BIORAMA #37

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P.b.b. — 11Z038861 M — 1040 Wien —— www.facebook.com/biorama

KOSTENLOS — ABER ABONNIERBAR

ausgabe 37 — JUNI / JULI 2015. www.biorama.eu

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MAHLZEIT Unser globalisiertes Essen Döner Hawaii: Food-Ethnologe Marin Trenk im Interview. Rewilding: Nach 1.300 Jahren soll der Luchs nach Großbritannien zurückkehren. Libera Terra: Ein Label gegen die Mafia.

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BIO aus den Tiroler Bergen

Sebastian Danzl, Käsermeister Schwendt

Für den Schnittlauchkäse wird Almschnittlauch verwendet.

Spezialitäten aus bester Tiroler Bio-Heumilch – dafür stehen unsere Käsermeister mit ihrem Namen. Schließlich sind nachhaltige Berglandwirtschaft, kontrolliert biologische Produktion und achtsame Verarbeitung der Lebensmittel nicht nur Geschmacksfrage, sondern auch Lebensphilosophie. Für den Tiroler Ursprung bürgt das Gütesiegel „Qualität Tirol“.

biovomberg.at

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Vor sieben Jahren wurde Melody Gardot mit ihrem Debütalbum »Worrisome Hearts« zum Jazz-Popstar. Drei Alben, drei Millionen Plattenverkäufe und drei Jahre Recording-Pause später erscheint nun »Currency of Man«. Die dreißigjährige Sängerin und Song Writerin liefert damit den passenden Soundtrack zum Biorama lesen. Denn ihre Musik ist – so sagt sie selbst – für Zuhörer und Mitdenker gemacht.

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Biorama Nº. 37

auftakt

inhalt

07 Editorial 10 Global Village Die Welt im Großen & Kleinen 16 Meine Stadt Hassaan Hakim über Giessen

Schwerpunkt: Essen Global

18 Interview Marin Trenk isst weltweit 27 10 Milliarden Wie macht man alle satt? 30 Das Menü von morgen Was serviert die Zukunft? 35 Tomoffel: Hybride im Garten 36 expo in Mailand Die Welternährung und ihre Widersprüche 38 Ackern gegen die Mafia Ein Label für mafiafreie Produkte 41 Red Müll Die Fotostrecke in hohen Dosen

Magazin

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47 Elektro-Mobilität Wie cool ist das Elektroauto? 54 Eine Brücke aus Design Nachhaltigkeit in der thailändischen Textilwirtschaft 58 Cottonbudbaby Der Bio-Babyausstatter aus Berlin 62 Sinn City Ein Supermarkt für Jerewan 66 Wildlife Die Heimkehr der Luchse in die Highlands

Marktplatz 72 DIY Rezept Handgemachtes Eis 74 Limonade Best of Summerdrinks 76 Sonnenschutz Lust auf Sommer

warum wir essen, was wir essen Der Ethnologe Marin Trenk hat ein Buch über Essen geschrieben. In »Döner Hawaii« geht es um unsere globalisierte Nahrung, und wie die moderne Weltküche zu dem wurde, was sie heute ist. Thomas Weber hat ihn gefragt, was die österreichische der deutschen Esskultur voraus hat, und weshalb es unwahrscheinlich ist, dass Europäer zu Insektenessern werden.

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Kolumnen 69 Glasgeflüster 71 Speis & Trank 78 Elternalltag 80 Die Welt, die wir uns wünschen 82 Gregorianische Moral

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66 wildlife In Großbritannien sollen Luchse wieder Teil der Natur werden, nachdem sie 1.300 Jahre lang von der Insel verschwunden waren. Damals war es der Mensch, die Katzen verdrängte. Heute ist es der Mensch, der sich das Raubtier zurückwünscht. Matthias Schickhofer hat sich den Plan in Schottland erklären lassen und beeindruckende Fotos aus den Highlands mitgebracht.

textiles thailand Im Norden Thailands werden Textilien nachhaltig produziert. Teresa Havlicek hat sich vor Ort angesehen, was Thailand fernab der Routen des Massentourismus zu bieten hat.

Der neue Foodblog von sinn city In unserer Serie zum Thema Stadt werfen wir dieses Mal einen Blick auf die armenische Hauptstadt Jerewan. Dort sorgt der innerstädtische Strukturwandel für Kritik.

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Bild: Flickr.com/Royalty-free image collection – CC BY 3.0

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@@Wir tanken Sonne – zu jeder Jahreszeit.@@ Unsere hauseigene Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 882 Kilowatt auf dem Dach unseres Briefzentrums Wien-Inzersdorf ist eine der größten Anlagen dieser Art in Österreich. Zusammen mit einer zweiten Anlage am neuen Logistikzentrum Allhaming in Oberösterreich wird so in Zukunft die gesamte E-Flotte der Post, die bis 2016 auf rund 1.300 Fahrzeuge anwachsen wird, mit Strom aus sauberer Energie versorgt. Wenn’s wirklich wichtig ist, dann lieber mit der Post.

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editorial, impressum

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Making people satt

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Wir bleiben jedenfalls dran. Thomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu @th_weber

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impressum HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEUR Thomas Stollenwerk AUTOREN Mirjam Bromundt, Sylvia Buchacher, Karin Chladek, Chris Cummins, Iwona Dullinger, Anne Erwand, Juliane Fischer, Doris Fröhlich, Miriam Frühstück, Tina Gallach, Yannick Gotthardt, Katharina Grabner, Christa Grünberg, Susanna Hagen, Micky Klemsch, Ellen Köhrer, Sarah Krobath, Astrid Kuffner, Sarah Latussek, Martin Mühl, Ursel Nendzig, Susanne Posegga, Julia Preinerstorfer, Sebastian Rahs, Theres Rathmanner, Parvin Razavi, Werner Reiter, Teresa Reiter, Matthias Schickhofer, Jürgen Schmücking, Katja Schwemmers, Mara Simperler, Wolfgang Smejkal, Anna Sperber, Sarah Stamatiou, Werner Sturmberger, Erwin Uhrmann, Julia Unterlechner, Katharina Wiesler, Jörg Wipplinger, Irina Zelewitz, Helena Zottmann COVERBILD iStockphoto ILLUSTRATIONEN Katharina Hüttler / agentazur.com GESTALTUNG Elisabeth Els, Sig Ganhoer, Erli Grünzweil LEKTORAT Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer ANZEIGENVERKAUF Herwig Bauer, Micky Klemsch (Leitung), Thomas Weber WEB SuperFi DRUCK Niederösterreichisches Pressehaus, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H. Gutenbergstrasse 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT Biorama GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT siehe Website: www.biorama.eu ERSCHEINUNGSWEISE 6 Ausgaben pro Jahr ERSCHEINUNGSORT Wien VERLAGSPOSTAMT 1040 Wien BLATTLINIE Biorama ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für Mensch und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. Biorama erscheint sechsmal im Jahr.

foto Michael Winkelmann

ielleicht war es nicht nur früher, sondern wird es auch später besser mit unserem Essen.« Ein schöner, hoffnungsfroher Satz, mit dem unsere Autorin Doris Fröhlich ihren Artikel über Food-Trends beschließt (ab Seite 30). Und doch auch ein Satz, über den sich vortrefflich streiten lässt. Denn allen bekannten Schäden und teils fatalen Nebenwirkungen einer weitgehend industrialisierten Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion zum Trotz muss schon auch angemerkt werden: Unser Essen war noch nie so sicher wie heute. Zumindest in unseren Breiten – womit wir bereits beim ersten »Aber«, beim ersten vieler möglicher Einwände wären, die wir versuchen, in unserem aktuellen Schwerpunktthema über »unser globalisiertes Essen« zumindest anzusprechen. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Inspirieren lassen haben wir uns für das diesmalige Coverthema von einer SachbuchNeuerscheinung – »Döner Hawaii« von Marin Trenk. Der Band enthält einen fundierten und vergnüglich zu lesenden Abriss über die ernährungsethnologische Weltgeschichte und hat das Zeug zum Standardwerk. Ein ausführliches Interview mit Marin Tränk findet sich ab Seite 18. Auch abseits aller ökologischen Probleme und sozialer Distinktion, die Essen immer schon ermöglicht hat, bleibt das Thema hochkomplex – und theoretisch doch recht einfach: Der Schlüssel liegt in der Bekämpfung von Armut. In unseren Breiten wie global betrachtet. Dass dabei mitunter auch überraschende Aspekte zu beachten sind, belegt Werner Sturmberger in seinem Artikel über »Libera Terra« (Seite 38). Dabei handelt es sich um ein italienisches Label, das Produzenten ausweist, die kein Schutzgeld bezahlen. Also um nichts anderes als ein Gütesiegel für »mafiafrei«. Einmal mehr zeigt sich: Vertrauen ist gut, Transparenz und Kontrolle sind besser. Apropos, weil gerade wieder einmal Bio-Betrügereien aufgedeckt wurden: Dass Bio-Schindluder ans Licht kommt, bedeutet nicht, dass Bio korrupt und »auch nicht besser« ist, sondern dass Kontrollen nicht nur stattfinden, sondern mitunter auch funktionieren.

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bild der ausgabe

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Global food

Wer ernährt den Planeten? Alle sind sich einig: Ernährungssicherheit ist ein hohes Gut. Bei der Frage, was zu tun ist, um die Welt mit ausreichend Nahrung zu versorgen, herrscht allerdings keine Einigkeit. Die Weltausstellung in Mailand widmet sich dem Thema in diesem Jahr unter dem Titel: Feeding the Planet, Energy for Life. Wer mit einer Expo rechnet, auf der sich die naturnahe, dezentrale Landwirtschaft präsentiert, die lokal für die Verfügbarkeit von Lebensmitteln sorgt, der wird enttäuscht werden. Weltausstellung, das heißt Leistungsschau der Konzerne, der Technologie, der vermeindlichen Innovation. Das war wohl immer so, und deshalb bietet auch die Welternährungs-Expo in Mailand eine Bühne für ihre Sponsoren. Und das sind in aller Regel Großkonzerne, die unter Ernährungssicherheit oft die Steigerung der Nahrungsproduktion meinen, und nicht die Steigerung der Verfügbarkeit von Nahrung.

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Text Thomas Stollenwerk bild Expo 2015 / Daniele Mascolo

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global village

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Thema

DER GUTE SACK

text Thomas Stollenwerk foto Apomore GmbH

Eine erdölfreier Papierbeutel mit doppeltem Boden, der auch nass funktioniert, soll helfen, den enormen Verbrauch an Tüten aus Plastik einzudämmen. Ob Sackerl, Säckli oder Tüte, Tragetaschen aus Plastik stellen ein gehöriges Umweltproblem dar. Jedes Jahr wird weltweit eine ganze Billion Tüten verbraucht. Zwar kann man die hochwertigen unter ihnen mehrfach verwenden, doch in der Praxis landen die weitaus meisten Plastiktüten schnell im Müll, und nicht selten irgendwann im Meer. Für ihre Produktion wird eine Menge CO² in die Atmosphäre entlassen und die Ökosysteme belasten Plastiktüten ziemlich lang. Verfallen tun sie nämlich erst nach zirka einem halben Jahrtausend. Mit dem »Tütle« möchte ein Unternehmen aus dem schwäbischen Dettenhausen das ändern. Deshalb hat es eine Einkaufstüte – oder eben das Tütle - mit besonderen Eigenschaften entwickelt. Das Tütle wird CO² neutral produziert, reisst nicht, wenn es feucht wird, und kann deshalb nicht nur als stabiles Transportgefäss, sondern auch als Biomüll-Beutel benutzt werden. Sehr praktisch. Optisch kommt das Tütle dabei als relativ unscheinbare, braune Papiertüte daher. Während viele andere

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braune Papiertüten nur zu einem Teil aus Altpapier bestehen, enthält es allerdings zu 100 Prozent ungebleichtes Recycling-Material. Ein großer Mitbewerber für den kompostierbaren Recycling-Sack sind die immer weiter verbreiteten Bio- oder Öko-Plastiktüten. Die bestehen meistens aus angeblich natürlichen Kunststoffen, die aus Maisstärke gewonnen werden. Wirklich »bio« sind sie in der Regel allerdings nicht und ihre ökologischen Vorteile sind fragwürdig. Oft wird der zur industriellen Produktion von Öko-Kunststoff verwendete Mais in gigantischen Monokulturen und unter Verwendung von Gentechnik angebaut. Viele Ackerflächen werden so zum Anbau von zukünftigem Verpackungsmüll verwendet, anstatt zur Produktion von Lebensmitteln. Außerdem sind Materialien aus Bio- oder Öko-Kunststoff zwar zur Kompostierung geeignet, nur tragen sie nicht wirklich zur Bildung von Humus bei. Sie stellen Pflanzen keine Nährstoffe bereit und verrotten nur sehr langsam. Das Tütle setzt auf ein eindeutig schlaueres Konzept.

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street talk Wir fragen, fünf genügsame antworten.

» Worauf verzichtest du beim Reisen?« Dalma 23, Studentin

Alina 34, Kellnerin

Ich verzichte auf ein ein besonderes Hotel, luxuriöse Kleidung und ein Auto. Ich benütze lieber die Öffis, dann kann ich mich im Urlaub auch spontan betrinken.

Im Urlaub verzichte ich auf Schmuck und auf sonst nichts.

Im Urlaub verzichte ich ganz gerne mal aufs Verzichten.

Stefan 22, Sales Manager Auf Reisen verzichte ich darauf, für meinen Chef oder meine Kunden erreichbar zu sein.

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Sabine 45, Krankenhausangestellte

Wolfgang 53, Bankangestellter

Im Urlaub verzichte ich auf nichts. Aber bei den Hotels sind wir sparsam, wir sind ohnehin den ganzen Tag unterwegs.

Ich verzichte derzeit generell auf Fernreisen.

Interview und bild Irina Zelewitz, Alexius Baldissera

Stimme aus dem Off

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global village

Viele Verstehen das handwerk, nur wenige die kunst der körperpflege

NEU

Green IT

Fairwählt 2.0 Konfliktfreie Rohstoffe in einem fairen Smartphone, das kein Wegwerfartikel sein soll: das Fair Phone geht in die zweite Auflage.

www.kunst-koerperpflege.at Bild: Duschgels (Detail), Acryl auf Leinwand, © Krassimir Kolev 2014

Inserat KdK neu biorama 71 x 218.indd 1 037_002-017.indd 12

Nachdem das erste Modell 2013 bereits über 60.000 überzeugte Käufer gefunden hat, haben sich seit Februar schon über 45.000 Interessenten für das Folgemodell registriert. 2010 wurde Fairphone in Amsterdam als Initiative gegen den Einsatz von Bürgerkriegs-Coltan bei der Produktion von Elektronik gegründet. Daraus wurde binnen kurzer Zeit ein Start-up mit knapp zehn Mitarbeitern. Als das Team vor zwei Jahren das erste Fairphone auf den Markt brachte, konnte immerhin der Einsatz von zwei garantiert konfliktfreien Materialien sichergestellt werden. Mit dem zweiten Fairphone wollen die ambitionierten Entwickler viel weiter gehen. Der Abbau der Rohstoffe, das Design des Smartphones, seine Produktion, der Lebenszyklus, in allen Bereichen soll ein großer Schritt in Richtung fairer Elektronik unternommen werden. Anders als beim ersten Modell wird das Fairphone der zweiten Generation vollständig selbst designt und produziert. Ebenfalls neu: der Quellcode der eingesetzen Software wird für die Community frei zugänglich sein. Über die Entwicklung des neuen Fairphone und auch über die Probleme, die sich den Machern beim Beschaffen fairer Rohstoffe stellen, wird umfassend informiert. www.fairphone.com

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Sneaker

Low-key Low Loader

Als Mountainbike-Urgestein, Fahrrad-Konstrukteur und ewiger Schnauzbart Tom Ritchey 2007 auf Anfrage der Portlander Stumptown Coffee Roasters für das »Project Rwanda« afrikanischen Kaffeebauern ihre selbstgebastelten Holzdraisinen zum Transport der Bohnen durch Cromoly-Lastenräder ersetzte, konnte wohl kaum jemand erahnen, welcher Stein damit ins Rollen gebracht wurde. Das auch damals schon privat zu ordernde Ritchey zeichnete sich als Frontlenker – im Gegensatz zum Gros der in Europa verwendeten Lastenräder – durch hohe Geländegängigkeit, simpelste Technik und eine unschlagbare grün-gelbe Lackierung aus. Bereits ein Jahr vor Ritcheys Erleuchtung war in Wien, diesmal auf Anfrage einer holländisch-tansanischen Kaffeeund Kakao-Kooperative, ein Longbike entstanden, das alle anderen nachfolgenden Neuentwicklungen in den Schatten stellen sollte. Im Lastenheft für das von Fahrrad-Designer Paris Maderna ersonnene und entwickelte Longbike MCS Truck fand sich nicht nur eine erwünschte Zuladung von 270 Kilogramm – vier Säcke Roh-Kaffee –, sondern auch besondere Manövrierfähigkeit und Geländegängigkeit, um das wertvolle Gut über unwegsame Trampelpfade zum nächsten Sammelpunkt bringen zu können, mussten berücksichtigt

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werden. Parallelen zum entstandenen, einzigartigen Konzept eines Zentralrohrrahmens und einer tiefen Ladefläche zwischen Fahrer und Hinterrad finden sich auch bei militärisch genutzten Fahrzeugen wie Unimog oder Pinzgauer. Nach dem Erwerb eines der Ur-Modelle für das Lastenrad-Transportunternehmen Heavy Pedals brachte sich – begeistert von der Funktionalität des Trucks – Wiens wohl bekanntester Fahrrad-Mensch Wolfgang »Höfi« Höfler in die Weiterentwicklung ein und trieb den Truck zur heute vierten Evolutionsstufe mit 20-Zoll-Rädern, einer Elastomer-Hinterradfederung à la Moulton und dem Engagement ür eine mögliche Kooperation mit der Transporthilfen-Firma Loliner für eine teilintegriert aufgesetzte Transportbox mit seitlicher Schiebewand. Auf Wiens Straßen ist der grüne MCS Truck kein Unbekannter, erfreut er sich doch an wachsender Beliebtheit bei gewerblichen Anwendern wie Rita bringt’s, Veloce, ShopCourier oder dem BringRad. Wer selbst einmal am Volant eines wahren Trucks sitzen möchte – etwa für einen innerstädtischen Umzug – der kann sich einen solchen beim LastenRadKollektiv mieten. Oder aber einen Heavy Pedals-Mitarbeiter höflich um eine Ehrenrunde bitten, wenn er gerade die Wiener biorama-Auflage ausliefert.

links text Thomas Stollenwerk bild Fairphone — RECHTS Sebastian Rahs bild ###

Nur bei vier Rädern zählt die Achsen-Anzahl: Der leichteste Tieflader der Welt punktet mit Kopf-Drehmoment in der Begegnungszone.

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Auch auf www.biorama.eu gibt es Interessantes zu entdecken. Hier eine Auswahl aktueller Interviews, Artikel und Videos unserer Online-Dependance:

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Kleine Anleitung zum Food-Bloggen — Beim diesjährigen Food-Blogger-Award der AMA ist unser Herausgeber Thomas Weber Mitglied der Jury. Worauf er bei einem Food-Blog Wert legt, hat er niedergeschrieben. www.biorama.eu/afba15-weber

2

Studie zum Begriff Nachhaltigkeit — Viele Leute haben das Gefühl, der Begriff Nachhaltigkeit werde so häufig verwendet, dass es nervt. Wir haben uns mit einem Kommunikationsforscher der Leuphana Universität Lüneburg darüber unterhalten. www.biorama.eu/fischer-interview/

3 70 x in Österreich Preisvergleich: Billigfleisch vs. Tierfutter — Was früher Luxus war, kann sich heute fast jeder leisten: Fleisch. Die Preise von Billigfleisch liegen oft sogar unter denen von Tierfutter, haben wir festgestellt. www.biorama.eu/preisvergleich-billigfleisch-vs-tierfutter/

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Neil Young

Vom Mythos namens Fortschritt

23. Juli 2014, Wiener Stadthalle – Neil Young und seine Band Crazy Horse beenden ein fulminantes Set mit einem damals noch unveröffentlichten Song. »Who’s gonna stand up and save the earth? / Who’s gonna say that she’s had enough? / Who’s gonna take on the big machine?«, singt Young unverblümt grantig. Am Ende wiederholt er gemeinsam mit seinen Kollegen auf der Bühne und den knapp 10.000 Besuchern im Chor immer und immer wieder die Frage »Who’s gonna stand up?«. Ein Moment, der keine Zweifel lässt: Geht es nach Neil Young, dann sind natürlich wir selbst es, die gegen die Missstände in unserer modernen Welt aufzubegehren und den Konzernen den Kampf anzusagen haben, die Erde hat schließlich genug unter der Maßlosigkeit der Menschen gelitten. Wer die Karriere des fast 70-jährigen Kanadiers verfolgt hat, weiß, dass er dieses Aufbegehren seit seinen Anfängen in der Hippie-Bewegung der 60er selbst immer sehr ernstgenommen hat. Es überrascht also nicht, dass sich Young auf »The Monsanto Years« nun ganz dem Protest verschreibt. Die zweifelhaften Praktiken

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von Konzernen – allen voran jene des Chemie- und Agrar­riesen Monsanto –, aber auch die Industriehörigkeit der Politik und das Desinteresse der Menschen sind in seinen überdeutlichen Lyrics Thema. »Für Subtilität ist es mittlerweile zu spät«, erklärt Micah Nelson, Sohn der Country-Legende Willie Nelson und Gitarrist bei Youngs Begleitband Promise Of The Real, in einem Promo-Video. »Neil ist besorgt darüber, in welche Richtung wir uns entwickeln. Das Album entlarvt den Mythos Fortschritt.« Musikalisch bewegt sich »The Monsanto Years« entlang bekannter Pfade: Vom Country-Schunkler bis hin zum sich aufbäumenden Rocksong ist alles dabei, wofür man Neil Young in den letzten 50 Jahren zu schätzen gelernt hat – auf hohem, jedoch nicht auf höchstem Niveau. Mit ihrer Klasse und Spielfreude funktioniert die Musik aber ohnehin vor allem als Vehikel für die Inhalte, um die es Young geht: »Corporations have feelings, corporations have soul / That’s why they’re like people just harder to control / They don’t want to fall, so when they fall, they fall on you / Too big to fail, too rich for jail.«

TEXT Manuel Fronhofer bild Pegi Young

Ein Album voller Protestsongs – auf »The Monsanto Years« gibt sich Neil Young als immer noch widerständiger, umweltbewegter Geist.

