BIORAMA 95

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KUHHANDEL

Wie die zahmen Tiere wohnen: Bionutztiere leben in der Regel artgerechter.

Wozu liegen lassen: Das passiert mit dem Geld auf »grünen« Girokonten.

Das Geschäft mit Milchmaschinen, Fleischrindern und Abfallkälbern hat viele Verlierer.

Warum es Bio fast nur zu Hause gibt: Langsam kommt Bewegung in die Gastronomie.

WORUM ES GEHT

Wo Nachhaltigkeit in den Mainstream rückt und damit zumindest als Randphänomene Greenwashing und Verwässerung einhergehen, gerät Bio unter Profilierungsdruck. Wir haben uns für diese Ausgabe auf der Straße umgehört, was unter Bio-Tierhaltung verstanden wird. Und unter ExpertInnen, was die Biobranche dieses Jahr besser verstehen muss, um weiterzukommen.

Wir haben uns erlaubt, aus den Antworten einen altbekannten Auftrag abzuleiten: Bio muss sich besser erklären. Und da wir das ohnehin als Teil unserer Mission sehen, sind wir wieder einmal zu den Grundlagen zurückgekehrt: In »Kuh Komplex« erklären wir, wie entkoppelt Milchwirtschaft und Rinderhaltung funktionieren – und warum die Kälber dazwischen auf der Strecke bleiben. In »Beef um Preise« widmen wir uns der Frage, warum das Angebot eines Bioprodukts scheinbar unberührt von der steigenden Nachfrage schrumpft. Anschließend wird überblicksmäßig beantwortet, wo Biotiere im Winter sind – und was sie haben, das andere, konventionell gehaltene Tiere nicht haben müssen – und in den allermeisten Fällen dann auch nicht haben.

Nach einem Exkurs zum Vogelschutz (Spoiler: Nein, das Hauptproblem ist schon wieder nicht die Windkraft!) und einem zur Frage, ob grüne Girokonten halten, was sie versprechen, reisen wir mit Ulli Lusts neuem Buch entlang von Frauenbildern durch die Menschheitsgeschichte und tauchen im Badezimmer von heute wieder auf, wo wir uns einen derzeit umstrittenen Inhaltsstoff vieler Zahnpasten ansehen – und wie man mühelos welche erkennt, die ihn nicht enthalten.

Gegen Ende des Heftes schauen wir uns wieder einmal an, was sich bei Bio in der Außer-Haus-Verpflegung und der Gesetzgebung dazu tut – und sprechen mit einem Koch über die Hürden dorthin. Und damit das alles nicht auf leeren Magen verarbeitet werden muss, gibt’s mit der Kochbuchempfehlung Gemüserezepte aus der Sterneküche.

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen!

Gute Lektüre wünscht

IMPRESSUM

HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEURIN Irina Zelewitz AUTORiNNEN Simon Loidl, Martin Mühl, Ursel Nendzig, Hanna Stummer, Thomas Weber GESTALTUNG Ulrike Dorner, Stefan Staller LEKTORAT Barbara Ottawa ANZEIGENVERKAUF Herwig Bauer, Thomas Weber DRUCK Walstead NP Druck GmbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT biorama.eu/abo ERSCHEINUNGSWEISE BIORAMA 6 Ausgaben pro Jahr ERSCHEINUNGSORT Wien.

BLATTLINIE BIORAMA ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. BIORAMA erscheint sechs Mal im Jahr. Zusätzlich erscheinen wechselnde BIORAMA-Line-Extentions.

95 INHALT 24 BEEF UM PREISE (UND PRESTIGE)

Geht das heimische Biorindfleisch aus? Die Nachfrage und mit ihr die Preise steigen – doch die Produktion geht indes zurück.

03 Editorial

06 Bild der Ausgabe

08 Street Talk

10 Global Village

14 ExpertInnen meinen … … Das beschäftigt die Biobranche dieses Jahr.

18 Kuh Komplex

Wie die Preise für Milch, Kalbfleisch und Rindfleisch zusammenhängen.

24 Beef um Preise (und Prestige) Warum Rindfleisch in Bioqualität – trotz steigender Nachfrage – immer knapper wird.

28 Auch bei Frost im Freien Im Stall oder auf der Weide? So verbringen Biotiere die kalte Jahreszeit.

35 Wo, wenn nicht hier? Für den weltweiten Erhalt der Rotmilane sind Schutzmaßnahmen in Deutschland unerlässlich.

38 Grünes Konto? Was an einem Girokonto nachhaltig sein kann.

42 Was Frauenfiguren erzählen Ulli Lust widmet sich in ihrem neuen Comic-Essay Frauenrollen in der Menschheitsgeschichte.

48 Reizender Schaum Ein Kosmetik-Inhaltsstoff unter der Lupe: Natriumlaurylsulfat.

52 Was alles geht Biozertifizierung für Gastronomie und Kantinen.

55 Kochen als Akt der Fürsorge Der für seine vegetarische Küche mit einem Stern ausgezeichnete Paul Ivic´ im Gespräch.

60 Kochbuchempfehlungen

64 Rezensionen Warnungen, Empfehlungen.

MARKTPLATZ

46 Marktplatz Kosmetik

50 Marktplatz Food

KOLUMNEN

65 Aus dem Verlag

66 Elternalltag

WO, WENN NICHT HIER?

Der Großteil des weltweiten Rotmilan-Bestands ist in Deutschlandzu finden – eine besondere Verantwortung. Wo lauern die größten Gefahren für den Greifvogel?

WERK IM KONTEXT

GRÜNES KONTO

Was an einem Girokonto nachhaltig sein kann, welche Modelle Banken in Österreich und Deutschland anbieten und welche Regeln sie sich im Umgang mit dem Geld auferlegen.

Ulli Lusts neues Buch erzählt von urgeschichtlichen Gesellschaften anhand von Fundstücken und weiblichen Statuetten – illustrierte Geschichte.

MARKTPLATZ FOOD

Tee, Schokolade, Oxymel, Limonaden oder Kaugummi: Der Variantenreichtum verschiedener Minzen ermöglicht einen breiten Einsatz. Gib Minzen eine Chance!

ALPINE KULTURRAUMGESTALTUNG

BILD: KLAUS MARIA EINWANGER

Im Grunde wissen wir es, vergessen es aber allzu gerne: Die Alm ist eine Kultur-, keine Naturlandschaft. Kitsch und Eventisierung rund um Almauftrieb und -abtrieb verstellen jenen, die nur zu Besuch in die Alpen und auf die Almen kommen, womöglich den Blick auf die harte Arbeit, die damit verbunden ist, Nutztieren den Auslauf und die Nahrung der Almen zu bieten. Denn dann bestimmen Gelände, Witterungen und die Launen der Tiere die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Viehwirtschaft deutlich stärker mit.

So manch Automatisierung und auch Skalierung, die in Betrieben mit weniger Hanglage Einzug genommen haben, sind hier nicht möglich. Die Anzahl an Berglandwirtschaften – laut EU-Richtlinie Höfe, deren Weiden höher als 700 Meter über dem Meer liegen oder die oberhalb von 500 Metern Seehöhe bestimmte Hangneigungen haben – nimmt ab. Nicht alle davon entsprechen der klassischen Vorstellung eines Hofes »in den Bergen« – der Fotograf Klaus Maria Einwanger allerdings hat sich darauf konzentriert und über mehrere Jahre Berglandwirtschaften in Bayern fotografiert und porträtiert. Einwanger zeigt, wie Bewirtschaftung die Kulturräume und Sehnsuchtsorte schafft, mit denen in Österreich und Süddeutschland ideale Viehwirtschaft assoziiert wird.

MARTIN MÜHL

»BERGBAUERN« von Klaus Maria Einwanger, KME, 2024.
»WAS

HABEN TIERE IN BIOBETRIEBEN, DAS ANDERE NICHT UNBEDINGT HABEN?«

INTERVIEW UND BILD HANNA STUMMER

JOSEF

35, Psychotherapeut

Ich denke, sie haben mehr Auslauf und es gibt Unterschiede in der Futterqualität.

CONNY

31, Landschaftsplanerin

Ich schätze, es geht hauptsächlich um das Futtermittel, dass das biologisch angebaut wird.

ANITA

57, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache

Sie haben mehr Platz und die Ausstattung ist anders, ich glaube, die meisten Tiere haben bei Biobetrieben im Stall Stroh oder Auslauf. Generell werden sie mehr ihrer Natur entsprechend gehalten, bei Schweinen sind es dann zum Beispiel weniger Tiere, die sich auch in kleinen Rudeln zusammentun und im Dreck suhlen können.

JENNY

28, Studentin

Ich befürchte, dass der Unterschied gar nicht so groß ist. Die Richtlinien werden vermutlich schon besagen, dass ein Tier in einem Biobetrieb ein bisschen mehr Platz oder Auslauf hat, aber ich glaube letztendlich geht es nicht um enorm viel. Da das Thema auf EU-Ebene geregelt ist, kann ich mir vorstellen, dass den Tieren zum Beispiel nur Biofutter aus der EU gefüttert werden darf.

EMIL

22, Student und Tutor

Mehr Auslauf und Bewegungsfreiheit. Wahrscheinlich bekommen sie auch besseres Futter, das nicht vollkommen in Glukose getränkt ist. Und darüber bin ich mir nicht sicher, aber eventuell gibt es tierfreundlichere Standards wie ein Verbot von Vollspaltenböden.

NORA

44, Heilmasseurin

Primär ist da die Ernährung und die Haltung anders. In Biobetrieben gibt es mehr Platz und Freilauf, außerdem sind manche Haltungsformen verboten, zum Beispiel Vollspaltenböden bei Schweinen. Von den verschiedenen Haltungsform-Stufen, die über das Tierwohl informieren, schätze ich, dass »1« die beste ist. Ich glaube, manche dieser Tierwohl-Siegel gehen dann auch noch über die Biostandards hinaus.

BARNALI

25, Studentin

Ich glaube, dass der größte Unterschied im Futter liegt. Tiere in Biobetrieben fressen natürlicheres Futter, in anderen Höfen können zum Beispiel auch synthetische Stoffe enthalten sein.

KURT

63, in der Versicherungsbranche Tiere werden in Österreich grundsätzlich sehr tierwohlfreundlich gehalten, im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Ungarn und Rumänien. In Biobetrieben haben sie dann wahrscheinlich noch einen größeren Auslauf.

ROMAN

28, Verkäufer in einem Souvenirshop

Da gibt es andere Regularien, es dürfen nicht dieselben Futtermittel verwendet werden. Über Bio hinaus kann es natürlich noch mehr geben, zum Beispiel, dass sich Bäuerinnen und Bauern selbst mehr Gedanken um das Tierwohl machen.

DORIS

52, Bibliothekarin

Sie haben biologisches Futter, mehr Auslauf und auch drinnen mehr Platz.

SEBASTIAN

39, Personenschützer

Artgerechte Haltung im besten Fall. Also dem Tier entsprechende Haltung, was Platz, Lichtverhältnisse, Ernährung oder medizinische Versorgung angeht. In konventionellen Betrieben werden zum Beispiel übermäßig Antibiotika zur Prävention eingesetzt, in Biobetrieben ist das, denke ich, verboten. Was die Platzverhältnisse betrifft würde ich schätzen, dass in einem Biobetrieb mehr als doppelt so viel Platz pro Tier vorgesehen ist, wie der gesetzliche Mindeststandard vorschreibt.

CHIEMGAU.

LANDSCHAFTSPFLEGEURLAUB

Wer im Chiemgauer Achental urlaubt, kann bei der Almerhaltung helfen.

Ohne Schwenden keine Alm: Dabei werden die Almflächen von Büschen, Sträuchern oder jungen Bäumen befreit. Geschieht dieser Schritt nicht, wachsen diese Pflanzen schnell, verdrängen Gras für das Vieh und die Fläche verbuscht in kurzer Zeit. Durch das Schwenden wird also eine effektive Beweidung der Fläche ermöglicht und nicht (mehr) beweidete Flächen bleiben erhalten.

Die Praktik ist für die Pflege der Kulturlandschaft Alm von großer Bedeutung – allerdings zeit- und arbeitsintensiv und kann von LandwirtInnen häufig nicht alleine bewerkstelligt werden. Für das Schwenden werden daher oft Freiwillige gesucht, so auch auf den Almen des bayerischen Achentals: Dort waren die mit Urlaubsgästen durchgeführten Schwendaktionen so erfolgreich, dass die gemeinsamen Kommunalunternehmen Achental Tourismus mit dem Sonderpreis Nachhaltigkeit des bayerischen ADAC-Tourismuspreises ausgezeichnet wurden.

DORTMUND: TROPHÄENJAGD & HUND

Europas größte Jagdmesse erlaubt zuvor untersagte Gatterjagd-Angebote.

In Dortmund fand vom 28. Januar bis 2. Februar die größte Jagdmesse Europas »Jagd & Hund« statt. Geboten wurden Produktvorstellungen, Hundevorführungen und die Möglichkeit, Jagd-InfluencerInnen persönlich zu treffen. Manche dieser Angebote werden von TierschützerInnen scharf kritisiert. Dazu gehören Trophäenjagdreisen, die unter anderem mit Abschüssen bedrohter und geschützter Tierarten werben. Beanstandet wird außerdem, dass in den Teilnahmebedingungen der Messe kein Verbot von Angeboten für Gatterjagden mehr zu finden ist. Diese wurden bei der Messe 2017 nach einer auch vom Deutschen Jagdverband (DJV) begrüßten Resolution der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) gegen eine Züchtung von Löwen für Gatterjagden untersagt. Bei dieser auch innerhalb der JägerInnenschaft umstrittenen Praktik werden Tiere in einem eingezäunten Gebiet gehalten und erlegt – wobei das Gebiet, das als Gatter eingezäunt ist, sehr unterschiedlich groß sein kann.

Bei Achental Tourismus ist man überzeugt, dass die Aktionen Einblicke in die Almwirtschaft für Außenstehende ermöglichen und Verständnis zwischen TouristInnen und Einheimischen fördern. Und vielen BesucherInnen stellt sich offenbar die Frage: Wenn man die Almen schon erklimmt, warum dann nicht gleich auch ein wenig nützlich machen? Auch für das Jahr 2025 kann man sich ab dem Frühjahr zum Schwenden melden, die genauen Termine sind vom Wetter abhängig.

achental.com/schwenden-auf-der-alm

HANNA STUMMER

Nicht nur die Jagdmesse, sondern auch der Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal ist Kritik seitens von Tierschutzorganisationen ausgesetzt. 2023 wurde eine von ihm zur Wahl 2020 versprochene Ethikkommission eingesetzt, sie sollte sich unter anderem mit einer ethischen Beurteilung der Messeangebote beschäftigen. Bisher geschah laut der Tierschutzorganisation Pro Wildlife nichts. Eine im November 2024 gestellte schriftliche Anfrage von 23 Tier- und Naturschutzorganisationen bezüglich des Arbeitsfortschritts der Kommission blieb bislang unbeantwortet. HANNA

prowildlife.de

VÖSENDORF:

WER FÜTTERT JETZT DAS MEERSCHWEIN DURCH?

Österreichs größtes Tierheim beklagt Mängel in der Haustierhaltung – und Folgekosten.

