Jahrbuch 2010

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JAHRBUCH 2010 ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR ALPIN- UND HÖHENMEDIZIN


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J A H R B U C H 2010 ÖSTERREICHISCHE GES E L L S C H A F T FÜR ALPIN- UND HÖHE N M E D I Z I N

HERAUSGEBER: G. SUMANN W. SCHOBERSBERGER M. BURTSCHE R W. DOMEJ


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IMPRESSUM Herausgeber: SUMANN Günther, Prim. Dr. med., Institut für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Landeskrankenhaus Vöcklabruck, Dr.-Wilhelm-Bock-Straße 1, A-4840 Vöcklabruck. E-mail: guenther.sumann@gespag.at SCHOBERSBERGER Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vizepräsident der ÖGAHM, Institut für Sport-, Alpinmedizin & Gesundheitstourismus (ISAG), TILAK und UMIT, Anichstrasse 35, A-6020 Innsbruck. E-mail: wolfgang.schobersberger@uki.at BURTSCHER Martin, Univ.-Prof. DDr., Präsident der ÖGAHM, Institut für Sportwissenschaften der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Fürstenweg 186, A-6020 Innsbruck. E-mail: martin.burtscher@uibk.ac.at DOMEJ Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vize-Präsident der ÖGAHM, ARGEAlpinmedizin, Klinische Abteilung für Lungenkrankheiten, Medizinische Universität Graz, Auenbruggerplatz 20, Human Performance ResearchGraz(MUG/ KFU), A-8036 Graz. E-mail: wolfgang.domej@medunigraz.at

Verleger: Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin Satz, Gestaltung und Druck: DIE DRUCKEREI EGGER GmbH, Langgasse 90, 6460 Imst ISBN-Nr. 978-3-9501312-0-8 Alle Rechte vorbehalten Umschlagbild: „Eisturm – Olpererblick“ (Foto: Egon Wurm) 3


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VORWORT Mit dieser Broschüre halten Sie das 21. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin in Händen. In diesem Jahr konnte das aktuelle Jahrbuch an mehr als 1600 Mitglieder verschickt werden. Als diese Gesellschaft im April 1989 von einer handvoll bergbegeisterten Enthusiasten gegründet wurde, hätte wohl niemand zu hoffen gewagt, dass daraus schon bald die weltweit größte AlM. Burtscher (Foto: P. Vagners) pinmedizinische Gesellschaft entstehen sollte. Obwohl zwischenzeitlich eine wahrhaft explosionsartige Entwicklung neuer Informationstechnologien stattgefunden hat, stellt unsere Gesellschaft nach wie vor ein weit über die Grenzen Österreichs hinaus beliebtes Kommunikations- und Informationsforum für alle an der Alpin- und Höhenmedizin interessierten Personen, Institutionen und Vereine dar. Unser Jahrbuch leistet dazu einen ganz wesentlichen Beitrag. Es wurde auch nicht, vielen Unkenrufen zum Trotz, durch das heute allgegenwärtige Internet verdrängt. Im Gegenteil, für viele ist es eine geradezu willkommene Abwechslung, die vom Berufsalltag ablenkt und den theoretischen Bogen zur Praxis des Bergsports und der Alpinmedizin spannt. Auch ist die Vielfalt interessanter und aktueller Themen nicht geringer geworden, wofür ich mich besonders bei Wolfgang Schobersberger, der zusammen mit seinem Redaktionsteam von Anbeginn für das Jahrbuch verantwortlich zeichnete, im Namen aller Mitglieder bedanke. Ich möchte aber auch alle forschungsinteressierten Leser ermutigen, mit interessanten Beiträgen das Jahrbuch weiterhin spannend und auf hohem Niveau zu halten. Das Privileg des Präsidenten, das Vorwort für das Jahrbuch verfassen zu dürfen, möchte ich heute noch in eigener Sache nutzen: Mit dem Jahr 2010 geht die 7. Funktionsperiode des Vorstands der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin zu Ende. Ich durfte von Anfang an im Vorstand dabei sein und die letzten 3 Jahre als Präsident die Geschicke unserer Gesellschaft lenken. Es war eine schöne Zeit, geprägt von freundschaftlicher und produktiver Arbeit im Präsidium, im Vorstand und der gesamten Gesellschaft. Für diese schöne Zeit möchte ich heute allen unseren Mitgliedern, besonders aber den Freunden aus dem Vorstand herzlich danken und unserer Gesellschaft weiterhin eine so erfolgreiche Weiterentwicklung wünschen. Ihr Martin Burtscher 5


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Inhalt Impressum ………………………………………………………………… 3 Vorwort des Präsidenten …………………………………………………… 5 Autorenverzeichnis ………………………………………………………… 9

Fachartikel S. Weinbruch, K.-C. Nordby Die historische Entwicklung tödlicher Bergunfälle europäischer Spitzenbergsteiger …………………………………………… 11 F. Elsensohn Wilderness Event Medicine, Lernen aus außeralpinen Erfahrungen – Strategien für Alpine Rettungsdienste …………………… 25 H. Forster Reanimation bei traumatischem Kreislaufstillstand Derzeitiger Stand der Diskussion ………………………………………… 35 F. Krösslhuber Abenteuerevents und Extremsportbewerbe im Gebirge – auch für den Notarzt eine Herausforderung ……………………………… 45 D. Oberladstätter Geräteunterstützte Wiederbelebung – eine sinnvolle Neuerung in der Alpinen Notfallmedizin? ………………………………… 61 B. Rainer Terrestrische Bergung einer polytraumatisierten Patientin im alpinen Gelände ………………………………………………………… 71 G. Ruedl, A. Schranz, C. Fink, W. Nachbauer, M. Burtscher Potenzielle internale und externale Risikofaktoren von Verletzungen des Vorderen Kreuzbands bei männlichen und weiblichen Freizeitskifahrern ………………………………………… 85 A. Zobel, Th. van Bömmel, J. Büttner, V. Bühren Extremsportwettbewerbe im Hochgebirge: Case Report Zugspitzlauf 2008 …………………………………………… 99 7


F.J. Seibert, C. Boldin, K. Tanzer, F. Haas, W. Grechenig Verletzungen des 1. Strahls an der Hand und ihre Bedeutung im Alpinsport …………………………………………………………… 111 G. Sperka, R. Mader, W. Domej Komplizierte Höhlenrettung aus einer Schachthöhle …………………… 129 M. Trapp, J. Egger, E.-M. Trapp, P. Rohrer, T. Weißenböck, W. Domej Resilienz und Höhenmedizin …………………………………………… 137 R. Waanders AMS2F: Die verkannte Belastungsreaktion ……………………………… 145 C. Guger, M. Tannheimer, F. Brenner, W. Domej Changes of ECG, Oxygen Saturation, Lake Louis Score and Concentration Performance on Kilimanjaro, Elbrus, Mt. McKinley and Huascaran …………………………………………… 159 K. Mairer, M. Wille, M. Burtscher Prävalenz und Risikofaktoren der akuten Bergkrankheit in den Ost- und Westalpen ……………………………………………… 173 W. Domej, G. Schwaberger, M. Trapp, E.-M. Trapp, P.M. Rohrer Glomus Caroticum, O2-Rezeption und Paragangliome unter Höhenbedingungen ……………………………………………… 187 W. Domej, J. Evangelist, P. Rohrer, G. Schwaberger, T. Valentin Ergebnisse mikrobiologischer Fuß- und Fußbettabstriche nach mehrstündigem Aufstieg…………………………………………… 211 T. Küpper, J.S. Milledge, D. Hillebrandt, J. Kubalová, U. Hefti, B. Basnayt, U. Gieseler, R. Pullan, V. Schoeffl Arbeit unter Hypoxiebedingungen – die internationale Empfehlung der Medizinischen Kommission der UIAA ……………… 231 W. Schobersberger, B. Schobersberger, H. Partsch Travel-related thromboembolism: Mechanisms and avoidance ………… 269

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Autorenliste

DOMEJ Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vize-Präsident der ÖGAHM, ARGEAlpinmedizin, Klinische Abteilung für Lungenkrankheiten, Medizinische Universität Graz, Auenbruggerplatz 20, Human Performance ResearchGraz(MUG/ KFU), A-8036 Graz E-mail: wolfgang.domej@medunigraz.at ELSENSOHN Fidel, Dr. med., Präsident ICAR MEDCOM, Bundesarzt Österreichischer Bergrettungsdienst, Schlösslestrasse 36, A-6382 Röthis E-mail: fidel.elsensohn@aon.at FORSTER Herbert, Dr., Landesarzt Bergwacht Bayern, Dreisenmühlstrasse 6, D-87474 Buchenberg E-mail: h.forster@t-online.de GUGER Christoph, DI Dr. techn., GUGER TECHNOLOGIES OG, ARGEAlpinmedizin, Herbersteinstrasse 60, A-8036 Graz E-mail: guger@gtec.at KRÖSSLHUBER Franz, Dr. med., Dolomitenstrasse 8, A-9900 Lienz E-mail: f.kroesslhuber@kinderaerzte-lienz.at KÜPPER Thomas, PD. Dr. med., Medical Commission of the Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA MedCom), Bern/Schweiz, Institut für Arbeits- und Sozialmedizin, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen, Pauwelsstrasse 30, D-52074 Aachen E-mail: t.kuepper@ukaachen.at MAIRER Klemens, Mag., Institut für Sportwissenschaft, Universität Innsbruck, Uferstraße 34/10, A-6020 Innsbruck E-mail: klemens.mairer@gmail.com OBERLADSTÄTTER Daniel, Dr. med., Christophorus Flugrettung, Univ. Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Anichstrasse 35, A-6020 Innsbruck E-mail: daniel.oberladstaetter@uki.at 9


RAINER Bernhard, Dr. med., Marienklinik Bozen, Claudia de Medici Strasse 2, I-39100 Bozen E-mail: bernd.rainer@gmx.com RUEDL Gerhard, Dr., Institut für Sportwissenschaft, Bereich Alpinsport, Leopold Franzens Universität Innsbruck, Fürstenweg 186, A-6020 Innsbruck E-mail: gerhard.ruedl@uibk.ac.at SCHOBERSBERGER Wolfgang, Univ.-Prof. Dr. med., Vizepräsident der ÖGAHM, Institut für Sport-, Alpinmedizin und Gesundheitstourismus (ISAG), TILAK und UMIT, Anichstrasse 35, A-6020 Innsbruck E-mail: wolfgang.schobersberger@uki.at SEIBERT Franz-Josef, ao. Univ.-Prof. Dr. Mag., UKH-Graz, AUVA, Göstingerstrasse 24, A-8020 Graz E-mail: franz.seibert@medunigraz.at SPERKA Giselher, Dr. med., Österreichischer Bergrettungsdienst, Landesorganisation Steiermark, Ortsstelle Thörl, Palbersdorf 160, A-8621 Thörl E-mail: sperka@sperka.at TRAPP Michael, Univ.-Ass. Mag. DDr.,Univ.-Klinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie, Forschungseinheit für Verhaltensmedizin, Gesundheitspsychologie und Empirische Psychosomatik, Medizinische Universität Graz, Roseggerweg 50, A-8036 Graz E-mail: michael.trapp@medunigraz.at WAANDERS Robb, Mag. rer. nat. Drs. rer. soc., Schwerpunktkrankenhaus Rankweil, Abteilung Psychiatrie I, Valdunastraße 16, A-6830 Rankweil E-Mail: robb.waanders@lkhr.at WEINBRUCH Stephan, Prof. Dr., Institut für Angewandte Geowissenschaften, Fachgebiet Umweltmineralogie, TUD, Schnittpahnstrasse 9, D-64287 Darmstadt E-mail: weinbruch@geo.tu-darmstadt.de ZOBEL Alfred, Dr. Med., Klinikum Garmisch-Partenkirchen GmbH, Zentrum für Innere Medizin Murnau, Berufsgenossenschaft Unfallklinik Murnau, Professor-Küntscher-Straße 8, D-82418 Murnau/Staffelsee E-mail: alfred.zobel@bgu-murnau.de 10


S tephan Weinbr uch, Karl-Christian Nordby

Die historische Entwicklung tödlicher Bergunfälle europäischer Spitzenbergsteiger The Historical Development of Fatal Accidents of Elite European Mountaineers

SUMMARY The lifetime risk of a fatal mountain accident is studied in a fixed cohort of 390 elite mountaineers. The cohort mainly includes mountaineers from Italy (including South Tyrol), Germany, Switzerland, Austria, France, and the United Kingdom. The year of birth ranges from 1739 to 1955. A lower lifetime risk (incidence proportion) is observed for female (0.118; 95 % CI: 0.033 – 0.343) compared to male (0.207; 95 % CI: 0.168 – 0.251) elite mountaineers. However, this difference is not statistically significant (p = 0.37). No fatal mountain accident is observed for cohort members born prior to the year 1820. Later, the lifetime risk of fatal mountain accident increases continuously with time from 0.069 (95 % CI: 0.019 – 0.220) for the birth cohort 1820 – 1839 to 0.375 (95 % CI: 0.212 – 0.573) for the birth cohort 1940 – 1949. In all time strata, the age-specific mortality shows a maximum at an age of 30 – 39 years. The lifetime risk of fatal mountain accident is distributed homogeneously among mountaineers from the different nations (p = 0.79). About two thirds of the fatal accidents occurred during activities reserved for elite mountaineers (at the time of incidence). The main limitation of the present study arises from the definition of inclusion criteria for a cohort of elite mountaineers. Therefore, the validity of the risk estimates (selection bias, information bias), and the influence of confounding are discussed in detail. Keywords: mountaineering, climbing, mortality, accident, lifetime risk

ZUSAMMENFASSUNG In einer Kohorte von 390 Spitzenbergsteigern wurde das Lebenszeitrisiko für tödlichen Bergunfall untersucht. Die Kohorte enthält überwiegend Personen 11


aus Italien (inklusive Südtirol), Deutschland, Schweiz, Österreich, Frankreich und Großbritannien. Das Geburtsjahr der Kohortenmitglieder variiert zwischen 1739 und 1955. Das Lebenszeitrisiko (Inzidenzproportion) ist niedriger für Frauen (0.118; 95 % KI: 0.033 – 0.343) als für Männer (0.207; 95 % KI: 0.168 – 0.251), dieser Unterschied ist jedoch nicht statistisch signifikant (p = 0.37). Für vor dem Jahr 1820 geborene Personen wurden keine tödlichen Bergunfälle beobachtet. Danach steigt das Lebenszeitrisiko männlicher Spitzenbergsteiger kontinuierlich mit der Zeit von 0.069 (95 % KI: 0.019 – 0.220) für die Geburtskohorte 1820 – 1839 auf 0.375 (95 % KI: 0.212 – 0.573) für die Geburtskohorte 1940 – 1949 an. Das altersspezifische Risiko männlicher Spitzenbergsteiger zeigt in allen Zeitstrata ein Maximum in der Altersgruppe von 30 – 39 Jahren. Das Lebenszeitrisiko für tödlichen Bergunfall ist homogen auf die verschiedenen Nationen verteilt (p = 0.79). Ungefähr zwei Drittel der tödlichen Unfälle traten unabhängig von der Geburtskohorte bei Unternehmungen auf, die zum jeweiligen Unfallzeitpunkt Spitzenbergsteigern vorbehalten waren. Die wesentliche Limitierung der vorliegenden Studie besteht in der Definition der Einschlusskriterien für eine Kohorte von Spitzenbergsteigern. Daher werden die Validität der Risikoschätzer (Auswahlverzerrung, Informationsverzerrung) und der Einfluss von Störvariablen (Confounding) ausführlich diskutiert. Schlüsselwörter: Bergsteigen, Klettern, Mortalität, Unfall, Lebenszeitrisiko

1) Einleitung Die Geschichte des Bergsteigens wird üblicherweise als Erfolgsgeschichte geschrieben. Höher, schwieriger und schneller sind dabei Kategorien, in denen die Steigerung der bergsteigerischen Leistung ausgedrückt wird. Die Erhöhung der Leistungsstandards wird von einer gemessen an der Gesamtzahl von Bergsteigern kleinen Zahl von Personen – sogenannten Spitzenbergsteigern – vorangetrieben. Obwohl die hohen Risiken dieser besonders exponierten Gruppe von Bergsteigern in der Alpinliteratur öfters thematisiert wurden, gab es bisher keine Versuche der Quantifizierung. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich generell nur wenige Studien, die die Mortalität beim Bergsteigen quantifizieren (einen Überblick geben 1, 2). Diese beschränken sich im Wesentlichen auf Orte mit detaillierter Dokumentation bergsteigerischer Aktivitäten (z. B. Nationalparks) und auf Höhenbergsteigen und Trekking in Regionen, in denen eine Genehmigung benötigt wird (3-14). Eine besondere Schwierigkeit bei der Quantifizierung der Unfallrisiken von Spitzenbergsteigern resultiert aus der Tatsache, dass es keine detaillierte und 12


vollständige Dokumentation bergsteigerischer Aktivitäten gibt. Daher ist es nicht möglich, Einschlusskriterien für eine Kohorte von Spitzenbergsteigern aus Expositionsdaten abzuleiten. In der vorliegenden Studie wurde deshalb die allgemeine Anerkennung besonderer bergsteigerischer Leistungen als Grundlage der Definition von Spitzenbergsteigern gewählt. Eine solche Definition ist naturgemäß subjektiv und führt zu einer Reihe von methodischen Problemen, die ausführlich diskutiert werden. Der Schwerpunkt unserer Studie liegt bei der Untersuchung der historischen Entwicklung der Mortalität (durch Bergunfall) von Spitzenbergsteigern, die in den Alpen aktiv waren. Der untersuchte Zeitraum umfasst mehr als zwei Jahrhunderte. Eine ausführlichere Darstellung der Ergebnisse findet sich in unserer Originalpublikation (1). Im vorliegenden Beitrag werden hingegen methodische Aspekte (Validität, Confounding) wesentlich ausführlicher diskutiert.

2) Methoden Es wurde eine geschlossene Kohorte von 390 Spitzenbergsteigern untersucht. Diese Kohorte enthält alle im Lexikon der Alpen (15) aufgeführten Bergsteiger. Einschlusskriterien für die Aufnahme in das Lexikon der Alpen sind herausragende bergsteigerische Leistungen in den europäischen Alpen (Erstbegehungen, Wintererstbegehungen, häufige Begehung von Routen hoher Schwierigkeit). Einunddreißig Personen, die aus anderen Gründen (z. B. Entwicklung von Bergausrüstung, Flugsport, Architektur) im Lexikon der Alpen aufgelistet sind, wurden nicht in die Kohorte aufgenommen. Zum Zeitpunkt der Publikation des Lexikons der Alpen (d. h. im Jahr 1977) waren noch 158 der aufgeführten Bergsteiger am Leben. Das Auftreten von tödlichen Bergunfällen in dieser Gruppe wurde bis zum Ende des Jahres 2008 verfolgt. Als Endpunkt wurde das Lebenszeitrisiko für einen tödlichen Bergunfall untersucht. Diese Auswahl resultiert im Wesentlichen aus dem langen Untersuchungszeitraum von mehr als 200 Jahren und der damit verbundenen unvollständigen Datenlage für andere Endpunkte. Konfidenzintervalle wurden unter Annahme einer Binomialverteilung mit der Approximation von Wilson (16) berechnet. Die Homogenität von Stichproben wurde mit der Chi-Quadrat-Statistik getestet (STATGRAPHICS®, Version 5).

3) Ergebnisse Die untersuchte Kohorte enthält 372 männliche und 18 weibliche Personen. Sie stammen überwiegend aus den Ländern Italien (inklusive Südtirol), Deutschland, Schweiz, Österreich, Frankreich und Großbritannien. Im Untersuchungs13


zeitraum änderten sich die territorialen Grenzen einiger dieser Staaten. Die Zuordnung der Bergsteiger zu Nationen wurde unverändert aus dem Lexikon der Alpen (15) übernommen. Das Geburtsjahr der Kohortenmitglieder reicht von 1739 bis 1955. Eine detaillierte Beschreibung der Verteilung der Länder und Geburtsjahre in der untersuchten Kohorte findet sich in unserer Originalpublikation (1). Von den 158 bei Publikation des Lexikons der Alpen (15) noch lebenden Bergsteigern wurden 5 Personen (vier Männer und eine Frau) während der Followup-Periode (bis Ende 2008) verloren. Von den verbleibenden 385 Spitzenbergsteigern starben 78 Personen durch Bergunfall (Inzidenzproportion: 0.203; 95 % Konfidenzintervall (KI): 0.165 – 0.246). Das Unfallrisiko ist für Männer höher (0.207; 95 % KI: 0.168 – 0.251; N = 368) als für Frauen (0.118; 95 % KI: 0.033 – 0.343; N = 17), dieser Unterschied ist jedoch nicht statistisch signifikant (p = 0.37). Wegen der geringen Anzahl von Frauen in der Kohorte werden in der weiteren Auswertung Risikoschätzer nur für Männer angegeben. Die Entwicklung des Lebenszeitrisikos für tödlichen Bergunfall mit der Zeit (stratifiziert nach Geburtsjahr) ist in Tab. 1 aufgelistet. Für die Geburtskohorten vor 1820 wurden keine tödlichen Bergunfälle beobachtet, danach nimmt die Inzidenzproportion mit der Zeit stetig zu. Der relativ hohe Wert für die Geburtskohorte 1840 bis 1859 ist vermutlich auf die geringe Anzahl von Personen innerhalb der einzelnen Strata zurückzuführen. Tab. 1:

Lebenszeitrisiko männlicher Spitzenbergsteiger für tödlichen Bergunfall stratifiziert nach Geburtsjahr

Geburtsjahr

Spitzen-

tödliche

Inzidenz-

bergsteiger*

Unfälle*

proportion

< 1800

8

0

0.000

0.000 – 0.324

1800 – 1819

6

0

0.000

0.000 – 0.390

1820 – 1839

29

2

0.069

0.019 – 0.220

1840 – 1859

36

8

0.222

0.117 – 0.381

1860 – 1879

44

7

0.159

0.079 – 0.294

1880 – 1899

46

7

0.152

0.076 – 0.282

1900 – 1919

90

20

0.222

0.149 – 0.318

1920 – 1939

85

23

0.271

0.188 – 0.373

1940 – 1949

24

9

0.375

0.212 – 0.573

*

Anzahl

14

95 % Konfidenzintervall


Die Altersverteilung der tödlichen Bergunfälle und das altersspezifische Risiko sind in Tab. 2 dargestellt. Es wurden drei Zeitstrata (1820 – 1889; 1890 – 1919, 1920 – 1949) mit ähnlicher Besetzung definiert. Vor dem Jahr 1820 geborene Personen wurden nicht berücksichtigt, da bei diesen keine tödlichen Bergunfälle auftraten. Das in der Tabelle angegebene altersspezifische Risiko (Inzidenzproportion) berücksichtigt konkurrierende Risiken. Das altersspezifische Risiko (Tab. 2) zeigt für alle drei Zeitstrata ein Maximum in der Altersgruppe 30 – 39 Jahre. Ab einem Alter von 70 Jahren wurden keine tödlichen Bergunfälle beobachtet. Die generelle Zunahme des Risikos mit dem Kalenderjahr (Tab. 1) ist besonders deutlich in den Altersgruppen 20 – 29 und 30 – 39 Jahre ausgeprägt. Für die anderen Altersgruppen ist kein eindeutiger Zeittrend erkennbar. Bei den konkurrierenden Risiken spielen Kriege (Deutsch-Französischer Krieg von 1871/72, 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg) für die Geburtskohorten 1820 – 1889 und 1890 – 1919 innerhalb der Altersgruppen von 20 bis 49 Jahren eine besondere Rolle. In der Geburtskohorte 1820 – 1889 starben drei Personen in den Altersgruppen von 20 bis 49 Jahren durch Kriegshandlungen, bei insgesamt sieben Toten durch konkurrierende Risiken. In der Geburtskohorte 1890 – 1919 lag dieser Anteil in den gleichen Altersgruppen bei 7 von 10 Personen. Das Lebenszeitrisiko für tödlichen Bergunfall variiert für die verschiedenen Nationalitäten zwischen ungefähr 0.17 und 0.30. Da die Unterschiede jedoch nicht statistisch signifikant sind (p = 0.79), wird hier auf eine genauere Darstellung verzichtet. Eine detaillierte Auflistung findet sich in unserer Originalarbeit (1). Ungefähr zwei Drittel der tödlichen Unfälle (53 von 78) traten bei Unternehmungen auf, die zum jeweiligen Unfallzeitpunkt Spitzenbergsteigern vorbehalten waren. Dieser Anteil ist unabhängig von der Geburtskohorte (p = 0.70). Die 78 tödlichen Unfälle von Spitzenbergsteigern verteilen sich im Einzelnen auf folgende bergsteigerische Disziplinen: Felsklettern (19 Personen), Eis- und kombiniertes Klettern (32 Personen), Höhenbergsteigen (13 Personen), Skitouren (13 Personen) und Bergwandern (1 Person). Die Mehrzahl der im Lexikon der Alpen aufgeführten Spitzenbergsteiger war in mehreren alpinen Disziplinen aktiv. Da für die meisten Mitglieder der untersuchten Kohorte keine vollständigen Tourenlisten verfügbar sind, kann das Risiko in den einzelnen Disziplinen nicht quantifiziert werden. 15


4) Diskussion 4.1 Validität Die wesentliche Limitierung der vorliegenden Studie besteht in der Tatsache, dass die Einschlusskriterien für die untersuchte Kohorte nicht auf detaillierten Expositionsdaten beruhen. Vollständige Tourenlisten von Spitzenbergsteigern, die eine objektive Auswahl ermöglicht hätten, sind nur für wenige Personen vorhanden. Das hier gewählte Kriterium der Aufnahme in das Lexikon der Alpen (15) beruht natürlich auf subjektiver Einschätzung und birgt daher prinzipiell die Gefahr von ausgeprägter Auswahlverzerrung. Andererseits war jedoch der Herausgeber Toni Hiebeler, selber Spitzenbergsteiger sowie ausgewiesener Alpinjournalist und Buchautor, einer der besten Kenner der internationalen Bergsteigerszene. Ein naheliegender möglicher Auswahleffekt ist die bevorzugte Aufnahme von Personen in das Lexikon der Alpen (15), die durch einen Bergunfall ums Leben kamen, um das Gedenken an sie wach zu halten. Eine grobe Abschätzung der Größenordnung dieses Effekts (hier Gedenkeffekt genannt) wird durch die Tatsache ermöglicht, dass ein beträchtlicher Anteil der Kohorte zum Zeitpunkt des Erscheinens des Lexikons der Alpen noch lebte. Für diese Personen existiert der Gedenkeffekt natürlich nicht. Mit dem in Tabelle 2 gezeigten altersspezifischen Risiko (Geburtskohorte 1920 – 1949) und der Altersverteilung der im Jahr 1977 noch lebenden Mitglieder der Kohorte kann die Anzahl der tödlichen Bergunfälle berechnet werden, die während der Follow-up-Periode zu erwarten ist. Für die im Jahr 1977 noch lebenden 141 männlichen Spitzenbergsteiger ergibt sich aus dieser Berechnung eine Anzahl von 8.2 erwarteten tödlichen Unfällen bis zum Ende des Jahrs 2008. Die beobachtete Anzahl von 7 Unfällen kommt diesem Wert sehr nahe. Die Differenz zwischen erwarteter und beobachteter Anzahl tödlicher Unfälle kann als Obergrenze für den Gedenkeffekt angesehen werden. In dieser Schlussfolgerung ist jedoch implizit die Annahme enthalten, dass das altersspezifische Risiko der Geburtskohorte 1920 – 1949 (Tab. 2) auf die Personen der Follow-up-Periode übertragen werden kann. Ordnet man die gesamte Differenz dem Gedenkeffekt zu, so ergibt sich, dass das Lebenszeitrisiko um maximal 18 % überschätzt wird. Die systematische Überschätzung des Risikos durch den Gedenkeffekt kann jedoch auch deutlich niedriger sein, da Unfallrisiken beim Bergsteigen mindestens seit den 1960er Jahren generell zurückgegangen sind. Nach der Unfallstatistik des Deutschen Alpenvereins (17) sank der relative Anteil der tödlich verunglückten Mitglieder von etwa 2*10-4 pro Jahr für den Zeitraum 1965 – 1980 auf etwa 6*10-5 pro Jahr für den Zeitraum 2000 – 2007. Die16


Tab. 2: Altersspezifisches Risiko männlicher Spitzenbergsteiger für tödlichen Bergunfall Alter (Jahre)

Bergunfall

Konkurrierende

*

Risiken

Risiko&

#

95 % Konfidenzintervall

Geburtskohorte 1820 – 1889; 135 Personen 0 – 19

0

0

0.000

0.000 – 0.028

20 – 29

4

1

0.030

0.012 – 0.074

30 – 39

7

3

0.054

0.026 – 0.107

40 – 49

5

3

0.042

0.018 – 0.094

50 – 59

4

9

0.036

0.014 – 0.088

60 – 69

2

14

0.020

0.006 – 0.071

Geburtskohorte 1890 – 1919; 110 Personen 0 – 19

0

0

0.000

0.000 – 0.034

20 – 29

7

3

0.064

0.031 – 0.126

30 – 39

9

5

0.090

0.048 – 0.162

40 – 49

3

2

0.035

0.012 – 0.098

50 – 59

1

3

0.012

0.002 – 0.067

60 – 69

2

11

0.026

0.007 – 0.090

Geburtskohorte 1920 – 1949; 109 Personen

*

0 – 19

0

0

0.000

0.000 – 0.034

20 – 29

8

0

0.073

0.038 – 0.138

30 – 39

18

2

0.178

0.116 – 0.264

40 – 49

3

1

0.037

0.013 – 0.103

50 – 59

2

4

0.026

0.007 – 0.090

60 – 69

1

(4)§

(0.014)§

(0.002 – 0.076)§

Anzahl tödlicher Bergunfälle; #Anzahl der Todesfälle durch konkurrierende Risiken;

&

Inzidenzproportion; §Unsicher, da am Ende des Jahres 2008 noch 18 Personen im Alter

von 60 – 69 Jahren lebten.

se Risikoschätzer sind allerdings mit großer Unsicherheit verbunden, da der Einfluss von Störvariablen (Confounding) nicht berücksichtigt wurde. Es ist 17


zu erwarten, dass die beobachtete Abnahme der Unfallhäufigkeit mit der Zeit auch von einer geänderten Geschlechter- und Altersverteilung sowie geändertem Tourenverhalten der Vereinsmitglieder beeinflusst wird. Trotz des nicht berücksichtigten Einflusses von Störvariablen erscheint es jedoch plausibel, dass die Häufigkeit von tödlichen Unfällen beim Bergsteigen abgenommen hat. Diese Schlussfolgerung wird auch durch Daten vom Denali und aus Nepal gestützt. Am Denali nahm die Mortalität von etwa 15 pro 1000 Gipfelversuche zu Beginn der 1970er Jahre auf etwa 1 pro 1000 Gipfelversuche in den Jahren 2000 – 2006 ab (14). Beim Höhenbergsteigen in Nepal sank die Mortalität von ungefähr 30 pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers in 1950er Jahren auf ungefähr 9 pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers in den Jahren 2000 – 2006 (20). Geht man davon aus, dass sich für Spitzenbergsteiger die Häufigkeit und Schwierigkeit durchgeführter Touren mit zunehmendem Alter der von durchschnittlichen Alpinisten angleicht, so ist zu erwarten, dass auch die in der Follow-up-Periode untersuchten Personen von der allgemeinen Verringerung des Risikos beim Bergsteigen (bedingt durch bessere Ausrüstung, zuverlässigere Wettervorhersage etc.) profitierten. Somit ist es wahrscheinlich, dass die Auswahlverzerrung durch den Gedenkeffekt deutlich unterhalb der oben abgeschätzten Obergrenze von 18 % liegt. Eine zweite mögliche Ursache für Auswahlverzerrung resultiert aus der Definition einer Kohorte von Spitzenbergsteigern. Um in diese aufgenommen zu werden, muss ein Bergsteiger einen längeren Zeitraum mit schwierigen Touren überleben. Die genaue Länge dieser Periode (immortal person time) ist unbekannt, liegt aber sicherlich in der Größenordnung von 5 bis 10 Jahren. Dieser in der Literatur als „effect of survival“ bezeichnete Auswahlvorgang ist in der vorliegenden Studie unvermeidbar, weil das Unfallrisiko von Personen untersucht werden soll, die Touren hoher Schwierigkeiten über einen längeren Zeitraum bewältigten. Das hier untersuchte Unfallrisiko bezieht sich somit auf Personen, die schon ein außergewöhnlich hohes bergsteigerisches Niveau erreicht haben. Auswahlverzerrung durch Verluste während der langen Follow-up-Periode von 31 Jahren (!) können vernachlässigt werden (5 aus einer Gruppe von 158 Personen). Tod durch konkurrierende Risiken wurde bei der Berechnung der alterspezifischen Unfallrisiken explizit berücksichtigt. Die Schätzer für das Lebenszeitrisiko werden auch nicht wesentlich durch die Tatsache beeinflusst, dass noch 57 männliche Mitglieder der Kohorte am Ende der Follow-up-Periode lebten. Durch ihr hohes Alter ist für sie die Wahrscheinlichkeit, einen tödlichen Bergunfall zu erleiden, sehr gering (Details finden sich in unserer Originalpublikation (1)). 18


Der Einfluss von Informationsverzerrung kann in der vorliegenden Studie als vernachlässigbar angesehen werden. Alle Fälle tödlichen Bergunfalls, die im Lexikon der Alpen (15) aufgelistet sind, wurden in mehreren anderen Medien (Personalbibliographie historischer Persönlichkeiten des Alpinismus (18), Bergbücher, Jahresberichte von Rettungsorganisationen und Bergsteigervereinen, Internet) verifiziert (inklusive Unfallort und Unfallursache). Alle Unfälle, die sich nach 1977 ereigneten, wurden ebenfalls in mehreren Medien und zusätzlich durch Nachfrage bei Verwandten oder Freunden der Opfer bestätigt. Die Anzahl nicht erfasster tödlicher Bergunfälle kann als sehr gering angenommen werden, da die Todesursache für nicht verunfallte Personen oder die Information, dass eine Person am Ende des Jahres 2008 noch lebte, in allen Fällen mehr als einer Quelle entnommen wurde. Das im Lexikon der Alpen (15) aufgelistete Geburts- oder Todesdatum ist in einigen Fällen falsch. Meistens handelt es sich um geringfügige Fehler (Tag oder Monat), in wenigen Fällen aber auch um einige Jahre. Diese Fehler wurden vor der Datenanalyse korrigiert. 4.2 Risikoprädiktoren und Störvariablen (Confounding) Das Lebenszeitrisiko von Spitzenbergsteigern für tödlichen Bergunfall wird von einer Reihe von Faktoren wie z. B. Geschlecht, Geburtsjahr, Nationalität und Alter beeinflusst. Daten zum Bildungsstand und sozioökonomischem Status sind nur für eine Minderheit der Kohortenmitglieder verfügbar, sodass diese beiden Parameter nicht berücksichtigt werden konnten. Der Punktschätzer für die Inzidenzproportion tödlicher Bergunfälle von Spitzenbergsteigern ist für Frauen deutlich niedriger als für Männer. Diese Beobachtung ist generell in guter Übereinstimmung mit Ergebnissen der Unfallepidemiologie (19), nach denen Frauen (Jugendliche und Erwachsene) in den meisten Fällen weniger gefährdet sind. Detaillierte geschlechtsspezifische Mortalitätsdaten sind für den Bergsport nur in der Monographie über Höhenbergsteigen in Nepal (20) und in der daraus entstandenen Publikation über den Mount Everest (12) enthalten. Allerdings ergibt sich hier ein widersprüchliches Bild (20). Für Achttausender ist die Mortalität von Männern und Frauen identisch (17.7 bzw. 17.6 Tote pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers; p = 0.94). Für Siebentausender wurde eine signifikant höhere (p = 0.001) Mortalität für Männer (22.4 Tote pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers) im Vergleich zu Frauen (3.0 Tote pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers) beobachtet. Für Sechstausender war die Mortalität von Männern nur geringfügig (nicht signifikant; p = 0.71) erhöht (6.5 gegenüber 4.5 Tote pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers). Bei diesen Vergleichen ist jedoch zu beachten, dass 19


die Anzahl der weiblichen Unfalltoten an Siebentausendern und Sechstausendern sehr gering ist (2 bzw. 3). Am Mount Everest (12) ist die Mortalität von Männern identisch mit der von Frauen (16.2 bzw. 16.3 Tote pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers; p = 0.91). Die Inzidenzproportion von tödlichem Bergunfall ist homogen auf die untersuchten Länder (Italien, Deutschland, Schweiz, Österreich, Frankreich und Großbritannien) verteilt, was darauf hinweist, dass in diesen Ländern keine unterschiedlichen Risikokulturen für Spitzenbergsteiger existierten. Beim Höhenbergsteigen in Nepal wurden hingegen statistisch signifikante Unterschiede der Mortalität für verschiedene Nationen beobachtet (20). Für den Zeitraum von 1950 – 2006 variiert die Inzidenzproportion für die verschiedenen Länder zwischen 0 und 72.9 Tote pro 1000 Personen oberhalb des Basislagers. Auffällig ist, dass viele osteuropäische Staaten (Slowakei, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, Polen) zu den Ländern mit der höchsten Mortalität gehören, was eventuell auf einen größeren Anteil von Bergsteigern zurückzuführen ist, die schwierige Routen versuchen (20). Für die sechs in der vorliegenden Arbeit untersuchten Länder sind jedoch auch beim Höhenbergsteigen in Nepal keine signifikanten Unterschiede in der Mortalität festzustellen (p = 0.72). Am Denali wurden ebenfalls signifikante Unterschiede der Mortalität für Bergsteiger verschiedener Herkunft beobachtet (14). Asiatische Bergsteiger haben dort relativ zu nordamerikanischen Bergsteigern ein odds ratio von 3.63 (p = 0.002), für europäische Bergsteiger hingegen ist das odds ratio (1.43) nicht signifikant erhöht (p = 0.41). Das altersspezifische Risiko für tödlichen Bergunfall zeigt in allen drei definierten Zeitstrata (Tabelle 2) ein ausgeprägtes Maximum bei einem Alter von 30 bis 39 Jahren. Das niedrigere Risiko für die Altersgruppe 20 – 29 Jahre ist vermutlich auf die oben diskutierte „immortal person time“ zurückzuführen, resultiert also aus Auswahleffekten bei der Definition der Kohorte von Spitzenbergsteigern. Diese Interpretation wird durch die Tatsache gestützt, dass beim Höhenbergsteigen in Nepal das höchste Risiko für die Altersgruppen 15 – 19 und 20 – 24 Jahre beobachtet wird (20). Das abnehmende Risiko ab einem Alter von 40 Jahren ist sehr wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass auch Spitzenbergsteiger in höherem Alter weniger schwierige Touren unternehmen. Das Lebenszeitrisiko von Spitzenbergsteigern für tödlichen Bergunfall steigt im Untersuchungszeitraum deutlich an (Tab. 1 und 2). Zur gleichen Zeit erhöhte sich auch die technische Schwierigkeit der von den führenden Bergsteigern bewältigten Routen. Diese parallele Entwicklung muss jedoch nicht notwendigerweise auf eine kausale Ursache-Wirkungs-Beziehung hinweisen. Die 20


beobachtete Erhöhung der Mortalität könnte auch durch eine Zunahme von Freizeit und Wohlstand mit der Zeit verursacht sein, da beide Parameter häufigeres Bergsteigen ermöglichen. Zusätzlich könnten ideologische Faktoren wie z. B. ein nationaler Wettbewerb bei der Erkundung und Erstbesteigung der Achttausender eine Rolle spielen. Vergleicht man die zeitliche Entwicklung der Mortalität von Spitzenbergsteigern mit der Entwicklung des Bergsteigens (21) so ergeben sich interessante Hinweise. Der erste Anstieg der Mortalität wird für die Geburtskohorten 1820 – 1839 und 1840 – 1859 beobachtet. Dieser Anstieg könnte den Übergang von noch wissenschaftlich motivierten Unternehmungen zum sportlichen Alpinismus widerspiegeln. Die bergsteigerischen Aktivitäten dieser Geburtskohorten lagen im sogenannten Goldenen Zeitalter des Alpinismus, in dem die hohen Alpengipfel erstbestiegen wurden, sowie bei den ersten schwierigen Routen nach der Erstbesteigung der Normalanstiege. Der zweite markante Anstieg der Mortalität tritt ungefähr bei der Geburtskohorte 1900 – 1919 auf. Diese Personen waren an der Etablierung des 6. Grades, der Bezwingung der großen Westalpenwände und den frühen Expeditionen im Himalaya beteiligt. Die Geburtskohorte 1940 – 1949 weist die höchste Mortalität auf. Diese Spitzenbergsteiger waren ab den 1960er und 1970er Jahren aktiv. Hier könnten die wesentlich größere Freizeit und die besseren ökonomischen Randbedingungen zu einer größeren Zahl anspruchsvoller Touren beigetragen haben. Ohne detaillierte Expositionsdaten (d. h. vollständige Tourenberichte) bleiben jedoch die Ursachen des beobachteten Mortalitätsanstiegs ungeklärt.

5) Abschließende Bemerkungen Unsere Untersuchungen zeigen, dass Bergsteigen auf dem Eliteniveau zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem hohen Risiko verbunden ist. Ein Lebenszeitrisiko für tödlichen Bergunfall in der Größenordnung von 0.15 bis 0.38 ist als außerordentlich hoch zu bewerten. Aus unseren Ergebnissen können keine Abschätzungen für die derzeit aktive Leistungselite gewonnen werden. Da wir ein Lebenszeitrisiko untersuchen, ist unsere Studie auf die Geburtsjahrgänge vor 1950 beschränkt. Zusätzlich ist zu beachten, dass Spitzenleistungen heute meist nur noch in einer Spezialdisziplin möglich sind. Daher müsste für heutige Spitzenbergsteiger die Mortalität für verschiedene alpine Disziplinen getrennt untersucht werden. Im Gegensatz dazu enthält die von uns untersuchte Kohorte viele Bergsteiger, die in mehreren Disziplinen führend waren. Natürlich ist es nicht sinnvoll, die Geschichte des Bergsteigens als Geschichte der Misserfolge zu schreiben. Trotzdem ist jedoch eine klare Darstellung der 21


„Kehrseite der Medaille“ des Spitzenbergsteigens wünschenswert und überfällig. In der Vergangenheit war das Risikoverhalten von Spitzenbergsteigern statistisch gesehen (d. h. nicht auf einzelne Personen bezogen) sicherlich unangemessen. Diese Tatsache sollte in der aktuellen Kontroverse zur Wertigkeit verschiedener Kletterstile stärker berücksichtigt werden. Es bleibt zu hoffen, dass eine offene Diskussion unserer Ergebnisse dazu beiträgt, Risiken beim extremen Bergsteigen zu verringern.

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Fidel Elsensohn

Wilderness Event Medicine Lernen aus außeralpinen Erfahrungen – Strategien für Alpine Rettungsdienste

Wilderness Event Medicine Learning from Outer Alpine Experiences – Strategies for Alpine Rescue Services

SUMMARY In sports events in mountainous terrain a great number of people perform in various disciplines such as hiking, running, mountain biking, kayaking etc. These races take place in different terrain and last between hours and several days. Over the last years these races got very popular. The provision of medical support during these events is essential to ensure health and safety for the athletes. Up to now, there are no guidelines and only few studies to assist in the development of a medical support plan for such events. The article highlights the most important aspects for medical treatment of injured or ill competitors. Since a wide variety of injuries and illness occur during such races the medical support plan should provide trained personnel with adapted equipment. Beside general considerations, controversies of medical support are discussed. The information should prove useful for organizers of such events. Keywords: wilderness event medicine, medical support plan, adventure racing, multisporting

ZUSAMMENFASSUNG Bei sportlichen Wettkämpfen im alpinen Gelände trifft sich oft eine große Anzahl von Menschen in unterschiedlichen Disziplinen wie Wandern, Laufen, Mountainbiken, Kajak fahren etc. Diese Rennen führen über unterschiedliche 25


Strecken und dauern zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen. In den letzten Jahren sind diese Rennen sehr populär geworden. Die Bereitstellung einer medizinischen Versorgung während dieser Veranstaltungen ist für die Gesundheit und Sicherheit der Athleten unumgänglich. Bis heute existieren keine Richtlinien und wenige Studien, die für die Entwicklung eines medizinischen Versorgungsplans für solche Veranstaltungen Hilfe leisten. Dieser Artikel versucht die wichtigsten Aspekte für die Versorgung von verletzten oder erkrankten Sportlern zu erörtern. Dadurch, dass eine Vielzahl von Verletzungen und Erkrankungen während dieser Rennen auftreten können, muss durch das medizinische Versorgungskonzept geschultes Personal mit der nötigen Ausrüstung bereitgestellt werden. Neben grundsätzlichen Überlegungen werden auch kontroverse Standpunkte einer medizinischen Versorgung beleuchtet. Die Informationen sollen eine Hilfestellung für Veranstalter derartiger Wettkämpfe darstellen. Schlüsselwörter: Wilderness Event Medicine, alpine Ausdauerwettkämpfe, Adventure Racing, medizinisches Versorgungskonzept

EINLEITUNG In den vergangenen Jahrzehnten haben Massen- und Sportveranstaltungen in den Bergen stark zugenommen. Dabei kommen in alpinen oder schwer zugänglichen Gegenden manchmal viele hundert Menschen oft über mehrere Tage zusammen, um entweder eine Veranstaltung zu besuchen, sich in Wettkämpfen zu messen oder für einen karitativen Zweck gemeinsam Sport zu betreiben. Daneben kann man auch die tausenden Schifahrer in Schigebieten oder die Besucher von Nationalparks in den Bergen als „Massenveranstaltung“ betrachten. An die Rettungsdienste stellen auch die zunehmend beliebteren „Adventure Races“ oder andere extreme Ausdauersport-Veranstaltungen große Herausforderungen dar. Eine Großveranstaltung im unwegsamen Gelände – „Wilderness Event“ wird nach Burdick und Brozen (1) definiert als eine Veranstaltung für einerseits mehr als 200 Personen und zudem mit einer Versorgungs- und Transportzeit bis zur Behandlung in einem Krankenhaus von mehr als 1 Stunde. Die Schwelle für eine Großveranstaltung wurde im Gegensatz zu Massenveranstaltungen in bewohntem Gebiet (> 1000 Personen) deshalb herabgesetzt, da nur bei wenigen Veranstaltungen mehr als 1000 Personen teilnehmen. Der Begriff „Wilderness Event Medicine“, also die rettungsdienstliche und ärztliche Versorgung bei einer solchen Veranstaltung ist in der „Wilderness Medical Society“ allgemein etabliert (2). In der Folge werden allerdings die Menschenansammlungen z.B. 26


in Schigebieten und Nationalparks nicht weiter betrachtet, da im Allgemeinen davon ausgegangen werden kann, dass die Prähospitalphase durch die organisierten Rettungsdienste in der Region weniger als 1 Stunde beträgt. Das Hauptaugenmerk dieses Artikels liegt auf den Sport-Veranstaltungen (Bergläufe, Mountainbikerennen, Multi-Sportveranstaltungen etc.). Zahlen über Verletzte bei Massenveranstaltungen im Outdoor-Bereich sind nur in wenigen Studien erwähnt. Veranstalter von solchen Sportveranstaltungen berichten über 2-6 Verletzte pro 1000 Personen/Tag (3, 4). Bei Massenveranstaltungen im städtischen Raum schwanken die Zahlen zwischen 3,2 und 18,5 Verletzten pro 1000 Teilnehmer (3, 5). Sportwettbewerbe im Gelände finden in unterschiedlicher Länge und in einer Vielzahl von verschiedenen Disziplinen statt. Man unterscheidet dabei Sprintrennen (< 6 Stunden geschätzter Wettkampfzeit), mittellange Rennen (6-12 Stunden), Langstrecken-Rennen (12-36 Stunden) und Rennen in Expeditionslänge (> 36 Stunden). Die häufigsten Sportarten sind: Wandern, Laufen, Mountainbiken, Kajaken, Klettern, Wildwasserrafting, Abseilen etc. Für die medizinische Strategie und die Versorgung von erkrankten und verletzten Personen wurde der Begriff „Wilderness Event Medicine“ geprägt.

SITUATION BEI MASSENVERANSTALTUNGEN ODER SPORTLICHEN WETTKÄMPFEN IM OUTDOOR-BEREICH Das Alter der Teilnehmer reicht abhängig von der Veranstaltung vom Kindesalter bis ins hohe Erwachsenenalter. Daraus resultiert ein unterschiedlicher Grad von Gesundheit, Fitness und Trainingszustand. Bei manchen Teilnehmern sind der Grad der Begeisterung und der Wille, das Ziel zu erreichen, größer als die körperliche Kraft, die dazu nötig ist. Der Veranstalter und das medizinische Personal haben in der Regel keinerlei Daten über allfällige Vorerkrankungen. Bei der oft großen Zahl an Teilnehmern ist die Überschaubarkeit über diese Prämissen auch nicht möglich. Das Beurteilungsvermögen der Teilnehmer über die zu erwartenden Belastungen und die eigenen Fähigkeiten sind gelegentlich mangelhaft. Daraus ergeben sich entscheidende Fragen für den Veranstalter. Sind alle Teilnehmer in der Lage, den Wettbewerb gesund zu überstehen? Sind die Informationen über den Wettbewerb in dieser Hinsicht klar und deutlich verständlich und an alle Teilnehmer ergangen? Gerade bei Wettbewerben, bei denen am Wettkampftag die Anmeldung erfolgt, ist dies oft kaum möglich. Mit welchen medizinischen Notfällen muss gerechnet werden? Wie viele medizinische Versorgungsstellen müssen eingerichtet werden? Existiert ein Eva27


kuierungsplan für Schlechtwetter; nicht nur für die Teilnehmer sondern auch für die Zuschauer? Wann muss ein Event abgesagt werden und wer kann das veranlassen?

DIE MEDIZINISCHE VERSORGUNG BEI OUTDOORMASSENVERANSTALTUNGEN Diese besteht grundsätzlich aus 2 Ebenen. 1. Das medizinische Versorgungskonzept: Verantwortlich ist in allen medizinischen Fragen der leitende Notarzt der Veranstaltung. Er erstellt ein grundsätzliches Konzept in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des medizinischen Teams, anderen erforderlichen Hilfsorganisationen und den Behörden. Der leitende Rettungssanitäter ist für die Vor-Ort-Versorgung und den Transport zu den Versorgungsstellen verantwortlich. 2. Das Rettungskonzept für die Teilnehmer erarbeitet der Leiter der technischen Rettung in Zusammenarbeit mit den Leitern der Einsatzteams und den Leitern der anderen Hilfsorganisationen. Der Umfang dieses Konzepts ist natürlich abhängig von der Sportart, dem Gelände und der Dauer. Die medizinische Versorgung bei großen Veranstaltungen ist eine große Verantwortung für die leitenden Personen. Es ist essentiell, dass mit der Erstellung dieser Konzepte lange vor der Veranstaltung begonnen wird. Der Versorgungsplan muss umfassend und verbindlich sein. Dabei müssen im Vorfeld alle menschlichen und technischen Ressourcen erfasst werden. Wenn für eine bestimmte Veranstaltung ein umfassendes Versorgungskonzept aus Mangel an menschlichen oder technischen Ressourcen nicht erstellt werden kann, muss eine Absage der Veranstaltung in Erwägung gezogen werden. Das Ziel der gesamten medizinischen Versorgung muss die Sofortbehandlung von leichten Verletzungen oder Erkrankungen und/oder der initialen Stabilisierung vor Ort durch erfahrene Rettungssanitäter oder Notärzte sein. Der Abtransport von schwer verletzten oder erkrankten Personen muss von jedem Punkt der Veranstaltung zu jeder Zeit mittels geeigneter Transportmittel gewährleistet sein. Fundamentale Bedeutung bei der Erstellung des gesamten Rettungskonzepts kommt dabei der „Antizipation von möglichen Verletzungsmustern und dem daraus resultierenden medizinischen Bedarf“ zu (5). 28


MEDIZINISCHE NOTFÄLLE BEI OUTDOORMASSENVERANSTALTUNGEN Verletzungsmuster bei Wander- oder Laufveranstaltungen sind überwiegend Blasen, Ulcera und der sogenannte „Trench-foot“ bei Veranstaltungen in denen Wasserläufe oder feuchte Gebiete durchquert werden müssen. Townes berichtet in einer Studie über Verletzungsmuster bei Mehrtagesveranstaltungen von behandlungsbedürftigen Blasen bei 53% aller Teilnehmer (6). Verletzungen wie Frakturen, Luxationen, Prellungen und Verstauchungen sowie Hautabschürfungen sind die typischen Verletzungsmuster bei Sportveranstaltungen im alpinen Gelände. Diese stellen an das medizinische Personal auf Grund der Ausbildung keine erhöhten Anforderungen. Obwohl schwere traumatische Verletzungen eher selten sind (Ausnahmen: Downhill Mountain-Bewerbe, Paragleiten, Abseilpisten etc.), müssen im medizinischen Versorgungskonzept die Vor-Ort-Behandlung und die möglichst rasche Evakuierung auf Grund der hohen Morbidität und Mortalität oberste Priorität haben. Bei Bewerben, die Wassersport beinhalten, muss ein klares Rettungskonzept für Submersionsunfälle wie Ertrinken oder Beinahe-Ertrinken mit der Möglichkeit einer sofortigen Reanimation durch erfahrene Sanitäter und Notärzte gegeben sein. Internistische Erkrankungen sind überwiegend Erschöpfungszustände mit kardio-zirkulatorischen Problemen und nicht selten auch koronare Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt. Die Unterscheidung zwischen erschöpfungsbedingten Kreislaufproblemen und einem akuten Koronarsyndrom bedarf allerdings bereits diagnostischer Hilfsmittel und einer klaren ärztlichen Diagnose. Respiratorische Probleme können ihre Ursache in einem Infekt der Atemwege mit konsekutiver massiver Leistungseinbuße oder nicht selten in einem „exercise induced asthma“ bei entsprechender Disposition haben. Einen großen Anteil an allen medizinischen Problemen stellen die „umweltbedingten“ Erkrankungen dar. Hitze- und Kälte-Unfälle sowie Flüssigkeitsmangel stellen das Gros der zu behandelnden Notfälle dar. Das Rettungspersonal muss erfahren in der Diagnose und der Behandlung von Patienten mit diesen Problemen sein und nach Möglichkeit sollte in jeder Rettungsstation eine Person mit der Möglichkeit einen intravenösen Zugang platzieren zu können anwesend sein. 29


MEDIZINISCHES EQUIPMENT Das notwendige medizinische Equipment muss dem Kenntnisstand des jeweiligen Personals angepasst sein. Es muss an den zu erwartenden Erfordernissen der Rennstrecke, den Sportarten und den klimatischen Bedingungen orientiert sein. Die Ausrüstung muss bedarfsorientiert platziert sein. Alle Rettungsstationen einer entsprechenden Ebene müssen ident ausgerüstet sein, um eine möglichst hohe Kompatibilität und Redundanz zu erreichen. Eine komplette Ausrüstungsliste für jede Station wird im Vorfeld vom medizinischen Leiter (leitenden Notarzt) erstellt. Die Ausrüstung muss gut transportabel sein und in witterungsfesten Rucksäcken oder Taschen gelagert sein. Equipment für Ersthelfer, Rettungs- und Notfallsanitäter: ●

Fußprobleme: Tape, Pflaster, Comfeel, Compeed, selbsthaftende Bandage … Schienungsmaterial: Splints, HWS Stabilisierung, Bandagen, Dreieckstücher Wunddesinfektionsmittel, sterile nicht klebende Wundauflage, sterile Kompressen, selbsthaftende Bandage, Schere, Leukotape, Handschuhe Beatmungsmaske, Thermometer (Tympanonthermometer), Stirnlampe, PLS, wasserfester Stift, heiße gezuckerte Getränke, Traubenzucker, ev. Sauerstoff Wärmepackungen, Rettungsdecke, Vakuummatratze, Wolldecke, Trage (Gebirgstrage, SKED System), Protokoll, Kommunikationsmittel

Equipment für Ärzte: ● ● ● ●

Komplettes ALS Equipment Elektrolyt und Glucoseinfusionen Verbandsmaterial und Wärmeschutz Medikamente: O2 Set, Analgetika, Kreislaufmedikamente, Antiallergika, Antidiarrhoika, nicht steroidale Antirheumatika, Steroide, Antiasthmatika, antibiotische Augentropfen, steroidhältige Salbe, Monitoring: EKG mit Defibrillator, Pulsoxymeter

Abhängig vom Gesamtkonzept der Veranstaltung, den Sportarten und dem Gelände können Notärzte entweder über den gesamten Streckenverlauf verteilt sein oder wenn die Anzahl verfügbarer Ärzte geringer ist und die Strecke mit 30


Fahrzeugen oder Notarzthubschraubern überall zugänglich ist, nur auf diesen Rettungsmitteln stationiert werden. Die Notärzte sollten allerdings mit den Anforderungen, die ein solches Ereignis mit sich bringen kann, vertraut sein. Daneben sind in den Zielkrankenhäusern Bereitschaftsdienste vorzuhalten, die auch eine größere Anzahl von Verletzten oder Erkrankten bewältigen können.

RETTUNGSSTRATEGIE Wie bereits oben erwähnt ist eine vorausschauende Planung unerlässlich, um auch einer größeren Zahl von zu versorgenden Personen gerecht zu werden. Bei jedem Wettkampf über eine lange Zeitdauer muss mit einem Schlechtwettereinbruch gerechnet werden. In dieser Situation sind im Gebirge die Eintreffzeiten der Rettungsteams deutlich verlängert oder ist ein Eintreffen überhaupt unmöglich. Die Teams vor Ort müssen in der Lage sein, in jeder Situation die anfallenden Aufgaben autark zu bewältigen. Ebenso müssen unter Umständen Teilnehmer und Zuschauer erst aufgefunden werden und unverletzte Personen sicher in Stützpunkte geleitet werden. Eine SAR(Search and Rescue)-Strategie ist daher ein unerlässlicher Bestandteil des gesamten Notfallkonzepts. Eine genaue Streckenbeschreibung mit Markierung der medizinischen Versorgungsstationen und Evakuierungspunkte zusammen mit Ausstiegsrouten kann eine Katastrophe möglicherweise verhindern. Ein mögliches Problem stellt zudem privates Doping bei solchen Veranstaltungen dar. Zahlen über Doping bei solchen Veranstaltungen sind naturgemäß nicht verfügbar aber Einzelfälle sehr wohl berichtet. Das gesamte Rettungskonzept muss die Möglichkeit einer jederzeitigen Anpassung an die Gegebenheiten zulassen. Eine ständige und sichere Kommunikation unter den einzelnen Rettungsstationen, den Ersthelfern, den SAR Teams, den Transportteams mit der medizinischen und technischen Leitung sind absolut unerlässlich. Dies kann bei Möglichkeit über Mobiltelefone oder eine sichere Funkverbindung erfolgen. Die medizinische Einsatzleitung muss jederzeit befugt sein, die Veranstaltung wegen Gefährdung der Gesundheit der Teilnehmer oder der Zuschauer zu beenden.

STRATEGIE DER MEDIZINISCHEN VERSORGUNG Alle Rettungsteams müssen über diese Strategie informiert und willens sein, diese auch anzuwenden. Nur dadurch werden die vorhandenen Ressourcen sinnvoll und zum Wohle aller eingesetzt. Bei vielen Langstreckenrennen hat sich die Einteilung in Klassen von Verletzungen und das daraus resultierende Behandlungsschema bewährt. 31


Klasse

Verletzung/Erkrankung

Behandlung

1

Leichte umweltbedingte Probleme, Schürfungen, Schnittverletzungen, Blasen, Krämpfe, leichter Flüssigkeitsmangel

Ersthelfer kann nach Behandlung weiter teilnehmen, keine Information an ärztlichen Leiter notwendig

2

größere Wunden, Luxationen mit intaktem neurovaskulären Status, Hämatome, susp. Frakturen, Erschöpfung, Unterkühlung I-II

Sofortige Behandlung notwendig durch Rettungs-Notfallsanitäter, aber kein sofortiger Transport erforderlich Information an ärztlichen Leiter, Fortsetzung nur nach ärztlicher Freigabe

3

Unfall oder Erkrankung mit Störung der Vitalfunktionen oder Bewusstlosigkeit, Trauma entsprechend dem Unfallmechanismus, Frakturen, Dehydratation, Atembeschwerden,

Erfordert sofortige Stabilisierung und Transport in geeignetes Krankenhaus Notarzt

Jede Rettungsstation muss bereits aktiviert sein, wenn die schnellsten Teilnehmer dort eintreffen und solange geöffnet sein, bis der letzte Teilnehmer den jeweiligen Abschnitt passiert hat. Die gesamte Logistik stellt bei langen Rennen über große Distanzen bisweilen extreme Anforderungen an die Veranstalter.

HERAUSFORDERUNG UND KONTROVERSE Sportliche Wettkämpfe über große Strecken mit hohen Anforderungen an die Teilnehmer führen immer wieder zur Diskussion, ob man Teilnehmer bei Inanspruchnahme medizinischer Hilfe mit einer Zeitstrafe belegen oder gar disqualifizieren soll. Ein typisches Beispiel hierfür stellt die Verabreichung intravenöser Flüssigkeit bei Erschöpfung dar. Bei restriktiver Auslegung wird eine Infusion mit Zeitstrafe oder gar Ausschluss bestraft. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass Athleten sich selbst bis ans äußerste Limit pushen und selbst in große Gefahr bringen. Wenn keine Konsequenzen entstehen, werden die Athleten jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um sich dadurch eventuell einen Vorteil zu verschafften. Ein mögliches Vorgehen könnte sich so gestalten (5): Teilnehmer, die eine Infusion erhalten werden automatisch mit einer vorher festgelegten Zeitstrafe (Zwangsruhezeit) belegt. Diese beginnt nach Verabreichung der letzten Infusion. Teilnehmer die mehr als 2 Liter Infusion an einer Rettungsstation, oder Infu32


sionen unabhängig der Menge an mehreren Versorgungsstationen benötigen, werden automatisch aus dem Rennen genommen. Alle Athleten, die eine Infusion benötigen, müssen nach einer ärztlichen Untersuchung vor Ort und einem Report an den medizinischen Leiter von diesem die Freigabe erhalten. Die Beurteilung, ob der Athlet das Rennen fortsetzen kann, erfolgt erst nach der festgelegten Erholungszeit. Eine weitere Herausforderung stellt die unterschiedliche Beurteilung dar, ob ein Athlet in einer bestimmten Situation ein Rennen überhaupt fortsetzen kann, oder ob er aus medizinischen Gründen aus dem Rennen genommen werden muss. Die Ratschläge des medizinischen Personals sollten unbedingt dokumentiert werden, vor allem in jenen Fällen, in denen der Teilnehmer uneinsichtig ist. Bei Teambewerben helfen oft die anderen Teammitglieder, indem sie bei Erschöpfung oder Verletzung von sich aus medizinische Hilfe suchen. In Kooperation mit dem Rettungspersonal können sie in positiver Weise auf den betroffenen Teilnehmer einwirken und die ärztlichen Empfehlungen verstärken. In jedem Fall ist die medizinische Leitung des Rennens zu informieren. Diskussionen über Haftungsfragen in medizinischen Belangen sind in den vergangenen Jahren immer häufiger geworden. Das gilt auch für das medizinische Personal bei Wettkämpfen im Gelände und muss am Beginn der Planung festgelegt werden. Sind die Ersthelfer, Sanitäter und Ärzte im Rahmen ihrer Organisation versichert und ist diese Tätigkeit im Haftungsumfang der jeweiligen Versicherung gedeckt? Vor allem für Retter, deren Tätigkeit im Normalfall ehrenamtlich ist und die für eine Wettkampfveranstaltung eine Entschädigung erhalten, ist dies von Bedeutung. Schließt der Veranstalter eine eigene anlassbezogene Versicherung ab? Wie verbindlich sind eventuelle Haftungsausschlüsse durch die Teilnehmer? Welche Tätigkeiten dürfen im Ernstfall die einzelnen Mitglieder der Rettungsteams durchführen und wie muss der Ausbildungsstand z. B. eines Ersthelfers definiert sein? Hilfreich für viele dieser Fragen sind die rechtliche Abklärung im Vorfeld und die genaue Beschreibung der Aufgaben der Mitglieder der Rettungsteams.