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Meine Stadt

MEINE STADT: GieSSen

von hassaan hakim

Lieblingsplätze UND Eco-HotSpots

Hassaan Hakim ist Gründer, Eigentümer und Mastermind von Yool. Die Werbeagentur für Nachhaltigkeit bietet alle Dienstleistungen rund um die Inszenierung von Marken. Wer glaubt, das ginge in Deutschland nur von Berlin, Hamburg, München oder Düsseldorf aus, irrt. Hassaan Hakim lebt und arbeitet in Gießen, einer Stadt mit knapp 80.000 Einwohnern in Hessen. Er selbst sagt über Gießen, es sei »die hässlichste Stadt Deutschlands.« Das allein hat das Interesse von biorama geweckt.

stadtpark wieseckaue Das ehemalige Landesgartenschau-Gelände (früher Schwanenteich) ist auch ein Jahr nach dem hessischen Garten-Event ein toller Ort zum Spazieren, Sonne tanken in der Strandbar am Neuen Teich und Seele baumeln lassen zwischen den Blumenbeeten. Der Stadtpark Schwanenteich wurde für die Landesgartenschau erneuert und erweitert und bietet nun neben den parktypischen Grünflächen auch einen Skatepark, Tennis-, Handball-, Fußball- und Basketballplätze sowie eine Vielzahl an architektonischen Installationen. giessenentdecken.de/locations/schwanenteich

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café amélie Mit Sitz im berühmt-berüchtigten »Dönerdreieck« Gießens veranstaltet die Genossenschaft für Solidarität und freie Bildung eG im Café Amélie wöchentliche Events wie Kunstausstellungen, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen. Natürlich kann man das Café auch einfach als Treffpunkt für zwischendurch nutzen, um sich in geselliger Runde auszutauschen. www.cafe-amelie.de

kü-ché Eine gemütliche Wohnzimmer-Atmosphäre mit selbstgebackenem Kuchen und gutem Kaffee gibt es in dem charmanten Café in der Moltkestraße 11. Im Herbst 2012 eröffnet, bietet die »studentische Ideenküche für Kulturgenuss« neben köstlichen vegetarischen und veganen Leckerbissen wie den Lemoncurd-KokosKüchlein auch regelmäßige Workshops, einen urbanen Gemüsegarten, einen offenen Bücherschrank und hin und wieder familiäre Konzerte – und das alles auf Spendenbasis. Jeder entscheidet selbst, wie viel ihm das Angebotene wert ist. kuechekueche.wordpress.com

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Seit 30 Jahren stellen wir ökologisch unbedenkliche Wasch- und Reinigungsmittel von höchster Qualität und Effizienz her und:

die lebensmittel-retter Der deutschlandweit agierende Foodsharing e. V. betreibt seit gut einem Jahr auch die Ortsgruppe Gießen. Seitdem wird viermal die Woche gegen Lebensmittelverschwendung Übriggebliebenes vom Wochenmarkt oder lokalen Bäckern an alle verteilt, die sich nicht zu schade sind, gutes kostenloses Obst und Gemüse mitzunehmen. Alle können kommen, alle können sich aber auch selbst engagieren und sich den derzeit 20 bis 30 Ehrenamtlichen anschließen oder Lebensmittel, die man selbst nicht mehr verbraucht, an die Lebensmittelretter spenden. Achtung: Pünktlich kommen wird empfohlen, da der Andrang nach frischem Obst, Gemüse und Backwaren groß ist! foodsharing.de

wir denken noch weiter.

Uni Sapon Null-Müll-Konzept

1 Nicht jeder Fleck braucht ein eigenes Putzmittel = weniger Verpackungsmaterial

2 Konzentrate zum Selber - Mischen = weniger Transporte / weniger Co2 weniger Müll

giessen kocht! Zweimal im Jahr treffen sich mittlerweile rund 900 Kochwütige, um mit Fremden gemeinsam zu kochen, zu essen und zu feiern. Bei dem ehrenamtlich organisierten Kochevent werden Vorspeise, Hauptgang und Dessert in Kochteams von jeweils sechs Leuten zubereitet – zwei Hobbygourmets für jeden Gang. Der Clou – nach jedem Gang wird das Kochteam gewechselt und jede Kleingruppe zieht weiter zur nächsten Küche, wo bereits der nächste Gang und vier neue Wegbegleiter warten. Selbst wenn man nicht mitkocht, ist die Völkerwanderung der Köche an diesen Abenden ein wahres Spektakel. Und wer nette Leute in Gießen kennenlernen will, sollte unbedingt mitmachen. www.giessenkocht.de

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Unser globalisiertes Essen

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Weit herumgekommen: Der Truthahn, einst Nutztier der Azteken, gelangte über Europa und das Osmanische Reich als »Turkey« als inoffizielles Wappentier in die usa.

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text

Thomas Weber

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ILLUSTRATION

Katharina Hüttler / agentazur.com bild

Universität Frankfurt / Main

Was bleibt, ist die Wurst Deutschland hat sich kulinarisch weitgehend abgeschafft und selbst im »Islamischen Staat« isst man heute Pizza. Wir haben uns mit dem Ernährungs-Ethnologen Marin Trenk über die barbarischen Vorlieben der Nordeuropäer, Ekelgrenzen und Street Food unterhalten.

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evor die Konzerne ins Spiel kamen, wurde unser Essverhalten bereits dreimal globalisiert. Der Frankfurter Food-Ethnologe Marin Trenk beginnt in »Döner Hawaii«, seinem Buch über »Unser globalisiertes Essen« bei Kolumbus. Mit ihm setzt die Phase 1 der Globalisierung unserer Ernährung ein – zuerst mit dem bloßen Austausch von Obst, Gemüse und Nutztieren. Über den Umweg der Alten Welt verbreiten sich indianische Nutzpflanzen wie Paprika, Mais, Tomate, Bohne und Kartoffel, aber auch der Truthahn rasch weltweit. Aus Afrika, dem Nahen Osten oder auch der thailändischen Küche ist etwa die scharfe Urform des Paprikas – die Chili – nicht wegzudenken. Und Tomaten und Paprika gehören längst zur »originären« Küche des Mittelmeerraums wie die Kartoffel und ihre Knödel / Klöße nach Deutschland – kein Mensch empfindet sie dort noch als exotisch. In der zweiten Phase der Globalisierung wandern erstmals auch kulturelle Errungenschaften und Rezepte – etwa die aztekische Kakao-Trinkkultur an den Spanischen Hof oder Indische Currys nach Großbritannien. In Phase 3 schließlich verbreiten sich durch die großen Migrationsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert auch ganze Küchen und Kochkulturen. »Döner Hawaii« (erschienen bei Klett-Cotta) sollte in keinem Foodie-Bücherregal fehlen. Denn Trenk

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schildert schlüssig, dass diese Globalisierung keine lineare Entwicklung ist. Dass selbst die allererste Phase noch nicht abgeschlossen ist, beweist aktuell etwa der Hype um den »Inkareis« Quinoa in Teilen Europas. Die Slow-Food-Bewegung sieht er dennoch als relativ willkürliche Festschreibung und Verherrlichung des kulinarischen Status Quo nach der ersten Globalisierungsphase an. Anders als einstmals befürchtet stellen weder McDonald’s, noch andere Fast-Foodketten den kulinarischen Tiefpunkt oder gar das Ende dieser Bewegung dar. Der originelle »Döner Hawaii« verdeutlicht das heute beinahe weltweit vorherrschende »Anything goes«. Diese absolute Regellosigkeit habe aber zu einer Gastro-Anomie geführt, die heute viele Gesellschaften überfordert. Als globalisierteste aller Speisen nennt Trenk allerdings die Pizza. Ursprünglich das traditionelle »Streetfood« armer Leute in Neapel gelangte sie mit Auswanderern nach Übersee und wurde dort zum Inbegriff italienischer Küche. »Pizza global, das ist eine amerikanische Erfolgsgeschichte – mit tausendundeiner lokalen Ausprägung.« Neben dem Espresso hat es Pizza über den Umweg Amerikas zum ikonenhaften »World Food« geschafft, die vom »l’homnivore« – vom Allesfresser Mensch – rund um den Globus in vielfältigster Weise belegt wird. biorama bat Marin Trenk zum Interview über die verleugnete deutsche Esskultur, Street Food und den Megatrend »Invisibilisierung«. biorama: Herr Trenk, warum sind die Deutschen wie Sie es nennen: »kulinarisch übergelaufen«? Warum haben sie ihre eigene Küche aufgegeben und geben stattdessen asiatischen, mediterranen und anderen Ethno-Esskulturen den Vorzug? Und warum ist es in Österreich und der Schweiz anders gelaufen? marin trenk: Übergelaufen meine ich in dem Sinn, dass wir uns abgewandt haben von unseren eigenen Esstraditionen. Im Norden ist das auffälliger und stärker passiert als im Süden. Im Norden haben wir uns anderen

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hEUTe MAl

dEr laktose frEigebEn Ein veganer Tag pro Woche tut uns allen gut! #heutemalvegan

GLATT&VERKEHRT BEI DEN WINZERN KREMS MI, 22. 7. | Winzer Krems, Sandgrube 13

Vom Amazonas zum Rio Magdalena

Totó la Momposina / Hamilton de Holanda & André Mehmari feat. Georg Breinschmid DO, 23. 7. | Winzer Krems, Sandgrube 13

Urklang

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21 Küchen zugewandt, im Süden sind die deutschen Regionalküchen immer noch sehr stark. In München wird die bayerische Küche zelebriert, in Berlin oder Hamburg ist das Eigene weitgehend verschwunden. Offensichtlich waren wir nördlich des Mains – wir sprechen ja vom »Weißwurstäquator« – nicht zufrieden mit dem, was wir hatten. Im Norden gab es auch früher nur sehr schwach ausgeprägte lokale Esskulturen. Es ist kein Zufall, dass sie fast ganz verschwunden sind. Dieses Schicksal teilen wir mir den Holländern und Engländern. In Österreich hat solch eine Abkehr ebenso wenig stattgefunden wie im mediterranen Raum. Trotzdem sieht es nicht so aus, als ob sich Deutschland kulinarisch abschaffen würde, oder? Gute Frage. Im Alltag hat sich Deutschland kulinarisch tatsächlich abgeschafft. Was bleibt ist allerdings unsere Begeisterung für Brotvielfalt, dass wir dunkles Brot schätzen. Auch die Wurst- und Bierkultur wird gepflegt und den nachmittäglichen Kuchen lassen wir uns nicht nehmen. Das alte kulturelle Muster bleibt, selbst wenn wir heute Kaffee und Kuchen oft durch Latte Macchiato und Tiramisu substituiert haben. Ich frage meine Studenten an der Uni immer wieder, was sie so essen. Selbst deutsche Paradegerichte wie den Sauerbraten kennen die meist gar nicht mehr. Ich wäre da also eher pessimistisch, was den Mainstream betrifft. Gegenbewegungen gibt es aber natürlich längst. Bauernmärkte – direkt importiert von den amerikanischen farmers markets – haben einiges reaktiviert. Selbst die beiden Restaurant-Ketten Wienerwald und Nordsee haben ihr Angebot exotisch versüßsauert und ethnisiert. Wienerwald hat heute etwa Curry Chicken auf der Karte, bei Nordsee gibt es im Wok gegarten Lachs oder Thai-Curry-Suppe. McDonald’s verwandelt sich gerade in ein Kaffeehaus, in dem auch Hamburger verkauft werden. Sind diese Entwicklungen aus Sicht des Ethnologen aussagekräftig? Sehr aussagekräftig, ja. Wienerwald und Nordsee sind Traditionsinstitutionen der deutschen Innenstädte. Wienerwald gibt’s zwar heute kaum mehr, aber Nordsee hält sich sehr gut. Wenn selbst dort in der Systemgastronomie mittlerweile Ethno-Food auftaucht, bestätigt das den allgemeinen Trend. Die können heu-

Im Alltag hat sich Deutschland kulinarisch tatsächlich abgeschafft. Marin Trenk

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Die Küche Südostasiens hat es Marin Trenk angetan.

te gar nicht mehr anders und ohne! Deshalb passt sich auch McDonald’s an – wobei die in der Tat mit Starbucks konkurrieren. Heute dürfte Pizza die globalisierteste aller Speisen sein. Angenommen, Neapel hätte sich die Pizza patentieren lassen, dann wäre das Armenhaus Italiens heute reich. Warum konnte sich Pizza erst über den Umweg Amerikas ausbreiten und zum Inbegriff italienischer Küche werden? Aus dem einfachen Grund, dass es sich um eine ausgesprochene Regionalspeise gehandelt hat, die es nur in Neapel und Umgebung gab. Mit den großen Auswandererströmen im 19. und 20. Jahrhundert kam sie nach Amerika. Die meisten Italiener, die ausgewandert sind, stammten aus dem Süden, ihre Küche haben sie mitgenommen. Vorerst breitete sie sich langsam in Nischen aus. Der große Bruch kam in der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, da verbreitete sich ein völlig neues Lebensgefühl. Gleichzeitig mit »Sex, Drugs & Rock’n’Roll« taucht die Pizza plötzlich auch außerhalb der ethnischen Enklaven auf. Sie verbindet sich bei den Amerikanern mit einem neuem Lebensgefühl. Gleichzeitig werden die USA zur kulinarischen Drehscheibe. Trotz anfänglicher Abwehrbewegung wird Pizza dabei riesengroß – was einen Bruch in den amerikanischen Essgewohnheiten markiert. Die Globalisierung passiert schließlich mit der Kette Pizza Hut. In Europa verlief das alles ein bisschen anders. Wir bekommen die Pizza durch Gastarbeiter mit, gleichzeitig haben wir sie im Urlaub kennengelernt. So kommt es zum erstaunlichen Phänomen, dass fast zeitgleich Deutschland, die USA,

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22 aber bald auch der Rest der Welt die Pizza kennenlernt. Dabei hat es in Italien angeblich noch 1955 außerhalb Neapels höchstens zehn Pizzerien gegeben. Isst man im »Islamischen Staat« eigentlich auch Pizza? Ja, in Syrien und im Irak weiß ich es nicht so genau. Aber die Islamisten haben damit überhaupt kein Problem. Denen ist nur wichtig, ob eine Speise halal ist oder nicht, ob sie die Speisegebote einhält. Wenn Kentucky Fried Chicken sich zertifizieren lässt und Hühnchen halal anbietet, dann wird das akzeptiert. In Ihrem Buch teilen Sie Europa in einen kulinarischen Norden und einen kulinarischen Süden auf, was sie vom Hoheitsgebiet des Römischen Reichs herleiten. Was stammt denn aus der römischen Einflusssphäre? Es gibt einen kulinarischen Kulturraum Mittelmeer. Selbst die teilweise unterschiedlichen Küchen Portugals, Spaniens oder Italiens basieren auch heute noch auf den Säulen der alten römischen Ernährungsweise, auf Olivenöl, Wein und Weizen – in Brot und Nudeln. Darüber gibt es den Rest – alles nördlich der Weinbauzone, was ja in etwa den Ländern nördlich des Limes entspricht, den uns die Römer hinterlassen haben. Gibt es gemeinsame kulinarische Vorlieben aus dem Norden, die sich – aus Sicht Roms – als »barbarisch« beschreiben ließen? Tacitus hat in seiner »Germania« schon Leute beschrieben, die vor allem Bier trinken – was die Römer als schlechteren Wein ansahen. Was den Norden ausmacht ist außerdem eine Esskultur, in der große Fleischberge eine Rolle spielen und kulinarische Raffinesse fehlt: Es gibt wenige Kochtechniken und einen Mangel an Gewürzen. Dafür ist beim Essen viel Sauce sehr wichtig. Selbst Döner wird heute in Deutschland mit Sauce gegessen – was so gar nicht der traditionellen türkischen Küche entspricht. Die alten Römer hatten eine zentrale Wertschätzung des Essens, die ist im Mittelmeerraum auch heute noch fester verankert als in der nordatlantischen Essprovinz. In Ihrem Buch machen Sie heute acht große EssensProvinzen aus, die über kulturelle Gemeinsamkeiten wie Gewürze und kombinatorische Vorlieben verfügen. Etwa die Essprovinz »Nordatlantik«. Was haben denn der Osten der USA und Kanadas und die mittleren und nördlichen Länder Europas bis Russland gemeinsam? Zunächst einmal die negative Abgrenzung zur mediterranen Essprovinz. Darüber hinaus eben das Beschriebene: fehlende Raffinesse, weitgehende Bedeutungslosigkeit von Gewürzen, ein starker Fokus auf Saucen. Der Osten Europas nimmt durch die Jahrzehnte der Abschottung auch heute noch eine Sonderrolle ein. In Russland isst man heute sehr viel frischer als in Ame-

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Hat das Zeug zum Standardwerk: »Döner Hawaii« von Marin Trenk.

rika. Konzerne wie Heinz oder Campbell versuchten ja nach Ende der Sowjetunion den Markt dort mit Konservendosen aufzurollen. Sie sind gescheitert, denn Russen empfinden frische Suppe als Teil ihrer Identität. Einer der großen Gewinner der Globalisierung ist die Essprovinz, die sie auch »die Welt des Mittelmeers« nennen. Ihr verdankt die Welt die mediterrane Kost, Olivenöl und den Exportschlager Wein. Profitieren eigentlich die Ursprungsländer, wenn ihre Kochtraditionen global ankommen und vielleicht sogar andere verdrängen? Sie profitieren in jeder Hinsicht. Der größte Globalisierungsgewinner ist mit Sicherheit Italien. Vor 50 oder 60 Jahren galt die italienische Küche außerhalb Italiens gar nichts. Damals dominierte französische Küche. Heute ist die »cucina italiana« sowohl trivial mit Pizza und Pasta, als auch raffiniert und mit hoher Kochkunst und guten Weinen verbunden weltbekannt. Italien profitiert von einem unglaublichen Prestigegewinn als »Eataly«. Und es gibt eine große Nachfrage nach italienischen landwirtschaftlichen Produkten. Ich sehe übrigens ganz ähnliches Potenzial auch für Österreich. Österreich hat es bislang nicht geschafft, seine fabelhafte Küche und auch seine Weinkultur wirklich zu vermarkten. Es gibt ja diesen Spruch: Wenn du mal gut deutsch essen willst, dann geh nach Österreich. Es hätte durchaus auch global Potenzial, die Kultur einer untergegangenen Donaumonarchie kulinarisch zu zelebrieren. Kulinarisch ist Österreich Deutschland jedenfalls in jeder Hinsicht überlegen. Keine Küche ist frei von Extremen. Sie schreiben, dass Menschen aus anderen Kulturen überall auf der Welt an ihre Ekelgrenzen stoßen werden. Was an der deutschen Küche empfindet man denn in anderen Weltgegenden als widerlich? Ganz erstaunlich viel! Am leichtesten nachvollziehbar ist, dass Süd- und Ostasiaten mit unserer Käsekultur gar nichts anfangen können. Die finden Käse zum Weglaufen! Was auch erstaunt: Ostasiaten finden ein harmloses Produkt wie Milchreis widerwärtig. Die Kombination von Milch und Reis lässt sie fast erbrechen. Oder den Süßigkeitengeschmack von Lakritze. Und auf massive

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Der Truthahn auf Weltreise Die Conquistadores brachten den Truthahn von den Azteken nach Europa. Von dort gelangte er ins Osmanische Reich, wo ihn wiederum die Briten als »turkie coq« kennen lernen. Als »Turkey« schaffte er es schließlich zurück in die Neue Welt – als Festtagsbraten und inoffizielles Wappentier der USA. Nach der Eroberung Mexikos ab 1520 lernen die Spanier das Haustier der Azteken kennen, den Truthahn. Zunächst gelangt er nach Sevilla und wird im Verlaufe des 16. Jahrhunderts in Spanien und Frankreich recht schnell populär. Sein französischer Name »Dinde« (also: »d’inde«, aus Indien) bezieht sich wahrscheinlich auf West-Indien. Dank des regen Mittelmeerhandels gelangt er auch ins Osmanische Reich. Hier glaubt man allerdings bald, er wäre ursprünglich aus »Indien« gekommen. Die türkische Bezeichnung ist nämlich »hindi«. Aus dem Osmanischen Reich gelangt der Truthahn schließlich nach England, wo man ihn prompt »turkie coq« nennt, was sich später zu Turkey verkürzt. Als »Turkey« kommt das domestizierte Tier mit den englischen Siedlern nach 1620 nach Amerika. Dort gibt es zwar eine Wildform. Doch auch für diese bürgert sich die Bezeichnung Turkey ein. Von Benjamin Franklin stammt der Vorschlag, im Truthahn den eigentlichen Wappenvogel der USA zu sehen. Kulinarischer Wappenvogel der Amerikaner ist der »Turkey« seitdem allemal – ein »turkey dinner« zu Thanksgiving für alle Amerikaner quasi obligatorisch.