»Wir haben noch nie so viele Tiere betreut wie 2024«, sagt Martin Aschauer von Tierschutz Austria. Insgesamt waren im vergangenen Jahr mehr als 15.000 Tiere kurzfristig in der Obhut des Vereins, davon allein 7000 Schwalben. Diese gerieten infolge des Hochwassers in Not. Neben mehr als 3000 weiteren Wildtieren, die abgegeben oder dem Verein gemeldet wurden, steht eine große Zahl an Haustieren. 1139 Kleintiere wie Kaninchen und Meerschweinchen wurden 2024 aufgenommen. Mehr als 70 Prozent der Haustiere konnte Tierschutz Austria an neue BesitzerInnen vermitteln. Etwa ein Viertel der häufig gechippten und registrierten Haustiere konnte an ihre ursprünglichen BesitzerInnen zurückgegeben werden, sagt Aschauer. Es handelt sich bei diesen Tieren, vor allem Hunde und Katzen, also um AusreißerInnen. Die meisten der restlichen Tiere sind laut dem Verein von den BesitzerInnen ausgesetzt worden. Darunter seien immer öfter kranke Tiere. Aufgrund der Teuerung in allen Bereichen können sich laut Aschauer viele Leute die Tierarztkosten nicht leisten. Eine weitere aktuelle Frage ist die zunehmende Zahl aufgefundener oder abgegebener exotischer Tiere. Die artgerechte Unterbringung von Schlangen oder Affen kostet auch die Tierschutzorganisation viel Geld. Zuletzt seien die Ausgaben des Vereins Tierschutz Austria, der sich aus Spenden und Erbschaften finanziert, stark gestiegen: Durch Kosten für die Betreuung kranker Tiere sowie gestiegene Futter- und Energiepreise, aber auch höhere Kosten für Personal und Öffentlichkeitsarbeit. SIMON LOIDL

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GANZ DEUTSCHLAND:

MOMENTAUFNAHME

Insgesamt weniger Beobachtungen bei der diesjährigen Stunde der Wintervögel.

Beinahe 122.000 VogelbeobachterInnen in Deutschland beteiligten sich vom 10. bis 12. Januar an der »Stunde der Wintervögel«. Dabei zählen Menschen im ganzen Land für eine Stunde alle Vögel, die sie im Garten, Park oder anderen Außenflächen entdecken. Die vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) organisierte Aktion wurde 2025 bereits zum 15. Mal durchgeführt.

Wie im Vorjahr waren die fünf meistgemeldeten Vogelarten Haussperling, Kohlmeise, Blaumeise, Amsel und Feldsperling. Besonders auffällig war dieses Jahr allerdings ein Rückgang an Amselsichtungen – ganze 18 Prozent weniger als 2024. Dafür könnte laut einer Presseaussendung vom Nabu das tödliche Usutu-Virus verantwortlich sein. Im vergangenen Sommer wurde diese Infektion bei vielen kranken und toten Amseln vermutet. Auch Haus- und Feldsperlinge sowie Kohl- und Blaumeisen wurden insgesamt weniger als 2024 beobachtet. »Die geringeren Meldezahlen sind vermutlich den bisher milden Temperaturen geschuldet und bewegen sich im Rahmen der letzten Jahre«, wird Nabu-Mitarbeiter Martin Rümmler in der Aussendung zitiert. Andere Vogelarten hingegen ließen sich deutlich häufiger blicken: Doppelt so viele Kernbeißer und sogar dreimal so viele Bergfinken wie im Vorjahr wurden gemeldet. Beide Arten sind dafür bekannt, in größeren Truppen aufzutreten – teils wurden Ansammlungen von Tausenden Vögeln beobachtet.

Im Frühjahr werden HobbyornithologInnen wieder aufgerufen, drei Tage lang zu zählen, was sie erspähen: Die »Stunde der Gartenvögel« findet vom 9. bis 11. Mai statt. HANNA STUMMER

nabu.de

BAYERN:

EIN VERBUND DER BIOTOPE

Eine Vernetzung von Lebensräumen benötigt kollektive Anstrengung.

Dass einzelne, perfekt gestaltete Lebensräume für den Artenerhalt nicht ausreichen, ist im Naturschutz bekannt. Populationen benötigen die Möglichkeit, sich zwischen Lebensräumen zu vernetzen und auszutauschen. Ist diese gegeben, wird von einem Biotopverbund gesprochen. Wenn kein Weg zur Vernetzung existiert, ist das für die Biodiversität fatal, da Populationen in kleinen, isolierten Lebensräumen genetisch verarmen und das Aussterberisiko hoch ist. Ursachen für verhinderte Biotopvernetzung sind beispielsweise Autobahnen und landwirtschaftliche Flächennutzung. In der bayerischen Stadt Langenzenn wird derzeit ein vom Bayerischen Naturschutzfonds mit 315.000 Euro geförderter Gewässerbiotopverbund entwickelt. Zusammen mit dem Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) sollen dafür Still- und kleinere Fließgewässer sowie die umgebenden Auen geschützt und ökologisch verbessert werden. Der Fokus liegt in dem auf drei Jahre angelegten Projekt dabei auf Flächenerwerb, Öffentlichkeitsarbeit und der Beratung landwirtschaftlicher Betriebe. Um einen Biotopverbund zu etablieren, bedarf es oft der Zusammenarbeit verschiedener AkteurInnen: Informationen und Beratung über die notwendigen Schritte sind häufig bei den Umweltministerien auf Landesebene verfügbar. Zusätzlich gibt es einige Onlineressourcen zum Überblick, etwa eine vom Projekt »Biotopverbund – Landschaft + Menschen verbinden« erstellte »Planungshilfe für Biotopverbundmaßnahmen auf kommunaler Ebene« oder das »Handbuch Biotopverbund Deutschland« des Vereins Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). HANNA STUMMER biotopverbund.de

BERLIN:

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR

DIE KREISLAUFWIRTSCHAFT

Neue deutschlandweite Förderrunde des GreentechInnovationswettbewerbs ist offen.

Eine weitere Förderrunde des Greentech-Innovationswettbewerbs des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz ist gestartet. Seit 2023 unterstützt dieses Programm digitale Technologien für die nachhaltige Transformation der deutschen Wirtschaft.

Unter dem Titel »Digitale Technologien als Hebel für die Kreislaufwirtschaft« werden dieses Mal innovative Projekte gesucht, die Lösungsansätze für Herausforderungen auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft fördern und in die Praxis umsetzen. Dabei sind neben der Abfallwirtschaft auch Ansätze gemeint, die Rohstoffverbrauch reduzieren, Produktlebenszyklen verlängern und geschlossene Stoff- und Informationskreisläufe ermöglichen. Dafür sollen neue Technologien wie etwa KI-Systeme und digitale Zwillinge entwickelt und prototypisch erprobt werden.

Die Förderung richtet sich an Verbundprojekte aus Wirtschaft und Wissenschaft, mithilfe derer ein Transfer von Wissen und Technologie aus der Forschung in die Gesellschaft erleichtert wird. Ein besonderer Fokus wird dabei auf mittelständische Unternehmen und Start-ups gelegt, wobei alle Branchen und digitalen Technologien willkommen sind. Hierfür stehen »vorbehaltlich verfügbarer Haushaltsmittel« bis zu 20 Millionen Euro an Fördermitteln zur Verfügung. Projektskizzen können bis zum 24. März 2025 um 12 Uhr eingereicht werden. Danach erfolgt die Auswahl der Projekte in einem mehrstufigen Verfahren. Der geplante Projektstart ist im Februar 2026.

HANNA STUMMER digitale-technologien.de

Johannes Gutmann, SONNENTOR Gründer

Wer billig

kauft, kauft teuer – aber wer Bio kauft, spart doppelt!

Wie das gehen soll? Das Zauberwort lautet: Kostenwahrheit! Damit ist gemeint, dass auch die Folgekosten der Herstellung eines Produkts, zum Beispiel für unsere Umwelt, mit einberechnet werden. Die bleiben bei vermeintlicher Billigware oft auf der Strecke, denn die Langzeitfolgen etwa von chemisch-synthetischen Pestiziden in der konventionellen Landwirtschaft werden schlicht nicht mitbedacht.

Die günstigere Alternative für unser Ökosystem ist die biologische Landwirtschaft! Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit sind die Antworten für ein enkeltaugliches Morgen.

Deshalb sagen wir gemeinsam mit der Bewegung enkeltaugliches Österreich: Bio-LOGISCH! Der ETÖ setzt sich dafür ein, die Folgekosten für Österreich im Detail zu berechnen und nachhaltige Alternativen aufzuzeigen. Die Gesamtkosten sollen für alle sichtbar gemacht werden.

Ein großes Potenzial sieht der ETÖ in der Vorbildwirkung der öffentlichen Verpflegung. Wenn in den Küchen von Krankenhäusern oder auch Schulen BIO verwendet wird, hat das große Hebelwirkung. Außerdem würde die Verwendung von Biolebensmitteln auf lange Sicht auch die SteuerzahlerInnen vor den versteckten Kosten bewahren.

Wir sind (jetzt schon) überzeugt: Es geht auch anders!

www.etoe.at/kostenwahrheit

EXPERT i NNEN MEINEN ...

1 Frage, 6 Expertisen.

Die Biobranche schlägt sich wacker durch diverse Krisen der vergangenen Jahre – doch der Boom hat einen Dämpfer bekommen, während die Gründe, die für biologische Wirtschaftsweise und Ernährung mit Biolebensmitteln sprechen, nichts an Gültigkeit einbüßen und die Probleme, die durch die weltweit verbreiteten Formen kon-

TEXT UND INTERVIEWS

ventioneller industrieller Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion entstehen, immer riesiger werden. Wir haben uns in der Biobranche dazu umgehört, welche Herausforderungen absehbar die zentralen dieses Jahres sein werden –in Deutschland, in Österreich, in Europa und weltweit – und welche Ideen sie haben, diesen zu begegnen.

Welche Herausforderung beschäftigt die Biobranche 2025 und wie soll dieser begegnet werden?

Matthias Beuger,

Geschäftsleitung nationale Beziehungen, Nachhaltigkeit und Ernährung bei der Assoziation öko logischer Lebensmittelherstellerinnen und -hersteller (AÖL)

»Wir müssen die nächste Generation abholen, die die Mehrwerte von Bio zu schätzen weiss. Diese Generation beschäftigt sich jedoch vielmehr mit Ernährungsstilen, als wir es im Biobereich im vergangenen Jahrzehnt getan haben. Eigentlich schade, wenn man bedenkt, dass vollwertige Ernährung einmal im Zentrum stand.

Wir haben es etwa als Branche verpasst, die Ganzheitlichkeit zu erzählen. Vegan hat’s geschafft, über einen Ernährungsstil anderes mitzukommunizieren. Eigentlich ist eine Transformation unserer Ernährungsgewohnheiten angezeigt. Ganzheitliche Bilder einer gesunden und nachhaltigen Ernährung werden Bio in die Zukunft bringen. Wir müssen also von Bewegungen wie der veganen lernen, wie wir neben einer ökologischen Landwirtschaft auch eine Transformation der Ernährungsgewohnheiten in die Mitte der Gesellschaft bringen. Dafür braucht es Ehrlichkeit im Umgang mit unseren Ressourcen und einfache Botschaften für die komplexen Mehrwerte einer vollwertigen nachhaltigen Ernährung.«

Irina Zelewitz

Uti Johne,

Inhaberin und Geschäftsführerin der PR-Agentur Modem Conclusa, spezialisiert auf Nach haltigkeitskommunikation und die Biobranche.

»Ich habe vor 25 Jahren in der Branche begonnen, mit dem Ziel, dass Bio möglichst viele Menschen erreicht. Das haben wir in gewisser Weise geschafft, auch wenn Luft nach oben ist. Aber dadurch wächst der Druck auf die Hersteller,denn der Wettbewerb mit konventionellen Produkten stellt sie vor große Herausforderungen – sie reichen von Ernteausfällen aufgrund des Klimawandels bis hin zu Fachkräftemangel. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass die positiven Entwicklungen bei den Umsätzen von Biolebensmitteln, die sich Ende letzten Jahres abgezeichnet haben, anhalten werden. Angesichts der politischen Instabilität –auch in Mitteleuropa – halten sich viele mit Investitionen zurück. Die Herausforderung ist auch, dass der steigende Bioumsatz nicht mit einer wachsenden regionalen Produktion einhergeht.

Für den entsprechenden Anschub müssen wir positive Geschichten erzählen, die weniger Verzicht einmahnen, sondern eine Zukunft zeichnen, die Optionen bietet, um Trollen und Social-Media-Algorithmen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Daher empfehlen wir allen unseren Kunden – Haltung zu zeigen, auch bei politischen Fragen. Wir sollten uns daran erinnern, wie klein alles vor 25 Jahren war – vielleicht fällt es dann leichter, auch zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.«

Markus Kaser,

Vorstand Einkauf, Marketing und IT bei Spar Österreich

»Eine der größten Herausforderungen bei Biolebensmitteln ist die Verfügbarkeit der Rohware, zum Beispiel bei Bioeiern. Dies liegt oft an einer teilweise unnötigen Bürokratie, mit der Biobetriebe konfrontiert sind und die viele Produzenten abschreckt. Um diese Herausforderungen zu meistern, setzen wir auf innovative Ansätze wie die Kooperation mit Demeter und enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern, um die Versorgungssicherheit mit Biolebensmitteln zu gewährleisten und gleichzeitig die hohen Standards der biologischen Landwirtschaft zu wahren.«

Julia Zotter,

Nächste Generation bei Zotter Schokolade

Josef Zotter,

Schokofabrikant, Bauernhofromantiker & Andersmacher

»Wenn ich mich 30 Jahre zurückerinnere, da hat das Biobrot nur trocken geschmeckt, das wir in Graz bekommen haben – aber wir haben es trotzdem gegessen, weil wir es cool gefunden haben. Ich war gerade auf einer Süßwarenmesse – da redeten alle über Nachhaltigkeit, aber kaum jemand über Qualität. Wir waren in den Jahrzehnten dazwischen als Branche schon so weit – aber qualitativ gibt es derzeit einen Rückgang. Weil wir übersehen haben, dass bei aller fortschrittlichen Verpackung der Inhalt in den Hintergrund gerät. Man hat wirklich vergessen, wie Bio schmeckt, warum es gesünder ist, dass es weniger industriell verarbeitet wird. Wir haben uns als Branche in Nebensächlichkeiten verloren. Wenn wir uns mit dem Discounter matchen wollen, werden wir Bio nicht weiterentwickeln. Der verkauft nur etwas, das schon gut geht. Wenn ich mir den Gesamtumsatz ansehe von Bio, bringt das Wachstum im Lebensmitteleinzelhandel derzeit wohl eher eine Verschiebung als eine Vergrößerung der Biomärkte. Ich habe aber nun wirklich die Sorge, dass uns international die Biobauern bald abspringen – alle jammern über die Bürokratie.

»Ich hab zwei Blickwinkel – einerseits schaue ich in Richtung Rohstoffher steller, andererseits auf unseren Absatz markt: Bei den Rohstoffen haben wir in der Biobranche wirklich das Problem der gestie genen Umweltbelastungen. Die Biobranche muss sich zusammensetzen und fragen: Welcher Grenzwert wird in Zukunft realistisch sein? Für EndverbraucherInnen klingt das so, als wären Bioprodukte kontaminiert – aber wir sprechen eben von einem Grenzwert Null als Bedingung für die Zertifizierung, und das während die Messungen immer genauer werden und die Umweltverschmutzung größer. Bei konventionellen Rohstoffen dürfen die Belastungen viel höher sein und das sind sie auch – aber das weiß ja kaum wer. Oft ist die Quelle der Umweltverschmutzung die Landwirtschaft selbst – etwa durch Überdüngung. Gleichzeitig treibt der Klimawandel die Schädlingsanfälligkeit in die Höhe und das wiederum den Pestizideinsatz.