ZUSAMMENFASSUNG Wettkämpfe in alpinem und unwegsamem Gelände teilweise über lange Zeiträume und Strecken stellen an die Teilnehmer und die Veranstalter große Herausforderungen. Menschen gehen dabei an oder überschreiten gar die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Sicherheit für die Teilnehmer und die Rettungskräfte steht über den sportlichen Erfolgen. Dafür ist ein umfassendes 33


und verbindliches Rettungskonzept unbedingt notwendig. Dieses muss an die Art und Dauer des Wettkampfs und an die klimatischen und geographischen Gegebenheiten angepasst sein. Alle möglichen Gefahren müssen berücksichtigt werden. Das Konzept muss klar strukturiert sein mit der Möglichkeit, auf veränderte Bedingungen rasch und umfassend zu reagieren. Die Rettungskräfte müssen entsprechend den zu erwartenden Aufgaben ausgebildet sein und in dauernder Kommunikation untereinander stehen. Das Rettungskonzept muss von den Behörden genehmigt sein und ist ein essentieller Bestandteil jeder sportlichen Outdoor-Massenveranstaltung.

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Herber t Forster

Reanimation bei traumatischem Kreislaufstillstand Der zeitiger Stand der Diskussion Resuscitation of Patients with Traumatic Cardiorespiratory Arrest Review of Current Literature

SUMMARY Traumatic injuries are the leading cause of death in adults under 44 years of age. Patients with traumatic cardiorespiratory arrest were reported to have a poor outcome. During the last few years publications were showing that the outcome seems to be better than believed for many years. The criteria of the National Association of EMS Physicians (NAEMSP) and the American College of Surgeons Committee in Trauma (ASCOT) guidelines for withholding or terminating resuscitation with CPR therefore may be too strict. The Trauma Registry of the German Trauma Society, representing the German speaking countries in Europe, contains 20815 patients with a mean injury severity score (ISS) of 24 (database 2005). All studies compared, rates of up to 17,9 % successful resuscitations were reported. Compared with resuscitation after a cardiac arrest caused by non-traumatic reasons there amazingly was no significant difference. Open thoracostomy seems to be more effective. Important is the placement of bilateral thoracic tubes if there is even a slightest suspicion of a thoracic injury. No reliable predictors were found concerning the outcome after CPR in patients with traumatic cardiopulmonary arrest. Keywords: Traumatic Cardiorespiratory Arrest (TCRA), survival, resuscitative thoracostomy, thoracic tube, predictors

ZUSAMMENFASSUNG Unfallverletzungen bleiben die fĂźhrende Todesursache bei Erwachsenen unter 44 Jahren. 34% aller Unfalltoten versterben vor Erreichen des Krankenhauses. 35


Historisch gesehen stand zunächst eine aggressive Therapie vom Patienten mit traumatischem kardiopulmonalen Herzstillstand (Traumatic cardiopulmonary arrest, TCPA) im Vordergrund. Darauf folgende Studien zeigten jedoch wie bereits ausgeführt schlechte Erfolgsraten von 0-2,6 %. In letzter Zeit fanden sich in der Literatur jedoch zunehmend Hinweise, dass auch der Traumapatient bei konsequenter Durchführung von für ihn geeignete Wiederbelebungsmaßnahmen eine relevante Chance hat, ohne große neurologische Defizite zu überleben. 2000 wurden in den USA Kriterien für die Terminierung einer CPR (Cardio-pulmonalen-Reanimation) veröffentlicht. Später zeigte sich jedoch in Analysen, dass die Empfehlungen offensichtlich zu eng gefasst waren; Patienten mit reellen Chancen zum Überleben wurden ausgeschlossen. Neuere Studien zeigen, dass unter gewissen Voraussetzungen die Überlebenschancen für Traumapatienten sich in den gleichen Größenordnungen bewegen wie die der Patienten, die aus internistischen Gründen einen Herzstillstand erlitten. Schlüsselwörter: Traumatischer Herzkreislaufstillstand, kardiopulmonale Wiederbelebung, Ergebnisse, Thoraxdrainage, Vorhersage

EINLEITUNG „Ein Unfallopfer ist nicht wieder zu beleben!“ Wir alle haben diese Aussage von Beginn unserer Rettungstätigkeit an mehr oder weniger akzeptiert und eine mögliche Reanimation bei Schwerverletzten oft nur aufgrund von äußeren Umständen (z. B.: Angehörige vor Ort oder bereits begonnene Reanimation) durchgeführt. Ganz anders stellt sich die Situation beim Herzkreislaufstillstand aus internistischer Ursache (z. B. Herzinfarkt) dar. Hier wurde und wird von allen akzeptiert, dass selbst bei Zweifeln hinsichtlich der Erfolgsaussichten konsequent und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Wiederbelebung begonnen und durchgeführt wird. Nach wie vor ist die Ansicht weit verbreitet, dass Patienten mit traumatisch bedingtem Herz-Kreislauf-Stillstand nicht zu reanimieren sind (1-3). Neuere Analysen von Reanimationen bei Traumapatienten stellen diese Aussage in Frage (4-10). Aufgrund der Vielfalt des Bildes, das sich dem Ersthelfer beim schwerstverletzten Traumapatienten bietet, steht zunächst die Frage im Vordergrund, bei welchem Verletzungsmuster und welchem Zustandsbild des Verletzten eine Reanimation begonnen werden soll. Abzuklären bleibt, welche Kriterien für diese schwierige Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen. Im Folgenden soll zunächst der bisherige Wissensstand dargelegt werden und 36


dann aufgezeigt werden, was neuere Studien an zusätzlicher Erkenntnis gebracht haben. Es soll dann auch Stellung dazu bezogen werden, ob eine offene oder geschlossene CPR anzuwenden ist. Trotz aller bisher nach wie vor bestehenden Unklarheiten soll am Ende dieser Arbeit eine Hilfestellung für die Behandlung am Unfallort und die Weiterbehandlung im Schockraum gegeben werden.

BISHERIGER WISSENSSTAND UND PRAXIS Bis zum Jahr 2005 finden wir in der Literatur wenige und überwiegend kritische Stellungnahmen zu einer Reanimation von Traumapatienten. So berichten Waydhas et al. 1989 (2) über die Zusammenfassung von 15 Studien. Hierbei fanden sich zwei Überlebende von insgesamt 562 Patienten, die einen Herzkreislaufstillstand am Unfallort erlitten hatten. Dies entspricht 0,36 %. Von diesen beiden Patienten sei nur einer in gutem Zustand aus der Klinik entlassen worden. Das European Resuscitation Council (ERC) nahm 2005 ebenfalls Stellung zu dieser Frage (3). Eine Überlebensrate von 2,2 % (0-3,7%) wurde berichtet. Zu dieser Übersicht muss als wesentliche Kritik aufgeführt werden, dass nicht alle bereits damals verfügbaren Studien berücksichtigt wurden. Hopson et al (11) führen Kriterien für die Terminierung einer CRP auf. Es wird hier eine Beendigung oder ein Nichtbeginnen einer CRP bei folgender Situation vorgeschlagen: ● Stumpfes Trauma mit fehlender Atmung initial, fehlendem Puls und fehlenden QRS-Komplexen im EKG ● Penetrierendes Trauma, wenn zusätzlich Pupillenreaktionen und Schmerzreaktionen fehlen ● Bei beobachtetem Herz-Kreislauf-Stillstand, wenn mehr als 15 Minuten erfolglose Herzdruckmassage erfolgte, oder wenn eine mehr als 15-minütige Transportzeit zu erwarten wäre Es handelt sich bei obigen Angaben um eine Zusammenfassung der NAEMSP (National Association of EMS Physicians)/ACSCOT (American College of Surgeons Committee on Trauma) Guidelines for Withholding or Termination of Resuscitation in Prehospital traumatic cardiopulmonary arrest). Diese Ausführungen und Empfehlungen wurden allgemein akzeptiert.

ENTWICKLUNG IN DEN LETZTEN JAHREN Im Jahre 2005 wurde von Pickens (5) eine retrospektive Studie über Patienten veröffentlicht, die alle vom Seattle Fire Department (SFD) vom Januar 1995 37


bis April 2001 behandelt wurden. Die Autorengruppe um Pickens untersuchte den Zusammenhang zwischen den prähospitalen, klinischen Untersuchungsergebnissen und den Wiederbelebungserfolgen nach TCPA (Traumatic CardioPulmonary Arrest) und setzten diese in Verbindung und Vergleich mit der Anwendung der NAEMP/Acscot Guidelines. Die Untersuchung wurde in einem städtischen Notfallmedizinbereich durchgeführt. Insgesamt wurden im genannten Zeitraum 184 Patienten durch CPR SFD behandelt. Insgesamt wurden 46 Patienten vorgefunden, die offensichtlich nicht wiederbelebungsfähig waren, z. B. wegen Dekapitation oder schwersten Verletzungen wie Teilverlust des Rumpfes. Die anderen Patienten (n = 138; 75 %) wurden in den Schockraum des Harbourview Medical Centers (Level 1 Trauma Center) in Seattle gebracht. 89 dieser Patienten starben noch im Schockraum, jedoch wurden 49 Patienten (26,6%) in das Krankenhaus aufgenommen. Hiervon wurden 28 Patienten (15,2%) in den OP gebracht, 21 Patienten (11,4%) konnten direkt in die Intensivstation aufgenommen werden. Im OP verstarben wiederum 11 Patienten, 17 Patienten (9,2%) überlebten den notwendigen chirurgischen Eingriff. Insgesamt wurden von den 184 Patienten schließlich 38 Patienten auf die Intensivstation aufgenommen, davon verstarben wiederum 24 Patienten. 14 Patienten, das entspricht 7,6%, überlebten jedoch und konnten aus dem Hospital wieder entlassen werden (Abb. 1).

Abb. 1: Ergebnisse der der Studie des SFD 38


Betrachtet man nun die Erstbefunde, so wäre von diesen 14 Patienten bei Anwendung der o.g. Richtlinien nur ein Patient reanimationswürdig gewesen. Die übrigen 13 Patienten wären bei Anwendung dieser Regel am Unfallort nicht reanimiert worden. In dieser Studie zeigte sich auch, dass die prähospitalen Befunde nicht unbedingt mit den Befunden im Schockraum übereinstimmen. Bei weiterer Literatursuche fällt auf, dass bereits 1996 Margolin et al. (7) bei 67 Patienten mit präklinischem Herzstillstand unter Reanimation eine Überlebensrate von immerhin 19,4% fand, das neurologische Outcome der 13 Überlebenden war gut bis moderat. Willis et al. (9) veröffentlichten 2006 eine Überlebensrate von insgesamt 5% nach traumatischem Herzkreislaufstillstand. Lockey et al. beschrieben in ihrer Arbeit (10) eine Überlebensrate von 7,5 % beim traumatischen Herzkreislaufstillstand. Insgesamt waren 909 Patienten in dieser Studie eingeschlossen, von denen 68 Patienten überlebten. Die Autoren hatten damals bereits vermutet, dass „die vor kurzem veröffentlichten Guidelines möglicherweise zu strikt gefasst seien“. In einer 2007 veröffentlichten Arbeit von Huber-Wagner et al. (4) wird auf ein sehr großes Patientenkollektiv von 28815 Patienten aus dem Traumaregister der deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (12) zurückgegriffen. Diese Patienten hatten eine durchschnittliche Verletzungsschwere (ISS) von 24. Einschlusskriterien waren ein ISS von gleich oder größer 16 und verfügbare Information über die Durchführung einer Herzdruckmassage am Unfallort und/oder im Schockraum. Ergebnisse / Überlebensraten (n = 757) Patientenzahl der Studie

n = 10.359

Patienten mit geschlossener Herzdruckmassage (am Notfallort oder im Schockraum)

n = 757

%

CI 95%

Gesamtüberlebensrate

17.2

14.5-19.9

mit CPR prähospital

19.5

15.7-23.3

mit CPR im Schockraum

11.5

8.8-14.2

mit Thorakotomie

13.0

5.5-20.5

7.7

2.6-12.8

wenn initial BP=0, RR=0 and GCS=3 (EKG Befunde liegen nicht vor)

Abb. 2: aus Wagner-Huber St. 39


Patienten, die am Unfallort für tot erklärt wurden und nicht vom Rettungsdienst transportiert wurden, sind in die Studie nicht aufgenommen worden, da diese Patienten im Traumaregister der DGU nicht erfasst werden. Insgesamt erfüllten 10359 Patienten die Einschlusskriterien. Das Ziel der Studie war es, aufgrund der Datenlage zu analysieren wie hoch die Überlebensrate ist und ob vorauszusehen ist, welche Patienten mit traumatischen Herzkreislaufstillstand das Trauma trotz Therapie nicht überleben. Als Überlebende wurden nur die Patienten aufgenommen, die wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten. Von der gesamten Patientenzahl, die in die Studie aufgenommen wurde, hatten 757 Patienten eine Herzdruckmassage erhalten, 415 von diesen Patienten wurden in der prähospitalen Phase reanimiert, 538 während des Aufenthalts im Schockraum und 196 in beiden Phasen. 5,7 % aller Patienten hatten einen Spannungspneu, 23,2 % erhielten eine Thoraxdrainage und 10,2 % wurden thorakotomiert. Die mittlere Verletzungsschwere zeigte ein ISS von 41, die mittlere Überlebensrate war 17,2 %. Verletzte mit penetrierendem Trauma und CPR fanden sich häufiger in der Studie als Patienten mit stumpfem Trauma. Die durchschnittliche Transportzeit war im Übrigen 68 Minuten. Dies erklärt sich dadurch, dass nicht nur städtische Rettungsbereiche, sondern auch ländliche Bereiche in die Studie einbezogen waren. Es zeigte sich unter Beachtung der Glasgow Outcome Scale (GOS), dass 57,1% der Überlebenden gut bis mäßig erholt waren (GOS ≥ 4). Ein wesentlicher Unterschied der jetzt aufgeführten Studie im Vergleich zu der Pickens-Studie ist, dass die am Unfallort verstorbenen Patienten nicht einbezogen waren. Damit erklärt sich auch die relativ höhere Überlebensrate im Vergleich zu der amerikanischen Studie. Außerdem ist die signifikante Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit durch die Anlage einer Thoraxdrainage sicher ein weiterer wesentlicher Faktor für die guten Ergebnisse der Studie von HuberWagner.

PROGNOSEFAKTOREN Die erste Frage, die sich dem Ersthelfer und dem Behandler im Schockraum nach Lektüre dieses Artikels stellen wird ist, in wie weit es durch klinische Untersuchung Parameter gibt im Hinblick auf die mögliche Überlebenschance des Verletzten. Selbstverständlich gibt es Verletzungsbilder wie Dekapitation, schwere Rumpfverletzungen oder schwerste Amputationsverletzungen, die bereits vor Eintreffen des Rettungsdienstes zu einem Tod des Patienten geführt haben und bei denen offensichtlich eine Wiederbelebung keinen Sinn ergibt. Zu dieser Gruppe 40


zählen auch die Patienten, bei denen die durch Ersthelfer begonnene Reanimation dann durch Fachpersonal abgebrochen wurde (Do not resuscitate, DNR). Das Problem stellt im Wesentlichen die Frage dar, in wie weit am Unfallort mit einer Reanimation begonnen werden soll und diese dann konsequenterweise bis zur Klinik fortgeführt werden muss. Ein Reanimationsbeginn empfiehlt sich sicher bei allen Patienten, die nicht offensichtlich schwerste und definitiv tödliche Verletzungen zeigen und mit einer Restfunktion von Kreislauf oder Atmung oder einer EKG-Aktion angetroffen werden. Das EKG und die Herzfrequenz wurden von manchen Autoren als Hilfe hinsichtlich der Frage des Reanimationsbeginns angegeben. Batistella (6) schlug vor, bei einem Puls unter 40/min die Reanimation abzubrechen, Jedoch zeigten sich in den Studien durchaus Patienten, die trotz dieser Ausschlusskriterien erfolgreich reanimiert worden. Auch das Vorfinden einer Asystolie ist nicht zwangsläufig ein Ausschlusskriterium, Stratton et al. (1) fanden bei zwei Überlebenden initial eine Asystolie. Der Nachweis einer Pulsaktivität am Unfallort scheint hinsichtlich der Überlebenswahrscheinlichkeit günstig zu sein (1, 4, 9, 10). Ein Glasgow Coma Scale von über 3 (4), bzw. über 9 (10), scheint ebenfalls günstig für ein besseres Outcome zu sein. Die Einlage einer Thoraxdrainage beidseits hat offensichtlich nachweisbar große Bedeutung zur Verbesserung der Überlebenschance (13). Bei Vorliegen eines Thoraxtraumas erhöht die Maßnahme die Überlebenswahrscheinlichkeit um 2/3 (16). Diese Maßnahme sollte bereits beim geringsten Verdacht auf eine Thoraxverletzung angewendet werden (1). In einem Bericht im Emergency Medical Australasia aus dem Jahr 2005 (13) wird aufgeführt, das von 336 schwerverletzten Traumapatienten 20 Patienten unerwartet nach Thoraxdekompression überlebten. Coats et al. (14) berichteten, dass 4 Patienten (entsprechend 10%) bei 39 prähospitalen Thorakotomien überlebten. Faktoren die diese Ergebnisse positiv beeinflussten waren Stichverletzungen, Herzbeuteltamponaden und Auftreten eines Kreislaufstillstands prähospital in Gegenwart eines erfahrenen Notarzts. Auch Moore et al. (16) berichten über die Vorteile einer offenen Herzdruckmassage. In der Arbeit von David et al. (15) wird die CPR nach internistischem Herzstillstand gegenüber der gleichen Maßnahme bei traumatisch bedingtem Herzstillstand bei 2910 Patienten verglichen. In beeindruckender Weise zeigt diese Arbeit, dass die Überlebensrate und das neurologische Endergebnis bei Traumapatienten und bei internistischen Patienten nicht unterschiedlich waren. 41


Ergebnisse / Überlebensraten (n = 757) Patientenzahl der Studie

Ergebnisse nach nicht-traumatischer CPR

n = 10.359

Patienten mit geschlossener Herzdruckmassage (am Notfallort oder im Schockraum)

n = 757

%

CI 95%

10,7% Überlebende in Europa Überblick über 37 europäische Studien Atwood et al (Resuscitation 2005)

Gesamtüberlebensrate

17.2

14.5-19.9

mit CPR prähospital

19.5

15.7-23.3

mit CPR im Schockraum

11.5

8.8-14.2

Überblick über 37 amerikanische Studien

mit Thorakotomie

13.0

5.5-20.5

Rea et al (Resuscitation 2004)

7.7

2.6-12.8

wenn initial BP=0, RR=0 and GCS=3

(EKG Befunde liegen nicht vor)

Abb. 3: Reanimation bei Traumapatienten

8,4% Überlebende in Amerika

7,7% Überlebende in München 2001 3,6% Überlebende nach 1 Jahr (CPR-Register, München)

Abb. 4: Reanimation bei Nicht-Traumapatienten

DISKUSSION Die Aussage, dass die Reanimation bei Traumapatienten praktisch immer erfolglos sei, konnte durch die neueren Studien widerlegt werden. Erfreulicherweise sind die Ergebnisse hinsichtlich Überlebenden deutlich besser als angenommen mit 5-19 % und liegen damit nicht wesentlich unter jenen Überlebensraten von Patienten, die aufgrund von primär kardialen, nicht-traumatischen Gründen reanimiert wurden (Abb. 3 und 4). Die bisher gültigen Richtlinien erscheinen somit zu strikt gefasst zu sein (4, 5). Hierbei zeigte sich auch, dass die offene CPR wirkungsvoller als die geschlossene CPR ist, jedoch setzt dies Training und entsprechende Kenntnis voraus. Deutlich verlässliche Parameter zur Vorhersage des Erfolgs und damit als Entscheidungshilfe für den Beginn der CPR stehen uns nicht zur Verfügung. Es hat sich gezeigt, dass beim geringsten Verdacht auf eine Verletzung des Thoraxes beidseits zum Beginn der CPR eine Thoraxdrainage gelegt werden sollte.

HILFESTELLUNG ZUR ENTSCHEIDUNGSFINDUNG ●

Reanimationsbeginn und Fortführung der Reanimation bei Patienten mit tastbarem Puls

Pulsaktion am Unfallort kurz vor oder bei Eintreffen des Rettungsdiensts

festgestellte EKG-Aktion kurz vor oder bei Eintreffen des Rettungsdiensts

berichtete oder noch festgestellte Atmung, wenn auch insuffizient

bei geringstem Verdacht auf Thoraxverletzung bilaterale Thoraxdekompression 42


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44


Franz Krösslhuber

Abenteuerevents und Extremsportbewerbe im Gebirge – auch für den Notar zt eine Herausforderung Adventure Racing and Extreme Sport Competitions in the Mountains – a Challenge for the Emergency Physician as well

SUMMARY Over the last years there has been an increase in wilderness and adventure events e.g. team competitions, multi sporting, ultra trails, mountain marathons and other endurance races in mountainous regions. The medical support of these events is a huge challenge for the race doctor. Although extensive literature about expedition medicine is available, the experience in medical support of wilderness events is limited. This article tries to provide a structural and logistic strategy based on the experience of at least 15 years of medical on-site care for this kind of competitions and events. Keywords: adventure race, wilderness event medicine, medical support, medical event director

ZUSAMMENFASSUNG Alpine Extrembewerbe, seien es Teambewerbe, Ultra Trails, Raids, Bergmarathons, Einzel- oder Multisportbewerbe boomen in den letzten Jahren und stellen bezüglich der notfallmedizinischen Betreuung besondere Herausforderungen dar. Obwohl es im Bereich der Expeditionsmedizin umfangreiche Erfahrungen und Literatur dazu gibt, sind die notfallmedizinischen Erfahrungen bei Extrembewerben im Gebirge begrenzt. In diesem Beitrag wird versucht auf Grund 15-jähriger Erfahrung in diesem Bereich ein Rahmenkonzept für die medizinische Betreuung solcher Veranstaltungen zu erstellen. Schlüsselwörter: Alpine Extrembewerbe, Extremsport, Rennarzt 45


DEFINITION Abenteuerbewerbe werden als Klasse 4 Bewerbe bezeichnet (1), d. h. sie finden in unwegsamem und oft abgelegenem Gelände statt und haben sehr schwierige Kommunikationsbedingungen sowie lange Transportzeiten. T. Burdick definiert sie als Bewerbe mit über 200 Teilnehmern und einer Hilfsfrist von über einer Stunde (2) wobei er auch von einer neuen Subspezialisierung, der „wilderness event medicine (WEM)“ spricht. Ein typisches Beispiel eines alpinen Extrembewerbs ist der „Dolomitenmann“ in Lienz / Osttirol, der 2010 zum 23. Mal stattfand und den ich in den Anfangsjahren als Teilnehmer, später als Mitglied des OK und in den letzten Jahren als Rennarzt erlebte. Auf Grund der Erfahrungen in den letzten 15 Jahren mit den in Tab. 1 angeführten Bewerben möchte ich auf deren Besonderheiten eingehen und ein Rahmenkonzept für Veranstaltungen dieser Art vorstellen. Bewerb

Jahreszeit

Teilnehmer Zuschauer NÄ/BRD/RS max.Höhe Verletzte

Dolomitenmann Sommer

444

30.000

4

12

Dolomitentour Winter

200

500

1

Laserzlauf

200

300

2

Dolomitenlauf Winter

1800

2000

2

4

Snow Kajak

80

500

1

4

Winter Winter

6

2441

1–8

15

2497

1–3

15

2500

0–5

8

1620

5 – 15

4

1110

2-4

Tab. 1: Alpine (Extrem-) Sportveranstaltungen in Osttirol (med. Betreuung Dr. Krösslhuber) Bei Teilnehmern, Zuschauern und Verletzten werden Durchschnittswerte der letzten 5 Jahre angeführt

BESONDERE BEDINGUNGEN BZW. ERSCHWERNISSE ●

● ●

● ●

Sehr weitläufiges unzugängliches Gelände, das nicht zur Gänze einsehbar ist. Keine vollständige Funk- und Mobiltelefonabdeckung. Unsichere Notfallmeldungen (z. B. nur aus der Ferne beobachtet, über mehrere Personen weitergeleitet, „abgängiger Athlet“ usw.). Lange Zustiegs- und Abtransportwege, falls kein Notarzthubschrauberflug möglich ist. Besondere Terrain- und Wetterbedingungen. Obwohl Spitzensportler am Start sind, stehen keine Mannschaftsärzte zur Unterstützung bereit. Die häufig hervorragende physische Verfassung und hohe „Leidensfähigkeit“ der Teilnehmer erleichtern andererseits die notärztliche Maßnahmen. 46


PLANUNG 1. Wünschenswertes Profil des verantwortlichen Arztes a) Notarzt b) Leitender Notarzt c) Sportmediziner mit Kenntnis der betreffenden Sportarten d) Bergrettungsarzt mit Kenntnis der alpinen Gegebenheiten e) Fähigkeit sich selbst in alpinem Gelände sicher bewegen zu können f) Kenntnis der lokalen Rettungsorganisationen g) Ausreichende versicherungsrechtliche Abdeckung 2. Auftrag des Veranstalters a) Welchen Umfang der medizinischen Betreuung erwartet sich der Veranstalter? Teilnehmer Mitarbeiter Zuschauer Wettkampfzeiten Trainingszeiten b) Welche organisatorische Aufgaben werden dem Rennarzt übertragen? Erstellen eines medizinischen Konzepts Organisation und Koordination der beteiligten Rettungsorganisationen (Bergrettung, Flugrettung, Rettungsdienst, Feuerwehr, Wasserrettung) Information der und Kontakt zu den zuständigen Leitstellen Mitarbeit bei Streckenwahl (logistische und Sicherheitsaspekte) Aufteilung und Bestückung der Labestationen Mitarbeit des Organisationskomitees c) Steht ein bewährtes und aktualisiertes Konzept von früheren Veranstaltungen zur Verfügung? d) Welcher finanzielle Rahmen steht dem Rennarzt zur Verfügung? e) Welches Honorar wird für welche Tätigkeit vereinbart? Planung und Konzepterstellung Organisation Notärztliche Tätigkeit bzw. Bereitschaft f) Wer bezahlt die medizinische Versorgung eines Notfalls? Athlet Veranstalter Versicherung g) Wie weit deckt die Versicherung des Veranstalters den medizinischen Bereich ab? 47


h) Den vereinbarten Auftrag in einem schriftlichen Vertrag mit dem Veranstalter festlegen. 3. Rechtliche Vorgaben und Empfehlungen der Sportverbände a) Veranstaltungsgesetze sind in Österreich Ländergesetze (3) (z. B. Tiroler Veranstaltungsgesetz 2003 LGNI Nr. 86/2003) b) Genehmigungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft c) Versicherungsrechtliche Vorgaben (4) z. B. Haftung des Rennarztes, des Veranstalters, Deckungsbereich der eigenen Haftpflichtversicherung d) Vorgaben und Empfehlungen der Sportverbände z. B. FIS Medical Guide (5) (2009) ISMF Race Safety (6) FIA Medical Regulation (7) UCI Technical and Sports preparation for the event (8) 4. Analyse des Bewerbs a) Gefahrenpotential der Sportart Mountainbike-Abfahrten Start-, Landephase beim Paragleiten Steilabfahrten bei Tourenläufen Abfahrten bei Langlaufbewerben Sprünge beim Snowkajak b) Gefahrenpotential der Strecke Absturzgefahr Steilpassagen Lawinengefahr schwieriger Untergrund Unterspülungen, Walzen im Wildwasser c) Objektive Gefahren Regen, Schnee Kälte, Hitze, Luftfeuchtigkeit Wind Nacht Hochwasser Lawinengefahr d) Erfahrungen bei ähnlichen Abb. 1: Mountainbike (Red Bull Dolomitenbzw. früheren Bewerben mann) 48


e) Logistische Schwierigkeiten schlechte Einsehbarkeit schwieriger Zugang keine Funkabdeckung keine Landemöglichkeit für NAH ungenügende Labestellen bzw. -angebot f) Qualifikation der Teilnehmer Profis Amateure Volksläufe Einzel- oder Mannschaftswettkampf Alter Risikobereitschaft Erfahrung Zweikämpfe oder enge Positionskämpfe 5. Zu erwartende Verletzungen und medizinische Ereignisse a) internistische Erkrankungen Kreislaufkollaps (posturale Hypotension) (11) Herzkreislaufstillstand: geringes Risiko; bei den Wasaläufen zwischen 1970 und 2005 traten bei etwa 700.000 Teilnehmern 13 Todesfälle auf (12)

Abb. 2: Schlussteil der Berglaufstrecke (Red Bull Dolomitenmann) 49


Exercise-Associated Hyponatremia (Häufigkeit 0.1 – 20% abhängig von Strecke, Distanz, Wetter, Sportart) (13) Exazerbation bestehender chronischer Erkrankungen b) Verletzungen (14, 15) Muskel und Skelettverletzungen SHT oberflächliche Verletzungen Die Inzidenz der notfallmedizinischen Ereignisse deckt sich bei uns mit den in der Literatur gefundenen Daten. Bei den 40 Bewerben, die meisten davon sind als Klasse 4 zu bezeichnen, und einer Bewerbsdauer von weniger als 6 Stunden war die Anzahl der notärztlichen Maßnahmen stark abhängig von der Teilnehmerzahl (s. Tab. 1). Das Verhältnis von traumatologischen zu internistischen Ereignissen war über die Jahre gesehen ziemlich gleich (50:50). Hinsichtlich der Schwere der Verletzung bzw. Erkrankung wurden 15% als NACA IV und höher eingestuft. Todesfall trat in all den Jahren keiner auf.

Abb. 3: Wildwasserkajak - Startsprung aus 6 m Höhe (Red Bull Dolomitenmann)

Abb. 4: Paragleiter hoch über Lienz (Red Bull Dolomitenmann) 50


6. Ressourcen a) personell: Bedarfsberechnung nach Maurer (9) bzw. adaptiert nach Dirks (10), Empfehlungen von Sportverbänden (5,7) Notärzte mit entsprechendem Profil Bergrettung Rettungssanitäter Flugrettung Streckenposten b) materiell: ACLS und ATLS Ausrüstung für Notärzte Erste Hilfe Ausrüstung mit Defi für mobile Sanitäter Sanitätsstation im Ziel Labestellen mit „kleiner Erste Hilfe Ausrüstung“ und Defi c) die ständig in der Region vorhandenen Rettungsdienste als Ergänzung und „backup“: NAH NEF Rettungsdienst und First Responder des ÖRK Österreichischer Bergrettungsdienst Österreichische Wasserrettung Freiwillige Feuerwehr d) Transport: Nahtransport: Landeplätze festlegen eingesetzt zur Bergung für notfallmedizinische Versorgung Abtransport Mannschaftstransport Rennbeobachtung Terrestrischer Transport: Allradfahrzeuge Motocross Quad Mountainbike Skidoo Übergabe an Geländefahrzeuge, Zufahrtskorridore festlegen e) Technik: Kommunikation 51


Mobiltelefon – Streckenabdeckung Funk Relaisstationen Streckenposten Athleten „tracking“ mit GPS Medizintechnik f) Empfehlungen und Richtlinien: MAURER-Formel, Empfehlungen der Sportverbände (5,7) 7. Risikomanagement Risiko = Auftretenswahrscheinlichkeit x Schadensausmaß Beispiele: Herzkreislaufstillstand ist zwar sehr selten, muss aber auf Grund der Bedeutung bei jedem Bewerb als Risiko berücksichtigt werden, daher optimale Verteilung von ausreichenden Defis. Die andererseits häufigen geringfügigen Verletzungen werden meist erst im Zielbereich berichtet, daher Ressourcen im Ziel berücksichtigen (Sanitätszelt). a) Risikoanalyse: IST-Zustand Strecke objektive Gefahren physische Verfassung der Sportler für die jeweilige Sportart typische Verletzungen Ermüdungsfaktor b) Konzept und Maßnahmen zur Risikoverminderung (Prävention): „faire“ Strecke ausreichend Labestellen mit optimalem und angepasstem Angebot Möglichkeit der Streckenänderung abhängig von z. B. Wetterbedingungen und Erfahrungen beim Training c) Notfallmanagement zur Schadensbegrenzung: möglichst kurze Hilfsfristen Kommunikation sichern Einsatzplanung (Übergabestellen festlegen, Nachbesetzung) kompetente Erstversorgung optimale Transportmöglichkeiten gute Vorbereitung Datenmanagement (anamnestische medizinische Daten des Sportlers z. B. auf der Innenseite der Startnummer) 52


d) Restrisiko und inhärentes Risiko (4): Bewährt hat sich die Information über Risken aber auch über die vorhandenen medizinischen Ressourcen, die Mithilfe der Sportler bei Notfallmeldung und Erster Hilfe im Rahmen eines „Sportlerbriefings“ am Vorabend, oder zumindest kurz vor dem Start; auch in der Ausschreibung des Bewerbs oder auf Anmeldeformularen kann diese wichtige Information bereits frühzeitig erfolgen. 7. a) b) b) c) d) e) f)

Zusammenarbeit, Führungsstrukturen und Krisenmanagement Planung zusammen mit anderen beteiligten Rettungsorganisationen gemeinsame Einsatzleitung einrichten Zusammenarbeit mit dem Veranstalter (Streckenplan, Streckenpostenplan, Kommunikation mit dem Rennleiter, Zeitnehmung) festlegen Krisenmanagement, Bewältigung eines möglichen Massenanfalls an Verletzten (Lawinenunfall, Massensturz bei engen Abfahrten) Führungsstrukturen Dokumentation [NACA-X Protokoll oder von den Verbänden vorgegebene Dokumentationsblätter (5)] Analyse und Nachbearbeitung des Bewerbs sowie eventuelle Anpassung des Konzepts

Abb. 5: Wildwasserkajak 53


A) ACLS-Ausrüstungsliste: ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●

● ● ● ●

12 Kanal EKG Defibrillator Sauerstoff mit Flowregler und Sauerstoffschlauch Beatmungsbeutel mit Masken und Reservoir Laryngoskop mit Spatel Airway (Tuben oder LMA oder Larynxtuben) Pulsoximeter RR Messgerät mit Stethoskop BZ Messgerät Infusionen: RL und Glucose 33% Ampullarium: - Adrenalin/Suprarenin - Atropin - Sedacoron - Adenosin - Vendal - Ketanaest - Midazolam - Sultanol DA - Novalgin - Nitrolingual - Navoban Spritzen Kanülen und Venflon Kanülenbehälter Tupfer usw.

B) ATLS-Ausrüstungsliste: ● ● ● ● ● ● ● ●

HWS Schiene Defibrillator mit Rhythmusmonitor Sauerstoff mit Flowregler und Sauerstoffschlauch Beatmungsbeutel mit Masken und Reservoir Laryngoskop Airway (Tuben oder LMA oder Larynxtuben) Pulsoximeter RR Messer mit Stethoskop 54


● ●

● ● ●

Infusionen: 2 RL, Hyperhaes Ampullarium: - Adrenalin/Suprarenin - Atropin - Fentanyl - Ketanaest - Midazolam - Novalgin - Navoban Spritzen und Kanülen Venflon Verbandmaterial - beschichtete Wundauflagen (10) - Pehahaft (1) - Transparenter Wundverband (3) - Leukotape (1) - Blasenpflaster (5) - Dreiecktuch (2) - SAM Splint (2) - Elastische Bandagen (3) - Hansaplast (1) - Gazofix (2) - Leukostrip (5)

C) Verbandmaterial – Großveranstaltungen - beschichtete Wundauflagen (10) - Pehahaft (1) - Transparenter Wundverband (3) - Leukotape (1) - Blasenpflaster (5) - Dreiecktuch (2) - SAM Splint (2) - Elastische Bandagen (3) - Hansaplast (1) - Gazofix (2) - Leukostrip (5) 55


D) Ausrüstung (Personal, Material) 1. BASISSTATION (ZIEL): ● 1 Notfallsanitäter, 1 Rettungssanitäter ● RTW (2 RS) mit vollständiger Notarztausrüstung (ATLS, ACLS), muss im Fall des Gebrauchs durch den NEF Lienz ersetzt werden (Funk: Mobiltelefon) ● Notfallprotokolle (FIS) ● Heißer Tee und Kleinigkeit zum Essen 2. BERGUNGSTEAM (START) ● 1 Notarzt mit Ski/Steigeisen/Helm mit Hüfttasche (Ketamin, Midazolam, MAD, Taschentücher, usw.) ● 2 Bergretter mit Ski und Akja (incl. Vakuummatratze, Vakuumbeinschiene, HWS Schiene, Tragetuch, Decke, Cold Pack) Sicherungsmaterial zur Fixation des Akja ● 1 Bergretter mit Ski (Verbandmaterial, Sauerstoff, Beatmungsrucksack) ● 1 Notfallsanitäter mit Ski/Steigeisen und Notarztrucksack (ACLS, ATLS) A. Tempele ● Heißer Tee ● Medikamente für „Unpässlichkeiten“ (Codipertussin, Voltaren, Novain, Imodium, Vibrocil) 3. BERGUNGSTEAM (OBERHALB GRIBELEKANTE) ● 1 Notarzt mit Ski mit Ausrüstung s.o. ● 2 Bergretter mit Ski und Akja (s.o.) ● 1 Bergretter mit Ski (s.o.) ● 1 Notfallsanitäter mit Ski (s.o.) 4. BERGUNGSTEAM (in RESERVE AM START) ● 2 Bergretter mit Ski und Akja ● 1 Bergretter mit Ski ● 1 Notfallsanitäter mit Ski 5. TRANSPORT ● 1 RTW (2 RS) Gribelehof ● 1 RTW (2 RS) Ziel 56


● ●

NEF (am Stützpunkt) zur evtl. Transportbegleitung 2 NAH (am Stützpunkt) bei NACA V-VI (1 NAH für Seilflug bereit am Krankenhaus Tel. Aviso NAH Stützpunkt) Bergrettungsauto (evtl. für Zufahrt Start oder Weg unterhalb des Startbereichs, im Einsatzfall zu besetzen)

6. EINSATZLEITUNG ● EL ÖRK ● EL ÖBRD ● Eigener Digitalfunk ● Organisationsfunk ● TV Bildschirm ● Protokoll 7. MEDIKAMENTE (Hüfttasche Notarzt) ● 10 ml Midazolam® 5 mg/ml ● 10 ml Ketanest®-S 25 mg/ml ● 10 ml Fentanyl® 0.5 mg/10ml ● 1 Venflon ● 1 MAD ● 1 Spritze 2 ml ● 1 Spritze 5 ml ● Tupfer ● Pehahaft ● Stauschlauch ● Schere ● Handschuhe ● Kleiner Schreibblock ● Kugelschreiber

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LITERATUR (1)

Townes D.A. Wilderness and Endurance Events In: Auerbach. Wilderness Medicine, 5th ed. Mosby 2007.

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Daniel Oberladstätter

Geräteunterstützte Wied erbelebung – Eine sinnvolle Neuerung in der Alpinen Notfallmedizin? CPR Devices – A Useful Innovation in Alpine Emergency Medicine?

SUMMARY Recent Guidelines for Resuscitation (2010) of the European Resuscitation Council (ERC) repeatedly prove that for patients in cardiac arrest continuous chest compressions with the highest quality possible are a crucial procedure for survival with favourable neurological outcome. Opportunities to provide this quality are often very limited in alpine emergency medicine, especially during transport. Devices for automated external chest compressions are available for several years now. These devices potentially improve the quality of resuscitation attempts in these situations. Keywords: cardiopulmonary resuscitation (CPR), alpine emergency medicine, automated external chest compressions

ZUSAMMENFASSUNG Wie die aktuellen Leitlinien des Europäischen Wiederbelebungsrats zur Reanimation (2010) neuerlich zeigen, ist für den Patienten im Kreislaufstillstand die kontinuierliche Herzdruckmassage mit höchstmöglicher Qualität ein zentraler Faktor für ein Überleben mit gutem neurologischem Outcome. Die Möglichkeiten, diese Qualität im alpinen Rettungswesen zu bieten, sind insbesondere beim Transport von Patienten unter Reanimationsbedingungen massiv eingeschränkt. Seit einigen Jahren stehen Geräte für die automatische externe Herzdruckmassage zur Verfügung, mit denen die Qualität der Wiederbelebungsmaßnahmen in solchen Situationen womöglich deutlich verbessert werden kann. Schlüsselwörter: Wiederbelebung, alpine Notfallmedizin, automatische externe Herzdruckmassage 61


DIE ENTWICKLUNG DER „MODERNEN” WIEDERBELEBUNG Am 18. Oktober 2010 wurden die derzeit gültigen Leitlinien des European Resuscitation Council (ERC)(4) und der American Heart Association (AHA) zur kardiopulmonalen Reanimation (CPR) veröffentlicht. Dieser Aktualisierung der Leitlinien ging ein mehrere Jahre dauernder Diskussionsprozess im Rahmen des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) voraus, in dem versucht wurde, in Arbeitsgruppen unter Experten die aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse zum Thema auszuwerten und als international gültige Empfehlungen niederzuschreiben (5). Die grundlegenden Techniken der heutigen Wiederbelebungsmaßnahmen sind teilweise bereits seit über einhundert Jahren bekannt. So wurde zum Beispiel die externe Herzdruckmassage bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben, geriet jedoch wieder in Vergessenheit (1). Im Rahmen der wissenschaftlichen Suche nach Behandlungsmöglichkeiten gegen den Kreislaufstillstand mit Kammerflimmern wurde erkannt, dass sich durch Druck auf den Thorax von außen ein kardialer Auswurf erzeugen lässt. Im Jahr 1960 wurde im Journal of the American Medical Association (JAMA) von Kouwenhoven et al. ein wegweisender Artikel unter dem Titel „Closed chest cardiac massage“ veröffentlicht (2). Im Jahr darauf wurde in der gleichen Zeitschrift von Safar et al. die Beatmung in Kombination mit der Herzdruckmassage als Wiederbelebungsmaßnahme beschrieben (3). Damit war der Grundstein der „modernen“ Wiederbelebung gelegt.

QUALITÄT IST ENTSCHEIDEND In den 2005 vom ERC veröffentlichten Leitlinien zur Wiederbelebung wurde darauf hingewiesen, dass längere Unterbrechungen der Herzdruckmassage bei Patienten im Kreislaufstillstand zu einem schlechteren neurologischen Outcome führen (8). Wik et al. konnten zeigen, dass im professionellen Team bei der präklinischen Wiederbelebung in ca. 50% der Zeit keine Herzdruckmassage durchgeführt wurde, und die applizierten Herzdruckmassagen zu einem großen Teil zu flach und ohne ausreichende Entlastung durchgeführt wurden (5). Abella et al. veröffentlichten im gleichen Jahr eine Studie zur innerklinischen Reanimation mit vergleichbaren Ergebnissen (7). In den aktuellen Leitlinien, im Oktober 2010 veröffentlicht, wird diese Aussage nochmals unterstrichen und verstärkt (4). So wird empfohlen, dass die Herzdruckmassage mit einer Frequenz von mindestens 100/min und einer Drucktiefe von mindestens 5 cm durchzuführen ist. Weiters wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf eine Minimierung 62


der Unterbrechungen und auf eine ausreichende Entlastung des Thorax großer Wert zu legen ist. Um diesen Qualitätsstandard einhalten zu können, ist eine gewisse körperliche Konstitution und Fitness und große Konzentration notwendig. So stellte Ashton et al. dar, dass die Qualität der Herzdruckmassage jede Minute abnimmt, bei Frauen (geringeres Körpergewicht) mehr als bei Männern (8). Dementsprechend wird empfohlen, dass der Helfer, der die Herzdruckmassage durchführt, alle 2 Minuten (nach jeder Rhythmuskontrolle) abgewechselt werden sollte, um Ermüdungserscheinungen und damit einer schlechteren Herzdruckmassage vorzubeugen. In den aktuellen Leitlinien zur Wiederbelebung wird die Anwendung von Autopulse® und LUCAS® für Situationen empfohlen, in der die Herzdruckmassage über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden muss. Ausdrücklich erwähnt wird als Beispiel für den sinnvollen Einsatz der automatischen externen Herzdruckmassage der Patient mit Hypothermie oder Intoxikation als Ursache des Kreislaufstillstands. Weiters Patienten, die aufgrund einer Lungenembolie unter Reanimationsbedingungen thrombolysiert wurden oder die unter Herzdruckmassage transportiert wurden (4).

GERÄTE ZUR AUTOMATISCHEN EXTERNEN HERZDRUCKMASSAGE Im Jahr 1960 wurde der wegweisende Artikel “Closed chest cardiac massage“ von Kouwenhoven et al. veröffentlicht in dem erstmals die Herzdruckmassage wissenschaftlich behandelt wurde (2). Bereits in den Jahren darauf wurden Artikel über mechanische externe Herzdruckmassage-Geräte publiziert (11-14). Seitdem wurden verschiedenste mit Gas, elektrisch oder auch manuell betriebene Herzdruckmassage-Geräte entwickelt. Nachfolgend sollen die derzeit am meisten verbreiteten externen Herzdruckmassage-Geräte besprochen werden. Die drei Automatischen basieren alle auf einer unterschiedlichen Philosophie. Ihnen wird ein manuell betriebenes Gerät gegenüber gestellt. Ein Vergleich der technischen Daten ist in Abb. 1: Autopulse®, Zoll Medical Tab. 1 aufgeführt. Corp., Chelmsford MA, USA 63


Autopulse® (Zoll Medical Corp.) Autopulse wurde von der Fa. Revivant entwickelt und wird von der seit 2003 zu 15% beteiligten Fa. Zoll Medical Corp. weltweit vertrieben. Das Gerät besteht aus einem Brett, welches unter den Oberkörper des Patienten gelegt wird, und einem breiten Gurt (LifeBand®), über den die Herzdruckmassage durchgeführt wird. Die Verwendung eines Gurts zur Thoraxkompression soll sich die Thoraxpumpe, welche physiologisch im Rahmen der Atmung zu einem geringeren Teil wirksam ist, zu Nutze machen, um diastolisch bessere Füllungsdrücke und damit ein besseres Herzminutenvolumen und einen besseren Perfusionsdruck zu erzeugen. Autopulse® wird elektrisch betrieben mit einer Betriebsdauer von 30 Minuten pro neuer Batterie (Herstellerangaben; lt. einzelnen Anwendern allerdings oft kürzer). Als Arbeitsmodus kann ® Abb. 2: Autopulse am Notarzthubschrauber, Dr. Klaus Linzmeier, Christophorus 8, ein 30:2 Verhältnis oder ein kontinuierlicher Modus gewählt werden. Nenzing, Österreich Von Vorteil bei diesem Gerät dürfte der niedrige Schwerpunkt sein. Dadurch scheint eine Dislokation am Transport und in Schräglage weniger problematisch. In den aktuellen Leitlinien zur Wiederbelebung wird eine Herzdruckmassagefrequenz von mind. 100/min gefordert. Autopulse® bietet eine Frequenz von 80/min. Das Gewicht des Geräts (11,6 kg inkl. Batterie) ist höher als bei den später beschriebenen. Um die Effektivität des Autopulse® besser beurteilen und die teils widersprüchlichen Studienergebnisse (15) besser einordnen zu können, wird derzeit unter der Leitung von Wik L eine internationale Studie (CIRC - Circulation Improving Resuscitation Care) durchgeführt, die 3000 bis 6000 Patienten einschließen soll und mechanische (Autopulse®) mit manueller Herzdruckmassage vergleicht. Autopulse® ist an Rettungshubschraubern in den USA und Europa im Einsatz. LUCAS® / LUCAS® 2 (Jolife AB) Nach einer ersten Idee im Jahr 1991 und Entwicklungsarbeit der Firma Jostra wird LUCAS® von der im Jahr 2000 gegründeten Firma Jolife weiterentwickelt 64


und in Europa und den USA vertrieben. LUCAS® wurde als gasbetriebenes Gerät entwickelt und erhielt im Jahr 2002 die CE Zertifizierung und im Jahr 2006 die FDA Freigabe. Das Gerät arbeitet nach dem Prinzip der Active Compression-Decompression-CPR (ACD-CPR) mit einer Saugglocke, ebenso wie die ursprünglich von der Fa. Ambu vertriebene Cardio ® Abb. 3: LUCAS® 2, Jolife AB, Lund, Schwe- Pump . Allerdings wird der Thorax den im Gegensatz zu dieser nicht über das Ausgangsniveau angehoben, was zu weniger Verletzungen führen soll. Durch das aktive Anheben des Thorax wird über den entstehenden Unterdruck vermehrt Blut zum Herzen gebracht,

Abb. 4: LUCAS® 2 am Hubschrauber, Jolife AB, Lund, Schweden

und damit ein deutlich höheres Herzminutenvolumen erzielt. Das gasbetriebene Modell benötigt im Betrieb 52 l Gas pro Minute. Die zweite Generation (LUCAS® 2) des Geräts wird nun elektrisch betrieben, mit einer Batterielebensdauer von 45 Minuten, kann aber auch über das Bordnetz eines Rettungswagens oder über das Stromnetz betrieben werden. Das Gerät wurde dadurch platzsparender und etwas schwerer, allerdings wird keine Gasflasche mehr be65


nötigt, und damit ist das Gesamtgewicht geringer als bei der ersten Generation. Die im Jahr 2006 beschriebenen vermehrten Thoraxverletzungen (16) könnten auf ein Verrutschen des Geräts beim Umlagern oder am Transport zurückzuführen sein. Nach Adaptierung des Geräts im Mai 2006 durch ein Nackenband, das ein Abweichen nach kaudal verhindern soll, wurde kein Unterschied bei Thoraxverletzungen durch manuelle oder LUCAS® CPR mehr gefunden (17). Im Jahr 2008 wurde in sechs nordeuropäischen Städten eine Vergleichsstudie zwischen mechanischer (LUCAS®) und manueller Herzdruckmassage (LINC - Lucas in Cardiac Arrest) begonnen, die 2500 Patienten einschließen und die Effektivität von LUCAS® beurteilen soll. Die Herstellerfirma (Jolife AB, Schweden) bemüht sich derzeit um eine generelle Freigabe für den Hubschraubertyp EC 135. In Dänemark, England, Norwegen und Schweden (Gotland) sind Rettungshubschrauber bereits mit LUCAS®-Geräten ausgestattet. Thumper® Model 1007 (CC/CCV) / Life-Stat® 1008 (Michigan Instruments Inc.) Bereits im Jahre 1965 wurde das erste gasbetriebene externe Herzdruckmassage-Gerät der Fa. Michigan Instruments Inc. als ECC model 1001 auf den Markt gebracht. Im Jahr 1968 wurde das Modell 1003 mit einem integrierten Beatmungsteil und 1972 der Markenname Thumper® eingeführt. Derzeit werden von Michigan Instrument Inc. die Modelle Thumper® 1007 CC und CCV sowie das Modell Life-Stat® 1008 vertrieben. Die Modelle 1007 CC und CCV unterAbb. 5: Life-Stat® 1008, Michigan scheiden sich durch den im Modell 1007 Instruments Inc., Grand Rapids MI, CCV integrierten Beatmungsteil. Das Mo- USA dell Life-Stat® 1008 enthält erstmals eine elektronische Systemsteuerung, ist aber weiterhin gasbetrieben. Alle Geräte der Serie verfügen über einen gasbetriebenen Druckstempel, der über einen schwenkbaren Arm mit der Säule verbunden ist, die an der Grundplatte befestigt wird. In den aktuellen Leitlinien wird keine Empfehlung für oder gegen die Geräte Thumper® und Life-Stat® ausgesprochen. 66


Animax® / Animax® mono (Alber Antriebstechnik GmbH) Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen automatischen Herzdruckmassage-Geräten wird das Gerät Animax® der Fa. Alber Antriebstechnik GmbH manuell angetrieben. Über ein mechanisches System (Hebel/Feder) wird über einen Druckstempel, der am Brustbein aufsitzt, der Brustkorb je nach Durchmesser um 4-5 cm komprimiert. Animax® schaltet nach 30 Herzdruckmassagen automatisch auf 2 Beatmungen um. Animax® mono ist um 1,8 kg leichter und verfügt über keine Beatmungsmöglichkeit. Ziel dieses Geräts ist es, eine hochqualita® tive Herzdruckmassage über einen längeren Abb. 6: Animax , AAT Alber Antriebstechnik GmbH, Albstadt, Zeitraum als bei der konventionellen manuDeutschland ellen Methode durchführen zu können. Animax® wurde in den aktuellen Leitlinen nicht berücksichtigt; es scheinen nicht ausreichend wissenschaftliche Untersuchungen dazu vorzuliegen.

EINSATZ IM ALPINEN RETTUNGSWESEN Das Rettungswesen im alpinen Bereich wird von zwei gänzlich unterschiedlichen Einsatzarten geprägt. Auf der einen Seite steht der organisierte, terrestrische Bergrettungseinsatz, der sich meist über mehrere Stunden hinzieht und oft von einem großen technischen und personellen Aufwand geprägt ist. Seit der immer größeren Flächendeckung mit Rettungshubschraubern werden diese Einsätze vermehrt bei Schlechtwetter und Dunkelheit durchgeführt, also unter deutlich erschwerten Bedingungen. Dementsprechend muss von einem teils langen Anmarsch und einer langen Abtransportzeit ausgegangen werden. Auf der anderen Seite steht der Einsatz von Rettungshubschraubern, im Alpenraum meist mit Notärzten besetzt. Hier ist von einer deutlich kürzeren Einsatzzeit auszugehen. So beträgt die durchschnittliche Transportzeit bei der Christophorus Flugrettung in Österreich 7:18 Minuten (18). Eine Zwischenstellung nimmt der Rettungseinsatz im erschlossen Tourismusbereich, wie z. B. auf Skipisten, ein. Hier werden zwar ebenfalls Einsätze terrestrisch abgewickelt, jedoch durch die vorgehaltenen technischen und personellen Möglichkeiten bleiben die Einsatzzeiten oft zeitlich begrenzt. 67


Autopulse®

Life-Stat®

Lucas® 2

Animax®

11.6 kg

8.85 kg + Flasche

7.8 kg

9.8 kg

Betriebsdauer

30 min

45 l/min

45 min

xxx

Frequenz

80/min

100/min

100/min

xxx

Gewicht inkl.

Beatmung Modus

Nein

Ja

Nein

30:2 / kont.

30:2 / kont.

30:2 / kont.

Ja 30:02:00

Kompr. Tiefe

20%

0-8 cm

4-5 cm

4-5 cm

Körpergewicht

Max. 136 kg

Kein Limit

Keine Bedeutung

45-120 kg

Höhe 17-30.3 cm

k. A.

Thorax

Umfang 76-130 cm Höhe 11.4-36.8 cm Breite 25-38 cm

Applikation Betriebstemperatur

Max Breite 44.9 cm

30 sec

5 sec

20 sec

20 sec.

0 bis +45 °C

-20 bis +45 °C

0 bis +40 °C

-18 bis +50 °C

Tab. 1: Technische Daten zu externen Herzdruckmassage-Geräten

Im alpinen Bereich ist unabhängig von der oben beschriebenen Einsatzart vermehrt mit hypothermen Patienten und damit mit dem Transport unter Herzdruckmassage zu rechnen. Für diese Einsätze ist die Verwendung von automatischen HerzdruckmassageGeräten (Autopulse®, LUCAS®) sinnvoll und in den Leitlinien 2010 empfohlen (4).

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Ber nhard Rainer

Terrestrische Bergung einer polytraumatisierten Patientin im alpinen Gelände Terrestrial Rescue Operation of a Patient with Multiple Trauma in a Mountainous Region

SUMMARY This case report is about a 51-year old female patient who has suffered from a multiple trauma after a 150 m fall in the Tschigat Mountain area (2998 m), South Tyrol/Italy. Due to the bad weather conditions with fog the rescue helicopter cannot land and the rescue party has to reach the scene of the accident on foot with all the necessary equipment. The patient has to be brought down on the terrestrial way through the mountainous region in a rescue operation lasting several hours. Against the general treatment guidelines and with uncertain outcome the emergency doctor decides for a minimally invasive treatment in order to not endanger the patient‘s life any further. After reaching the fog line the rescue helicopter takes up the patient and flies her to the next level-1 emergency hospital. After successful therapy and a lengthy period of rehabilitation the patient can return to her job 6 months later without permanent physical impairment. Keywords: pre-hospital multiple trauma therapy, terrestrial rescue operation, mountainous region, minimal invasive therapy, severe head injury

ZUSAMMENFASSUNG Dieser Fallbericht handelt von einer 51-jährigen Patientin, welche nach einem Absturz von ca. 150 m am Tschigat (2998 m. ü. M.), Südtirol/Italien ein Polytrauma erlitten hat. Aufgrund der schlechten Wetterlage mit Nebel können Rettungsmannschaften und Material mit dem Rettungshubschrauber (RTH) nicht direkt zur Unfallstelle gebracht werden. Auch der Abtransport muss terrestrisch 71


über mehrere Stunden in alpinem Gelände erfolgen. Der Notarzt entscheidet sich daher für eine minimal invasive Vorgangsweise um die Patientin nicht noch weiter zu gefährden, jedoch mit ungewissem Outcome und gegen die allgemeinen Behandlungsrichtlinien. Nach Erreichen der Nebeluntergrenze wird die Patientin vom RTH aufgenommen und ins nächste Schwerpunktkrankenhaus geflogen. Nach erfolgreicher Therapie und längerer Rehabilitationsphase kann die Patientin 6 Monate später ohne bleibende körperliche Beeinträchtigungen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Schlüsselwörter: präklinische Polytraumaversorgung, terrestrische Bergung, alpines Gelände, minimal invasive Therapie, Schädel-Hirn-Trauma

FALLBERICHT Eine 51jährige Patientin rutscht gegen 13:30 Uhr beim Abstieg von der Tschigat-Nordflanke (2998 m. ü. M.) in Südtirol/Italien vor den Augen ihres Kameraden aus. Sie stürzt dabei ca. 150 m über steiles, felsiges Gelände ab und bleibt regungslos in einem darunter liegenden Schneefeld liegen. Nach Eingang des Notrufs um 14:10 Uhr in der Landesnotrufzentrale wird sofort der Rettungshubschrauber (RTH) „Pelikan 1“ alarmiert, der zu diesem Zeitpunkt in nur 5 Flugminuten Entfernung eine Bergrettungsübung absolviert. Aufgrund dichten Nebels im Einsatzgebiet und ungenauer Angaben zum Unglücksort werden die ersten Bergretter an der benachbarten Lazinser Rötelspitze (3000 m. ü. M.) im Schwebeflug abgesetzt und zur Ortung der Unfallstelle vorausgeschickt. In der Zwischenzeit werden in mehreren Rotationen Notarzt, Bergretter und Rettungsmaterial vom Sammelplatz im Tal auf die Lazinser Rötelspitze geflogen. Von dort aus müssen die Rettungsmannschaften im Nebel auf das Halsl-Joch absteigen, um dann nach längerem Fußmarsch durch schneebedecktes Geröllgelände die Absturzstelle zu erreichen. Nach Eintreffen des Notarztes um 14:50 Uhr stellt dieser die Arbeitsdiagnose Polytrauma. Die Patientin zeigt ein komplexes Verletzungsmuster: schweres Schädel-Hirntrauma (SHT) mit Glasgow-Coma-Score (GCS) 5, anisokore Pupillen, stumpfes Thoraxtrauma, V.a. multiple offene Extremitätenfrakturen sowie Rissquetschwunden und Exkoriationen an der oberen und unteren Extremität. Die Patientin atmet unbehindert und die peripheren Pulse sind tastbar bei einer Herzfrequenz von ca. 100/Minute. Nachdem sich in der Zwischenzeit die Wettersituation nicht geändert hat und auch eine Besserung in absehbarer Zeit nicht realistisch scheint, wird die Patientin vom Notarzt erstversorgt: Anlage eines 18-G Venflon i.v. ohne Infusion, Anlage einer Halskrause, Wundverbände, Schienung der Frakturen mittels Sam-Splint®, Sauerstoffgabe über Venturi-Maske®, Wärmepackung 72


mit Wärmebeuteln, Alufolie und Decke, schonende Umlagerung und Fixierung der Patientin in stabiler Seitenlage im Marinersack mit Vakuum-Matratze (Abb. 1). Als einziges Monitoring wird ein Puls-Oxymeter am Ohrläppchen angelegt. Der Abtransport erfolgt zunächst durch seilgesichertes Ablassen der Patientin über das Schneefeld auf den ca. 100 m darunterliegenden Sommersteig. Dort wird die Patientin samt Marinersack auf die Gebirgstrage umgelagert und in mühevoller Teamarbeit Meter für Meter über ein schneebedecktes grobscholliges Geröllgelände auf das Halsl-Joch hinaufgetragen Abb. 1 (Abb. 2). Mehrmals muss dabei die Tragemannschaft wegen der großen körperlichen Belastung ausgewechselt werden. Der Notarzt kontrolliert während des Abtransportes bei jeder Pause die Vitalfunktionen der Patientin. Nach

Abb. 2 73


Überschreiten des Halsl-Joches kann der terrestrische Abtransport aufgrund der schneefreien Südhanglage und der verbesserten Wegbedingungen deutlich rascher absolviert werden (Abb. 3). Nach Erreichen der Nebeluntergrenze um 17:19 Uhr auf ca. 2300 m. ü. M. kann die Patientin mit dem Notarzt im Schwe-

Abb. 3

beflug vom RTH „Pelikan 1“ aufgenommen werden und nach 10-minütigem Flug dem Schockraumteam des Schwerpunktkrankenhauses Bozen übergeben werden. Dort wird die Diagnose Polytrauma bestätigt: SHT mit akutem subduralem Hämatom und MittellinienShift, intracerebrale Kontusionen frontal mit intraparenchymaler Blutung, diffuses Hirnödem, multiple Kalottenfrakturen, Schädelbasisfraktur, GesichtsschädelFrakturen, Lungenkontusionen li., plurifragmentäre Tibiafraktur li., offene Weichteilverletzung Unterarm li., multiple Rissquetschwunden und Exkoriationen (Abb. 4). Nach operativer Erstversorgung und anschließendem Intensivaufenthalt kann die Patientin bereits nach 6 Tagen in ein peripheres Krankenhaus verlegt werden. Abb. 4 74


In den Folgemonaten unterzieht sich die Patientin noch weiteren operativen Eingriffen und mehreren Reha-Aufenthalten. Sechs Monate nach dem Unfall hat sich ihr Gesundheitszustand dermaßen gebessert, dass sie schrittweise wieder in die Arbeitswelt integriert werden kann. Heute arbeitet die Patientin wieder ganztägig als Krankenpflegerin, hat eine retrograde Amnesie für den Unfallzeitraum jedoch ansonsten keine physischen Einschränkungen. Sie ist mit ihrer heutigen Lebensqualität sehr zufrieden und geht bereits wieder regelmäßig in die Berge.

