digitaler Föderalismus

W

arum gibt es keinen digitalen Umzugsservice der Verwaltung? Wieso müssen Bürger bei der Kfz-Anmeldung aufs Amt? Und wann kann man Amtsgeschäfte mit dem Smartphone erledigen? Technisch gesehen ist schon jetzt vieles umsetzbar. Die deutlich größere Herausforderung ist die digitale Transformation der politisch-föderalen Strukturen Deutschlands.

Drei Zukunftsszenarien Mit dem “Trendreport Digitaler Staat” haben die Prognos AG und der Behörden Spiegel den “digitalen Föderalismus” untersucht. Hierfür wurden drei mögliche Entwicklungsszenarien der digitalen Verwaltung im Jahr 2030 entwickelt: In der “digitalen Inselwelt” hat die Digitalisierung der Verwaltungen eine zerklüftete Inselwelt hinterlassen. Nachdem es in den 2010er-Jahren nicht gelungen war, ein gemeinsames Digitalisierungsprogramm für alle staatlichen Ebenen zu vereinbaren, haben sich einzelnen Vorreiter in Bund, Ländern und Kommunen alleine auf den Weg gemacht. Seitdem gibt es ein Deutschland der vielen Geschwindigkeiten im Bereich der Digitalisierung. Im Szenario “die Tour” wurde eine gemeinsame Digitalisierungsstrategie 2030 von Bund, Ländern und Kommunen verabschiedet. Seitdem werden gemeinsam Standards definiert und zentrale Bausteine der digitalen Verwaltung. Die Umsetzung liegt nach wie vor in der Verantwortung der föderalen Akteure, aber auf Basis gemeinsamer Schnittstellen ist ein Wettbewerb um die besten Lösungen entbrannt.

Im Spinnennetz Im Szenario “im Spinnennetz” laufen im Jahr 2030 beim Bund alle Fäden zusammen. Das neu geschaffene Bundesamt für öffentliche IT kontrolliert die digitale Verwaltung und gibt Standards, Portale und IT-Systeme für Länder und Kommunen vor. Dafür steht der Bund in hohem Maße in einer Finanzierungsverantwortung. Aus Bürgersicht hat die starke Rolle des Bundes durchaus zu einer Vereinheitlichung der digitalen Verwaltungsangebote geführt. Allerdings leiden in einem zunehmenden Maße Agilität und Innovationskraft unter den zentralen, aber langsamen Vorgaben des Bundes.

Seite 37

Neuer Trendreport “Digitaler Staat” vorgestellt (BS/ckö) Der digitale Wandel ist in den öffentlichen Verwaltungen angekommen. Wie weit ist er vorangeschritten und auf welche Probleme stoßen Bund, Länder und Kommunen bei der Umsetzung? Der Trendreport Digitaler Staat zum Thema “Projekt Digitaler Föderalismus” von der Prognos AG und dem Behörden Spiegel liefert Antworten. Der Trendreport wurde auf dem Fachkongress Digitaler Staat vorgestellt. In einer Betrachtung der Akteurslandschaft zeigt sich, dass sich der IT-Planungsrat zwar als Bindeglied zwischen der IT-Steuerung von Bund und Ländern etabliert hat, dass aber wichtige Akteure fehlen oder eher schwach vertreten sind.

Wichtige Akteure nicht an Bord

Nationales E-Government Kompetenzzentrum

Wirtschaft Anbieter AWV

ITZ-Bund

Öfit Ressorts

Wissenschaft

So nehmen beispielsweise die Kommunen eine schwache Position ein. Weitere Akteure sind nur am Rande in die nationale E-Government Agenda Länder eingebunden. LandesDies betrifft zurechnungshöfe allererst die Bürger, die in ihrer Rolle als Endnutzer nicht vorkommen. Aber auch Wirtschaft und Wissenschaft sind nicht prominent vertreten.

Innovationen für den Staat Einen großen Teil des Reports nehmen Möglichkeiten zu mehr Innovationen für den digitalen Staat ein. Der Trendreport beschreibt unter anderem Digital Service Teams, wie sie zum Beispiel in Großbritannien, Australien und den USA zum Einsatz kommen. Eine andere Methode sind sogenannte Government Labs, in denen Akteure aus Verwaltung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenkommen, um praxisorientiert neue Ideen und Innovationen zu erproben. Beispiele hierfür sind das dänische MindLab oder das eGovLab in Schweden. Für den Trendreport wurden Interviews mit 13 Experten aus Verwaltung und Wissenschaft geführt, u. a. mit Klaus Vitt,

Digital Gipfel

CIO

IT-Rat

Kanzleramt

Bund Bundesbeauftragter für den Datenschutz

FM-Konferenzen

CIOs Föderale IT-Kooperation

Regierungen BUN

DES

RAT

IT-Planungsrat

IT-Dienstleister Landtage

Kommunale Spitzenverbände

Rathaus

Kommunale Rechenzentren

Landkreise

Gemeinden

Kommunen Städte

Eine solche föderale Strategie muss auf höchster politischer Ebene von Bund und Ländern verabschiedet und durchgesetzt werden, mit Federführung beim Bund. • IT-Planungsrat stärken / Föderale Digitalisierungsanstalt Normengründen: Der ITkontrollrat Planungsrat als Bundestag zentraler “Hüter” der Strategie Bundesbedarf einer rechnungsföderalen Anhof stalt für DigiBundesamt talisierungsfür Sicherheit fragen mit in der Informationseinem zentechnik tralen Budget, welches der Bund mit Eigenanteilen der Länder finanziert. • Finanzielle Anreizsysteme für innovative Bürger Verwaltungen: Das Stilllegen veralteter und inkompatibler IT-Systeme könnte etwa in Form eines Legacy-Budgets zugunsten von neuen Systemen gefördert werden. Auch könnten auf diese Weise gehobene Effizienzdividenden zu einem gewissen Prozentteil als unge-

bundener Titel bei den Behörden verbleiben. Zusammenarbeit mit der Wirtschaft suchen: Um sowohl organisatorischen als auch kulturellen Wandel zu forcieren, gilt es, personell verstärkt den Austausch mit der Privatwirtschaft zu suchen. Ein Beispiel, wie das gelingen kann, zeigen Digital Service Teams. Dabei werden Mitarbeiter von Technologiekonzernen mit Digitalisierungsspezialisten aus der Verwaltung zusammengebracht, um gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln. Dabei verstärken die zeitweise beschäftigten Tech-Talente nicht nur die technische Expertise des Staates, sondern tragen auch neue Arbeitsweisen und Methoden in die Verwaltung. Innovation durch coopetition: Wenn Bund, Länder und Kommunen und ihre IT-Dienstleister ebenenübergreifend um die besten Lösungen wetteifern, bekommen Bürger, Unternehmen und Verwaltungen Best-in-ClassDigitaldienstleistungen. So entsteht (markt-)wirtschaftlicher Druck auf öffentliche Anbieter, der zur weiteren Konsolidierung durch Professionalisierung, Arbeitsteilung und Standardisierung der IT-Systemhäuser führt. Nutzerbasis vergrößern: E-Government muss in Kooperation mit Sozialversicherungsträgern, Banken und E-Commerce-Anbietern gestaltet werden. Nutzer einbeziehen: Bürger sollten frühzeitig in die Digitalisierung der Verwaltung einbezogen werden, z. B. durch sogenannte Government Labs.

Der IT-Planungsrat ist der zentrale Akteur im föderalen E-Government, es fehlen ihm aber noch wichtige Verbindungen, zum Beispiel zu den Bürgern und zur anwendenden Wirtschaft. Grafik: Trendreport/Dach

Bundes-CIO, Lars-Frelle Petersen, der Direktor Dänischen Digitalisierungsagentur, Roland Ledinger, IKT-Leiter des Bundes aus Österreich, und Katrin Lange, Staatssekretärin in Brandenburg und Vorsitzende des IT-Planungsrates.

Die wichtigsten Fakten des Trendreports • Die Digitalisierung der Verwaltung findet mehr öffentliche Beachtung. • Deutschland ist im internationalen Vergleich Mittelmaß.

• E-Government findet ohne die Beteiligung wichtiger Akteure statt, z. B. Banken, Sozialversicherungen, Bürger und Unternehmen.

Die zentralen Handlungsempfehlungen • Digitale Verwaltung muss Chefsache in Bund und Ländern werden: Die Digitalisierung der Verwaltung braucht ein starkes politisches Mandat und eine klare, gemeinsame Vision und Strategie für die Verwaltung von morgen.

Den “Trendreport Digitaler Staat” 2017 finden Sie unter www.digitaler-staat.org/trendreport/ zum Download.


Digitaler Staat

Seite 38

“K

lassische Ansätze der Ha ush altskons o lid ierung liefern oft nur kurzfristige Einsparerfolge, aber keine nachhaltige Konsolidierung” mahnt Marcel Hölterhoff, Bereichsleiter Managementberatung bei der Prognos AG. Notwendig sei deshalb eine Ausrichtung der Konsolidierung an den langfristigen Rahmenbedingungen der Kommunen und ihren strategischen Leitzielen und Schwerpunkten. In die strategische Haushaltskonsolidierung müsse daher eine Trend- und Strategieanalyse als Kernelement integriert werden. Dr. Bernd Eckstein, Leiter für den Public Sector Vertrieb bei DATEV, betonte, dass es hierbei aber auch wichtig sei, sich realistische Ziele zu setzten. Er habe es oft erlebt, dass man sich zu hohe Ziele gesetzt habe und dann daran gescheitert sei. Er legt den Städten daher eine “Politik der kleinen Schritte” bei der Konsolidierung ans Herz. Köln richtet seinen Fokus bei der Haushaltskonsolidierung auf ein generationengerechtes Finanzmanagement. “Wir arbeiten hier mit Zukunftsszenarien, die wir in unsere einzelnen Bereiche herunterbrechen”, erklärt Gabriele C. Klug, Stadtkämmerin von Köln. Die Generationsgerechtigkeit sei auch ein wichtiges Argument gegen die Politik, so Klug. “Man darf den Haushalt nicht nur für ein Jahr im Blick haben.” Konsolidierungspotenziale gibt es auch im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit. Im Hessischen Oestrich-Winkel

Behörden Spiegel / Juni 2017

Kommunen zukunftsfähig aufstellen Kongress diskutiert Weichenstellungen für das nächste Jahrzehnt (BS/Lora Köstler-Messaoudi) In vielen kommunalen Haushalten klafft die Schere zwischen Aufwendungen und Erträgen immer weiter auseinander. Haushaltsdefizite sind zunehmend nicht die Folge kurzfristiger Ausgabespitzen oder volatiler (Gewerbe-)Steuereinnahmen, sondern struktureller Natur.

Aspekte wie Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit, aber auch die Ausweitung der interkommunalen Zusammenarbeit spielten eine große Rolle in der Diskussion mit Kölns Stadtkämmerin Gabriele C. Klug, Marcel Hölterhoff, Prognos AG, Michael Heil, Bürgermeister Oestrich-Winkel, und Dr. Bernd Eckstein, DATEV. Links Moderator Guido Gehrt, Behörden Spiegel. Foto: BS/Giessen

hat man daher die Zusammenarbeit mit den Nachbarschaftskommunen erweitert, berichtet Michael Heil, Bürgermeister der 12.000-Einwohner-Stadt. Es sei hier erstaunlich einfach gewesen, alle Fraktionen davon zu überzeugen, dass interkommunale Zusammenarbeit “nicht wehtut”. Man fange jetzt auch an, über eine Zusammenarbeit im sozialen und kulturellen Bereich zu sprechen. Eine gänzliche Zusammenlegung der Kommunen komme aber nicht in Betracht. “Das ist nicht ge-

wünscht. Gerade in kleinen Städten gibt es noch ein starkes Wir-Gefühl”, so Heil.

Kommunales Beteiligungsmanagement Ein weiteres Forum auf dem Kongress setzte sich mit dem kommunalen Beteiligungsmanagement auseinander. Strom, Wasser, Abfallentsorgung, Verkehr und Wohnen. Der größte Teil der von Kommunen erbrachten Wertschöpfung findet heutzutage nicht mehr innerhalb der Verwaltung statt,

Moderne Finanzkontrolle Tätigkeitsspektrum ausgeweitet – auch IT ein Thema

sondern wird von kommunalen Unternehmen erbracht. Seit den 1990er-Jahren ist die Zahl kommunaler Unternehmen in Deutschland stark angestiegen. Aus der zunehmenden Größe und Komplexität kommunaler Beteiligungsportfolios sowie aus den anspruchsvolleren Rahmenbedingungen für die öffentliche Wirtschaft ergibt sich die Gefahr einer Verselbstständigung kommunaler Unternehmen. Als Antwort auf diese neue Situation bauten zahlreiche Städte inzwischen ein Beteiligungsmanagement auf. Der Gesetzgeber hat den Kommunen über die Gemein-

deordnungen bereits gewisse Pflichten zur Steuerung ihrer Beteiligungen auferlegt. Darüber hinaus haben zahlreiche Städte ein weitaus differenzierteres Steuerungsinstrumentarium geschaffen. Leipzig hat für sein Beteiligungsmanagement beispielweise extra ein eigens ausgelagertes Unternehmen geschaffen. André Tegtmeier ist Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft für Beteiligungsverwaltung Leipzig mbH. Er machte darauf aufmerksam, dass öffentliche Unternehmen heute in fast allen Branchen im Wettbewerb zu Privaten stehen. Öffentliche Unternehmen müssten den Wettbewerb annehmen, wenn sie nicht vom Markt verschwinden wollten. Eine aktive Beteiligungssteuerung könne die kommunalen Unternehmen hierbei unterstützen, und gleichzeitig eine Verselbstständigung der Unternehmen verhindern. Der Hessische Rechnungshof hat sich das Beteiligungsmanagement mehrerer Kommunen genauer angeschaut und diagnostiziert, dass die strategische und operative Steuerung vieler Beteiligungsgesellschaften noch ausbaufähig sei. Ferner würden Kommunen vielfach auf Einwirkungsmöglichkeiten verzichten, wie Dr. Ulrich Keilmann, Leiter der Überörtli-

chen Prüfung beim Hessischen Rechnungshof, erläuterte. Hier lenkte Keilmann besondere Aufmerksamkeit auf die Sparkassen. Sie würde im Rahmen des Beteiligungsmanagements viel zu wenig Beachtung finden. Zudem würden kommunalen Trägern hier oft wesentliche Informationen fehlen. Kommunale Träger von Sparkassen sollten die gleichen Informationsrechte erhalten, wie Eigentümer eines öffentlichen Unternehmens, forderte der Rechnungsprüfer.

Kommunale Gesellschafter begünstigen Kreditwürdigkeit Auch Ratingagenturen werfen ein genaues Auge auf öffentliche Unternehmen. Die Ratingagentur FitchRatings hat hierfür zwei unterschiedliche Ansätze, wie Guido Bach, Senior Director bei Fitch, erläuterte. Demnach unterscheidet Fitch beim Rating öffentlicher Unternehmen zwischen “credit-linked entities” (CLE), Unternehmen, die finanziell eng mit ihrer Kommune verknüpft sind, und “non-credit-linked entities” (NCLE), bei denen es sich um unabhängig operierende Unternehmen handelt, bei denen keine finanzielle Abhängigkeit besteht. Die meisten kommunalen Unternehmen wären als CLEs einzustufen. Sie würden dann entweder analog zu ihrer Kommune geratet, könnten aber auch bis zu drei Ratingstufen heruntergesetzt werden. Da öffentliche Unternehmen insgesamt risikoarm bewertet würden, stuften Banken und Ratingagenturen bislang auch die Ausfallwahrscheinlichkeit von Krediten an kommunale Unternehmen als vergleichsweise gering ein.

Vorfahrt für Investitionen

(BS/gg) Staatliche Finanzkontrolle hat in der Außendarstellung in der Vergangenheit (und teilweise heute noch) oftmals mit dem Image des etwas antiquierten “Erbsenzählers” zu kämpfen. Zu Unrecht, denn die Be“Gute” Investitionen fokussieren / Forderungsmanagement optimieren hörden sind nicht nur modern aufgestellt, sondern haben ihr Aufgabenspektrum und ihren Wirkungsbereich in den letzten Jahren nicht nur ausgeweitet, sondern auch immer wieder flexibel an neue Herausforderungen (BS/lkm) In ihrem Kommunalpanel zeichnet die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) alljährlich ein bedenkangepasst. liches Bild des kommunalen Investitionstaus. Demnach verharrt der Investitionsrückstand auf hohem Niveau und nimmt sogar leicht zu. Erkannt hat man das auch in der Politik – zumindest im Wahlkampf. Martin Schulz, Kanzlerkandidat der SPD, will die Wähler in Deutschland nicht mit Steuergeschenken, sondern mit einer So hat man beim Hessischen massiven Investitionsoffensive für sich gewinnen. Rechnungshof, angesichts der Herausforderungen bei der Bewältigung des Flüchtlingsansturms, einen eigenen Sondersenat Flüchtlingswesen geschaffen, wie Dr. Walter Wallmann, Präsident der in Darmstadt ansässigen Behörde, auf dem Kongress berichtete. Bei der Prüfung der Kosten der Administration der Flüchtlinge habe man dann der besonderen Situation insbesondere in den Kommunen Rechnung getragen und nicht “jede Beschaffung von Zahnbürsten geprüft”, sondern einen risikoorientierten Ansatz gefahren. Beim Hessischen Rechnungshof hat man zudem verstanden, dass das “Schwert” der Behörde insbesondere in der Herstellung von Öffentlichkeit liegt und ist hier in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sehr aktiv, um die zahlreichen Themen und etwaige Missstände nach außen zu transportieren und so die gesellschaftliche und politische Diskussion zu befördern.

Strategische IT-Steuerung Die Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen (gpaNRW) ist nicht “nur” in der Prüfung und Beratung der Kommunen in NRW sehr aktiv, sondern bemüht sich ebenfalls – basierend auf ihren Praxiserfahrungen – gezielt Themen nach vorne zu bringen, bei denen es noch weitverbreitet Defizite gibt. Ein solches Thema ist die strategische IT-Steuerung. Christoph Gusovius, stellvertretender Präsident der gpaNRW, zeigte hier auf dem Kongress anhand Erkenntnissen aus den Prüfungen der IT in den Kommunen Verbesserungspotenzial auf. Dabei kann die Anstalt auf fast 15 Jahre Er-

Hans-Peter Busson (rechts) von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young ist seit über 20 Jahren im Public Sector in Projekten engagiert. Auch er stellte in dieser Zeit einen Wandel in den Institutionen der Finanzkontrolle fest. Repräsentanten dieser neuen Generation von “Prüfbehörden” sind Christoph Gusovius, gpaNRW und Dr. Walter Wallmann, Hessischer Rechnungshof (v. l.). Foto: BS Giessen

fahrung zurückblicken, schließlich ist IT seit der Gründung im Jahre 2003 Teil der Prüfung, seit 2008 sogar als eigenes Prüfgebiet. Mit Blick auf die Steuerung hat man dabei eine Reihe von Problemfeldern identifiziert und daraus eigene Positionen erarbeitet. Zentral dabei: In der Verwaltungsspitze werde IT oft nur formal verantwortet, dabei sei, so Gusovius, die strategische IT-Steuerung eine Kernaufgabe des Verwaltungsvorstandes. Die Qualität der Steuerung entscheide maßgeblich darüber, wie IT-Leistungen bereitgestellt würden. Gestaltungsfelder der strategischen IT-Steuerung seien sowohl das Betriebsmodell als auch das interne Steuerungssystem.

Erfolgskriterien für Kommunen Basierend auf ihren Erkenntnissen hat die gpaNRW eine Reihe von Erfolgskriterien für die IT-Steuerung in den Kommunen aufgestellt: • Ermöglicht das Betriebsmo-

dell effektive Einflussmöglichkeiten der Kommune auf die IT-Leistungen und die Kosten? • Ist im internen Steuerungssystem die Verantwortung für das Thema IT eindeutig geregelt? • Werden die Ziele der Verwaltungsführung und die Interessen der Leistungsabnehmer systematisch in die Formulierung von Anforderungen an die IT einbezogen? • Arbeiten IT und Organisation prozessorientiert und effektiv zusammen? Eine effiziente IT ist für Gusovius ohne effektive strategische Steuerung kaum denkbar. Umso wichtiger sei es, diese Steuerungskompetenz besser als bislang zu erkennen, diese zu entwickeln und zu nutzen. Die Verantwortung der Verwaltungsführung könne dabei nicht delegiert werden. Zudem müsse man bedenken, dass IT zwar wesentlich für die Abläufe in einer Verwaltung sei, aber auch eine gute IT-Lösung ineffiziente Prozesse nicht besser mache.

Einen Tag vor dem Kongress “Digitaler Staat” kündigte Schulz in der FAZ an, für ihn gelte “Vorfahrt für Investitionen” als ganz zentrales Anliegen. Dass die Schuldenbremse dabei einem Mehr an Investitionen nicht im Weg steht, machte Juliane Sarnes, Associate Analyst bei Moody’s, deutlich. Mit der Schuldenbremse sei keine generelle Trendwende bei den Investitionsausgaben einhergegangen. Vielmehr habe sich der Finanzierungsmix zugunsten der Finanzierung aus operativen Überschüssen statt Schulden, verschoben. Axel Bendiek, Leiter des Kreditreferats im Finanzministerium NRW, merkt jedoch an, dass die Schuldenbremse allein auf quantitative Konsolidierung setzt, ohne zwischen “guten” und “schlechten” Ausgaben zu unterscheiden. “Das soll keine Kritik an der Schuldenbremse sein, bedeutet aber, dass die Gewährleistung einer hohen Qualität der öffentlichen Finanzen künftig noch stärker in der Verantwortung des Haushaltsgesetzgebers liegt. Hier sind besondere Anstrengungen erforderlich, da viele wachstumsund nachhaltigkeitswirksamen Ausgaben freiwillig sind und somit leicht von gebundenen oder zwangsläufigen Ausgaben (Zinsen, Versorgung, flüchtlingsbedingte Mehrausgaben etc.) verdrängt werden könnten”, so Bendiek. Mit der Einführung der Schuldenbremse hätten sich, so Sarnes, aber ratingrelevante Indikatoren, wie beispielweise Haushaltsergebnisse und Verschuldung, signifikant verbessert. Geratet wird in

Deutschland derzeit noch keine Kommune, wohl aber in anderen Ländern: “Wir bewerten die Kreditwürdigkeit von Gebietskörperschaften in 30 Ländern weltweit. In diesen Ländern erfolgt ein unverkrampfter Umgang mit dem Thema Rating”, erläutert Alois Strasser, Director und Lead Analyst bei Standard & Poor’s. In Europa ratet Standard & Poor’s Gebietskörperschaften in vielen Ländern, in größerer Anzahl in Schweden und Frankreich. “Außerhalb Europas schätzen Gebietskörperschaften in Kanada, Neuseeland und Mexiko unsere Ratings als unterstützendes Element für ihre Finanzierungen”, so der Analyst. Stefan Heynen, Abteilungsleiter zentrale Vermögens- und Schuldenbewirtschaftung der Stadt Dortmund, hält ein Rating für Kommunen aber nicht notwendig. Dortmund beschaffe sich bereits 60 Prozent der Liquiditätskredite über den Kapitalmarkt. “Die Investoren interessiert hier nur eine Kennzahl, die Pro-Kopf-Verschuldung in der Kommune”, so Heynen. Neben Investitionen spielt auch das Forderungsmanagement eine zentrale Rolle in vielen Kämmereien. Beate Behnke-Hahne, Fachbereichsleiterin, Finanzbuchhaltung und Stadtsteueramt der Stadt Essen, sieht hier noch viel Nachholbedarf. “Das Beschwerdemanagement und die Redaktionsfähigkeit müssen in der Verwaltung noch deutlich zulegen”, so Behnke. Auch fehle eine zentrale Gläubigerfunktion. In Berlin sei man gerade dabei, ein zentrales Forderungsmanagement aufzubauen. Ein Bezirk werde dann zentral für

ganz Berlin übernehmen. “Auch die Zusammenarbeit mit externen Verwaltungshelfern ist dort angedockt”, berichtet Berlins Finanzsenator, Dr. Matthias Kollatz-Ahnen. Auch in Essen hat man sich zur Zusammenarbeit mit einem privaten Inkassounternehmen entschieden. “Wir haben mit dem Inkassounternehmen sehr positive Erfahrungen gesammelt. Es gab keine Beschwerden der Gläubiger und das Reporting war hochprofessionell”, berichtet Behnke. Babak Fahimi Shemrani, Busines Unit Manager bei Lindorff Deutschland, betont, dass vor allem kleine Kommunen nicht das notwendige Expertenwissen hierfür vorhalten könnten. Lindorff unterstütze bereits einige Städte. “Wir passen unsere Kommunikation dabei dem User an”, so Shemrani. So sei es möglich, den Gläubiger per Facebook, SMS oder auch mit einer Chat-Funktion zu kontaktieren. “Dadurch haben wir hohe Personaleinsparungen auch bei einfachen Prozessen.” Ein anderes Problemfeld, wo der Staat durch die Unterstützung Dritter seine Einnahmen erhöhen könne, sprach Heinrich Alt, ehemaliger Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, an. So zahle der Staat in viel zu vielen Fällen die Unterhaltsschulden säumiger Väter, weil diese oft nicht bekannt oder untergetaucht seien. “Die Landesrechnungshöfe haben erhebliche Mängel in diesem Bereich festgestellt”, so Alt. Durch die Beauftragung externen Know-hows könne der Staat an Ressourcen sparen und seine Einnahmen erhöhen.


ÖFIT

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 39

Monatliche Themenseite in Kooperation mit:

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

Juni 2017 beim Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme

Neuronale Netze: Wunderkinder der Rechnerwelt Künstliche neuronale Netze sollen Computern das Denken beibringen, indem sie wie Kleinkinder ihre Aufgabe lernen, statt per Hand ausprogrammiert zu werden. Dadurch kommen erstaunliche Leistungen zustande, deren genaue Funktionsweise aber selbst für die Entwickler ein Rätsel ist. Klassische Software basiert auf der Abarbeitung von Regeln. Computer führen Schritt für Schritt Befehle aus, die ihnen ein Entwickler vorgegeben hat. So ist vorhersagbar, welches Ergebnis eine Funktion mit bestimmten Eingangsparametern liefern wird. Um ein bestimmtes Problem zu lösen, müssen die Entwickler sich also im Vorfeld eine Lösungsstrategie überlegen, die sie anschließend in Quellcode abbilden. Diese Herangehensweise ist historisch begründet und hat sich für viele Problemstellungen bewährt. An seine Grenzen stößt diese Art der SoftwareEntwicklung immer dann, wenn es keine allgemeingültige Lösungsstrategie für ein Problem gibt oder eine solche sehr komplex ist. Um bspw. einfache Objekte auf Bildern erkennen zu können, müssen mit klassischen Verfahren der Bilderkennung komplexe mathematische Funktionen durchlaufen werden. Für jedes einzelne Objekt – etwa ein Ball, ein Baum oder ein Haus – muss eine individuelle Lösung kon-

Bei künstlichen neuronalen Netzen soll die Software durch Nachahmung biologischer Prozesse im menschlichen Gehirn selbstständig eine Lösung finden. BS: Foto/©vege, Fotolia.com

zipiert und anschließend programmiert werden. Neuronale Netze finden die Lösung selbstständig Einen völlig anderen Ansatz stellen sogenannte künstliche neuronale Netze dar. Anstatt festgelegte Regeln abzuarbeiten, soll die Software durch Nachahmung biologischer Prozesse im menschlichen Gehirn selbstständig eine Lösung finden. Dazu werden neuronale Netze trainiert. Um etwa einen Baum auf einem Bild erkennen zu können, wird das neuronale Netz mit einer Vielzahl von Trainingsdaten (Bildern mit und ohne Baum) durchlaufen. Das neuro-

nale Netz besteht aus mehreren Schichten von miteinander verbundenen künstlichen Neuronen, die die Funktionsweise ihrer biologischen Gegenstücke simulieren sollen. Über sogenannte Eingangsneuronen werden die zu analysierenden Daten in das neuronale Netz übertragen, das Ergebnis lässt sich an den Ausgangsneuronen ablesen. Im obigen Beispiel hat das neuronale Netz die Aufgabe, zu entscheiden, ob auf dem Bild ein Baum vorhanden ist oder nicht. Diese Trainingsdaten werden dem neuronalen Netz immer und immer wieder vorgelegt. Nach jeder Iteration passt sich die Konfiguration der Neuronen selbstständig an. Der Prozess wird solange wiederholt, bis eine hinreichende Treffergenauigkeit erreicht ist. Je nach Aufgabe kann dies tausende bis mehrere hunderttausend Durchläufe benötigen. Da diese Prozedur jedoch komplett automatisch ablaufen kann, ist das mit der heutigen Rechenleistung in vergleichsweise kurzer Zeit möglich.