Wir haben als Strategie, dass wir zuerst über den Geschmack reden, dann über Bio, dann über fair. Wir müssen die Leute wieder in die Landwirtschaftsbetriebe und zu den Produzenten holen. Letztes Jahr haben 300.000 BesucherInnen unsere Schokoladenproduktion und den »Essbaren Tiergarten mit Öko-Speck-Takel«besichtigt. Unser Beitrag muss lauten: Produkte geil machen, darüber sprechen und das herzeigen, denn das ist wie überall anders auch in der Biobranche die Aufgabe.«

Die Besonderheit von Bioprodukten und ihren Inhaltsstoffen ist die hundertprozentige Rückverfolgbarkeit, die nur Bio garantiert – ich kann mir die Lieferkette jedes Rohstoffs anschauen. Auf diese Form des Storytellings verzichten viele. Es ist gut, dass Bio in der Mitte angekommen ist, damit wir irgendwann die Welt mit Biolebensmitteln ernähren – aber daher besteht auch die Herausforderung darin, zu erzählen, was Bio besonders macht.«

Lia Carlucci,

Geschäftsführerin des Food Campus Berlin

»Politische Instabilität ist international ein großes Thema. In Europa müssen wir leider davon ausgehen, dass der Aufwind für rechte Parteien dazu führt, dass Subventionen verstärkt in die konventionelle Landwirtschaft fließen.

Der Fachkräftemangel trifft auch die Biobranche – doch dem können wir gezielt begegnen: durch Ausbildung, betriebliche Weiterbildung und vor allem klare Kommunikation. Arbeitgeber müssen immer wieder betonen, dass Bio sinnstiftende Arbeit bedeutet – etwas, das über 90 % der ArbeitnehmerInnen wichtig ist.

Die Kaufkraftverluste der letzten Jahre sind auch weiterhin spürbar und setzen die Branche weiter unter Druck. Als Reaktion darauf setzt der deutsche Lebensmitteleinzelhandel zunehmend auf günstige White-Label-Produkte aus dem Ausland – und drückt damit indirekt auch die Standards für Bioqualität.

Und es gibt noch eine weitere Herausforderung: Aufklärung. Bio wird immer noch in der breiten Gesellschaft mit verstaubten Klischees assoziiert. Dabei geht es um nichts anderes als Zukunftssicherung– um eine Landwirtschaft, die unser Überleben sichert und unser Ernährungssystem enkelfähig macht. Diese Geschichte müssen wir erzählen. Noch lauter, klarer und überzeugender.«

Ich kaufe Fleisch ohne dass ich weiß, wo es herkommt, wie es dem Tier ging und ob die Betriebe fair entlohnt wurden, anstatt direkt bei BioBauernhöfen . nahgenuss.at

Bio-Fleisch direkt bei Bauernhöfen kaufen.

KUH-KOMPLEX

Wie die Preise für Milch, Kalbfleisch und Rindfleisch zusammenhängen –und die Milchmärkte in Österreich und Deutschland.

TEXT

Thomas Weber

Es gibt Menschen, die kaufen aus Überzeugung Bioprodukte. Der Preis spielt da nur eine sehr untergeordnete Rolle. Und dann gibt es Menschen, die kaufen mal so, mal so. Die Branche spricht von »WechselkäuferInnen«. Der Preis spielt für sie eine entscheidende Rolle. »Der Butterpreis ist da ein guter Indikator«, sagt Stephan Scholz, »wenn der Abstand der Preise von Biobutter und konventioneller Butter zu groß ist, wird viel weniger Bio gekauft«, weiß der Milchmarktexperte und Berater beim deutschen Bioverband Naturland. StammkäuferInnen gehen bei höheren Biopreisen mit. »WechselkäuferInnen sind das Problem, beziehungsweise immer das Potenzial, das Bio erreichen kann, wenn die Bedingungen passen. Auf die sind wir für Wachstum angewiesen.« Ihr Kaufverhalten löst jene Wellenbewegungen aus – auf Phasen des Schwä-

chelns folgen Phasen des Explodierens –, in denen sich der Markt für Biomilch entwickelt. Seit dem Jahr 2000 hat er sich in Deutschland mehr als verdoppelt. Derzeit werden 1,8 Milliarden Kilogramm Biomilch im Jahr verkauft. Das entspricht 7 Prozent des Marktvolumens bei Milch und Milchprodukten wie Joghurt, Käse oder Butter. Da nur 4,4 Prozent der deutschen Milchhöfe biozertifiziert arbeiten, muss ein Viertel der in Deutschland verkauften Biomilch importiert werden. Größter Milchimporteur ist Österreich mit 250 Millionen Kilogramm Milch (danach folgt Dänemark mit 125 Millionen). Der deutsche und der österreichische Milchmarkt sind deshalb eng miteinander verflochten. Und die Nachfrage aus Deutschland ist mit ein Grund für den hohen Bioanteil in der österreichischen Landwirtschaft. Im Bundesland Salzburg, einer klassischen Milch-

region, werden sogar 57 Prozent der Flächen ökologisch bewirtschaftet (was 48 Prozent der Betriebe entspricht). In Tirol wirtschaftet jeder fünfte Betrieb bio.

»NATURLAND« ALS GÜTESIEGEL – UND EXPORTSTANDARD

»Wir hatten 2024 starke Zuwächse im Biobereich«, sagt Florian Schwap, Prokurist bei Salzburg Milch. Die Molkereigenossenschaft vermarktet sowohl konventionelle Milch, ist aber auch eine der größten Bioanbieterinnen am österreichischen Milchmarkt. Bereits 1400 ihrer insgesamt 2400 bäuerlichen GenossenschafterInnen wirtschaften biozertifiziert (2024: 150 Millionen Kilogramm Biomilch). Am Heimmarkt verzeichnete die eigene Biomarke der Salzburg Milch zuletzt ein Plus von 15 Prozent. Die Exporte in den deutschen Markt –dort gibt es die Salzburger Biomilch mittlerweile bei Rewe, Edeka, Netto, Kaufland und Aldi Süd ebenso wie bei Dennree und Weiling – wuchsen sogar um 16 Prozent. Ein Drittel des Umsatzes der Salzburg Milch kommt aus Deutschland. Bewährt hat sich, dass die Genossenschaft bereits vor einigen Jahren von allen ihren biozertifizierten Mitgliedern verlangt hat, sich den Produktionsrichtlinien von Naturland zu unterwerfen. Davor war der deutsche Bioverband nicht in Österreich aktiv. Doch in Deutschland fungiert sein Logo als Gütesiegel. »Naturland« ist eine gut eingeführte Marke – und mittlerweile oft Grundbedingung, um vom Handel gelistet zu werden. Für österreichische ProduzentInnen, die mit ihrer Bioware auf dem deutschen Markt vertreten sein wollen, hat sich Naturland de facto als Exportstandard etabliert. »Die Umstellung auf Naturland hat uns nicht geschadet«, sagt Florian Schwap, »eher ist sie ein Startvorteil gegenüber anderer Importmilch nach Deutschland«. Prognosen, wie es weitergeht, seien sehr schwierig, sagt Schwap: »Der Kaufkraftverlust ist ein bedrohliches Szenario.« Möglich also, dass zumindest die WechselkäuferInnen bald wieder öfter die Finger von Biomilch lassen. Mittelfristig könnte die Nachfrage aus Deutschland trotzdem steigen. Denn den deutschen Biomilchbauern steht bevor, was die österreichischen KollegInnen bereits hinter sich haben: die Umsetzung strengerer EU-Vorgaben zur Weidepflicht. In Österreich führte ein Verfahren der EU-Kom-

mission vor fünf Jahren dazu, dass viele Milchhöfe die Bioanforderungen nicht mehr erfüllen konnten. 4,3 Prozent der davor in Österreich verfügbaren Biomilch gingen so verloren. In Deutschland steht das nun bevor. »Wir gehen davon aus, dass wir bis Ende 2026 zwischen 3 und 5 Prozent der Biomilch verlieren werden«, vermutet Naturland-Experte Stephan Scholz.

WARUM BIOBETRIEBE DERZEIT

DRAUFZAHLEN

Möglich, dass durch das verknappte Angebot dann die Preise für Biomilch stärker steigen. Ob bis dahin alle Biobetriebe durchhalten, ist allerdings fraglich. Denn derzeit ist der Markt-

»Der Kaufkraftverlust ist ein bedrohliches Szenario. Beim Lebensmitteleinkauf kann man schneller einsparen als bei Strom oder Gas.«

Florian Schwap, Prokurist der Salzburg Milch

preis für Biomilch für die Milchbetriebe vielfach nicht kostendeckend. Wobei es den einen Milchpreis nicht gibt. Dafür ist der Markt viel zu ausdifferenziert. Die Salzburg Milch zahlt ihren Biobetrieben zuletzt zwischen 67,68 und 75,44 Cent pro Kilogramm (je nach Sorte, beispielsweise für Naturland-Biomilch oder die

EU-Bio

Mit der Verordnung (EU) 2018/848, die am 1. 1. 2022 in Kraft trat, wurden die EU-Biostandards überarbeitet – und für Wiederkäuer wie Milchkühe festgelegt, dass das Futter zu 100 % aus biologischer Produktion und zu 60 % vom eigenen Betrieb oder aus der gleichen Region bezogen werden muss. Ab Januar 2024 erhöhte sich dieser Anteil auf 70 %.

Eine weitere Veränderung erfolgte in der Auslegung der sogenannten »Weidepflicht«. Die davor in Österreich zulässigen Ausnahmen (z. B. bei fehlenden Wiesen in Hofnähe) sind nicht mehr möglich. In der Vegetationszeit (April–Oktober) gibt es einen verpflichtenden Weidezugang (wobei mindestens 50% der vorgeschriebenen Mindestaußenfläche für Biotiere unüberdacht sein müssen). Auch deutschen Biobetrieben steht nun eine strengere Auslegung bevor.

Bioheumilch, wie sie für die Herstellung von Bergkäse benötigt wird). Zum Vergleich: Für konventionelle gentechnikfreie Milch werden 57 Cent pro Kilo bezahlt. Da konventionelle Milch deutlich günstiger produziert werden kann, arbeiten konventionelle Milchbetriebe derzeit profitabel. Biomilchbetriebe zahlen drauf. Auch wenn die Nachfrage nach Biomilch derzeit (nach einem Überangebot 2023) wieder steigt, stellt sich das noch nicht im Milchpreis dar. Der Handel möchte seine Biomarktanteile halten und will die Preise für KonsumentInnen nicht erhöhen, aus Furcht, damit die WechselkäuferInnen zu verlieren. Naturland forderte deshalb einen höheren Milchpreis und warnte in seinem Mitgliedermagazin: »70 Cent, sonst gehen auf den Höfen die Lichter aus!«. Stephan Scholz fordert den Handel auf, »die Preiskalkulation so anzupassen, dass vor allem die Erzeugerbasis wieder gestärkt wird und mittelfristig auch wieder Betriebe in die Umstellung gehen.« Dabei sollten nicht zwingend die Preise im Kühlregal steigen, »zumindest nicht so stark, dass die Nachfrage wieder zurückgeht«. Das würde wohl auch bedeuten, dass die Handelsunternehmen auf einen Teil ihrer Marge verzichten. Solange sich mit konventioneller Milch verdienen lässt, man mit Biomilch draufzahlt – wie derzeit vielfach der Fall –, wird kein Milchbauer, keine Milchbäuerin ernsthaft überlegen, sich die strengeren Bioauf-

lagen anzutun. »Derzeit stellt kein einziger Betrieb um«, berichtet Stephan Scholz.

VOLATILE PREISE UND IHRE WIRKUNG

Immer dann, wenn der Preis für konventionelle Milch deutlich sinkt, ist das ein Anreiz für Betriebe, weniger produktive Kühe und Kälber früher zu verkaufen, um die Disbalance zwischen Haltungskosten und Einnahmen kurzfristig auszugleichen: Etwa, indem der Kuhbestand reduziert wird und Kühe an die Schlachtung, Kälber an Mastbetriebe verkauft – dadurch sinken relativ schnell auch die Kalbund Rindfleischpreise.

Die Investitionen, die Biobetriebe in ihre Arbeitsweise stecken, sorgen dafür, dass sie weniger schnell auf Marktveränderungen reagieren können und auch müssen.

Gerade für Biomilch, teilweise auch für Biofleisch gibt es oft längerfristige Liefer- und Abnahmeverträge mit dem Handel. Darin enthaltene Preisgarantien ermöglichen den Höfen einen vergleichsweise längeren Planungshorizont und sorgen für stabilere, aber auch trägere Preisveränderungen (in beide Richtungen). Der Markt für Rinderfleisch und der Milchmarkt sind also auch in der Biolandwirtschaft voneinander entkoppelt. Dass beide auch weniger volatil sind, gibt Sicherheit –den ProduzentInnen und dem Handel ebenso wie nicht zuletzt den EndverbraucherInnen, deren Bereitschaft, höhere Preise für bessere Produktionsbedingungen zu zahlen, nicht nur durch bessere Produkte »belohnt« wird – sondern auch durch ein konstanteres Angebot zu einem konstanteren Preis.

Eine Umstellung eines Viehbetriebs auf Biostandards geht übrigens auch nicht von heute auf morgen. Auf dem Papier dauert diese zwei Jahre; in der Praxis aber mitunter länger, weil sie beispielsweise Stallumbauten erfordert.

WARUM IST BIO(MILCH) TEURER?

Dass Bio teurer ist – nicht nur bei Milch und Molkereiprodukten –, ist gewissermaßen ein Naturge -

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setz der Ökolandwirtschaft. Denn Biobetriebe unterwerfen sich einer gesetzlich geregelten und regelmäßig kontrollierten Selbstbeschränkung. Sie verzichten bewusst auf Praktiken, die in der konventionellen Landwirtschaft erlaubt

»Wenn im Wettbewerb jemand anderer die Hosen runterlässt, musst du auch reagieren und preispolitische Maßnahmen setzen, damit die Kundschaft nicht zur Konkurrenz wandert.«
Andreas Steidl, Geschäftsführer von Ja! Natürlich

sind – etwa den Einsatz von chemisch-synthetischen Spritzmitteln und Düngern, von viel Kraftfutter oder von präventiv verabreichten Medikamenten in der Tierhaltung. Dadurch sind die Erträge in der Biolandwirtschaft geringer. Damit Biohöfe wirtschaftlich arbeiten können, sind höhere Preise nötig.

PREISPOLITIK IM MILCHREGAL

Im Handel steht der Milchpreis jedenfalls unter ständiger Beobachtung. »Preislich schaut jeder auf den anderen«, bekennt Andreas Steidl, der Geschäftsführer von Ja! Natürlich, der Biomarke vom Handelsunternehmen Rewe Österreich. »Im Wettbewerb wird permanent reagiert, wenn jemand anderer die Hosen runterlässt, musst du – zumindest in Teilbereichen – auch reagieren und preispolitische Maßnahmen setzen, damit die Kundschaft nicht zur Konkurrenz wandert.« Absatzrückgang verzeichnet Rewe Österreich bei Biomilch keinen. 2024 verkaufte Ja! Natürlich 16,5 Millionen Liter Trinkmilch in Bioquali-

tät. »Da wir unsere Bioschiene forcieren, können wir die Mengen gut halten, während sich die konventionelle Milch insgesamt ein wenig hin zu Pflanzendrinks verschiebt«, sagt Steidl. Die Nachfrage nach Käse steige ganz klar. Stolz ist Steidl darauf, dass der Absatz von Fruchtjoghurts stabil bleibe. Er wisse, dass sich der Mitbewerb da schwerer tue, »weil bei jüngeren Leuten pflanzliche Alternativen an Bedeutung gewonnen haben; nicht dramatisch, aber merkbar«.

