BIANCO Alpine Lifestyle Magazine Winter 2018/2019

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«Sowie nicht jeder träumt, der schläft, so schläft nicht jeder, der träumt»

GEORG CHRISTOPH LICHTENBERG MATHEMATIKER, NATU RFORSCHER UND ERSTER DEUTSCHER PROFESSOR FÜR EXPERIMENTALPHYSIK (1742–1799)


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EIN BILD

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1000 WORTE Fo t o g ra f i e : Me l a ni e Ma nc ho t Te x t : N i e l s -Vi g g o H a u e t e r

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b der Verkehrsverein Engelberg wohl Freude hat, wenn es plötzlich Schneekunst statt Kunstschnee gibt? Immerhin wirbt er auf seiner Website damit, dass Bilder mehr über Engelberg sagen als 1000 Worte. Was den Ort für diese Seiten prädestiniert. Ebenso die Künstlerin Melanie Manchot, die sich seit einigen Jahren von der Gegend inspirieren lässt. Aber hier hat die Fotografin wohl vergessen, den Titlis abzubilden. Und das Kloster. Dort gibt es auch Kunst. Bruder Xavers «Engel der Apokalypse» zum Beispiel. Wenigstens eins der schönen alten Grandhotels hätte sie wählen können. Das «Palace» zum Beispiel. O.k., das wird zurzeit umgebaut, und so eine Baustelle gibt nicht viel her. Aber das «Terrace», oder das heruntergekommene aber kinderfreundliche «Edelweiss». Das wird allerdings bald in Luxusappartements umgebaut. Da lief aber bis vor kurzem auch so ein verkleidetes Tier rum, nämlich ein Globi, der die Kinder erfreute. Die weissen Tiere auf unserem Bild sind da gewiss kein Ersatz. Etwas unheimlich wär’s, ihnen unvermittelt im Engelberger Wald zu begegnen. Stehen da rum, und man weiss nicht, warum. Und wie sie hergekommen sind, noch weniger. Keine Spuren im Schnee, kein Erdloch, keine Höhle, aus der sie hervorgekrochen sein könnten. Und die Birkenbäume sind zu fragil, als dass sie da hätten herunterspringen können. Führen sie Böses im Schilde? Freundlich sehen sie ja nicht gerade aus. Und dann diese Overalls. Perfekt gebügelt, mitten im Wald. Und wer weiss, warum weiss? Überhaupt überall Weiss. Birken und Himmel auch. Jedes Weiss aber anders. Und dann diese Masken. Hase, Bär, Reh (oder ist’s ein Eichhörnchen?) und ein Pudel. Oder ist’s ein Windhund? Und überhaupt, was machen die da? Und war­ um nicht richtige Tiere? Das kann natürlich auch ganz praktische Gründe haben. Stellen Sie sich vor, Sie müssen Bär, Hase und andere Tiere aufrecht stehend im Wald fotografieren. Da ist es einfacher, ein paar Leute entsprechend auszukleiden. In früheren Serien fotografierte die Künstlerin noch richtige Menschen aus Engelberg. Den Salmi im Erste-HilfeRaum zum Beispiel und die Janett von der Bergbahn. Und sie filmte die Sprungschanze, wie sie für den grossen Sprung vorbereitet wird. Ein Kunstwerk, das glatt als Dokumentarfilm durchgehen könnte. Da wird nichts schön dargestellt, nichts

dramatisiert. Ein einsamer Kommentar auf Youtube attestiert dem Film, er sei «boring». Wir haben selten eine solche Fehleinschätzung gelesen. Langsam und respektvoll ja, aber langweilig nicht. Das Wetter ist grau und kalt, und Männer im Schnee müssen die Spuren auf der Schanze für die Springer präparieren. Über 123 Meter wird jeder Zentimeter liebevoll begradigt und geputzt. Und erst der Film «Out of Bounds», wo eine nächtliche Fahrt mit dem Ratrac und eine ausgelöste Lawine um einiges apokalyptischer wirken als Bruder Xavers Engel. Der Schnee ist fast schwarz. Und hier sehen wir die Menschen nicht mehr oder nur so klein wie Ameisen. Selten haben wir die Berge mächtiger erlebt. Zurück zu unserem Bild mit Tieren. Eine ziemlich schräge Aufnahme, wo der goldene Schnitt eben schräg durch die Landschaft geht. Hinter den Tierverkleidungen stecken natürlich Menschen. Und wir wüssten gerne, welche. Wir würden auf Männer tippen. Zumindest Hase und Pudel, denn sie haben die Hände im Hosensack. Das machen nur Männer. Beim Jodeln zum Beispiel. Aber das scheinen keine jodelnde Engelberger zu sein. Sieht eher aus wie eine Popgruppe. Die stehen auf den Covers auch jeweils in unnatürlichen Posen in unwahrscheinlichen Gegenden rum. Die beiden hinteren könnten auch Frauen sein. Kann ja sein, dass Frauen die Hände gern hinter dem Rücken verschränken. Ausserdem haben sie nur eine Brusttasche, und Männerkleider haben mehr Taschen als Frauenkleider. Die Fotografie, so erhellen unsere Recherchen, stammt aus einer Ausstellung mit dem Titel «White Light Black Snow». Das Bild steht dort auf zwei weissen Sockeln, die aussehen wie zu spitze Zuckerhüte. Daneben andere weisse Bilder, einige davon nur aus dem Rahmen bestehend. Weiss, natürlich. «Snow Tracks» und «Snowflakes» heissen die Rahmenbilder, die den Blick auf die weisse Wand dahinter gewähren. Jede Wand in einem anderen Weiss übrigens.

MELANIE MANCHOT Aus der Ausstellung «White Light Black Snow» in der Parafin Gallery, London.

In einem weiteren Raum sind die Bilder viel dunkler, aber immer noch irgendwie weiss. Fast schwarzes Weiss eben. Auf schwarzen Pendants zu den weissen Zuckerhüten steht ein mächtiges, nächtliches Panorama, das den Hahnen, das Wahrzeichen von Engelberg, zeigt. Als das Engelberger Kloster 1124 fertig wurde, sollen auf dem Hahnen die Engel gesungen haben, was dem Ort dann seinen Namen gab. Aber die Künstlerin nennt das Bild nicht «Hahnen», sondern «The Lake». Im Vordergrund ein dunkelweiss zugeschneiter Bergsee, den man erst wegen des Bildtitels erkennt, und das Ganze so schön, wie kaum jemand Engelberg je gesehen hat. Wenn Kunstkritiker (zu denen wir uns nicht zählen) mit der Interpretation nicht mehr weiterkommen, dann greifen sie auf die Biografie der Künstler oder Künstlerinnen zurück. Melanie Manchot lebt in London, und das passt irgendwie. Denn schliesslich haben seinerzeit die Engländer den Tourismus erfunden und die Schweizer Alpen zu dem Ferienparadies gemacht, das es heute ist. Nichts als recht vielleicht, dass eine Deutsch-Engländerin nun einen anderen Blick auf unsere Alpen wirft. Oder besser gesagt, unsere Alpen in ein anderes Licht rückt. Der Name, der könnte noch etwas erklären. Melania bedeutet so viel wie schwarz im Griechischen. Und ein «manchot» auf französisch ist ein Pinguin. Und der ist schwarz und weiss. Klar also, dass die Künstlerin sich mit diesen Farben beschäftigt. Die Birken im Bild werden so auch verständlicher. Wussten Sie nämlich, dass man früher aus Birken Pech herstellte? Also aus der weissen Rinde so richtig pechschwarzes Pech? Weiss allein ist unsichtbar, vor allem für die Kamera. Es wird erst sichtbar, wenn etwas drum herum ist. Ein anderes Weiss zum Beispiel, wie die weissen Rahmen in der Ausstellung, bei denen man genau hinschauen muss, um die Nuancen und den Schalk zu erkennen. Und Schwarz sieht man auch nicht. Weder Schwarz noch Weiss kann man alleine fotografieren. Nur beide zusammen. Um nochmals auf unsere Frage vom Anfang zurückzukommen: Wir denken, der Verkehrsverein ist froh um diese Sicht auf Engelberg. Stolz sogar. Denn Kunst ist ja auch Werbung. Werbung für ein anderes Leben, wo das Denken Vergnügen macht. Und daher würden wir trotzdem gern wissen, was des Pudels Kern denn ist. Oder ist es doch ein Windhund?

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EDITORIAL

Unterhaltung Was hat ein schwarzohriges Brillenschaf aus Villnöss in Südtirol mit einem blonden Yachtbroker auf dem Cresta Run in St. Moritz zu tun? Ein Häuschen für 78 zwitschernde Vögel mit der unberechenbaren Naturgewalt einer Lawine? Die Arbeiten eines Pariser Architekten und Interior Designers argentinischer Herkunft mit flauschigen Teddy-Mänteln? Der Einfachheit halber machen wir es kurz: nichts! Wobei ein Wort allein nur selten ausreicht, um zu beschreiben, worum es eigentlich geht. Meist muss etwas weiter ausgeholt, eine Geschichte erzählt werden. Die beginnt in diesem Fall so. Wir arbeiten journalistisch – was heute spezieller Erwähnung bedarf. Mit anderen Worten: Wir verwalten keinen gemanagten, vorgekauten Content, um ihn anschliessend verdaulich weiterzuverbreiten. Wir haben selbst, ganz nach unserem Gutdünken, über den Inhalt dieser BIANCO-Ausgabe entschieden, womit wir Sie in unserem Magazin unterhalten möchten. Wir freuen uns über unseren Alpenbitter auf Papier. Den frisch gezeichneten, dreiseitigen Comic von Andrea Caprez, bei dem Christoph Schuler mit Blasentexten für den letzten Schliff sorgt. Malen uns beim Lesen aus, dass sich unsere Autorin Brigitte Ulmer mit dem gebürtigen Emser Künstler Corsin Fontana vortrefflich verstanden haben muss. Lernen im Porträt von Michael Jürgs ganz andere Seiten des Diogenes-Verlegers Philipp Keel kennen. Der Sätze erfunden hat wie diesen: «Ein Schnitzel verschlingen Sie in zehn Minuten. Einen Roman eher nicht.» Zur Magie der Lektüre kommt die Magie der Bilder. Beim Gran Turismo auf dem Berninapass, einer Arbeit von Gian Marco Castelberg. Bei den «Mountains», fotografiert von Robert Bösch. Ihm geht es nicht um Bergerlebnisse, es ist mehr die Menschenleere, die den Zauber seiner Bilder ausmacht. Die manchmal unheimliche Gebirgswelt, in welcher der Mensch nur eine Nebenrolle spielt. Auch wenn er sehr wohl, allerdings erst auf den zweiten, dritten Blick, auf allen Aufnahmen winzig klein zu erkennen ist. Und jedes «Mountains»-Bild auch deshalb seine eigene Geschichte erzählt. Was Luis Trenker mit Brillenschafen zu tun hat, erfahren Sie auf einer der folgenden Seiten. Da werden Sie auch auf die Frage des Interior Designers Luis Laplace stossen: «Warum haben die Schweizer so Angst vor Farben?» Das hat mit den teils bunten Teddy-Mänteln rein gar nichts zu tun – aber irgendwie gehört alles halt doch zusammen.

WOLFRAM MEISTER HERAUSGEBER UND CHEFREDAKTOR

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14 APROPOS Brottöpfe. Kunst in Kaschmir. Blaues Wunder. Piepshow in den Bäumen. Flauschige Teddy-Mäntel

22 CORSIN FONTANA Horizontal. Vertikal. Mit dem Sinn für das Karge macht der gebürtige Emser Künstler zwei rare Güter erlebbar: Tiefe und Konzentration

34 MOUNTAINS Das Buch des Fotografen Robert Bösch ist nicht das Buch des Bergsteigers Robert Bösch. Doch ohne den Bergsteiger hätte der Fotogaf dieses Buch nicht realisieren können

50 LUIS LAPLACE Der argentinische Architekt und Interior Designer und sein Projekt für die Galerie von Hauser & Wirth in St. Moritz

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7.12.2018


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56 BERNINA GRAN TURISMO Stierkampf, Alpinismus und Autorennen waren die einzigen Sportarten, die Ernest Hemingway anerkannte. Das Bernina Gran Turismo verbindet sie alle drei, findet Kurt Engelhorn. Aber gut, er hat es ja auch erfunden

RUBRIKEN 9 Editorial 82 Kurz & Knapp 91 Impressum 93 Comic 98 Letzte Seite

72 PHILIPP KEEL Ein Mann für gewisse Augen-Blicke. Wie Keel seine Begabungen als Künstler mit seinen Aufgaben als Diogenes-Verleger vereint

96 ÜBER ALLE BERGE MIT… Nikolaus Jülich, Sieger im «Grand National» am Cresta Run in St. Moritz

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APROPOS PRODUKTE, TIPPS UND MEHR

FÜR KN US PRIG ES B R OT

WINTERLICHE BÉBÉ-SETS IN VIELEN FARBEN Das Unternehmen, man glaubt es kaum, nahm vor 45 Jahren seinen Anfang. 1974 also übernahm Monique Meier das Geschäft des Seidenherstellers Brauchbar & Söhne und taufte es um in enSoie. Die erste Kollektion bestand aus Seidenfoulards, die mit den Werken bekannter Künstler, unter anderem von Moniques Mann, Dieter Meier, bedruckt waren. Das Angebot beschränkt sich längst nicht mehr auf Foulards, sondern umfasst Kissen, Kleidung, Schmuck, Schuhe, Taschen, Schlüsselanhänger, Porzellan und mehr. Ein Longseller sind die rustikalen Keramiken, vor allem die handgefertigten und bemalten Vasen und Schüsseln mit Karomustern und dem Goldrand als Markenzeichen. Im enSoie

werden aber nicht nur Waren, sondern es wird ein Lebensgefühl geboten. Das reicht bis zum kürzlich erschienenen Kochbuch («Familiengeschichten und Geheimrezepte»), mit dem dieses enSoie-Gefühl bis nach Hause verlängert werden kann. Jüngst bekamen auch die Kleinen ihren eigenen Laden, den Petit enSoie. Mit Kinderkleidern, Accessoires und vielem mehr. Was von weichen Baumwoll-Fussbällen über Panda- und Monkey-Foulards bis zu Hasen-T-Shirts und Badetücher-Ponchos reicht. Besonders hübsch sind die winterlichen Bébé-Sets in Kaschmir aus Nepal: es gibt sie in Rot mit Dunkelblau sowie in Beige mit Pink oder mit Hellblau.  www.ensoie.com

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Antikes Metall, jahrhundertealtes Alpenholz, gebranntes Steinzeug. Zusammen ergibt das ein funktionales Produkt, Töpfe für knuspriges Brot, handgefertigt von der Keramikerin Melanie Weissmann im Inntal. Um die Auflagefläche des Brotes zu mindern, sind im Innern Rillen im Boden eingearbeitet. Kleine Löcher an den Seiten ermöglichen zudem einen geregelten Luftaustausch. Passend zu jedem Brottopf kommt ein individuell gefertigter Deckel aus antikem Alpenholz, welcher mit unterschiedlichsten Griffen aus Alteisen versehen ist. Jeder Brottopf von Melanie Weissmann ist ein Unikat.   www.melanieweissmann.de

KUNST IN KASCHMIR Die Inspiration holte sich der britische Designer Paul Smith nicht im Museum, in der Ausstellung von Anni Albers in der Tate Modern in London (350 Exponate, bis 27. Januar 2019). Smith zählt seit vielen Jahren, seit den Anfängen seiner Karriere, zu den Bewunderern von Anni Albers. Erstmals hatte er im Spital von ihr gehört, als er nach einem Unfall seine Ambitionen, Velorennfahrer zu werden, begraben musste. Von Kunststudenten. Jetzt ist ein Wandteppich, eine Arbeit Anni Albers’ aus dem Jahr 1925, der Ausgangspunkt, der in einer limitierten Strick-Kollektion von Paul Smith gipfelt. Mit Pullovern aus Kaschmir und Schals und Plaids aus Lammwolle, grossflächig gestreift. Anni Albers, die anfänglich die traditionelle Handwerkskunst des Webens gar nicht mochte, leitete ab 1931 die Weberei am Bauhaus Dessau.  www.paulsmith.com www.tate.org.uk


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APROPOS PRODUKTE, TIPPS UND MEHR

Typisches Alpine-Blau, die A 110. Die passende Uhr dazu ist die Tissot Alpine On Board, die sowohl als Automatik-Chronograph als auch als DreizeigerQuarzuhr erhältlich ist.

BLAUES WUNDER Auf dem Autosalon in Genf wird im März das «Auto des Jahres 2019» gewählt. Unter den Favoriten der sieben Finalisten: die Alpine A 110. Die Geschichte der Alpine begann mit Jean Rédélé, einem Renault-Händler und Rallye-Fahrer, der ab 1955 kleine, leichte Rennwagen mit Kunststoffkarosserie und bewährter Renault-Technik baute und sie in Erinnerung an seinen Sieg beim Coupe des Alpes 1945 Alpine nannte. Zur Alpine gehören von jeher Zeitmesser – eine Kult-Uhr war die PR 516 mit Locharmband in Anspielung an die damaligen Steuerräder. Ein hübsches Accessoires zur Alpine A 110 ist eine geniale Armbanduhr, deren Gehäuse losgelöst fixer Bestandteil des Armaturenbretts sein kann.  www.tissotwatches.com, www. alpinecars.com

2,7 EINE ZAHL & IHRE GESCHICHTE

KNOCHEN-HOCKER Die Namen sind ausgesucht: ilio und OKRO. Studio ilio, das sind zwei Designer, der Bündner Fabio Hendry aus Sedrun und der Südkoreaner Seongil Choi, die in London mit spielerischem Drang Möglichkeiten neuer Materialien erforschen, samt deren gestalterischen Konsequenzen. OKRO ist ein vor zwei Jahren gegründetes Label für Schönes und Gutes in Chur, hinter dem der Architekt Heinz Caflisch steht. Für ihn hat das Studio ilio gerade eine Kleinserie von Objekten entworfen, Hocker, Bänke, Garderoben und Leuchten, bei denen in einem neu entwickelten Verfahren das aus 3-D-Druckern anfallende Nylonpulver rezykliert wird.  www.okro.com, www.studio-ilio.com

64,3 Millionen Kilometer lang sind zusammen­ gezählt alle Strassen der Welt. 2,7 Leben benötigte ein Mensch, um diese Strecke abzufahren, wenn er an jedem Tag seines Lebens acht Stunden lang mit 100 Kilometern pro Stunde Auto fahren würde. 16 Tage brauchte der karthagische Feldherr Hannibal, um im Jahr 218 v. Chr. mit seinem Heer und 40 Elefanten die Alpen zu überqueren. 3 Stunden dauert es heute, um mit dem Auto eine vergleichbare Strecke von der Rhone- bis in die Po-Ebene zurückzulegen.