Der Entwickler wird zum Trainer Die Herausforderung für die Entwickler besteht nun nicht mehr darin eine geeignete Lösung zu konzipieren und umzusetzen, sondern das Training so zu gestalten, dass das neuronale Netz möglichst korrekte Ergebnisse liefert. Die Auswahl geeigneter Trainingsdaten ist daher entscheidend. Sind sie unvollständig oder nicht eindeutig genug, kann es zu Fehlinterpretationen kommen. Da die Auswahl der Trainingsdaten durch Menschen erfolgt, können zudem Verzerrungen bspw. durch Vorurteile entstehen. Diese Verzerrungen gehen dann nicht nur in den Lösungsansatz, sondern auch in die Trainingsdaten ein und beeinflussen so die Ergebnisse des Netzes. Neben den Trainingsdaten ist die Trainingsmethode entscheidend. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze, wie etwa überwachtes Lernen oder bestärkendes Lernen. Auch kompetitives Lernen ist möglich, bei dem zwei neuronale Netze quasi gegeneinander antreten. Egal welche Methode eingesetzt wird, wichtig ist, rechtzeitig mit dem Training aufzuhören, damit das neuronale Netz seine Generalisierungsfähigkeit nicht verlernt. Hierbei spielt die Erfahrung der Entwickler eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse sind weder vorhersagbar noch nachvollziehbar Da sich neuronale Netze selbstständig anpassen und verändern, kann mit heutigen Methoden weder die Entwicklung des Netzes vorhergesagt noch im Nachhinein nachvollzogen werden, wieso ein neuronales Netz im Einzelfall zu einem

bestimmten Ergebnis gekommen ist. Das Netz ist eine Black Box, deren konkrete Arbeitsweise undurchschaubar ist. Zwar ist auf konzeptueller Ebene bekannt, nach welchen Methoden das neuronale Netz funktioniert und wie es sich selbst optimiert. Ob die Ergebnisse jedoch korrekt sind, ist immer mit einer Wahrscheinlichkeit behaftet. Bei der Analyse neuronaler Netzwerke besteht noch erheblicher Forschungsbedarf. Für den Einsatz in kritischen Systemen, die auf ein vorhersagbares Ergebnis angewiesen sind (bspw. Steuersysteme für Flugzeuge oder Kraftwerke), sind neuronale Netze daher nicht geeignet. In vielen Anwendungsfällen reicht es jedoch, dass die Ergebnisse mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit korrekt sind, etwa bei der Muster- oder Bilderkennung. Die zunehmende Rechenleistung und die stetig wachsende Menge verfügbarer Testdaten ermöglichen den Einsatz der Technologie in vielen Gebieten. In Smartphones kommen sie für die Stimmund Handschrifterkennung zum Einsatz oder zur Kategorisierung von Fotos auf der Speicherkarte. Moderne Assistenten wie Siri, Alexa oder Google Assistant wären ohne neuronale Netze nicht möglich. Nicht zuletzt aufgrund der Popularität solcher Anwendungen erfährt das Forschungsfeld der neuronalen Netze und der künstlichen Intelligenz derzeit eine Renaissance. Wie neuronale Netze genau funktionieren, lesen Sie im neuesten Beitrag der ÖFIT-Trendschau unter www.oeff entliche-it.de/trendschau.

Seminare im September 2017 Aus der Praxis für die Praxis Kompetenz für Fach- und Führungskräfte

www.fuehrungskraefte-forum.de Einsteigerkurs Vergaberecht

Von Anfang an in Bauprojekten erfolgreich handeln

Disziplinarrecht für Praktiker

Grundlagen und Praxis für Social Media Manager

01.09.2017 Düsseldorf

06.09.2017 Bonn

07.09.2017 Berlin

13. - 14.09.2017 Hamburg

Wirkungscontrolling in öffentlichen Verwaltungen

Vergaberecht für Auftragnehmer und Bieter

Beförderungsauswahl vor Gericht

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Behörden

Ausschreibungen von IT – praxisorientiert und rechtssicher

13. - 14.09.2017 Berlin

19.09.2017 Berlin

19.09.2017 Berlin

20. - 21.09.2017 Berlin

28.09.2017 Hamburg Bildnachweis: Uetliberg Uto Kulm


Informationstechnologie

Seite 40

Behörden Spiegel / Juni 2017

Vorhaben “KONSENS” auf Erfolgskurs

Als das Verwaltungsabkommen, das die Zusammenarbeit der Länder und des Bundes in KONSENS regelt, im Jahr 2007 in Kraft trat, bestand die Ausgangssituation in einer Vielzahl heterogener IT-Lösungen, die in der jeweiligen Hoheit der Länder entwickelt und betrieben worden waren und in den bundesweit ca. 620 Finanzämtern zum Einsatz kamen. Mit vereinten Kräften wurde seitdem an der gemeinsamen Zukunftsfähigkeit der IT gearbeitet und erfolgreich vereinheitlicht, modernisiert und fortentwickelt, sodass die IT der Steuerverwaltung heute erheblich leistungsfähiger aufgestellt ist.

Übertragung von einem System ins andere gehören in naher Zukunft der Vergangenheit an. Bei der Steuerfestsetzung und Steuererhebung wird so der Zugriff auf einen länderübergreifend synchronisierten Datenbestand gewährleistet.

Weniger Kosten und schnellere Entwicklung

Steigerung von Effizienz und Wirtschaftlichkeit

In Deutschland wird für die Bearbeitung der Steuerfälle mehr und mehr länderübergreifend einheitliche Software eingesetzt. Jede Neuprogrammierung oder Anpassung der Software erfolgt nur einmal und einheitlich für die gesamte deutsche Steuerverwaltung. Durch die Nutzung der so entstandenen Synergie steht neue oder geänderte Software heute bei deutlich sinkenden Entwicklungskosten wesentlich schneller zur Verfügung. Die einheitliche, übergreifende Festlegung der Benutzeroberfläche für die Programme erleichtert beispielsweise den Wechsel von Beschäftigten in ein anderes Bundesland. Zugleich erfolgt der Datenaustausch innerhalb der deutschen Steuerverwaltung ohne Medienbruch zuverlässig und zügig. Aktenabgaben zwischen den Ländern mit umständlicher

KONSENS bietet die Grundlage für die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens und steigert die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung: Durch ein einheitliches Risikomanagement wird die einfache und gleichmäßige Bearbeitung der Steuerfälle gewährleistet. Risikoarme Fälle werden zunehmend vollmaschinell bearbeitet (sog. “Autofälle”). Das hat zum einen zur Folge, dass die hochqualifizierten Beschäftigten der Finanzämter sich auf anspruchsvolle und risikobehaftete Steuerfälle konzentrieren können. Anderseits führen die Autofälle dazu, dass ein steuerrechtlicher Tatbestand in jedem Bundesland zum gleichen steuerlichen Ergebnis führt; was einen wichtigen Beitrag zur Steuergerechtigkeit darstellt. Durch KONSENS profitieren alle Länder gleichmäßig und oh-

Bundesweit einheitliche Software für das Besteuerungsverfahren (BS/Stefanie Bernhöft/Holger Siebentritt*) Die IT der föderal organisierten Steuerverwaltung wird im Länderverbund einheitlich entwickelt. Dieses erfolgreiche Vorhaben ist bekannt als “KONSENS” (KOordinierte Neue Software-Entwicklung für die Steuerverwaltung) und folgt bereits seit mehr als zehn Jahren dem Grundsatz: “Einer für alle” und sucht in dieser Ausprägung seinesgleichen in der deutschen Verwaltungslandschaft. Die durch KONSENS bereitgestellten IT-Produkte werden von allen Ländern verbindlich eingesetzt. Zusammen bilden die IT-Entwicklungs- und Betriebsstandorte der Länder und des Bundes das virtuelle Systemhaus KONSENS.

KONSENS ne Zeitverlust von den Maßnahmen zur Steuermodernisierung. Hierzu zählen bereits erfolgreich umgesetzte Verfahren wie die elektronische Bilanz (eBilanz), die elektronische Lohnsteuerkarte (ELSTAM) und ELSTER, das E-Government-Portal für die Steuerverwaltung. Die KONSENS-Software wird im Wesentlichen an den Standorten Düsseldorf, Wiesbaden, Hannover, München, Nürnberg und Stuttgart von etwa 650 ITFachkräften der Länder sowie 350 externen Spezialisten entwickelt. So wurden in den letzten Jahren rund 232 Softwarelösungen unterschiedlichster Größenordnungen entwickelt. Die Länder haben jeweils einen sehr großen Anteil von jeweils bis zu über 80 Prozent der bereit-

gestellten Produkte erfolgreich eingesetzt und arbeiten kontinuierlich am Einsatz weiterer Produkte.

Von KONSENS profitieren: Bürgerinnen und Bürger, steuerberatende Berufe und Finanzämter durch ELSTER, das bundesweit erfolgreichste E-Government-Verfahren: Über eine zentrale Kommunikationsplattform werden alle Steuererklärungen nach einheitlichem Datensatz bundesweit entgegengenommen. • Beschäftigte in den Finanzämtern, Bürgerinnen und Bürger, Versicherungen und Banken durch die vollautomatisierte Entgegennahme und Weiterverarbeitung von Daten im “KONSENS-Mitteilungs-

verfahren”. Hierauf basierend wird den Steuerbürgern beispielsweise eine weitgehend vorausgefüllte Steuererklärung zur Verfügung gestellt. • 120.000 Beschäftigte der Finanzämter bundesweit durch das einheitliche Dialogverfahren “KONSENS-Dialog” mit den darin integrierten Fachanwendungen. • Die Steuerverwaltungen aller Länder, denn jede neue gesetzliche Änderung wird in KONSENS nur einmal für alle Länder softwaretechnisch realisiert. Die Legislative erhält durch das IT-Systemhaus KONSENS bun-

desweit einheitliche Software, die stets die umfangreichen Änderungen der Steuergesetzgebung zeitnah und termingerecht berücksichtigt. Im Rahmen von KONSENS erfolgt eine Gesetzesfolgenabschätzung, die die Auswirkung auf das von 16 Ländern und dem Bund getragene Budget darstellt. Damit sorgt KONSENS für eine bisher nie dagewesene Kostentransparenz. KONSENS befindet sich auf einem erfolgreichen Kurs und sieht den kommenden Herausforderungen gespannt entgegen. Die IT der Steuerverwaltung ist für die Bürgerinnen und Bürger, für die steuerberatenden Berufe und für die Beschäftigten in den Finanzämtern ausgezeichnet aufgestellt und allen Anforderungen an die vielgestaltigen Änderungen des Steuerrechts in Deutschland gewachsen. *Stefanie Bernhöft und Holger Siebentritt arbeiten in der Geschäftsstelle KONSENS Nordrhein-Westfalen im Finanzministerium NRW.

Mentale Transformation Verwaltung 4.0: neuer Servicekern im digitalen Zeitalter (BS/Wilfried Kruse*) Mit seiner in den letzten fünf Jahren stark angestiegenen Zahl von rund 450 Teilnehmern sowie der deutlich gestiegenen Nachfrage von Sponsoren und Ausstellern zieht der NRW-Leitkongress zum Thema “E-Government 4.0” in diesem Jahr in die Stadthalle / das Dorint Hotel in Neuss um. Damit stehen optimierte und komfortablere Möglichkeiten zur Verfügung, den Kongress aktiv zu erleben und auf neuem Niveau mitzugestalten. Zugesagt hat für die Key Note ferenten vorgesehen. Der Konzum Leitthema der “Mentalen gress will damit einen weiteren Transformation im digitalen Beitrag und Impulse liefern, Zeitalter” bereits wieder der die Digitalisierung in Land und NRW-CIO Hartmut Beuß, der Kommunen in NRW voranzupersönlich und mit Beiträgen, treiben. Ein besonderer Fokus aus seiner CIO-Mannschaft die gilt den zukünftigen elektroniProgrammplanung und den schen Leistungsanforderungen Kongressablauf mit Ideen, An- der Bürger und Unternehmen regungen und Beiträgen, unter- als entscheidender Faktor im stützen und engagiert mitprä- Standortwettbewerb in Nordrhein-Westfalen gen wird. Das E-Government Gesetz Bereits beim letztjährigen Kongress hatte der NRW-CIO darauf NRW setzt dazu ambitionierte hingewiesen, dass nun – ins- Ziele. Es setzt dabei mit seiner besondere nach Verabschie- Grundstruktur auf eigene Erkenntnis dung des Eund VerantGovernment wortung der Gesetzes handelnden NRW im JuAkteure, um li 2016 – die auch jenBereitschaft seits gesetzzum Change lich fixierter Manage9. November 2017, Düsseldorf/Neuss Vorgaben ment in den Digitale und Mentale Transformation aus eigener Köpfen in in NRW ÜberzeuLand und gung und in Kommunen gefragt sei, nach seiner Auf- vielen Bereichen in qualitativ fassung auch ausdrücklich im neuer und arbeitsteiliger Form Sinne einer “mentalen Transfor- und Organisation der Zusammenarbeit den gerade in NRW mation”. Die inhaltliche Programmpla- mit seiner besonderen, heteronung – zum 6. Mal in der Verant- genen IT-Landschaft notwendiwortung von IVM² – ist bereits gen Wandel des E-Governments so weit fortgeschritten, dass das gemeinsam zu bewältigen. Gesamtprogramm in Kürze un*Wilfried Kruse, Geschäftsfühter www.e-nrw.info erscheinen render Gesellschafter IVM², ist wird. Inhaltlich wird der Kongress fachlicher Leiter und Moderator weiter ausgebaut. Teilnehmer, des Verwaltungskongresses “eSponsoren und Aussteller er- nrw”, den der Behörden Spiegel warten in diesem Jahr neben am 9. November in Neuss verandem Hauptprogramm weitere staltet. Weitere Informationen und Anzehn Fachforen. Insgesamt sind 44 Beiträge hochrangiger Re- meldung unter: www.e-nrw.info

MELDUNG

Kreisverwaltung Neuss startet E-Recruiting (BS/gg) Hans-Jürgen Petrauschke, Landrat des Rhein-Kreises Neuss, hat gemeinsam mit Vivento-Geschäftsleiter Sven Frauenheim im Grevenbroicher Kreishaus den offiziellen Startschuss für das neue StellenPortal der Kreisverwaltung gegeben. Bei der Suche nach neuen, qualifizierten Mitarbeitern soll künftig die von Vivento betriebene Recruiting-Plattform “Interamt” helfen. Bewerber können sich ab so-

fort über Stellenangebote des Kreises unter www.wirma chendenkreis.de im Internet informieren und ihre Bewerbungsunterlagen online über Interamt einreichen. Zudem bietet das Bewerbermanagement von Interamt auch die Möglichkeit, interne Recruiting-Prozesse zu beschleunigen, von der Ausschreibung bis zur Kandidatenauswahl, und soll so weitreichende Zeit- und Kosteneinsparungen bringen.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 41

Initiative D21 präsentiert die Zahl des Monats

Pflege 4.0 Warum Digitalisierung die Altenpflege menschlicher machen könnte (BS/Rafael Eggebrecht*) Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht über Missstände im Pflegesektor berichtet wird: fehlende Fachkräfte, nicht enden wollende Bürokratie, zu wenig Zeit für Pflegebedürftige. Doch obwohl die Digitalisierung viele Branchen revolutioniert hat, geistert in Pflegeheimen und bei ambulanten Pflegediensten oft das Schreckgespenst seelenloser Pflegeroboter umher. Aber sähe digitalisierte Pflege so aus? Das Schlagwort Pflegenotstand ist nicht nur in Deutschland ein Dauerthema in der öffentlichen Debatte. Während hierzulande vor allem mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen gefordert werden, gehen Länder wie Japan einen anderen Weg. Bereits heute versucht man im Land der aufgehenden Sonne, mit dem Einsatz von Pflegerobotern hunderttausende fehlende Altenpflegekräfte zu ersetzen. Doch obwohl die Entwicklung dieser Roboter erst am Anfang steht, sind sie eine Zukunftsvision, die in Deutschland nicht ohne Grund Ängste und Abwehrhaltung schürt. Die Digitalisierung hat im Gesundheitswesen generell einen schweren Stand. In keinem anderen Sektor erwarten die Deutschen laut einer Umfrage der Universität Regensburg weniger digitale Umwälzungen. Anders sieht es in der Arbeitswelt, in Sachen Mobilität oder

im Bildungsbereich aus. Dort steht man Digitalisierung weitaus offener gegenüber. Doch warum ist das so? Seit jeher stehen in Arztpraxis, Krankenhaus, Pflegeheim oder beim ambulanten Pflegedienst Menschen im Mittelpunkt, die anderen Menschen helfen. In diesem Ethos hat Technik wenig Platz, wird oft als störend oder gar als Bedrohung wahrgenommen. Entsprechend schwierig ist es in der Altenpflege, die Chancen der Digitalisierung bewusst zu machen und mehr Akzeptanz für neue Technik unter Pflegekräften und Pflegebedürftigen gleichermaßen zu schaffen. Mehr Smart Home, weniger Roboter Beim Fachsymposium “Pflege 4.0: Zukunftsszenarien zum Weiterbildungsbedarf in den Pflegeberufen”, welches im Mai von der Gesellschaft für Informatik in Zu-

sammenarbeit mit der Initiative D21 in Berlin veranstaltet wurde, spielte das Schreckgespenst Pflegeroboter nur eine untergeordnete Rolle: zu unausgereift, zu teuer,

Systeme, die in die normale Wohnumgebung integriert werden und Senior/-innen in ihrem Alltag unterstützen, potenzielle Gefahren erkennen und im Notfall automatisch

8%

Anteil der Deutschen, die den Begriff “E-Health” kennen und problemlos erklären können. zu abschreckend. Neben Bedarf für zeitsparende digitale Pflegedokumentation sah man viel mehr Anwendungsbereiche und Akzeptanz für bereits verfügbare, unscheinbare Assistenzsysteme, die unter dem Oberbegriff “Ambient Assisted Living” zusammengefasst werden. Dabei handelt es sich um

Hilfe verständigen. Dazu gehören beispielsweise Fußböden mit eingebauten Sensoren. Was auf den ersten Blick wenig revolutionär wirkt, könnte eine große Verbesserung von Wohnkomfort und Sicherheit bedeuten: Nach dem Aufstehen in der Nacht wird automatisch ein Orientierungslicht angeschaltet und die Badezimmertür öffnet sich. Sollte der Pflegebedürftige ungewöhnlich lange benötigen oder stürzen, verständigt der digital vernetzte Fußboden umgehend eine Pflegekraft. Die Chancen für Pflege-

heime und Bewohner sind enorm, aber Ambient Assisted Living bietet noch mehr Potenzial. Denn zwei von drei pflegebedürftigen Menschen in Deutschland leben nicht in Pflegeheimen, sondern zuhause. Gerade dort könnten diese Technologien dafür sorgen, dass perspektivisch mehr Senior/-innen viel länger in ihrer vertrauten Umgebung leben können. Mit Hinblick auf die wachsende Zahl Pflegebedürftiger und den nicht abnehmenden Fachkräftemangel wäre das eine willkommene Entwicklung, die auch den Druck auf stationäre Pflegeeinrichtungen lindern könnte. Digitalkompetenzen und ethische Fragen Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, wie ein Blick in den jährlich erhobenen D21-Digital-Index zeigt. So ist hierzulande die Offenheit für Digitalisierung nicht nur relativ gering ausgeprägt, sondern sogar leicht rückläufig. Da verwundert es nicht, dass lediglich ein Viertel der Befragten sich unter dem deutschen Begriff “Elektronische Gesundheitsdienste” etwas vorstellen kann. Beim englischen Pendant “E-Health” sind es sogar nur acht Prozent. Hingegen ist die Internetnutzung unter den über 60-Jährigen überdurchschnittlich stark gestiegen – sei es, um leichter mit Verwandten zu kommunizieren, Regionalnachrichten zu beziehen oder sich über Gesundheitsthemen zu informieren. Die Entwicklung illustriert, dass ältere Menschen durchaus offen für neue Technik sind, wenn sie einen direkten Nutzen unmittelbar erkennen.

Allerdings ist mit der Überzeugung von Pflegebedürftigen nur die Hälfte gewonnen. Die neue Technik müsste vom Personal im Pflegealltag akzeptiert und problemlos bedient werden können. Die durchschnittliche Pflegekraft in Deutschland ist weiblich und über 40 Jahre alt. Dabei handelt es sich um eine Berufsgruppe, die mit digitalen Medien und Inhalten unterdurchschnittlich häufig interagiert. Doch selbst unter Erwerbstätigen mit Büro- und Schreibtischjobs sind Digitalkompetenzen nicht ausreichend vorhanden. Klar ist, eine digitalisierte Pflege kann es nur geben, wenn nicht nur in Technik, sondern auch in die digitale Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter investiert wird. Darüber hinaus stellen sich neue ethische Fragen: Bis zu welchem Punkt ist Technikeinsatz wirklich im Interesse des Pflegebedürftigen? Wie ist mit der immens steigenden Menge an personenbezogenen Daten umzugehen? Wo liegt das Gleichgewicht zwischen dem Wunsch nach mehr Sicherheit und der Privatsphäre? Wenn diese Fragen geklärt und alle Beteiligten im Pflegesektor von den Chancen der Digitalisierung überzeugt sind, könnte am Ende vor allem eines stehen: mehr Zeit für eine würdevolle Altenpflege. *Rafael Eggebrecht arbeitet für die Initiative D21 in der Presseund Öffentlichkeitsarbeit. Weitere Informationen zum Fachsymposium “Pflege 4.0” der Gesellschaft für Informatik unter www.gi.de/pflege40.


Seite 42

Informationstechnologie

“W

Digitale Agenda fortschreiben

enn wir über digitale Teilhabe sprechen, dann müssen wir feststellen, dass wir vor allem die ältere Generation bislang nicht mitgenommen haben”, sagte Bitkom-Präsident Thorsten Dirks. “Wir haben eine viel größere Aufgeschlossenheit gegenüber der Digitalisierung in der Gesamtbevölkerung bis einschließlich 64 Jahre als in der Generation 65 plus. Ein Grund dafür ist: Digitale Technologien spielen im Alltag dieser beiden Gruppen völlig unterschiedliche Rollen – die Jüngeren und die Älteren leben in unterschiedlichen Welten, Mitte der Sechzig ist ein tiefer Graben.” Drei Viertel der 14- bis 29-Jährigen (77 Prozent) sagen, dass digitale Technologien für ihr privates Leben eine sehr große oder eher große Bedeutung haben, bei den Älteren ab 65 sind es gerade einmal 19 Prozent. 98 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nutzen das Internet, um gezielt Informationen zu suchen, ebenfalls 98 Prozent schreiben E-Mails, 95 Prozent streamen Musik oder Filme, 86 Prozent kaufen online ein, 85 Prozent tauschen sich in Sozialen Netzwerken aus und 69 Prozent nutzen neuere Smartphone-Apps wie Snapchat oder Slack. Bei denjenigen, die 65 Jahre oder älter sind, ist all das allenfalls eine Ausnahme. Nur rund jeder Dritte sucht Informationen im Internet (36 Prozent) oder schreibt Mails (30 Prozent), jeder Fünfte streamt Musik oder Filme (21 Prozent) oder kauft online ein (19 Prozent), 12 Prozent nutzen Apps wie Snapchat und nur sechs Prozent tauschen sich in Sozialen Netzwerken aus. “Die Älteren nutzen digitale Technologien nicht nur sehr viel seltener als Jugendliche und junge Erwachsene, sondern auch deutlich weniger als die Gesamtbevölkerung unter 65 und die benachbarte Alterskohorte von 50 bis 64 Jahren. Eine direkte Folge ist, dass viele digitale Anwendungen eher kritisch gesehen werden”, so Dirks. 84 Prozent

Behörden Spiegel / Juni 2017

Bitkom zieht Bilanz und stellt Forderungen für die nächste Legislaturperiode (BS/Guido Gehrt) Die Deutschen sehen in der Digitalisierung grundsätzlich eher eine Chance, halten ihre eigene Digitalkompetenz aber gerade mal für “ausreichend”. Das zeigt eine neue repräsentative Umfrage des Bitkom. Hiernach geben sechs von zehn Befragten (60 Prozent) ab 14 Jahren an, dass sie die Digitalisierung als Chance sehen. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen. So sehen 76 Prozent der 14- bis 29-Jährigen die Digitalisierung als Chance, bei den Befragten ab 65 Jahren ist es mit 49 Prozent aber nur knapp jeder Zweite. Digitalisierung vor allem in der Wirtschaft viel erreicht, in der jetzt beginnenden Phase zweimüssen wir uns noch stärker als zuvor auf die Gesellschaft konzentrieren.”

Mutige digitale Weichen stellen

Quelle: BS/Bitkom

der 14- bis 64-Jährigen sagen, dass digitale Technologien ihr Leben leichter machen, bei den Älteren sind es nur 34 Prozent. 81 Prozent in der Bevölkerung bis 65 geben an, dass sie dank digitaler Lösungen besseren Kontakt zu entfernt lebenden Freunden und Verwandten halten können, ab 65 Jahren liegt der Anteil nur bei 57 Prozent. Und 73 Prozent der Bis-65-Jährigen sagen, dass sie sich mit digitalen Technologien umfassend über das politische Geschehen informieren, bei den Älteren sind es mit 31 Prozent nicht einmal halb so viele. Vorne sind die Älteren nur, wenn es um Ängste geht. So sorgen sich 61 Prozent, dass dank digitaler Technologien der Staat alles über sie wisse (14- bis 64-Jährige: 54 Prozent), 57 Prozent haben Angst, dass Fremde Einblick in ihr Privatleben erhalten könnten (14- bis 64-Jährige: 43 Prozent) und 55 Prozent haben Angst vor einem

finanziellen Schaden durch Hacker (14- bis 64-Jährige: 54 Prozent). Und während nur 15 Prozent der 14- bis 64-Jährigen angeben, sie würden lieber in einer Welt ohne digitale Technologien leben, sind es bei den Älteren mit 36 Prozent mehr als doppelt so viele. Dirks: “Digitale Technologien können gerade älteren Menschen dabei helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Es muss uns gelingen, diesen Nutzen in der Praxis besser erlebbar zu machen.”

Digitale Agenda fast geschafft Bitkom fordert vor diesem Hintergrund eine Fortschreibung der Digitalen Agenda in der kommenden Legislaturperiode, um die digitale Transformation zu beschleunigen und die digitale Teilhabe der Gesellschaft zu verbessern. Für die 2014 erstmals beschlossene Digitale Agenda der Bundesregierung

zieht der Digitalverband dabei eine positive Bilanz. Von den ursprünglich 121 angekündigten Einzelmaßnahmen sind zwei Drittel (81) umgesetzt, ein weiteres Viertel (34) befindet sich in Umsetzung und gerade einmal bei sechs Einzelmaßnahmen ist nichts passiert. “Die Digitale Agenda hat in den vergangenen drei Jahren beachtliche Erfolge gezeigt – das geht vom IT-Sicherheitsgesetz über die Frequenzvergabe für die 5G-Netze und das hohe Tempo beim autonomen Fahren bis hin zur gerade beschlossenen Stärkung der elektronischen-Funktionen des Personalausweises”, sagt Dirks. “Wir haben in Phase eins der

Mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst fordert Bitkom mutige digitale Weichenstellungen und ambitionierte Ziele. Dirks: “Wir brauchen vier Dinge: 1. eine grundsätzliche Neuausrichtung unseres Bildungswesens, 2. eine konsistente Datenpolitik, 3. Ökosysteme der digitalen Transformation und 4. die leistungsfähigsten digitalen Infrastrukturen.” So schlägt Bitkom einen digitalen Bildungspakt für Deutschland vor. “Alle Bildungseinrichtungen – von der Schule über die Hochschulen bis zu Aus- und Weiterbildungseinrichtungen – müssen ihre Lehrtätigkeit auf digitale Bildung ausrichten”, sagte Dirks. “Deutschland muss Vorreiter der digitalen Bildung werden.” Im Mittelpunkt der Digitalpolitik sollte zugleich stehen, Wirtschaft und Verbraucher besser vor Hackern, Cyber-Kriminellen und anderen digitalen Angreifern zu schützen. Im Datenschutz müsse eine neue Balance gefunden werden, um einerseits die Privatsphäre der Bürger zu garan-

tieren und gleichzeitig die gesellschaftlich notwendige Nutzung von Daten zu ermöglichen. “Eine moderne Datenpolitik muss das Recht des Einzelnen auf Datenschutz wirksam wahren und gleichzeitig nützliche und innovative Angebote ermöglichen”, so Dirks. Schließlich müsse es gelingen, das Projekt der digitalen Hubs in Deutschland erfolgreich in die Praxis umzusetzen. “Anders als im Silicon Valley wollen wir nicht alleine eine Stärkung der Digitalbranche, sondern vielmehr eine Digitalisierung der deutschen Leitindustrien”, so Dirks. Dabei sollen die zwölf digitalen Hubs helfen, die das Bundeswirtschaftsministerium im Vorfeld des diesjährigen Digitalgipfels vorgestellt hat. Zudem müsse es gelingen, eine in weltweitem Maßstab herausragend gute digitale Basisinfrastruktur zu schaffen. “Diese digitale Infrastruktur muss von Gigabitnetzen bis zu digitalen Infrastrukturen für Energie, Verkehr, Gesundheit und Verwaltung reichen”, so Dirks. Sie sei die Grundlage für die digitale Energiewende ebenso wie für E-Health oder autonomes Fahren.