PLUS IM GROSSHANDEL UND AUSSER HAUS

Das Plus, über das sich die Salzburg Milch 2024 am österreichischen Markt freuen durfte, kam nicht aus klassischen Supermärkten. »Gewachsen ist der Biomilchabsatz in Österreich vor allem im Großhandel«, sagt Prokurist Florian Schwap. »Auch die gute Auslastung im Tourismus haben wir positiv gespürt.« Über den Großhandel versorgen sich einerseits Gastronomie und Hotellerie, nicht zuletzt aber auch Kantinen von Krankenhäusern, Kindergärten und Schulen. Die gesamte Biobranche setzt ihre Wachstumshoffnungen seit einiger Zeit stark auf die Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen. Immerhin verfolgt die Politik in Österreich wie in Deutschland das Ziel, die Bioquoten zu erhöhen. Deutschland möchte bis 2030 ein knappes Drittel (30 %) seiner landwirtschaftlichen Flächen ökologisch bewirtschaftet wissen. Deshalb soll unter anderem der Absatz von Biolebensmitteln in der Außer-Haus-Verpflegung gefördert werden. In Österreich wurde sogar ein Nationaler Aktionsplan formuliert, um in öffentlichen Kantinen und Küchen im Einflussbereich des Bundes bis 2030 auf einen Bioanteil von mindestens 55 Prozent zu kommen. Das Teilziel 25 Prozent bis 2023 wurde klar verfehlt. Doch der Verband Bio Austria und besonders der Verein Enkeltaugliches Österreich machen beharrlich Lobbying und Druck, dass die Selbstverpflichtung auch eingehalten wird. Zuletzt wurde eingefordert, dass ein bereits im Frühjahr 2024 erteilter Großauftrag über den öffentlichen Einkauf von Biomilchprodukten auch wirklich umgesetzt wird. Davon, dass eine Nachfrage nach Biomilch und Milchprodukten im Wert von 20 Millionen Euro auch Auswirkungen auf den Preis hat, ist auszugehen.

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BEEF UM PREISE (UND PRESTIGE)

Warum Rindfleisch in Bioqualität – trotz steigender Nachfrage –immer knapper wird.

TEXT

Rindfleisch in Bioqualität ist – zumindest in Österreich – gefragt und teuer wie nie zuvor. Trotzdem lassen mehr und mehr Betriebe die Mast von Biorindern ganz bleiben; weshalb immer weniger Biofleisch verfügbar ist. »Vor einigen Jahren haben wir 9000 Jungrinder im Jahr verwertet«, sagt Andreas Steidl. »Diese Zahl würden wir auch jetzt locker brauchen. Am Markt bekamen wir zuletzt aber nur 8000 Tiere. Deshalb konnten wir das Potenzial für den Rindfleischverkauf 2024 nicht ausschöpfen«, so der Geschäftsführer von Ja! Natürlich, der Bioeigenmarke von Rewe Österreich. Diese Entwicklung klingt aufs Erste widersinnig: hohe Nachfrage, gute Preise, sinkendes Angebot. Ihren Hintergrund hat sie im landwirtschaftlichen Strukturwandel – die Betriebe werden weniger, die verbleibenden Bauernhöfe immer größer – und in der zunehmenden Spezialisierung der Höfe. Die Biolandwirtschaft ist da keine Ausnahme.

WOHER KOMMT BIORINDFLEISCH?

Wenige wissen beim Kauf von Biorindfleisch,

woher es wirklich stammt. Zum größten Teil hat es seinen Ursprung in der sogenannten Mutterkuhhaltung. In der Mutterkuhhaltung werden Kühe von Fleischrinderrassen gemeinsam mit ihren Kälbern gehalten. Oft passiert das sehr extensiv, auf weitläufigen Flächen und vielfach im Nebenerwerb. Da verhältnismäßig wenig Arbeit anfällt, kann der Bauer oder die Bäuerin im Haupterwerb einem anderen Beruf nachgehen. Geschlachtet wird entweder bereits das Kalb (höchstens sechs Monate), das Jungrind (maximal zwölf Monate alt) oder die Tiere wandern irgendwann mit Gleichaltrigen in die Weidemast. Je nach Rasse und Futter dauert sie zwischen 24 oder sogar 36 Monate. Vor allem die Mutterkuhhaltung produziert besonders günstig hochwertiges Rindfleisch. Deswegen ist es – auch beim Handel – sehr beliebt. Trotzdem sinkt die Zahl der Mutterkuhbetriebe. Weil kleine Nebenerwerbsbetriebe keine Nachfolge finden, die Kindergeneration keine Perspektive in der Landwirtschaft sieht; aber auch weil die höheren Kosten für Diesel und andere Betriebsmittel oft die Einnahmen aus

Thomas Weber

dem Verkauf von Vieh übersteigen. Der restliche Teil des Rindfleischs kommt aus der Milchwirtschaft. Damit Kühe Milch geben, bekommen sie jährlich ein Kalb. Vor allem die männlichen Kälber (50 % des Nachwuchses) werden aussortiert. Für die Mast sind sie nicht besonders attraktiv, handelt es sich doch um Rassen, die auf hohe Milchleistung gezüchtet wurden und nicht auf schnelles Muskelwachstum.

MILCHKÜHE UND DIE VERGESSENEN MÄNNLICHEN KÄLBER

Damit die Milch der Kühe schnell wieder verkauft werden kann, werden Kuh und Kalb meist kurz nach der Geburt getrennt. Oft werden die Kälber bereits wenige Tage später verkauft oder sogar exportiert. Im Regelfall macht hier aber auch Bio keine Ausnahme, weder in Österreich noch in Deutschland. Auch die Kälber der Biomilchkühe landen zumeist nicht auf einem Biomastbetrieb, sondern in der konventionellen Mast; sie scheiden also systematisch aus dem »System Bio« aus.

Geschlachtet wird entweder bereits das Kalb (höchstens sechs Monate), das Jungrind (maximal zwölf Monate ) oder die Tiere wandern mit Gleichaltrigen in die Weidemast.

Haben die Tiere den Betrieb verlassen, werden sie – auf Biohöfen wäre das untersagt – mit Milchpulver aufgepäppelt. Dieses Ausscheiden der Biokälber ist seit Jahrzehnten gelebte Praxis. Absurderweise wurde diese durch größere, immer spezialisiertere (Bio-)Milchbetriebe verstärkt. Um die Investitionen in Stallungen wieder hereinzubekommen, brauchen sie mehr Kühe, um die teuren Melkanlagen auszulasten. Da bleibt wenig Zeit, um sich um Kälber zu kümmern. Auch auf Biobetrieben will man ihnen möglichst wenig Aufmerksamkeit und Pflege widmen. Je eher die Kälber also vom Hof sind, desto besser.

Ein weiterer Grund, warum die als Biokälber geborenen Tiere zumeist als herkömmliche Maststiere heranwachsen und geschlachtet werden: »Die Biomilchbetriebe wollen sich nicht mit der Kastration männlicher Kälber beschäftigen, weil sie aufwendig ist und nicht ins Betriebskonzept passt«, weiß Reinhold Schwingenschlögl, der für die Biovermarktung Zwettl im großen Stil Rinder an die Lebensmittelketten vermittelt und im Nebenerwerb selbst eine Mutterkuhherde hält. Kastrierte Tiere wären aber eine Voraussetzung für die Biomast. Denn während Stiere in der konventionellen Mast Kopf an Kopf, Kette an Kette auf Vollspaltenboden gefüttert werden dürfen, braucht die Biomast Ochsen. Andernfalls können die geschlechtsreifen Tiere nicht in Gruppen und gemeinsam mit weiblichen Tieren weiden. »Das wird sich ändern müssen. Die Mast von Kälbern aus der Milchwirtschaft wird an Bedeutung gewinnen müssen«, sagt Reinhold Schwingenschlögl, »sonst bleibt es bei der derzeitigen Unterversorgung und wir werden immer weniger Biorindfleisch verfügbar haben«.

»Die Mast von Kälbern aus der Biomilchwirtschaft wird an Bedeutung gewinnen müssen, sonst gibt es immer weniger Rindfleisch in Bioqualität«

Reinhold Schwingenschlögl, Biovermarktung Zwettl

MILCHKÜHE PRODUZIEREN AUCH FLEISCH

Dass alle Biokälber auch ihr restliches Leben auf einem Biohof verbringen, ist derzeit allerdings utopisch. Dazu müssten die BiokäuferInnen um ein Vielfaches mehr Rindfleisch essen. »Wir müssten das Volumen für Biorindfleisch am Markt verdreifachen, damit wir alle Biokälber, die in Deutschland geboren werden, am Markt für Biofleisch unterbringen«, sagt Stephan Scholz von Naturland. In Österreich müsste sogar noch mehr Biorind gegessen werden. Denn während Deutschland seinen

Bedarf an Biomilch nur zu 75 Prozent stillen kann, exportiert Österreich mit einem Selbstversorgungsgrad von weit über 100 Prozent im großen Stil Biomilch nach Deutschland. Schnell wird es keinesfalls zu Änderungen kommen. »Rinderproduktion verändert sich nicht ruckzuck«, sagt Andreas Steidl von Ja! Natürlich, »Zyklen brauchen Zeit«. Das bestätigt auch Rindervermarkter Schwingenschlögl, der sich als Nebenerwerbslandwirt in einer, wie er sagt, »blöden Situation« befindet. Einerseits sucht er händeringend nach verfügbarem Fleisch, um die Nachfrage des Handels erfüllen zu können, andererseits hat er selbst sich gerade entschieden, seine 16 Mutterkühe zu verkaufen und mit der Viehhaltung aufzuhören. Das habe nicht nur finanzielle, sondern – »stellvertretend für viele« – auch emotionale Gründe. Einerseits habe er im Nebenerwerb seit Jahren das Gefühl, die Arbeit nicht ordentlich verrichten zu können, mit der Arbeit, mit Investitionen und allem hinten nach zu sein. Der Kilopreis und ein paar Euro mehr pro schlachtreifem Rind sei da insgesamt we-

Wenige wissen beim Kauf von Biorindfleisch, woher ihr Fleisch wirklich kommt.

PREISENTWICKLUNG RINDFLEISCH IN ÖSTERREICH UND DEUTSCHLAND

In den gesättigten Märkten Westeuropas ist der Konsum von Rindfleisch leicht rückläufig. Weltweit ist Rindfleisch aber gefragter denn je, vor allem in den Schwellenländern, weshalb die Exportquote steigt, der Markt volatiler wird.

In Österreich sanken 2024 die Schlachtzahlen für Rinder (-2,3 %), weshalb die Kilopreise stiegen. Den einen Preis für Rindfleisch gibt es nicht. Allein in Österreich gibt es 140 unterschiedliche Qualitätsprogramme mit teils sehr unterschiedlichen Kilopreisen; teilweise variieren Preise auch regional. In Deutschland sank zuletzt die Zahl der geschlachteten Kälber, während mehr Bullen und Kühe geschlachtet wurden. Trotzdem stiegen auch in Deutschland die Preise signifikant. Rindfleisch ist das teuerste Fleisch. Inflation und steigende Arbeitslosigkeit könnten einen Konsumrückgang bringen. »Wenn beim Fleisch gespart wird, dann passiert das erfahrungsgemäß beim Rind«, weiß der Präsident der Europäischen Vieh- und Fleischhandelsunion (UECBV) Roland Ackermann, »dann greifen die Menschen verstärkt zu günstigem Geflügel und Schwein«.

niger entscheidend als die längerfristige Perspektive, die gerade kleine, im Nebenerwerb arbeitende Betriebe insgesamt in der Landwirtschaft sehen. Andererseits seien nämlich nicht nur die Kosten gestiegen, sagt Schwingenschlögl. Auch das Prestige in seinem kleinen Heimatort im nördlichen Niederösterreich habe sich geändert. »Früher waren wir im Ort 13 Höfe mit Rindern. Jetzt sind wir nur

noch drei. Während wir am Wochenende mit dem Traktor Heu machen fahren, lachen uns die, die keine Tiere mehr haben, aus dem Liegestuhl entgegen.« Heuer im Sommer gehört Schwingenschlögl selbst zur »Liegestuhlfraktion«. In seinem Brotberuf als Rindfleischvermarkter wird er trotzdem hart daran arbeiten müssen, den Verlust irgendwie auszugleichen. Nur künftig halt werktags, nine to five.

Oft hat Fleisch seinen Ursprung in der Mutterkuhhaltung.

»Wir müssten das Volumen für Biorindfleisch am Markt verdreifachen, damit wir alle Biokälber, die in Deutschland geboren werden, am Markt für Biofleisch unterbringen.«

Stephan Scholz, Berater bei Naturland e. V.

AUCH BEI FROST IM FREIEN

Im Stall oder auf der Weide? So verbringen Biotiere die kalte Jahreszeit.

Saftige Almen und sonnenüberflutete Wiesen, auf denen Kühe friedlich grasen. Fröhlich über Kräuter und Wildblumen springende Ziegen. So sieht das typische landwirtschaftliche Tier in Produktmarketing und Tourismuswerbung aus. Viele Nutztiere würden ihrer Biologie entsprechend auch die Zeit zwischen November und März im Freien verbringen – manche dauernd, andere zeitweise. Der Aufenthalt im Freien entspricht den natürlichen Bedürfnissen vieler Tiere. Niedrige Temperaturen und weniger vorhandene Nah-

rung auf den Weiden stellen Herausforderungen für die Organisation der Nutztierhaltung dar – aber grundsätzlich nicht mehr, als im Sommer Auslauf und Schutz vor Wetter und Witterung zu bieten. In der industriellen, konventionellen Stallhaltung gibt es für die meisten Nutztiere kaum Jahreszeiten. Auch in der Biohaltung ist die ganzjährige Möglichkeit für die Tiere zum Aufenthalt im Freien noch eher die Ausnahme – was natürlichem, artgerechtem Verhalten am nächsten kommt, ist von Art zu Art unterschiedlich.

RINDER

Brauchen Kühe im Winter einen Stall? Nicht unbedingt. Prinzipiell können alle Rinderrassen ganzjährig draußen sein – vorausgesetzt, dass die Tiere früh genug an niedrigere Temperaturen gewöhnt werden und Zeit haben, eine Fettschicht und Winterfell zu entwickeln. Außerdem müssen die Tiere genügend zu fressen haben. Reichen die auf den winterlichen Weiden für die Tiere auffindbaren Gräser nicht aus, dann muss zugefüttert werden. Solange aber ausreichend Futter zur Verfügung steht, fühlen sich Rinder bei trockener Kälte wohl –jedenfalls ist diese für die Tiere verträglicher als extreme Hitze im Sommer. Lediglich nasskaltes Wetter macht ihnen zu schaffen. Zum Schutz gegen dieses brauchen sie trockene, witterungsgeschützte Liegemöglichkeiten auch im Freien.

Wie viel Zeit Kühe im Freien verbringen, hängt von der Art der Haltung ab. Ganzjährig angebundene Haltung ist aber auch in der konventionellen Haltung europaweit rückläufig und in manchen Staaten verboten. So inzwischen auch in Österreich – allerdings läuft noch eine Übergangsfrist für Ausnahmefälle, die etwa auch in »baulichen Gegebenheiten am Betrieb« begründet sein können. Ab 2030 allerdings müssen sich alle Rinder – unabhängig vom Tierhaltungsstandard – an mindestens 90 Tagen im Jahr frei bewegen können. Auch in Schweden oder der Schweiz ist die durchgehende Anbindehaltung verboten. In Deutschland ist diese Form der Rinderhaltung noch erlaubt, wird aber seltener. Zwischen 2010 und 2020 sank die Zahl der Rinder in Anbindeställen von drei Millionen auf etwas mehr als eine Million – was etwa zehn Prozent des gesamten Rinderbestandes entsprach. Ein Gesetzesentwurf der mittlerweile aufgelösten »Ampelkoalition« sah ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung noch in diesem Jahr vor. In Frankreich, dem Land mit dem größten Rinderbestand innerhalb der EU, ist immer noch etwa ein Drittel

der Tiere permanent angebunden. In Italien ist die Situation ähnlich.