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Ablehnung stößt unser dunkles Brot. Natürlich gibt es auch alternativ angehauchte Akademiker in Thailand, die mal ein Roggenbrot essen. Aber die Begeisterung für Körnernahrung - auch für Müsli - werden Sie Fremden nicht vermitteln können. Das findet man auch in Italien schon befremdend. Als kulinarischen Megatrend sehen Sie die sogenannte »Invisibilisierung«: Während unser Essen weiterhin vom Fleisch bestimmt wird, hat das Tier gefälligst unsichtbar zu sein. Das Tier und das Töten wird aus unserem Bewusstsein verdrängt. Wie konnte das passieren? Die Mehrzahl der Menschen isst zwar nach wie vor ungerührt und gern Fleisch, sie lehnt aber jede Art von Fleisch ab, bei der das Tier erkennbar ist. Der Deutsche isst heute im Jahr 100 Gramm Innereien – da essen manche bei einem einzigen Frühstück mehr Wurst. Auch fast alle »Äußereien« sind verschwunden – etwa Schweineöhrchen, Kalbsfuß, Ochsenschwanz. 80 % des Hühnerfleisches, das wir essen, ist Brust. Der Rest wird entsorgt, exportiert oder Hundefutter. Da gibt es einen tiefsitzenden Entfremdungsprozess vom Tier, ein Kennzeichen der nordatlantischen Essprovinz – mit Ausnahme Osteuropas. Viele Menschen weigern sich mittlerweile ja sogar Fisch zu essen, wo noch ein Kopf dran ist. Was schlussfolgern Sie aus diesem Trend? Er rührt daher, dass bei uns schon lange niemand mehr etwas mit der Produktion von Lebensmitteln zu tun hat. Die Exzesse der Massentierhaltung sind daran nicht unbeteiligt und auch, dass seit mittlerweile zwei Generationen keine regionale Esstradition mehr weitergegeben wird. Das ist durchaus weitgreifend. Viele meiner türkischen Freunde erzählen, dass es ihnen zwar gelingt, in ihren Familien ihre angestammte Esskultur weiterzugeben, aber keineswegs alle Gerichte. Die Kids orientieren sich an ihren Peer Groups. Kuttelsuppe oder Lammkopfsuppe wird da gemieden. Was für Folgen kann dieses Verdrängen haben? Wir stecken in Prozessen der Selbstverarmung. Der nächste Schritt ist, dass Leute sich komplett vom Tier abwenden: Speisemeidung wird ähnlich stark wie traditionelle Speise-Tabus. Vegetarismus oder Veganismus sind ja Meide-Kulturen. Sehe sie auch den Veganismus mit seinen Fleischersatzprodukten wie Vleisch oder künstlichem Visch als Teil dieser Invisibilsierung? Mit Sicherheit, ja. Das ist der sehr sichtbare Teil dieser Invisibilisierung. Paradox, dass tierische Produkte imitiert werden. Was wird sich leichter durchsetzen – das Essen von Insekten oder Laborfleisch? Das Essen von Insekten stößt bei uns seit 1.500 Jahren auf allergrößte Ekelschwellen. Wenn die Invisibilisierungstendenzen weiter voranschreiten, dann ist schwer vorstellbar, dass, wer einen Hühnermagen ablehnt, ein ganzes Insekt isst. Aber frittiert oder als Tiermehl lässt

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Der Ethnologe bei der Arbeit

sich ein Insekt komplett invisibilisieren. Schwuppidiwupp das Madensandwich zum Frühstück wird sich aber eher nicht durchsetzen. Und Laborfleisch wird eine Rolle spielen – im Rahmen dieser Trends. Im letzten Kapitel Ihres Buchs beziehen Sie recht klar Position. Die alte Tierschützer-Formel »Tiere achten, statt Tiere schlachten« kehren Sie in ein »Tiere achten und dann schlachten« um. Kulinarisch ist diese Forderung nachvollziehbar. Unterm Strich essen wir aber alle viel zu viel Fleisch. Trauen Sie sich einzuschätzen, wie die Menschheit ihr Fleischproblem in den Griff bekommen könnte? Nein, trau ich mich nicht. Ich bin ja nur ein kleiner Ethnologe. Aber persönlich bin ich davon überzeugt, dass der Schritt zum gelegentlichen Vegetarismus sehr sinnvoll ist. Weniger Fleisch würde uns allen gut tun. Warum sind »Foodies« – also Menschen, die selbst kochen, Fotos von Foodporn posten oder sich auf Street-Food-Paraden treffen – eigentlich plötzlich cool? Das kam schleichend, aber doch überraschend. Irgendwann Ende der 70er Jahre erschien eine US-Ausgabe von »Psychologie heute« mit der These am Titelblatt, dass das Zeitalter des Sex gerade abgelöst würde durch das Zeitalter des Essens. Gemeint war, dass eine Epoche, die alles über Sex oder verdrängte und frustrierte Sexualität erklärt hatte, von Königin Victoria und Sigmund Freud bis zu »Make love, not war« – zu Ende gehe. Ich teile die These. Bei uns in Deutschland ist beim Essen oft noch der Gesundheitsdiskurs im Vordergrund, es gibt aber auch ethische Komponenten und selbst Menschen,

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die sich kulinarisch-zivilisatorisch zurückgeblieben fühlen und das ändern wollen. Essen hat in den letzten 20 Jahren in unserer Gesellschaft eine Bedeutung erlangt, die es hier nie zuvor gehabt hat. Aber es ist komplex: Im Zeitalter des Individuums eignet sich Essen natürlich auch vorzüglich zur sozialen Distinktion. Ich meine bei Ihnen auch eine gewisse Begeisterung für Street Food herauszulesen. Nicht nur, wenn Sie davon schwärmen, dass die Pizza von Anbeginn an das Street Food der Armen gewesen sei. Sie schwärmen in »Döner Hawaii« auch von Food-Trucks und einem Schweinsbraten-to-Go, den Sie in München gegessen haben. Was ist daran so besonders? Ja, da liegen Sie nicht ganz falsch. Ich habe die letzten Jahre Thailand beforscht und Südostasien. Plötzlich sehe ich auch bei uns in Deutschland das, was es bislang nicht gab: überall ist gutes Essen auf den Straßen verfügbar – leistbar und oft auch in guter Qualität. Aus den USA kommend überrollt die Foodtruck-Bewegung mittlerweile Deutschland: In Frankfurt begehen wir diesen Freitag den »Foodtruck Friday«, Berlin lädt jeden Donnerstag in die Markthalle. Warum ich davon schwärme: Die Streetfood-Bewegung könnte uns eine kulinarische Fragen beantworten. Wir werden künftig noch weniger kochen als jetzt. Dann gibt es zwei Alternativen: Wir wenden uns an die Nahrungsmittelindustrie – die würde da gerne einspringen mit Tiefkühllasagne und ähnlichem. Oder wir wählen die thailändische Option: Dort kochen die Leute auch immer weniger, aber sie ernähren sich nicht schlechter – weil auf den Straßen überall gutes, frisches Essen verfügbar ist.

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Street Food in Thailand: Food-Ethnologe Marin Trenk auf einer seiner Forschungsreisen.

Der Slow-Food-Bewegung gegenüber entnehme ich in Ihrem Buch eine gewisse Skepsis. Warum? Die hab ich gar nicht! Also ich bin sicher kein Gegner von Slow Food und ich habe auch nichts dagegen, manches zu konservieren. Ich gebe aber zu bedenken, dass man nicht zu übereifrig festschreiben sollte, was man vorfindet. Auch die Kartoffel haben wir erst in den vergangenen 200 Jahren kennengelernt. Aus dem nachvollziehbaren Bedürfnis heraus, sich zu verteidigen und Erhaltenswertes zu schützen, sollte man bloß aufpassen, sich nicht gegenüber dem Neuen zu verweigern. Tomate und Kartoffel in Europa, aber auch Chili wurde etwa in Thailand oder Afrika »entexotisiert«. Die Bevölkerung isst Kartoffelknödel, Gnocchi, Fish & Chips als typische Küche, den Thais geht es mit Chili nicht anders. Das ist ein Prozess, der permanent läuft. Gibt es noch jemanden, der Pizza und Pasta als fremd wahrnimmt? Ich glaube nicht. Keiner wird sagen, das wäre »deutsch«. Es ist gewohnt und alltäglich wie Tsatsiki und wird auch nicht mehr als ethnisch kennengelernt. Die Banane wäre da auch ein gutes Beispiel. Tiramisu ist heute die vielleicht die deutscheste aller Süßspeisen. Nichts wird so häufig gegessen. Letzte Frage: Gibt es etwas, das Sie als Food-Ethnologe bei Ihren Forschungsreisen dankend ablehnen und auf keinen Fall kosten würden? Sehr viel, ja. Ich würde absolut keine bedrohte Arten essen. Das ist mir in meiner Geschichte ein, zweimal passiert – Seeschildkröte oder Wal – aber die würde ich heute streng meiden. Dann gibt es tiefverwurzelte Ekelgrenzen, an die ich etwa in Thailand bei Feldratten-Curry gestoßen bin. Auch die Begeisterung für Tier-Embryonen, die es etwa auf den Philippinen gibt, teile ich nicht. Entenei wird dort einen Tag vor dem Schlüpfen des Kükens aufgebrüht und als Street Food verkauft. Mit Hingabe isst man auch die Embryonen oder die Nachgeburt von Wasserbüffeln. Und auch die klassischen Speisetabus unserer Breiten habe ich verinnerlicht: Ich habe noch keinen Hund gegessen und auch keine Katze.

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Welternährung in Zahlen

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Irina Zelewitz

ILLUSTRATION

Erli Grünzweil

wie 10 Milliarden Menschen ernähren? Es gibt verdammt viele Menschen und erschreckend viel Hunger in der Welt. In Zahlen ausgedrückt wird deutlich, wie unhaltbar die weltweite Ernährungssituation ist.

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0 000 000 000 Menschen. Eine schöne, runde Horror­vorstellung wird beschworen, seit die UNO für das Jahr 2050 9,6 Mrd. Erdbewohner prognostiziert hat. Seither interessiert auch kaum jemanden mehr, dass dieselbe Organisation die Trendwende, einen Rückgang der Weltbevölkerung, noch in diesem Jahrhundert für die wahrscheinlichste Weiterentwicklung hält. Mit Horrorszenarien von nicht in den Griff zu bekommenden Hungerrevolten wird an die begrenzten Möglichkeiten kleinräumiger oder biologischer Landwirtschaft erinnert und der Einsatz genetisch veränderten Saatguts und industrieller Massenproduktion als alternativlos dargestellt. Angeblich soll es, um den Ressourcenverbauch der Menschen greifbar zu machen, auch helfen, sich den Nahrungsverbrauch von zehn Milliarden Elefanten vorzustellen. Wenn das auch nicht hilft, hilft nur mehr Resignation. Am besten ein XXL-Schnitzel dazu, und die Hoffnung, das Jahr 2050 erst gar nicht erleben zu müssen.

Die Grundlagen des Fortschritts Die Antwort auf Nahrungsknappheit war in der Menschheitsgeschichte meist Extensivierung, also Aus-

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dehnung der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Die Einführung des Kunstdüngers ermöglichte einen Sprung in der Intensivierung: Produktionssteigerung ohne Ausdehnung der bewirtschafteten Flächen. Der Trend der Extensivierung setzte sich gleichzeitig weltweit fort. Die sich global ausbreitende Form industrieller Landwirtschaft beruht auf Kunstdünger und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Diese Grüne Revolution brachte beachtliche Ertragssteigerungen. Doch sie laugt Böden aus und belastet Luft und Umwelt stärker, als es die gleichzeitig schrumpfenden regenerativen Biosphären unseres Planeten, etwa die Wälder, kompensieren können. Böden, Meere und Trinkwasser werden unbrauchbar für die Gewinnung von Nahrungsmitteln. Der durch diese Emissionen mitverursachte Klimawandel trägt zusätzlich zur Verknappung landwirtschaftlich nutzbarer Fläche bei.

Wie soll das funktionieren?

Zurück zu den 9,6 Millarden: Ein Zugang, der nicht einfach den Status-quo des Nahrungsmittelverbrauchs auf den von weiteren drei Mrd. Menschen hochrechnet, sondern die Bedürfnisse der künftigen Weltbevöl-

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28 Mit Essen spielt man nicht und Essen schmeiSSt man nicht weg

kerung ins Zentrum rückt, beginnt mit der Frage: Was werden diese knapp zehn Milliarden brauchen? Die Ernährungsorganisation der UNO (FAO) geht von einem umstritten niedrigen durchnittlichen täglichen Minimalbedarf von 1.800 Kilokalorien und einer Empfehlung von 2.100 Kilokalorien aus. Aktuell werden auf der Welt jährlich 5,6 Billiarden Kilokalorien an Nahrungsmitteln für den menschlichen Verzehr produziert. Das ergibt bei der derzeitigen Weltbevölkerung rund 2.200 Kilokalorien pro Kopf/pro Tag. Das vermeintlich Unmögliche scheint greifbar. Doch schon jetzt hungern – abhängig von der Berechnungsart – zwischen 800 Mio. und 1,2 Mrd. Menschen. Interessant sind also auch mit Blick in die Zukunft einmal mehr jene Gründe, aus denen bereits heute viele Menschen hungern. Die Ernährung der Weltbevölkerung hängt nicht nur von der Menge der global produzierten Lebensmittel ab, sondern auch von ihrer Verfügbarkeit. Hunger bekämpfen heißt deshalb in erster Linie Armut bekämpfen.

Das wissen die Großmütter aus Zeiten, in denen auch hierzulande Nahrung knapp war. Die Entwicklung eines globalen Handelssystems für Grundnahrungsmittel hat die Knappheit, die nun eine weltweite ist, für uns kaum mehr spürbar gemacht. Der Blick auf die Gültigkeit altbekannter Alltagsweisheiten ist verstellt. Landgrabbing und Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsmitteln sind nur die offensichtlicheren vieler Phänomene, die Preise von Nahrungsmitteln und den Zugang zu Ackerland beeinflussen – nach Spielregeln, die nicht mit dem Ziel der Ernährungsicherheit entworfen wurden. Ein Drittel der weltweit produzierten Nahrung wird nicht verzehrt, sondern landet im Müll. Durch dessen Produktion, Verarbeitung und Transport werden außerdem 3,3 Mrd. Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre ausgestoßen. Großer Spielraum zur Abfallreduktion besteht in den Entwicklungsländern etwa in der Lagerung, in den Industrieländern vor allem beim Konsum. Dessen Anteil am gesamten Lebensmittelabfall variiert von 4–16 % in den Weltregionen mit niedrigen Durchschnittseinkommen bis hin zu 31–39 % in den Ländern mit hohem Einkommensniveau.

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Der fleischgewordene Überfluss Nur gut die Hälfte der Kalorien, die die weltweiten Ernten liefern, dienen der menschlichen Ernährung (55 %). Der Rest wird zu Tierfutter (36 %) oder zu Bioenergie verarbeitet. Von den Kalorien, die zur Ernährung unserer Nutztiere eingesetzt werden, gehen wiederum 89% auf dem Weg zur Produktion von Fleisch, Milch oder Eiern für die menschliche Ernährung verloren. Anders ausgedrückt: Wenn wir die weltweiten Ernten direkt dem menschlichen Konsum zuführen würden,

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Wo auf der Welt wird Land als Ackerland gebraucht,   damit der Lebensmittelkonsum der Europäischen Union    ermöglicht wird? - der EU-27 Land Footprint:  Zahlen in Millionen Hektar

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Quelle: Berechnungen der Wirtschaftsuniversität Wien (2014), basierend auf existierenden Umwelt-Datensätzen und Impact Maps

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stünden 70 % mehr Kalorien zur Ernährung der Weltbevölkerung zur Verfügung. Da gerade proteinreiche Nahrung zu Tierfutter und Bioenergie verarbeitet wird, würde dadurch auch der Proteingehalt der weltweit verfügbaren Nahrung verdoppelt. Eine Reduktion des Fleischkonsums in den Industrienationen würde sich also nicht nur positiv auf die dortige Gesundheit auswirken und den Verzicht auf Massentierhaltung erleichtern: Wenn Konsumenten und Politik an der Schraube Fleischkonsum drehen, drehen sie an einer der zentralen Schrauben auf dem Weg zur nachhaltigeren Landwirtschaft.

Wie kann man nachhaltig für 10 Milliarden Menschen produzieren? Es mehren sich die Stimmen für eine Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur ressourcenschonenden Intensivierung landwirtschaftlicher Erträge und gegen eine Ausbreitung der gewohnten Form

industrieller Landwirtschaft. Viele sehen in der Rückkehr zu regionalen Versorgungsstrukturen die einzige nachhaltige Möglichkeit, die Weltbevölkerung zu ernähren. Eine eher kleinräumige Landwirtschaft, die die Nährstoffe auf dem von ihr bewirtschafteten Boden im Kreislauf erhält, kombiniert mit regionalem Konsum hat bestechende Vorteile: Sowohl Nahrung als auch Umwelt werden weniger durch Schadstoffe belastet, und Nahrungsmittel sind lokal verfügbar. Übermäßiger Fleischkonsum, Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden und Antibiotika, Verschwendung und ungleiche Verteilung von Nahrungsmitteln bestimmen unser Produktions- und Konsumverhalten. Wenn wir daran nichts ändern und gleichzeitig der Übernahme dieses Verhaltens in anderen Weltteilen Vorschub leisten (etwa durch den Export subventionierter Landwirtschaftsgüter), werden vollkommen andere Umwelt- und Landwirtschaftsbedingungen uns in wenigen Jahrzehnten zwingen, viel tiefgreifendere Veränderungen in Kauf zu nehmen.

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weiterverarbeitetes pflanzliches Produkt oder Mischprodukt

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien, basierend auf Daten aus Lifecycle-Asessment-Studien aus den Jahren 2007 bis 2014

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Global Food

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Doris Fröhlich

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illustration

Katharina Hüttler / agentazur.com

Das Menü von morgen Essen ist zuallererst eine Notwendigkeit. Es ist aber auch Kultur, Weltanschauung und Selbstdarstellung. Essen hat Persönlichkeit und folgt Modewellen. Was wir morgen essen, zeigt auch, was uns wichtiger wird.

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rüher war ja alles besser. Vor allem das Essen. Tomaten haben noch wie Tomaten geschmeckt, behauptet meine Großmutter. Genossen wurden sie als liebevoll zubereitete Tomatencremesuppe, pünktlich am Mittagstisch und selbstverständlich im Kreise der Familie. Was man heute kaufen kann nennt sie rote Wasserkugeln. Ohne Aromazusatz würde man gar nichts mehr schmecken, und bewusst genossen werde sowieso nicht, während man den Newsfeed lädt. Ganz so ist es ja doch nicht, aber das Bild zeigt: Essen war und ist Ausdruck unserer Kultur. So wie sich rund um den Erdball verschiedene traditionelle Rezepte, Esswerkzeuge, Mahl-Zeiten und Zutaten durchgesetzt haben, verändern diese sich auch über die Zeit hinweg. Die usa haben Fast Food groß gemacht, in Indien sind Nicht-Vegetarier die Ausnahme, Mexikaner genießen tatsächlich dieses Chili-Salsa, das Durchschnittseuropäern die Kehle verbrennt und in Äthiopien benutzt man Brotfladen statt Besteck. Auch

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im Geschichtsverlauf gibt es Unterschiede. In der Nachkriegszeit wurde aus dem gekocht, was wir heute in die Biotonne werfen, die erste Generation berufstätiger Mütter war begeistert von Instant-Gerichten, die selbst nach einem Acht-Stunden-Job noch zubereitet werden konnten und heute muss fast alles »to go« sein. Die Bräuche, Bedürfnisse und Gegebenheiten einer Gesellschaft spiegeln sich auf ihren Tellern wieder.

Superfood-Individualist? Genuss-Kollektivist? Werte, die Kulturen charakterisieren, beeinflussen auch ihre Ernährung. Individualismus zum Beispiel, der zeigt sich in der perfekten Abstimmung auf den eigenen, unvergleichlichen Organismus, mit glutenfreier, Omega3-optimierter, raw oder veganer Kost. Nicht ohne Grund hat in Wien ein gluten- und laktosefreies Restaurant in bester Lage eröffnet. Was bei den Kohlehydraten in den

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rettet die รถkos.

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Global Food

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Werte, die Kulturen charakterisieren, beeinflussen auch ihre Ernährung.