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17 Wer sich die Vögel lieber in die Wohnung holt: Dank Bewegungsmelder gibt es Vogelgezwitscher wie beim Waldspaziergang.

PIEPSHOW IN DEN BÄUMEN Vogelhäuschen haben ein biederes Image. Was sich langsam zu ändern scheint, seit sich Architekten- und Designbüros mit der Ästhetik der Mini-Behausungen befassen, ganz aus der Sicht des guten Geschmacks. Ob Vögeln zusammengezimmerte Schwarzwaldhüttchen besser gefallen, lässt sich nicht sagen. Wie auch das Für und Wider des Fütterns oder Nichtfütterns eine Glaubensfrage bleibt. Ein kleines Futterhäuschen mit Terrasse und Bullauge im Satteldach basiert auf dem Know-how der beiden Archi­tektinnen Marek Obtulovic aus der Tschechischen Republik und Mai Lan Chi aus Hanoi in Vietnam. Im Sortiment der kalifornischen Schreinerei Sourgrassbuilt in Santa Cruz befinden sich Vogelhäuschen, die sich an der Architektur von Frank Lloyd Wright, Joseph Eichler oder der Bauhaus-Ära orientieren, allesamt sind sie handgemacht. Mit 78 Vögeln lässt sich Wand an Wand im BirdAppartement genannten Baumhaus der japanischen Designfirma Nendo hausen – die arbeitet gerade am Intérieur des zukünftigen TGV in Frankreich. www.nendo.jp, www.sourgrassbuilt.com, www.zwitscherbox.com


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LAUTER PELZ-IMITATE? JA, SELBSTVERSTÄNDLICH! FAKE FUR IST MEHR ALS NUR EIN WINTERTREND. KUSCHEL-MÄNTEL AUS TEDDY-FELL

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1/H&M Fellimitat-Jacke mit grossem Kragen www.hm.com 2 / DRIES VAN NOTEN Faux Fur, elfenbeinfarbig, mit grünem, diagonal verlaufendem Streifen www.driesvannoten.be

CHIG!

3 / MIU MIU Faux Fur in Braun und Lila mit XL-Knöpfen im Blumen-Look www.miumiu.com 4 / STINE GOYA Pinkfarbener Faux Fur Coat mit unsichtbarem Knopf www.stinegoya.com 5 / CLOSED Mantel aus Original-Teddyfell, bernsteinfarben. Webpelz der Traditionsmarke Steiff, die seit 1880 Stofftiere produziert. Für die Produktion wurde das originale Steiff-Bärenfell benutzt. www.closed.com 6 / FUZZ (not fur) Falscher Luchs www.fauxfur.com 7 / PETER PILOTTO Farbenprächtiger Wollmantel mit Seidenfutter www.peterpilotto.com 8 / SHRIMPS Mantel mit Herz-Print www.shrimps.co.uk 9 / ZARA Senfgelber Mantel www.zara.com 10 / GIVENCHY Jacke aus falschem Pelz, oversized geschnitten www.givenchy.com 11 / PEAK PERFORMANCE Flauschiger Teddy-Mantel www.peakperformance.com

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APROPOS PRODUKTE, TIPPS UND MEHR DAS MITMACHBUCH FÜR GIPFELSTÜRMER

BERGE! Piotr Karski, Moritz Verlag

FÜR SONNIGE TAGE Nico Pesko ist ein Label und Pesko auf der Lenzerheide das Mode- und Sportgeschäft. Seit 1911. So weit, so gut. Der Anspruch aber ist: qualitativ weiterwachsen. Nico Pesko legt mit eigenen Kollektionen starke Auftritte hin, lanciert Neues in Kollaboration mit innovativen Partnern. Jüngst mit dem Brillenlabel Viu. Sein an Gletscherbrillen erinnerndes Modell fällt mit markantem, seitlichem Sonnenschutz auf. The Adventurer vereint neueste 3-D-Druck-Technologien mit höchstem Designanspruch. Der Rahmen ist aus ultraleichtem, flexiblem und hochresistentem Polyamid-Staub gedruckt, mattschwarz und in Kombination mit grau verspiegelten Gläsern erhältlich – inklusive Brillenband in Rot, Gelb oder Grün. Der Preis: 245 Franken. www.pesko.ch

Ist das nun ein Kinderbuch? Früher hätte man, ohne zu zögern, geantwortet: Ja. Es steht so auch bei der Empfehlung: ab 6 Jahren. Seit wir uns, ausgewachsen, wie wir sind, selber mit Ausmalen die Zeit vertreiben, könnte man bei diesem Beschäftigungbuch zumindest sagen: Jein. Also her damit, hinauf zu Murmeltieren, Silberdisteln, Wasserfällen, Hirschgeweihen, Berghütten und Slalomstangen. Hinein in den Gotthard-Basistunnel und den Verdauungstrakt eines Bären. Dessen Speiseplan wird minutiös aufgeführt, vom Frühstück (Gras, Pilze, Ameiseneier, Maus, Tau) bis zum Abendessen (Forelle, Regenwürmer, Specht-Ei). Und soll nun in den Magen hineingezeichnet werden. «Stell Dir vor, Du gründest in Deiner Nachbarschaft einen Nationalpark», heisst es auf einer anderen Doppelseite. «Wie soll er heissen? Was wird dort geschützt? Entwirf eine Informationstafel für den Eingang.» Spielerisch werden Höhenlinien erklärt, mit geknülltem Papier erfährt man, wie in den Bergen ein Flusssystem entsteht. Das ganze Buch versammelt erfrischend Themen, die von naturwissenschaftlichem Wissen bis zu kreativem Unsinn reichen. Fantastisch. Ein Buch, um sich ein bisschen zu erholen, am Abend, am Wochenende. Man möchte es unbedingt dabei haben, schrieb «Die Zeit», «selbst wenn man die Ferien am Meer verbringt».

IM HOCHTAL DES JUNGEN ROTTEN

GOMMER WINTER Kaspar Wolfensberger, Bilger Verlag Mord in der Vorweihnachtszeit? Ja, im Wallis, im Goms, das tief verschneit und von der Aussenwelt abgeschnitten ist. Ein Wegkommen? Unmöglich. Auch nicht für den oder die Täter. «Kauz» Walpen, bei der Zürcher Kriminalpolizeit bis Ende Jahr freigestellt und vom Chef der Walliser Kriminalpolizei umworben, nimmt sich als Ermittler wider Willen der aussergewöhnlichen Todesfälle an. Richtg: Es geschehen mehrere schreckliche Morde. Kaspar Wolfensberger, Psychiater und Psychotherapeut, schrieb seinen «Gommer Winter» im Goms. Wer seinen «Gommer Sommer» nicht mehr aus der Hand legen konnte, dem wird auch der «Gommer Winter» beste Unterhaltung bieten. Wer den verschlungen hat, darf sich auf die nächste Jahreszeit freuen: der «Gommer Herbst» kommt bestimmt.

I N N OVAT I V E A R C H I T E K T U R I M M I N I - FO R M AT

WINZIG ALPIN FÜR MÄPPCHENTRÄGER Wichtige Personen in Politik und Wirtschaft sind auf Schritt und Tritt von Souffleuren und Mäppchenträgern umringt. Wobei die Souffleure in der Aussenwahrnehmung besser wegkommen als jene, die sortiertes Papier in Karton mit Elastikbändern von hier nach dort tragen. Wer ein ledernes Mäppchen von Isaac Reina aus Frankreich sein eigen nennt (N° 025, veau végétal, couleur naturel), wird gemächlichen Ganges unterwegs sein. Und aufrecht, als hätte er ein gescheites Buch aus der Bibliothek unter dem Arm. www.isaacreina.com

Alexander Hosch, DVA 230 Farbabbildungen und jede Menge Grundrisse verspricht dieses handliche Kompedium im Quadratformat. Tiny Houses, Alphütten, Baumhäuser, Bade-Pavillons, Felsattrappen oder eine Skifahrer-Kapelle werden gezeigt. In der Schweiz und Deutschland, in Italien und Österreich, in Frankreich und Slowenien. An die 40 besondere Bauten in den Alpen, lauter Miniaturformate innovativer Architekten, gut veranschaulicht die Ideen wie die Umsetzungen. Bei den Wohnflächen beginnt es bei vier Quadratmetern.

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Entdecken Sie unsere Lieblingsrestaurants. Jetzt erhältlich am Kiosk, im Buchhandel oder auf www.gehtaus.ch


LINKS: Corsin Fontana, Ohne Titel, 2007, Orangefarbene Ölkreide auf Papier. Privatsammlung

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RECHTS: Corsin Fontana, Ohne Titel #21, 2012, Schwarze Ölkreide auf Leinwand; Courtesy: Corsin Fontana & Tony Wuethrich Galerie

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Mit dem Sinn für das Karge macht der gebürtige Emser Corsin Fontana zwei rare Güter erlebbar: Tiefe und Konzentration. Dabei bewegt er sich zwischen Plan und Improvisation. So wie man es im Leben tut. Te x t : B r i g i tt e Ul m e r  Fo t o g ra f i e : G i a n Ma r c o C a s telberg

Corsin Fontana vor seinem Atelier in Basel: ein Zen-Meister der Malerei, der geduldig Horizontale um Horizontale malt, Vertikale um Vertikale. Verglichen wurde er schon mit den Grossen der amerikanischen abstrakten Kunst, Agnes Martin und Brice Marden.

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an muss nicht Bergsteiger sein, um den Berg immer wieder von neuem erklimmen zu wollen, Schritt um Schritt, mit Sorgfalt und Bedacht. Was der Berg ist, ist Definitionssache. Für Corsin Fontana sind es seit vielen Jahren seine Linien. Er malt sie mit der Ruhe eines Stoikers. Konzentriert, präzis, voller Sorgfalt. Er trägt sie mit Ölkreide auf Leinwand auf, über den Tisch gebeugt, Horizontale um Horizonate, Vertikale um Vertikale, tage-, wochen-, monatelang, bis sie zusammen eine geometrische Struktur von reicher Textur bilden. Gitterstrukturen, die aussehen wie Netze oder Hochhaustürme. Linien wie Jalousien. Meist in Schwarz. Linien, die sich in den Raum auszudehnen scheinen. «Die Steine, die Berge, die haben mich vielleicht schon beeinflusst», sagt er. «Die Kargheit der Berge prägt einen halt.» Das sagt einer, der vor 50 Jahren vom Bündnerland nach Basel kam und nicht mehr wegging. Sein Atelier: Pinsel, Kreide, Leinwände, Papier. Drei aufgebockte Tischplatten. Unmengen von Büchern, die sich am Boden zu Türmen stapeln: Wir stehen im ehemaligen Malsaal der Basler Kunstgewerbeschule. An der Verteilung der Farbkleckse am Boden, einem All-over von Jackson Pollock ähnlich, erkennt man, wo die Schüler standen und wo der Lehrer. Er hat ein schmales, kantiges Gesicht, das auf den ersten Blick eine gewisse Strenge ausstrahlt, doch das täuscht. Fontana ist alles andere als ein kontrolliertrigider Charakter. Ihm haftet etwas Leichtes an, er versprüht Heiterkeit. Er hat eine «joie de vivre», reist mit Vorliebe in afrikanische und arabische Länder, er liebt arabische Musik. «Introvertiert bin ich nur, wenn ich am Arbeiten bin», sagt er. Wöchentlich geht er auf eine Wanderung in der Natur, in den Bergen bei Lenz, wo seine Schwester lebt, gemeinsam mit seiner Frau Sonia, Geografin und Künstlerin. «Die Natur beruhigt. Sie schafft Distanz. Sie macht einen wieder frisch.» Sonia ist wichtigste erste Ansprechpartnerin, wenn

es um seine Kunst geht. Sie sei, sagt er zwischendurch fast zärtlich in sich hineinlächelnd, seine «graue Eminenz». Mit Beuys wurde er wegen seiner frühen Werke verglichen – obskure Gebilde aus Schweinsblasen oder Spinnweben, die er in den siebziger Jahren fertigte. Später, als er sich der Abstraktion und geometrischen Formen zuwandte, wurden Parallelen gezogen zu Agnes Martin, Richard Serra und Brice Marden, den drei amerikanischen Meistern der Abstraktion. Unbeirrt und eigensinnig trieb er sein Werk voran. Das Kunsthaus Zürich, das Museum der Gegenwartskunst in Basel, das Kunstmuseum Chur und das Museum zur Allerheilien widmeten ihm grosse Übersichtsschauen. Ein anerkannter Wert. Doch Fontana, obschon von Museen und Sammlern in der Schweiz und Österreich früh und kontinuierlich angekauft, arbeitet abseits des überhitzten globalisierten Kunstbetriebs. In der Schweizer Kunstszene erscheint er heute als Solitär. Sein Berg: die elementarsten geometrischen Strukturen, die aufgebaut sind wie musikalische Kompositionen, mit denen er sich immer wieder aufs Neue beschäftigt. Sein Galerist, Tony Wuethrich, kennt ihn seit über 30 Jahren; er sagt, so verschieden seine Schaffensphasen früher gewesen seien, die Grundauseinanderset-

«Die Steine, die Berge, die haben mich vielleicht schon beeinflusst. Die Kargheit der Berge prägt einen halt»

zung sei letztlich immer die gleiche. Die Konzentration auf die Materialität, das Ausloten all ihrer Möglichkeiten. Erst vor kurzem musste er das Atelier dislozieren, hierher, in den obersten Stock, mehrere Treppen hoch, ohne Lift. Andere 73-Jährige würden darüber klagen. Nicht er. Seit 1967 hatte er im Atelierhaus Klingental gearbeitet, in der Klosterkirche auf dem Kasernenareal, inmitten einer eingeschworenen Ateliergemeinschaft. Er war einer der Pioniere des legendären Basler Kreativlabors. Fontana erlebte noch die Soldaten auf dem Areal, später die Spritzen der Drögeler. Man möchte meinen, nicht gerade ideal, ein Atelier nach 50 Jahren am selben Ort umzuziehen. Doch auch wenn das Atelier für einen Künstler wie eine zweite Haut ist, nimmt Fontana diese späte Häutung mit erstaunlicher Gelassenheit. Er hätte hier vom ersten Tag an weitergearbeitet und habe gerade eine sehr produktive Phase, sagt er. Dieser Mann, denkt man sich, ist wirklich geerdet. Zwischen Büchern und Kreiden liegt ein dünnes gelbes Reclam-Bändchen. Es ist Jean-Jacques Rousseaus «Träumereien eines einsamen Spaziergängers». An der Wand stapelt sich eine umfangreiche Vinyl-Platten-Sammlung, mit Musik aus Marokko, Afrika, Indien. Mittendrin im Raum eine Übungstrommel. Er nimmt die Trommelstäbe zur Hand und beginnt, fein zu trommeln. Dünn wie eine GiacomettiFigur, aber mit geradem Rücken und buschigen Augenbrauen, unter denen sein Blick immer ein bisschen wirkt, als wäre er leicht erstaunt. Er wirkt nun vollkommen in sich versunken. Der Raum wird von purem Rhythmus gefüllt. Es ist, als würden die Hirnströme sich dem Getrommel anpassen. Konzentration und Ekstase. Reduktion und Sinnlichkeit. Der stille Arbeiter und die Musik. Vielleicht ist ja sein Malen auch wie Trommeln, denkt man, und seine Werke Musikkompositionen, die ihrem ureigenen Rhythmus folgen. Auch die Improvisation

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Unbeirrt von den Moden des Kunstbetriebs treibt Fontana sein Werk voran. Beim Malen kommt er in einen Zustand der meditativen Versenkung. Alles folgt demselben Ablauf. Der Farbauftrag, die Abfolge der Schichtungen, die Wiederholung. GeringfĂźgige Variationen.

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Malerhände: Beim Auftragen der Ölkreide ist der Druck seiner Finger, seiner Hände, das Gewicht seines ganzen Körpers mit im Spiel.


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Ohne Titel #50, 2017 Weisse Ölkreide auf Leinwand

Ohne Titel #19, 2012, Grüne Ölkreide auf Leinwand; Courtesy Tony Wuethrich Galerie

Fontana in seinem neuen Atelier: Vor kurzem ist er vom Atelierhaus Klingental in den obersten Stock der ehemaligen Kunstgewerbeschule gezogen.