Für die Biohaltung gelten EU-weit verbindliche Vorschriften: Von April bis einschließlich Oktober müssen die Tiere Zugang zu einer Weide haben. Davon können nur dann Ausnahmen gemacht werden, wenn die Witterungsbedingungen, der Zustand des Bodens oder etwa eine Erkrankung eines Tieres eine Weidehaltung unmöglich macht. Aber auch für die Zeit von November bis März gibt es klare Regelungen für unterschiedliche Haltungsarten. Eine durchgehende Haltung im Laufstall in den kalten Monaten ist nur dann zulässig, wenn im Gegenzug zwischen April und Oktober das sogenannte »Maximum an Weide« garantiert ist. Das heißt, dass von Frühling bis Herbst nicht nur ausreichend Bewegung, sondern auch genügend Futter auf der Weide zur Verfügung stehen muss und die Tiere also die gesamte warme Jahreszeit draußen verbringen können. Die optimale Variante ist die »ganzjährige Weidehaltung«. Diese ist dann gegeben, wenn die Tiere das ganze Jahr hindurch im Freien gehalten werden. Für die Wintermonate muss aber auch bei dieser Haltung ein trockener und windgeschützter Witterungsschutz vorhanden sein.

Schottisches

Hochlandrind

Alle europäischen Rinderrassen kommen gut mit niedrigen Temperaturen zurecht. Die in dieser Hinsicht robusteste Rasse ist das Schottische Hochlandrind. Für dieses sind auch mehr als minus 20 Grad kein Problem. Das dichte Fell dieser Tiere führt allerdings dazu, dass sie sich bei hohen Temperaturen nicht wohlfühlen.

Für Biobetriebe ist ein Auslauf verpflichtend, der ständig begehbar ist. Allerdings muss der Auslauf nicht zwingend auf einer Weide erfolgen.

SCHWEINE

Schweine sind keine Weidetiere im klassischen Sinn. Die Freilandhaltung von Schweinen ist in Österreich und Deutschland zudem immer noch wenig verbreitet – die ganzjährige Freilandhaltung dementsprechend noch seltener. Dabei würden sich auch Schweine zu allen Jahreszeiten draußen am wohlsten fühlen, solange sie einen Unterstand mit Stroh haben, in dem sich die Tiere aneinandergekauert teilweise eingraben können. Alle in Mitteleuropa gängigen Schweinerassen –und nicht etwa nur die felligen Wollschweine – halten Minusgrade gut aus. Die wilden Vorfahren des Hausschweins, die Wildschweine, bekommen durch die milder werdenden Winter mittlerweile sogar ganzjährig Nachwuchs – ein Indiz dafür, dass mitteleuropäische Kälte kaum ein Thema für Schweine ist. Für Biobetriebe ist ein Auslauf verpflichtend, der ständig begehbar ist. Allerdings muss

der Auslauf nicht zwingend auf einer Weide erfolgen. Hinzu kommt, dass bei einer Weidehaltung zwei Flächen vorhanden sein müssen. Eine Übernutzung von Weiden durch Schweine kann dazu führen, dass sich Keime und Parasiten ausbreiten. Eine ausreichend große Fläche – bzw. zwei Flächen – ist also unabdingbar, damit sich der Boden erholen kann. Schweine brauchen außerdem Suhlstellen, um sich im Freien wohlzufühlen. Eine spezielle Schwierigkeit bei der Freilandhaltung von Schweinen ist die Gefahr einer Übertragung von Schweinepest oder Maul- und Klauenseuche durch Wildschweine. Doppelte Zäune mit Untergrabungsschutz helfen dabei, dies zu verhindern, sind aber in der Errichtung teuer. Freilandhaltung von Schweinen ist in Österreich und Deutschland wenig verbreitet, dabei sind die Tiere gut dafür geeignet. Für unbehaarte Hausschweine ist allerdings die Sonne ein Problem im Sommer, sie kriegen schnell Sonnenbrand, wenn sie keinen Schatten haben.

(K)ein Winterkleid

Wollschafe entstanden erst durch Domestizierung. Der vom Menschen seit Jahrtausenden weiterverarbeitete Rohstoff Wolle ist ein Produkt gezielter Züchtung.

Die Schur von Wollschafen ist unbedingt notwendig –für ungeschorene Schafe sind hohe Temperaturen und das zunehmende Gewicht des Fells unerträglich.

zen bringen könnte. Für Schafe gilt dasselbe, was für viele Tiere gilt: Draußen zu sein entspricht zu jeder Jahreszeit ihren natürlichen Bedürfnissen.

SCHAFE

Die Regelungen für die Freilandhaltung von Schafen sind jenen für Rinder sehr ähnlich. Die Anbindehaltung bei Kleinwiederkäuern, also bei Schafen und Ziegen, ist in Deutschland und Österreich unabhängig von der Art der Haltung verboten. Ausnahmen sind nur für Einzeltiere zeitlich begrenzt möglich, etwa wenn ein Tier krank ist. In der Biohaltung gilt auch bei Schafen, dass die Tiere in der warmen Jahreszeit von April bis Oktober Zugang zu Weideflächen haben müssen. Aber auch danach sind Schafe gerne im Freien. Jene mit wolligem Fell sind für tiefe Temperaturen besonders gut ausgestattet. Hängt Schnee im Fell von Schafen, dann ist dies kein Alarmzeichen, sondern sichtbarer Beweis für eine funktionierende Wärmeregulierung: Fettschicht, Blutgefäße und Fell ergeben zusammen einen so guten Schutz, dass kaum Körperwärme der Tiere nach außen dringt und den auf dem Fell haftenden Schnee zum Schmel-

ZIEGEN

Das gilt auch für Ziegen. Auch diese Tiere halten sich das ganze Jahr über am liebsten außerhalb des Stalls auf. Eine simple Weide ist für Ziegen allerdings nur die Minimalausstattung. Für diese Tiere sollten Auslaufmöglichkeiten außerdem auch attraktiv gestaltet werden und etwa Möglichkeiten zum Klettern bieten – auf Steinen, Felsen und Hängen fühlen sich die Tiere erst richtig wohl. Und wie bei allen Tieren gilt, dass auch für Ziegen Schutzmöglichkeiten für regnerisches und windiges, aber auch für heißes Wetter vorhanden sein sollten. Vor allem Nässe vertragen Ziegen nicht besonders gut, und auch gegenüber Kälte sind sie empfindlicher als Schafe. Ein trockener Unterstand ist für diese Tiere in der kalten Jahreszeit also besonders wichtig.

Ziegen sind übrigens jene vierbeinigen Nutztiere, die in Österreich und Deutschland am häufigsten nach Bio-Kriterien gehalten werden. Mehr als 50 Prozent sind es in Österreich, in Deutschland liegt der Anteil bei knapp über 30 Prozent. Am anderen Ende dieser Skala rangieren die Schweine, bei denen der Anteil der biozertifizierten Tiere in beiden Ländern immer noch einstellig ist.

Während in der konventionellen

Boden- bzw. Freilandhaltung neun Tiere pro Quadratmeter Stall erlaubt sind, dürfen es in der Biohaltung maximal sechs beziehungsweise bei vorhandenem Außenscharr-Raum sieben Tiere sein.

HÜHNER & ENTEN

Auch Geflügel kann ganzjährig im Freien gehalten werden. Für Enten ist der Winter ohnehin kaum ein Problem. Die meisten Rassen sind für niedrige Temperaturen mit Fett und Federn ausgestattet. Manche Entenarten verweigern zudem selbst bei Schnee und Minusgraden den Stall und übernachten das ganze Jahr über im Freien. Bei Hühnern ist die Lage etwas komplizierter. Zwar können auch diese prinzipiell gut mit niedrigen Temperaturen umgehen, doch benötigen sie weit mehr Komfort als Enten. Ein gut ausgestatteter und ausreichend großer Stall mit Sitzstangen ist aber ohnehin eine der Voraussetzungen für die artgerechte Haltung von Hühnern. Die Richtlinien für Biohaltung sind bei Hühnern etwas weniger komplex als bei anderen Tieren. Die grundlegenden Parameter

sind aber auch bei diesen Tieren die Größe der Flächen von Stall und Auslauf sowie der ausschließliche Einsatz von Biofutter und ein sehr eingeschränkter Einsatz von Medikamenten. Während in der konventionellen Boden- bzw. Freilandhaltung neun Tiere pro Quadratmeter Stall erlaubt sind, dürfen es in der Biohaltung maximal sechs beziehungsweise bei vorhandenem Außenscharr-Raum sieben Tiere sein. Der vorbeugende Einsatz von Medikamenten ist mit einer Biozertifizierung nicht vereinbar. Auslaufmöglichkeiten sind natürlich ebenfalls verpflichtend – mindestens zehn Quadratmeter pro Henne müssen es sein.

Stirbt der Winter aus?

Die globale Klimaerwärmung macht sich nicht nur durch Hitzesommer bemerkbar. In den letzten 35 Jahren stieg die im Winter gemessene Durchschnittstemperatur in Deutschland deutlich an.

Zwölf der 13 Winter mit den höchsten Mitteltemperaturen seit 1761 fielen in diesen Zeitraum. Die wärmsten Winter wurden 2006/07 und 2019/20 registriert.

HONIGBIENEN

Im Sommer ist die Honigbiene überall an zutreffen – auf Weiden, Blühstreifen und im Gast garten –, aber was macht das staatenbildende Insekt im Winter? Bereits bei Temperaturen unter zwölf Grad Celsius ist die Flugfähigkeit von Bienen stark eingeschränkt, ab acht Grad können sie sich kaum mehr bewegen. Doch die Tiere haben eine komplexe Überwinterungsstrategie entwickelt. Es gibt Sommer- und Winterbienen. Während die im Frühjahr schlüpfenden Sommerbienen vorwiegend für die Honigproduktion zuständig sind, ist es Aufgabe der im Herbst schlüpfenden Winterbienen, das Volk über die kalte Jahreszeit zu bringen. Die Bienen bilden bei niedrigen Temperaturen in ihrem Stock eine Traube. In deren Mitte sitzt –gut geschützt vor der Kälte – die Königin. Die Bienen sind ständig in Bewegung und erzeugen durch Muskelkontraktion Wärme. Die außen in der Bienentraube hängenden Tiere werden immer wieder von weiter innen sitzenden Bienen abgelöst. Ins Freie fliegen die Tiere nur bei höheren Temperaturen zum Entleeren der Kotblase. Die unterstützende Aufgabe des Imkers ist es, dafür zu sorgen, dass nach der Honigernte genug Nahrung vorhanden ist, mit der die Bienen gut über den Winter kommen. Dabei ist das Bienenvolk im Winter sehr klein, die Königin beginnt aber teilweise bereits ab Januar/Februar wieder Eier zu legen: anfangs wenige, damit, wenn plötzlich alles blüht (Weiden, Obstbäume etc.), genügend Bienen da sind, die sammeln können. Das Prinzip dahinter lautet: Viele Bienen sammeln in der Vegetations- und Blühzeit Nektar, Pollen, Honig, mit dem dann wenige Bienen über ei-

nen harten Winter kommen können. Es ist von Natur aus normal, dass jeden Winter bis zur Hälfte eines jeden Bienenvolkes stirbt. Ein gesundes Bienenvolk teilt sich dann zwischen April und Juni (»Schwärmen«), und dann sind wieder doppelt so viele Völker vorhanden.

KEINE SORGE!

Immer wieder sind SpaziergängerInnen alarmiert, wenn sie bei eisigen Temperaturen Tiere auf Weiden oder Wiesen beobachten. Doch es gibt keinen Grund zur Sorge. Denn immerhin ist das Freie der natürliche Lebensraum für Tiere – auch wenn diese als Nutztiere eng an den Menschen gebunden sind. Ein dichteres Fell, Winterpelz oder eine Fettschicht schützen Rinder, Schafe und Ziegen vor Kälte und Nässe. Auch Bewegung regt den Kreislauf der Weidetiere an und sorgt für zusätzliche Wärme. Wenn sie rechtzeitig an den Temperaturrückgang gewöhnt werden, Zugang zu ausreichend Futter sowie zum Schutz vor starkem Wind oder Regen ein trockenes Plätzchen aufsuchen können, können sie weite Teile des Winters ohne Probleme im Freien verbringen – dort, wo die meisten Tiere sich am liebsten aufhalten.

DWO, WENN NICHT HIER?

Der Großteil des weltweiten Rotmilan-Bestands ist in Deutschland zu finden. Eine besondere Verantwortung.

er Rotmilan hat für Deutschland eine besondere Bedeutung. Etwa die Hälfte der weltweit rund 35.000 Brutpaare nistet in der Bundesrepublik. Der Rest verteilt sich über Europa, einige wenige Exemplare des auch als Gabel- oder Königsweihe bekannten majestätischen Greifvogels gibt es in Marokko. Als »heimliches Wappentier« Deutschlands wird der Rotmilan manchmal bezeichnet: Die niedersächsische Gemeinde Hattorf am Harz führt ihn ebenso in ihrem Wappen wie das thüringische Ilmtal-Weinstraße sowie – in Gold –das unterfränkische Karbach.

In den 1990er-Jahren nahm der Rotmilanbestand drastisch ab. Schutzmaßnahmen haben dazu geführt, dass sich dieser zuletzt wieder stabilisiert hat. Die Weltnaturschutzunion

(IUCN) stuft den Vogel derzeit international als »ungefährdet« ein. »Die Gefährdungslage ist je nach Land unterschiedlich«, sagt Martin Kolbe vom Rotmilanzentrum in Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Je nach Rechtssituation, Gewohnheiten und sonstigen menschengemachten Voraussetzungen variieren die Todesursachen: In Frankreich und Spanien etwa würden die Tiere oft vergiftet oder illegal gejagt – in Deutschland seien Kollisionen im Straßen- und Schienenverkehr häufiger, sagt Kolbe.

VIELFACH BEDROHT

Während der vergangenen Jahre stand auch das Gefährdungspotenzial durch Windkraftanlagen im Fokus der Aufmerksamkeit. Wie groß dieses tatsächlich ist, wird kontrovers disku-

Habichtartige

Der Rotmilan gehört zur Familie der »Habichtartigen«, die zur Ordnung der Greifvögel zählen. Die etwa 80 Gattungen und 260 Arten sind fast weltweit vertreten. Adler, Geier oder Bussarde gehören ebenfalls zu dieser Familie.

Hauptgrund für den Rückgang des Bestandes während der 1990er-Jahre war die Umstellung der Landwirtschaft. Insbesondere im Osten Deutschlands wichen viele Weideflächen intensiv bebauten Äckern.

Generalist

Der Rotmilan ist ein Nahrungsgeneralist. Wenn seine bevorzugten Nahrungsmittel nicht zur Verfügung stehen, weicht er aus – auch zu Mülldeponien, wo er Ratten und Aas frisst. Der Vorteil dieser Anlagen ist, dass sie ganzjährig zur Verfügung stehen.

tiert. Jedenfalls zählen derartige Kollisionen in Deutschland häufiger zu den Todesursachen des Rotmilans als in anderen Ländern, denn »in Deutschland haben wir von beidem viel – von Windrädern und von Rotmilanen«, sagt Kolbe. Diesem Problem wird auch mit technischen Lösungen begegnet: Im Sommer 2024 stellte das Technologie-Startup Protecbird zusammen mit Rheinmetall ein KI-gestütztes Antikollisionssystem vor. Nähert sich ein Rotmilan, schalten sich die Rotoren aus. Ob das System die Kollisionsraten senkt, wird sich erst zeigen.

