BIANCO Alpine Lifestyle Magazine Sommer 2018

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GLETSCHERFLUG  MICHAEL RINGIER  BAUSTELLE MATTERHORN   GIAN PEDRETTI



«Wir planen immer in die Zukunft oder sinnieren über die Vergangenheit, aber sind so wenig im Moment»

MARINA ABRAMOVIC PERFORMANCEKÜNSTLERIN (* 1946)


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EIN BILD

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1000 WORTE Te x t : L i nd a S o l a nk i

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elch prächtiges Blau! Sofort denkt man an einen Urlaubsort mit Badesee. Weit abgeschieden, jenseits des Massentourismus, denn der Sprung ins kühle Nass soll nur jenen gewährt werden, die den Fussmarsch durch das pfadlose Grün bewältigt haben. Nur: Vom Sprung ist dringend abzuraten. Auf einmal fällt nämlich die Staumauer am Rand des Gewässers ins Auge. Es ist die Grande Dixence im Kanton Wallis, die Wuchtbrumme unter den hiesigen Staumauern. An der Basis misst sie eine Dicke von 200 Metern, so viel wie zwei Fussballfelder, an der Krone sind es noch deren 15. Der Stausee fasst 400 Millionen Kubikmeter Wasser, darunter das Schmelzwasser von 35 Walliser Gletschern. Weitere beeindruckende Zahlen und Fakten: 1951 begannen die Bauarbeiten, als nach dem Zweiten Weltkrieg der Energiehunger der Schweizer Bevölkerung stetig anstieg, und dauerten für den gesamten Kraftwerkkomplex 15 Jahre – 3 Jahre weniger als erwartet. Dabei wurden 6 Millionen Kubikmeter Beton verarbeitet. Zum Vergleich: Mit dieser Masse liesse sich dem Äquator entlang eine 1,5 Meter hohe und 10 Zentimeter breite Mauer um die Erde bauen. Mehr als 3000 Bauarbeiter, Geologen, Hydrologen und Ingenieure krampften auf rund 2400 Metern Höhe unter schwierigen Bedingungen. Weil es bei solchen Grossprojekten trotz sorgfältiger Planung und Sicherheitsvorkehrungen leider immer wieder zu Unfällen kommt, kamen auch damals einige von ihnen dabei ums Leben. Bis ins Jahr 1980 galt die 285 Meter hohe Staumauer als höchste der Welt. Heute befindet sie sich nur noch auf Rang 7 (die aktuelle Nummer 1 aus Iran befindet sich noch im Bau und soll 315 Meter hoch werden), ist aber immerhin noch die weltweit höchste Gewichtsstaumauer. Gewichtsstaumauern zeichnen sich durch ein dreieckiges Profil mit einer breiten Basis aus und dadurch, dass sie durch ihr enormes Eigengewicht stabil bleiben. Die Wasserkraftanlage der Grande Dixence erzeugt jährlich rund 2 Milliarden kWh, was 20 Prozent der speicherbaren Energie in der Schweiz entspricht und dem Stromverbrauch von 500’000 Schweizer Haushalten gleichkommt. 18 Kantone werden vom gesamten Komplex mit Elektrizität versorgt. Ein Staudamm also. Auf das erfrischende Bad muss demnach verzichtet wer-

den, das Ferienfeeling ist ebenfalls verflogen. Dabei eignet sich die Grande Dixence durchaus für einen Wochenendtrip oder zumindest für einen Tagesausflug. Denn um die Mauer herum gibt es eine Reihe an Aktivitäten zu entdecken wie den Steinbock-Höhenweg, auf dem wanderfreudige Familien mit etwas Glück eins der namensgebenden Tiere sichten, eine Kletterwand, die Ausstellung «Inmitten der Geschichte der Staumauer Grande Dixence», eine Luftseilbahn sowie eine Kapelle, die Möglichkeit, auf der Staumauerkrone spazieren zu gehen oder deren Inneres während einer geführten Besichtigung zu erkunden. Für die nötige Stärkung zwischen all diesen Unternehmungen sorgen Kiosk, Bar und Restaurant; falls man länger bleiben möchte, stehen Übernachtungsmöglichkeiten im «Le Ritz» bereit – einst Herberge der Bauarbeiter, heute ein beliebtes Touristen­hotel. Der Staudamm wird zum Vergnügungspark – wenn das mal kein überraschender Perspektivenwechsel ist. Auch das hier abge­druckte Bild zeigt einen Perspektivenwechsel, aufgenommen aus der Luft nämlich, von einem Satelliten. Satellitenbilder ermöglichen uns eine neue Sichtweise auf unseren Planeten. Die Gottesperspektive, wenn man so will. Oder Alienperspektive, je nachdem, woran man eher glauben möchte. Von oben sieht unser Leben geordnet, symmetrisch, teilweise gar synchron aus, wohingegen es sich aus der Mitte bisweilen öfters chaotisch als geregelt anfühlt. Auch sieht man von oben deutlicher, was wir Menschen mit der Natur angestellt haben. Ein Garten wirkt nicht mehr wie der Annex eines Hauses. Viel eher steht das Haus als Störenfried in der Wiese. Und eine Staumauer hält nicht mehr alles beisammen, sondern zerschneidet die natürliche Landschaft. Beton verdrängt Grün, Grau überwältigt Braun, Blau, Gelb, alles. Wie sehr der Mensch die Natur dominiert, um nicht zu sagen vernichtet, wird selten so deutlich wie auf Luftaufnahmen. Manchmal sieht man aus der Distanz eben klarer. Doch der liebe Mensch hat wieder einmal besseres zu tun, als sich um die Umwelt zu kümmern. Statt als moralisches Mahnmal nutzt er Satellitenbilder viel lieber zur Spionage. So prophezeien es zumindest neue Businessmodelle, die Satellitenaufnahmen als Service anbieten. Als Beispiel sei die US-Firma DigitalGlobe genannt, die ihre Kunden mit ultrascharfen Aufnahmen der Erdoberfläche beliefert. Die Auflösung

liegt bei 30 Zentimeter pro Bildpunkt. Das reicht, um Personen zumindest schemenhaft auf den Fotos zu erkennen. Wer will, hat nun also endlich die Möglichkeit herauszufinden, was die Nachbarn hinter ihrem blickdichten Zaun den ganzen Tag so treiben. Vorwiegend wird der Dienst zwar von Militär, staatlichen Verwaltungen, Geheimdiensten, Bergbauunternehmen und Hilfsorganisationen genutzt, grundsätzlich können die Aufnahmen aber auch von Privatpersonen erworben werden. Der Blick von oben als solcher ist eine relativ neue Errungenschaft. Bevor es Flugzeuge gab, musste man dafür auf einen Berg steigen – wobei die absolut frontale Sicht nach unten ein Ding der Unmöglichkeit blieb. Heute braucht man dafür nicht einmal mehr das Haus zu verlassen. Google Earth macht’s möglich. Doch zurück zu unserem Staudamm-Satellitenbild: Harmonisch wirkt es, das Zusammenspiel von künstlich Erbautem und natürlich Gewachsenem; spiegelglatt die Oberfläche des gestauten Wassers; wind- und auch sonst sehr still der Moment der Aufnahme. Doch wie heisst es so schön: Die Ruhe kommt vor dem Sturm. Einen Vorgeschmack auf das, was im Ernstfall passieren könnte, lieferte die Grande Dixence am 12. Dezember 2000, als die Druckleitung aufriss, die das Wasser von der Staumauer zum Kraftwerk Bieudron leitet. 27’000 Kubikmeter Wasser rauschten durch das mehrere Meter breite Loch ins Tal und rissen mehrere Gebäude mit. 100 Hektaren Wald und Nutzfläche wurden verwüstet. Drei Menschen kamen ums Leben. Wenn bereits ein Riss in der Leitung einen so gewaltigen Schaden anrichten kann, wie sähe denn erst der schlimmstmögliche Fall aus? Stellen wir uns einmal vor, dass nicht nur eine der Leitungen, sondern die Staumauer selbst einen Bruch erleidet. Das Zerstörungsausmass der Flutwelle, die daraufhin auf die Täler hinabstürzen würde, nähme gigantische Dimensionen an. Ganze Ortschaften würden von den Wassermassen des Lac des Dix weggespült werden und mit ihnen ihre Einwohner. Auf den Satellitenaufnahmen mag der Mensch wie ein allmächtiger Zerstörer wirken, der alleinige Herrscher auf Erden, der alles um ihn herum in seiner Hand hat. Doch wehe, die Natur setzt sich zur Wehr. Dann zeigt sich, wie falsch der Eindruck ist, den die Satellitenbilder uns vermitteln, und wie machtlos wir gegen die Natur eigentlich sind.

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EDITORIAL

Frische Luft ist violett Wenn Grau die Farbe des Alltags ist, müssen andere Farben für Aufheiterung sorgen. Vielleicht Gelb, die Farbe der Optimisten. Deshalb gleich zur Geschichte mit den grauen Bananen und den grauen Briefkästen. Die geht so: Das Menschenauge ist imstande, zwei Millionen Farbtöne auseinanderzuhalten, nimmt aber Bananen und Briefkästen als gelb wahr, die bei einem Test eindeutig hellgrau sind. Weil das Wissen stärker ist und die Farbwahrnehmung beeinflussen kann. Geht es also um Farben, sehen wir gerne das, was wir zu sehen erwarten. Ein Phänomen, das an der Universität Giessen erforscht und untersucht worden ist. Bei Rapsfeldern, denken wir, hätte der Versuch wahrscheinlich auch funktioniert. Aber bei Gelb kommt jedem etwas anderes in den Sinn: Bleistifte, Kanarienvögel, vielleicht sogar die Yellow Submarine der Beatles. Gelb ist immer anders, Gelb reicht von Strohblond über Curry bis Bernstein. Für Gelb, heisst es, seien 89 verschiedene Namen bekannt, von Absinth- bis Zitronengelb. Wie das Auge auf Farben reagiert, zeigt ein einfacher, anderer Test: Man nimmt ein gelbes Papier, malt als Fixpunkt ein Kreuzchen und fixiert es über 15 Sekunden lang intensiv, anschliessend richtet man den Blick auf ein weisses Papier und – sieht nur noch Violett, das physiologische Nachbild. Leuchtend violett ist das Umschlagpapier von BIANCO, in der Pantone-Farbe des Jahres 2018 («18-3838 Ultra Violet»). Ein dramatischer Lilaton der Originalität, wie es heisst, der Einfallsreichtum und visionäres Denken ausdrücken soll und der für die unendlichen Weiten des Nachthimmels stehe. Violett war die Lieblingsfarbe einer ganzen Künstlergeneration, die der Impressionisten. Claude Monet soll gesagt haben, er habe endlich die wahre Farbe für die Atmosphäre entdeckt: «Es ist Violett, frische Luft ist violett.» Monet, van Gogh und Cézanne haben Gian Pedretti immer fasziniert. Der 92-jährige Maler aus der Samedaner Künstlerdynastie mischt seine Farben selbst, intuitiv, und trägt sie frei auf. Dabei, sagt er, interessierten ihn die Farben eigentlich gar nicht. Pedretti, der die ungezähmte Natur im Blut hat und um die Natur als grosse Lehrmeisterin für Farben weiss, mit unterschiedlichsten Grüntönen im Frühling und verschiedensten Rot- und Gelbtönen im Herbst, kreist in seiner Arbeit stets rund ums Grau. Die Ateliervisite bei Gian Pedretti im Engadin trägt die Überschrift: «Die Farben der Gefühle.»

WOLFRAM MEISTER HERAUSGEBER UND CHEFREDAKTOR

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14 APROPOS Marcel Breuers Kuckucksuhr. Doggy Bag aus Leder. Raincoat mit Backpack-Funktion. Blumen-Colliers. Tessanda-Teppiche. Korbtaschen 22 GIAN PEDRETTI Farben der Gefühle. Der 92-jährige Maler aus der Samedaner Künstlerdynastie über das Sehen, das Malen und warum das absolute Bild nicht exisiert

34 I C H WA R E I N H I R S C H Chemikerin Kadri Vunder Fontana und Biologin Conny Thiel-Egenter lassen Häute von auf der Jagd erlegten Wildtieren zu Schuhen verarbeiten 38 GLETSCHERFLIEGER Sie war einmal bittere Notwendigkeit in der Schweiz. Heute ist die Gletscherfliegerei reiner Genuss. Unterwegs mit Alex Clapasson in seiner Piper Super Cub PA-18

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vivanda genuina


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46 MICHAEL RINGIER Ein Leben zwischen Kunst und Verlag, zwischen Genuss und Schreiben. Michael Ringier, 69-jähriger Routinier eines 185 Jahre alten Traditionshauses 62 BAUSTELLE MATTERHORN Es ist die höchstgelegene Baustelle Europas. Bis September. Dann wird die höchste Dreiseil-Umlaufbahn der Welt eröffnet. Pünktlich 66 KÜ N S T L E R H AU S Ü B E R D E M WA L E N S E E Von Los Angeles ins Glarnerland. Wie eine Journalistin und ein Filmemacher ein aussergewöhnliches Haus zu ihrem neuen Zuhause und ihrer kreativen Wirkungsstätte machten

RUBRIKEN 9 Editorial 80 Kurz & Knapp 89 Impressum 91 Feine Adressen 93 Comic 98 Letzte Seite

76 SUPER SPORTS UTILITY VEHICLE Der neue Lamborghini Urus ist superschnell, superluxuriös und supervielseitig. Doch sein Reiz liegt nicht dort, wo man es erwarten würde 96 ÜBER ALLE BERGE MIT… Christian Jott Jenny, Herz, Seele und Gastgeber des Festival da Jazz in St. Moritz

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APROPOS PRODUKTE, TIPPS UND MEHR

M AR C E L B R EUE RS KU CKU C KS U H R Klassische Kuckucksuhren sind mit aufwendig geschnitzten Holzornamenten verziert, haben eine Kette zum Aufziehen und einen mechanischen Kuckuck hinter einer türähnlichen Klappe über dem Zifferblatt, der rechtzeitig die Stunden ruft. Mit seinen «Cuckoo Blocks» hat der deutsche Künstler Guido Zimmermann keine weiteren Schwarzwaldhaus-Uhren geschaffen, sie sind vielmehr bekannten Bauten des Brutalismus nachempfunden. Im Bild: das über einen Felsen hängende Hotel «Le Flaine» in den französischen Alpen, ein spektakulärer Bau von Marcel Breuer, Bauhaus-Architekt und legendärer Möbeldesigner (1902–1981). Flaine ist eine in den 1960er Jahren entstandene, radikale Retortenstadt auf einem bis dahin unberührtem Hochplateau, ein reales Utopia in den Bergen zwischen Genf und dem Mont Blanc. Eine Reissbrettschöpfung nach Entwürfen von Marcel Breuer. Zum einzigartigen architektonischen Ensemble, 1969 offiziell für 6000 Gäste eröffnet, gehören auch Riesenskulpturen von Pablo Picasso, Victor Vasarely und Jean Dubuffet. In den neunziger Jahren geriet Flaine mehr und mehr in Vergessenheit. Nunmehr erlebt es ein kleines Revival. Die «Cuckoo Blocks» von Guido Zimmermann sollen eine Antwort auf die traditionellen Kuckucksuhren mit zeitgemässer Sicht auf interessante Architekur sein. Die Hülle ist zwar neu, aber die Seele, ein Uhrwerk mit Kuckuck, ist noch die alte. www.guidozimmermann-art.com/cuckoo-blocks www.flaine.com

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DOGGY BAG

Tragtaschen für Hunde-Winzlinge sind en vogue, heissen «Hundekönig» oder «Puppyangel». Der US-amerikanische Designer und Dackel-Besitzer Thom Browne mit gleichnamigem, erfolgreichem Label hat die Geschichte umgedreht und eine ungewöhnliche Handtasche entworfen – geformt wie ein Dackel. Mit Pfoten, Schlappohren, Schwanz und Knochenanhänger am Hals. Der Name des Doggy Bag: Hector, genauso wie Brownes Rauhhaardackel heisst. Im Inneren des in Italien gefertigten Modells aus langlebigem strukturiertem Leder verbirgt sich ein gestreiftes Futter mit Reissverschlussfach. Die Aussenhülle gibt es in verschiedensten Farben und Ausführungen (am teuersten ist Kroko). Der Pet-Shopper ist auch in Pinguin-Form erhältlich. www.thombrowne.com

RAINCOAT MIT BACKPACK-FUNKTION Das deutsch-chinesische Modelabel LangerChen existiert seit fünf Jahren und hat dank ihren Jacken und Mänteln einen ausserordentlich guten Ruf. Klassisch-zeitlos ist das Design, innovativ sind die Materialien (Lyocell, Eco-Wolle, Leinen, recyceltes Polyester etc.). Das ultraleichte Jacket «Orlando H.» besteht aus Bio-Baumwolle und ist dank Beschichtung mit einer PU-Membran und getapten Nähten winddicht, wasserabweisend und atmungsaktiv. Ein smartes Detail ist die Backpack-Funktion: dank eingenähter Träger ist der Raincoat im Handumdrehen ganz leicht auf den Rücken zu schnallen – zum Umhängen bei Sonnenschein. Philipp Langer ist Kopf der Kreation, leitet das Designteam am Starnberger See, Miranda Chen sorgt für die Umsetzung der Entwürfe im eigenen Betrieb in der Nähe von Shanghai. www.langerchen.com


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IM GRÜNEN SCHLAFEN

SISSI, PETER UND GIORGIO Bei handgemachten Loafern denkt man eher an Leder denn an Loden. Doch beim «Münchner Original», dem Sissi-Loafer von Monaco Duck (made in Italy), besteht das Obermaterial aus 100 Prozent bayrischem Loden, etwas Rindsleder (die hellblauen Farbakzente) und Kalbsleder (das Futter). Bestickte Samt-Loafer fertigte die Schuhmanufaktur Ludwig Reiter in Zusammenarbeit mit Peter Pilotto. Softwear gibt es auch von Giorgio Armani, dessen Samt-Loafer mit den Initialen des Labels versehen sind. www.monacoduck.com www.austrian-limited.at www.armani.com

EINE ZAHL & IHRE GESCHICHTE

Der Schlafsackhersteller «Grüezi Bag» – keine schweizerisches, sondern ein bayrisches Unternehmen – bietet mit dem «Biopod DownWool Nature» ein Modell an, das gänzlich ohne Kunstoff auskommt. Von der Verpackung bis hin zum Schlafsack besteht jede einzelne Faser kompromisslos zu 100 Prozent aus Naturmaterialien. Aussen wie innen wurde reine Baumwolle als Material verwendet. Die Füllung besteht zu 70 Prozent aus Daunen und zu 30 Prozent aus veredelter Wolle, die Knöpfe sind aus Holz. Ein Kopfkissen-Einschubfach zählt zu den zusätzlichen Features, ebenso eine weitenverstellbare Funktion, die für noch mehr Komfort und Bewegungsfreiheit beim Schlafen sorgen soll. Einziger Nachteil beim grünen Schlafsack «Biopod DownWool Nature» (€ 399,99): Er ist ausverkauft und erst im neuen Jahr wieder lieferbar. www.gz-bag.de

Die Schweiz besteht zu rund einem Drittel aus Wald (32 %). Das sind 535 Millionen Bäume, was 66 Waldbäume pro Einwohner macht. Die gesamte Waldfläche nimmt zu, am stärksten in den Alpen und auf der Alpensüdseite (52 % bewaldet). Knapp die Hälfte der schweizerischen Waldfläche ist Schutzwald, schützt vor Naturgefahren wie Lawinen oder Steinschlag (6000 km2). Der Schweizer Wald hat 250‘000 verschiedene Besitzer und ist zu 29 Prozent Eigentum Privater. 71 Prozent sind öffentlicher Wald, davon befinden sich 5 Prozent im Besitz von Bund und Kantonen. Jährlich werden knapp 5 Millionen Kubikmeter Holz (Wert 400 Mio. Franken) geschlagen, 37 Prozent sind Laubholz, 63 Prozent Nadelholz; jedes Jahr wachsen aber auch 10 Millionen Kubikmeter Holz nach. In der Waldwirtschaft arbeiten

rund 5800 ausgebildete Berufsleute, vom Forstwart über die Försterin bis zum Master of Science in Umweltnaturwissenshaften (ETH, Vertiefung Wald und Landschaftsmanagement). Das Waldstrassen-Netz umfasst 30‘500 Kilometer in der Schweiz. Fichte (Rottanne), Tanne und Buche sind die drei häufigsten Bäume, die ein durchschnittliches Alter von 100 Jahren haben. Eine 100-jährige Buche hat etwa 500‘000 Blätter. Die ältesten Bäume der Schweiz sind Eiben und werden auf etwa 1500 Jahre geschätzt. Im God Plazzers bei Muottas da Schlaringa, oberhalb von Pontresina im Engadin, stehen einige Urarven, eine der ältesten, eine Kandelaber-Arve, soll über 1400 Jahre alt sein. Der älteste Baum der Welt ist eine langlebige Kiefer in White Mountains (Kalifornien) und 5063 Jahre alt.