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in Jazz, sagt er nach der spontanen Trommelsession, haben ihn zu seiner Arbeit inspiriert. Die Rhythmisierung. Mittendrin in dieser Landschaft aus Musik, Farben und Licht steht er also da, fast schon ein Urgestein der Schweizer Kunstszene, ein in der Wolle gefärbter Bündner. Doch der Berg und der ausgeprägte Sinn für die Stimmungen der Natur sind noch in ihm drin. Selbst wenn er also 1966, als 22-Jähriger, von Domat/Ems ins flache Mittelland zieht. Oder flieht. Er wächst in einem katholischen Haus auf, der Vater, eher von strenger Natur, ist während 27 Jahren Bahnhofsvorstand, ein Mann mit ausgeprägtem Sinn für Regeln. Die Mutter ist musisch veranlagt, sie stammt aus dem Toggenburg, hat einen Komponisten in der Familie. Corsin darf nicht Fussball spielen, hingegen in den örtlichen Tambourenverein, trommelt bereits als Siebenjähriger, was ihm vermutlich den Sinn für Rhythmus einpflanzt. Eines Tages lädt sein Lehrer den Maler Matias Spescha in die Klasse, und da geht bei Corsin Fontana ein Licht auf. «Er zeigte mir die Möglichkeit, dass man als Künstler durchs Leben gehen kann.» Er lernt zuerst dennoch etwas Richtiges, absolviert eine Lithographenlehre, geht jeden Freitag in die Kunstgewerbesschule nach Zürich und spürt, wie sich sein Horizont in der Stadt weitet. Im Geheimen beginnt er zu malen, Aquarelle, er arbeitet nur noch kurze Zeit als Offsetdrucker, dann sucht er das Weite. Zieht nach Basel, weil die Stadt weiter weg ist als Zürich, erfindet sich neu. Der Bahnhofvorstandsvater kann nicht begeistert gewesen sein ob der Berufswahl. Doch als der Sohn das renommierte Kiefer Hablitzel Stipendium gewinnt, schneidet er die Meldung stolz aus der Zeitung aus. Als 25-Jähriger, 1969, geht Fontana für ein Jahr nach Paris. An der Cité internationale des arts atmet er internationale Luft, pflegt den Austausch mit Künstlern aus aller Welt. 1970 unternimmt er eine Riese nach Nordamerika. Etwas bricht in

ihm auf. Es ist die Zeit des sozialen Umbruchs und der künstlerischen Experimente. Corsin Fontana ist nicht arm an Ideen. Es gibt Schwarz-Weiss-Fotografien, die seine bizarr-aktionistischen Performances dokumentieren, die er mitten in Basel abhält. Zur selben Zeit, wie Joseph Beuys sein Kunsttheater in Deutschland inszeniert, führt Fontana Aktionen mit wassergefüllten Fahrradschläuchen durch, die sich entlang der Freitreppe der Barfüsserkirche schlängeln oder durch und rund um einen parkierten R4 herum winden. Er lässt sie platzen, so dass das Wasser herausfliesst. Inspiriert haben ihn die angeschwemmten Knäuel von Algen, die ihn an der amerikanischen Pazifikküste in Bann gezogen hatten, während seiner Amerikareise. Es folgen obskure «Brenneisenbilder», bei denen er mit einem glühenden Brenneisen hieroglyphenartige Schnörkel auf knittriges braunes Packpapier brennt. Sie erinnern an Brandzeichen auf Kühen. Er arbeitet ausserdem mit Schweinsblasen und Spinnweben. Die Werke bringen ihm zwischenzeitlich Übernamen wie «Schamane» und «Magier» ein; diese frühen Arbeiten – heute gesucht unter Sammlern – weisen eine innere Verwandtschaft mit der Arte Povera auf. Ausgedehnte Reisen durch Marokko und Tunesien folgen. Im

Fast wirkt sein Œuvre, als wäre es über die Jahre in einer langen Abfolge von Jam-Sessions entstanden

Innenhof eines Hotels in Marrakesch produziert er die «Sonnenbelichtungen», wobei er die sengende Mittagssonne Spuren auf stark holzhaltiges Papier zeichnen lässt, auf das er zuvor mit Linien bemalte Glasscheiben legt. Dann die Zäsur: Er wendet sich abstrakter Malerei zu. Geometrische Formen wie Kreise und Oval in Druckgrafik. Schliesslich, ab den 2000er Jahren, übermalt er Holzdrucke, die «Painted Proofs», in warmen Farben wie Dottergelb und Rostrot. Dann die Kreidebilder. Bei jeder dieser Werkgruppen scheint Fontana die Grenzen des jeweiligen Mediums auszuloten. Aktionen, organische Objekte, Lithographien, später und bis heute die Ölkreidezeichnungen: Fast wirkt sein Œuvre, als wäre es in einer langen Abfolge von Jam-Sessions entstanden. Ein Tanz zwischen Plan und Improvisation. Die Jugendlichkeit hätte ihn von Medium zu Medium getrieben, sagt er. Heute sei er ruhiger geworden. Jetzt könne er sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, reduzieren. «Abspecken», sagt er. Er lacht. Vor ein paar Jahren beginnt er also, mit Ölkreide auf Leinwand zu malen. Sich mit der Horizontale und der Vertikale zu beschäftigen, wobei die Breite der Streifen von der Breite der Kreide bestimmt wird. Zuerst die vertikalen Linien. Wenn die Ölkreide hart geworden ist, folgen die horizontalen Linien. «Das Prozesshafte wird mir seither immer wichtiger.» Er meint die Schichtungen, das Abwarten, bis die eine Kreideschicht getrocknet ist. «Es sind langsame Prozesse», sagt er. Im Grunde, sagt er, handle sein ganzes Werk von «Werden, Sein und Vergehen». Die Konsequenz in der Werkentwicklung, die sich aus dem Rückblick herauskristallisiert, macht Sinn. Und doch sind es manchmal die Überraschungen, die die Konturen eines Menschen schärfen: das Unerwartete, die Sprünge und Brüche, die gegensätzlichen Pole, zwischen denen einer sich bewegt.


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C O R S I N F O N TA N A AT E L I E R B E S U C H

Fontana in Lenz. Das Wandern in den Bergen und in der Natur schafft Distanz: «Natur beruhigt.»

Lange Zeit waren Schwarz und Weiss die beiden einzigen Farben, die aus seinem Studio kamen. Irgendwann kam die Farbe. Rot, Gelb, Bordeaux, auch Orange. «Das hat wohl damit zu tun, dass ich von Natur kein sturer Mensch bin.» Er folge keiner Farbtheorie, sondern finde seine Farben intuitiv. Sie müssen warm sein. Es sind die Farbkonstellationen, Farbklänge, die ihn interessieren. Farben komponiert er zu Reihen. Da wären wir wieder bei der Musik. «Schwarz», sinniert er jetzt, «ist statisch. Farben bringen Bewegung. Sie vibrieren.» Wenn Künstler einen lehren, Sichtweisen zu ändern, dann lehrt einen Fontana das genaue und das lange Hinschauen. Etwas, das vielen im digitalen Bilderschnickschnack abhanden gekommen ist. Vielleicht habe ihn der Bilderfluss, «dieser ganze Schabernack», auf die Reduktion gebracht, bemerkt er im Laufe des Vormittags. Er beugt sich nun über einen der Tische, nimmt eine Ölkreide in die eine, ein Messer in die andere Hand und beginnt seelenruhig und still vor sich hin zu schnitzen. Als wärs ein meditativer Akt, der dem künstlerischen vorausgeht. «Ach, das ist wie Kartoffelschälen», winkt er ab. Er lacht. Es sei wichtig für ihn, «horizontal zu arbeiten». Also nicht an der Staffelei, sondern über den Tisch gebeugt. Die Kreide benö-

tige einen speziellen Druck, der nur von seinem ganzen Körper ausgehen könne. Er neigt jetzt seinen Kopf leicht nach oben und blickt durch die abgeschrägten Fenster. «Ein phantastisches Licht. Schauen Sie. Das Nordlicht.» Fontana ist ein Mann mit feinstem Gespür für Licht- und Farbnuancen. Seine Saiten hat er in jahrzehntelanger Übung gestimmt. Es ist inzwischen Mittag, das warme Herbstlicht fällt auf eines seiner Bilder, er inspiziert die schwarzen Spuren, auf denen sich die Kreidereste aufgestaut haben. Still fährt sein Blick jeder Linie einzeln entlang, die sich wie zu einem Flechtwerk zusammenfinden. Dann sagt er, wie der Druck seiner Finger, seiner Hände, seines ganzen Körpers mit ihm Spiel seien, wenn er die Bilder malt. Mit welcher Schicht er begonnen hat. Dass ihm das Licht und der

ENGLISH SUMMARY

CORS IN FONTA NA You don’t need to be a mountaineer to climb a mountain. Again and again, step by step. We all have our mountains. Corsin Fontana’s mountain is made up of lines. He paints them stoically, precisely, carefully. He draws them on canvas with oil crayons, bent over his table, horizontally and vertically, for days, weeks, even months, until a geometric, textured pattern emerges. Lines that seem to expand into space. «The rocks and the mountains – I think they did have an influence on me», he says. «The barrenness of the mountains can leave a lasting impression.»

Schatten wichtig seien, weil sie dem Bild etwas Reliefartiges verleihen. «Die Braue schafft sich gegen aussen», sagt er. Beim Malen kommt er in einen Zustand der meditativen Versenkung, die sich, ist das Bild fertig, magischerweise auf den Betrachter überträgt. Alles folgt demselben Ablauf. Der Farbauftrag, die Abfolge der Schichtungen, die Wiederholung. Geringfügige Variationen. Man beginnt, mit seinen, dann mit eigenen Augen zu sehen, das heisst, visuelle Signale in der Corsin-Fontana-Frequenz zu empfangen, und tatsächlich, die dicken schwarzen Linien scheinen sich vom Untergrund ins Dreidimensionale zu lösen. Die Gitterformen, in tage-, wochenlanger bedächtiger stiller Arbeit in mehreren Schichten aufgetragen, scheinen sich vom Bildträger in den Raum zu erheben. Momentan hat Fontana einen neuen Berg auserkoren, den er besteigen will. Er will weisse Bilder malen. Schon einmal versuchte er sich an ihnen, brach aber das Experiment wieder ab. «Die Differenzierungen wahrzunehmen, ist schwierig.» So viel Schwierigkeiten, wie er mit weissen Bildern hatte, hätte er noch nie gehabt. Langsamkeit. Tiefe. Geduld. Die Lust am Detail. Sich Zeit nehmen für die ästhetische Betrachtung. Mit Fontana scheint sich die Zeit zu dehnen. Man könnte in ihm eine Art ZenMeister der Malerei sehen.

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ROBERT BÖSCH DAS BILD VOM BERG

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Menschen, Mountains

TEXT: BRIGITTE ULMER VON BERGEN KOMMT DER IMPULS ZUR SPORTLICHEN HÖCHSTLEISTUNG. ABER SIE HABEN AUCH EINE EIGENTÜMLICHE PSYCHISCHE WIRKUNG AUF PASSIVERE BERGANBETER. SIE REL ATIVIE REN DAS EIGENE DASEIN – UND WIRKEN DADURCH BERUHIGEND.

Einsamer Weg zum Gipfel: Ueli Steck am Ostgrat des Mönchs, Berner Alpen (links). Fahrt über ein Meer aus Weiss: Nick Nussbaum oberhalb des Lunghinpasses, Engadin (oben).

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ROBERT BÖSCH DAS BILD VOM BERG

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37 Aufstieg an einer Wand aus Stein: Die Seilschaft Marcel Schenk und David Hefti auf der Route Memento Mori in der Badile-Nordostwand, Bergell.


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ROBERT BÖSCH DAS BILD VOM BERG

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39 Nur ein Punkt inmitten der Naturgewalten: Ueli Steck im SĂźdlichen Eigerjoch, Berner Alpen.


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ROBERT BÖSCH DAS BILD VOM BERG

Michi Wild fährt eine spektakuläre Passage auf dem Epic Trail bei Davos (links).

Der Erstbegeher, Roger Schäli, mit Dani Mader im «Flight Modus» am Genfer Pfeiler, Eiger-Nordwand, Berner Alpen (rechts).

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ROBERT BÖSCH FOTOGRAF UND BERGSTEIGER

«Mountains» ist das Buch des Fotografen Robert Bösch. «Mountains» ist nicht das Buch des Bergsteigers Robert Bösch. Doch ohne den Bergsteiger hätte der Fotograf dieses Buch nicht realisieren können

Wo bin ich?

BUCH Mountains, Robert Bösch NATIONAL GEOGRAPHIC Verlag Hardcover mit Leineneinband 336 Seiten, CHF 125.– Das Buch ist signiert auch direkt bei Robert Bösch erhältlich www.robertboesch.ch AUSSTELLUNG ZUM BUCH Robert Bösch «Das Bild vom Berg» BILDHALLE Galerie für zeitgenössische und klassische Fotografie Stauffacherquai 56, 8004 Zürich www.bildhalle.ch Bis 31. Januar 2019

Gleissende Helligkeit. Klarheit. Absolute Ruhe. Friede. Und ein Gefühl, als wäre ich durch Zeit und Raum gefallen. Eben konnte ich mich doch noch perfekt verorten. Ich wusste, woher ich kam und wohin ich ging. 3. Dezember 2017. Das kleine gerundete Flugzeugfenster hatte wenige Stunden zuvor die schneebedeckten Alpen zu einer Miniatur eingerahmt, deren Silhouetten, den Wechsel aus Licht und Schatten, ich in einer Mischung aus Sehnsucht und Staunen bequem aus der Ferne studieren konnte, eine Bloody Mary in der Hand. Noch am selben Tag war ich dann weitergefahren, über Landquart nach Davos über den FlüelaPass. Es hatte bereits eingedunkelt, die Passstrasse war schneebedeckt, der Pass noch nicht geschlossen – eine Seltenheit. Die Strasse war in tiefes Nachtblau getaucht, bis plötzlich der Mond hinter der Bergkette hervortrat und wie ein begnadeter Bühnenbeleuchter nun die Ser-

pentine ausleuchtete. Er folgte mir und gleichzeitig erwartete er mich bei jeder nächsten Wendung. Tief unten dann, im Inntal, empfing er mich wieder, wies mir den Weg, vorbei an mächtigen Häusern, Lärchen, Ställen, alle unförmig unter dem dicken Schnee, in magisches Licht getaucht. Dann gings im Schritttempo hoch nach Tschlin, und es folgte eine eiskalte Nacht. Polarluft drang vom Stall her direkt durch die Ritzen des Schlafzimmers. Am nächsten Morgen, eingemummt, zog ich los, den Berg hoch. Da fand ich mich wieder, in einem Nichts aus Weiss. Plötzlich umgab mich eine absolute Stille, die ich schon monatelang nicht mehr erlebt hatte. Eine Stille, die sich nicht nur in Dezibel messen liess, eine, die ins Herz drang. Kniehoch stand ich im frischen Schnee, der nachts gefallen war. Das mühsame Einsinken und gewaltsame Wiederhochziehen der Beine hatte mir zuvor den Schweiss den Rücken hinaufgetrieben. Die Dächer von Tschlin waren zu einer Ansammlung von dunklen Punkten geschrumpft, noch tiefer in der Ebene hatte sich der gletscherblaue Inn zu einer dünnen Linie zusammengezogen, der eigene Alltag war bestenfalls zu einer Anekdote verkommen, irgendwo weit oben lag das Ziel, die Alp Tea, um mich herum nur noch Glitzern. Eigentlich zog die Haut, in der Nase waren Tröpfchen zu Eis gefroren, das Kinn spürte ich schon längst nicht mehr, das Gesicht war in seinem letzten Ausdruck eingefroren. Doch mein Körpergefühl war weg, und ein traumartiges Erleben schob sich vor die Wirklichkeit. Nietzsche hat eigentlich schon alles gesagt zur besänftigenden Wirkung der Berge. «Wer auf den höchsten Berg steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste», heisst es in «Also sprach Zarathustra». Der Philosoph stieg zwar aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit während seiner Sils-Aufenthalte in den 1880er Jahren nicht wirklich in die Berge hoch. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, vollkommen von der Bergwelt ergriffen zu sein. Allein vom Anblick, aber auch von der klaren Luft und der Stille, die sie umgab. Im Spaziertempo schlich er um den Silvaplaner- und Silsersee und ins Fextal, pries danach, im Schreibkämmerchen in Sils, die besondere Wirkung von Licht, Luft und Landschaft auf die

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Psyche. Die «ewig heroische Idylle», wie er 1881 an einen Freund schrieb. Der Berg ist Balsam, auch für die belastete Seele. Die wilde Wucht und ihre silbernen Farbtöne inspirierten Nietzsche, das «Denken auf einsamen Bergen» lag ihm mehr, als zwischen den Büchern zu sitzen.

tigen uns zu einem grösseren Überblick, aber gleichzeitig macht er uns kleiner, weil man sich seiner eigenen Bedeutungslosigkeit gewahr wird innerhalb der Geschichte der Erde, des grossen Dramas von Zeit und Raum, das die Berge uns vorführen.

Auf dem Berg sieht man die Welt anders. Man steht über ihr und irgendwie auch über dem eigenen Dasein. Der glitzernde Schnee und die klare Luft entfalten ihre euphorisierende Wirkung, bis die totale Stille eintritt. Es ist, als herrschten plötzlich andere physikalische Gesetze, als zöge sich die Zeit zusammen. Plötzlich sah ich mich als Neunjährigen hinter meinem Vater über einem Schneefeld herkraxeln, zuvor noch an Bergbächen vorbei, durch duftende Lärchenwälder, via Hahnensee Richtung Piz Corvatsch, in stummer Eintracht, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend, nackte Geröll­ felder durchquerend, stachlige Disteln bestaunend, die klare Berguft einatmend, bis eben plötzlich diese glitzernden Schneekristalle des ewigen Schnee auftauchen. Es zogen wieder die rosafarbenen Schleier vorbei, die sich um Corvatsch, Bernina und Piz Roseg legen, wenn die Sonne untergeht, wenn die Natur ihr schönstes, perlmuttfarbenes Kleid anlegt.

Die Berge spiegeln uns auch. Wir haben sie nicht immer so umarmt. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden sie vom Volk vor allem als Geschwür aus Stein, überdimensionierte Warze der Natur angesehen. Agrikulturell gesehen waren sie vollkommen unnütz, dem Handels- und Pilgerweg standen sie im Weg, bestenfalls herrschte Indifferenz, und an ihnen hochzuklettern, war eine absonderliche Idee. Schwierigkeiten hatte man im eigenen Leben schon genug zu bewältigen, da musste man nicht noch zu ihnen hochsteigen. Die Industrialisierung der Städte brach der Berganbetung dann ihre Bahn. In England beschwor man die Wildheit der Schweizer Berge ganz besonders. Turner malte Anfang des 19. Jahrhunderts schwindelerregende Bilder des Gotthardpasses, John Ruskin verewigte um 1840 die wirbelartigen Muster der Gletscher, pries in «Of Mountain Beauty» die besondere Ästhetik von steilen Winkeln, Eis, Sonne, Stein, Höhe und Schnee mit akribischen Beschreibungen in Hunderten von Seiten. In der Leicester Square Rotunda in London konnte man in den 1830er Jahren über Treppen auf mehrere Aussichtsplattformen steigen und, wie aus der Vogelperspektive, ein 360-Grad-Panorama des Mont-BlancMassivs bestaunen. Möglicherweise war das, verkürzt gesagt, der Ausgangspunkt für die Umdeutung der Berge als Openair-Fitness-Center.