Für Rheinmetall, den größten deutschen Rüstungskonzern, ist es bereits jetzt »ein erfolgreiches Beispiel für die Beteiligung des Konzerns im Bereich des Umweltschutzes«, wie es in einer Pressemitteilung des Unternehmens heißt. Umweltschutz im Sinne des Erhalts von Artenvielfalt und diversifizierter Landwirtschaft wäre indes die wichtigste Maßnahme zum Schutz des Rotmilans. Diesem machen vor allem die Einschränkungen seines Lebensraums zu schaffen. Hauptgrund für den Rückgang des Bestandes während der 1990er-Jahre war die Umstellung der Landwirtschaft. Insbesondere im Osten Deutschlands wichen viele Weideflächen intensiv bebauten Äckern. Durch die neuen Bewirtschaftungsformen gingen Lebensräume der bevorzugten Beutetiere des Greifvogels verloren, darunter Mäuse, Maulwürfe und kleinere Vögel. Wichtig für den Schutz des Rotmilans wäre eine »reich strukturierte Landschaft«, sagt Martin Kolbe. Auch der Pestizideinsatz muss dazu verringert werden. Je vielfältiger landwirtschaftliche Räume seien, desto größer sei die Artenvielfalt und damit die Nahrungsgrundlage für den Rotmilan, sagt Kolbe. Dafür braucht es allerdings keine Militärtechnologie, sondern ein Umdenken in der landwirtschaftlichen Praxis.

Mehr als die Hälfte der weltweiten Rotmilan-Bestände sind in Deutschland zu finden. Kollisionen mit Windrädern sind in manchen Regionen häufig, die Hauptbedrohung geht aber vom Verlust des Lebensraumes und Kollisionen mit Fahrzeugen aus.

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Aze Live

21/03/25

Anja Om Plus Schmusechor

22/03/25

Tocotronic

07/04/25

Hania Rani

10/05/25

Alicia Edelweiß

19/05/25

Bex feat. ÆNGL

21/05/25

Tobias Pötzelsberger

u. v. m.

Bex © Marko Mestrovich
Tobias Pötzelsberger © Barnabas Wilhelm
Tocotronic © Noel Richter

TEXT

Simon Loidl und Martin Mühl

GRÜNES KONTO?

Was an einem Girokonto nachhaltig sein kann.

Wer im Alltag auf Nachhaltigkeit achtet, kann auch bei den Finanzen darauf schauen, hier entsprechend den eigenen Werten oder Vorlieben zu agieren. »Grüne« Girokonten unterscheiden sich von herkömmlichen Angeboten durch ökologische und in der Regel auch andere ethische Kriterien bei der Kreditvergabe der kontenführenden Banken. In Österreich gibt es seit 2020 das Österreichische Umweltzeichen auch für Girokonten. Die Richtlinien entsprechen dabei großteils jenen anderer Finanzprodukte wie Fonds oder Bonds. Grundsätzlich ist der Hebel bei den meisten nachhaltigen Finanzprodukten die Frage, in welche Unternehmen und Projekte das auf dem Konto befindliche Geld investiert wird und wer für welche Unternehmungen Kredite zu welchen Konditionen bekommt. Armand Colard, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens ESG Plus (wobei ESG auch hier wie gewohnt für Environmental, Social and Corporate Governance steht), das unter an-

derem mit Cleanvest eine Plattform zur Einordnung nachhaltiger Fonds betreibt oder für das Umweltzeichen Kontrollen bei Finanzinstituten und -produkten durchführt, hält das Österreichische Umweltzeichen in diesem Bereich für eines der strengsten Siegel.

Österreichische Banken haben in den letzten fünf Jahren damit begonnen, nachhaltige Angebote auch bei Konten zu etablieren – einerseits, weil es eine Nachfrage vonseiten der KundInnen gibt, aber auch, weil Finanzinstitute im Rahmen der EU-Taxonomie zunehmend das eigene Geschäft nachhaltiger ausrichten müssen. In Deutschland gibt es kein Umweltsiegel für Girokonten – aber mehrere Institute, die seit Jahrzehnten ihr gesamtes Geschäftsgebaren an nachhaltigen Kriterien ausrichten.

NACHHALTIGE INSTITUTE

Die GLS-Bank, die in mehreren europäischen Ländern aktive Triodos-Bank, die Pax-Bank oder auch jüngere Institute wie die Onlinebank

Tomorrow haben mit ihrem Start für sich Kriterien dafür etabliert, was mit dem ihnen anvertrauten Geld passiert. Die Maßstäbe sind dabei recht ähnlich. Neben ökologischen bestehen auch ethische Kriterien, und zwar sowohl Ausschlusskriterien als auch positive. Die 1974 gegründete, in Bochum ansässige GLS-Bank schließt »kontroverse Geschäftsfelder und -praktiken« für Investitionen aus. Dazu zählen Unternehmen, die in nicht erneuerbare Energien investieren, ebenso wie Unternehmen aus der konventionellen Landwirtschaft. Aber auch Tabakwaren, Alkohol, Glücksspiel und Pornografie sind für die GLS-Bank Geschäftsfelder, in die das Institut kein Geld fließen lässt. Als »kontroverse Geschäftspraktiken«, die ebenfalls als Ausschlusskriterium geführt werden, zählt GLS die Verletzung von Menschen- und Arbeitsrechten, aber auch Korruption, Geldwäsche oder Datenschutzverstöße. Positivkriterien sind unter anderem Tätigkeiten in »positiven Geschäftsfeldern«. Hierzu zählen ökologische Landwirtschaft, erneuerbare Energie, Wohnen oder Bildung.

Andere in Deutschland tätige Banken mit Nachhaltigkeitsanspruch – etwa die niederländische Triodos-Bank oder die Pax-Bank –entwickelten ähnliche Kriterienkataloge. Die-

se sind online relativ einfach zu finden und mit eigenen Vorstellungen abgleichbar. Gemeinsam ist diesen drei Instituten ein hoher Stellenwert ihres jeweiligen weltanschaulichen Wertegerüsts in ihrer Gründungsgeschichte –konkret ein anthroposophisches oder christliches. Auf der Website der Triodos-Bank heißt es dazu, dass diese »keine anthroposophische Bank« sei, wenn auch die Anthroposophie »für die Gründer eine Inspirationsquelle« gewesen sei. Von »rassistischen Aussagen« des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner distanziert sich Triodos. Ähnlich heißt es bei GLS, dass die »Gründungsgeneration« der Bank AnthroposophInnen gewesen seien. Und weiter: »Mittlerweile sind auch andere Weltanschauungen in der Bank vertreten.« Die Pax-Bank bezeichnet sich als »christlich-nachhaltige Genossenschaftsbank« und leitet daraus das Selbstverständnis des Instituts ab: »Alles, was wir tun, muss Mensch und Umwelt stärken.« Die Wahl einer Bank lässt sich also auch vor diesen Hintergründen bewerten. Im PrivatkundInnengeschäft herkömmlicher Banken sind in Deutschland ethische und ökologische Kriterien noch nicht sehr präsent. Das mit Abstand größte deutsche Institut, die Deutsche Bank, etwa bietet derzeit drei unterschiedliche Girokonten für PrivatkundInnen an – Nachhaltigkeit spielt bei diesen keine Rolle.

GRÜNE KONTEN

In Österreich gibt es keine Banken, die gesamt auf nachhaltige Kriterien ausgerichtet sind, einige Banken entwickelten während der vergangenen Jahre aber niederschwellige Angebote in Gestalt »grüner« Giro- oder auch Sparkonten. Die Konditionen dieser als nachhaltig vermarkteten Angebote unterscheiden sich kaum von herkömmlichen Konten. Kontoführungsgebühren und Leistungen sind fast identisch. Teilweise ersetzen »grüne« Konten sogar die regulären Basiskonten, so etwa bei der Oberbank. Hier ist das angebotene »grüne« Konto derzeit die günstigste Variante. Das »klassische« Konto ist höherpreisiger und mit zusätzlichen Leistungen verbunden – etwa kostenlose Betreuung in der Filiale. Ähnliches gilt für entsprechende Angebote bei der Bank Austria oder der BKS-Bank. Einen Überblick über nachhaltige Zahl- und

Karten aus Holz Bei »grünen« Konten geht es vor allem darum, was die Bank mit dem Geld macht. Aber nicht nur. Die GLS-Bank bietet statt der üblichen Plastik-Bankkarten welche aus Holz und Kreditkarten aus organischen Rohstoffen an.

ESG

Grundlegend für die Diskussion um nachhaltiges Wirtschaften sind die »Environmental, Social und Governance«-Kriterien der UNO. Anhand dieser sollen Umwelt-, Nachhaltigkeitsund Sozialaspekte der Arbeit von Unternehmen, Regierungen oder Behörden bewertet werden.

»Im Gegensatz zu Fonds fließt das zweckgebundene Geld, das Banken von »grünen« Konten investieren, in Kredite, Sanierungen und Investments und hat so direktere Auswirkungen.«
Armand Colard, Gründer von ESG Plus

EU-Taxonomie

Die EU-Taxonomieverordnung ist ein rechtlicher Rahmen der EU, der einheitliche Kriterien festlegt, um zu bestimmen, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als nachhaltig im Sinne von ESG-Zielen sind. Ziel ist es, nachhaltige Investitionen zu fördern.

Sparkonten bietet die Website birdsoftrust.com, betrieben von Heidrun Kopp.

Die nachhaltigen Kontoangebote der genannten österreichischen Banken sind mit dem Umweltzeichen zertifiziert. Angesiedelt ist das Österreichische Umweltzeichens beim Österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz (BMK). Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) erstellt und entwickelt im Auftrag des Ministeriums die relevanten Richtlinien. Das »Österreichische Umweltzeichen für Nachhaltige Finanzprodukte« existiert bereits seit 2004. Lange bevor mit der EU-Taxonomieverordnung Kriterien für nachhaltige Investitionen entwickelt wurden, entstand hier ein relativ umfangreicher Katalog an Ausschlusskriterien. Investitionen in Nuklearenergie, fossile Brennstoffe, Waffen und Rüstung, »Produktion und Anbau gentechnisch manipulierter Organismen oder Produkte« zählen ebenso zu den ausgeschlossenen Geschäftsfeldern wie »humane embryonale Stammzellenforschung« sowie seit Kurzem Produktion und Handel von Tabak. Projekte, die in direktem Zusammenhang mit dem Neu- und Ausbau fossiler Infrastruktur, nicht nachhaltigem Holzeinschlag oder dem Bau von Großstaudämmen stehen, sind ebenso ausgeschlossen. Bei ausgeschlossenen Geschäftspraktiken handelt es sich um Verstöße gegen die Menschen- oder Arbeitsrechte, um Verstöße gegen Umweltgesetzgebung, um »massive Umweltzerstörung« sowie

um Korruption und Bestechung. Die Richtlinien werden alle vier Jahre überarbeitet, wobei es teilweise nicht um die inhaltlichen Kriterien geht, sondern um neue Produktkategorien, wie 2024 »Green Loans«. Die Einhaltung der Richtlinien für das Österreichische Umweltzeichen wird jährlich überprüft. Armand Colard ist von der Wirksamkeit der Nutzung dieser Produkte überzeugt. Die Banken müssen zu jedem Zeitpunkt mindestens jene Gesamtsummen, die auf den Girokonten liegen, in nachhaltige Kredite oder Investments vergeben haben. Mit dem Ausschluss von Kohle (2016), dann Öl und auch Gas (2020), sieht er eine laufende Entwicklung in Richtung strenger werdender Kriterien, die noch nicht abgeschlossen ist. Und: »Im Gegensatz zu Fonds, die ein indirektes Investment in erster Linie in Aktien und Unternehmensanteile darstellen, fließt das zweckgebundene Geld, das Banken von »grünen« Konten investieren, in Kredite, Sanierungen und Investments und hat so direktere Auswirkungen«, sagt Colard.

Ein Sonderfall ist das »Umweltcenter Gunskirchen«. Dieses ist Teil der Raiffeisenbank im oberösterreichischen Gunskirchen, agiert aber seit 2012 eigenständig als »Bank in der Bank«. Das beim Umweltcenter veranlagte Geld fließt ausschließlich in ökologisch und sozial nachhaltige Projekte und Unternehmen – entsprechend den Kriterien der hauseigenen »Umweltgarantie«, die wiederum die Standards des Umweltzeichens erfüllt. Darüber hinaus wurde etwa beim Bau des Bankgebäudes auf Kriterien wie Holzbauweise und den Einsatz erneuerbarer Energie gesetzt. Die Bank ist gemeinwohlzertifiziert und hat einen Beirat, dem unter anderem Klimaforscherin Helga KrompKolb, Grüne-Erde-Geschäftsführer Kuno Haas sowie der Geschäftsführer des Klimabündnis Österreich, Norbert Rainer, angehören. Ob man in einem Land ein Girokonto eröffnen kann, hängt übrigens vor allem am Hauptwohnsitz – und den Bestimmungen der Bank. Während Personen ohne Meldeadresse in Deutschland etwa bei der Triodos-Bank kein Konto eröffnen können, stehen die Services der Tomorrow-Bank, die rein online agiert, auch ÖsterreicherInnen offen.

durch striktes Verbot von Pestiziden *

Rund um die Uhr Freilauf

Wasserspeicher Humus schützt vor Dürre

Gibt ,s nur bei:

*Gemäß EU-Bio-Verordnung. Ohne Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemittel

Kurze Transportwege durch regionale Produkte

Die älteste Menschenskulptur der Weltgeschichte ist zweifelsfrei weiblich.1

Hohle-Fels-Höhle

Mammutelfenbein

Höhe: 6 cm

40.000 Jahre

Im Gegensatz zu den Tierfiguren ist sie stark stilisiert. Ihr Kopf ist eine durchlochte Öse. Die Skulptur wurde vielleicht als Schmuckstück um den Hals getragen.

In zeitgenössischen Illustrationen werden üblicherweise Männer beim Schnitzen der Figur gezeigt. Genauso gut kann sie von einer Künstlerin stammen.

Die Geschlechtsteile sind übergroß in Szene gesetzt. Männer denken – angeblich –instinktiv an Sex, Frauen nicht unbedingt.

Für die Menschen der Frühzeit war Nacktheit ein vertrauter Anblick. Sie lebten in Gruppen auf engstem Raum und kannten keine Privatsphäre. Noch vor Kurzem hatten sie keine Kleidung gebraucht.

Wenn der Anhänger von einer Frau getragen wurde, war es ein Akt der Selbstbeschwörung. Was würde es bedeuten, wenn er von einem Mann getragen wurde?

WAS FRAUENFIGUREN ERZÄHLEN

Ulli Lust widmet sich in ihrem neuen Comic-Essay Frauenrollen in der Menschheitsgeschichte – anhand von prähistorischen Statuetten.

D„Der Adorant“, 40.000 Jahre, könnte auch eine tanzende Person sein. Einkerbungen könnten ein Zählsystem gewesen sein.2

ass das Patriarchat und eine Vormachtstellung von Männern ein Irrweg sind, der viele Nachteile mit sich bringt, zeigt der Alltag. Dass dieses aber auch erst vergleichsweise spät in der Menschheitsgeschichte – vor grob 5000 Jahren – einsetzt und auch insofern keineswegs naturgegeben ist, ist eine der Einsichten, die man beim Lesen von Ulli Lusts neuem Werk »Die Frau als Mensch« quasi nebenbei mitnehmen kann. Solche Aussagen werden von der Comicautorin und -zeichnerin angedeutet, aber nicht explizit formuliert. Eine Herangehensweise, die schon Ulli Lusts

wahrscheinlich bekannteste Werke »Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens« und »Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein« prägte. »Diese zwei dicken Bücher, die Autobiografien sind, sind persönliche Geschichten, weil zufällig in meinem eigenen Leben etwas Interessantes passiert ist. Etwas, das es wert ist, dass man es als Comic zeichnet. Ansonsten bin ich jetzt nicht so eine autobiografische Erzählerin«, erklärt Ulli Lust anlässlich der Veröffentlichung von »Die Frau als Mensch« im Interview. In »Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens« (Avant, 2009) erzählt sie

rund 23.000 Jahre (sehr kalte Phase)

Den runden Formen folgten vor etwa 18.000 Jahren schlanke Abstraktionen. Das Bild war zu einem Zeichen geronnen.

rund 14.000 Jahre (sehr warme Phase)

Nach einer harten Kaltphase stiegen die Temperaturen vor rund 12.000 Jahren merklich an. Die veränderten Umweltbedingungen verändern den Lebensstil. Erst jetzt steigen die Geburtenzahlen.