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BLUMEN-COLLIERS Sie sind federleicht und müssen nicht im Safe versteckt werden: die Colliers in knalligen Farben. Blümchen dicht an dicht, industrielles Handwerk aus Polyestergarn. Feiner Halsschmuck aus St. Gallen, geschaffen im Hause Jakob Schlaepfer, wo die ganze Modewelt einkauft – Dior, Louis Vuitton oder Chanel. Die Stoffe von Schlaepfer stehen für höchste Qualität. Zwischendurch ziert Nicole Kidman in einer Paillettenstickerei von Schlaepfer das August-Cover der amerikanischen Vogue, dann trägt Lupita Nyong’o auf dem OktoberCover einen Print von Schlaepfer. Der filigrane Textilschmuck ist ein recht erschwingliches Accessoire (Fr. 52.–), und doppelt gelegt wirkt das Collier «Guipure» besonders akttraktiv. Aus 14 unterschiedlichen Varianten darf gewählt werden. Auch Armbändchen namens «Coco» wären erhältlich. https://shop.jakobschlaepfer.ch

TESSANDA-TEPPICH

Ob Bundesrat Ignazio Cassis in der Handweberei Tessanda im Val Müstair einen nach seinen Vorgaben von Hand gewobenen Teppich bestellt hat, können wir nicht sagen. Jedenfalls war der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am 7. Juli Ehrengast an der Jubiläumsfeier der 1928 gegründeten Manufactura Tessanda in Sta. Maria. Und ein «TeppichKonfiguator» zählt dort zu den kleinen Attraktionen. Für einen selber designten

Teppich muss man sich erst zwischen zwei Grössen und zwei Mustern entscheiden, bevor man aus über 20 Farben auswählen darf. Die Grössen: 100 x 150 und 160 x 240 Zentimeter, die Preise: 1650 und 3850 Franken. Jeder der aus hochwertiger Wolle gewobenen Teppiche ist ein Unikat, selbstverständlich, und hält ein Leben lang. Im Tessanda-Verkaufsladen gibt es ausserdem auch Merino-Wolldecken, Kirschkern-Kissen, Geschirr-, Gläser- und Handtücher, auch handgewobene Leinenschals zu kaufen. www.tessanda.ch


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TASCHEN FÜRS SOMMERFEELING VON VERSPIELT BIS ELEGANT: TASCHEN AUS NATÜRLICHEN MATERIALIEN VERLEIHEN JEDEM OUTFIT EINE SOMMERLICH-ENTSPANNTE NOTE.

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1/4/8/ HEIMAT BAG COLLECTION Farbenfrohe Taschen aus von Hand geflochtenem Schilfrohr, innen spanisches Leder. Tasche Amore (1), Amour (4) und Love (8) mit Porzellan-Stickern. Von Heimat Atlantica. www.heimat-atlantica.com

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2 / 14 / TILLIE BASKET Taschen im Wald- und Wiesentrend aus Raffiabast. Mit aufgestickten Käfern (2) und Blüten (14). Von Orla Kiely. www.orlakiely.com 3 / 7 / 18 / MIUCCIA PRADA Kleiner Tote Bag aus geflochtenem Kunstleder in verschiedenen Farben (3). Korbtasche mit Nappa-Leder in Honig und Pink (7). Sommerlicher Shopper aus gewebtem Stroh mit bunten Canvas-Henkeln (18). Alles Miu Miu. www.miumiu.com

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5/ ZAHA BAG Mondförmige Handtasche mit schmalen luftdurchlässigen Streben aus Bambus. Unübersehbar die Reminiszenz an die Kultur Japans. Eine weitere Variante des klassischen Ark Bag. Von Cult Gaia. www.cultgaia.com 6 / 11 / 15 / MIT STOFFTASCHE Aus getrockneten Getreidehalmen handgeflochtene Taschen. Mit natürlichen Pigmenten gefärbt. Jede Tasche ziert eine Schleife mit Stofftasche, dank der alle Essentials sicher verstaut werden können. Gestreifte Hand- und Schultertasche Paul (6), Caba mit Griff und Bändern aus Canvas (11) und die schlichte Racco (15). Von Muuñ. www.muun.fr 9 / 13 / 16 / SUMMER-TASCHEN Handgemachte Tasche aus geflochtenen Palmfasern mit Pompoms aus Baumwolle, auf Wunsch mit Initialen (9). Clutch aus Stroh mit Stern (in verschiedenen Farben möglich) und Initialen (13). Handgefertigte Herz-Tasche aus Palmfasern mit Pailletten und Stoffzug (16). Von Delia Summer. www.deliasummer.de 10 / 12 / 17 / HANF-TASCHEN Handgewobene Hanf-Taschen mit klassischem grafischem Design, Natur und Schwarz. Playa (10, 12) und Vintage Ojai (17). Von James Perse. www.jamesperse.com

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SOUVENIRS D’INTERLAKEN Die üppigen Dekorationen im Chalet Diana am Höhenweg in Interlaken vermittelten schon im 19. Jahrhundert Alpenromantik. Die Ladeneinrichtung des 1837 eröffneten Souvenierladens im Schweizer Holzstil blieb über all die Jahre nahezu original erhalten. Nun wurde das Interieur des Ladens und die Fassade zur Strasse von den neuen Besitzern Conny und Daniel Wyss gründlich saniert. Für die gelungene Restaurierung haben sie den Denkmalpflegepreis 2018 der Kantons Bern. «Mit dem Denkmalpreis stellen wir nicht Schlösser ins Rampenlicht, sondern Alltagsarchitektur», sagte der kantonale Denkmalpfleger Michael Gerber. Im Laden fühlt man sich im ersten Moment ins 19. Jahrhundert versetzt. Den an der Decke noch gut erhaltenen Originalanstrich nahm man zum Ausgangspunkt des neuen Farbkonzepts. Die Möbel wurden dem Farbkonzept des Verkaufsraums entsprechend mit Ölfarbe neu gestrichen. Wyss Souvenirs Höheweg 197, 3800 Interlaken


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APROPOS PRODUKTE, TIPPS UND MEHR DIE GESCHICHTE VON ZWEI FREUNDEN

ACHT BERGE Paolo Cognetti; DVA, Deutsche Verlags-Anstalt

PRAKTISCHER SCHMUCK Ein elegantes Armband ist es nicht, mit seinen neun Kettengliedern. Eher ein schmuckes Accessoire einer Rockerin. 156 Gramm schwer, hochwertiges Material, korrosionsbeständiger Edelstahl, erhält­ lich in Silber und Schwarz. «Tread LT» ist das Life­ style-Tool des Outdoor- und Survival-Experten Leatherman aus Portland in Oregon, ein verspielter Werkzeugkasten fürs Handgelenk mit maximal 29 Funktionen. Inklusive SIM-Karten-Dorn und Hartmetall-Glasbrecher sowie einem Verschluss, der gleichzeitig als Flaschenöffner benützt werden kann. www.leatherman.com

DIE WILDE KAISERIN Ursprünglich dienten Charivari als Talisman für die Jagd, waren ein wertvolles Statussymbol. Schmuckketten, an die im Laufe der Zeit Jagdtrophäen gehängt wurden. Das alpin inspirierte Schmucklabel «Die wilde Kaiserin» der Designerin (und passionierten Jägerin) Isabel Koch interpretiert das historische «Bettelarmband» neu, mit traditionellem Bezug, jedoch fernab von trachtigem Kitsch. Ein Must-Have für modebewusste Damen ist beispielsweise das doppelreihige Charivari aus massiven Kettengliedern mit charakteristischen Jagdmotiven als Charms, mit Anhängern wie der Hornspitze vom Rehbock, einem Hirschgrandel (Eckzahn), versilberten Tierfiguren sowie historischen Münzen. www.diewildekaiserin.com

Wer erfahren will, was es mit dem Titel dieses Romans auf sich hat, muss sich bis Seite 169 gedulden. «Acht Berge» erzählt eindringlich die Geschichte einer jahrzehntelangen Freundschaft zweier Einzelgänger. Sie spielt grössstenteils in Grana im Aostatal, am Fusse des Monte Rosa. Dort erkunden Bruno und Pietro, noch Kinder und aus verschiedenen Welten stammend, gemeinsam die Bergwelt. Wilde Bäche, abgelegene Täler, verlassene Häuser. Als erwachsene Männer trennen sich ihre Wege. Pietro Guasti zieht es als Dokumentarfilmer in die Welt hinaus, Bruno Guglielmina bleibt für immer in seinem Heimatdorf, um die Käserei seines Onkels wiederzubeleben. Welcher Weg ist der richtige? Befreundete Männer kommen oft ohne viele Worte aus. Auch in diesem Roman von Paolo Cognetti, in dem es letzlich um die Frage geht: Was zählt im Leben? 20 AUSFLÜGE ZU 20 AUTOREN

LITERARISCHES REISEFIEBER Ursula Kohler; AS Verlag Das inspirierende Reisebuch lockt seine Leser in Landschaften, in denen Schweizer Schriftsteller lebten oder wirkten. 20 Ausflüge werden beschrieben, die literarische Palette reicht von Hermann Burger über Friedrich Dürrematt, Max Frisch, Friedrich Glauser bis zu Jeremias Gotthelf, Johanna Spyri oder Laure Wyss. Jede der aussergewöhnlichen Persönlichkeiten wird mit einer kurzen Biografie und einem konkreten Werk vorgestellt, kombiniert mit einer Wanderung oder Velotour. So begibt man sich lesend im Ohrensessel oder unterwegs zu Fuss nach Sils und ins Fextal von Annemarie Schwarzebach. Nähert sich an Jürg Federspiels Kindheits- und Jugendort Davos der Dreissiger- und frühen Vierzigerjahre an. Oder erreicht über einen Panoramaweg durchs Bergell das Grenzdorf Castasegna, den einstigen Wohnort von Silvia Andrea. VON HANNIBAL BIS HEIDI: GESCHICHTEN, MYTHEN UND LEGEDEN

DIE ALPEN Stephen O‘Shea; Goldmann Der kanadische Historiker Stephen O‘Shea, der fast zwei Jahrzehnte in Paris gelebt und als Frankreich- und Europakorrespondent für namhafte Zeitungen und Zeitschriften geschrieben hat (The Times, The Observer, Interview, Harper‘s Bazaar, Elle), nimmt sich einem Thema an, das schon in unzähligen Büchern behandelt worden ist. Aber O‘Shea ist ein genauer Beobachter und guter Erzähler auf seinem Roadtrip durch sechs Alpenländer, unterwegs mit viel Hintergrundwissen in einem limitierten Renault-Sondermodell. Sein amüsantes, unterhaltsames Buch ist in drei Reiseetappen gegliedert – «Vom Genfersee zum Gotthardpass», «Von Heidiland nach Grindewald», «Von Innsbruck nach Triest» – und unterteilt in elf Kapitel.

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MUOTTAS MURAGL Panoramarestaurant Mountain Dining täglich bis 23.00 Uhr Information und Reservation unter Telefon +41 81 842 82 32


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GIAN PEDRETTI AT E L I E R V I S I T E I M E N G A D I N

Die Farben der Gefühle

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Te x t : B r i g i tt e U l m e r Fo t o g ra f i e : G i a n Ma r c o C a s t e l b e rg

Gemeinsames Leben für die Kunst: Gian Pedretti und die Schriftstellerin Erica Pedretti in ihrem Atelier.

FARBEN INTERESSIEREN IHN NICHT, SAGT GIAN PEDRETTI. MAN STAUNT. DENN SEINE BILDER VIBRIEREN VOR FARBEN. SIE LÖSEN INNERE BEBEN AUS. DER 92-JÄHRIGE MALER AUS DER SAMEDANER KÜNSTLERDYNASTIE ÜBER DAS SEHEN, DAS MALEN UND WARUM DAS ABSOLUTE BILD NICHT EXISTIERT.


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GIAN PEDRETTI AT E L I E R V I S I T E I M E N G A D I N

Gian Pedrettis Atelier mitten in Celerina, 1962 vom Künstler selbst erbaut: In Schichtungen lagert hier sein materialisiertes Dasein. Die Reliefs der Frühzeit, seine Zeichnungen aus Paris, Skulpturen, Gemälde der letzten Jahre. Aber auch Bücher, Zeitungsartikel, Hirschfelle, Pinsel, Stabellen, Tierschädel, Kartonrollen. Und natürlich: Farben.

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GIAN PEDRETTI AT E L I E R V I S I T E I M E N G A D I N

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eben der alten Brauerei das kleine Strässchen «hindärä», an der Barriere «verbii», beim grünen Container «rächts uffää»: Die Wegbeschreibung zu seinem Atelier in Celerina, die er in den Telefonhörer flüstert, ist etwas rudimentär. Aber, versichert er, die Adresse helfe ohnehin nicht weiter. Man tut also, wie einem geheissen, geht der Via Maistra in Celerina entlang, biegt bei der alten Brauerei ins kleine Strässchen, und gottlob schiebt sich einem – nach Barriere und Container – ein Hirschkopf ins Blickfeld. Kein echter natürlich, sondern einer aus Metall, ans Abflussrohr der Dachrinne montiert, aus dessen weitgeöffnetem Mund das Schmelzwasser zu Boden tropft. Er kann keinem anderen gehören als ihm. Hier also das schmale Weglein hoch, bis man unversehens vor hohen Atelierfenstern zu stehen kommt, durch die man in einen hohen, lichten Raum blicken kann. Da ist er, schlank, leicht gebückt, im Karohemd, ein Foulard um den Hals geknotet, die Hose aus dickem Tweedstoff: Gian Pedretti. Einer der Pedrettis aus der Oberengadiner Künstlerdynastie. Sekunden später beobachtet man bange, wie er die steilen Stufen der schmalen Ofentreppe hochsteigt, schliesslich innehält, sich nach vorne neigend, auf einem Bein stehend, beide Arme ausstreckt, so, als wäre er nicht ein 92-jähriger Maler, sondern ein junger Trapezkünstler, um eines der Gemälde, die auf einem Zwischendeck lagern, herunterzuholen. Ein Balanceakt sondergleichen, auf den noch einer folgt und noch einer. Das alles geschieht in aller Stille und mit einer absoluten Unbeirrtheit. Man wohnt dem Schaupiel bei und schaut. Und schaut. Und schweigt. Seine Frau, die auf einem Treppchen sitzt – die Schriftstellerin und Künstlerin Erica Pedretti –, darf die längste Zeit nicht helfen, die Besucher schon gar nicht. Es stellt sich heraus, dass Pedretti das Gleichgewichtsgefühl und die Elastizität eines 30-Jährigen hat.

Er steigt wieder langsam hinunter, geht dabei ein bisschen in die Hocke, man kann ihn sich jetzt gut vorstellen, wie er genau so Berge erklimmt, über Felsen klettert und unwegsames Gelände balanciert, wenn er die Fährten der Tiere liest; Pedretti, der Wanderer und Jäger, der Bergsteiger und Naturbeobachter. Pedretti, der die ungezähmte Natur im Blut hat, sie zu Bildern fixiert. Er zieht nun den Vorhang zu, damit sich die Farbkraft der Gemälde entfalten kann, und dann stellt er sich, noch immer schweigend und mit ernster Miene, neben sie. Auf einem erhebt sich knallig gelb ein Berg aus der tiefschwarzen, mit dicken Linien formierten Landschaft. Auf einem nächsten zieht sich eine dunkelgelbe, ins Orange changierende Landschaft in die Hügelkette, hinter der ein weisser Felsen sich erhebt. Bild für Bild geht das so, jedes eine Variante des vorherigen. Es sind phantastische, ins Surreale kippende Naturschauspiele, stille, menschenleere Landschaften, die auf der Netzhaut entstehen. Giessen sie nicht das existentielle Gefühl von Ausgesetztsein in Farben? Es ist nicht klar zuzuordnen, was man sieht. Klar ist nur die Wucht, mit der einen die Bilder treffen. So muss es jenem Besucher ergangen sein, von dem Pedretti jetzt, mit einem Anflug von

«Das absolute Bild, das gibt es nicht. Wenn man es malen würde, wäre man fertig mit dem Malen» Heiterkeit, erzählt. Der Besucher habe ihn gefragt, ob man ihm denn überhaupt ein Werk abkaufen könne? Ein Bild aus dem riesigen Konvolut herauslösen? Eigentlich müsse man ja das Ganze kaufen. Der Mann hätte etwas verstanden, sagt Pedretti. Pedretti mag es nicht so, das Sprechen über Kunst. Schon gar nicht über die eigenen Bilder. Also begnügt man sich zunächst mit Schauen, während Pedretti und eine Freundin, die vermitteln soll, sich über Alltägliches austauschen, und kommt zum vorläufigen Schluss, dass man ebenso gut von abstrakten Bildern sprechen könnte. Sind es nicht Liniengeflechte und Farbflächen, raffiniert in verschiedenen Farbtönen komponiert? Die Bilder gehören zu einem Zyklus,

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Künstleruniversum: Die steilen Stufen der Ofentreppe führen zum Bilderlager. Gattin Erica Pedretti, Schriftstellerin und Künstlerin, und Gian Pedretti jonglieren mit den Bildern (links). Die Pinsel des Künstlers im Engadiner Sonnenlicht, Angegangenes und Vollendetes auf Leinwänden und eine Wand mit Pedrettis Frühwerk, Gouachen, Zeichnungen, Reliefs.


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Phantastische, ins Surreale kippende Naturschauspiele oder Kompositionen von Farbflächen, die sich zu abstrakten Bildern komponieren – wer weiss das schon? «Man versucht, vom Erlebten einen Eindruck zu geben. Geistiges zu materialisieren», sagt der Künstler. Der 92-jährige ist Spross einer Bündner Künstlerdynastie. Sein Grossvater war Dekorationsmaler, sein Vater ein bekannter Schweizer Expressionist, sein Bruder ein bekannter Plastiker.