DISKUSSION Einleitung In Österreich rechnet man insgesamt mit ca. 8.000 Polytraumen pro Jahr. Betroffen sind vor allem junge Menschen mit einem Gipfel in der Altersgruppe der 20-40-Jährigen. Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen. Etwa zwei Drittel der Polytraumen werden durch Verkehrsunfälle verursacht, gefolgt von Arbeits-, Haus- und Sportunfällen (1). In über 90% handelt es sich dabei um stumpfe Traumen. Das Polytrauma ist in Mitteleuropa nach wie vor die Hauptursache für Morbidität und Mortalität vor dem 40. Lebensjahr. Die Zahl der Bergtoten in Österreich lag in der Statistik des ÖBRD im Jahr 1997 bei 268 Toten (6840 Verletzte), der OeAV beziffert die Bergtoten im selben Beobachtungszeitraum mit 301 Toten (3887 Verletzte) (2). Untersuchungen zur Lebensqualität nach Polytrauma zeigen, dass 2 Jahre nach dem Unfall nur etwa 50% an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren und 40% über regelmäßige Schmerzen klagen. Eine Schweizer Studie beziffert die direkten und indirekten Kosten eines Polytraumas in den ersten 5 Jahren nach dem Unfall mit 500.000 Euro/Patient. Dabei entfallen 10% auf die medizinische Akutbehandlung, 20% auf die Rehabilitation und medizinische Folgekosten und 70% auf den Produktivitätsausfall (3). Die Behandlung polytraumatisierter Patienten im alpinen Gelände stellt aufgrund der erschwerten Umgebungsbedingungen eine besondere Herausforderung für jeden Notarzt dar.

Definition und Scoring Unter Polytrauma versteht man die gleichzeitige Verletzung mehrerer Körperregionen oder Organsysteme, wobei mindestens eine Verletzung oder die Kombination insgesamt akut lebensbedrohlich sind. Vom Begriff Polytrauma im eigentlichen Sinn müssen die „Mehrfachverletzung ohne vitale Bedrohung“ und das „schwere, lebensbedrohliche Monotrauma“ abgegrenzt werden 75


(4). Diese Definition von Tscherne wird im klinischen Alltag und in der Literatur am häufigsten verwendet. Da die Einschätzung der Lebensbedrohlichkeit aber stark subjektiven Einflüssen unterliegt, bleibt der Begriff Polytrauma trotz dieser Definition wenig präzise. Daher wurde in den letzten Jahren nach einer objektiveren Klassifikation gesucht. Ergebnis waren verschiedene Trauma-Score-Systeme, die versuchen, die Verletzungsschwere in einem einfachen Zahlenwert zusammenzufassen. Zur Definition eines Polytraumas wird international am häufigsten der Injury Severity Score (ISS) angewendet. Der ISS ist ein anatomischer Score, der erst nach Abschluss der primären Diagnostik errechnet werden kann. Grundlage zur Berechnung des ISS ist die Abbreviated Injury Scale (AIS). Diese unterteilt den Körper in 6 Regionen (Kopf/Hals, Gesicht, Thorax, Abdomen, Extremitäten, Weichteile) und bewertet den Grad der Verletzung jeder einzelnen Region mit einem Punktewert von 1-6. Der Punktewert der 3 am schwersten verletzten Regionen wird jeweils quadriert und zu einem Gesamtwert addiert [ISS= (AISa)2 + (AISb)2 + (AISc)2]. Es resultieren Punktewerte des ISS von 0 (keine Verletzung) bis 75 (schwerste Verletzung). Wird einer einzelnen Verletzung der AIS-Wert 6 zugeordnet (z. B. Schädel-Hirn-Quetschung, freie Aortenruptur, vollständige Leberzerreißung), resultiert daraus obligat der maximale ISS-Wert von 75. International ist ein ISS ≥ 16 zur Definition eines Polytraumas weit verbreitet.

Verletzungsmuster und Letalität Bei polytraumatisierten Patienten stehen mit über 60% schwere Schädel-Hirnverletzungen im Vordergrund, gefolgt vom schweren Thoraxtrauma (50%), Bauchtrauma (20%), Beckentrauma (20%) und Verletzungen der Wirbelsäule (10%). Fast immer (70-90%) finden sich begleitende Verletzungen der Extremitäten. Die Todesursachen sind vielfältig. Bedeutend weil therapiebestimmend sind vor allem das schwere Schädelhirntrauma und die blutungsbedingte Hypovolämie. Langfristig spielt die Entwicklung eines Multiorganversagens (MODS) eine entscheidende Rolle für das Outcome des Polytraumatisierten. Die Letalitätskurve zeigt einen typischen 3-gipfligen Verlauf mit dem ersten Gipfel sofort bzw. wenige Minuten nach dem Trauma (schwerste Verletzungen des ZNS, Ruptur der großen Gefäße …), dem zweiten nach Stunden (unbeherrschbare innere Blutungen, malignes Hirnödem mit transforamineller Einklemmung) und dem dritten Tage bis Wochen nach dem Trauma (Multiorganversagen, Sepsis). In mehreren Untersuchungen wurde deutlich, dass Polytrauma-Patienten eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben, wenn sie sofort in einem Level76


1-Traumazentrum behandelt werden. Zudem verursacht die Therapie hier geringere Kosten und führt zu einer höheren Lebensqualität (5, 6).

Strategie und Therapiekonzept Im frankogermanischen Raum war bis vor kurzem die Stabilisierung des Schwerstverletzten am Unfallort („stay and play“) durch einen Notarzt die vorherrschende Praxis. Dabei wurde die Therapie des hämorrhagischen Schocks mit großzügiger bis unlimitierter Volumengabe über mehrere großlumige Venenzugänge durchgeführt. Erkenntnisse aus diversen Studien vorwiegend aus dem angloamerikanischen Raum (Paramedic-Systeme) zwangen jedoch zum Überdenken der Strategie bei unkontrollierbarer Blutung. Die Volumengabe führt bei diesen Patienten in Kombination mit dem Zeitverlust durch präklinische Stabilisierungsversuche zu schlechteren Ergebnissen und somit zur Favorisierung des raschen Transports („scoop and run“). Unabhängig von der Diskussion um die richtige Strategie gewinnt die differenzierte Behandlung der verschiedenen Polytrauma-Subgruppen zunehmend an Bedeutung. Besonderes Augenmerk wird dabei auf das Vorhandensein eines begleitenden schweren Schädelhirntraumas bzw. einer nicht kontrollierbaren Blutung gerichtet (Tab. 1). Das Konzept der „permissiven Hypotension“ beim Vorliegen einer unkontrollierbaren Blutung beinhaltet alle üblichen therapeutischen Maßnahmen (VoAlgorithmus Polytrauma modifiziert nach Kreimeier

Tab. 1 77


lumentherapie, ggf. Vasopressorgabe), ohne allerdings normotensive Werte anzustreben. Normo- oder hypotensive Kreislaufverhältnisse bei gesichertem Atemweg und minimaler time on scene (TOS) sind außer beim schweren Schädelhirntrauma als moderne Strategie in der präklinischen Traumaversorgung zunehmend akzeptiert. Beim schweren Schädelhirntrauma hingegen sind Hypotonie und Hypoxie herausragende Faktoren der sekundären Hirnschädigung und haben einen signifikanten Einfluss auf das Outcome. Das Vorliegen einer einmaligen Hypotension (systolische Blutdruck ≤ 90 mmHg) führt zu einer Verdoppelung der Mortalität. Hypotension in Kombination mit Hypoxie (PaO2 ≤ 60 mmHg) führt demnach zu einer weiteren Steigerung der Mortalität auf 75%. Die Vermeidung bzw. aggressive Therapie von Hypotonie und Hypoxie bereits in der frühen posttraumatischen Phase scheint der wichtigste Ansatz zur Verbesserung des Outcomes nach schwerem Schädelhirntrauma zu sein (7 – 10). Bei allen Entscheidungen ist die „golden first hour of trauma“ einzuhalten, d. h. jeder Patient sollte unter normalen Bedingungen innerhalb von 60 Minuten nach Eintreffen des Notarztes am Notfallort im geeigneten Zielkrankenhaus eingeliefert worden sein. Im aktuellen Fallbericht hat sich der Notarzt nach Seitenlagerung der Patientin und Sauerstoffgabe für den terrestrischen Abtransport entschieden. Die Rettungsaktion hat insgesamt fast 4 Stunden gedauert, sodass jede invasive Therapie aufgrund des dadurch erschwerten Monitorings und des nicht gesicherten Medikamenten-Nachschubs das Risiko für die Patientin unnötig erhöht und die TOS verlängert hätte.

Klinik des Polytrauma – Prinzipien der präklinischen Erstversorgung Die Klinik des Polytraumas setzt sich zusammen aus den Symptomen der Einzelorganverletzung und den Symptomen des traumatisch-hämorrhagischen Schocks wie systemische Hypotension, Tachykardie und Vasokonstriktion (blasse, kalte Haut) als Zeichen der sympathikoadrenergen Stressreaktion. Tachypnoe und Unruhe des Patienten als Folge der Azidose im Rahmen der Gewebshypoxie sind ebenfalls häufig zu beobachten. Bei entsprechender Unfalldynamik muss bereits vom Notarzt am Unfallort die Arbeitsdiagnose Polytrauma gestellt werden. Diese behält im weiteren Behandlungsablauf solange Gültigkeit bis nach abgeschlossener Schockraumdiagnostik die Diagnose Polytrauma bestätigt bzw. das Gegenteil bewiesen wird. Hilfreich hierfür kann die Checkliste „Verdachtsdiagnose Polytrauma“ nach Nast-Kolb sein (Tab. 2). Sie beruht auf den drei Säulen: Unfallmechanismus, 78


Verschlechterung der Vitalparameter und das offensichtliche Verletzungsmuster (11). Die Indikation zur Sicherung des Atemweges durch Intubation und kontrollierter Beatmung des polytraumatisierten Patienten sollte großzügig gestellt

Tab. 2

werden. Angestrebt werden sollte eine Normoventilation mit niedrigen Atemfrequenzen und es sollte auf die Anwendung eines PEEP besonders im unkontrollierten hämorrhagischen Schock verzichtet werden, da dadurch eine signifikant höhere Kurzzeit-Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht wird (12). Standardmäßig sollte heutzutage auch in der Präklinik ein Kapnographie-Gerät zur Anwendung kommen. Beim polytraumatisierten Patienten steht sehr häufig die hämodynamische Instabilität als Folge der Verletzungen und des begleitenden Blutverlusts im Vordergrund. Einer entsprechenden Volumenstherapie kommt daher besondere Bedeutung zu. Die Wahl des idealen Volumenersatzes, aber auch der richtige Zeitpunkt des Therapiebeginns wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Weder für eine frühzeitige vs. verzögerte Volumentherapie, noch für eine kristalloide vs. kolloidale Infusionstherapie konnten signifikante Vorteile gesichert werden (13). Schon allein die Einschätzung der Hypovolämie ist präklinisch äußerst schwierig. Verletzungsmuster und hämodynamische Parameter wie Herzfrequenz, systolischer und diastolischer Blutdruck erlauben maximal eine grobe Einschätzung. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Höhe des systolischen Blutdrucks bzgl. Volumenmangel beim Polytrauma ein höchst unzuverlässiger Parameter ist. Kristalloide Lösungen (Ringerlactat, NaCl) haben den Nachteil der nur unzureichenden hämodynamischen Stabilisierung und müssen zudem in 79


großen Mengen verabreicht werden. Kolloide zeichnen sich durch eine längere intravenöse Verweildauer und durch einen besseren Volumeneffekt aus. Als wesentliche Nachteile sind neben möglicher anaphylaktischer Reaktionen vor allem relevante Gerinnungsstörungen (Dilutionskoagulopathie) zu nennen. Der Einsatz synthetischer Kolloide (Gelatine, HES) – kombiniert mit Kristalloiden – hat daher in der primären Volumentherapie beim schwerem Trauma und hämorrhagischem Schock zunehmende Bedeutung gewonnen. Ein weiterer indirekter Nebeneffekt einer agressiven Volumenersatztherapie bei unkontrollierbarer Blutung ist jedoch die Zunahme des Blutverlusts. Als relativ modernes Konzept in der Primärtherapie des polytraumatisierten, kreislaufinstabilen Patienten – speziell bei begleitendem schweren Schädelhirntrauma – hat sich in den vergangenen Jahren der Einsatz einer hypertonen NaCl-Lösung (7,2% oder 7,5% NaCl) mit iso- oder hyperonkotischem Kolloidanteil etabliert. In verschiedenen Studien konnte tendenziell, wenn auch nicht signifikant, eine Verbesserung der Überlebensrate festgestellt werden. Dieses Therapiekonzept wird auch als „Small-Volume-Resuscitation“ bezeichnet. Zur hämodynamischen Stabilisierung sind dabei nur relativ kleine Mengen erforderlich (4ml/kgKG innerhalb von 3-5 Minuten). Bei Verlusten von bis zu 50% des Blutvolumens kann das Herzzeitvolumen dadurch vorübergehend normalisiert und der systemische Druck gesteigert werden (14, 15). Nicht zu vergessen ist auch der Einfluss der Hypothermie auf die Hämostase als eine fast unvermeidliche Komplikation bei polytraumatisierten Patienten auch in der warmen Jahreszeit. Besonders im alpinen Gelände mit niedrigen Umgebungstemperaturen kommt es sehr rasch zum Einfrieren der Infusionslösung im Infusionsbesteck. Es ist daher zweckhaft, eine notwendige Volumentherapie bolusweise über einen abgestöpselten Venenzugang zu verabreichen.

Analgesie und alternative Analgesiemethoden Besonders bei Patienten mit Schädelhirntrauma (SHT) ist es wichtig, einen möglichst stress- und schmerzfreien Abtransport zu gewährleisten, um dadurch einen sekundären Hirndruckanstieg zu vermeiden. Deshalb ist es allgemein üblich SHT-Patienten mit einem GCS ≤ 8 vor dem Transport in tiefer Analgosedierung orotracheal zu intubieren. Natürlich kann dieses Konzept nur beibehalten werden, wenn im Anschluss an die Intubation auch der rasche Weitertransport ins Zielkrankenhaus und der Sauerstoff bzw. Medikamentennachschub sichergestellt ist. Ist eine Intubation nicht möglich oder nicht notwendig, dann sollte der Notarzt dennoch eine suffiziente Schmerztherapie durchführen. 80


Üblicherweise werden dabei Analgetika intravenös verabreicht. In gewissen Situationen (Kaperbergung, steiles Fels- oder Eisgelände ...) ist die VenflonAnlage jedoch mit einer Erhöhung des Risikos für die Retter und mit einer zeitlichen Verzögerung der Bergung verbunden. Als Alternativen zur intravenösen Verabreichung von Analgetika bietet der Markt mittlerweile mehrere praktikable Systeme, die es dem Notarzt auch ohne i.v.-Zugang erlauben, eine angemessene Schmerztherapie durchzuführen. Auf Spritzen aufsetzbare Nasenvernebler ermöglichen z. B. die Applikation von Morphin, Fentanyl oder Ketanest S transnasal (16). Auch transmuccal wird mit Fentanyl-Sticks zum Lutschen der therapeutischen Analgetika-Spiegel bereits nach 5-10 Minuten erreicht. Der Vollständigkeit halber sei auch die Möglichkeit der Anlage eines intraossären Zugangs mittels Cook-Nadel, Bone Injection Gun oder Bohrmaschine erwähnt (17). Die Durchführung einer effektiven Analgesie eines polytraumatisierten Patienten mit SHT, welcher auch noch terrestrisch über mehrere Stunden in Spontanatmung abtransportiert wird, stellt einen Notarzt vor ein Problem. Die Applikation von Opiaten führt dosisabhängig zur Hypoventilation und dadurch zum CO2- und Hirndruckansieg mit Verschlechterung des Outcomes (18). Nur beim adäquat monitorisierten Patienten (Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und endtidales Kohlendioxyd) unterstreichen diverse Studien die Sicherheit einer Schmerztherapie mit Opiaten (19 – 21). Ketanest S wird beim intubierten und kontrolliert beatmeten SHT häufig verwendet. Beim spontan atmenden Patienten mit SHT ist dieses exzellente Analgetikum jedoch kontraindiziert. Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) werden bei Frakturen häufig als CoAnalgetika verabreicht, sind jedoch abgesehen von einer möglichen Interaktion mit der Blutgerinnung zu wenig potent, um alleine evtl. Schmerzspitzen beim Abtransport adäquat abzufangen (22, 23). Als eine weitere Möglichkeit eines Co-Analgetikums wäre Paracetamol i.v. (Perfalgan®) zu nennen. Neben einer vergleichbaren analgetischen Potenz zu den NSAID`s hat dieser Wirkstoff den Vorteil einer fehlenden Gerinnungsinteraktion. Hauptaugenmerk bei der Bergung eines solchen Verletzten im alpinen Gelände muss jedoch neben der bedarfsadaptierten pharmakologischen Therapie auf die adäquate Frakturschienung und die stabile Lagerung auf einer Vakuummatratze gelegt werden, sodass es während des Abtransports zu keinen weiteren Schmerzreizen kommt.

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DAnKSAgung Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit ganz herzlich bei allen freiwilligen Helfern des BRD im Alpenverein Südtirol bedanken, welche an dieser Rettungsaktion beteiligt waren. In Folge ihres unermüdlichen Einsatzes und ihrer professionellen Vorbereitung kann diese Patientin wieder ein lebenswertes Leben weiterführen.

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G e r h a r d R u e dl, Alois Schranz, Christian Fink, Wer ner Nachbauer, Mar tin Bur tscher

Potenzielle internale und externale Risikofaktoren von Verletzungen des Vorderen Kreuzbands bei männlichen und weiblichen Freizeitskifahrern Potential Internal and External Risk Factors among Recreational Male and Female Skiers with an Anterior Cruciate Ligament Injury

SUMMARY In alpine skiing, the knee joint represents the dominant anatomical location. Female skiers have twice the knee injury incidence of male skiers and the anterior cruciate ligament injury risk is three times greater in female skiers. This gender difference may be related to internal risk factors (e.g., age, prior knee injury, skiing ability) and external risk factors (e.g., used gear, snow, slope, weather conditions). Therefore, the objective of this study was to investigate potential internal and external risk factors in ACL-injured recreational male and female skiers. A case control study was conducted. In total, 33 male and 70 female ACL injured skiers participated. Additionally, uninjured age matched controls (206 males and 97 females) were interviewed. Our results showed that mainly environmental factors like snow, slope and weather conditions as well as coldness might increase ACL injury risk in male and female skiers. Thus, preventive recommendations should include the use of adequate clothing and a specific warm-up to avoid cooling of the body as well as skiing in consideration of snow, slope, and weather conditions, and with the number of skiers on the slopes. Keywords: alpine skiing, anterior cruciate ligament (ACL), gender differences, internal risk factors, external risk factors

ZUSAMMENFASSUNG Im alpinen Skilauf stellt das Kniegelenk die dominante Verletzungslokalisation dar. Dabei verletzten sich Frauen generell am Kniegelenk etwa doppelt so 85


häufig und am Vorderen Kreuzband (VKB) etwa dreifach so oft wie Männer. Als Ursache dieses geschlechtsspezifischen Unterschieds werden verschiedene internale (z. B. Alter, frühere Knieverletzungen, Fahrkönnen) und externale (z. B. Ausrüstung, Schnee-, Pisten-, Wetterbedingungen) Risikofaktoren angenommen. Das Ziel dieser Studie war es daher, potenzielle internale und externale Risikofaktoren einer VKB-Verletzung zu untersuchen. Diese Studie wurde als Fall-Kontroll-Studie konzipiert. Gesamt nahmen 33 männliche und 70 weibliche Skifahrer mit einer VKB-Verletzung teil. Als alters-gematchte Kontrollgruppe wurden 206 männliche und 97 weibliche Wintersportler befragt. Das Ergebnis unserer Studie zeigt, dass vor allem Umweltfaktoren wie Schneebeschaffenheit, Sicht- und Pistenverhältnisse sowie Kälte das Risiko einer VKB-Verletzung sowohl bei männlichen als auch weiblichen Skifahrern erhöhen können. Als Präventivmaßnahmen werden daher neben adäquater Wärmebekleidung spezifisches Aufwärmen, um eine Abkühlung zu vermeiden, empfohlen. Außerdem sollte das Fahrkönnen den Schnee-, Pisten- und Sichtbedingungen sowie der Anzahl der anderen Pistenbenutzer angepasst werden, um eine Verletzung zu vermeiden. Schlüsselwörter: Alpiner Skilauf, Vorderes Kreuzband (VKB), Geschlechterunterschiede, internale Risikofaktoren, externale Risikofaktoren

EINLEITUNG Im alpinen Skilauf stellt das Kniegelenk mit rund 30% aller Verletzungen die dominante Verletzungslokalisation dar (9). Dabei zeigen sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen verletzten sich am Kniegelenk etwa doppelt so häufig wie Männer (Abb. 1), wobei in Österreich annähernd jeder 2. Skiunfall bei Frauen das Kniegelenk betrifft (9, 25). Bei ca. 50% der schweren Knieverletzungen im alpinen Skilauf ist das Vordere Kreuzband (VKB) betroffen (19), welches bei Frauen um das 3-fache häufiger verletzt wird als bei Männern (3). Für die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Verletzungsrate des VKB liegen verschiedene Erklärungsansätze vor, wobei generell internale und externale Risikofaktoren unterschieden werden (7, 13, 21, 23). Internale Faktoren inkludieren u.a. Alter, Geschlecht (hormonale Faktoren), frühere Verletzungen, Fahrkönnen usw. (7, 24, 26). Externale Faktoren beinhalten im alpinen Skilauf Ausrüstung (Ski, Bindung) und Umweltfaktoren wie Schnee-, Pisten- und Wetterbedingungen (7, 22, 25, 27). Generell müssen Verletzungsursachen multifaktoriell als kom86


Kopf: 12/7

Schulter/Rücken/Nacken: 26/11

Arm: 6/6 Bauch/Brust: 6/4

Hüfte/Becken: 2/3 Oberschenkel: 4/3 Unterschenkel: 11/8

Knie: 28/54 Knöchel: 4/5

Verletzungslokalisation (%) Männer/Frauen 2008/2009

Abb. 1: Geschlechtsspezifische Verteilung (männlich/weiblich) der Verletzungslokalisation bei Skifahrern (aus: 25).

plexes Zusammenspiel internaler und externaler Faktoren angesehen werden (21). Beispielsweise konnten wir zeigen, dass Frauen mit Knieverletzungen älter waren, weniger Sport betrieben, sich die Knieverletzung an kälteren Tagen zuzogen und weniger häufig eine aktuelle Bindungseinstellung angaben als Frauen ohne Knieverletzung (7). Wenig bekannt ist bisher, ob sich Männer und Frauen hinsichtlich ausgewählter internaler und externaler Risikofaktoren unterscheiden. Daher war das Ziel dieser Studie, potenzielle internale und externale Risikofaktoren einer VKB-Verletzung geschlechtspezifsich zu untersuchen und zu vergleichen.

METHODE Diese Studie wurde als Fall-Kontroll-Studie konzipiert und an 2 Tiroler Skikliniken in der Saison 2008/2009 gemäß der ethischen Standards der Helsinki Deklaration von 1975 durchgeführt. Die VKB-verletzten Skifahrer wurden vorab mündlich informiert und gaben ihr Einverständnis zur Befragung. Einschlusskriterium war ein selbstverschuldeter Sturz, der sich in Skigebieten westlich von Innsbruck bis zum Arlberg hin ereignete. Als Kontrollpersonen wurden unverletzte Skifahrer an 5 Tagen in einem Zeitraum von 2 Monaten im Skigebiet von Sölden befragt. Kontrollpersonen wurden mit den verletzten Skifahrern nach dem Alter gematcht. 87


Fragebogen Als internale Faktoren wurden Größe, Gewicht, BMI, Raucher/Nichtraucher, frühere Knieverletzung, Fahrkönnen (Anfänger vs. Leicht Fortgeschritten vs. Fortgeschritten vs. Experte), Skierfahrung (> 5 Saisonen vs. 3-5 Saisonen vs. 1-2 Saisonen vs. < 1 Saison), Skifahren pro Jahr (1 Woche vs. 2-3 Wochen vs. 4-6 Wochen vs. > 6 Wochen), Anzahl der Stürze vor der Verletzung/Befragung (0 vs. 1-3 vs. > 3), subjektive Fitness (sehr gut vs. gut vs. mittelmäßig vs. schwach vs. sehr schwach), Fahrdauer (< 2 vs. > 2 Stunden) und subjektive Ermüdung in den Beinen (keine vs. sehr wenig vs. ein wenig vs. ziemlich vs. stark) zum Zeitpunkt der Verletzung/Befragung erhoben. Als externale Faktoren wurden die Skiausrüstung (Carvingski vs. traditioneller Ski), Besitztum der Ski (Eigenbesitz vs. gemietet im Skihandel vs. ausgeliehen von Verwandten/Freunden), letzte Bindungseinstellung im Fachhandel (< 1 vs. > 1 Jahr), Schneebeschaffenheit (Neuschnee vs. griffig vs. eisig vs. sulzig/weich), Steilheit der Piste (flach vs. mittel vs. steil), Witterung/Sicht (sonnig vs. diffus vs. Niederschlag), Höhenlage des Unfallorts auf der Piste (< 1000 m vs. 10002000 m vs. > 2000m), Höhenlage des Heimatorts (bis 500 m vs. 500-1000 m vs. 1000-1500 m vs. > 1500 m) und Grad der subjektiv empfundenen Kälte zum Zeitpunkt der Verletzung (sehr kalt vs. kalt vs. neutral vs. warm vs. sehr warm) erhoben. Statistik Die Ergebnis-Auswertungen wurden beschreibend und analytisch vorgenommen. Die Prüfung von Häufigkeitsunterschieden erfolgte anhand von Chi-Quadrat-Tests. Vergleiche von ordinalen oder nicht-normalverteilten intervallskalierten Daten erfolgten anhand von Mann-Whitney-U-Tests und Vergleiche von intervallskalierten normalverteilten Daten anhand von t-Tests. P-Werte < 0,05 wurden als statistisch signifikant angesehen.

ERGEBNISSE Gesamt wurden 33 Männer und 70 Frauen mit einer VKB-Verletzung sowie als unverletzte und altersgemachte Kontrollgruppe 206 männliche und 97 weibliche Freizeitskifahrer befragt. In Tab. 1 sind geschlechtsspezifisch internale Risikofaktoren dargestellt. Männliche Skifahrer mit einer VKB-Verletzung sind häufiger Österreicher und weisen einen höheren Body Mass Index (BMI) auf als die Kontrollgruppe (p < 0.05). Weibliche Skifahrer mit einer VKB-Verletzung sind kleiner und rauchen seltener als die Kontrollgruppe (p < 0.05). Hinsichtlich früherer Knie88


verletzungen, Fahrkönnen, Skierfahrung, Skifahren pro Saison, Sturzhäufigkeit und subjektiver Fitness zeigen sich geschlechtsspezifisch keine Unterschiede zwischen VKB-verletzten Skifahrern und der jeweiligen Kontrollgruppe (p > 0.05). Hinsichtlich Fahrdauer und subjektiver Ermüdung unterscheiden sich sowohl die Männer als auch Frauen mit einer Verletzung des VKB signifikant von ihrer Kontrollgruppe (p < 0.03). Tab. 1: Geschlechtsspezifische Verteilung potenzieller internaler Risikofaktoren für VKB-Verletzungen Geschlechtsspezifische Verteilung potenzieller internaler Risikofaktoren für VKB-Verletzungen Männer

Frauen

Internale Risikofaktoren

Verletzte N = 33

Kontrollgruppe N = 206 p Wert

Verletzte N = 70

Kontrollgruppe N = 97 p Wert

Alter [Jahre] Größe [cm] Gewicht [kg] BMI

44.8+10.9 180.8+6.9 86.5+14.0 26.4+3.9

43.0+10.7 180.9+6.9 83.2+10.7 25.4+2.9

0.375 0.782 0.052 0.049

43.0+11.2 165.9+5.8 65.4+10.4 23.8+3.7

41.2+11.7 167.8+5.2 64.5+8.6 22.9+3.0

Herkunft [%] Österreich Deutschland Andere Nationen

15.2 69.7 15.2

4.4 63.1 32.5

0.013

5.2 68.0 26.8

6.0 67.7 26.3

0.864

Raucher [%]

17.2

19.1

0.815

10.0

22.0

0.044

Frühere Knieverletzung [%]

21.2

20.9

0.965

18.8

13.4

0.342

Fahrkönnen [%] Experte Fortgeschritten Leicht Fortgeschritten Anfänger

6.1 60.6 33.3 0

8.3 54.9 34 2.9

0.728

4.3 46.4 42 7.2

1.0 45.4 50.5 3.1

0.271

Skierfahrung [%] > 5 Saisonen 3-5 Saisonen 1-2 Saisonen < 1 Saison

87.5 9.4 3.1 0.0

87.7 6.4 3.9 2.0

0.729

75.4 11.6 10.1 2.9

86.5 8.3 3.1 2.1

0.220

Skifahren pro Saison [%] 1 Woche 2-3 Wochen 4-6 Wochen > 6 Wochen

44.8 37.9 10.3 6.9

59.1 35.4 2.4 3.0

0.103

66.1 27.4 4.8 1.6

71.6 22.2 2.5 3.7

0.648

Sturzanzahl am Skitag [%] 0 1-3x > 3x

87.9 12.1 0

79.4 19.6 1.6

0.488

87.1 11.4 1.4

78.4 21.6 0.0

0.122

Subjektive Fitness [%] Sehr gut Gut Mittelmäßig Schwach Sehr schwach

21.9 37.5 37.5 3.1 0.0

14.1 44.4 37.1 3.9 0.5

0.810

17.1 47.1 30.0 2.9 2.9

10.3 47.4 29.9 9.3 3.1

0.407

Fahrdauer [%] < 2 Stunden > 2 Stunden

46.9 53.1

27.1 72.9

0.023

68.6 31.4

40.0 60.0

< 0.001

Ermüdung in den Beinen [%] Keine Sehr wenig Ein wenig Ziemlich Stark

34.4 50.0 12.5 3.1 0.0

17.3 22.3 41.6 15.8 3.0

< 0.001

57.4 23.5 16.2 2.9 0.0

15.8 24.2 47.4 9.5 3.2

< 0.001

89

0.114 0.038 0.890 0.203


In Tab. 2 sind externale Risikofaktoren geschlechtsspezifisch dargestellt. VKBverletzte Männer und Frauen unterscheiden sich signifikant von der jeweiligen Kontrollpopulation hinsichtlich der Schneebeschaffenheit, der Witterung, der Höhe und des Kälteempfindens (p < 0.05). Eisige Pistenbedingungen, schlechtere Sichtbedingungen, geringere Höhenlage und ein erhöhtes Kälteempfinden scheinen als externale Risikofaktoren einer VKB-Verletzung für Männer und Frauen in dieser Studie auf. Die Steilheit der Piste spielt nur bei Männern mit einer VKB-Verletzung eine signifikante Rolle. Männer mit einer VKB-Verletzung ziehen sich diese mit höherer Wahrscheinlichkeit auf flachen Pisten zu (p < 0.001). Tab. 2: Geschlechtsspezifische Verteilung potenzieller externaler Risikofaktoren für VKB-Verletzungen Männer Externale Risikofaktoren

Verletzte N = 33

Frauen

Kontrollgruppe N = 206 p Wert

Verletzte N = 70

Kontrollgruppe N = 97 p Wert

Skiausrüstung [%] Carvingski Traditioneller Ski

100.0 0.0

93.2 6.8

0.122

92.9 7.1

92.8 7.2

0.985

Besitztum [%] Eigenbesitz Gemietet Ausgeliehen

81.8 18.2 0.0

71.8 28.2 0.0

0.230

65.7 32.9 1.4

64.9 33.0 2.1

0.954

Bindungseinstellung [%] < 1 Jahr > 1 Jahr

69.7 30.3

55.4 44.6

0.123

75.7 24.3

63.9 36.1

0.104

Schneebeschaffenheit [%] Neuschnee Griffig Eisig Sulzig/weich

21.2 51.5 18.2 9.1

20.7 72.9 2.0 4.4

< 0.001

23.5 51.5 22.1 2.9

17.5 74.2 2.1 6.2

< 0.001

Steilheit der Piste [%] Flach (blau) Mittel (rot) Steil (schwarz)

33.3 54.5 12.1

7.4 70.8 21.8

< 0.001

20.0 65.7 14.3

14.6 74.0 11.5

0.509

Witterung/Sicht Sonnig Diffus Niederschlag

57.6 27.3 15.2

75.0 25.0 0.0

< 0.001

55.9 33.8 10.3

70.8 28.1 1.0

0.012

Höhe im Skigebiet [%] < 1000 m 1000-2000 m > 2000 m

0.0 38.7 61.3

0.0 15.6 84.4

0.002

0.0 56.1 43.9

1.1 11.7 87.2

< 0.001

Höhe Heimatort < 500 m 500-1000 m 1000-1500 m > 1500 m

84.4 15.6 0.0 0.0

83.5 15.5 0.5 0.5

0.956

88.1 9.0 3.0 0.0

82.1 15.8 0.0 2.1

0.120

Subjektiver Kältegrad [%] Sehr kalt Kalt Neutral Warm Sehr warm

3.0 54.5 36.4 6.1 0.0

1.0 27.0 46.1 24.0 2.0

0.009

4.3 35.7 54.3 4.3 1.4

1.0 23.7 48.5 25.8 1.0

0.004

90


DISKUSSION Hauptergebnisse dieser Studie sind, dass vor allem Umweltfaktoren wie Schneebeschaffenheit, Sicht- und Pistenverhältnisse sowie Kälte das Risiko einer VKB-Verletzung sowohl bei männlichen als auch weiblichen Skifahrern erhöhen können. Hinsichtlich internaler Risikofaktoren wie Skifahrkönnen, Skierfahrung, Sturzhäufigkeit und subjektiver Fitness zeigt sich kein signifikanter Unterschied zwischen Verletzten und Kontrollgruppe. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass wir die Kontrollgruppe altersgematcht haben. Burtscher et al. (7) zeigen nämlich, dass knieverletzte Männer jünger und knieverletzte Frauen älter als die Kontrollgruppe, die aus SkifahrerInnen mit anderen Verletzungslokalisationen bestand, sind. Unverletzte Skifahrer stürzen in dieser Untersuchung häufiger als VKB-verletzte Skifahrer. Allerdings erweist sich diese Differenz bei beiden Geschlechtern als nicht signifikant. Burtscher et al. (8) haben als Prädiktoren für die Sturzhäufigkeit u. a. jüngeres Alter, schlechteres Skifahrkönnen, größere Höhe sowie Alkohol- und Nikotinkonsum gefunden. Interessanterweise ist der Anteil an Raucherinnen bei VKB-verletzten Skifahrerinnen in unserer Untersuchung signifikant niedriger als bei der unverletzten Kontrollgruppe (10 vs. 22%). Im Gegensatz dazu zeigt sich bei den Männern kein Unterschied. Daher gehen wir davon aus, dass Nikotinkonsum keine unmittelbaren Auswirkungen auf das VKB-Verletzungsrisiko ausübt. Auch eine frühere Knieverletzung erweist sich in dieser Studie weder bei Männern noch bei Frauen als Risikofaktor für eine VKB-Verletzung. In einer anderen Studie konnten wir bei Skiläuferinnen mit VKB-Ruptur ebenso keinen Zusammenhang mit früheren Knieverletzungen feststellen (24). Im Gegensatz dazu zeigten Oates et al. (16), dass Skiläufer mit einer vorangegangenen Bandverletzung im Kniegelenk ein 6-fach erhöhtes Risiko einer VKB-Verletzung haben als Skiläufer mit intakten Kreuzbändern. Die Beinermüdung scheint sich weder bei Männern noch bei Frauen auf das Risiko einer VKB-Verletzung auszuwirken. Dies hängt sehr wahrscheinlich mit der Fahrzeit auf der Skipiste zusammen. Sowohl bei männlichen wie auch bei weiblichen Skifahrern ist die Wahrscheinlichkeit hoch, sich eine VKB-Verletzung innerhalb der ersten 2 Stunden Fahrzeit zuzuziehen. Ein Geschlechtervergleich zeigt, dass sich Frauen sogar um das 2,5-fache häufiger während der ersten zwei Stunden Fahrzeit verletzen als Männer (47 vs. 67%). Generell scheinen Verletzungen der unteren Extremität zum überwiegenden Teil während der ersten beiden Stunden auf der Piste zu passieren (20, 28). Mögli91


cherweise ist das darauf zurückzuführen, dass die für den Skilauf spezifische Beinmuskulatur noch nicht adäquat aufgewärmt ist. Betrachtet man potenzielle externale Risikofaktoren von VKB-Verletzungen, so zeigt sich, dass es hinsichtlich der verwendeten Ausrüstung (Carvingski vs. traditioneller Ski), des Besitztums sowie des Alters der Bindungseinstellung keine signifikanten Unterschiede in dieser Untersuchung gibt. Im Gegensatz dazu fanden Burtscher et al. (9), dass Carvingskifahrerinnen ein fast doppelt so hohes Risiko einer Knieverletzung hatten, wenn ihre Bindungseinstellung älter als ein Jahr war. In unserer Untersuchung haben VKB-verletzte Männer und Frauen zwar häufiger eine aktuelle Bindungseinstellung als die unverletzten Kontrollgruppen, allerdings ist die Differenz nicht signifikant. Möglicherweise wirkt sich eine aktuelle Bindungseinstellung nicht signifikant auf das VKB-Verletzungsrisiko aus, da die meisten Skifahrer in dieser Studie nur während 1-3 Wochen pro Jahr ihre Skier nutzen und daher die mechanische Abnützung bzw. eine mögliche Verschmutzung der Bindung, die sich negativ auf das Auslöseverhalten der Bindungen auswirken könnte, begrenzt scheint. Im Gegensatz dazu könnte die Härte der Bindungseinstellung, welche anhand der „Gewichtsmethode“ gemäß der ISO-Norm eingestellt wird, Auswirkungen auf das geschlechtsspezifische Verletzungsrisiko haben. Denn in einer Studie von Greenwald/Toelcke (12) gaben über 88% der Frauen mit einer VKB-Verletzung an, dass sich die Skibindung im Moment des Sturzes nicht gelöst hat. Damit ergibt sich ein signifikanter Unterschied zu den Männern, bei denen sich in 67% der Fälle die Bindung nicht gelöst hat (12). In einer anderen Untersuchung haben bei 85% der VKB-verletzten Skifahrerinnen die Bindungen nicht ausgelöst (22). In Frankreich führte die hohe Zahl an kreuzbandverletzten Frauen zu einer lt. ISO-Norm um 15% reduzierten Bindungseinstellung für Frauen, Männer unter 55 kg und alle Skianfänger (15). Dadurch konnte bei Frauen und Männern eine Reduzierung um 26% der Knieverletzungen erzielt werden, während zusätzlich durch die Verringerung der Bindungseinstellung keine – wie von einigen befürchtet – erhöhte Anzahl von Fehlauslösungen beobachtet wurde (15). Aufgrund der Tatsache, dass das Geschlecht nicht in die ISO-Norm mit einfließt, und anhand der o. a. Studienergebnisse scheint uns eine Diskussion über einen möglichen Gender-Faktor für die ISO-Norm sinnvoll. Betrachtet man die Umweltfaktoren, so zeigen sich einige signifikante Unterschiede. Zwischen 18 und 22 % der VKB-verletzten Wintersportler geben die eisige Piste als Unfallursache an. Auch andere Autoren weisen darauf hin, dass eisige Pisten das Verletzungsrisiko erhöhen (4, 14). Auf flachen Hängen (blaue Pisten) verletzen sich Männer signifikant häufiger am VKB, während 92


bei den Frauen kein solcher Unterschied besteht. Generell treten die meisten Knieverletzungen auf leichten und mittelschweren Pisten auf (7, 29). Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass der Anteil an flachen und mittelsteilen Pisten in den Skigebieten überwiegt. Eine andere Untersuchung hingegen stellte fest, dass ein doppelt so hohes Risiko einer Knieverletzung auf harten und steilen Pisten besteht (10). Unsere Untersuchung zeigt, dass die meisten VKB-Verletzungen an sonnigen Tagen passieren, wenn sich vermutlich mehr Skifahrer auf der Piste befinden. Trotzdem scheinen sich schlechtere Sichtbedingungen sowohl bei Männern als auch bei Frauen auf das VKB-Verletzungsrisiko auszuwirken. Bei schlechten Sichtbedingungen besteht leichter die Gefahr Bodenwellen oder eisige Stellen zu übersehen, zu verkanten bzw. zu verschneiden und schlussendlich zu Sturz zu kommen. Generell gelten schlechte Sichtbedingungen als Risikofaktor für Verletzungen im alpinen Skilauf (1). Burtscher et al. (8) stellten fest, dass das Sturzrisiko mit zunehmender Höhe steigt. Daher könnte vermutet werden, dass das VKB-Verletzungsrisiko auch mit zunehmender Höhe steigt. Unserer Studie deutet darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer VKB-Verletzung bei beiden Geschlechtern zwischen 1000-2000 m höher ist als über 2000 m. Über 82% der verletzten und unverletzten Population geben an, ihren Wohnsitz unter 500 m Meereshöhe zu haben. Der Großteil der befragten Wintersportler kommt aus Deutschland und verbringt durchschnittlich eine Woche Skiurlaub in den Alpen in ungewohnten Höhenlagen. Der Einfluss der Höhe scheint sich aber weniger auf das VKBVerletzungsrisiko auszuwirken als vielmehr auf Herz-Kreislauf- Notfälle (6). Burtscher et al. (7) fanden, dass sich Skiläuferinnen an kälteren Tagen häufiger am Knie verletzten als an anderen Körperteilen. Für männliche Skifahrer konnte kein derartiger Zusammenhang festgestellt werden (7). In der vorliegenden Untersuchung weisen sowohl Männer als auch Frauen mit einer VKB-Verletzung einen erhöhten Grad der subjektiv empfunden Kälte auf als die unverletzte Kontrollgruppe. Becher et al. (2) zeigte, dass Haut- und intraartikuläre Temperatur im Kniegelenk nach 60 Minuten Skifahren signifikant sinken. Andere Studien berichten, dass durch Kälte die Muskelleistung, das Gleichgewichtsvermögen sowie die Nervenleitgeschwindigkeit der Oberschenkelmuskulatur sinken und dadurch das Verletzungsrisiko steigt (11, 17, 18). Um einem Abkühlen der Muskulatur entgegenzuwirken, wird daher ein spezifisches Aufwärmen empfohlen (30). Bei der Interpretation unserer Ergebnisse müssen einige Limitationen berücksichtigt werden: Die Anzahl von Männern mit einer VKB-Verletzung war in dieser Studie deutlich geringer als von Frauen. Allerdings entspricht dieses 93


Verhältnis in etwa der Tatsache, dass sich Frauen im alpinen Skilauf 2-3x so häufig am VKB verletzen als Männer (3). Hinsichtlich der Umweltfaktoren als potenzielle Risikofaktoren muss berücksichtigt werden, dass die unverletzten Wintersportler nur an 5 Tagen während zweier Monate befragt wurden, während die Rekrutierung der VKB-Verletzten während der ganzen Saison stattfand. Schlussendlich muss bedacht werden, dass verletzte Wintersportler Ursachen und Begleitumstände ihrer Verletzung über- oder unterbewerten können (5). Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass vor allem Umweltfaktoren wie Schneebeschaffenheit, Sicht- und Pistenverhältnisse sowie Kälte das Risiko einer VKB-Verletzung sowohl bei männlichen als auch weiblichen Skifahrern erhöhen können. Als Präventivmaßnahmen werden daher eine adäquate Skibekleidung sowie ein spezifisches Aufwärmen empfohlen. Außerdem sollte das Fahrkönnen den Schnee-, Pisten-, und Sichtbedingungen angepasst werden.

DANKSAGUNG Diese Studie wurde finanziell unterstützt von der OSM Research Foundation sowie von der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin (Wissenschaftlicher Förderungspreis 2009).

94


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98


Alfred Zobel, T h o m a s van Bömmel, Johannes Büttner, Volker Bühren

Extremsportwettbewerbe im Hochgebirge Case Report Zugspitzlauf 2008 Extreme Mountain Run Zugspitze 2008

SUMMARY Deaths at marathon events are not rare (number of deaths at German running events: 9 in 2007). However, the 2008 extreme mountain run to the Zugspitze happened to be exceptional. In the middle of the summer 644 scarcely dressed participants literally ran into a blizzard. The disaster developed on the 7 kilometre-long course from the “Knorr” – mountain hut via the “SonnAlpin” up to the peak of the “Zugspitze” mountain (2944 m above sea level). 20 participants required medical attention on the peak and another 80 received medical treatment at the “SonnAlpin” middle station. 6 patients had to be admitted to hospital with symptoms of severe hypothermia and exhaustion caused by dehydration and electrolyte imbalance. Despite prolonged CPR two athletes died on the steepest section of the run due to hypothermia and right ventricular volume overload under maximum physical strain. The rising number of alpine mega events and extreme sports events represents a new challenge for mountain rescue organisations. New administrative and executive structures with executive and administrative positions like a supervising emergency doctor and a supervising coordinator-in-charge have to be created. Only under this condition safe future events can be planned and provided in cooperation with local councils and institutions. Keywords: Extreme mountain run Zugspitze 2008, snow blizzard in summer, hypothermia and dehydration, two athletes died 99


ZUSAMMENFASSUNG Todesfälle bei Marathonläufen sind keine Seltenheit (9 Lauftote 2007 in der BRD). Außergewöhnlich stellte sich der Extremberglauf 2008 auf die Zugspitze dar. Mitten im Sommer liefen 644 Teilnehmer spärlich bekleidet in einen Schneesturm hinein. Die Katastrophe entwickelte sich über eine Länge von 7 km, von der Knorrhütte bis zum SonnAlpin, von dort bis zum Zugspitzgipfel (2944 m). 20 Teilnehmer nahmen medizinische Hilfe am Gipfel in Anspruch. Weitere 80 Läufer ließen sich an der Zwischenstation SonnAlpin behandeln. 6 Patienten mussten in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Sie zeigten die Symptome schwerer Unterkühlungen mit körperlicher Erschöpfung durch verminderte Flüssigkeitszufuhr und massiven Elektrolytentgleisungen. Zwei Athleten verstarben im steilsten Abschnitt der Strecke trotz verlängert durchgeführter Reanimationsbemühungen an den Folgen der Hypothermie und einer akuten Rechtsherzbelastung bedingt durch die maximale körperliche Belastung. Durch die zunehmende Anzahl an Großveranstaltungen und Extremsportevents im alpinen Gelände stehen die Bergrettungsorganisationen vor neuen Herausforderungen. Strukturen wie Leitende Notärzte, übergeordnete Einsatzleiter (ORGL) müssen für den alpinen Bereich geschaffen werden. In Zusammenarbeit mit den Behörden können so künftig sichere Veranstaltungsplanungen und Einsatzabläufe auch unter alpinen Bedingungen durchgeführt werden. Schlüsselwörter: Extremberglauf Zugspitze 2008, Schneesturm im Sommer, Massenanfall an Unterkühlten, zwei Todesfälle

AUSSCHREIBUNG Am 13. Juli 2008 fand erneut der spektakuläre Extremberglauf auf Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze 2944 m, statt. Gestartet wurde im österreichischen Ferienort Ehrwald in 1.020 m Höhe. Die Strecke führte über die Ehrwalder Alm, Hochfeldern Alm zur Landesgrenze am Brandjoch (Gatterl 2.110 m), weiter über deutschen Boden zur Knorrhütte – 2.051 m. Von hier ging es durch steiles, gerölliges Gelände hinauf zum Zugspitzplatt, vorbei am Gletscherrestaurant SonnAlpin – 2.576 m, in den steilsten Abschnitt der Strecke mit 368 Höhenmetern zum letztendlichen Ziel, der Zugspitze (Abb. 1). Die Strecke misst 16,1 km, es müssen 2.100 Höhenmeter absolviert werden. Der Streckenrekord der Männer liegt bei 2.03.02 h (2005 M. Ashley Cox), der Frauen bei 2.28.48 h (2005 Petra Summer). Die Teilnehmer konnten einen Tagesrucksack mit Wechselwäsche zum organisierten Transport ans Ziel abgeben. Auf der Strecke befanden sich 4 bis 5 Verpflegungsstationen, ausgerüstet 100


Abb. 1: Streckenprofil

mit Getränken, Snacks und Wärmefolien und -decken. Es wurden limitierende Durchgangszeiten (12:15 Uhr Brandjoch/Gatterl – 13:30 Uhr SonnAlpin) vereinbart, die bei verspätetem Durchlaufen entweder keine Überwachung durch die Bergrettung garantierten oder ein Fortsetzen des Laufs nicht mehr erlaubte. Es waren 644 Athleten unterschiedlicher Charakteren, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Zielsetzung gemeldet. (Abb. 2 aus „DIE ZEIT“). Gesundheitszeugnisse wurden nicht gefordert.

ORGANISATION DES RETTUNGSDIENSTES

Abb. 2: Aus „DIE ZEIT“

Die rettungsdienstliche Abdeckung dieser Sportveranstaltung erfolgte durch drei örtliche Bergrettungsorganisationen. Für den ersten Abschnitt vom Start zur Landesgrenze zeichnete sich die österreichische Bergrettung aus Ehrwald mit 26 Bergrettungsmännern verantwortlich. Die Bergwachtbereitschaft GarmischPartenkirchen sicherte die weitere 101


Strecke über die Knorrhütte bis zum SonnAlpin mit 7 Mann ab. Durch unterschiedliche Funkfrequenzen beider Organisationen wurde an der Landesgrenze planmäßig eine Verschaltung installiert. Hier positionierten sich jeweils ein österreichischer und bayerischer Bergrettungsmann zur Sicherstellung der länderübergreifenden Kommunikation. Über das Mobilnetz wurde die Verbindung zur Veranstaltungsorganisation hergestellt. Den letzten hochalpinen Teilbereich bis zum Gipfel überwachte die Bergwachtbereitschaft Grainau mit insgesamt 9 Bergrettern. Die Ausrüstung bestand aus Materialien zur Wärmeerhaltung (Wolldecken und Rettungsfolien) sowie Notfall-Rucksäcke mit medizinischem Basis-Equipement. Im Vorhaltedienst war kein Arzt/Notarzt integriert.

VERLAUF DER EREIGNISSE Am 13. Juli 2008 setzte schon zum Startzeitpunkt um 9:00 Uhr starker Dauerregen ein, die umliegenden Gipfel waren tief wolkenverhangen. Gegen 9:45 Uhr wurde vom Zugspitzgipfel Schneeregen bei 2° Celsius gemeldet, um 10:30 Uhr bereits Schneefall bei minus 1,5° Celsius bis auf 2.200 m Höhe. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Hauptfeld der Läufer im Teilabschnitt zwischen Knorrhütte (2.051 m) und dem Zugspitzplatt SonnAlpin (2.576 m). Von Teilnehmern wurde über eine plötzliche Dunkelheit, ein Hineinlaufen in einen Tunnel, eine irreale Abb. 3: Aus „DIE ZEIT“ Traumwelt mit taumelnden Menschen berichtet. Der Schneesturm raubte den Athleten die objektive Einschätzung der Gefahr. Die Auswegslosigkeit zeigte sich zwischen resigniertem Sitzenbleiben bis hin zum körperlich anstrengendem Überlebenswillen. (Abb. 3 und 4 aus „DIE ZEIT“). Ungefähr 150 Läufer erreichten den Gipfel, 15 bis 20 Teilnehmer mussten hinaufgetragen werden und be- Abb. 4: Aus „DIE ZEIT“ 102


nötigten am Zugspitzgipfel medizinische Hilfe. Die restlichen 500 Bergläufer kamen nur bis zum Gletscherrestaurant SonnAlpin, fuhren mit der Gipfelbahn hoch zu ihren Kleiderdepots. Ca. 80 Personen nahmen den Rettungsdienst im SonnAlpin in Anspruch.

SITUATION VOR ORT - TRIAGE Nach Alarmierung des an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau stationierten Rettungshubschraubers Christoph Murnau konnte dieser gegen 13:00 Uhr bei zufällig aufreißender Wolkendecke das Zugspitzplatt/SonnAlpin unter guten Sichtbedingungen erreichen. Nach der Landung zogen die Wolken wieder zu (Abb. 5). Die erste Sichtung erfolgte in den Räumlichkeiten des Bergrettungsdienstes, die für die Wintersaison zur Verfügung stehen. Patient 1: eine 59-jährige Frau, apa- Abb. 5: ADAC-Luftrettung thisch, agitiert, mit grobblasigem, brodelndem Atemgeräusch auf der Lunge, schmerzverzerrte muskuläre Krämpfe am ganzen Körper, zusätzlich Kältezittern. Es befanden sich noch zwei weitere ansprechbare Personen, nass und frierend, in diesem Raum. Ein Rettungsassistent des RTH, später eine teilnehmende ärztliche Kollegin übernahmen hier die weitere Überwachung. Die weitere Triage wurde räumlich getrennt, einen Stockwerk höher in der Gaststube des SonnAlpin durchgeführt. Dies gestaltete sich deutlich schwieriger. (Abb. 6). Es erfolgte die Kontaktaufnahme zum EinAbb. 6: ADAC-Luftrettung 103


satzleiter der Bergwacht. Er beschrieb eine Ansammlung vieler Menschen (ca. 70-80 Läufer), die durchnässt, frierend in einer großen Gaststube versuchten, sich aufzuwärmen. Dies gelang durch von der Gastronomie zur Verfügung gestellten warmen Tee. Gleichzeitig wurden die Tischdeckenlager ausgeräumt und als Handtücher respektive Decken Zweck entfremdet. Zunächst erschienen der Großteil der Personen nicht vital gefährdet. Während der erweiteren Sichtung kristallisierten sich doch noch einige gesundheitlich beeinträchtigte Athleten heraus. Patient 2: 56-jähriger Mann, orientiert, ansprechbar, kältebedingtes Muskelzittern kombiniert mit schmerzhaften kolikartigen Muskelkrämpfen. Patient 3: 28-jähriger Mann, Patient 4: 44-jähriger Mann und Patient 5: 59-jähriger Athlet boten nahezu die gleichen Symptome geringerer Ausprägung wie der Patient 2. Es kamen ständig weitere Läufer durch den Eingang herein – andere wiederum verließen den Saal, um nach ihren Mitläufern zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt gelang es nicht, strukturiert eine Kategorisierung und Personenidentifizierung im Sinne eines MANV (Massenanfall von Verletzten) durchzuführen. Interessanterweise fiel eine kollektive Hilfsbereitschaft fast aller Anwesender einschließlich der rekompensierten Athleten auf. Wo Wärmedecken nicht mehr benötigt wurden, wurden sie an den nächsten weitergegeben. Ein Versuch Patient 1 und Patient 2 luftgebunden ins Tal abzutransportieren, scheiterte an den fortbestehenden schlechten Wetterbedingungen. Letztendlich erfolgte der mühsamere terrestrische Abtransport mittels Seilbahn zu Tal. Im weiteren Verlauf wurde der Helikopter zum Abbergen eines 73-jährigen Teilnehmers (Patient 6), der als regungslose Person im unteren Streckenabschnitt gemeldet wurde, verwendet. Dieser Patient wurde auch zur Sammelstelle SonnAlpin gebracht. Er klagte über pektanginöse Beschwerden, Kältezittern kombiniert mit den beschriebenen Muskelkrämpfen. Im angelegten EKG zeigte sich ein arrhythmischer Herzschlag mit polytopen VES. Auch dieser Patient wurde nach Stabilisierung terrestrisch abtransportiert.

DIAGNOSEN, PATHOPHYSIOLOGIE, THERAPIE Nach der pragmatisch zugrunde gelegten Schweizer Einteilung der Hypothermiestadien konnte die Körperkerntemperatur symptombezogen beurteilt werden. Eine tympanale Temperaturmessung wäre möglich gewesen, schien aber nicht praktikabel. Der Großteil der Teilnehmer zeigte sich im Stadium I (35 bis 32° Celsius – leichte Hypothermie), in der Phase der sympatho-adrenergen Gegenwehr als ansprechbare, shivernde Patienten. Die Untersuchung des Patient 1 ergab einen fließenden Übergang des Hypothermiestadiums II nach III, zwischen somnolent und nicht mehr ansprechbar ohne typisches Kältefrieren 104


(Stadium II: 32 bis 28° Celsius – moderate Hypothermie / Stadium III: 28 bis 24° Celsius – schwere Hypothermie). Selten beschrieben als Symptom der Hypothermie ist ein Lungenödem (1). Differentialdiagnostisch ist an ein Höhenlungenödem, selten in Höhen von 2.576 m vorkommend, zu denken. Kälteabhängige Abnahme der ziliären Clearance sowie zunehmende Bronchialsekretion (2) können die Beschwerden aggravieren. Da alle biochemischen membranständigen Transportvorgänge temperaturabhängig sind, kann diese hypotherme Dekompensation zur massiven Schrankenstörung führen. Eine Kombination unzureichender Flüssigkeitseinnahme bei maximaler körperlicher Anstrengung und zusätzlicher kälteinduzierter osmotischer Diurese mit Verlust von Magnesium, Kalium, Phosphat und Kalzium (3) führte zu einer extremen Elektrolytentgleisung mit Dehydratation. Dies zeigte sich bei vielen Läufern in schmerzhaften kolikartigen Muskelkrämpfen am ganzen Körper. Häufig wird die Entstehung einer Unterkühlung zu statisch betrachtet. Bei Lawinenverschütteten wird die Überlebenswahrscheinlichkeit gegen die Zeit und somit gegen den allmählichen Temperaturverlust aufgetragen (4). Die konduktive Wärmeabgabe steht in engem Zusammenhang mit den vegetativ gesteuerten Kreislaufverhältnissen, die beim Lawinenopfer auf eine Reduktion des Metabolismus und der Sauerstoffutilisation umschaltet. Es entwickelt sich ein peripher-zentrales Temperaturgefälle (Prinzip der unterschiedlichen Temperaturen zwischen Körperschale und -kern) (5). Der konvektive Wärmeverlust (extrem kalter Schneesturm in Kombination mit schlecht wärmeisolierender Schutzkleidung) und zusätzlich die durch maximal körperliche Anstrengung getriggerte sympatho-adrenerge Erhöhung des Herzzeitvolumens lässt vermuten, dass keine größere Temperaturdifferenz zwischen Schale und Kern entstehen konnte. Die schnelle Entwicklung halluzinatorischer Wahrnehmungsstörungen mit Verlust der objektiven Gefahreneinschätzung sprechen dafür. Die Basismaßnahmen wie Entfernung durchnässter Kleidung, das Abtrocknen der Patienten und die Vermeidung weiterer Auskühlung wurden größtenteils selbständig durchgeführt. Zur Anwendung kamen Rettungsfolien und Bergesäcke (siehe Abb. 7). Nach Anlage eines pe- Abb. 7: ADAC-Luftrettung 105


riphervenösen Zugangs erhielten die oben beschriebenen Patienten 21° Celsius warme Voll-Elektrolytlösungen zur Substitution ihres Elektrolytverlustes. Auf diese Maßnahme wurde entgegen mancher Empfehlungen bei der Behandlung Hypothermer (6) nicht verzichtet. Die Möglichkeit der medikamentösen Therapie arrhythmogener Zwischenfälle aufgrund der Elektrolytentgleisung stand im Vordergrund. Die Verwendung warmer Infusionslösungen ist zur Erwärmung des Patienten nicht geeignet. Lediglich bei großen Volumenumsätzen, z. B. beim Traumapatienten kann es zum weiteren Abfall der Körpertemperatur kommen. Dabei senken ca. 50 ml/kg einer 20° Celsius warmen Infusionslösung die Körperkerntemperatur um 1° Celsius, d. h. bei einem 70 kg schweren Patienten etwa 3,5 Liter (7).

DIE KATASTROPHE Sechzig Minuten nach Landung des Rettungshubschraubers auf dem Zugspitzplatt erreichte das medizinische Team die Information einer Reanimation auf dem steilen Weg zum Gipfel. Aufgrund der extremen Wetterbedingungen konnte nur eine unvollständige Funkverbindung hergestellt werden. Die Dramatik der, durch die vor Ort anwesenden Bergrettungsmänner, durchgeführten BLS (Basic-Life-Support) – Maßnahmen, ließ nur retrospektiv die AusAbb. 8: ADAC-Luftrettung sichtslosigkeit erahnen. Nach prolongierten Wiederbelebungsmaßnahmen des Patient 7 wurde die Entscheidung getroffen, unter wechselnden Sichtbedingungen mit dem Helikopter eine Crashbergung mittels Schlinge durchzuführen und ihn so einer ärztlichen Versorgung im SonnAlpin zuzuführen (siehe Abb. 8). Kurze Zeit später erreichte die Besatzung des Hubschraubers erneut ein Notruf einer weiteren laufenden Reanimation unterhalb des Gipfels. Patient 8 war schon in eine Sommergebirgstrage verbracht worden und sollte durch eine Windenrettung zum SonnAlpin abgeborgen werden. Dieser Versuch scheiterte 106


trotz mehrmaligen Anflugs durch ständig schlechter werdende Wetterbedingungen. Terrestrisch wurde dieser Läufer nach langem Anmarsch (Bergfahrt mit Kabinenbahn und Abstieg zur Unfallstelle) notärztlich versorgt. Trotz erweiterter Wiederbelebungsmaßnahmen (Advanced-Life-Support) mit elektrischer Defibrillation und medikamentöser Reanimation wurden auch diese Bemühungen letztendlich aussichtslos eingestellt. Trotz die in der Literatur oft als erfolgreich beschriebenen prolongierten Wiederbelebungen bei Hypothermie (8), rechtfertigt die extreme Wettersituation, die verlängerte Abtransportzeit kombiniert mit der immensen Eigengefährdung des Bergrettungspersonals während des Abtransports die Einstellung dieser Wiederbelebungsmaßnahmen (siehe Abb. 9).

