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Julia Ausserer, Elizabeth Moritz, Peter Mair

❙ Julia Ausserer, Elizabeth Moritz, Peter Mair ❙

Erfahrungen mit dem Einsatz von Notarzthubschraubern bei polytraumatisierten Alpinunfallopfern

Physician Staffed Emergency Medical Helicopters to Provide Pre-Hospital Advanced Trauma Life Support in Mountain Rescue Missions

SUMMARY

Physician staffed emergency medical helicopters (HEMS) are used to support mountain rescue missions, although little data are available on the feasibility and consequences of advanced trauma life support (ATLS) interventions in mountain rescue missions. Therefore we studied 58 major trauma patients rescued out of mountainous terrain by physician staffed emergency medical helicopters in the Tyrolean Alps. Prehospital mortality was 6.9%. Total prehospital time was prolonged and exceeded 90 minutes in 41% of all missions. Thirty-one of 58 patients (53%) had at least one vital function critically impaired when the rescue team arrived. Endotracheal intubation at scene in patients with a Glasgow Coma Scale score ≤9 was accomplished without major complications in 15 of 19 of patients (79%). Volume replacement therapy was restrictive and exceeded 1000 ml in only 17%. Sixteen of 25 patients (64%) with hypotension at scene had also a blood pressure <90 mmHg on hospital admission, including 8 patients with traumatic brain injury. Rope rescue operations were necessary in 69% of cases and advanced trauma life support was initiated before rope rescue in 75% of them. A prolonged total prehospital time together with the critical impairment of vital functions in half of all major trauma victims support the concept of ATLS at scene in HEMS mountain rescue missions. Prehospital airway protection with endotracheal intubation is possible with a high success and low complication rate and is accomplished in the majority of patients with severe brain trauma. Prehospital resuscitation of hypotensive patients is more demanding and hypotension is not reversed

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until hospital admission in two third of patients, also in half of those with brain trauma. ATLS interventions are feasible also in the majority of rope rescue operations. Keywords: advanced trauma life support, mountain rescue, helicopter, emergency physician, trauma

ZUSAMMENFASSUNG

Der polytraumatisierte Patient im alpinen Gelände ist eine allgemein akzeptierte Indikation für den Einsatz eines Notarzthubschraubers. Neben der Reduktion der Prähospitalzeit ist es vor allem auch die Möglichkeit der Durchführung von erweiterten notärztlichen Therapiemaßnahmen am alpinen Unfallort, die das Überleben des Alpinopfers verbessern soll. Allerdings ist die Datenlage, die diese Annahme untermauert, bis heute sehr limitiert.Wir untersuchten daher 58 polytraumatisierte Patienten nach Alpinunfällen, die nach Versorgung durch einen Notarzthubschrauber in die Universitätsklinik Innsbruck eingeliefert wurden. Die Prähospitalzeit lag bei 41% aller Untersuchten über 90 Minuten und die präklinische Mortalität betrug 6,9%. Mehr als die Hälfte (n=31) der Patienten zeigte bei Eintreffen des Notarztes eine lebensbedrohliche Beeinträchtigung mindestens einer Vitalfunktion. Eine endotracheale Intubation war in der Mehrheit (79%) der Patienten mit einem Glasgow Coma Scale Score ≤9 problemlos möglich. Die Volumentherapie wurde insgesamt sehr restriktiv durchgeführt und überschritt 1000 ml nur bei 17% der Patienten. Bei 64% aller Patienten mit Hypotension und auch 50% aller Patienten mit Hypotension und begleitendem Schädelhirntrauma konnte der systolische Blutdruck bis Klinikaufnahme nicht über 90mmHg angehoben werden. In 69% der Rettungsaktionen war eine Taubergung notwendig und in 75% dieser Fälle wurden erweiterte medizinische Therapiemaßnahmen durch den Notarzt bereits vor Taubergung durchgeführt. Die verlängerte Prähospitalzeit und eine akute Vitalbedrohung bei der Hälfte der Patienten sprechen für die Durchführung von erweiterten notärztlichen Therapiemaßnahmen am alpinen Unfallort und den Einsatz von Hubschraubern mit Notarztbesetzung. Die prähospitale Intubation ist in über 90% der Fällen auch unter den schwierigen Bedingungen eines Bergrettungseinsatzes mit hoher Erfolgs- und niedriger Komplikationsrate möglich. Eine große Herausforderung stellt offensichtlich die präklinische Behandlung hypotensiver Patienten dar. In zwei Drittel aller hypotensiven Patienten und auch der Hälfte der hypotensiven Patienten mit Schädelhirntrauma war es bis Klinikaufnahme nicht möglich, den systolischen Blutdruck auf Werte >90mmHg anzuheben.