Der Berg ist eben nicht nur geologischer Begriff und nicht nur Bühne für Hochleistungssportler. Er ist ein Gefühl. Umso mehr, seit die Verstädterung den Berg hochkriecht, Glasfaserkabel die Welt auch in entlegenste Gebiete liefert, stillt er in seiner Wildheit und Unberührtheit die Sucht nach Stille intensiver. Die Hoffnung: dass der Berg sich uns widersetzt, letztlich undomestizierbar bleibt. Denn was er uns gönnt, ist unersetzlich. Grosse Höhen, sagt der schottische Schriftsteller Robert MacFarlane, ermäch-

Alpinisten berichten von ausserkörperlichen Erfahrungen beim Erklimmen der Gipfel. Neurologen haben sich mit dem transzendenten Erleben befasst, von dem Bergsteiger berichten, fanden ihren Grund in bewegungsinduzierten Bewusstseinsveränderungen: Das Hochsteigen in die Lüfte verbraucht aussergewöhnlich viel Ressourcen im Gehirn, wodurch es das Vermögen verliert, sich zeitlich zu verorten. Bei andauernder Belastung verliert man das Bewusstsein seiner selbst – und empfindet eine Art Verschmelzung mit der Natur.

Der Berg intensiviert die Gefühle. Er ist ihr Verstärker. Er ist gleichzeitig ihr Gegenteil: Er lindert sie, er relativiert. Die eigene Existenz mitsamt ihrem Wollen und Nöten erscheint einem angesichts der seit Tausenden von Jahren aufgetürmten Steinmassen plötzlich wie ein Wimpernschlag. Es ist ein fast schon dissoziatives Erleben. In der Abgeschiedenheit gibt es einem den Raum, in sich hineinzuhören, oder auch gerade nicht: sich ganz zu vergessen, einen tiefen Frieden zu erleben. Allein wegen der Ästhetik, aber auch wegen dieses Gefühls, zieht es mich im gemächlichen Gang immer wieder auf einen Winterberg. Die Helligkeit macht süchtig. Beim Aufstieg taste ich, im Geist, die scharfen Grate und glitschigen Pisten des Lebens ab und die glitzernden Abschnitte dazwischen. Wenn man dann die glitzernden Schneekristalle vor sich hat, die betörenden Berggipfel rundher­ um und atemberaubende Grate, ist alles Eigene dann wie weggewischt: Man geht auf in der gleissenden Helligkeit. Der Klarheit. Der absoluten Ruhe.

ENGLISH SUMMARY

M OU NTA INS Robert Bösch presented his life’s alpine work with his book «Mountains» and the exhibition «The Image of the Mountain». It is an impressive compilation of landscape, mountain and sports photography. As mountaineer, Robert Bösch has traveled to all seven continents, and as a photographer, has documented the most renowned people from the world of mountaineering, including his friend, the late Ueli Steck. The results are breathtaking sports and landscape images, which reflect the profound beauty and solitude that surround all those who move amongst the grandiosity of the mountains. Robert Bösch: «For me, landscape photography is the art of seeing images. After all, we don’t normally see images, we see the everything. While a painter fills his frame with paint, turning it slowly into a picture, I do the opposite as a photographer when creating an image: I omit. The moment I release the shutter, the image is cut from the world. Images stand for themselves and are interesting for that reason, because they don’t show everything else nor do they represent what has also been around, before and after. Only this ‹resect-from-the-world› makes a photograph unique. Landscape images are like quotes taken out of context.»

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ROBERT BÖSCH DAS BILD VOM BERG

VORHERIGE SEITE  Zweierseilschaft: In den Basaltsäulen des Devils Tower, Wyoming, USA.

DIESE SEITE  Allein inmitten der Natur: Harald Philipp auf der Seitenmoräne des Vadrettin da Tschierva, Berninagebiet.

Auf dem Gipfel angekommen: Ueli Steck auf der Jungfrau, nach der Überschreitung von Eiger und Mönch.

RECHTE SEITE

Ein menschlicher Adler: Chrigel Maurer mit dem Gleitschirm vor der MatterhornNordwand, Walliser Alpen.

NÄCHSTE SEITE

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INTERIOR DESIGN L U I S L A P L A C E I N S T. M O R I T Z

«Warum haben die Schweizer so Angst vor Farben?» Tex t: Brigitte Ulme r

DER ARGENTINISCHE ARCHITEKT UND INTERIOR DESIGNER LUIS L APL ACE KOMPONIERT DESIGN, KUNST UND ANTIQUITÄTEN ZU EKLEKTISCHEN BÜHNEN DES GEPFLEGTEN LEBENSSTILS. SEIN AKTUELLES PROJEKT: DIE GALERIE VON HAUSER & WIRTH IN ST. MORITZ.

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Laplaces Werk: Sammler-Apartment in den franzรถsischen Alpen mit Kunst von Maria Lassnig und Jason Rhoades.


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INTERIOR DESIGN L U I S L A P L A C E I N S T. M O R I T Z

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as Erste, was Luis Laplace auffiel, als er St. Moritz erreichte, war das Drama der Gebirgswelt und ihre Bühne, das weite Hochtal. Er war mit der Rhätischen Bahn angereist, direkt aus Paris kommend, nur für einen Tag. Vom lieblichen, silbernen Montmartre-Hügel zur majestätischen Bergkulisse – ein Szenenwechsel fürwahr. Er sitzt in seinem Pariser Architekturbüro, einem salonartigen Sitzungszimmer mit hohen Decken und Stukkatur in einem stolzen klassizistischen Haussmann-Gebäude; nebenan arbeiten seine Mitarbeiter – Architekten und Designer – still an Projekten. «Es lag kein Schnee. Die

Schweiz kam mir vor wie ein riesiger grosser Garten», erinnert sich Luis Laplace. Eigentlich ist er noch ein Engadin-Greenhorn. Immerhin, er weiss von Alberto Giacometti, der aus den Bündner Bergen nach Paris kam, und dem speziellen Völkchen, das jeden Winter seine Zweitwohnsitze und Grandhotels bevölkert. Er kam also, als das Dorf den Einheimischen gehörte, und er tat, was er überall tut, wenn er als Fremdling ankommt: Sein Auge tastete die neue Umgebung ab. Nahm die Artikulation von Licht und Schatten auf. Den Verlauf der Farben (im Herbst besonders imposant). Die Atmosphären und Stimmungen. Die Oberflächen, die Verhältnisse von Raum und Volumen um ihn herum.

Luis Laplace, Architekt und InteriorDesigner, kam nach St. Moritz, weil er da die neue Galerie Hauser & Wirth gegenüber dem «Badrutt‘s Palace» ausstattet. Drei Stockwerke, 400 Quadratmeter. Er will einen Ort kreieren, der Kunst zum Strahlen bringt. «Hauser & Wirth sind Kunsthändler, die die Kunst in einen menschlichen Massstab übersetzen und auch einmal aus dem ‹White Cube› herauslösen», sagt er. «Diese typische Identität wollen wir den Galerieräumen verleihen.» Natürlich wird die Galerie nicht neu erfunden, denn White Cube mit weiss gestrichenen Wänden muss natürlich für eine ordentlich installierte Kunstausstellung auch manchmal sein. Aber zumindest ein «On appointment only»-

Eklektiker Luis Laplace: «Ein Haus einzurichten, ist keine Banalität.» Er gestaltet mit Vorliebe Häuser von Sammlern, Künstlern und Galeristen, etwa von Hauser & Wirth in St. Moritz, Gstaad und Somerset (GB), Cindy Sherman in Paris und Mick Flick auf Ibiza.

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Design-Ikonen Charlotte Perriand und Finn Juhl in Ibiza

80ies-Memphis-Tisch in Laplaces Showroom

Bourgeoisie meets 50–70er-Jahr-Vintage

In Farben baden im Durslade Farmhouse in Somerset

Ganz in Blau: Chaiselongue, Frankreich 19. Jahrhundert

Design-Ikone Charlotte Perriand auf Grün

Salon in Violett-Himmelblau mit Paul-McCarthy-Tapete in der Durslade Farm, Somerset

L’Antichambre für Playboy Rubirosa im Musée des arts décoratifs Paris

Vintage in Rot

Schlafen in Megève


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INTERIOR DESIGN L U I S L A P L A C E I N S T. M O R I T Z

Raum wird im typischen Laplace-Stil ausgestattet werden: mit Möbelunikaten aus dem 20. Jahrhundert und farbigen Wänden, so, als besuchte man eben einen Kunstsammler in seiner privaten Residenz. Kunst mit dem echten Leben kurzschliessen, darum geht es ihm. Kunst und Leben fliessen bei ihm inein­­ander über. Als Künstler und Bühnenlichtdesigner am weltberühmten Teatro Colón in Buenos Aires entwickelte er sein besonderes Gespür für Licht, Farbe und Inszenierung. Er studierte schliesslich Architektur an der Universidad de Belgrano und heuerte 1999 bei Selldorf Architects in New York an. Die deutsche Architektin Annabelle Selldorf, renommiert für Bauten für Galerien, Museen und Kunstsammler, hatte ein Projekt in Buenos Aires, das er übernehmen konnte. Sie wurde zu seiner Mentorin, er lernte von ihr, Architektur, Interior Design und Kunst miteinander zu verschmelzen. 2004 gründete er schliesslich, zusammen mit seinem Partner Christophe Comoy, das Architektur- und InteriorDesign-Studio Laplace & Co. in Paris. Er richtete das Ferienhaus von Mick Flick auf Ibiza und von Ursula Hauser, der Partnerin von Hauser & Wirth, auf Mallorca ein, Cindy Shermans Wohnung in Paris, verwandelte Häuser und Apartments in Wien, Paris, in Morelia in Mexiko, Kanada, England, auf Mallorca, in Gstaad, in Paris und bei Megève in expressive Bühnen des gepflegten Lebensstils.

Galerie Hauser & Wirth Via Serlas 22, St. Moritz (neu ab Dezember 2018 in der «Palace»-Galerie Innenausbau: Luis Laplace) Erste Ausstellung: Louise Bourgeois Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr

Laplace destilliert aus Räumen charakterstarke Persönlichkeiten. Nirgendwo ist es Luis Laplace in Zusammenarbeit mit Hauser & Wirth besser gelungen, diese Philosophie umzusetzen, als in Somerset in England. In der Nähe von Bruton haben sie vor vier Jahren ein verfallenes Bauerngehöft aus dem 18. Jahrhundert in eine Kreuzung aus Kunst-, Freizeitzentrum und Kulturbildungsort transformiert, mit dem «Roth Bar & Grill»-Restaurant, das eigentlich eine Kunstinstallation ist, und einem Guesthouse mit sechs Zimmern. Das Interieur des Gästehauses verwebt Möbel von lokalen Antiquitätenhändlern mit farbigen Textilien und Wänden und mit Kunst natürlich, etwa Malerei des US-Künstlers Paul McCarthy oder des Argentiniers Guillermo Kuitca – ein Mix, der jedem Schweizer Besuch das Gefühl gibt, er sei bei einem Exzentriker zu Besuch. Für die weitläufigen Ausstellungsräume arrangierte und renovierte Laplace die fünf ehemaligen Ställe und Schuppen so, dass sie unmerklich inein­ander übergehen und sich subtil mit Buchladen und Lerncenter verbinden. Ein Meisterstück des Argentiniers mitten auf dem englischen Land. Durslade Farm wurde mit Preisen ausgezeichnet; Einheimische, die in Heerscharen zu Sommerfesten und Familienaktivitäten herkommen, lieben es genauso wie das internationale Kunstpublikum; jährlich pilgern 130 000 Besucher hierher. Iwan Wirth nennt Luis Laplace

«den stillen Architekten». Das vermittelt einen falschen Eindruck. Denn in Innenräumen lebt Laplace offensichtlich gern auch seine Neigung zum unverhohlenen Eklektizismus aus, zu unverkrampfter, lateinischer Sinnlichkeit. Tapeten, Antiquitäten und Objekte von lokalen Trödlern, Nippes, gewagte Farbkombinationen der Wände und Textilien – Laplace schreckt vor wenig zurück. Seine Helden sind der italienische Designer Carlo Scarpa, wegen seines Gefühls für Proportionen und der Komplexität seiner Designs; und der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer, wegen seiner sinnlich organischen Formensprache. Laplace macht seine argentinische Herkunft für seine eklektische Herangehensweise verantwortlich. «Wir gehen offener um mit unterschiedlichen kulturellen Einflüssen. Wir verbinden Unterschiedliches miteinander. Europäer separieren eher, denken in Schubladen.» Dem hemmungslosen Stilmix begegnet man auch in seinem Büro. Er und sein Partner Christoph Comoy sitzen auf italienischen Stühlen aus den 60er Jahren, der lange Holztisch ist spanisch, auf dem französischen Schrank steht ein Arrangement dänischer und schwedischer Keramik. Möbel, die Laplace für seine Projekte einsetzt, sind immer Unikate, die er und sein Partner während ihrer ausgedehnten Visiten auf Antiquitätenmärkten aufstöbern. Oder dann kommen sie massgefertigt aus dem

Iwan Wirth: «Unsere neue Galerie in St. Moritz spiegelt meine ersten Schritte in die Kunstwelt und entspricht unserer DNA als schweizerische Galerie. Ich habe meine erste Schau in St. Moritz 1987 im Alter von 17 Jahren organisiert, mit Werken von Daniel Spoerri, Le Corbusier und Marc Chagall. Sie fand im ‹Hotel Carlton› statt.»

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Laplace-Studio. Weil Bilder heute so rasch im Internet und auf Instagram zirkulieren, werde heute viel kopiert. Das Resultat sei ein Herdentrieb. Er aber unterstreicht das Eigene, setzt auch Möbel ein, die keinen berühmten Designernamen tragen. «Wir wollen nicht in die Prouvé- oder Perriand-Falle fallen», sagt Luis Laplace. Alle Projekte, die Luis Laplace in Angriff nimmt, fussen auf drei Pfeilern: der Persönlichkeit des Kunden, seiner Kunst und der DNA der lokalen Kultur. Ein Haus einzurichten, sei eine kulturelle Tätigkeit. «Die Kunst des 20. Jahrhunderts drehte sich um Architektur, um Häuser, um das Bauen», sagt Laplace. Es sei drum falsch, ein Haus einzurichten, ein «Heim» zu schaffen, als eine Banalität zu betrachten. Dass er sich in den letzten Jahren besonders unter Sammlern einen Namen gemacht hat, ist kein Zufall. Sein Schaufenster sind die exquisiten Kunstkabinette, die er für Hauser & Wirth jeweils an der Frieze Masters, der renommierten Londoner Kunstmesse, einrichtet. Charakterstarke Sofas, Schreibtische und Lampen aus Italien und Skandinavien sind mit Kunst aus allen Stilepochen kombiniert: ein wilder Ritt durch die Jahrhunderte. Die Wände sind in Bordeauxrot oder Dunkelgrün anstatt Weiss – die Szenerie vermittelt den Eindruck, man stehe im Privathaus eines Sammlers und nicht an einem Messeverkaufsstand. Die Idee hat Laplace aus einer Ausstellung herausentwickelt, die er

2014 im Musée des arts décoratifs in Paris kuratierte. Das «Antichambre de Rubirosa» war eine raumgewordene Phantasie, wie der legendäre Playboy und Rennfahrer Porfirio Rubirosa (1909–1965), dem Verhältnisse mit Evita Perón, Zsa Zsa Gabor, Ava Gardner und Marylin Monroe nachgesagt wurden, gelebt haben könnte – mit in Palisander ausgekleideten Wänden, von starken Farbkontrasten belebt, ausgestattet mit Mid-Century-Tischchen auf tiefblauem Teppich und orangefarbenem Samt-Daybed – und Bildern (aus der Sammlung von Ursula Hauser und Manuela und Iwan Wirth) in enger Salonhängung, alles dekorativ zu einem Gesamtkunstwerk komponiert. «Mir scheint, die Idee, Kunst ausschliesslich auf weiss gestrichenen Wänden zu präsentieren, etwas repetitiv. Ich will das aufbrechen», sagt Luis Laplace. Er setzte damit einen Trend. Larry Gagosian, der Galerien Zar aus den USA, wartete an der letzten Frieze Masters prompt mit einem dramatisch beleuchteten Kunstkabinett mit Objekten und Bildern (in enger Salonhängung) von Man Ray vor schwarz gestrichenen Wänden auf. Man glaubt ihm kaum, wenn er sagt, er hänge der Philosophie «Form follows function» an. Er meint damit aber, dass das dekorative Element – etwa Zierleisten, Stukkaturen, Profile von Türen – eben auch eine ganz bestimmte Funktion habe: Textur und Proportion seien für einen Raum wichtig. Selbst die goldenen Beschläge von

ENGLISH SUMMARY

LUIS L A PL AC E Architect and interior designer Luis Laplace has come to St. Moritz to decorate the new Hauser & Wirth gallery space opposite the «Palace» Hotel. Three floors, 400 square metres. «Hauser & Wirth are art dealers who can translate art into human proportions and release it from its ‚white cube‘», he says. He is, however, not reinventing the gallery space – the ‹white cube› with its plain white exhibition walls is often needed to exhibit art. But at least one of the rooms – to be visited on appointment only – will be furnished in his typical style; with unique pieces from the 20th century and colourful walls, just as if you were visiting an art collector in his private residence.

Louis-Seize-Möbeln, die er kürzlich für einen Pariser Klienten in seinem Appartement mit Minimal Art von Donald Judd inszenierte, hätten eine Funktion. «Im Gold sollte sich das Kerzenlicht reflektieren und den Raum erhellen.» Louis Seize und Donald Judd? Er lacht. «Intuition ist ein guter Gradmesser, ob etwas zusammengeht oder nicht. Das Auge merkt es sofort.» Von seinen Besuchen in der Schweiz weiss Luis Laplace, dass seine Herangehensweise nicht unbedingt dem hiesigen puristischen Geschmack entspricht. «In der Schweiz gibt es eine grosse Tradition von Umgang mit Kunst, aber nicht mit Innendekoration», sagt er. «Architektur und Innenarchitektur wird gern voneinander separiert. Dekoration ist ein Schimpfwort. Die Leute meinen, sie kippe schnell einmal ins Vulgäre. Haben Sie nicht einen Ausdruck dafür? Schickimicki? Deshalb ist die Innenausstattung auch eher formelhaft.» Der Zugang sei, sagt er, eher akademisch, immer müsse eine «Schule» hinter etwas stehen. Er kommt jedenfalls zum Schluss, dass das Niveau der Inneneinrichtungen drum im Vergleich zur Qualität der Kunstsammlungen höflich gesagt, ein bisschen «Nachholbedarf» hat. Eine grundsätzliche Frage treibt ihn allerdings um: «Im Allgemeinen lieben Menschen doch die Farben. War­um haben die Schweizer so Angst vor Farben?»