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an dem Pedretti seit ein paar Jahren arbeitet. Sich abarbeitet wie Sisyphos, der seinen Felsen den Berg hinaufbewegte. «Vor einer weissen Leinwand zu stehen, das ist etwas vom Schlimms­ ten, das man machen kann. Am liebsten würde man fortlaufen.» Sagt er, irgendwann. Ungefragt. Warum er’s dennoch immer wieder tut? «Man versucht, vom Erlebten einen Eindruck zu geben. Geistiges zu materialisieren.» Geistiges materialisieren – dem Bestreben haben schon sein Vater und sein Bruder ihr Leben gegeben. Sein Vater Arturo, genannt Turo (1896–1964),war der angesehene Schweizer Expressionist, dessen Vater, ein Dekorationsmaler, aus Italien eingewandert war. Seine Mutter war eine Sängerin aus Basel. Sein zwei Jahre älterer Bruder Giuliano, der 2002 nach einem Verkehrsunfall starb, war der bekannte Plastiker und Mitbegründer des Oberengadiner Kulturarchivs. Familienclans haben ihre eigene verborgene Dynamik. Das Terrain Malerei schien jedenfalls besetzt. So liess er sich, 1942

«Man ist überrascht, was man eigentlich im Bauch hat. Offenbar kommt da etwas heraus, das schon vorher da war» bis 1947 an der Kunstgewerbeschule, zum Silber­schmid in der Metallklasse ausbilden. Zürich sei für ihn «Ausland» gewesen, «alle Emigranten waren dort». Den «besten Fund», den er dort getätigt hätte, «war meine Frau». Diese kauert noch immer, stumm, auf dem Holztreppchen. Von ihr hängen Flügelwesen aus Draht und Stoff im Raum. Die beiden haben letztes Jahr in der Chesa Planta in Samedan gemeinsam ausgestellt. Ein kongeniales Paar, das zusammen fünf Kinder grosszog. Erica Schefter, die heute als Erica Pedretti eine der wichtigsten Schweizer Schriftstellerinnen ist, war als 15-Jährige aus dem nordmährischen Sternberg, dem heutigen Tschechien, in die Schweiz geflüchtet. Gian Pedretti lebte zuerst bei einer Grosstante in Zürich, dann in einer Pension, hinter dem «Zunfthaus zur Meisen». «Im ‹Odéon› sassen wir», sagt sie jetzt, dort sass

auch ihr Lehrer Ernst Gubler und die Zürcher und Emigranten-Intelligentsenzija. «Das Kunsthaus war meine Bibliothek», sagt er, er sah Werke von Böcklin, von Munch. Nach dem Diplom treibt er Figuren in Kupfer für Eugen Häfelfinger. 1948 kehrt er zurück nach Samedan, arbeitet im gemeinsamen Atelier mit dem Bruder Giuliano an plastischen Arbeiten. 1951 reist er nach Paris. Er besucht Alberto Giacometti in seinem Atelier an der Rue Hippolyte-Maindron, verbringt Tage im Louvre. Im selben Jahr holt ihn ein Drama zurück in die Heimat: eine Lawine zerstört das Elternhaus und einen Grossteil des Werkes des Vaters. Erica, die inzwischen in die USA ausgewandert war, kehrte 1952 in die Schweiz zurück, sie heiraten. Handwerk, Kunst und Schriftstellerei fliessen ineinander, er arbeitet im Baugewerbe, baut 1962 ihr Atelierhaus, gestaltet Reliefs mit Tier-, Figuren und Naturdarstellungen, sie schreibt. Er schreibt auch, Konzentrate von Naturbeobachtungen und Gedanken über das Rätsel des Daseins, auch Suchbewegungen existentieller Art. Die Bücher heissen «Briefe an niemand» und «Mäandern». Es kann nicht nur einfach gewesen sein, im Familienclan eine eigene künstlerische Identität zu finden. Ganz der Malerei gewidmet hat sich Gian Pedretti jedenfalls erst nach dem Tod seines Vaters. Trotzdem musste er weg aus dem Oberengadiner Hochtal. 1974 gehen sie nach La Neuveville, ins selbst erwählte Exil in die Altstadt. Jahre später bauen sie sich ein Atelierhaus hoch über dem Bielersee, kultivieren einen Garten. Erst in letzter Zeit dehnen sich die Aufenthalte im Atelierhaus in Celerina wieder aus. Da, wo in nächster Nähe die Ateliers des Vaters und des Bruders stehen. Letztere sind öffentlich zugänglich. Am besten spricht man ihn nicht auf die «Künstlerfamilie» an. «Das ‹Künstler› können Sie weglassen», sagt er trotzig. «Mein Vater hat gemalt. Malen war für mich etwas Selbstverständliches. Wäre er Bäcker gewesen, wüsste ich, wie man Brot bäckt.» Er erbte also nicht nur das Gefühl für Farbe und für die Natur, sondern auch die Freundschaft mit den Giacomettis. Er schreitet nun diagonal durch sein Atelier, seine Frau blickt stumm zu ihm her­ über. Diese Farben. Er mische sie selbst, aber Farben interessierten ihn eigentlich nicht, entfährt es ihm dann. Wie bitte? Kann das einer sagen, der so meisterhafte Blautöne, so wunderbare Oranges hervorbringt? «Es sind die Farbtöne, die mich interessieren!» Farbe sei etwas Definierbares. Was ihn interessiere,

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Lebenskomplizin, Schriftstellerin, Künstlerin und Ehefrau: Erica Pedretti. Das kongeniale Paar zog fünf Kinder gross und stellte auch gemeinsam aus. Aus dem nordmährischen Sternberg geflüchtet, lernte sie Pedretti während des Kriegs an der Kunstgewerbeschule kennen. 1974 verliessen sie das Engadin und zogen zuerst nach La Neuveville, später bauten sie sich ihr Atelierhaus hoch über dem Bielersee. Jetzt zieht es sie zurück ins Engadin.


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sind die «Valeurs». Bei den Farbtönen herrscht Ambivalenz; man müsse sehr auf die Farbtöne achten, «es ist wie wenn man einen falschen Ton singt. Valeur, das ist das Wesentliche in der Malerei.» Farbwerte als Träger von Emotionen, fragt man. «Ja, sicher, wenn es um etwas geht, dann darum, Emotionen auszulösen.» Man fragt, wann er wisse, ob ein Bild vollendet ist. «Das absolute Bild, das gibt es nicht. Wenn man es malen würde, wäre man fertig mit dem Malen. Es können nur immer wieder Versuche sein.» Er blickt in die Weite. Vielleicht sieht er, wie sich die Silhouette des Piz Rosatsch mit der des Antiatlas und den Hügelketten der Provence verschmelzen? Früher hat er da noch einsame Figuren hineingesetzt; mit Augen, als stammten sie aus «Melancolia» von Dürer. In den neunziger Jahren malten er sie in schwarz, in subtilen Abstufungen, mit weissen, flirrend hellen Zonen, die herauszuplatzen scheinen. Giorgio Morandi kommt einem in den Sinn, der zeit seines Lebens Varianten der

Versteckt in den Bäumen: Gian Pedrettis selbst erbautes Atelierhaus in Celerina.

ENGLISH SUMMARY

G IA N PE D RE TTI At 92, Artist Gian Pedretti from Samedan is still very much alive and kicking. A man of few words, he is willing to talk to us about seeing, painting and the fact that he is not interested in colour. It is a surprising statement, because his paintings are full of vibrant colours. Pedretti wants to provoke emotions and create images of his experiences rather than searching for the absolute: «I don’t believe in the absolute artwork. If you’d create that, you’d be done with painting. All I can do, again and again, is try.»

immergleichen Sujets umkreiste, in obsessiver Wiederholung. Auch Stillleben mit Blumen in kräftigen Farben malte er. Tierschädel. Van Gogh, Munch schwingen mit. Ausstellungen gab es, ja, immer wieder, grosse Sammlungen besitzen Werke, das Bündner Kunstmuseum, Kunstmuseum Solothurn. 1990 eine grosse in der Kunsthalle Bern, 1995 in der Abtei Bellelay, 2007 die Retrospektive im Centre PasqArt in Biel, zuletzt in St. Moritz und Samedan. Pedretti bleibt einer, der abseits des lärmigen Kunstbetrieb still arbeitet. Das Tamtam des Kunstbetriebs? Ist ihm egal. Ein potentes Netzwerk von Galerien? Geht auch ohne. Das Reden über Kunst? Ein Gräuel. Still, karg, besessen, mit seinem Atelier verwachsen. Auf dem Holztisch liegt ein «ZEIT»Artikel von Karl Ove Knausgård über Munch, übertitelt mit «Roh, kraftvoll, intensiv». Der Titel könnte auch Gian Pedrettis Gemälde meinen. «Kennen Sie ihn?», fragt er. Knausgård. Er habe alle seine Bücher gelesen. Ein Seelenverwandter, denkt man, der der Existenz kompromisslos zu Leibe rückt. Wie Pedretti. Das Leben und die Kräfte, die an ihm ziehen. Er habe viel von dem verstanden, als er den Artikel über Munch las. Das Essenzielle der Motive. Die psychologischen Momente. Die Leere gewisser seiner Bilder, die vom Tod sprechen. Von Angst und Frieden. Er sagt: «Man ist überrascht, was man eigentlich im Bauch hat. Offenbar kommt da etwas heraus, das schon vorher da war.» Ob man ein Glas Wein mit ihm trinke? Er holt eine Flasche. Setzt neu an. «Ich versuche, vom Erlebten einen Eindruck zu machen», sagt er, als er die Flasche öffnet. Es gehe letztlich darum, die Wahrnehmung zu fixieren. «Man will etwas ins Bild setzen. Das Geistige kann man ja letztlich nicht erfassen. Aber man versucht, es zu materialisieren.» Das Malen ist sein Atmen und Fühlen, denkt man, das Instrument, mit dem er Erfahrungen und Eindrücke verarbeitet. Das Atelier erscheint der Besucherin nun plötzlich als Berg. Alles über- und miteinander in Schichtungen abgelagert: sein Dasein, seine Erinnerungen und die Materialisierung seiner Erfahrungen: die Gemälde und Reliefs, die Skulpturen und Skizzen, die Zeichnungen aus Paris und die Bücher, die Engadiner Truhe, die Hirschfelle, die Pinsel, die Holzstabelle, in die Pedretti eingeritzt ist, Hebebühnen mit Seilzügen, die Tierschädel, die Kartonrollen, die Leitern. Und mitten darin ein Mann, der zu kurzen Sinnsätzen neigt. Und vor allem zu langen Schweigepausen. Um das Wesentliche sich mitzuteilen, dazu malt er ja.

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MODE ROHSTOFF VON DER JAGD

Ich war ein Hirsch

Schweizer Naturprodukt: Herren-Schnürstiefel «Curaglia». Chemikerin Kadri Vunder Fontana (unten) und Biologin Conny Thiel-Egenter lassen Häute von auf der Jagd erlegten Wildtieren verarbeiten.

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EINE PHANTASTISCHE IDEE: ERLEGTE HIRSCHE WERDEN ZU EDLEN SCHUHEN VERARBEITET – MIT VIEL AUFWAND, LIEBE ZUM DETAIL UND UNTER STRENGEN ÖKOLOGISCHEN AUFL AGEN Te x t : St e f a n Ma i wa l d

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as für ein Duft! In der Zürcher Altstadt riecht es nach Farbe, nach Öl, nach Aufbruch. Aber es riecht nicht nach Leder. Noch nicht. Denn es ist ja alles erst am Entstehen Das Geschäft Cervo Volante ist ganz neu. Die Idee ist auch frisch. Und der Laden hat gerade erst am Neumarkt Nummer 24 eröffnet. Auf zwei Stockwerken. Unten der Verkaufsraum, oben das Back Office. Im ­ehemaligen Juwelier Damhirschli, dessen goldenes Schild mit Prachthirsch noch über die Strasse ragt – ausgerechnet. Ist das noch Zufall oder schon Schicksal? Kleiner Exkurs: «Cervo volante» wird von Italophilen mit «fliegender Hirsch» übersetzt. Damit liegen sie oberflächlich richtig, aber trotzdem falsch. Denn ein «cervo volante» ist im Italienischen ein Hirschkäfer. Doch im Folgenden geht es dennoch um einen Säuger mit prächtigem Geweih, nicht um ein beunruhigend grosses Insekt, dessen Geweih in Wirklichkeit die Oberkiefer sind. Obwohl, um nun etwas Verwirrung zu stiften, der Hirschkäfer das Symbol dieses Start-ups ist. Nach Leder riecht es also noch nicht, denn der Laden ist frisch gestrichen, das Parkett abgeschliffen, und die wenigen Materialien aus Leder, die ausgestellt sind, kommen gegen diesen Geruch noch nicht an. Immerhin: Eine Hirschhaut liegt zum Anfassen aus, samt Schussloch. Eine sehr Verwertungskette: intensive, berückende Erfahrung. Von der Hirschhaut Dass der passende Duft bald einzieht, mit Einschussloch ­dafür sorgen die Unternehmerin und probis zur Fertigung in movierte Chemikerin Kadri Vunder FontaSilvano Sassettis na, 41, sowie die Jägerin und promovierte Schuhmanifaktur. Biologin Conny Thiel-Egenter, 41. Kadri, Die Idee dazu entstand die gebürtige Estin, kam mit Anfang 20 in den Bergen – Conny mittels eines Begabtenstipendiums in die Thiel-Egenter ist selber Schweiz, gründete flugs zwei Start-ups und Jägerin. ist bis heute Beraterin für Umstrukturierungen, die in Unternehmen vorgenommen werden. Conny ist Geschäftsführerin eines Ökologie-Büros und daher ständig mit Fragen der Nachhaltigkeit konfrontiert, die Grossstädter nur aus weinseligen Diskussionen kennen. Kadri Vunder Fontana und Conny Thiel-Egenter gehen regelmässig wandern und bergsteigen. Immer wieder überlegten sie, was sie beruflich gemeinsam auf die Beine stellen könnten. Apropos Beine: Irgendwann, bei einer Pause in ihrem wöchentlichen Date in der Kletterhalle, fielen ihre Blicke auf die Schuhe. Und ihnen kam eine Erleuchtung. Denn Conny hatte erzählt, dass Hirsche zum Waldschutz wohl oder übel ­geschossen werden müssen. Beide fragten

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sich: Was tun mit den Kadavern? Klar, einen Teil des Wildbrets kann man essen. Köstliches vom Hirsch steht in der Jagdsaison überall auf der Karte. Doch das allermeiste wird herzlos entsorgt, obwohl es sich bei der Haut um hochwertiges Leder handelt. «Uns hat diese Verschwendung nicht mehr losgelassen», erzählt Kadri Vunder Fontana, ein Mensch mit Energie für zwei. Man spürt sofort: Wenn sie eine gute Idee hat, ist sie kaum zu stoppen. Die beiden Frauen forschten nach Möglichkeiten, aus den Abfällen etwas Werthaltiges herzustellen – das edle Leder zu edlen Produkten zu verarbeiten. Der ­erste Einfall: langlebige Schuhe. Für Frauen wie für Männer. Es folgte eine Machbarkeitsstudie. Schliesslich wusste Kadri Vunder Fontana dank ihres beruflichem Hintergrund, wie man eine gute Idee von der PowerpointPräsentation in die pekuniäre Praxis umsetzt. Dann suchten sie nach Gerbereien und Lederverarbeitern in Europa, die ihren hohen Ansprüchen genügen würden. Im September 2017 stiessen sie auf die Schuhmanufaktur Silvano Sassetti in der italienischen Region Marche, wo die ganze Familie mitarbeitet. Auch Silvano war begeistert und fortan mit an Bord. Kadri Vunder Fontana und Conny ­ Thiel-Egenter zögerten nicht lange und gründeten das Start-up Cervo Volante. ­In der Jagdsaison 2017 sammelten sie 1400 Häute ein. Sassetti produzierte Prototypen, verfeinerte, perfektionierte. Bereits im Dezember konnten Kadri und Conny die ersten Orders von Freunden, Familienmitgliedern und Bekannten entgegennehmen, im März 2018 erhielten sie die Zusage für das idyllische Ladenlokal am Neumarkt, das den Zürchern die Schuhe nahebringen soll. Und so funktioniert die Wertschöpf­ ungskette, die konsequent ökologisch durchexerziert ist: Kadri und Conny bekommen die Häute von den Metzgern, die auf der Jagd erlegte Wildtiere verarbeiten. Sie bekommen die Häute in gefrorenem statt eingesalzenem Zustand: So reduzieren sie die Salzbelastung von Gewässer und Boden. Die rohen Häute werden bei hand­verlesenen Gerbern abgeliefert. Diese ­gerben die Häute nach einer äusserst schonenden Methode, ohne chemische

Vorgerbung und mit rein pflanzlichen Gerbstoffen. Gewöhnliche Gerbvorgänge benutzen Chrom und zahlreiche toxische Mater­ialien. Damit ist das Gerben ­ nach wenigen Tagen abgeschlossen. Cervo Volante aber gerbt mit natürlichen Stoffen, was vier Wochen ­dauert, aber dafür keine Allergien auslöst. Gegerbt wird übrigens in der Schweiz. Ist das Leder gegerbt, wird es zu Silvano Sassetti nach Italien geliefert, der daraus in Handarbeit Schuhe schustert. Lagerung und Versandabwicklung für OnlineBestellungen wird an ESPAS in Zürich ausgelagert, einen Arbeitgeber für Menschen mit psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen. Die hochwertige Gerbarbeit hat noch eine weitere Dimension: Viele Menschen – in der Schweiz je nach Schätzung etwa 60 000 Menschen, in DeutschCervo Volante, der land eine halbe Million – leiden an einer neue Laden am Zürcher Lederallergie. Die Allergien werden nicht Neumarkt 24: unten das vom Leder selbst ausgelöst, sondern von Geschäft, in der ersten den toxischen Stoffen, die bei der Gerbung Etage die Kreativzentrale. verwendet werden. Uhrenhersteller sollen bereits interessiert wegen Armbändern angeklopft haben. ENGLISH SUMMARY »Wir wollen irgendwann auch Jacken herstellen», erzählt Kadri Vunder Fontana. Dazu kooperieren die beiden Frauen I WAS A D E E R mit dem Outdoor-Spezialisten Meindl in Kadri Vunder Fontana and Conny Thiel-Egenter Deutschland. ­ Ausserdem tüfteln sie an founded their start-up business Cervo Volante Jacken, deren Innenseite aus Fuchsfell aus because they didn’t want the precious skin of the Schweizer Jagd besteht. Sie arbeiten auch deer that have to be shot for forestry protection intensiv daran, ökologische Farbtechnoloto go to waste. During the hunting season of 2017 gien und Farben für ihre Leder zu entwithey collected around 1400 deer skins and asked ckeln. the Italian shoe manufacturer Silvano Sassetti Ach ja, und dann haben sie auch for help. Now their shoes can be purchased in noch das Ziel, den Lederabfall, den sie beim their brand new shop in Zurich’s old town. The Zuschneiden zwangsläufig produzieren, only downside of these sustainable beauties is wiederzuverwenden, etwa in der Form the price – a pair of Cervo Volante shoes costs at von Labels oder Innensohlen. Ausserdem least 600 Swiss Francs. wollen sie Bewusstsein schaffen für all das, was seit vielen Jahrzehnten in der Schuh- und Textilindustrie schiefläuft, von der Billiglohn-Ausbeutung über giftige Inhaltsstoffe bis zur Kinderarbeit. Gibt es inmitten dieser guten und ehrbaren Nachrichten auch eine Schattenseite? Ja: Nachhaltigkeit, zum allergrössten Teil Swiss-made, gibt es nicht geschenkt. Ein Paar Schuhe kostet ab 600 Franken. Aber statt Umweltorganis­ationen zu spen­den, wäre diese Investition doch aus vielerlei Gründen sinnvoll. Sie hätte einen praktischen Nutzen und ist jeden Tag im Schuhschrank oder an den eigenen Füssen sichtbar.


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LIZENZ FÜR DIE GLETSCHERFLIEGEREI WAR EINMAL BITTERE NOTWENDIGKEIT IN DER SCHWEIZ. HEUTE IST SIE REINER GENUSS. UNTERWEGS MIT ALEX CL APASSON IN SEINER PIPER SUPER CUB PA-18.

GLETSCHER Text : We r ne r Je ss ne r

Fo t o s : Rob e r t B ö s c h

Atur? Perehenis sint, autasse quatem quia volorro quo que quo vendiam que ratemporrum ex eum cus

Ein kleiner roter Punkt, der am tiefblauen Himmel erscheint, grösser wird und sich als Alex Clapasson in seiner Piper Super Cub entpuppt.


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ie sehenswerte TV-Dokumentation «Drama am Gauligletscher» erzählt in 52 Minuten die Geburt des Gletscherfliegens in der Schweiz. Plot: Eine amerikanische Militärdelegation fliegt im November 1946 in einer Dakota C-53 von München nach Pisa, gerät in den Nebel und stürzt am Gauligletscher ab. Die Amerikaner organisieren eine materialintensive, aber letztlich erfolglose Rettungsmission für die zwölf Passagiere, bei der sie sogar Hilfsmittel aus der Luft abwerfen (und die Gestrandeten damit beinahe erschlagen). Eine Schweizer Rettungsmission über die Berge erreicht das Unglücksflugzeug zwar, doch der Rückmarsch mit den Verletzten würde 36 Stunden dauern. Schliesslich sind es die beiden Schweizer Piloten Viktor Hug und Pista Hitz, die mit ihren mit Kufen aufgerüsteten Fieseler Störchen die erstmalige Landung auf dem Gletscher in einer Seehöhe von 3100 Metern wagen und die Verunglückten mit insgesamt neun Flügen nach drei Tagen Ausharren aus dem ewigen Eis bergen – unter dem Applaus der Welt. Es heisst, die Aktion habe das nach dem Zweiten Welt-

Ein Privatflugplatz in den Bergen: Je besser du die Gletscher kennst, desto genauer weisst du, welche Flächen sich wann für Start und Landung eignen.

krieg angespannte Verhältnis zwischen Amerika und der Schweiz dramatisch verbessert. Noch heute muss sich jeder Pilot, der die Lizenz für Gletscherlandungen beantragt, dazu verpflichten, in Notfällen Rettungseinsätze zu fliegen – freilich eine sehr theoretische Zusage, wie Alex Clapasson, Jahrgang 1957, schmunzelnd einräumt: «Seit es Helikopter gibt, kommen natürlich die bei Rettungsmissionen zum Einsatz.» Auch die wirtschaftliche Relevanz dieser höchst diffizilen Spielart des Motorflugs habe sich in den letzten Jahrzehnten auf ein sehr überschaubares Mass reduziert: «Früher haben Flugzeuge Berghütten versorgt und etwa Brennholz abgeworfen.» In den letzten Jahrzehnten hat sich Gletscherfliegen zum Genussfliegen gewandelt, zu einer spezialisierten Form purer Fliegerei, die bewusst ohne viel Schnickschnack auskommt. «Hosenbodenfliegerei» nennt Alex Clapasson das, was er mit seiner roten Piper Super Cub aus dem Jahr 1958 macht. «Öldruck und Benzin ist eigentlich alles, was mich da interessiert», meint er, und gute Ortskenntnisse würden ihm sogar das GPS ersetzen. 180 PS leistet der (revidierte) Motor im aufwendig restaurierten winzigen Flugzeug mit seinen zwei

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Bei der Gletscherfliegerei geht es nicht vordringlich um das Erreichen eines Ziels. Vielmehr geht es um den Genuss des Flugs an sich.