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Schlüsselwörter: alpines Polytrauma, Notarzt, Hubschrauber, Advanced Trauma Life Support

EINLEITUNG

Der polytraumatisierte Patient im alpinen Gelände ist eine allgemein akzeptierte Indikation für den Einsatz eines Notarzthubschraubers, da der Unfallort häufig durch bodengebundene Rettungsmittel gar nicht oder nur sehr schwer und nach langen Anfahrts- bzw. Aufstiegszeiten erreichbar ist. Durch die Verkürzung der Prähospitalzeit und die Möglichkeit der Durchführung lebensrettender, erweiterter notärztlicher Therapiemaßnahmen (ATLS) wird allgemein ein Überlebensvorteil für den Patienten durch einen Notarzthubschraubereinsatz angenommen. Mit harten, wissenschaftlichen Daten sind die Vorteile und Möglichkeiten von ATLS am alpinen Notfallort bis heute aber kaum untermauert. Deshalb haben wir über einen Dreijahreszeitraum polytraumatisierte Alpinunfallopfer untersucht, die nach Versorgung durch einen Notarzthubschrauber in den Schockraum der Universitätsklinik Innsbruck eingeliefert wurden.

PATIENTEN UND METHODIK

In die Untersuchung aufgenommen wurden schwerverletzte Alpinunfallopfer, die von einem Notarzthubschrauber über den Dreijahreszeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2013 in den Schockraum der Universitätsklinik Innsbruck eingeliefert und in das Internationale Alpine Trauma Register aufgenommen wurden. Das Internationale Alpine Trauma Register ist ein gemeinsames Projekt der Medizinischen Universität Innsbruck und des Instituts für Alpine Notfallmedizin der EURAC Bozen. Das Register ist eine prospektive, multizentrische Beobachtungsstudie an polytraumatisierten Patienten, die aus alpinen, nicht vom Rettungsdienst versorgten und auf dem öffentlichen Straßennetz erreichbaren Notfallorten geborgen werden. Unfälle auf gesicherten Skipisten werden in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt. Medizinische Einschlusskriterien sind ein Injury Severity Score (ISS) >16 (1), ein systolisch arterieller Blutdruck < 90mmHg oder eine Atemfrequenz <10/min oder >30/min am Notfallort. Ins Register nicht aufgenommen werden Patienten, die bereits beim Eintreffen der Rettungskräfte einen Herz-Kreislaufstillstand aufweisen.

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Untersucht wurden die Prähospitalzeit (Zeitraum von Unfall bis Klinikaufnahme), der Unfallhergang, Art der Bergung, Glasgow Coma Scale (GCS) Score (2), systolischer Blutdruck (SAP) und Atemfrequenz (AF) bei Eintreffen des Notarztes und bei Aufnahme in den Schockraum, Art und Zeitpunkt von notärztlichen Therapiemaßnahmen, die Körperkerntemperatur bei Klinikaufnahme, die Notwendigkeit von potentiell lebensrettenden Akutinterventionen unmittelbar nach Klinikaufnahme, der Abbreviated Injury Scale (AIS) (3) und der ISS (1) basierend auf Diagnosen nach innerklinischer Bildgebung, sowie die prä- und innerklinische Mortalität.

ERGEBNISSE

Innerhalb des Beobachtungszeitraums erfüllten 58 Patienten die Einschlusskriterien. Der durchschnittliche ISS lag bei 37,7 + 13,5 (mean ± SD), die Schwankungsbreite lag zwischen 20 und 75. Schwere, lebensbedrohliche Verletzungen (AIS >4) fanden sich vor allem im Bereich des Thorax (47%) und der Kopf/ Halsregion (43%), seltener an den Extremitäten (21%), im Abdomen (9%) oder im Gesicht (5%). Die Mehrheit der Unfälle passierte im Sommer beim Wandern, Bergsteigen, Klettern und Paragleiten (Tab. 1).