“Digital-Staatsminister” im Kanzleramt Mit Blick auf die personelle Umsetzung der Digitalisierungsprojekte der Bundesregierung forderte Dirks erneut die Schaffung einer koordinierenden Stelle in Form eines Staatsministers im Bundeskanzleramt. Einen “Digitalminister” lehnt er angesichts der vielfältigen Vorhaben in den unterschiedlichen Ressorts ab. Vielmehr komme es darauf an, die Aktivitäten an einer zentralen Stelle zu überwachen und zu koordinieren.

Digital Hub Summer Slam Bonn Sommerliches Vernetzungsevent für die digitale Community (BS/gg) Der Digital Hub Bonn lädt am 03.07.2017 zur größten Veranstaltung in der Region Bonn für digitale Innovationen ein. Der Bonner Bogen am Rheinufer verwandelt sich beim Digital Hub Summer Slam in eine Bühne für neue digitale Trends und Technologien.

evidence.com Effizientes Backend für das digitale Beweismittel Video (BS) Mit dem Einsatz von Body-Cams fallen bei der Polizei immer mehr Daten an. Diese müssen systematisch verarbeitet werden, ebenso wie immer mehr digitale Inhalte aus externen Quellen. Doch nur automatisierte Verfahren sind in der Lage, diese Datenflut zu kanalisieren. Beim Body-Cam-Weltmarktführer Axon Enterprise gewährleistet die IT-Management-Plattform evidence.com das digitale Backend. Die Systemlösung hält den internen Verarbeitungsaufwand für Polizeidienststellen und Justiz bei jedem Datenaufkommen konstant. In vielen europäischen Ländern zählen Body-Cams bereits zur Standardausrüstung der Polizei. Sie dienen dem Eigenschutz der Beamten und werden zur Beweismittelsicherung eingesetzt. In Deutschland erfolgt ihr Einsatz aktuell in Pilotprojekten. “Wir erwarten deshalb mittelfristig einen Nachfrageschub nach Back-End-ManagementLösungen”, sagt Christian Scherf, Country Manager Germany, Austria and Switzerland von Axon Enterprise. Denn bei ihrer flächendeckenden Einführung im Streifendienst fallen gigantische Datenmengen an. Zwar werden Body-Cams im Streifendienst nur im Bedarfsfall aktiviert. Trotzdem entsteht in einer Polizeidienststelle bei durchschnittlich 0,5 Gigabyte pro Schicht ein Datenvolumen von mehreren Terabyte pro Monat. Axon ist globaler Marktführer für Body-Cams. Verantwortlich dafür ist für Scherf nicht nur die ausschließlich für Polizisten konzipierte Technik und das Design der Kameras. Sondern auch die IT-Managementplattform evidence.com: Sie kann das Material von über 20.000 Body-Cams gleichzeitig in einem automatisierten Verfahren

einfach und effizient erfassen, überprüfen, verwalten und weiterleiten.

Back-End für Justiz und Staatsanwalt Angesichts überwiegend papierbasierter Abläufe im Strafverfahren sieht Scherf auch bei Justiz und Staatsanwaltschaft Optimierungspotenzial im Umgang mit dem digitalen Beweismittel Video. Sie müssen auch dort kategorisiert, editiert oder an Verteidiger weitergeleitet werden. “Dauert dies nur eine Stunde, ergibt das bei jährlich rund 20.000 beweisrelevanten Videos allein 2.500 Manntage an Verwaltungsarbeit. Diese entfallen durch ein automatisiertes Verfahren, wie es evidence.com bietet.”

Externen Digital-Content verknüpfen Per App können auch Fo-

tos, Dokumente, Audio oder Videos von Überwachungskameras oder allen handelsüblichen Smartphones direkt in evidence.com hochgeladen werden. Das Durchsuchen, Filtern oder Verknüpfen von Daten – wie etwa aus SocialMedia-Quellen – wird für Strafverfolgungsbehörden dadurch wesentlich schneller, einfacher und effektiver.

Deutsche Datentreuhand Evidence.com wird in der Regel als “Software-as-a-Service” (SaaS) bereitgestellt. Die Bandbreite an Maßnahmen zum Datenschutz reichen von MultiFaktor-Authentifizierungen, biometrischen Scans, Smartcards, Datenverschlüsselungen nach SSL/TLS-Protokollen, physischen Sicherheitsmaßnahmen bis hin zu Sicherungen gegen Naturkatastrophen und Stromausfälle. Die Rechenzentren der IT-Plattform sind nach EU-Datenschutzstandards zertifiziert und unterliegen deutschem Recht. Sie werden an zwei Standorten durch den Datentreuhänder T-Systems in Deutschland gehostet. Das gewährleistet den Transport und das Speichern der Daten ausschließlich im Bundesgebiet.

Ziel ist es an diesem Tag, Gründer, Unternehmen, Wissenschaft, Investoren, digitale Experten, Politik, Verwaltung, Macher und Entrepreneure in entspannter Atmosphäre zusammenzubringen und ihre Vernetzung zu fördern. Für die Start-up-Expo wird eigens ein 400 m2 großes Zelt am Bonner Bogen errichtet, in dem sich 40 Start-ups sowie Unternehmen mit digitalen Lösungen aus ganz NRW präsentieren. Zwölf von ihnen werden in dreiminütigen Elevator Pitches neue Trends und Geschäftsideen vorstellen. Beim Summer Slam sind neben dem Digital Hub in Bonn auch fünf weitere Digital Hubs aus Aachen, Düsseldorf, Köln, Essen und Münster vertreten sowie die Landesinitiative Digitale Wirtschaft NRW (DWNRW) aus dem Ministerium in Düsseldorf. “Wir wollen beim Summer Slam ganz konkret zeigen, was die digitale Szene und Community zu bieten hat. Die Start-ups und digitalen Hubs aus NRW sind Teil des Ökosystems und sind natürlich auch dabei. Diese Geschäftsmodelle und Lösungen werden die Zukunft gestalten” erklärt Markus Zink, CEO und Vorstand des Digital Hubs. Momentan nehmen bereits 17 Start-ups im

Accelerator Programm des Digital Hubs teil. Neben dem offiziellen Programm findet im Anschluss auf 3.000 m2 die Sommerparty auf den Rasenflächen des Bonner Bogens mit Blick auf den Rhein statt. Hier bleibt viel Zeit für Networking und den individuellen Austausch. Die kostenfreie Veranstaltung richtet sich auch explizit an Interessierte aus der öffentlichen Verwaltung. “Die Digitalisierung verändert gravierend IT-Strukturen und Workflows in großen Verwaltungsorganisationen und Behörden. Viele Prozesse lassen sich in Zukunft wesentlich einfacher und schneller abbilden,

Informationen können überall zur Verfügung stehen, wo sie benötigt werden. Wir freuen uns daher über viele Besucher aus dem Verwaltungs- und Behördenbereich und von öffentlichen Institutionen. Beim Summer Slam stellen wir Start-ups vor, welche hierfür konkrete neue Ansätze zeigen – von Spracherkennung über intelligente Bilderkennung und neuen Big-Data-Nutzungen bis zu neuen Security Lösungen für Informationssicherheit”, so Veranstalter Markus Zink. Weitere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit (kostenfrei) unter www.digitalhub.de/de/ summerslam

Der Digital Hub Bonn Der Digital Hub ist die Anlaufstelle für digitale Themen in der gesamten Region Bonn. Neben einer breiten Vielfalt an digitalen Veranstaltungen ist der Hub eine Entwicklung- und Begegnungsstätte für digitale Start-ups, Unternehmen, Wissenschaft und Forschung. Junge, digital-orientierte Start-ups und Gründer unterstützt der Hub als Accelerator und Incubator mit Finanzierung, Infrastruktur, Mentoring & Coaching sowie einem großen Netzwerk aus Investoren, Partnern, Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen. Unternehmen und Konzernen bietet der Hub vielfältige Leistungen wie z. B. eine Digital Academy, Start-up-Scouting & Matchmaking, individuelle Innovationsworkshops und Infrastruktur für Inkubationsprojekte sowie einen Corporate Start-up Campus.



IT-Sicherheit

Seite 44

Behörden Spiegel / Juni 2017

Schutz Kritischer Infrastrukturen

Die Waffen der Cyber-Kriminellen

Bundeskabinett beschließt zweiten Korb

Wenn Sandboxing, Perimeterschutz und Antivirensoftware nicht mehr ausreichen

(BS/stb) Im Juni tritt der zweite Korb der Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen (BSI-KritisV) in Kraft. Darin wird geregelt, welche Unternehmen aus den Bereichen Finanz- und Versicherungswesen, Transport und Verkehr sowie Gesundheit als Kritische Infrastrukturen (KRITIS) im Sinne des IT-Sicherheitsgesetzes gelten. Für diese besteht dann Meldepflicht von IT-Sicherheitsvorfällen. Außerdem werden sie zur Umsetzung von IT-Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet. Der erste Korb war bereits im Mai 2016 beschlossen worden. Er betrifft die Sektoren Informationstechnologie und Telekommunikation, Energie, Wasser und Ernährung.

(BS/Kristin Petersen*) Die Waffen der Cyber-Kriminellen heißen TeslaCrypt, Locky oder WannaCry. Mit ihrer Hilfe erpressen Hacker nicht nur Unternehmen, sondern zunehmend auch Bund, Städte und Gemeinden. Die Erpressungstrojaner legen Verwaltungen lahm oder stehlen sensible Daten von den entsprechenden Servern.

Grundlage für die Identifizierung als Kritische Infrastruktur sind sektorenspezifische Schwellenwerte. Diese wurden festgelegt unter maßgeblicher Beteiligung des UP KRITIS, der öffentlichprivaten Kooperation zwischen KRITIS-Betreibern, deren Branchenverbänden und den zuständigen staatlichen Stellen – vor allem das Bundesministerium des Innern (BMI), das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Grundlage für die Schwellenwerte sind Überlegungen, ab welcher Größenordnung ein Ausfall oder eine erhebliche Beeinträchtigung der Geschäftsprozesse eine nicht ohne Weiteres zu lösende Versorgungskrise auslösen könnte. Für die Sektoren des zweiten Korbes sollen laut Referentenentwurf z. B. Krankenhäuser ab 30.000 stationären Fällen, Autorisierungssysteme für Bargeldabhebungen ab 15 Millionen Transaktionen und Flughäfen ab 20 Millionen Passagieren oder 27.700 Tonnen Fracht im Jahr als kritisch gelten. Betreiber Kritischer Infrastrukturen, die die Schwellenwerte überschreiten, müssen innerhalb eines halben Jahres nach Inkrafttreten dem BSI eine jederzeit erreichbare Kontaktstelle nennen und erhebliche IT-Störungen melden. Erheblich ist eine Störunge den Kriterien des BSI zufolge, wenn sie zu Beeinträchtigungen der

Geschäftsprozesse führt oder ein außergewöhnlicher technischer Defekt oder unbekannter Typ von Cyber-Angriff zugrunde liegt. Die zweite wesentliche Pflicht ist die Umsetzung von IT-Sicherheitsmaßnahmen nach dem Stand der Technik. Die Einhaltung soll alle zwei Jahre überprüft werden, erstmalig zwei Jahre nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung. Für die Sektoren des zweiten Korbs ergibt sich damit eine Frist bis voraussichtlich Juni 2019. Sektoren des ersten Korbs sind schon im Mai 2018 den Nachweis schuldig.

Co-Regulierung mit B3S Doch welche Anforderungen verbergen sich hinter dem “Stand der Technik”? Allgemeine Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit werden in einschlägigen Standards wie dem IT-Grundschutz des BSI oder dem internationalen ISO/IEC 27001 festgehalten. Im konkreten Anwendungsfall, z.B. bei Anlagenbetreibern, sind diese Standards in Gänze jedoch häufig zu allgemein und zu umfangreich, weil sie Geschäftsbereiche und Prozesse enthalten, die nicht überall vorhanden sind. Schlankere Vorgabenkataloge, die sich möglichst direkt im Unternehmen umsetzen und leicht überprüfen lassen, werden deshalb durch branchenspezifische Sicherheitsstandards (B3S) ermöglicht. B3S

können von KRITIS-Betreibern und Branchenverbänden in Kooperation mit BBK und BSI erarbeitet werden. Das BSI hat dann formal auf Antrag festzustellen, ob der Standard den zu gewährleistenden IT-Sicherheitsanforderungen genügt. Als Plattform für die Aussprache über B3S dienen Branchenarbeitskreise des UP KRITIS. Die Anerkennung des ersten B3S für die Wasser-/Abwasser-Branche steht kurz bevor. Die weiteren bereits auf den Weg gebrachten B3S für Sektoren des ersten Korbes sollen bis Ende 2017 anerkannt werden. In den Sektoren des zweiten Korbes wurden Prozesse für die Ausarbeitung der Branchenstandards bereits angestoßen.

IT-Sicherheitsgesetz 2.0? Tatsächlich sind Deutschlands Kritische Infrastrukturen bisher weitgehend von ITStörungen verschont geblieben, die die Versorgung ernsthaft hätten gefährden können. Aber die Bedrohungslage verschärft sich. Der Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière will als Konsequenz insbesondere des weltweiten Angriffs mit dem Schadprogramm WannaCry eine Ausweitung des IT-Sicherheitsgesetzes in der nächsten Legislaturperiode anstoßen. Ziel sei es, auch große Industrieunternehmen als Kritische Infrastrukturen einzuordnen, um deren IT-Systeme in Zukunft besser schützen zu können.

PITS 2017 www.public-it-security.de Deutschlands größte Kongress-Messe für IT-Sicherheit bei Behörden

Vernetzte Welt – vernetzte Sicherheit

Angriffe auf Kritische Infrastrukturen nur Frage der Zeit Die beispielhaft aufgeführten Szenarien zeigen: Die Kriminellen gehen immer professioneller

12.–13. September 2017, Hotel Adlon, 10117 Berlin

Leiter der Stabsstelle „IT- und Cybersicherheit, sichere Informationstechnik“ im Bundesministerium des Innern

Technologie-Partner:

vor. Cyber-Angriffe auf Kritische Infrastrukturen und die Industrie sind, da sind sich IT-Experten weltweit einig, keine Frage des “Ob”, sondern des “Wann”. Als Folge drohen tagelange Unterbrechungen in der Energieversorgung, der großflächige Ausfall von Kommunikationskanälen bis hin zu Störungen in der Produktion. IT-Sicherheit muss daher heute zu den TopPrioritäten für IT-Verantwortliche zählen. Doch wie hätten diese CyberAttacken vermieden werden können? Die Verhinderung solcher Hackerangriffe ist keine leichte Aufgabe. “Klassische Antimalwarestrategien wie Sandboxing, Perimeterschutz und Antivirensoftware reichen heute nicht mehr aus.” Diese These vertrat Jan Lindner, deutscher Geschäftsführer des ITSicherheitsspezialisten Panda Security, unter anderem beim 10. Bürgermeisterkongress, der Anfang April in Bonn stattfand. “Intelligente Systeme, die mithilfe cloudbasierter Scan-Technologien alle laufenden IT-Prozesse kontinuierlich überwachen, analysieren und klassifizieren, sind heute alternativlos.”, so Lindner.

Hacker nutzen fehlende Kontrolle aus Denn eines haben die meisten dieser Cyber-Angriffe gemeinsam: Sie nutzen die fehlende Kontrolle über die Vorgänge, die sich in den Computersystemen ereignen. “Deshalb benötigen wir heute ein Sicherheitsmodell, das alle digitalen Prozesse überwachen kann, die innerhalb eines Netzwerks und auf seinen Endgeräten laufen.

Nur so kann ungewöhnliches Verhalten auf den Systemen entdeckt und blockiert werden, bevor Schaden entsteht.”, erläuterte Lindner weiter. Wie sollte also eine moderne Abwehrtechnologie aussehen, die es mit den fortschrittlichen Angriffen moderner Hacker aufnehmen kann? Die IT-Sicherheitsexperten von Panda Security setzen auf ihre neu entwickelte Adaptive-DefenseLösung. Diese kann Malware – zum Beispiel die gefürchteten Verschlüsselungstrojaner, aber auch jegliches andere ungewöhnliche Verhalten erkennen, weil sie alle auf den Netzwerk-Computern laufenden und ausgeführten Prozesse automatisch und in Echtzeit klassifiziert. Dies können Blacklist-basierte Antivirensysteme nicht. Auf diese Weise können auch die Mitarbeiter aus der Verantwortung genommen werden. Denn allen Sicherheitsschulungen zum Trotz geht die Empfehlung, E-Mail-Anhänge nicht zu öffnen, häufig an der Realität vorbei – dann funktionieren viele Abläufe in den digital arbeitenden Organisationen schlicht nicht mehr. Durch die Fähigkeit, absolut alles zu kontrollieren, was auf den Computern der Anwender passiert, bietet Panda Adaptive Defense ein bisher unerreichten Schutzlevel. Und zwar unabhängig davon, um welche Art von Malware es sich handelt und aus welcher Quelle – ob extern oder intern – diese stammt. *Kristin Petersen ist für Panda Security tätig.

Arne Schönbohm

Andreas Mück

IT-Sicherheitsbeauftragter (CISO) des Freistaats Bayern, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen für Landesentwicklung und Heimat

Foto: privat

Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek

Direktorin im Forschungszentrums CODE, Universität der Bundeswehr München

Foto: ISB

Foto: Dombrowsky

CIO des Bundes, Bundesregierung Österreich

Präsident, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik

Peter Fischer

Delegierter für die Informatiksteuerung des Bundes, Informatiksteuerungsorgan des Bundes (ISB) Schweiz

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat für das Security Laptop vs-top des deutschen Herstellers genua die Zulassung für die Geheimstufe “VS – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH” (VS-NfD) erteilt. Mobile Anwender können mit dem vs-top somit entsprechend eingestufte Daten bearbeiten und über verschlüsselte Verbindungen übertragen.

Foto: Dombrowsky

Prof. Dr. Reinhard Posch

Foto: © BSI

Foto: © Posch, privat

Foto: Dombrowsky Foto: Dombrowsky

Andreas Könen,

Foto: BS/Panda Security

Security Laptop vs-top für VS-NfD

Klaus Vitt Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik und Staatssekretär im Bundesministerium des Innern

Foto: Dombrowsky

Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung, Mecklenburg-Vorpommern

Erpressungsversuche mit Ransomware in Kritischen Infrastrukturen können nicht nur wirtschaftlichen Schaden anrichten, sondern auch zu Versorgungsnotständen führen.

Mobil und sicher in VS-Netzen

Referenten u. a.:

Christian Pegel

In der westfälischen Stadt Rheine trieb im März 2016 der Verschlüsselungstrojaner Tesla Crypt 3 sein Unwesen. Die Folgen waren gravierend: Die digitalen Systeme mussten heruntergefahren werden. Die Mitarbeiter konnten tagelang nicht auf ihre Computer zugreifen; sie waren nur noch persönlich oder per Telefon erreichbar – und das in Zeiten, in denen die meisten Verwaltungsangelegenheiten online erledigt werden können und sollen. Der Vorfall in Rheine ist jedoch kein Einzelfall. Auch andere öffentliche Institutionen haben mit zielgerichteten und zunehmend professioneller aufgezogenen Angriffen auf ihre digitalen Systeme zu kämpfen. Besonders problematisch können Cyber-Attacken auf Kritische Infrastrukturen (KRITIS) werden, wie beispielsweise auf Krankenhäuser oder Energieund Wasserversorger. Gelingt es den Hackern, in deren Netzwerke einzudringen, können die Folgen fatal sein. Prominentes Beispiel sind die großangelegten Hackerangriffe auf diverse Kliniken in Nordrhein-Westfalen, die sich Anfang 2016 ereigneten. Damals kam es unter anderem im nordrheinwestfälischen Arnsberg, in Kliniken in Kleve und Kalkar sowie im Lukaskrankenhaus in Neuss zu schwerwiegenden Ransomware-Attacken: Wichtige Daten aus den digitalen Netzwerken der Kliniken wurden gestohlen und verschlüsselt. Die Folgen der Cyber-Angriffe waren für einige der Krankenhäuser immens: Operationen mussten verschoben werden, akute Notfälle wurden an andere Einrichtungen verwiesen, in der Notaufnahme wurden Patientendaten zum Teil wieder handschriftlich erfasst. Wie die Klinikleitungen versicherten, wurden in diesen Fällen zwar keine lebensbedrohlichen Situationen für die Patienten provoziert, jedoch ist auch dies für gewiefte Hacker heute ohne Weiteres möglich.

Dr. Burkhard Even

Abteilungsleiter Spionageabwehr / Geheim- und Sabotageschutz, Bundesamt für Verfassungsschutz

Eine Veranstaltung des

Dafür ist das Security Laptop mit einer Firewall und einem VPN-Gateway ausgestattet, zusätzlich sorgen eine Festplatten-Verschlüsselung sowie die Authentifizierung via Smartcards für Sicherheit. Dem Anwender bietet das vs-top mit einer Windows-Arbeitsumgebung die gewohnte Usability – ein Vorteil gegenüber anderen Lösungen im VS-Bereich. Die jetzt erteilte Zulassung gilt auch für die Geheimstufen NATO und EU RESTRICTED. “Zunehmend wird im Geheimschutzbereich die sichere technische Anbindung für mobiles Arbeiten gefordert. Die Herausforderung an die Hersteller besteht darin, die hohen Sicherheitsanforderungen in Einklang mit Funktionalität und Anwendungskomfort zu bringen. Mit dem Laptop vs-top,

Mit dem Security Laptop vs-top können mobile Mitarbeiter sicher an VS-Netze angebunden werden. Foto: genua

der vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zugelassen ist, steht jetzt eine weitere anwenderfreundliche Lösung für das Arbeiten auf

Reisen oder im Home Office bis zum Geheimhaltungsgrad “VS – Nur für den Dienstgebrauch” zur Verfügung”, sagt BSI-Präsident Arne Schönbohm.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Juni 2017

Ohne Vertrauen geht es nicht

Viel Cyber-Sicherheit zum Brötchen

Verantwortung und Vertrauen waren Kernthemen des BSI-Kongresses (BS/stb) Kurz nachdem in Bezug auf die weltweite Angriffswelle durch WannaCry erste vorsichtige Entwarnung gegeben werden konnte, beschäftigte die rund 600 Teilnehmer des 15. Deutschen IT-Sicherheitskongresses in Bonn vor allem die Frage, wie eine solide Sicherheits-Architektur geschaffen werden könne, die echtes Vertrauen in die digitale Welt ermögliche. Auf den Punkt brachte es Prof. Dr. Max Mühlhäuser von der Technischen Universität Darmstadt. “Ohne Vertrauen nützt IT-Sicherheit nicht viel”, hob er in seinem Vortrag hervor. Das Thema komme aber in der Wirtschaft und Wissenschaft bisher deutlich zu kurz. Unrealistische Sicherheitsversprechen von Herstellern einerseits und Sensationalismus in der öffentlichen Berichterstattung andererseits führten zu Misstrauen und Resignation statt zur vernünftigen Auseinandersetzung mit dem Thema. Viel diskutiert wurde über Gü-

tesiegel, die den Grad der Sicherheit von IT-Produkten aufzeigen. Bürger und Kunden aus Verwaltungen und Privatwirtschaft sollen durch sie in die Lage versetzt werden, ohne tiefes Fachwissen informierte Kaufentscheidungen für sicherere Systeme zu treffen. Auf Herstellerseite sollen Anreize geschaffen werden, IT-Sicherheit bei allen Produktklassen und Dienstleistungen verstärkt als Verkaufsargument zu verstehen. Um eine gute Vertrauensbasis schaffen zu können, befürwortete es BSIPräsident Arne Schönbohm, Gütesiegel auch mit klaren

Rechtshürde Der Begeisterung setzte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 2009 ein schnelles Ende. Die Richter erklärten die zugrundeliegende Bundeswahlgeräteverordnung (BWahlGV) für verfassungswidrig. Sie begründeten das Urteil damit, dass eine ausschließlich elektronische Speicherung und Auszählung von Stimmen dem Grundsatz der Öffentlichkeit

“Cyber-Sicherheit muss verstehbar und erkennbar sein. Das erreichen wir durch Gütesiegel und Zertifikate”, erklärte Andreas Könen, Stabsstellenleiter im Bundesinnenministerium (BMI). Foto: BS/Stiebel

Haftungsregeln zu verknüpfen. Außerdem sei es unbedingt nötig, dass beim Kauf von Produkten oder Diensten klare Fristen für den Support gelten – unpatchbare internetfähige Geräte seien “unvertretbar”. Generell dürften Schwachstellen in IT-Produkten nicht leichtfertig hingenommen werden. “Es handelt sich dabei um Qualitätsmängel, die von Kriminellen ausgenutzt werden können”, betonte Schönbohm.

(BS) Parallel zum BSI-Kongress fanden zwei Politische Frühstücke des Behörden Spiegel in Bonn statt. Bei einem Frühstück plädierte Generalmajor Klaus Veit, Vizepräsident des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), vehement für eine digitale Gesamtstrategie für die Streitkräfte, nicht nur für die neue Cyber-Teilstreitkraft. Dr. Burkhard Even, Abteilungsleiter Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz, schilderte die Schwierigkeiten bei der Cyber-Abwehr – beginnend bei der Identifizierung der Angreifer. Patrick Schraut, Director Consulting bei NTT Security, deutscher

Sicherheit geht vor

E

ine Modernisierung liegt im Zuge der Bemühungen um mehr E-Government eigentlich nahe. Schließlich sind Parlamentswahlen ein zentraler Berührungspunkt eines Großteils der Bürger mit dem Staat und seiner demokratischen Ordnung. Das Thema scheint jedoch Tabu zu sein. Als Helge Braun, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, in einer Kabinettssitzung vorschlug, bei der Diskussion um den digitalen Staat auch das Thema digitale Wahlen zu berücksichtigen, stieß das eingeweihten Personen zufolge auf heftige Kritik insbesondere von Mitarbeitern des Bundesinnenministeriums (BMI) und des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Dabei war man gedanklich und praktisch schon einmal deutlich weiter als heute. Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily hatte eine Vernetzung aller Wahllokale bis 2006 und die schrittweise Einführung von E-Voting per Mausklick oder sogar Handy in Aussicht gestellt. Tatsächlich gaben bei der Bundestagswahl 2005 etwa zwei Millionen Menschen aus 39 Wahlkreisen ihre Stimme am Wahlcomputer ab.

Seite 45

Wahlen in Zeiten der Digitalisierung (BS/Benjamin Stiebel) E-Akte, elektronische Signatur, medienbruchfreie Dienste und Fachverfahren: Der Staat arbeitet an seiner Digitalisierung. Man will effizienter, aber auch moderner und bürgerfreundlicher werden. Gewählt wird in Deutschland aber immer noch mit Zettel und Stift – so auch bei der Bundestagswahl am 24. September. Sicherheitsbedenken und rechtliche Hürden verhindern eine Digitalisierung des Wahlverfahrens. der Wahl widerspreche. Grundsätzlich müssten Bürger in der Lage sein, ohne besondere Sachkenntnis den Wahlvorgang nachvollziehen und prüfen zu können. Das Urteil bedeutete zwar kein generelles Verbot von E-Voting, setzte jedoch sehr hohe technische und organisatorische Anforderungen an elektronische Wahlverfahren. Seitdem liegt das Thema mehr oder weniger auf Eis. Wie ein Sprecher des Bundeswahlleiters Dieter Sarreither dem Behörden Spiegel mitteilte, gebe es “derzeit keine Technik, die die notwendige Nachvollziehbarkeit der Ergebnisermittlung gewährleisten würde”. Dahinter steht auch die Befürchtung, elektronische Wahlsysteme nicht ausreichend schützen zu können. Im Vorfeld des BVerfG-Urteils waren Möglichkeiten öffentlich geworden, wie die bei der Bundestagswahl 2005 eingesetzten Wahlcomputer auf Hardware-Ebene manipuliert werden könnten, ohne Spuren zu hinterlassen. Bei großflächigen Online-Wahlen wäre theoretisch noch nicht einmal ein physischer Zugang zu IT-Systemen nötig, um Wahlen zu kompromittieren.