90ern begonnen hat, findet gerade seinen Höhepunkt im Amaranth-Brot und ist noch lange nicht vorbei: der Trend des Weglassens. Denn viele sind davon überzeugt, dass nicht jeder verträgt, was alle essen. Doch es gibt wie immer auch gegensätzliche, eher kollektivistische Entwicklungen. Community Cooking in privatem Rahmen oder Kochstudios und Streetfood vereinen die Menschen. Auswärtsessen mutiert zum emotionalen Gesamterlebnis. Wer die Versammlung von Imbisswägen zu einem stimmungsvollen Streetfood Market inszeniert, kann sofort mit einer Flut von Likes und Anmeldungen rechnen. Picknicks erleben ein Revival und in besonders angesagten Lokalen bezahlt man No-Show-Gebühren, wenn man seine heiß begehrte Reservierung verfallen lässt. Essen muss immer mehr Transparenz- und Sicherheitsansprüche erfüllen. Die neue Lebensmittelinformationsverordnung hat die Informationsdichte am Etikett auf die Spitze getrieben. Social Media und die mobile Internetnutzung ermöglichen Transparenz auch einzufordern, kaum ein Unternehmen leistet es sich, seinen Namen nicht im Netz zu verteidigen. Man beachtet die Verbindung zum Ursprung der Nahrungsmittel verstärkt. Fleisch wird inklusive Steckbrief über das Tier von dem es kommt verkauft, der Bauer signiert das Qualitätsversprechen am Joghurt.

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Doch auch das Unbekannte hat etwas. Manche schätzen gerade das Geheimnisvolle einer einzigartigen Rezeptur, lassen sich von unbekannten Wildpflanzen und Sorten faszinieren. Traditionelle Gerichte erleben mit einem Hauch Exotik der Ursprünglichkeit ihren Aufschwung. Viele Geister scheiden sich zwischen Genuss und Gesundheit. Essen kann ein Genusserlebnis im Hier und Jetzt sein, ungeachtet aller Konsequenzen für Umwelt, Produzent oder die eigenen Blutwerte. Genussoptimierung liegt im Trend, die Geschmacksforschung boomt, sogar eine neue Geschmacksrichtung wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt. Für viele sind aber auch die Wirkungen der Nährstoffe auf den Körper zentral, sie wollen Stressresistenz, Fitness und überhaupt die innere Balance verbessern und greifen zu Chia, Goji-Beeren und anderem Superfood.

Globaler, bunter, besser? Was wir heute wollen ist – mehr. In einer globalisierten Welt muss Essen alles können, verschiedene Kulturen, Geschmäcker und Ansprüche berücksichtigen. Genuss und Gesundheit darf kein Widerspruch mehr sein. Globale, exotische Trends sollen mit Zutaten vom Laden um die Ecke umgesetzt werden können. Und trotz individueller Essenswünsche will man nicht

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Global Food

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auf gute Gesellschaft verzichten und sucht Restaurants auf, in denen dem Weglassen jeder asketische Beigeschmack genommen wird. Was wir wollen ist das Eine, was wir können das Andere. Während heute für viele, die wählen können, Ernährung fast schon eine Religion geworden ist, gibt es mehr und mehr Zukunftsszenarien verknappter Ressourcen. Man kann davon ausgehen, dass sich global sowie sozial nicht für alle dieselben Fragen stellen. Hierzulande liegen nachhaltigere Produktionsmethoden, transparentere Unternehmenspraxis und Saisonware erfreulicherweise im Trend. Doch in Schwellenländern etablieren sich möglicherweise viel stärkere Trends, da sie eine wesentlich größere Masse betreffen. Steigt die Bevölkerungszahl weiter und werden fruchtbare Böden sukzessive ausgelaugt, so wird die Ernährungsfrage vielleicht auch in heute überfütterten Ländern wieder banaler. Ob man zehn Milliarden Menschen mit Laborfleisch versorgt, neue Eiweißquellen wie Insekten auch global alltagstauglich macht oder die Produktionskapazität durch vertikale Urban Farms bis zum letzten Zentimeter ausreizt – das Ideenspektrum ist bunt. Der kritische Faktor kurzfristiger Trends und Ideen – von nährstoff­ optimierter Nahrung über Züchtung im Reagenzglas bis hin zu Nudeln aus dem 3D-Drucker – könnte daher ihre Massentauglichkeit sein. Das Bestreben, die Masse zu versorgen, hat schon einige zweifelhafte Entwicklungen eingebracht. Billigstproduktion, Gentechnik, Pestizide. Doch auch zu diesen erleben wir eine Gegenbewegung. Wir beginnen, Lebensmittel anders wertzuschätzen. Frankreich geht mit einem neuen Gesetz gegen die Lebensmittelverschwendung im Großhandel voran. Der Einzug von »Wunderlingen« in Supermarktregale und die zunehmende freiwillige Beschränkung auf regional und saisonal Verfügbares darf Mut machen. Auch der standardisierte Qualitätsbegriff aus dem Supermarkt, der Lebensmittel auf Verarbeitbarkeit und Lagerfähigkeit optimiert, wird hinterfragt. Die diy-Bewegung ermutigt dazu, manches wieder selbst zu machen, Kleinstproduzenten werden gerade wegen ihrer nicht perfekt genormten Produkte geschätzt. Die Beratung erlebt ein Revival, denn: man fragt wieder nach. Kritische Fragen sind schließlich essentiell, um unser Konsumverhalten immer bewusster zu gestalten und Alternativen zu suchen. Vielleicht war es nicht nur früher, sondern wird es auch später besser mit unserem Essen.

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Manuela Gatt

Gärtnern

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Tom Tato

Sie ist nicht nur eine Tomate oder eine Kartoffel – nein, sie vereint beides und nennt sich Tomoffel. Die Conchita unter den Gemüsen.

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ntweder oder« ist out – »Sowohl als auch« heißt es jetzt und auch unser Gemüse hält sich an die neue Devise. »Dann kann ich gleich Pommes und Ketchup aus eigenem Anbau machen«, war die erste ökonomisch-kulinarische Eingebung meiner Freundin auf den Vorschlag, eine Tomoffel anzubauen. Tja, gar keine schlechte Idee. Trotzdem skurril. Haben beide doch ganz andere Bedürfnisse. Beide gehören zwar zur Familie der Nachtschattengewächse, aber das ist eigentlich auch schon alles, was sie verbindet. Das ist auch der Grund, warum die massentaugliche Veredelung anfangs gar nicht so einfach war. Hobbygärtner wurden für ihre Experimentierfreude schon vor 30 Jahren mit der prachtvollen Tomoffel belohnt. Nur im großen Stil vermarktet wurde sie nicht. Das hat jetzt das britische Gartenbau-Unternehmen Thompson & Morgan übernommen. Sie haben ihre TomTato massentauglich züchten lassen, bei einer holländischen Firma, die tatsächlich jede Kreuzung per Hand pfropft. So einfach geht das nämlich gar nicht, wenn man die Erträge steigern will. Nicht nur aus Spaß an der Freude sollte es eine Vereinigung der beiden Klassiker geben, sondern eine Steigerung bei der Ernte war beabsichtigt. Ökonomisch ist es auf jeden Fall, das Ergebnis, zumindest platztechnisch. Auch wenn es nun recht einfach gelingt, die beide Früchte auf einer Fläche zu ernten, ist die Pflanze schnell ausgelaugt und trägt kaum öfter als zweimal Früchte, heißt es sinngemäß in einschlägigen Internet-Foren zum Thema. Und wer hat’s erfunden? Das Wort Tomoffel wurde von Ernst Penzoldt 1930 als Fiktion in seinem Schelmen-

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roman »Die Powenzbande« verwendet. Erste PflanzenHybride aus Tomate und Kartoffel hat der deutsche Biologe Georg Melchers in den späten 70er Jahren erfolgreich gezüchtet.

DIY-Veredelung Wer ein echter Gärtner ist, der will natürlich selbst für seinen Nachwuchs sorgen und das geht auch relativ einfach. Alles, was man dafür braucht: Ein bisschen Lust auf Experimente und Fingerspitzengefühl! Nimm einfach den Samen einer Kartoffel und einer Tomate. Beide setzt du vorerst getrennt voneinander in die Erde und wartest, bis die Kartoffel keimt und austreibt. Jetzt schneidest du zwei kleine T-förmige Schnitte in zwei Triebe, die dir schon stark genug erscheinen. Nun kommt die Befruchtung mit der Tomate: Dazu nimmst du einfach einen jungen Trieb der Tomatenpflanze, im Idealfall sind beide Triebe in etwa gleich dick. Schneide also den Trieb der Tomate mit einem scharfen Messer schräg ab und setze ihn sachte auf den eingeschnittenen Trieb der Kartoffel. Diese Andockstelle verarztest du einfach mit Alufolie oder Klebeband und gibst noch etwas Wundsalbe für Pflanzen drauf. Die neue Schöpfung ist vollbracht, jetzt heißt es abwarten und sehr bald geht’s ans Tomoffeln.

In England ist der veredelte Samen schon lange im Handel. Jetzt kann man die skurrile Kreuzung auch in Deutschland bei www.dehner.de oder in Österreich bei www.baldur-garten.at online bestellen.

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Expo 2015

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Welternährung und ihre Widersprüche Über 140 Nationen und Organisationen gestalten die Weltausstellung zum Thema »Feeding the planet. Energy for life«, die bis Oktober 20 Mio. Besucher nach Mailand locken soll. Gesponsert wird das Mega-Event von Lebensmittelkonzernen.

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usgerichtet vom Bureau International des Exposition (bie) vereint die aktuelle Weltausstellung Slow Food und kulturelle Tradition mit Innovation und neuen Technologien. Die Expo ist eine architektonische und inhaltliche Reise quer durch die Kontinente. Auf einem Areal von über einem Quadratkilometer rücken sich Nationen und Organisationen ins beste Licht. Jeder Pavillon, jeder Messestand ist zugleich Aushängeschild, Werbeportal und Wirtschaftsmotor. 80 Pavillons zieren das riesige Ausstellungsgelände am Mailänder Stadtrand. Die erste Weltausstellung im Londoner Hyde Park beherbergte 1851 die industriellen Errungenschaften ihrer Zeit noch unter einem einzigen Dach, dem »Crystal Palace«, einer Konstruktion aus Eisen und Glas. Gegenwärtig sprießen im »Feld der Ideen« des Deutschland-Pavillons Ideenkeimlinge in Form von riesigen weißen Membran-Dächern aus der sanft ansteigenden, hölzernen Felder-Landschaft. Deutschland setzt dabei auf »Natur als Grundlage der Ernährung« und zeigt »Lösungsansätze für die Nahrungssicherheit der Zukunft«. Die Realität in Deutschland sieht (noch) anders aus: Über 90 % des Schweinefleisches

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stammt aus Massentierhaltung, der Trend zu landwirtschaftlichen Großbetrieben hält an und riesige Mähdrescher-Kohorten ernten die endlosen Monokulturen. Der Weg von den Ideenkeimlingen zu sich manifestierenden Früchten des Wandels ist hart und steinig. Im Österreich-Pavillon lädt eine beeindruckende Waldatmosphäre ein, tief durchzuatmen. Die bis zu 15 Meter hohen Bäume, Sträucher und Gräser im Pavillon produzieren jede Stunde Sauerstoff für 1.800 Menschen. »Luft ist Nahrung« proklamiert Österreich, das zur Hochburg des Transit- und Binnenverkehrs gehört: Im Jahr 2014 donnerten laut vcö in Haid an der Westautobahn durchschnittlich 13.000 lkw täglich vorbei. Mahlzeit.

Solidarität statt Verschwendung Elf Mio. Tonnen – oder 400.000 lkw-Ladungen – essbare Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll – damit könnte die Hälfte des Welthungers gestillt werden. Slow Food-Gründer Carlo Petrini fordert einen Wandel im Ernährungssystem. Die Expo solle sich stärker der Unter- und auch der Überernährung annehmen. Mehr als 800 Millionen Menschen leiden an Hunger

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Stefanie Eisl

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Expo 2015 / Daniele Mascolo

und Mangelernährung, jeder neunte Mensch sozusagen. Dem gegenüber stehen 1,6 Mrd. Menschen, die gegen die Folgen von Übergewicht kämpfen. Den Missstand Welthunger thematisiert vor allem der Vatikan. Unterstützung findet er dabei von der Caritas International, die sich als »das Gewissen« der Expo 2015 bezeichnet. Papst Franziskus, der der feierlichen Eröffnungsfeier via Videocall beiwohnte, sieht die Expo als eine günstige Gelegenheit, um die Solidarität zu globalisieren. »Nehmt die Gesichter von den Männern und Frauen wahr, die Hunger leiden, die krank werden und sogar sterben aufgrund von mangelnder oder schädlicher Nahrung, wenn ihr durch die Pavillons wandert«, rief er die Menschen auf. Die Expo sei in gewisser Hinsicht Teil des von Papst Johannes Paul II. 1992 so bezeichneten »Paradox des Überflusses«, kritisiert der Papst, »wenn sie der Kultur der Verschwendung folgt und nicht zu einem Modell der fairen und nachhaltigen Entwicklung beiträgt.«

BETTINA VERSORGT UNS MIT DEM EDELSTEN ALLER TROPFEN REINES WASSER MACHT ÖSTERREICH IMMER LEBENSWERTER. Bettina Steiner ist überzeugt, dass sauberes Trinkwasser die Grundlage für unsere Lebensqualität ist. Deshalb schaut Österreichs erste Wassermeisterin darauf, dass durch unsere Leitungen immer genug Wasser in bester Qualität fließt. Wie wir Grund- und Quellwasser auch für die nächsten Generationen schützen und so unsere Trinkwasserversorgung sichern, lesen Sie unter wasseraktionsprogramm.bmlfuw.gv.at – einem Teil der Lebensgrundlagenstrategie.

Die Aussteller bewerben Slow Food, gesunde Ernährung und die Ernährungsmodelle der Zukunft, während Lebensmittelkonzerne, Fast-Foodketten und Soft-DrinkProduzenten wie Nestlé, McDonald’s, Coca-Cola, Ferrero und andere zu den Hauptsponsoren gehören. Seit Mailand den Zuschlag für die Expo 2015 erhielt, hat sich das No-Expo-Movement gegen die Ausrichtung der Expo in Mailand eingesetzt. Für die benötigte Infrastruktur mussten landwirtschaftlich genutzte Flächen weichen, Korruptionsvorwürfe und Mafia-Verstrickungen begleiteten das Bauvorhaben. Der großteils friedliche Protest von 20.000 Expo-Gegnern wurde von radikalen Ausschreitungen und Kämpfen mit den örtlichen Einsatzkräften überschattet. Eine Ausstellung, die Lösungen bringt? Oder doch nur eine große Werbeplattform der Industrie? Kontrovers wie keine andere birgt die Expo 2015 auch Potenzial wie keine andere. Die Besucher erhalten Einblick in Kultur und Küche von Afghanistan bis Zimbabwe. Sie sind eingeladen, (Koch-)Kulturen und Lebensmittel am eigenen Gaumen und Technologie und Innovation mit allen Sinnen zu erfahren und zu erforschen. Sie sind auch eingeladen, kritisch nachzusinnen über die Interessen von Großkonzernen, industrielle Lebensmittelproduktion und die Ernährung von morgen.

Entgeltliche Einschaltung

Wer Widersprüche sät, wird Proteste ernten

Expo 2015, Mailand 1. Mai – 31. Oktober www.expo2015.org

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Mafiafreie lebensmittel

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Werner Sturmberger

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Libera Terra

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Ackern gegen die Mafia Fairtrade ist meist das, was außerhalb Europas passiert. Libera Terra aus Sizilien zeigt, warum soziale und ökologische Gerechtigkeit auch hier Sinn macht und wie sie sich im Kampf gegen die Mafia bewährt.

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in leicht verschwitzt wirkender Mann in den 30ern, Glatze, Drei-Tage-Bart, in einem abgedunkelten Hotelzimmer. Mit unruhigem Blick spricht er über sein Leben und das Buch, das alles verändert hat. Das ist wohl das Bild, das viele Menschen im Moment mit der Mafia verbinden. Seitdem Roberto Saviano »Gomorrha« veröffentlicht hat, lebt er unter Polizeischutz, versteckt vor der Mafia, wechselt alle zwei Tage seinen Aufenthaltsort. Über das Leben der Menschen in Süditalien und die alltägliche Realität der Mafia weiß man im Normalfall aber so gut wie nichts. Selbst vor Ort bleibt die Realität der Mafia meist verborgen. »Als Tourist wird man von der Mafia nichts mitbekommen. Nur wenn man genau hinsieht, werden einem die Addio Pizzo (Lebewohl Schutzgeld)-Aufkleber an den Eingangstüren von Geschäften, Gedenktafeln für ermordete Carabinieri oder Schildern auf konfiszierten Feldern auffallen«, sagt Martin Klupsch vom Fairhandelszentrum Rheinland, das die Produkte von Libera Terra in Deutschland vertreibt.

Cosa Nostra als Schattenregierung »Pizzo« ist das Schutzgeld – es ist nicht nur eine Einnahmequelle der Mafia, sondern markiert auch ihren Gebietsanspruch auf weite Teile Süditaliens, das traditionell von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. In Gebieten wie Sizilien, Kampanien und Kalabrien stellt die Mafia eine Art Schattenregierung, die für Jobs, Wohnung und medizinische Versorgung sorgt. Ihre Macht ergibt sich nicht aus ihrer zahlenmäßigen Stärke – nur rund 5.000 der knapp fünf Mio. Einwohner Siziliens sollen den Clans angehören –, sondern aus ihrer Position. Die Mitglieder der Cosa Nostra leben nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in ihrer Mitte. Zu ihnen zählen Ärzte, Rechtsanwälte, Unternehmer, Politiker und Beamte. Wie groß ihr Einfluss ist, lässt sich daran erahnen, dass etwa 80 Prozent der Geschäfte Palermos Schutzgeldzahlungen leisten, während jene Unternehmen, die sich der Aktion Addio Pizzo angeschlossen haben, auffällig oft von den Behörden kontrolliert werden. Ein Alltag ohne Mafia ist fast nicht möglich. Doch Initiativen wie Addio Pizzo und Libera Terra gelingt es zusehends, den Griff der Mafia um die Insel zu lockern.

Mit dem Boden der Mafia Als die Mafia in den 90ern Italien mit einer Serie von Morden überzog, wurde Libera gegründet. Die Initiative sollte auch normalen Menschen, nicht nur Richtern oder Journalisten, Handlungsmöglichkeiten im Kampf gegen die Mafia eröffnen. Im Fokus der Organisation, die mittlerweile eine der größten ngos Italiens ist, stehen Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Kulinarisch wurde Liberas Kampf gegen die Mafia erst später: »Libera sammelte

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Gedenktafel für einen von der Mafia ermordeten Polizisten in Palermo.

binnen weniger Monate eine Mio. Unterschriften und brachte einen Gesetzesentwurf ein. Dieser sah vor, dass Kommunen konfiszierte Liegenschaften an Kooperativen vergeben können«, erklärt Klupsch. Kooperativen können sich um diese Objekte bewerben und für einen geringen Betrag langfristig pachten. Diese Rahmenbedingungen ermöglichten 2001 die Gründung von Libera Terra. Der nächste Schritt die Organisation zu etablieren war jedoch noch schwieriger. Größtes Hindernis dabei war die Angst der Menschen mit der oder für die Organisation zu arbeiten. Anfängliche Angriffe der Mafia – verbrannte Felder, Wein- und Olivengärten, gestohlene Traktoren, Einschüchterungsversuche – machten dieses Unterfangen nicht leichter. Aktuell scheint sich die Mafia ruhig zu verhalten, um die Stimmung nicht noch weiter gegen sich aufzubringen.

Kulinarische Leckerbissen voller Symbolkraft Den Hunger nach Gerechtigkeit und Legalität stillt die Organisation, die mittlerweile zehn Kooperativen umfasst, auf einer Fläche von rund 1.000 Hektar. Produziert wird in eigenen Betrieben oder in Kooperation mit Bauern und Unternehmen, die ebenfalls ohne die Mafia arbeiten wollen, nach gehobenen Umwelt- und Sozial-Standards. Ökologische und soziale Verantwortung sind bei Libera Terra untrennbar miteinander verknüpft. Francesco Galante, Leiter der Organisation,

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Mafiafreie lebensmittel

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sagt dazu: »Die Entscheidung, biologisch zu produzieren, war eine Frage des Respekts. Es geht darum, sich gegenüber der Erde gütig zu verhalten, neu zu beginnen und symbolisches wie reales Gift von ihr zu entfernen.« Auf den ehemaligen Ländereien der Mafiosi wachsen nun Obst, Gemüse, Wein und Oliven. Mit jedem daraus entstehenden Produkt – Antipasti, Olivenöl, Wein, Pasta, Kekse – hält ein Stück Normalität auf Sizilien Einzug. Es zeigt, dass man auch im Süden Italiens legal und ohne die Mafia Geld verdienen und leben kann, wenn man mutig genug ist. Waren die Produkte anfangs vor allem ein politisches Statement, werden sie in Italiens Slowfood-Szene mittlerweile auch für ihre Qualität geschätzt. Von ihrem Symbolgehalt haben sie aber nichts eingebüßt: Die Weine von Libera Terra, die als mitverantwortlich für die gestiegene Reputation sizilianischen Weins gelten, sind nach ermordeten Anti-Mafia Aktivisten benannt – trinken gegen das Vergessen quasi. AddioPizzo: www.addiopizzo.org Libera Terra: www.liberaterra.it Fairhandelszentrum Rheinland: www.rfz-rheinland.de/index.php/libera-terra NPR-Doku: www.npr.org/sections/thesalt/2014/ 05/06/306874351/the-pizza-connection-fighting-the-mafia-through-food

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FOTOSTRECKE

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Moxtra

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Baustelle, Wien Leopoldstadt

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Der Wiener Fotograf Moxtra hatte irgendwann vor einigen Jahren den Eindruck, dass jedes Jahrzehnt seinen typischen Straßenmüll hat. Nach Cola-Dosen und McDonald’s-Verpackungen, die in den 90er Jahren und

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den frühen 2000ern am Bordstein herumlagen, hat er damals einen heimischen Energy-Drink als den zeitgenössischen Straßenbild-Verschmutzer Nummer Eins identifiziert. Seither fotografiert er immer wieder acht-

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Airport Beach, Sint Maarten

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los weggeworfene Energy-Drink-Dosen, und das in aller Welt. Seine bisher entstandenen Fotos sind ein Dokument der Globalisierung, der Umweltverschmutzung und letztlich auch ein Dokument des verschwenderischen Umgangs mit Rohstoffen.