Tab. 1: Unfallursache der verunglückten Patienten (n=58)

Aktivität

Wandern, Bergsteigen Felsklettern Ski (Tour, Variante) Flugunfälle Mountainbike

Patientenanzahl

n=19 (33%) n=17 (29%) n=13 (22,5%) n=7 (12%) n=2 (3,5%)

Die Gesamtmortalität der Unfallopfer lag bei 17,2% (n=10), die präklinische Mortalität bei 6,9% (n=4) und die innerklinische bei 10,3% (n=6). Die Prähospitalzeit (Zeitraum von Unfall bis Klinikaufnahme) lag zwischen 28 Minuten und 17 Stunden. Bei 29 Patienten (50% der Einsätze) wurde eine Prähospitalzeit <90 Minuten erreicht (Tab. 2) und bei 10 Einsätzen (17%) überschritt sie 120 Minuten. Diese langen Prähospitalzeiten waren bei 5 Patienten aufgrund

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einer verzögerten Alarmierung der Rettungsleitstelle und bei den verbleibenden 5 Patienten aufgrund von langen Anstiegszeiten zum Patienten bzw. zeitintensiver Evakuierung zu erklären. Bei Eintreffen des Notarztes zeigten mehr als die Hälfte der Patienten (n=31) eine lebensbedrohliche Beeinträchtigung zumindest einer Vitalfunktion, 25 Patienten hatten einen SAP <90mmHg, 19 einen GCS Score ≤9, davon 2 in Kombination mit einer Atemfrequenz <10/ min. Drei der 25 Patienten mit einem SAP <90 mmHg bzw. ohne messbaren Blutdruck erlitten präklinisch einen Herz-Kreislaufstillstand und alle 3 verstarben trotz Reanimationsmaßnahmen noch am Unfallort. Neun der 25 Patienten hatten bei Krankenhausaufnahme einen SAP >90 mmHg, bei 13 Patienten lag der SAP bei Klinikaufnahme weiterhin <90 mmHg. In der Mehrzahl der 25 Patienten mit SAP <90 mmHg wurde eine restriktive Volumentherapie mit einer prähospitalen Volumengabe unter 500 ml (n=18; 72%) durchgeführt. Bei 16 von 25 Patienten mit präklinischem SAP <90mmHg wurde im CT nach Krankenhausaufnahme ein Schädelhirntrauma nachgewiesen. Auch bei diesen Patienten konnte nur in der Hälfte der Fälle (n=8) der SAP bis Klinikaufnahme auf Werte >90 mmHg angehoben werden. 17 der 19 Patienten mit einem GCS ≤9 erhielten präklinisch zum Schutz der Atemwege eine endotracheale Intubation (n=15) oder einen Larynxtubus (n=2). Bei den restlichen 2 Patienten wurde eine Crashbergung mit kurzem Tauflug direkt zum Landeplatz eines Krankenhauses durchgeführt. Beide Patienten mit einer Atemfrequenz <10/ min hatten ebenfalls einen GCS ≤9 und wurden am Unfallort endotracheal intubiert. Nach Klinikaufnahme zeigte das Schockraum-CT in 2 Fällen von prähospitaler Intubation eine linksseitige Lungenatelektase bei Tubuslage im rechten Hauptbronchus und in weiteren 3 Fällen eine Überdehnung des oberen Gastrointestinaltraktes aufgrund von Luftinflation bei schwieriger präklinischer Beatmung und/oder Intubation. Es wurden jedoch keine lebensbedrohlichen Komplikationen der endotrachealen Intubation dokumentiert. In 69% (n=40) aller untersuchten Notfälle war eine Taubergung zur Evakuierung des polytraumatisierten Patienten nötig, bei einem Viertel der Patienten (n=10) wurde primär eine Crashbergung durchgeführt und notwendige notärztliche Therapie (Volumentherapie n=10, Schmerztherapie n=4 und endotracheale Intubation n=5) wurde erst nach Bergung aus dem schwierigem Gelände vor Hubschraubertransfer ins Krankenhaus durchgeführt. In den restlichen Fällen (n=30) war eine erweiterte notärztliche Therapie bereits vor Taubergung möglich: alle 30 Patienten erhielten einen venösen Zugang, 23 Patienten Schmerz- und/oder Volumentherapie und 5 Patienten wurden vor Taubergung endotracheal intubiert.