Çatalhöyük in Anatolien war vor 9000 bis 7500 Jahren eine der ersten Städte. Zu Hochzeiten lebten hier bis zu 8000 Menschen. Die feine Stadtbewohnerin rasierte sich den Schädel und trug ein kleines Käppi. Vielleicht gab es ein Flohproblem. Dennoch scheinen sie in einer prosperierenden Gemeinschaft gelebt zu haben. Es ging ihnen gut.1

Griechenland (Sparta) 7500 Jahre weißer Marmor

Türkei 7600(Halicar) Jahre Keramik

Türkei 8000 Jahre weißer Marmor

Die Menschen werden sesshaft und essen mehr Getreide.

Serbien (Lepenski Vir) 8000 Jahre Stein

Bis ins Neolithikum dominieren Frauen die Menschendarstellungen. c

Rumänien/Ukraine 8000 Jahre Keramik

Bulgarien 7000(Karanova) Jahre Keramik

(Cernavoda) 8000 Jahre Keramik

Statuen und andere Funde sind eine der wenigen Quellen für die Erforschung von Zeiten aus denen keine schriftlichen Quellen existieren.

eine Episode aus ihrer Jugend, als sie 1984 als 17-Jährige mit einer Freundin ohne Geld nach Italien gereist ist und dort Abenteuer, aber auch Kriminalität, Belästigung und Vergewaltigung erlebt hat. Sie erzählt davon mit einnehmender Offenheit, ohne Beschönigung, aber auch ohne Lehren oder gar eine Warnung daraus abzuleiten. In »Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein« (Suhrkamp, 2017) erzählt sie ebenso offen von einer Dreiecksgeschichte, in der sie sich neben ihrer Beziehung mit einem Liebhaber aus Nigeria einlässt. Der Versuch einer »utopischen Liebe, die in Besitzanspruch und

Gewalt umschlägt, eine Geschichte der sexuellen Obsession, der Geschlechterkonflikte und der Selbstbefreiung«, wie der Verlag treffsicher zusammenfasst.

STATUETTEN UND IHRE GESCHICHTE(N)

Ulli Lust hat seit Anfang der 1990er-Jahre viel mehr veröffentlicht. »Die Frau als Mensch« ist nun ein essayistischer Comicband mit rund 250 Seiten inklusive einer Menge Fußnoten zu Studien, Büchern und Forschungsseiten. Ein chronologischer kulturgeschichtlicher Abriss, erzählt anhand von Statuetten und archäologi-

Ulli Lust

1967 in Wien geboren, studierte an der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Sie zeichnet Comics heute in erster Linie in Berlin und unterrichtet Zeichnung und Comic an der Hochschule Hannover. Zu ihren zahlreichen Auszeichnungen zählt der LA Times Book Award 2014 für »Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens«.

Urzeit

Als Prähistorie wird die Frühzeit der Menschheitsgeschichte, aus der keine schriftlichen Überlieferungen vorliegen, bezeichnet. Sie wird anhand von Artefakten und anderen Funden beforscht.

Venus von Dolní Věstonice

Eine Venusfigur aus Keramik – ihr Alter wird auf 25.000 bis 29.000 Jahre geschätzt. Ihre Entdeckung widerlegte die Annahme, dass Keramik im Paläolithikum noch nicht bekannt war.

Neben der Venus von Dolní Věstonice wurden am Hang der Pollauer Berge, etwa bei Pavlov (Pollau) in Tschechien, zahlreiche kleine Figuren aus gebranntem Lösslehm gefunden.

Türkei (Çatalhöyük) 8000 Jahre Keramik
Iran 8000 Jahre Keramik
Rumänien
Çatalhöyük

Es scheint, als haben sich vor rund 300.000 Jahren mehrere Homo-Arten entwickelt. Sie sind ausgestorben, genau wie alle Nachfahren der anderen Hominiden. Warum eigentlich?

»DIE FRAU ALS MENSCH:

Am Anfang der Geschichte« von Ulli Lust, Reprodukt, 2025.

Nachdem unsere reichhaltige Geschichte viel Stoff ergibt und es viel Interessantes zu erzählen gibt, ist »Die Frau als Mensch« der erste Band, dessen Fortsetzung 2026 erscheinen soll.

ihre Faszination. »Die Figuren geben Einblick in rund 30.000 Jahre Geschichte – ein Kunstschatz mit vielen interessanten Aspekten. Und sie lassen sich als Figuren natürlich auch gut zeichnen.« Die detektivische Herangehensweise macht ihr Freude und ähnelt jener von HistorikerInnen und ArchäologInnen, die aus Funden und Untersuchungen Theorien entwickeln und verwerfen. Vereinzelt zitiert sie in dem Buch auch veraltete Theorien, die wohl einem allzu männlichen Blick auf die Geschichte entsprungen waren, oder zitiert Forscher, die in Vorträgen erklären, dass »Männer wichtiger waren als Frauen«. Großteils verzichtet sie aber auf diese »Pointen und darauf, diese irrsinnigen Theorien« nachzuerzählen, sondern erzählt anhand der Figuren und anderer Funde aus feministischer Sicht darüber, was man heute über

auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens, die später bis nach Willendorf gezogen sind. Eine Gegend, in der die in Wien geborene Ulli Lust einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. Andere Teile des Buches beschäftigen sich mit Funden aus Asien und auch den Khoisan – einem Stamm aus dem Gebiet des heutigen Botswana.

EMPATHIE IN DER EVOLUTION

Der großartige Titel »Die Frau als Mensch« spielt natürlich damit, dass allzu oft Menschen und Männer gleichgesetzt werden. Nicht nur in geschichtlichen Betrachtungen, aber gerade da. Eines der Themen in dem Buch ist naheliegend immer wieder auf verschiedene Weise die Rolle der Frauen in früheren Gesellschaften und was sich darüber aus den Figuren und Funden ablesen lässt. Über die allzu oft tradier-

Gibbons (11 Arten)
Orang-Utan
Gorilla
Bonobos & Schimpansen

BONOBOS

Menschenaffen mit auffälligem Sozialverhalten. Im Kampf um Rangordnungen kommt es sowohl bei Männchen als auch Weibchen zu aggressiven Interaktionen – aber von deutlich geringerer Intensität als bei Schimpansen.

Innerhalb der Großgruppe bilden die Weibchen den Kern und übernehmen auch die Führungsrolle. Bei der Aggressionskontrolle kommt sexuellen Interaktionen eine wichtige Rolle zu. Dies dürfte der Reduktion von Spannungen dienen und wird unabhängig von Alter, Geschlecht oder Rangstufe ausgeübt.

te und so nicht richtige Erzählung der männlichen Jäger und weiblichen Sammlerinnen, aber auch darüber, wie mit Nacktheit oder auch der Menstruationsblutung umgegangen wurde – und dass diese keineswegs mit Scham besetzt waren. Oder darüber, dass es so scheint, als hätten gerade Personen mit körperlichen Besonderheiten abseits der Normen oder auch Transgenderpersonen in Gesellschaften besondere Rollen übernommen und zugeschrieben bekommen, etwa indem sie SchamanInnen wurden. Eine Rolle spielen auch Vorformen von Religionen, mystischen Annahmen und magischen Praktiken – etwa wenn alle Dinge und Lebewesen als in einem Kreislauf befindlich und wiederkehrend angesehen werden und diesen eine hohe Wertschätzung entgegengebracht wird und sie nicht als konsumierbare Ressource betrachtet werden.

Eine für die Überlegungen in »Die Frau als Mensch« wichtige Forscherin ist die US-amerikanische Anthropologin, Verhaltensforscherin und Primatologin Sarah Blaffer Hrdy. In »Mütter und Andere«, anderen Werken und ihrer Forschung betont sie, wie entscheidend für uns als Mensch beziehungsweise unser Überleben und unsere Evolution nicht Selektion durch Aggression und Kampf waren, sondern die Fähigkeit zu Empathie und »hypersozialem Verhalten«. So wie in der Geschichte der Menschheit die Fähigkeit, zu teilen und aufeinander zu achten, wichtiger war als Besitz und Konkurrenz. Und es wäre vielleicht nicht Ulli Lust, wenn es nicht auch immer wieder um Sexualität ginge. Etwa um die Bonobos, mit den Schimpansen verwandte Menschenaffen, die – und das ist auch unter Affen in dieser Form einzigartig –, weniger auf Aggression zur Lösung von Konflikten setzt, sondern auf vielfältige sexuelle Handlungen und deren entspannende und angenehme Wirkung. Wenige AutorInnen können sich diesen Aspekten so humorvoll, offen und voller Interesse und Verständnis widmen wie Ulli Lust. Sie berichtet in Bild und Text von Funden und Interpretationen, formuliert aber keine Lehren. Und freut sich, wenn sie LeserInnen zu eigenen Gedanken animieren konnte. Anstöße gibt es davon auch in »Die Frau als Mensch« viele.

NICHT NUR SAUBER …

… sondern auch schonend gereinigt. 6 x Gesichtsreiniger ohne aggressive Tenside oder Peeling-Effekte.

Dr. Hauschka

Reinigungsbalsam

Das Gel auf Sonnenblumenölbasis wird erst bei Anwendung auf der feuchten Haut zur Reinigungsmilch und eignet sich zur Anwendung morgens und abends für alle Hauttypen. Hauschka hat aber mit Reinigungsmilch und -creme noch Milderes im Angebot. Im Balsam ergänzen Rügener Kreide, Birken- und Wundkleeauszug die Formulierung mit ihren reinigenden und entzündungshemmenden Funktionen. Eine haselnussgroße Menge reicht für eine Anwendung, daher kommt man mit der 75-Milliliter-Tube recht lange durch. Nach Natrue-Standard zertifizierte Naturkosmetik aus Deutschland. hauschka.com

I+m

Reinigungscreme

Die Clean-Beauty-Linie der BerlinerInnen zeichnet sich durch besonders reizarme Zusammensetzung aus – die Reinigungscreme verzichtet auf Tenside und Duftstoffe, auch komplett auf ätherische Öle, und enthält dafür Mandelöl, Squalan und Sheabutter. Auch zur Entfernung von Augen-Make-up geeignet. Cosmos-Natural-zertifizierte Naturkosmetik. Mit Fairtrade-Rohstoffen und, neu: aus einem gemeinwohlzertifizierten Betrieb. Made in Germany. iplusm.berlin

Mizellenwasser

Rose

Mizellenwasser bindet Schmutzpartikel aufgrund der kleinen Moleküle besser, als es herkömmliche Tenside können, und somit kann eher auf aggressive Tenside und auf die mechanischen Reinigungseffekte wie Einschäumen, Rubbeln, Peelen einfacher verzichtet werden. Dieses enthält allerdings Alkohol und ist gezielt für normale und Mischhaut konzipiert. Natrue-zertifizierte Naturkosmetik der Rewe-Naturkosmetik-Marke Bi good, hergestellt in Österreich. bipa.at

Rainbow

Aloe Vera

Cleansing Gel

Befreit gründlich und unkompliziert mit frisch-fruchtigem Duft von Schmutz und auch von Make-up. Selten: Besteht vor allem aus Bio-AloeVera-Saft – der findet sich übrigens auch pur als Getränk im Sortiment von Rainbow. Das Gel hinterlässt quietschsaubere Haut. Für eine Anwendung morgens und abends geeignet. Cosmos-organic-zertifizierte Biokosmetik. Hergestellt in Deutschland. Nicht über einen Onlineshop erhältlich, sondern nur über Handelspartner – online gibt’s dazu eine Suchfunktion. rainbow-naturprodukte.de

Hej

The Purifier

Cleansing Foam Cactus

Ein Pumpstoß liefert schon die passende Portion feinporigen Schaum, wie immer bei Hej mit Kaktusfeigenkernöl. Dessen Duft ist irgendwo zwischen Calippo-Eis und WC-Ente angesiedelt – kann man mögen oder drüber hinwegsehen, denn sowohl das Anwendungsgefühl als auch das Kleingedruckte überzeugen. Dass online auf der Produktseite in einem »Recycling-Guide« erklärt ist, wie die zwei Komponenten zu entsorgen sind, passt zur Marke. In Deutschland hergestellte, Natrue-zertifizierte Naturkosmetik. hejorganic.com

Jolu

Mildes

Reinigungsgel

Das Gel im Glas-Pumpspender reinigt gründlich, duftet feinherb-frisch und enthält wie viele Jolu-Produkte langkettige Hyaluronsäure und Rotalgenextrakt – ist also die erwachsenere Variante der Reinigungsgels hier. In der Zusammensetzung so mild, dass es mit Wasser aufgeschäumt und dann vor dem Abspülen etwas einmassiert werden will. Für alle Hauttypen geeignet, Icada-zertifizierte Naturkosmetik aus Deutschland. jolu.eu

TEXT

Simon Loidl und Irina Zelewitz

REIZENDER SCHAUM

Ein Kosmetik-Inhaltsstoff unter der Lupe: Natriumlaurylsulfat.

Natriumlaurylsulfat in der Zahnpasta sorgt für die reinigende Wirkung – und kann die Schleimhaut irritieren. Wer darauf verzichten will, muss entweder beim Einkaufen die Liste des Kleingedruckten studieren oder zu zertifizierter Naturkosmetik greifen. Zum Kleingedruckten gehört die »Internationale Nomenklatur für kosmetische Inhaltsstoffe«, besser bekannt als Inci-Liste (kurz für International Nomenclature of Cosmetic Ingredients), hat mit der Nachfrage nach Naturkosmetik und diffuseren Trends wie dem zu »Clean Beauty« an Prominenz gewonnen. Dank dieser Entwicklung gibt es inzwischen vielfältige Informationsmöglichkeiten zu den üblicherweise in Körperpflege-, Reinigungsmitteln und Kosmetik enthaltenen Inhaltsstoffen, nachhaltige Unternehmen informieren selbst proaktiv auf ihren Websites, die fortschrittlichsten sogar direkt auf den Produktverpackungen – durch strenge Zertifikate oder wenigstens durch

Transparenz darüber, was enthalten ist und welche Funktion die Inhaltsstoffe im Produkt haben. Einer der umstrittenen Inhaltsstoffe ist Natriumlaurylsulfat – besonders bei Anwendung zur Mundhygiene.

MACHT DER GEWOHNHEIT

Wie unter der Dusche oder beim Geschirrspülen, so ist es auch beim Zähneputzen: Schaum gibt uns das Gefühl, dass ordentlich gereinigt wird. Tenside sorgen für Schaum, wenn die Bürste über die Zähne gleitet. Substanzen, die die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten herabsetzen und somit zu deren Vermischung eingesetzt werden und eine reinigende Wirkung haben. Bei der Herstellung von Reinigungs- und Kosmetikprodukten spielen sie deshalb im Allgemeinen eine wichtige Rolle. Das Tensid Natriumlaurylsulfat (oder englisch Sodium Lauryl Sulfate, abgekürzt SLS) ist ein sehr effektiver Reiniger – zudem auch ein hervorragender Schaumbildner. Der mithilfe von Natrium-

laurylsulfat erzeugte Schaum hat beim Reinigen der Zähne nicht nur eine psychologische Wirkung, sondern sorgt auch dafür, dass die Zahnpasta gleichmäßig im Mund verteilt wird. Zudem wirkt SLS wie alle Tenside: Es entfernt Fett und Schmutz von Oberflächen. Bei der Zahnreinigung unterstützt es die Entfernung von Plaque, Speiseresten und Bakterien von den Zähnen und dem Zahnfleisch. Außerdem ist Natriumlaurylsulfat in der Herstellung günstig, was es zu einem für Produzenten und zumindest auf den ersten Blick auch für preisbewusste KonsumentInnen attraktiven Bestandteil von Zahncremes macht.