Sitzplätzen, 600 Kilo leicht. «Diese 180 PS klingen nach viel, aber je höher du fliegst, desto weniger bleiben davon übrig.» Mit zunehmender Höhe wird die Luft für die Propeller dünner, der Sauerstoffgehalt für den Motor sinkt. Das ist die erste Herausforderung bei der Gletscherfliegerei. Anders als in der Routine-Luftfahrt gibt es keine fixen Zahlen, die Erfahrung und Gespür ersetzen könnten. «Es ist, wie ein Instrument zu spielen. Du musst den Berg spüren, der Natur nahestehen, so wie ein Fischer, der am Bach steht und beobachtet.» Mit einem Unterschied freilich: «Du hast keine Reserven, also musst du welche einbauen. Du sagst nicht: Morgen gehe ich gletscherfliegen. Du gehst nur fliegen, wenn du weisst, dass die Bedingungen zu hundert Prozent passen. Sonst lässt du es. Du kletterst auch nicht durch die Eiger-Nordwand, wenn es das Risiko von Schlechtwetter gibt.» Und die Eiger-Nordwand ist Alex Clapasson, Vater zweier erwachsener Kinder, Sohn Pilot, selbstverständlich, auch geklettert, 1979 war das. Er hat eigentlich alle grossen Nordwände gemacht, war in Nepal und in Südamerika, er ist ein Mann der Berge durch und durch. Er war Direktor der Bergbahnen Ander-

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matt, hat 40 Jahre Erfahrung als Bergführer, ist Fluglehrer und fliegt im Brotberuf Business-Jets in Europa, Russland und der Ukraine – die perfekte Verbindung aus alpinem und aeronautischem Wissen. Rekognoszieren nennt Alex Clapasson die wichtige Arbeit vor der Landung, «weil einmal stehst du auf jeden Fall falsch: entweder beim Start oder bei der Landung.» Wie steil ist das Gelände, wie lang ist die Landefläche, was machen Wind und Temperatur, wie hoch sind wir, verstecken sich Hindernisse unter der Schneedecke? All das muss geklärt sein, bevor man sich zur Landung entschliesst, bei der es kein Leuchtfeuer, keine Orientierungslinien gibt und man mit 100 km/h möglichst sanft aufsetzen will. Die Option des Durchstartens darf gar nicht in deinem Kopf sein, meint Clapasson, gerade beim Gletscherfliegen hätten derart halbherzige Gedanken nichts im Pilotenkopf verloren, denn was ist, wenn auf der anderen Seite der Landebahn eben was ist? Er landet also das, was gerade noch ein roter röhrender Punkt am blitzblauen Himmel war, am Schnee, vollführt eine Wende, der Motor röhrt abermals auf, um das Flugzeug gleich wieder abheben zu lassen. Erst jetzt landet die Super Cub tatsächlich,


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Der Plan: Bergauf landen, einen U-Turn machen, Spuren fßr den nächsten Start ziehen, abermals landen, U-Turn machen, Motor abstellen und die Stille geniessen.

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Gut zu erkennen: die Kufen-RadKombination, die es erlaubt, sowohl auf dem festen Untergrund eines Flugplatzes zu starten und zu landen als auch im ewigen Eis der Gletscher.

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Dieser Mann kann das: Alex Clapasson vereint langjähriges Wissen um die Fliegerei mit jenem um die Berge und bildet auch künftige Gletscherpiloten aus.

bleibt stehen und der Motor geht aus. «Das macht man deshalb so, weil du nicht weisst, wie tief der Schnee ist. Du nutzt den Schwung, um eine Spur zu ziehen, für den Start aus dem Stillstand.» Tourengeher kennen das: Im Gespurten kommt man einfach leichter vorwärts, und den Flieger oben am Gletscher zu lassen, weil man feststeckst, ist überhaupt keine Option. Und dann sitzt man da und schaut. Die Berge, mächtig, nah. Das ewige Eis, die klare Luft. Die Stille. Es ist berührend. Keiner redet viel, nie. Das hier könnte Alaska sein, dabei sind Zürich und Bern bloss 15 Minuten entfernt. «Verrückt schön» nennt Alex Clapasson das, und das ist es wirklich. «Die Berge einatmen», sagt er. Ins Ewige schauen könnte man auch gelten lassen. Einen Skisack und Schneeschuhe hat er in der Piper, «aber die meisten Passagiere wollen gar nicht Ski fahren, wenn sie hier oben sind. Sie sitzen am Rad und schauen und werden ganz still.» Ein kleines Biwak, noch ein paar Minuten an einem Ort geniessen, den man sonst nur sehr, sehr mühsam erreichen könnte. Zeit zu gehen. Start. Weniger laut als gedacht, ein Abschiednehmen von der majestätischen Kulisse.

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Anders als bei der Rettungsaktion der Fieseler Störche im Jahr 1946 weiss man heute genau, dass und wie man wieder in die Luft kommt. «Es darf abenteuerlich sein, aber du musst die Gäste vom Abenteuer verschonen», sagt Alex Clapasson. Der rote Punkt, er wird immer kleiner und verschwindet wieder in der unbegreiflichen Grösse der Berge. www.gletscherflug.ch

ENGLISH SUMMARY

GL AC IE R AV IAT ION Glacier aviation used to be a necessity for rescue missions in Switzerland, but for Alex Clapasson in his Piper Super Cub PA-18, it is pure joy. Until this day, every pilot who applies for a glacier landing license must commit himself to rescue missions in emergencies – a very theoretical commitment, as Alex Clapasson, born in 1957, admits: «We now have helicopters for those rescue missions.»


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MICHAEL RINGIER MANN MIT KÜNSTLERSEELE UND KAUFMANNSHIRN

SHOW DOG EIN LEBEN ZWISCHEN KUNST UND VERL AG, ZWISCHEN GENUSS UND SCHREIBEN – DER VERLEGER MICHAEL RINGIER.

Te x t : H a ns - Jü rg e n Ja kob s Fo t o g ra f i e : G i a n Ma r c o C a s t e l b e rg

Zusammengenommen verbringt Michael Ringier zwei, drei Monate in den Bergen: «Engadin ist Heimat.» In Celerina besitzt die Familie ein Ferienhaus. BIANCO

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MICHAEL RINGIER MANN MIT KÜNSTLERSEELE UND KAUFMANNSHIRN

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ieser Text würde vermutlich nicht sehr lange werden, wenn Michael Ringier ihn zu bearbeiten hätte. Ein Gedanke,klar aufgeschrieben, sauber abgeleitet, das ist seine Devise. Als der Schweizer Grossverleger vor vielen Jahren das Wesen des Journalismus in den deutschen Redaktionen von «Stern» und «Impulse» erlernte, hatte er sich rasch einen Ruf als «Kürzungskönig» erworben. Aus langen Artikel machte er KurzweilKabinett. Nun ist die These «Ein Gedanke, ein Artikel» schwer durchzuhalten bei einem wie Ringier selbst. Schliesslich ist er Unternehmer mit einer Milliarde Schweizer Franken Umsatz, Herr der öffentlichen Meinung mit vielen Presse- und Internetobjekten (Schweiz, Osteuropa, Asien, Afrika), begeisterter Sammler zeitgenössischer Kunst sowie Grossbürger der eidgenössischen Gesellschaft. Eindimensionale Texte versagen notgedrungen vor mehrdimensionalen Menschen, auch wenn Ringier beschwörend sagt: «Das ist für mich alles eine Welt. Es ist meine Welt.» Aufbruch also in eine längere Textexpedition über einen Neu-Gierigen, der vom Alt-Gierigen der Vergangenheitsbewältigung so gar nichts hält, sondern der nach eigenem Bekenntnis nur am Heute und am Morgen interessiert ist. Über einen, der den Genuss fast noch mehr preist als den Goldrand der jährlichen Bilanz und der sich bei einer gröberen Einteilung menschlicher Charaktere an Labrador-Hunden orientiert: dort gäbe es bekanntlich «Working Dogs» und «Show Dogs», referiert Ringier. Ziemlich klar, dass der Repräsentant einer bekannten, vermögenden Schweizer Dynastie sich durchaus im Showteil beheimatet fühlt. Er muss ständig etwas bieten, muss performen, davon hängt die Identifikation der Mitarbeiter und die Wertschätzung der Schweizer ab. Der 69-jährige Routinier eines 185 Jahre alten Traditionshauses als «Show Dog» … akzeptieren wir das Bild fürs Erste. Dann gelangt man schnell an dieses aussergewöhnliche Haus, das er 2001 gebaut hat, seine schön-moderne Patrizierburgvilla auf dem Hügel über Küsnacht am Zürichsee, ein persönliches Arkadien in einem Gebiet, das halb ehrfürchtig, halb lästernd als «Goldküste» in den Sprachschatz übergegangen ist. Sonnenseite, sunny side of the street. «Viele Schweizer wissen gar nicht so richtig zu schätzen, wie schön es in unserem Land ist», sagt der Hausherr. «Wenn wir es nicht schaffen, wie sollen denn all jene zufrieden werden, die jeden Tag ums Überleben kämpfen?» Michael Ringier steht auf der Terrasse, der Blick fällt an diesem heissen Sommertag über den Pool unter ihm hinab auf den steil abfallenden Garten, der der Umgebung von Tate Modern in London nachempfunden ist, mit seinem gewundenen Weg und der «organi-

sierten Wildheit» (Ringier) der Bäume und Pflanzen. Hinten in schönster Panorama-Lage glitzert der Zürichsee, es verdunstet Wasser über dem anderen, linken, schlechteren Ufer – der «Pfnüsel-Küste». Da habe man deutlich mehr Schatten, aber es lebe sich auch schön, vermeldet Ringier: «Wenn man viel reist, ist das hier das Paradies.» Wer würde Schnupfen wählen, wenn er Gold haben kann. Der Verleger kann ausgiebig erzählen, wie dieser Bau über 18 Monate hinweg entstanden ist als Entwurf gelebter Freiheit und Ästhetik, als Versuch des ganz und gar Neuen, mit dem einzeln gezeichneten Anröchter Grünstein aus der Nähe des westfälischen Münster, dem glatten, gelb schimmernden Kalkboden Pastellone, der seit dem 15. Jahrhundert in Venedig eingebaut wird, oder dem Kaminstein aus Iran. Dieses Haus ist eine Herausforderung – angelehnt an Mies van der Rohe und seine Villen «George» und «Ester» in Krefeld. Ringier verschweigt nicht, dass Ehefrau Ellen und die beiden Töchter anfangs gar nicht aus dem früheren Domizil, einer nur ein paar Meter entfernten Jugendstilvilla, hier hinüber wechseln wollten. Es ist ein Ort, in dem viel diniert und debattiert wird, bis zu 150 Gäste sind zuweilen zugegen. Zur Besetzung gehören die eigenen Chefredaktoren und Verlagsmanager, aber auch bekannte Investoren und Unternehmer – sowie vor allem Künstler. «Sie lieben das Haus», sagt Ringier und es klingt, als habe er mit dieser Liebe auch selbst sein Glück gefunden. Die Wände hängen voller museumsreifer Gemälde, überall finden sich Objekte wie beispielsweise eine Coca-Cola-Vase von Ai Weiwei. Viele der Urheber der ausgestellten Werke haben hier in Küsnacht schon Stunden verbracht, Richard Prince («Young Nurse») zum Beispiel, Elaine Sturtevant oder Rosemarie Trockel, die den Eingangsbereich dominiert. «Dieses Haus ist so angelegt, dass wir ewig bleiben können», sagt Michael Ringier. Lift inklusive. 4500 Werke gehören inzwischen zu seiner Kollektion, ein grosser Teil ist auf Lager (selbst das für etwas mehr als eine Million erworbene Objekt von Hanne Darboven), einiges wiederum ist an Museen wie MoMa oder Guggenheim in New York ausgeliehen, manches in Küsnacht zu sehen. Gesammelt werden gemäss Verlegers Vorgabe zeitgenössische Werke, die mit Text und Bild zu tun haben, also mit Journalismus, seiner ersten Leidenschaft. Alle fünf Jahre lässt Ringier die bekannte Kuratorin Beatrix Ruf 200 von ihm ausgewählte Werke neu hängen. Das Gewerbe teilt Ringier schmunzelnd ein in «Sammlersammler», «Investorensammler» und «FashionSammler», wobei die letzten beiden Kategorien erkennbar nicht sein Fall sind. «Ich beurteile ein Bild nicht danach, wie viel Geld es wohl in fünf Jahren bringt», schiebt er nach, «sondern wie ein Bild in 30 Jahren wahrgenommen wird.»

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«Ich beurteile ein Bild nicht danach, wie viel Geld es wohl in fünf Jahren bringt»

In Michael Ringiers Villa in Küsnacht am Zürichsee spielt Kunst eine Hauptrolle. 200 Bilder werden alle fünf Jahre ausgewechselt. Einer seiner Lieblingskünstler ist Richard Prince («Young Nurse»).


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Kultur als famoser Türöffner für Kommunikation, das ist offenbar ein «Show Dog»-Geheimnis dieses Hauses. In nichts kann man sich leichter erhöhen und verlieren als im Dialog über Kunst. Die Mühsal des Geschäfts, mit dem Internet als Gift für journalistische Geister, verschwindet an diesem Sonnenhang, und die immergleichen Fragen nach der Zukunft von «Blick» und «Schweizer Illustrierten» wirken seltsam deplatziert. Was zählt hier schon die Prognose, wann die letzte Zeitung aus dem Drucker kommt?

Herr Ringier, sind Sie Hedonist?

Nein. Hedonismus ist mit Abkapselung von der Realität verbunden. Das ist bei mir definitiv nicht der Fall. Ich bin null abgehoben und weiss, in welchem privilegierten Umfeld ich lebe.

Genussmensch?

Unbedingt. Furchtbar sind Leute, die nichts geniessen können. Was soll ich mit denen erleben? Ich habe immer versucht, mit solchen Personen keine Geschäfte zu machen. Jede Geschäftsbeziehung ist eine menschliche Beziehung.

Können die Schweizer generell besser geniessen als früher?

Früher hatte man einfach mehr Zeit. Ich komme aus einer Familie, die immer genossen und einen Sinn fürs Schöne gehabt hat. Essen war zentral. Luxus ist nicht, im Restaurant einen Château Pétrus zu bestellen. Sondern die schönen Dinge der Natur zu sehen.

Wenn Michael Ringier wirklich entspannen will, betritt er den handballfeldgrossen Vorhof des Hauses, vorbei am Kunstwerk «speaking lamp», das beim Passieren italienische Sätze von sich gibt, und öffnet die breite Garage. Neulich, als ein Geschäftstermin geplatzt war und sich eine Tageslücke im Kalender er­gab, nahm er einfach den Waldsee-grünen Aston Martin aus dem Jahr 1989 und fuhr mit offenem Verdeck – der Albula hatte noch Schnee – nach Celerina im Engadin, auch das ein Ort mit vielen Sonnenstunden. Hier besitzt die Familie ein Ferienhaus, das schon mal in grosser Besetzung (natürlich mit den zwei Enkelkindern) genutzt wird, zum Beispiel an Silvester. Für Michael Ringier ist es ein Zentrum der Musse und Besinnung, vielleicht auch Flucht­­ punkt, obwohl der 1,96-Meter-Mann mit Bergwandern nichts anfangen kann und Gipfelhöhen lieber von unten sieht. Zusammengenommen zwei, drei Monate verbringe er in Celerina, rechnet Ringier vor:

«Engadin ist Heimat.» Dort unterbreche er seinen üblichen 70-Minuten-Lauf schon mal, nur um Blümchen zu schauen. Weihnachten wiederum ist – seit der verlegerischen Regentschaft der Eltern – das Haus in Merlischachen am Vierwaldstättersee das Familienrefugium Nummer eins. Hier trifft sich der alte Clanführer Michael Ringier mit der kinderlos gebliebenen Schwester Annette (einer Journalistin, die ihn einst in den Job brachte), der zweiten Schwester, Evelyne, deren Sohn Robin Lingg inzwischen als neuer Clanführer ausgeguckt ist, sowie mit dem ältesten Bruder, Christoph, der 1990 aus dem Verlag ausgeschieden ist. Hier singt und spielt und schenkt eine Dynastie im Übergang von der fünften auf die sechste Generation. CEO Marc Walder ist nicht dabei, selbst wenn er inzwischen zehn Prozent der Anteile hält und irgendwann von Michael Ringier den Posten des Verwaltungsratspräsidenten einnehmen wird. «Stille Nacht» stimmt nur der allerengste Kreis an. Zwei weitere Schweizer Orte bestimmen das Leben des Verlegerjournalistensammlers. Da ist zum einen die Firmenzentrale in der Zürcher Dufourstrasse, sieben Minuten von der Goldküstenvilla entfernt und von Ringier zumeist mit einem Cinquecento angesteuert, sowie der offizielle Verlagssitz im Städtchen Zofingen im Kanton Aargau, wohin die protestantischen Vorfahren früh im 16. Jahrhundert vom französischen Nîmes aus eingewandert waren. Die Hugenottenfamilie erlebte den Aufschwung zur industriellen Oberschicht unter Michaels Grossvater Paul August Ringier, einem harten, kantigen Mann, vor dem Michael Ringier in Kinderjahren Angst hatte. Womöglich hat der Grossvater die Nachkommen motiviert, auf keinen Fall diesem Bild eines Erfolgreichen zu entsprechen. Heute trifft sich der Verwaltungsrat der Ringier AG noch immer in Zofingen, die Kirche dort weist eine Familienkapelle aus und Michael Ringier unterhält einen Weinkeller. Ein bisschen Nostalgie muss sein. Der Steuersatz wird helfen. Nimmt man Zofingen, die Zürcher Dufourstrasse, Merlischachen, Celerina und Küsnacht, ergibt sich eine Art magisches Fünfeck, in dem sich Michael Ringier in der Schweiz bewegt. Den Jura findet er schön, war aber kaum da. Wenn er nicht Kunst kauft, durch New York oder Paris stöbert (seine Lieblingsstädte) oder sich auf dem Weg zu einer der Dependancen im Reich der nie untergehenden Sonne befindet, lebt er im Fünfeck. Zuletzt weilte das Dreigestirn Ringier, Walder, Lingg in der nigerianischen Hauptstadt Lagos, um die eigenen Journalisten von «Pulse» zu treffen. Lagos: verstopfte, stinkende Strassen, und der Bodyguard trug demonstrativ schweres Gewehr. Nach solchen Trips ist das Küsnachter Hügelhaus mehr denn je Elysium.

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«Die Schweiz ist viel liberaler, als viele glauben»

Michael Ringier, 69-jähriger Routinier eines 185 Jahre alten Traditionshauses.


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Im Domizil im Engadin feiert die Familie Ringier, inklusive der zwei Enkel, Silvester.


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An diesem Juni-Mittag, nach langem Gespräch über Kunst, Kultur und Architektur, rät Michael Ringier zur Ausfahrt im Bentley S2 Continental Drophead Coupé, Jahrgang 1961. Über Christoph Ringier, der Oldtimer sammelt wie sein jüngerer Bruder Kunst, ist er an das dunkelgrüne Gefährt gekommen, Lenkradschaltung, Holzfurnier, die Anmutung irgendwie: royales Schiff. Der König von Marokko fuhr ein solches Auto. Wer will da schon an selbstfahrende Vehikel denken, über die alle derzeit im Silicon-Valley-Rausch reden? Die Fahrt führt goldküstenmässig über Erlen­bach nach dem einige Kilometer entfernten Herrliberg, weil ein solches Auto nun einmal mindestens 15 Minuten lang bewegt werden muss. Sonst muckt es. Während des kurzen Trips geht es um Ringiers Sporterfolge (Platz 11 in der Schweizer Tennisrangliste, Golf-Handicap 11,7), seine Marathonläufe und Skilanglauftouren. Er gesteht, kein «Gruppentier» zu sein, obwohl er zum Beispiel gerne Fussball gespielt habe. Und er sagt auch, dass er nicht zuletzt durch Ehefrau Ellen geselliger geworden sei. Sie würde heute konzedieren, dass er von einem extremen Autisten zu einem sozial integrierbaren Autisten geworden sei. Dieser «Show Dog» beeindruckt, wenn man so will, nicht nur durch Kunst, Architektur und Verlagsimperium, sondern auch durch Humor und Ehrlichkeit. Nach 15 Minuten ist ein Bergrestaurant («Buech») erreicht: prächtiger Garten, weiter Seeblick, gutes Tatar, das Michael Ringier («sehr scharf, bitte») bestellt. Das sei zwar nicht die «Paradiso»-Hütte, witzelt er, aber für Zürich wirklich nicht schlecht. Ausländische Gäste führt der Verleger gerne hierher. Es ist sein Lieblingsplatz.