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fotostrecke

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links: Zaandfort, Niederlande rechts: Korfu, Griechenland

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Elektro-mobilität

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Thomas Stollenwerk

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ADAC

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Wie cool ist das Elektroauto? Aktuell sind in Österreich 16 E-Car-Modelle von zwölf verschiedenen Herstellern erhältlich. Ist aber das Stromfahren als neuer Trend schon in den Köpfen der Autofahrer angekommen?

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Elektro-mobilität

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Christian Buric, adac-Sprecher

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-Mobility ist ein Zukunftsthema, schon seit es Autos gibt. Nach und nach wird das Ganze inzwischen auch flächendeckend zur Realität. Wir wollten wissen, was dem ganz großen Durchbruch der Elektroautos noch im Weg steht. Wer sollte sich damit besser auskennen als jemand, der im Ruf steht, zur Autolobby zu gehören? Und deshalb haben wir uns an den Allgemeinen Deutschen Automobilclub gewandt. adac-Sprecher Christian Buric hat unsere Fragen beantwortet.

biorama: Dass die Elektromobilität im Kommen ist, das liest und hört man schon seit Jahrzehnten. Wieso sollte man glauben, dass gerade jetzt ein ganz wichtiger Technologie-Sprung bevorsteht? buric: Ich sehe keinen Technologie-Sprung, zumindest noch nicht auf der Straße. Batterien könnten in der Zukunft günstiger werden, aber dass jetzt jedes E-Auto rein elektrisch 350 km weit fahren kann – das wäre für mich ein Sprung –, davon sehe ich noch nichts. Was ist es, das der E-Mobilität zu einem wirklichen Durchbruch noch fehlt? Neulich habe ich in der Trambahn zwei Jugendliche belauscht. Sie sprachen über Handy-Displays und ich habe davon nicht wirklich viel verstanden. Dann sprachen sie von einem Tesla Model S. Es stand neben der Tram. Der eine Bub, etwa zehn Jahre alt, sagte: »So ein geiles Auto, aber eigentlich blöd, dass es ein Elektroauto ist«. Er nannte keinen Grund für seine Meinung. Ich will damit sagen: Solange es bei der jungen Zielgruppe nicht cool ist, lautlos und ohne Abgase mit einem Sportauto herumzufahren, ist das Thema immer noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Marketing zieht da nicht. Es erreicht eine Gruppe von

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Enthusiasten oder Umweltbewussten, die sich das leisten können. Diese Gruppe ist, gerade in der Metropolen der Welt, nicht unbedingt klein – aber es ist eben nicht die Masse. Es sind immer noch die Early Adopter. Es sind Innovatoren, die aber, wie ich selber gehört habe, nicht jeder toll findet. Neben dem Marketing, das alle Schichten erreichen muss, ist ein weiterer Grund der Preis. E-Autos sind immer noch zu teuer. Und: Das alte Lied der Reichweite. Für die Stadt sind E-Autos ideal, aber eben nicht für weite Strecken. Es gibt Ausnahmen, aber die sind preislich eben nicht auf Normalniveau. E-Autos fehlt also der »Must Have«-Status. Wie kommt das? Setzen die Hersteller nicht genug auf Elektro im Marketing? Genau. Das Marketing muss alle Schichten erreichen. Das können die Hersteller vielleicht gar nicht allein. Es geht auch um Erziehung, besser gesagt um Umwelt- und Ressourcenerziehung. Erdöl ist endlich. An diese Tatsache haben wir uns immer noch nicht gewöhnt. Wenn dann der Kraftstoffpreis für einige Wochen sinkt, rasten einige Zeitgenossen total aus und meinen in den 60er Jahren zu sein. Und: Wir alle vergessen dann mal schnell, dass neue Zeiten angebrochen sind. Trotzdem scheint es einigen Herstellern besser zu gelingen, ihre Elektroantriebe zu vermarkten, als anderen. Kann man eigentlich sagen, welcher Hersteller dabei die Nase vorn hat, entwickeln alle in unterschiedliche Richtungen oder im selben Tempo? Das müssen Sie die Hersteller fragen. Einige agieren wie in einer Blackbox, andere sind vielleicht mehr vernetzt. Eines ist klar: Tesla Motors ist sicher ein ElektroPionier, der weit voran ist. Aber auch bmw ist mit seinem i3 entwicklungstechnisch sehr weit gekommen. Die Franzosen setzten sowieso schon länger auf Elektromo-

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WARUM SICH MUXL JEDEN TAG DEN SONNENAUFGANG ANSIEHT? WEIL ER ES KANN. Mit ausreichend Auslauf, viel Kontakt zu Artgenossen und jeder Menge saftiger Kräuter und Wiesengräser wachsen unsere Kühe so auf, wie es ihren natürlichen Bedürfnissen entspricht.

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Aus artgemäßer Tierhaltung. 09.06.15 16:16


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bilität. Toyota geht ja in Richtung Brennstoffzelle. Im Bereich Hybrid-Autos waren die Japaner die Pioniere und haben auch die ersten Fahrzeuge als Massenprodukt auf die Straße gebracht. Die Hybrid-Technik sei eigentlich Quatsch, heißt es, zwar eine nette Zwischentechnologie für die Hersteller, aber eigentlich ökonomisch und ökologisch unsinnig. Wie lange werden uns noch Hybrid-Fahrzeuge angeboten werden? Den adac interessiert vor allem die Situation auf der Straße. Wie lange noch Hybride angeboten werden, sollten Sie dann eher die Zukunftsforscher oder Unternehmensberater fragen. Fest steht, dass Hybridfahrzeuge eine Brückentechnologie darstellen. Diese »Brücke« kann aber noch sehr lange bestehen, wenn man daran denkt, dass hier verschiedenste Kombinationen von Antrieben und Kraftstoffen möglich sind und auch gerade ausprobiert werden. Es lohnt sich auf jeden Fall, diesen Weg weiterzugehen. Ein Pluralismus der Antriebe ist auf jeden Fall sinnvoll, sowohl für die Forschung als auch für die Umwelt. Ist es eigentlich sinnvoll, dass Hersteller wie bmw und Tesla ausgerechnet mit Sportwagen und Luxusautos die Marktreife von Elektroautos testen? Wäre nicht Massenware viel wichtiger? Beide Hersteller arbeiten sicher auch an günstigeren Autos. Die Frage ist nur, ob sie das umsetzen können. Die betriebswirtschaftlichen Zwänge sind vielfältig. Hier kommt in vielen Ländern die Politik ins Spiel. Da gibt es Mautbefreiungen, die Freigabe von Busspuren oder langjährige Steuervorteile beim Kauf von Elektroautos. Norwegen hat so zum Beispiel einen E-Anteil von knapp 20 Prozent erreicht. In Deutschland funktioniert das noch nicht wirklich gut. Woran liegt’s? In Norwegen gibt es eine extreme Förderung. In Deutschland gibt es die in dieser Art nicht. Der adac ist bis dato nicht der Meinung, dass es Kaufanreize geben sollte. Wichtig ist mehr Forschungsförderung und koordinierte Forschung. Auch andere Maßnahmen einer

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positiven Diskriminierung – also Dinge, die Sie in Ihrer Frage angerissen haben – können im angemessenen Rahmen Sinn machen. Förderung trägt in sich schon die Philosophie der Begrenzung. Das heißt: Förderung dauert nicht ewig. Letztendlich müssen die Autos einfach so gut und bezahlbar sein, dass der Verbraucher überzeugt ist. Eher das Angebot als die Nachfrage auf dem Markt der Elektroautos staatlich zu unterstützen, würde vermutlich wenig daran ändern, dass die Hersteller an Verbrennungsmotoren aktuell noch weitaus mehr verdienen als an elektrischen Antrieben. Sind Kaufanreize für Elektroautos daher nicht ein geeignetes Mittel, ihren Marktanteil zu erhöhen? Der Markt sollte entscheiden, ich meine den freien Markt. Der adac ist gegen einen direkten Kaufanreiz. Was ist ihre persönliche Haltung als Freund des Autos: Glauben sie, dass Elektroautos irgendwann einmal dieselbe wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung erlangen werden wie sie Autos mit Verbrennungsmotoren über Jahrzehnte hatten? Ich persönlich glaube, dass der Königsweg noch nicht gefunden ist. Es kann durchaus sein, dass das Auto der Zukunft, das sich durchsetzt, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung gewinnen wird. Das kann, muss aber nicht das E-Auto sein. Insgesamt geht es aber nicht ums Auto, sondern um die Mobilität. Diese wird modular sein: Das heißt, ich nehme einen sparsamen, umweltfreundlichen Verbrenner für lange Strecken, bediene mich bei Carsharing-Anbietern oder miete ein E-Auto oder E-Bike für die Stadt und Umgebung. Auch öffentliche Verkehrsmittel haben ihren Part in diesem Mix. Es kommt auf eine intelligente Mobilitätsmischung an. Der individuelle Verkehr mit eigenem Auto bleibt, aber er wird ergänzt durch den Mix. Daher glaube ich persönlich, dass das Auto, welchen Antrieb es auch immer haben mag, wichtig bleibt, aber wahrscheinlich wird es nicht mehr so einen Kult um das Auto geben, wie dies in der Vergangenheit war. Andere Dinge werden der Jugend dagegen immer wichtiger.

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Wasser aktiv

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Helena Zottmann

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ovos GmbH

Die Donau – groSSer Fluss, groSSe Verantwortung

Thema Wasser

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as wissen wir eigentlich über die Donau? Wie lang ist sie? Wo kommt sie her? Wo fließt sie hin? Im Online-Spiel »Play Danube« machen wir uns gemeinsam mit einer Kanufahrerin auf eine Wissensreise von Passau bis nach Hainburg und erkunden den österreichischen Donauabschnitt, nicht ohne ein wenig über die Grenzen zu blicken. Von der Quelle im deutschen Schwarzwald legt die Donau viele hunderte Kilometer zurück, bis sie bei Passau in Österreich ankommt. Dann fließt sie durch Linz, durch die Wachau bis nach Krems

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und Wien und schließlich nach Hainburg, wo sie Österreich wieder verlässt. Später wird die Donau durch weitere acht Staaten fließen, darunter Ungarn, Kroatien, Rumänien und Bulgarien, bis sie in der Ukraine ins Schwarze Meer mündet. Zwischen Wien und Hainburg liegt der Nationalpark Donau-Auen. 1996 wurde diese Donau-Region zum Nationalpark erklärt, dadurch blieb der Abschnitt vor Kraftwerken verschont. Entlang der Donau gibt es zahlreiche Wasserkraftwerke, die einerseits sauberen

Entgeltliche Einschaltung

Entlang der Donau leben sehr viele Menschen. Zum Beispiel in Deutschland, in Österreich, in Ungarn oder Rumänien – auf ihren 2.857 Kilometern fließt die Donau durch zehn Staaten. Das macht sie zum internationalsten Fluss der Welt.

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Wasser aktiv

Entgeltliche Einschaltung

52 Strom für zigtausend Haushalte produzieren, andererseits aber dem Lebensraum Donau zu schaffen machen. Der Joint Danube Survey 2013 war die weltweit größte wissenschaftliche Flussexpedition und die bisher umfangreichste Untersuchung der gesamten Donau. Aus der Studie geht hervor, dass aufgrund der intensiven Nutzung ökologische und strukturelle Probleme bestehen. Projekte wie Fischaufstiegshilfen bei Kraftwerken oder Vernetzung von Gewässern können hier Verbesserungen schaffen. Ruhige Fleckchen wie der Nationalpark Donau-Auen sind wichtige Erholungsorte für die Donau und die darin lebenden Arten. Die Kanufahrerin paddelt weiter durch die Schilfwälder. Sie weicht den Au-Bäumen aus, die oft weit in den Fluss hineinragen und sieht im Hintergrund das Wasser der Seitenarme glitzern. Noch bis ins 19. Jahrhundert gab es an der Donau unzählige Au-Gebiete, die aus vielen Nebenflüssen bestanden. Diese großflächigen Feuchtgebiete sind Lebensraum für zahlreiche Tierarten und ein wichtiger Schutz für den Menschen: Bei Hochwasser kann es in dicht besiedelten Gebieten zu enormen Schäden kommen, Au-Wälder dagegen sind natürliche Hochwasser-Schutzzonen, die diese gewaltigen Wassermassen aufnehmen und verteilen können. Langsam nähert sich die Kanufahrerin der Stadt Hainburg. Sie erinnert sich an die Hainburg-Bewegung in den 80er Jahren. Damals stellten sich tausende Menschen den Baggern in den Weg und verhinderten den Bau eines weiteren Wasserkraftwerks. Die Menschen besetzten die Au für viele Wochen und stoppten das Vorhaben auf eigene Faust. Einige Jahre später wurde das Gebiet zwischen Wien und Hainburg zum Naturschutzgebiet erklärt und so kann die Kanufahrerin heute noch durch die Donau-Auen paddeln. Ansonsten wäre die Kulisse vielleicht ein neues Siedlungsgebiet mit Autobahnzubringer und Industriezonen. Mit ein wenig Engagement kann jeder Mensch im Donau-Raum etwas beitragen, um die Donau etwas »gesünder« zu machen. Solche Möglichkeiten sind etwa Müllvermeidung, bewusstes Verwenden und Entsorgen von giftigen Stoffen oder tierfreundliches Verhalten. Jedes Jahr findet am 29. Juni außerdem der Danube Day statt. Entlang der Donau gibt es dann unzählige Initiativen, bei denen sich Interessierte aktiv am Donauschutz beteiligen können (siehe Info). Auch bei uns kann man mitmachen und gewinnen: Wir verlosen drei preisgekrönte Wassergläser-Sets »Europe«. Diese werden unter allen Teilnehmern verlost, die bei »Play Danube« mehr als 3.500 Punkte erreicht haben. Schick’ dafür ein Selfie von dir und dem gut lesbaren Punktestand am Monitor oder einen Screenshot an wasseraktiv@biorama.at

Danube Day 2015 – »Get Active« Die Donau ist unsere Lebensader – Mensch und Tier entlang der Donau leben von und mit dem Fluss und sind mitverantwortlich für deren Schutz. 2004 hat deshalb die internationale Kommission zum Schutz der Donau (IKSD) einen jährlichen Danube Day am 29. Juni ausgerufen. In Wien wird der Danube Day heuer am 25. Juni im Museumsquartier gefeiert. Die internationale Kommission zum Schutz der Donau (IKSD) arbeitet seit 1998 daran, die Menschen entlang der Donau zu vernetzen und eine Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen. Mitgliedsstaaten der IKSD sind die EU-Kommission und 14 Staaten aus dem Donauraum, das sind unter anderem Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Jeder Bach, jeder Fluss und jeder See in diesem Gebiet, das sich über viele tausend Quadratkilometer erstreckt, fließt irgendwann ins Schwarze Meer. Ziel ist der aktive Schutz der Donau. Dazu braucht es nicht nur politische Abkommen und große Untersuchungen, es braucht vor allem viele motivierte Menschen, die den Entscheidungsträgern ihr Interesse für die Donau zeigen. »Get active« lautet deshalb das Motto des heurigen Danube Day. Am 25. Juni können Interessierte im Museumsquartier Wien mitmachen – dort warten zum Beispiel eine Rätselrallye, ein Kletterturm, Geschicklichkeitstests und viele andere Aktionen. Weitere Infos gibt’s unter www.danubeday.at

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Der Joint Danube Survey ist eine wissenschaftliche Flussexpedition und fand 2013 zum dritten Mal statt. Alle sechs Jahre wird in einer sechswöchigen Expedition die Donau untersucht. Dabei wird die Wasserqualität geprüft, die Schadstoffkonzentration gemessen und der ökologische Zustand überprüft. Der JDS wird von der Donauschutzkommission (IKSD) koordiniert. Damit ist auch Österreich an der Organisation beteiligt. Franz Wagner war österreichischer Mitorganisator des JDS 3.

Franz Wagner bei einem Interview zum JDS 13

Untersuchungen der Donau beim Joint Danube Survey 2013

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biorama: Wie geht es der Donau? franz wagner: Im Vergleich zu anderen großen Flüssen in Europa geht es der Donau relativ gut, es gibt aber noch Verbesserungspotenzial. Wir dokumentieren alle sechs Jahre mit dem JDS die Probleme, die bei großen Flüssen auftreten. Die organischen Belastungen haben aber in den Staaten an der Oberen Donau, also in Deutschland und Österreich, in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Stromabwärts gibt es noch Aufholbedarf, aber es geht schon sehr viel in die richtige Richtung. Auf der anderen Seite ist die Verbauung ein wesentlicher Faktor. Da steht gerade die Obere Donau nicht gut da … Ja, das ist die zweite große Belastung. Hier ist das Bild genau umgekehrt, da ist die Obere Donau strukturell stark verändert. Gründe sind die Energiewirtschaft und die Donaukraftwerke, dadurch haben wir Dämme, Staugebiete und für den Hochwasserschutz befestigte Ufer. Stichwort Hochwasserschutz – der Au-Wald ist ja ein natürliches Hochwasserschutzgebiet. In welchem Zustand ist der Nationalpark Donau-Auen? Die Strecke zwischen östlicher Wiener Stadtgrenze bis zur Staatsgrenze ist der einzige Abschnitt in Österreich, in dem die Donau in einem wirklich guten Zustand ist. Man muss aber auch dazu sagen, dass in der Vergangenheit vieles verbessert wurde und auch noch einiges geplant ist. Das betrifft vor allem die Anbindung an die Au, also die Öffnung der Donau zur Au hin, sodass es einen besseren Wasseraustausch gibt. Was kann jeder einzelne tun, um die Donau zu schützen? Man sollte einerseits nichts ins Gewässer schmeißen und andererseits auch beim Konsum aufpassen. Alles, was man leichtsinnig irgendwohin wirft, kann früher oder später in die Donau oder in einen Zubringerfluss gelangen. Besonders aufpassen sollte man etwa bei Imprägniermitteln, Lösungsmitteln oder Spritzmitteln wie Herbizide und Fungizide, die dürfen auf keinen Fall im Abwasser entsorgt werden. Auch bei Kosmetika und dem derzeit recht bekannten Problem von Mikroplastik gibt es Initiativen, diese Inhaltsstoffe zu verbieten. Das ist Aufgabe der Politik, aber dennoch kann jeder einzelne gerade beim Konsum seinen Beitrag leisten. Der Public Report des Joint Danube Survey 3 ist ab sofort gratis erhältlich. Einfach bestellen per Mail an susanne.brandstetter@bmlfuw.gv.at

Gläser Design Miki Martinek Bild Rita Newman, ICPDR, BMFLUW / Brandstetter

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Nachhaltigkeit in der thailändischen Textilwirtschaft

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Eine Brücke aus Design In der thailändischen Textilwirtschaft trifft man auf überraschende Innovation, was die Förderung regionaler Produktion und Tradition betrifft.

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rostitution, Massentourismus und Full-Moon-Partys ... neben weißen Traumstränden und verglasten Wolkenkratzern gehören auch diese Assoziationen mit zu den ersten Gedanken an Thailand. Umso positiver fällt die Überraschung aus, wenn man sich abseits der ausgetretenen Pfade des Landes bewegt, wo einen eine überwältigende Welt voll herzlicher Gastfreundschaft und reichhaltiger Textiltradition erwartet. Um herauszufinden, wie es mit Nachhaltigkeit im thailändischen Tourismus und der dortigen Textilproduktion beschaffen ist, haben wir uns auf die Reise gemacht.