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Tab. 2: Prähospitalzeit der Studienpatienten (n=58)

Prähospitalzeit Patientenanzahl

<90 Minuten n=29 (50%) 91–120 Minuten n=14 (24%) >120 Minuten n=10 (17%) unklar* n=5 (9%) *genaue Unfallzeit ungewiss, da der Unfall nicht beobachtet wurde

DISKUSSION

Da bisher nur sehr wenige Daten zum Einsatz eines Notarzthubschraubers beim polytraumatisierten Alpinunfallopfer publiziert wurden, wollten wir anhand der erhobenen Daten zwei Fragestellungen auf den Grund gehen:

1. Ist ein Notarzt beim polytraumatisieren Alpinunfallopfer wirklich notwendig oder wäre ein schnelles Bergen des Verunfallten mit raschem Abtransport ins Krankenhaus ohne zeitaufwändige, notärztliche Therapie eine sinnvolle Alternative? Als Hauptargumente für den Einsatz eines Notarzthubschraubers beim polytraumatisierten Alpinunfallopfer gelten die langen Prähospitalzeiten und die Notwendigkeit lebensrettender, erweiterter notärztlicher Therapiemaßnahmen aufgrund der Verletzungsschwere. Eine möglichst kurze Prähospitalzeit gilt generell als zentrales, wichtiges Kennzeichen eines gut funktionierenden Systems der präklinischen Traumaversorgung und ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal eines Rettungssystems. Die deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie fordert beispielsweise in ihren S3-Leitlinien eine Prähospitalzeit unter 90 Minuten (4). Bei den von uns untersuchten Patienten war das Einhalten dieser 90 Minuten nur bei der Hälfte der Patienten möglich. Unsere Daten zeigen jedoch, dass die sehr langen Prähospitalzeiten (>2h) selten vom Rettungsdienst beeinflussbar sind, denn häufig wurde der Notruf sehr spät abgesetzt oder die technisch aufwändige Bergung hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. War zur Evakuierung des Verunfallten zusätzlich bodengebundene Unterstützung durch den Bergrettungsdienst notwendig, lag die Prähospitalzeit stets über 2 Stunden. Dennoch wird die tatsächliche Bedeutung der Prähospitalzeit für das

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Überleben des Verunglückten weiterhin kontrovers diskutiert. Während die Quebec-Studie einen signifikanten Zusammenhang zwischen Mortalitätsreduktion und Verkürzung der Prähospitalzeit darstellen konnte (6), zeigen neuere Studien, dass nur Subgruppen an Patienten wie beispielsweise Patienten mit starker Blutung vom schnellen Transport in die Klinik und der zeitnahen chirurgischen Versorgung profitieren (7,8). Andere Arbeiten konnten hingegen keinen Zusammenhang zwischen Mortalität und Prähospitalzeit nachweisen (9,10) bzw. kamen sie zum Schluss, dass das Überleben der polytraumatisierten Patienten eher von der Behandlung am Unfallort abhängig ist (11). Möglicherweise ist bei optimierter Therapie am Unfallort das Outcome doch vor allem auch von der Verletzungsschwere und individuellen Risikofaktoren des Verunfallten wie beispielsweise Begleiterkrankungen und weniger von der Prähospitalzeit abhängig. Dennoch zeigen unsere Daten, dass es im Einzelfall wichtig ist, jegliche Zeitverzögerungen zu vermeiden, denn in 25% unserer Patienten war innerhalb von 2 Stunden nach Klinikaufnahme eine lebensrettende Akutintervention zur Patientenstabilisierung nötig: Bülau-Anlage bei Spannungspneumothorax (n=4), operative Blutstillung (n=3), Kraniotomie (n=4), radiologische, interventionelle Blutstillung (n=3) oder extrakorporale Unterstützungstherapie (n=1). Im entlegenen, alpinen Gelände scheint ein „scoop and run“ Konzept in der Mehrzahl der polytraumatisierten Alpinunfallopfer aufgrund der Verletzungsschwere mit lebensbedrohlicher Beeinträchtigung einer oder mehrerer Vitalfunktionen und des schwer erreichbaren Unfallortes keine Option zu sein. Da die Prähospitalzeit somit oft nicht wirklich verkürzt werden kann und andererseits häufig eine akute Vitalbedrohung vorliegt, spricht vieles bei Alpineinsätzen für schwerverletzte Unfallopfer für die Durchführung von ATLS vor Ort durch den Notarzt (5).