Sind Sie stolz, Fremden die Schweiz zu präsentieren?

Das Wort «Stolz» kenne ich nicht. In der Geschichte hat es zu viel Unheil angerichtet. Stolz bin ich höchs­ tens, wenn meinen Kindern etwas gelingt. Ich freue mich, dass ich hier leben kann.

Wie erklären Sie, was die Schweiz liebenswert macht?

Die Schweizer gelten als zurückhaltend, sind aber freundlich und offen. Wir sind es gewohnt, dass ständig Leute aus einer anderen Welt hier sind. Und die lassen wir extrem in Ruhe. Das ist ja auch der Grund, warum Tina Turner in Küsnacht einfach so einkaufen gehen kann. Die Schweiz ist viel liberaler, als viele glauben.

Und welches Klischee trifft zu?

Es ist eine in sich geschlossene Welt. Das Schlimms­te für den Schweizer ist, wenn ihm jemand von aussen

etwas sagt. Das geht gar nicht. Die Geschichte der Schweiz ist eine gegen grosse Einheiten. Es ist ein Machtbrechungssystem, insgesamt sehr integrativ. Die grösste Mehrheit ist die Minderheit, niemand hat bei uns wirklich Macht. Daran zerbricht Christoph Blocher und seine SVP, weil sie nicht über 30 Prozent herauskommen.

Dafür, dass Michael Ringier so gerne schreibt, liegen wenige Werke vor: keine Memoiren, keine Tagebücher und die Zeit seiner Limericks ist lange her. Er könne nur schreiben, wenn es einem Zweck dient, sagt der gelernte Journalist, eigentlich sei er faul und erinnere sich an nicht viel; ein Gespräch oder Fotoalben müssten dann helfen. Deshalb könne es auch keine Autobiografie geben, ihm fehle die Disziplin. Und, überhaupt: Der interessanteste Teil seines Lebens läge ohnehin schon lange hinter ihm, für ein Tagebuch wenigstens. So hält sich Ringier an seine Kolumne im Hausmagazin «Domo». «Schreiben ist Arbeit», sagt Ringier, man müsse viel lesen. Und so stöbert er drei bis fünf Stunden täglich durch Zeitungen, Kunstbeilagen, Online-Artikel oder Zeitschriften für Golf, Wein und alte Autos. Beständig müsse man neues Wissen hinzufügen, nur so komme einem etwas in den Sinn, doziert Ringier. Seine Fundstücke – Pointen, Sprüche, Ideen – legt er in einem Archiv ab. Grundstoff für seine eher seltenen, aber umso stärker begehrten Reden. Für Geburtstagsauftritte wird er häufiger angefragt, akzeptiert hat er bei wenigen Freunden: Altkanzler Gerhard Schröder, Kolumnist Frank A. Meyer oder Uli Sigg beispielsweise, einst Botschafter der Schweiz in China. Ringier ist Sucher, Entdecker und Gelegen­ heitsschreiber. So hat er jetzt etwas über das Verhältnis von Algorithmen und Gehirn für einen Band des Ringier-Autors Frank A. Meyer verfasst, «Ascona statt Algorithmus», das Filmfestival am Luganersee statt der allgegenwärtigen Googeleien. Es geht um die Wunderwelt des menschlichen Körpers und Gehirns, gegen die Computerprogramme im Vergleich sexy wie Hochregallagerskizzen sind. Beim Filzen der Feuilletons ist Ringier natürlich auch bei der 1968er-Debatte hängen geblieben, bei der Frage, was der Aufstand von damals gebracht hat. Er konnte damit nichts anfangen, bekennt er, Elternhaus und Schule waren liberal, Nazis gab es nicht, und die Studentenrebellen hatten lange Haare und Gammelsachen, alles gar nicht sein Stil. Aufbegehrt hat Michael Ringier nie, und vom angepeilten Geschichtsstudium liess er ab, weil Vater Hans davon nichts hielt. Richtig gut war er schon früh im Tennis. «Ich wusste, ich kann etwas, aber was genau, das wusste ich nicht.»

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«Ich bin null abgehoben und weiss, in welchem privilegierten Umfeld ich lebe»

Für spontane Ausfahrten nimmt Michael Ringier gerne den Waldsee-grünen Aston Martin aus dem Jahr 1989.


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So wurde schliesslich Journalismus zur Lebensaufgabe. Weil er Französisch konnte, durfte er bei der «Abendzeitung» in München für eine Story über «Modelle» aus den Kleinanzeigen bei einem «französischen Modell» anrufen: «Bonjour, Madame, pourriez-vous …», und bekam dann zu hören: «Was is, Buan, was willst du?» Ringier hat viele Geschichten dieser Preisklasse auf Lager. Und weil er Französisch sprach und Goethe kannte, tafelte er in seiner Kölner Zeit öfter mit dem Publizisten und «Capital»-Herausgeber Johannes Gross. Ringier war auch ein Jahr lang im deutlich weniger feinsinnigen Hamburger BauerVerlag («Neue Post», «Tina»), wo sie Schlagzeilen in der Marktforschung intensiv testeten und der Schweizer spasseshalber eine fiktive Erfolgsüberschrift einbrachte: «Deutscher Schäferhund leckt Heidi Kabel Brustkrebs weg.» Zum Journalismus sagt Ringier noch, dass er besondere Analysen und Recherchen liefern müsse: «Das ist die einzige Möglichkeit, sonst sind wir gleich tot.» Nur mit Teamarbeit, Seriosität und Aufwand könne die Branche gegen das Internet und im Internet gewinnen, «vom Trash gibt es dort schon derart viel». Am Ende zähle die Marke. Damit sind wir bei der Marke Ringier und erneut in der Abteilung «Show Dog». Die Dynastie hat die Geschichte des Landes schliesslich über 100 Jahre hinweg dokumentiert, beobachtet, begleitet, kommentiert. Anders als die Verlegerfamilie Coninx («Tages-Anzeiger») sind die Ringiers im Land sehr bekannt: «Wir stehen mit unserem Namen da. Menschen wollen den Verleger sehen – dass es einen gibt, der so heisst», sagt der Grossaktionär. Der Bekanntheitsgrad ist hoch, und so tauchen die Ringiers auch in der Reichen-Liste im eigenen Wirtschaftsblatt «Bilanz» auf: «Da haben Sie keine Chance, wieder da herauszukommen», kommentiert Ringier. Dass er der «New York Times» gegenüber ausgeführt hat, wie Kunstberaterin Ruf sein Vermögen um Dutzende Millionen vermehrt habe, ärgert ihn noch heute. In New York verantwortet er beim Swiss Institute Contemporary Art die Finanzen. Eine wichtige Rolle, der jüngste Umzug in ein früheres Bankgebäude am St. Marks Place oberhalb der Bowery, war teuer. Er hasse es, Geld zu schnorren, dafür habe er den falschen Namen, klagt Ringier. Dabei ist er natürlich finanziell schon engagiert, auch als Präsident der Kunsthalle in Zürich. Ein Patriarch im klassischen Sinne war Ringier nie, nicht mal Patron. Er ist so etwas wie Spielführer und bringt die Internationalisierung voran. Andererseits ist er froh, dass die Digitalisierung ihn erst mit 60 erwischt hat, ohne Erfahrung hätte die Bewältigung dieser Ära nicht geklappt. Auffällig oft erwähnt Ringier, wie unempfindlich er gegenüber Kritik oder auch Herabsetzung sei: «Wenn Sie ‹Blick›-Verleger sind, geht Ihnen das sonstwo vorbei», ist eine Lieblingsformulierung.

Was berührt Sie?

Ich hatte immer eine eigene Meinung zu dem, was ich tue. Das war mein Massstab. Ich bin extrem realistisch und weiss genau, was ich falsch oder richtig gemacht habe. Auf ein paar Menschen höre ich genau.

Sie öffnen sich nur im kleinsten Kreis?

Nichts ist mir so nahegegangen wie der Moment, als wir die Kinder bekamen. Sie als Babys im Arm zu halten, war eine der wichtigsten Erfahrungen. Natürlich habe ich mich vorher schon einmal gefragt: Hast du überhaupt irgendwelche Emotionen?

Und die Kunst? Kommt die Ihnen auch nahe?

Ja, aber völlig anders. Ich schlafe immer wie ein Stein, bei den Kindern manchmal nicht. Man will sie ständig beschützen. Ich selbst hatte kein wirklich schwieriges Leben, ich war immer auf der Sonnenseite.

Was Michael Ringier überhaupt nicht mag, sind Gespräche mit Menschen, deren Weltbild festgefügt ist. Er nennt Menschen wie Jean Ziegler, Roger Köppel oder Roger Schawinski. Er mag es lieber leichter, spontaner, so wie in der Kunst bei Sigmar Polke. Mit der Bedeutungsschwere eines Anselm Kiefer oder dem Formalismus eines Gerhard Richter fremdelt der Verleger. Anregend findet er Viktor Giacobbo, den TV-Komiker. Die Bühne fürs Abschlussgespräch ist Ringiers Schaltstelle in seinem 1100-QuadratmeterHaus in Küsnacht: das Lese- und Wohnzimmer, mit tiefen Fauteuils, der Bibliothek und eng gehängten Konstruktivismus-Zeichnungen russischer Künstler aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Der Schwieger­ vater, ein jüdischer Pelzhändler aus Luzern, der oft nach Osteuropa reiste, hatte auf das Genre hingewiesen. Gekauft hatte das junge Paar vom ersten Geld damals in Köln – er Ressortleiter «Impulse», sie Juristin bei Gerling – in der Galerie Gmurzynska. Auch ein Werk von Meret Oppenheim hängt hier, das Modell einer Gartenlampe, aus Zuckerstücken gefertigt. Irgendwann zeigt Ringier noch auf einen Kurt Schwitters. Der sei damals ungewöhnlich teuer gewesen. Auf Nachfrage liest Ringier aus seinem Smartphone die Details ab: «Soyken II», 1981 gekauft, 9000 Mark. Mit seiner speziellen Kunst-App beeindruckt er auf der ART Basel und ART Basel Miami oder der Paris FIAC sogar die Galeristen. Und kann mit Verweis auf historische Preise herunterhandeln. Ringier hat eine Künstlerseele, aber auch Kaufmannshirn. Die Konstruktivisten hier im Lesezimmer werden immer bleiben.

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«Ich hätte nach New York gehen können. Wegen des Engadins wäre ich wahrscheinlich irgendwann zurückgekommen»

Neben Tennis, Joggen und Skilanglauf ist Golf Michael Ringiers bevorzugte Sportart (Handicap 11,7).

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Das Haus in Celerina ist fĂźr Michael Ringier ein Zentrum der Musse und Besinnung.


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ENGLISH SUMMARY

S H OW D OG Before meeting Michael Ringier, the grand seigneur of Swiss publishing, at his mountain home in Celerina, we pay a visit to his villa in Küsnacht. It’s a place for dinners and debates, with up to 150 guests present at times. Ringier likes to invite his editor-in-chiefs and publishing managers, as well as well-known investors and entrepreneurs – and artists. «They love the house.» Its walls are full of museum-ready paintings, and the rooms are filled with objects such as a Coca-Cola vase by Ai Weiwei. Many of the creators of the exhibited works have spent time here in Küsnacht, Richard Prince («Young Nurse») for instance, or Elaine Sturtevant and Rosemarie Trockel, whose art dominates the entrance area. 4,500 works are now part of Michael Ringier’s collection. Most of them are stored away (even an object by Hanne Darboven which he purchased for more than a million), some are on loan to museums such as the MoMa or the Guggenheim in New York, some are on display here in Küsnacht. The publisher is only interested in contemporary works that deal with text and image – or in other words with journalism, his first passion. Every five years, Ringier asks the well-known curator Beatrix Ruf to rearrange the exhibition at his home. «I judge a picture not by how much money it will sell for in five years, but by how a picture will be perceived in 30 years.» Mr. Ringier, are you a hedonist? No. Hedonism is associated with isolation from reality. That is definitely not the case with me. I am in touch with the real world and very much aware of the privileged environment I live in. A sensualist? Absolutely. People who can’t enjoy things are terrible. What is there to experience with them? I’ve always tried not to do business with such people. Every business relationship is a human relationship. Have the Swiss become better at enjoying the good things in life? We used to have more time for those things. I come from a family with a sense of beauty, and we always knew how to enjoy things. Food was central. Luxury is not to order a Château Pétrus in a restaurant, but to see the beauty in nature. For Michael Ringier, real pleasure begins when he opens his garage, gets into his 1989 Aston Martin and drives to his holiday home in Celerina. He spends between two and three months a year up there, often with family and friends. Although he is not much of a hiker and enjoys the valley much more than any mountain peak, he often interrupts his daily 70-minute run to take a close look at some Alpine flowers. «Most Swiss people don’t really appreciate how beautiful our country is,» the 69-year-old says. «If we can’t even manage to see all this beauty, how will all those who are struggling to survive every day ever be content?»

Rein zufällig sind Michael und Ellen Ringier nach ihrer Kölner Zeit, als die Eltern den Eintritt in den Verlag nahelegten, in Küsnacht gelandet. Der Verlag ist eben nicht weit weg. Zürich war für den jungen Michael Ringier, als er noch in Zofingen lebte, ein Ort, in dem man zum Zahnarzt oder zum Textilausstatter genötigt wurde. Sein Vorteil sei, dass er überall vorgelassen wird, sagt er zum Abschluss, dass er Zugang zu allen Menschen (VIP oder Nicht-VIP) findet, die er als spannend empfindet. Das sei das Privileg, Verleger zu sein. Kunst erlebt Ringier als Spiegelung der Welt – als Auffor­ derung, sich damit auseinanderzusetzen. Und wenn er sich in ein Kunstwerk verliebt, so wie in ein Bild der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama, bleibt er abends oft allein lange in der Galerie. Dann sei er fast spirituell beseelt, was ihm grundsätzlich aber fremd ist. Das mit dem Sammeln hängt sicherlich mit der Vorliebe der Eltern für alles Französische zusammen, für die Möbel und Tapisserien aus irgendeiner Louis-Zeit, die den Rahmen fürs Family Life gaben. War man früher im «Plaza Athenee» in Paris, hängte man immer einen Tag für die Kunst dran. «Bei mir gab es immer Kunst, und diese Sammlung ist mein Ding», sagt Ringier. Noch 20 Jahre sieht er sich aktiv in der «Show Dog»-Rolle, seine Töchter seien keine Sammler. Über mögliche Schenkungen und Stiftungen will er dann mittelfristig befinden. Er weiss nur: Immer, wenn er etwas verkaufen muss, um Geld zu haben für Neues, «tut es richtig weh».

Vorstellbar, auf Dauer ausserhalb der Schweiz zu leben?

Ich habe mich in jungen Jahren in Hamburg sehr wohl gefühlt. Köln ist dagegen Balkan, hat aber andere Vorteile. Ich hätte auch nach New York gehen können.

Für immer?

Wegen des Engadins wäre ich wahrscheinlich irgendwann zurückgekommen.

Aber jetzt sind Sie doch frei? Das Tagesgeschäft liegt beim Vorstand.

Ich bin noch zu sehr in alles involviert. Richtig ist aber: Im Alter schätzt man die Dinge immer mehr. Ich möchte irgendwann sechs Wochen in einer anderen Stadt sein. Jedes Jahr eine andere Stadt.

Es gibt ja auch Artists in Residence …

Warum soll es nicht Collectors in Residence geben? Ja, das kann es geben.

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«Luxus ist nicht, im Restaurant einen Château Pétrus zu bestellen. Sondern die schönen Dinge der Natur zu sehen»

Vom Bergsteigen hält der 1,96-Meter-Mann nichts, die Gipfelhöhen sieht Michael Ringier lieber von unten.

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BERGEROBERUNG Z E R M AT T E R J A H R H U N D E R T W E R K

BAUSTELLE

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ES IST DIE HÖCHSTGELEGENE BAUSTELLE EUROPAS UND DIE HÖCHSTE DREISEIL-UML AUFBAHN DER WELT: AM KLEINEN MATTERHORN WIRD IM MOMENT GESCHICHTE GESCHRIEBEN – BETONKÜBEL UM BETONKÜBEL, SCHICHT FÜR SCHICHT. AM 29. SEPTEMBER 2018 WIRD NACH WENIGER ALS DREI JAHREN BAUZEIT DER BRANDNEUE «GL ACIER RIDE» ERÖFFNET – PÜNKTLICH. Te x t : We r ne r Je ss ne r

U

m halb sieben Uhr morgens machen sich die Bauarbeiter auf den Weg. Fast könnte man meinen, sie seien unterwegs zu einer ganz normalen Baustelle, doch ihre wettergegerbte Haut, ihre warme Kleidung verraten, dass ihr Arbeitsort alles andere als normal ist. In 45 Minuten fahren sie nach oben auf 3821 Meter, um dort an der Bergstation der künftig höchsten Seilbahn der Welt zu arbeiten. An einen Arbeitsplatz, an dem die Temperaturen zwischen Mai und September gerade mal den Gefrierpunkt erreichen, um danach zu sinken – bis auf minus 20 Grad und weniger. Wo Stürme toben, wo es schneit, wenn es im Tal regnet, und wo die Luft so dünn ist, dass es doppelt so lang dauert, um einen Kubikmeter Schnee wegzuschaufeln wie unten im Tal, weil die Lungen pfeifen und die Muskeln um Sauerstoff winseln. Diese Männer hier sind Arbeit im hochalpinen Gelände gewöhnt, sie sind die Elite. Sie arbeiten hier seit Herbst 2015, als die ersten Vorarbeiten begannen, und bis heute, wenige Monate vor Fertigstellung, ist kein Fall von Höhenkrankheit bekannt. Mit der weltweit gerühmten Schweizer Präzision entsteht hier ein Bauwerk für die nächsten Generationen, ein technisches Meisterwerk, für das es noch keine Erfahrung gibt – strenger im Zeitplan als jedes Einfamilienhaus, jede schnöde Wohnungsrestauration. Chef dieses alpinen Bauarbeiter-Korps, Projektleiter und Bauführer ist der 59 Jahre alte Anton Lauber, und das Projekt «Matterhorn Glacier Ride» hat ihn zum Meister der Improvisation gemacht. Nicht etwa, weil die Planung mangelhaft gewesen wäre, sondern ganz einfach, weil das Wetter ihn dazu zwingt, etwa im letzten, äusserst strengen Winter. «Petrus hat uns die Zeit gestohlen», sagt er dazu, als etwa die Weihnachtspause am Gipfel unfreiwillig bis 29. Januar 2018 verlängert werden musste, weil es bei an die minus 30 Grad keinen Sinn macht, mit den Baumeisterarbeiten fortzufahren. Allein die Tonnen und Abertonnen an Material auf den Berg zu bringen, ist ein Husarenstück. Der eine Teil kommt von der Schweizer Seite, der andere von der italienischen. Da werden Teile in der Schweiz vorgefertigt und über den Gotthard oder St. Bernhard über Aosta und Cervinia angeliefert. Auf halber Höhe zum Gipfel gibt es im italienischen Laghi Cime Bianche einen Lagerplatz mit 3500 Quadratmetern, dazu eine Halle, 650 Quadratmeter gross. Dort wird der Beton mit warmem Wasser angerührt, in einen drei Kubikmeter fassenden Betonkübel gefüllt und mit einer extra gebauten 4 Kilometer langen Materialseilbahn nach oben gebracht, wo er umgefüllt und schliesslich verarbeitet wird. Keinesfalls darf seine Temperatur dabei unter acht Grad sinken, ungeachtet der äusseren Umstände, sonst würde er nicht mehr abbinden. Und wenn er dann einmal an Ort und Stelle ist: Unter diesen Extrembedingungen härtet Beton langsamer aus als im Tal. Ausschalen kann man ihn zwar schon nach wenigen Tagen, aber während es normalerweise 28 Tage braucht, bis er seine (fast) vollständige Härte erreicht, dauerte es hier oben um zwei, drei Wochen länger. Immer wieder wurden Proben genommen und ins Labor geschickt – einerseits um valide Ergebnisse zur Festigkeit zu bekommen, aber auch, um den Prozess für spätere Höhenbauwerke zu dokumentieren. Zu Betonierarbeiten dieses Ausmasses in einer solchen Umgebung gab es noch keine

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BERGEROBERUNG Z E R M AT T E R J A H R H U N D E R T W E R K

38 beteiligte Unternehmen

5 Seile, jedes 80 Tonnen schwer

145 beschäftigte Personen

912 Tage Baudauer

Massiver Aufwand: Kräne, die per Helikopter montiert werden müssen, eine eigens gebaute Materialseilbahn und LKWs die in dieser Umgebung wie Kinderspielzeug wirken.