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Stierkampf, Alpinismus und Autorennen waren die einzigen Sportarten, die Ernest Hemingway anerkannte. Das Bernina Gran Turismo verbindet sie alle drei, findet Kurt Engelhorn. Aber gut, er hat es ja auch erfunden. Tex t : Wern er Je ss ne r

Fo t o g ra f i e : G i a n Ma r c o C a s t e l b e rg

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Ein drahtiger Mann, ein schlankes Auto: Kurt Engelhorn und sein Jaguar Lister Costin aus dem Jahr 1959. (Der Pilot ist geringfßgig älter.)


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Ob britisch, italienisch oder schwedisch (ganz hinten): Klassiker sind international.

Keine gelungene Veranstaltung ohne Mustang. Vor allem, wenn es sich um einen Shelby handelt.

Sturzhelm, aber keine Sicherheitsgurte, von Nackenstütze oder Überrollbügel ganz zu schweigen: Bernina Gran Turismo bedeutet auch Selbstverantwortung.

Zu zweit findet man mehr: Sollte der Reihensechszylinder nicht starten, kann es sich vermutlich nur um einen technischen Defekt handeln.

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Welch Idylle! Man achte auch auf den gegenläufigen Drehzahlmesser und das Radio mit MW- und LW-Empfang.


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Formelautos? Selbstverständlich! Ewan Cameron attackierte den Bernina in seinem Harrier F5000 aus dem Jahr 1969. Schon das Reifenprofil lässt Erinnerungen an vergangene Heldentaten aufkommen.


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alb sieben Uhr morgens, kalter Wind schiebt Wolken in Höhe des Berninapasses vom Engadin nach Süden, viele Wolken. Es friert, das Hospiz hat gerade geöffnet, die Kaffeemaschine baut Druck auf. Im Osten, irgendwo hinter den Dreitausendern an der italienischen Grenze, hat sich die Sonne auf den Weg gemacht, muss sie wohl, selbst wenn man sie kaum ahnt in den Nebelfetzen. Plötzlich ein Brüllen in der Stille, gefolgt von einem Bellen und kurz darauf einem Jaulen. Weitere Stimmen fallen ein, rhythmisch schreien sie den jungen Tag an. Es wird Zeit, die Espressotasse wegzustellen und nach draussen zu gehen, um den seltenen Tieren die Reverenz zu erweisen. Das Schnattern: ein Bugatti 35C, Baujahr 1927. Das Klopfen: ein Vauxhall, Baujahr 1913. Das mehrstimmige Jaulen: gleich fünf Lancias Stratos. Das Brüllen: ein Ford Falcon. Das Furzen: ein Lancia Delta S4 aus der Gruppe B. Das Böllern: ein Morgan Threewheeler. Dazwischen wärmen sich Alfas, Austins, Porsches und Jaguars auf, ausserdem ein paar Autos, von denen die ersten schlotternden Touristen die Markenembleme studieren, um zu Hause erzählen zu können, was sie soeben fotografiert haben: AC. Frazer. Adler. O.S.C.A. Und was macht der kantige Volvo 244 GL in diesem Umfeld? Das macht viel vom Charme des Bernina Gran Turismo aus: bunte Vielfalt, Offenheit, die Liebe zum Altmetall, die Liebe zum Fahren am Berg. Bereits im vierten Jahr wurde der Berninapass von La Rösa bis zum Hospiz an einem Herbstwochenende für den öffentlichen Verkehr gesperrt, damit Enthusiasten hier, pardon, die Sau rauslassen können. Wie weit, das kann jeder Fahrer selbst entscheiden. Es gibt die Competition-Klasse, in der es tatsächlich um die Bestzeit geht, daneben aber die Regularity-Klasse, wo man einen Schnitt von 80 Kilometern/Stunde möglichst präzise treffen soll. Auch hier wird ordentlich Gas gegeben, der Spass steht bei den allermeisten vor der Präzision. Der Berninapass ist ein bedeutender Alpenübergang, seit Menschen die Alpen überqueren, Gotthard hin oder her. Bis in die 1920er Jahre waren Pferde und Fuhrwerke, auch Schlitten Transportmittel des Vertrauens, und an der heute liebevoll renovierten Poststation in La Rösa konnten Pferde gewechselt, konnte gegessen, getrunken

und geschlafen werden, bevor man sich auf den mühsamen Weg nach Norden machte. Dann kamen die Autos, kam Asphalt, und selbst wenn der Schnee auf der Passhöhe acht, neun Meter hoch liegt, wird die Strasse geräumt und man fährt halt zwischen weissen Wänden, was dem Abenteuer bis heute keinen Abbruch tut. Aus dem nahen St. Moritz schwappten die Automobilisten herüber, und 1929 wurde die Internationale Automobilwoche St. Moritz veranstaltet, mit dem Rennen über den Bernina als Höhepunkt und Fahrern wie «Bergkönig» Hans Stuck, Rudolf Caracciola oder Louis Chiron. Kurt Engelhorn hat einen weissen Overall an, dazu ein Käppi, wie es Fahrer damals getragen haben, und einen Schal. Er ist gross und schlank, sein Schnauz lässt ihn frappant zeitkorrekt erscheinen, als er sich in seinen Jaguar Lister Costin Baujahr 1959 schält. Ihm ist zu verdanken, dass es dieses Rennen wieder gibt. Sein Ururgrossvater hat einst BASF gegründet, sein Vater Boehringer Mannheim gross gemacht und später verkauft. Kurt (man ist hier per Vorname beim Bernina Gran Turismo) liebt und vermehrt schöne Dinge. Autos, klar, aber auch Immobilien, von denen alle etwas haben: Das «El Paradiso» über St. Moritz ist beinahe zu stilvoll, um noch «Berghütte» genannt zu werden. Ähnliches gilt für die ehemalige Poststation in La Rösa, direkt an der Startlinie des Bernina Gran Turismo: Hier wurde das Alte bewahrt und mit modernen Mitteln bewohnbar gemacht, ohne dem Gebäude aber die Seele zu rauben. «Rough Luxe» nennt Kurt Engelhorn das, und dazu gehört eben auch, dass das Badewasser mit Holzöfen auf Temperatur gebracht wird, die Türstöcke auf Stirnhöhe enden und im Winter geschlossen ist, weil die Hauswasserleitung leider nicht frostsicher ist. Diesem Charme ist auch das Bernina Gran Turismo verpflichtet: alt, aber besonders. Wertvoll, aber im Zweifelsfall zählt das Herz mehr als die Brieftasche (was auch den Volvo 244 im Starterfeld erklärt). Mehr als 80 Starter wird es nie geben, man will den familiären Charakter behalten. Carl Gustav Magnusson, im anderen Leben ein bedeutender Industriedesigner mit Wohnort New York und Mailand, ist hier schlicht Carl, steht mit einem Porsche 912 am Start und definiert das Bernina Gran Turismo als eines von drei Pflicht-Events des Klassiker-Jahres neben dem Historic Le Mans und dem Festival of Speed in Goodwood. «Aber das Bernina Gran Turismo ist das sympathischste.» Genius loci trifft alte, starke Autos, die von ihren Besitzern gebändigt werden wollen, da sind wir wieder bei Hemingway. Kein ESP, kein ABS, dafür Ehrfurcht ge-

Der Geist des Bernina Gran Turismo: Christian Klainguti und sein Riley aus dem Jahr 1929 gehören genauso hierher wie der Audi Urquattro aus den 1980ern im Hintergrund oder der rote O.S.C.A. aus den frühen 1960ern daneben.


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bietende Leistung. Einen Porsche 911 RS, einen frühen Aston Martin musst du ernst nehmen, genau wie den Berg. Dabei ist die Route ziemlich flüssig, der Asphalt so eben, dass man selbst mit Formel-Autos Spass hat, etwa Johannes Jäger in einem Formel Ford aus dem Jahr 1971 oder Ewan Cameron mit einem Harrier Formel 5000, einem Auto jener US-Serie, die mit Motoren bis fünf Litern Hubraum der Formel 1 Ende der 1960er Jahre Konkurrenz machen sollten. Wie das zusammenpasst? Siehe oben. Vielfalt, Enthusiasmus, Herz, Können. Die Passstrasse auf den Bernina verändert auch ohne Tempolimit ihr Gesicht nicht. Viele Kurven im dritten oder vierten Gang, an zwei Stellen nehmen Schikanen aus Strohballen ein wenig Tempo raus. Wohl einzigartig: Um auf einer öffentlichen Strasse rennen zu dürfen, spendierten Kurt Engelhorn und Co. zusätzliche Leitschienen, die selbstverständlich permanent stehen bleiben. So haben alle etwas von dieser schönen Veranstaltung im Herbst, sogar ungestüme Motorradfahrer auf der Durchreise im Mai. Die Stimmung unten im Tal in La Rösa mag angespannt sein aber nicht verkrampft. Die meisten Starter haben schon zu viel erlebt, um sich von einem Bergrennen emotional ausser Tritt bringen zu lassen. Das gilt auch für die Autos, samt und sonders in gutem bis sehr gutem Zustand. Patina ist okay, technische Fahrlässigkeiten wären es nicht. Selbst der Vauxhall aus dem Jahr 1913 hoppelt nach wenigen Metern des Anschiebens durch sein Team klaglos an. Der Lancia Delta Integrale, Ex-Carlos Sainz und noch mit originaler Startnummer aus der Rallye-WM, verliert da und dort ein wenig Lack, aber auf einem Picasso kritzelst du ja auch nicht mit dem Kugelschreiber rum, wenn ihm an einer Ecke die blaue Farbe abgeht. Die Startintervalle werden so gewählt, dass die Schnellen nicht auf die Langsamen auflaufen können. Da wartet der Starter unten eben ein wenig länger, bevor man einen, der es ganz ernst meint und rhythmisch das Gaspedal melkt, unten losschickt. Die grossen Dramen bleiben erwartungsgemäss aus, obwohl das Tempo hoch ist. Die Fahrerei ist durchaus ernst, die Helden haben zu kämpfen und tun das auch. Die schmalen Bugatti-Räder, die Walzen der Formel-Autos, die Slicks der Rennwagen, die Serienräder der Alfas und Porsches: Alle bekommen so viel Haftungsaufgaben, wie sie verarbeiten können; ein Idealzustand. Grösster Unsicherheitsfaktor bleibt das Wetter, denn der Bernina ist der Bernina, und wenn die Wolken das Zeitkorsett durcheinanderschieben, weil man nichts sieht, dann ist das eben so. Nur der Chauffeur vom Postauto telefoniert (wahrschein-

lich mit seinem Chef ), denn mit der Pünktlichkeit wird das heute nichts mehr. Daneben steht ein Rudel Bündner Jäger, trotz früher Stunde bereits mit Bieren in den Händen. «Die haben keine Freude mit uns, wir verjagen wohl das Rotwild», mutmasst ein Teilnehmer, doch mitnichten: Die Show ist für sie längst gelaufen, einer der Ihren hat einen Hirsch erlegt, Achtender, der wird nun begossen, und die vermeintlich finsteren Blicke sind bloss Unsicherheit, ob man sich, so wie man ist, den wertvollen Autos nähern kann, und ja, man kann. Gern sogar. Oben am Parkplatz vor dem Hospiz, wo die fertig gerannten Autos ausschnaufen, sieht es schon anders aus, hier wird fotografiert und fachkundig gefragt, Fahrer mischen sich unter Zuschauer, sogar die Sonne ist durchgekommen, jetzt endgültig. Es wird gegessen und getrunken, später zieht die Karawane nach St. Moritz und lässt es sich gut gehen, ganz im Stil der alten Tage. Dazu gehört auch, dass fast jeder Teilnehmer einen Pokal bekommt, weil er durch die Marken- und Zeitenvielfalt in aller Regel ziemlich allein ist in seiner Klasse und somit ein Sieger. Gäbe es das Bernina Grand Turismo nicht, man müsste es richtiggehend erfinden.

ENGLISH SUMMARY

BE R NINA GR A N T U R ISM O Last autumn, the Bernina Pass was closed off between La Rösa and the hospice during an entire weekend for the fourth Bernina Gran Turismo, where enthusiasts can go wild in their classic cars. They compete in several classes, either for the fastest time or to hit a cut of 80 kilometres per hour as precisely as possible. But at the end of the day they’re all just here to have fun, and almost everyone ends up with a trophy of some sort, because given the variety of the cars’ brands and build years almost all participants are literally a league of their own – and therefore winners.

Dieses Foto könnte 100 Jahre alt sein, wenn nur der neumodische Asphalt nicht wäre: Vauxhall 30-98, Baujahr 1913, zu seiner Zeit mit 90 PS ein sehr schneller Sporttourer.

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Es sieht unzweifelhaft besser aus, wenn ein graziler O:S.C.A. 1600 Zagato über den Bernina fährt statt mächtige SUVs.

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Kurt Engelhorn im kniehohen Jaguar Lister Costin, Baujahr 1959.

Charles Morgan im bestialisch lauten Morgan Three Wheeler, Baujahr 1934.

Gian-Pietro Rossetti im atemberaubenden Maserati A6GCS, Baujahr 1954.

Vic Jacob im Austin Healey 3000 Mark I in seltener Stelvio-AusfĂźhrung, Baujahr 1960.

Carsten MĂźller in seinem filigranen Lotus Elite, Baujahr 1961.

Tom Jeck in seinem einzigartigen Triumph Asper, Baujahr 1960.

Alexander Boller im, pardon, bollernden Ford Falcon, Baujahr 1965.

Kay Rimmele im 550 Kilo leichten Nomad Mark I, Baujahr 1967.


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Was für ein Name für eine Siegerin: Dana Perfetti, Lancia Fulvia Coupé 1600 Baujahr 1970.

Fachsimpeln am Start: Huron Formel Ford 1600 aus dem Jahr 1971. Fahrer: Johannes Jäger.

Tudor Roberts, Vauxhall: Vor-Weltkriegs-Autos verlangen eine gewisse Hemdsärmeligkeit. Vor allem, wenn es sich um vor dem Ersten Weltkrieg handelt.

Auch optisch ein tadelloser Auftritt: Alfa-Crew im Stil der Pulverdampf-Ära. Ihre Autos: Giulias, Giuliettas und ein GTA 1300 Junior.

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Kurt Engelholm rollt runter zum Trainingsstart. Am Freitag und Samstag war das Wetter noch fein. Am Sonntag gar nicht mehr.


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PHILIPP KEEL KÜNSTLER UND VERLEGER

Te x t : Mi c ha e l Jü rg s

Fo t o g ra f i e : S e bas tian Mag n an i

Wie Philipp Keel seine Begabungen als Künstler mit seinen Aufgaben als Verleger vereint. BIANCO

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Ein Mann f체r gewisse AugenBlicke

In seinem Atelier, einer ehemaligen Fabriketage in Z체rich, h채ngt Keel seine Kunst mitunter eigenh채ndig auf.

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PHILIPP KEEL KÜNSTLER UND VERLEGER

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as ihm genetisch Vererbte – Mutter Anna Malerin, Vater Daniel Verleger, beide in Frieden ruhend nahe bei James Joyce und Elias Canetti auf dem Zürcher Friedhof Fluntern – hat ihr jüngster Sohn, Philipp, vereint in sein Leben als erwachsener Mann. Denn Philipp Keel wollte stets was Eigenes. Mit seinen Fotos und der daraus entwickelten Kunst, mit seinen fragilen ironischen Zeichnungen, seinen farbkräftigen Aquarellen emanzipierte er sich auf seine Art. Der Erfolg seiner Bücher «All About Me» und «All about Us» – Gesamtauflage drei Millionen Exemplare – machte ihn auch finanziell unabhängig. Nach dem Tod seines überlebensgrossen Vaters musste er 2012 dann das tatsächliche Erbe und nicht nur das ihm Vererbte pflegen. Philipp Keel ist der Verleger des Diogenes Verlages in Zürich. Seit der Gründung 1952 hat der, benannt nach dem 413 vor Christus geborenen verhaltensauffälligen griechischen Philosophen Diogenes, rund 4000 Titel von 800 Autoren in einer Auflage von mehr als 200 Millionen veröffentlicht. In Zeiten wie heutigen, da immer weniger gelesen wird, da Verlage noch ungefähr die Hälfte von dem verdienen, was sie früher verdient haben, hält sich Diogenes mit einem Jahresumsatz zwischen 30 und 35 Millionen Euro bei jährlich rund 100 Neuerscheinungen aber noch erstklassig auf dem deutschsprachigen Markt für Literatur. Ein Leben ohne Diogenes scheint zwar möglich, so wie nach Loriot eines ohne Möpse, aber nicht lebenswert. Seit 65 Jahren erscheinen dort die Bücher des preussischen Allroundgenies Vico von Bülow, alias Loriot. An Daniel Keel, den Vater, schrieb der am 23. Oktober 1953: «Ich schicke Ihnen nun etwas über hundert Zeichnungen. Die Serie ‹Auf den Hund gekommen› erschien in diesem Sommer in der Illustrierten ‹Stern› mit ungewöhnlichem Echo bei der Leserschaft. 60 Prozent der Schreiber sahen sich im Heiligsten verletzt und drohten mit sofortiger Beendigung des Abonnements, die übrigen 40 wünschten die Serie möglichst bald als Buch zu erwerben … Ohne Ihnen im Geringsten schmeicheln zu wollen – ich finde Ihr Unternehmen grossartig, auch dann, wenn ich auf keine Gegenliebe stossen sollte.» Er stiess spontan jedoch auf Gegenliebe. Im Sommer 1954, neun Monate nach jenem Brief, erschien Loriots erstes Buch, «Auf den Hund gekommen«, im Diogenes Verlag. Dort wohnen seine Bücher noch heute und gehören, wie die anderer toter, jedoch unsterblicher Autoren – Longseller von Patricia Highsmith, Friedrich Dürrenmatt, Jules Verne – oder die todsicheren Publikums­ erfolge von Paulo Coelho, Martin Suter, Donna Leon, Bernhard Schlink, Patrick Süskind, Martin Walker, Tomi Ungerer und John Irving zu jenen, die den Verlag nicht nur schmücken, sondern nähren. 20 Millionen wurden weltweit verkauft zum Beispiel von Süskinds Roman «Das Parfum», elf Millionen von Coelhos «Der Alchimist». Drei Viertel aller jährlichen Neuerscheinungen sind zwar möglicherweise gut geschrieben, schreiben in den Bilanzen aber rote Zahlen und müssen von den Bestsellern finanziert werden. Im Business der Buch-Macher war das aber schon immer so. Weil sogar konkurrierende Verlage in vereinten

Jammerchören die drohende Endzeit des Buches beklagen, weil sie in den vergangenen drei, vier Jahren insgesamt mehr als sechs Millionen Leser verloren haben, ihre Umsätze mit dem gedruckten Wort, das laut dem Buch der Bücher, der Bibel, einst am Anfang stand, zwischen zwölf und achtzehn Prozent eingebrochen sind, möchte man nicht unbedingt einen Verlag leiten müssen. In den goldenen Zeiten wurden 2010 Briefe von und an Daniel Keel unter dem passenden Titel «Lustig ist das Verlegerleben» veröffentlicht. Das ist es heute wahrlich nicht mehr. Haben Sie eigentlich immer geahnt, dass Sie nach dem Tod Ihres Vaters der Pflicht zur Nachfolge nicht werden entfliehen können?