Abb. 9: Aufnahme vom 15.07.10 – 1. Reanimation 2.700 m / 2. Reanimation 2.825 m (rote Pfeile)

Patient 7 und Patient 8 wiesen in den gerichtsmedizinischen Untersuchungen im Bereich der Haut über den Knien und Schienbeinkanten, sowie über den Ellbogen und ellenseitigen Unterarmen flächige, teils schwärzliche Unterblutungen auf. Beide zeigten hochgradige Ausweitungen des rechten Vorhofes, des rechten Herzens im Sinne einer akuten Rechtsherzbelastung auf. Interes107


santerweise ergaben sich nur bei Patient 8 Hinweise auf ein ausgeprägtes Lungenödem, ein Hirnödem bei „ausgeprägter Hirnvolumenzunahme“ und gruppiert zusammenstehende Magenschleimhauterosionen (Wischnewski-Flecken) als Unterkühlungsbefund (9).

SCHLUSSFOLGERUNG Die Tragödie um den Zugspitzlauf 2008 zeigte uns in vielerlei Hinsicht auf, dass Verantwortlichkeiten, Organisationsstrukturen und letztendlich auch katastrophenmedizinische Aspekte auch im alpinen Gelände neu diskutiert werden müssen. Großveranstaltungen und Trendsport-Events werden immer häufiger in erschlossenen Gebirgsregionen durchgeführt. Dem gewöhnlichen Katastrophenunfall mit einem Massenanfall an Verletzten geht häufig ein explosionsartiges Unfallereignis voraus, ein Flugzeugabsturz, eine Massenkarambolage auf der Autobahn. Die Schätzung der Unfallopfer erscheint kalkulierbar, die Erreichbarkeit der Unfallstelle beherrschbar. Die Katastrophe des Zugspitzlaufs entwickelte sich langsam, die Anzahl der Verletzten nahm plötzlich exponentiell zu. Vordergründig beste Voraussetzungen ein solches Unfallgeschehen abzuarbeiten. Eine ca. 7 km lange Unfallstelle im hochalpinen Gelände, zusätzlich durch schlechtes Wetter eingeschränkte Sichtbedingungen, relativiert die Übersichtlichkeit. Der typische Zusammenbruch der Kommunikationsmittel (Mobilnetz, BOSFunk) erschwerte die Koordination der unterschiedlichen Rettungsorganisationen; ein Informationsaustausch mit der Rettungsleitstelle und der Veranstaltungsorganisation war nur eingeschränkt möglich. Gerade zur Überwindung größerer Strecken, vieler Höhenmeter ist eine funktionierende Kommunikation zwingende Voraussetzung für ein erfolgreiches Arbeiten. Die zunehmende Anzahl der Sportveranstaltungen am Berg stellt die ortsansässigen Bergrettungsdienste oft vor organisatorische Probleme. Zusätzlich zur Durchführung des alpinen Rettungsdienstes müssen häufig personelle Kapazitäten für Vorsorgedienste bereit gestellt werden. Veranstalter sind verpflichtet, eine rettungsdienstlich-medizinische Betreuung zu gewährleisten. Er hat die Wahl zwischen kommerziellen privaten Rescue-Anbietern und dem öffentlich-rechtlich etablierten Bergrettungsdiensten. Mit Übernahme dieses Betreuungsdienstes fällt die Verantwortung in die Hände der entsprechenden Organisation. Strukturen wie Leitende Notärzte (LNA), Einsatzleiter (ORGL) aus den Reihen der Bergrettungsdienste mit Erfahrung in der Einsatz- und Veranstaltungsplanung sollten, sofern nicht vorhanden, implementiert werden. Ähnlich der lokalen Lawinenkommissionen muss eine behördliche Ein108


bindung stattfinden; es muss eine verbindliche präventive Beratungsfunktion vorausgesetzt werden. Dies wäre ein kleiner Meilenstein auf dem Weg zu mehr Sicherheit solcher Extremsportwettbewerbe. Tab. 1: Alarmierungsplan Zeit 11:45 11:48 12:02 12:16 12:18 12:30 12:32 12:43 12:50 13:10 13:23 13:27 13:29 13:29 13:38 13:44 13:46 14:04 14:10 14:16 14:24 14:29 14:31 15:16 15:19 15:23 15:43 16:37 16:57

Meldung Meldung an Rettungsleitstelle: Unterkühlte Person mit Krämpfen Alarmierung Bergwacht (BW) Grainau Kollaps auf der Strecke (?) Alarmierung BW Garmisch-Partenkirchen 4 weitere unterkühlte Personen / Anruf SonnAlpin: benötige dringend Arzt BW-Arzt einsatzklar im Tal Bergwacht fordert Mannschaften nach Alarmierung NEF Garmisch-Partenkirchen Alarmierung RTH Christoph Murnau Landung Zugspitzplatt / SonnAlpin Christoph Murnau – minus 4° Celsius Alarmierung RTH SAR Landsberg 56 (keine Freigabe wegen Sichtbehinderung durch Schneefall Alarmierung RTH Christoph 1 München (wird zu anderem Einsatz abgezogen) Alarmierung RTH RK 2 Reutte Alarmierung RTH Christophorus 1 Innsbruck Alarmierung RTH Martin 2 Alarmierung LNA Garmisch – Partenkirchen Wasserwacht SEG Grainau zusätzlich mit 13 Leuten vor Ort Alarmierung BW Krün Information: 2 laufende Reanimationen, zusätzlich noch 6-8 Patienten zwischen Knorrhütte und Schneefernerhaus Alarmierung UG-SANEL GAP (Unterstützungsgruppe Sanitätseinsatzleitung) Weitere BW-Ärzte treffen im SonnAlpin ein Unfallklinik Murnau kann 8 Patienten aufnehmen Ersten 2 Patienten treffen im Tal ein (Patient 1 + 2) Weitere Patienten (Patient 5 + 6) erreichen das Tal Alarmierung KIT Berg (Kriseninterventionsteam) Information: 1. Reanimation erfolglos abgebrochen Information: 2. Reanimation erfolglos abgebrochen Aktuelle Lagemeldung von SonnAlpin + Zugspitzgipfel: keine weiteren Patienten / Personen mehr zu versorgen Einsatzende

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LITERATUR (1)

Locher Th., Walpoth B., Pfluger D. Akzidentelle Hypothermie in der Schweiz (1980-1987) – Kasuistik und prognostische Faktoren. Schweiz Med Wschr 1991;121:1020-1028.

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Gerichtsmedizinische Untersuchung, Institut für Rechtsmedizin der Universität München, Prot.Nr. 08-GS-01472/08-GS-01473

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F r a n z J o s e f Seiber t, Christian Boldin, Karin Tanzer, Franz Haas, Wolfgang Grechenig

Verletzungen des 1. Strahls an der Hand und ihre Bedeutung im Alpinsport Injuries of the 1st Ray of the Hand and their Impact on Alpine Sport

SUMMARY As Austria is an Alpine nation with skiing as a national sport, the skier’s thumb is a widely spread injury. Concerning sports injuries, approximately 20% of all cases happen to the upper limb with about 30% injuries of the hand. A special issue is the fact that sports related injuries are primarily often neglected injuries. With a late diagnosis and/or therapy most of the severe injuries will not show good results anymore. Because of his special anatomic condition (45° internal rotation to the other fingers) the thumb/first ray of the hand is of great importance for the function of the hand for grasping things especially with the precise pinch-grip. Therefore a stable thumb is of tremendous importance; otherwise a strong pinch-grip is not possible. As skier’s or gamekeeper’s thumb the rupture of the ulnar collateral ligaments of the MCP-joint is well known. Imprecise diagnosis and therapy will lead to chronic instability with posttraumatic arthrosis. An ulnar opening angle with more than 20° difference is highly suspicious for an acute rupture and needs immediate repair. Partial lesions with no instability can be treated by splinting the thumb, complete lesions or displaced avulsion fractures at the base of the proximal phalanx need repair with either screws, subperiostal sutures or anatomical re-fixation with titanium or resorbable anchors. Postoperative splinting and later on physiotherapy will be mandatory for a good result with a stable and functional pinch-grip. Concerning an injured first-ray it is important not to forget injuries as fractures / fracture-dislocations at the base of the first metacarpal (Bennet’s fracture) 111


scaphoid or partial radial fractures of the processus styloides. Diagnostic and therapeutic options will be discussed as well. The most important fact is that early diagnosis and adequate therapy is mandatory for a good functional out-come of all these injuries – otherwise early arthrosis will stop any regular sports-activity. Keywords: skier’s thumb, chronic metacarpophalangeal instability, carpometacarpale fracture, dislocation, scaphoid, alpine medicine

ZUSAMMENFASSUNG Als Alpinregion mit Schisport als Nationalsport ist in Österreich die Verletzung „Schidaumen” weit verbreitet. Ca. 20% aller Sportverletzungen betreffen die obere Extremität und hievon wiederum 30% die Hand. Besonders hervorzuheben gilt es, dass Sportverletzungen der Hand all zu oft primär vernachlässigte Unfälle sind. Bei einer verspäteten Diagnose und Therapie werden diese Verletzungen jedoch keine guten Resultate ergeben. Der Daumen bzw. 1. Strahl ist auf Grund seiner speziellen anatomischen Struktur (45° Innenrotation gegenüber den übrigen Fingern) von besonderer Bedeutung für die Greiffunktion, speziell einen präzisen Spitzgriff. Ein stabiler Daumen ist nötig, sonst ist ein starker Spitzgriff nicht möglich. Die Ruptur des ulnaren Seitenbandes am Daumengrundgelenk ist als „Schidaumen” bzw. „Gamekeeper’s Thumb” bekannt. Eine vernachlässigte Diagnose und Therapie kann zu chronischer Instabilität mit frühzeitiger posttraumatischer Arthrose führen. Eine mehr als 20° ulnare Öffnung in der gehaltenen Aufnahme ist hochgradig verdächtig auf eine akute und operationswürdige Läsion. Während Teilläsionen des Bandes ohne Instabilität mit einem Daumenverband (Steigbügelgips, Daumenorthese) konservativ behandelt werden können, brauchen komplette Rupturen oder dislozierte knöcherne Avulsionsverletzungen eine operative Revision mit entweder Schraubenfixierung, subperiostalen Nähten oder Ankernähten (Titan oder resorbierbar). Eine postoperative Ruhigstellung sowie physiotherapeutische Nachbehandlung wird für ein gutes funktionelles Resultat mit starker Greiffunktion unbedingt nötig sein. Betreffend Verletzungen des 1. Strahls ist es unabdingbar, Verletzungen der Basis des Os Metacarpale I (z. B. Bennet’sche Luxationsfraktur), des Kahnbeins oder partiell intraartikuläre Radiusfrakturen differential-diagnostisch miteinzubeziehen. Diesbezügliche diagnostische und therapeutische Aspekte werden ebenso diskutiert. Schlüsselwörter: Schidaumen, chronische metacarpale Instabilität, Bennet’sche Luxationsfraktur, Scaphoid, Alpinmedizin 112


EINLEITUNG Sowie die Hand als elementares Greiforgan vor allem im alltäglichen Leben gebraucht wird, ist ihr Einsatz im Sport gefordert. Bei Sportverletzungen sind in etwa 20% der Fälle die oberen Extremitäten betroffen, ca. 30% davon sind Verletzungen der Hand (1, 2). Besondere Probleme ergeben sich, wenn Verletzungen primär bagatellisiert werden und erst verspätet der Arzt aufgesucht wird und bereits Spätfolgen wie chronische Instabilitäten oder Pseudarthrosen mit degenerativen Veränderungen aufgetreten sind. Speziell der Daumen mit seiner Anatomie erlaubt uns präzise Griffformen, woraus sich auch spezielle Verletzungen des 1. Strahls ergeben. Als alpine Region mit Schisport als Nationalsport ist es von Bedeutung, dass ca. 17 % der Verletzungen im Schisport den Daumen betreffen (3). In der Folge werden wir uns sowohl mit dem Verletzungsbild des Schidaumens sowie einiger weiterer Verletzungen der radialen Handseite beschäftigen, um auch differentialdiagnostisch die Anatomie des Daumens zu würdigen.

ANATOMISCHE UND FUNKTIONELLE ASPEKTE DES ERSTEN STRAHLS DER HAND (4) Der erste Strahl der Hand, kurz Daumen genannt, setzt sich knöchern aus 2 Fingerknochen zusammen, welche im Daumengrundgelenk, dem MCP (= Metacarpophalangealgelenk) am 1. Mittelhandknochen sitzen, welcher wiederum im Sattelgelenk mit der Mittelhand (= Carpus) verbunden ist. Die radiale Säule des Carpus setzt sich aus dem Os Trapezium, Os Trapezoideum sowie dem Os Naviculare (= Scaphoid, Kahnbein) zusammen, welches mit der Fossa Scaphoidea der Speiche (= Radius) artikuliert. Die spezielle Anordnung der Knochen bzw. der gelenkigen Verbindungen erlauben eine Circumduktion des Daumens (Abb. 1). Die innenrotierte Position des Daumens gegenüber der übrigen Hand erlaubt auch die Opposition des 1. Strahls gegenüber den übrigen Fingern. An der Streckseite ist der Daumen, sowie die Langfinger, von der platten Streckaponeurose bis knapp proximal des MCPs Abb. 1: Bewegungsmöglichkeiten des 1. Strahls überzogen, wobei am Daumen der Hand aus Schmidt/Lanz (4) 113


zusätzlich die Adduktoraponeurose dorso-ulnar in die Strecksehne einstrahlt und großteils über dem ulnaren Seitenband des MCPs zu liegen kommt (Abb. 2). Von den knöchernen Gelenkspartnern ist das Daumengrundgelenk einem Kugelgelenk sehr ähnlich, jedoch durch die Kapsel-Bandstrukuren in seinen Bewegungsebenen sehr eingeschränkt, so dass praktisch nur eine Bewegungsebene, nämlich die Beugung und Streckung, im Ausmaß von S 5/0/50 möglich

Abb. 2: Anatomie des Daumenstrahls von ulnar mit/ohne Streckaponeurose aus Schmidt/Lanz (4) EPL = Extensor pollicis longus, EPB = Extensor pollicis brevis, ADP = Adduktor pollicis, FPL = Flexor pollicis longus, 1 = horizontales Kollateralband, 2 = akzessorisches Kollateralband

ist. Die anderen Bewegungsqualitäten wie Ab-, Adduktion, Rotation und Opposition werden großteils im Daumensattelgelenk ausgeführt. Am Daumengrundgelenk können auch die muskulären Strukturen eine Gelenksinstabilität nicht kompensieren.

HÄUFIGE VERLETZUNGEN, ÄTIOLOGIE, THERAPIEOPTIONEN, BESONDERHEITEN Verletzungen des ligamentum collaterale ulnare am Metacarpophalangealgelenk I – „Schidaumen“ Der typische Verletzungsmechanismus ist der Sturz auf den abgespreizten Daumen, wobei es zu einer Ruptur der ulnaren Kapselbandanteile kommt. Durch Hängenbleiben des Daumens im Schnee bzw. die Hebelwirkung des Schistocks 114


(Abb. 3) kann es zu einer radialen Abspreizung des Daumenstrahls im Daumengrundgelenk kommen, wobei die ulnaren Bandstrukturen über die Norm gedehnt bzw. zerrissen werden. Ein starker Schmerz sowie eine Schwellung über der ulnaren Seite des Daumengrundgelenks sind Ausdruck einer Bandlä-

Abb. 3: Daumen fixiert zwischen Schlaufe und Schistock

sion, wobei es bei einer kompletten Zerreißung zu einem instabilen Gelenk mit meist operationswürdiger vermehrter ulnarer Aufklappbarkeit kommt. Im alpinen Raum sind diese Verletzungen deshalb auch als „Schidaumen” bekannt, während sie in der anglo-amerikanischen Literatur neben dem Terminus skier’s thumb als gamekeeper’s (= Wildhüter) thumb bekannt sind.

Diagnostik

Aufgrund der Besonderheit der Sehnenplatte (= Aponeurose) der Strecksehne, in welche die Sehne des Musculus Adduktor pollicis brevis breitflächig einstrahlt, kann der meist an der Basis der Grundphalanx abgescherte oder interligamentär gerissene Bandstumpf über die Streckaponeurose herausgleiten und durch eine palpable Struktur (= Stenerläsion), welche sowohl klinisch, im Ultraschall als auch im MRI dargestellt werden kann, auffällig sein (5, 6). Sehr oft erstreckt sich der Riss bis in die palmare Platte des Grundgelenks, wodurch die Instabilität deutlich zunimmt. Durch das proximale Herausgleiten ist auch ein Anwachsen an anatomischer Stelle unter konservativer Therapie 115


nicht möglich. Oft werden solche schweren Verletzungen als einfache Distorsionen des Daumengrundgelenks verkannt. Nur eine exakte klinische und radiologische Abklärung hilft das Ausmaß der Verletzung in ihrem vollen Umfang zu erkennen. Nach Anamnese und klinischer Inspektion auch der angrenzenden Gelenke erfolgt die nativ-radiologische Abklärung des Daumenstrahls in 2 Ebenen. Sieht man ein knöchernes ulnares Fragment an der Grundphalanx, welches in 30 40 % der Fälle vorliegt, so ist dessen Stellung zu beurteilen. Prinzipiell gibt es 2 Möglichkeiten: 1) Das Fragment ist nicht bis kaum disloziert und die Gelenksfläche erscheint kongruent. 2) Das kleine ulnare Fragment ist verkippt und verrotiert, wodurch die Gelenksfläche an Kongruenz verliert (Abb. 4a). Jedoch auch ein gut anliegendes Fragment bedeutet nicht automatisch, dass die Bänder in ihrer Integrität erhalten sind. Es handelt sich nicht immer um eine undislozierte Avulsionsfraktur (nur zu etwa 20 %). Ein Stabilitätstest im Sei-

Abb. 4: Knöchernes ulnares Ausrissfragment am Daumengrundgelenk im ap/seitl. Strahlengang, a. disloziert, b. nach offener Reposition und Verschraubung mit Minischraube

tenvergleich ist unerlässlich für die Indikationsstellung zur Therapie (7) (Abb. 5a). 116


Als einfacher klinischer Test hat sich der „Papiertest“ in der täglichen Praxis bewährt (Abb. 6). Hierbei wird dem Patienten ein Blatt Papier zwischen 1. und 2. Fingerendglied zum Halten angeboten. Der Patient muss dabei versuchen,

Abb. 5: Im Seitenvergleich gehaltene Röntgendarstellung der Daumengrundgelenke, a. mit deutlich erhöhter Instabilität am rechten Daumen, b. Zustand nach Refixation mittels Titan-Knochenanker (Mitek®) im ap/seitlichen Strahlengang

das Papier zwischen der ulnaren Seite seines Daumenendglieds und dem volaren Endglied des 2. Fingers, festzuhalten. Kann ihm das Blatt ohne wesent-

Abb. 6: Funktioneller klinischer Test zur Beurteilung der Daumengrundgelenksstabilität 117


lichen Kraftaufwand aus diesem Griff weggezogen werden, zeigt dies, dass er keinen stabilen Gegendruck für seinen Zeigefinger hat und dadurch nicht fest zupacken kann. Klinisch kann die Stabilität des Daumengrundgelenks sowohl in Streckstellung als auch 30° Beugung im Vergleich zur gesunden Gegenseite getestet werden, wobei bei einer Läsion der palmaren Platte bzw. des akzessorischen Seitenbands auch in Streckstellung eine deutlich erhöhte ulnare Aufklappbarkeit festgestellt wird. Auch dem federnden Anschlag sowohl in Extensions- (intaktes oder teilintaktes akzessorisches Kollateralband) – als auch Flexionsstellung (intaktes oder teilintaktes horizontales Kollateralband) kommt bei der klinischen Untersuchung eine besondere Bedeutung zu. Die dorso-palmare Instabilität wird durch den sogenannten Schubladentest geprüft. Dies kann unter Röntgen oder im Bildwandler gut dokumentiert werden (Abb. 5a). Als Indikation zur operativen Intervention werden eine 30° ulnare Öffnung bzw. eine Differenz von 20° zum gesunden Daumen in der Literatur angegeben. Fricker beugt für diesen Test das MCP in 90°, wodurch sich die Seitenbänder bei Integrität anspannen würden und kaum eine Aufklappbarkeit zulassen (8). In dieser Stellung ist aber die radiologische Dokumentation einer Instabilität deutlich schwieriger. Da auch die Stenerläsion bei stärkerer Schwellung nicht immer eindeutig palpiert werden kann, besteht die einhellige Meinung, eher aggressiv operativ vorzugehen, da man bei einer weiten Dislokation der Bandstümpfe von keiner suffizienten Bandheilung ausgehen kann, besonders wenn der proximale Bandstumpf über die Streckaponeurose hervorluxiert ist und dadurch den knöchernen Kontakt zur Grundphalanx verloren hat. Eine Differenzierung in stabile Zerrungen und Partialläsionen sowie instabile Rupturen ist dringend nötig, da verspätete Rekonstruktionen oder Bandplastiken mit einer höheren Komplikationsrate als auch schlechteren Ergebnissen korrelieren (9, 10, 11).

Therapie Besteht nur eine Druckschmerzhaftigkeit und Schwellung über dem ulnarseitigen MCP ohne Instabilität, kann mit einer Daumenschiene aus Gips (eventuell Steigbügelgips) oder thermoplastischen Material (Abb. 7) das Auslangen gefunden werden. In manchen Ballsportarten verwenden Sportler prophylaktische Tapeverbände, um Verletzungen vorzubeugen. Das Endgelenk des Daumens, als auch das Handgelenk bleiben meist frei und sollen bewegt werden, um die Abschwellung zu beschleunigen. Diese Schiene begleitet den Patienten für 4 – 6 Wochen Tag und Nacht. Sie wird nur zur Hautpflege abgenommen. Ab der 4. Woche wird mittels Heilgymnastik unter physiotherapeutischer An118


Abb. 7: Ruhigstellung des Daumengrundgelenks mit Thermoplastischer Schiene; abnehmbar zur Hautpflege

leitung versucht, die Mobilität im Gelenk wieder herzustellen. Bei starken Schwellungszuständen wirkt Lymphdrainage in der ersten Woche heilungsbeschleunigend und funktionsverbessernd. Wobei darauf hingewiesen werden soll, dass lange bestehende starke Schwellungen meist mit einer komplexeren Pathologie einhergehen und primär vielleicht die Stabilität falsch eingeschätzt wurde. Ist das Gelenk instabil und muss operiert werden, hängt das operative Vorgehen vom intraoperativen Befund ab. Besondere Vorsicht gilt dem, im Bereich des Hautschnitts verlaufenden, radialen sensiblen Hautast für den Daumen, der auf alle Fälle geschont werden sollte. Um Zugang zum ulnaren MCP-Gelenk zu bekommen, wird die Adduktoraponeurose von der Strecksehne scharf abgetrennt und angeschlungen, um sie beim schichtweisen Wundverschluss wieder zu reinserieren. Meist ist das ulnare Seitenband an der Basis der Grundphalanx abgeschert, es kann aber auch der oberflächliche Seitenbandanteil distal abgeschert sein und der tiefere Anteil vom proximal liegenden Metakarpaleköpfchen – also am Ursprung – abgelöst sein. Eine End-zu-End-Adaptation dieser beiden Strukturen würde zu einem instabilen Gelenk führen und keiner anatomischen Reinsertion 119


der Bandstrukturen entsprechen. Standen lange Zeit nur Ausziehnähte nach Lengemann (12) zur Refixation zur Verfügung, erleichtern heute kleine, bereits mit Fäden armierte Anker entweder aus Titan (Abb. 8, 5b) oder resorbierbarem Material die anatomische Reinsertion der Bandstümpfe deutlich. Durch diese Implantate ist es auch für den Patienten komfortabler, da die Haut verschlossen werden kann und keine Implantatanteile über Hautniveau liegen, welche erst nach 6-7 Wochen entfernt werden.

Abb. 8: Ulnare Seitenbandrefixation mittels Titan Mini-Anker-System von Mitek®

Schwieriger gestaltet sich die Operation bei kleinen knöchernen ulnaren Fragmenten. Sind die Fragmente groß genug, dass sie nach anatomischer Reposition mit Minischräubchen (Abb. 4b) fixiert werden können und sind die Bandanteile anhaftend, ist die Stabilität mit Versorgung der knöchernen Abscherung wieder hergestellt. Ist das Band zusätzlich abgeschert, so ist auch dieses anatomisch zu reinserieren. Bei der Fixierung des Fragmentes ist aber darauf zu achten, dieses nicht zu frakturieren oder gar den anhaftenden Bandanteil abzuscheren. Geachtet muss auch auf die palmare Platte werden. Ist diese abgelöst oder eingerissen und ergibt sich daraus eine höhere Instabilität, so ist auch diese zu versorgen. Manchmal können simpel anmutende „Schidaumenverletzungen“ auch Ausdruck einer stattgehabten Luxation sein und bedürfen einer konsequenten postoperativen Überwachung bzw. Ruhigstellung entsprechend der intraoperativ erreichten Stabilität. Es kann aber auch ein geschlossen nicht reponierbarer Zustand mit Interposition von Streck- oder Beugesehnen vorliegen, welcher nicht übersehen werden darf (13, 14, 15). 120


Operationswürdige Verletzungen an diesem Gelenk können auch bereits bei Kindern auftreten. 8 % an „Schidaumenverletzungen” in einem großen Krankengut (n = 302 Schidaumen) traten in einem 4-Jahres-Zeitraum in einem Schweizer Schiort bei Kindern auf (16). Eine Besonderheit stellt das radial instabile MCP (Abb. 9) dar, welches vereinzelt bei Ballsportlern auftritt und keinesfalls übersehen werden darf und meist einer operativen Therapie bedarf, da sekundäre Rekonstruktionen unter zu Hilfenahme von Sehnen (freies Plamaris longus Transplantat, Sehnentransferierungen von Abduktor pollicis brevis oder Extensor pollicis brevis) sehr aufwendige Operationen darstellen (17, 18). Das Verhältnis ulnar : radial ist für knöcherne Bandausrisse 2 : 1; für interligamentäre Verletzungen 12 : 1. Entscheidend für das Ergebnis nach solch einer Verletzung ist sicherlich die frühzeitige exakte Diagnosestellung sowie die Wahl der richtigen TheAbb. 9: Seltene radiale Seitenbandinstabilität am Daumengrundrapie innerhalb gelenk von 2 Wochen. Danach führen Vernarbungen und Bandretraktion meist zu schlechten Ergebnissen (19). Wird ein instabiles Daumengelenk negiert, entsteht zumeist eine schmerzhafte Instabilität mit Schwäche und frühzeitiger Arthrose. Zeigt das instabile Gelenk noch keine degenerativen Veränderungen kann mit aufwendigen Bandplastiken (transossäre Bandrekonstruktion mit z. B. der Palmaris longus Sehne) Stabilität meist auf Kosten von Mobilität wieder hergestellt werden. Bei bereits höhergradigen degenerativen Veränderungen im Gelenk wird oft nur noch eine Versteifung (= Arthrodese) in Funktionsstellung (Abb. 10a, b) oder in besonderen Fällen ein prothetischer Ersatz die Schmerzen und Behinderung lindern können. 121


Verletzungen des Daumensattelgelenks – Bennet’sche Luxationsfraktur (20)

Abb. 10: Daumengrundgelenk, a. degenerative Veränderungen mit Subluxation nach fehlgeschlagener radialer Rekonstruktion, b. postoperatives Röntgen einer Daumengrundgelenksarthrodese

Eine besondere Form der Gelenksverletzungen am 1. Strahl stellt die Bennet’sche Luxationsfraktur dar. Hierbei kommt es meist durch axiale Stauchung zu einer Verrenkung der Basis des Os Metacarpale I nach dorso-radial mit Verbleiben eines knöchernen palmar-ulnaren Basisfragments am Sattel des Os Trapezium mit den intakten ulnaren Bandstrukturen (Abb. 11). Durch Zug der Sehne des Musculus Abduktor pollicis longus wird das Schaftfrag-

Abb. 11: Basisfraktur des MC I re und postoperativ nach geschlossener Reposition und temporärer Kirschnerdrahtfixierung 122


ment nach proximal luxiert und durch Zug des Musculus Adduktor pollicis die Kommissur verschmälert. Während eine geschlossene Reposition meist gut gelingt, ist die Retention in dieser Stellung bis zur knöchernen Heilung meist schwierig. Bei instabilen Verhältnissen wird daher bei osteosynthetisch versorgbaren Verletzungen eine Verschraubung oder Verplattung (bei Y- oder Rolandofrakturen) bevorzugt. Ist eine stabile Osteosynthese nicht möglich, wird eine temporäre Arthrodese im MC-Trapezium Gelenk nötig, wobei auch Stelldrähte zwischen MC I und II hilfreich sein können (Abb. 10b). Mehrfragmentfrakturen sowohl der Basis des Metacarpale I als auch des Os Trapezium können gelegentlich auch mit überbrückenden Minifixateuren für die Zeit der knöchernen Konsolidierung ruhiggestellt werden. (21).

Verletzungen des Kahnbeins (= Scaphoid, Naviculare) (20)

Der am häufigsten verletzte Handwurzelknochen ist ohne Zweifel das Kahnbein (in Sammelstatistiken bis zu 90%). Meist sind junge männliche Erwachsene nach einem Sturz auf die ausgestreckte Hand davon betroffen (Abb. 12). In seltenen Fällen kann auch eine Kombination mit einer distalen Speichenfraktur

Abb. 12: Kahnbeinfraktur bei einem 24-jährigen Basketballspieler – im Kontrollröntgen 1 Woche nach Trauma zu sehen am Resorptionssaum (Pfeil), nach Verschraubung mittels Doppelgewindeschraube und Konsolidierung nach 3 Monaten mit exzellentem klinischen, radiologischen und kosmetischen Ergebnis

vorliegen; noch seltener kommt es gleichzeitig zu einer Luxationsfraktur der Handwurzelknochen. Initial wird ein Kahnbeinbruch nicht selten übersehen und als Handgelenksverstauchung bagatellisiert. Wird ein Bruch des Os Naviculare übersehen, entwickelt sich in Folge meist eine Pseudarthrose, deren natürlicher Verlauf zu einer stadienhaften Zerstörung des Handgelenks führt 123


und letztendlich nur noch durch eine Handgelenksarthrodese, selten durch die Entfernung der proximalen Handwurzelreihe (= Beweglichkeit statt Kraft) schmerzfrei gemacht werden kann. Auffallend ist ein Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der Tabatière (= Raum zwischen der Sehne des EPB, APL sowie dem EPL) oder auch über dem distalen palmaren Pol des Kahnbeins. Nicht immer leicht ist die klinische Abgrenzung zu distalen radialen Speichenfrakturen. Da dieser Handwurzelknochen durch seine spezielle Einbettung in das Gefüge der Handwurzelknochen und seine weit ausgedehnten Gelenksflächen über relativ zarte Weichteilbrücken mit der Handgelenkskapsel verbunden ist, verfügt er auch nur über eine bescheidene Anbindung an das Gefäßsystem, was zu einer ungenügenden Konsolidierung führen kann, wenn solche Verletzungen übersehen werden. Deshalb wird beim Verdacht auf eine Kahnbeinfraktur die Hand so behandelt, als sei es eine Fraktur und die Ruhigstellung (Unterarmgips mit Daumeneinschluß) solange beibehalten, bis eine Fraktur oder Bandverletzung im scapholunären Bereich ausgeschlossen ist (Röntgenkontrolle mittels Kahnbeinserie nach einer Woche, Computertomographie in 1 mm Schichten bzw. MRI). Unverschobene Frakturen des Kahnbeins können bei ausreichend langer Ruhigstellung im Gipsverband (8 – 16 Wochen) meist gut zur Ausheilung gebracht werden, können jedoch auch über perkutane oder minimal invasive Osteosyntheseverfahren mittels Spezialimplanten (Doppelgewindeschrauben) stabilisiert werden und frühfunktionell ausbehandelt werden (Abb.12). Frakturen mit Stufe, Diastase oder im Rahmen von Luxationen (z. B. transnaviculäre perilunäre Luxationsfraktur De’Quervain) sollten so früh als möglich mittels Osteosynthese stabilisiert werden, um späteren Pseudarthrosen und degenerativen Arthrosen vorzubeugen. Selten und abhängig auch von stadienhaften degenerativen Veränderungen kommen auch rekonstruktive Verfahren mit Interposition eines Knochenspans, vaskularisiertem lokalen oder freien cortico-spongiösen Block zum Einsatz.

Partiell intraartikuläre Radiusfraktur

Eine ähnliche Klinik wie die Kahnbeinfraktur wird auch bei der partiell intraartikulären Fraktur (= Chauffeur Fraktur) des Processus styloideus radii vorliegen. Diese Frakturen laufen oft in die Linie zwischen der Fossa Scaphoidea und Lunata aus und können während des Traumas mit Verschiebung der Knochenfragmente gegeneinander auch zu Bandverletzungen zwischen den Handwurzelknochen (z. B. Scapholunäre Bandverbindung) mit gefürchteter posttraumatischer Instabilität führen. Die Patienten stellen sich oft mit bereits wieder reponierten Fragmenten vor. Besonders muss dann auf das SL-Inter124


vall geachtet werden und nötigenfalls die Retention für mindestens 6 Wochen (= Bandheilung) beibehalten oder auch operativ (Reposition der Handwurzelknochen zueinander, Kapselbandrekonstruktion, temporäre Drahtfixierung) angegangen werden.

Daumenamputation – Rekonstruktionsoptionen

Eine äußerst seltene Verletzung stellt die traumatische Amputation des Daumenstrahls dar. Als besonders ungünstig erweisen sich die Ausrissverletzungen, die gegebenenfalls auch eine Rekonstruktion des ersten Strahls mittels gefäßgestieltem Transfer des 2. Strahls auf den Daumenstumpf (= Sensibilität) oder eine Rekonstruktion mittels einer Zehe (= Kraft) benötigen.

Take Home 1. Verletzungen des Daumens sollten frühzeitig abgeklärt und konsequent behandelt werden. 2. Verspätetete Diagnose und/oder Rekonstruktion ergibt in den seltensten Fällen ähnlich gute Ergebnisse wie primäre konsequente Therapie (konservativ oder operativ, je nach Schweregrad der Verletzung). 3. Notfallmäßig werden geschlossene Verletzungen durch einen imobilisierenden, stabilisierenden Druckverband sowie Hochlagerung und Kälte behandelt. 4. Offene Verletzungen werden mittels Druckverband blutgestillt und ebenfalls ehestbald klinisch und radiologisch, gegebenenfalls offen revidiert und versorgt. Tetanusimpfstatus muss geklärt sein, notfalls impfen bzw. auffrischen. 5. Schmerzen entsprechend einer Kahnbeinfraktur werden solange wie eine echte Fraktur behandelt bis durch Röntgen-Kontrollen, CT, MR eine solche sicher ausgeschlossen ist.

DaNKSaguNgeN Besonders bedanken möchte ich mich bei Herrn Univ. Prof. Dr. Szsyszkowitz Rudolf, welcher als langjähriger Vorstand der Univ. Klinik für Unfallchirurgie mir die Möglichkeit gab, sowie Univ. Prof. Dr. Seggl Wolfgang (suppl. Leiter), mich im Rahmen der mit Prof. Fellinger Michael gegründeten Arbeitsgruppe Handchirurgie und der mit Prof. Schippinger Gert gegründeten Arbeitsgruppe Sporttraumatologie mit der Thematik der Verletzungen am 1. Strahl auseinanderzusetzen, sowie den Kollegen der plastischen Chirurgie, insbesonders Herrn OA. Dr. Moshammer Harald, welcher mir während meiner Gegenfach125


zeit an der klinischen Abteilung für Plastische Chirurgie der Universitätsklinik für Chirurgie besondere Impulse in der Handchirurgie gab, ebenso wie Prof. Dr. Jupiter Jessie – Boston, USA, welcher mir während einer 2-monatigen Zeit als AO-Fellow viele praktische Tipps in der Handchirurgie gab.

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G i s e l her Sperka, Rober t Mader, Wolfgang Domej

Komplizierte Höhlenrettung aus einer Schachthöhle Complicating Rescue from a Vertical Cave

SUMMARY Although caving is dangerous, accidents occur very rarely compared to more common alpine sports; nonetheless, even the very experienced caver who is skilled in rock climbing can be injured in an accident. Rescue from a very deep cave can be an extraordinary challenge, as was demonstrated by the case of a 31-year-old caver. After a 6-meter free fall, he tumbled to a depth of 120 m in a vertical cave (Fledermausloch) in the region of the Muerzsteger Alps in August 2010. In a 6-hour rescue operation he was saved thanks to the coordinated efforts of the Mountain Rescue Teams of Turnau and Mariazell, the Styrian Cave Rescue Team and the Mountain Police Unit, Mürzzuschlag. Keywords: cave exploring, caving accidents, cave rescue

ZUSAMMENFASSUNG Höhlenforschen ist eine mitunter extrem risikoreiche Disziplin. Obwohl Höhlenunfälle im Vergleich zu anderen Alpinsportarten seltene Ereignisse darstellen, können auch bei erfahrenen und klettertechnisch sehr versierten Höhlenforschern unfallbedingte Verletzungen nie ganz ausgeschlossen werden. Höhlenbergungen aus tiefen Höhlen können die Retter vor außergewöhnliche Herausforderungen stellen, wie die Bergung eines 31-jährigen 6 Meter frei abgestürzten Höhlenforschers aus einer 120 m tiefen Schachthöhle in den Mürzsteger Alpen (Fledermausloch) im August 2010 zeigte. An der 6-stündigen Bergungsaktion waren die Bergrettung Turnau und Mariazell, die Höhlenrettung Steiermark sowie die Alpinpolizei aus Mürzzuschlag beteiligt. Schlüsselwörter: Höhlenforschung, Höhlenunfälle, Höhlenrettung 129


EINLEITUNG Höhlenforschen ist eine faszinierende alpinistische Disziplin, die mit hohem Risiko verbunden ist, allein schon auf Grund der Tatsache, dass sich eine Rettung im Falle eines Unfalls oft langwierig, schwierig bis unmöglich erweisen kann (1). Ganz besonders hoch ist das Risiko beim Höhlentauchen (2, 3). Dagegen sind Risiken in touristisch genutzten Schauhöhlen wie beispielsweise jene in verschiedenen US-Nationalparks oder auch anderswo als gering einzustufen. Dementsprechend zeigten Daten aus 14 US-Nationalparks, dass bei insgesamt 2 Millionen Höhlenbesuchern in nur 200 Fällen medizinischer Beistand erforderlich war, meistens auf Grund kleinerer Verletzungen (4, 5). Die Verletzungsrate in Höhlen ist vermutlich in erster Linie auf Grund des hohen Risikobewusstseins der Höhlenforscher aber auch der Höhlentouristen gering und wird mit 1:1.990 Stunden angegeben, wobei sich Frauen doppelt so häufig verletzen wie Männer. Ältere Personen und jene mit mehr als 5-jähriger Erfahrung im Höhlenbegehen weisen deutlich geringere Verletzungsraten auf (6). Das Fledermausloch nahe der Herrenbodenalm in den Mürzsteger Alpen galt lange Zeit als tiefste Höhle der Welt, der bisher tiefste Punkt liegt 500 m unter dem Höhleneingang. Ein sechsköpfiges Team von Höhlenforschern war hier im August 2010 unterwegs, um einen neuen durch die Eisschmelze freigegebenen Gang zu erkunden. Gegen 18 Uhr ereignete sich ein folgenschwerer Unfall (Tab. 1), bei dem ein 31-jähriger Höhlenforscher aus Niederösterreich durch einen ausgebrochenen Haltegriff 6 Meter frei abstürzte und nach dem Aufprall weitere 12 Meter über Steilgelände kollerte.

KASUISTIK Vorrausschicken möchte ich, dass ich seit 35 Jahren beim Österreichischen Bergrettungsdienst aktiv bin, seit 28 Jahren als Bergrettungsarzt, mehrere Jahre auch als Einsatzleiter, und daher allen an dieser schwierigen Bergung beteiligten Kameraden gut bekannt bin, was die Kommunikation bei dieser Rettungsaktion sicherlich erleichtert hat. Der Anruf der Landeswarnzentrale Steiermark, welche als Leitstelle für den Bergrettungsdienst Steiermark fungiert, erreichte mich an diesem Sommerabend mit folgendem Inhalt: „Für eine Höhlenbergung wird ein Arzt benötigt, der in die Höhle zu einem Verletzten abgeseilt werden muss. Wo kann Sie der Hubschrauber aufnehmen?“ (Tab. 1) Was bis zur Höhle folgte, war zum größten Teil Routine: Umziehen, Aufnehmen der bereits fertig gepackten Bergausrüstung, in der Ortsstelle noch Funkgerät und Notfallrucksack holen. Danach wurde ich vom Hubschrauber des 130


Innenministeriums am nahegelegenen Sportplatz, welcher in Thörl bei Rettungseinsätzen immer als Landeplatz genützt wird, abgeholt. Nach einer kurzen Zwischenlandung in Gußwerk, wo der Einsatzleiter der Bergrettung und weiteres Rettungsmaterial an Bord genommen wurden, landeten wir am sog. Herrenboden. Zehn Minuten vom Landeplatz entfernt, fand sich der Einstieg zum Fledermausschacht, einer in Höhlenforscherkreisen bekannten Riesenschachthöhle mit einer Schachttiefe von 120 Metern. Die Besonderheit an dieser Höhle ist, dass man nach Überwindung des Schachteinstieges beim Abseilen ohne Felsberührung bis zum ebenen Schachtboden fährt; die Form des Schachts ist mit einer Bierflasche vergleichbar. Tab. 1: Zeitliche Abfolge der Bergung aus dem Fledermausschacht 18.00

Unfall; Absturz innerhalb der Höhle

18.45

Alarm durch einen schnell ins Freie gestiegenen Höhlenforscherkollegen

19.00

Erstes Sanitätsmaterial trifft am Unfallort ein

20.30

Eintreffen des Bergrettungsarztes beim Verunfallten, Beginn mit Versorgung des Unfallopfers

00.00

Der Verunfallte wird aus der Höhle gebracht

00.40

Abtransport durch Christophorus 15 Rettungshubschrauber

01.00

Ankunft im LKH Amstetten

Am Höhleneingang auf 1.500 m Seehöhe empfing mich ein Kamerad, der mit dem Abgestürzten in der Höhle unterwegs war und als Bergretter und Höhlenretter seit Jahren aktiv ist, mit folgenden Worten: „Gut, dass du da bist, du wirst jetzt 120 m frei abgeseilt, unten sind zwei Höhlenretter, die sich mit dir zum Verletzten vorarbeiten werden; zuerst ist eine Kriechstelle, wo du gerade durchkommst, zwischendurch musst du nochmals abseilen und einen Quergang überwinden, dann seid ihr vor Ort.“ Meine Antwort, dass ich in Höhlen eigentlich Angst hätte, wurde kurzum übergangen, indem über weitere Details zum Unfallhergang berichtet wurde. Auf Grund der geschilderten Verhältnisse entschied ich mich vorerst zur Mitnahme einer Minimalausrüstung. Schnell wurde die Abseilstelle hergerichtet und ich verschwand auch schon in der Tiefe des Schachts. Das Licht des Eingangs wurde schwächer und schwächer, es wurde unheimlich still um mich, 131


und ich war von beängstigender Dunkelheit umgeben. Nur einmal stoppte die Abseilfahrt zwischendurch, da das Seil nach hundert Metern verlängert werden musste, dann kam ich am Schachtboden an. Ich war froh, als mich die beiden angekündigten Kameraden von der Bergrettung tatsächlich erwarteten. Vom Schachtboden aus bestand an ausgesuchten Stellen Funkverbindung nach oben, in weiterer Folge gab es jedoch keine weitere Kommunikation mehr. Nach Begutachtung der Engstelle, die ich mir schlimmer vorgestellt hatte und einem Gespräch mit den Höhlenrettern vor Ort orderte ich weiteres Material wie die Universaltrage (UT 2000), Vakuummatratze, Wärmepackungen und Notfallrucksack. Durch einen weiteren Kameraden der Höhlenrettung wurde ich in kurzer Zeit bis zum Verunfallten geleitet, wobei die Kriechstelle, eine weitere Abseilstelle und ein etwas heikler Quergang über lehmverschmierten Fels bei vorbereiteter Seilsicherung zu überwinden waren.

Abb. 1: Höhlenretter mit Unfallopfer im sog. Fledermausloch 132


Beim Verletzten angekommen, empfing mich dieser gleich mit dem vorrangigen Wunsch, unverzüglich etwas gegen seine massiven Schmerzen zu unternehmen. Der Verletzte war gut erstversorgt und ausreichend gegen Kälte geschützt; der Patient war bei klarem Bewusstsein, sein Erinnerungsvermögen an den Unfallhergang weitgehend erhalten, fremdanamnestisch nur eine kurze Bewusstlosigkeit erhebbar. Gemessen an der seit dem Absturz bereits vergangenen Zeit schloss ich eine intrakranielle Verletzung aus und konnte nun Ketanest® relativ unbesorgt einsetzen. Der Verunfallte war kardiorespiratorisch stabil, bei der weiteren Exploration in vollkommener Stille des „Höhlendoms“ konnte ich im Lichtkegel der Stirnlampe ein stumpfes Thoraxtrauma, eine Fraktur des linken Schlüsselbeins, eine Verletzung der linken Schulter und eine Parese des linken Arms feststellen, letztere in erster Linie für eine Plexusläsion sprechend. Zudem zeigten sich zwei Wunden am Kopf und ein offensichtlicher Nasenbeinbruch. Der Patient klagte über starke multilokuläre Schmerzen. Da die Halswirbelsäule klinisch unauffällig war, verzichtete ich wegen der psychischen Beeinträchtigung und der subjektiv empfundenen Atembehinderung auf einen „Stiffneck“, setzte einen ersten intravenösen Zugang am Handrücken und begann die Analgesie mit 2 ml Fentanyl und 3,5 ml Ketanest. Es folgte ein zweiter großlumiger intravenöser Zugang und die Vorbereitung einer Infusion mit Ringerlösung, welche aber vorerst nicht verabreicht wurde. Danach war

Abb. 2: Schwierige Horizontalbergung durch eine Engstelle 133


der Patient zur Umlagerung auf die schon vorbereitete Vakuummatratze bereit. Sehr viel Zeit verging mit der exakten Anmodelierung im Kopf, Hals und Thoraxbereich und für die Fixierung des Patienten auf der UT 2000. Die rechte Hand mit dem venösen Zugang und dem Radialispuls zum Kreislaufmonitoring lagerte ich für den weiteren Abtransport gut zugänglich, das Atemmonitoring besorgte die im Lichte der Stirnlampe stets gut sichtbare Exspiration, bedingt durch die klimatischen Verhältnisse in der Höhle. So versorgt, wartete ich mit dem Verletzten auf die Fertigstellung der Seilbahn für den ersten Teil der Horizontalbergung, welcher dann auch den schwierigsten Teil der Bergung darstellte. Die kritische Engstelle war in dankenswerter Weise von den Höhlenrettern, so weit eben möglich, erweitert worden (Abb. 1, 2). Die vertikale Strecke mit dem Aufwinden über 120 Meter unter meiner Transportbegleitung dauerte zwar einige Zeit, verlief aber bis auf die Überwindung des engen Eingangsbereichs, wo es kurzzeitig „klemmte“, ohne größere Probleme. Außerhalb des Höhleneingangs musste der Patient noch 15 Minuten lang durch unwegsames Gelände transportiert werden bevor der Verletzte dem Notarztkollegen vom Christophorus 15 Rettungshubschrauber des ÖAMTC übergeben werden konnte; dieser hatte bereits mehrere Stunden in der Kälte auf das Ende der Bergung gewartet. Dass der Rettungshubschrauber etwas vorschnell angefordert worden war, war am Ende der Bergung von Vorteil; der Pilot war abends bei letztem Tageslicht im Gelände gelandet, was sich für den Patienten als Glück im Unglück erweisen sollte: der Helikopter konnte in stockdunkler Nacht ohne Probleme mit dem Verletzten Richtung Landeskrankenhaus Amstetten abheben (Tab. 1.) Kreislauf und Atmung des polytraumatisierten Patienten blieben während des gesamten Abtransports stabil. Da keinerlei Komplikationen im Rahmen dieser komplizierten mehr als 6 Stunden dauernden Bergungsaktion aufgetreten waren, kann man durchaus von einem gelungenen Ablauf der Rettungskette sprechen. Allein das gedankliche Durchleben aller möglichen Komplikationen bestärkte mich in meiner Überzeugung, dass der Medizin in Extremsituationen trotz der technischen Fortschritte enge Grenzen gesetzt sind.

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M i c h a e l Tr app, Josef Egger, Eva-Maria Trapp, Peter Rohrer, G ü n t h e r S c hwaberger, Thorsten Weißenböck, Wolfgang Domej

Resilienz und Höhenmedizin Resilience and High Altitude Medicine

SUMMARY The human organism is exposed to external and internal pathogenic risk factors. Altitude exposure can cause psychological as well as physiological symptoms triggered by hypoxia. From moderate to high altitude, hypobaric hypoxia can cause dyspnoea, palpitations, insomnia and vertigo. These symptoms can also be observed during panic attacks. When resilience is reduced, these symptoms can be misinterpreted as warning signals of an imminent health crisis due to increased anxiety. Two case reports demonstrate that hypobaric hypoxia in combination with other anxiety-induced bodily sensations can provoke panic attacks. Keywords: hypobaric hypoxia, resilience, panic attacks, model of misinterpretation

ZUSAMMENFASSUNG Der menschliche Organismus ist permanent und ubiquitär mehr oder weniger (sowohl externen als auch internen) pathogenen Risikofaktoren ausgesetzt. Höhenexposition kann sowohl psychologische als auch physiologische Symptome bewirken, welche durch Hypoxie getriggert werden. Ab mittleren bis großen Höhen können infolge hypobarer Hypoxie Symptome wie beispielsweise Atemnot, Herzklopfen, Schlaflosigkeit und Schwindel auftreten. Symptome, die auch während Panikattacken beobachtet werden können. Im Falle einer reduzierten Resilienz können diese Symptome als Warnsymptome für ein kurz bevorstehendes, die eigene Gesundheit bedrohendes Ereignis missinterpretiert werden und durch verstärktes Bedrohungserleben zu einer Panikattacke führen. Anhand zweier Fallbespiele wird gezeigt, dass die hypobare Hypoxie in Kombination mit weiteren angstinduzierten Symptomen eine Panikattacke provozieren kann. Schlüsselwörter: Hypobare Hypoxie, Resilienz, Panikattacken, Missinterpretationsmodell 137


EINLEITUNG Im erweiterten biopsychosozialen Modell – also der Theorie der Körper-GeistEinheit – bedeutet „Gesundheit die ausreichende Kompetenz des Systems ‹Mensch›, beliebige Störungen auf beliebigen Systemebenen autoregulativ zu bewältigen. Krankheit stellt sich dann ein, wenn der Organismus die autoregulative Kompetenz zur Bewältigung von auftretenden Störungen nicht ausreichend zur Verfügung stellen kann und relevante Regelkreise für die Funktionstüchtigkeit des Individuums überfordert sind bzw. ausfallen“ (1, 2). Aus dieser Definition ist ableitbar, dass sowohl Gesundheit als auch Krankheit nicht als Zustände, sondern als hochkomplexe, dynamische Prozesse angesehen werden müssen. Gesundheit muss in diesem Sinne in jeder Sekunde unseres Lebens geschaffen werden (2, 3). Besondere Relevanz in Bezug auf die Fähigkeit unseres Organismus zur „autoregulativen Kompetenz“ haben Schutz- und Risikofaktoren, welche die Resilienz unseres Organismus beeinflussen. Resilienz wird hier als Widerstandskraft bzw. reduzierte Vulnerabilität definiert.

SCHUTZ- UND RISIKOFAKTOREN Bei der Generierung/Aufrechterhaltung von Gesundheit haben sowohl Schutzals auch Risikofaktoren einen Einfluss (Tab. 1). Tab. 1: Risiko vs. Schutzfaktoren 4) vs. Schutzfaktoren (3, 4) Tabelle 1.:(3, Risiko Risikofaktoren externe und interne Bedingungen, die einen Krankheitsprozess "verursachen", auslösen, beschleunigen, zum Vorschein bringen oder aufrechterhalten können. pathogene Erbanlagen

Schutzfaktoren externe und interne Bedingungen, die einen Krankheitsprozess verhindern oder verzögern sowie die Heilung beschleunigen können.

pathogene physiko-chemische und soziale Umweltbedingungen (Noxen) z. B. Überforderung der individuellen Bewältigungskapazitäten durch • Schadstoffe in Luft und Nahrung • Lärm • Drogen • hohe soziale Dichte/Überbevölkerung • pathogene familiäre und soziale Umwelten pathogenes Gesundheitsverhalten persönlichkeitsabhängige und situativ gebundene Verhaltensrisikofaktoren

salutogene physiko-chemische und soziale Umweltbedingungen • ökologisch und biologisch „passende“ bzw. salutogene Lebens- und Arbeitsbedingungen und • psycho-soziales Netzwerk

salutogene Erbanlagen

salutogenes Gesundheitsverhalten persönlichkeitsabhängige und situativ gebundene psychologische Schutzfaktoren

Da unser Organismus permanent und ubiquitär mehr oder weniger (sowohl externen als auch internen) pathogenen Risikofaktoren ausgesetzt ist, ist er 138


evolutionär darauf ausgerichtet, diesen die Resilienz reduzierenden Einflüssen entgegenzuwirken. Aufgrund der parallelen Verschaltung der unterschiedlichen Wirkebenen kann auf potentielle Störvariablen auf unterschiedlichen Systemebenen (organisch, psychologisch, öko-sozial) reagiert werden, um die autoregulative Kompetenz unseres Organismus zu unterstützen (2, 3). Aus psychologischer Sicht gelang es beispielsweise, protektive Bewältigungsressourcen im Sinne der Salutogenese (5) zu identifizieren: „Als internale protektive Ressourcen (Bewältigungsressourcen) gelten dabei beispielsweise Faktoren wie Zuversicht, internale Kontrollüberzeugung, Selbstvertrauen, positives Selbstwertgefühl, emotionale Stabilität, unbekümmerte Selbsteinschätzung, interpersonelles Vertrauen, Zielbindung oder Sinngebung, Herausforderung, Selbstaufmerksamkeit“ (6).

STRESSREAKTIONEN UNTER HYPOBARER HYPOXIE Höhenexposition kann sowohl psychologische als auch physiologische Symptome bewirken, welche vorrangig durch Hypoxie getriggert werden (7). So wurde in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen, dass es bei Höhen- bzw. Hypoxieexposition zu einer Steigerung des Sympathikustonus kommt. Studien, welche mittels Herzfrequenzvariabilitätsparametern das Reaktionsausmaß sowohl der Parasympathikus- als auch der Sympathikus-Aktivität beschrieben, zeigten, dass Höhenexposition einen Abfall des Parasympathikustonus und einen Anstieg des Sympathikustonus bewirken, wobei während der Akklimatisation der Sympathikustonus weiter zunimmt (8). Aufgrund der resultierenden sympatho-adrenergen Tonussteigerung kommt es folglich zu einem Anstieg der Herzfrequenz, des Blutdrucks, des systemischen Gefäßwiderstands, der Ventilation, der Sensitivität der Barorezeptoren und zu einer Reduktion der Herzfrequenzvariabilität (8-10). Ab mittleren Höhen können infolge hypobarer Hypoxie Symptome wie beispielsweise Atemnot, Herzklopfen, Insomnie und Schwindel auftreten, welche Symptomen entsprechen, die auch während Panikattacken beobachtet werden können (11, 12).

FALLSTUDIEN Im Rahmen der „Dachsteinstudie 2008“ (7) wurden insgesamt 41 gut trainierte Versuchspersonen zur Erforschung des Einflusses der hypobaren Hypoxie auf die Reaktivität des vegetativen Nervensystems unter mentalen und ergotropen Arbeitsbedingungen untersucht. Zwei Versuchsteilnehmer (eine Frau und ein 139


Mann) reagierten im Verlauf dieser Studie mit einem akuten Angstanfall vom Typ Panikattacke (7). Eine Versuchsteilnehmerin (22 Jahre) erlitt während der Gondelfahrt zur Bergstation Dachstein eine Panikattacke vom Typ „fight and flight“. Während der Gondelfahrt (Abb. 1) werden exakt 1.000 Höhenmeter in ca. 4-7 Minuten überwunden (Türlwand [1.700 m], Hunerkogl [2.700 m] Ramsau Dachstein). Die Analyse der mittels EKG aufgezeichneten Herzfrequenz (HF) zeigte vor

Abb. 1: Positionierung der Probanden in der Gondel

Abfahrt der Gondel einen Sinusrhythmus von 83 Schlägen pro Minute (bpm); während des Angstanfalls entwickelte sich eine kurzzeitige Sinustachykardie mit bis zu 160 bpm. Nachfolgende Abbildung illustriert den Verlauf der HF während der Gondelfahrt (Abb. 2): Die zweite Versuchsperson (37 Jahre) erlitt während der Testbatterie (bestehend aus Ruhephasen, mentaler und ergotroper Belastungsphasen) im Labor der Bergstation (Abb. 3) eine Panikattacke. Obwohl dieser Proband die Testbatterie auf Grazer Seehöhe ohne Auffälligkeiten absolvierte, erlitt er unter Hypoxiebedingungen in der Bergstation Dachstein einer Panikattacke, infolge dessen die Herzfrequenz von 70 bpm anstieg. Das zeitgleich ermittelte Schlagvolumen stieg von einem Ruhewert 140


Abb. 2: Anstieg der Herzfrequenz zwischen 2. und 3. Minute der Gondelfahrt

(gemessen während der Ruhephase) auf 29 bpm (während des Anfalls) abfiel. Auch die kontinuierlich gemessenen Blutdruckwerte zeigten zunächst während des Angstanfalls einen Abfall von 116/82 mmHg auf 93/67 mmHg, wobei in nerhalb der darauffolgenden Minute der Blutdruck wieder auf 131/115 mmHg

Abb. 3: Durchführung der Testbatterie im Labor der Bergstation Dachstein (2700 m) 141


von 80 ml auf 120 ml an (7). Beide Fälle können als Angstanfallsreaktionen (Typ Panikattacke) beschrieben werden. Die weibliche Versuchsperson, welche eine „fight and flight“-Reaktion (starke

Abb. 4: EKG vor der Panikattacke (Ruhephase)

Abb. 5: EKG während der Panikattacke

Aktivierung) zeigte, war in Bezug auf ihre Persönlichkeitsstruktur (Freiburger Persönlichkeitsinventar; FPI-R) überdurchschnittlich erregbar, empfindlich, unbeherrscht, angespannt, überfordert, sich oft im Stress fühlend, sich schonend, gesundheitsbewusst aber auch emotional labil und empfindlich, was mit einer hohen Ängstlichkeit (Messinstrument: STAI) vergesellschaftet als psychophysiologische Vulnerabilität interpretiert werden kann. Bei der männlichen Versuchsperson zeigte sich lediglich der Parameter „Gesundheitssorgen“ außerhalb der Norm erhöht, was mit einer erhöhten kognitiven Bereitschaft zur Körperwahrnehmung (besorgte Wahrnehmung von Körpersignalen) interpretiert wurde (7).

PSYCHOPHYSIOLOGISCHE ANGSTREAKTIONEN UND HÖHE Roth et al. beschrieben in ihrer Arbeit sehr ausführlich die Zusammenhänge zwischen Panikattacken und Höhenexposition. „People exposed to high altitudes often experience somatic symptoms triggered by hypoxia, such as breathlessness, palpitations, dizziness, headache, and insomnia. Most of the symptoms are identical to those reported in panic attacks or severe anxiety. Potential causal links between adaptation to altitude and anxiety are apparent in all three leading models of panic, namely, hyperventilation (hypoxia leads to hypocapnia), suffocation false alarms (hypoxia counteracted to some extent by hypocapnia), and cognitive misinterpretations (symptoms from hypoxia and hypocapnia interpreted as dangerous)” (11). Morton bestätigt diese Beobachtung mit weiteren Daten, die belegen, dass psychophysiologische Reaktionen bei Drachenfliegern mit dem Grad an Ängstlichkeit assoziiert sind. „Even among experienced pilots, high heart rates are more a function of state anxiety than physical work demand” (13). 142


Aus der Sicht der aktuellen Forschung kann angenommen werden, dass die durch Hypoxie induzierte Hyperventilation über die Hypokapnie zu Symptomen wie beispielsweise Schwindel, erhöhte Herzfrequenz, Muskelkrämpfe führt (8, 10). Interessant ist, dass sich die eben genannten Symptome auch bei Angst- und Panikattacken zeigen können (11). Clark et al. formulierten diesbezüglich 1985 das kognitive Missinterpretationsmodell, bei dem davon ausgegangen wird, dass Personen somatische Symptome wie beispielsweise eine erhöhte Herzfrequenz und Dyspnoe als Warnsymptome für eine kurz bevorstehende (die eigene Gesundheit bedrohende) Katastrophe missinterpretieren. Diese fehlgeleitete Bewertung körperlicher Symptome kann zu einem noch intensiveren Angsterleben und einer weiteren Symptomverstärkung führen, wobei der entstehende Circulus vitiosus durch Intensivierung der erlebten Bedrohung zu einer Panikattacke führen kann (11, 14). Wie die oben angeführten Kasuistiken zeigen, dürften auch Persönlichkeitscharakteristika in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, wobei eine durch eine ungünstige psychologische Ausgangslage reduzierte Resilienz durch weitere Stressexposition (z. B. hypobare Hypoxie) das Erreichen der Schwelle zum Auslösen einer Angst- bzw. Panikattacke begünstigen könnte. Für die zukünftige Forschung sollte festgehalten werden, dass es auch eine „biopsychosoziale Höhenforschung“ unter Berücksichtigung von intraindividuellen Resilienzfaktoren braucht. Ein solcher Forschungsschwerpunkt sollte die Interaktionen der parallel verschalteten Systemebenen mit empirischen Daten untermauern.

LITERATUR (1)

Egger J.W. Das biopsychosoziale Krankheitsmodell – Grundzüge eines wissenschaftlich begründeten ganzheitlichen Verständnisses von Krankheit. Psychol Med 2005;16(2):3-12.