Tradition durch Mode aufgewertet Lange bevor der Kapitalismus abgelegene Inseln in perfekt ausgestattete Touristen-Ressorts verwandelte, war die Förderung regionaler Wirtschaft und der dort ansässigen Handwerkskünste ein klarer Fokus des thailändischen Königshauses. Anfang der 60er Jahre

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bereiste das thailändische Königspaar selbst die ländlichen Gebiete und erfuhr aus erster Hand von den Überlebenskämpfen der Bevölkerung. Die Mehrheit waren Bauern und litten unter der Abhängigkeit von Wetter und Naturkatastrophen. Gleichzeitig war das Königspaar vom spektakulären Kunsthandwerk beeindruckt, das vielen Thailändern seit Generationen von ihren Vorfahren weitergegeben wird. Vor allem die hochwertige Textilproduktion imponierte der modebegeisterten Königin Sirikit. Um die ländliche Bevölkerung zu unterstützen, gründete sie 1976 die SUPPORT Foundation. Die Idee war, Bauernfamilien aus ihrer Abhängigkeit von der Landwirtschaft zu befreien und zusätzliche Einkommensquellen aufzubauen. In Zeiten von Dürre oder Überflutung erhielten die Landwirte finanzielle Unterstützung, gleichzeitig sollten die althergebrachten Traditionen der thailändischen Textilproduktion bewahrt und kommerzialisiert werden. Bis heute gibt

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text und BILD

Teresa Havlicek

es eine Vielzahl von support-Webzentren in ganz Thailand. Um die Weberinnen und ihre Produkte zu bewerben, ließ Königin Sirikit die hochwertige Seide mit modernen, westlichen Schnitten zu High-Fashion-Stücken verarbeiten. So wurden die indigenen Webtraditionen sowohl Thailändern als auch Fremden zugänglich gemacht. Für eine Weltreise des Königspaares beauftragte sie den französischen Modeschöpfer Pierre Balmain, traditionellen thailändischen Kostümen einen moderneren Schnitt zu geben. Ihre modischen Outfits aus hochwertigster thailändischer Seide machten sie damals zum beliebten Motiv der internationalen Klatschpresse.

Ihrer Zeit voraus Auch 2015 fliegt das Fremdenverkehrsamt unzählige junge Designer ein, um traditionell hergestellten Stoffen ein zeitgemäßes Styling zu verpassen. 36 Modedesigner und Designstudenten aus Europa und den Arabischen Emiraten waren im April unterwegs, um von der thailändischen Textiltradition zu lernen und auch ihre Expertise einzubringen. In verschiedenen Regionen konnte die jeweils ortsübliche Herstellung von Stoffen von Grund auf kennengelernt werden: vom Spinnen der Fäden und dem Weben der Stoffe bis hin zu den Färbungsprozessen mit natürlichen Mitteln. Jeder, der einmal dem stundenlangen, kunstvollen und doch mühsamen Weben beigewohnt hat, erfährt eine neue Wertschätzung für die Stoffe. In der Gegend Surin im Nordosten Thailands wird Seide hergestellt. Allein um einen Seidenfaden herzustellen, braucht man 50 bis 100 Seidenraupen.

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Nach dem traditionellen Herstellungsverfahren werden die Seidenfäden mit natürlichen Farbstoffen wie Indigo, Kumin oder der Maulbeer-Frucht gefärbt. Bei sehr wertvollen Stoffen werden teilweise so komplizierte Muster gewebt, dass bis zu fünf Weberinnen, aufgeteilt auf mehrere Etagen, an einem Webstuhl sitzen. So ein Stoff kann dann – teilweise mit Goldfäden – auch über tausend Euro pro Meter kosten, und die Fertigkeiten, die dafür notwendig sind, sind durchaus elaboriert. Da wirken umgerechnet circa 200 Euro Lohn für die Weberinnen recht wenig. Ist es auch, für ländliche Verhältnisse in Thailand aber Durchschnitt. Mit der Förderung der Textilproduktion soll aber auch der Abwanderung in urbane Zentren vorgebeugt werden. Das Leben am Land ist einfach, in der Stadt aber sind die Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse noch schlechter. Neben dem Kunsthandwerk würden auch die Rituale und Lebensweisen der teils indigenen Völker verloren gehen.

Als Designer und als Mensch wachsen Mit der Hilfe von thailändischen Studenten für Textildesign kreierten die Gastdesigner aus einem dieser handgewebten Stoffe ihre Designs. Gerade die gemeinsame Arbeit stellte sich, trotz sprachlicher Verständnisschwierigkeiten, als völkerverbindend heraus. »Wir konnten uns über Zeichensprache verständigen, denn im Grunde haben wir alle dieselben Schneiderfähigkeiten«, beschrieb Camilla, eine der britischen Teilnehmerinnen, den Prozess. Die schwedische Delegation meinte, es wäre ein Privileg gewesen, mit den handge-

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Nachhaltigkeit in der thailändischen Textilwirtschaft

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In Surin werden die wertvollen Seidenfäden kunstvoll von Hand gewebt.

Dieses schicke Etui-Kleid bringt den traditionell gewebten Stoff toll zur Geltung und entspricht dem Modegeschmack westlich geprägter Konsumentinnen.

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webten Stoffen zu arbeiten, da diese um vieles lebendiger waren, als jegliche Stoffe, mit denen sie zuvor zu tun gehabt hätten. »Es war fast schmerzhaft, in den Stoff hineinzuschneiden, denn es braucht vier Tage, um einen Meter davon zu weben. Und wir haben ganz schön viele Meter zerschnitten.« Die italienischen Schneider meinten: »Durch die Erfahrung, gemeinsam mit den thailändischen Studenten an diesen Kleidungsstücken zu arbeiten, sind wir gewachsen. Nicht nur als Designer, sondern auch als Menschen.« Bei einer Lektion waren sich alle einig: Jeder, der ein Kleidungsstück designt und jeder, der ein Kleidungsstück kauft, sollte wissen, wo der Stoff herkommt und wie wertvoll er ist. Die neu entstandenen Designs werden auch den lokalen Betrieben zur Verfügung gestellt. Damit möchte man ein bestimmtes Problem bekämpfen. Man kennt das ja: Auf Urlaub in Produktionsländern ist man begeistert von der tollen Stoffqualität. Die Sachen sind vergleichsweise günstig und man möchte auch gerne die lokalen Produzenten unterstützen. Leider lassen die altmodisch designten Gilets und Röcke von vorn herein vermuten: Wenn überhaupt, wird man die Kleidungsstücke nach dem Urlaub nur selten wieder anziehen. Dank der vom thailändischen Fremdenverkehrsamt organisierten »Thailand Academy 3« erstrahlen die Seiden- und Baumwollstoffe nun in modernem, nordeuropäischen Look. Sie sollen Verkäufe ankurbeln und die Brücke von Tradition zu Kreativwirtschaft schlagen.

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Freude

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Cottonbudbaby

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Ursel Nendzig

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Cottonbudbaby

Die Baby-Body-Box Die Berlinerin Severine Naeve ist Gründerin von Cottonbudbaby. Die Idee: fair und bio hergestellte Säuglingskleidung für die ersten Lebensmonate zum Ausleihen.

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in-win-win-Situation nennt man so etwas. Das Baby wird in seinen ersten Lebensmonaten weder Schadstoffen noch hässlichen Designs ausgesetzt. Die Eltern müssen sich nicht darum sorgen, ob sie die richtige Babykleidung parat haben. Und die Hersteller ebendieser Kleidung werden dafür belohnt, dass sie sich die strengsten Siegel der Kleidungsindustrie auferlegt haben: Nur, wer den Global Organic Textile Standard (gots) oder das noch strengere, ebenfalls vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (ivn) vergebenen best trägt, kommt in die Box. Aber von Anfang an.

Zum Verleihen einfach Als die Berlinerin Severine Naeve vor vier Jahren Mutter der kleinen Emma wurde, stellte sie fest, wie schwierig es war, Kleidung zu finden, mit der sie leben konnte – aus ökologischer Sicht. »Ich habe als Journalistin gearbeitet und mich viel mit Nachhaltigkeit beschäftigt«, sagt sie. »Ich habe festgestellt, dass es bei den über 100 Textillabels auf dem Markt sehr große Unterschiede gibt.« Und dass sich die großen Kaufhausketten zwar mit Biobaumwolle in ihrer Kinderkleidung brüsten, es aber nicht gesagt ist, dass der ganze Herstellungsprozess nachhaltig ist. »Es kann zwar Biobaumwolle, aber trotzdem mit giftiger Farbe gefärbt sein.« Dazu kam die Feststellung, wie unglaublich schnell ein Kind in den ersten Monaten wächst und dass Kleidung vielleicht ein paar Wochen passt. Und dass ausgeliehene oder secondhand gekaufte Kleidung nicht immer ihren Geschmack trifft. »So kam mir die Idee zu Cottonbudbaby: hochwertige Kinderkleidung zu verleihen.« Lieferung frei Haus in der Cottonbudbaby-Box.

Teuer, dafür verantwortungsvoll Mit dem Ausleihsystem kommt der zweite Aspekt ins Spiel, der Severine Naeve wichtig ist. »Wir kaufen zwar die Kleidungsstücke irgendwann einmal ein. Dabei achten wir, dass sie aus einer Produktionskette kommen, die wir absolut verantworten können.« Aus einer Produktion, die teurer ist, aber dafür verantwortungsvoll agiert.

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»Und dann ist es eine sehr nachhaltige Handlung, diese Kleidungsstücke mehrfach zu nutzen, anstatt immer wieder neue zu kaufen.« Rund 18 Teile – das hängt auch von der Jahreszeit ab – kommen in die Cottonbudbaby-Box. Wächst das Baby aus einer Größe raus, wird die nächste geliefert. Das Service gibt es für drei oder sechs Monate. 69 beziehungsweise 59 Euro kostet das pro Box und Monat. »Im ersten Moment hört sich das vielleicht viel an«, sagt Severine Naeve, wenn jemand damit argumentiert, dass es um drei bis sechs Euro schon Bodys zu kaufen gäbe. »Aber diese Bodys sind eben nicht in unserer Box. Wir haben Bodys, die pro Stück neu 30 Euro kosten. Eine Box hat damit einen Wert von rund 400 Euro.« Severine Naeve ist überzeugt davon, dass es ein sehr guter Deal für die Eltern ist. »Jedem, der sich mit hoher Qualität bei Kleidung beschäftigt, wird ganz schnell klar, dass das auch seinen Preis hat. Und dass er mit dem Verleihsystem, das wir bieten, besser fährt als sich alles neu zu kaufen. Das kann sich in dieser Qualität kaum jemand leisten.«

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Genderneutrale Niedlichkeit Der Name »Cottonbudbaby« ist ein Kunstwort und setzt sich aus Cotton (Baumwolle), Bud (Knospe) und eben Baby zusammen. »Es klingt niedlich und symbolisiert, wofür wir stehen: nämlich saubere, hübsche Babykleidung aus sauberen und natürlichen Materialien.« Ob das Baby ein Bub oder ein Mädchen ist, spielt bei Cottonbudbaby keine Rolle. »Genderneutralität ist mir zwar nicht das Wichtigste in dem Zusammenhang – der Fokus liegt auf der nachhaltigen Textilproduktion und darauf, Eltern eine günstige Alternative zu bieten«, sagt Severine Naeve. »Aber nichts desto trotz möchte ich nicht getrennte Boxen für Jungen oder Mädchen anbieten. Es gibt sehr, sehr viel Kinderkleidung, die einfach schön aussieht – dazu muss sie nicht rosa oder hellblau sein.«

Neue Welt Mit dem Einstieg in das für sie neue Geschäftsfeld kamen für die einstige Journalistin ganz neue Themen auf. »Das Verleihsystem ist ein sehr komplexes Thema, man braucht ein vernünftiges Warenlogistiksystem, um zu wissen, welches Teil ist in der Wäscherei, welches ist beim Kunden und welches schon wieder zurück.« Dazu kamen Überlegungen wie: Welche Etiketten benutzen wir? Wie lassen sich Etiketten aus Baumwolle bedrucken? Und wie funktioniert das Einscannen und Auswerten? »Es war eine ganze neue Welt, die ich da betreten habe.« Auf ein großes Lager verzichtet Cottonbudbaby. »Die Leute bestellen meist im Voraus und ich organisiere die Ware in dem Moment, in dem ich die Bestellung bekomme und so viele Stücke wie möglich immer in der Rotation sind.« Über die Haftung hat sich Severine Naeve auch Gedanken gemacht. »Wir möchten in der Zukunft eine Versicherung anbieten. Daran arbeiten wir. Bis dahin haben wir uns überlegt, dass wir sehr kulant mit dem Thema umgehen wollen.« Bleibt ein Teil im Kindercafé liegen, muss es ersetzt werden. Normale Gebrauchsspuren – Flecken, fehlende Knöpfe, aufgetrennte Nähte – werden von Cottonbudbaby ausgebessert oder die Teile werden ausgetauscht. »Das ist mir klar, dass solche Dinge passieren werden. Darauf sind wir vorbereitet und ich möchte mich deshalb mit niemandem streiten. Es ist klar, dass wir für normale Gebrauchsspuren haften. Und ich kann aus Erfahrung sagen, dass gerade in den ersten Monaten sehr selten Kleidung kaputtgeht.«

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Nicht nur Begeisterung Nicht alle Hersteller waren von Severine Naeves Idee begeistert. Das liegt in der Natur der Sache. Sie habe Wert darauf gelegt, sehr transparent zu sein und direkt zu sagen, wie ihr Businessplan aussieht. »Es gab durchaus Hersteller, die fanden, dass das nicht zu ihrer Marke passt, das Verleihen.« Weil sie fürchten, dann nicht für die Qualität ihrer Teile garantieren zu können oder aber aus rein wirtschaftlichem Interesse: weil sie natürlich lieber wollen, dass die Leute ihre Sachen kaufen. »Andererseits gab es aber ganz viele, die sehr positiv reagiert haben und meine Idee super fanden. Loud and Proud etwa: Sie haben verstanden, dass sie sich durch den Verleih in den ersten sechs Monaten durchaus neue Zielgruppen erschließen können.« Jene nämlich, die sich so hochwertige Kleidung nicht leisten könnten. »Und wer sein Kind in den ersten Monaten in Stücken mit dieser Qualität kleidet«, ist sich Naeve sicher, »der wird mit Sicherheit dabei bleiben und sich in Zukunft das eine oder andere Teil kaufen.« Das Service von Cottonbudbaby kann man auch verschenken. »Ich finde es ist eine ganz hervorragende Geschenkidee. Ich hätte mir das sehr gewünscht«, sagt Naeve. »Wenn im Freundeskreis jemand ein Kind erwartet, zusammenzulegen und den Eltern ein paar Monate Babykleidung zu schenken – ich glaube, da nimmt man eine ganz große Sorge und schenkt viel Zeit.« All die Fragen, die sich Severine Naeve vor vier Jahren auch gestellt hat – Was soll das Kind anziehen? Wo bekomme ich gute Sachen her? Wie erkenne ich gute Sachen? – die fallen damit weg. Win-win-win. Cottonbudbaby: www.cottonbudbaby.com gots: www.global-standard.org/de Verband der Naturtextilwirtschaft: www.naturtextil.de

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Heidi Dumreicher Michael Anranter Alexandra Überbacher

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Hayk Bianjyan, Anja Birkner

Ein Supermarkt fUr Jerewan In den städtischen Gebieten werden Liegenschaften privatisiert, für ökonomische Nutzung freigegeben, oder, im Sinne der Raumverdichtung, nachverdichtet. Die Standort-Debatte und ein ausgeprägter Hang zu Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit und »Kultur« sind Teil davon.

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ennengelernt haben wir Sarhat Petrosyan bei einem Rundgang durch Jerewans Stadtteil Kond. Sarhat ist Architekt und Stadtplaner und erzählte uns damals von Demonstrationen in den teilweise verfallenen Straßenzügen der Altstadt. Gemeinsam mit vielen anderen Menschen setzte er sich gegen die geplante Neubebauung der alten Markthalle im Herzen der armenischen Hauptstadt ein und wurde zum Mitbegründer einer vielfältigen Bewegung, die sich für das Bewahren der Seele eines ganzen Stadtviertels einzusetzen versuchte. In Jerewan, einer der ältesten Städte weltweit, gehen in den letzten Jahren Menschen auf die Straße, wenn sie Sorge haben, dass ihnen ein wichtiger öffentlicher Raum verloren geht. In hitzigen Debatten spalten sich Geister am vermeintlichen Detail: Welche Bedeutung haben zentral gelegene Bahnhöfe, Parkanlagen, Märkte oder Obdachlosenhilfe für Stadtmenschen? »Reclaim the streets« ist eine Aktionsform mit dem Ziel, sozial und kulturell nachhaltige Veränderung in der Stadt herbeizuführen; gemeinschaftlich öffentlichen Raum anzueignen und das urbane Leben zu prägen. Unterstützer fördern die Grundlagen gleichberechtigter Koexistenz von Lebensformen und geben Menschen die Möglichkeit, sich mit Kultur und Kulturtransformation auseinanderzusetzen. Ein besonders aktives Kollektiv in Jerewan widmete sich dem Erhalt der Markthalle Pak Shuka. Debatten und Proteste um Privatisierung, Planung und Korruption zeigen einige Aspekte zur Debatte über eine sozial und kulturell nachhaltige Entwicklung von Stadtkonzepten im Allgemeinen auf.

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Pak Shuka: die sowjetische Markthalle Städte sind historisch gewachsene Orte, in denen verdichtet, produziert und getauscht wird. Menschen kommen zusammen, verhandeln, und begegnen einander mit unterschiedlichen Bräuchen und Attitüden. Bauliche Eingriffe bewirken eine veränderte Struktur der Gesellschaft; das Spektrum angesprochener Personengruppen verändert sich. Die Schwierigkeiten der Stadtplanung bei Wiederbelebung ganzer Stadtviertel liegt in der Wahl des rechten Maßes zwischen kultureller und sozialer Nachhaltigkeit, technischer Innovation und ökonomischem Mehrwert. Das Stadtbild Jerewans ist heute von sowjetischer Architektur geprägt. Als Teil der armenischen SSR hatte Architekt Alexander Tamanjan die Aufgabe, die Stadt zu gestalten und viele der ehemals repräsentativen Gebäude wurden durch neue Architektur ersetzt. Aus architektonischer und stadtplanerischer Perspektive gilt Jerewan daher als besonders junge Stadt. Erst 1952 wurde der Pak Shuka, der erste überdachte Marktplatz Jerewans, eröffnet. Die Form der Kuppel ähnelte dem Anblick eines Hangars, der schon bald – noch in Sowjetzeit – zum Must-see für JerewanBesucher geworden war. Vor allem beherbergte die Kuppel aber einen öffentlichen Raum für unterschiedlichste Gesellschaftsgruppen: Im Pak Shuka verkauften Händler ihre Früchte und frisches Gemüse, Nüsse, Gewürze und Kräuter, Fleisch und Fisch, frisches Lavash-Brot, Sirup und Schnaps. Nach dem Zusammenbruch der udssr und unter dem Druck neoliberaler Privatisierungsdynamik in vielen der ehemaligen Sowjetstaaten

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Sinn City

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Pak Shuka als Markt kurz vor der Umgestaltung.

2011: Der ausgehöhlte Pak Shuka kurz vor Einbruch des Daches.

wurde die Markthalle 2001 an einen Investor verkauft und Restaurierungsarbeiten zum Schutz des Kulturerbes angekündigt. Bereits vor Verkauf der Liegenschaft waren sich alle Parteien und Interessensgruppen einig gewesen: die Markthalle ist materielles Kulturerbe. Dennoch kam es unmittelbar nach Baubeginn zu Interessenskonflikten: Einige wünschten mehr Mitsprache im Planungsprozess, andere beklagten sich über mangelnde soziale und ökonomische Nachhaltigkeit des Projekts und wieder andere empfanden den Erhalt der Gebäudefassade als lächerliches Alibi für das Kultur­erbe. 2011 erreichten die Proteste ihren Höhepunkt, als über Nacht die Decke der Markthalle einstürzte. Kurz zuvor waren nach längerer Unterbrechung der Bautätigkeit schwere Geräte aufgefahren, um die Fassaden der Halle zu stützen. Später endeten die Proteste und ein neues, innerstädtisches Kaufhaus wurde eröffnet. Mit Enttäuschung stellt unser Freund Sarhat fest: »Ein Einkaufszentrum auf vier Ebenen und ein Supermarkt wurden in die Gemäuer des Pak Shuka gegossen. Nun dient das Gebäude all jenen, die sich nie ernsthaft mit Erhalt und Schutz eines Kulturerbes auseinandergesetzt haben.« Heute ähnelt Jerewans größter überdachter Marktplatz den Supermärkten unzähliger Einkaufshäuser in mitteleuropäischen Fußgängerzonen.

chen und eine harmonisierte Gesellschaftsstruktur hervorbringen: Sitzbänke werden für kurzes Verweilen konstruiert, Ballspielen und Skateboardfahren verboten, gute Einsehbarkeit und gepflegte Grünanlagen entsprechen dem Dogma von Sicherheit in Gleichheit. Das Vernachlässigen von Identität und Kulturerbe hat auch zu einer funktionalen Vereinheitlichung europäischer Innenstädte geführt. Kultur aber lebt vom Entwurf von Alternativen zum Bisherigen und der Integration neuer Impulse. Sollten wir also vorhaben, uns als Gesellschaft weiterzuentwickeln, müssen wir Gegentrends zulassen. Eine Fassade zu erhalten, aber das dahinter liegende Gebäude auszutauschen ist also problematisch. Damit einher geht zudem ein Akt der Verschleierung, der Vortäuschung. Der Austausch des Gebäudeinneren verändert auch seine Funktion; tut dem Besucher gegenüber aber so, als wäre es das nicht. Man ist überrascht, wie sehr sich die Diskussionen in Armenien mit den Debatten vor unserer Haustür ähneln. Zwar darf nicht alles eins zu eins übertragen werden, dafür aber stellen sich dieselben Fragen: Welche Bedeutung und Funktionen haben Gebäude für das kollektive Gedächtnis? Wie kann Kulturerbe möglichst nachhaltig weiterentwickelt werden? Sarhat Petrosyan wird weiter hinter die Fassaden von Jerewan blicken.