«Die Idee, dass dieser Moment kommen würde, schlummerte zweifellos ein Leben lang im Hinterkopf. Als der Moment dann kam, fühlte es sich an wie eine Lawine. Das ganze Zwanghafte, was Menschen in ihrem Leben meinen tun zu müssen, das alles stand vor mir wie ein grosser Berg, von dem ich gern etwas wegradiert hätte. Entscheidend war aber der Gedanke, dass ich es später einmal bereuen würde, wenn ich es nicht probiere – egal, wie anstrengend es werden wird. Der Entschluss, es zu wagen, war himmlisch, weil es überhaupt nicht zu mir passt, in ein Büro zu gehen, zu managen, Verleger zu sein.» Zu bestimmen, was gemacht wird. Wohin es geht. Im übertragenen Sinne Regie zu führen.

«Regie führen hingegen passt eigentlich ganz gut zu mir. Ich hatte das Gefühl, von den Mitarbeitern akzeptiert zu sein, und wenn man plötzlich Verleger wird, ist das das Allerwichtigste. Das hiess aber noch nicht, dass ich neue Autoren finde, das wir jemand Neues so aufbauen können, wie es Diogenes in der Vergangenheit so oft geglückt ist. Abgesehen davon ist dies die letzten Jahre immer schwieriger geworden, weil die Sichtbarkeit von Erfolgen im Allgemeinen kurzlebiger geworden ist. Umso mehr freut es mich, dass wir mit ein paar Dutzend neuen Autoren ein bisschen Glück haben. Der Diogenes Verlag hat sich über viele Jahrzehnte stetig weiterentwickelt, ein Nest, in dem ich zwar aufgewachsen, in das ich aber dennoch hineingetrampelt bin. Ich war nie besonders diplomatisch, habe aber auch nie zuvor in derart gefestigten Strukturen gearbeitet, und so musste ich erst einmal lernen, wie das geht. Inzwischen fühlt sich diese Kiste, die ich schleppe, ganz gut an.» Die Herausforderung, erfolgreich Bücher zu verlegen in einem schwierigen digitalen Umfeld, die reizt ihn. Im Wortsinne: Sie fordert ihn heraus. Sich von unerwarteten Rückschlägen nicht umwerfen zu lassen, ist die Challenge. Krisen gebären Chancen. Als Dieter Kampa, zwanzig Jahre lang Buch-Macher in der Diogenes-Familie, für seine Gründung des Kampa-Verlags die Weltrechte an den Büchern von Georges Simenon erwarb, direkt von Simenons Sohn, hat dieser Coup Simenons bisherigen Verlag kalt erwischt oder, wie es Keel fein mal umschrieb, eine «tiefe Kerbe in unserem Baum» hinterlassen.

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«Regie zu führen, passt eigentlich ganz gut zu mir. Ich habe nie zuvor in gefestigten Strukturen gearbeitet, und so musste ich erst mal lernen, wie das geht» Philipp Keel hatte nie davon geträumt, den Stuhl des Verlegers zu besetzen, wusste aber, dass er sich nach dem Tod seines Vaters Daniel dem nicht würde entziehen können. Inzwischen fühlt es sich für ihn ganz gut an.


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«Ich bin halt ein Tüftler und ich liebe Details. Man muss sich mit einem Print beschäftigen, immer wieder betrachten, bis es in seiner Wirkung vollkommen ist» Fotomotive so zu verändern, dass sie in der Abstraktion neue Tiefe gewinnen, gehören zum Gesamtkunstwerk Keel wie seine Zeichnungen, seine Gemälde, seine Skulpturen, seine Bücher.

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Krisen erzwingen zwangsläufig Entscheidungen der handelnden Personen. Auch Philipp Keels zwei Jahre älterer Bruder Jakob gehört als Chef des Verwaltungsrates zu den Entscheidern. Die Abteilung Diogenes-Entertainment, gegründet 2016, die sich um den Verkauf von Filmund Fernsehrechten der hauseigenen Bücher kümmert, trägt inzwischen entscheidend bei zum Gewinn. Netflix und Amazon Prime, und Hollywood eh, suchen unentwegt starke Stoffe. Eine von vielen Philipp-Keel-Ideen, Aufmerksamkeit zu erringen – durchgesetzt noch zu Lebzeiten seines Vaters –, unverwechselbar zu sein, war die einheitliche Gestaltung der Diogenes Bücher. Auf den ersten Augenblick erkennbare Cover: eine Illustration, darunter gross die Software, also die Namen der jeweiligen Autoren, dann der Titel des Buches, dann die Hardware, also Diogenes. Ohne Verlage müssten Schriftsteller ihre Werke in Fussgängerzonen oder auf Marktplätzen vorlesen und auf milde Gaben hoffen. Die wahren Alchimisten ändern nicht Blech zu Gold, sondern die Welt durch Worte. Der Verleger erfand Slogans, die auf Karten den Büchern oder auf Papiertüten gedruckt für den Buchhandel beiliegen. «Während Sie dieses Buch lesen, finden Sie keine Freunde bei Facebook» (auf Englisch würde das doppeldeutig noch ironischer klingen – Reading this book won’t make you any Facebook friends). Oder: «Ein Schnitzel verschlingen Sie in zehn Minuten. Einen Roman eher nicht.» Der Welt der Intellektuellen, der Berühmten, der Dichter, der Künstler, die er bei trunkenen, fröhlichen, rauchgeschwängerten Abenden im Haus seiner Eltern einst sehen und hören und bewundern konnte – Federico Fellini, Giulietta Masina, Maurice Sendak, Jean-Jacques Sempé, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Tomi Ungerer usw. – ist der jüngste Keel früh entflohen. Nach Boston zum Musikstudium, kurzfristig zurück nach Zürich in die Werbebranche, von 1994 bis 1996 auf die Film–, und Fernsehhochschule nach München und danach weit, weit weg nach Los Angeles. Weiter weg als Los Angeles kann Zürich aus der Weltsicht eines Schweizers vermutlich nicht sein. Stimmt nicht, widerspricht Philipp Keel, die grösste Auslandskommune von Schweizern lebt dort. Ungefähr 100 000 grob geschätzt. Gefolgt von den Deutschen, die ebenfalls weltweit auf der Suche sind nach Heimat. In der Stadt der mitunter auch verdorbenen Engel fühlte er sich zu Hause. Hier konnte er seine Augenblicke suchen und finden im Licht von Kalifornien. Die fotografierte er und wandelte die Fotos in einem aufwendigen Verfahren, der damals neuen Form des Kunstdrucks, der Imbue-Print-Technik, auf mehrfach gebleichtem Papier, in eigene Art um. In seine Kunst. Los Angeles symbolisiert im Global Village als auch die Gegenwart gesichtsloser Metropolen ohne gewachsenes Zentrum, ist aber gleichzeitig auch in der Vergangenheit stehen geblieben und somit aus der Zukunft gefallen. Weil sich dort seit den sechziger, siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts augenscheinlich architektonisch nichts verändert hat. In Los Angeles war der Junge aus dem fernen Dingsda mit seiner früh bereits erlebten unbeugsamen Neugier an einem ihm gemässen Platz.

Inzwischen gehört der mittlerweile Fünzigjährige wieder in die geordnete Zürcher Welt. An einem grauen Novembervormittag wie diesem könnte Keel, verwaschene Jeans, Sweatshirt, Sneakers, vom Joggen kommen oder von einem Spaziergang mit Lebensgefährtin und dem sieben Monate alten Sohn Elliot entlang der Limmat. Im grossflächigen Atelier einer ehemaligen Fabrik hängen seine Bilder und Zeichnungen und Fotos und Siebdrucke, schlummern bunte Objekte unter Glasvitrinen. Zeichnungen in digitalen Zeiten sind so etwas wie ein analoges Tagebuch des Künstlers, von Ungerer oder Steinberg inspirierte flüchtige Augenblicke, festgehalten, umgesetzt auf die ihm eigene Art. «State of Mind» als Titel für eine gedruckte Sammlung passt. Mit wachen, nein: wachsamen Augen-Blicken sitzt Keel an einem grossen Zeichentisch. Bei Gelegenheit lacht er zwischen seinen Antworten entschleunigt. In Los Angeles und New York, wo er insgesamt fünfzehn Jahre lebte, versuchte Philipp Keel alles Mögliche, machte vieles möglich, und von allem möglichst viel. Die genial simple Idee von «All About Me» und «All About Us», passte in die Lebensart der Amerikaner. Die Käufer wurden von Keel mit Fragen über Gott und die Welt, sich oder ihre Partner konfrontiert, die sie handschriftlich beantworten sollten in gedruckten Freiflächen. Selbsterfahrung ohne Psychiater und ohne Couch. Jeder ist sein eigener Therapeut und muss, was bei der Erstauflage mit 500 000 verkauften Exemplaren 1998 in den USA, später auch in Europa, eine Unique Selling Proposition war, kein vollgeschriebenes Buch mehr lesen. Sondern nur Keels Fragen beantworten. Die nach der Lieblingsfarbe, die nach dem liebsten Tier, die nach der liebsten Musik, die nach dem liebsten Traum. Nach den Ängsten. Den Freunden. Der Familie. Dem Ego. Dem vor allem. Insgesamt eine spielerische Aufforderung zur Selbstentblössung der oberflächlichen Art mit hin und wieder bewusst vorgetäuschtem Tiefgang, abgekürzt auch bekannt als VGT. Auf die Idee aber muss man erst mal kommen. Auch so etwas gehört zum Erfolgsmodell Philipp Keel, dem des Augenblicklers – erkannt oder erspürt zu haben die Bedürfnisse einer nicht gar so intellektuellen Lesergemeinde. Dieser Erfolg machte ihn reich. Vor allem reich an Zeit, nur noch das tun zu dürfen, was er wirklich wollte. Selbstbestimmt. Zu zeichnen. Zu malen. Sich leisten zu können, so lange mit Fotos zu experimentieren, bis daraus Kunst wird. Seine Kunst. Warum kann es ein Jahr dauern, bevor aus einem Foto Kunst wird?

«Das klingt erst einmal wichtig, aber ich bin halt ein Tüftler und liebe Details. Mir geht es darum, verschiedene Drucktechniken, natürlich auch die digitalen, auszuprobieren. Ich finde, dass man ein Foto nicht einfach per Knopfdruck im Labor ausdrucken darf. Man muss sich mit einem Print beschäftigen, bis er in seinem Wirken vollkommen ist. Indem ich den Druck eines Fotos immer wieder ruhen lasse, also davon zurückgehe, um ihn beim Zurückkommen neu zu betrachten und zu verändern, fühlt es sich vielleicht an, als würde ich malen, aber ich bin absolut dagegen, dass man Fotos auf Lein-


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PHILIPP KEEL KÜNSTLER UND VERLEGER

wand druckt. Das Zeitalter des digitalen Kunstdrucks habe ich mitgeprägt, ich war der erste Künstler, der mit Epson auf grossen Maschinen experimentieren durfte.»

überhaupt ist hinter dem Steuerrad ein idealer Platz für die Motivsuche, denn man bleibt dabei inkognito.» Mit Los Angeles verbindet man ja die Hollywood-

… der Firma, die das Geschäft mit Farbdruckern dominierte …

«Heute werden viele Fine Art Prints auf diesen Maschinen gedruckt. Aber das Digitale ist eigentlich zu perfekt für Kunst, es fehlt an Spannung, es fehlt das Korn von Film. Je perfekter man Menschen und Natur digital wiedergibt, desto langweiliger wird es. Digital lässt nichts übrig für Fantasie. Gerade deshalb haben wir alle Papiere ausprobiert, die Hand geschöpften, die heiss und kalt Gepressten. Dadurch ist eine neue Art von Tiefe für die Fotografie entstanden, die auf normalem Fotopapier nie möglich gewesen wäre. Ich konnte experimentieren und so meinen Blick auf grösseren Formaten schulen, eine Form der Abstraktion, die meine Arbeit, meinen Stil geprägt hat. Ein Salzfass, also etwas Banales, kann so riesengross zu etwas ganz Eigenem werden. Natürlich hat auch die Originalgrösse ihren Charme.» Die Neugier auf Neues?

«Ich war schon als Kind einer, der die ganze Zeit geguckt hat. Mein erstes Wort war ‹hatzee?!›, meine Abkürzung für ‹hast Du gesehen?›. Diese Frage habe ich allen gestellt, mit denen ich zusammen war. Wenn wir eingeladen waren und ich auf die Toilette musste, bin ich auch in die anderen Räume geschlichen. Mein Vater war auch so neugierig und ich glaube, mein Sohn Elliot ist es auch. Man kann einen Augenblick gucken, aber man kann auch viel länger gucken. Meine Bilder finde ich in ihrem natürlichen Zustand nicht so spannend, daher fing ich an, sie aufzuräumen. Wenn ich beispielsweise eine Bank in einem Park fotografierte und es lag ein zerknülltes Taschentuch vor dieser Bank, dann musste das weg. Ging im Digitalen einfacher als im Analogen. Weil es technisch möglich wurde, begannen wir alle, die Dinge neu zu betrachten. Wenn ich unterwegs einem Motiv begegnet bin, wusste ich bereits, was ich später daraus im Studio machen würde. Das kann dauern. Lichtpunkte spielen eine Rolle, Schatten auch. Ich dachte, wenn du älter bist, wirst du nicht mehr diese Geduld haben, dich drei Monate mit einer Arbeit zu beschäftigen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich brauche heute länger. Eben, manchmal fast ein Jahr.» Kam Los Angeles also zur richtigen Zeit für Sie?

«Als ich nach Los Angeles zog, fühlte sich die Stadt an, als wäre sie irgendwann in den sechziger, siebziger Jahren stehen geblieben. Ich fahre auch gerne Auto (was man heute nicht mehr zugeben sollte), was sich aber gut trifft, da man in dieser Stadt ständig hin und her fährt. Währenddessen kann man wunderbar über vieles nachdenken. In Los Angeles kam mir merkwürdigerweise alles so vertraut vor, wie dort, wo ich geboren wurde, also in der Schweiz, nur eben amerikanisch, grösser, lebendiger. Es fühlte sich an wie ein grosser Spielplatz, wie geschaffen für meine Neugier. Diese Eigenschaft kann man nicht lernen, man kann aber auch nichts dafür. Man kann bescheiden bleiben, aber manchmal ist diese Neugier auch frech. In Los Angeles gibt es viel Platz für diese Frechheit,

Kunst Film, aber auch die Kunst von David Hockney.

«Die Immunität und die Endlosigkeit dieser Stadt haben etwas Beängstigendes, man kann sie nur wegdenken, wenn man länger dort ist. Viele, die nur kurz zu Besuch sind, kommen damit nicht zurecht. Das Schöne an Los Angeles sind das Licht und die Palmen, den Rest habe ich auch erst entdecken müssen. Die Ästhetik ist nicht augenblicklich da, man muss in die Stadt reinzoomen, stehen bleiben mit dem Auto, verweilen. Da sieht man eine merkwürdige Pflanze, eine Laterne aus den 30er Jahren, plötzlich einen gelben Mustang, und ohne danach gesucht zu haben, hat man einen Ausschnitt vor der Nase, der etwas Einmaliges hat. Man quadriert das Bild sozusagen auf der Stelle …» … bedeutet von einem Bild das Überflüssige wegschneiden.

«Richtig, man muss wissen, wo ein Bild aufhört, bereits ahnen, wie es im Rahmen wirkt. Dann wird Los Angeles zu einem der vielleicht attraktivsten Orte der Welt. Das hat Hockney sehr früh erkannt und damit Ikonen der Kunst geschaffen, Palmen vor einem Hochhaus der siebziger Jahre zum Beispiel. Er versteht es meisterhaft, mit Licht und Schatten umzugehen, hat gelernt, das Besondere einer scheinbar normalen Kulisse wiederzugeben.» Abstract Impressionsm statt Abstract Expressionism?

«Ungefähr so. Jeder Künstler sollte sich zuerst in seiner eigenen Umgebung umschauen. Wenn Sie in Los Angeles landen, sehen Sie, dass jeder einen Pool hat. Also ist es naheliegend, wenn man dort lebt, dass plötzlich ein Pool in der Arbeit eine Rolle spielt. Die Dinge, die einem jeden Tag umgeben, drängen sich förmlich auf. Meine Mutter hatte immer Blumen in einer Vase, also malte sie oft eine Vase mit Blumen. Ich halte es wie sie. Ich mache keine grossen Kompositionen, ich sehe etwas und kopiere es – auf welche Art auch immer.» Und Ihre anderen Favoriten ausser Hockney, Ihre anderen Säulenheiligen?

«Saul Steinberg, Tomi Ungerer, Edward Gorey und Maurice Sendak, jüngst auch Christoph Niemann, gehören zu meinen liebsten Künstlern, aber genauso haben mich Irving Penn, Giorgio Morandi und Milton Avery geprägt. An Sempé schätze ich besonders seine Virtuosität, das Hereinzoomen habe ich sicher von ihm gelernt.» In die Nussschale?