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Robb Waanders

AMS 2F : Die verkannte Belastungsreaktion AMS2F: The Unrecognized Stress Reaction

SUMMARY The term Acute Mountain Sickness (AMS) has a long tradition. It first appeared as „mal de montagne“ or „Bergkrankheit“ around 1850, and according to the Zeitgeist of the nineteenth century reflects an infirm constitution and/or fearsome attitude. Meanwhile several risk factors that may be conducive to the development of AMS have been identified. So far the evidence supports a key role for the central nervous system, the essential mechanism suspected to be anywhere between physiological brain swelling and an individual disposition. In the sixties and seventies of the 20th century certain authors assumed AMS to be the natural response of the body to stress-related processes in the central nervous system. At high altitude the organism has to deal with physiological and psychological stressors. Hypoxemia, by its nature a severe stress-trigger, counts as primary elicitor for the symptoms of AMS. A theme of fundamental interest concerns individual vulnerability to AMS. Beyond 2500 meter altitude, about two-thirds of un-acclimatized subjects will not present manifest adaptation symptoms to hypoxemia. What makes a “resistant character” different from individuals reacting with AMS? A growing number of studies firmly indicate AMS to be the expression of a neuro-psycho-somatic stress response to mild oxygen deprivation. There is ample evidence that the scale of AMS felt by the individual matches the neurotic-anxiety-trait of the subject. Under the pressure of stressors or adverse environmental conditions the anxiety-temper is mediated by limbic circuitry, the dimension of limbic activation being under control of the genotype: carriers of the dominant short allele of the serotonin transporter gene SERT (5-HTTLPR) have increased anxiety-related amygdalae reactivity leading to elevated vulnerability to stress and risk of depression. 145


In the context of neurotic disorders, as a special kind of reactions to severe stress and adjustment (F43), the features of AMS allow a classification in ICD10, Chapter V. The stressful events or the continuing unpleasant circumstances are the primary and overriding causal factor, and the disorder would not have occurred without their impact. AMS should be understood as acute hypoxic stress reaction, a transient disorder, that develops in an individual without any other apparent mental disorder in response to exceptional physical and mental stress and that usually subsides within hours or days. Keywords: hypoxemia, mild AMS, stress reaction, limbic system, neurotic trait, ICD-10

ZUSAMMENFASSUNG Der Begriff Bergkrankheit (engl.: Acute Mountain Sickness oder AMS) geht auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück und reflektiert den damaligen Zeitgeist: Bergkrankheit steht dabei stellvertretend für persönliche CharakterSchwäche und bergsteigerische Unfähigkeit. Mittlerweile sind diverse Risikofaktoren bekannt, die zur Entstehung der AMS beitragen. Der kausale Faktor jedoch, ein zentralnervöser Prozess, wird meistens unspezifisch als individuelle Disposition beschrieben. Bereits in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nahmen bestimmte Autoren an, dass AMS die natürliche Antwort des Körpers auf Vorgänge im ZNS darstellt und machten Stress für die Symptome der AMS verantwortlich. Auf den Organismus wirken in der Höhe verschiedene Stressoren ein, die physiologischer und teilweise psychologischer Natur sind. Hypoxämie ist ein starker Stressauslöser und gilt als Primärfaktor bei der Entstehung von AMS. Von zentraler Bedeutung ist die grundlegende Frage nach der individuellen Vulnerabilität für AMS. Zwei Drittel aller Personen entwickeln nach dem Überschreiten der Schwellenhöhe kaum oder gar keine Symptome der akuten Bergkrankheit. Was unterscheidet diese „resistenten“ Personen von jenen, die auf den reduzierten Sauerstoffpartialdruck der Atemluft mit AMS reagieren? Eine Reihe von Untersuchungen belegt, dass AMS der Ausdruck einer neuropsycho-somatischen Belastungsreaktion ist, bei der das Ausmaß an erlebter AMS-Symptomatik mit der Ausprägung des neurotisch-ängstlichen Temperaments des Individuums korreliert. Ein limbischer Schaltkreis vermittelt dieses Temperament unter Einwirkung von Stressfaktoren und aversiven Umwelteinflüssen. Das Ausmaß der Aktivierung wird vom Genotyp beeinflusst: Die evolutionär dominante Kurz-Allel-Variante des SERT-Gens erhöht die Nervenzellaktivität der Amygdala, indem sie die Entwicklung und Funktion 146


des cingulären Feedback-Kreislaufs zur Amygdala reduziert, was zu erhöhter Ängstlichkeit und Stress-Anfälligkeit führt. Im Rahmen der internationalen Klassifikation ICD-10 lassen sich die Besonderheiten der AMS in Kapitel V im Kontext der neurotischen Störungsbilder als spezielle Form der Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen F43 einordnen. AMS sollte als hypox. Belastungsreaktion verstanden werden, als eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche Belastung entwickelt und gewöhnlich innerhalb von zwei bis drei Tagen abklingt. Schlüsselwörter: Hypoxämie, akute Berg- und Höhenkrankheit, Stress, limbisches System, neurotisches Temperament, ICD-10

EINFÜHRUNG Im Jahre 1845 nahm Auguste Lepileur ausführlich Bezug auf die bisher vorliegenden Beschreibungen aus Europa, Südamerika und dem Himalaja und prägte den Begriff „mal de montagne“ (1), um die im Laufe der Jahrhunderte geschilderten körperlichen und seelischen Symptome, die mit einem Aufenthalt in großen Höhen einher gehen können, zu benennen. Die erste, komplett der Bergkrankheit gewidmete Monographie, „Die Bergkrankheit oder der Einfluss des Ersteigens großer Höhen auf den thierischen Organismus“, erschien neun Jahre später aus der Feder des Zürcher Arztes Conrad Meyer-Ahrens (1). Resümee: Wer an der Bergkrankheit leidet, ist kein fähiger Alpinist. Die „mal de montagne“ (engl.: Acute Mountain Sickness oder AMS) ist Ausdruck einer persönlichen Charakter-Schwäche, die es bestenfalls zu überwinden gilt. Frühe Psychosomatiker identifizierten Höhenangst und persönliche Unfähigkeit als Ursache der von den Betroffenen „eingebildeten Krankheit“. Der Beginn der wissenschaftlichen Feldforschung geht auf das Jahr 1889 zurück, als in Basel der erste internationale Physiologenkongress durchgeführt wurde. Die rasante Entwicklung von Wirtschaft und Technik am Ende des 19. Jahrhunderts, sowie der einsetzende Alpentourismus regten Angelo Mosso, Nathan Zuntz und Hugo Kronecker dazu an, im Rahmen von groß angelegten Forschungsexpeditionen systematisch neue Erkenntnisse zu sammeln und Theorien über die Ursache der Bergkrankheit zu entwickeln (1). An der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert vermutete Mosso aufgrund seiner Beobachtungen auf der Capanna Regina Margherita im Monte-Rosa-Massiv eine „Vagus-Paralyse“ als Auslöser der Bergkrankheit bei anfälligen Personen (1). Auch gut einhundert Jahre nach Mossos bahnbrechender Arbeit ist die Frage, was das Gehirn und die menschliche Psyche mit der Entstehung und den Ei147


genheiten der „mal de montagne“ zu tun haben, nicht im Detail beantwortet und wird in Expertenkreisen intensiv und teilweise kontrovers diskutiert. After more than 100 years of investigation, little is yet known about the fundamental causes of the headache and nausea that are the main symptoms of acute mountain sickness … the evidence supporting a ... focus to the role of the central nervous system in AMS. (2) Ein Thema von zentraler Bedeutung, das es dabei zu klären gilt, betrifft die grundlegenden Ursachen der individuellen Vulnerabilität für die AMS. Nicht ein jeder, der die Schwellenhöhe von 2500 Metern Seehöhe überschreitet, bekommt automatisch die „mal de montagne“. In einer randomisierten Gruppe von Jugendlichen und Erwachsenen entwickeln nur ca. ein Drittel der Individuen die Symptome der AMS nach einem raschen Aufstieg in große Höhe (3). Zu den bekannten Risiko-Faktoren zählen die Aufstiegsrate, die absolut erreichte Höhe, das Geschlecht, das Alter, die permanente Wohnhöhe, Fettleibigkeit, körperliche Fitness, der Grad der Ermüdung, das Ausmaß an Vorakklimatisation und – last but not least – die individuelle Disposition (4). Auf die Frage, was diese „individuelle Disposition“ ausmacht, gibt es bislang keine schlüssige Antwort. Die Hinweise aus über 100 Jahren Forschung verdichten sich jedoch eindeutig in Richtung eines „brain based“ Faktors.

FUNktIoNEllE ASYMMEtRIE Die rechte Hirnhälfte (RCH) ist gewöhnlich ein wenig größer und schwerer als die linke Hemisphäre (LCH) und hat mehr weiße Substanz als die LCH. Weiters weisen die Temporallappen eine ausgeprägte Asymmetrie auf. Diese Temporallappen-Asymmetrie entspricht der funktionellen Asymmetrie des Thalamus im Diencephalon. Die Valenz-Hypothese stellt fest, dass die LCH dominant ist für positive und die RCH dominant für negativ getönte Emotionen und Empfindungen. Dies gilt sowohl für die Wahrnehmung, als für den Ausdruck. Dabei betrifft die Überlegenheit der RCH eher basale Aspekte wie die autonomen Reaktionen auf emotionale Stimuli und Stressoren. Diverse Untersuchungen belegen eindeutig die Aktivierung der RCH durch aversive Einflüsse. Bereits Säuglinge, denen Zitronensaft eingeflößt wird, reagieren auf die beißende Flüssigkeit mit einer Zunahme der Hirnstromaktivität in der rechten Hirnhälfte (5). Patienten mit rechtshirnigen Läsionen tolerieren 148


Schmerzen länger als Kontrollpersonen im Vergleich mit linkszerebral geschädigten Patienten (6-8). Der rechte Thalamus wird durch negative Erlebnisse intensiver aktiviert als der linke Thalamus. Die Amygdala, eine limbische Struktur im anterioren Teil des Temporallappens und das Zentrum der angeborenen affektiven Funktionen zeigt eine vergleichbare Asymmetrie. Sie steht unter starkem serotonergem Einfluss und ist mit der Verarbeitung negativer Emotionen assoziiert (9). Stressfaktoren führen durchwegs zu einer deutlich stärkeren Aktivierung der rechten Amygdala (10). Pezawas et al. (11) konnten in MRI-Studien zeigen, dass das Serotonin Transporter Gen SERT die Vulnerabilität für Angststörungen erhöht, indem es einen limbischen Schaltkreis in der Entwicklung und Funktion beeinflusst, der negative Emotionen verarbeitet. Die Rede ist von einem Schaltkreis, der die Amygdala mit dem rostralen Anteil des vorderen Cingulären Cortex verbindet und in der Präsenz von aversiven Umwelteinflüssen ängstliches Temperament vermittelt (11). Die evolutionär dominante und daher häufigere Kurz-Allel-Variante S des SERT-Gens erhöht die Nervenzellaktivität der Amygdala, indem sie die Entwicklung und Funktion des cingulären Feedback-Kreislaufes zur Amygdala reduziert, was wiederum zu erhöhter – mehr oder weniger ungebremster – Aktivität in der Amygdala und in der Folge zu erhöhter Ängstlichkeit führt, was sich auf der Verhaltensebene durch erhöhten Neurotizismus ausdrückt (9). Die Kurz-Allel-Variante des SERT-Gens verdoppelt das Risiko, an einer Angst-, Belastungs- und Anpassungsstörung oder einer Depression zu erkranken, falls die Träger starken Stressoren bzw. aversiven Umwelteinflüssen ausgesetzt sind!

BElAStUNGSREAktIoN UNd HöHEN-ANpASSUNGSStöRUNG AMS wird im Allgemeinen als ein Zustand des „krank“ bzw. unwohl seins, ausgelöst durch Sauerstoffmangel in großer Höhe, gesehen. Die akute Bergkrankheit wird meistens in direktem Zusammenhang mit Hypoxie und einer hypoxischen Hirnschwellung gestellt. Problematisch an diesem Modell ist jedoch, dass eine hypoxische Hirnschwellung die beträchtlichen inter-individuellen Unterschiede in der AMS-Vulnerabilität nicht oder nur ungenügend zu erklären vermag (12). Circa zwei Drittel aller Personen entwickelt innerhalb weniger Stunden nach dem Überschreiten der Schwellenhöhe kaum Symptome (AMS-Score < 3) der akuten Bergkrankheit (3). Was unterscheidet diese „resistenten“ Personen von jenen, die auf den reduzierten Sauerstoffpartialdruck der Atemluft mit AMS reagieren? 149


Rivolier (13): The climber encounters several stressors; the neuropsychological stress behaviour depends upon the subject‘s personality as a whole, which is related to individual affective, cognitive, psychophysiological and biochemical characteristics, and upon the subject‘s own experience (the existential) in fighting the environment. In summary, the limbic system sets up the physiological determinism of the response to stress in order to lead to the adaptation of the subject…The physical signs of stress responses are close to the symptoms of anxiety. Verschiedene Untersuchungen belegen mittlerweile, dass AMS der Ausdruck einer neurotisch-ängstlichen, d. h. neuro-psycho-somatischen Belastungsreaktion ist, bei der das Ausmaß an erlebter AMS-Symptomatik mit der Ausprägung des neurotisch-ängstlichen Temperaments des Individuums korrespondiert (14, 15). Anders gesagt, AMS, die akute Höhenkrankheit ist primär das Resultat von zwei unabhängig operierenden Faktoren [AMS2F]: erstens der individuellen Persönlichkeitsdimension Angst vor Kontrollverlust (ANXT) und zweitens dem Stressor Sauerstoffmangel bzw. der sich daraus ergebenden Hypoxämie, hier HYPOX genannt: AMS2F = ANXT + HYPOX. Der erste Faktor, die neurotisch-ängstliche bzw. neuro-psycho-somatische Veranlagung bewirkt, dass sich eine bestimmte Belastung, ein Stressor in Form von psycho-somatischen Beschwerden ausdrückt und bemerkbar macht. Diese Beschwerden und Symptome sind realer Natur und die Folge einer vorbestehenden innerpsychischen, limbischen Anspannung. Je größer die innerpsychische Anspannung, umso ausgeprägter sind die vom Individuum unter Einwirkung eines aversiven Umwelteinflusses an sich selbst erlebten Symptome. Das Ausmaß an neurotischer Anspannung kann mit Hilfe des Selbstbeurteilungsfragebogens Trait Anxiety Inventory bestimmt werden (16). Der geschlechts- und altersspezifische Prozentrang Angst als Eigenschaft, kurz ANXT korreliert unter HYPOX in hohem Maße mit den vom Individuum bei sich wahrgenommenen Symptomen der AMS. In zwei Feldstudien wurden Korrelationskoeffizienten von 0,74 und 0,82 gefunden (Abb. 1a, 1b), hoch signifikante Werte, die für einen direkten Zusammenhang zwischen den Variablen ANXT und AMS sprechen (14, 15). Der Prozentrang ANXT (PR-X2 im TAI) repräsentiert das individuelle neurotisch-ängstliche „Tuning“ des limbischen Systems. Ein niedriger ANXT-Wert steht für ein geringes neurotisches Tuning bzw. für eine geringe neurotischängstliche Veranlagung. Personen mit niedrigem ANXT-Wert entwickeln 150


AMS-Score Imja-Team (PSP-2002)

Abb. 1a: Legende – Abkürzungen siehe Tab. 1 Korrelation ANXT-Faktor und LLS-AMS-Score im Imja Tse Team (r = 0,74; p < 0,01). Die Y-Achse repräsentiert das durchschnittliche Ergebnis des Abendprotokolls (Foto: R. Waanders)

AMS-Score (CHULU WEST-2008)

Abb. 1b: Legende – Abkürzungen siehe Tab. 1 Korrelation ANXT-Faktor (Prozentrang) und LLS-AMS-Score im Chulu West Team (r = 0,82, t = 5, p < 0,001). Die Y-Achse repräsentiert das durchschnittliche Ergebnis des Abend- und Frühprotokolls (Foto: D. Neumann) 151


unter Einfluss eines Stressors wie HYPOX keine körperlichen (neuro-psycho-somatischen) Beschwerden und somit auch keine AMS. Personen mit höherem ANXT-Wert dagegen entwickeln und registrieren unter Einfluss von HYPOX somatische Beschwerden entsprechend AMS. Das individuelle Ausmaß an neurotisch-ängstlicher Veranlagung, ANXT ist dabei als Hauptfaktor ausschlaggebend für das Ausmaß der körperlichen Symptome und Beschwerden. Das Ausmaß an subjektiv erlebter Acute Mountain Sickness ist unter Einwirkung des Stressors HYPOX die direkte Folge des neurotisch-ängstlichen Temperaments. AMS ist eine (meistens) verkannte Stress- und somit Belastungsreaktion. Dabei gilt, dass körperliche Stresszeichen und Symptome der Angst phänomenologisch ähnlich sind (13).

EIN ModEll

Große Höhe geht mit einer Reduktion des Sauerstoffpartialdrucks der Atemluft einher. Die daraus resultierende Hypoxämie gilt als starker Stressor für das ZNS. Im Rahmen von Projekt Silberpyramide wurde überprüft, ob sich das EEG unter Hypoxämie als prädiktiver Marker für das Auftreten von AMS eignet. Mit jeweils 24 Elektroden, angeordnet nach dem internationalen 1020-System, untersuchten Feddersen et al. (17) 32 Personen auf 3450 m und 5050 m Höhe. Gut ein Drittel der Probanden, nämlich jene zwölf, die auf 5050 m Symptome der AMS entwickelten (AMS-Summe ≥ 3), reagierten unter hypoxämischen Bedingungen in 3450 m mit einem signifikanten Anstieg der Delta-Aktivität (T4-Elektrode) in der rechtstemporalen Region, während bei den anderen Personen (non-AMS) eine Abnahme der rechtstemporalen Delta-Aktivität im Powerspektrum verzeichnet wurde. Zusätzlich kam es bei den AMS-anfälligen Personen zu einem signifikanten Anstieg des Blutflusses in der rechten A. cerebri medialis von 51 cm/s in Baselinehöhe (100 m) auf 58 cm/s in 3450 m und 71 cm/s in 5050 m Meereshöhe (18). Die linksseitigen Flusswerte stiegen nicht an. Eine Quantifizierung der regionalen Sauerstoffsättigung (rSO2) mittels transkranieller Nahinfrarot-Spektroskopie zeigte neben der zu erwartenden generellen Reduktion der cerebralen Sättigung eine Umkehrung des unter Normoxie bestehenden Musters: unter Hypoxämie wurde initial eine höhere Sauerstoffsättigung in den Gefäßen der rechten Hemisphäre gemessen (19). Nachdem sich die Personen an die Höhe angepasst hatten – meistens nach 24 bis 48 Stunden – normalisierte sich das Muster wieder und die LCH zeigte die bessere Sauerstoffsättigung. Die ZNS-Antwort auf Hypoxämie gliedert sich in zwei unabhängige Reaktionen. Zum einen kommt es zu einer lokalen Hirnschwellung, von der AMS152


vulnerable und AMS-resistente Individuen gleichermaßen betroffen sind (12). Die Hirnschwellung stellt somit nicht den kausalen Faktor dar, der die Symptome der AMS auslöst. Zum anderen führt HYPOX zu einer individuell unterschiedlich stark ausge-

Abb. 2: Legende – Abkürzungen siehe Tab. 1 Schematische Darstellung des NAT-Regel-Systems; Position vom NAT-Regler in Abhängigkeit der kombinierten links- und rechtsseitigen cingulo-amygdalen Interaktionen; L=links-, R=rechtszerebral

Abb. 3a oben; Abb. 3b unten: Legende – Abkürzungen siehe Tab. 1 In Abhängigkeit von der Position des limbischen NAT-Reglers löst ein STRESSOR eine dementsprechend dosierte Belastungsreaktion aus. 3a: allgemeines Modell; 3b: die Beziehung zwischen dem Stressor HYPOX und der Acute Mountain Sickness; rot steht für starke, gelb für mittelschwere und grün für schwache (hypox.) Belastungsreaktion; siehe auch Tab. 1 153


prägten Aktivierung der rechten Hirnhälfte. Der zentrale Mechanismus umfasst neben dem anterioren Temporallappen die tiefen, limbischen Strukturen des Thalamus-Hypothalamus, des Corpus amygdaloideum (Mandelkern) und des Hippocampus. Ein cingulo-amygdaler Regelkreis im limbischen System vermittelt neurotisch-ängstliches Temperament, kurz NAT (Abb. 2). Dieses Modul hält in seiner Funktion als NAT-Controller eine neurotisch-ängstliche, zentral-nervöse Anspannung, ANXT, bereit und wird von einem Stressor aktiviert (Abb. 3a). Im Falle von AMS ist HYPOX der auslösende Stressor (Abb. 3b). Das Ausmaß der Aktivierung wird vom Genotyp beeinflusst: Die evolutionär dominante und daher häufigere Kurz-Allel-Variante des SERT-Gens erhöht die Nervenzellaktivität der Amygdala, indem sie die Entwicklung und Funktion des cingulären Feedback-Kreislaufs zur Amygdala reduziert, was wiederum zu erhöhter Aktivität in der Amygdala und in der Folge zu erhöhter Ängstlichkeit und Stressanfälligkeit führt. Die Aktivierung der rechtshirnigen Strukturen der Fight-or-Flight-Stressachse hat eine vegetative bzw. neuropsychosomatische Symptomatik zur Folge (14, 15). In der Höhe ist uns diese Symptomatik unter dem Namen Acute Mountain Sickness, Höhen- bzw. Bergkrankheit bekannt. Bei dieser „Krankheit“, deren Namensgebung auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgeht, haben wir es ihrem Wesen nach mit einer Störung zu tun, welche nach der ICD-10 Klassifikation (20) eng mit dem Formenkreis der Belastungs- und Anpassungsstörungen F43 bzw. F43.0 verwandt ist; siehe unten angeführte Abb. ICD-10: Neurotic, stress-related and somatoform disorders (F40-F48) hypox. stress reaction

acute stress reaction

F9

F43.0X

F43.0

F8 F7 F6 F5

AMS

F4

F43.1

F40

F41

F42

F3 F0-F2 F Chapter V ICD-10

154

F43

F43.2

F43.8

F43.9

F44

F45

F48

F45.3

F45.33


Bei der akuten Belastungsreaktion handelt es sich um „eine vorübergehende Störung von beträchtlichem Schweregrad, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche körperliche und/oder seelische Belastung entwickelt und im allgemeinen innerhalb von Stunden bzw. zwei bis drei Tagen abklingt.“ So gesehen, würde „hypoxämisch-hypoxische Belastungsreaktion“ (engl. hypoxemic-hypoxic stress reaction oder hypox. stress reaction, HSR) eine zeitgemäße und passende Bezeichnung für Acute Mountain Sickness sein! Die HSR stellt dabei eine spezifische, durch HYPOX hervorgerufene Ausprägung der akuten Belastungsreaktion F43.0 dar und könnte im Rahmen der ICD-10 Klassifikation der WHO mit F43.0X kodiert werden.

Abkürzungen AMS steht für Acute Mountain Sickness nach dem Lake Louise Consensus von 1992 AMS2F steht für ein zwei-Faktoren-Modell zur Erklärung von AMS ANXT steht für Trait-Anxiety bzw. für die Persönlichkeitseigenschaft Angst als Eigenschaft (16) bzw. für neurotisch-ängstliches Temperament; auf der physiologischen Ebene steht ANXT für neurotisch-ängstliche Anspannung HSR steht für hypoxämisch-hypoxische Belastungsreaktion (engl.: hypox. stress reaction) HYPOX steht für den vitalen Stressor Sauerstoffmangel (Hypoxämie-Hypoxie) NAT steht für neurotisch-ängstliches Temperament (engl.: neurotic anxious temperament) NAT-Regler steht für einen limbischen Schaltkreis, der unter Einwirkung von Stressoren und Belastungen neurotisch-ängstliches Temperament vermittelt SERT steht für das Serotonin-Transporter-Gen SERT-LL steht für die lange Variante des Serotonin-Transporter-Gens (LL-Genotyp) S-Carrier steht für die kurze Variante des Serotonin-Transporter-Gens (LS-& SS-Genotyp) VNS steht für das Vegetative Nervensystem Tab. 1 155


LITERATUR

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158


C h r i s t o ph Guger, Markus Tannheimer, Florian Brenner, Wolfgang Domej

Changes of ECG, Oxygen Saturation, Lake Louis Score and Concentration Performance on Kilimanjaro, Elbrus, Mt. McKinley and Huascaran Änderungen des EKGs, der arteriellen Sauerstoffsättigung, des Lake Louis Score sowie der Konzentrationsfähigkeit am Kilimanjaro, Elbrus, Mt. McKinley und Huascaran

SUMMARY ECG parameters such as heart rate (HR) and heart rate variability (HRV), the Lake Louise Score (LLS) or oxygen saturation are common tools to investigate the effects of high altitude on the human body. Beside these parameters, mental processing performance at altitude is also of interest. The present study used the d2 test to quantify the effect of altitude. It is a standard instrument for quantifying concentration, speed and attention in clinical and other settings. The d2-test was performed in groups of 4 to 10 persons on Mt. Kilimanjaro, Mt. McKinley, Huascaran and Elbrus. On Kilimanjaro/Elbrus the concentration performance (CP) value decreased initially with an altitude gain from sea level to 3,580 m/2,010 m by 48.5/53.5, and increased again by 18.2/38 after 8/5 days of acclimatization. On McKinley the CP value decreased by 26.8 (from sea level to 4,328 m) within 11 days of acclimatization. On Huascaran the CP value increased from 179.3 (3,100 m) to 236.3 (5,350 m) after 24 days of acclimatization. The concentration performance, error rate and amount of totally processed items changed with altitude and showed acclimatization effects. The advantages of the d2-test are that it can be performed by a whole group at the same 159


time within a few minutes and that it is an additional parameter to quantify successful acclimatization. Keywords: high altitude medicine, Lake Louis Score, d2-test, heart rate

ZUSAMMENFASSUNG EKG Parameter wie Herzrate (HR) oder Herzratenvariabilität (HRV), der Lake Louise Score (LLS) oder die Sauerstoffsättigung werden häufig verwendet, um die Auswirkung der Höhe auf den menschlichen Körper zu beschreiben. Neben diesen Parametern kann auch die Konzentrationsleistungsfähigkeit herangezogen werden. Der d2-Test ist ein Standardtest um Konzentration, Geschwindigkeit und Aufmerksamkeit zu testen. Dieser Test wurde in Gruppen von 4 bis 10 Personen am Mt. Kilimanjaro, Mt. McKinley, Huascaran und Elbrus durchgeführt. Am Kilimanjaro/Elbrus nahm der Konzentrationsleistungswert (CP) mit der Aufstiegshöhe vom Meeresniveau auf 3,580 m/2,010 m um 48.5/53.5 ab und schlussendlich wieder um 18.2/38 zu (nach 8/5-tätiger Akklimatisation). Am McKinley nahm der CP Wert beim Aufstieg vom Meeresnivau auf 4,328 m um 26.8 innerhalb von 11 Tagen ab. Am Huascaran erhöhte sich der CP Wert von 179.3 (3,100 m) auf 236.3 (5,350 m) innerhalb von 24 Tagen. Die Konzentrationsleistungfähigkeit, die Fehlerrate und die Anzahl der verarbeiteten Zeichen änderten sich mit der Akklimatisation. Ein großer Vorteil des d2-Tests ist, dass er simultan von Gruppen ausgefüllt werden kann, und dass er einen zusätzlichen Parameter zur Beschreibung der Akklimatisation liefert. Schlüsselwörter: Höhenmedizin, Lake Louis Score, d2-Test, Herzrate

INTRODUCTION ECG parameters such as heart rate (HR) and heart rate variability (HRV), the Lake Louise Score (LLS) or oxygen saturation are common tools to investigate the effects of high altitude on the human body. It was shown that even with little subjective awareness of the reduced amount of oxygen at an altitude of 2,700 m, the cardiovascular and central nervous systems are already affected (1). A study of 10 subjects on the Hunerkogel (Dachstein) showed that the heart rate (HR) increased from an altitude of 990 m to 2,700 m (1) and heart rate variability (HRV) parameters significantly decreased. With the increase in altitude, the sympathetic system becomes more active than the parasympathetic system. These effects were also shown in a study in a hypobaric chamber at 4,000 and 5,000 m altitude (2, 3), in studies of long-term exposure to altitudes 160


above 4,000 m (4, 5, 6) and in mountaineers at 2,700 m as well as 3,700 m (7). The Lake Louise Score (LLS) is a simplified and standardized scoring system that allows diagnosis and quantification of acute mountain sickness (AMS) in altitude research (8). Currently, it is widely used by mountaineers and trekkers because it is short, has a simple format and is easy to complete. The LLS is sensitive enough to detect AMS, but the very specific scoring also avoids overdiagnosis. Due to reduced atmospheric pressures at high altitude, alveolar oxygen pressure and therefore arterial oxygen saturation (SpO2) are reduced. The resulting lack of oxygen at tissue level is regarded as a crucial trigger mechanism in the development of high altitude illness in hitherto healthy persons. It can easily be measured non-invasively by pulse oximetry and serves as an objective indicator of oxygen delivery to the tissue. Some studies have shown that SpO2 at rest correlates with high altitude symptomatology even at higher altitude and with high altitude performance (9, 10). Beside these parameters, mental processing performance at altitude is also of interest. The present study used the d2-test as instrument to quantify the effect of altitude. It is a standard instrument for quantifying concentration, speed and attention in clinical and other settings (11). The test was originally developed to investigate aptitude for driving a motor vehicle. The subject’s task is to differentiate similar visual symbols as quickly and accurately as possible. The number of correctly processed items is a marker for individual attention and concentration performance. The test lasts approximately 5 minutes and can also be performed simultaneously by groups. Concentration performance was investigated in a study with 8 subjects who climbed Mt. Meru and Mt. Kilimanjaro within 9 days (13). The Mt. Meru (4,566 m) climb was undertaken shortly before the ascent of Mt. Kilimanjaro (5,896 m) to adapt to the altitude. The HR, the LLS, the SpO2 and d2-test score were determined at three points: (i) at 3,500 m on the way up Mt. Meru, (ii) at 4,633 m on the way to Uhuru Peak, and (iii) at sea level in Mombassa. The results show that heart rate and LLS reached their maxima, and the concentration performance its minimum at 3,500 m and not at 4,633 m. Only the SpO2 values were slightly lower at 4,633 m than at 3,500 m. The study showed that the acclimatization hike up Mt. Meru and the acclimatization days before reaching 4,633 m had a positive effect on heart rate, LLS and concentration performance. The d2-test proved to be a very effective and easy tool that can be used by anyone to study the high altitude effect. Within this study the d2-test was administered at Mt. Elbrus, Mt. McKinley 161


and Huascaran to investigate the usefulness of the test under different acclimatization profiles. The d2-test parameters were also compared to HR, LLS and SpO2.

METHODS The d2-test was administered by each member of the group. The test consisted of 14 rows with 47 characters each (total of 658 items), as shown in Figure 1. There was a time limit of 20 seconds for each row. The task was to differentiate the characters d or p with 1 to 4 dashes. Every d with 2 dashes had to be crossed out with a pencil; no other signs should be marked. Each row contained 21 or 22 targets (i.e. characters to be crossed out) in random order. Each row was a small test in and of itself and allowed evaluation of performance over time. The test counted the number of items processed (TN), the percentage of errors (E%), the concentration performance (CP - the number of correctly processed items minus the incorrectly crossed items), the errors (E) and the TN minus E (TN-E) as well as the fluctuation rate (FR). About 5 minutes were needed to complete the test.

Fig. 1: First 3 lines of the d2-test showing the processed items. After arrival at a new altitude the subjects rested at least for 1 hour prior to testing.

The Lake Louise Score questionnaire was then filled out. The questionnaire contained 8 items covering headache, gastrointestinal symptoms, fatigue/ weakness, dizziness, difficulty sleeping, mental status, ataxia and peripheral edema. AMS was present if there was an increase in altitude and the person had headache or at least one of the other symptoms and a total score equal to or above 5. The minimum score indicated that the subject was healthy; the maximum score was 25. Heart rate and SpO2 were measured with a portable device (SPO 5500 P, Graseby Medical Ltd, UK) fixed on the index finger or g.MOBIlab+ (g.tec medical engineering GmbH, Graz, Austria).

RESULTS Figure 2 shows the high profile of the Mt. Elbrus climb done in May 2010 by 4 male subjects (35 - 37 years). The tour started in Moscow with a flight to 162


Mineralny Vody and a bus drive to Azau which is located at 2,010 m. In total the d2-test was performed 3 times by 4 persons. Table 1 shows the results of the d2-test at sea level, at 2,010 m and 3,660 m. The lowest mean CP value of 214.5 was reached at 2,010 m after being two days at this altitude. The positive effect of the acclimatization can clearly be seen with the increase of the CP value to 252.5 after being at altitudes of 2,010 to 4,690 m for 5 days. This CP value is just a little bit lower than the value achieved at sea level (268.0). S1 and S3 show quite a big difference between SL and 3,660 (30 and 12) compared to subjects S2 and S4 (4 and 6). S1 and S3 were slower when climbing the mountain than S2 and S4, and S1 had pro-

Fig. 2: Top: Height profile of the Mt. Elbrus climb: The climb started at 2,010 m near Azau (first measurement point, MP). The second MP was at 3,660 m in the Barrel Camp. This was the last camp before reaching the summit of Elbrus. The third MP was performed at sea level in Moscow 3 days after the climb; bottom: On the summit of Mt. Elbrus and West and East summit. 163


blems reaching the summit. The TN value was also higher and the error rate E lower at 3,660 m compared to 2,010 m indicating the positive effect of the acclimatization. d2 CP

TN

E

LLS

SL

2,010 m

3,660 m

S1 S2 S3 S4 Mean/STD

252 276 252 282 268.0±13.6

190 226 199 243 214.5±24.4

222 272 240 276 252.5 ±25.9

S1 S2 S3 S4 Mean/STD

590 611 624 630 613.8±17.8

466 493 485 556 500.0±39.1

553 606 577 616 588.0±28.6

S1 S2 S3 S4 Mean/STD

16 1 10 1 7.0±7.3

27 3 7 4 10.2±11.3

18 4 7 2 7.8±7.1

S1 S2 S3 S4 Mean/STD

0 0 0 0 0

0 0 1 0 0.25±0.5

2 1 1 0 1±0.8

Tab. 1: Concentration performance, TN and E of the d2-test and LLS at Elbrus for each subject and mean and standard deviation for the group

In July 2006, eight healthy subjects (3 female, 5 male, 31-36 years) participated in the Kilimanjaro study. After an ascent of Mt. Meru for acclimatization, Mt. Kilimanjaro was climbed via the Machame route (Fig. 3). The height profile of the Kilimanjaro climb is shown in Figure 4. The measurements for the experimental studies were performed 3 times: (i) at 3,570 m at Saddle Hut on the way to Mt. Meru; (ii) at 4,633 m in the Barafu Camp on the way to the summit of Mt. Kilimanjaro; and (iii) at sea level in Mombassa.

Fig. 3: Mt. Kilimanjaro, 5,895 m (left: from Mt. Meru) 164


Fig. 4: Height profile of the Mt. Meru and Mt. Kilimanjaro climb. The numbers on the x-axis indicate the day; B – breakfast, L – lunch, D – dinner. The climb started at 1,380 m in Arusha. The first measurement point (MP) was at 3,570 m in the Saddle Hut on the way to Mt. Meru. The second measurement point was at 4,633 m in the Barafu Camp. This is the last camp before reaching the Uhuru Peak (highest summit of Mt. Kilimanjaro). The third measurement was performed at sea level in Mombassa 7 days after the climb.

Table 2 shows the results of the d2-test for all 8 subjects at the three measurement time points. The mean CP value decreased from 242.6 at sea level (SL) to 194.1 at 3,570 m and again increased to 212.3 at 4,633 m. The maximum CP at SL was achieved from S8 (283), at 3,500 m from S6 and S8 (212) and at d2 CP

TN E p< 0.01

**

S1 S2 S3 S4 S5 S6 S7 S8 Mean/STD Mean/STD Mean/STD

SL

3,570 m

4,633 m

209 228 259 184 249 282 247 283 242.6±34.4 605.6±45.2 19.6±36.1

177 180 208 158 211 212 195 212 194.1±20.4** 530.3±37.2** 26.9±33.2**

179 186 245 144 230 244 232 238 212.3.0±37.6** 541.8±54.4** 13.1±18.9**

Tab. 2: Concentration performance of the d2-test at Kilimanjaro for each subject, and mean and standard deviation for the group 165


4,633 m from S3 (245). S4 showed a CP performance that was well under the performance of all other subjects. Most the characters (TN) were processed at SL, followed by 4,633 m and 3,570 m. Most the errors (E) were made at 3,570 m, followed by SL and 4,633 m. Table 3 shows the LLS, the SpO2 and HR response to the different altitudes at Kilimanjaro as grand average of the 8 subjects. The LLS increases from SL to 3,570 m, where it reaches its maximum of 2.0. At 3,870 m it again decreases and finally increases to 1.9 at the highest measurement point of 4,633 m. SpO2 decreases from SL to 3,570 m and slightly increases at 3,870 m before reaching its minimum at the highest point. The HR increases from SL to 3,570 m and then decreases until 4,633 m. LLS S4 SpO2 S4 HR S4 ** p< 0.01

SL 0±0 0 97.1±0.8 97 71.6±10.8 62

2.509 m 0.5±0.8 1 96.1±1.7** 97 79.1±14.7** 75

3.570 m 2.0±1.1 2 88.0±3.2** 90 99.0±12.3** 83

3.870 m 0.5±0.5 0 88.3±2.1** 90 82.3±10.3** 75

4.633 m 1.9±1.0 3 82.0±3.5** 86 79.3±12.6** 78

Tab. 3: Grand average (for all subjects and S4) of LLS, SpO2 and HR at Kilimanjaro

In May 2008 12 subjects climbed Mt. McKinley and participated in the study (all male). The height profile is given in Figure 5. The initial d2-test was performed in Talkeetna and the second one at base camp.

Fig. 5: Height profile of the Mt. McKinley climb. The climb started at 137 m and the first d2-test was performed at this height. The second measurement point was at 4,328 m in the last camp before reaching the summit. 166


Table 3 shows the CP, TN and E values for the different altitudes. The mean CP value decreased from 204.8 at 137 m to 178.0 at 4,328 m significantly. The minimum CP value was 143 at 4,328 m. The maximum CP value was 291 at 137 m. At 137 m TN was larger and E was lower than at 4,328 m. d2CP

S1 S2 S3 S4 S5 S6 S7 S8 S9 S10 S11 S12 Mean/STD Mean/STD Mean/STD

TN E p< 0.01

**

137 m

4.328 m

216 185 210 191 174 198 212 167 291 199 175 239 204.8±34.0 513.3±66.6 14.2±15.4

235 147 176 162 144 153 197 145 247 165 143 222 178.0±37.9** 459.2±75.3** 20.3±15.3

Tab. 4: Concentration performance of the d2-test at McKinley for each subject and mean and standard deviation for the group

d2 CP

TN E SpO2

HR

LLS

3,100 m

4,330 m

3,100 m

5,350 m

S1 S2 S3 S4 S5 S6 Mean/STD

249 167 171 147 197 145 179.3±39.0

289 202 253 166 245 200 222.5±42.8

281 198 251 166 231 210 222.8.0±40.6

293 212 275 179 232 227 235.3.0±41.7

Mean/STD

471.7±86.9

539.8±75.7

542.5±73.6

563.3±70.1

Mean/STD

19.5±12.4

7.8±5.2

11.8±5.0

10.5±6.1

Mean/STD S2 S6

92.3±2.3 93 92

83.2±3.8 81 80

93.8±1.2 93 93

85.3±5.0 80 90

Mean/STD S2 S6

63.5±10.2 71 51

80.7±13.6 86 97

74.2±8.9 66 70

79.3±6.0 84 80

Mean/STD S2 S6

1.0±1.3 1 0

1.8±1.5 3 2

0.3±0.8 0 0

0.6±0.9 2 0

Tab. 5: Concentration performance, TN, E of the d2-test and SpO2, HR and LLS at Huascaran for each subject and mean and standard deviation for the group 167


Fig. 6: Height profile of the Quitarraju, Alpamayo, Chopiqualqui and Huascaran climb. The climb started at 3,100 m in Huaraz, where the first measurement point (MP) was. The second measurement point was at 4,330 m in the BC for Quitarraju. The third measurement point was again in Huaraz after coming back from Alpamayo. The last MP was at 5,350 m. This is the last camp before reaching the Huascaran.

In May 2010 6 subjects participated in a study at Huascaran (all male). The first and third measurements were performed in Huaraz before and after acclimatization climbs. The second MP was in the base camp of Quitarraju and the 4th MP was in the high camp before climbing Huascaran as shown in Figure 6. Table 4 lists the results of the d2-test, SpO2, HR and LLS. A comparison of the mean CP performance at 3,100 m shows that the mean improved from 168


179.3 to 222.8 because of the acclimatization within 13 days. The CP improved further to 235.3 after being at altitudes between 3,100 and 6,354 m for 24 days. Interestingly, the lowest performance was 145 of S6 at 3,100 m. S6 improved clearly during the acclimatization to 227. Interesting is also the high performance of S1 at all altitudes, especially during the last 3 MPs. All subjects improved there performance. The lowest mean SpO2, highest HR and highest LLS were at 4,330 m, but a significance analysis could not be performed because of the low number of participants. S1, S3, S4 and S5 climbed all mountains and had minor problems with the altitude. S2 could not climb Alpamayo and showed CP, SpO2-values below and HR and LLS above the average at 4,330 m before the climb. S6 could not climb Quitarraju and showed a CP value and SpO2 value below average and a HR and LLS above average at 4,330 m before the climb.

DISCUSSION Table 6 compares the HR values for different studies performed [Kilimanjaro see (13), Dachstein see (1), Königsbrück see (2), Pakistan see (12)]. All studies have an increased HR from the base station (Low) to the top station (High) in common. Notably, the ascent times and adaptation times were very different. On the Dachstein, the subjects needed only 6 min by cable car to ascend from 990 m to 2,700 m. In Königsbrück, the ascent from 134 m to 4,000 m was completed within 11 hours. This means that the time was longer but the altitude was also higher. On Kilimanjaro, the altitude was 4,640 m but acclimatization extended over 8 days. In Pakistan, the acclimatization period was 16 days. On Huascaran the acclimatization time was even 24 days. What is remarkable is that all these studies nonetheless have a very similar HR response. This shows that a fast ascent to lower altitudes leads to the same values as a slow ascent to higher altitudes and shows the acclimatization effect. Table 7 summarizes the CP changes with the different studies. At Kilimanjaro first the CP was decreased (-48.5) because of the fast gain in altitude within 3 days. CP was 18.2 higher after additional days of acclimatization. At Elbrus it Dachstein Königsbrück Kilimanjaro Pakistan Huascaran

HR Low [bpm]

HR High [bpm]

Altitude

Ascent-time

Group size

69.1 68.9 71.6 66.1 63.5

80.4 81.6 79.3 80.2 79.3

2,700 4,000 4,640 4,480 5,350

6 min 11 h 8d 16 d 24 d

10 10 8 4 6

Tab. 6: Comparison of HR, altitude, ascent-time and group size. 169


was the same picture as at Kilimanjaro just with higher CP values. On Elbrus subjects were adapted better to the altitude after 5 days as on Kilimanjaro. On Mt. McKinley CP decreased to 178.0 within 11 days of acclimatization. This decrease could be seen for almost all subjects. On Huascaran the CP is initially very low because the first measurement was already at 3,100 m, increased by 43.2 after 6 days and further by 13.8 after 24 days. On Huascaran the highest CP values was reached after 24 days of acclimatization. The table shows that the CP values improved after 8 days on Kilimanjaro and 5 days on Elbrus and after 6 days on Huascaran. Interestingly, on McKinley this improvement was not found after 11 days of acclimatization. A reason could be the relatively fast ascent profile on this mountain without coming back to lower altitudes. A recent study on Kilimanjaro showed also that an additional rest day at high altitude does not improve the LLS score in a large group study (14). But the study showed also that a priori acclimatization tour (e.g. Mt. Meru) improved the LLS on Kilimanjaro Tab. (14).7.: Comparison of CP parameters Kilimanjaro Elbrus Mt. McKinley Huascaran

CP Low 242.6 268.0 204.8 179.3

CP High1 194.1 214.5 178.0 222.5

Delta -48.5 -53.5 -26.8 43.2

Ascent 3d 2d 11 d 6d

CP High2 212.3 252.5

Delta 18.2 38

236.3

13.8

Ascent 8d 5d 11 d 24 d

Tab. 7: Comparison of CP parameters

Of special interest is subject S4 of the Kilimanjaro climb, who had a LLS of 2 at 3,500 m and of 3 at 4,640 m, which was in the range of all other subjects. The SpO2 value was 90% and 86% at the two altitudes, which was also in the range of the other subjects or even a little higher (i.e. better). The HR of 83 bpm and 78 bpm was also in the range of the other subjects and even below the average. The CP value was smaller than for the other subjects and decreased from 184 (SL) to 144 (4,633 m). But interestingly, this subject had been taking DiamoxŽ‚ for several days and due to a very severe headache at 4,640 m could not attempt the summit. Jackson showed on Kilimanjaro that acetazolamide did not improve the LLS in a group study (14). On the Huascaran climb S6 is of special interest because his CP value was only 145 initially at 3,100 m. During acclimatization his values return to normal performance. The low values of S4 did not improve much but this shows that it is important to know his CP, TN and E values at sea level to be able to interpret the results at higher altitudes. Summarizing the d2-tests allows to show the effect of acclimatization in groups but also for single subjects. Advantages are that the test can be performed within 5 minutes and can be done with a whole group at the same time. 170


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172


K l e mens Mairer, Maria W ille, Mar tin Bur tscher

Prävalenz und Risikofaktoren der akuten Bergkrankheit in den Ost- und Westalpen Prevalence and Risk Factors of Acute Mountain Sickness in the Eastern and the Western Alps

SUMMARY Acute mountain sickness (AMS) is the most common condition of high altitude illnesses. Its prevalence varies between 15 % and 80 % depending on the speed of ascent, the absolute altitude reached, the level of exertion and the individual susceptibility. Additionally, we assumed that more experienced mountaineers of the Western Alps are less susceptible to develop AMS than recreational mountaineers of the Eastern Alps or tourist populations. Therefore, the main goals of the present study were the collection of data regarding the AMS prevalence and triggers in both the Eastern and the Western Alps using identical methods. A total of 162 mountaineers, 79 in the Eastern Alps (3454 m) and 83 in the Western Alps (3817 m) were studied on the morning after their first night at high altitude. A diagnosis of AMS was based on a Lake Louise Score (LLS) ≼ 4, the presence of headache, and at least one additional symptom. Thirty of 79 subjects (38,0 %) suffered from AMS at 3454 m in the Eastern Alps and 29 of 83 (34,9 %) at 3817 m in the Western Alps. After adjustment to altitude the prevalence in the Western Alps constituted 24,5 % which differed significantly (p = 0,04) from that found in the Eastern Alps. The lower mountaineering experience of mountaineers in the Eastern Alps turned out as the only explaining characteristic for their higher AMS prevalence. Thus, expert advice by mountain guides or experienced colleagues could help to reduce the AMS risk in those subjects. Keywords: acute mountain sickness, mountaineering experience, migraine, fluid intake, populations 173


ZUSAMMENFASSUNG Die akute Bergkrankheit (ABK) stellt mit einer Prävalenz von 15 - 80 % ein weitverbreitetes Problem unter Bergsteigern dar. Neben bekannten Risikofaktoren wie der Aufstiegsgeschwindigkeit, der absolut erreichten Höhe, dem Ausmaß der körperlichen Belastung und der individuellen Anfälligkeit für ABK scheint die unterschiedliche alpine Erfahrung eine wichtige Rolle zu spielen. Das Ziel dieser Arbeit bestand daher in der Erhebung der Prävalenz und Risikofaktoren der akuten Bergkrankheit bei wenig erfahrenen Bergsteigern in den Ostalpen sowie erfahrenen Alpinisten in den Westalpen. Während 38,0 % der befragten Personen in den Ostalpen auf 3454 m Symptome der ABK entwickelten, waren es in den Westalpen auf 3817 m nur 34,9 %. Unter Berücksichtigung der Höhendifferenz der beiden Hütten beträgt die Prävalenz der ABK in den Westalpen 24, 5 %, die sich signifikant von jener in den Ostalpen unterscheidet (p = 0,04). Die geringere alpine Erfahrung mit den damit verbundenen Konsequenzen stellt die einzige erklärende Variable für das erhöhte ABK-Risiko der Besucher der Ostalpen dar. Ratschläge und Empfehlungen von Bergführern oder erfahrenen Kollegen zu befolgen, kann somit dazu beitragen, das ABK Risiko deutlich zu reduzieren. Schlüsselwörter: Akute Bergkrankheit, alpine Erfahrung, Migräne, Flüssigkeitsaufnahme, Populationen

EINLEITUNG Die akute Bergkrankheit (ABK) stellt ein weitverbreitetes Problem unter Bergsteigern dar, wobei die Prävalenz der ABK mit zunehmender Höhe linear ansteigt (14, 16). Neben Kopfschmerzen, die das Hauptsymptom der akuten Bergkrankheit darstellen, leiden höhenkranke Personen häufig auch unter Übelkeit, Schwindel, übermäßiger Müdigkeit und Schlafstörungen, die typischerweise 6-36 Stunden nach Ankunft in Höhenlagen über 2500 m auftreten (30). Während die Prävalenz der ABK von Alter und Geschlecht kaum beeinflusst werden dürfte, scheinen Faktoren wie das Ausmaß der körperlichen Belastung, die individuelle Anfälligkeit für ABK, die Aufstiegsgeschwindigkeit sowie die absolut erreichte Höhe wichtige Determinanten zu sein (13, 26). Aufgrund unserer vorangegangenen Arbeit, in der wir in den Ostalpen erhobene Daten mit bereits publizierten aus den Westalpen (14, 26) verglichen, vermuten wir, dass den jeweiligen Untersuchungspopulationen ebenfalls ein bedeutender Einfluss bezüglich der ABK Prävalenz zukommen dürfte (16). Die Ostalpen zeichnen sich durch eine gut ausgebaute Infrastruktur mit gut 174


präparierten Wegen und einem flächendeckendem Hüttennetz, geringen technischen Anforderungen und moderaten Höhen aus. Im Vergleich dazu erfordert das Bergsteigen in den Westalpen, nicht nur aufgrund der größeren Höhen, ein höheres Maß an alpiner Erfahrung und technischen Fähigkeiten. Aufgrund der unterschiedlichen alpinen Gegebenheiten der Ost- und Westalpen nehmen wir an, dass sich die betreffenden Populationen in ihrer alpinen Erfahrung und ihrem Verhalten ebenfalls unterscheiden, was sich wiederum auf die Prävalenz der ABK auswirken dürfte. Der Vergleich mit älteren Studien (13, 14, 26) erweist sich allerdings aufgrund abweichender ABK Scoring-Systeme sowie unterschiedlicher ABK-Definitionen als unzuverlässig. Außerdem haben sich das Wissen sowie das Bewusstsein über höhenbedingte Erkrankungen in den letzten Jahren verbessert, wodurch eine Gegenüberstellung mit historischen Daten zusätzlich erschwert wird. Aus diesem Grund besteht das Ziel dieser Untersuchung in einem Vergleich der ABK Prävalenz und deren Risikofaktoren von Bergsteigern in den Ost- und Westalpen.

METHODIK Die Datenerhebung wurde von den Autoren auf der 3454 m hochgelegenen Erzherzog-Johann Hütte in den Ostalpen und auf der Refuge du Goûter (3817 m) in den Westalpen durchgeführt. Trotz einer absoluten Höhendifferenz von ca. 350 m wurden diese Hütten aufgrund ihrer Ähnlichkeit bezüglich des Aufstiegsprofils und dem zu bewältigenden Höhenunterschied von ca. 1500 Höhenmetern ausgewählt. Die Daten wurden anhand eines Fragebogens erhoben. Neben Personenmerkmalen wie Alter, Geschlecht, Körpergewicht und -größe wurden die Höhe des Wohnorts, Informationen über Flüssigkeits-, Alkohol- und Tabakkonsum, bekannte Erkrankungen (wie z. B. Migräne), der Einsatz von Medikamenten zur Prophylaxe oder Therapie der ABK sowie die Anzahl der vorangegangenen Höhenaufenthalte (der letzten zwei Monate und jährliche Höhenaufenthalte) erhoben. Ein weiterer Block des Fragebogens widmete sich Fragen, die Rückschlüsse auf die körperliche Leistungsfähigkeit und das subjektive Belastungsempfinden während des Aufstiegs auf die Hütte ermöglichten. Eine erhöhte Neigung zu Migräne wurde definiert als mindestens ein Migräneanfall pro Monat. Die alpine Erfahrung leiten wir aus der Anzahl der Tage ab, die die jeweilige Person pro Jahr über 2000 m verbringt. Eine ausreichende Vorakklimatisation wurde nach Schneider et al. (2002) als fünf oder mehr Höhenaufenthalte über 3000 m in den letzten zwei Monaten vor der aktuellen Höhenexposition definiert (26). 175


Das Kernstück des Fragebogens bildet der Lake Louise Score (LLS) zur Bestimmung der akuten Bergkrankheit. Der LLS besteht aus fünf Fragen die von 0 (kein Beschwerden) bis 3 Punkte (starke Beschwerden) bewertet werden können: Kopfschmerzen, gastrointestinale Symptome, Müdigkeit und/oder Schwäche, Schwindel und Schlafstörungen (Roach et al. 1993). Kopfschmerzen plus mindestens ein weiteres Symptom und ein Score von vier oder mehr werden für die Diagnose der ABK vorausgesetzt (15). Der Fragebogen war in Deutsch, Englisch und Französisch verfügbar, so dass alle Teilnehmer in ihrer Muttersprache antworten konnten. Zusätzlich wurden noch die arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2) sowie die Herzfrequenz (Hf) mit Hilfe eines Pulsoximeters (Pulsox-3i, Minolta, Osaka, Japan) bestimmt. Alle Bergsteiger, die am Tag vor der Befragung auf die Hütten aufstiegen und eine Nacht dort verbrachten, wurden gebeten an der Untersuchung teilzunehmen. Die Erhebung selbst wurde am Morgen, bevor die Teilnehmer zu ihrer Tour aufbrachen, durchgeführt (24). Insgesamt konnten 79 Bergsteiger in den Ostalpen und 83 in den Westalpen befragt werden. Aufgrund von unvollständig ausgefüllten Fragebögen kann es zu geringfügigen Differenzen bei den Häufigkeitsangaben und Prozentzahlen kommen. Statistik Die Daten werden als Mittelwerte ± Standardabweichung (SD) oder Häufigkeiten dargestellt. Um Unterschiede zwischen intervallskalierten, normalverteilten Daten zu untersuchen, wurde der Student’s T-Test verwendet. Qualitative und nicht normalverteilte Variablen wurden mit dem Mann-Whitney-U-Test, dem Chi-Quadrat-Test bzw. über Korrelationen nach Spearman analysiert. Zur Bestimmung der Normalverteilung von Variablen diente der KolmogorovSmirnov-Test. Als Signifikanzniveau wurde ein p-Wert von < 0,05 angenommen. Die gesamte Datenanalyse wurde mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS 15.0 durchgeführt.

ERGEBNISSE

Prävalenz der ABK Während 38,0 % der befragten Personen in den Ostalpen auf 3454 m ABK entwickelten, waren es in den Westalpen auf 3817 m nur 34,9 %. Aufgrund der Höhendifferenz von ca. 350 m zwischen den beiden Hütten wurde eine Anpassung basierend auf bereits publizierten Daten vorgenommen (14), wodurch 176


sich eine höhenkorrigierte ABK Prävalenz von 24,5 % für die Westalpen ergibt (Fig. 1), die sich signifikant von jener in den Ostalpen unterscheidet (p = 0,04). Schlafstörungen waren die häufigsten Symptome in beiden Höhenlagen, gefolgt von übermäßiger Ermüdung und Kopfschmerzen, gastrointestinalen Beschwerden und Schwindel. Es konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen Ost- und Westalpen bezüglich der Häufigkeitsverteilung der einzelnen ABK Symptome festgestellt werden (Tab.1). Symptome der ABK

3454 m (n=79)

3817 m (n=83)

p-value

Kopfschmerzen, j/n (%)

44/35 (55,7)

43/40 (51,8)

0,86

Gastrointestinale Beschwerden, j/n (%)

15/64 (19,0)

18/65 (21,7)

0,96

Müdigkeit / Schwäche, j/n (%)

45/34 (57,0)

57/26 (68,7)

0,14

Schwindelgefühl, j/n (%)

11/68 (13,9)

12/71 (14,5)

0,36

Schlafstörungen, j/n (%) Gesamte Anzahl der Symptome, j/n (%)

62/17 (78,5)

71/12 (85,5)

0,52

177/218 (44,8)

205/210 (49,4)

0,24

Tabelle 1. Anzahl Verteilung ja/nein(j/n), (j/n),sowie sowie Häufigkeiten Häufigkeiten (% Tab. 1: Anzahl undund Verteilung ja/nein (%) )der derABK ABKSymptome Symptome in den Ost- (3454 m) und Westalpen (3817 m)

Abb. 1: Höhenabhängige Prävalenz der ABK in den Ostalpen (Mairer et al. 2009) und in den Westalpen (Maggiorini et al. 1993) aus bereits publizierten Studien (durchgezogene Linien). Prävalenz der ABK in den Westalpen vor ■ bzw. nach * der Höhenkorrektur. 177


Charakterisierung der Populationen Keine Unterschiede zwischen den Populationen der Ost- und Westalpen konnten bezüglich des Geschlechts, des Alters, des BMIs, des Tabakkonsums, der Höhenaufenthalte in den vorangegangenen zwei Monaten, der Häufigkeit der 3454 m (n=79) Geschlecht, m / w Alter, Jahre 2

3817 m (n=83)

p-Wert

64/11

63/17

0,29

34,7 (10,4)

36,8 (11,6)

0,23

BMI, kg / m

23,3 (2,0)

23,0 (2,9)

0,48

Höhe des Wohnorts, Meter

443 (302)

576 (418)

0,02*

Rauchen, ja n (%)

9 (11,4)

13 (15,7)

0,43

Alkoholkonsum, g

40,5 (39,3)

7,9 (18,1)

< 0,001*

2,3 (0,8)

1,9 (1,1)

< 0,01*

6 (7,6)

25 (30,1)

< 0,001*

4 (5,1)

10 (12,2)

0,11

Flüssigkeitsaufnahme, Liter Medikamtente zur ABK Therapie/Prophylaxe, ja n (%) Ausreichende Voraufenthalte in den letzten 2 Monaten, ja n (%) Frühere ABK Erkrankung, ja n (%)

25 (31,6)

29 (34,9)

0,66

5 (6,3)

16 (19,5)

0,01*

sehr gut

14 (17,9)

20 (24,4)

gut

56 (71,8)

45 (54,9)

mäßig

8 (10,3)

17 (20,7)

schlecht

0 (0,0)

0 (0,0)

sehr gering

14 (17,7)

7 (8,5)

gering

38 (48,1)

42 (51,2)

mäßig

16 (20,3)

28 (34,1)

stark

11 (13,9)

5 (6,1)

Migräne, ja n (%) Körperliche Leistungsfähigkeit, n (%)

0,07

Subjektives Belastungsempfinden, n (%)

< 0,11

Alpine Erfahrung, Tagen/Jahr, n (%)

0,001*

<5

31 (39,7)

14 (17,5)

5-10

27 (34,6)

22 (27,5)

10-20

11 (14,1)

16 (20,0)

> 20

9 (11,5)

28 (35,0)

Tabelle 2. Charakteristikader der Populationen Populationen der Daten werden als als Tab. 2: Charakteristika derOstOst- und undWestalpen. Westalpen. Daten werden

Häufigkeiten (n) und Prozentanteil (%) oder Mittelwerte mit Standardabweichung dargestellt. * bezeichnet einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. 178


vorangegangenen ABK Erkrankungen, der selbst bestimmten körperlichen Leistungsfähigkeit und dem Ausmaß der körperlichen Belastung durch den Hüttenaufstieg festgestellt werden. Hingegen gaben Bergsteiger aus den Ostalpen einen höheren Wohnort an, konsumierten mehr Alkohol sowie nichtalkoholische Getränke, nahmen prophylaktisch bzw. therapeutisch weniger Medikamente ein, berichteten von einer geringeren Migränehäufigkeit und wiesen eine geringere alpinistische Erfahrung (Bergaktivität pro Jahr) auf (Tab. 2). Risikofaktoren der akuten Bergkrankheit Weder das Alter, das Geschlecht, die Höhe des Wohnorts, der Tabak- bzw. Alkoholkonsum noch die prophylaktische und therapeutische Einnahme von Medikamenten, die vorangegangenen Höhenaufenthalte der letzten zwei Monate, eine bekannte Anfälligkeit für ABK oder die selbst beurteilte körperliche Leistungsfähigkeit erwiesen sich als Risikofaktoren der ABK. Allerdings konnte gezeigt werden, dass die Erkrankungshäufigkeit sowohl in den Ost- als auch in den Westalpen bei Personen mit einer geringen alpinen Erfahrung, starker körperlicher Belastung durch den Hüttenaufstieg und/oder einer bekannte Migräneanfälligkeit signifikant erhöht ist. In den Westalpen stellt sich eine geringe Flüssigkeitszufuhr als weiterer Risikofaktor dar. Außerdem konnte zwischen der alpinen Erfahrung und dem Ausmaß des subjektiven Belastungsempfindens während des Aufstiegs ein negativer Zusammenhang in beiden Regionen festgestellt werden (Ostalpen: p < 0,05, r = - 0,24; Westalpen: p < 0,05, r = - 0,21).