Vereinheitlichung unter dem Schutzmantel Kulturerbe Obschon oder gerade wegen der Umsetzung immer neuer Restrukturierungsprojekte sind Städte weltweit auf Kooperationen mit Investoren angewiesen. Auf teils starke emotionale Bindungen der Bevölkerung an bestimmte Orte wird dabei oft wenig Rücksicht genommen. Ein kurzer Durchblick von Ausschreibungen für die Neugestaltung ganzer Stadtviertel zeigt, dass Eingriffe in das Stadtbild zukünftige Nutzer gezielt anspre-

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Wir danken Sarhat Petrosyan für das Gespräch über den Pak Shuka. Oikodrom hat ihn im Rahmen des Projekts Spaces persönlich kennengelernt. Er ist Architekt und Stadtplaner in Jerewan, lehrt an der nationalen Universität für Architektur und Baukultur. Außerdem leitet er das Urbanlab Yerewan, eine für Armenien einzigartige Einrichtung für die Demokratisierung urbaner Lebensumfelder. Weitere Informationen gibt es auf www.urbanlab.am

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Die Heimkehr der Luchse in die Highlands Wenn es nach britischen Naturschützern geht, sollen Luchse schon bald wieder frei durch das Vereinigte Königreich streifen – erstmals seit 1.300 Jahren.

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Matthias Schickhofer

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n Großbritannien träumt man von der Rückkehr der Wildnis im größeren Stil. Dazu soll die Wiederansiedelung von Luchsen beitragen. Das Stichwort lautet »Rewilding« – Wiederherstellung von unkultivierten Land samt seiner wilden Bewohner. Im Fokus dabei: Schottland – für viele der Inbegriff purer Natur. In Wahrheit sind die Highlands ein einst kahlgeschlagenes und seit langer Zeit vom Menschen genutztes Land. Wo sich früher kaledonische Eichen- und Kiefernwälder erstreckten, trifft man heute auf weite Moorflächen und Schafweiden. Die Wiederbewaldung wird mit großem Aufwand vorangetrieben, doch das überzählige Wild frisst die jungen Bäume weg. Ihre natürlichen Feinde – Luchse, Wölfe und Bären – sind längst verschwunden. Den britischen Luchsen war vor 1.300 Jahren vermutlich ihr prächtiges Fell zum Verhängnis geworden. Der weltberühmte Naturfilmer Sir David Attenborough sprach sich neulich auch gleich für die Wiederansiedelung von Wölfen in Schottland und Irland aus: »Ich denke, Wölfe wieder in die Wildnis zu bringen, kann niemandem schaden.« Auch der streitbare Journalist George Monbiot propagiert die Rückverwilderung: »Rewilding bietet uns eine große Chance, die Zerstörung der natürlichen Welt rückgängig zu machen.« Der Lynx UK Trust arbeitet gezielt an der Wiedereinführung der Luchse. Steve Piper vom Trust bestätigt, dass in naher Zukunft 20–30 Luchse an verschiedenen Orten im gesamten Königreich im Rahmen eines 3- bis 5-jährigen Versuchs freigelassen werden sollen. Die Tiere werden mit Halsbandsendern ausgestattet und beständig überwacht. Wenn alles gut geht, soll dann die vollständige Wiedereinbürgerung in Angriff genommen werden. Konkret ist geplant, die scheuen Tiere zunächst in nicht umzäunten Privatländereien freizulassen. »Die ersten Auswilderungen könnten innerhalb der nächsten zwölf Monate erfolgen – abhängig von der Geschwindigkeit der Behördenverfahren«, hofft Piper.

Rewildering findet Akzeptanz Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Lynx UK Trust befürworten 70–90 % der Einwohner Großbritanniens die Luchs-Auswilderung. Allerdings: Die Schafhalter haben wenig Freude an den Raubkatzen, sie könnten schließlich Schafe reißen. Der Lynx UK Trust zerstreut die Bedenken: Schafe leben im offenen Moorland und in umzäunten Weideflächen. Die Luchse werden aber in Gebieten ausgewildert, wo es viel Wald

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Der Luchs ist seit mehr als einem Jahrtausend in Großbritannien nicht mehr heimisch.

und kleinere Beutetiere gibt, also werden sie den Schafen eher selten begegnen. Sollten doch Schafe gerissen werden, könnte es Entschädigungen geben. Die Anwesenheit der großen Raubkatzen im Wald würde auch helfen, die Verbiss-Schäden durch unnatürlich große Hirsch-Populationen zu begrenzen. Die Geweihträger sind zwar keine bevorzugte Beute für die Luchse, aber ihre Präsenz könnte das Verhalten der Hirsche verändern. Steve Piper: »Die Hirsche halten sich oft länger im gleichen Waldgebiet auf und fressen die Jungbäume kahl. Wenn große Beutegreifer in der Nähe sind, ziehen sie eher herum. Das kommt der Regeneration des Waldes zugute. Doch das wird noch längere Zeit dauern, weil die Tiere erst das Fürchten wieder lernen müssen.« Professor Chris Thomas von der Universität York schlägt eine Alternative vor: Warum nicht den kleineren Iberischen Luchs ansiedeln? Der würde sich mit Kleintieren begnügen und keine Schafe bedrohen. Piper winkt ab: »Wir haben keine Hinweise dafür, dass der Iberische Luchs in Britannien heimisch war. Unsere Insel war früher stark bewaldet und vor dem Jahr 1000 gab es hier keine Kaninchen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass eine im Gebüsch lebende und Kaninchen jagende Katze hier überleben konnte.« Wenn alles nach Plan läuft, dann sollen die gefleckten Katzen schon nächstes Jahr – nach einer 1.300 Jahre langen Pause – wieder durch britisches Unterholz streifen.

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Gerade in Waldgebieten ist seine Wiederansiedlung vorstellbar. Rewildment stößt bei den Briten durchaus auf Zustimmung.

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glasgeflüster / Sarah Krobath und Jürgen Schmücking

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Im Namen des Rosé

sarah: Damit das von vornherein klar ist: »Danzern« ist kein Tätigkeitsverb und drückt auch nicht den Akt des Lauschens der Lieder von Georg Danzer aus. Vielmehr verbirgt sich dahinter eine der bekanntesten Rieden am Kremser Pfaffenberg, wo sich der 60 Jahre alte ZweigeltWeingarten der Familie Stagard befindet. Austropop im Glas ist bei dem staubtrockenen Rosé aber gar nicht so weit hergeholt. Während er einem in sattem Himbeerpink entgegenstrahlt, zeigt sich der Wein in der Nase mit zarter Frucht, unterlegt mit kühlen Kräuternoten, etwas dezenter. Frisch gebrockte Ribisel und Erdbeeren mit einem Spritzer Zitrone und feiner Würze – was einem Urban und Dominique Stagard hier einschenken, macht Laune auf ein Picknick im Grünen oder eine Jam-Session im Liegestuhl. Am biologisch bewirtschafteten Weingut, das die beiden 2008 in siebter Generation übernommen haben, wird der Zweigelt-Rosé mit 33 % Maische im offenen Barrique spontan vergoren. Die dabei herausgelösten samtigen Tannine sorgen zusammen mit der gut eingebundenen Säure, der würzigen Fruchtaromatik und einem feinherben Abgang für frischen Trinkspaß. Ein schlanker Rosé, den man unbekümmert einen ganzen Sommertag lang rauf- und runterspielen kann. Und das wohlgemerkt besser als manch alten Hadern. Woraus: Mittelgroßes Weinglas. Wozu: Zur Wassermelone aus »Schneid die Melone an« von 5/8erl in Ehr’n. Mit wem: Einer guten Freundin, die einem fürsorglich nachschenkt.

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jürgen: Tavkveri. Das klingt wie Rkatsiteli, Tsolikauri oder Saperavi. Die Sprache der Georgier ist eine wunderschöne. Ihre Rebsorten sprechen sie mit rauchigem Timbre aus, was dem Wein noch mehr Tiefgang zu geben scheint. Tavkveri also. Eine rote Rebsorte aus dem Osten Georgiens, fast schon an der Grenze zu Aserbaijan. Dort, im Ort Sighnaghi, quasi dem Außenposten Europas, hat John Wurdeman das Weingut Pheasant’s Tears gegründet und baut die spannendsten Weine in bauchigen Qvevris aus, den Tonamphoren, die georgische Winzer gern in ihren Kellern oder Weingärten vergraben. Zu sagen, der Tavkveri wäre eine Zierde seiner Art, entspräche dem Wein nicht, denn er ist so außergewöhnlich, dass ein Vergleich mit anderen Rosés unzureichend wäre. Einerseits ist da kompakter Gerbstoff (was den Wein an die Kraftlackel aus Tavel erinnern lässt), andererseits aber auch ein schlanker, fast filigraner Körper wie bei den feinfruchtigen Rosés aus der Provence. Und dann ist da natürlich noch dieser herrliche, fundamental-erdige Grundton, der die Amphorenweine Georgiens so unvergleichlich macht. Woraus: Aus einer Keramikschale (ernsthaft). Notfalls aus dem Universalglas. Wozu: Frischer Ziegenkäse oder Labneh mit Olivenöl. Mit wem: Mit John, dem Winzer. Oder mit Florian. Dem, der Johns Weine für Österreich importiert.

illustration Nana Mandl, Katharina Hüttler / agentazur.com

Im Sommer sehen Winzer und Weintrinker rosa – in Österreich wie in Georgien.

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Speis und Trank

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Micky Klemsch

Glaub mir: Ich bin bio … oder so! Es braucht eine Bio-Zertifizierung für Gastronomiebetriebe. Glaubwürdigkeit und Transparenz stehen auf dem Spiel.

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or wenigen Wochen hatten wir Familientreffen beim Heurigen Zahel in Wien. Die Vorfreude war groß. Nicht nur wegen der Familie, auch wegen dem Gemischten Satz. Ein Wein, für den Richard Zahel berühmt wurde. Noch größer war dann die Freude vor Ort. In der Karte wurde ein neues selbstgebrautes Bier angeboten. Als regional und aus biologischen Zutaten gebraut wurde es angepriesen. Da musste sogar der gemischte Satz hinten anstehen, als Bierliebhaber hat mich das neue Angebot neugierig gemacht. Nachdem das Bier auch vorzüglich mundete, war ich umso wissensdurstiger: Wo gebraut? Wieso gerade bio, wenn doch all die Weine noch konventionell an- und ausgebaut werden. Die Antworten waren kryptisch. Irgenwelche Freunde aus Wien, die der Neffe gut kennt sollen das brauen. Bald habe ich dann auch herausgefunden, wer dahinter steckt und wo der Gerstensaft gebraut wird: Nix bio, nix regional. Von einem Wiener Brauer-Start-up in der Nähe von Salzburg produziert, weder Hopfen noch Malz sind bio. Der Winzer weiss dies nun, die Karte ist geändert. Aber was, wenn ich nicht so neugierig gewesen wäre? Kurze Zeit später in Linz. Ich suche einen Mittagstisch, der möglichst regional und bio sein soll. Da helfen die sozialen Internetzwerkzeuge und schon bin ich bei Georg Friedls Salzamt an der Donau gelandet. Einem Tipp von Katharina Seiser muss man folgen, glaubt mir das! Haugemachte Kartoffeltascherln mit einer Fülle vom Bio-Kitz auf Spargelragout werden serviert, davor ein köstlicher Salat. Das Konzept nennen sie hier »Mühlvierteln«, die Küche interpretiert also traditionelle Gerichte aus der Region nördlich von Linz. Und auch die meisten Zutaten kommen aus dem Mühlviertel. Einige Dinge auf der Karte sind als bio beschrieben, von Zer-

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tifizierungen oder ähnlichen Zeichen in der Karte kann ich aber nichts ersehen. Und gerade, wenn bei speziellen Zutaten (oft Fleisch oder Milchprodukte) die Auslobung auf Bio fokussiert, kann man davon ausgehen, dass alles andere aus konventionellem Anbau stammt. Wieder einmal bin ich neugierig. Petra Friedl erhellt aber meinen Wissensdurst: 99,9 Prozent der Zutaten kämen aus biologischen Anbau. Vieles, wie auch das Brot, wird selber gemacht, der Rest vornehmlich aus bäuerlicher Produktion. Schnell holt sie auch eine Mappe mit Presse­ berichten über ihre Lieferanten. Transparent zeigt sie dem Gast auf Nachfrage, wo all die Lebensmittel produziert werden. Ein positives Beispiel. Wie aber kann sich der Konsument sicher sein? Bio ist ein Qualitätsmerkmal. Es steht in den meisten Fällen auch für eine Grundeinstellung des Produzenten. Definitiv aber für höherwertige Qualität, rücksichtsvollere Tierhaltung, Schonung von Umwelt und Ressourcen und Vermeidung der meisten künstlichen Zusatzstoffe und Aromen. Der Geniesser erkennt auch den besseren Geschmack und ist bereit dafür, etwas mehr Geld für diese Produkte auszugeben. Damit aber mit der Auslobung »bio« keine Schindluder betrieben wird, benötigt es klare Zertifizierungen und Kontrollen. Der Gast bekommt dadurch Sicherheit, es bringt Vertrauen. Leider kostet das dem Wirt neben dem höheren Wareneinsatz auch noch mehr Geld für die Zertifizierung. Hier sollte die öffentliche Hand verstärkt eingreifen, die Politik diese positiven Beispiele – wie auch Maßnahmen zum Klimaschutz – mehr fördern. Um nachhaltigen Initiativen den Rücken zu stärken und mir als Konsumenten mehr Vertrauen in die Speisekarte zu geben.

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DIY-Rezept

Handgemachtes Eis – zum Dahinschmelzen Endlich ist der Sommer, die schönste aller Jahreszeiten, wieder angebrochen!

Für mich bedeutet die Sonne die Wiederbelebung meiner im viel zu langen und viel zu grauen Winter erfrorenen Seele. Energie und Wärme bringt uns die Sonne und vor allem endlich wieder Farbe. Das satte Grün der Blätter, die bunten Blumen und Blüten … Sommer heißt aber auch endlich wieder grenzenloses Eisvergnügen, denn ein Sommer ohne Eis ist kein richtiger Sommer. Aber wenn schon Eis, dann ohne schlechtem Gewissen. Außerdem war Eiszubereiten noch nie so einfach und so gesund!

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Parvin Razavi

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Elisabeth Els

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Himbeer-, Bananen-, Acai- und Rohkakaopulver, Superfoods von Feinstoff.

Grundzutaten (für 2–4 Portionen Eis): » 3–4 vollreife Bananen, geschält, geschnitten und eingefroren » Alternativ: 2 vollreife Avocado, klein geschnitten und eingefroren » Agavendicksaft

Zubereitung: Die jeweiligen gefrorenen Zutaten in einem guten Blender oder Mixer glatt pürieren und sofort servieren. Falls Avocados verwendet werden, empfiehlt es sich, einen Hochleistungsmixer zu verwenden oder die Avocados roh zu pürieren und erst anschließend einzufrieren.

himbeereis: 3 Bananen, 2 EL Agavendicksaft, 3 EL Himbeerpulver oder 1 Becher frische Himbeeren.

schoko-bananeneis mit erdnussbutter und smarties: 3 gefrorene Bananen, 1 EL feine Erdnussbutter, 3 EL Agavendicksaft und 2 ½ EL Rohkakaopulver Im Mixer glatt pürieren und mit Smarties dekoriert im Eisbecher servieren.

heidelbeer-acai-eis: 3 Bananen, 1 Becher Heidelbeeren und ein paar zum Dekorieren, 1 ½ EL Acaipulver, 3 EL Agavendicksaft.

3 EL Wasser oder Mandelmilch erleichtern dem Blender das Pürieren der Masse.

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Jürgen Schmücking

marktplatz food

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Elisabeth Els

Best of Summerdrinks Es muss nicht immer Cola, Orange oder Zitrone sein: sechs Bio-Erfrischungen mit Geschmack.

DIY-TIPP Mineral-Meyer Nicht einfach Mineral-Zitron. Wenn, dann ordentlich. Selfmade Limonade, fabriziert unter Anleitung von Katharina Seiser, der Queen of Sauer-Power. Das Rezept ist zwar einfach, muss aber – soll es funktionieren – aufs Gramm genau eingehalten werden. 50 ml frisch gepresster Saft (in diesem Fall eben von hochreifen Meyers), 25 g Bio-Rübenzucker mit den geriebenen Zesten vermischt und mit prickelndem Mineralwasser auf einen Liter aufgefüllt. Unübertroffen.

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enn die Tage heißer werden und Abkühlung durch einen Sprung ins kühle Wasser nicht drin ist, hilft nur ein eiskalter Drink. Bier oder ein weißer Spritzer ist immer gut, in manchen Fällen aber wenig ratsam. Die solide Basis für einen ordentlichen Flüssigkeitshaushalt sollte frisches Wasser sein. In Wien sind wir mit unserem Hochquellwasser bestens bedient und versorgt, aber auch im Rest des Landes kann sich das Leitungswasser sehen lassen. Hin und wieder braucht es aber auch einen Tick mehr Geschmack, und genau dafür haben wir die besten Erfrischungsgetränke in Flaschen und Dosen etwas genauer unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist ganz klar: Gut und erfrischend geht auch ganz natürlich. Gut, sauber und fair. Ohne Schnickschnack, dafür mit hohem Trinkspaßfaktor.

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1 // Der rote Grüntee Sencha ist die Grundlage. Also grüner Tee in seiner besten Form. Dazu Jasmin, Ingwer und Agave (für den Geschmack), dann noch Açaí und Aronia (für die Farbe). Das Ergebnis ist All i need, eine Cuvée aus ultragesunden und harmonischen Zutaten. Ingwer wärmt, Sencha kühlt. Der Tee regt an, Jasmin beruhigt. Alles in Balance.

2 // DER PRICKELND ENTSPANNTE Intensiv kommt 2B Relaxed daher. Das gilt für den Geschmack der Fruchtsaft-Limonade aus Aprikosen- , Bananen- und Magopüree, Preiselbeer- und Granatapfelsaft, und auch für seine leuchtend orange Farbe. Ungewöhnlich: eine Limonade mit Kohlensäure, die man vor dem Genießen schütteln soll.

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3 // Der rauchige Kärntner

5 // Der noble Prickler

Erweitern wir von Limo auf sommerliche Erfrischungsdrinks, kommen wir an ihm nicht vorbei. Makava, der rauchig-herbe Maté-Tee mit seiner verspielten Holundernote und dem zitrusfrischen Abgang. Nicht nur bio, sondern auch fair und das Wasser aus der Kärntner Quelle. Höchst belebend, das Ganze.

Die Ausstattung alleine macht ordentlich was her. Auf den ersten Blick ist der Frucht-Secco von van Nahmen nicht von noblem Schaumwein zu unterscheiden. Mit dem Druck in der Flasche können sogar die Korken knallen. Verspricht erfrischenden Fruchtgenuss und zauberhafte Momente.

4 // DER SAURE

6 // Der Exot mit ohne

In Pressbaum abgefüllt wird die Bio-Zitronenlimonade von Höllinger. Erfrischend ist sie allmal. Der Drink besteht zu 12 Prozent aus Zitronensaft aus Zitronensaftkonzentrat, der ihm eine saure Note verleiht.

Auffallend ist, was nicht in Acáo drinnen ist. Zucker, Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Stevia, Taurin, Geschmacksverstärker und – weil bio – natürlich auch keine Pestizidrückstände. Drin ist dagegen der volle Geschmack von Quitte, Sanddorn, Zitrusfrüchten und Guaranabeeren. Belebend ist Acáo nämlich sehr wohl.

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marktplatz Kosmetik

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Syliva Buchacher bild

Elisabeth Els

LUST AUF SOMMER Wir zeigen die besten Produkte für eine natürliche Bräune ganz ohne Reue.