Manipulation befürchtet Im Wahljahr 2017 ist die Bedrohungslage im Cyber-Raum deutlich ernster und das Bewusst-

sein für die Gefahren wesentlich ausgeprägter. Seit den offenbaren Manipulationsversuchen bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 sind die westlichen Industrienationen alarmiert. Als Argument gegen digitale Wahlverfahren hinken solche Bedenken auf den ersten Blick. Schließlich geht es dabei nicht um direkte Beeinflussung der Stimmauswertung, sondern um Diskreditierung von Kandidaten und Parteien mithilfe von vertraulichen Daten, die durch Hacker abgeschöpft werden können. Eine derartige Einflussnahme wird man nicht durch Wahlen mit Zettel und Stift verhindern können. Allerdings zeigt sich, dass es ein Interesse gibt, auf den Ausgang von Wahlen einzuwirken und dass Ressourcen für schwerwiegende Cyber-Angriffe vorhanden sind. Je weniger IT genutzt wird, desto geringer ist die Gefahr der Manipulation von Wahlen. Ganz ohne Technik läuft aber auch die Bundestagswahl nicht ab. Zwar werden die Stimmen im Wahllokal von Hand ausgezählt und dann in der Regel telefonisch an die Kreiswahlleitung gemeldet. Jedoch erfolgt die Weitergabe an die Länder- und Bundeswahlleiter elektronisch über vom Internet getrennte Behördennetzwerke. Diese Meldekette ist aber nur für das vorläufige Wahlergebnis

maßgeblich. Die Weitergabe für das endgültige Wahlergebnis erfolgt ausschließlich in Form von Wahlniederschriften.

ler großen Parteien begutachtet und entsprechende Ratschläge erteilt. Einzelne Kandidaten wurden auch direkt schriftlich bera-

Anbieter von IT-Sicherheitslösungen, beschrieb die Strategie zu mehr IT-Sicherheit durch Awarness, die richtige Auswahl von Hard- und Software sowie Netzmonitoring. Unter dem Titel “Sichere mobile Datenkommunikation” diskutierte eine weitere Frühstücksrunde Erfahrungen und Herausforderungen beim Betrieb großer IT-Systeme. Impulsvorträge lieferten Vertreter des BSI, der BWI, vom ITZBund sowie der NCP engineering GmbH. Die nächste Gelegenheit eines sektorübergreifenden Austausches über Digitalisierung und Cyber-Sicherheit bietet der Münchner Cyber Dialog am 29. Juni.

ten. Ein vergleichbares Niveau an Sicherheit ließe sich derzeit wohl kaum gewährleisten, wenn zusätzlich über alle Wahlkreise verteilt tausende vernetzte Wahlcomputer im Einsatz wären, geschweige denn, wenn Stimmen von beliebigen Geräten im Internet aus abgegeben werden könnten. Der Digitale Staat wird also vorerst noch ohne digitale Wahlen auskommen müssen. Beim Wählen geht Sicherheit offenbar immer noch vor.

Umfangreiche Maßnahmen Wie hoch man die Gefahr einschätzt, zeigt sich an den umfangreichen Maßnahmen, die zur Sicherung der verwendeten Systeme ergriffen werden. In der Wahlnacht werden drei identische, vollkommen getrennte Rechenzentren für die Berechnung des vorläufigen Endergebnisses verwendet, um Ausfallsicherheit zu gewährleisten. Diese Systeme wurden zuvor regelmäßig gegen Angriffssimulationen getestet. Experten des BSI werden wie auch schon bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in der Wahlnacht vor Ort sein, um bei Zwischenfällen sofort einschreiten zu können. Die Cyber-Sicherheitsbehörde hat außerdem den Bundeswahlleiter und die für die Wahlen zuständigen Statistischen Landesämter im Vorfeld intensiv beraten. Der Freistaat Sachsen hat einen hohen fünfstelligen Betrag investiert, um das Netzwerk des Statistischen Landesamts zusätzlich abzusichern. Um dem von der US-Wahl bekannten Szenario einer Einflussnahme mithilfe gestohlener Daten entgegenzutreten, hat das BSI auch die IT-Systeme der Zentralen al-

Trend Micro Security-Tipp

Rückblick auf den BSI-Kongress KOLUMNE Udo Schneider, Security Evangelist bei Trend Micro unzählige Geräte (BS) Der diesjähriohne wirksame Sige IT-Sicherheitscherheitsfunktiokongress machnen auf den Markt te deutlich, wie kommen – eine Prosehr das Thema blematik, vor der IT-Sicherheit die auch wir bereits seit Öffentlichkeit beJahren warnen. schäftigt. Die VerDas Feedback der anstaltung stand Foto: BS/Trend Micro Besucher zeigte, unter dem Eindass das Thema ITdruck der Angriffe durch die Ransomware Wan- Sicherheit in den deutschen naCry. Dessen Auswirkungen Behörden angekommen ist. waren in Deutschland zwar Trend Micro unterstützt sie relativ gering, dennoch de- dabei, ihre Systeme noch simonstrierte er die Wichtigkeit cherer zu machen. Bundesbewirkungsvoller Cyber-Sicher- hörden können Produkte und heitsmaßnahmen. Neben an- Dienstleistungen von Trend deren aktuellen Themen stand Micro zudem ab sofort im Rahauch das Internet of Things men einer Bundeslizenz bzw. im Fokus. Von verschiedenen über einen Rahmenvertrag erSeiten wurde kritisiert, dass werben.


IT-Sicherheit

Seite 46

Update für die Cyber-Abwehr

I

m Nationalen Cyber-Abwehrzentrum sollte die Expertise der mit der Cyber-Sicherheit befassten Behörden unter Federführung des Bundesministeriums des Innern (BMI) gebündelt werden. Das sind als Kernbehörden mit insgesamt zehn festen Mitarbeitern das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Als assoziierte Behörden, die anlassbezogen eingebunden werden sollen, kommen das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei (BPol), das Zollkriminalamt (ZKA), der Bundesnachrichtendienst (BND) und die Bundeswehr dazu. Die Beteiligung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurde Ende März dieses Jahres offiziell beschlossen. Die Zielsetzung für das CyberAZ bestand in erster Linie darin, eine Plattform für den Austausch von Informationen durch tägliche Lagebesprechungen zu schaffen. Die beteiligten Behörden sollen effektiv zusammenarbeiten, um Maßnahmen zur Prävention und Abwehr von An-

Behörden Spiegel / Juni 2017

Nationales Cyber-Abwehrzentrum Plus geplant (BS/stb) Das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ) war 2011 als Kooperationsstelle von Sicherheitsbehörden des Bundes eingerichtet worden, um Bedrohungen im Cyber-Raum schnell erkennen und Schutz- und Abwehrmaßnahmen koordinieren zu können. Das Vorhaben war von Beginn an großer Kritik ausgesetzt. Nun soll das Cyber-AZ neu aufgestellt werden.

Im Cyber-AZ wurden bisher vor allem Lagebilder aus den einzelnen Sicherheitsbehörden zusammengeführt (hier das IT-Lagezentrum im BSI). In Zukunft soll ressortgemeinsam das Management von dauerhaften Bedrohungen und akuten IT-Sicherheitskrisen übernommen werden. Foto: BS/BSI

griffen und zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten im Cyber-Raum zu koordinieren.

Von fraglichem Nutzen Schon 2011 beschieden Kritiker der Kooperationsstelle nur

geringe Erfolgsaussichten, vor allem weil mit lediglich zehn festen Mitarbeitern aus den Kernbehörden BSI, BfV und BBK der zunehmenden Bedrohung durch Spionage, Sabotage und sonstige Cyber-Kriminalität

wenig entgegengesetzt werden könne – zumindest nichts, was die Behörden nicht schon ihrem individuellen Auftrag nach leisten würden. 2014 bestätigte der Bundesrechnungshof in einem vertraulichen Bericht die Kritik am Cyber-AZ. Der Nutzen einer solchen Institution sei fraglich, hieß es darin. Außerdem sei festgestellt worden, dass die assoziierten Behörden, insbesondere die Bundeswehr, nicht regelmäßig an den Lagebesprechungen teilgenommen hätte.

Nationales Cyber-Abwehrzentrum Plus Die offenbar notwendige Reform des Cyber-AZ ist in der “Cyber-Sichersicherheitsstrategie für Deutschland 2016” als Weiterentwicklung angekündigt worden. Eine schon zuvor eingeleitete Evaluation hätte

ENDLICH iPHONE UND iPAD DIENSTLICH NUTZEN. Verschlusssache? Jetzt senden.

bereits Verbesserungen bei der Arbeit des Cyber-AZ gebracht, wie die Bundesregierung erklärte. In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken Fraktion im Bundestag hieß es Anfang des Jahres zu dem Vorgang: “Das CyberAZ soll unter Federführung des Bundesministeriums des Innern zu einer Institution weiterentwickelt werden, die ressortgemeinsam handelt, erforderliche Aktivitäten koordiniert und das IT-Krisenmanagement für Deutschland übernimmt.” Dabei soll die Unterscheidung in Kern- und assoziierte Behörden offenbar überdacht werden.

Zur Bundeswehr heißt es, sie sei zukünftig “unmittelbar im Cyber-AZ vertreten. Die konkrete Einbindung der Bundeswehr in die künftigen Prozesse und Verfahren des Cyber-AZ wird im Rahmen des Weiterentwicklungsprozesses definiert.” Aus Bundeswehr-Kreisen heißt es, man hätte sich dem BMI gegenüber mit Vorschlägen zum Weiterentwicklungsprozess zu einem “Nationalen Cyber-Abwehrzentrum Plus” eingebracht und strebe eine aktive und kontinuierliche Teilhabe an. Vorbild für ein Cyber-AZ Plus könnte das 2004 eingerichtete Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sein, in dem insgesamt 40 Behörden von Bund und Ländern zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zusammenarbeiten. Diese Koordinierungsstelle hat über 200 feste Bedienstete und ist in neun Arbeitsgruppen mit inhaltlichen Schwerpunkten organisiert.

Können wir uns vor WannaCry schützen? von Jan Lindner, Geschäftsführer Panda Security

Der 16. Mai wird der IT-Branche noch länger in Erinnerung bleiben. An diesem Tag überraschte WannaCry die IT-Experten in aller Welt. Mit mehr als 250.000 betroffenen Geräten in über 150 Ländern ist es der bis heute größte Cyberangriff weltweit. Zusätzlich zur Frage, wie und warum WannaCry derartig weitverbreitete Folgen haben konnte, hat der Angriff Diskussionen provoziert: Wer steckt hinter WannaCry? Und warum hat die NSA Informationen über eine Sicherheitslücke bei Microsoft geheim gehalten, die zu dem Angriff führte? Die Methodik von WannaCry lässt auf eine hochprofessionelle Organisation schließen. Manche Finger zeigen bereits in Richtung Nordkorea, einer der üblichen Verdächtigen. Hinweise, die den Angriff mit den Sony-Hacks verknüpfen,

stärken diese Theorie. Aber es ist noch zu früh, um die Angreifer sicher identifizieren zu können. Eines ist jedoch klar: Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt. US-Regierungsbehörden investieren Millionen Dollar in Cyberwaffen, die Schwachstellen in Betriebssystemen wie Windows ausnutzen. Laut Microsoft wurden die verwendeten WannaCry-Exploits bei einem Hackerangriff auf die NSA gestohlen – zusammen mit weiteren Schadprogrammen, die jetzt auf ihren Einsatz warten. Angesichts dieser Bedrohungen ist es wichtiger denn je, IT-Schutzlösungen zu nutzen, die jeden laufenden Prozess auf unseren digitalen Systemen proaktiv überwachen. Nur so können wir uns gegen Angriffe wie WannaCry schützen.

ISIS12 Informationssicherheit in 12 Schritten (BS/Krzysztof Paschke*) Die Lösung DocSetMinder der GRC Partner GmbH unterstützt die Umsetzung von ISIS12 in der öffentlichen Verwaltung ISIS12 ist ein durch den Bayerischen IT-Sicherheitscluster e.V. entwickeltes Informationssicherheitsmanagementsystem in 12 Schritten (ISIS12). Es ist besonders für kommunale Gebietskörperschaften und deren Zusammenschlüsse sowie die von ihnen in öffentlich-rechtlicher Form geführten Unternehmen und Einrichtungen geeignet. Das Modul “ISIS12” in DocSetMinder bildet die Methode vollständig, detailliert und ohne Einschränkungen ab: Mit seiner von ISIS12 abgeleiteten Struktur und dem ISIS12-Katalog stellt es einen fertigen Leitfaden für Behörden dar, die kostenbewusst und mit vertretbarem Aufwand

SecurePIM Government für iOS ist die perfekte Sicherheitslösung zum Schutz sensibler Behördendaten und interner Behördenkommunikation. Verschlüsselte E-Mails und ein geschützter Personal-Information-Manager mit Kalender, Kontakten, Dokumentenverwaltung sowie ein sicherer Web-Browser, eine gesicherte Kamera und ein geschütztes Fotoalbum bieten maximale Sicherheit bis VS-NfD.

Vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zugelassen.

securepim.com

kdb.bund.de bestellbar über das Kaufhaus des Bundes

für ihre Informationssicherheit ein angemessenes und durch anerkannte Prüfstellen zertifizierbares Schutzniveau erreichen möchten. Um die Datensicherheit zu erhöhen können die Module “EU-DSGVO” und “Notfallmanagement” zusätzlich eingesetzt werden. Ein kostengünstiges Upgrade auf ISO/IEC 27001 oder IT-Grundschutz ist ebenfalls möglich. Die Lösung bietet somit eine hervorragende Grundlage, um die Behörden sicher und “Ready for Audit” zu machen. *Krzysztof Paschke ist Geschäftsführer der GRC Partner GmbH.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Juni 2017

Spiel mit dem Feuer

KNAPP Wechsel bei der WHO

Shadow Brokers machen Cyber-Waffen der NSA frei zugänglich (BS/Benjamin Stiebel) Er war der nach Europol-Angaben größte Cyber-Angriff, den es je gegeben hat: Grundlage für die rasante Verbreitung des Schadprogramms WannaCry war ein zuvor von der anonymen Gruppierung Shadow Brokers veröffentlichtes Software-Werkzeug aus dem Cyber-Waffenarsenal des US-amerikanischen Nachrichtendienstes National Security Agency (NSA). In Kürze sollen weitere NSA-Werkzeuge zugänglich gemacht werden und vieles deutet darauf hin, dass damit noch weit verheerendere Angriffe durchgeführt werden können. Die Shadow Brokers traten erstmals im August letzten Jahres in Erscheinung, als sie ein erbeutetes Archiv von NSA-Hackern erfolglos zur Versteigerung im Internet angeboten hatten. Inhalt dieses Archivs sind unter anderem Exploits. Das sind Werkzeuge, mit denen Sicherheitslücken in Betriebssystemen oder Programmen ausgenutzt werden können, um sich zu Zwecken der Spionage, Sabotage oder sonstiger Cyber-Attacken Zugriff zu Computern und Netzwerken zu verschaffen. Im April veröffentlichten die Shadow Brokers vermutlich als Beweis dafür, dass sie tatsächlich im Besitz von hochpotenten Cyber-Waffen sind, einen Teil der Daten. Da– runter war auch der Exploit einer Sicherheitslücke in WindowsBetriebssystemen, den die NSA offenbar jahrelang vorgehalten und für nachrichtendienstliche Tätigkeiten verwendet hatte. Mithilfe dieses Exploits gelang es Hackern, den Verschlüsselungstrojaner WannaCry so zu programmieren, dass er sich nach einer Initialinfizierung mittels einer schadhaften EMail selbstständig innerhalb eines Netzwerks auf WindowsRechnern verbreiten kann. Wer hinter WannaCry steckt, ist bisher unklar. Zunächst wurde eine bekannte Hackergruppe aus Nordkorea verdächtigt, eine linguistische Analyse des Programmcodes deute aber auf einen Ursprung in Südchina hin, hieß es vom IT-Sicherheitsunternehmen Flashpoint.

Identität unklar Drängender ist aber die Frage, wer sich hinter dem Pseudonym Shadow Brokers verbirgt und wie diese Gruppe an das brisante Material gelangen konnte. Es

der Zeit gewesen, hätten nicht mehrere glückliche Umstände eine noch weitreichendere Verbreitung von WannaCry verhindert.

Per Zufall aktiviert

Der US-amerikanische Nachrichtendienst National Security Agency (NSA) zündelt auf gefährliche Art und Weise. Die dortigen Verantwortlichen sammeln massenhaft exklusive Sicherheitslücken, die die Grundlage für weltweit wirksame Cyber-Waffen bilden können. Und dann kann nicht einmal deren unkontrolliertes Nach-Außen-Dringen aus der Behörde heraus verhindert werden. Foto: BS/Stephanie Hofschlaeger, pixelio.de

handelt es sich nicht um den ersten prekären Datenabfluss bei der NSA. Edward Snowden hatte 2013 für seine Enthüllungen keine Hacker-Werkzeuge, sondern ausschließlich Dokumente entwendet, die das Ausmaß der Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste aufzeigten. In einem zweiten, jüngeren Fall sind über 50 Terabyte geheime Daten, darunter auch ein Großteil der hauseigenen Hacker-Tools, abgeschöpft worden. Harold T. Martin III. hatte diese während seiner Tätigkeit für eine vom NSA beauftragte Sicherheitsfirma gesammelt und – angeblich infolge eines krankhaften Sammelwahns – zu Hause aufbewahrt. Es spricht also einiges dafür, dass auch beim Fall Shadow Brokers Innentäter zumindest eine tragende Rolle spielen. Sei es,

dass ein drittes Mal jemand mit weitreichenden Zugriffsrechten Daten entwenden konnte, sei es, dass die Shadow Brokers sich Zugriff zu Martins Sammlung verschaffen konnten, bevor sie beschlagnahmt wurde. So oder so, die NSA spielt ein gefährliches Spiel, wenn sie exklusive Sicherheitslücken mit dem Potenzial für global wirksame Cyber-Waffen hortet, ohne deren Abfluss verhindern zu können.

WannaCry nur Vorgeschmack? Diese Kritik äußerte auch der Rechtsvorstand von Microsoft, Brad Smith. Er forderte, dass Sicherheitslücken an die SoftwareHersteller gemeldet werden, statt sie für geheimdienstliche Zwecke auszunutzen. Nach der WannaCry-Attacke verglich er den Verlust der NSA-Exploits mit

dem Diebstahl von TomahawkRaketen der US-Armee. Dabei hatte WannaCry längst nicht das Schadenspotenzial entwickelt, das unter anderen Umständen möglich gewesen wäre. Zwar wurden innerhalb weniger Tage mehr als 230.000 Computer in über 150 Ländern befallen. Im Verhältnis zum Umfang des Angriffs fiel der Erlös für die Urheber aber gering aus. Insgesamt sollen nur etwa 0,1 Prozent der Betroffenen das geforderte Lösegeld gezahlt haben. Auch was Kollateralschäden durch Ausfälle von IT-Systemen angeht, ist zumindest Deutschland glimpflich davongekommen. Bei Kritischen Infrastrukturen (KRITIS), Industrie und öffentlicher Verwaltung hat es offenbar keine gravierenden Zwischenfälle gegeben. Experten zufolge wäre das aber nur eine Frage

Erstens war die ausgenutzte Sicherheitslücke schon einige Wochen vor ihrer Veröffentlichung durch die Shadow Brokers von Microsoft geschlossen worden. Betroffen waren also nur ungepatchte Systeme. Zweitens enthielt WannaCry offenbar einen Programmierfehler, aufgrund dessen die Verbreitung mit dem NSA-Exploit nicht auf Windows-XP-Rechnern funktionierte. Anders als zunächst angenommen seien einer Analyse der IT-Sicherheitsfirma Kaspersky zufolge fast nur Windows7-Rechner betroffen gewesen. Drittens hatte ein Sicherheitsforscher zufällig einen Stoppmechanismus, einen sogenannten Kill Switch, aktiviert, den die Hacker vermutlich als Notausschalter vorgesehen hatten, falls WannaCry ein unkontrollierbares Eigenleben entwickeln sollte. Über die Folgen, die ein fehlerfrei codiertes Schadprogramm ohne Kill Switch auf Basis einer vergleichbar schweren, aber ungepatchten Sicherheitslücke haben könnte, kann im Augenblick nur spekuliert werden. Sicherheitsexperten bei Microsoft halten ein solches Szenario in den nächsten Wochen aber für durchaus wahrscheinlich. Die Shadow Brokers haben weitere Veröffentlichungen aus dem Fundus der NSA bereits in Aussicht gestellt. Anstelle einer Versteigerung soll es die Hacker-Tools der NSA nun im Monats-Abo geben. Dass die Shadow Brokers tatsächlich liefern können, was sie anbieten, haben sie inzwischen bewiesen.

(BS/mfe) Die Weltgesundheitsorganisation WHO steht ab Anfang Juli unter neuer Leitung. Dann tritt Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus die Nachfolge von Dr. Margaret Chan an. Er setzte sich gegen zwei weitere Kandidaten durch. Dr. Adhanom Ghebreyesus wurde von der äthiopischen Regierung nominiert und war dort zuletzt als Außenminister aktiv. Zuvor hatte er für sein Heimatland auch schon als Gesundheitsminister gearbeitet. Des Weiteren war Adhanom Ghebreyesus Vorstandsvorsitzender des globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria sowie Vorsitzender des Roll Back Malaria Partnership Boards.

“Haus der Sicherheit” nicht finanzierbar (BS/mfe) Das in der Bundesstadt Bonn geplante “Haus der Sicherheit” wird nicht zustande kommen. Das Projekt sei weder für die Stadt noch für die Deutsche Bahn (DB) finanziell darstellbar, teilte Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) kürzlich den Ratsmitgliedern mit. In den bisherigen Gesprächen wurden sämtliche für die Deutsche Bahn vorstellbaren Miet- oder Nutzungsvereinbarungen für den Neubau eines gemeinsamen Gebäudes für die Sicherheitskräfte von Bundespolizei, Landespolizei und Kommunalem Ordnungsdienst mit dem für die Stadt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vertretbaren Kostenaufwand abgeglichen. Die Deutsche Bahn konnte der Stadt allerdings keinen Eigentumserwerb, sondern nur ein im Grundbuch gesichertes Nutzungsrecht am Gebäude anbieten. Für die Stadtverwaltung wäre, wenn überhaupt, ein langfristiges Mietverhältnis ohne Baukostenzuschuss und zu einem maximalen Mietpreis bis zu 23 Euro pro Quadratmeter wirtschaftlich darstellbar gewesen.

13. Europäischer Katastrophenschutzkongress

www.civil-protection.com

19.– 20. September 2017

ANDEL’S HOTEL IN BERLIN

SAVE THE DATE Der Europäische Katastrophenschutzkongress: Dieser Kongress ist eine internationale Fachkonferenz, welche die verschiedenen Entscheidungsträger und Akteure des nationalen, europäischen und internationalen Katastrophenschutzes über die aktuellsten Entwicklungen informiert. Der Kongress fördert den aktiven Dialog zwischen Behörden, Universitäten und Experten aus dem Katastrophen- und Zivilschutz. Jährlich ist diese Konferenz Treffpunkt für 800 Teilnehmer aus mehr als 20 Nationen. Gemeinsam diskutieren sie über Entwicklungen, vertiefen Kooperationen und schaffen Netzwerke.

Themen 2017 sind u.a.: » Resilienz » Ehrenamt » Humanitäre Hilfe » Drohnen und Roboter » Aus- und Weiterbildung » Tunnelsicherheit » Geodaten » Schutz Kritischer Infrastrukturen

Fotos: ©larshallstrom, fotolia.com; Dombrowsky

DI / MI


Innere Sicherheit

Seite 48

E

in fast einzigartiger Glücksfall, der die schon zuvor imposante Ausrüstung aus irakischen und syrischen und durch größtenteils libysche Waffenbestände enorm verbesserte. Diese “goldenen Jahre” scheinen aber dennoch unwiederbringlich vorbei zu sein. Der Daesh verlor im Kampf gegen die diversen militärischen Allianzen, die Rebellen und gegen andere Terrorgruppen seit 2016 nicht nur rund 50 Prozent seiner “Besatzungszonen”, sondern damit auch viele seiner Kämpfer samt militärischer Ausrüstung. Und er verlor (über)lebenswichtig große Teile seiner Haupteinnahmequellen. Dies sind Erlöse aus Öl- und Gasverkäufen sowie Steuern und Gebühren. Sieht man sich die Listen der bei Daesh-Söldnern sichergestellten Waffen einmal genauer an, muss man die internationale Bandbreite der Produzenten mit einigem Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Natürlich dominieren russische und amerikanische Waffen: Sturmgewehre, Handfeuerwaffen, panzerbrechende Waffen, Granaten, Boden-LuftRaketen, Artillerien, Haubitzen, Panzer aller Art, Raketenwerfer und sonstige Militärtechnik. Aber auch eine Vielzahl von Waffen und militärischem Gerät aus chinesischer und europäischer Produktion sind im Einsatz. Und natürlich auch Waffen aus Deutschland, dem inzwischen nur noch viertgrößten Waffenlieferanten der Welt.

Lieferungen unzulässig Aus Geheimdienstkreisen und von investigativen Journalisten weiß man längst, dass unter der Clinton-Administration unzählige Waffenlieferungen in den Nahen Osten, insbesonde-

Behörden Spiegel / Juni 2017

Strengere Kontrollen erforderlich Waffen dürfen nicht mehr allzu leichtfertig in Terroristenhände gelangen (BS/Uwe Kranz) Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Daesh-Söldner, sozusagen im Durchmarsch, komplett neu ausrüsten konnten. So wie damals, im Sommer 2014, als 1.500 von ihnen reichten, um nicht nur die Herrschaft über Iraks zweitgrößte Stadt Mosul mit rund drei Millionen Einwohnern, sondern auch über prall gefüllte Lager mit militärischem Gerät, Waffen und Munition zu erobern. Diese waren von den rund 60.000 Sicherheitskräften bei ihrer kopflosen Flucht zurückgelassen worden.

Serie TERRORZIELE (TEIL 9) re auch an das Emirat Katar gingen, das überhaupt keine eigene Armee hat. Aber auch Deutschland liefert Katar bis heute Waffen, Munition, Kriegsschiffe, Panzer, Panzerteile, Feuerleiteinrichtungen, Flug- und Panzersimulatoren im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro. Und das, obwohl bekannt ist, dass damit islamistische Terrorgruppen zumindest indirekt unterstützt werden, Katar durch seine Waffenlieferungen an die syrische Opposition unmittelbare Bürgerkriegspartei wurde und offensichtlich auch in Jemens Bürgerkrieg involviert ist. Nach deutschen Rüstungsexportrichtlinien hätten solche Lieferungen eigentlich unterbleiben müssen.

Russische Militärbestände verkauft Nach Recherchen verschiedener Forschungseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und Journalisten verramschten auch ehemalige Ostblock- und Balkanstaaten ihre russischen Militärbestände in den Nahen Osten - und trugen so zur Verschärfung beziehungsweise Verlängerung des syrischen

Bürgerkriegs, zur Expansion des islamistischen Terrors und zumindest indirekt zur Verschärfung der Flüchtlingsproblematik bei.

Auch Terroristen kamen an Waffen Alleine in Albanien sollen 800.000 Kleinwaffen aus Armeedepots verschwunden sein, als das kommunistische Regime kollabierte. Bei den “Lotterieaufständen” im Jahre 1997 wurden nach Plünderungen von Armee und Polizei über 500.000 Waffen in den kriminellen Kreislauf gebracht, darunter allein 25.000 AK 47. In Serbien und Bosnien verschwanden nach dem Kollaps der jugoslawischen Regierung sogar fast zwei Millionen Waffen. Unzählige solcher Waffen haben Analysten im syrischen Bürgerkrieg festgestellt: bei der Freien Syrischen Armee (FSA), bei islamistischen Gruppen wie Ansar al-Sham oder Jabhat alFateh, bei den Daesh-Söldnern – und so fanden auch einige dieser Waffen ihren Weg nach Europa, in die Hände von Terroristen. Kriminelle kaufen die Waffen nach Ermittlungserkenntnissen auf dem Balkan ein und verkaufen sie zum zwei- bis dreifachen Preis, an wen auch immer. Von bleibender Erinnerung dürfte der Fall des Ziegenhirten aus Montenegro sein. Vlatko V.