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SEILBAHN-KABINEN VON PININFARINA: SPITZENTECHNOLOGIE TRIFFT AUF DESIGN Das italienische Designstudio mit Sitz in der Nähe von Turin ist vor allem für seine Arbeiten im Automobilsektor bekannt: Lokale Grössen wie Ferrari, Maserati oder Lancia liessen ihre ikonischen Modelle von Dino, Quattroporte oder Beta Montecarlo ebenso bei Pininfarina zeichnen wie Peugeot den 504, Volvo den C70 oder Ford den Focus. Und das ist nur ein kleiner Ausriss: In Summe hatte das Studio Einfluss auf beinahe 100 Autos von 1930 bis heute. Mobilitätsdesign ist aber deutlich mehr, als Blech für vier Räder zu designen. So stammt zum Beispiel das Cobra-Tram in Zürich ebenso von Pininfarina wie die Lok 2000 oder ein InterCity-Neigezug der SBB, aber auch diverse Boote und sogar Fahrräder. Auch der an eine Tulpe angelehnte Kontroll-Tower des künftigen Grossflughafens in Istanbul stammt aus der Feder der Italiener. Eröffnung übrigens am 29. Oktober 2018 – exakt einen Monat nach dem «Matterhorn Glacier Ride».

Erfahrungen – bis jetzt. Von der Elektrik bis zum Holz für die Fassadenverkleidung, vom Spülkasten der Toiletten bis zum Deckenlicht muss alles, was für die Bergstation (und die oberste der drei Stützen) gebraucht wird, über die italienische Seite hochgebracht werden – Zollformalitäten inklusive. Koordination sei die eigentliche Herausforderung, meint Bauführer Anton Lauber, und lobt ausdrücklich die Kooperationsbereitschaft des italienischen Zolls. An einem Jahrhundertprojekt wie diesem helfen alle gerne mit, und dass schweizerische Pünktlichkeit durch italienische Beamte torpediert würde – diesen Schuh zieht sich dann doch keiner gerne an. Alles, was für die Talstation und die ersten beiden Stützen gebraucht wird, kommt von der Schweizer Seite hoch – zum Beispiel Zement in Säcken, ganz wie beim privaten Hausbau auch. Erst oben wird Sack für Sack aufgerissen, sein Inhalt über eine Transportschnecke in ein Silo befördert und dann weiterverarbeitet. Allein für die Fundamente der ersten Stütze hat man 440 Kubikmeter Beton benötigt, weil die geologischen Rahmenbedingungen so delikat sind. Noch so ein Superlativ: Die fünf Seile sind je 7930 Meter lang und wiegen jeweils 80 Tonnen – zu schwer, um überhaupt auf der Strasse transportiert zu werden. Was also tun? Auf zwei Rollen umspulen, in zwei zusammenhängende LKW aufteilen und per Konvoi nach Laghi Cime Bianche transportieren. Dort wieder auf eine originale Rolle (in der Sprache der Techniker «Bobine» genannt) umspulen, mittels Vorseil an einer provisorischen Seilbrücke über den Furggsattel und Trockener Steg ziehen. So waren die Seile ab Cervinia knapp 13 Kilometer unterwegs, bis sie eingefädelt werden konnten – teilweise mittels Helikopter der Air Zermatt, die mehrere tausend Mal unterwegs waren, um ihren Beitrag dazu zu leisten, «Matterhorn Glacier Ride» zeitgerecht fertigzukriegen. All diese Ideen müssen einem erst einmal kommen – und dann müssen sie auch noch funktionieren, wenn 38 verschiedene Unternehmen und 145 Personen am Werk sind. «An dieser Arbeit ist jeder Tag spannend», sagt Anton Lauber. «Das ist meine grösste Baustelle. Eine Steigerung kann es nicht mehr geben.» Das klingt aber nicht erschöpft, wie es nach drei stressreichen Jahren völlig normal wäre, sondern im Gegenteil, voll Energie und Freude. «Ich denke mir jeden Tag, dass ich den schönsten Arbeitsplatz der Welt habe, wenn ich am Morgen hochfahre.» Inzwischen werden schon die Sanitäranlagen montiert, Böden verlegt und Steckdosen verkabelt. Kleinigkeiten. Der Zeitplan hält tatsächlich. Mitte September wird es die ersten Testläufe der neuen Bahn auf das Kleine Matterhorn geben, bevor danach im Vollbetrieb 2000 Personen hochgebracht werden – pro Stunde. Auf eine dieser Ehrenrunden vor dem offiziellen Start, so Anton Lauber, werde er seine Frau mitnehmen. «Das bin ich ihr schuldig. Denn sie habe ich in den letzten Jahren deutlich seltener gesehen als den Berg.»

ENGLISH SUMMARY

« MATTE RH ORN GL ACIER R IDE» The construction workers set off at half past six in the morning. One could almost think that they are on their way to a normal construction site, but their weather-beaten skin and warm clothes reveal that this construction site is anything but normal. In 45 minutes, they travel up to 3,821 meters to work on the mountain station of the highest cable car in the world. After three years of construction, the new «Matterhorn Glacier Ride» will start operating in September 2018.


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Alpenglühen und Mandelmilch Tex t: Mirko Beetsch en   Fo t o graf i e: L o ren z Cu gin i (A r c hi t e k t u r ) u nd G i a n Ma r c o C a s t e l b e rg ( Pe r s o ne n)

Von Los Angeles ins Glarnerland. Wie eine Journalistin und ein Filmemacher ein aussergewöhnliches Künstlerhaus über dem Walensee zu ihrem neuen Zuhause und ihrer kreativen Wirkungsstätte machten. BIANCO

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Simone Ott und Reto Caduff: Landidyll fĂźr Stadtmenschen.


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Der Herisauer Maler Hans Alder (1883–1971) liess sein Wohnhaus mit grosszügigem Atelier 1911 auf einer natürlichen Terrasse über dem Walensee errichten. Das hohe Atelierfenster orientiert sich nach Norden.

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Aus dem Atelier führen auf der Ostseite des Hauses zwei französische Fenster. Die Fassade besteht aus dem rötlichen VerrucanoStein, der unter anderem in der Umgebung abgebaut wird (rechts). Zum englisch anmutenden Landhaus mit spitz zulaufendem Mansardendach gehört ein riesiges Landstück mit wildem Garten und altem Baumbestand (unten).


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Simone Ott und Reto Caduff: Loftleben im alten Künstleratelier, das nun einen grossen Esstisch und eine grosszügige Wohnlounge mit offenem Kamin beherbergt. Die Sofagruppe aus den 60er Jahren stammt von Robert Haussmann; Reto Caduff hat sie von einem Händler bei San Francisco gekauft und persönlich abgeholt.


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ie Facebook-Bilder ihres Zuhauses entlocken ihren Freunden aus der ganzen Welt regelmässig die euphorischsten Kommentare. Kein Wunder – die Aufnahmen, die Simone Ott und Reto Caduff von und aus ihrem Haus im glarnerischen Filzbach posten, zeigen ein Landidyll sondergleichen: Wiesen, Wälder und glückliche Katzen, winters ein Nebelmeer, im Sommer ein gletscherblau leuchtender See und in der Ferne sonnenbeschienene Gipfel. «Dabei sind wir eigentlich durch und durch Stadtmenschen», meint die gebürtige Bernerin Simone Ott trocken. Ihr neues Zuhause liegt allerdings nur eine knappe Autostunde von Zürich und dem internationalen Flughafen entfernt – ein Katzensprung für jemanden, der die letzten Jahre im südkalifornischen Moloch Los Angeles gelebt hat. Weil das Kreativpaar – Simone Ott ist Journalistin, Reto Caduff Filmemacher – auch immer wieder in der Schweiz arbeitete, war der ursprüngliche Plan, hier ein Ferienhaus zu suchen und die Basis in den USA zu belassen. Auf dem Land sollte es sein – schliesslich wollte man einen Kontrast zu LA –, Umschwung bieten, Berge und wenn möglich an einem Ort über dem Nebel liegen, der im Winter den Gross-

raum Zürich gerne bedeckt. Am Bodensee und im Appenzell begannen sie nach geeigneten Liegenschaften zu suchen und sahen sich einige Objekte näher an, doch erst als man den Radius auf Glarus erweiterte, stiess man auf das Künstlerhaus hoch über dem Walensee. Bei der Suche und Evaluierung der meist historischen Bauten half den beiden Exilschweizern ein alter Freund, der Architekt Philippe Stuebi. Er war es denn auch, der das vor 100 Jahren erbaute Wohnhaus mit seinem grosszügigen Atelier als Erster besichtigte. Was er vorfand, begeisterte ihn dermassen, dass er dem Immobilienhändler noch vor Ort eine mündliche Zusage machte, nach Kalifornien telefonierte und seinen Freunden mitteilte, dass er das richtige Objekt gefunden habe. «Ich drohte ihnen sogar», erinnert sich der aus Bern stammende Architekt lachend, «dass ich es selbst kaufen würde, sollten sie sich dagegen entscheiden.» Das taten die beiden jedoch nicht, und so erhielt Philippe Stuebi, der für seinen sensiblen Umgang mit historischer Bausubstanz bekannt ist, den Auftrag für die Renovation des Gebäudes. Dieses hatte der Herisauer Industriellensohn und Maler Hans Alder 1911 von den renommierten

Architekten Rittmeyer & Furrer erbauen lassen, welche in Winterthur unter anderem für den Bau des Kunstmuseums verantwortlich zeichneten. «Die Künstler jener Zeit waren besessen von Licht und haben ihre Atelierräume entsprechend perfektioniert», weiss Philippe Stuebi. «Hans Alder war nicht wichtig, dass sein Haus an der Sonne steht, sondern dass er das ideale Licht zum Malen hat.» Das grosse Atelierfenster ist deshalb nach Norden ausgerichtet – die schöne Aussicht von den kleineren Ostfenstern war zweitrangig. Zu Beginn nur für den jungen Künstler selbst geplant, wurde das Gebäude schon nach wenigen Jahren vom selben Architekturbüro um eine dritte Etage aufgestockt, denn Alder hatte sich in Berlin in eine Adlige verliebt, die in der Folge zu ihm zog. Aus dieser Zeit stammen auch einige Besonderheiten wie etwa die internen Sichtverbindungen. Von einer Empore im ersten Stock lassen sich Fenster direkt ins Atelier öffnen – wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Sicherheitsvorkehrung von Alders Partnerin, da ihr Mann in seinem Atelier auch Akte zeichnete. «Die originale Substanz des Hauses war sehr gut erhalten», erzählt Reto Ca-

Blick aus dem Atelier ins ehemalige Studierzimmer von Hans Alder (links). Über das Gästezimmer im zweiten Stock wacht ein Porträt, das Hans Alder gemalt hat (Mitte). Blick vom Studierzimmer ins Entree (rechts).

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Katze Keira geniesst ihr neues Leben auf dem Land. Eine Empore mit Fenstern ragt vom Wohnteil in das hohe Atelier. Der Ofen darunter stammt von den Vorbesitzern und ist nach wie vor funktionstĂźchtig.

Atur? Perehenis sint, autasse quatem quia volorro quo que quo vendiam que ratemporrum ex eum cus ration coremqui ut dolessita comnienis dus esciment, tem rerum que ent eicium quo beatur? Dunt magnis modia iuntiberum corum eosapero bea etur soluptatum lam ad quod ut moluptur auda vitiorecae consed qui rempere nobis sersper uptatem


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duff. «Ziel war es, den Geist des Hauses zu bewahren und es zeitgemäss bewohnbar zu machen.» Die Vorbesitzer, welche die Liegenschaft von Hans Alders Witwe übernahmen, hatten nur wenig verändert. Ausserdem hielten sie ihr Versprechen, das Gebäude jemandem weiterzugeben, der das kreative Erbe zu schätzen weiss. «Für einmal war es ein Vorteil, kein Banker zu sein», lacht der Filmemacher. Zusammen mit dem Gebäude erwarben er und Simone Ott auch zahlreiche Gemälde, Zeichnungen und Fotos von Hans Alder, seine Arbeitsutensilien sowie einige Möbel. «Die grosse Herausforderung war die Neuorganisation der Räume», erläutert Philippe Stuebi. Hatten sich sämtliche Wohnfunktionen zuvor in den oberen Etagen befunden, sollte das neue Zentrum des Hauses in dem riesigen Atelier im Erdgeschoss entstehen. Den gordischen Knoten löste man mit der Öffnung des ehemaligen Kohlenkellers neben dem Atelier. «So konnten wir sowohl die Grosszügigkeit des Hauptraums wie auch das alte Studierzimmer erhalten», sagt der Architekt. Die Küche im Obergeschoss war bereits in den 70er Jahren ersetzt worden und durfte nun getrost dem neuen Bad weichen, die Dusche fand in der ehemaligen Speisekammer Platz, während

aus der schön getäfelten Wohnstube das Schlafzimmer wurde. Das Haus verfügt heute über eine Gasheizung. Weil eine Isolation des Ateliers sowohl von innen wie von aussen ein zu massiver Eingriff gewesen wäre, entschied man sich für die Installation einer Bodenheizung. Der neue Fussboden, ein sandfarbener, fugenlos gegossenerAnhydrit, nimmt optisch den alten Zementboden auf. Bis auf das grosse Atelierfenster mit seiner Industrieverglasung aussen und der nachträglich ergänzten zweiten Schicht innen wurden die alten Fenster mit originalgetreuen Nachbildungen ersetzt, die nach wie vor gegossenes Weissglas aufweisen, nun aber zeitgemäss isolieren. «Ich habe versucht, die Neuerungen so zu gestalten, wie Rittmeyer & Furrer Architekten es getan hätten», sagt Philippe Stuebi. «Die Eingriffe sollte man bei diesem Projekt auf den ersten Blick nicht sehen. Für mich als Architekt ist es reizvoller, in einen Bau hineinzuschlüpfen und weiterzudenken, als bewusst neue Kontraste zu schaffen.» Aus dem geplanten Ferienhaus ist unterdessen das Hauptdomizil von Simone Ott und Reto Caduff geworden. Mit einem Büro in Zürich und dem Guesthouse einer Freundin in West Hollywood, in dem sie

regelmässig wohnen, bewegen sich die beiden weiterhin in einem städtischen Umfeld, geniessen zugleich aber ihre neue Rückzugsmöglichkeit aufs Land. Der Ort scheint inspirierend zu wirken: Simone Ott hat seit ihrem Umzug ins Glarnerland bereits ein Foodlabel gegründet – Alder Glarus – und stellt mit Hilfe der eigenen Quelle Mandelmilch her, während Reto Caduff den auf Fotobücher spezialisierten Verlag Sturm & Drang (www.sturmanddrang. net) gegründet hat. ENGLISH SUMMARY

WA LE NSE E Longing for a peaceful haven in contrast to their Los Angeles home, Journalist Simone Ott and filmmaker Reto Caduff were originally looking for a holiday house. Philippe Stuebi, an architect and old friend of the expat couple, found them this 100-year-old artist’s mansion high above the Walensee. It had been built in 1911 for artist Hans Alder, and many of the house’s original features were still visible. «The original substance of the house was very well preserved», says Reto Caduff. «Our aim was to preserve its sprit and turn it into a contemporary living space.» The couple ended up loving their new house so much that they have meanwhile returned to Switzerland and made it their main residence.

Zwei Räume unter dem Dach mit atemberaubender Aussicht über See und Berge dienen dem Filmemacher Reto Caduff als Home Office.

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Das freundliche Entree besticht mit seinen sorgfältig restaurierten zeittypischen Bauelementen wie dem Klinkerboden und der geschwungenen Holztreppe.


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DER NEUE L AMBORG HINI URUS IST SUPERSCHNELL, SUPERLUXURIÖS UND SUPERVIELSEITIG. DOCH SEIN REIZ LIEGT NICHT DORT, WO MAN ES ERWARTEN WÜRDE.

Te x t : N i n a Vetterli

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amborghini sorgte 2012 mit einer Konzeptstudie namens Urus für Furore. Manche – gefühlt waren es damals nicht viele – reagierten mit Begeisterung, andere wiederum fragten sich, warum. Warum zur Hölle will ein Hersteller reinrassiger Supersportwagen ein derartiges Monstrum in die Welt setzen? Nun, an vernünftigen Argumenten mangelte es eigentlich nie. Zum Beispiel, weil der SUV-Markt ohne absehbares Ende brummt. Weil sich dem italienischen Autobauer damit die Chance bietet, seinen Jahresabsatz von rund 3500 Fahrzeugen ohne nennenswerten Exklusivitätsverlust zu verdoppeln. Und weil Porsche und inzwischen sogar Bentley, Maserati und Jaguar beweisen, dass Traditionsmarken nicht an ihre traditionellen Segmente gebunden sind. Ganz zu schweigen davon, dass auch Erzrivale Ferrari gedenkt, diesen Beweis zu erbringen. Darüber hinaus begeht Lamborghini keinen Traditionsbruch. In den 70ern konzipierten die Italiener einen für die US-Armee gedachten Geländewagen, der zwar eine Absage erhielt, dafür in den 80ern zum martialischen Zivilpanzer mit dem V12-Motor aus dem legendären Countach weiterentwickelt wurde. Schön oder gar praktisch war der LM002 nur bedingt. Aber an Brutalität kaum zu überbieten, weshalb Actionfilmstars wie Silves­ ter Stallone und Arnold Schwarzenegger genauso an ihm Gefallen fanden wie ein libyscher Despot, der mit einer Bestellung von 100 Stück praktisch einen Drittel der Gesamtauflage für sich beanspruchte. Doch gerade wegen seiner Zweifelhaftigkeit ist der alte «RamboLambo» heute der perfekte Botschafter, denn gegen ihn wirkt der neue Urus fast schon politisch korrekt. Immerhin


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Nina Vetterli. «Der Urus verfügt sozusagen über eine automatische Überholfunktion.»

weist sein moderner 4,0-Liter-V8 mit 12,3 Litern einen Bruchteil des Durchschnittverbrauchs seines Urahnen auf und soll ab 2019 sogar durch einen Plug-in-Hybridantrieb ergänzt werden. Andererseits erweckt das, was sich 25 Jahre nach Produktionsende des LM002 und sechs Jahre nach der ersten Studie in freier Wildbahn präsentiert, ohnehin nicht den Eindruck, vernünftig argumentieren zu wollen. Mit einem hexagonalen Kühlergrillmaul so gross, als würde es kleine Ferrari-Sportwagen frühstücken – und die zur Verkleidung des Luxus-Interieurs benötigte Rinderherde gleich dazu –, scheint das Monstrum eher zu sagen: Warum Lamborghini einen SUV baut? Na, weil es Lamborghini eben kann. Und ja, Lamborghini kann es wirklich. Vorausgesetzt, man begegnet ihm als Markenpurist mit einer gewissen, na ja, nennen wir es Kompromissbereitschaft. Nicht nur, dass der Wagen mit fahrdynamikfeindlichen 5,11 Meter Länge, 1,64 Meter Höhe und sage und schreibe 2,2 Tonnen Leergewicht antritt: Weil im Gelände ein möglichst schnell anliegendes maximales Drehmoment gefordert ist, verbaut die Stiermarke erstmals in der Geschichte einen aufgeladenen statt frei– saugenden Motor. Dazu kommt, dass dieser V8-Biturbo – wie überhaupt der Grossteil der Technik – bereits in anderen Modellen des VW-Konzerns seinen Dienst tut. Sogar im Innenraum gibt’s ein Déjà-vu, wenngleich kein unerfreuliches: Inmitten der italienischen Leder-, Alcantara- und Carbon-Landschaft findet sich dasselbe futuristische Cockpit mit Digitalanzeigen und zwei übereinanderliegenden Touchscreens wie etwa im Audi A8 oder im Porsche Cayenne.