2. Kann der Notarzt am alpinen Unfallort notärztliche Therapiemaßnahmen sicher und erfolgreich durchführen oder gelten gängige Behandlungsempfehlungen des ATLS nur für urbanes und gut zugängliches ländliches

Gebiet? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir folgende zwei Kriterien einer optimierten Traumaversorgung als Marker herangezogen und mit unseren Daten verglichen: die Intubation bei einem GCS ≤9 und die Schocktherapie bei einem systolischem Blutdruck <90 mmHg. Das Schädelhirntrauma mit einem GCS ≤9 gilt in vielen Notarztsystemen als Indikation für eine Atemwegssicherung und Beatmung zur Verhinderung oder Therapie einer bestehenden Hypoxie oder Hyperkapnie (13,14). Im eu-

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ropäischen Notarzthubschrauber-System gilt die endotracheale Intubation als Goldstandard für die Atemwegssicherung (15,16). Es konnte gezeigt werden, dass die prähospitale Intubation durch einen erfahrenen Notarzt mit einer hohen Erfolgsrate und wenig Komplikationen möglich ist (15,16). Entsprechend diesen Empfehlungen wurden 79% unserer Patienten mit einem GCS ≤9 zur Atemwegssicherung mit einem endotrachealen Tubus versorgt. Weiters zeigen unsere Daten, dass trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen während einer alpinen Rettungsaktion die prähospitale Intubation durch erfahrene Notärzte in 90% der Fällen erfolgreich war und nur selten zu kleineren Komplikationen führte. Mehr als zwei Drittel aller endotrachealen Intubationen wurden mit Hilfe von Muskelrelaxantien durchgeführt. Neben fundierter Ausbildung und regelmäßigem Training gilt die Anwendung von Muskelrelaxantien als weiterer wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Intubation (14). Bereits 1993 berichteten Malacrida und Mitarbeiter über eine Reduktion von Mortalität und Morbidität bei Patienten mit SHT nach Bergunfällen, wenn die Verunglückten mit einem Notarzthubschrauber gerettet wurden. Die Autoren schlossen daraus, dass ATLS durch einen Notarzt sekundäre Hirnschäden bei Patienten mit SHT nach Unfällen in entlegenen Berggebieten vermindern können (17). Circa die Hälfte unserer Patienten hatte bei Eintreffen des Notarztes einen SAP <90 mmHg, und nur bei einem Drittel dieser Patienten konnten bis zur Aufnahme in den Schockraum normotensive Blutdruckwerte erreicht werden. In der Mehrzahl dieser Fälle wurde eine restriktive Volumentherapie mit prähospitaler Volumengabe bis zu 500ml durchgeführt. Restriktive Volumentherapie ist derzeit ein weit verbreiteter und akzeptierter Therapieansatz bei normotensiven, polytraumatisierten Patienten (18), wird jedoch bei hypotensiven Patienten mit einem SAP <90 mmHg weiterhin kontrovers diskutiert (19). Auf der einen Seite steht die Notwendigkeit eines ausreichenden arteriellen Mitteldrucks zur Aufrechterhaltung der zerebralen und koronaren Perfusion, auf der anderen Seite kann durch aggressivere Volumentherapie und damit einhergehender Steigerung des arteriellen Blutdrucks und Dilution von Gerinnungsfaktoren eine nicht kontrollierbare Blutung verstärkt und ein Schockzustand verschlechtert werden (20,21). Das Konzept der „permissiven Hypotension“ fand bisher vor allem in der Militärmedizin breite Verwendung, wird aber auch als mögliche Strategie bei Unfällen mit verzögerter Evakuierung empfohlen, wie dies auch bei alpinen Rettungsaktionen der Fall sein kann (22). Bei hypotensiven Patienten mit begleitendem Schädelhirntrauma sind sich die meisten Autoren jedoch einig, dass eine permissive Hypotension schädlich sein kann und die Volumentherapie bei diesen Patienten mit dem Ziel der