Der Waffenschmuggel vermischt sich zudem auf beängstigende Weise mit dem Menschenschmuggel und den gelenkten Flüchtlingsströmen. So wurde im inzwischen Foto: BS/Dombrowsky aufgelösten französischen Flüchtkonnte im November 2015 an lingslager bei Calais und im der A 8 bei Bad Feilnbach als Camp Grande-Synthe wiederWaffenkurier enttarnt werden. holt über heftige SchusswechIn seinem geliehenen VW Golf sel berichtet. Bei einem Massenfanden die Beamten ein ganzes aufstand musste eine Vielzahl Waffenarsenal, sein Navigati- von Opfern mit Schusswunden onsgerät hatte einen Parkplatz in versorgt werden. In deutschen Paris als Ziel, für die Fahrt wur- Medien wurde das nirgends erden ihm angeblich einige Hun- wähnt, ganz im Gegensatz zu dert Euro geboten. Aufgrund der britischen. Angeblich seien auch dünnen Beweislage im Hinblick mehrere in Ex-Jugoslawien herauf Terrorunterstützung wurde gestellte kleinformatige Maschier nur wegen der Verstöße gegen nenpistolen gefunden worden. das Kriegswaffenkontrollgesetz Sie eignen sich besonders für die zu vier Jahren und drei Monaten verdeckte Trageweise für Attentäter, die von den Daesh-TerrorHaft verurteilt. Lehrmeistern in Europa bei der Kriminalitätsformen Planung und Durchführung von vermischen sich Anschlägen geführt werden. Europol und Frontex warnten Wie viele solcher geliehenen Autos waren und sind mit ähn- früh davor, dass der Daesh seilicher Ladung unterwegs? Wie ne Drohungen umsetzt, gezielt groß ist das Ausmaß dieses Flüchtlingsschleusungen aus “Ameisenhandels” mit Waffen dem Nahen Osten und Nordfür Terroristen in der Schengen- afrika zu betreiben, wofür ein Trainingsprogramm zone, von dem im Fall Vlatko eigenes V. nur ein Schnappschuss ge- entwickelt worden sei, damit seine Kämpfer im Asylverfahmacht werden konnte? Der Terrorexperte des Behörden Spiegel, Uwe Kranz, plädiert für einen gemeinsamen europäischen Ansatz im Bereich des Waffenhandels. Ansonsten könnten Waffen weiterhin zu leicht in den Besitz von Attentätern gelangen, meint er.

ren nicht auffallen. Schon 2014 wurden in Frankreich 57 Personen ermittelt und verhaftet, die im Darknet Schusswaffen kauften – darunter auch Kalaschnikows. Inzwischen warnte die Londoner Quilliams Foundation in einem Bericht, dass der Daesh unter dem Druck der Ermittlungen zunehmend im Darknet kommuniziere und kooperiere. Dies gelte insbesondere seit dem Paris-Attentat im November 2015. Dafür sei sogar ein spezielles TerroristenHandbuch mit dem Titel “Tor Browser Security Guidelines” zum Schutz vor Ermittlungen veröffentlicht worden, heißt es. Dass das Darknet auch ein virtueller Marktplatz für illegale Waffen aller Art ist, haben die rund 100 deutschen Ermittlungsverfahren im vergangenen Jahr gezeigt.

Keine diskreten Waffenlieferungen mehr All das verdeutlicht erneut den gewachsenen Nexus zwischen Terrorismus, Organisierter Kriminalität (OK), Flüchtlingsindustrie und illegalem Waffenhandel. Außerdem führt es zu der Erkenntnis, dass hier in der Vergangenheit einiges arg schief gelaufen ist beziehungsweise zu wenig bedacht und überwacht wurde. Die Europäische Union benötigt in Bezug auf Waffenlieferungen und -kontrolle dringend einen besseren und einheitlichen Bekämpfungsansatz. Außerdem bedarf es einer viel engeren internationalen Zusammenarbeit und die deutschen Sicherheitsbehörden müssen ihre Cyber-AbwehrProjekte rasch installieren. Diskrete Waffenlieferungen müssen schleunigst der Vergangenheit angehören.

Erhebliches Sicherheitsrisiko befürchtet

Zentralisierung verlangt

Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert geplanten FIU-Wechsel scharf

BDSW will Luftsicherheitsaufgaben in einer Behörde bündeln

(BS/mfe) Die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen wird künftig nicht mehr beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt sein, sondern bei der Generalzolldirektion (GZD). Außerdem wird die Einheit, die auch als Financial Intelligence Unit (FIU) bezeichnet wird, künftig nur noch administrativ und nicht mehr operativ tätig sein. Doch diese Änderungen stoßen auf Widerstand.

(BS/mfe) Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) hat seine Positionen und Forderungen zur Bundestagswahl im September und für die kommende Legislaturperiode formuliert. Seine Mitglieder fordern unter anderem, alle im Bereich der Luftsicherheit anfallenden Aufgaben in einer Behörde zu vereinen. Des Weiteren plädiert der BDSW dafür, klare Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Körperkameras durch private Sicherheitsdienste zu schaffen.

So warnt der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Sebastian Fiedler: “Der Zoll wird die ihm zukommende Filterfunktion nicht wahrnehmen können”. Das liege vor allem daran, dass die neue Verwaltungs-FIU nicht an polizeiliche Datenbanken angebunden sei. So seien in Zukunft keine Ermittlungen möglich, ob eine Person bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sei oder tatsächlich unter der Identität an der von ihr angegebenen Adresse lebe. Auch Terrorismusbezüge oder Verbindungen zur Organisierten Kriminalität seien dort nicht feststellbar.

Landeskriminalämter bisher stark involviert Außerdem würden Geldwäscheverdachtsmeldungen demnächst überhaupt nicht mehr an das regional zuständige Landeskriminalamt (LKA) und auch nicht mehr parallel an das Bundeskriminalamt (BKA) gehen, kritisiert Fiedler. Der nordrhein-westfälische BDK-Landesvorsitzende unterstreicht: “Wir befürchten ein erhebliches Sicherheitsrisiko und steuern auf ein massives Problem zu.” Denn bisher habe gegolten: “Die wesentliche Arbeit bei der Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen erfolgte in den einzelnen Landeskriminalämtern.” Dort seien rund 300 Beamte von Zoll und Kriminalpolizei in Gemeinsamen Finanzermittlungsgruppen (GFG) für diese Fälle zuständig gewesen und hätten eine eminent wichtige Clearing- und Ermittlungs-

funktion übernommen, erläutert Fiedler.

Zu wenige Mitarbeiter Diese Möglichkeiten fielen nun jedoch weg. Die neue FIU setze sich nicht mehr ausschließlich aus erfahrenen Kriminalbeamten und Zollermittlern zusammen, sondern aus Verwaltungsmitarbeitern. Damit einher ginge ein massiver Wissensverlust, so Fiedler. Und das sei äußerst problematisch. Schließlich seien die allermeisten Verdachtsmeldungen – für dieses Jahr rechnet der BDK-Vertreter mit etwa 50.000 – strafrechtlich relevant und müssten an die zuständigen Verfolgungsbehörden weitergegeben werden. Ansonsten habe man es mit gesetzlich verordneter Strafvereitelung zu tun. Um diese Brisanz zu unterstreichen, verweist Fiedler auf die Statistik. So habe sich 2014 bei nur sechs Prozent der Meldungen herausgestellt, dass tatsächlich überhaupt kein strafrechtlicher Verdacht bestand. Und dies habe erst nach kriminalistischen Ermittlungen festgestanden. Künftig verfüge die neue FIU über etwa die Hälfte des heutigen Personals. Dabei würden die heute zuständigen Kollegen bereits jetzt schon in Vorgängen ersticken. Es sei ihm schleierhaft, wie künftig halb so viel Personal mit weniger Ermittlungsmöglichkeiten bei zusätzlichen Aufgaben und steigendem Meldeaufkommen der Lage Herr werden solle.

Mehrere Wege für Täter Mit der Problematik der Geldwäsche befasste sich kürzlich

auch eine Veranstaltung des Instituts qanuun für interdisziplinäre Korruptionsprävention in Berlin. Dort erläuterte Uwe Friedrichs vom Landeskriminalamt Thüringen, dass dieses Delikt in Deutschland auf vielen unterschiedlichen Wegen möglich sei. Der Erste Kriminalhauptkommissar der Erfurter Behörde unterstrich: “Geld kann über Gegenstände aller Art gewaschen werden.” Hauptinstrument für solche Delikte seien gefälschte beziehungsweise manipulierte Rechnungen. Bei Geldwäsche ginge es immer um den Umtausch, den Transfer, das Verheimlichen oder Verschleiern von unmittelbar oder mittelbar aus Straftaten stammenden Vermögensgegenständen, so der Beamte. Anhand zahlreicher anonymisierter Fälle verdeutlichte der Leiter der Ermittlungsgruppe Korruption etwa, dass Geldwäsche auch mithilfe fingierter Rechnungen über VIP-Eintrittskarten für Fußballspiele oder Medienproduktionsdienstleistungen erfolgen könne. Eine weitere Möglichkeit seien manipulierte Verträge. Bei ihnen unterscheide sich der deutsche Text dann inhaltlich vom Vertragsinhalt in einer anderen Sprache und regele zum Beispiel Leistungen, die ursprünglich gar nicht vereinbart waren. Die Täter nutzten für ihre Zwecke unter anderem Briefkasten- und Scheinfirmen, Abrechnungsgesellschaften, sogenannte Domizilgesellschaften oder Ein-Jahres-Firmen, berichtete Friedrichs.

Außerdem sprechen sich die Verantwortlichen des Verbandes dafür aus, für Aufgabengebiete, in denen private Sicherheitskräfte eng mit der Polizei zusammenarbeiten, spezialgesetzliche Regelungen zu schaffen. Dies müsse etwa für den Schutz von Flüchtlingsunterkünften oder die Absicherung des Öffentlichen Personenverkehrs gelten. Auch für den Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) bedürfe es spezieller Regelungen.

Innenbehörden sollen zuständig werden Darüber hinaus verlangt der BDSW von allen Parteien, die privaten Sicherheitsdienste nach der Bundestagswahl auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen. Ziel müsse es sein, sie in den Zuständigkeitsbereich der Innenministerien beziehungsweise -behörden zu überführen. Für ebenfalls sehr wichtig halten die Verbandsvertreter die Schaffung von gesetzlich verankerten Minimalbefugnissen für private Sicherheitsdienstleister. Dies könnten zum Beispiel Rechte zur Personalienüberprüfung oder zum Aussprechen von Platzverweisen sein. Davon verspricht sich der BDSW eine deutliche Entlastung der Polizei.

Streikrecht gesetzlich regeln Der Verband macht hier allerdings noch lange nicht halt. So fordert er unter anderem auch eine Anhebung der Zuschussförderung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zum Einbruchsschutz, die zwingende Aufnahme von Qualitätskriteri-

en in die öffentliche Auftragsvergabe von Sicherheitsdienstleistungen sowie eine Bündelung der Maßnahmen im Bereich des Wirtschaftsschutzes. Hierzu sollte die Bundesregierung einen speziellen Beauftragten ernennen, meint der BDSW. Und schließlich verlangt die Interessensvertretung, dem grundgesetzlich verankerten Streikrecht im Bereich der Daseinsvorsorge im Interesse der Allgemeinheit per Gesetz Grenzen zu setzen. So müsse u. a. rechtlich fixiert werden, dass in diesem Sektor vor jeder Arbeitsniederlegung von beiden Parteien ein obligatorisches Schlichtungsverfahren zu durchlaufen sei. Des Weiteren müssten Streiks dann vier Werktage im Voraus angekündigt werden und es gebe eine Verpflichtung zum Abschluss einer Notdienstvereinbarung, fordert der BDSW.

Im Bereich der privaten Sicherheitsdienste gibt es aus Sicht des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW) einigen Reformbedarf. Diesen hat die Interessenvertretung nun in einem Forderungskatalog verankert. Darin verlangt sie unter anderem eine Bündelung der Verantwortlichkeiten im Bereich der Luftsicherheit. Foto: BS/BDSW

MELDUNG

Keine Entwarnung möglich (BS/mfe) “Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus wird in Deutschland nicht abnehmen.” Das machte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Dr. Hans-Georg Maaßen, kürzlich in Berlin deutlich. Zudem unterstrich er, dass es nicht die eine Antwort auf die terroristische Bedrohungslage gebe und hinsichtlich der Gefährdung vorerst keine Entwarnung gegeben werden könne. Zugleich mahnte Maaßen jedoch: “Terroranschläge dürfen

nicht als etwas Schicksalhaftes hingenommen werden.” Schließlich gelte: “Auch wenn der “Islamische Staat” in Syrien auf dem Rückzug ist, hat er weiterhin die Kraft und den Willen, Anschläge in Europa zu verüben. “Maaßen stellte klar: “Europa ist Ziel des Terrorismus des “Islamischen Staates”.” Aus diesem Grunde verlangte er: “Wir müssen die nationalen Datensilos auflösen und unsere Informationen international vernetzen.”


Innere Sicherheit / Sonderteil Waffen

Behörden Spiegel / Juni 2017

I

n Bayern, wo die Polizei im vergangenen Jahr neue Waffen im Gesamtwert von rund 280.000 Euro erworben hat, steht nun eine umfangreiche Neuanschaffung von Dienstpistolen an. Im Freistaat soll für alle rund 33.500 Waffenträger eine neue Standardpistole ausgewählt werden. Dieser Aufgabe widmet sich eine eigens eingerichtete Projektgruppe, die unter der Leitung des oberfränkischen Polizeipräsidenten Alfons Schieder tagt. Die Ausschreibung der neuen Waffen, die die seit 1979 verwendete, seit 2008 aber nicht mehr produzierte P7 von Heckler & Koch ersetzen sollen, steht unmittelbar bevor, die Auftragsbekanntmachung soll noch in diesem Monat erfolgen. Zunächst werden laut Münchner Innenministerium ausschließlich die Pistolen mit Magazin und Reservemagazin europaweit ausgeschrieben. Das Vergabeverfahren zum Erwerb der Holster und Magazintragetaschen soll erst im Februar kommenden Jahres starten,

Neue Pistole für Bayerns Polizisten Freistaat will Nachfolger für Standardwaffe P7 finden (BS/Marco Feldmann) In Deutschland gibt es rund 248.000 Polizeivollzugsbeamte. Nahezu alle von ihnen sind Waffenträger, vorrangig von Kurzwaffen. Teilweise werden die Beamten aber auch mit Maschinenpistolen ausgestattet. Und Spezialkräfte nutzen sogar Scharfschützengewehre und andere Langwaffen. wenn ein Pistolenhersteller ausgewählt wurde. Vorausgegangen waren dem Neuerwerb seit Ende vergangenen Jahres mehrere vorbereitende Arbeitsschritte. Dazu zählen unter anderem eine Marktschau, die Erstellung eines Anforderungsprofils für eine neue Standarddienstpistole, die Konzeption umfangreicher Erprobungsverfahren und Teststellungen sowie ein Verwertungskonzept für die bisherigen Waffen.

Noch keine Praxistest Konkrete Tauglichkeitstests wurden von den Mitgliedern der Projektgruppe bisher allerdings noch nicht durchgeführt. Vielmehr nahmen die Experten Pistolen, die im Vergabever-

Beschaffung vs. Auftragslage Das ewige Rennen zwischen Hase und Igel (BS/por) Die Bundeswehr hat rund 178.000 Soldaten “unter Waffen”. Die Bewaffnung einer Armee kann jedoch in anderen Zeitintervallen erfolgen als die zeitliche Entwicklung der jeweiligen Auftragslage. Schließlich ist militärische Ausrüstungsbeschaffung in der Regel ein langfristiger Prozess, während sicherheits- und verteidigungspolitische Wendungen durchaus kurzfristiger erfolgen können. Jüngstes Beispiel für solche Ungleichzeitigkeit bei Handwaffen der Bundeswehr: das Sturmgewehr G36. Ende April 2015 hatte Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) in Bezug auf die bisherige Standardwaffe der deutschen Streitkräfte entschieden: “Dieses Gewehr, so wie es konstruiert ist, hat in der Bundeswehr keine Zukunft.” Fortan ginge es darum, “mit Hochdruck an Ersatz zu arbeiten”. Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten zwischen dem G36-Hersteller Heckler & Koch (H&K) sowie dem Nutzer Bundeswehr über die Einsatzfähigkeit des Sturmgewehrs bei Dauerfeuer und bei heißen klimatischen Bedingungen. Laut Medienberichten sei das G36 nach mehreren hundert Schuss zu heiß geworden, wodurch die Trefferwahrscheinlichkeit auf Entfernungen über 300 Meter rapide abgenommen hätte. Fortan gingen gegenseitige Vorwürfe aufgrund von – angeblichen oder tatsächlichen – Präzisionsproblemen bei Hitze hin und her: zwischen Hersteller und Beschaffer, zwischen Regierung und Opposition, zwischen Experten und Medienvertretern. Die Ministerin “fackelte” nicht lange: In der “Causa” G36 wollte Dr. von der Leyen offenkundig medienwirksam Führungsstärke durch schnelle Entschlusskraft demonstrieren. Diese Uneinigkeit in der Beurteilung führte zu einem Rechtsstreit um Schadensersatz vor dem Landgericht Koblenz, in dem die öffentliche Hand unterlag.

G11 nie beschafft Die erste Standardwaffe der Bundeswehr war ab 1959 das Sturmgewehr G3 von H&K gewesen. Als dessen Nachfolger entwickelten die Büchsenmacher aus Oberndorf ab 1968 das G11 mit hülsenloser Munition. 1990 wurde der Waffe die Truppentauglichkeit bescheinigt. Im gleichen Jahr vollzog sich jedoch die Wiedervereinigung Deutschlands, im Jahr darauf löste sich der Warschauer Pakt auf und die Sowjetunion implodierte. Damit war in Mitteleuropa eine völlig neue Sicherheitslage entstanden. Die Schlagworte aus jener Zeit sind hinlänglich bekannt: “Ende der Geschichte”,

Seite 49

“von Freunden umzingelt”, “Friedensdividende” – um nur einige zu nennen. Für das Programm G11 bedeutete diese Entwicklung das Aus. 1993 bestätigte das Bundesverteidigungsministerium endgültig, dass jenes Sturmgewehr nicht beschafft würde. Bereits im Jahr zuvor hatte das Heer die Anforderungen an einen G3Nachfolger neu formuliert. Aus finanziellen Gründen – “Friedensdividende” – entschied sich die Bundeswehr für die Beschaffung einer bereits am Markt erhältlichen Waffe anstelle einer Neuentwicklung. Nach intensiven Truppenversuchen wurde das G36 als neue Standardbewaffnung für die deutschen Streitkräfte ausgewählt.

Einsatzprofil hat sich verändert Bis zum damaligen Zeitpunkt war die Bundeswehr fast ausschließlich zu humanitären Zwecken im Ausland eingesetzt worden. Die bis dato einzigen Ausnahmen waren 1990/1991 als Folge des irakischen Einmarsches in Kuwait die Entsendung von Minensuchbooten in Mittelmeer und Persischen Golf sowie von Kampfflugzeugen in die Osttürkei als Teil der “NATOFeuerwehr”. Ab 1992 kam noch die militärische Embargoüberwachung gegen Jugoslawien mit See- und Luftstreitkräften hinzu. Das Heer war zunächst nicht unmittelbar betroffen. Im Mai 1995 wurde schließlich die Einführungsgenehmigung zwischen Heckler & Koch und der Bundeswehr für das G36 unterzeichnet. Zweieinhalb Jahre später erfolgte dessen offizielle Übergabe. In Somalia, BosnienHerzegowina und im Kosovo brauchten die deutschen Landstreitkräfte keine Kampfeinsätze zu bestehen. Dies sollte sich in Afghanistan ändern. Dort wurden deutsche Soldaten zunehmend in das Kampfgeschehen einbezogen. Verteidigungsminister zu Guttenberg sprach damals erstmalig “umgangssprachlich von Krieg”. Am Hindukusch erlebte das G36 offenkundig eine “Feuerprobe neuen Typs”, die letztlich zur erwähnten Entscheidung der Ministerin führte.

fahren möglicherweise von den Herstellern angeboten werden könnten, in Augenschein. Dabei versuchten sie insbesondere abzuschätzen, wie hoch jeweils der Aus- und Fortbildungsaufwand wäre. Individuelle Modellprüfungen finden erst ab August statt, wenn das geplante Erprobungsverfahren startet.

Überall im Einsatz ab Anfang 2020 Die Ausgabe der ersten neuen Pistolen soll im Januar 2019 starten. Der Abschluss der vollständigen Umrüstung, für die mit Kosten von rund 30 Millionen Euro gerechnet wird, ist für Anfang 2020 geplant. Die Pistolen werden eine Magazinkapazität von mindestens zwölf Patronen aufweisen, wie es die einschlägige Technische Richtlinie vorschreibt. Die derzeit noch im Einsatz

Im Freistaat Bayern erhalten alle etwa 33.500 Polizisten spätestens Anfang 2020 eine neue Dienstpistole. Zentrale Kennzeichen der modernen Waffen sollen unter anderem ein möglichst niedriges Gewicht, eine einfache Bedienbarkeit und eine große Magazinkapazität sein. Es wird mit Gesamtkosten in Höhe von etwa 30 Millionen Euro gerechnet. Foto: BS/JouWatch, CC BY-SA 2.0, flickr.com

befindlichen Pistolen verfügen jeweils über 15 Patronen pro Magazin. Auch in Zukunft sollen die Polizeivollzugsbeamten

in Bayern darüber hinaus mit einem zusätzlichen Reservemagazin ausgestattet werden. Landesinnenminister Joachim

Herrmann (CSU) sagt zu den geplanten Neubeschaffungen: “Wichtig sind uns vor allem ein möglichst geringes Gewicht, eine einfache und sichere Bedienung sowie ein flexibles, anpassbares Griffstück.” Ebenfalls erheblicher Wert werde auf eine große Magazinkapazität gelegt. Hierzu meint der Ressortchef: “Das ist gerade mit Blick auf die anhaltende terroristische Bedrohungslage notwendig.” Neben der Beschaffung der neuen Waffen – erworben werden müssen auch entsprechende Trainings- und Handhabungswaffen – muss derweil auch die Infrastruktur angepasst werden. Das betrifft etwa die IT-gestützte Schusswaffenverwaltung, die Werkstätten und Lager sowie die Schießanlagen. Bayerns Innenministerium überarbeitet im Übrigen derzeit auch die taktischen Konzepte hinsichtlich der Bewaffnung mit Mitteldistanzwaffen wie Gewehren oder Maschinenpistolen. Konkrete Entscheidungen über eine mögliche Änderung oder Aufstockung dieser Bewaffnungsform seien jedoch noch nicht getroffen worden, hieß es.


Innere Sicherheit

Seite 50

Behörden Spiegel / Juni 2017

Keine bundesweiten Standards

Möglichkeiten ungenutzt

Länder entscheiden eigenständig über Meldepflichten von Justizvollzugsanstalten

Vorgaben für DNA-Analyse in Deutschland recht restriktiv

(BS/Marco Feldmann) Hamburg verfolgt eine Null-Toleranz-Linie. Rheinland-Pfalz hingegen führt keine allgemeine Statistik über durch Inhaftierte (BS/mfe) Haarfarbe. Augenfarbe. Biogeografische Herkunft. All das verübte und zur Anzeige gebrachte Straftaten. Und auch in Nordrhein-Westfalen, immerhin das bevölkerungsreichste deutsche Bundesland, ist ließe sich rein technisch auch hierzulande bereits durch die Auswerdie Datenlage zu Delikten im Strafvollzug lückenhaft. tung des menschlichen Genoms bestimmen. Es gibt nur ein Problem: In der Strafprozessordnung sind Untersuchungen auf solche Merkmale So heißt es vom Düsseldorfer zugsanstalten sind keineswegs Ebenso keine Informationen begangenen Straftaten ist das hin nicht festgeschrieben. Sie sind folglich nur im Rahmen von ForJustizministerium, dass sich vollständig. So sind nur soge- sind hinsichtlich der Frage ver- Zahlenmaterial der Berliner Se- schungsvorhaben zulässig. Und auch organisatorisch hinkt Deutschland hinterher. aus der Strafverfolgungsstatis- nannte direkte Übergriffe, die fügbar, ob es sich bei den erfass- natsverwaltung für Justiz. tik nicht erkennen lasse, wo eine Straftat begangen worden sei. Aus diesem Grunde ließen sich die Delikte, die in Haftanstalten begangen wurden, nicht von der Gesamtzahl abgrenzen. Zudem gilt: Eine exakte Aufschlüsselung nach einzelnen Deliktsarten findet in den Justizvollzugsanstalten zwischen Rhein und Ruhr nicht statt. Beleidigungen und Bedrohungen werden von den Hausleitungen überhaupt nicht an das Ministerium berichtet. Gleichwohl sind sie gehalten, alle bekannt gewordenen Gewaltanwendungen unter Gefangenen zur Anzeige zu bringen, sofern diese nicht völlig belanglos sind. Im vergangenen Jahr gab es 737 entsprechende Verdachtsfälle.

Viele Attacken nicht berücksichtigt Auch die nordrhein-westfälischen Zahlen zu Übergriffen auf Bedienstete von Justizvoll-

zu Dienstunfähigkeit führen, berichtspflichtig. Davon gab es 2016 zehn Angriffe. Verletzungen, die infolge der Anwendung unmittelbaren Zwangs entstehen, werden nicht gesondert erfasst. Und das obwohl das Justizministerium selbst einräumt, dass sich in diesem Bereich die meisten Fälle von Verletzungen ereignen. Ähnliches lässt sich in Mainz feststellen. Im dortigen Justizministerium kann man nur Daten zu Fällen von Gewaltausübungen durch Gefangene für die vergangenen fünf Jahre liefern. Dabei handelt es sich ausschließlich um (versuchte) Körperverletzungsdelikte, zu anderen Straftatbeständen gibt es keine Zahlen. Hinzu kommt, dass Angaben zu Strafanzeigen, soweit diese der obersten Landesbehörde zugeleitet wurden, erst seit 2015 in statistisch auswertbarer Form vorliegen.

ten Vorkommnissen tatsächlich um eine mit Strafe zu ahndende Tat handelte. Hier könnten bundesweit einheitliche Standards, welche Taten zwingend an die Ministerien zu melden sind, Abhilfe schaffen. Noch existieren solche einheitlichen Regelungen allerdings nicht.