Doch damit hat es sich mit Kompromissen. Von einem Auto aus Sant’Agata Bolognese erwartet man Superlative, und mit 650 PS, 850 Newtonmetern, 3,6 Sekunden von 0 auf Tempo 100 und 305 km/h Spitzengeschwindigkeit bekommt man sie auch. Kaum ein SUV ist stärker, keiner ist schneller. Das steht so auf dem Papier, lässt sich aber gut nachvollziehen, wenn man den Lamborghini-typisch roten Motorstartknopf drückt, beim Tamburo genannten Fahrdynamikschalter links daneben den schärfsten Modus aktiviert, per Lenkradwippe den ersten Gang einlegt und das Gaspedal durchtritt. Was dann folgt, lässt sich schwerlich als Beschleunigung beschreiben. Es fühlt sich an, als werde man von hinten gerammt. Von einer Boeing 777. Mindestens. Nicht umsonst hat der Supersportwagenbauer dem Kürzel SUV ein zusätzliches S vorangestellt. SSUV, das steht für Super Sports Utility Vehicle. Vor allem lässt der Urus selbst auf engen, kurvigen Passstrassen kaum Demut vor der Physik erkennen. Verantwortlich dafür: Hightech. Unter anderem rückt die adaptive Luftfederung die Karosserie im Sportmodus näher an den Asphalt, während das aktive Torque-Vectoring über das Hinterachsdifferenzial die Kraft an jedes einzelne Rad verteilt, die elektromechanische Wankstabilisierung die Seitenneigung minimiert und die mit- respektive bei niedrigen Tempi gegenlenkenden Hinterräder den Radstand virtuell verkürzen, um so die Agilität zu erhöhen. Der Fahrer bekommt davon in seinem Pässe-Rausch unter dem – trotz Turbomotor – betörenden V8-Sound nichts mit, er bekommt noch nicht einmal mit, dass er einen 5,11

Meter langen Zweitonner statt weit kleineren, leichteren Sportwagen pilotiert. Nur gelegentlich drängen sich Fragen auf, wie «Ähm, kann es sein, dass das erlaubte Höchsttempo hier 80 ist?». Vernünftige Antwort: Ja, kann sein. Aber auch da hilft die Technik, in Form von fest zupackenden Carbon-Keramik-Bremsen. Genauso kann in den Bergen sein, dass der Weg plötzlich über Schotter, eine schlammige Wiese und im Winter natürlich Schnee führt. Eine gewisse Geländegängigkeit ist dem Allradler gegeben, per Luftfederung lässt sich die Bodenfreiheit weiter erhöhen und optional stehen spezifische Offroad-Programme sowie metallverstärkte Stossfänger und ein zusätzlicher Unterbodenschutz zur Auswahl. Dass man mit dem Urus das Matterhorn besteigen könnte, gilt es allerdings zu bezweifeln – Lamborghini selbst streicht nebst der guten Performance eher die «hohe Alltagstauglichkeit in jeder Situation» heraus, und vor allem: Würde man das denn wollen? Überhaupt, das Wollen. Spektakuläre Fahrleistungen und Abenteuerbereitschaft hin oder her: Am liebsten cruist man im komfortablen Strada-Modus bei weicher Dämpfereinstellung, zurückhaltend grummelndem Motor und unauffällig schaltender 8-Gang-Automatik die schöne Landschaft geniessend vor sich hin – und wenn das auch unbemerkt geht. So oder so ist der Urus schliesslich nicht die Sorte Auto, die erst nach zehn Minuten im Rückspiegel bemerkt und weitere zehn Minuten später meinetwegen-dannhalt-vorbeigelassen wird. Eher noch wird der Vordermann mit einer Spontan-Spurräumaktion reagieren, ja vielleicht sogar den lieben Gott um Gnade bitten. Dies, wohlgemerkt, auch wenn er Atheist ist und ihm der vermeintliche Teufel mit genügend Abstand folgte. Denn dieser SUV hat kein Überholprestige. Er ist stahl- und aluminiumgewordenes Überholprestige, womit wir nun endlich bei seinem praktischen Nutzen angelangt wären: Er verfügt sozusagen über eine automatische Überholfunktion. Gewiss liessen sich noch weitere vernünftige Argumente anführen, doch seien wir ehrlich: Feudale Platzverhältnisse mit genügend Bein- und Kopffreiheit in der zweiten Sitzreihe, über 600 Liter Kofferraumvolumen, praktische Ablagefächer, Wintertauglichkeit, einen hohen Langstreckenkomfort und elektronische Helfer wie einen Fernlichtassistent und Abstandstempomat gibt es auch bei gewissen Skoda-Modellen. Warum man den Lamborghini letztlich kaufen sollte? Vorausgesetzt, man hat mindestens 208 426 Franken (exklusive Steuern) zur Verfügung: Na, weil man es eben kann.

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DAS WELTWEIT ERSTE SUPER SPORTS UTILITY VEHICLE V8-Biturbo 3996 cc, 650 PS 850 Nm, Allradantrieb 8-Gang-Automatikgetriebe 0–100 km/h in 3,6 sec Höchstgeschwindigkeit 305 km/h Verbrauchs-Mix 12,3 l/100 km 279 g/km, Energieeffizienz G Ab Fr. 208 426.– in der Schweiz Ab € 171 429,– in der EU

ENGLISH SUMMARY

L A MB ORG H INI URUS Lamborghini’s new «Super Sports Utility Vehicle», the Urus, is super fast, super luxurious and super versatile. 650 HP, from 0 to 100 in 3.8 seconds and a top speed of 305 km/h – this car’s acceleration hits you like a Boeing 777. But why buy an expensive Lamborghini when – apart from the engine – it doesn’t really offer that much more than any other luxury SUV? Quite simply: because you can!

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KURZ & KNAPP SWISS ALPINE WHISKY

Säntis Malt mit Bourbon-Fass-Finish: Das Berggasthaus Tierwis, als SAC-Clubhütte 1873 gebaut. Ein Jahr später haben sich bereits 184 Besucher im Hüttenbuch eingetragen.

Das Berggasthaus auf der Meglisalp liegt am Appenzeller Whiskytrek, der höchstgelegenen Whiskytour der Welt. Bergwirt Sepp Manser lässt seinen eigenen Whisky im Fass auf der Alp reifen. Wie 24 Wirtsleute in 24 anderen Berggasthäusern auch.

APPENZELLER WHISKYTREK Tex t : Wo l f ra m Me i s t e r, Re né Z i m m e r m a nn

Die Geschichte des Swiss Alpine Whisky und des Appenzeller Whiskytrek ist eng verbunden mit jener von Appenzeller Bier und Karl Locher, der die Brauerei Locher, die sich seit der Gründung im Jahr 1886 in Familienbesitz befindet, in fünfter Generation leitet. Die Brauerei mit integrierter Brennerei arbeitet seit Aufhebung des schweizerischen Bierkartells vor 26 Jahren mit grosser Fortüne. Locher lancierte verschiedenste Spezialbiere und zählte zu den Ersten, die nach Aufhebung des Brennverbotes hochprofessionell einen eigenständigen Whisky entwickelten. Premiere für den ersten Appenzeller Whisky war im Jahr 2002, und in den Folgejahren holte er an verschiedenen nationalen und internationalen Verkostungen Aus­

zeichnung um Auszeichnung. Das Besondere am Säntis Malt ist der Ausbau in gebrauchten Bierfässern aus Eichenholz, so bleibt ein Hauch von Bier typisch für den Whisky – manchmal zeigt er sich in der Nase, im Gaumen, machmal auch erst im Abgang. Bergwirt Sepp Manser von der auf 1517 Metern über Meer gelegenen Meglis­ alp war vom Appenzeller Whisky derart begeistert, dass er unbedingt sein eigenes Fass in seinem Berghaus haben wollte – kein Problem für eine Brennerei, die ein offenes Ohr für neue Ideen hat. Die Nachfrage nach der «Edition Meglisalp», seinem eigenständigen Säntis Malt mit sechsjähriger Reifung im Bier- und im Portfass, war derart gross, dass der

«Gwonder», die Neugier, bei den anderen Bergwirten geweckt war. Nun wollten alle ein Fass eigenen, speziellen Säntis Malt für die Gäste haben. Im Appenzell weiss man, dass es jedem Einzelnen besser geht, wenn es allen zusammen gut geht. Deshalb rief Sepp Manser gemeinsam mit Karl Locher und dem Bergwirteverein Alpstein den Whiskytrek ins Leben. Keine Schnaps­ idee. Denn heute lagern 25 Berggasthäuser (plus das Stammhaus der Brauerei Locher) ihren eigenständigen, speziellen Whisky in einem Eichenfass. Und Wanderer mit Whisky-Affinität können vor Ort jeweils eine 10-cl-Flasche erstehen, gefüllt mit einer Whisky-Rarität, versehen mit dem Autogramm der Wirtsleute.

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Säntis Malt mit Lärchenfass-Finish: Das Berggasthaus Staubern, Ausgangspunkt für Alpstein-Wanderungen, kann mit dem Bähnchen erreicht werden.

SÄNTIS MALT: 25 BERGGASTHÄUSER, 25 EXKLUSIVE WHISKYS

SÄNTIS MALT: 3 ERHÄLTLICHE WHISKYS

1. Berggasthaus Meglisalp, Weissbad (www.meglisalp.ch) 2. Berggasthaus Bollenwees, Brülisau (www.bollenwees.ch) 3. Berggasthaus Staubern, Frümsen (www.staubern.ch) 4. Drehrestaurant Hoher Kasten, Brülisau (www.hoherkasten.ch) 5. Berggasthaus Plattenbödeli, , Brülisau (www.plattenboedeli.ch) 6. Berggasthaus Ruhesitz, Brülisau (www.ruhesitz.ch) 7. Gasthaus Rössli, Brülisau (www.roessli-ai.ch) 8. Gasthaus Alpenrose, Wasserauen (www.alpenrose-ai.ch) 9. Berggasthaus Forelle, Weissbad (www.gasthausforelle.ch) 10. Berggasthaus Seealpsee, Weissbad (www.seealpsee.ch) 11. Berggasthaus Aescher-Wildkirchli, Weissbad (www.aescher-ai.ch) 12. Berggasthaus Ebenalp, Wasserauen (www.gasthaus-ebenalp.ch) 13. Berggasthaus Schäfler, Weissbad (www.schaefler.ch)

EDITION SIGEL Säntis Malt, Appenzell 40 Vol.-% , 70 cl, Fr. 69.– Ausbau in alten Bierfässern Dezentes, feinwürziges Whiskyaroma, Bier, Vanille, wohldosiertes Holz, sauber. Würziger Auftakt, Whisky, Bier, viel Druck, leichte Schärfe, aromatischer, voluminöser Abgang. 17/20

14. Berggasthaus Mesmer, Weissbad , (www.mesmer-ai.ch) 15. Berggasthaus Rotsteinpass, Weissbad (www.rotsteinpass.ch) 16. Berggasthaus Alter Säntis, Urnäsch (www.altersaentis.ch) 17. Panorama-Restaurant Säntisgipfel, Schwägalp (www.saentisbahn.ch) 18. Berggasthaus Tierwis , Urnäsch (www.tierwis.ch) 19. Restaurant Eggli, Appenzell (www.eggli-appenzell.ch) 20. Waldgasthaus Lehmen, Weissbad (www.lehmen.ch) 21. Berggasthaus Ahorn, Weissbad (www.ahorn.ch) 22. Berggasthaus Hoher Hirschberg, Appenzell (www.hoherhirschberg.ch) 23. Berggasthaus Scheidegg, Gonten (www.scheidegg-ai.ch) 24. Berggasthaus Kronberg, Jakobsbad (www.kronberg.ch) 25. Hotel Kaubad, Appenzell (www.kaubad.ch)

Bergwirt Sepp Manser von der Meglisalp: Sein Säntis Malt beeindruckt, nach sechsjähriger Fass-Reifung auf 1517 Metern, mit einem Port-Finish.

EDITION HIMMELBERG Säntis Malt, Appenzell 43 Vol.-% , 70 cl, Fr. 63.– Ausbau 24 Monate in Bierfässern, anschliessend 24 Monate in verschiedenen Weinfässern Üppige, reife Fruchtnoten, dezentes Holz mit feiner Würze. Saftig, sehr fruchtig, frisch im Gaumen, mittlere Dichte, aromatisch, harmonischer Abgang mit diskretem Holz-Bierfinale. 17/20 EDITION DREIFALTIGKEIT Säntis Malt, Appenzell 52 Vol.-% , 70 cl, Fr. 79.– Peateds Malt (Appenzeller Torf) Ausbau in alten Bierfässern Heftige Raucharomen, gut gewürzter Speck, kalter Russ, volle Frucht, sauber, erstaunlich frisch. Saftig im Antrunk, Russ und Asche, würzige Frucht, viel Druck, ölige Dichte, langes Finale mit Bestätigung aller Aromen. 18/20

ERHÄLTLICH BEI: Säntis Malt, Brauerei Locher, www.saentismalt.ch Glen Fahrn, www.glenfahrn.com www.whiskytrek.ch


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KURZ & KNAPP AUSSTELLUNGEN

Holzskulpturen der Westschweizer Künstlerin Claudia Comte. Heuarbeiten des in Dresden geborenen Künstlers Olaf Holzapfel. Und die «Bergsteigerin» des dänischen Malers Jens Ferdinand Willumsen aus dem Jahr 1912.

KUNST MIT DER KETTENSÄGE «Writing the Mountains»: Die Biennale Gherdëina in Gröden befasst sich in ihrer sechsten Ausgabe mit der Natur der Berge und deren Sprache. 17 Künstler haben sich auf das Thema an der von Adam Budak kurartieren Biennale eingelassen. Darunter Claudia Comte, Westschweizer Künstlerin aus Grancy bei Lausanne mit Atelier in Berlin. Sie arbeitet vor allem mit Holz sowie grafischen Mustern und lässt sich von konkreter Kunst, auch von Comics inspirieren. Comte, der die visuelle Kraft grosser Dinge gefällt nicht erst seit ihrer eindrücklichen Ausstellung in der Gladstone Gallery in New York, arbeitet gerne mit rohen Stämmen und mit der Kettensäge. Ihre Werke finden sich in Sammlungen wie dem Museum of Modern Art oder dem Haus Konstruktiv in Zürich. Letztes Jahr war Claudia Comte eine erste grosse Übersichtsschau im Kunstmuseum Luzern gewidmet. Biennale Gherdëina VI «Writing the Mountains» St. Ulrich-Ortisei, Gröden, Südtirol Dauer: bis 15. September Führungen: jeden Donnerstag um 16.30 Uhr www.biennalegherdeina.org

Claudia Comte gefällt die visuelle Kraft grosser Dinge.

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Jens Ferdinand Willumsen, Bergsteigerin, 1912

AUFBRUCH DER MALER INS FREIE

Kann man aus Heu Kunst machen? Schon, wenn man Olaf Holzapfel heisst und Bauern zur Hand hat, die es einwickeln zu veritablen Seilen. Diese flicht er zu Strohbildern, die eher wie Skulpturen wirken, auch ein entsprechendes Gewicht haben. Seine «Heuernte» ist spekulative-spektakuläre Kunst, die in einer «Geometrie des Materials» mündet. Olaf Holzapfel war Teilnehmer an der letztjährigen documenta 14 in Kassel und Athen.

In den Alpen gibt es kaum Wanderer, die nicht in Hightech-Kunstfasern unterwegs sind, das fast immer in Farbkombinationen, die für «die Suchscheinwerfer der Rettungsdienste» (SZ München) kalkuliert sind. Die «Bergsteigerin», 1912 von Jens Ferdinand Willumsen gemalt, trägt modisch bemerkenswert einen langen Rock, einen Rollkragenpullover und ein locker um die Schultern gelegtes Cape. Das Werk (Öl auf Leinwand, 210 x 170,5 cm) ist Teil der erstaunlichen Ausstellung «Wanderlust» in der Alten Nationalgalerie in Berlin, die 120 Exponate umfasst, angefangen bei Schweizern wie Caspar Wolf und Heinrich Wüest bis hin zu Ernst Ludwig Kirchners «Sertigtal». Erstrangige Leihgaben aus europäischen und amerikanischen Museen unterstreichen die Internationalität des Themas. Mit Rousseaus Parole Zurück zur Natur! und Goethes Sturm-und-DrangDichtung war das Wandern um 1800 zum Ausdruck eines modernen Lebensgefühls geworden. Angesichts der rasanten gesellschaftlichen Umbrüche seit der Französischen Revolution hat sich in einer Gegenbewegung eine neue Form der entschleunigten Selbst- und Welterkenntnis entwickelt, die bis heute nachwirkt.

Kloster Schönthal Olaf Holzapfel Dauer: bis 4. November Öffnungszeiten: Freitag 14–17, Samstag, Sonntag und Feiertage 11–18 Uhr www.schoenthal.ch www.olafholzapfel.de

«Wanderlust» Von Caspar David Friedrich bis Auguste Renoir Alte Nationalgalerie, Berlin Dauer: bis 16. September Katalog: Verlag Hirmer (€ 29,–) www.wanderlustinberlin.de

Foto: Jens Ziehe

HEUERNTE


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KURZ & KNAPP HISTORISCHES SPIELZEUG

Eisenbahnwelt im Miniaturformat, private Spielzeug-Samlung aus Blech, Sportwagen: Das «Traumwerk» von Hans-Peter Porsche nahe der Stadt Salzburg ist Ausflugsziel, Erlebnis-Ausstellung, Gesamtkunstwerk

PORSCHE-TRÄUME Hans-Peter Porsche ist ein echter Porsche. Sein Grossvater, Ferdinand Porsche, prägte die Automobilgeschichte wie kein anderer; sowohl Ingenieur als auch Visionär, baute er den ersten zweisitzigen Sportwagen sowie den ersten Prototyp des Käfers. Vater Ferry erfüllte sich seinen Lebenstraum mit dem 356er, dem ersten Sportwagen mit Namen Porsche. Und sein Bruder Ferdinand Alexander designte den Porsche 911. Hans-Peter Porsche, Jahrgang 1940, hat zwei weitere Brüder, die sich beruflich ebenfalls der Weiterführung und Entwicklung des Lebenswerks ihres Vaters widmen. Mit seinem «Traumwerk» hat Hans-Peter Porsche dem kreativen Vermächtnis seiner Familie einen eigenen Stempel aufgedrückt. Die Liebe zum Sammeln begleitet Hans-Peter Porsche von klein auf. Erst waren es Teddys, dann Bärenkrawatten. Nach der Geburt seines Sohnes Peter Daniell, Ende der 70er-Jahre, kam die Welt der Modelleisenbahnen dazu, bis schliesslich Blechspielzeug zu einer weiteren faszinierenden Passion wurde. Sein traumhaftes «Traumwerk», eine Erlebniswelt in moderner Architekur, hat Porsche auf einem 32 000 Quadratmeter grossen Grundstück bauen lassen. Herzstück bildet der «Achter» in Form einer Rennstrecke mit Porsches privater Spielzeugsammlung: 2100 Exponate aus den Jahren

Ganz in seinem Element. Hans-Peter-Porsche vor der 400 Quadratmeter großen Eisenbahnlandschaft im Traumwerk.

Adresse: Zum Traumwerk 1 D-83454 Anger-Aufham Öffnungszeiten: di–so 9–17.30 Uhr, mo & abends geschlossen Sonderausstellung: «Als das Spielzeug laufen lernte» (bis 30. September 2018)

1860 bis 1930, präsentiert in 142 Vitrinen. Lauter Raritäten, alle voll funktionsfähig. Angetrieben von einfachen Aufziehschlüsseln oder Dampfmaschinen. Motorräder und Autos, Karussells, Strassenbahnen, Schiffe und Zeppeline – die Zeugen einer technikbegeisterten Zeit. Die Spielzeug-Samlung aus Blech ist aber nur ein Teil des «Traumwerks». Ebenso imponierend ist die Modelleisenbahn, die durch Deutschland, Österreich und die Schweiz in gut 2,7 Kilometern führt. Vom Sonnenaufgang bis tief in die Nacht – in nur 17 Minuten vergeht ein ganzer Tag in der 340 Quadratmeter grossen Anlage – ist ständig alles in Bewegung. Auf der Schiene, auf den Strassen. 190 Züge, 80 Modellautos. Deutsche Bahn, ÖBB und SBB verkehren in ihrer jeweiligen Region, überwinden fünf Höhenmeter, passieren 80000 Bäume, 8000 Figuren sowie zahlreiche bekannte Bauwerke. Dafür, dass alles rundläuft, sorgt ein sechsköpfiges Team aus Technikern und Modellbauern. Im «Traumwerk» haben wir übrigens erfahren, dass das legendäre «Krokodil», ein Schweizer Klassiker unter den Gebirgslokomotiven, in diesem Jahr 100 geworden ist. Den populären Namen hat die gelenkige Güterlok CE 6/8 erst im Jahr 1932 bekommen, gebaut als Spielzeug, als Märklin-Lokomotiv-Modell. www.traumwerk.de

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Entdecken Sie unsere Lieblingsrestaurants. Jetzt erhältlich am Kiosk, im Buchhandel oder auf www.gehtaus.ch


KURZ & KNAPP TESSIN

Guter Wein, feines Essen: Der malerische Malcantone mit seiner hügeligen Landschaft, den schmalen Bergstrassen, lauschigen Dörfern und ausgedehnten Kastanienwäldern ist für Weinliebhaber und Feinschmecker ein kleines Paradies.