DISKUSSION Unsere Ergebnisse bestätigen unsere Hypothese einer geringeren Prävalenz der ABK in den Ostalpen sowie der Annahme unterschiedlicher, populationsspezifischer Merkmale. Prävalenz der ABK Dies ist die erste Studie, die die Prävalenz der ABK zwei verschiedener Populationen bzw. alpiner Regionen untersuchte. Wie vermutet, besteht ein Unterschied in der Erkrankungshäufigkeit, wobei die weniger erfahrenen Bergsteiger und Wanderer der Ostalpen häufiger (38 %) an ABK erkrankten als die erfahrenen in den Westalpen (24,5 %). Trotz methodischer Unterschiede ist die erhobene Prävalenz der Westalpen gut mit den Daten von Maggiorini et al. (1990) vergleichbar (Abb. 1) (14). Studien zur ABK Prävalenz in den Ostalpen sind allerdings rar und weisen zudem noch erhebliche methodische 179


Unterschiede auf bzw. wurden mit einer sehr kleinen Stichprobe durchgeführt (24, 25). Beispielsweise berichten Röggla et al. (1992-1993) von einer ABK Prävalenz von 1,4 % in 2000 m und 7,2 % in 3000 m (25). Dieser Umstand dürfte allerdings auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass die Erhebung am Tag des Aufstiegs stattgefunden hat, nicht wie in unserer Untersuchung am Morgen nach der ersten Übernachtung in der Höhe. Der Zeitpunkt der Erhe3454 m (n=79) AMS+ Geschlecht, m / w

p-Wert

AMS-

3817 m (n=83) AMS+

p-Wert

AMS-

25 / 5

39 / 6

0,69

22 / 6

41 / 11

Alter, Jahre

35,1 (10,7)

34,5 (10,2)

0,79

36,2 (12,2)

38,1 (10,4)

0,98 0,47

BMI, kg / m2

23,4 (2,2)

23,3 (2,0)

0,90

23,5 (3,4)

22,8 (2,5)

0,29

Höhe des Wohnorts, Meter

0,13

472 (358)

425 (264)

0,51

481 (433)

627 (404)

Rauchen, ja n (%)

4 (44,4)

5 (55,6)

0,67

3 (23,1)

10 (76,9)

0,33

Alkoholkonsum, g

36,6 (34,1)

43,0 (42,3)

0,49

9,7 (18,3)

6,9 (18,0)

0,49

Flüssigkeitsaufnahme, Liter

2,3 (0,8)

2.3 (0,8)

0,77

1,4 (0,9)

2,1 (1,1)

0,02*

Medikamtente zur ABK

3 (50,0)

3 (50,0)

0,53

11 (44,0)

14 (56,0)

0,26

2 (50,0)

2 (50,0)

0,63

2 (20,0)

8 (80,0)

0,31

Frühere ABK Erkrankung, ja n (%)

9 (36,0)

16 (64,0)

0,81

13 (44,8)

16 (55,2)

0,17

Migräne, ja n (%)

5 (100,0)

0,0 (0,0)

0,003*

9 (56,3)

7 (43,8)

0,04*

sehr gut

2 (14,3)

12 (85,7)

3 (15,0)

17 (85,0)

gut

23 (41,1)

33 (58,9)

20 (44,4)

25 (55,6)

mäßig

5 (62,5)

3 (37,5)

6 (35,3)

11 (64,7)

0,0

0,0

0,0

0,0

Therapie/Prophylaxe, ja n (%) Ausreichend Voraufenthalte in den letzten 2 Monaten, ja n (%)

Körperl. Leistungsfähigkeit, n (%)

schlecht

0,06

Subjek. Belastungsempf., n (%)

0,07

0,004*

0,02*

sehr gering

2 (14,3)

12 (85,7)

0.0 (0,0)

7 (100,0)

gering

15 (39,5)

23 (60,5)

12 (28,6)

30 (71,4)

mäßig

4 (25,0)

12 (75,0)

12 (42,9)

16 (57,1)

stark

9 (81,8)

2 (18,2)

4 (80,0)

1 (20,0)

Alpine Erfahrung, Tagen/Jahr, n (%)

0,03*

0,04*

<5

15 (48,4)

16 (51,6)

6 (42,9)

8 (57,1)

5-10

13 (48,1)

14 (51,9)

10 (45,5)

12 (54,5)

10-20

1 (9,1)

10 (90,9)

8 (50,0)

8 (50,0)

> 20

1 (11,1)

8 (88,9)

4 (35,0)

24 (85,7)

Tabelle 3. Charakteristika der Personen mit (AMS+) und ohne (AMS-) ABK. Daten werden

Tab. 3: Charakteristika der Personen mit (AMS+) und ohne (AMS-) ABK. Daten werden als Häufigkeiten (n) und Prozentanteil (%) oder Mittelwerte mit Standardabweichung dargestellt, * bezeichnen einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. 180


bung spielt in diesem Fall eine große Bedeutung, da die Symptome in der Regel mit einer Latenzzeit von 6-36 Stunden nach akuter Höhenexposition auftreten, wobei die Ausprägung der Symptome am Morgen nach der ersten Nacht in der Höhe am stärksten ist (30). Trotz der mangelnden Literatur über die ABK Ausprägung in den Ostalpen wird unsere Hypothese durch Berichte über eine hohe Erkrankungshäufigkeit in Touristenpopulationen gestärkt (10, 13, 18). Merkmalsunterschiede und Risikofaktoren der ABK in den Ost- und Westalpen In diesem Teil der Diskussion behandeln wir ausschließlich Merkmale, die sich sowohl zwischen den Populationen unterscheiden als auch als Risikofaktoren der ABK herausgestellt haben. Dazu zählen die Präsenz von Migräne in Tallage, eine Flüssigkeitsaufnahme < 2 Liter sowie eine geringe alpine Erfahrung. Migräneneigung Die Anzahl der an regelmäßiger Migräne leidenden Personen war ein klares Unterscheidungsmerkmal der Populationen der Ost- und Westalpen. Während fast jeder fünfte Bergsteiger der Westalpen mindestens einmal pro Monat eine Migräneattacke erlebt, ist die Häufigkeit unter den Besuchern der Ostalpen mit 6,3 % weitaus geringer. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass die Prävalenz von Migräne von Hochlandbewohnern deutlich größer ist als in der Bevölkerung auf Meereshöhe (1, 2). Neben der genetischen Disposition spielen bei der Migräneentstehung auch Triggerfaktoren wie erhöhter Stress, körperliche Belastung, Schlafmangel, Alkohol sowie hypoxische Umgebungsbedingungen eine bedeutende Rolle (7, 21, 27, 29). Die Kombination mehrerer dieser Triggerfaktoren wird als die Ursache für die erhöhte Migräne Prävalenz von Hochlandbewohnern betrachtet. Zudem zeigen unsere Daten einen deutlichen Zusammenhang zwischen regelmäßigen Migräneanfällen in Tallage und Beschwerden während des Höhenaufenthaltes. Allerdings lässt sich nicht mit Sicherheit beurteilen, ob diese Personen an ABK oder Migräne erkrankt sind, denn Hypoxie stellt einen bekannten Auslöser für Migräne als auch für ABK dar (7, 28). Verschiedene Studien zeigen, dass sowohl normobare (27) als auch hypobare Hypoxie (29) bei empfindlichen Personen Migräne provozieren kann. Die Unterscheidung zwischen ABK und Migräne wird zudem noch durch die Ähnlichkeit der Symptomatik beider Erkrankungen erschwert (5, 12, 22). 181


Flüssigkeitsaufnahme Die Bedeutung der Flüssigkeitsaufnahme zur Prävention der ABK wird in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Während einige Autoren die Meinung vertreten, dass viel trinken vorteilhaft ist (19), argumentieren andere, dass eine übermäßige Flüssigkeitszufuhr die Gefahr der Ödembildung und somit das Risiko an ABK zu erkranken steigert (4). In unserer Untersuchung zeigte sich ein klarer Unterschied in der Menge der zugeführten nichtalkoholischen Getränke zwischen den Populationen der Ost- und Westalpen. Vor kurzem haben wir gezeigt, dass eine Zufuhr von zwei Litern Flüssigkeit oder mehr das Risiko einer ABK Erkrankung reduziert (16). In den Ostalpen wurde dieser Grenzwert sowohl von den gesunden als auch von den höhenkranken Personen überschritten, wodurch die geringere Bedeutung dieses Faktors für die Ostalpen erklärbar ist. Im Gegensatz dazu lag die Flüssigkeitsaufnahme in den Westalpen bei erkrankten Personen lediglich bei 1,4 ± 0,9 Litern. In Übereinstimmung damit zeigte Basnyat et al. (1999) einen inversen Zusammenhang zwischen der Flüssigkeitszufuhr und dem Risiko an ABK zu erkranken (6). Somit liegt die Schlussfolgerung nahe, dass eine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme (< 2 Liter) eine wichtige Determinante der ABK Prävalenz sein dürfte. Alpine Erfahrung Wie angenommen, verbringen Westalpen-Bergsteiger mehr Tage pro Jahr in den Bergen als Besucher der Ostalpen, was für eine größere alpine Erfahrung spricht. Dieser Unterschied lässt sich durch den Umstand erklären, dass die mäßigen Schwierigkeiten und Höhenlagen der Ostalpen unter anderem viele Touristen aus dem Flachland anziehen, die sich auch aufgrund ihrer geringen Erfahrung, Bergtouren und Wanderungen in dieser Region zutrauen. Die Westalpen hingegen sind bekannt für große Höhen, weite Entfernungen sowie für technisch anspruchsvollere Touren, was im Allgemeinen eher ambitionierte, erfahrene Bergsteiger anzieht. Eine geringe alpine Erfahrung hat sich als bedeutender Risikofaktor für ABK in beiden Regionen erwiesen. Außerdem konnte eine negative Korrelation zwischen der alpinen Erfahrung und dem Ausmaß des subjektiven Belastungsempfindens durch den Aufstieg festgestellt werden, das selbst einen erheblichen Einfluss auf die Prävalenz der ABK ausübte. Daraus wird abgeleitet, dass weniger erfahrene Bergsteiger die ungewohnte Bewegung des Wanderns und Bergsteigens nicht so gut tolerieren wie geübte Alpinisten und sich eher der Gefahr einer Überbelastung aussetzen. Maggiorini et al. (1990) berichteten ebenfalls von einer erhöhten ABK Prävalenz von Personen, die an ihre körperlichen Belastungsgrenzen gingen (14). Auch Roach et al. (2000) sowie Burt182


scher et al. (2001) zeigten, dass Bewegung in Hypoxie im Vergleich zu Ruhebedingungen mit einem erhöhten Risiko für ABK bzw. Höhenkopfschmerzen einhergeht (23, 8). Da die Symptome der ABK in der Regel mit dem Grad der Hypoxämie korrelieren, ist verständlich, dass körperliche Aktivität in der Höhe das Risiko für ABK erhöht (8, 9, 11, 17). Hingegen verfügen erfahrene Bergsteiger über eine bessere Bewegungsökonomie beim Wandern, können aufgrund ihrer Erfahrung ihre Leistungsfähigkeit und Kapazitäten besser einschätzen und können Frühsymptome der ABK besser interpretieren. Auch andere Studien zeigen, dass erfahrene Bergsteiger ein geringeres Risiko an ABK zu erkranken aufweisen als unerfahrene (3, 20, 31). Die alpine Erfahrung bleibt somit die einzige Variable, die die erhöhte ABK Prävalenz der Bergsteiger und Wanderer der Ostalpen erklärt.

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186


Wolfgang Domej, GĂźnther Sc hwaberger, M i c h ael Trapp, Eva-Maria Trapp, Peter M. Rohrer

Glomus Caroticum, O 2 -Rezeption und Paragangliome unter HĂśhenbedingungen Carotid Body, O2-Reception and Paraganglioma at High Altitude

SUMMARY Generally, paraganglia consist of small modules dispersed throughout the body as a part of the autonomic nervous system; they consist of neuroendocrine cells that are derived from the ectodermal neural crest. The most important parasympathetic paraganglion is the carotid body (CB), which contains specialized cells for chemoreception that sense especially paO2, but also paCO2 as well as blood pH and glucose, all of which are importantly involved in a normal hypoxic ventilatory response (HVR) and ventilatory acclimatization to hypoxia (VAH). At high altitude the CB as peripheral chemoreceptors maintain a constant neural drive for lung ventilation and O2-delivery within vital limits. Through afferent sensory signals predominantely over the cervical and thoracic branches of the glossopharyngeal (IX) and vagus nerves (X), chief cells (type-I-cells) in the CB affect the rate and depth of respiration, and to a lesser extent the heart rate as well, by reflex. Based on CB hyperplasia, e. g. in humans chronically exposed to hypoxia at high altitude or patients with hypoxemic cardio-respiratory diseases, the CB may enlarge up to several centimeters in size. It is suggested that chronic hyperplasia may promote the development of a CB paraganglioma in high altitude dwellers, in whom they occur more frequently than in persons living at sea level. Keywords: carotid body, aortic bodies, glomic cells, parasympathetic paraganglia, peripheral chemoreceptors, paraganglioma, carotid body tumor, high altitude 187


ZUSAMMENFASSUNG Paraganglien sind über den Körper verstreute noduläre Gewebseinsprengungen mit Zugehörigkeit zum vegetativen Nervensystem, die aus neuroendokrinen Zellen bestehen und entwicklungsgeschichtlich der ektodermalen Neuralleiste entstammen. Dabei stellt das Glomus caroticum (GC) das wichtigste parasympathische Paraganglion dar; es enthält hochspezialisierte Zellen zur Registrierung vor allem des paO2, aber auch des paCO2, respektive des pHWertes und der Blut-Glukose, die auf diesem Wege essenziell für eine normale hypoxische Atemantwort (HVR) und ventilatorische Akklimatisation (VAH) sind. Als periphere Chemorezeptoren halten die beiden GC innerhalb eines lebensnotwendigen Grenzbereichs auch unter Höhenbedingungen einen angepassten Atemantrieb zur Belüftung der Lungen respektive zur O2-Versorgung des Organismus aufrecht. Hauptzellen (Typ-I-Zellen) des GC beeinflussen auf reflektorischem Wege die Atemfrequenz und -tiefe, geringgradig auch die Herzfrequenz, wobei sensorische Impulse vorwiegend über zervikale und thorakale Leitungsbahnen des N. Glossopharyngeus (IX) und des Vagus (X) geleitet werden. Unter chronischer Hypoxieexposition in der Höhe aber auch bei Patienten mit hypoxämischen Herz-Lungenerkankungen können sich die GC durch Hyperplasie bis zu mehreren Zentimetern Durchmesser vergrößern. Es liegt nahe, dass die Entwicklung eines GC-Paraganglioms (GCT) durch eine chronische GC-Hyperplasie bei in großer Höhe ansässigen Bewohnern begünstigt wird; immerhin treten GCT unter chronisch höhenatmosphärischen Bedingungen häufiger auf als auf Meeresspiegelniveau. Schlüsselwörter: Glomus caroticum (GC), Glomera aortica, Glomuszellen, parasympathische Paraganglien, periphere Chemorezeptoren, Glomus caroticum Tumor, Paragangliom, große Höhen

EINLEITUNG Zelluläre O2-Sensoren sind für den menschlichen Organismus lebensnotwendig, zumal hochgradige Hypoxie unkompensiert fatale Folgen hat. Heymans hat im Rahmen seiner tierexperimentellen Untersuchungen bereits in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Glomera carotica (GC) als Hauptsensoren für den arteriellen O2-Partialdruck (paO2) erkannt. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass eine durch systemische Cyanidgabe hervorgerufene Ventilationssteigerung nach Denervierung afferenter Leitungsbahnen aufgehoben werden kann (1). Erkenntnisse, die im Jahre 1938 mit dem Nobelpreis für Medizin/Physiologie honoriert wurden. Einige Jahre später fand Comroe, 188


dass auch Paraganglien (Glomera aortica) des Aortenbogens die Fähigkeit zur O2-Chemorezeption besitzen (Abb. 1) (2, 3). Peripher-arterielle O2-Chemorezeptoren sind für die kardio-respiratorische Regulation sowie ventilatorische Akklimatisation unter Hypoxie maßgebend (4, 5, 6). Ihre vollständige Ausschaltung zieht Hypoventilation und eine wesentliche Beeinträchtigung der hypoxischen Atemantwort (HVR) nach sich. Darüberhinaus enthalten GC auch Sensoren für CO2, pH und Glukose (7). A

Abb. 1:

B

A: Verteilung parasympathischer Paraganglien der Halsregion B: Bilaterale GC-Tumore: Darstellung mittels 18Fluor-Dopa-PET

Heute sind eine Vielzahl peripherer (neuroepitheliale Körperchen, Glomus caroticum, Glomus aorticum) und zentraler O2-Rezeptoren (ventrolaterale Medulla, posteriorer Hypothalamus) innerhalb des menschlichen Organismus bekannt (8). Das GC stellt sowohl für den Menschen als auch für viele Säugetierspezies den wichtigsten peripheren O2-Sensor dar, wobei die beidseitig angelegten GC strategisch günstig im posterioren Abschnitt der Aufteilungsstelle der A. carotis communis (Bifurcatio carotica) nahe dem intravaskulären Carotissinus subadventitial lokalisiert sind (Abb. 2). GC sind in der Regel makroskopisch (intraoperativ, autoptisch) nicht leicht zu identifizieren, haben im Normalfall ein Volumen von 10 mm3 und wiegen 10 - 15 mg; ihr Gewebe ist 189


stark vaskularisiert und durch eine sehr niedrige O2-Extraktion gekennzeichnet. Die Zellen des GC sind ultrastrukturell durch einen bescheidenen Gehalt an Mitochondrien und endoplasmatischem Retikulum charakterisiert, womit sich auch ihr geringer O2-Umsatz und das Ansprechen auf den arteriellen paO2 und nicht auf den O2-Gehalt (CaO2) erklärt.

Abb. 2: Aufteilungsstelle der Bifurcatio carotica; kaum sichtbares GC-Gewebe unter der Anschlingung der A. carotis externa

Hochspezialisierte Zellen (Hauptzellen/Typ-I-Zellen) des GC stellen die primären Sensoren für die Hypoxie dar, messen kontinuierlich den arteriellen paO2 und können eine Hypoxämie in kürzester Zeit in ein neuronales Signal umsetzen (9). Sie werden deswegen mitunter treffend auch als „Wachhunde“ des Zentralnervensystems bezeichet (10). Am Beginn der Signalübertragung (Chemotransduktion) von Glomuszellen auf afferente dentritische Nervenendigungen des Carotis-Sinus-Nerven (CSN) steht Hypoxie, die per se die mitochondriale Funktion auch der Glomuszellen beeinträchtigt. Das führt zur Entleerung mitochondrialer Kalziumdepots und Hemmung verschiedener Kaliumkanäle; letztere depolarisiert die Zellmembran und führt zu Ca++-Einstrom. Der intrazelluläre Kalziumanstieg führt dann zu exzitatorischer Transmitterfreisetzung und weiters zur Depolarisation afferenter Dentriten (11).

NEUROTRANSMISSION Die von den Glomuszellen zur Reizweiterleitung über afferent-sensorische Neurone des Carotis-Sinus-Nerven (CSN) benötigten Neurotransmitter (Acetylcholin/ACh, ATP, Endothelin, Dopamin u.a.) werden im Zytoplasma synthe190


tisiert, gespeichert und exozytotisch freigesetzt; die neurogene Depolarisation löst eine Kettenreaktion aus, wobei die generierten elektrischen Impulse über den CSN an respiratorische Kerngebiete in der Medulla oblongata weitergeleitet werden, von wo aus der Atemantrieb gesteuert wird. Die sensorischen Fasern der peripheren Chemorezeptoren enden am Unterrand des 4. Ventrikels (Obex) im Nucleus solitarius, der auch prämotorische Neurone der dorsalen respiratorischen Kerngebiete enthält. Die vom GC ausgehenden cholinergen Impulse können durch eine chronische Hypoxieeinwirkung in ihrer Frequenz verstärkt werden und führen zu kompensatorischer Atemantriebssteigerung. Die in-vitro-Gabe von Acetylcholin führt zu einem höheren exzitatorischen Effekt auf die CSN-Aktivität, wenn das Versuchstier (z. B. Ratte) zugleich chronisch hypoxieexponiert wird (12). Dieser Effekt auf den CSN kann wiederum durch nikotinerge (Mecamylamin) sowie muscarinerge Rezeptoren (Atropin) antagonisiert werden. Auch Adenosintriphophat (ATP) ist innerhalb des GC ein essentieller Neurotransmitter respektive Co-Transmitter für Acetylcholin (13). Hier dürfte der ATP-induzierte Aktivitätsanstieg im CSN ebenfalls durch chronische Hypoxie forciert werden. Darüberhinaus spielt auch Endothelin (ET) als exzitatorischer Transmitter unter chronischer Hypoxieexposition eine Rolle (14). In diesem Zusammenhang konnte in Tierversuchen gezeigt werden, dass sich der exzitatorische Effekt von ET konkordant zur Steigerung des Ruhe-Atemminutenvolumens (R-AMV) während einer 16-tägigen Hypoxieatmosphäre stufenweise aufbaut. Mit diesen funktionellen Änderungen gehen während chronischer Hypoxieeinwirkung auch deutliche Anstiege der Proteinexpression für ET respektive für den ETA-Rezeptor chemosensitiver Typ-I-Zellen einher, wobei sich die mRNA-Expression für ET und ETA in ähnlicher Weise erhöht. Andererseits konnte die Verstärkung der basalen und hypoxiegetriggerten chemosensorischen Aktivität des CSN nach 9-tägiger chronischer Hypoxieeinwirkung durch die Verabreichung des Endothelin-Rezeptor-Antagonisten Bosentan deutlich abgeschwächt werden (15). Neben vielen weiteren neurotropen und neuroaktiven Faktoren der Glomuszellen lässt sich auch Dopamin in höheren Konzentrationen im GC nachweisen. Dieses biogene Amin aus der Gruppe der Katecholamine gilt als starker Inhibitor der Chemotransduktion sowohl unter akuter als auch chronischer Hypoxie; letztere erhöht Gehalt, Umsatz sowie Synthese von Dopamin im GC. Veränderungen des dopaminergen Signals im GC wirken sich beim weiblichen Geschlecht über die Hormone Progesteron und Östradiol ebenfalls auf die Chemorezeption aus. So ist bekannt, dass ovarielle Steroidhormone u. a. atemanaleptisch wirksam sind, indem sie die inhibitorische dopaminerge Aktivität im 191


GC aufheben; das ist eine mögliche Erklärung dafür, dass Frauen prämenopausal seltener von schweren Höhenunverträglichkeitsreaktionen betroffen sind als Männer. Auch der Dopaminrezeptorantagonist Domperidone vermag bei ovariektomierten Versuchstieren das R-AMV zu erhöhen. Dagegen wurde im Anschluss an eine 10-tägige parenterale Verabreichung von Ovarialsteroiden das R-AMV gehemmt. Dies spricht jedenfalls für einen nicht unbedeutenden hormonellen Einfluss auf den dopaminergen Anteil der Chemosensitivität des GC, was in großer Höhe von entscheidender Bedeutung sein kann. Grundsätzlich steht das Ausmaß des R-AMV unter rein normoxischen Bedingungen mit der individuellen Situation des inhibitorischen dopaminergen Systems in engem Zusammenhang. Eine Upregulation des dopaminergen Metabolismus im GC kann daher auch zu einer gewissen “Deakklimatisation“, wie sie bei permanenten Höhenbewohnern respektive postmenopausalen Höhenbewohnerinnen vorkommt, beitragen. Das steht auch im Einklang mit der Pathogenese der bei Frauen eher seltener vorkommenden chronischen Bergkrankheit (CMS) (16). Molekulare O2-Sensoren sind funktionell eng mit den transmembranösen Ionenkanälen für K+, Na+ und Ca2+ verknüpft; dadurch wird ein Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration in den GC-Zellen erst ermöglicht (17). Unter chronischer Hypoxie ist für die Aufrechterhaltung der exzitatorischen Aktivität eine gleich bleibende Expression und Funktion von Ionenkanalproteinen Voraussetzung, um den transmembranösen Ionenfluss der GC-Zellen aufrecht zu erhalten. Unter akuter Hypoxieexposition erfolgt eine starke Hemmung kalziumsensitiver Kaliumkanäle, die über eine rasche Downregulation der O2-abhängigen CO-Produktion durch die Hämoxygenase-2 vermittelt wird; infolgedessen kommt es zur Aktivierung spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle, Kalziumeinstrom, Exozytose und letztlich Neurotransmission. Es wurde bereits darüber berichtet, dass chronische Hypoxie im Tierversuch auch zu einer Dichteabnahme der Kaliumkanäle der GC-Membran führt und dafür der Ca2+-Einfluss durch spannungsabhängige Kanäle erhöht wird. Des Weiteren erhöht chronische Hypoxie auch die Expression spannungsabhängiger Na+-Kanäle, die selektiv zu einer verstärkten Neurotransmitterfreisetzung chemosensitiver Typ-I-Zellen beitragen. Es gibt auch Hinweise für eine verstärkte Ansprechbarkeit medullärer Atemzentren auf die periphere Chemorezeption der GC unter länger dauernder Hypoxie (18). In diesem Zusammenhang kam es nach 7-tägiger Hypoxieexposition zu einer Verbesserung der Signalübertragung von peripher arteriellen Chemorezeptoren auf den efferent ventilatorischen Output vermutlich über zentrale Mechanismen (19). Typ-I-Zellen reagieren ausschließlich auf den verminderten paO2 und nicht auf 192


eine Abnahme der O2-Transportkapazität (Anämie, vermindertes HMV). Im letzteren Fall ist der Mensch nicht in der Lage eine Gewebshypoxie/Ischämie durch alleinige Ventilationssteigerung zu überwinden. Chronische Hypoxie ist imstande die O2-Sensitivität respektive die Barorezeptorsensitivität der GC zu erhöhen. Das ist durch eine verstärkte HVR (20), messbar erhöhte in vitro-Aktivität des CSN (12) respektive durch eine verstärkte Erregbarkeit chemosensitiver GC-Zellen nachvollziehbar (21).

MIKROSKOPISCHE STRUKTUR A

B

Abb. 3: Histologischer Aufbau eines Glomus caroticum A: Katecholaminproduzierende Typ-I-Zellen (x100, Tyrosin-HydroxylaseFärbung) Nester von Hauptzellen mit umgebenden Stützzellen (Typ-II-Zellen) B: Typische Läppchenseparation durch Bindegewebsstrukturen: Lobuläre Hyperplasie: Cluster von Hauptzellen „Zellballen“ (x10, HE-Färbung)

Sämtliche paraganglionäre neuroendokrine Zellen des GC wie auch des Nebennierenmarks entstammen der ektodermalen Neuralleiste, wobei die gemeinsame Katecholaminsynthese einen Hinweis auf diesen gemeinsamen Ursprung darstellt (22). Obwohl in den Typ-I-Zellen des GC Katecholaminablagerungen detektiert werden können (Abb. 3A), sind die Zellen in der Regel nicht chromaffin; Neoplasmen parasympathischer Paraganglien sind jedoch meistens neuroendokrin aktiv.

GC-HYPERPLASIE UND HYPOXISCHE ATEMANTWORT (HVR) Während chronischer Hypoxieexposition erfolgen bemerkenswerte hypertrophisch-hyperplastische Veränderungen innerhalb der GC; diese betreffen eine zahlen- und volumensmäßige Zunahme chemosensitiver Zellen und Bindegewebszellen sowie Gefäßneubildungen innerhalb der vergrößerten GC-Läpp193


chen (20, 23, 24) (Abb. 3B). Auf diesem Wege kann ein Hypertrophiegewicht bis zu ~50 mg erreicht werden (25). Die auf kontinuierliche Hypoxie folgende Vergrößerung der GC ist auch mit Änderungen der O2-Chemosensitivität verbunden. So erhöht sich die Basisaktivität der Glomuszellen (Typ-I-Zellen) sowie die Reaktion auf akute Hypoxie. Diese Verstärkung der Hypoxiesensitivität ist einerseits auf Dichteänderungen von Ionenkanälen und andererseits auch auf dynamische Anpassungen der Neurotransmitter sowie die Bereitstellung zusätzlicher Neuromodulatoren (z. B. Endothelin) in den Glomuszellen zurückzuführen (26). Diese morphologischen und funktionellen Veränderungen („Remodeling“) erfolgen teilweise konkordant zur Upregulation von Wachstumsfaktoren wie VEGF oder dem Transkriptionsfaktor HIF-1. Aus geringer in große Höhe gelangende Personen zeigen eine wesentlich akzentuiertere alveoläre Hyperventilation (HVR) als vergleichsweise LangzeitHöhenbewohner vor Ort. Native Höhenbewohner beispielsweise der Anden oder Himalayaregionen weisen sogar eine Abschwächung ihrer HVR auf, wobei eine „relative Hypoventilation“ für native ältere Höhenbewohner im Vergleich zu Neuankömmlingen aus niedriger Höhe typisch ist (27). Da auch untereinander nicht verwandte Hochlandbewohner (Kashmir, Colorado) eine Abnahme ihrer HVR aufweisen, sind genetische Faktoren wahrscheinlich nicht primär für die Abschwächung der HVR verantwortlich (28). Es gibt Hinweise, dass die Abstumpfung der Ventilationsantwort auf Hypoxie im Laufe des Lebens unter Höhenbedingungen erworben wird, wobei das Lebensalter sowie die Dauer des Aufenthalts unter Hypoxiebedingungen dafür die wahrscheinlichsten Determinanten sind. Die HVR-Abschwächung scheint sich in der Regel erst nach mehr als einem Jahrzehnt in großer Höhe zu manifestieren und ist bei erwachsenen Höhenbewohnern in einem hohen Prozentsatz nachweisbar; sie kann allerdings auch bereits Jugendliche betreffen, wobei Kinder, die 2 - 3 Jahre unter atmosphärischen Bedingungen großer Höhen zubrachten, selbst nach mehreren Jahren auf Meeresspiegelniveau im weiteren Leben keine normale HVR-Sensitivität mehr entwickeln. Nachkommen von Hochlandbewohnern, die auf Meeresspiegelniveau geboren wurden, zeigen dagegen dieselbe ausgeprägte HVR wie Angehörige von Familien, die seit Generationen auf niedriger geographischer Höhe leben. Charakteristisch für die Abstumpfung der Atemantwort in der Höhe ist die weitgehende Irreversibilität (29); so kann die volle HVR auch nach längerem Aufenthalt auf Meeresspiegelniveau nicht wieder bis zur Restitutio ad integrum hergestellt werden. Mit der HVR-Abschwächung unter chronischer Hypoxie geht oft auch eine Abnahme der CO2-Empfindlichkeit einher (27) und es gibt zudem Hinweise, dass sich die mit chronischer Höhenhypoxie einher194


gehende Hypertrophie des GC selbst unter normobaren Normoxiebedingungen nur teilweise und langsam zurückbildet.

NATIVE HÖHENBEWOHNER Bewohner großer Höhen weisen individuell unterschiedliche Vergrößerungen ihrer GC auf (30). Diese Vergrößerungen basieren im Allgemeinen auf Proliferationen von Glomuszellen (Hauptzellen/Typ-I-Zellen) und stehen damit im Gegensatz zu jenen Volumenszunahmen der GC, die im Rahmen vaskulärer Stauung/Schwellung beispielsweise unter kardialer Dekompensation zu beobachten sind. Bereits Arias-Stella brachte die volumens- und gewichtsmäßige Zunahme der GC mit fortschreitendem Alter von Höhenbewohnern und einem progredienten Sensitivitätsverlust der Chemorezeptoren in Verbindung (23), wobei bereits Sime auf die mit dem Alter abnehmende Ventilationsfähigkeit unter höhenatmosphärischen Bedingungen hingewiesen hat. Es scheint, dass sich Hochlandbewohner mit zunehmendem Alter von ursprünglicher Hyperventilation zu einer relativen Hypoventilation weiterentwickeln (31). Zusammenhänge mit der CMS werden dabei deutlich. Die Hauptursache dürfte in einer zunehmenden Abstumpfung des Chemorezeptorreflexes liegen. Etwa 10 - 15% jüngerer und 30% älterer Höhenbewohner (>50 J, >2.500 m) haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer CMS/Monge’s Disease (16). Diese Form der Maladaptation geht bekannterweise mit deutlich eingeschränkter O2-Sättigung des Hämoglobins (SaO2), konsekutiver hochgradiger Polyglobulie sowie vermindertem Ansprechen peripherer Chemorezeptoren auf einen verminderten paO2 einher (32, 33).

CHRONISCH HYPOXÄMISCHE ERKRANKUNGEN Wie bei Mensch und Tier, die unter ständigem höhenatmosphärischem Einfluss stehen, können auch hypoxämische Zustände insbesondere bei fortgeschrittenen Krankheitsstadien von COPD/Lungenemphysem, Mukoviszidose (34) und Lungenfibrosen aller Art zur Vergrößerung der GC führen. Veränderungen, die man bei Patienten unter prolongierter/chronischer Hypoxämie mit oder ohne Hyperkapnie beobachtet, betreffen ebenso fast ausschließlich parasympathische Paraganglien (Abb. 1). In Reaktion auf chronisch alveoläre Hypoxie nehmen strukturelle morphologische Veränderungen der GC zu (Remodeling), wobei die GC-Hyperplasie bei diesen Patienten überwiegend auf einer Proliferation der Zwischen- oder Stützzellen (Typ-II-Zellen) beruht (Abb. 3); Letztere scheinen die Hauptzellen (Zellballen) förmlich zwischen sich zu „kom195


primieren“, was rein spekulativ etwas mit dem Prozess der Chemorezeption zu tun haben könnte (35). Wie bei nativen Höhenbewohnern findet sich auch bei chronisch hypoxämischen Erkrankungen beispielsweise bei zyanotischkongenitalen Herzerkrankungen (Eisenmenger-Syndrom) eine verminderte HVR, die ebenso mit einer abnehmenden Sensitivität für paCO2 verbunden ist (Phänomen der Adaptation bei hyperkapnischer Hypoxämie) (36). Auf Grund der fehlenden Beziehung zwischen Art bzw. Schweregrad beispielsweise eines Lungenemphysems und dem Gewicht bzw.Volumen der GC kann geschlossen werden, dass pulmonale Erkrankungen per se nur indirekt zur GC-Hyperplasie führen. Größen- und zahlenmäßige Zunahmen parasympathischer Paraganglien entstehen allerdings nicht mit Regelmäßigkeit; sie treten oft erst in Verbindung einer alveolären Hypoxie mit pulmonalvaskulärer Widerstandserhöhung (hypoxisch-pulmonale Hypertonie) und Rechtsherzhypertrophie auf (37).

TIERE UNTER HYPOXIEBEDINGUNGEN Auch tierexperimentell wurden unter Höheneinfluss signifikante Vergrößerungen der GC bei Meerschweinchen, Kaninchen, Hunden sowie Rindern gefunden (38). Dabei wurde eine überwiegende Proliferationen der Hauptzellen (Typ-I-Zellen) konkordant zu jenen nativer Hochlandbewohner beobachtet (39). Am Bolivianischen Institut für Höhenbiologie (IBBA, La Paz, 3.600 m) ständig käfiggehaltene Ratten zeigten nach bilateraler CSN-Resektion und Unterbindung afferenter Leitungsbahnen von den peripheren Chemorezeptoren zu den respiratorischen Kerngebieten respektive der Ventilation innerhalb weniger Wochen einen deutlichen Hämatokritanstieg von 50 auf 70%. Darüberhinaus zeigen tierexperimentelle Daten, dass eine beidseitige Resektion der GC, abgesehen vom Verlust peripherer O2-Chemorezeptoren, zu einer verminderten Aktivität zentraler CO2-Sensoren führt. Eine simulierte Höhenexposition führt bei Katzen ebenso zur Akklimatisation wie beim Menschen, womit eine gesteigerte ventilatorische Hypoxieanwort bei gleichzeitiger Abnahme des end-tidal pCO2 (PETCO2) verbunden ist. Trotz Erniedrigung des PETCO2 zeigt sich eine verstärkte Hypoxieantwort des GC und offenbar mit zunehmender Akklimatisation eine verstärkte Abhängigkeit der Ventilation von der Funktion des GC (40).

BEEINTRÄCHTIGUNG DER HVR In der unmittelbaren Postnatalperiode entwickelt sich die Funktion der Chemosensitivität der GC (41). Die Veränderungen umfassen die Proliferation der Typ-I- und Typ-II-Zellen, eine Zunahme von Kern-Vesikeln und K+-Kanälen, 196


Modifikationen des Verhältnisses von Neutrotransmittern zu Neuromodulatoren sowie verschiedenen Rezeptor-Expressionen. SIDS-Kinder (Sudden-Infant-Death-Syndrome) sind durch Abnahmen der Typ-I-Zellen und der dichten zytoplasmatischen Granulationen bei gleichzeitiger Zunahme der zellulären Vorstufen charakterisiert. Diese Veränderungen weisen auf eine Unreife der GC hin, was bei SIDS mitverantwortlich für die besondere respiratorische Vulnerabilität sein könnte. Ein interessanter Aspekt ist in diesem Zusammenhang auch, dass Patienten nach operativer Entfernung der GC eine mehr oder weniger starke Beeinträchtigung ihrer ventilatorischen Reflexe aufweisen (42). So nahm bei einem prä- und postoperativen Follow-Up von 3 Patienten mit der selten angborenen Form eines GC-Tumors die ventilatorische Empfindlichkeit zentraler CO2Chemorezeptoren unmittelbar nach bilateraler GC-Resektion um etwa 75% ab, wobei die maximale Einschränkung zwischen dem 3. und 6. postoperativen Monat lag. Erst während der beiden Folgejahre kam es wiederum zu einer allmählichen Angleichung an die präoperativen Werte. Diese vorübergehende Einschränkung zentraler CO2-Sensitivität nach beidseitiger Glomektomie führt zur begründeten Annahme, dass im Normalfall von den GC eine tonische Antriebssteigerung auf den Output zentraler Chemorezeptoren ausgehen könnte. Die allmähliche Wiederangleichung der zentralen CO2-Sensititivät spricht gegen ein statisches Verhalten und für einen hohen Grad an zentraler Plastizität und Restorationsfähigkeit unter ständiger Anpassung des neuronalen ventilatorischen Kontrollsystems (43). Nach einem operativen Eingriff im Carotisbereich konnte Röggla an einem kleinen Patientenkollektiv ebenfalls zeigen, dass die HVR nicht mehr adäquat gesteigert werden kann und somit dieses Patientenkollektiv für große Höhen per se nicht geeignet erscheint (44). Im Rahmen einer Nachuntersuchung von 5 Asthmatikern 25 Jahre nach beidseitiger GC-Resektion, blieb die Hyperventilationsfähigkeit bei einer Belastung von 50 Watt dauerhaft eingeschränkt; der end-tidal pCO2 stieg um 5,8 ± 3,2 auf 46 mmHg, was bei Asthmapatienten mit unilateraler GC-Resektion sowie dem nicht operierten Kontrollkollektiv mit ähnlicher asthmatischer Atemflusslimitierung nicht der Fall war (42). In diesem Zusammenhang weisen tierexperimentelle Daten auf eine nicht unbedeutende Aktivitätsabnahme zentraler CO2-Chemorezeptoren nach beidseitiger GC-Resektion hin, was allerdings mit einer raschen Wiederannäherung an präoperative Werte beantwortet wird; das kann als Hinweis auf die hohe Flexibilität (zentrale Plastizität) des neuralen Kontrollsystems gewertet werden (43). 197


PARAGANGLIOME (PGL), GLOMUSTUMORE (GCT), CHEMODECTOME Neben Hyperplasien sind neoplastische Prozesse die klinisch bedeutsamsten Veränderungen von Paraganglien. GCT sind solide, gefäßreiche, gewöhnlich schmerzlose Tumore, die ggf. durch Kompression, Dysphagie oder Heiserkeit symptomatisch werden können und in der Regel ein langsames Wachstum zeigen (Abb. 4) (45). PGL der Kopf-Halsregion stellen im Gegensatz zu jenen des Nebennierenmarks oder extraadrenaler Paraganglien im Thorax- und Abdominalbereich meist gutartige Tumore innerhalb des parasympathischen Nervensystems dar. In den meisten Fällen nehmen sie vom GC ihren Ausgang, wobei die Farb-Duplex-Sonographie, MR bzw. MR-Angiographie diagnostisch hilfreich sein können (Abb. 6) (46). Von 500 konsekutiven Weichteiltumoren an der Mayo Clinic waren 1,6% GCT (47). Relativ gesehen stellen GCT die am häufigsten vorkommenden extraadrenalen PGL dar. Etwa 60% kommen im Hals- und Kopfbereich vor (48), wobei in erster Linie Frauen, gefolgt von Männern der Altersgruppe 40 - 60 Jahre betroffen sind (45). Als Neubildungen sind GCT typischerweise stark vaskularisiert (Abb. 4) und können trotz relativer Zellisomorphie auch metastasieren (6 - 9%). Rezenten Untersuchungen zufolge gibt es für die Entwicklung einiger PGL starke Hinweise für eine molekulargenetische Basis, wobei in erster Linie heterozygote Keimbahnmutationen jener Gene, die für drei der vier Untereinheiten der Succinatdehydrogenase (SDH, Schlüsselenzym des Zitratzyklus) kodieren, dafür verantwortlich gemacht werden; Mutationen dieser SDHSubunits führen zu einer Anhäufung von Succinat und Hemmung von HIFProlylhydroxylasen, wodurch HIF-1α, das ubiquitäre „Masterenzym“ aller zellulären Hypoxiereaktionen stabil gehalten wird (49). Unter ausreichender systemischer O2-Verfügbarkeit wird der Abbauweg von HIF-1α über die Hydroxylierung durch die O2-abhängige Prolylhydroxylase forciert. Dagegen wird HIF-1α unter chronischer Hypoxie nicht degradiert und nach Verbindung mit dem Co-Partner HIF-1β transkiptiv im Zellkern wirksam. Darüber hinaus führt eine SDH-Dysfunktion über eine Hemmung der Funktion der Atmungskette im Komplex II zur Generation endogener O2-Radikale (ROS), die auf direktem Wege zur einer anhaltenden Stabilisierung von HIF-1α führen (50). Eine verstärkte Transkription einer ganzen Reihe hypoxieabhängiger Gene (~200) ist die Folge (51). Somit könnten neben chronisch hypoxämischen Erkrankungen per se (52) auch Gen-Umwelt bedingte Interaktionen (chronische Hypoxie) eine nicht unbedeutende Rolle in der Tumorneogenese von PGL respektive höhenassoziierter PGL zukommen. 198


Unter PGL-Syndrom (PGLS) versteht man paraganglionäre Neubildungen, bei denen Keimbahnmutationen empfänglicher Gene, die an zirkulierenden Lymphozyten detektiert werden können, eine kausale Rolle spielen. Heterozygote Keimbahnmutationen von Genen, die für drei der vier Untereinheiten der SDH respektive SDHD (PGL1), SDHC (PGL3) und SDHB (PGL4) kodieren, haben wie auch RET, NF1 und VHL gezeigt, dass sie PGL auslösen können (53), wobei PGL-Syndrome im Kopf-Halsbereich fast ausschließlich mit SDH-Mutationen einhergehen. Hereditäre PGL können auch einen Teil genetisch bedingter Syndrome wie beispielsweise der Neurofibromatose Typ I (NF1), multipler endokriner Neoplasien (MEN 2A, 2B) oder der Hippel-Lindau-Erkrankung (VHL) darstellen (54, 55). A

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Abb. 4: A: Eventeriertes GC-PGL vor der Bifurkation der rechten A. carotis communis einer 44-jährigen Patientin; blaue Anschlingung: A. carotis interna. B: Operationspräparat

PARAGANGLIOME BEI CHRONISCHER HÖHENEXPOSITION Erkrankungen der GC sind seltene Ereignisse; vom GC ausgehende Tumore sind normalerweise vergesellschaftet mit Gewebshypoxie auf Basis der Lebensführung in Höhenlagen, zyanotischer Herzfehler oder chronisch pulmonaler Erkrankungen (56, 57). Bereits vor Jahrzehnten wurde chronische Hypoxie mit der Genese bestimmter Tumore in Zusammenhang gebracht. So konnte u. a. gezeigt werden, dass ein permanenter Höhenaufenthalt die Inzidenz für GC-Hyperplasien und -paragangliome beim Menschen und bei verschiedenen Säugetierspezies erhöht (23, 38, 58, 59). Betroffen sind in der Regel Personen und Tiere, die in Höhen über 2.000 m (Mexiko, Peru, Bolivien, Ecuador) ansässig sind (60, 61). So finden sich PGL auch bei Höhenbewohnern Perus oder Mexikos wesentlich häufiger als vergleichsweise bei Bewohnern von Tieflandschaften. Beispielsweise weisen Bewohner der Hochregionen Perus 199


eine hohe Prävalenz für Paragangliome auf (bis zu 1 : 10), was im Vergleich zu Prävalenzzahlen des Tieflands überaus beachtlich erscheint (> 1 : 500.000) (58). Auch ständig unter Höhenbedingungen lebende Rinderrassen zeigen eine extrem hohe Prävalenz für Paragangliome (1:2) (23). Ein chronischer Hypoxiereiz in großer Höhe kann die Basis für die Entwicklung eines sporadisch auftretenden GC-PGL darstellen (62). Diese „höhenassoziierten PGL“ sind möglicherweise das Resultat einer überschießenden Reaktion auf chronisch hypoxische Stimulation, wobei bei Europäern, die in großen Höhen der Alpen oder Pyrenäen leben, bisher keine erhöhten Prävalenzzahlen für PGL bekannt geworden sind (55). Allerdings könnten große Höhen prinzipiell zu einer Risikoerhöhung für eine Tumorentwicklung über eine Erhöhung der Prädispositon insbesondere bei Individuen mit hereditären PGLS beitragen (63). In diesem Zusammenhang ist die Wechselwirkung zwischen den hereditären PGL-Formen und den höhenassoziierten PGL noch weitgehend unerforscht; außerdem fand die Beteiligung hypoxischer Umweltbedingungen an der Genese dieser Neoplasmen bisher wenig Beachtung. Auch eine über Jahre prolongierte Hyperplasie des GC könnte eine neoplastische Weiterentwicklung begünstigen (58). Unter Höhenbedingungen sind darüberhinaus Frauen 6-mal häufiger als Männer und die linke Halsseite 3-mal häufiger als die rechte betroffen (58). Eine mexikanische Forschergruppe überprüfte in einer retrospektiven Studie zwischen 1965 und 1995 alle Höhenbewohner (>2.200 m Höhe) mit GCT, die im Hospital de Oncologia in Mexico City (2.300 m) stationär aufgenommen wurden, und verglich dieses Kollektiv mit GCT-Patienten des Tieflands (59); von den 120 GCT waren 116 benigne (96%) und 4 (3.3%) maligne PGL. Frauen waren häufiger betroffen (89%). Ein multiples Auftreten von PGL wurde bei 5 Patienten beobachtet, in einem einzigen Fall war eine familiäre Häufung nachweisbar. In der Folge konnte bei 80 Patienten (66%) der Tumor chirurgisch entfernt werden, wobei nach Carotisligatur drei Todesfälle infolge cerebraler Ischämie auftraten. 41 Patienten konnten auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters, schwerer Begleiterkrankungen oder des großen Tumorvolumens ausschließlich einer Observanz unterzogen werden, wobei das mediane Follow-Up 47 Monate betrug. Während dieser Zeit berichtete keiner der Patienten über zusätzliche Symptome, Tumorprogredienz oder sogar Fernmetastasierung. Im Vergleich dazu zeigten Tieflandbewohner eine deutlich schwächere GCT-Prädominanz des weiblichen Geschlechts (2 : 1), allerdings einen häufigeren bilateralen Befall (10 - 20%) und eine größere familiäre Häufung (7 - 25%) (64). Weitere Untersuchungen bestärken die Annahme, dass chronische Höhenexposition die phänotypische Ausprägung und das Wachstum hereditärer Para200


gangliome (PGL1) begünstigen kann, die sich meistens im GC entwickeln und bei denen Mutationen jener Gene eine ursächliche Rolle spielen, die für Untereinheiten des Succinatdehydrogenase-Komplexes (SDH) des mitochondrialen Zitratzyklus kodieren (62). In diesem Zusammenhang wird vermutet, dass bei Mutationen speziell des SDHD-Gens auch das O2-Sensing beeinträchtigt sein könnte. Genaue Mechanismen der Tumorgenese sowie Penetranz und Expression beeinflussende Faktoren sind noch weitgehend unerforscht (65). Niedrige Höhen dürften allerdings die Penetranz von GCT vermindern und die natürliche Selektion durch SDH-Mutationen abschwächen. Nach Beurteilung der Datenlage dürften große Höhen mit einem hohen phänotypischen Expressionsgrad verbunden sein, auch wenn ein von Jech untersuchtes höhenassoziiertes PGL-Tumorkollektiv mit 5 untereinander nicht verwandten Patienten aus der Andenregion keinen Hinweis auf pathogenetische Mutationen des SDHB sowie SDHD-Gens erbrachte (55). Die Möglichkeit eines zusätzlich genetisch fundierten Beitrags an der Entwicklung höhenassoziierter PGL in hochgelegenen Lebensräumen ist noch nicht eindeutig entschieden, da Untersuchungen größerer Tumorkollektive in den in Frage kommenden Höhenregionen bisher fehlten und die Datenlage zum Großteil auf Einzelberichten basierte; darüber hinaus stehen molekulargenetische Methoden auch nicht immer und überall zur Verfügung (55, 60). A

B

Abb. 5: Immunhistochemische Darstellung eines GC-Tumors (dazugehöriges OP-Bild s. Abb. 4) A: S100-positive und B: Chromogranin-positive Stützzellen

PGL werden in ihrer Entwicklung durch chronisch alveoläre Hypoxie zumindest begünstigt. Neuere molekulargenetische Untersuchungen brachten auch den Transkriptionsfaktor HIF-1α für die zelluläre Hypoxieanpassung mit der Pathogenese von parasympathischen aber auch sympathischen PGL (Phäochromozytomen) in Verbindung. Neben HIF-1α getriggerter verstärkter Genexpression für VEGF und PD-ECGF, die auch zum Gefäßreichtum der GC201


PGL beitragen (66), können verschiedenste Peptidhormone wie Angiotensin II, Adrenomedulin, Bombesin, Calcitonin, Cholecystokinin, Erythropoetin, ANP, Somatostatin, VIP, Galanin, Opioide gebildet werden (Abb. 5) (41). Die überwiegende Mehrheit der GC-PGL nimmt einen gutartigen Verlauf; die Therapie der Wahl besteht in der chirurgischen Exzision (54, 67, 68), wegen der reichlichen Vaskularisation am besten mit präoperativer Chemoembolisation (Abb. 6) (69). Bei kompletter chirurgischer Resektion ist die Prognose gut; allerdings können ein Rezidiv bzw. eine Metastasierung noch nach Jahren auftreten. A

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Abb. 6: Angiographische Darstellung eines GCT A: Vor Chemoembolisation: stark vakularisierter Tumor der linken Bifurcatio carotica B: Nach Chemoembolisation (Contur®): aufgehobene Gefäßdarstellung im Bereiche des GCT

DANKSAGUNG Die Autoren danken Univ.-Prof. Dr. Kurt Tiesenhausen, Klin. Abteilung für Gefäßchirurgie, Chirurg. Univ.-Klinik Graz für die operativen, OA Dr. Martin Wehrschütz von der Radiolog. Univ.-Klink Graz für die angiographischen und OA Dr. Arthur Ott vom Pathol.-anatom. Institut Graz für die histologischen Abbildungen. 202


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210


Wolfgang Domej, Julia Evangelist, P e t e r R ohrer, Günther Schwaberger, Thomas Valentin

Ergebnisse mikrobiologischer Fußund Fußbettabstriche nach mehrstündigem Aufstieg Results of Microbiological Swabs from Feet and Insoles after Several Hours’ Ascent

SUMMARY Soft tissue infections of the lower limbs are common in diabetes and peripheral arterial occlusive disease and may progress to severe inflammation. In sporting terms, pressure sores and mechanical damage of the skin and soft tissues of the feet frequently make it painful and difficult to proceed, reduce concentration and may force the mountaineer to give up. In this prospective study microbiological swabs from the first interdigital space and the insoles of the mountain boots of 80 mountaineers were taken after several hour’s ascent to detect potentially pathogenic bacteria and fungi, with the special attention of pressure sores and blisters. In addition, humidity was measured inside the footwear with a hygrometer. Forty sequential volunteers were examined after reaching either the Schiestlhaus (team I: Hochschwab, 2.153 m) or the Erzherzog-Johann-Hütte (team II: Adlersruhe/Großglockner, 3.451 m). Of all individuals tested, 20% had blisters or painful pressure sores from their mountain boots. Gram-positive pathogens and nonfermenters were more commonly isolated within team II, whereas Enterobacteriaceae were more frequently detected in team I. Regardless of the material composition and age of the hiking boots, the preferred area for bacterial growth was the insole. The frequency of positive cultural testing was not related to the humidity within the boots. The content of humidity within the boots in team II was lower than in team I, though more pathogens were 211


detected at the higher (team II) than at the lower altitude base (team I). Within two weeks after microbiological swabs were taken, there was not a single case of local infection caused by the pathogens detected. Keywords: foot blisters, mountain boots, skin infections, foot problems, mountaineering, pressure points

ZUSAMMENFASSUNG Weichteilinfektionen der unteren Extremitäten haben eine hohe Prävalenz bei Diabetes mellitus und PAVK und können zu schweren Entzündungen fortschreiten. Im sportlichen Bereich führen Druckstellen und mechanisch bedingte Alterationen der Haut und/oder der Weichteile der Füße häufig zu schmerzhafter Beeinträchtigung der Fortbewegung im Gelände, entsprechender Konzentrationseinschränkung und ggf. auch zu vorzeitigem Abbruch der alpinistischen Aktivität. Im Rahmen dieser Studie wurden nach einem mehrstündigen Aufstieg Füße (erster Zehenzwischenraum) sowie Bergschuhe (Fußbett) von insgesamt 80 Alpinisten auf potenziell pathogene Bakterien und Pilze untersucht, wobei besonderes Augenmerk auf etwaige Druckstellen mit Blasenbildungen gelegt wurde. Der Feuchtigkeitsgehalt des Schuhinnenraumes wurde hygrometrisch erfasst. Jeweils 40 freiwillige sequentielle Testpersonen nahmen nach Erreichen eines der beiden Stützpunkte, entweder Schiestlhaus (Gruppe I: Hochschwab, 2.153 m) oder Erzherzog-Johann-Hütte (Gruppe II: Adlersruhe, Großglockner, 3.451 m) an der Untersuchung teil. Bei 20% aller untersuchten Probanden fanden sich schmerzhafte Druckstellen sowie Blasenbildungen an den Füßen. Die Ergebnisse der Abstrichuntersuchungen zeigten in der Großglockner-Gruppe ein deutliches Überwiegen potentiell pathogener Gram-positiver Keime sowie Nonfermenter, in der Hochschwab-Gruppe waren Enterobacteriaceae häufiger. Unabhängig von der Materialzusammensetzung und vom Alter der Bergschuhe war der Schuhinnenraum (Fußbett) die bevorzugte Stelle für die Keimbesiedelung, die Keimhäufigkeit korrelierte jedoch nicht mit dem Feuchtigkeitsgehalt der Bergschuhe, wobei der Feuchtigkeitsgrad der Schuhe der Gruppe II deutlich geringer war als in der Gruppe I; trotzdem konnten am höher gelegenen Zielpunkt der Gruppe II häufiger fakultative Pathogene nachgewiesen werden als am niedriger gelegenen der Gruppe I. Innerhalb der nachfolgenden 2 Wochen trat in keinem einzigen Fall eine Infektion im Zusammenhang mit den Keimnachweisen auf. Schlüsselwörter: Blasenbildung, Bergschuhe, Hautinfektionen, Fußprobleme, Bergsteigen, Druckpunkte 212


EINLEITUNG Bei Alpinisten ist die Haut der Füße je nach Passform des Schuhwerks oft langdauernden mechanischen Belastungen ausgesetzt, wobei Fehlbelastungen infolge orthopädischer Fußfehlstellungen und rigides bzw. unpassendes Schuhwerk aggravierend sein können. So weisen Personen, die leicht zu Blasenbildungen an den Füßen neigen, eine völlig andere biomechanische Wechselwirkung auf die Fußsohlen auf als Menschen, die kaum oder nie unter Fußblasen leiden (1, 2, 3). Fußprobleme gehören unter Extrembedingungen (z. B. Marathonlauf) zu den häufigsten Ursachen für eine Inanspruchnahme medizinischer Betreuung, wobei Blasenbildungen der Füße 30 - 50% aller zu behandelnden Läsionen ausmachen (4, 5, 6). Blasen entwickeln sich durch horizontale Scherkräfte, wobei sich die epidermale Hautschicht von der darunter liegenden Lederhaut abhebt und Gewebsflüssigkeit oder Blut in den entstandenen Zwischenraum eindringen kann. Blasenbildungen finden sich bevorzugt an Zehenspitzen, Fersen und Fußballen, wobei Hitze, Schweißneigung und der materialabhängige Feuchtigkeitsgehalt des Schuhinnenraumes als weitere begünstigende Faktoren in Frage kommen (7). Die durch mechanische Alteration hervorgerufenen Hautläsionen können in der Folge sekundär bakteriell infiziert werden. In diesem Zusammenhang kann das richtige Sockenmaterial wesentlich zur Blasenfreiheit beitragen (8). In einer Studie mit über 350 US-Rekruten wurden drei unterschiedliche Schuh-Socken-Kombinationen getestet. Eine Gruppe trug übliche Standard-Militärsocken aus einem Wolle-Baumwolle-Nylon-Spandex-Mischgewebe, eine zweite dieselben Socken jedoch mit dünnen Untersocken aus Polyester, eine dritte Gruppe war mit speziellen sehr dicken Wolle-Polypropylen-Socken ausgestattet und trug darunter ebenfalls dünne Socken aus synthetischem Material. Die Sockenkombination der letzten Gruppe konnte vergleichsweise die Häufigkeit von Blasen speziell während der ersten drei Trainingswochen deutlich senken. Rekruten mit ausschließlich Standardmilitärsocken zeigten dagegen mit größerer Häufigkeit medizinisch zu versorgende Blasenbildungen. Das Tragen dünner Untersocken dürfte somit einen nicht zu vernachlässigenden hautprotektiven Effekt für den gesamten Fußbereich haben (9, 10). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Verwendung desinfizierender und schweißhemmender Präparate (Cremen, Öle, Balsame, Sprays) die Entstehung von Blasenbildungen bzw. deren Keimbesiedelung tatsächlich verhindern kann (11). Die Auswirkung wurde wiederum bei US-Kadetten mit schweißhemmendem Aluminiumchloridhexahydrat als Schuheinlage plazebo213


kontrolliert getestet. Die Probanden mussten eine 21 km lange Testwanderung mit gut eingegangenem Schuhwerk absolvieren, wobei das Mitführen eines standardisierten Zusatzgewichts von 30 kg Bedingung war. Nach dem Testmarsch war in der Verumgruppe die Blasenbildung an den Füßen deutlich geringer als in der Plazebogruppe, wobei der niedrigere Feuchtigkeitsgrad wahrscheinlich für die Reduktion der Blasenbildung verantwortlich war. Allerdings traten in 57% unerwünschte Hautirritationen durch das Antitranspirans auf (12). Im Falle eines zu kleinen Schuhinnenraumes kann es u. a. beim Bergablaufen und -gehen zum so genannten „Jogger’s Toe“ kommen. Die Haut einer oder mehrerer Zehen, meist die Großzehe und die zweite Zehe, bzw. die dritte bis fünfte Zehe können am lateralen Rand durch mechanische Belastung alteriert werden. Durch wiederholte Stoßbelastungen entwickelt sich dabei im Nagelbett ein Hämatom, das morphologisch Ähnlichkeit mit einer Onychomykose oder auch einem Melanom haben kann. Bei dieser an sich harmlosen Alteration des Nagelbettes ist in der Regel keine Behandlung erforderlich, der Nagel löst sich nach Tagen von selbst ab (7). In diesem Zusammenhang besteht vor allem bei Weitwanderern eine positive Korrelation zwischen dem Rucksackgewicht und der Häufigkeit von Parästhesien der unteren Extremitäten (13). Im Allgemeinen entstehen mikrobiologische Unterschiede der Keimflora multifaktoriell in Abhängigkeit von klimatischen und genetischen Faktoren, Alter, Geschlecht, Stress, Ernährung und Hygiene. Ein Zusammenhang zwischen Erregerspektrum und höhenklimatischen Bedingungen ist insoferne gegeben, als in der Höhe meist ein etwas abgewandeltes Keimspektrum gegenüber Tallagen respektive Meeresspiegelniveau zu finden ist. Auch die Keimzahlen können sich mit zunehmender Höhe ändern (14). Bei Haut- und Weichteilinfektionen sind häufig Gram-positive Bakterien vorherrschend, wobei vor allem Staphylococcus aureus und Beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A aber auch Gram-negative Erreger wie Enterobacteriaceae oder Pseudomonaden verantwortlich sind. Risikofaktoren für das Auftreten von Hautinfektionen können Verletzungen, Ulzerationen oder individuelle Risikofaktoren wie beispielsweise Diabetes mellitus oder PAVK darstellen. Diabetiker sind besonders anfällig für Hautinfektionen insbesondere durch Staphylococcus aureus, A-Streptokokken, Gram-negative Keime und auch Anaerobier. So fand man in einer Studie, in der 103 Diabetiker mit Ulcera cruris eingeschlossen wurden, 143 aerobe Keime, von denen 76% Gramnegativ und 24% Gram-positiv waren. Dabei dominierten Pseudomonas aeruginosa gefolgt von Staphylococcus aureus. In 9% aller Fälle wurden Pilze isoliert, wobei Candida species am häufigsten vorkamen (15). Der diabetische 214


Fuß sollte durch gut passendes Schuhwerk unterstützt und stabilisiert werden, um auftretende Stoß- und Scherkräfte zu verringern, wobei sich eine gute Passform sowohl auf die korrekte Schuhlänge als auch angepasste Schuhform bezieht (16). Pilze (Dermatophyten) begünstigen das Auftreten von Haut- und Weichteilinfektionen der unteren Extremitäten und können Haut sowie Hautanhangsgebilde befallen. Dermatophyten können, wenn sie die Hautbarriere erst einmal durchbrochen haben, eine Eintrittspforte für nachfolgende Keime darstellen (17). Besonders Marathonläufer stellen eine Risikogruppe für das Auftreten einer Tinea pedis-Infektion dar (18). Mikrotraumen der Füße, aber auch aufgeweichte Haut und Hauterosionen können Dermatophyteninfektionen begünstigen. So wiesen Marathonläufer in 45% sichtbare Hautdefekte auf, wobei in 30% Dermatophyten nachgewiesen werden konnten (19). Spekulativ liegt die Ursache im zu dichten Abschluss der Füße über einen längeren Zeitraum, was zu einer oberflächlichen Aufweichung der Haut führen kann. Maßnahmen wie gute Belüftung und Trocknung feuchten Schuhwerks sowie häufiges Wechseln der Socken kann daher Dermatomykosen im Fußbereich vorbeugen (7). Neben einem Alterseinfluss wurden auch geschlechtsspezifische Unterschiede gefunden, wobei Männer häufiger an Dermatomykosen leiden als Frauen. Dermatomykosen, Intertrigo der Zehenzwischenräume sowie Nagelwuchsstörungen begünstigen das Auftreten fortgeleiteter Infektionen. Alle die lokale Abwehr herabsetzenden Faktoren, wie Diabetes mellitus, PAVK oder Varikose gelten als weitere Risikofaktoren für intertriginöse Entzündungen im Zehenbereich (20). Auch kleine, unauffällige Bagatellverletzungen der Haut können unter Umständen zu Haut- und Weichteilinfektionen (skin and soft tissue infections, SSTI’s) Anlass geben und ein breites Spektrum morphologischer Erscheinungsformen vom Erysipel bis zur lebensbedrohlichen nekrotisierenden Fasziitis nach sich ziehen (21). Als entsprechende Symptome gelten Rötung, Schwellung, Überwärmung und Schmerzen. In vielen Fällen wird die Entzündung durch Streptococcus pyogenes und Staphylococcus aureus ausgelöst, gefolgt von anderen β-hämolysierenden Streptokokken und Gram-negativen Erregern; Beine und Füße sind Prädilektionsstellen und in 70% der Fälle betroffen. Eine weitere vor allem durch Okklusion und Feuchtigkeit im Fußbereich verursachte bakterielle Infektion ist Keratolysis sulcata. Auch dabei spielt die mechanische Einwirkung von Druck- und Scherkräften auf die Haut eine entscheidende Rolle. Die Erkrankung kommt allerdings in gemäßigten Zonen seltener vor als in den Tropen oder Subtropen und präsentiert sich in Form multipler punktförmiger Substanzverluste innerhalb der Hornhaut. Als Verursacher wer215


den bestimmte Corynebakterien verantwortlich gemacht. Betroffene zeigen starken Fußgeruch, erhöhte Schweißneigung und eigentümliches Kleben der Socken an den Füßen (22). Präventiv wird das Tragen synthetischer Socken und die Meidung von zu engem, feuchten Schuhwerk empfohlen (23). Entsprechend der bekannten Laufschuhdermatitis können sämtliche Materialien eines Bergschuhs wie Gummi, Kleber, Farben u. a. auch lokal allergen wirksam sein und auf dieser Basis zu entzündlichen Hautveränderungen führen (24).