DIY-TIPP SONNENÖL AUS WALNUSS UND ROSSKASTANIE Walnussöl schützt die Haut vor Sonnenbrand und Rosskastanie filtert die UV-Strahlung. Für das Öl wird 1 EL Rosskastanienpulver mit 1/2 TL Wasser im Mixer vermischt. Nach und nach 100 ml Walnussöl hinzufügen und weitermixen. Das Öl in eine Flasche füllen und eine Woche bei Zimmertemperatur stehenlassen. Immer wieder schütteln. Durch ein Feinsieb filtrieren und in eine dunkle Flasche füllen. Vor dem Aufenthalt in der Sonne gut schütteln und auf die Haut auftragen. Kann auch als feuchtigkeitsspendende und durchblutungsfördernde Hautpflege verwendet werden. Hält 2–3 Monate bei Zimmertemperatur und mindestens ein Jahr im Kühlschrank. (Quelle: »Grüne Kosmetik: Bio-Pflege aus Küche und Garten« von Gabriela Nedoma, Freya Verlag)

1 // HELLO SUNSHINE Die Sonnencreme zellschützend von Susanne Kaufmann riecht nach Zitrus-Eis und Urlaub und macht sofort gute Laune. Sie bewahrt vor vorzeitiger Hautalterung und regeneriert geschädigte Zellen mit einem pflanzlichen Wirkstoffkomplex aus Ectoin und Pentavitin. Die pflegende Sonnencreme mit lsf 25 und uva- / uvb-Schutz ist wasserfest, zieht schnell ein und versorgt die Haut mit Feuchtigkeit. Für empfindliche Haut und für Kinder geeignet. www.susannekaufmann.com

2 // STARKER SCHUTZ

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enn sie im Sommer mit Sonnenschutzprodukten um Käufer werben, setzen die meisten Kosmetikhersteller heute auf Breitbandfilter, die nicht nur langwelliges uvb-Licht, sondern auch kurzwelliges uva-Licht, das für den Alterungsprozess der Haut verantwortlich ist, filtern können. Bei den Filtern wird zwischen physisch-mineralischen und chemischen UV-Filtern unterschieden. Der Vorteil von mineralischen Filtern, die natürliche Pigmente wie Titanoxid oder Zinkozid enthalten, ist der, dass sie nicht in die Haut eindringen, sondern das Licht auf der Oberfläche reflektieren. Sie sind gut verträglich, lösen keine allergischen Reaktionen aus und wirken sofort nach dem Auftragen. Im Gegensatz dazu stehen chemische Lichtschutzfilter im Verdacht, zellschädigend zu sein und hormonelle Veränderungen im Körper hervorzurufen. Mit unserer Auswahl an rein natürlichen Sonnenschutzprodukten lässt sich der Sommer sorgenfrei genießen!

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Vinoble produziert innovative Sonnenschutzprodukte ohne hormonaktive Substanzen. Die leichte Sun Protection Emulsion Face + Body spf 30 stärkt die Regenerationsfähigkeit der Haut mit der Kraft veganer Traubenstammzellen aus der Südsteiermark. Gleichzeitig wird die Kollagenproduktion dank dem Coenzym Q10 angeregt. Ohne Parabene, Duftstoffe, Aluminium und Nanopartikel. www.vinoble-cosmetics.at

3 // SONNIGE AUSSICHTEN Das Sonnenpflegeöl Sanddorn-Olive von Bioemsan erhöht auf rein natürliche Weise den Eigenschutz der Haut und sorgt gleichmäßige Bräune. Leindotteröl, Bienenwachs und Kräuterextrakte ergänzen die pflegende Formel. Das Öl zieht rasch ein und hinterlässt einen zarten Schimmer auf der Haut. www.bioemsan.com

4 // GUTES GEFÜHL Für alle Wasserratten und Freiluftsportler empfehlen wir das wasserfeste Kühlende Sonnen-Spray Sun Sport spf 30 von Annemarie Börlind. Die SprayTextur lässt sich sehr gut verteilen, erfrischt und zieht sofort ein. Panthenol spendet zusätzlich Feuchtigkeit. Pflanzenwirkstoffe stärken die Widerstandskraft und den Eigenschutz der Haut. Praktisch für unterwegs. www.boerlind.com

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5 // KINDERSICHER Kinder müssen besser geschützt werden, da ihre Haut viel empfindlicher gegenüber der UV-Strahlung ist. Die spezielle Kindersonnencreme Sonnen-Creme Kids spf 50 von Dado Sens mit natürlichen Antioxidantien bietet hohen Sonnenschutz für extrem sonnenempfindliche Haut und kann auch bei Neurodermitis und Psoriasis verwendet werden. www.dadosens.com

7 // SOMMERPFLEGE Damit die Fältchen noch etwas länger auf sich warten lassen, verwenden wir für das Gesicht die Crema Solare Viso spf 15 von Bjobj mit Anti-Aging-Wirkung. Die Sonnencreme mit mittlerem Lichtschutzfaktor ist vor allem für helle und empfindliche Haut gut geeignet. Sie enthält Kokosnuss, Arganöl, Hyaluronsäure und Karottenextrakt und riecht dezent nach Sommer. www.bjobj.com

6 // SONNENANBETER

8 // SONNE! JETZT!

Die Konsistenz des Sun sensitiv Sonnenspray lsf 20 von Lavera erinnert an die Sonnencremen aus Kindheitstagen, da nach dem Auftragen ein feiner weißer Schleier auf der Haut zurückbleibt. Das stört uns aber nicht, weil wir den Geruch himmlisch finden und uns mit dem NaTrue zertifizierten, veganen Produkt bestens geschützt fühlen. Mit hautberuhigender Bio-Calendula. www.lavera.de

Eine unserer liebsten Neuentdeckungen ist die dänische Naturkosmetikmarke Rudolph. Ihre Organic Sun Face Cream spf 30 hat bereits den Danish Beauty Award 2015 gewonnen und ist auch aus unserem Sommerpflegeprogramm nicht mehr wegzudenken. Die leichte Emulsion schützt die Haut auf natürliche Weise und enthält Kamille, Gurkenextrakt, Weizenkeimöl und Apfelextrakt. www.rudolphcare.dk

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elternalltag / Ursel Nendzig

Wie wunderbar lange doch die Vorfreude sein kann. Und wie grausam kurz ihre kleine, fiese Schwester, die Freude. Achtung: Spoiler.

illustration Nana Mandl, Katharina Hüttler / agentazur.com

Vor Freude

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»Er wünscht sich sowieso alles, also wird er sich ja wohl über jedes freuen.«

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ier zog vor ein paar Monaten eine Bibel ein. Dieses Buch der Bücher ist eher ein Prospekt, die Evangelien heißen »Ninjago« oder »Chima«, die Apostel haben gelbe Köpfe und u-förmige Greifhände und vollbringen Wunder wie mit dem Arktismobil Schneekristalle und nochmal gefreut wurde. Dann zu bergen oder mit dem Supercar Dschungelräuber stand das Ding vor ihm, in voller, echzu fangen. Die Bibel wird jeden Tag von vorne bis ter Größe. Er schob es hin. Er schob es hinten durchgeblättert, islamisch-vollendet auf her. Er feuerte einmal die Kanone ab. Und dann flitze er hinaus zum Fußballdem Teppich kniend, das Haupt gesenkt. Die Himmelsrichtung werde ich demnächst überprüfen. spielen. Als er wieder hineinkam schob er Die Gebete beginnen alle mit den Worten: »Zum es wieder hin und her. Dann begab er sich wieder in Gebetshaltung über seiner Bibel Geburtstag wünsche ich mir« (der große Bub) beziehungsweise »Diese wünscht ich« (der kleine und sprach: »Zum Christkind wünsche ich Bub). Oh, und wie sie wünschen. Zuerst dachmir« (bzw. »Diese wünscht ich«). te ich noch: ach, das wünscht er sich also, ich Nein, ich werde hier nicht schreiben, dass werde mir das merken und dafür sorgen, dass Vorfreude die schönste Freude ist. Aber ich es ihm jemand zum Geburtstag schenkt. Nachdenke darüber nach, wie oft wir doch enttäuscht sind von dem, was wir uns so lange dem sich aber die Gebete innerhalb von Zehntelsekunden inhaltlich komplett ändern, gab gewünscht haben. Ich kenne eine, die hat sich ich diesen Plan irgendwann auf. Er wünscht jahrelang ein Kind gewünscht. Als sie schwansich sowieso alles, also wird er sich ja wohl ger war, war sie traurig, weil es kein Mädchen über jedes freuen. ist. Und weil die Freude des Mutterseins nicht In seiner Gebetshaltung vollzog der gromit der Vorfreude aufs Muttersein mithalten konnte. Ich kenne auch eine, die immer alles ße Bub stundenlange innerliche Vorfreusofort umsetzen muss. Gartengestaltung zum dentänze. Malte sich in den buntesten Beispiel. Da wurde ein Pool errichtet, Beete anFarben auf, wie er mit diesem Kämpfer dann jenen besiegen würde oder wie er gelegt, Rasen drauf, Zaun drum herum, alles in ein mit dem Arktisforscherkran das Arktispaar Wochen. Dann war der Garten bilderbuchartig forscherschneemobil überholen würde. und fertig und sie verlor die Freude daran. Und wie ein Junkie gleich weiter zum nächsten Projekt, den Der Geburtstag kam, auch die GeSchuss Vorfreude holen. bete wurden erhört und die wochenlange Vorfreude schlug blitzartig in Übertreiben wir mit der Vorfreude? Erwarten wir echte Freude um. Und die dauerte uns zu viel? Klinge ich jetzt wie Carrie Bradshaw? genau 48 Stunden. Zwei Tage, in Ich denke: ja. Und habe mir vorgenommen, so lange es denen aufgebaut, geweint, weil ein geht im Prospekt zu blättern, mich auf die Vorfreude mikroskopisch kleines Plastikteil zu verlassen. Weil die Freude, die ist ein Luder. Und das Christkind gibt es nicht. hinterm Sofa verschwand, gefreut

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Biorama Nº. 37

die welt, die wir uns wünschen

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von wolfgang smejkal

Ein gelebter Traum ganz spanien leidet unter dem sparzwang der wirtschaftskrise. in einem dorf in andalusien scheint das anders zu sein: die gemeinde marinaleda kennt kaum arbeitslosigkeit und wird seit über 30 jahren von ihren bewohnern kollektiv bewirtschaftet und verwaltet. Die knapp 2.800 Einwohner zählende Gemeinde Marinaleda in der Provinz Sevilla wird seit dem Ende der Franco-Diktatur und den ersten freien Wahlen in Spanien 1979 von Juan Manuel Sánchez Gordillo als Bürgermeister regiert. Der Aktivist der Vereinigten Linken (IU) wurde seither immer wiedergewählt, zuletzt bei den andalusischen Kommunalwahlen im März 2015. Auch das Stadtbild spiegelt linke Geschichte: es gibt nicht nur einen Salvador-Allende-Platz, sondern auch eine Ernest-Che-Guevara- und Pablo-NerudaStraße. Marinaleda lebt wie die meisten andalusischen Dörfer von der Landwirtschaft. Gewöhnlich arbeiten die Menschen hier als Tagelöhner auf fremdem Land. Andalusien ist vom Großgrundbesitz geprägt: 50 Prozent der Agrarfläche seien in der Hand von zwei Prozent der Grundbesitzer, erklärt der Bürgermeister. »Hier haben wir die nutzloseste Bourgeoisie ganz Europas: die Grundbesitz-Bourgeoisie.« Als Politiker rebelliert Gordillo schon seit mehr als 30 Jahren gegen Großgrundbesitz und Immobilienspekulation. Stattdessen setzt er

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in seiner Kommune auf Vollbeschäftigung in genossenschaftlichen Betrieben und billigen Wohnraum. Heute kennt der andalusische Ort kaum Arbeitslosigkeit und betreibt in mehreren Kollektiven eine florierende landwirtschaftliche Genossenschaft mit Ölmühle und Konservenabfüllanlage. Das Dorf gehört auch zu einem Netzwerk von Gemeinden, die sich für die Errichtung einer neuen Republik und die Abschaffung der Monarchie aussprechen.

Die Erde gehört denen, die sie bebauen Ein Großteil der Einwohner ist heute bei der Genossenschaft Humar angestellt, die nach jahrelangem Kampf um den Grundbesitz von den landwirtschaftlichen Arbeitern selbst gegründet wurde. Von 1981 an besetzten sie das landwirtschaftlich kaum genutzte 1.200-Hektar-Landgut El Humoso, das in unmittelbarer Nähe des Dorfes liegt und einem meist abwesenden Adeligen gehörte. Sie trotzten den Räumungen durch die Polizei und okkupierten das Land jedes Jahr etwas länger, ehe man 1989 begann, den Boden zu bebauen. 1991 enteignete die andalusische Regionalregierung schließlich das Gut und stellte es der Gemeinde zur Verfügung. Die Menschen in Marinaleda sind trotzdem Tagelöhner geblieben. Doch der Gewinn ihrer Arbeit fließt nicht mehr einem Herzog zu, der im fernen Madrid lebt, sondern er wird von der Genossenschaft reinvestiert. Sie bauen Artischocken, Bohnen, Paprika und Oliven an, betreiben Gewächshäuser, Viehzucht und Veredelung und vertreiben die Produkte unter der Marke Humar über den Handel. Die Arbeiter kontrollieren alle Produktionsphasen selbst, der Boden ist Eigentum der Gemeinschaft. Alle Beschäftigten erhalten einen Lohn von 47 Euro pro Tag und arbeiten sechs Tage pro Woche,

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ganz gleich an welchem Arbeitsplatz. Das ergibt 1.200 Euro monatlich, knapp doppelt soviel wie der spanische Mindestlohn. Genossenschaftliche Projekte werden sowohl von der andalusischen Regionalregierung wie von der EU mitfinanziert.

Weniger arbeiten, damit alle Arbeit haben

Haus mit Terrasse für 15 Euro In Marinaleda verliert auch niemand seine Wohnung, wenn er die Miete nicht mehr bezahlen kann. Hier kann man ein 100 m² großes Haus, mit Terrasse und in gutem Zustand, für 15 Euro monatlich mieten. Die einzige Bedingung: Jeder Mieter muss sich am Bau seines Wohnraums beteiligen. Die Gemeinde hat die Grundstücke gekauft und stellt das nötige Baumaterial mithilfe eines Förderprogramms der andalusischen Regierung gratis zur Verfügung. Die Mieter übernehmen den Bau selbst oder bezahlen andere dafür. 15 Euro im Monat müssen die Familien aufbringen, um die Baumaterialien abzuzahlen. Wer an einem Hausbau arbeitet, bekommt pro Monat 800 Euro. Zudem beschäftigt die Gemeinde professionelle Maurer, die die Einwohner beraten und die komplizierteren Arbeiten ausführen. Die Mieter wissen nicht, welche der Wohnungen ihnen später zugeteilt wird, was die gegenseitige Unterstützung bei der Arbeit begünstigt. Die Häuser bleiben formell im Besitz der Gemeinde und können daher zwar vererbt, aber

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Sánchez Gordillo, Bürgermeister der Landbesetzer.

nicht verkauft werden. Mehr als 400 solcher 15-EuroHäuser sind in den vergangenen Jahren von den Bewohnern errichtet worden. Darüber hinaus gibt es in Marinaleda Kinderkrippen und Kindergarten, ein eigenes Schulzentrum, ein kommunales Hallenbad, einen großen Park mit Amphitheater sowie öffentliche Sport- und Schwimmanlagen. Es gibt ein Altersheim, ein monumentales Kulturhaus bietet Probe- und Ausstellungsräume, Ateliers und einen Theatersaal zur allgemeinen Benützung. Lokalfernsehen und Radio stehen allen offen, die Programm machen wollen. In Marinaleda gibt es keine Polizei und die politischen Beschlüsse werden von einer Versammlung getroffen, an der alle Einwohner teilnehmen können. Obwohl seit 1979 ein linkes Bündnis den Bürgermeister und die Mehrheit der Stadträte stellt, sind die politischen und sozialen Errungenschaften keineswegs von oben herab beschlossen und durchgeführt worden. Auch wenn Bürgermeister und Stadtrat formell den Status dieser Institutionen wie in ganz Spanien innehaben, wird die Entscheidungsfindung durch Stadtteilversammlungen, die Gewerkschaft, die Vollversammlung des Dorfes sowie diverse Bürgerkomitees ergänzt. Vor diesen Versammlungen sind die offiziellen Vertreter rechenschaftspflichtig. Als Kontrollmechanismus gelten dann die Kommunalwahlen, bei denen nicht wiedergewählt wird, wer die Entscheidungen der Versammlungen missachtet. So viel die Gemeinde für ihre Bewohner auch ausgibt – pro Kopf ist sie dennoch nur etwa halb so hoch verschuldet wie andere spanische Kommunen. Das Geheimnis sei Sparsamkeit, sagt Bürgermeister Gordillo. Das klingt beinahe konservativ. »Erfahrungen wie die von Marinaleda sind ein sehr kleines Modell für das, was man machen könnte.« Überall sonst auf der Welt, möchte man hinzufügen.

Bild Bruno Rascão

Durch die Wirtschaftskrise erhielt Marinaleda die Gelegenheit zu überprüfen, ob ihre Utopie auf 25 km² eine lebensfähige Marktlösung ist. Es herrscht immer noch annähernd Vollbeschäftigung, während der Rest von Andalusien unter einer Arbeitslosenquote von 35 Prozent stöhnt. »Auch wir spüren die Krise«, räumt Gaudillo ein, »aber hier verteilt sie sich auf alle. Wenn es nicht genügend Arbeit gibt, melden sich die Leute turnusmäßig arbeitslos. So wird die Krise nicht auf dem Rücken einzelner ausgetragen.« In der Hauptsaison beschäftigt die Genossenschaft rund 400 Personen, andernfalls mindestens 100. Doch keiner hat einen angestammten Arbeitsplatz: Alle wechseln sich ab, damit jeder ein Einkommen hat. »Weniger arbeiten, damit alle Arbeit haben«, so lautet der Grundsatz. Außerdem bebauen manche auch kleine Parzellen, die ihnen allein gehören. Der Rest des wirtschaftlichen Lebens ist aus Geschäften, wesentlichen Dienstleistungen und Sporteinrichtungen zusammengesetzt. Fast alle Dorfbewohner verdienen so viel wie die Arbeiter der Genossenschaft. »Allgemein war die Krise in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelproduktion weniger zu spüren«, erklärt Gordillo. »Leute, die in die Stadt gezogen sind, kommen jetzt wieder zurück. Wir müssen also nicht nur die bestehenden Arbeitsplätze aufrechterhalten, sondern neue schaffen. Dabei setzen wir verstärkt auf Bio-Anbau, weil er mehr Arbeitsplätze benötigt als die herkömmliche Landwirtschaft.«

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Biorama Nº. 37

GREGORIANISCHE MORAL / Diana Gregor

Tun wir bloß so oder meinen wir es tatsächlich ernst mit der Österreich-Variante von Aufgeschlossenheit?

Alles hat ein Ende – auch die Wurst

illustration Katharina Hüttler / agentazur.com

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nd plötzlich sind wir … Toleranz! Quasi über Nacht und eine ganze Nation erfassend. Da laufen jetzt grüne Ampelmännchen Hand in Hand mit Ihresgleichen unter einem Himmel aus Herzerlwölkchen und die bärtige MannFrau Conchita besänftigt uns mit Weisheiten aus dem Off durch den frühmorgendlichen Öffi-Verkehr. Wir sind wieder stolz – und zwar auf eine von uns. Das gab es schon lange nicht mehr ohne bleiernen, braunen Beigeschmack. Irgendwie haben wir uns unverhofft unheimlich lieb. Und zwar alle. Mit allem und scharf. Leben und Lesben lassen – das ist also die Devise tragung einer gleichgeschlechtlichen neuzeitlicher Brückenbauer. Eigentlich sehr cool. Partnerschaft gibt – Ehe ist das jedoch keine. Und bis zur Novellierung des AdUnd lobenswert. Zählt doch Österreich oft eher optionsgesetzes (voraussichtlich Ende zu den rückschrittlichen und archaischen unter den westlichen Demokratien. Ein januswortar2015) dürfen hierzulande nach wie vor nur tiger Quantensprung nach vorne? Einzelpersonen und Ehepaare Wahlkinder adoptieren. Damit zählen wir innerhalb der Hoppla – ganz so straight ist es dann doch nicht. Denn liberal sind wir eigentlich nur auf EU zu einer Minderheit an MitgliedsstaaKnopfdruck. Und zwar am besten dann, wenn ten, die gleichgeschlechtlichen Paaren nicht ganz Europa hinsieht. Denn gelebte, intrindie vollen Adoptionsrechte zugestehen. Ein sische, organisch gewachsene, authentische Platzerl in der Statistik, auf das gut und gerToleranz muss man oft länger suchen als ein ne verzichtet werden sollte. Und einmal mehr Wiener Trottoir ohne Hundstrümmerl. JuBeweis dafür, dass Regenbogen-Euphorie hier gendliche werden nach einem Coming-out eigentlich der Mähr vom Einhorn gleicht – sie gerne als »Schwuchteln« bezeichnet und existiert nämlich nur im Eurovisions-Märchen. wen etwas richtig anödet, der sagt dazu Wir beschäftigen uns auf diesen Seiten bekanntlich intensiv mit dem Thema Nachhaltignonchalant, das sei »voll schwul«. Wenn keit. Da drängt sich mir die Frage auf, ob dieser sich zwei Frauen in einem Wiener Traneu entfachte, vermeintlich toleranzbasierte Paditionskaffeehaus küssen, dann werden triotismus tatsächlich von Dauer sein wird. Oder sie des Hauses verwiesen. Und dass auf der Fassade der Rosa Lila Villa ein paar verpufft die plötzlich vorurteilsfreie Nächstenliebe wie billiges Eau de Cologne? Das wird sich natürlich Vollkoffer den Spruch »Tötet Schwule« aufsprayen, stört dann eigentlich auch weisen. Fortschrittlich wäre schon, wenn Lesben und nur jene, die sich direkt angegriffen Schwule ebenso viel Zustimmung erführen wie die fühlen. Je sichtbarer, desto homojüngst eingeführten homosexuellen Ampelpärchen. phober. Auch das ist Österreich. Und wirklich optimal wäre natürlich, wenn ich dann Dabei sollte die Tatsache nicht gar nicht über ebensolche Positiv-Entwicklungen bevergessen werden, dass es seit 2010 richten müsste. Denn erst wenn anders endlich normal wird, hat die Toleranz wirklich gewonnen. zwar die Möglichkeit der Ein-

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