Exaktere Aufschlüsselung in der Bundeshauptstadt Sie könnten möglicherweise verhindern, dass selbst ein Flächenland wie Bayern nur die Zahl der Tätlichkeiten durch Gefangene angeben kann, eine weitere detailliertere Aufschlüsselung der gemeldeten Straftaten nach einzelnen Deliktgruppen aber nicht möglich ist. Demnach kam es im Freistaat im vergangenen Jahr zu insgesamt 232 derartigen Übergriffen. 174 von ihnen richteten sich gegen Mitgefangene, 58 gegen Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten. Deutlich genauer im Hinblick auf die

Diesem zufolge gab es in den acht Gefängnissen der Bundeshauptstadt im abgelaufenen Kalenderjahr 28 Tätlichkeiten gegen Bedienstete, die den Tatbestand der vorsätzlichen, vollendeten Körperverletzung erfüllten, Hinzu kommen 369 derartige Taten gegenüber anderen Gefangenen und 19 weitere Meldungen. Bei diesen handelt es sich um Nötigungen, räuberische Diebstähle oder Erpressungen, einfache Erpressungen oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Mit künftigen Herausforderungen im Bereich des Justizvollzugs beschäftigt sich auch der 1. Bundeskongress Strafvollzug und Justizverwaltung des Behörden Spiegel. Dieser findet am 17. Oktober in Bonn statt. Weitere Informationen zum Programm und Anmeldemöglichkeit unter: http://www.justizverwaltung. eu/

Datei gibt es auch noch europaweite Abgleichmöglichkeiten. Diese sind in ihrer Wirksamkeit aber begrenzt. Denn obwohl der Prümer Vertrag eigentlich den automatisierten Abgleich von DNAzwischen Um eine DNA-Analyse durchführen zu können, rei- Spuren chen oftmals schon Speichelreste an einer Zigaret- allen 28 Mitgliedstenkippe (Foto) aus. Im Vergleich zu anderen Nati- staaten der Euroonen sind die Restriktionen für diesen Bereich der päischen Union vorForensik in Deutschland vergleichsweise hoch. sieht, hält sich rund Foto: BS/Aka, pixelio.de ein Drittel der Nationen nicht oder nur So sind in jedem hiesigen Lan- teilweise an die Verpflichtungen. deskriminalamt (LKA) und auch Zu den Sündern gehören unter im Bundeskriminalamt (BKA), anderem Italien, Dänemark und anders als zum Beispiel in Öster- Griechenland. Einen Fortschritt hinsichtlich reich, die Untersuchungs- und die Eingabestelle in die zentra- der Ausnutzung des riesigen le Datei voneinander getrennt. Potenzials von DNA-Analysen in Deutschland Außerdem dürfen die Kriminal- zumindest techniker in der Bundesrepu- könnte eine Gesetzesinitiative blik – anders als zum Beispiel der baden-württembergischen in den Niederlanden – die DNA Landesregierung bringen. Dieser nur in ihrem nicht-codierenden sieht vor, die in der StrafprozessBereich untersuchen. Das sind ordnung festgelegten Untersujene Teile, die keinerlei Aussagen chungsmöglichkeiten in diesem über genetische Dispositionen Bereich der Forensik zumindest für bestimmte Erbkrankheiten auf Augen-, Haar- und Hautfarbe oder äußere Körpermerkma- sowie das biologische Alter zu le zulassen und die auch keine erweitern. Bedeutung für das biologische Geschehen im menschlichen Rechtliche Grundlagen seit Längerem unverändert Körper haben. Gleichfalls an die Grenzen des rechtlich ZulässiDazu sagte der Stuttgarter Jusgen stoßen die Forscher, wenn es tizminister Guido Wolf (CDU) in darum geht, die DNA von einei- der Länderkammer: “Wir wollen igen Zwillingen gerichtsverwert- den Instrumentenkasten der Erbar zu untersuchen. Aber auch mittler erweitern. Wir wollen den hier gäbe es wissenschaftliche Strafverfolgungsbehörden wertMöglichkeiten, etwa durch den volle weitere ErkenntnismöglichNachweis der Methylierung, eine keiten bei der Untersuchung von Modifikation der DNA. Momen- DNA-Spuren an die Hand geben.” tan seien solche Analysen jedoch Das sei auch dringend erfordernoch sehr aufwendig und teuer, lich. Schließlich hätten sich die heißt es aus der Wissenschaft. wissenschaftlichen ErkenntnisDNA-Untersuchungen, die in möglichkeiten in den letzten Jaheinen aus 32 Ziffern bestehen- ren erheblich erweitert, während den Zahlencode münden, erlau- die rechtlichen Grundlagen seit ben absolute Sicherheit darü- 2004 unverändert geblieben seiber, ob eine Person tatsächlich en, so der Ressortchef. ein Spurenverursacher ist. Nur Das Vorhaben scheint aber Übereinstimmungswahrschein- bei zahlreichen anderen Länlichkeiten könnten hingegen an- dern, auch wenn Bayern dem gegeben werden, wenn es darum Antrag beigetreten ist, nicht ginge, welche Haar- oder Augen- unbedingt auf Wohlwollen zu farbe eine Person hat. Solche Un- treffen. Schließlich dauern die tersuchungen sind hierzulande Beratungen über die Initiative in derzeit aber noch nicht statthaft. den Bundesratsausschüssen für Anderes gilt für den nicht-co- Recht und Innere Angelegenheidierenden Bereich der DNA. Hier ten schon seit Februar an und steht ein riesiger Vergleichspool wurden bereits einmal verlänzur Verfügung. Die DNA-Analy- gert. se-Datei, die zentral beim BunAuch diese Verzögerung zeigt deskriminalamt (BKA) geführt erneut, dass in Deutschland bei wird, umfasste zuletzt fast 1,2 weitem noch nicht alle MöglichMillionen Datensätze. Davon wa- keiten der DNA-Analyse genutzt ren rund 866.000 Personen- und werden und andere Staaten wie etwa 300.000 Spurendatensätze. zum Beispiel Österreich, die NieMonatlich kommen circa 8.400 derlande oder die Vereinigten neue Datensätze hinzu. Seit Er- Staaten von Amerika in diesem richtung der Verbunddatei im Bereich schon deutlich weiter April 1998 bis Ende März die- sind. ses Jahres wurden über 240.00 Treffer erzielt. Dabei wurde in nahezu 51.000 Fällen ein Tatzu- MELDUNG sammenhang in Form eines sogenannten Spur-Spur-Treffers Neuer Messenger erkannt. Dabei wurde derselbe (BS/mfe) Bayerns Polizisten Spurenverursacher an verschie- können künftig einen eigenen denen Tatorten identifiziert. Et- Messengerdienst benutzen. wa 191.00 Mal konnte wiederum Ein entsprechendes Pilotproeine am Tatort gesicherte Spur jekt startete kürzlich beim Poeiner Person zugeordnet werden. lizeipräsidium Mittelfranken in Nürnberg. Damit sollen ab sofort Meiste Treffer zu Diebstählen unter anderem ErmittlungshinDie meisten Treffer, nämlich weise, Fahndungsbilder und fast 150.000, gab es übrigens im Einsatzbefehle digital übermitBereich von Diebstahlsdelikten. telt werden können. Um das sicherstellen zu könDie wenigsten Übereinstimmungen mit jeweils 144 fanden sich nen, erhalten alle Polizeiverbänwiederum bei Beleidigungs- und de im Freistaat bis Jahresende Hehlereidelikten. Auf Straftaten 2.800 speziell ausgestattete gegen das Leben entfielen 2.087 Smartphones. Bis 2018 soll Treffer, auf Sexualdelikte 3.376. dann jede Streife über den “PoliNeben dieser deutschlandweiten zei Messenger” verfügen.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Juni 2017

U

m hier gegensteuern zu können und Lieferketten effektiv abzusichern, käme es auf eine möglichst große Interoperabilität an. Darüber hinaus müssten Insellösungen für einzelne Branchen möglichst vermieden werden. Auf ein anderes Problem weist der ehemalige Polizeidirektor Hans-Joachim Kensbock-Rieso hin. Der frühere Leiter der Polizeiinspektion Düsseldorf kritisiert, dass zahlreiche Verantwortliche bei den Länderpolizeien die Problematik des illegalen Zigarettenhandels unterschätzten und eine zu geringe Sensibilität für das Thema aufwiesen. Und das trotz eines Steuerausfalls in Höhe von 1,1 Milliarden Euro durch den Konsum illegaler Zigaretten im Jahr 2015.

Umfangreiches Aufgabenportfolio für den Zoll Der Kampf gegen den Glimmstängel-Schmuggel bildet auch einen Tätigkeitsschwerpunkt des Zollfahndungsamtes Hamburg. Aber auch mit Produktpiraterie, Rauschgift- und Arzneimittelschmuggel und der illegalen Einfuhr von Wasserpfeifentabak müssten sich seine rund 350 Mitarbeiter befassen, berichtet Behördenleiter René Matschke. Die Hauptaufgabe sieht er dabei in der Verfolgung und Verhütung der mittleren, schweren und Organisierten Zollkriminalität, wie er im Rahmen eines Führungskräfte Forums des Behörden Spiegel zur Lieferkettensicherheit in der Hansestadt deutlich machte. Zudem unterstrich Matschke: “Geschmuggelt wird alles, was billig zu produzieren, teuer zu

Seite 51

Riesiger Profit durch Fälschungen Verknüpfungen zwischen Kriminellen und Terroristen werden immer enger (BS/Marco Feldmann) Produktfälscher machen weltweit einen Gewinn von 461 Milliarden Euro jährlich. Darauf weisen Experten vom Forum Vernetzte Sicherheit hin. Zudem warnen sie, dass Terroristen zunehmend aus dem kriminellen Milieu kämen und sich in Justizvollzugsanstalten radikalisierten. Dabei handele es sich um eine neue Erscheinungsform der bereits seit längerer Zeit erkennbaren Verknüpfung zwischen Kriminalität und Terrorismus, erläuterte Thomas Franke von der Initiaitve.

Thomas Franke vom Forum Vernetzte Sicherheit erläuterte die Dimensionen der weltweit durch Fälschungen entstandenen Schäden. Deren Höhe bezifferte er auf 461 Milliarden Euro.

verkaufen und einfach zu transportieren ist.” Des Weiteren erläuterte er den Kontrollansatz seines Zollfahndungsamtes, der auf Risikoanalysen beruhe. Im Zuge dessen würden unter anderem die Schiffsmanifeste mittels EDV-Anwendungen und zöllnerischer Erfahrung ausgewertet. Anschließend erfolge eine Einteilung jedes Einzelfalls anhand eines Ampelsystems. Abgeschlossen würden die Überprüfungen – sofern erforderlich – durch eine Öffnung des zu kontrollierenden Containers im Hamburger Hafen. Gegebenenfalls käme dabei auch eine Röntgenanlage zum Einsatz, erklärte Matschke. Faktoren, anhand derer die Risikobewertung erfolge, seien zum Beispiel das Ursprungsland der Ware, der Abgangshafen des Transportschiffes sowie eine niedrige Qualität der angemeldeten Waren.

nen den Handel mit Produkten, die aufgrund ihres Wirkstoffs in keinem Mitgliedsstaat der Europäischen Union zugelassen sind, und zum anderen die Fälschung zugelassener Mittel. Dabei warnte er die mehr als 30 Teilnehmer der Veranstaltung: “Illegale Pflanzenschutzmittel sind nicht getestet und erfüllen die Standards häufig nicht.” Des Weiteren unterstrich der Beamte: “Wir suchen nach Pflanzenschutzmitteln, die nicht an einen Zulassungsinhaber ad-

Der Geschäftsführer von securPharm e. V., Martin Bergen, warnte vor den hohen Gewinnmargen im Bereich des Handels mit gefälschten Arzneimitteln.

ressiert sind oder die verbotene Wirkstoffe enthalten.” In diesem Zusammenhang alarmiert Hilfert: “Der Handel mit illegalen Pflanzenschutzmitteln ist für Fälscher sehr attraktiv.” Auch Martin Bergen, Geschäftsführer von securPharm, warnte: “Gefälschte Arzneimittel stellen eine besondere Bedrohung für den Patienten dar.” Und er erklärte: “Die Fälscher rüsten auf. Inzwischen sind die Gewinnmargen bei gefälschten Arzneimitteln zum Teil höher als beim illegalen Handel mit Betäubungsmitteln!” Dabei setzten die Kriminellen auf unterschiedliche Geschäftsmodelle. Entweder stellten sie die gefälschten Medikamente selbst her oder sie würden hochpreisige Arzneimittel entwenden und diese dann wieder in den Verkehr bringen.

Große Attraktivität für Kriminelle

René Matschke, Leiter des Hamburger Zollfahndungsamtes, beschrieb die unterschiedlichen Aufgaben seiner rund 350 Mitarbeiter. Fotos: BS/Feldmann

Den verschiedenen Formen des verbotenen Handels mit Pflanzenschutzmitteln widmete sich wiederum Gregor Hilfert von der Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation. Er unterschied zwei Aktionsformen: Zum ei-

Cyber Crime als Massenphänomen Kriminalität aus dem digitalen Raum verursacht erhebliche Schäden (BS/mfe) Allein im vergangenen Jahr erfassten die Polizeibehörden hierzulande rund 83.000 Fälle von Cybe Crime im engeren Sinne. Dabei entstand ein Schaden von mehr als 51 Millionen Euro, erläuterte kürzlich der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch. Zudem betonte er, dass polizeiliche Statistiken und Lagebilder in diesem Bereich nur einen kleinen Teil der Realität widerspiegelten. Münch unterstrich: “Das Dunkelfeld ist immens. Für eine effektive Bekämpfung von Cyber Crime ist es deshalb wichtig, dass jede Straftat angezeigt wird.” Des Weiteren erklärte der Behördenleiter: “Um Kriminalität auch weiterhin erfolgreich bekämpfen zu können, müssen die Sicherheitsbehörden flexibel sein, sich schnell an neue Gegebenheiten anpassen können und mit zeitgemäßen Ermittlungs- und Analysewerkzeugen ausgestattet sein.” Dafür bedürfe es erweiterter digitaler Kompetenzen aufseiten der Ermittler, verlangte Münch. Ähnlich äußerte sich Markus Koths, Leiter der CybercrimeGruppe im BKA. Auch er betonte, dass diese Kriminalitätsform

ein Massenphänomen mit hohem Wachstumspotenzial und Dunkelfeld sei und die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) allein keineswegs ausreiche, um das Ausmaß der zugehörigen Delikte angemessen erkennen zu können. Des Weiteren schilderte Koths, dass es inzwischen auch im Bereich von Cyber Crime Strukturen von Organisierter Kriminalität (OK) gebe und viele klassische Delikte zunehmend in den digitalen Raum verlagert würden. Dazu gehörten unter anderem Betrug und der Besitz kinderpornografischen Materials, so der Beamte. Der Bamberger Generalstaatsanwalt Thomas Janovsky wiederum unterstrich, dass sowohl die PKS als auch die Verurtei-

lungsstatistiken bei Cyber Crime “nicht einmal die Spitze des Eisbergs” zeigten. Zudem stünden die Strafverfolgungsbehörden in diesem Bereich vor zahlreichen Herausforderungen. Dazu zählten zum Beispiel die geringe Anzeigebereitschaft der Geschädigten, der oftmals vorhandene Auslandsbezug der Delikte, die Flüchtigkeit digitaler Spuren und die Schnelllebigkeit technischer Entwicklungen. Hinzu kämen die Notwendigkeit der Auswertung großer Datenbestände und eine unzureichende Vorratsdatenspeicherung. Insgesamt betrachtet hielt der Jurist fest: “Das Recht ist weitgehend noch im analogen Bereich geblieben.

NEUE VERANSTALTUNG des Behörden Spiegel

BUNDESKONGRESS: Strafvollzug und Justizverwaltung 17. Oktober 2017, Bonn Auch der Straf- und Justizvollzug muss mit der Zeit gehen und sich den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen stellen. Die wichtigsten Themen, die der „Bundeskongress Strafvollzug und Justizverwaltung“ am 17. Oktober behandelt, sind dabei: ► Islamismus im Vollzug ► Zukunft des Berufsbildes des Justizvollzugsbeamten ► Künftige Entwicklungen in der Vollzugsgestaltung

www.justizverwaltung.eu


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

Seite 52

Behörden Spiegel / Juni 2017

Alles eine Frage der Abwägung

Gefahr für legale Wirtschaft

Zentrale Beschaffungen bringen nicht nur Vorteile mit sich

OK-Täter vermehrt im verbotenen Handel unterwegs

(BS/Marco Feldmann) Eine zentrale Einsatzmittelbeschaffung bietet dem Land Brandenburg eine Kostenersparnis. Diese werde durch Sammelbeschaffungen ermöglicht. Außerdem könnten durch dieses Verfahren Vorgaben zu Fahrzeugtypen mit einheitlichem Standard gemacht werden, erläuterte Jürgen Philipp. Der Mitarbeiter des Zentraldienstes der märkischen Polizei wies auf den vierten BOS-Beschaffertagen in Bonn aber auch auf Risiken dieser Beschaffungsform hin.

(BS/mfe) Produktpiraterie und illegaler Handel schwächen die Finanzkraft einer Nation und schädigen den regulären Wirtschaftskreislauf. Hier droht zunehmend Gefahr. Denn: In diesen Deliktsbereichen sind immer öfter Angehörige der Organisierten Kriminalität (OK) aktiv.

Zu diesen zählten unter anderem der geringe Spielraum für individuelle Einzellösungen der kommunalen Aufgabenträger sowie die Tatsache, dass Leistungsstörungen sich in diesem Fall immer auf mehrere Bedarfsträger auswirkten. Weitere Nachteile von Sammelbeschaffungen stellten der erhöhte Verwaltungsaufwand für die Beschaffungsstelle beziehungsweise die Bewilligungsbehörde und der Umstand dar, dass Verzögerungen im Vergabeverfahren – etwa durch Rügen oder Nachprüfungsverfahren – grundsätzlich mehrere Bedarfsträger zugleich beträ-

Jürgen Philipp vom Zentraldienst der Brandenburger Polizei ging auf die Vor- und Nachteile der zentralen Einsatzmittelbeschaffung ein. Außerdem beleuchtete er die Motive der an solchen Beschaffungen beteiligten Akteure.

fen, unterstrich Philipp vor rund 80 Teilnehmern. Des Weiteren wirkten sich Abweichungen der Beschaffungs- von den Plankosten bei dieser Beschaffungsform direkt auf die Haushaltsplanungen aus, räumte er ein.

DFV-Fachempfehlung vorgestellt Zentrale Beschaffungen waren aber bei Weitem nicht das einzige Thema der zweitägigen Veranstaltung im GustavStresemann-Institut. Vielmehr präsentierte zum Beispiel Willi Reckert, ehemaliger stellvertretender Leiter der Münsteraner Berufsfeuerwehr, die Fachempfehlung des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) zur Beschaffung von Einsatzfahrzeugen. Dabei machte er als Mitautor des Papiers klar, dass damit ein Praxisleitfaden zur Verfügung gestellt werden solle. Zudem betonte Reckert, dass in Einzelfällen auch eine Gesamtlosvergabe von Fahrzeugaufbau und -gestell zulässig sei. Ilse Beneke, Leiterin der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern (BeschA), wiederum widmete sich Nachhaltigkeitskriterien bei Beschaffungen durch Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Dabei zeigte sie sich für die Zukunft überzeugt: “Das

Rund 80 Teilnehmer nutzten die vierten BOS-Beschaffertage in Bonn zur Aneignung neuen Wissens sowie zum Meinungsaustausch. Sie konnten nicht nur Einzelvorträgen lauschen, sondern auch praxisnah an Workshops teilnehmen. Fotos: BS/Feldmann

Thema Nachhaltigkeit wird gesellschaftlich immer wichtiger.” Zugleich räumte Beneke aber auch ein: “Eine ganz klare Definition von Nachhaltigkeit haben wir nicht.”

auch auf Landesebene Gültigkeit erlangt haben, prognostizierte Müller abschließend.

UVgO kommt im Bund bis zum Sommer Hans-Peter Müller aus dem Bundeswirtschaftsministerium schließlich erläuterte aktuelle Entwicklungen im Unterschwellenvergaberecht. In diesem Zusammenhang kündigte er an: “Auf Bundesebene wird die Unterschwellenvergabeordnung noch in diesem Sommer in Kraft treten.” Und er gab sich optimistisch, dass anschließend alle Länder nachziehen würden. Bis Jahresende werde die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) wohl recht flächendeckend

Der ehemalige stellvertretende Leiter der Berufsfeuerwehr Münster, Willi Reckert, stellte die Fachempfehlung des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) zur Beschaffung von Einsatzfahrzeugen vor.

“Die TETRA-Technik ist zukunftsfähig” Motorola Solutions unterstützt Standard noch bis weit über 2035 hinaus (BS) TETRA ist ein nahezu weltweiter Standard. Der Geschäftsführer der Motorola Solutions Germany GmbH hält ihn auch in der Zukunft für nutzbar. Gleichwohl müsse das Netz ausgebaut werden, um langfristig den Schritt in die Breitbandigkeit machen zu können, meint Christoph Thomas. Die Fragen stellte der Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel, R. Uwe Proll. Behörden Spiegel: Herr Thomas, seit wann gibt es Ihr globales Kompetenz- und Technikcenter in Berlin?

Thomas: Da gibt es einige Verzögerungen. Die Situation in Kärnten ist der Hauptknackpunkt.

Thomas: Unser globales Kompetenz- und Technikcenter in Berlin haben wir im Jahre 2000 errichtet. Damit handelt es sich im Vergleich zu anderen Liegenschaften von Motorola Solutions um einen relativ neuen Standort. Wir sehen ihn als ein Center of Competence. Er ist unser globales Kompetenzzentrum für alles, was digitale Kommunikationstechnik im professionellen Mobilfunkbereich betrifft. Und das global betrachtet.

Behörden Spiegel: Und wie gestaltet sich die Situation in Großbritannien?

Behörden Spiegel: Und worauf liegt Ihr Fokus in der Bundeshauptstadt? Thomas: In Berlin setzen wir unseren Schwerpunkt auf TETRA-Technik. Insgesamt haben wir weltweit drei derartige Zentren. Eines hier in Berlin, die anderen beiden in Chicago in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Malaysia. Aus dem Berliner Zentrum heraus werden jährlich mehr als 100 Systeme in die ganze Welt verkauft. Nur in Nordamerika gibt es kein TETRA. Aber alle anderen Weltregionen werden – jedenfalls was TETRA angeht – von Berlin aus bedient. Wir haben TETRA-Lösungen unter anderem bereits an Behörden in Großbritannien, Portugal und Österreich verkauft. Gleiches gilt für Hongkong. Behörden Spiegel: Wie sieht es denn eigentlich mit dem behördlichen Mobilfunknetz in Österreich aus?

Thomas: Airwave hat ein flächendeckendes Netz im ganzen Vereinigten Königreich aufgebaut. Nun haben wir Airwave aufgekauft. Wir werden die vereinbarten Leistungen bis 2020/2021 weiter liefern. Darüber hinaus haben wir in Großbritannien die Ausschreibung gewonnen, in den Ministerien die Migration von der AirwavePlattform hin zu LTE durchzuführen. Bis dahin wird Airwave weiterbetrieben. Behörden Spiegel: Wie sollte es aus Ihrer Sicht denn mit dem Digitalfunk für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Deutschland weitergehen? Thomas: Deutschland hat das weltweit größte TETRA-Netz mit den meisten Nutzern. Das ist jetzt zehn Jahre alt. Da stellt sich natürlich die Frage nach der Weiterentwicklung. Für sinnvoll hielte ich einen weiteren Ausbau, basierend auf dem, was wir heute schon haben. Die TETRA-Technologie ist zukunftsfähig. Auf die kann man aufbauen und langfristig in die Breitbandigkeit gehen. Wir werden TETRA bei unseren Kunden noch bis weit über das Jahr 2035 hinaus unterstützen. Bis dahin werden wir die Technologie auch weiterentwickeln. Außerdem geben wir unseren Kunden die Sicherheit, dass sie gleichzei-

Behörden Spiegel: Wie machen eigentlich andere europäische Staaten wie etwa Belgien ihre Digitalfunknetze zukunftsfähig?

Der Geschäftsführer der Motorola Solutions Germany GmbH, Christoph Thomas, hält die TETRA-Technik keineswegs für überholt. Vielmehr müsse das Netz – beruhend auf dem bisher Erreichten – modernisiert und ausgebaut werden. Foto: BS/Motorola Solutions

tig eine Brücke hin zur neuen Technologie der Breitbandigkeit haben. Behörden Spiegel: Wie genau muss den das TETRA-Netz modernisiert werden und wie findet eine Migration hin zu LTE statt? Thomas: Zunächst muss die gesamte Infrastruktur auf Voiceover-IP migriert werden. Das gilt nicht nur für das Kern-, sondern auch für das Zugangsnetz. Wenn es in diesem Bereich eine gute IPInfrastruktur gibt, ist auch eine Migration hin zu LTE möglich. Aber der allererste Schritt ist es, den IP-Standard einzuführen. Behörden Spiegel: Was muss sich in den Behörden verändern? Thomas: Ich hoffe, dass jetzt alle Verantwortlichen eingesehen haben, dass eine Modernisierung auf IP notwendig ist. Das ist wegen der Investitionssicherung von großer Bedeutung.

Thomas: Belgien hat ein Netz namens ASTRID. Das wird momentan stark aufgerüstet und modernisiert. Dabei sollen künftig auch kommerzielle LTE-Netze genutzt werden In Frankreich wird der Tetrapol-Standard genutzt. Auch dieses Netz wird aktuell modernisiert und auch dort sollen in Zukunft kommerzielle LTE-Netze genutzt werden. Italien rollt national den TETRAStandard aus, Portugal hat ihn bereits. Und die Schweiz und Spanien setzen auf TETRAPOL. Aber der eigentliche Standard für die Kommunikation der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Europa ist TETRA. Auch Dänemark und Norwegen setzen darauf. Behörden Spiegel: Warum müssen Endgeräte für den Professionellen Mobilfunk eigentlich immer so groß und klotzig sein? Thomas: Sie müssen so aussehen, weil sie bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Da geht es zum Beispiel um lange Nutzungsdauern der Batterien unter Volleinsatz oder den Endgerätebetrieb auch mit Einsatzhandschuhen. Aber die Batterie macht oftmals den größten Teil aus. Bei den Feuerwehren müssen die Geräte zudem noch explosionsgeschützt sein. Des Weiteren müssen die Geräte extremen Temperaturen standhalten können.

Das legt eine Studie von Prof. Arndt Sinn, Direktor des Zentrums für Europäische und Internationale Strafrechtsstudien an der Universität Osnabrück nahe. In der Untersuchung, mit dem Titel “Wirtschaftsmacht Organisierte Kriminalität: Illegale Märkte und illegaler Handel” konstatiert der Rechtswissenschaftler, dass die öffentliche Wahrnehmung für die Themen Marken- und Produktpiraterie oftmals nur gering ausgeprägt sei.

Jeder kocht eigenes Süppchen Dabei meint der Jurist: “Schätzungen der OECD zufolge erwirtschaftet die Organisierte Kriminalität weltweit rund 870 Milliarden US-Dollar im Jahr. Allein die Anzahl der beschlagnahmten illegalen Waren an den Außengrenzen der Europäischen Union ist seit 1998 um nahezu tausend Prozent gestiegen.” Und Sinn übt noch andere Kritik, nämlich an Politik und Behörden. So bemängelt der Rechtswissenschaftler unter anderem eine lasche Strafandrohung für Fälle von Marken- und Produktpiraterie, einen geringen Verfolgungsdruck auf die Täter und ein Kompetenzgerangel zwischen unterschiedlichen Strafverfolgungsbehörden. Sinn meint: “Es fehlt vor allem an Expertise, was zukünftige und auch zum Großteil heute schon bestehende illegale Handelswege angeht.” Virtuelle Marktplätze fänden derzeit überhaupt keine Beachtung durch die Behörden, kritisiert er. Und der Jurist bemängelt: “Jeder kocht sein eigenes Süppchen und gesammelte Daten über Personen oder Absatzmärkte illegaler Waren werden nicht gebündelt an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben.” Aus diesem Grunde sei die Datenlage in diesem Phänomenbe-

Der Rechtswissenschaftler Prof. Arndt Sinn von der Universität Osnabrück kritisiert, dass in Deutschland zu wenig gegen Produkt- und Markenfälschung unternommen werde. Das liege nicht zuletzt auch an einem mangelnden Informationsaustausch zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden, meint der Jurist. Foto: BS/Feldmann

reich, bei dem es sich um einen “absoluten Wachstumsmarkt” handele, auch sehr unübersichtlich. Um hier Abhilfe zu schaffen, komme es aus seiner Sicht unter anderem darauf an, die geltende Rechtslage zu evaluieren, Strukturermittlungen zur Identifizierung von OK-Netzen durchzuführen sowie illegale Gewinne effektiv abzuschöpfen.

Kaum Problembewusstsein vorhanden Ebenfalls erforderlich seien eine verstärkte internationale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden sowie ein effektiverer Datenaustausch. Des Weiteren müsse innerhalb der Bevölkerung ein höheres Problembewusstsein für die Schadwirkung von Marken- und Produktpiraterie geschaffen werden, verlangt Sinn. Außerdem sei es notwendig, dass verschiedene Statistiken und Lagebilder – etwa jene der Zollverwaltung und des Bundeskriminalamtes (BKA) – miteinander abgeglichen würden.

Etwa 20 Szenarien auf Agenda “Konzeption Zivile Verteidigung” wird konkretisiert (BS/mfe) Die “Konzeption Zivile Verteidigung” (KZV), die vor einiger Zeit vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) präsentiert wurde, ist relativ allgemein formuliert. Folglich muss sie mit Leben gefüllt werden. Dieser Aufgabe widmet sich nun ein Bund-LänderSteuergremium. Das berichtete der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenminister, Prof. Dr. Günter Krings. Ihm zufolge geht es jetzt darum, konkrete Rahmen- und Teilkonzepte zu erarbeiten. Dabei komme es unter anderem darauf an, Handlungsempfehlungen für einen Massenanfall von Verletzten (MANV) oder einen Cyber-Angriff auf eine Kritische Infrastruktur (KRITIS) zu entwickeln. Im Nachgang der KZV-Präsentation sollten von dem Gremium, das unter Bundesvorsitz tage und trotz gewisser personeller Kontinuitäten bei der Besetzung unabhängig vom thematisch ebenfalls zuständigen Arbeitskreis fünf der Innenministerkonferenz (IMK) agiere, nun rund 20 derartige Konzepte entwickelt werden, erläuterte Krings. Außerdem müssten auch die Sicherstellungsgesetze des Bundes einer Prüfung im Hinblick auf ihre Aktualität unterzogen werden. Inwieweit eine Reform dieser Bestimmungen konkret Ergebnis der KZVUmsetzung sein könne, ließe sich jedoch aktuell noch nicht abschätzen, hieß es vonseiten des Bundesinnenministeriums (BMI). Krings machte angesichts

Prof. Dr. Günter Krings, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenminister, erläuterte die nächsten Schritte nach der Veröffentlichung der “Konzeption Zivile Verteidigung”(KZV). Nun müssten verschiedene Szenarien entwickelt werden, berichtete der Bundestagsabgeordnete. Foto: BS/Dombrowsky

zunehmender hybrider Bedrohungen jedoch auch deutlich: “Der Staat kann kein VollkaskoStaat sein.” Außerdem sei eine reine Professionalisierung des Zivil- und Katastrophenschutzes unmöglich. Auf ein starkes ehrenamtliches Engagement in diesem Bereich könne keinesfalls verzichtet werden, meinte Krings.