GROTT DAL FUIN: AM WALDRAND VON AGNO Wer die Treppe hochgeht, den Laternen mit den brennenden Kerzen folgt, wird im eigentlichen Ristorante auf einen Steinmarder treffen, allerdings einen ausgestopften Fuin. Das «Grott dal Fuin», neu von Antonio Zappulla (Küchenchef ) und Verusca Gelmetti (Gastgeberin) übernommen, liegt etwas abgelegen am Waldrand, wo sich Hase, Füchse und Steinmarder Gute Nacht sagen. Aber weit zu fahren braucht man nicht, um sich hier zu Tisch zu setzen, im Garten unter altem Baumbestand, auf der lauschigen Loggia oder im Ristorante. Agno scheint gefühlsmässig weit, weit weg. Rustikale Grotto-Kost ist nicht das Ding der neuen Wirtsleute, sie wollen eine kreative Küche bieten, zu der man in familiärer Atmosphäre ein gutes Glas Wein trinken kann. Das bedeutet beispielsweise: ein im Kochtopf serviertes Hauptgericht wie Rana pescatrice, Seeteufel, ziemlich fest das Fleisch, an Safransauce mit kleinen Kartoffeln, Zucchini, getrockneten Tomaten und Taggiasca-Oliven (Fr. 40.–). Die Carta dei Vini ist nach Rebsorten geordnet, beginnend mit einem Barbera aus dem Piemont, mit diversen aus mehreren Sorten bestehenden Assemblage-Weinen endend. Der Fokus liegt zu 90 Prozent auf Gewächsen, die aus Italien oder dem Tessin stammen. Empfehlenswerte Primi sind: Gnocchetti di Polenta, vier längs platzierte Taler, die von flüssigem, warmem Provolakäse bedeckt sind, etwas gehackte und getoastete Nüsse und ein paar Spritzer Olivenöl machen das Gericht noch einen Tick besser (Fr. 18.–/24.–). Ebenfalls speziell, aber ausgezeichnet: sieben gelbleuchtende Agnolotti mit einer Branzinofüllung an einer Bisque von bretonischem Hummer (Fr. 22.–/26.–). Von selten guter Qualität bei den Secondi: das Tagliata di Manzo (FassoneRind). Via Pezza 13 6982 Agno Fon 091 604 68 57 www.grottdalfuin.ch www.tessingehtaus.ch

IVO MONTI: DAS LIED VOM WEIN Drei Dinge sind es, die unabdingbar zu Ivo Monti gehören. Erstens: ein tätowierter Anker auf dem rechten Unterarm – er stammt aus jener Zeit, als er Offizier auf einem Frachtschiff auf hoher See war. Zweitens: sein Hut resp. seine Hüte – sie sind Zeugnisse seiner Sammelleidenschaft. Drittens: eine schöne Flasche Wein – wie beispielsweise der Jubiläumswein zum 40-jährigen Bestehen der Cantina in Cademario im malerischen Malcantone. Gesehen haben wir den gefeierten Tessiner Weinmacher und Feinschmecker auch schon an seinem Geburtstag Ende August bei Dario Ranza, im stilvollen Ambiente des Restaurants «Principe Leopoldo» über Lugano Paradiso. Ganz alleine für sich tafelnd, die einzige Gesellschaft: eine gute Flasche Bordeaux. Ein jährlich wiederkehrendes Ritual. Ob Ivo Monti seine Geburtstage noch immer auf die gleiche Art zelebriert, wissen wir nicht. Sein Vater Sergio, Bankdirektor in Lugano, liess seinerzeit das familieneigene, verwilderte Land in den Steilhängen der Ronchi di Cademario, hoch über dem Flugplatz von Agno, mit Reben bestocken. Was als Versuchkellerei begann, wurde über die Jahre hinweg zu einem Vorzeigebetrieb mit eindrücklichen Weinen: Rovere, Rosso dei Ronchi Malcantone oder Il Canto della Terra, einem reinsortigen Merlot-Cru, dessen Name eine Hommage an Gustav Mahlers Komposition «Das Lied von der Erde» ist. In Cademario bat Ivo Monti, der seit 1985 Teil der Cantina Monti ist, zur Degustation seiner aktuell erhältlichen Weine. 2017 BIANCO DI CADEMARIO Cantina Monti Müller-Thurgau, Chardonnay, Pinot gris Fr. 27.– 17/20 trinken –2026 2016 ROVERE Cantina Monti 100% Merlot Fr. 33.–, Magnum Fr. 69.–, Doppelmagnum Fr. 165.–, Impériale Fr. 350.– (6 Liter) 17/20 trinken –2032

2016 ROSSO DEI RONCHI MALCANTONE Cantina Monti Merlot, Diolinoir, Carminoir, Cabernet Sauvignon, Cabernet franc Fr. 42.–, Magnum Fr. 85.–, Doppelmagnum Fr. 195.–, Impériale Fr. 395.– (6 Liter) 18/20 2021–2035 2015 ROSSO DEI RONCHI MALCANTONE Cantina Monti Fr. 42.– 18/20 2022–2038

2015 IL CANTO DELLA TERRA Cantina Monti 100% Merlot Fr. 75.– 19/20 2022–2040

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KURZ & KNAPP WA N D E R N

Die Lust zu wandern, in der Zeit um 1800 als Variante des Pilgerns entstanden, hält ungebrochen an. In den Alpen ist sie von besonderem Genuss, weil es zum Glück nicht zwingend Gipfel, Pickel und Steigeisen braucht.

HIKING-GUIDE ZU HIRSCH UND RUHE Wer im Internet nach Andrea Florineth sucht, wird über kurz oder lang ein Schwarz-Weiss-Foto eines attraktiven Mannes mit wildem Haar und geschulterten Skis vor sich haben. Erklärend ist darunter zu lesen: «Andrea Florineth, im Engadin geboren, war von 1966 bis zu seinem tragischen Lawinentod 1986 mein Bergführer. Mit Willy Bogner zusammen drehte er viele Filme und war verantwortlich für die Skipassagen im James-BondFilm von 1985.» Geschrieben hat die Zeilen der deutsche Verleger Hubert Burda (Bunte, Focus usw.). In der «Villa Flor» von Ladina Florineth in S-chanf – sie ist die Gastgeberin im zauberhaften BoutiqueHotel, das gleichzeitig eine Galerie ist, und die Tochter von Andrea Florineth – liegt ein bunter Flyer auf, der eine rote Aufstiegslinie in die Berge zeigt, dessen Zwischenstationen mit Stichworten wie «fi­ shing», «camp fires», «tracking animals», «igloos», «geology» und «silence» markiert sind. Ganz klein ist im grünen Himmel der Name Andrea Florineth zu lesen. Das ist Ladina Florineths Bruder mit gleichem Vornamen wie der Vater, Andrea Florineth, ein ebenso mit der Natur verbundener Mann. Ein Unternehmer, der sich aus dem geschäftigen Leben in St. Moritz verabschiedet hat, ein gescheiter Kopf und wunderbarer Geschichtenerzähler mit HikingGuide-Ausbildung (gibt es seit 2011). Statt Gipfel zu erklimmen, bringt Florineth seinen privaten Gästen auf Touren die prächtige Bergwelt näher. Was gewünscht wird, klärt sich am Abend vor der Wanderung, dann erkennt Andrea Florineth ebenfalls, ob er es eher mit dem Typ Geniesser zu tun hat oder ob die Tour mehr Höhenmeter aufweisen, auch athletischer, ausdauernder ausfallen darf. Ob es um Forellenfang oder Pflanzenreichtum gehen soll oder um die Beobachtung von Schneehuhn und Birkhahn. Ins Val Trupchun im Nationalpark führt Florineth seine Gäste, um Rothirsche, Steinböcke, Gämsen und Murmeltiere zu zeigen, auch Bartgeier und Adler. Vielleicht schneidet er dann bei einem Picknick eine hausgemachte Wurst von der eigenen Steinbockjagd auf, bevor er eine seiner vielen Geschichten zum Besten gibt. Vom Tannenhäher,

der im Sommer bis zu 100 000 Arvennüsschen versteckt und sie im Winter selbst unter einem Meter Schnee wiederfindet. Von weiblichen Ameisen und ihren Sommerresidenzen, von Spatzen und ihren regionalen Dialekten. Andrea Florineths Hiking-Kunden kommen aus aller Welt. Eine Stammkundin ist die erste Frau von Hubert Burda, Christa Maar, eine sportliche, interessierte Frau von 78 Jahren. Mit ihr ist Florineth zusammengezählt 2017 über 300 Kilometer gewandert. Andrea Florineth: +41 79 889 34 63 Ladina Florineth: www.villaflor.ch

BIANCO

SOMMER 2018


IMPRESSUM

BIANCO, 11. Jahrgang Ausgabe Sommer 2018 HERAUSGEBER UND CHEFREDAKTOR Wolfram Meister wolfram.meister@biancomag.ch BIANCO Grubenstrasse 11, CH-8045 Zürich Fon +41 44 450 44 10 BIANCO Via Brattas 2, CH-7500 St. Moritz www.biancomag.ch ART DIRECTOR Jürgen Kaffer GRAFIK Falk Heckelmann

INNSBRUCKS NEUE PERSPEKTIVEN Snøhetta ist ein Berg in Norwegen. Auch der Name eines renommierten Studios für Architektur- und Landschaftsplanung mit Hauptsitz in Oslo und New York, zu dem Ableger in San Francisco, Innsbruck, Stockholm und Adelaide gehören. Zu den Werken Snøhettas zählen die Oper in der norwegischen Hauptstadt, die Gestaltung des Museumspavillons am Ground Zero in New York, aber auch das Brand Design von Valser, dem Mineralwasser. Das Innsbrucker Büro – einer der Snøhetta-Gründer hatte in Innsbruck mehrere Jahre als Architekturprofessor gelehrt – ist für die Erweiterung der Swarovski-Kristallwelten in Wattens verantwortlich. Zudem für den neuen «Perspektivenweg» auf der Seegrube (1905 Meter), in weniger als 20 Minuten von Innsbruck mit der Nordkettenbahn zu erreichen. Mit

zehn markanten Installationen aus Cortenstahl und Lärchenholz, die sich aus der Landschaft heraus entwickeln, gleichzeitig einen markanten Kon­ t­rast­punkt zur umgebenen Topo­ graphie bilden. Attraktive Standorte, um Bekanntes aus einer anderen Perspektive zu erkunden. Die an den Objekten angebrachten Zitate des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889–1951) sollen den Blick in die Ferne und gleichzeitig auch ins Innere der Besucher lenken. Der in rund 45 Minuten zu bewältigende «Perspektivenweg» stellt neben den denkmalgeschützten Stationen Hungerburg, Seegrube und Hafelekar von Architekt Franz Baumann und der von Zaha Hadid entworfenen Hungerburgbahn mit ihren Stationen ein weiteres bekanntes ArchitekturHighlight in Innsbruck dar. blog.innsbruck.info/ snohetta.com

VERLAG, ANZEIGEN BIANCO Verlag GmbH Brigitte Minder Grubenstrasse 11, CH-8045 Zürich Fon +41 44 450 44 12 brigitte.minder@biancomag.ch REDAKTION AUTOREN Dario Cantoni, Mirko Beetschen, Hans-Jügen Jakobs, Werner Jessner, Michael Jürgs, Stefan Maiwald, Christoph Schuler, Linda Solanki, Brigitte Ulmer, Nina Vetterli, René Zimmermann FOTOGRAFEN Röbi Bösch, Gian Marco Castelberg, Lorenz Cugini ILLUSTRATIONEN Helge Jepsen COMIC Andrea Caprez PRODUKTEFOTOS mit freundlicher Genehmigung der Hersteller COVERFOTO Gian Marco Castelberg ENGLISCHE TEXTE Katharina Blansjaar KORREKTORAT Marianne Sievert DRUCK AVD Goldach, Sulzstrasse 10, CH-9403 Goldach Auflage Sommer 2018 20 000 Exemplare PREIS Einzelheft CHF 25.– BIANCO erscheint 2x jährlich, im Sommer und Winter Alle Rechte vorbehalten www.biancomag.ch Freunden Sie sich mit BIANCO auf Facebook an: www.facebook.com/biancomag

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iese Ausgabe von FRENZELS WEINSCHULE will Ihnen Wein praktisch und unmittelbar nahebringen. Renommierte Autoren vermitteln auf neue und informative Weise das Grundwissen rund um das Thema Wein. Im Mittelpunkt stehen Charakter und Aromenprofil der wichtigsten Rebsorten und die Welt der Sensorik. Vor allem die anschauliche Bild-

sprache hilft dabei, die geschmacklichen Unterschiede der Weine auf einen Blick zu erfassen. Weitere Schwerpunkte bilden die umfassende und tiefgründige Geschichte des modernen Weins und das Thema Essen und Wein mit vielen hilfreichen Hinweisen für eine gelungene Wein und Speisen-Kombination. Konkrete praktische Tipps und Informationen zu den Themen Weinkauf und Weinpflege, die Weinprobe zu Hause und den wichtigsten Accessoires beschließen diesen opulenten Bildband.

Barriquekeller der Weindynastie der Marchesi Frescobaldi

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BIANCO 

SOMMER 2018


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Ü B E R A L L E B E R G E M I T… CHRISTIAN JOTT JENNY

FESTIVALMACHER CHRISTIAN JOTT JENNY Tenor, Schauspieler, Kulturunternehmer Inhaber der Firma Amt für Ideen in ­Zürich, Gründer und Artistic Director Festival da Jazz St. Moritz, seit 2007 www.amt-fuer-ideen.ch, www.chjj.ch Festival da Jazz St. Moritz 5. Juli bis 5. August 2018 Dracula’s Ghost Rider Club Plazza Gunter Sachs, 7500 St. Moritz Weitere Locations in St. Moritz: Terrasse Hauser‘s Hotel Sunny Bar im Kulm-Hotel www.festivaldajazz.ch

BIANCO

SOMMER 2018


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AN JEDEM MUSIKFESTIVAL STEHT DIE MUSIK IM VORDERGRUND. DOCH NUR AM FESTIVAL DA JAZZ ST. MORITZ IST DIESER VORDERGRUND ZUM GREIFEN NAH. DER CHARMANTE DRACUL A’S CLUB MIT SEINER UNÜBERTROFFENEN ATMOSPHÄRE IST HERZ UND SEELE DER KONZERTE. DIE UNGL AUBLICHE NÄHE ZWISCHEN KÜNSTLERN UND PUBLIKUM WIRD BEIDSEITS GESCHÄTZT. CHRISTIAN JOTT JENNY HAT DAS FESTIVAL DA JAZZ ST. MORITZ VOR ELF JAHREN INS LEBEN GERUFEN.

I n t ervi ew : Wo l fra m Me i s t e r Fo t o graf i e: G i an M a r c o C a s t e l b e rg

spielt das gegenseitige Vertrauen, und das ist grösser als jeder Vertrag, wie viele Seiten dieser auch immer hat. f__ Gibt es nicht auch einen Gönnerverein

des Festival da Jazz St. Moritz?

Die Amis. Sie sind der sicherste Wert des Festivals. Momentan sind es 150 Mitglieder, die mit je 500 Franken zur exklusvien «Familie» von Jazz-Geniessern und Jazz-Unterstützern gehören. Sie erfahren zuerst, wie das nächste Programm aussieht, und profitieren von diversen Vorzügen, beispielsweise haben sie die Möglichkeit, Tickets vor dem offiziellen Verkaufsstart zu beziehen. Die Amis sind für mich ein wichtiger Teil der ganzen Geschichte, und sie sind auch Antrieb.

a__

f__ Sie selbst engagieren die Künstler? f__ Sie kommen gerade aus Chur zurück

f__ Was haben Sie für ein Budget?

nach St. Moritz.

a__ Einen Bruchteil von Montreux. An und

a__ Ja, ich war betteln.

für sich beginne ich jedes Jahr bei null. Das wird sich auch beim 12. Festival da Jazz ­St. Moritz im Jahr 2019 nicht ändern. Die Finanzierung ist eine jährliche Zitterpartie.

f__ Betteln? a__ Bei Martin Jäger, dem Depart­ ements­ vorsteher des Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartements im Kanton Graubünden. f__ Und, hat es was gebracht? a__ Nichts, es war ein weiterer vergeblicher,

nutzloser Versuch. In Chur habe ich schon unheimlich viel Zeit meines Lebens verplempert.

f__ Als Aussenstehender denkt man, Sie hätten mit Ihren Sponsoren Verträge über mehrere Jahre?

Das war früher vielleicht einmal so. Heute schliesst man für ein Jahr ab. a__

Um ein Wiedererwägungsgesuch. Um das Open-Air-Konzert des italienischen Pianisten Ludovico Einaudi am Lej da Staz. Die drei Gemeinden Pontresina, Celerina, St. Moritz haben je 50 000 Franken geprochen. Und ich bat Herrn Jäger, mit einem gleichen Betrag mitzuziehen. Doch wie gesagt: Es ist schiefgelaufen, er ist bei seiner ablehnenden Haltung geblieben. Er gebe schon reichlich Geld ins Oberengadin. St. Moritz bleibt das ewige Stiefkind mit schlechter Lobby in Chur.

a__

f__ Regierungsrat Jäger ist im Sommer

nicht mehr zur Regierungsratswahl angetreten.

Vielleicht ist das ein Glücksfall, eine Chance. Jedenfalls bin ich voller Hoffnung. a__

f__ Aber die Finanzierung des Einaudi-

Konzertes haben Sie hinbekommen?

Ja, irgendwie klappt es am Schluss dann doch immer. Ich führe achtzig, neunzig Gespräche, und beim 93. Termin geht plötzlich ein Türchen auf. Bei diesem Job darf man nie nachlassen, aufgeben schon gar nicht. a__

f__ Wie viele Konzerte sind es jeweils pro

Festival? a__ Etwas

über 60.

f__ Dieses Mal findet eines auch in einem

f__ Aber es gibt sicher Ausnahmen?

Hotel-Hallenbad statt?

Lexus ist dafür ein schönes Beispiel. Aber auch da sitzt man Jahr für Jahr zusammen und diskutiert. Mit Gerhard Schürmann, CEO der Emil Frey Gruppe, und Philipp Rhomberg, Neffe von Walter Frey, der über zehn Jahre im Dienste von Toyota und Lexus stand. Alle sehen die Partnerschaft als Long-Term-Project an, und beide Seiten sind im Grunde genommen stolz auf die Zusammenarbeit. Aber sie wird jährlich hinterfragt, was ja auch richtig und okay ist.

Ja, Violinen-Virtuose Nigel Kennedy­ wird Bach im schönen Hallenbad des Hotels «Bären» spielen. Und am darauffolgenden Tag sein neues Gershwin-Programm im «Dracula’s Ghost Rider Club» anstimmen.

a__ f__ Worum ging es konkret?

Ja, das ist meine Aufgabe. Zu schauen, was passt. Die Mischung. Das Gefühl für das Geschäft hat sich über all die Jahre entwickelt. Eine wunderbare Grundregel der Geschichte ist: Künstler wollen spielen. Ob Norah Jones oder Nigel Kennedy, Billy Cobham, Helge Schneider oder die Jazzrausch Bigband.

a__

f__ In den Marketing-Abteilungen möglicher

Sponsoren herrscht oft eine gewisse Angstkultur.

Das kann man laut sagen. Es gibt unendlich viele Mäppchenträger und etliche von ihnen gebärden sich in ersten Gesprächen als Entscheider, gehören aber meist zu jenen Angestellten, die vor allem Angst haben, einen Fehler zu machen.

a__

f__ Was verbindet Sie privat mit St. Moritz?

Ich wohne hier. Bei Rolf Sachs im Olympiastadion.

a__

ENGLISH SUMMARY

C HR IST IA N JOT T JEN N Y

a__

f__ Verträge haben ja auch nicht mehr den

gleichen Wert wie einst.

Eigentlich sind Verträge nichts wert. Am liebsten arbeite ich ohne. Per Handschlag ist es mir am liebsten, am allerliebsten mit dem Patron persönlich. Da a__

The incredible closeness between artists and their audience at the Festival da Jazz St. Moritz is much appreciated by both sides. Its main venue is the charming Dracula’s Club with its unsurpassed atmosphere. Christian Jott Jenny launched the festival eleven years ago and is taking it into unchartered territories this year – into a hotel pool, to be precise! «Violin virtuoso Nigel Kennedy will play Bach at Hotel Bären’s beautiful indoor swimming pool. And the next day, he will be striking up his new Gershwin program at Dracula’s Ghost Rider Club.»


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Foto: Max Rive

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BYE-BYE! Die Jury bewertete 3518 Aufnahmen von 866 Fotografen: Gewonnen hat die «International Landscape Photographer Competition» der in der Schweiz lebende Holländer Max Rive (www.maxrivephotography.com) in den Kategorien «Bester Fotograf» und «Bestes Foto». Mit diesem Alpen-Bild von Max Rive sagen wir: Bye-Bye! Bis zur Winter-Ausgabe von BIANCO. DAS NÄCHSTE HEFT ERSCHEINT IM NOVEMBER 2018 www.biancomag.ch

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