«Bestimmt, das ist das Typische bei der Arbeit von Sempé. Und an David Hockney bewundere ich, dass er sich immer wieder neu erfindet, wie ein Süchtiger.» Muss man als Künstler denn gleich süchtig sein nach Perfektion? Reicht nicht wie bei Matisse, der ja auch zu Ihren Favoriten gehört, eine gute Idee? Die mit den damaligen Möglichkeiten sogar sehr ähnlich

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Ich war schon als Kind einer, der immer geguckt hat. Die Frage: Hast du gesehen? habe ich allen gestellt. Man kann einen Augenblick gucken, aber man kann auch länger gucken Was Keel in seiner Umwelt entdeckte, ob in Los Angeles oder in der Heimat Schweiz, und sei es noch so banal, wurde irgendwann von ihm von einem Motiv in ein Kunstobjekt verwandelt.


PHILIPP KEEL KÜNSTLER UND VERLEGER

Aquarium, 2000. Imbue Print, Edition 5, 111,8 x 162,6 cm

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PHILIPP KEEL – REASONS AND SEASONS Ausstellung in der Villa Flor Somvih 19, 7525 S-chanf Fon + 41 81 851 22 30 Eröffnung: 22. Dezember 2018, 17–20 Uhr www.villaflor.ch; www.philippkeel.com

war der Ihren, weil er die konkreten, realistischen Motive, Menschen, Palmen, Strassen mit grossen

ausser Acht gelassen wird, dann wird es gefährlich. Aber nicht nur in Amerika, auch in Europa erleben wir das.»

Farbflächen in zumeist Blau und Grün aus der konkreten Welt ins Abstrakte geholt hat?

«Süchtig sein? Weiss ich nicht. Man muss herausfinden, was es braucht, damit man es kann. Eine Mischung aus Leichtigkeit und Konzentration. Die einen brauchen Ordnung auf dem Tisch, die anderen eine Flasche Whisky. Das ist überhaupt das Geheimnis des Menschen, was er dazu braucht, um es zu können. So genau möchte man das gar nicht wissen. Künstler neigen bestimmt eher dazu, sich in Extremsituationen zu bringen, bis sie den Mut haben, etwas anzufangen.» Anders gefragt: Gehört zum Instinkt des Künstlers, Kunst als jeweiligen Seelenzustand zu erkennen und gegen Überkommenes zu rebellieren?

«Ein Rebell war ich nie. Vieles, was ich hätte ausprobieren können, habe ich noch nicht gemacht. Ich bin ein heftiger Mensch, ja, aber ich denke, ich habe eine gesunde Einstellung, die mich dazwischen bremst. Sicher habe ich auch in meinem Leben peinliche Sachen gemacht. Aber wenn andere es besonders lustig hatten, habe ich doch oft gearbeitet. So war ich in siebzehn Jahren Los Angeles zum Beispiel nie für ein wildes Wochenende in Mexiko oder zum Surfen auf Hawaii. Natürlich bedaure ich das, aber ich war halt meistens in meinem Revier, der Stadt oder den Landschaften und Wüsten um Los Angeles herum.» Ihre Begeisterung ist spürbar, aber zu Amerika gehören ja auch die Tea Party und Donald Trump

«Ja, das stimmt, leider. Dieses Amerika habe ich auch erlebt und finde es furchtbar, wie opportun Amerikaner sein können, wenn es um ihren materiellen Wohlstand geht. Wenn man in Amerika nicht mehr kann, nicht mehr darf, dann bedeutet das auch schnell den Ausschluss aus der Gesellschaft. Das ist wirklich ungeheuerlich. Auf Gehsteigen in Kartonkisten, in windgeschützten Eingängen und unter den Brücken leben in Los Angeles anderthalb Millionen Menschen, die ein Leben hatten, und plötzlich war alles weg. Wenn die Würde des Menschen

Waren die siebzehn Jahre in Los Angeles dennoch die schönste Zeit in Ihrem Leben?

«Zu den schönsten Zeiten meines Lebens gehören unter anderem die drei Jahre an der Filmhochschule in München, wo ich fast nichts gelernt, aber verstanden habe, wie wichtig es ist, einfach einmal ausprobieren zu dürfen. Dieses befreiende Gefühl, ich muss nicht unbedingt etwas produzieren, das sich sehen lässt. Ich war nie ein guter Schüler, war zu abgelenkt, um zuzuhören, zu studieren, ob nun Klavier im Studium in Boston oder die Technik des Films, und ich weiss bis heute nicht, war­ um ich meine grösste Passion, einen Spielfilm zu machen, bislang nicht ausgelebt habe. Ganz ähnlich wie mit meinem Wunsch, ein Kind zu haben. Dieser Wunsch aber hat sich zum Glück dieses Jahr erfüllt.» Nicht ausgelebt, weil Sie von sich selbst zu viel er warten?

«Wahrscheinlich ja.» Von Diogenes, dem der Verlag seinen Namen verdankt, den Philipp Keel leitet, aber sich davon nie Zeit für seine Kunst rauben lässt, gibt es keine einzige überlieferte, belegbare authentische Zeile. Aber jede Menge angeblicher Zitate des unangepassten Freigeistes vierhundert Jahre vor Christus. Ein Buch ist nur dann gut, wenn man wissen will, wie eine Geschichte weitergeht. Wie sie endet. Beim Lesen von Büchern erwacht Fantasie. Denn davon lebt der Mensch. Allerdings könnte man auch mit einem Zitat aus Goethes «Faust« diese Annäherung an Philipp Keel schliessen, den Mann der Augen-Blicke (zumal Goethe immer gern genommen wird): «Werd ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, Du bist so schön, dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen.»

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Dass er als Verleger oft auch Nein sagen muss, weiss Philipp Keel nur zu gut. Als Künstler darf er versinken in die eigene Art, muss nur für sich selbst und seine Arbeit verantwortlich sein.

ENGLISH SUMMARY

PH IL IPP K E E L Philipp Keel always wanted to have a career of his own. And he did: With his photographs and his artwork, his fragile ironic drawings and bright watercolours. The success of his books «All About Me» and «All about Us» – three million copies in total – made him financially independent. But after the death of his larger-than-life father Daniel in 2012, he had to accept his actual inheritance rather than just cultivate his inherited talents – in becoming the publisher of Diogenes Verlag in Zurich. «I’ve never been a rebel. Much of what I could have tried, I haven’t tried yet. I’m a fierce person, yes, but I think I’ve got a healthy attitude that slows me down. Of course I’ve done embarrassing things in my life too. But while others were having a lot of fun, I was mostly just working.»


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KURZ & KNAPP ESSEN AUF DEM BERG

Luxus in schönster natürlicher Architektur in Südtirol: Die zum Alpendorf erweiterte Zallinger Hütte auf der Seiser Alm und die dreigiebelige Berghütte Oberholz in Obereggen

BERGHÄUSER IM SÜDTIROL

QUALITÄTSDESIGN UND HOHER KOMFORT

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Die Zallinger Hütte, vor 160 Jahren eröffnet, lässt mit neuen, verstreuten Chalets den Charme eines Alpendorfes wieder aufleben.

Zallinger Hütte Saltria 74, 39040 Seiser Alm Fon +39 0471 727947 www.zallinger.com Berghütte Oberholz Obereggen 16, 39050 Deutschnofen, Fon +39 0471 618299 www.oberholz.com

Die Berghütte Oberholz, an den Stirnseiten komplett verglast, bietet vom Innern mit drei riesigen Schaufenstern einen grossartigen Blick in die Bergwelt.

S

tilvolles Bauen im sensiblen alpinen Gelände ist eine Kunst. Zwei begeisternde Projekte, jüngst im Südtirol entstanden, liegen beide auf über 2000 Metern Höhe. Zwei «Hütten», die eindrücklich zeigen, wie modern und gemütlich Holzarchitektur sein kann. Besonders interessant sind die beiden Adressen für Wanderer, Skifahrer und Feinschmecker, die hervorragende Küche an architektonisch herausragenden Schauplätzen schätzen. Einen Rückzugsort inmitten alpiner Landschaft hat das vor sieben Jahren gegründete Architektur- und Designstudio noa* (Bozen, Berlin) mit der Erweiterung der Zallinger Hütte auf der Seiser Alm geschaffen. Dem Ort mit traumhafter Sicht auf die

umliegende Bergwelt (Plattkofel, Molignon und Schlern) wurde die historisch gewachsene Struktur des kleinen Dorfes wiedergegeben. In Erinnerung an die verstreuten Scheunen aus dem 19. Jahrhundert setzte man in die umgebende Natur mehrere das Ensemble ergänzende, einheitliche Chalets mit Blockbau-Holzfassaden, in deren Mitte sich nun wieder das 1858 erbaute Kirchlein befindet. Die Aussenwände der Chalets (mit jeweils vier Zimmern) bestehen aus Massivholzblöcken, die übereinander versetzt angeordnet sind und so einen Wechsel zwischen Voll- und Leerräumen bilden – die Holzfassaden vor den grossen Glasfenstern lassen sich öffnen. Lobby, Lounge und Restaurant der historischen Zallinger Hütte wurden ebenfalls komplett neu gestaltet. Um das Wohlbefinden der Gäste kümmern sich Luisa Schenk und ihr Neffe Markus Burger. In den gemütlichen Stuben, dem Speisesaal und auf der Panoramaterrasse wird eine traditionelle, bodenständige Küche geboten (probieren Sie den Kaiserschmarrn!). Das Berghaus auf der Seiser Alm kann im Winter vom Sammelparkplatz für Gäste unten im Tal mit dem Pistenfahrzeug erreicht werden. Eine moderne Interpretation eines alpinen Restaurants, das atmosphärische Innenräume mit weiten Ausblicken verbindet, ist die Berghütte «Oberholz» im Ski- und Wandergebiet von Obereggen in den westlichen Dolomiten. Auf 2096 Metern gelegen, erreicht man das talseitig mit drei vollverglasten Giebeln auf die verschiedene Berggruppen ausgerichtete Restaurant mit dem Sessellift oder über einen Winterwanderweg. Die drei «Stuben», leicht gekurvte, den eindrücklichen Innenraum bildende Raumkörper, sorgen mit ihrer Unterteilung dafür, dass das «Oberholz» nicht nur zu Spitzenzeiten voll wirkt. Die äussere Fassade des Restaurants besteht aus Lärchenholz, die sichtbare Holzkonstruktion im Innern aus Fichte. Die beiden Architekten, Peter Pichler und Pavol Mikolajcak, haben auch die Stühle, Tische und Bänke aus Eiche entworfen. Zur Qualität von Architektur und Interior Design kommt die Küche hinzu. Spezialitäten sind der Risotto von der Obereggener Latschenkiefer, Speckknödel in kräftiger Fleischsuppe oder die hausgemachten Schüttelbrotnudeln mit einem Ragout vom heimischen Hirsch.


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KURZ & KNAPP TRINKEN

Die Genossenschaften Südtirols mischen auch beim Chardonnay international an der Spitze mit

SÜDTIROLS BESTER CHARDONNAY Kellermeister Willi Stürz fährt selbst mit hinauf, über schmale Wirtschaftswege immer weiter nach oben. Hier, in Söll bei Tramin, stehen schliesslich die Reben, die den Ertrag für eine der neuesten, spannendsten und ungewöhnlichsten Kreationen der Südtiroler Weinszene liefern. Zwei Chardonnay-Weinberge, im Durchschnitt 25 Jahre alte Stöcke auf Kalkschotter und Lehm, bis etwa 550 Meter über dem Meeresspiegel ansteigend. Kühle Winde von oben, die Wärme der Südtiroler Ebene von unten: Schon allein an dieser Kombination wird klar, was der Gedanke hinter dem Troy ist, dem neuen Prestige-Chardonnay der Kellerei Tramin. Eleganz, Finesse, Würze soll der Neuling beinhalten, keine mächtige Kopie grosser Übersee-Chardonnays werden. Selbstverständlich seien solche Weine nicht in Südtirol, sagt Willi Stürz und erzählt, wie lange man die Reben und deren Potenzial beobachtet habe. Schon der erste vorgestellte Jahrgang überzeugt, weil er nach dem Ausbau im kleinen Fass noch weitere 22 Monate auf der Feinhefe im Stahltank verbringen durfte. Das Ergebnis ist unzweifelhaft Chardonnay, präzise wie ein Grand Cru aus dem Burgund, saftig wie ein Kalifornier vom Russian River. Zusammen freilich etwas komplett Eigenständiges, die Synthese zwischen Mineralität und Fülle. Südtirol eben!

Endebis dunt liquosandi simi, quame quae pa cor alibus doluptatur, sumet ipsa suntius,

Andreas Caminada (links) und Architekt Gion Caminada.

2015 TROY CHARDONNAY RISERVA Kellerei Tramin, Tramin Klare, offene Frucht, zunächst florale Anklänge, warme gelbe Früchte, Melone, leicht cremig, Anklänge an Getreide und Haselnuss, später auch etwas Zitrus und Passionsfrucht. Im Mund reife, leicht tropisch wirkende Frucht, sehr präsent, kraftvoll, perfekt integrierte Holzwürze, cremig-hefige Fülle, straff, feine Säure, bemerkenswerte Länge, viel Potenzial, sich im Glas immer mehr öffnend. 19/20 2019–2030 www.cantinatramin.it Erhältlich bei: www.cultivino.ch

CASA CAMINADA

BÄCKEREI UND LADEN

Obergass, 7414 Fürstenau Fon 081 632 30 50 www.casacaminada.com

mo 8–18, do–so 8–18 Uhr, di & mi geschlossen

RESTAURANT

HOTEL

di & mi geschlossen

mo 12–22, do–so 12–22 Uhr, di & mi geschlossen Dienstag und Mittwoch Ruhetag

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KURZ & KNAPP ESSEN

Die «Casa Caminada» in Fürstenau ist eine Hommage an die Bündner Esskultur und Architektur. Dank Andreas Caminada und Gion Caminada.

Ein Ort kulinarischer Tradition, bodenständig und weltoffen: Forelle im hellen Teller, Pizzoccheri aus der Pfanne.

CAMINADA & CAMINADA N

ein, miteinander verwandt sind die zwei Caminadas nicht. Beide sind sie Bündner und in der Schweiz weltbekannt, der Spitzenkoch Andreas Caminada aus Ilanz und, 20 Jahre älter, der renommierte Architekt Gion Caminada aus Vrin. Gefunden und schätzen gelernt haben sich die wesensverwandten Namensvettern dank einem gemeinsamen Projekt: der «Casa Caminada» in Fürstenau. Einem Gasthaus, in den letzten zwei Jahren aus zwei ehemaligen Ställen entstanden, mit Beiz, Holzofen-Bäckerei, Speisekammer, Laden und zehn schönen Doppelund Familienzimmern. «Uns war wichtig», sagen die beiden Caminadas, «die Casa aus Bündner Holz und Bündner Steinen zu bauen. Ebenso wichtig, Bündner Produzenten eine Bühne zu geben.» Alpen-Chic ist ein Fremdwort im Haus vis-àvis von «Schloss Schauenstein», dem Drei-Sterne-Restaurant von Andreas Caminada. Wer die «Casa Caminada» betritt, wird gleich eingenommen von der schlichten Architektur, die auf jeglichen luxuriösen Schnickschnack verzichtet, von den mattroten, runden Stützpfeilern, der Theke oder dem Holzboden, mosaikartig verlegten Klötzen von über 150 Jahre alten Balken, gerettet aus der ursprünglichen Bausubstanz. Was verspricht die Speisekarte im neuen Reich von Küchenchef Mathias Kotzbeck, der zwei Jahre auf «Schloss Schauenstein» und eine Wintersaison lang im «Igniv» in St. Moritz gearbeitet hat? Klassiker aus Graubünden. Capuns (Fr. 19.–/28.–), Pizzoccheri mit Wirsing und Zwiebeln (Fr. 18.–/27.–). Maluns mit Apfelkompott und Bergkäse (Fr. 22.–/29.–). Man bekommt aber auch andere Gerichte mit Bodenhaftung. Ein Entrecôte vom AngusRind (Fr. 45.–), Rehpfeffer oder Gamsrücken zur Wildsaison, ein Kalbsvoressen, knusprigen Schweinebauch, eine

Winzerwurst mit Bramata-Polenta oder Quark-Bizochels. Probiert haben wir das marinierte Forellenfilet mit Randencarpaccio an einer Holunder-Kapern-Vinaigrette (Fr. 18.–), danach die Ravioli mit einer Füllung von gedörrten Birnen an einer nussigen Butter, serviert in hübscher Keramik in verschiedenen Grautönen (Fr. 22.–/29.–) – wunderbar, beides. Dazu könnte man sich aus dem Fundus an feinen Weinen eine schöne Flasche aussuchen, die Auswahl an Weinen regionaler Winzer ist grossartig. Wer sich etwas ganz Besonderes gönnen möchte, lässt sich eine Magnumflasche von Martha und Daniel Gantenbein aus Fläsch entkorken. Eine andere Möglichkeit: Dultschems (Desserts). Sehr empfehlenswert ist die karamellisierte Apfeltarte mit Vanilleglace. Wer sich nach dem Essen in der «Casa Caminada» in einem der einladenden Zimmer zur Ruhe legt, wird keines Weckers bedürfen. Morgens wird man vom Duft frischen Brots geweckt, das aus einem 50 Tonnen schweren Ofen aus Tuff kommt – Jens Jung ( John Baker, Zürich) war anfänglich beratender «Gastbäcker». Selbstverständlich kann das Brot auch gekauft werden. Wie anderes auch, im Laden von Andreas Caminada. Eingemachtes und Gedörrtes, Käse, Salsiz und anderes aus der Speisekammer.

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KURZ & KNAPP LUIS TRENKER

Das Villnösser Brillenschaf ist eine alte Rasse und wäre vor ein paar Jahren beinahe ausgestorben

Das Brillenschaf. Michi Klemera, Trenker-Inhaber, bei BrillenschafZüchtern. Im Dezember wurden zwei neue Luis Trenker Stores eröffnet, in Seefeld (A) und Zürich.