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Normotension durchgeführt werden sollte (4,22).Von den untersuchten Schädelhirntraumapatienten mit SAP <90 mmHg konnte jedoch nur in der Hälfte der Fälle bis Klinikaufnahme der SAP >90 mmHg angehoben werden. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass SAP-Werte <90 mmHg in einigen Fällen vom Notarzt nicht als Therapieziel im Sinne der „permissiven Hypotension“ gewollt waren, sondern vielmehr die Schwierigkeiten bei der Durchführung einer präklinisch adäquaten Volumentherapie zeigen. Unangenehme Wetterbedingungen wie Kälte, Wind, Regen- und Schneefall, sowie ausgesetztes steiles Gelände limitieren die Möglichkeiten prähospitaler Schocktherapie am alpinen Unfallort. Mehr als die Hälfte der untersuchten Patienten zeigte bei Eintreffen des Notarztes eine lebensbedrohliche Beeinträchtigung einer Vitalfunktion, welche eine sofortige, notfallmäßige Stabilisierung des Verunglückten durch den Notarzt notwendig machte. Weiter zeigen unsere Daten, dass in mehr als zwei Drittel der untersuchten Patienten eine Taubergung notwendig war, was um ATLS am Notfallort zu realisieren das Einbeziehen des Notarztes in die Taubergung notwendig machte. Unsere Daten zeigen, dass ATLS Interventionen, wie beispielsweise eine endotracheale Intubation, durchaus auch im Rahmen von Taubergungen erfolgreich und komplikationsarm durchführbar sind. Auch erleichtert die Verabreichung einer analgetischen Therapie vor Seilbergung die Evakuierung und verkürzt somit die Prähospitalzeit (12). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Leitlinien und Behandlungsprotokolle, die primär für den bodengebundenen Rettungsdienst im gut zugänglichen, urbanen Bereich entwickelt wurden, nur teilweise auch im alpinen Gelände umsetzbar sind. Nichtsdestotrotz kann der erfahrene Notarzt lebensrettende ATLS-Interventionen häufig, teilweise auch nur in modifizierter Form, mit hoher Erfolgs- und niedriger Komplikationsrate auch am alpinen Notfallort durchführen.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die verlängerte Prähospitalzeit bei Unfällen im alpinen Gelände, die häufig notwendige Stabilisierung des Patienten vor technischer Bergung sowie die lebensbedrohliche Beeinträchtigung einer oder mehrerer Vitalfunktionen bei mehr als der Hälfte der polytraumatisierten Patienten sind ein starkes Argument für die Anwesenheit eines Notarztes und eine erweiterte medizinische Versorgung auch am alpinen Notfallort. Die für den urbanen Rettungsdienst gültigen Zielvorgaben einer notärztlichen Therapie kann der Notarzt am alpi-

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nen Notfallort allerdings nur teilweise erfüllen. Die prähospitale Atemwegssicherung mittels endotrachealer Intubation ist in der Mehrzahl der Fälle möglich und hat nur eine geringe Komplikationsrate. Eine größere Herausforderung für den Notarzt stellt die präklinische Behandlung hypotensiver Patienten dar. In zwei Drittel aller hypotensiven Patienten und der Hälfte der hypotensiven Patienten mit Schädelhirntrauma war es bis Klinikaufnahme nicht möglich den SAP auf >90 mmHg anzuheben. Erweiterte notärztliche Therapie ist nach unseren Erfahrungen auch in der Mehrzahl der Fälle von Taubergungen möglich.

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