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Juni 2017

Seite 53

Neues aus der Wehrtechnik K130-Auftrag verstößt gegen Vergaberecht

Fahrzeugübergabe nach Kapitalerhöhung

Bundeskartellamt

BwFPS

(BS) Die erste Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt hat Mitte Mai entschieden, dass die von der Bundeswehr beabsichtigte Auftragsvergabe zum Bau von fünf weiteren Korvetten des Typs K130 an den bisherigen Auftragnehmer gegen Vergaberecht verstößt. Die ARGE (Arbeitsgemeinschaft) K130, bestehend aus einem Bieterkonsortium der Werften ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) – vormals Blohm + Voss – sowie Lürssen, sollte wieder beauftragt werden. Die Kammer gab jedoch dem Nachprüfungsantrag des Kieler Unternehmens German Naval Yards – vormals HDW – statt. Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, erklärte dazu: “Auch für Militärausrüstung gilt der Grundsatz, dass diese im Wettbewerb zu beschaffen ist. Ausnahmen sind nur unter besonders engen Voraussetzungen möglich, die im vorliegenden Fall nicht hinreichend belegt werden konnten.”

Sollte tatsächlich ein Wettbewerbsverfahren durchgeführt werden, wäre damit der gesamte Beschaffungszeitplan nur noch Makulatur. Nach Informatio- Die Korvette “Braunschweig”: nen des Behörden das Typschiff der Klasse 130 Spiegel laufen desFoto: BS/Feldmann halb die außergerichtlichen Einigungsbemühungen aller Beteiligten auf Hochtouren. Es ist aber nicht ausgemacht, ob die Billigung durch den Haushaltsausschuss des Bundestages und die Auftragsvergabe noch in dieser Legislaturperiode zustande kommt. Mehr Informationen unter www.bundeskartell amt.de

(BS) Mitte Mai fand beim Fernmeldebataillon (FmBtl) 610 im brandenburgischen Prenzlau die feierliche Schlüsselübergabe für eine ganze Reihe von neuen Fahrzeugen durch die BwFuhrparkService GmbH (BwFPS) statt. Der zur 1. Panzerdivision gehörende Verband erhielt insbesondere hümS-Fahrzeuge (handelsübliche Kfz mit militärischer Sonderausstattung). Die BwFPS ist eine sog. “Inhouse”-Gesellschaft des Bundes. Seine Anteile werden zu 75,1 Prozent unmittelbar über das BMVg und zu 24,9 Prozent mittelbar über die Deutsche Bahn AG gehalten. Die Bundeswehr als Gesellschafter hat die BwFPS in den letzten Jahren mit bisher zwei Eigenkapitalverstärkungen gezielt in die Lage versetzt, weitere hümS-Fahrzeuge beschaffen zu können. Mit den Mitteln der zweiten Kapitalverstärkung wurden bisher 330 Anhänger des Herstellers Schmitz-Cargobull, 200 Unimogs von Mercedes-Benz sowie 130 Scania-Sattelzug-

Meilenstein mit 1.000 Betriebsstunden

WTS bleibt erhalten

Raytheon

BAAINBw

(BS) Das neueste integrierte Luftverteidigungsradar von Raytheon wurde seit der erstmaligen Vorstellung im Frühjahr 2016 intensiv getestet. Innerhalb eines Jahres wurde die Leistungsfähigkeit des Galliumnitrid-basierten (GaN) “Active Electronically Scanned Arrays” (AESA) in mehr als 1.000 Betriebsstunden erprobt. Das Radar ist als zukünftiges Upgrade des integrierten Luftverteidigungssystems “Patriot” vorgesehen. In den 1.000 Betriebsstunden hat der AESARadarprototyp mit zwei Antennen die 360-GradFähigkeit nach Unternehmensangaben bewiesen: Wenn Ziele aus dem Sichtbereich der einen

S

eine Führungsfähigkeit im Rahmen vernetzter Operationen wird dem “Puma” ermöglicht durch die Bereitstellung von Schnittstellen für das FüInfoSys H, die Zielerfassung Freund-Feind (ZEFF) sowie das System IdZ. Der Schützenpanzer ist mit der modernen Bordsprechverkehr-Anlage SOTAS IP und einer Hochfrequenz-Funkanlage SEM 80/90 (VHF/”very high frequency”) – beide von Thales – ausgerüstet. Die querschnittliche IT-Ausstattung für das FüWES kommt von der ATM Computer Systeme GmbH. Den “Puma” selbst – als Nachfolger für den “Marder” – entwickelt und fertigt Krauss-Maffei Wegmann (KMW) gemeinsam mit Rheinmetall Landsysteme unter dem Dach der PSM Projekt System & Management GmbH mit Sitz in Kassel, die je zur Hälfte beiden Konzernen gehört. Vor allem wenn die deutschen Streitkräfte als Bündnisarmee im Rahmen von sog. “Combined”-Einsätzen der NATO und der Europäischen Union (EU) aktiv sind, werden die militärischen Führungsinformationssysteme genutzt. Aber auch bei sog. “Joint”-Einsätzen, bei denen mehrere nationale Teilstreitkräfte (TSK) – bspw. Heer und Luftwaffe – zusammenwirken, kommen diese FüInfoSys zur Anwendung. Die Bundeswehr verfügt derzeit über unterschiedliche Systeme, die speziell für die Bedürfnisse der einzelnen TSK entwickelt wurden. Bis zur Einführung eines Nachfolgers werden die vorhandenen Funkgeräte-Generationen weiter genutzt. Allerdings veralten die bisherigen Geräte immer mehr und der Ersatzteilmangel nimmt zu. Das Bundeswehr-Programm HaFIS (Harmonisierung der Führungsinformationssysteme) soll mehrere IT-Projekte organisatorisch zusammenführen.

Radarantenne in den Bereich der anderen flogen, tauschten beide Antennen die Zielinformationen miteinander aus. Somit wurde selbst die Verfol- Prototyp des neu entwickelten gung von taktisch “Patriot”-Radars Foto: BS/Raytheon manövrierenden Kampfjets gewährleistet. Mehr Informationen unter www.raytheon.com

(BS) Die Wehrtechnische Studiensammlung (WTS) des BAAINBw wird nach Koblenz-Metternich verlegt. Dort sollen nun alle Exponate und die Verwaltung zusammengezogen werden, mit Ausnahme der Anteile bei den Wehrtechnischen Dienststellen 91 und 41 in Meppen und Trier. Auch die öffentliche Ausstellung in Koblenz-Lützel bleibt vorerst erhalten. “Uns ist allen ein Stein vom Herzen gefallen, denn damit ist eine grundsätzliche Entscheidung für den Erhalt der WTS als “wehrtechnisches Gedächtnis” getroffen worden”, sagte deren Leiter Dr. Rolf Wirtgen. Die WTS ist eine der größten Sammlungen von

Gösta Krieg, Vorsitzender der Geschäftsführung der BwFPS (4.v.r.), übergibt symbolisch den Zündschlüssel an Oberstleutnant Steffen Krausche, Stellv. Kommandeur des FmBtl 610 (4.v.l.). Foto: BS/BwFPS

maschinen beschafft. Darüber hinaus expandiert die BwFPS über die Streitkräfte hinaus: In einer öffentlich-öffentlichen Partnerschaft übernimmt sie den Fahrservice des Deutschen Bundestages. Mehr Informationen unter www.bwfuhrpark.de

Militärtechnik in Deutschland. Neben ihrer öffentlichen Ausstellung liegen ihre Kernaufgaben bei der Ausbildung von Wehringenieuren und -technikern Schnittmodell eines Vorseriensowie der techni- modells des Kampfpanzers “Leoschen Dokumen- pard 1” Foto: BS/Bundeswehr tation. Mehr Informationen unter www.baainbw.de

Größtes Modernisierungsprojekt des Deutschen Heeres MoTaKo und MoTIV (BS/Dr. Gerd Portugall) Gegenwärtig wird der neue Schützenpanzer “Puma” an die Bundeswehr ausgeliefert. Das Kettenfahrzeug ist mit einer Bordsprechverkehr- und Funkanlage ausgerüstet. Zur Informationsverarbeitung enthält es ein neuartiges Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWES). FüWES soll u. a. die Anbindung an bestehende Systeme der Bundeswehr – wie z. B. das Konzept “Infanterist der Zukunft” (IdZ) oder das Führungsinformationssystem des Heeres (FüInfoSys H) – ermöglichen. Dabei gilt es, sowohl stationäre als auch verlegefähige Anteile aufeinander abzustimmen, die bereits für Einsätze in Nutzung sind oder in Zukunft genutzt werden sollen. In mehreren Schritten sollen nun die bestehenden FüInfoSys zu einem gemeinsamen System zusammengeführt werden. Den Soldaten werden auf der Grundlage einer gemeinsamen IT-Architektur Services in Form von Software auf Endgeräten zur Verfügung gestellt.

Programmstart

Das modernste Kettenfahrzeug im Inventar der Bundeswehr: der Schützenpanzer “Puma” der PSM GmbH Fotos: BS/Portugall

Anfang 2015 startete das Planungsamt der Bundeswehr (PlgABw) das Programm “Mobile Taktische Kommunikation” (MoTaKo). Ziel ist die Schaffung eines durchgängigen, IPbasierten Kommunikationsverbunds auf taktischer Ebene – d. h. vom abgesessenen Soldaten über Fahrzeuge bis zum Gefechtsstand. Die technische Herausforderung besteht nun darin, eine geeignete Schnittstelle zu schaffen, durch welche die verschiedenen Systeme miteinander verbunden werden und wichtige Informationen – bspw. über das Lagebild – ausgetauscht werden können. MoTaKo stelle den “absoluten Schwerpunkt für das Heer” dar, so dessen Inspekteur, Generalleutnant Jörg Vollmer, in seinem Eröffnungsvortrag anlässlich der 31. AFCEA Fachausstellung Ende April in Bonn. Durch das MoTaKo-Programm soll die Fähigkeit zur Informationsübertragung mit der erforderlichen Übertragungskapazität bereit-

gestellt werden. Allein 90.000 Funkgeräte seien davon betroffen, so General Vollmer. Längerfristig müssen insgesamt rund 25.000 Fahrzeuge umgerüstet werden: vom Kampfpanzer “Leopard 2A6” von KMW bis zum Geschützten Transportfahrzeug (GTF) “Zetros” der Zuladungsklasse bis fünf Tonnen von Mercedes-Benz. Im funktionalen Gesamtkontext mit diesem bereits laufenden MoTaKo-Programm steht das Programm “Mobile Taktische Informationsverarbeitung Land” (MoTIV Land), das koordiniert mit MoTaKo realisiert und synchronisiert werden soll. Nach Billigung des Vorhabens “Mittelfristplanung MoTIV Land” Mitte Januar wurde Mitte März 2017 das PlgABw mit der Erstellung einer FFF (Fähigkeitslücke und Funktionale Forderungen) beauftragt. Mit MoTIV Land werden dabei die Forderungslagen aus den Initiativen “IT-Services mobile Elemente” (IT-S mE) und

“Querschnittliche Bedienung und Anzeige für geschützte Fahrzeuge der Bundeswehr” (QBA geschFzgBw) zusammengefasst. Ziel der Initiative IT-S mE ist es, den mobilen und abgesessenen Kräften Land die durchgängige Informationsverarbeitung (IT-Services und Endgeräte) und somit die Teilnahme an der Vernetzten Operationsführung zu ermöglichen. Diese Fä-

higkeitslücke soll durch IT-S mE einschließlich der für die Informationsverarbeitung noch erforderlichen Hardware für landbasierte Plattformen und abgesessene Kräfte geschlossen werden. Ziel der QBA geschFzgBw ist die ergonomisch optimierte Integration von Bedien- und Anzeigeelementen der in geschützten Fahrzeugen vorhandenen IT-Systeme (z. B. FüInfoSys, Kommunikationssystem, Schützendetektionssystem, Videosichtsystem), um sowohl die Bedienbarkeit der Einzelsysteme im Fahrzeug zu verbessern als auch Beeinträchtigungen in Bezug auf den Sichtbereich des Kraftfahrers und aktiven Beifahrers sowie die Führungsfähigkeit zu minimieren. Damit soll auch einer Forderung der Zentralen Militärkraftfahrtstelle für die Zulassung der Fahrzeuge entsprochen werden. Bei der Schließung der Fähigkeitslücken sind bereits vorhandene Fähigkeiten der zu betrachtenden Fahrzeugtypen

Selbst das staatliche israelische Rüstungsunternehmen Rafael Advanced Defense Systems Ltd. warb in der Bonner AFCEA Fachausstellung 2017 für sein MoTaKo-Portfolio.

bzgl. Sensoranbindungen und Zusammenarbeit der FüWES und FüInfoSys zu erhalten. Die in beiden Initiativen aufgezeigten Fähigkeitslücken wurden durch das PlgABw bewertet und in einen qualitativen und quantitativen Zusammenhang (mobile Führungsfähigkeit geschützter Fahrzeuge Landstreitkräfte) gestellt. Zur Nutzung von Synergieeffekten (z. B. bei Muster- und Serienintegration) hat sich die Realisierungsplanung von MoTIV an der Realisierungsplanung MoTaKo zu orientieren. Der in der FFF+ MoTaKo geplante Beschaffungszeitraum erstreckt sich dabei von 2020 bis 2035. Damit sind MoTaKo und MoTIV die zentralen Modernisierungsvorhaben der Bundeswehr für Landstreitkräfte.

Bedeutung für die Industrie Längerfristig sind dafür erhebliche finanzielle Mittel einzuplanen. Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen spricht in diesem Zusammenhang von “über fünf Milliarden Euro”. Deshalb werfen mehrere wehrtechnische Unternehmen ihren “Hut in den Ring”: Thales Deutschland preist in enger Zusammenarbeit mit Thales Communications Systems ihr Gesamtsystem “NEXIUM Theater” an. Rheinmetall sowie Rohde & Schwarz haben sogar extra ein “Joint Venture” für die Vorhaben MoTaKo und MoTIV gegründet, wobei erstere 74,9 Prozent und letztere 25,1 Prozent der Anteile halten. Ziel dieses Zusammenschlusses ist, Generalunternehmer für das Modernisierungsvorhaben zu werden. Die Bundeswehr begrüßt ausdrücklich die offene Marksituation – getreu dem Motto von “Angebot und Nachfrage” –, weil die angestrebte Systemintegration in dem vorgesehenen Umfang sehr teuer zu werden verspricht.


Wehrtechnik

Seite 54

B

ehörden Spiegel: Wo liegen die industriellen Kernkompetenzen des Unternehmens im Bereich Wehrtechnik? Dr. Hoppe: Die breit gefächerten Kernkompetenzen von Thales erstrecken sich im Wesentlichen auf fünf große globale Geschäftsbereiche: “Defence” mit elektronischen Führungs-, Kommunikations- und Aufklärungsfähigkeiten, “Security” für den physischen und virtuellen Schutz von Infrastrukturen, Daten und technisch-elektronischen Einrichtungen aller Art, den zivilen Bereich “Aerospace”, den ebenfalls zivilen Bereich “Ground Transportation” sowie Thales Alenia Space, das große europäische Raumfahrt-JointVenture zwischen Thales und Leonardo. Insgesamt haben diese fünf Bereiche mit 64.000 Beschäftigten im letzten Jahr rund 15 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Dabei ist das Verhältnis von zivilem zu militärischem Umsatz in etwa ausgewogen. Typisch ist, dass Thales nicht nur mit seinen zahlreichen Produkten, sondern häufig auch auf der Ebene der Systemarchitektur präsent ist. In Deutschland sind wir in all diesen Geschäftsbereichen aktiv, wobei wir rund die Hälfte unseres Umsatzes mit “Ground Transportation”, also mit Leitund Signaltechnik für den Eisenbahnverkehr, erwirtschaften. Militärisch haben wir unseren Schwerpunkt hierzulande im Bereich “Radarfähigkeit”. So entwickeln und produzieren wir am Standort Ditzingen z. B. Boden- und Küstenüberwachungsradare. Weitere Schwerpunkte sind seit vielen Jahrzehnten Kommunikationstechnologie und Kryptologie, ebenfalls in Ditzingen beheimatet, sowie Marinelösungen, die wir an den Standorten Kiel und Wilhelmshafen bündeln. Hierbei arbeiten wir sehr eng mit Thales Niederlande zusammen. Der Bereich Simulationstechnik für Handwaffensysteme der Bundeswehr befindet sich in Koblenz. Behörden Spiegel: Wo liegen für Sie die wichtigsten Absatzmärkte? Dr. Hoppe: Thales ist global aktiv, unterhält in 56 Ländern Repräsentanzen und hat aus seinem Herkunftsland Frankreich heraus über die letzten 20 Jahre eine sehr aktive Globalisierungs- und Europäisierungsstrategie gefahren. Unternehmen überleben in diesem Hightech-Bereich nur, wenn sie in ihren spezifischen Technolo-

Behörden Spiegel / Juni 2017

“Sehr gut positioniert” Von MoTaKo über K130 bis Rüstungsexportpolitik (BS) Die wehrtechnische Industrie in Europa steht vor großen Veränderungen: Die Verteidigungshaushalte wachsen wieder – auch und gerade in Deutschland. Gleichzeitig nimmt die Zahl nationaler Rüstungsunternehmen ab, weil der europäische Integrationsprozess im Verteidigungssektor – politisch wie industriell – weiter fortschreitet. Gründe genug für den Behörden Spiegel, beim CEO der Thales Deutschland GmbH, Dr. Christoph Hoppe, und dem Vice President Sales & Marketing, Oliver Dörre, nachzufragen. Das Interview führte Dr. Gerd Portugall.

und betrachtet nicht nur den britischen Markt, sondern hat immer auch den Exportmarkt im Blick. Unsere britischen Kolleginnen und Kollegen erwirtschaften etwa zehn Prozent des Gesamtumsatzes. Insofern haben wir großes Interesse daran, dass das Vereinigte Königreich in jeder Hinsicht ein stabiler Partner bleibt. Mit Sicherheit wird UK auch in Zukunft veritabler Anteil des Thales-Konzerns bleiben. Behörden Spiegel: Inwiefern tangiert Sie die geplante Beschaffung der fünf K130-Korvetten für die Deutsche Marine?

Standen dem Behörden Spiegel Rede und Antwort: Thales Deutschland CEO Dr. Christoph Hoppe (2.v.l.) und der Vice President Sales & Marketing Oliver Dörre (3.v.l.) Foto: BS/Schröter

giefeldern jeweils die Nummer eins, zwei oder drei in Europa – besser noch weltweit – sind. Ohne Know-how in den wichtigsten globalen Märkten kann man eine solche Marktstellung nicht aufrechterhalten. Thales Deutschland macht rund die Hälfte seiner Umsätze in Deutschland, die andere Hälfte auf internationalen Märkten: Rund 20 Prozent werden in der Region Naher und Mittlerer Osten, weitere knapp 20 Prozent im eigentlichen EU-Umfeld generiert, ein kleinerer Teil in den USA und in Kanada. Behörden Spiegel: Bei MoTaKo (Mobile Taktische Kommunikation) im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung des Gefechtsfeldes gehen Sie mit dem Gesamtsystem “NEXIUM Theatre” an den Start. Worin liegen dessen Stärken? Dr. Hoppe: Bei MoTaKo geht es in erster Linie um die Führungsfähigkeit der deutschen Landstreitkräfte, d. h. von Heer und Streitkräftebasis, und zwar, vom einfachen Infanteristen angefangen, mindestens bis zur Ebene Brigade. Und es geht um Führungsfähigkeit im Sinne der Bündnisverpflichtung der Bundeswehr innerhalb der NATO, aber auch gegenüber anderen Partnern. Die zweite Dimension mit Blick auf Osteuropa lautet: Wie kann man auch größere Strukturen, z. B. mechanisierte Divisionen, führungsfähig und

interoperabel machen? Die wirklich große Aufgabenstellung hinter MoTaKo aber wird planerisch wahrscheinlich bis in das Jahr 2030 reichen. Wir sprechen hier von einem Budget-Ansatz von weit über fünf Milliarden Euro. Die Herausforderung dabei ist, unterschiedliche Plattformen – vom tragbaren Funkgerät des Infanteristen über fixe oder mobile Gefechtsstände bis hin zur Satellitenkommunikation – in eine Architektur zu bringen, in der jedes Element beherrscht wird. Diese Gesamtarchitektur ist noch dann zu härten, d. h. vor Cyber-Angriffen zu schützen. Zudem muss alles auch noch interoperabel mit den Bündnispartnern sein. Es existiert hierzulande kein rein deutsches Unternehmen, das diese Herausforderungen alleine bewältigen könnte und es gibt relativ wenige Akteure im Bereich “militärische Kommunikation”, die über Erfahrungen mit jedem dieser Elemente – einschließlich der Integrationsfähigkeit mit C4I-Strukturen und Fahrzeugen – verfügen. Thales gehört zu diesen Akteuren und sieht für sich eine wesentliche Rolle, was die Lieferung von Beiträgen angeht. Unsere Beiträge sind zum Teil bereits im französischen Heer im Einsatz oder auch in NATO-Modulen verfügbar. Wir sehen uns hier sehr gut positioniert. Dörre: “NEXIUM Theatre” sorgt dafür, dass MoTaKo bzw.

das dort entstehende Netzwerk mehr ist als nur die Summe seiner Einzelteile. Es geht darum, dass wir wirklich Informationen – also Sprache und Daten – zwischen verschiedenen Teilnehmern jenseits der Führungshierarchien austauschen können. “NEXIUM” ist dabei kein Einzelprodukt, sondern ein Rahmenwerk: Zum einen beinhaltet es konkrete Kommunikationslösungen, die für so einen vernetzten Ansatz optimiert sind, z. B. NEXIUM Satcom oder NEXIUM LTE. Zum anderen beinhaltet es einen umfassenden Planungs- und ManagementWerkzeugkasten, mit dem man eine komplexe Gesamtarchitektur verschiedener Kommunikationssysteme einerseits planen, andererseits aufbauen und natürlich auch betreiben kann. Behörden Spiegel: Wird es vor dem Hintergrund der fortschreitenden Europäisierung des Rüstungssektors künftig eine unternehmerische Schwerpunktverschiebung weg von der Thales Deutschland GmbH und den anderen Landesgesellschaften hin zur europäischen Thales Gruppe geben? Dr. Hoppe: Das deutsch-französische Verhältnis ist letztlich das Rückgrat der Europäischen Union. Dieser Tatsache kommt vor dem Hintergrund des Brexits und der Wahlen in Frankreich und Deutschland eine große Bedeutung zu. Wie können Deutschland und Frankreich gemeinsam im Sinne militärischer Strukturen leistungsfähiger werden? Es gibt eine Fülle von Themen, die dabei eine Rolle

spielen können. Das fängt im Marinebereich an: Wie kann die NATO z. B. den Bereich “Ballistic Missile Defence” stärken? Hierbei verfügen wir länderübergreifend und insbesondere in der deutsch-niederländischen Kooperation über große Expertise. Das ist auch ein Thema für die deutsche Fregatte 124. Die deutsch-französische Kooperation könnte sich ebenso im Kontext MoTaKo intensiv abbilden, z. B. bei der Digitalisierung von Landstreitkräften, aber auch bei künftigen Luftwaffen-Fragen wie der “Tornado”-Nachfolge. Hier bietet sich von Neuem vielleicht eine große historische Chance: Können Deutschland und Frankreich ein Kampfflugzeug doch gemeinsam entwickeln? Diese Frage müssen letztlich Airbus und Dassault beantworten. Mit Krauss-Maffei Wegmann und Nexter ist bereits auf der Ebene der Panzerbauer ein europäisches Unternehmen gegründet worden, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Wir denken bei Thales sehr europäisch, schauen auf den veränderten europäischen Kontext, die Fragezeichen in puncto Amerika, auf die Neudefinition der Rolle der Partner und natürlich auch auf unseren Heimatmarkt, weil das Verteidigungsbudget hier in Zukunft deutlich anwachsen wird. Behörden Spiegel: Welche Auswirkungen wird der Brexit auf diese Europäisierung haben – gerade mit Blick auf Thales UK? Dr. Hoppe: Thales UK ist ähnlich wie Thales Deutschland ein elementarer Teil des Konzerns

Dr. Hoppe: Marinelösungen stellen momentan einen Schwerpunkt unserer Arbeit im Defence-Bereich dar. Wir reden z. B. über die Fähigkeitsanpassung der Fregatte 123, die jetzt in verschiedenen Schritten realisiert wird und an der wir sowohl im Bereich Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWES) als auch bei Kommunikation und Sensorlösungen beteiligt sind. Das sind auch unsere Beiträge bei der K130 und der Neuausschreibung MKS 180. Dörre: Wir waren bei der K130 bereits Teil des ersten Loses und werfen hier aktuell drei große Themen in den Ring: Erstens das FüWES “Tacticos” als zentrales Nervensystem. Wenn dieses Nervensystem auch Sensoren haben soll, dann steuern wir mit dem optronischen Überwachungs- und Feuerleitsystem “Mirador” ein weiteres, wesentliches Produkt bei. Die dritte Komponente ist dann das Kommunikationssystem auf den Schiffen. Behörden Spiegel: Liegt Ihnen – abschließend – noch ein weiterer Aspekt auf der Seele? Dr. Hoppe: Was uns am Herzen liegt, ist die stärkere Harmonisierung europäischer Rüstungsexportpolitik. Nur so unterstützen wir effizient und sinnvoll europäische Strukturen in der Verteidigungsindustrie. Diese Art von europäischer Harmonisierung ist auch im Bereich Cyber dringend erforderlich. Hier brauchen wir als Industrie gestärkte Institutionen wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mit seinem neuen Präsidenten Arne Schönbohm, um europäische Kooperationsfähigkeit und Interoperabilität voranzutreiben. Ebenso wichtig sind dabei aber auch neue Strukturen innerhalb des Verteidigungsministeriums, wie die kürzlich in Dienst gestellte Abteilung Cyber- und Informationstechnik von Herrn Mühleck und das “Cyber Command” von Generalleutnant Leinhos.


Verteidigung

Behörden Spiegel / Juni 2017

Mission trägt Früchte!

S

eit Februar 2015 bildeten die deutschen Soldaten mit ihren internationalen Partnern bislang mehr als 13.300 irakische Soldaten aus. Ein sicherlich bedeutender Beitrag zur Stabilisierung einer der tragenden Säulen des irakischen Staates, der Armee. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt den gemeinsamen Kampf gegen den IS unter anderem mit der Entsendung von Tank- und Aufklärungsflugzeugen, aber auch durch die Ausbildung der irakischen und kurdischen Streitkräfte im Irak. Bis zu 150 Bundeswehrangehörige bieten in verschieden Kursen in der kurdischen Stadt Erbil und Umgebung den irakischen Einheiten Ausbildungen in infanteristischen Grundlagen, Bataillonsführung, Kampfmittelabwehr sowie in den Bereichen Sanitätswesen, Logistik und ABC-Abwehr an. Seit Dezember 2016 beraten deutsche Stabsoffiziere zusätzlich das “Ministry of Peschmerga” – das Verteidigungsministerium der autonomen Region Kurdistan-Irak. Darüber hinaus ergänzen Materiallieferungen (bislang im Wert von ca. 90 Millionen Euro) und sogenannte “Ertüchtigungsprojekte” – z. B. infrastrukturelle Baumaßnahmen – den deutschen ganzheitlichen Ansatz. Das Motto “Ausbildung + Ausrüstung + Infrastruktur = Fähigkeitsgewinn” führte bisher zum Erfolg und trug maßgeblich zum positiven Verlauf der Mosul-Offensive bei. Das Kurdistan Training Coordination Centre (KTCC) unter derzeit deutscher Führung koordiniert diese gemeinschaftlichen Ausbildungsaktivitäten der insgesamt acht europäischen Partner. Professionalität und das direkte Eingehen auf den durch die Peschmerga artikulierten Bedarf stoßen auf höchste Anerkennung bei der Regierung der autonomen Region Kurdistan-Irak. Also eine “Erfolgsstory”, welche jedoch nach einer absehbaren Rückeroberung Mosuls eine Fortsetzung erforderlich machen wird

Deutsche Ausbildungsunterstützung im Irak (Oberstleutnant Heino Matzken*) Die Offensive der irakischen Streitkräfte zur Wiedereroberung der Zwei-Millionenstadt Mosul steht vor einem erfolgreichen Abschluss – auch dank deutscher Hilfe. Nicht ohne Stolz sprach daher Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen von einer “Erfolgsstory” und warb in der Debatte über die Verlängerung des deutschen “Irak-Mandates” am 26. Januar 2017 um Zustimmung. Mit 444 Ja-Stimmen befürworteten die Parlamentarier zum zweiten Mal die Fortsetzung der deutschen Ausbildungsunterstützung im Land an Euphrat und Tigris. – in welcher Form auch immer. Der deutsche Einsatz im Irak genießt in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen. Doch warnen Kritiker vor den möglichen Friktionen der verschiedenen Gruppen im künstlich geschaffenen Staat am Euphrat. Nach dem Ersten Weltkrieg gründeten die Siegermächte, den Vorgaben des 1917 beschlossenen SykesPicot-Abkommens folgend, den Zentralstaat Irak. Er umfasste mit Sunniten, Schiiten und Kurden drei Hauptbevölkerungsgruppen, deren Miteinander von Anfang an unter einem schlechten Stern stand. Die Diktatur Saddam Husseins hielt die drei Bevölkerungsgruppen seit 1979 mit Gewalt zusammen. Er selbst Sunnit, protegierte er diese Glaubensrichtung gegenüber den in der Mehrheit befindlichen Schiiten. Sein Sturz 2003 durch die erste “Koalition der Willigen” zerstörte dieses eiserne Band des Zusammenhalts.

Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik Ein solches entwicklungspolitisches Instrument insbesondere der Prävention wurde nach einer Afrika-Reise der Bundeskanzlerin im vergangenen Herbst mobilisiert: Im Oktober machte Dr. Angela Merkel (CDU) u. a. Station in Niamey, der Hauptstadt des Sahel-Landes Niger. Dessen

Kräfte gegen den gemeinsamen Feind. Innenpolitische Differenzen rückten zunächst in den Hintergrund.

Offensive auf Mosul

Beim Minenräumen ist Fingerspitzengefühl gefragt.

Konfessionelle und ethnische Friktionen Die schiitische Bevölkerungsmehrheit sah nach Dekaden der politischen Unterdrückung nun endlich ihre Zeit gekommen. Moralisch, aber auch finanziell unterstützt durch die schiitische Schutzmacht Iran, drängten sie ins Zentrum der Macht. Auch die staatenlosen Kurden im ölreichen Nordirak sahen die Stunde ihrer Unabhängigkeit entscheidend näher kommen. Die ersten Parlamentswahlen nach dem Abzug der Amerikaner 2011 verschärften die Konflikte im ohnehin schon angespannten Zusammenleben der drei Gruppen. Ohne Überraschung setzte sich 2014 der schiitische Premiermi-

Der deutsche Ausbilder zeigt, wo es langgeht.

nister Al-Maliki durch und begann unmittelbar mit dem Umbau des Staates im schiitischen Sinne. Die sunnitische Minderheit fühlte sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt. Gleichzeitig baute der kurdische Präsident Masut Barzani die Autonomierechte seiner Region aus. In diese Phase der latenten Implosion des “Sykes-Picot‘schen” Staatsgebildes trat dann der IS

Fotos: BS/Bundeswehr, Willi Blank

(“Islamischer Staat”) auf den Plan. Dem “Retter im schwarzen Kleid” gelangen in kurzen und überraschenden Angriffen große Geländegewinne beidseitig von Euphrat und Tigris. Die von sunnitischen Offizieren “gereinigte” irakische Armee hatte den Gotteskriegern unter der schwarzen Flagge nichts entgegenzusetzen. Hals über Kopf flohen ganze Divisionen unter Zurücklassung von unzähligem, auch westlichem Kriegsmaterial. Im Juni 2014 fiel Mosul in die Hände der IS-Terroristen. Erneut trat eine “Koalition der Willigen” – inklusive Deutschlands – in den Ring und rettete die letzten Überreste des zerfallenen Staates. Nach innenpolitischen Querelen trat Al-Maliki zähneknirschend ins zweite Glied und überließ seinem Glaubensbruder Al-Abadi die Regierungsverantwortung. Bagdad und die neue, weiterhin schiitische Administration bündelten alle

Nichts verdeutlichte die neue Geschlossenheit eindrucksvoller als die im Oktober 2016 begonnene Mosul-Offensive. Unterstützt durch die Luftwaffe der internationalen Koalition, trat die irakische Armee an der Seite von kurdischen Peschmerga, sunnitischen, aber auch schiitischen Milizen gegen bis zu 5.000 IS-Kämpfer in der Millionenmetropole Mosul an. Militärisch schweißt der gemeinsame Feind die einzelnen Fraktionen des heterogenen Staates als Schicksalsgemeinschaft bislang zusammen. Doch wird das auch mittel- und langfristig so bleiben? Was passiert nach dem Fall von Mosul? Wie kann einer drohenden humanitären Katastrophe durch Hunderttausende von Flüchtlingen und riesigen anstehenden Wiederaufbaumaßnahmen begegnet werden? Gerade in dieser Phase wird die Hilfe der internationalen Gemeinschaft, auch Deutschlands, weiterhin erforderlich bleiben, um ein Auseinanderbrechen des Landes an Euphrat und Tigris zu verhindern. Ausbildung der Streitkräfte wird im gesamtheitlichen Ansatz eine entscheidende Rolle spielen. Die Steigerung des Niveaus der Armee dank Ausbildung, aber auch Ausrüstung bildete die Grundlage der bislang erfolgreichen Mosul-Offensive. Auch die Bundesrepublik hat bisher zweifelsohne einen sinnvollen und angemessenen Beitrag geleistet, der nicht nur

Das Afrika-Jahr 2017

U

m dabei aber die Größenordnungen in Relation zueinander zu setzen: Der Einzelplan (EP) 14 (Verteidigung) des Bundeshaushalts 2017 weist 37,0 Milliarden Euro aus, während der EP 23 (Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) 8,5 Milliarden und der EP 5 (Auswärtiges Amt) 5,2 Milliarden Euro umfasst. Letztlich ist diese Gelddebatte ein Streit “um des Kaisers Bart”, der dem Fahrt aufnehmenden Bundestagswahlkampf geschuldet sein dürfte. Denn der sog. “vernetzte Ansatz” beinhaltet ausdrücklich einen ursprünglich “erweiterten” bzw. später “umfassenden” Sicherheitsbegriff. So positioniert sich das “Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr” der Bundesregierung zu diesem Konzept unmissverständlich: “Die Früherkennung und Verhinderung von Staatszerfall sowie die nachhaltige Stabilisierung fragiler oder zerfallender Staaten erfordern einen vernetzten Ansatz, der zeitnah und substanziell die geeigneten außen-, entwicklungs- und sicherheitspolitischen Instrumente der Prävention und der Krisenbewältigung mobilisieren kann.”

Seite 55

Vernetzte Sicherheit in der Praxis (BS/Dr. Gerd Portugall) In der Debatte um den von der NATO geforderten Zwei-Prozent-Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) betonte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) im März: “Wir halten es nicht für vertretbar, den Sicherheitsbegriff auf Verteidigungsausgaben zu reduzieren.” Diese Äußerung rief die beiden anderen “Außenressorts” auf den Plan: Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) und Entwicklungshilfeminister Dr. Gerd Müller (CSU) sprachen sich gegen Versuche aus, “notwendige Gelder für Entwicklungszusammenarbeit gegen notwendige Investitionen in Sicherheit auszuspielen”. Staatspräsident, Mahamadou Issoufou, erklärte gegenüber der deutschen Regierungschefin fordernd: “Wir brauchen einen Marshallplan für Afrika!” Auch wenn die Kanzlerin dem Ansinnen des nigrischen Staatschefs vor Ort spontan eine Abfuhr erteilte, kündigte Entwicklungsminister Dr. Müller bereits im Monat darauf an, einen “Marshall-Plan mit Afrika” erarbeiten zu wollen. Nicht “für”, sondern “mit” Afrika – mit dieser semantischen Nuance möchte der Ressortchef einen besonderen Akzent setzen und eine Kooperation “auf Augenhöhe” anbieten. Dabei gehe es ihm darum, zunächst “Strukturen und politische Fähigkeiten” in Afrika zu stärken. Bereits im Januar ist in einer Broschüre seines Ministeriums (BMZ) nachzulesen: “2017 ist das Afrika-Jahr in Deutschland und in der Europäischen Union.” Dabei ist dem Entwicklungsministerium die geopolitische Ausgangssituation bewusst: “Von Sizilien nach Tunesien sind es 145 Kilometer, vom Festland Spaniens nach Marokko gerade einmal 14 Kilometer.” Müllers Maxime lautet daher – ganz im Sinne des vernetzten Ansatzes: “Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik.”

Ein Taktisches CIMIC-Team (Zivil-militärische Zusammenarbeit) der gemischten Aufklärungskompanie des 4. Deutschen Einsatzkontingents MINUSMA in Wabaria nahe Gao im nördlichen Landesteil Malis Foto: BS/Bundeswehr, wSebastian Wilke

BMI und BMWi Auch das Berliner Innenressort (BMI) engagiert sich auf dem Schwarzen Kontinent. Schließlich verschwimmen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit immer mehr. So reiste – sozusagen den “Spuren” der Kanzlerin folgend – Anfang Januar dieses Jahres der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Ole Schröder (CDU), anlässlich der Amtseinführung eines Verbindungsbeamten der Bundespolizei im nigrischen Innenministerium nach Niamey. Der Besuch stand im Zusam-

menhang mit der öffentlichen Ankündigung von Dr. Merkel und Staatspräsident Issoufou vom vergangenen Oktober, im Rahmen einer “gemeinsamen Migrationspartnerschaft” auch einen solchen Verbindungsbeamten nach Niger zu entsenden. Die Bundesrepublik unterstützt dabei das Sahel-Land u. a. mit Ausstattungshilfe in Form von Fahrzeugen und Kommunikationstechnik für die dortigen Sicherheitskräfte. Nicht wie das Berliner Innenressort von einer “Migrationspartnerschaft”, sondern von einer “Wirtschaftspartnerschaft”

zwischen Deutschland und Afrika spricht unterdessen Brigitte Zypries (SPD), Bundesministerin für Wirtschaft und Energie. Mit der Initiative “Pro! Afrika” soll diese Partnerschaft – wie zuvor schon bei Entwicklungsminister Müller – “auf Augenhöhe” realisiert werden. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung die “Chancenregion Afrika” zu einem der zwei Schwerpunktthemen während der deutschen G20-Präsidentschaft erklärt. Die Initiative des BMWi soll die ökonomische Entwicklung Afrikas unterstützen, nachhaltiges Wachstum, eine intensivere Kooperation und mehr Engagement der Privatwirtschaft stärken.

Auslandseinsätze in und um Afrika Bei den beiden letztgenannten Ressorts – BMI und BMWi – kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass sie erstens den Nachbarkontinent gerade erst “entdeckt” haben und dass sie zweitens dies nicht unbedingt in enger Abstimmung untereinander tun. Die Bundeswehr hingegen verfügt schon länger über einen großen Erfahrungsschatz mit Afrika. Aktuell befinden sich rund 1.250 deutsche Soldaten im Einsatz, entweder auf dem

von der kurdischen Regionalregierung, sondern auch von der irakischen Regierung in Bagdad anerkannt wird. Mit Recht argumentiert die Bundesregierung, dass der deutsche Beitrag als Teil des internationalen Ansatzes zu sehen ist. Bei einem gemeinsamen Sieg gegen den IS und einer danach positiven und friedlichen Entwicklung des Iraks als Gesamtstaat hätte man alles richtig gemacht. Doch was, wenn der kurdische Präsident Masut Barzani seine Ankündigung eines Referendums wahr werden lässt? Was, wenn sich Erbil und Bagdad nicht über eine geografische Festlegung der autonomen Region Kurdistan einigen können – besonders über das kurdische “Jerusalem” Kirkuk? Auch die Aufteilung der Ölgewinne der reichen Fördergebiete im Norden birgt noch ausreichend diplomatischen Sprengstoff. Das internationale Mantra, für den Erhalt des Gesamtstaates Irak einzutreten, könnte dann zu einer schwierigen Aufgabe – auch für Deutschland - werden.

Ganzheitlicher Ansatz Umso wichtiger wird es daher zukünftig sein, sich weiter für den internationalen Ansatz der Unterstützung des Landes an Euphrat und Tigris einzusetzen. Die Bundesrepublik Deutschland könnte, dank ihres guten Rufs aufgrund der fehlenden imperialistischen Hintergedanken in der Region, als Schlüsselspieler fungieren. Der bereits in Afghanistan von Deutschland angewendete ganzheitliche Ansatz könnte auch im Norden des Iraks eine Insel der Stabilität schaffen. Somit ist nun ein ressortübergreifend koordiniertes Vorgehen ausschlaggebend, welches als Fortsetzung unserer “Ausbildungsunterstützung” gesehen werden muss. Erst dann wird man von einer wirklichen “Erfolgsstory” sprechen können. *Oberstleutnant Heino Matzken M. Sc. Ph. D., Referat SE II 3 im BMVg

Schwarzen Erdteil selbst oder in den angrenzenden Seegebieten des Mittelmeeres, des Arabischen Meeres und des Indischen Ozeans. Dies entspricht einem Anteil von 37 Prozent der im Auslandseinsatz befindlichen Bundeswehr-Angehörigen. Sogar 43 Prozent der deutschen Einsatzkosten (Stand 2016: 555,8 Millionen Euro) entfallen auf Afrika und dessen Seegebiete. Der regionale Schwerpunkt des deutschen Afrika-Engagements liegt aktuell ganz klar in Mali: Rund 1.040 BundeswehrSoldaten sind zurzeit in diesem westafrikanischen Land stationiert. 87 Prozent von ihnen sind Bestandteil der Stabilisierungsmission der UNO (MINUSMA) gegen Islamisten im gefährlichen Norden des Landes, während der Rest an der EU-Ausbildungsmission (EUTM Mali) im relativ sicheren Süden teilnimmt. Die anderen deutschen Einsatzgebiete auf dem Kontinent liegen im Sudan (UNAMID), im Südsudan (UNMISS), in Somalia (EUTM Somalia) sowie in der Westsahara (MINURSO). Insgesamt betrachtet, kann sich das staatliche Engagement Deutschlands in Afrika – auch und gerade im internationalen Vergleich – sehen lassen. Die unaufhaltsam fortschreitende Globalisierung lässt ein solches Engagement angeraten sein. Auch wenn an der Abstimmung zwischen den beteiligten Ressorts, die genannt wurden, sicher noch “gefeilt” werden kann, so stimmt doch immerhin schon einmal die Richtung hin zu mehr vernetzter Sicherheit.


Seite 56

Die letzte Seite

“W

“Die Arbeit ändert sich ständig”

Behörden Spiegel / Juni 2017

nikation von Verdächtigen mittels Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) mitzulesen oder eine Online-Durchsuchung durchzuführen. Obwohl das (BS/Tobias Henke) “Ich habe mich schon früh mit Cyber-Crime beschäftigt”, sagt Oberstaatsanwalt Andreas May. Sein Arbeitgeber ist die General- Bundesverfassungsgericht es staatsanwaltschaft Frankfurt, für die er in der Außenstelle in Gießen tätig ist. Der zweifache Familienvater, der seit 1994 Staatsanwalt ist, widmet ausdrücklich für grundsätzlich sich dem Thema Internetkriminalität bereits seit rund 20 Jahren, zuvor bei der Staatsanwaltschaft Gießen. “Da die Arbeit der Kollegen in Marburg, zulässig erklärt hat. die bei der Bekämpfung der Internetkriminalität ebenfalls einen Schwerpunkt gesetzt hatten, einen ähnlichen Zuschnitt hatte wie unsere, haben wir “Die einzige Möglichkeit, unsere Kräfte in Mittelhessen gebündelt und 2010 die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) als Außenstelle der hessischen die wir aktuell haben, ist die Überwachung von WinGeneralstaatsanwaltschaft mit Sitz in Gießen gegründet”, so May weiter. dows-Rechnern. Nutzt ein Verdächtiger ein Smartphone, WhatsApp oder Skype, sind wir raus”, so May, der zudem jegliche Vorstellungen von einer möglichen Massenüberwachung in das Reich der Fabel verweist. “Wir haben überhaupt nicht die Kapazitäten, um Telekommunikation in großem Umfang abzufangen. Wenn zum Beispiel ein DSL-Anschluss Schwierige Ermittlungen überwacht wird und dort bei Netflix und Co. viele Filme ge“Ermittlungserfolge im Cystreamt werden, kann das die ber-Raum hängen noch stärker Software überlasten, sodass sie als in der analogen Welt vom zusammenklappen kann.” Faktor Zeit ab. Wenn wir einZwar wisse er nicht, was en Cyber-Kriminellen dingfest die Geheimdienste machen machen wollen, haben wir die größten Chancen, wenn die Anwürden, jedoch bezweifelt May zeige erfolgt, noch während der grundsätzlich den Sinn und Angriff läuft”, so May, der sich Zweck von Massenüberwaauch aufgrund dieser Tatsache chung, da diese unweigerlich in wünscht, dass es für Betroffene die Suche nach einer Nadel im möglich sein müsse, rund um Heuhaufen münde. Schließlich die Uhr Cyber-Spezialisten von müsse dann aus einer riesigen Polizei und Staatsanwaltschaft Datenmenge alles herausgefilerreichen zu können. Oberstaatsanwalt Andreas May hat alle Hände voll zu tun, um den Cyber-Kriminellen das Handwerk zu legen. Besonders wichtig für die Frage, ob ein Verfahren tert werden, was strafrechtlich Internationale Zusammenar- erfolgreich geführt werden kann, ist hierbei der Faktor Zeit. Foto: BS/Henke relevant sei. beit im Bereich Cyber-Crime Die Zusammenarbeit von Jusist für den Juristen zwar not- Da Angehörige von Strafverfol- Bilder auch anschauen muss. überführen, die illegalen Handel bekommen.”, sagt May, der je- tiz und Politik bewertet der wendig und essenziell, aber sie gungsbehörden in Deutschland “Ich kann zwar nur für mich und betreiben”, zeigt sich der Ober- doch nicht damit rechnet, dass Oberstaatsanwalt für Hessen sei oft auch sehr langatmig. – auch im Rahmen verdeckter Er- meine Kollegen sprechen, aber staatsanwalt überzeugt. es hierzu kommen wird. “Eine insgesamt sehr positiv. “Wir Die technischen Kenntnisse der Verpflichtung der Provider, un- sind in sehr engem Austausch Vor allem dann, wenn es keine mittlungen – keinerlei Straftaten wir kommen damit klar. Eine gesonderten Abkommen zwis- begehen dürften, bleibe der Zu- Kollegin beschäftigt sich den Kriminellen, die sich im Darknet ter Richtervorbehalt kryptierte mit unserem Justizministerichen den beteiligten Staaten gang zu diesen Foren oftmals ganzen Tag mit nichts anderem bewegten, sind laut May sehr Informationen bereitzustellen, um”, meint der Jurist, der unter Kinderpornografie-Er- unterschiedlich. “Viele, die kin- ist aktuell nicht in Sicht. Sie anderem auf die hessische Botgebe, sondern man auf ein klas- versperrt. Eine Möglichkeit gebe außer derpornografisches Material müssen zwar Inhalte speichern, netz-Initiative hinwies. Diese sisches Amtshilfeersuchen set- es jedoch, um Pädophile im mittlungen.” handeln, sind technisch oftmals aber so lange die Ports nicht of- diente als Basis für GesetzesTäter mit unterschiedlichem sehr unbedarft, während Täter, fengelegt werden, hilft uns das initiativen auf Bundesebene. Know-how die komplexe Cyber-Attacken nichts.” Ein Grund hierfür ist, Der inzwischen eingeführte Neben Straftaten, die im World durchführen, oft über ein aus- dass die Anbieter zum Teil selbst Straftatbestand der DatenWide Web begangen werden, geprägtes Wissen darüber verfü- keinen Zugriff auf die Inhalte hehlerei sieht Strafen für Perwird auch das sogenannte, nur gen, wie sie sich möglichst ano- haben. May hat seine Zweifel, ob sonen vor, die unbefugt in nicht allgemein über den Torbrowser erreich- nym bewegen und unentdeckt das tatsächzugängliche bare, Darknet immer häufiger bleiben.” In der bloßen Nutzung lich der Fall “Im Darknet wird alles der durch amerikanische Ge- ist: “Ich halte für Straftaten genutzt. gehandelt. Waffen, Dro- N e t z w e r k e eindringen “Im Darknet wird alles gehan- heimdienste entwickelten An- es für möglich, gen, Auftragsmorde. Es und Daten delt. Waffen, Drogen, Auftrags- onymisierungssoftware Tor sie- dass das evenmorde. Es gibt nichts, was man ht der Jurist kein pauschales tuell auch nur gibt nichts, was man dort e n t w e n d e n . Auch schlug Markedort nicht bestellen kann”, so Hindernis für Ermittlungserfol- aus nicht bestellen kann.” Hessen feder erfahrene Strafverfolger. Die ge. “Es ist ein Trugschluss, dass tinggründen derführend im Internet angebotenen krim- jemand unauffindbar ist, nur b e h a u p t e t wird, dass es keinen unmittel- gemeinsam mit Sachsen-Aninellen Dienstleistungen werden weil er Tor nutzt”, betont May. baren Zugriff auf die Inhalte halt und Bayern vor, künftig als “Crime-as-a-Service” bezgibt.” digitalen Hausfriedensbruch eichnet. Dies habe unter ander- Gesetzesänderungen unrealistisch Auch eine Lösung, wie sie unter Strafe zu stellen, um das em zur Folge, dass jemand, der Im Darknet werden alle möglichen Waren und illegalen Dienstleistungen ge- einen Cyber-Angriff starte, heuDen Gesetzgeber sieht der etwa in Großbritannien prak- unbefugte Eindringen in inforSysteme handelt. Dies geschieht in geschlossenen Foren. In diese einzudringen, ist für tzutage kein sonderliches Know- Beamte gleich in mehrfacher tiziert wird, wo Verdächtige mationstechnische how mehr brauche, sagt May. Strafverfolgungsbehörden extrem schwierig. Hinsicht gefordert, ohne sich mittels Beugehaft gezwungen strafrechtlich besser bekämpBesonders häufig würden jedoch größere Hoffnungen werden können, Passwörter fen zu können. Für staatliche Foto: BS/Richard Patterson, CC BY 2.0, flickr.com gefälschte Pässe verkauft. “Die zu machen, dass dieser ihm herauszugeben, wird es May Stellen gilt der Straftatbestand zen müsse. Selbst wenn schon Darknet zu überführen. “Wenn Pässe werden häufig genutzt, Werkzeuge an die Hand geben zufolge in Deutschland niemals der Datenhehlerei übrigens jemand in Untersuchungshaft ein Verdächtiger damit einver- um das Post-Ident-Verfahren könnte, mit denen seine Arbeit geben. “Unser Rechtssystem nicht. “Hier wurden Ausnahsitze, dauere es manchmal Mon- standen ist, können wir seinen zu überwinden. Die bequems- erleichtert würde. So hält er die unterscheidet sich deutlich metatbestände geschaffen”. ate, bis ein Beweisstück wie zum Account übernehmen und so te MöglichE i n f ü h r u n g von dem in Großbritannien od- Dies sei im Rahmen der StrafverBeispiel eine Festplatte aus dem weitere Täter überführen. Im keit, unbefugt sogenannter er den USA. Während ein Be- folgung nötig. So kann der “Ermittlungserfolge Ausland in Deutschland eintref- Gegenzug kann der Beschul- zum Beispiel als schuldigter sich in Deutschland Staat beispielsweise weiterhin im Cyber-Raum hängen Backdoors fe. Trotzdem gebe es regelmäßig digte mit einer Strafmilderung ein Konto im E rmittlu n g - nicht selbst belasten muss, gibt Daten-CDs mit Angaben über noch stärker als in der große Ermittlungserfolge, wie rechnen, über die jedoch ein Namen eines stools, mit es in anderen Staaten zum Teil die Konten von mutmaßlichen eine Mitwirkungspflicht und Steuerhinterziehern ankaufen. etwa die Abschaltung mehr- Gericht entscheiden muss”, er- anderen zu deren Hilfe analogen Welt vom erer Darknet-Plattformen oder zählt May. Je mehr Kontakte ein eröffnen, ist S t r a f v e r f o l - Verdächtige müssen auf alle Faktor Zeit ab.” die Zerschlagung des Botnetz- solcher Täter habe, umso wert- ein gefälschter ger bei Be- Fragen wahrheitsgemäß ant- Motivation leidet nicht es “Avalanche” durch die Kolle- voller sei er für die Strafverfolger. A u s w e i s . ” Obwohl die Ermittlungen darf Zugriff worten.” Eine zu hohe psychische Be- Auch für Packstationen werden auf verschlüsselte Daten beAls großes Problem sieht der manchmal sehr langwierig und gen aus Niedersachsen. Dessen Urheber wurde Ende vergange- lastung sieht der Familien- oft gefälschte Identitäten ge- kommen würden, für unreal- Oberstaatsanwalt die Tatsa- teilweise auch wenig erfolgrenen Jahres in der Ukraine fes- vater nicht darin, dass er sich nutzt. “Dennoch ist die Überwa- istisch. “Backdoors wären eine che an, dass es, aktuell tech- ich verlaufen würden, bringt tgenommen. Zudem stellt der tagtäglich mit Kinderpornografie chung von Packstationen und einfache Möglichkeit, um bereits nisch keine Möglichkeit gibt, May nach wie vor eine hohe Staatsanwalt heraus, dass Cy- auseinandersetzt und sich im Postwegen ein geeignetes Mit- vor der Verschlüsselung Zugriff im Fall des Verdachts schwe- Motivation für seine Arbeit ber-Kriminelle, die im Internet Rahmen der Ermittlungen die tel, um Cyber-Kriminelle zu auf relevante Informationen zu rer Straftaten die Kommu- mit. “Staatsanwaltliche Arbeit schwere Straftaten begingen, verläuft normalerweise relativ nicht selten auch außerhalb statisch ab. Der Bereich Cyber des Netzes kriminell seien. “Der Crime dagegen ist ein Feld, auf Verdächtige war schwer bewaffdem sich Abläufe und Vorgenet, als er in der Ukraine durch hensweisen der Täter sehr ein Sondereinsatzkommando schnell weiterentwickeln. Dies festgenommen wurde”, berigilt dann natürlich auch für die chtet May. “Geisterwald-Verfahren”. So wird der größte KinStrafverfolgungsbehörden. Die (BS/th) Die Zentralstelle für die Bekämpfung Einer seiner Arbeitsschwerderpornografie-Prozess in Deutschland genannt, Arbeit ändert sich ständig”. Als der Internetkriminalität (ZIT) ist bei der Geneder bislang geführt wurde. In dem Verfahren punkte ist die Bekämpfung Beispiel für die angesprochene ralstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main als konnten über 150 Personen identifiziert werden, von Kinderpornografie. Hierbei Dynamik nennt May das Thema Außenstelle in Gießen angesiedelt. Laut Hessens die kinderpornografisches Material besaßen. ist die Arbeit von Polizei und damaligem Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) DDos-Attacken. “Diese Angriffe Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte die DienstStaatsanwaltschaften auch nahm die ZIT bei ihrer Gründung eine Vorreiwurden früher vor allem polistelle auch, weil sie im Rahmen ihrer Darknetaufgrund der deutschen Gesetterrolle in Deutschland ein. Neben den sechs tisch genutzt. Dadurch sollten zeslage besonders schwer. “Die festangestellten Staatsanwälten ist es bei Bedarf Ermittlungen auch den Waffenhändler überführte, bestimmte Webseiten lahmgeTäter tauschen ihre Bilder in möglich, weiteres Personal zeitlich befristet nach der dem Amokläufer von München seine Tatwaffe legt werden. Heute haben die verkaufte. Auch mehrere große Kinderpornogrageschlossenen Foren im DarkGießen abzuordnen, um die dortige Arbeit zu Angreifer, wie in den meisten fie-Verfahren konnten in den vergangenen Jahren net. Nur wer selbst Material unterstützen. anderen Fällen auch, finanzielle erfolgreich abgeschlossen werden. liefert, kommt dort überhaupt Die ZIT führte unter anderem das sogenannte Motive und nutzen DDos-Anhinein”, erläutert der Jurist. Foto: BS/BSI griffe, um Geld zu erpressen.”

ir haben zu zweit angefangen, inzwischen sind wir zu sechst”, sagt der Oberstaatsanwalt. Trotz der kleinen Anzahl an Mitarbeitern sieht er die ZIT gut aufgestellt, würde es allerdings begrüßen, wenn auch der eine oder andere IT-Forensiker bei der ZIT arbeiten würde. Die Verfahren, mit denen er zu tun hat, sind alle von größerer Bedeutung. Kleine Fische landen nicht auf seinem Schreibtisch. “Die Verfahren, mit denen wir uns beschäftigen, sind fast alles Verfahren des Bundeskriminalamtes”, so der Oberstaatsanwalt. Diese Bundesoberbehörde ist laut May – zusammen mit dem Zoll – der “Hauptzulieferer” für die Indizien und Beweise, die zu den Verfahren führen, die von ihm in die Wege geleitet werden.

Staatsanwalt jagt Cyber-Kriminelle

Zentralstelle für die Bekämpfung der Internetkriminalität


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.