METHODIK Für die Untersuchungen der Bergsteiger wurden zwei Berghütten in unterschiedlicher Höhenlage ausgewählt. Die Untersuchung der Gruppe I (n = 40) fand am Schiestlhaus (Hochschwab, 2.153 m) statt, die Gruppe II (n = 40) wurde auf der Erzherzog-Johann-Hütte (Adlersruhe/Großglockner, 3.451 m), dem höchst gelegenen alpinen Stützpunkt Österreichs am Anstieg zum Gipfel des Großglockners, untersucht. Beide Schutzhäuser sind ausschließlich zu Fuß nach einem mehrstündigen Aufstieg erreichbar. Alle Studienteilnehmer waren freiwillige sequentielle Ankömmlinge auf dem jeweiligen Stützpunkt.

Abb. 1: Schiestlhaus/Hochschwab (2.153 m) 216


Abb. 2: Erzherzog Johann Hütte/Adlersruhe (3.451 m)

Nach Ankunft der Teilnehmer und kurzer Information über Studienziel, Methodik und Durchführung der Untersuchung wurden Abstriche der Schuhe und Füße entnommen. Mit kommerziell erhältlichen Abstrichtupfern wurden minFrauen Männer Alter (J) Größe (cm) Gewicht (kg) Aufstiegszeit (h)

Gruppe I: Hochschwab 12 (30%) 28 38 ± 12 171 ± 13 70 ± 13 4,6 ± 1,3

Gruppe II: Großglockner 10 (25%) 30 39 ± 12 176 ± 10 73 ± 14 5,3 ± 1,4

Tab. 1: Probandenkollektive

destens 2 Abstriche (erster Zwischenzehenraum, Fußbett) und, sofern Blasen oder gerötete Druckstellen detektiert wurden, auch von diesen Hautläsionen gewonnen. Zudem wurde mit einem Hygrometer die Luftfeuchtigkeit innerhalb der Schuhe gemessen (Hygro-Term, Eschenbach Optik: Messgrenzen 10 - 99%, Temperaturbereich 0 - 50°C, Variation +/– 5%). Anhand eines Fragebogens wurden anschließend alle für die Auswertung relevanten Daten der Probanden erfasst, wobei sich die Fragen auf Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht und Aufstiegszeit sowie auf das Schuhmaterial und die durchschnittliche Tragehäufigkeit der Bergschuhe bezogen (Tab. 1, 2, 3); letztere wurde in 3 Kate217


gorien unterteilt: „seltener als zweimal pro Monat“, „zweimal pro Monat bis zweimal pro Woche“ und „öfter als zweimal pro Woche“ getragen (Tab. 2, 3). Die meisten Probanden am niedrigeren Alpinstützpunkt (mittlere Höhe) benützten ihre Bergschuhe wesentlich seltener als die in großer Höhe untersuchten. Der Großteil der Gruppe II-Probanden war durchschnittlich 2 Mal pro Woche bis 2 Mal pro Monat (Kat. 2) damit in den Bergen unterwegs (Tab. 2); 42% der Probanden mit Lederschuhen und 44% mit Schuhen aus Mischmaterialien fielen bezüglich Verwendungshäufigkeit ihres Schuhwerks ebenfalls in die Kategorie 2. Studienteilnehmer, die sehr häufig ihre Schuhe gebrauchten (Kat. 3) waren etwa zu gleichen Teilen in Schuhen aus Leder, Leder/Gore-Tex® oder rein synthetischen Materialien unterwegs (Tab. 3). Gruppe I: Hochschwab

Gruppe II: Großglockner

Kat. 1: < 2x/Monat

21

13

Kat. 2: 2x/Monat - 2x/Woche

13

23

6

3

Kat. 3: > 2x/Woche

1 Proband aus Gruppe II wegen erstmaligen Gebrauchs neuer Schuhe nicht enthalten

Tab. 2: Verwendungshäufigkeit der Bergschuhe

1 Proband aus Gruppe II wegen erstmaligen Gebrauchs neuer Schuhe nicht enthalten

Gore-Tex® Vollleder Kombination Leder/Gore-Tex® Anderes Synthetikmaterial Kombination Synthetik/Leder

Kat. 1 5 7 4 3 15

Kat. 2 8 8 9 3 8

Kat. 3 0 3 3 3 0

Gesamt 13 18 16 9 23

Tab. 3: Verwendungshäufigkeit nach Schuhmaterial

Von den insgesamt an den beiden Stützpunkten untersuchten 80 Bergsteigern waren 18 in Volllederschuhen (7 aus Gruppe I, 11 aus Gruppe II) unterwegs. 39 der übrigen 61 untersuchten Personen bevorzugten Schuhe aus kombinierten Materialien (Gore-Tex®/Synthetik/Leder), 13 Alpinisten waren mit Gore-Tex®Schuhen, 9 mit Schuhen aus anderen synthetischen Materialien unterwegs (Tab. 3). Die Abnützungsgrade der Schuhe wurden in 3 Klassen unterteilt, wobei Schuhe der Klasse 1 „neu“, der Klasse 2 „getragen“ und der Klasse 3 „stark abgenützt“ waren. Die meisten Bergschuhe entsprachen durchschnittlicher Abnützung mit leichten Verschleißerscheinungen (Klasse 2). In der ersten Gruppe (Hochschwab) wurden 33, in der zweiten (Großglockner) 36 in Klasse 2 eingestuft. Klasse 3 kam in der ersten Gruppe dreimal, in der zweiten Gruppe nur einmal vor. In 218


Gruppe I trugen vier, in Gruppe II drei Personen neues Schuhwerk (Klasse 1) (Abb. 3).

Abb. 3: Abnützungsgrade: links Synthetiklaufschuh (Klasse 2), in der Mitte Bergschuhe aus Gore-Tex®‚ (Klasse 1) und rechts stark abgenützte Lederbergschuhe (Klasse 3)

Zwei Tage nach Abnahme wurden sämtliche Abstriche im Mikrobiologischen Labor der Medizinischen Univ.-Klinik Graz weiter bearbeitet. Dabei wurde jede einzelne Probe auf MacConkey-Agar (MCK) sowie Kochblut-Agar (KB) übertragen und 18 bis 24 Stunden bei 35° C inkubiert; danach erfolgte die Keimidentifizierung mittels Gram-Färbung, Koagulase- und Katalasereaktion, chromogener Nährmedien und weiterer biochemischer Methoden (API 20 E®, API 20 NE® und Biomerieux®, Wien). Zwei Wochen danach wurden 44 Probanden nochmals telefonisch oder per e-mail befragt, inwieweit sich nachträglich noch entzündliche Veränderungen an den Füßen respektive Symptome wie Rötungen, Schwellungen, Schmerzen, lokaler Erwärmungen entwickelt hätten.

ERGEBNISSE Die Probanden beider Gruppen unterschieden sich hinsichtlich ihrer anthropometrischen Daten nur unwesentlich; einzig die Aufstiegszeit war am Großglockner im Schnitt um 42 Minuten länger. Der Frauenanteil am gesamten Untersuchungskollektiv betrug 27.5%.

Abb. 4: Links: typische Druckläsion am linken medialen Fußrand und Blasenbildung im Bereiche der linken Ferse; rechts: kleine Blasenbildung über dem rechten Großzehengrundgelenk und Clavusbildung durch chronische Druckeinwirkung 219


20% aller Probanden wiesen mehr oder weniger starke Druckstellen im Bereich der Füße auf (11 unilokulär, 5 multilokulär) (Abb. 4). In 15 Fällen (davon 4 Lederbergschuhe) wurden zusätzlich Abstriche von erodierten Blasen bzw. geröteten Hautarealen gewonnen. Für 8 Probanden mit nicht ganz angepasstem Schuhwerk stellte die Bergtour eine ungewohnte Belastung dar, die gleichzeitig wegen der selteneren Tragehäufigkeit in die Kat. 1 fielen. Bei der Inspektion der Füße konnten in 10% variköse Veränderungen und in 5% auch Onychomykosen festgestellt werden. Gruppe I und Gruppe II waren jedoch bezüglich der Häufigkeit von Varizen und Nagelpilzbefall nicht sehr unterschiedlich (Tab. 4). Druckstellen Varizen Onychomykose Knöchelödeme

Gruppe I: Hochschwab 10 3 3 0

Gruppe II: Großglockner 6 5 1 0

Gesamt 20% 10% 5% 0

Tab. 4: Allgemeine Inspektionsbefunde der Füße nach Gruppenzugehörigkeit

Unmittelbar nach dem Aufstieg wiesen die Volllederbergschuhe im Schuhinnenraum keinen höheren Luftfeuchtigkeitsgehalt (LF) auf als die Schuhe aus synthetischen oder gemischten Materialien. Die innerhalb der Schuhe gemessene LF lag bei Vollledermodellen (71%) sogar etwas unter dem Durchschnitt aller Schuhe (77%). Tab. 5. Schuhalter und Schuhluftfeuchtigkeit (SLF) im Gruppenvergleich

Schuhalter (J) SLF (%) 50 - 65 (%) 66 - 80 (%) > 80 (%) Keine Angaben

Gruppe I: Hochschwab 3,6 ± 2,4 69 ± 10 0 14 26 0

Gruppe II: Großglockner 2,8 ± 3,1 81 ± 5 9 15 4 12

Tab. 5: Schuhalter und Schuhluftfeuchtigkeit (SLF) im Gruppenvergleich

In der Gruppe I konnte ein signifikanter Unterschied der SLF im Vergleich zur Gruppe II festgestellt werden (81%/69%) (Tab. 5). Aufgrund von Umgebungseinflüssen konnte die SLF im Schuhwerk von 12 Studienteilnehmern auf 3.451 m nicht korrekt bestimmt werden. Am Hochschwab war auf Grund von heftigem Niederschlag ein hoher Grad an Luftfeuchtigkeit vorherrschend, was sich auch auf den durchschnittlichen Feuchtigkeitsgehalt der geprüften Bergschuhe auswirkte (Tab. 5). Der Großteil der Probanden (62) war mit Socken bekleidet, die sich ausschließlich aus synthetischen Geweben bzw. aus Wolle/Baumwolle/Synthetik220


Fasergemischen zusammensetzten. In Gruppe I war nur 1 Testperson, deren Sockenmaterial aus Reinwolle bestand, in Gruppe II trugen 5 Probanden Reinwollsocken. Zudem waren in Gruppe 1 acht Personen mit einfachen Baumwollsocken unterwegs, in Gruppe II war das bei 4 Testpersonen der Fall. Bei der Inspektion der Füße fanden sich Hinweise auf orthopädische Fußprobleme, Nagelpilzbefall sowie variköse Veränderungen. Allerdings waren bei nur wenigen Teilnehmern orthopädische Abweichungen im Sinne eines Pes transversoplanus, Pes planus, Hallux valgus, Digitus malleus, Pes cavus, Pes planovalgus, Exostosen bzw. St. p. Polyfrakturierung von Fußwurzelknochen (ohne genaue Angaben) und St. p. Arthrodese festzustellen (Tab. 6). Normal Pes transversoplanus Pes planus Hallux valgus Pes planovalgus Digitus malleus Pes cavus Sonstige

Gruppe I: Hochschwab 19 15 4 2 3 0 1 3

Gruppe II: Großglockner 27 5 3 4 1 1 0 1

Tab. 6: Orthopädische Fußbefunde

Die Gesamtzahl aller Abstriche betrug 175. Die Abstriche wurden auf 350 Agarplatten (175 MacKonkey- und 175 Kochblut-Agarplatten) aufgebracht und zwischen 18 und 24 Stunden inkubiert. 91 (26%) Kulturplatten blieben ohne Wachstum (Tab. 7, 8), 78 (86%) der negativen Kulturen stammten von MacKonkey-Agar-Nährböden (45% aller MCK-Kulturen). Dagegen blieben erwartungsgemäß nur 13 Proben (7%) aller Kochblut-Agar-Kulturen ohne Keimwachstum. Von den insgesamt 259 positiven Kulturen konnten letztlich 190 Keime weiter identifiziert werden, von denen 114 als potentiell pathogen einzustufen waren. Die restlichen 76 Keimnachweise entsprachen Bakterien der physiologischen Hautflora. Im Gesamtkollektiv kamen Gram-negative Pathogene weitaus häufiger vor als Gram-positive. Der am häufigsten detektierte Gram-positive pathogene Keim war Staphylococcus aureus, der bei insgesamt 10% aller Studienteilnehmer isoliert wurde. Darüber hinaus wurde in 5% der Proben Streptococcus pyogenes nachgewiesen. Von allen KB-Agar-Kulturen (175) zeigten 135 (77%) ausschließlich Hautkeime. Das Gram-negative Keimspektrum wies eine breite Verteilung auf. Am häufigsten wurden Keime aus der Familie Acinetobacter, darunter 19-mal Acinetobacter baumannii, 5-mal Acinetobacter lwoffii und Acinetobacter radioresistens sowie 4-mal Acinetobacter junii isoliert. 221


In der zweitgrößten Gruppe den Pseudomonaden mit 27 positiven Abstrichen wurden Pseudomonas aeruginosa 10-mal, Pseudomonas luteola 5-mal, Pseudomonas oryzihabitans 5-mal und Pseudomonas stutzei einmal detektiert; andere zur Pseudomonadenfamilie gehörige Nonfermenter wie Burkholderia cepacia, Ralstonia pickettii und Stenotrophomonas maltophilia kamen je 2-mal vor. Bacillus species fanden sich in 16 Kulturen, wobei keine weitere Identifikation durchgeführt wurde und somit die potentielle Pathogenität nicht beurteilt werden konnte.

A: Acinetobacter, B: Bacillus sp., PS: Pseudomonas aeruginosa, SA: Staphylococcus aureus, St: A-Streptokokken, NH: normale Hautflora

Abb. 5: Keimnachweise nach Probandenanzahl im Gruppenvergleich

Desweiteren fanden sich insgesamt 5-mal Enterobacter cloacae, 4-mal Streptokokken der Gruppe A, und je 3-mal Pantoea species sowie Pasteurellaarten. Alle im Folgenden erwähnten Keime wurden nur zweimal nachgewiesen: Agrobacter radiobacter, Alcaligenes denitrificans und Citrobacter species. Nur wenige Bakterien wurden ein einziges Mal isoliert wie Buttiauxiella agrestis, Ochrobacter anthropii und Leclercia adecarboxylata. Ebenfalls in nur einem einzigen Abstrich wurde der Hefepilz Candida glabrata nachgewiesen (Tab. 7 und 8). Bei den beiden Diabetikern der Gruppe II waren die bakteriellen Nachweise der Füße und Schuhe nicht unterschiedlich zu jenen gesunder Probanden. Bei beiden diabetischen Studienteilnehmern konnte Acinetobacter baumannii isoliert werden, bei einem der beiden Männer wurde zusätzlich 222


Pseudomonas aeruginosa im Schuh und interdigital Stenotrophomonas maltophilia nachgewiesen. Keime Staphylococcus aureus Pseudomonas aeruginosa A-Streptokokken Acinetobacter Bazillus sp. Hautflora Andere Negative

S 0 1 0 5 3 39 11 17

Z: Zwischenzehenraum, S: Schuh/Fußbett, H: Hautläsionen

Z 1 0 0 4 3 39 10 22

H 0 1 0 0 1 4 0 12

Gesamt 1 2 0 9 7 82 21 51

S: Schuh/Fußbett, Z: Zwischenzehenraum, H: Hautläsionen

Tab. 7: Ergebnisse Gruppe I (Hochschwab): Keimnachweise nach Abstrichlokalisation

Keime S Z Staphylococcus aureus 4 5 Pseudomonas aeruginosa 6 2 A-Streptokokken 3 1 Acinetobacter 15 9 Bazillus sp. 8 1 Hautflora 22 33 Candida glabrata 1 0 Andere 9 3 Negative 10 23 Z: Zwischenzehenraum, S: Schuh/Fußbett, H: Hautläsionen S: Schuh/Fußbett, Z: Zwischenzehenraum, H: Hautläsionen

H 1 0 0 0 0 2 0 0 7

Gesamt 10 8 4 24 9 57 1 12 40

Tab. 8: Ergebnisse Gruppe II (Großglockner): Keimnachweise nach Abstrichlokalisation

Bei 18 Probanden wurden, abgesehen von Bakterien der gewöhnlichen Hautflora, ausschließlich Keime detektiert, die weder zu den Acinetobacterarten, zur Pseudomonasfamilie, zu den Bazillen oder zu Gram-positiven Pathogenen zu rechnen sind. Um wesentliche mikrobielle Unterschiede besser darzustellen, wurden die kulturell nachgewiesenen Keime in übergeordnete Gruppen eingeteilt: Gram-positive Pathogene, Nonfermenter und Enterobacteriaceae. Pasteurella sp. ist auf Grund ihrer Familienzugehörigkeit keiner dieser drei Gruppen zuzuordnen und wurde daher in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt (Abb. 6). 223


Abb. 6: Keime im Gruppenvergleich in Bezug auf die Probandenzahl

Acinetobacter Pseudomonas Bacillus sp. Staphylococcus Streptokokken Pasteurella Pantoea species Citrobacter Buttiauxiella Ochrobacter Leclercia Enterobacter Agrobacter Alcaligenes Candida Andere Summe

S 20 7 11 4 3 3 2 2 1 1 1 2 0 1 1 9 68

Z 13 2 4 6 1 0 1 0 0 0 0 3 2 1 0 8 41

S: Schuh (Fußbett), Z: 1. Zwischenzehenraum, H: Hautläsion

H 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 3

S: Schuh (Fußbett), Z: 1. Zwischenzehenraum, H: Hautläsion

Tab. 9: Keimnachweise in Abhängigkeit der Abstrichlokalisation 224

Gesamt 33 10 16 11 4 3 3 2 1 1 1 5 2 2 1 17 112


Zwei Wochen nach Abschluss der Untersuchungen konnten immerhin 44 der 80 StudienteilnehmerInnen (55%) (je 22 in Gruppe I und II) telefonisch oder per e-mail befragt werden. Kein einziger der Studienteilnehmer mit oder ohne Druckstellen und/oder Blasen an den Füßen berichtete über eine nachträgliche Entwicklung einer lokalen Inflammation (Hautrötung, Schmerzen, Überwärmung). Jene 15 Personen, bei denen vor Ort lokale Hautläsionen festgestellt worden waren, berichteten einheitlich über einen komplikationslosen Heilungsverlauf.

DISKUSSION Viele Infektionserreger kommen ab einer gewissen Höhe deutlich seltener bis gar nicht mehr vor. Alpine Räume sind häufig durch extreme klimatische Bedingungen und starke jahreszeitliche Schwankungen gekennzeichnet, wodurch auch die Mikroorganismenflora beeinflusst wird. Im Rahmen saisonaler Schwankungen werden allgemein in den kalten Jahreszeiten geringere Keimzahlen gefunden (25). Es gibt jedoch etliche Bakterienarten, die unter sehr rauhen Umgebungsbedingungen überlebensfähig sind. So konnte in den Rocky Mountains gezeigt werden, dass es unter den Pseudomonaden auch sehr kälteresistente Stämme gibt, die alle dem genetischen Cluster Pseudomonas fluorescens angehören; klassische Stämme von Pseudomonas aeruginosa wurden allerdings in der vorliegenden Untersuchung nicht gefunden (25, 26). Die Vermutung liegt nahe, dass bei Bergsteigern in mittleren Höhen Keime häufiger detektierbar sind als in unwirtlichen großen Höhen. In einer Untersuchung zur Verteilung von Bakterien und Pflanzen im Gebirge wurde eine lineare Abnahme der Bakterien mit der Höhe über Meeresspiegelniveau festgestellt (14), wobei der höchstgelegene Untersuchungspunkt dabei ähnlich wie bei der gegenständlichen Studie in 3.400 m Höhe lag. Aus der vorliegenden Studie ergaben sich zum Teil deutliche höhenabhängige Unterschiede im Bereiche Gram-positiver als auch Gram-negativer Keime. Unter den Gram-negativen Keimen waren verschiedene Acinetobacterarten und die Familie der Pseudomonaden in 3.451 m Höhe weitaus stärker vertreten (Tab. 7, 8) (27). Letztere waren bei Probanden der Gruppe I nur 3-mal (Acinetobacter baumannii) und 2-mal (Pseudomonas aeroginosa) in Abstrichen vorhanden, während sie in Gruppe II 19, beziehungsweise 8-mal vertreten waren. Unter den Gram-positiven Bakterien waren die Unterschiede nicht minder ausgeprägt: Staphylococcus aureus wurde am Hochschwab nur ein einziges Mal isoliert, während er am Großglockner bei 7 Probanden, bzw. in 10 Abstrichen gefunden wurde. Streptococcus pyogenes wurde sogar ausschließlich in der 225


Gruppe II auf 3.451 m nachgewiesen. Allerdings müssen auch andere Faktoren wie Ausgangshöhe und Aufstiegszeit für die Unterschiede in Betracht gezogen werden. Mikroorganismen der physiologischen Hautflora haben bekannterweise eine Schutzfunktion; sie wirken im Sinne einer natürlichen Barriere gegen schädigende Einflüsse von außen. Eine intakte Haut und Hautflora sind daher in der Abwehr exogener Pathogene von großer Bedeutung. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in Gruppe I wesentlich häufiger Keime der physiologischen Hautflora detektiert werden konnten als bei Studienteilnehmern der Gruppe II (Tab. 7 und 8). Von den Einflussfaktoren ist die regnerische Wettersituation am Hochschwab vorstellbar, aber auch exogene Faktoren wie Temperatur, hypobare Hypoxie, Luftfeuchtigkeit oder Höhenstrahlung könnten spekulativ eine Rolle spielen (28). Die mikrobiologischen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung weisen darauf hin, dass das Wachstum physiologischer Hautbakterien mit der Höhe abnimmt. Das könnte auch eine mögliche Erklärung dafür sein, dass die Nachweisfrequenz gerade für pathogene Grampositiven Erreger wie Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes in 3.451 m Höhe deutlich höher ausfiel als auf 2.153 m. In großer Höhe am Großglockner war die Anzahl nachgewiesener Pathogene weitaus höher als in der mittleren Höhenlage des Hochschwabs. Man kann deshalb vermuten, dass sich Infektionserreger mit abnehmender physiologischer Hautschutzfunktion in großer Höhe leichter auf der Haut ansiedeln und ausbreiten können. Die Frage, ob die Verwendung antimikrobiell wirksamer Mittel zur Schuhdesinfektion oder desinfizierende Hautpflegemittel per se das Keimwachstum im Zehenbereich und in den Bergschuhen zu beeinflussen vermag, konnte im Rahmen dieser Untersuchung nicht beantwortet werden, da nur ein einziger Teilnehmer seine Schuhe 3 bis 4-mal pro Jahr mit einem Desinfektionsmittel behandelte. Antibakterielle Fußsprays wurden von keinem der Studienteilnehmer verwendet. Weiters gaben 4 weibliche Probanden aus der Gruppe I an, als Hautschutz „Hirschtalg“ (bewährtes volksmedizinisches Mittel) für die Füße zu verwenden, was zwar im Sinne eines Hautpflegemittels, aber nicht im Sinne einer Hautdesinfektion zu werten ist.

EMPFEHLUNGEN Bei Alpinsportarten ist es auf jeden Fall ratsam auf eine gute Fußhygiene zu achten und nach Möglichkeit Druckstellen, Blasenbildungen und wunde Stellen durch unpassendes Schuhwerk von vorneherein zu vermeiden (29). Bei Füßen, die oft ganztägig im Schuh eingeschlossen sind, können Hautschäden 226


bis zum Abend maskiert bleiben. Um Kälteschäden, Blasen oder Infektionen schnell und rechtzeitig zu entdecken, sollten die Füße regelmäßig kontrolliert werden und es sollte darauf geachtet werden, gut passendes Sockenmaterial zu verwenden und diese nach Möglichkeit trocken zu halten. Wechselsocken sollten mitgeführt werden. Alpinsportler sollten auch angehalten werden, Erste-Hilfe-Sets mit sich zu führen, womit eine schnelle Versorgung entstandener Hautdefekte gewährleistet werden kann (30). Viele Alpinsportler entwickeln aus eigener Erfahrung Methoden der Prävention, manche verwenden Tapes, Blasenpflaster oder eine Kombination aus beidem, andere kleben druckgefährdete Stellen bereits im voraus mit Pflasterauflagen ab, um so eine zusätzliche Schutzschicht zwischen Schuh und Haut der Füße zu legen. Im Handbuch für Trekking- und Expeditionsmedizin (31) wird die Verwendung von Tapeverbänden nicht empfohlen, da die Haut unter Luftabschluss eher aufgeweicht und geschädigt wird. Weiters werden gelhaltige Klebefolien, wie beispielsweise COMPEED® für den Fall bereits wunder Hautstellen vorgeschlagen und erst danach antibiotische Salbenverbände. Bei Blasenbildungen werden ggf. auch Drainagen mit Hilfe einer sterilen Nadel oder Lanzette und zur Prophylaxe von Sekundärinfektionen antimikrobielle Präparate empfohlen, wobei topisch applizierten Antiseptika gegenüber Antibiotika der Vorzug zu geben ist (24). Danach sollte allerdings auf jeden Fall ein adhäsives Pflaster zur Anwendung kommen. Als gesichert gilt ein gewisser Gewöhnungseffekt an Schuhwerk und Belastung; diese Tatsache war auch im Rahmen der vorliegenden Studie trendmäßig zu beobachten; 9 von 15 Personen, die unter Blasenbildungen litten, hatten ihre Schuhe seltener als 2-mal pro Monat getragen (Kategorie 1). Im Gegensatz dazu erklärten einige befragte Bergführer am Großglockner, dass sie niemals Blasen an den Füßen bekommen würden.

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230


T h o m a s K ü p p e r, Jim S. Milledge, David Hil lebrandt, Jana Kubalová, U r s H e f t i , Buddha Basnayt, Ulf Gieseler, Richard Pullan, Volker Schoeffl

Arbeit unter Hypoxiebedingungen – die internationale Empfehlung der Medizinischen Kommission der UIAA Working under Influence of Hypoxia – International Recommendations by the Medical Commission of the UIAA

SUMMARY Occupational exposure to reduced oxygen pressure (pO2) is increasing significantly for several reasons, e.g. for business flights, work at high altitude destinations (business in South America, ski slope personnel etc.), for maintenance or construction work (e.g. cable cars), for rescue operations or while coaching athletes at altitude training. Unfortunately the recommendations for occupational health and safety do not take into account the duration and the degree of exposure or the specific physiological aspects of sojourns at high altitude or in hypoxic atmosphere. Therefore they are not applicable as a modern strategy of occupational medicine which should be based on a specific risk analysis and physiological data. The federations, which are in charge for preventive medicine at altitude rsp. in hypoxic environment, like the Austrian Society for Mountain and Altitude Medicine (ÖGAHM) as the largest national body worldwide or the Medical Commission of the Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA MedCom) as the world’s umbrella organization for preventive medicine at altitude / in hypoxic conditions, have a high responsibility to eliminate the deficiencies of the national regulations. Therefore UIAA MedCom has established the recommendation presented here, after a detailed analysis of the various re231


gulations and of the actual scientific literature was performed. The recommendation takes the factors’ type, duration, and degree of exposure into account for a specific risk analysis and therefore enables target group specific advices by occupational medicine. This recommendation implies great importance to the topic as the commission represents 90 federations as members within 62 different countries on all continents. Therefore all relevant countries of the world show their consensus. Keywords: hypoxia, altitude, occupational health, training, fire protection

ZUSAMMENFASSUNG Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit wird eine drastisch zunehmende Zahl an Arbeitnehmern gegenüber vermindertem Sauerstoffpartialdruck (pO2) exponiert, beispielsweise auf Geschäftsflügen, bei Arbeiten an hoch gelegenen Orten (Geschäftsreisen nach Südamerika, Seilbahnbetriebe u.v.a.), zu Wartungs- oder Montagearbeiten (z. B. Seilbahn- und Pistendienste), zu Rettungseinsätzen oder bei der Betreuung von Sportlern im Höhentraining. Hinsichtlich der Empfehlungen zur arbeitsmedizinischen Betreuung dieser Mitarbeiter besteht das Problem, dass diese weder Art noch Ausmaß und Dauer der Exposition berücksichtigen, noch die physiologischen Besonderheiten eines Aufenthalts in vermindertem pO2 bzw. in der Höhe. Damit sind sie nicht praktikabel im Sinne einer modernen, auf einer spezifischen Risikoanalyse und physiologischen Daten basierenden arbeitsmedizinischen Betreuung. Den zuständigen Fachverbänden, neben der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin (ÖGAHM) als weltgrößtem nationalen Verband sowie der Medizinischen Kommission der Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA MedCom) als präventivmedizinische Weltdachorganisation zu Fragen des Aufenthalts in der Höhe bzw. der Hypoxie im Allgemeinen, kommt somit besondere Bedeutung zu, diese Defizite zu beheben. Die UIAA MedCom hat nach Analyse der verschiedenen nationalen Regelungen und der aktuellen wissenschaftlichen Literatur die hier vorgestellte internationale Empfehlung geschaffen, wobei die Differenzierung nach Art, Ausmaß und Umfang der Exposition eine spezifische Risikoanalyse erlaubt und eine zielgruppenspezifische arbeitsmedizinische Betreuung ermöglicht. Dieser Empfehlung kommt insofern besondere Bedeutung zu, als dass die Kommission 90 Mitgliedsverbände aus 62 verschiedenen Ländern aller Kontinente repräsentiert. Damit besteht fachlicher Konsens aller relevanten Länder der Welt. Schlüsselwörter: Hypoxie, Höhe, Arbeitsmedizin, Training, Brandschutz 232


1. Relevanz der Hypoxie in der Arbeitsmedizin Nach Burtscher et al. suchen weltweit jährlich etwa 100 Mio. Personen Höhen über 2000 m auf (1), davon 40 Mio. in Europa und weltweit 37 Mio. sogar extreme Höhen. Natürlich findet nur ein Teil dieser Aufenthalte aus beruflichen Gründen statt, jedoch ist der Anteil beruflich exponierter Personen nicht unerheblich: Allein in Europa sind 30.000 Personen Angehörige der Bergrettungsdienste und die Zahl derer, die im Pistendienst, Bergrestaurants usw. arbeiten, dürfte um mehr als eine Zehnerpotenz höher liegen. Darüber hinaus handelt es sich bei den 5 Mrd. Flugpassagieren weltweit abhängig von der Region in 13-25%, also 650.000-1,25 Mio., um Geschäftsreisen (2). Hinzu kommt eine zunehmende Zahl an Mitarbeitern im Bereicht Höhentraining, Bergbau und auch Brandschutz. Gerade in letzterem explodieren geradezu die Zahlen der Exponierten, denn diese Technik wird zunehmend zur Primärprävention von Bränden in sensiblen Bereichen wie Archiven, Museen oder Serverräumen sowie in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt. Dabei wird der Effekt ausgenutzt, dass unter isobaren Bedingungen die verminderte brandfördernde Wirkung des Sauerstoffs und die erhöhte brandunterdrückende Wirkung des Stickstoffs synergistisch wirken. So entzünden sich bei Normaldruck übliche Stoffe bei 15% O2 nicht mehr, bei 13% trifft dies sogar für hoch entzündliche Stoffe wie Benzin zu. Doch auch „exotische“ Arbeitsplätze wären zu nennen wie die Wissenschaftler in Höhenlaboratorien [z. B. die Europäische Südsternwarte (Atacama Pathfinder Experiment, Chajnantor-Hochplateau, Nordchile) in 5030 m oder die Observatorien auf dem Mauna Kea, Hawaii, 4214 m]. 2. Sauerstoff, Sauerstoffkonzentration und Sauerstoffpartialdruck – Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der physiologischen Effekte In der Höhenmedizin ist traditionellerweise die Höhenangabe üblich, um (indirekt) eine Aussage über das Ausmaß der Hypoxie zu machen (hypobare Hypoxie). Im technischen Bereich, wo es sich zumeist um isobare Hypoxie handelt, wird zumeist die Angabe der Sauerstoffkonzentration (%O2) bevorzugt. Dabei wird oft stillschweigend unterstellt, dass sich diese Angaben auf Meereshöhe beziehen. Die Physiologie bevorzugt ihrerseits den Sauerstoffpartialdruck (pO2), was aus medizinischer Sicht zweifellos die relevanteste, weil direkteste Größe darstellt. Dies wurde bereits im „Goldenen Zeitalter“ der Höhenphysiologie durch Paul Bert, Angelo Mosso, Nathan Zuntz, Emil Burgi, Alberto Agazzotti und vieler anderer umfangreich belegt (3 - 8). Nur wenig später (1925) beschrieb Barcroft – wie übrigens auch schon einige der zitierten Vorgänger – Details zur isobaren Hypoxie (9) und es war bekannt, dass es 233


einige Unterschiede hinsichtlich der Ergebnisse bei der Exposition gegenüber isobarer und hypobarer Hypoxie gab. Diese sind allerdings erst in extremen Höhen signifikant und beruhen in erster Linie auf den mechanisch anderen Eigenschaften dichterer Luft in niedriger und mittlerer Höhe [höhere Viskosität, Übersicht in (10)]. Diese Unterschiede sind für exakte physiologische Messungen im Einzelfall zwar von Belang, aus arbeitsmedizinischer Sicht jedoch völlig irrelevant. Daher können aus arbeitsmedizinischer Sicht die Angaben der Höhe, des pO2 oder der %O2 als gleichwertige Angaben der Exposition betrachtet werden. Für %O2, also der „simulierten Höhe in Meereshöhe“, wird von Höhenmedizinern auch der Begriff „Äquivalenzhöhe“ benutzt, um einen unmittelbaren Vergleich mit der ihnen gebräuchlicheren Höhenangabe zu dokumentieren. Genau genommen schließt der Begriff „Äquivalenzhöhe“ aber im Gegensatz zu %O2 bereits eine ggf. notwendige Höhenkorrektur ein, wenn die isobaren Bedingungen anstatt auf Meereshöhe in Höhen > 500 m erzeugt werden. Die Zusammenhänge zwischen den genannten Faktoren geben Abb. 1 und Tab. 1 wieder. 21

160

20

% O2 bei isobaren Bedingungen

170 150

pO2 (mm Hg)

140 130 120 110 100 90 80 70

19 18 17 16 15 14 13 12 11 10

60

9 8

50 0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

7000

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

7000

Höhe (m)

Höhe (m)

Abb. 1: pO2 und %O2 (isobar in Meereshöhe) in Relation zur Höhe. Die Graphen sind entsprechend der ICAO Standardatmosphäre gezeichnet (16, 69, 102) (vgl. Tab. 1) [Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus (104)]

Aufgrund der in diesem Punkt besonderen Defizite in den jeweiligen nationalen Empfehlungen muss an dieser Stelle ausdrücklich betont werden, dass es keine lineare Korrelation zwischen der Abnahme des pO2 und der Sauerstoffsättigung (SaO2) gibt. So haben bereits zahlreiche Studien der „klassischen Ära“ der Höhenphysiologie zeigen können, dass zwar ein Anstieg der Pulsfrequenz und der Ventilation (Frequenz und Volumen) um 6-8% in etwa 2700 m Höhe eintritt (z. B. 3, 4, 6, 11 – 14), aber die sigmoidale Verlaufsform der O2-Bindungskurve und der später beschriebene „Bohr-Effekt“ (Verschiebung der O2-Bindungskurve) führen zu einem weitaus geringerem Abfall der 234


Tab. 1: Bedingungen gemäß der ICAO (International Civil Aviation Organization) Standardatmosphäre (16, 102) und die „Time of useful consciousness“ (Zeitraum weitgehend uneingeschränkter Aktionsfähigkeit) für nicht-akklimatisierte Personen (16, 17), welche notfalls genutzt werden kann, um Hypoxiebereichen „zu entkommen“. Man beachte, dass bis in 5000 m bzw. 11,1% O2 keine Einschränkung der Aktionsfähigkeit besteht, die Flucht aus Bereichen mit isobarer Hypoxie also in jedem Falle möglich ist. %O2, isobare Bedingungen

Höhe

[m]

Luftdruck

[mmHg]

pO2

[hPa]

[mmHg]

Time of useful consciousness

[hPa]

0

20,9

760.0

1013.2

158.8

211.7

500

19,7

716.0

954.6

149.6

199.5

1000

18,5

673.8

898.3

140.8

187.7

1500

17,4

634.0

845.3

132.5

176.7

2000

16,4

596.0

794.6

124.6

166.1

2500

15,4

560.0

746.6

117.0

156.0

3000

14,5

525.8

701.0

109.9

146.5

3500

13,6

493.0

657.3

103.0

137.3

4000

12,7

462.0

616.0

96.6

128.8

4500

11,9

432.6

576.8

90.4

120.5

5000

11,1

404.8

539.7

84.6

112.8

5500

10,4

378.6

504.8

79.1

105.5

6000

9,7

353.6

471.4

73.9

98.5

6500

9,1

330.0

440.0

69.0

92.0

7000

8,5

307.8

410.4

64.3

87.7

10500

5,0

183.0

244.0

38.2

50.9

ca. 1 min.

12900

3,4

123.5

164.7

25.8

34.4

15-30 sec.

Keine Begrenzung!

>30 min.

3-5 min.

SaO2 als dies ohne diese Faktoren zu erwarten wäre. Dadurch bleibt die SaO2 bei gesunden Personen bis in etwa 3000 m > 90% (Abb. 2), und zwar auch bei körperlicher Belastung im Ausdauerbereich (15). Nur wenn die Person nahe ihrer persönlichen Leistungsgrenze belastet wird, wird auch bereits in diesen Höhen die pulmonale Diffusionskapazität ein zunehmend limitierender Faktor, was die Ursache für eine dann abfallende SaO2 ist (15). In der hier vorgestellten Empfehlung definiert die UIAA MedCom den Begriff „milde Hypoxie“ für jegliche Exposition, bei der die SaO2 nicht unter 90% fällt. 235


Abb. 2: Die SaO2 in mittlerer Höhe unter Berücksichtigung des Bohr-Effekts: Durch einen Anstieg des 2,3-Diphosphorglycerats und einer respiratorischen Alkalose fällt die SaO2 nicht auf etwa 85%, wie es ohne Bohr-Effekt zu erwarten wäre, sondern nur auf 90-95% (linke Kurve) [Daten von (15, 105), Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus (104)]

3. Pathophysiologische Effekte der Hypoxie und arbeitsmedizinische Risikoanalyse Es soll hier nicht ein Berg an höhenmedizinischer Literatur wiederholt werden, jedoch aus konkretem Anlass heraus betont werden, dass milde Hypoxie normalerweise keinerlei Risiko darstellt. Für jegliche Risikoanalyse muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass man ein mindestens dreidimensionales System betrachtet mit den unabhängigen Variablen pO2 und Expositionsdauer und der abhängigen Variable des Risikos bzw. höhenbedingter Symptome. Darüber hinaus haben noch zahlreiche weitere Variable einen signifikanten – wenn auch im Einzelfall oft schwer quantifizierbaren – Einfluss auf das resultierende Gesamtrisiko, insbesondere der Grad der Akklimatisation der jeweiligen Person. Achtung: Alle folgenden Überlegungen beziehen sich auf nicht-akklimatisierte Personen! Wenn eine Person für die jeweilige Höhe vollständig akklimatisiert ist, besteht nach menschlichem Ermessen kein arbeitsmedizinisch relevantes Risiko; auch dann nicht, wenn extreme Höhen von 6000 m oder mehr erreicht werden (müssen). Extreme Hypoxie von mehr als 5000 m oder weniger als 11%O2 kann innerhalb von einer halben Stunde oder noch schneller mentale Beeinträchtigungen bis hin zu Bewusstlosigkeit verursachen. Während bis in 5000 m nur marginale akute Veränderungen zu verzeichnen sind (s. a. Tabelle 1, 16, 17), nimmt die Problematik mit weiter zunehmender Höhe drastisch überproportional zu. Auf der anderen Seite belegen diese Daten, dass keine akute Gefährdung besteht, wenn die Mitarbeiter in isobarer Umgebung 5000 m Äquivalenzhöhe nicht überschreiten, was für den weitaus größten Teil der Betroffenen zutrifft. Wenn Mitarbeiter über Stunden oder gar Tage (Geschäftsreisen!) hypoxieexponiert sind, kann es abhängig von der Risikokonstellation zu Höhenerkran236


Tab. 2: Charakteristika verschiedener Formen der Höhenexposition Tabelle 2: Charakteristika verschiedener Formen der Höhenexposition Gruppe

Typische (Äquivalenz-) Höhe

Typische Expositionsdauer

Typische Risiken

Extrem kurze Exposition (Flugzeug, Seilbahn, Straßen-/ Eisenbahnverkehr, Brandschutzräume, Höhentraining, Vorakklimatisation, Skifahren)

1800 – 2600m

Minuten bis Stunden

Druckwechsel (Personen mit Erkrankung der oberen Atemwege)

Begrenzte Exposition

2000 – 3000m

Kein Risiko durch Hypoxie für Personen, die nicht an einer schweren kardiopulmonalen Erkrankung oder massiven Anämie leiden 2600 – 3800m

Kein Risiko für gesunde Personen

3800 – 5500m

Kein Risiko für gesunde Personen, wenn sich der Aufenthalt auf maximal 30 min. beschränkt (s. Tab.2) Tage bis Wochen (-einige Monate)

AMS kann möglicherweise auftreten, wenn nicht akklimatisierte Personen in dieser Höhe übernachten (Akklimatisationszeiten beachten!) Abgesehen von AMS besteht kein Risiko für Personen, die nicht an einer schweren kardiopulmonalen Erkrankung oder massiven Anämie leiden

Expatriates

3000 – 4500m

Jahre

Pulmonaler Hochdruck Rechtsherzinsuffizienz Chronische Höhenkrankheit (chronic mountain sickness, CMS, “Monge’s Disease”) Subacute infantile mountain sickness (SIMS)

Höhenvölker

>3000m.

Diverse Generationen

CMS (s.o.) Re-entry pulmonary oedema (ReAkklimatisation nötig!)

kungen kommen. Da die Symptome normalerweise nicht vor 6-8 Stunden Expositionsdauer eintreten – und oft viel später (> 24 h) – haben die meisten Mitarbeiter bereits Feierabend, bevor dieser Fall tatsächlich eintritt (18 - 22). Dennoch kann dies passieren, beispielsweise wenn in der Höhe geschlafen werden muss (z. B. Geschäftsleute an hoch gelegenen Orten). Das Risiko steigt dabei mit der Höhe an. Oberhalb von 2500-3000 m kann akute Höhenkrankheit (acute mountain sickness, AMS) auftreten, während das Höhenlungenödem (high altitude pulmonary edema, HAPE) in dieser Höhe sehr selten ist 1:4000 Nächte in 3000 m (23). Normalerweise tritt ein HAPE erst nach 10-36 Stunden und in Höhen ab 4000 m auf: Wenn unakklimatisierte Mitarbeiter per Flugzeug auf 4500 m landen, steigt das HAPE-Risiko auf 1:600 und 30-57% werden AMS-krank (10, 24, 27). Umgekehrt zeigen die Ergebnisse aber auch, 237


dass Stunden oder gar eine Nacht auf 3000 m für gesunde unakklimatisierte Personen praktisch risikofrei ist. Das Höhenhirnödem (high altitude cerebral edema, HACE), das als Finalstadium der AMS betrachtet wird, tritt typischerweise erst in Höhen über 5000 m auf und auch viel später als AMS oder HAPE (bis zu 72-96 Stunden). Aus diesen Gründen dürfte es arbeitsmedizinisch praktisch bedeutungslos sein. Nach Monaten (manchmal Jahren) Exposition entwickeln manche Personen eine chronische pulmonale Hypertonie und zeigen Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz (periphere Ödeme, Dyspnoe, Husten, Angina pectoris), früher „subakute Höhenkrankheit“ genannt und heute unter „subakuter Höhenkrankheit“ (subacute mountain sickness) zusammengefasst. Nach Jahren oberhalb von 3000 m Höhe kann sich die chronische Höhenkrankheit manifestieren (CMS, „Monge’s Disease“): Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Schwindel, reduzierte Leistungsfähigkeit, Zyanose, Trommelschlägelfinger, Polycythämie, hohe Hämoglobin- und Hämatokritwerte (28 – 34). Retinablutungen oder andere Höhenkomplikationen treten zumeist oberhalb von 7000 m ein und sind damit normalerweise kein arbeitsmedizinisches Problem. Hinsichtlich bei Trekkingunternehmen angestellter Bergführer könnte sich im Einzelfall jedoch die Frage nach einem Arbeitsunfall bzw. einer Berufskrankheit bei HAPE, HACE, Retinablutungen und anderen Höhenzwischenfällen stellen. Der UIAA MedCom war zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Empfehlung jedoch kein einziger derartiger Fall bekannt, bei dem ein entsprechender Antrag bei den zuständigen Versicherern gestellt worden wäre. 4. Die Problematik derzeitiger Empfehlungen in beispielhaften Ländern Wichtig erscheint zunächst einmal die Klarstellung, dass es sich in allen Fällen um Empfehlungen oder Richtlinien handelt. Das bedeutet, dass sie nicht zwingend angewendet werden müssen, also keinerlei Gesetzescharakter haben. In manchen Fällen, wie beispielsweise dem deutschen „LASI-Papier“ (35) handelt es sich noch nicht einmal um eine Richtlinie, sondern lediglich um eine interne Stellungnahme (Zitat: „Handlungsanleitung“) eines mehr oder weniger informellen Gremiums für das zuständige Ministerium. In Unkenntnis dieser geringen hierarchischen Stellung wurden dessen Aussagen im europäischen Ausland aber als verbindliche deutsche Regelung angesehen und leider auch unkritisch übernommen. Generell fällt bei der Analyse der arbeitsmedizinischen Literatur verschiedener Länder durchweg auf, dass bei der Formulierung der jeweiligen Richtlinien eine angemessene Datengrundlage und Literaturrecherche ganz offensichtlich keine angemessene Berücksichtigung gefunden hat. In einigen Ländern wird die Thematik gar dem Zuständigkeitsbereich „Sicherheit 238


im Bergbau“ zugeordnet, wie beispielsweise in Großbritannien. Es wird dabei nicht unterschieden, ob die Hypoxiesituation durch eine erhöhte Konzentration von Stick- oder Giftgasen (z. B. Methan, CO) zustande kommt, oder ob es sich um „reine“ Hypoxie handelt, sei es durch Höhenaufenthalt oder (seltener) Unterdruck („hypobare Hypoxie“) oder durch eine abweichende Gaskonzentration ansonsten normaler Atmosphärenluft („isobare Hypoxie“). “Safe Work in Confined Spaces” gilt in Großbritannien als Grundlage für das arbeitsmedizinische Vorgehen (36). Man beachte dabei, dass diese Empfehlung nie für isobare Hypoxie geschrieben wurde, also für Umgebungsbedingungen, die einer extrem genauen Kontrolle unterliegen, oder für hypobare Hypoxie wie bei Flug oder Höhenaufenthalt, sondern für „Räume mit kleinen Öffnungen“ wie Tanks, Silos, Reaktoren, Rohre oder Sickergruben, für Brände und Explosionen und es werden auch Bedingungen eingeschlossen, die von Hypoxie völlig unabhängig sind. U.a. wird ohne nähere Begründung oder gar Differenzierung Folgendes festgestellt: „Ein von der Umgebungsluft unabhängiges Atemgerät (sog. „schwerer Atemschutz“, Anm. d. Autoren) muss benutzt werden, wenn aufgrund von Gasen, Rauch, Dampf oder dem Fehlen von Sauerstoff nicht gewährleistet ist, dass die Luft in dem umschlossenen Raum sich zum Atmen eignet“ (36). Dabei haben die Autoren es leider versäumt zu definieren, was sie unter „Fehlen von Sauerstoff“ verstehen, was breiten Spielraum zu Diskussion lässt. De facto ist die Quelle aus höhenmedizinischer Sicht völlig ungeeignet, um überhaupt sinnvoll in der arbeitsmedizinischen Betreuung in der Höhe oder bei isobarer Hypoxie eingesetzt zu werden. In ihrem Bericht zum Thema berücksichtigen die Kollegen der University of Bath ebenfalls zahlreiche Charakteristika der Hypoxie nicht, beispielsweise die Latenzzeit, die vergeht, bevor Symptome von Höhenerkrankungen möglicherweise eintreten [„Bath Report“ (37)]. Stattdessen wird ohne Daten mutig behauptet, dass „Symptome ab einer Äquivalenzhöhe von 2500 m eintreten“ und in der Formulierung damit dem Laien suggeriert, dass dies sofort und zwingend der Fall sei. Das Statement, dass das HAPE oder das HACE ein besonderes Problem darstellen (betrachtet werden Äquivalenzhöhen von nur 2700 m bzw. 15% O2!), widerspricht sogar allem höhenmedizinischem Wissen, denn HAPE und HACE können bei mehrstündiger Exposition bei 15% O2 (ca. 2700 m Äquivalenzhöhe) nicht auftreten, und zwar aus doppeltem Grund: einerseits liegt der Symptombeginn regelmäßig deutlich mehr als 12 Stunden nach Expositionsbeginn und andererseits treten beide Erkrankungen ausschließlich in wesentlich größeren Höhen rsp. bei deutlich geringerem pO2 auf. Daher überrascht das wiederum richtige Fazit der Autoren um so mehr, wenn sie feststellen, dass die Arbeit in 13-15% O2 kein wesentliches Risiko darstellt. 239


Völlig irrational ist dann aber, dass bei laut Autoren nicht vorhandenem Risiko trotzdem das Tragen von umluftunabhängigen Atemgeräten (sog. „schwerer Atemschutz“) für leicht bis mäßig belastende Tätigkeiten empfohlen wird. Zudem wird eine medizinische Untersuchung zum Ausschluss vorbestehender Erkrankungen vorgeschlagen, die im Wesentlichen gängigen internationalen Empfehlungen nahe kommt [z. B. (38)]. Interessant ist der Hinweis der Autoren auf mögliche gesundheitsfördernde Aspekte der Hypoxieexposition, worauf auch andere Studien hinweisen (39-46). Die U.K. Fire Protection differenziert näher und konstatiert, dass bei 17% O2 und auch bei 15% keine relevanten Risiken bei wenig belastenden Tätigkeiten bestehen (47). Entsprechend wird lediglich ein nicht näher differenziertes „health assessment“ gefordert und bei weniger als 2 h/d und 17% O2 noch nicht einmal dieses. Kritisch zu sehen ist dagegen die schlicht falsche Behauptung im Code of Practice L 101 sowie im Code of Practice of Northern Ireland (48), der aber offensichtlich eine Kopie von ersterem ist, dass O2-Konzentrationen von 16% zu Bewusstlosigkeit und Tod führen können. Man bedenke, dass für schwer hypoxische Patienten bei der Mund-zu-Nase-Beatmung im Rahmen der Laienreanimation der inspiratorische pO2 des Patienten, also die Ausatemluft des Helfers, bei isobaren Bedingungen mit 15% O2 äquivalent ist! Die Regelungen der Alpenländer werfen ein merkwürdiges Bild auf die Arbeitnehmer dort: In Österreich wird eine arbeitsmedizinische Untersuchung unterhalb von 17% O2 gefordert, in der Schweiz sogar unterhalb von 18%. Da weite Teile der Länder oberhalb dieser Äquivalenzhöhe liegen würde dies die fragwürdige Konsequenz haben, dass ein Mitarbeiter, der von Linz, Zürich oder Wien aus in nahezu alle anderen Landesteile auf Dienstreise geht, zuvor auf Höhentauglichkeit untersucht werden muss. Natürlich dürfte niemand ohne entsprechende Untersuchung jemals eine dienstliche Flugreise antreten, obwohl weltweit 4 Mrd. Passagiere jährlich beweisen, dass dies unproblematisch ist (49, 50). Hinzu treten viele Millionen Raucher, die trotz einer leicht zu erreichenden CO-Hb-Konzentration von 5%, was physiologisch etwa 15% O2 isobar entspricht, auch nicht ersticken. Völlig absurd sind die U.S. amerikanischen Empfehlungen der OSHA, wenn diese in einem Papier feststellt: „Anything below 20% is life threatening“. Dann wären weite Teile der USA schlicht nicht besiedelbar und Amerikaner könnten Europa ausschließlich per Schiff besuchen! Die im gleichen Paper gegebene Empfehlung, dass Mitarbeiter vor Eintritt in Hypoxiebereiche mit einem Pulsoximeter überprüfen sollen, ob ihre SaO2 über 95% liegt, ist gleich aus mehreren Gründen abzulehnen: zunächst ist die korrekte Messung durch nicht gezielt dafür ausgebildete Personen mit massiven Messfehlern behaftet, 240


zum anderen hat eine derartige Messung keinen ausreichenden prädiktiven Wert. Auch das bereits erwähnte deutsche „LASI-Papier“ (35) inkludiert zahlreiche Statements, die allgemein zugänglicher Standardliteratur widersprechen oder sie zumindest ignorieren. Auch wird nicht erwähnt, dass statt eines Risikos die in dem Papier diskutierte milde Hypoxie sogar positive Effekte hat wie beispielsweise die Besserung der Lipidprofile, der Insulinresistenz, der Leptinspiegel, des Körpergewichts und anderer Parameter von verbreiteten Volkskrankheiten (z. B. 39, 44, 45, 46, 51 – 54). Die von den Autoren gemachte Behauptung, dass es unbekannt sei, ob ein Unterschied bestehen würde zwischen isobarer und hypobarer Hypoxie ist schlicht falsch, denn dies ist, wie bereits dargestellt, seit 140 Jahren publiziert. Gleiches gilt für die Behauptung, dass die publizierten Ergebnisse ausschließlich Personen unter Ruhebedingungen oder mit langsamem Höhenaufstieg – gemeint ist offensichtlich eine Akklimatisationsphase – betrachten. Eine Vielzahl an Publikationen und Standardhandbüchern diskutieren im Detail Arbeitsbelastungen in der Höhe bei akuter oder mehr oder weniger langsamer Exposition (z. B. 16, 55). Eine aktuell durchgeführte Medline-Suche mit „hypoxia” in Kombination mit „workload” ergab 170 Treffer, in Kombination mit „aviation” 457 Treffer, Stand 8/2010). Die von den Autoren behauptete Linearität des Anstiegs der Herzfrequenz existiert wie bereits erwähnt auch nicht. Auf zahlreiche weitere eklatante Schwächen des Papiers sei hier nicht eingegangen, sondern zusammenfassend festgestellt, dass es der Thematik schon im Ansatz nicht gerecht wird. Klar widersprochen werden muss jedoch der allzu pauschalisierten quasi-amtlichen Aussage, dass „unterhalb von 17% ein Gesundheitsrisiko besteht und umluftunabhängige Atemschutzausrüstung (sog. „schwerer Atemschutz“) zu verwenden ist.“ Schmunzelnd könnte man nachrechnen, dass der Mehrgewinn an Sauerstoffversorgung ziemlich genau der Menge entspricht, die dazu verbraucht wird, das Atemschutzgerät (16,8 kg!) zu tragen! Überraschenderweise wurde nie in Betracht gezogen, dass sogar hoch kritische Arbeiten wie das Pilotieren eines Flugzeugs ohne Druckkabine oder Zusatzsauerstoff bis in 4000 m Höhe (13,000 ft, äquivalent zu 97 mm Hg pO2 oder 12,5% O2) gesetzlich erlaubt ist und in manchen Ländern (z. B. Südamerika) aufgrund der geographischen Notwendigkeiten sogar noch höher. 5. Formen arbeitsbedingter Hypoxieexposition Fünf wichtige Faktoren müssen für eine korrekte Differenzierung des individuellen Risikoprofils in Betracht gezogen werden: 241


Ausmaß der Exposition (Höhe oder äquivalente Höhe (% O2 bzw. pO2) Dauer der Exposition ● Höhenprofil / Akklimatisation (einschließlich intermittierende Hypoxie und Vorakklimatisation) ● Ausmaß der körperlichen Belastung unter Hypoxiebedingungen ● Genetische Prädisposition (Tieflandbewohner vs. Hochlandvolk) Damit lassen sich mindestens vier Expositionsformen unterscheiden, die ein jeweils individuelles und von den anderen stark abweichendes Risikoprofil aufweisen (Abb. 3). ●

Abb. 3: Formen arbeitsbedingter Hypoxieexposition (s.a. Tab. 2) [Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus (104)]

5.1 Extrem kurze Exposition Diese betrifft zumeist (Äquivalenz-) Höhen von 1800 – 2500 m und einen Zeitraum von Minuten bis einige wenige Stunden. Diese Höhe liegt im Bereich der sogenannten „Schwellenhöhe“, also der Höhe, in der der Körper die ersten Reaktionen auf Hypoxie zeigt. Abhängig von dem dabei beobachteten Mechanismus schwankt diese Höhe zwischen 1500 m (leichter Anstieg der Ruhepulsfrequenz) und 2400 m (Anstieg der Erythropoietinkonzentration (56, 57). Die Schwellenhöhe für Höhenerkrankungen liegt irgendwo oberhalb von 2500 m, abhängig von der Art der Erkrankung (AMS, HAPE, HACE), individuellen Faktoren und der Dauer der Exposition. In Höhen im Bereich der Schwellenhöhe besteht für gesunde Personen keinerlei Gesundheitsrisiko. Dies gilt ebenfalls für Personen mit chronischen Erkrankungen, wenn diese nicht ein weit fortgeschrittenes (finales) Stadium erreicht haben (38). In einigen Fällen 242


werden nicht akklimatisierte Mitarbeiter im Brandschutz in Höhen von 2700 – 3800 m (13,0%) exponiert. Diese Exposition ist normalerweise jedoch auf einen kurzen Zeitraum limitiert und mit wenigen Stunden (oft < 60 min.) deutlich zu kurz, um höhenkrank zu werden. Wie in jedem Raum mit Hypoxiesystemen hat diese Situation einen entscheidenden Sicherheitsvorteil gegenüber „natürlicher“ Hypoxie in mittlerer und großer Höhe: Die Mitarbeiter können jederzeit und innerhalb von Minuten den Bereich verlassen, falls sie sich nicht wohl fühlen sollten. Sie sollten angewiesen werden, dass sie Pausen außerhalb dieser Bereiche in Normoxie verbringen. Die längste Exposition dieser Art stellen Langstreckenflüge dar, die zum Teil auch schon einen fließenden Übergang in die nächste Gruppe der „begrenzten Exposition“ bilden. Außerdem liegen Daten vor, dass einige Airlines ihre Fluggeräte mit geringerem Kabinendruck betreiben, als dies von der ICAO mit 8000 ft (~ 2400 m) als oberstes Limit vorgegeben wird (50). Normalerweise übersteigt die Exposition nicht den Zeitraum von einigen Stunden und in dieser Zeit besteht nicht das Risiko für Höhenerkrankungen (19, 20, 58, 59). Das Hauptproblem liegt im Druckwechsel, vor allem, wenn Passagiere erkältet sind. Normalerweise fühlen sich jedoch alle, einschließlich Schwangere und Kinder, in diesen Höhen wohl (60-62). Es gibt noch eine weitere kleine Subpopulation mit besonderen Bedingungen: Personen, die andere (zumeist Bergsteiger) betreuen, die sich für extreme Höhen vorakklimatisieren oder die ihre Höhenverträglichkeit testen wollen. Diese Möglichkeit findet zunehmende Verbreitung und wird zumeist in Einrichtungen mit isobarer Hypoxie durchgeführt. Dabei können Personen in Höhen bis 5300 m und darüber exponiert werden (Abb. 4). In

Abb. 4: Vorbereitung einer Besteigung des Shisha Pangma (8027 m) in einer Hypoxieeinrichtung. Der Athlet ist für die aktuellen Umgebungsbedingungen (6300 m rsp. 9,4%O2) vollständig akklimatisiert, die Mitarbeiterin jedoch nur teilakklimatisiert und betritt nur zeitweise den Raum 243


den meisten Fällen handelt es sich jedoch um Expositionszeiten von wenigen Minuten bis zu einer halben Stunde. Vorteilhafterweise können diese Mitarbeiter die zumeist kleinen Räume jederzeit verlassen, falls sie sich unwohl fühlen sollten. Daher ist kein spezifisches Risiko anzunehmen. Mit zunehmender Höhe nimmt die maximale Belastbarkeit jenseits der Schwellenhöhe von 1500 m (bzw. 17,4% O2) pro 1000 Höhenmeter um 10 – 15% ab, wobei hoch trainierte Personen die höheren Verluste zeigen (Abb. 5) (55, 63 - 67). Da in den meisten Fällen die in der Hypoxie zu vollbringende Arbeit – nach (68) meist 0,5 – 1,0 W/kg Körpergewicht – weit unterhalb der körperlichen Leistungsgrenze der Beteiligten liegt, stellt die höhenbedingte Leistungsabnahme keinen limitierenden Faktor für die meisten Tätigkeiten dar. Bei körperlich hoch anstrengenden oder gar erschöpfenden Aktivitäten in > 3000 m wird die O2-Diffusion ein zunehmend limitierender Faktor. Dadurch können Personen, die derart intensive Arbeit verrichten, ihre SaO2 nicht auf dem Niveau stabilisieren, das man in der jeweiligen Höhe erwarten würde. Derartige Arbeiten sollten nur von vollständig gesunden Personen verrichtet werden und auch für diese muss bei der Arbeitsplanung die reduzierte Belastbarkeit berücksichtigt werden (Abb. 5).