Wer den Namen Luis Trenker hört, hat gleich ein Bild im Kopf. Eins in Schwarzweiss. Ein naturverbundener Bergler mit geschultertem Seil, Eispickel, Jägerhut und Knickerbockers. Luis Trenker, 1990 im Alter von 97 Jahren gestorben, war Schauspieler, Bergsteiger, Schriftsteller und Regisseur. Jüngere Leute kennen Luis Trenker als Modemarke. Es gibt gleich zwei: «Luis Trenker» (die Alpine Lifestyle Collection) sowie «Luis Trenker berg» (die Alpine Lifestyle Outdoor Collection). Was hat das mit dem Schaf mit den schwarzen Ohren und der schwarzen Augenpartie zu tun? Das ist eine längere Geschichte. Das Vill­nösser Brillenschaf ist die älteste Schafrasse Südtirols und wäre vor ein paar Jahren beinahe ausgestorben. Ein paar Liebhaber haben sich dann zusammengetan und versuchen nun durch Zucht, die Brillenschafe zu erhalten. Erste Erfolge sind statistisch erfasst. Der Bestand hat sich im letzten Jahr leicht erholt und liegt jetzt bei etwa

LUIS TRENKER: AUFS SCHAF GEKOMMEN

www.villnoesser-brillenschaf.eu, www.luistrenker.com

1000 Tieren in 115 Südtiroler Herdebuchbetrieben. Kleine Restbestände des Villnösser Brillenschafs gibt es in der Schweiz, in Bayern und in Österreich. Günther Pernthaler, Besitzer von 50 Brillenschafen und Vertreter der Villnösser Brillenschafzüchter im Südtiroler Kleintierzuchtverband: «Die dortigen Zuchtbetriebe kaufen immer wieder neue Blutlinien in Südtirol nach.» Der Innsbrucker Alpenzoo halte zudem eine kleine Herde wegen der Vielfalt der Biodiversität im Alpenraum. Das Fleisch des Villnösser Brillenschafs wurde in der Vergangenheit schon gut verwertet, wohingegen die Wolle ein Ballast für die Bauern war, da sie immer aufwendig entsorgt werden musste, sie jährlich viel Geld kostete. Heute wird fast der gesamte Bestand der Wolle von Michi Klemera aufgekauft, Inhaber und Kopf der Marke Luis Trenker, mit technischen Fasern hochwertig verarbeitet, um als warme und weiche Fütterung eine neue Funktion in Luis-Trenker-Skijacken zu finden.

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iese Ausgabe von FRENZELS WEINSCHULE will Ihnen Wein praktisch und unmittelbar nahebringen. Renommierte Autoren vermitteln auf neue und informative Weise das Grundwissen rund um das Thema Wein. Im Mittelpunkt stehen Charakter und Aromenprofil der wichtigsten Rebsorten und die Welt der Sensorik. Vor allem die anschauliche Bild-

sprache hilft dabei, die geschmacklichen Unterschiede der Weine auf einen Blick zu erfassen. Weitere Schwerpunkte bilden die umfassende und tiefgründige Geschichte des modernen Weins und das Thema Essen und Wein mit vielen hilfreichen Hinweisen für eine gelungene Wein und Speisen-Kombination. Konkrete praktische Tipps und Informationen zu den Themen Weinkauf und Weinpflege, die Weinprobe zu Hause und den wichtigsten Accessoires beschließen diesen opulenten Bildband.

Barriquekeller der Weindynastie der Marchesi Frescobaldi

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KURZ & KNAPP D I E W E I S S E G E FA H R

Weltweit gibt es ein gutes Dutzend Institute und Stationen, die Lawinen wissenschaftlich untersuchen. Am bekanntesten ist das Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos.

UNBERECHENBARES NATURPHÄNOMEN 57 Prozent der Menschen, die in den vergangenen 20 Jahren in den Schweizer Bergen von einer Lawine verschüttet wurden, überlebten. 61 Prozent der tödlichen Lawinenunfaälle ereigneten sich bei Lawinenwarnstufe 3. Die Überlebenschance nach einem Lawinenabgang beträgt in den ersten 18 Minuten bis zu 90 Prozent. Sie sinkt auf praktisch null nach anderthalb Stunden. Die weisse Gefahr lässt sich beziffern. Aber Lawinen bleiben die mächtigste, bedrohlichste Naturgewalt der Alpen. Unberechenbar, zerstörerisch. In der Schweiz gibt es rund 500 Kilometer Lawinenverbauungen und 300 fest installierte Spreng­­anlagen. Das und viel mehr erfahren Besucher der Ausstellung «Die weisse Gefahr. Umgang mit Lawinen in der Schweiz» (Alpines Museum in Bern, bis 21. April 2019), die sich mit den unterschiedlichen Facetten im Umgang mit Lawinen beschäftigt. Vom Lawinenschutz über die Risikoeinschätzung in Wintersportregionen bis zur professionellen Lawinenrettung. Mit verschiedenen Themenfeldern werden emotionale und wissensorientierte Zugänge zum Naturphänomen zwischen Furcht und Faszination eröffnet. Im Kampf gegen die Schneemassen einer Lawine sind Retter die grosse Hoffnung. Zum Thema Rettungshund gibt die Ausstellung in diversen Führungen Auskunft («Barry – Dichtung und Wahrheit», «Rettungshund 2.0»). Anhand von Knochen und Skeletten wird gezeigt, dass der berühmteste Rettungshund kein Bernhardiner war. Oder man hört, dass die ETH Sensoren für menschliche Ausdünstungen entwickelt, die es in Zukunft mit der Schnüffelfähigkeit von Hunden aufnehmen können sollen. Man darf sich also fragen, ob mit diesen «elektronischen Rettungshunden» eine neue Ära in der Lawinenrettung beginnt. Wer sich mit dem Thema eingehender beschäftigt, wird irgendwann auf eine neue Technologie und die Firma Bluebird Mountain stossen. Es handelt sich dabei um einen Flugroboter, den der Skifahrer in die Luft katapultieren soll, wenn er von einer Lawine erfasst wird. Entwickelt hat «Ikarus» ein norddeutsches Start-up von vier jungen, passionierten Skifahrern, einem Energie- und Umwelttechniker, einem Wirtschaftswissenschaftler, einem Flugzeugsystemtechniker und einem IT-Experten. Das Quartett hat inzwischen eine Kleinserie ihres Prototyps gebaut und in den deutschen und österreichischen Alpen mit ersten Kunden getestet.

Es gibt verschiedene Lawinenarten, vom Schneebrett bis zur Nassschneelawine. Bei der Staublawine bei grosser oder sehr grosser Lawinengefahr vermischen sich Schnee und Luft. In der Schweiz gibt es 500 Kilometer Lawinenverbauungen und 300 festinstallierte Sprenganlagen.

Lawinen sind auch für die Uno-Kulturorganisation Unesco ein Thema: Ende November 2018 hat sie den Umgang mit der Lawinengefahr als immaterielles Kulturerbe in ihre Repräsentative Liste aufgenommen. Damit anerkennt die Unesco das traditionelle Wissen im Alpenraum. Die Kandidatur hatten die Schweiz und Österreich im März 2017 eingereicht. Sie entstand aus der Zusammenarbeit des Bundesamts für Kultur, des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung, des Schweizer Alpen-Clubs, des Schweizer Bergführerverbands, des Bundesamts für Umwelt, der Fondation Barry, des Kantons Wallis sowie der österreichischen Unesco-Kommission und weiterer Organisationen im Nachbarland. www.alpinesmuseum.ch, www.bluebirdmountain.de

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Ausgabe Winter 2018/2019

Wolfram Meister wolfram.meister@biancomag.ch

BIANCO

Grubenstrasse 11, CH-8045 Zürich Fon +41 44 450 44 10

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Via Brattas 2, CH-7500 St. Moritz www.biancomag.ch

ART DIRECTOR Jürgen Kaffer

GRAFIK

Falk Heckelmann

VERLAG, ANZEIGEN

BIANCO Verlag GmbH Brigitte Minder Grubenstrasse 11, CH-8045 Zürich Fon +41 44 450 44 12 brigitte.minder@biancomag.ch

Helge Jepsen

Andrea Caprez

PRODUKTEFOTOS

mit freundlicher Genehmigung der Hersteller

COVERFOTO Röbi Bösch

ENGLISCHE TEXTE Katharina Blansjaar

KORREKTORAT Marianne Sievert

DRUCK

AVD Goldach, Sulzstrasse 10, CH-9403 Goldach Auflage Winter 2018/2019 20 000 Exemplare

PREIS

Einzelheft CHF 20.–

REDAKTION

BIANCO erscheint 2x jährlich, im Sommer und Winter

AUTOREN

Alle Rechte vorbehalten

Dario Cantoni, Wolfgang Fassbender, NielsViggo Haueter, Werner Jessner, Michael Jürgs, Stefan Maiwald, Christoph Schuler, Brigitte Ulmer

FOTOGRAFEN

Röbi Bösch, Gian Marco Castelberg, Sebastian Magnani

www.biancomag.ch

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Ü B E R A L L E B E R G E M I T… NIKOLAUS JÜLICH

EISIG BERGAB f__Könnte ein festerer, eher dicker Mensch

den Cresta Run gewinnen? a__Natürlich, das ist auch schon vorgekommen. Das Gewicht beschleunigt tatsächlich in der Bahn, man muss es dann «nur noch» richtig herunter bringen. Die etwas schwereren Athleten haben bei gewissen Wetterbedingungen wie Schneefall, der bremsend auf die Kufen wirkt, sogar gewisse Vorteile.

I nt e r v i e w : St e f a n Ma i wa l d

f__Wie unterscheiden sich die Cresta-Run-

Schlitten vom Skeleton? a__Es

gibt zwei sichtbare Unterschiede: zum einen die Kufe, die am Ende stärker gefräst ist, um dem auf ihr lastenden grösseren Druck standzuhalten, zum anderen den Heckaufbau des Schlittens, der beim Skeleton flach ist. Ein Cresta-Schlitten ist am Heck für die Hüfte verschalt, etwa so wie der Schalensitz eines Rennautos.

f__Was unterschätzen Anfänger, die das

erste Mal starten? a__Die

Geschwindigkeiten von mehr als 100 Kilometern/Stunde und das aktive Steuern des Schlittens. Es ist sehr wichtig, es die ersten Male langsam angehen zu lassen.

f__Wie steuert man? a__Es braucht feine Steuerbewegungen, ähnlich wie beim Skeleton. Hier gilt die Regel, weniger ist mehr, um sauber und fehlerfrei zu fahren und dennoch schnell zu bleiben. In der berühmtesten Kurve Shuttlecock muss man vor der Kurve sein Gewicht nach hinten verlagern, die Hüften in die schon erwähnte Heckverschalung pressen und mit dem rechten Arm den Schlitten um die Kurve stossen.

f__Was ist die häufigste Unfallursache? a__Selbstüberschätzung. Wetter- und Eisbedingungen spielen auch eine Rolle, manchmal wissen die Leute gar nicht, was sie da genau tun – sie wissen wenig über ihre eigene Rennausrüstung. Und noch eine Besonderheit, die zu Unfällen führen kann: Die Bahn wird jedes Jahr aufs Neue gebaut. Damit gibt es von Saison zu Saison kleine Unterschiede, die die Bahn leichter oder schwieriger machen können.

f__Ist Schnelligkeit auch eine Material­

frage?

f__Es ist also schwieriger, als es aussieht? a__Zugegeben: Für jemanden, der den Sport nicht ausübt, sieht alles etwas banal aus. Man rutscht ja einfach auf dem Bauch die Eisbahn runter. Doch feine Lenkbewegungen, um die Ideallinie zu finden und zu halten, machen den Unterschied in der Endzeit aus. Natürlich kann sich jeder auf so einen Schlitten werfen – die Frage ist nur, ob er heil unten im Ziel ankommt. f__Haben auch Routiniers wie Sie noch

Angst? a__Anfangs

weiss man nicht wirklich, was einen erwartet. Es ist eher eine Mischung aus Aufregung und Angst. Später aber, vor

allem vorm «Top»-Start, also von ganz oben – ein Privileg, das man sich erst erarbeiten muss –, hat jeder Mann Angst. Heute ist der «Top»-Start für mich zwar Routine, dennoch habe ich Respekt.

Ja, das macht schon einen grossen Teil des Rennens aus. Früher waren die Schlitten aus Holz und Metall, später aus Stahl und Edelstahl, heute aus Sprungstahl und Karbon. f__Bei vielen Schlittensportarten entschei-

B E R U F Nikolaus Jülich, 32, aus Champfèr im Engadin, ist im Hauptberuf Yachtbroker. S P O R T Jülich will beim «Grand National» Cresta Run am 17.Februar 2019 seinen Titel verteidigen. Er ist einer der wenigen Engadiner, die das prestigereiche Rennen gewinnen konnten, das seit 1885 ausgetragen wird – und damit als ältestes Wintersportevent der Welt gilt. Wird es auch dieses Mal einen Heimsieg in St. Moritz geben?

det sich schon fast alles beim Start. Ist das beim Cresta auch so? a__Was man am Start gut macht, nimmt man mit ins Ziel. Doch beim Cresta kann man auch mit einem nicht ganz so guten Start das Rennen für sich entscheiden, fahrerisches Talent vorausgesetzt. Ein grosser Teil des Wettkampfs findet bereits vor dem Start statt, denn man muss die Nerven behalten, um auf einer Eisstrecke von 1250

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Metern Länge in weniger als einer Minute keine Fehler zu machen. f__Wie machen Sie sich beim Start schnell?

Wir benutzen normale Fussballschuhe mit einer speziell angeschraubten Metallkonstruktion an der Fussspitze. Die Konstruktion ist mit Spikes versehen, um zu steuern und zu bremsen. Aber sie schützt auch die Zehen. f__Welche Muskeln müssen besonders

trainiert sein? a__Die

f__Wie hoch ist die Siegprämie? a__It’s

a Gentlemen’s Club! Im Cresta geht es um Spass, Ruhm und Ehre. Und um ein bisschen Silber und Champagner. Auf den Pokalen wird immer der Gewinner mit Jahresdatum eingraviert, die Pokale bleiben in Clubbesitz und sind im «Kulm Hotel» in St. Moritz ausgestellt. Wir Fahrer bekommen als Andenken den Pokal in kleinerer Ausführung. f__Also gibt es keine Unterstützung, keine

Sponsoren?

wichtigsten Muskeln sind Rumpfund Beinmuskulatur. Der Start hat viel mit Kraft zu tun, das Fahren mit Gefühl. Wie immer im Rennsport braucht es eine gute Mischung.

der Cresta Run ist ein Amateursport, daher fällt finanzielle Unterstützung weg. Unterstützung erhalte ich durch Familie und Freunde.

f__Wie trainieren Sie im Sommer?

f__Würde Sie Skeleton reizen, um vielleicht

a__Naja, ich

einmal bei Olympia anzutreten?

bin nicht das Vorzeigemodell, was das Training anbelangt. Das ideale Training wäre Leichtathletik, zum Beispiel Kurzstreckensprints. Sonst tut es das Gym auch. Wenn es sich beruflich einrichten lässt, surfe ich oder spiele Squash.

a__Nein,

f__Vermeiden Sie andere Risikosportarten

wie Skifahren, um sich nicht zu verletzen? a__Nein,

auf keinen Fall! Der Cresta Run ist ein privater Club und der Sport ein Amateursport. Natürlich betreiben die Herrschaften, die immer vorne ums Podest mitfahren, mehr Aufwand, doch letztlich ist es auch ein Spass. Einschränkungen sollte es nicht mit sich bringen. f__Wie oft dürfen Sie auf der Piste trainieren? a__Als Member darf man tagtäglich trainieren, ausser an den Tagen, an denen die Rennen stattfinden. f__Sind Sie schon mal verunfallt? Oder

hatten Sie brenzlige Situationen? a__Verunfallt schon öfters, verletzt auch schon. Meine Unfallstatistik ist für 850 Fahrten gar nicht mal so schlimm: Ich bin genau 17-mal gestürzt.

ENGLISH SUMMARY

N IKOL AU S JÜ LIC H Nikolaus Jülich, 32, from Champfèr, is aiming to defend his title at the «Grand National» Cresta Run on February 17, 2019. He’s one of the few locals to have won the prestigious race. The Cresta Run has been held since 1885, making it the oldest winter sports event in the world. Jülich was once a member of the Swiss Skeleton Team, «but I had to give that up for professional reasons. Although I grew up in Champfèr, right next to St. Moritz, I didn’t really know what this Cresta Club was. I thought it was just a bunch of crazy Englishmen on sledges who regularly ended up in hospital.»

a__Ich

war sogar schon einmal im Schweizer Skeleton-Team! Aber das musste ich aus beruflichen Gründen aufgeben. Das kam so: Ich habe mit dem Crestafahren wegen eines älteren einheimischen Freundes begonnen, der meinte: Es bräuchte dringend neue junge Fahrer im Cresta Club. Obwohl ich hier oben in Champfèr, direkt neben St. Moritz, aufgewachsen bin, wusste ich nicht genau, was dieses Cresta überhaupt ist. Ich glaubte, dort schlittelten ein paar verrückte Engländer, die regelmäs­sig in die Klinik Gut eigeliefert wurden. f__Dennoch probierten Sie es einmal aus … a__Ja, und nach meiner ersten Fahrt packte es mich! Diese enorme Geschwindigkeit sorgt für richtig viel Adrenalin, und mich faszinierte, dass man zuallererst gegen sich selbst kämpft. Erst später erfuhr ich von der Bedeutung der Cresta: Mit dem Gründungsjahr 1885 sind wir immerhin älteste anerkannte Wintersportart der Welt und Ursprung aller Schlittensportarten. Ich wollte, dass auch mein Name einmal auf den historischen Holztafeln im Club verewigt wird, zu denen jeder aufschaut. Mir wurde schnell klar, dass ich mehr trainieren musste. Daher fing ich parallel mit dem Skeletonfahren an. Erst jetzt bin ich wieder auf Cresta spezialisiert. f__Und hat Ihnen der Skeleton-Seitensprung

genutzt? a__Skeleton

ist ein ideales Training und die perfekte Vorbereitung für Cresta. Man kann es etwas mit Formel 1 und Rallye vergleichen. Beides hat definitiv seinen Reiz. f__Haben Sie es auch ausserhalb der Eispi-

ste gern schnell? a__Doch, das

kann ich bestätigen, Extremsport und Sportarten mit viel Risiko und Adrenalin reizen mich sehr. Basejumping und Wingsuit Flying würde ich gern einmal probieren, aber es wurde mir von meiner Freundin verboten.


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BYE-BYE! Ein dickbauchiges Luftschiff auf winterlicher Kreuzfahrt. Bei schönstem Wetter über schneebedeckten Bergen. Gibt es nur im Fantasy-Film. Oder bei Pinterest, Stichwort: Airship. Wir wünschen Ihnen eine fantastische Zeit. Bis zur Sommer-Ausgabe von BIANCO. DAS NÄCHSTE HEFT ERSCHEINT IM JULI 2019

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