Abb. 5: Abnahme der Ausdauerleistungsfähigkeit in der Höhe (55, 63, 64, 65, 66, 67). 1500 m: “Schwellenhöhe”; 5300 m: Dauerakklimatisationsgrenze. „Eigene Daten“ aus (15)

5.2 Begrenzte Exposition Derartige Expositionen finden typischerweise in 2000 – 3000 m Höhe und über Tage bis Wochen statt. Im Gegensatz zur extrem kurz exponierten Gruppe besteht die potentielle Möglichkeit, dass die Kombination aus Höhe und 244


Expositionsdauer bei nicht akklimatisierten Personen AMS induzieren kann. Eine Zunahme der Pulsfrequenz um 12-14% ist in 2500 – 3000 m zu erwarten (11, 15, 69). Außerdem wird eine Zunahme des Atemminutenvolumens und der Atemfrequenz in ähnlicher Größenordnung eintreten (15, 70). Dagegen wird die SaO2 nur um 6-8% abnehmen und sich bei 90-94% stabilisieren (15, 71, 72). Eine geringe Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit ist zu erwarten, die jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die Arbeitsleistung haben dürfte (Abb. 5). Psychomotorische Funktionen sind nicht signifikant beeinflusst (73, 74). Einzelne Befunde weisen darauf hin, dass möglicherweise eine geringe Beeinträchtigung bei der Koordination komplexer schneller Bewegungsabläufe auftreten kann. Bei den so Exponierten besteht das Hauptrisiko in der Entwicklung der AMS. Ein signifikant erhöhtes Risiko besteht für Personen, die ein rapides Aufstiegsprofil aufweisen, z. B. Geschäftsleute die mit dem Flugzeug anreisen. Einige Personen mit bestimmten Vorerkrankungen können ein erhöhtes Risiko aufweisen (38). Dessen ungeachtet muss jede Strategie zur Gesundheitsprävention dieser Exposition die AMS fokussieren. 5.3 Expatriates und Immigranten Dabei handelt es sich in diesem Zusammenhang um Personen, die aus niedriger Höhe stammen und in hoch gelegene Gegenden emigrieren, zumeist in Höhen oberhalb von 3000 m. Die Aufenthaltsdauer beträgt manchmal nur wenige Monate, oft jedoch Jahre. Normalerweise leiden diese Personen nicht an AMS, da sie vollständig akklimatisiert sind. Die Definition schließt Immigranten ein. In vielen Fällen werden die Mitarbeiter von ihren Familien begleitet. Konsequenterweise kann Schwangerschaft ein Problem darstellen (60) und noch öfter werden Kinder unterschiedlichen Alters der Höhe exponiert. Nach einiger Zeit leiden sie möglicherweise an spezifischen, im Einzelfall möglicherweise lebensgefährlichen Erkrankungen des kardiopulmonalen Systems wie höheninduzierte pulmonale Hypertonie (früher subakute Höhenkrankheit genannt) mit extremen Druckspitzen im Pulmonalkreislauf oder „high altitude heart disease“ [Details in (62)]. Erwachsene können nach einigen Monaten Symptome der subakuten Höhenkrankheit oder nach Jahren die der CMS entwickeln (s.o.). 5.4 Höhenvölker Bei Höhenvölkern handelt es sich um Volksgruppen, die über zahlreiche Generationen in Höhen über 3000 m leben und die dadurch Langzeitanpassungsvorgänge durchlaufen haben. Üblicherweise sind deren Gesundheitsprobleme 245


nicht höhenassoziiert, sondern werden überwiegend durch sozioökonomische Faktoren verursacht (z. B. chronische Bronchitis, Kangri-Karzinom u. a.). Einige entwickeln CMS (s.o.) und sollten entsprechend überwacht werden (Echokardiographie alle 3 Jahre oder bei Symptomen). Ein anderes spezifisches Problem ist das Re-entry-Lungenödem. Hierbei handelt es sich um ein spezifisches Risiko für Hochlandvölker und Expatriates, wenn sie Verwandte oder Freunde im Tiefland besucht haben (Aufenthaltsdauer > 1 Woche) und dann in große Höhe heimkehren. Die Symptome entsprechen denen des HAPE. Achtung: Im Gegensatz zur Annahme der meisten westlichen Besucher gehören inzwischen die meisten Lastenträger im Himalaya nicht zur indigenen Hochlandbevölkerung! Daher haben sie die gleichen Expositionsrisiken wie jeder andere Besucher aus dem Tiefland (75). 6. Arbeitsmedizinische Betreuung bei Hypoxieexposition Zunächst muss betont werden, dass es einen grundsätzlichen Gegensatz zu allen übrigen arbeitsmedizinischen Expositionen gibt: Während normalerweise eine erhöhte bzw. häufigere Exposition ein erhöhtes Risiko bedeutet, so ist es bei Hypoxie risikomindernd, je häufiger die Personen exponiert werden. Dadurch wird eine zumindest teilweise Akklimatisation erreicht, auch wenn die Datenlage zu einer genauen Einschätzung dieses Phänomens im Rahmen derartiger intermittierender Hypoxie noch lückenhaft ist (76 - 79). Auch wenn die meisten dieser Studien bei (Äquivalenz-) Höhen um 4000 m und über 3 und mehr Stunden pro Tag über 6-20 Tage durchgeführt wurden (76 - 81), so konnte doch gezeigt werden, dass auch kurze Aufenthalte von 2-4 Stunden einen Akklimatisationseffekt haben (82). Das entspricht physiologischen und molekularbiologischen Daten, die Effekte durch intermittierende Hypoxie auf den hypoxic ventilatory drive (HVD), Hyperventilation und SaO2, auf hypoxia inducible factor alpha (HIF-1α), 2,3-DPG und andere gezeigt haben (76 - 79, 81, 83 - 91). Außerdem sollte beachtet werden, dass im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Ansicht das höchste Risiko bei jedem Höhen- oder Hypoxieaufenthalt nicht das Herz, sondern die Lunge betrifft. Während das Myokard erstaunliche Hypoxiewerte problemlos kompensieren kann, kann die Lunge insbesondere bei Vorerkrankungen der limitierende Faktor werden. Mit der beschriebenen Differenzierung und den spezifischen Risiken können individuelle Risikoeinschätzungen, Gesundheitsprävention und Unterweisungen zum Gesundheitsschutz zielgruppenorientiert adressiert werden. Damit können auch Personalauswahl und Gesundheitsschutz für Personen, die höhen- bzw. hypoxieexponiert werden sollen, vereinfacht werden. Einen 246


Überblick gibt das Flussdiagramm in Abb. 6 sowie Tab. 3. Für standardisierte Bedingungen sind die Flussdiagramme in Abb. 7 – Abb. 9 gedacht.

Abb. 6: Arbeitsmedizinisches Vorgehen bei Arbeit in der Höhe oder in Hypoxie 247


Tab. 3: Risikoklassifikation der Hypoxie und Sicherheitsmaßnahmen Tabelle 3: Risikoklassifikation der Hypoxie und Sicherheitsmaßnahmen

Risikokategorie

Inspiratorischer Sauerstoff %O2

(Äquivalenz-) Höhe

pO2

Spezifisches Risiko

Sicherheitsmaßnahmen

[%]

[m]

[mmHg]

Klasse 1

t17

0 - 1600

760 620

Kein Risiko

Unterweisung

Klasse 2

16,9 – 14,8

1600 - 2700

620 550

Kein Risiko für eine normale Arbeitsschicht, wenn schwere Erkrankungen der Lunge, des Herzens sowie schwere Anämie ausgeschlossen sind

Schwere Vorerkrankungen ausschließen

Kein Risiko, wenn Erkrankungen wie bei Klasse 2 ausgeschlossen wurden, die Belastung begrenzt ist (Tabelle 6) und die Expositionsdauer bei nicht akklimatisierten Personen 4 Std. / Tag (oder 2x2 Std./Tag bei hoher Belastung) nicht übersteigt

Schwere Vorerkrankungen ausschließen

Potentielles Risiko für AMS oder andere Symptome (z.B. Koordinationsstörungen) bei nicht akklimatisierten Personen

Besondere Vorsichtsmaßnahmen für nicht akklimatisierte Personen notwendig (s. Hinweise im Text).

Klasse 3

Klasse 4

14,7 – 13,0

<13,0

2700 - 3800

>3800

550 480

<480

Unterweisung

Arbeitsbelastung abschätzen (s. Tabelle 6) Unterweisung

Kein Risiko für gesunde höhenakklimatisierte Personen.

6.1 Extrem kurze Exposition Da, wie erwähnt, diese Expositionsform am besten mit der Flugzeugkabine beschrieben wird – wenn Personen mit sehr hoher körperlicher Belastung zunächst einmal ausgeschlossen werden – dann können auch die in der Flugmedizin gut etablierten Minimalparameter, die die Personen zu erfüllen haben, angewendet werden [Werte für Erwachsene in Meereshöhe, nach (92)]: ● Vitalkapazität 3l ● FEV1 70% ● SaO 85% 2 ● pO art. 70 mmHg 2 Die Hämoglobinkonzentration sollte über 10g/dl liegen und die Erythrozytenzahl über 3 Million/ml (92). Letztere sind nur relative Kontraindikationen im 248


Abb. 7: Vereinfachtes Vorgehen bei Exposition nicht höhenakklimatisierter Personen bis 14,8% O2 (2800 m) und größenordnungsmäßig bekannter Belastung

Arbeitsmedizinische Untersuchung

nein

Kein Aufenthalt in Hypoxie, bis das medizinische o.k. vorliegt!

ja Person unterwiesen?

nein

Person unterweisen!

ja „Passive Tätigkeit“?

ja

Mindestbelastbarkeit 100W Individuelle Beratung durch Arzt erforderlich 15 min. Pause (Normoxie) alle 2 Stunden

ja

Mindestbelastbarkeit 150W Individuelle Beratung durch Arzt erforderlich 15 min. Pause (Normoxie) alle 2 Stunden

ja

Mindestbelastbarkeit 200W Individuelle Beratung durch Arzt erforderlich 30 min. Pause (Normoxie) alle 2 Stunden

nein Geringe Belastung?

nein Hohe Belastung?

Abb. 8: Vereinfachtes Vorgehen bei Exposition nicht höhenakklimatisierter Personen zwischen 14,7 und 13,0% O2 (2800-3800 m) und größenordnungsmäßig bekannter Belastung 249


Arbeitsmedizinische Untersuchung

nein

Kein Aufenthalt in Hypoxie, bis das medizinische o.k. vorliegt!

ja Person unterwiesen?

nein

Person unterweisen!

ja „Passive Tätigkeit“?

ja

Mindestbelastbarkeit 125W Individuelle Beratung durch Arzt erforderlich 15 min. Pause (Normoxie) alle 2 Stunden

nein Geringe Belastung?

Mindestbelastbarkeit 200W Individuelle Beratung durch Arzt erforderlich Nur vollständig gesunde Personen 30 min. Pause (Normoxie) alle 2 Stunden

ja

nein Hohe Belastung?

ja

Nur gut trainierte und akklimatisierte Personen Individuelle Beratung durch Arzt erforderlich 30 min. Pause (Normoxie) alle 2 Stunden

Abb. 9: Vereinfachtes Vorgehen bei Exposition nicht höhenakklimatisierter Personen zwischen 12,9 und 10,7% O2 (3800-5300 m) und größenordnungsmäßig bekannter Belastung

Falle eines chronisch-anämischen Patienten, der vollständig an die Situation adaptiert ist. Bis in Höhen um 2700 m (14,8% O2) ist eine arbeitsmedizinische Untersuchung aufgrund des minimalen Gefährdungspotentials nicht erforderlich (Tab. 3). Vor dem Arbeitseinsatz ist eine Selbsterklärung des Mitarbeiters ausreichend, in der er nach Unterweisung durch eine spezifisch ausgebildete Fachkraft für Arbeitssicherheit erklärt, dass er nicht an einer fortgeschrittenen Krankheit des kardiopulmonalen Systems oder des Bluts (Anämie) leidet, kein Krampfleiden bekannt ist und dass im letzten Jahr keine schwere Erkrankung (stationärer Aufenthalt, Operation o. ä.) vorgelegen hat. Darüber hinaus sollte er 2 Etagen ohne Luftnot aufsteigen können. Im Falle, dass dies nicht eindeutig erklärt werden kann, sollte ein höhenmedizinisch ausgebildeter Facharzt für Arbeitsmedizin konsultiert werden, bevor eine Höhenexposition stattfindet. Dieser sollte in seine Untersuchung folgende Parameter einschließen: ● Anamnese: ❍ Anzeichen für kardiopulmonale Erkrankungen oder signifikante Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit? (Sport?) ❍ Größeren Operationen oder gravierende Erkrankungen im letzten Jahr? ❍ Sind bei früheren Höhenaufenthalten Probleme aufgetreten? ❍ Ist eine hohe oder extreme körperliche Belastung durch die Arbeit in der Höhe zu erwarten? 250


Wenn die Person irgendeinen aeroben Ausdauersport regelmäßig und ohne nennenswerte Probleme durchführt, besteht kein Zweifel daran, dass sie höhentauglich hinsichtlich der Bedingungen „extreme kurze Exposition bis 2700 m oder 14,8% O2” ist. Laborwerte oder andere technische Untersuchungen sind ausschließlich dann erforderlich, wenn die Anamnese in der beschriebenen Form keine Klarheit schaffen sollte: ❍ Signifikante Anämie: Blutstatus (Sichelzellanämie ausschließen, falls die Person zu einer potentiellen Endemiegruppe gehört!) ❍ Pulmonale Hypertonie: Echokardiographie ❍ Lungenerkrankung: Spirometrie und Ergometrie ❍ Herzerkrankung: Ergometrie, Stressechokardiographie Es ist nicht notwendig, zusätzliche Arbeitspausen im Verlaufe eines Arbeitstags einzulegen, wenn 2700 m nicht über- bzw. 14,8% O2 nicht unterschritten werden. Wenn möglich, sollten Personen die ganztägig unter diesen Bedingungen arbeiten angewiesen werden, für die Mittagspause den Hypoxiebereich zu verlassen. Für (Äquivalenz-) Höhen von 2700 – 3800 m (14,7-13,8% O2) sollten Mitarbeiter grundsätzlich arbeitsmedizinisch untersucht werden. Die Untersuchung sollte das rote Blutbild, Ergometrie und Spirometrie (ggf. als Spiroergometrie) einschließen. Oberhalb von 3800 m (< 13,8%) sollten sie ebenso untersucht werden. Da Hypoxieräume (z. B. Räume für Höhentraining) zunehmend leichter zur Verfügung stehen, sollten sie dann aber zusätzlich einmalig Hypoxie exponiert werden, bevor sie erstmals in diese Höhe geschickt werden. Diese Exposition muss die Art, die erwartete Dauer und insbesondere natürlich die Höhe der Exposition während des Arbeitseinsatzes berücksichtigen. Während der Exposition sollten die Personen hinsichtlich Herzfrequenz, SaO2 und Höhenproblemen durch spezifisch höhenmedizinisch ausgebildetes Fachpersonal überwacht werden. Alle 2 Stunden sollte in Höhen von 2700 – 3800 m (14,7-13,8% O2) eine 15-minütige Pause in Normoxie eingelegt werden. Oberhalb von 3800 m (< 13,8%) sollte diese Pause auf 30 min. verlängert werden. Personen mit einer kardiopulmonalen Erkrankung deren Ausmaß das NYHA / CCS-Stadium I überschreitet, die eine signifikante Anämie aufweisen oder die schwanger sind, sollten von der Arbeit oberhalb von 3800 m bzw. unterhalb von 13,8% O2 ausgeschlossen werden (38, 60, 93). Nicht akklimatisierte Personen sollten Höhen über 4500 m (< 12,4% O2) meiden oder sich nur kurz (< 30 min.) dort aufhalten. Höhen über 5300 m (< 10,6% O2) kommen nur für Personen in Frage, die vollständig – oder für kurze Aufenthalte bis etwa 30 min. ohne körperliche Belastung zumindest teilweise – akklimatisiert, gut trainiert und körperlich gesund sind. Bei Arbeiten, die länger als 30 Minuten dauern, ist 251


zumindest eine Teilakklimatisation der Arbeitnehmer zu fordern. Trotz Teilakklimatisation sollten alle 2 Stunden 30 Minuten Pause in Normoxie verbracht werden. Grundsätzlich sollten die Arbeitnehmer angewiesen werden, Hypoxiebereiche zu verlassen, falls sie sich nicht wohl fühlen sollten. Da höhenbedingte Symptome niemals abrupt einsetzen, hat jeder Betroffene reichlich Zeit, Normoxie aufzusuchen. Es ist nicht notwendig, ein „Rescue-Team“ für die Gruppe der extrem kurzen Exposition bereit zu halten. Wenn ein Mitarbeiter sich nicht umgehend aus einer Höhe von mehr als 3800 m (< 13,8% O2) zurückziehen kann (z. B. bei Arbeitseinsatz in abgelegenem Gelände), sollte Flaschensauerstoff und eine Maske mit Reservoirbeutel der Erste Hilfe-Ausrüstung hinzu gefügt werden, und das Team muss in der Anwendung unterwiesen werden. Eine Möglichkeit zur direkten Kontaktaufnahme mit einem höhenmedizinisch erfahrenen Arzt oder einem Rettungsteam ist empfehlenswert (Mobiltelefon, Funk…). Wenn die Symptome nach Verlassen des Hypoxiebereichs innerhalb von ¼ - ½ Stunde komplett verschwinden, spricht nichts dagegen, dass die Person den Bereich wieder betritt. Wenn dies im genannten Zeitraum nicht der Fall ist, muss ein höhenmedizinisch geschulter Arzt konsultiert werden, bevor die nächste Exposition stattfindet. Die maximale Belastbarkeit muss nicht für alle Mitarbeiter untersucht werden. Eine Differenzierung nach dem Ausmaß der zu erwartenden körperlichen Belastung gibt (Tab. 4). Wenn die jeweilige Arbeit in bis 2700 m Höhe nicht Tab. 4: Mindestanforderungen an die körperliche Belastbarkeit für verschiedene Tätigkeiten und Höhen [Wattleistung über mindestens 3 Min. auf der jeweiligen Ergometriestufe; Daten nach (55) und (103). Die Angaben berücksichtigen einen Sicherheitszuschlag] (103). Die Angaben berücksichtigen einen Sicherheitszuschlag) Mindestanforderungen an die Belastbarkeit

Bedingungen (Risikoklassen siehe Tabelle 3) Klasse 1: alle Arbeiten

Identisch zu Meereshöhe

Klasse 2: Inspektion, Überwachung und ähnliche

75 W

Klasse 2: Mittelschwere Arbeit

125 W

Klasse 2: Schwere Arbeiten (z.B. Bewegen schwerer Lasten)

>200 W

Klasse 3: Inspektion, Überwachung und ähnliche

100 W

Klasse 3: Mittelschwere Arbeit

150 W

Klasse 3: Schwere Arbeiten (z.B. Bewegen schwerer Lasten)

>200 W

Klasse 4: Inspektion, Überwachung und ähnliche

125 W

Klasse 4: Mittelschwere Arbeit

>200 W

Klasse 4: Schwere Arbeiten (z.B. Bewegen schwerer Lasten)

252

Nur für optimal belastbare und gut akklimatisierte Personen


allzu schwer ist (z. B. Geschäftsleute, Aufsichtstätigkeiten o. ä.), so ist es völlig ausreichend, wenn die betreffende Person 2 Etagen ohne Luftnot aufsteigen oder 80-100 m horizontal zügig und ohne Atemnot gehen kann (92, 93). Detaillierter und nach NYHA-Stadien (Tab. 5) differenziert gilt Folgendes (94 - 96): ● NYHA / CCS I (keine Symptome): Keine Limitierung ● NYHA / CCS II (Symptome bei mäßiger Belastung): Keine Limitierung für Aktivitäten mit geringer körperlicher Belastung ● NYHA III-IV (Symptome bei leichter Belastung oder in Ruhe): Kontraindikation für Höhenaufenthalt. Diagnosen und Situationen, die eine befristete oder dauerhafte Kontraindikation darstellen, sind in Tab. 6 zusammengestellt. Es sei explizit auch auf (38) und (26) hingewiesen. Tab. 5: Die Stadieneinteilung der Herzinsuffizienz nach der New York Heart Association Heart Association (NYHA) (aktualisierte Version von 1994) (95) Association (NYHA) (aktualisierte Version von 1994) (95)

Funktionelles Stadium

Objektive Diagnose

Stadium I. Patienten mit einer Herzerkrankung, jedoch ohne Limitierung der körperlichen Belastbarkeit. Letztere verursacht keine Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, Atemnot oder Erschöpfung.

Keine objektiven Hinweise auf eine kardiovaskuläre Erkrankung.

Stadium II. Patienten mit einer Herzerkrankung, die eine geringe Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit verursacht. Übliche Belastungen verursachen Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, Atemnot oder Erschöpfung.

Objektive Hinweise auf eine minimale kardiovaskuläre Erkrankung.

Stadium III. Patienten mit einer Herzerkrankung, die eine deutliche Beeinträchtigung der körperlichen Belastbarkeit verursacht. In Ruhe fühlen sie sich wohl. Leichte Belastungen verursachen Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, Atemnot oder Erschöpfung.

Objektive Hinweise auf eine mäßig ausgeprägte kardiovaskuläre Erkrankung.

Stadium IV. Patienten mit einer Herzerkrankung, die jegliche beschwerdefreie körperliche Belastung verhindert. Die genannten Symptome können auch in Ruhe auftreten. Sobald körperliche Belastung eintritt, kommt es zu einer deutlichen Symptomverschlechterung.

Objektive Hinweise auf eine schwere kardiovaskuläre Erkrankung.

In Höhen, die normalerweise für extreme kurze Expositionszeiten aufgesucht werden (1500 – 3000 m), ist die maximale körperliche Belastbarkeit nur vernachlässigbar vermindert. Daher können arbeitsmedizinische Empfehlungen für sehr anstrengende Tätigkeiten ohne Modifikation benutzt werden. Oberhalb von 3000 m muss der höhenbedingte Leistungsverlust von 10% pro 1000 Höhenmeter ab 1500 m bei der Arbeitsplanung einkalkuliert und als Aufschlag 253


Tab. 6: Permanente oder vorübergehende Kontraindikationen für Höhenaufenthalt der Gruppe der extrem kurzen Exposition [zusammengestellt aus (26, 38, 92)] Diagnose

Zeitraum, innerhalb dessen Hypoxie / Höhe vermieden werden sollte

Schlaganfall

3 Monate

Myokardinfarkt

6 Wochen bei unkompliziertem Verlauf 10 Wochen (oder mehr) bei Komplikationen (z.B. Arrhythmien)

Aortocoronarer Bypass

2-3 Wochen

PTCA

3 Tage

Stent

3-10 Tage

Schrittmacherimplantation

Nach unauffälliger Funktionsprüfung

Akute broncho-pulmonare Infekte

Keine Exposition vor Abheilung

Asthma (Stress-)

Keine Exposition vor suffizienter Therapie

zu den Mindestanforderungen eingesetzt werden. Dies berechnet sich gemäß dem folgenden Beispiel: Falls die Mindestanforderungen für eine Arbeit auf Meereshöhe bei 2 W/kg Körpergewicht liegen und diese Arbeit in 4000 m Höhe vollbracht werden muss, lautet die Abschätzung folgendermaßen: (4000-1500)/1000 = 2,5 2,5*10% = 25% 2W/kg+25% = 2,5 W/kg. Auf Meereshöhe muss dieser Mitarbeiter also mindestens 2,5 W/kg Körpergewicht leisten können, um für die entsprechende Arbeit in 4000 m Höhe geeignet zu sein. Die zur Belastungsabschätzung erforderlichen Leistungsdaten sind leicht der gängigen Literatur zu entnehmen, insbesondere (68). Bei bekannter Expositionshöhe und körperlicher Belastung vereinfacht sich das Vorgehen ganz erheblich gemäß der Flussdiagramme in (Abb. 7 - 9), was insbesondere bei weniger höhenerfahrenen Personen von entscheidendem Vorteil ist. Personen, die in extremen Höhen exponiert werden, beispielsweise wenn sie Expeditionsteilnehmer vorbereiten, müssen kardiopulmonale Parameter aufweisen, die sicher im Normalbereich liegen. Oberhalb von 4500 m sollten die exponierten Personen von einem „Nothelfer“ beobachtet werden, der sich außerhalb des Hypoxiebereichs aufhält, jedoch in permanentem Kontakt zu der exponierten Person steht. Dazu ist es wünschenswert, wenn Hypoxiebereiche 254


durch große Fenster von außen leicht eingesehen werden können. Oberhalb von 4500 m sollte ein Arzt mit höhenmedizinischer Ausbildung erreichbar sein; ab 5000 m sollte dieser anwesend sein. 6.2 Begrenzte Exposition Bei ähnlichen Expositionsbedingungen wie bei der zuletzt beschriebenen Gruppe gelten die gleichen Ausschlusskriterien. Außerdem sollte Personen mit obstruktiver Schlafapnoe Beachtung geschenkt werden, da diese oft mit pulmonaler Hypertonie kombiniert ist. Beide Diagnosen werden sich in der Höhe wahrscheinlich erheblich verschlechtern. Da es nach wie vor keine ausreichend zuverlässige Vorhersagemethode für das AMS-Risiko gibt, schließt die Unterweisung der Mitarbeiter in jedem Fall das Erkennen und die Behandlung der AMS mit ein (97). Achtung: Es kann nicht genug betont werden, dass es für das Erkennen der AMS nicht ausreichend ist, dass von den Mitarbeitern selbst oder von Personalverantwortlichen der Lake-Louise-Score verwendet wird! Dieser Score wurde – wie übrigens die meisten Scores – nicht zur Diagnostik sondern zur Quantifizierung einer zuvor klinisch getroffenen Diagnose geschaffen (98, 99). Ansonsten sind 19-22% falsch-positive Diagnosen durch unspezifische, höhenunabhängige Symptome zu erwarten, wie dies beispielsweise auch für Kinder auf Meereshöhe gut dokumentiert ist (100). Falls möglich sollte im Vorfeld mit den Personalverantwortlichen ein angemessenes Höhenprofil unter Beachtung der Akklimatisationszeiten abgesprochen werden (63, 97). Dies kann einen zusätzlichen Tag bei Ankunft oder eine Übernachtung auf dem Weg zum Einsatzort beinhalten. Wenn der Arbeitsplatz oberhalb vom 3800 m liegt, sollte die Person mindestens eine Nacht in kontrollierter Umgebung auf der entsprechenden Höhe (Hypoxieräume unter Überwachung eines höhenmedizinisch ausgebildeten Arztes) verbringen, bevor sie erstmalig derartige Übernachtungshöhen aufsucht. Abhängig von der Zielhöhe kann dies auch bedeuten, dass entsprechend dem notwendigen Akklimatisationsprofil mehrere Nächte in jeweils steigender Höhe verbracht werden (97). Falls ein sofortiger Höhenaufstieg mit Übernachtung oberhalb von 2500 m Höhe unumgänglich ist, kann medikamentöse Prophylaxe der AMS in Erwägung gezogen werden (Acetazolamid 125 mg 2x/d, 97, 101). Die Mitarbeiter sollten angewiesen werden, (ggf. telefonisch) einen höhenmedizinisch ausgebildeten Arzt zu konsultieren, falls sie sich in der Höhe nicht wohl fühlen sollten und nicht ins Tal zurückkehren können. (Kopf-) Schmerztabletten, Nifedipin retard, Dexamethason-Tabletten und Acetazolamid sollten einschließlich der Anweisungen zur korrekten Anwendung sowie 255


der Kontaktdaten des Arztes Bestandteil einer Notfallapotheke für dienstliche Reisen zu Zielen oberhalb von 3800 m sein. Unterhalb dieser Höhe sollte ein übliches Kopfschmerzmittel (kein ASS!) ausreichen. Eine weitere Möglichkeit der Primärprävention, die v.a. bei langfristig geplanten größeren Projekten in der Höhe interessant sein kann, sollte an dieser Stelle erwähnt werden: mit Sauerstoff angereicherte Räume. Jedes zusätzliche % Sauerstoff korrespondiert mit einer „Höhenminderung“ um 300 m, ohne dass die Brandgefahr nennenswert erhöht wird. Mit dieser Technologie entspricht das Innere der Räume von Einrichtungen, die über 5000 m hoch liegen, einer physiologischen Höhe von 3000 m, was sehr gut toleriert wird. Problematisch wird allenfalls die Anreise in derartige Höhen oder befristete Außenarbeiten. 6.3 Expatriates Grundsätzlich erfolgt die Unterweisung wie beschrieben. Allerdings sollte diese Gruppe deutlich umfangreicher medizinisch untersucht werden unter Einschluss von EKG und Echokardiographie. Damit soll einerseits eine pulmonale Hypertonie ausgeschlossen werden und andererseits Ausgangsdaten für spätere Vergleichsuntersuchungen zum Ausschluss oder wenigstens zur Früherkennung einer möglicherweise eingetretenen subakuten Höhenerkrankung oder CMS erhalten werden. An vielen Orten, die diese Expatriates aufsuchen, wird es keine Möglichkeit der Echokardiographie geben. In diesem Fall sollte eine Kontrolluntersuchung bei Heimaturlauben durchgeführt werden. Eine solche Kontrolle sollte mindestens einmal pro Jahr oder bei Auftreten von Symptomen durchgeführt werden. Es sollte beachtet werden, dass mitreisende Kinder einer gesonderten Überwachung bedürfen (62). Im Falle, dass irgendwelche Auffälligkeiten auf eine pulmonale Hypertonie hinweisen oder dass entsprechend auffällige Echokardiographiebefunde erhoben werden, sollte den Betroffenen geraten werden, ihren Wohnort in der Höhe sobald wie möglich zu verlassen. 6.4 Höhenvölker Naturgemäß sind Höhenprobleme hier selten. Allerdings sollten Mitarbeiter dieser Bevölkerungsgruppen darauf hingewiesen werden, dass sie im Falle, dass sie für mehr als eine Woche Tieflandregionen aufsuchen (Ferien, Familienbesuch usw.), sich für das erneute Aufsuchen der Höhe (Heimkehren an den Wohnort wird subjektiv als „Rückkehr in die Sicherheit“ empfunden!) akklimatisieren müssen, um ein Re-entry HAPE zu vermeiden. Natürlich sollten sie in den Erstmaßnahmen geschult sein, falls dennoch ein Lungenödem auftreten sollte. Wie auch für Flachlandvölker empfohlen, sollten sich Betroffene 256


in der Akklimatisationsphase nicht am Leistungslimit belasten und insbesondere Pressatmung vermeiden. Angehörige südamerikanischer Hochlandvölker sollten arbeitsmedizinisch im Hinblick auf CMS überwacht werden. Als Minimum wäre die jährliche Überprüfung von Hämatokrit, Hämoglobin und Erythrozytenzahl zu fordern. Im Falle des Auftretens verdächtiger Symptome, insbesondere Leistungseinbuße, sollte nach Möglichkeit eine Echokardiographie zur weiteren Abklärung durchgeführt werden. 7. Fazit Eine adäquate arbeitsmedizinische Betreuung für die Höhen- bzw. Hypoxieexposition ist nicht nach „Schema F“ möglich, sondern muss differenziert nach Art und Ausmaß der Exposition erfolgen. Nur so lässt sich das wünschenswerte Maß an Sicherheit für die Arbeitnehmer schaffen und auch die Akzeptanz der empfohlenen Maßnahmen.

DANKSAGUNG Die Autoren danken den Mitgliedern der medizinischen Kommission der UIAA für ihre konstruktive Mitarbeit an dem vorliegenden Konsens. Die Mitglieder der Kommission sind: C. Angelini (Italien), B. Basnyat (Nepal), J. Bogg (Schweden), A.R. Chioconi (Argentinien), S. Ferrandis (Spanien), U. Gieseler (Deutschland), U. Hefti (Schweiz), D. Hillebrandt (U.K.), J. Holmgren (Schweden), M. Horii (Japan), D. Jean (Frankreich), A. Koukoutsi (Griechenland), J. Kubalova (Tschechische Republik), T. Küpper (Deutschland), H. Meijer (Niederlande), J. Milledge (U.K.), A. Morrison (U.K.), H. Mosaedian (Iran), S. Omori (Japan), I. Rotman (Tschechische Republik), V. Schöffl (Deutschland), J. Shahbazi (Iran), J. Windsor (U.K.) Die Empfehlung wurde im Umlaufverfahren im August 2009 verabschiedet und wurde in der englischen Originalfassung unter www.theuiaa.org/medical_ advice.html veröffentlicht.

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Wo l f g ang Schobersberger, Beatrix Schobersberger, Hugo Par tsch

Travel-related thromboembolism: Mechanisms and avoidance* Reisebedingte Thromboembolien: Mechanismen und Vermeidung

SUMMARY Evidence about the existence of travel-related venous thrombosis and pulmonary embolism is building. Research suggests that travel of all kinds increases the risk by two to four-fold. Risks are not restricted to air travel alone. For travelers without any known risk factors the risk of experiencing venous thromboembolism is likely to be very low. However, risks increase significantly in the presence of known risk factors, such as age (> 60 years), thrombophilic disorders, varicose veins, history of thromboembolism, obesity, women taking oral contraceptives, and travel duration over 12 hours. A combination of one or more of these risk factors raises the possibility of developing travel-related thromboembolism. Possible contributing factors such as cramped sitting (with suppressed leg venous flow), moderate hypoxia, low humidity in the aircraft and dehydration are discussed. Depending on the risk profile of individuals the use of graduated compression stockings and/or pharmacological interventions (preferred low molecular weight heparins) may be recommended. Keywords: graduated compression stockings, hemostasis, heparin, hypoxia, immobilisation, long-haul flight, thromboprophylaxis, travel thrombosis, venous thromboembolism

ZUSAMMENFASSUNG Seitens der Wissenschaft wird die Existenz von thromboembolischen Ereignissen während und nach Langstreckenreisen zunehmend untermauert. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Reisen per se, unabhängig von der Reisemodalität das Risiko um den Faktor 2 bis 4 erhöht. Das erhöhte Risiko besteht nicht nur bei Flugreisen. Allerdings ist das Risiko bei Reisenden ohne 269


bestehende Risikofaktoren für Thromboembolien als sehr niedrig anzusehen. Allerdings nimmt das Risiko signifikant zu, wenn bekannte Risikofaktoren vorhanden sind, wie Alter über 60 Jahre, Thrombophilie, Varikositas, Thromboembolie in der Anamnese, Adipositas, Einnahme oraler Kontrazeptiva, sowie eine Reisedauer von über 12 Stunden. Eine Kombination ein oder mehrerer dieser genannten Risikofaktoren erhöht das Risiko für eine Reise-assoziierte Thromoembolie beträchtlich. Mögliche Einflussfaktoren wie das verkrampfte Sitzen (mit reduziertem venösen Rückfluss), moderate Hypoxie, Lufttrockenheit im Flugzeug und Dehydrierung werden diskutiert. In Abhängigkeit vom individuellen Risikoprofil können das Tragen von Kompressionsstrümpfen und/oder die Anwendung einer pharmakologischen Prophylaxe (meistens niedermolekulare Heparine) empfohlen werden. Schlüsselwörter: Kompressionsstrümpfe, Hämostase, Heparin, Hypoxie, Immobilisation, Langstreckenflug, Thromboseprophylaxe, Reisethrombose, venöse Thromboembolie * Die vorliegende Arbeit wurde großteils bereits veröffentlicht (Schobersberger et al., Expert Review Cardiovasc Therapy 2009;7:1559-1567). Spätere Publikationen wurden von den Autoren ergänzt.

INTRODUCTION Long distance travel is an accepted part of business and vacation for millions of individuals. According to the Annual Review of Civil Aviation more than two billion passengers fly annually, and it is estimated that over 300 million passengers travel on long-haul flights each year (1). Since Homans early descriptions of the existence of venous thrombosis after prolonged sitting in the plane, car or in the theatre many studies have focused on the incidence of travel-related deep venous thrombosis (DVT) and pulmonary embolism (PE) (2). Most studies have related to DVT and PE after long-haul flights, although DVT and PE have also been described after long distance travel by car, train and bus (3, 4). Recently, an international expert meeting defined “traveller´s thrombosis” as venous thromboembolism that occurs during or within four weeks after longhaul travel. “Air-travel thrombosis” refers to thrombosis that occurs when the main part of the journey was undertaken by plane (5). At present, long-haul air travel is an accepted risk factor for DVT and PE. Evidence suggests this form of travel may raise risks by two- to four-fold for all travellers (6-13). However, the capacity to calculate and predict absolute risks is limited, given the quality of study designs and the different limitations of trials conducted to date (e.g., the small number of cases, unavoidable bias, inclusion of asymptomatic 270


and/or symptomatic DVT, different travel duration and time points of duplex sonography). It is suggested that the absolute risk for travel-related thrombosis may be rather low, but that the existence of additional risk factors significantly increases the risk of developing DVT and PE in travellers. This review focuses on two specific aspects of travel-related thrombosis: the role of additional risk factors (traveller related vs. ambient related) and its pathophysiological mechanisms of DVT and PE and recommendations for avoiding travel-related thrombosis.

INCIDENCE OF TRAVEL-RELATED THROMBOEMBOLISM In the past decade several case-control studies, cohort studies and systematic reviews have been published relating to the incidence of travel-related thrombosis and pulmonary embolism. This section provides a summary of selected trials. Single studies on the incidence of travellers´ thrombosis In a German trial DVT was compared between passengers after a long-haul flight (> 8 hours) and a non-travelling control population (12). Venous thrombosis was detected by compression ultrasound in 2.8% of the travellers as compared to 1% in the control group, yielding a risk ratio of 2.8. The prospective New Zealand Air Travel Thrombosis Study (NZATT) assessed travellers from New Zealand on flights of at least 4-hours duration and returning within a 6 weeks period (14). Subjects with increased D-dimer values after travel, or persons with clinical symptoms occurring within 3 months post flight were further investigated. The overall incidence of confirmed venous thromboembolism (VTE) was 1%. In the Business Class versus Economy Class Syndrome as a cause of Thrombosis (BEST) study none of nearly 900 passengers had ultrasonically proven DVT after long-haul flights from London to Johannesburg (15). However, Ddimer was found to be increased after travel in 8.2% of all passengers. Remarkably, raised D-dimer values were not restricted to the economy class (elevated D-dimer in 12.2% of economy and 7.2% of business class travellers). Kuipers et al. conducted a cohort study among 8,755 employees of large international companies over 5 years (16). As assessed by travel records, the occurrence of symptomatic DVT was linked to long distance air travel (> 4 hours). The post flight observation period was 8 weeks. A total of 22 thromboses occurred, yielding an incidence rate of 3.2 (95% CI 1.8-5.6), which is equivalent to a risk of one event per 4656 long-haul flights. 271


Single studies on the incidence of travel-related pulmonary embolism The first study on the incidence of symptomatic PE after air travel was published by Lapostolle et al. (17). This study reported a low incidence of PE for passengers flying less than 5,000 km (0.01 cases per million travellers) as compared to those travelling 5,000 – 10,000 km (1.5 cases per million travellers). Long haul flights over 10,000 km were associated with an incidence of PE in 4.8 cases per million passengers. In an Australian study air travel records were linked with national health databases. The predominant finding was an increased annual risk of VTE by 12% of individuals undertaking one long haul flight each year. The incidence of fatal pulmonary embolism was approximately one person per two million arrivals (10). In a case-control study, 46 cases of VTE (33 with DVT and 13 with PE) were detected after a 12-hour flight from Paris to Reunion Island during a 1 year observation period, yielding an incidence of 116 cases per million travellers (18). In a study at Madrid-Barajas Airport the overall incidence of PE was 0.39 per 1 million passengers (95% CI 0.20-0.58) (19). For flights lasting longer than 8 hours, the incidence was 1.65 per 1 million travelers (95% CI 0.81-2.49). Parkin et al. demonstrated a 1.3 fold (95% CI 0.4-3.0) – estimated risk of fatal pulmonary embolism following a flight of at least 8 hours (20). Mode of traveling & venous thromboembolism In a prospective multi-center study different types of immobility were evaluated in relation to the existence of DVT and VTE (21). Findings demonstrated that the risk for venous thromboembolism was substantially increased by immobility (limb, whole-body, or neurologic disease) but, surprisingly, not by any type of traveling longer than 8 hours (OR 1.13; 95% CI 0.85-1.67). As part of the Multiple Environmental and Genetic Assessment of risk factors for venous thrombosis (MEGA) study, the effects of different modes and duration of travel on VTE risk were studied in a case-control trial (3). Findings demonstrated that traveling in general increased the risk of VTE two-fold (OR 2.1; 95% CI 1.5-3.0). The risk of flying was found to be similar to the risks of travelling by train, bus or car with its maximum within the 1st week after travel. Systematic reviews & meta-analyses on travel-related VTE Most systematic reviews suggest an association between long distance travel and the risk for VTE. For example: � Aryal et al. conducted a literature review to assess the quantitative risk of VTE associated with air travel (22). They found an association between 272


VTE and air travel, with a pooled odds ratio of 1.59 (95% CI 1.04 – 2.43) from three case control studies and a relative risk of 2.93 (95% CI 1.5-5.58) from two controlled cohort studies. The incidence of PE was found to be extremely low; ● In a meta-analysis of six incidence and four risk studies, Adi et al. demonstrated symptomatic DVT in a range from 0% to 0.28% and asymptomatic DVT from 0% to 10.34% (23). Pooled OR was 1.70 (95% CI: 0.89-3.22); ● In a systematic review including nine case-control trials, 2 prospective controlled studies, and five observational studies, the authors draw the conclusion of an association between travel and VTE by statistically significant risk estimates (24). Recently, Kuipers et al. systematically reviewed epidemiologic and pathophysiologic studies relating to associations between travel and DVT (13). These authors reported that long-distance travel increases the risk for venous thrombosis by approximately two to four-fold, which corresponds to an absolute risk of a symptomatic event within 4 weeks of flights longer than 4 h, of one out of 4600 flights. The risk for severe PE immediately after long haul flights was calculated to 4.8 per million for flights longer than 12 hours. By analyzing 25 studies in a systematic review, Philbrick et al. demonstrated a wide range of VTE risk, from 0 to 12% of travellers (25). Symptomatic PEs were about 0.5 cases per 1 million travelers on the day of arrival, and 27 VTEs (DVT and PE) per 1 million travelers within 2 weeks after return. Trujillo-Santos et al. carried out a systematic review and meta-analysis of casecontrol studies on travel-related venous thromboembolism (26). For the selected eight case-control studies, the relation between the antecedent of a long travel and subsequent VTE varied from an OR of 1.1.-4.0 and was found to be significant in four studies. In two further meta-analyses only by including all modalities of transport, the association was found to be significant (OR 1.46; 95% CI 1.24-1.72) but not by plane alone. In the latest published meta-analysis on travel and risk for VTE, Chandra et al. examined 14 studies (11 case control, 2 cohort, and 1 case-crossover) which included 4055 cases of VTE (27). The overall pooled relative risk for VTE in travelers, independent of travel modality (compared to non-travellers) was 2.0 (95% CI 1.5-2.7). By excluding studies with referred control participants, the study´s heterogeneity was eliminated and the pooled relative risk for VTE was calculated to be 2.8 (95% CI 2.2-3.7). The authors identified a dose-response relationship between travel duration and VTE: the risk for VTE increased by 18% for each 2-h increase in travel duration by any mode of travel, and by 26% for every 2 h of air travel. 273


PATHOPHYSIOLOGY OF TRAVEL-RELATED THROMBOEMBOLISM “Traveller´s thrombosis” is generally believed to be the consequence of the interplay of a number of key external factors, including prolonged sitting in a cramped position, dehydration, moderate hypoxia (in case of air travel), as well as individual risk factors. The final result of these combinations is a shift of hemostasis towards a pro-coagulatory state thus favoring the formation of a thrombus. Immobility & changes in coagulation and fibrinolysis Prolonged confined sitting in a plane, car or bus is suggested to impair venous leg blood flow, thus triggering coagulation and favouring thrombus formation. However, data in the literature are inconsistent. Reports have to be classified in simulated immobility with (28, 29) or without hypoxia (30) and real travel conditions with (31) and without (32) hypoxia. Under normoxia, Ansari et al. measured local lower limb venous coagulability in healthy volunteers during 8 hours of simulated seated immobility (24). Findings demonstrated there were no changes in markers of coagulation activation, (i.e. prothrombin fragment 1+2 (F1+2) and thrombin-antithrombin (TAT)complex) nor was there an increase in D-dimers. Thus, prolonged cramped sitting was not associated with significant pro-coagulant changes. Surprisingly, others even reported a decrease in thrombin generation after sitting evidenced by a reduction in F1+2 after immobility (30) and decreased concentrations of F1+2, TAT and Factor VIIa after an 11-h flight (33). After 6 hours of sitting, Stricker et al. found an increase in tissue factor pathway inhibitor (TFPI), antithrombin and activities of coagulation Factor V and Factor VIII, as well as a decrease in thrombin generation and thrombomodulin expression (34). D-dimer level was unchanged and F1+2 was decreased after sitting. In an Austrian study, 19 healthy volunteers traveled by bus from Innsbruck to Rome (10 h) and returned after two overnight stays (32). Venous blood samples were taken before, several times during and after the bus trip. TAT complexes and D-dimer remained unchanged; however significant increases in F1+2 were measured during the journey. In addition, thrombelastography revealed moderate activation of coagulation in all travelers. No volunteer developed DVT. The authors concluded that long distance bus travel induced a certain activation of the coagulation system. This is in contrast to another study, which found that, after a 1200-km bus trip, there was no enhanced procoagulant state in elderly persons with varicose veins (35). 274


Hypoxia as a trigger for travel-related thromboembolism? Typically, a jet liner cruises at an altitude range of 6 – 12 km (20,000 – 40,000 ft). The ambient oxygen partial pressure during a long haul flight in modern aircrafts corresponds to an altitude of 1500 m (4900 ft) when the cruising altitude is 10,000 m (32,800 ft) and to 2400 m (7900 ft) when the cruising altitude is 13,000 m (42,600 ft) (36). Due to cabin pressurisation the arterial oxygen partial pressure (PaO2) is reduced from 95 mm Hg at sea level to 60 mm Hg at the maximum cabin altitude of 2,438 m (37). A key question on the pathophysiology of travel thrombosis, therefore, is whether moderate hypoxia can shift the balance between coagulation and fibrinolysis towards a pro-coagulatory state. Several studies have been published on the consequences of prolonged sitting in a hypoxic environment on the hemostatic system. The results of these studies are inconclusive. In a study by Hodkinson et al., healthy subjects were seated for 3 hours breathing a hypoxic mixture corresponding to an altitude of 3,660 m (29). As in normoxia, no evidence for coagulation activation was reported under hypoxic conditions. Similar data were found after 8 hours of sitting in moderate hypoxia (corresponding to 3600 m) (38). Bendz et al. tested healthy individuals in a hypoxic chamber for 8 h, simulating an altitude of 2400 m (28). Subjects were allowed to perform daily-life activities. Findings demonstrated that TAT and F1+2 were transiently increased, paralleled by an elevated Factor VIIa acivity and a decreased TFPI. The authors concluded that hypoxia activates blood coagulation, resulting in an increased risk for DVT. It should be noted that this data (Bendz et al.) have been questioned owing to possible pre-analytical problems with artificial coagulation activation (39). In 2001, our Austrian research team tested 20 volunteers, 10 with risk factors and 10 without risk factors for DVT, before, during and several times after a return trip by air from Vienna to Washington (WA, USA) (31). In all passengers, we measured a moderate activation of blood coagulation (as assessed by thrombelastography) and a suppression of fibrinolysis (decrease in t-PA/PAI-1 complexes) during and after the flights. However, there was no evidence for intravasal thrombin formation. None of the passengers developed DVT, as evaluated by compression ultrasound. In a follow-up study, the same authors exposed healthy volunteers to normobaric hypoxia (corresponding to 2400 m) for 10 h (40). Participants were seated in modern ergonomic aircraft chairs. Blood was collected from arm and leg veins. Findings demonstrated there was no significant intravasal thrombin and fibrin formation nor any changed fibrinolytic activity in arm nor leg vein blood within 24 h after exposure. 275


Thus, it appears that prolonged sitting in ergonomically superior aircraft seats does not activate coagulation and/or fibrinolysis, even in hypoxia. In addition, lower limb venous hemodynamics and vessel cross-sectional diameters were measured. None of these parameters were found to have changed after the sitting period (41). This is in contrast to other studies, which, for example measured an impairment of lower limb venous hemodynamics after 2.5 h sitting in a simulated economy class position (42). In a crossover study, Schreijer et al. investigated the influence of three different settings (8-h flight, 8-h “movie marathon� and 8-h daily-life activity) on coagulation and fibrinolysis (43). Of 71 participants, 11 had existing Factor V Leiden mutation, 15 were taking oral contraceptives and 15 had both variables. TAT complexes were significantly elevated after the flight, but not after watching movies nor after the daily life situation. The maximal TAT values were found in women with Factor V Leiden mutation who also took oral contraceptives. In addition, a high response in F1+2, TAT and D-dimer was noted in some volunteers after the flight, which was not the case for participants with both other conditions. The authors concluded that coagulation and fibrinolysis are activated in some susceptible individuals after an 8-h flight, indicating the possibility of an additional mechanism to immobilisation for air travel-related thrombosis. In a crossover-study Toff et al. compared the effects of 8 h of sitting in hypobaric hypoxia (equivalent to 2400 m) or normobaric normoxia in individuals without risk factors for VTE, women taking oral contraceptives, and individuals aged over 50 years. Findings demonstrated no differences in TAT, F1+2, D-dimer and endogenous thrombin potential between normoxia and hypoxia in either the individual groups or the combined data (44). The authors, therefore, do not support the hypothesis that moderate hypoxia onboard an aircraft contributes to the development of travel thrombosis. Of note is that this study did not consider the quality of aircraft seats as possible contributing factor to explain the different results relating to coagulation (45). Dehydration and VTE Dehydration has been suggested as one pathophysiological link and contributory factor for the development of DVT after long distance travel, mainly after long-haul flights. This assumption is based on the idea that low humidity found onboard an aircraft (below 10%) may induce an increase in insensible water loss. However, the degree of insensible water loss may not be sufficient for a pronounced dehydration (46). Whether the consumption of alcohol and caffeinated drinks promotes diuresis, thus leading to intravasal fluid loss, is also 276


questionable. Cramped sitting, associated with leg edema formation and lower limb hemoconcentration, is discussed as a possible causal factor for coagulation activation. The findings are controversial, as after prolonged immobility, rheological changes (increase in local hematocrit and blood viscosity) were reported (47-49), whereas our own studies could not demonstrate lower limb hemoconcentration after a simulated long-haul flight (40). It was recently demonstrated that fluid loss alone may not explain coagulation activation during travel. No association was found between levels of hematocrit with the corresponding concentrations of TAT, F1+2 and D-dimer after a long-haul flight and 8 h of sitting in a cinema (50).

TRAVEL-RELATED THROMBOEMBOLISM: RISK ASSESSMENT Several studies provide support for the assumption that additional predisposing risk factors for VTE (genetic and acquired) are associated with increased risk for travel related VTE (3, 9, 11, 12, 14, 15, 51 -54). According to these studies, predominant single risk factors include: thrombophilic disorders (e.g., Factor V Leiden mutation), varicose veins, history of thromboembolism, obesity, body size (> 190 cm and < 160 cm), women taking oral contraceptives, and travel duration (> 12 hours). For the first time, a recent study examined the effects of elevated concentrations of coagulation factors on DVT after long-distance travel (54). As part of the MEGA study, the authors could demonstrate an increased risk for travelrelated DVT in persons with high levels of coagulation Factors II and VIII. The relative risk was associated with the number of coagulation abnormalities, and with the overall number of other risk factors for VTE. The combination of the use of oral contraceptives plus a high level of Factor VIII resulted in the highest risk (OR 51.7; 95% CI 5.4-498). Furthermore, flight-related behaviours have been raised as a possible additional contributor to VTE risk. For example, factors associated with (somewhat) increased risk include: window seating, overweight passengers with a window seat, as well as being anxious or sleeping during the (53). Agreement found at the “International Consensus Conference on Traveller´s Thrombosis”, held in Hall, Austria 2006, proposed the existence of three risk groups (5). This was carried out in analogy to the risk stratification for bed-ridden hospital patients published in several thromboprophylaxis recommendations. Details of the “International Consensus Statement on Traveller´s Thrombosis” are shown in Box 1: 277


TRAVEL-RELATED THROMBOEMBOLISM: PREVENTIVE MEASURES & AVOIDANCE Box 1: Definition of three risk groups for travel-related thrombosis Group 1: Low risk For passengers without additional personal risk factors (as listed below) every prolonged journey is associated with a slightly increased but indeterminate risk. Group 2: Medium risk The following factors may increase the individual risk for VTE. The presence of two or more of these factors may increase risk in a supra-additive fashion: ● ● ● ● ● ● ● ●

Pregnancy or post-partum period Age over 60 years Documented thrombophilia Family history of venous thromboembolism Large varicose veins and/or chronic venous insufficiency Use of the oral contraceptive pill or hormone replacement therapy Obesity (body mass index >30) Tall (> 190 cm) or short (< 160 cm) passengers*

Group 3: High risk The presence of the following factors is associated with particularly high risk: ● ● ● ●

Previous venous thromboembolism Manifest malignant disease or other severe illness Immobilisation (e.g. limb in plaster cast) Recent major surgery

* In addition to the Hall Consensus Conference, based upon the data of Cannegieter et al. (3). Data adapted from (5).

278


In contrast to clinical studies in the field of prevention of venous thromboembolism, interventional trials on travel-related VTE are scarce, and published data has limited validity. Therefore the following guidelines are mainly based on outcomes from epidemiological studies, translated into advices for physicians, travel agencies and travellers. General measures Empirically, it appears reasonable to recommend the avoidance of restrictive clothing, in order to prevent the constriction of the blood circulation, and to recommend moving around regularly. In the case of sitting for prolonged periods, leg exercises may be of preventive value. A recent study demonstrated that, even in healthy volunteers, blood volume flow in the popliteal vein was reduced by about 40% with seated immobility, and by twofold when sitting motionless with no contact of the feet with the floor (55). Leg exercise regimens (as recommended by international airlines) improved popliteal venous blood flow during immobility. Several leg exercise devices are currently available. One study demonstrated by applying an intermittent mechanical compression device, peak flow velocity in the popliteal vein was increased, lower leg volume was reduced and fibrinolytic activity was increased after 4 h of immobility (56). Furthermore, an enhanced fibrinolysis accompanied by a suppression of pro-coagulant activation was reported after intermittent pneumatic compression (57). Although positive effects of mechanical devices on lower leg blood flow have been reported, trials have yet to demonstrate the use of mechanical devices is a superior intervention compared to leg exercises alone in the prevention of travel-related thrombosis (58). Selecting an aisle seat, the avoidance of excessive alcohol and use of hypnotic drugs may also be associated with a risk reduction for travel-related DVT (17, 53). Graduated compression stockings Graduated compression stockings were reported by a Cochrane review to be effective in reducing the incidence of DVT for general medical and surgical patients (59). The efficacy of GCS in the prevention of travel-related VTE was shown by two systematic reviews (60, 61). A Cochrane Collaboration Review included pooled data from nine trials (n = 2821) in which the travellers wore stockings on both legs (60). Seven studies (n=1548) included passengers with low or medium risk and two (n=1273) included high risk travelers. Flight time was at least 7 h. Of the 2637 passengers with follow-up data, symptomatic DVT was reported in three cases wearing GCS and in 47 cases without wearing stockings, yielding an odds ratio of 0.10 (95%CI 0.04-0.25). An addi279


tional effect of wearing stockings was a reduction in lower leg edema after travel. The authors concluded that wearing stockings was associated with a substantial reduction in the incidence of symptomeless DVT after long-haul flights. However, the effects of GCS on death, PE or symptomatic DVT were not assessed since no such events occurred in the published trials. Since this Cochrane Collaboration Review included studies with known methodological limitations (i.e. “LONFLIT” studies), these implications need to be regarded with caution. The results of Clarke et al. were similar to those by Hsieh and Lee, who found a relative risk for DVT of 0.08 (95%CI 0.03-0.23) in this treatment group (61). Pharmacological interventions For the past decade, in clinical settings, low-molecular-weight heparins (LMWH) have been most frequently used to prevent in-hospital VTE. LMWH are an effective and safe method to prevent post-surgery VTE and VTE in acutely-ill medical patients (62). The efficacy of LMWH for avoiding travelrelated VTE has been studied, but only in small trials. In the LONFLIT3 study, no cases of DVT on ultrasound screening were reported after long-haul flights in the LMWH group (using Enoxaparin 1000IU/kg 2-4 h pre-flight) (63). According to the “International Consensus Statement on Traveller´s Thrombosis” (5) and in accordance with other studies (64, 65), the use of LMWH should be considered for high risk travellers for whom pharmacological prophylaxis is considered advisable as an adjunct to mechanical and other measures. The recent American College of Chest Physicians guidelines on prevention of venous thromboembolism suggest the use of a single prophylactic dose of LMWH, injected prior to departure, in travellers with perceived high risk for VTE (Grade 2C) (62). To correspond with in-hospital settings, a high prophylactic dose is recommended. The application of LMWH should occur immediately before the beginning of the journey. In the case of a trip lasting several days, a repeated administration of LMWH should be considered (5). Since side effects are possible (e.g., bleeding) and because the application of these drugs for travel-related VTE is an off-label use, a personal risk-benefit ratio has to be developed for each case. Whilst good evidence for a protective effect of acetylsalicylic acid (aspirin) against thrombotic events in the arterial side of the circulation exists, its role to prevent VTE is controversial (66). A moderate reduction of travel-related DVT was reported for aspirin (400 mg daily for 3 days, starting 12 h before the flight) in the LONFLIT3 trial. However, aspirin was less effective as Enoxaparin (63). As mentioned earlier, the LONFLIT studies have been criticised 280


for methodological and statistical problems (66, 67). Therefore, aspirin is not recommended as a routine preventive measure for travel-related VTE (5, 63, 66). In recent years, new Factor Xa inhibitors (i.e., indirect, antithrombin-dependent Factor Xa inhibitor fondaparinux and direct, non-antithrombin dependent Factor Xa inhibitor Rivaroxaban) and thrombin antagonists (e.g., bivaluridin, ximelagatran, dabigatran) have appeared on the market, and have been shown to reduce the incidence of VTE in high risk patients (68). However, it is too early to recommend these new agents for travel-related thromboprophylaxis. Further studies in the field of travel medicine are required in order to build understanding about the use of these agents. What is obvious from a practical point of view that the use of oral medications is more convenient than subcutaneous injection for preventing VTE, potentially improving traveler´s accessibility to the intervention. Some venoactive agents are promoted to prevent travel-related DVT and flightrelated leg edema formation (69-71). While a reduction of leg swelling after prolonged immobility seems possible, no trials have demonstrated convincing evidence for thromboprophylaxis of the investigated drugs. According to the three risk groups defined, the members of the Hall expert meeting have recently recommended the following preventive measures in order to avoid traveler´s thrombosis (5) Key recommendations are given in Box 2. In 2008 the American College of Chest Physicians presented guidelines on antithrombotic and thrombolytic therapy (62). These guidelines rated the recommendations in Box 2 according to the quality of evidence upon which they were based. According to quality of evidence, the “low risk group” was rated 1C (strong recommendation, but existing evidence is of low quality, and benefits clearly outweigh the risk or burden). Both “medium risk group” recommendations (use of graduated compression stockings) and “high risk group” recommendations (application of LMWH) were rated from grade 1C to grade 2B (grade 2B is a weak recommendation derived from moderate quality evidence, benefits of therapy are balanced with risk and burden).

EXPERT COMMENTARY & FIVE-YEAR VIEW Travel-related thromboembolism can not longer be considered a scenario hyped-up by the media. Scientific studies support the notion that thromboembolism poses a risk for travelers. However, many issues remain unclear. Further studies are required in order to both increase understanding about the complex 281


Box 2: Recommendations for prevention of travel-related thromboembolism according to the Hall Expert Meeting Group 1: Low risk General measures ● Perform regular leg exercises, e.g. ankle movements, isometric exercises, walking. During travel by car and bus, take regular breaks to walk around ● Maintain normal fluid intake (at least 250 ml every 2 hours) and avoid excessive alcohol consumption ● Avoid the use of tranquillizers and sleeping pills whilst in the sitting position Group 2: Medium risk ● General measures, as for Group 1 ● Graduated compression stockings (compression at least 10-20 mmHg but 20-40 mmHg in subjects with chronic venous insufficiency) ● In special cases, consider low-molecular weight heparin, as for Group 3 Group 3: High risk ● General measures, as for Group 1 ● Graduated compression stockings (at least 10-20 mm Hg compression but 20-40 mm Hg in subjects with chronic venous insufficiency) ● Consider low-molecular weight heparin or fondaparinux Data from [5] pathophysiology and to present more accurate preventive recommendations. At present, we know that the risk of suffering VTE after long distance travel for “healthy” travelers is very low. We also know that certain risks potentially raise the likelihood that a passenger will suffer VTE. Moreover, we know that the risk increases exponentially if one ore more identified risk factors are present. Knowledge about travel-related thromboembolism remains subject of great controversy, particularly when considering the justification of broad passenger screening, and subsequent prophylaxis which has potential side effects for long-distance travelers. In five years, developments in this field will mean 282


oral antithrombotic medications will partially replace the use of low molecular heparins. While the development of oral thromboprophylaxis is of course a milestone in medicine, the potential broad-based use of this easy application (as compared to the subcutaneous injection), requires further investigation and careful consideration in order to ensure the intervention is not misused by long-distance travelers. Thus, outcome studies on travel-related VTE under prophylaxis with oral antithrombotics are warranted. Such studies are especially necessary in relation to high risk passengers.

Key issues ●

The existence of travel-related thromboembolism is well-established.

Travel-related thromboembolism is not restricted to air travel, but is a special form of DVT after prolonged sitting.

The risk of DVT may be increased two-to four-fold for all travelers, compared with non travellers.

The risk of DVT is much higher for individuals with pre-existing risk factors for VTE.

The most important single risk factors include: thrombophilic disorders, previous venous thromboembolism, varicose veins, women taking oral contraceptives, and obesity.

A combination of single risk factors enhances the venous thromboembolism risk.

Graduated compression stockings may reduce the risk for travel-related DVT.

Low-molecular-weight heparins can be considered as preventive measure in high risk travellers.

In the following section some relevant, recently published articles on travelrelated thromboembolism, which were not included in the above review, are summarized. Kristinsson et al. estimated the VTE risk of 227 commercial male pilots over a 10-year period and compared their risk for VTE to the general male population in Reykjavik (Island) (72). By using a register-based cohort design that ensured population-based observations the incidence of VTE in the large comparison group was 1.1 per 1000 person-years at risk. The expected number of VTE in the pilot cohort during the 10-year period was 1.8. Thus, the authors 283


do not suggest an increased risk of VTE in healthy male pilots who spend 5-8 h in the cockpit seat during flights. A study by an Italian research group analysed data from an ongoing registry of patients with symptomatic, confirmed acute VTE (RIETE) (73). More than 26.000 patients were enrolled. 2% of patients with VTE were registered as recent travellers. As compared to non-travelers they were ten years younger, had a higher body mass index, had significantly more previous VTE events, used more frequently hormones and had more often a positive thrombophilia test. As part of a big project, where 71 healthy volunteers were exposed in a crossover design to an 8-h flight, an 8-h movie marathon and 8 h of regular activities, Schreijer et al. determined possible contributing mechanisms for VTE, i.e. hypoxia, stress, inflammation or viral infection (74). By analysing PAI-1, Factor VIIIc, sP-selectin, interleukin-8 and neutrophil elastase, the authors conclude that stress, infection or air pollution are not involved in the development of a prothrombotic state in air travellers. Since a prothrombotic state is more pronounced after a long-haul flight in patients with VTE risk factors, they suggest that hypoxia may trigger systemic inflammation and platelet activation, thus causing coagulation activation and platelet degranulation.

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