WO IST DAS PROBLEM?

Ein häufiger Kritikpunkt an der Substanz ist allerdings, dass sie zu Irritationen der Mundschleimhaut führen kann. Durch die Verwendung von SLS-haltigen Zahncremes können im Mund trockene, brennende Stellen entstehen oder sich sogar kleine schmerzhafte Mundgeschwüre (Aphthen) bilden. Generell hat Nat-

riumlaurylsulfat eine austrocknende Wirkung auf die Mundschleimhaut und das Zahnfleisch, was wiederum das Risiko von Zahnerkrankungen erhöhen kann, da der Speichelfluss als natürlicher Schutzmechanismus für die Zähne dient. Aber nicht nur für die Zähne ist Natriumlaurylsulfat ein fragwürdiger Bestandteil. Das Tensid kann sich auch negativ auf die Haltbarkeit von Zahnfüllungen auswirken. Zudem sind allergische Hautreaktionen möglich, weshalb Menschen mit Allergien oder Hautkrankheiten vom Gebrauch von Kosmetika mit Natriumlaurylsulfat abgeraten wird. Von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) wird SLS als »gesundheitsschädlich beim Verschlucken« charakterisiert – allerdings erst in Mengen, die man über Zahnpasta bei korrekter Anwendung nicht aufnehmen kann. Das schließt auch noch das versehentliche Verschlucken kleiner Mengen mit ein. Außerdem kann es laut der EU-Behörde schwere Augenschäden, Hautreizungen und Reizungen der Atemwege verursachen und ist auch »schädlich für Wasserorganismen«. Für alle, die SLS meiden wollen, gibt es Ausweichmöglichkeiten. In zertifizierter Naturkosmetik kommen ausschließlich Alternativen zu SLS zum Einsatz. So etwa auch beim Naturkosmetikunternehmen Lavera: »Sodiumlaurylsulfate verwenden wir nicht. Sie gehören zu einer Klasse von mittleren bis starken Tensiden, auch bekannt als Alkylsulfate. Wir verwenden in unseren Zahncremes z. B. Sodium Coco Sulfate. Dies ist ein mildes Tensid aus Kokosöl und entspricht den Richtlinien nach Natrue«, gibt Lavera auf Anfrage an – denn Natrue ist der Naturkosmetik-Standard, nach dem Lavera seine Produkte zertifizieren lässt. Das aus Kokosöl gewonnene Natriumcocosulfat ist generell ein beliebter Ausweichstoff auch bei anderen Naturkosmteikherstellern, gern wird etwa auch Kokosbetain (Cocoamidopropylbetain) verwendet.

Beide wirken ähnlich wie Natriumlaurylsulfat, haben aber eine geringere Reizwirkung auf die Haut. Die Alternativen zu SLS bilden etwas weniger Schaum. Doch das ist letztlich eine Sache der Gewohnheit: Sauber werden die Zähne auch ohne das aggressive Tensid.

Wie putzt man richtig?

Zwei Mal täglich lautet die Empfehlung der Zahnärzteschaft. Dabei nicht fest drücken, um Putzschäden am Zahnfleisch zu vermeiden.

Was gern ignoriert wird: Erst der tägliche Einsatz von Zahnseide zur Reinigung der Zahnzwischenräume komplettiert die Zahnreinigungsroutine.

Die Faustregel besagt: Vier Mal jährlich ist die Zahnbürste zu wechseln. Ein kritischer Blick auf den Zustand der Borsten sagt einem allerdings zuverlässig, ob es ein wenig häufiger oder auch seltener notwendig ist.

GIB MINZEN EINE CHANCE!

Seit Langem ist sie fester Bestandteil der Heilkunde, insbesondere in Asien werden ihre wohltuenden Eigenschaften hochgeschätzt. Ursprünglich aus dem sonnenverwöhnten Mittelmeerraum stammend, fand sie bereits in den Werken Ovids Erwähnung. Ihr charakteristischer Frischekick ist vor allem dem Menthol zu verdanken – einem ihrer essenziellen Inhaltsstoffe, der nicht nur für das kühle Mundgefühl sorgt, sondern auch für ihr belebendes Aroma.

In den letzten Jahren hat Minze in der Küche eine Renaissance erlebt – insbesondere in Kombination mit Fleischgerichten wurde sie häufig, vielleicht sogar zu häufig, als Geschmacksakzent eingesetzt. Doch ihr Variantenreichtum ermöglicht eigentlich weit mehr, wenn man ihrer Vielseitigkeit Aufmerksamkeit schenkt.

1

3 MINZE TEE, SONNENTOR

Hier werden Pfefferminze, Krauseminze und Schokominze kombiniert mit dem Ziel, die kühlende Wirkung von Minze zu betonen –besonders sinnvoll etwa für Eistee im Sommer. Die Minzmischung ist harmonischer und runder als etwa reiner Pfefferminztee. Erhältlich lose und in Teebeuteln. sonnentor.com

2

DREI MINZE, PUKKA

Die Kombination von Pfefferminze, grüner Minze und Ackerminze sorgt – je nach Brühtemperatur, Wassermenge und Ziehzeit – am Gaumen zuerst für überraschend dunkle, erdige Töne, bis dann rasch die Frische der Pfefferminze durchkommt. Das ergibt ein angenehm komplexes Geschmackserlebnis. pukkaherbs.com

3 BITTER, KRUUT

Dem Oxymel, einer umgangssprachlich auch als Sauerhonig bekannten Mischung aus Honig und Essig, werden alle möglichen Heilkräfte zugeschrieben, einige davon auch nachgewiesen. Im konkreten Fall kommen Blütenhonig, Apfelessig, Wermut, Andorn, Tausendgüldenkraut und Pfefferminze zum Einsatz – dadurch ist der Oxymel von Kruut nicht nur sauer, süß und bitter, sondern auch pfeffrig frisch. kruut.de

4

PFEFFERMINZ, ALNATURA

Geschmacklich eine Bioalternative zur bekannten dünnblättrigen Pfefferminzschokolade. Dafür sorgt auch, dass die weiche Pfefferminzcreme hier von der Zartbitterschokolade mit 68 % Kakaoanteil umschlossen wird – ganz, wie man das kennt. Unwahrscheinlich, dass in dieser Form die verdauungsunterstützende Funktion von Pfefferminze am besten zur Wirkung kommt. Aber das Geschmackserlebnis ist intensiv, ja knallig. alnatura.de

7

6

MOJITO-SYRUP, HÖLLINGER

Eine gelungene Version von Sirup zur Zubereitung alkoholfreier Cocktailalternativen, aber auch einfach als Verdünnungssaft mit Wasser und Eis eine erfrischende Angelegenheit. Etwas süß – aber das ist ein Mojito mit Rohrzucker auch – lässt er sich aber auch sehr gut heiß wie kalt in andere Getränke mixen. hoellinger-juice.at

BIOLIMO LEICHT, RÖMERQUELLE

Ausgewogener Geschmack aus Zitrone, Limette, Minze, aufgrund von Zucker und Apfelsaft weniger frisch, als man erwarten würde. Zitrone ist aus Konzentrat dabei – Limette und Minze in Mengen, die sie als »natürliche Aromen« auf die Zutatenliste bringen. Wäre weniger süß vielleicht noch attraktiver. Das ehemalige Familienunternehmen ist seit 2003 Teil des Coca-Cola-Konzerns. roemerquelle.at

5

FEINE BITTER PFEFFERMINZE, VIVANI

Auch hier erinnert die Kombination aus weißer Pfefferminzcremefüllung mit Zartbitterschokolade an die minzigen Schokoblättchen der Omas. Das Ergebnis ist intensiver als das bekannte Vorbild und betont sowohl die Schokolade als auch die Minze in der Füllung. Dies und langanhaltender Geschmack helfen dabei, die Schokolade stückweise zu genießen, falls das ein Ziel ist. Wie alle Pfefferminzschokoladen besonders gut kühlschranktemperiert. vivani.de

8

PFEFFERMINZE XYLIT ZAHNPFLEGEKAUGUMMI, BIRKENGOLD

Xylit, also Birkenzucker, gilt als mindestens für die Zähne gesündere Zuckeralternative – auch wenn aktuell Studien erscheinen, die generell auch für Xylit maßvollen Konsum nahelegen. Im Gegensatz zu Zucker soll Xylit Karies hemmen und die Zahnfleischbildung unterstützen. Der Pfefferminz-Kaugummi von Birkengold ist deutlich weniger scharf als so manch Konkurrenzprodukt und erfrischt weniger den Atem, als er den Mundraum pflegt. birkengold.com

WAS ALLES GEHT

In Deutschland gilt seit Ende 2023 eine neue Verordnung für Einsatz und Kommunikation von Bio in der Außer-Haus-Verpflegung. In Österreich wird weiter auf eine solche gewartet.

Ende 2023 ist in Deutschland die neue Bio-Außer-Haus-Verpflegungsverordnung (Bio-AHVV) in Kraft getreten, die die Biozertifizierung für Gastronomie oder auch Kantinen getrennt vom Biolandbaugesetz regelt. Ein Gesetz, um das in Österreich einige Verbände seit Jahren und bisher vergeblich kämpfen. Die neue deutsche Verordnung versucht Klarheit zu schaffen für KonsumentInnen – und den Einstieg für Profiküchen möglichst einfach zu gestalten: »Die Verordnung

soll es Profiküchen vereinfachen, in Bio einzusteigen oder den Einsatz von Bioprodukten auszuweiten. Eine wesentliche Erleichterung für die Küchen ist beispielsweise der Wegfall der Warenflussberechnung«, erklärt Sonja Grundnig, Leiterin des Bereichs Außer-HausMarkt beim deutschen Bioanbauverband Bioland. Und weiter: »Eine weitere wichtige Änderung ist, dass Biozutaten nun klar auf einer tagesaktuellen Zutatenliste gekennzeichnet werden müssen. Eine allgemeine Bewerbung

des gesamten Angebots mit dem Biosiegel ist nicht mehr erlaubt. Der Gast hat somit mehr Transparenz, was den Bio-Einsatz auf der Speisekarte angeht.«

NEUES SIEGEL

Mit der Verordnung wurde in Deutschland auch ein neues Biosiegel für Küchen in drei Abstufungen eingeführt: Bronze für Bio-Anteile ab 20 Prozent, Silber ab 50 Prozent und Gold ab 90 Prozent – gemessen werden die Bio-Anteile am monetären Wareneinsatz. Bioland hatte bereits ein mehrstufiges Modell: »Bioland startete im Jahr 2018 als privater Akteur ein eigenes dreistufiges Gastronomiekonzept in Deutschland und Südtirol. Für uns ändert sich mit der neuen AHVV erstmal nicht viel. Wir haben in dem Zuge allerdings ebenfalls unser Konzept weiterentwickelt und für die Betriebe etwas vereinfacht. So messen sich die Bio-Quoten nun am gesamten Einkaufswert, nicht mehr an einzelnen Produktgruppen. Von unseren Partnern erhalten wir dazu sehr positive Rückmeldungen«, erklärt Sonja Grundnig. Mit der neuen Verordnung fallen für die Betriebe verpflichtende Warenflussberechnungen weg und es gibt eine Reduzierung an Dokumentationsanforderungen. Die Betriebe müssen sich weiter jährlich einem Kontrollverfahren unterziehen, das nun unangekündigt durchgeführt wird. Bioland unterstützt die Betriebe mit Beratung und einem Netzwerk, das auch den Einkauf vereinfachen soll.

ÖFFENTLICHE BESCHAFFUNG

»Die Nachfrage nach Bioland-Partnerschaften in der Gastronomie steigt weiterhin stetig, darunter immer mehr bei Betriebsrestaurants und Kantinenbetrieben«, freut sich Sonja Grundnig. Eine große Stellschraube für Bio in der Außer-Haus-Verpflegung sieht sie in einer verpflichtenden Bioquote in öffentlichen Kantinen und Einrichtungen. Außerdem entscheidend seien Förderprogramme und finanzielle Anreize, wie die neue vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) angebotene »Richtlinie zur Förderung der Ausgaben zur Bio-Zertifizierung von Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung« (Rizert-AHV), die Unternehmen motivieren soll, auf Bioprodukte umzusteigen, indem sie bis zu 80 Prozent der Biozertifizierungskosten über-

nimmt. Außerdem unterstützt die »Richtlinie zur Förderung der Beratung von Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung zum vermehrten Einsatz von Produkten des ökologischen Landbaus« (Ribe) Beratungen und Schulungen für Gastronomiebetriebe finanziell. Sonja Grundnig: »Wir als Verband beraten Verpflegungsverantwortliche hinsichtlich der Auswahl geeigneter heimischer Produkte, Verarbeitungsgrade und LieferantInnen. Wichtig sind darüber hinaus Begeisterung, Motivation und Überzeugung der Küchenverantwortlichen für nachhaltige Beschaffung und auch das Wissen, dass man mit Biospeisen und -zutaten aktiv zum Klima- und Artenschutz sowie mehr Tierwohl beitragen kann.«

Auch in Österreich erwarten relevante AkteurInnen von der öffentlichen Beschaffung eine Kickstarterfunktion für die gesamte Außer-Haus-Verpflegung. Die Bundesregierung hat im Jahr 2021 den »Nabe-Aktionsplan« für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung beschlossen. Dieser regelt unter anderem, dass ein Bioanteil von 25 Prozent ab dem Jahr 2023, von 30 Prozent ab 2025 und von 55 Prozent ab 2030 in den Einrichtungen des Bundes erreicht werden soll – derzeit werden diese Ziele schlicht verfehlt. Im Aktionsplan sind auch Kriterien wie Regionalität, Tierwohl und

Bioland

Der deutsche Bioanbauverband hat rund 9000 Mitgliedsbetriebe aus Biolandwirtschaft, -Imkerei und -Weinbau sowie rund 1400 PartnerInnen aus Herstellung, Handel und Gastronomie. Seit 2000 zertifiziert Bioland Profiküchen, seit 2018 mit dem dreistufigen Modell, und hat derzeit 160 Gastronomiepartner in Deutschland und Südtirol.

»Wichtig sind Begeisterung, Motivation und Überzeugung der Küchenverantwortlichen für nachhaltige Beschaffung und auch das Wissen, dass man mit Biospeisen und -zutaten aktiv zum Klimaund Artenschutz sowie mehr Tierwohl beitragen kann.«

Sonja Grundnig, Leiterin des Bereichs AußerHaus-Markt bei Bioland

die Reduktion von Lebensmittelabfällen inte griert. Verbände wie der private Zusammenschluss »Enkeltaugliches Österreich« kritisieren die Nichteinhaltung dieses Beschlusses. Darüber hinaus sind die Gastronomie und die Außer-Haus-Verpflegung nach wie vor Lücken in der österreichischen Bioverordnung – wie auch in der Bioverordnung der EU, die diesen Bereich den einzelnen Staaten überlässt.

In Österreich engagiert sich seit einigen Jahren ein Zusammenschluss aus unter anderem dem Bioverband Bio Austria, der Schiene »Salzburger Bioparadies« des »Salzburger Land Tourismus«, dem Verein von BiogastronomInnen »die BiowirtInnen«, dem Hotelzusammenschluss Ramsauer Bioniere und immer mehr auch den Biohotels für strengere und gesetzlich verankerte Richtlinien. Gewünscht ist hier im Prinzip, dass jemand, der Bio kommunizieren möchte, auch biozertifiziert sein muss. Bio Austria etwa unterstützt Betriebe in der Außer-Haus-Verpflegung seit Jahrzehnten dabei, ihre Bio-Ziele zu realisieren und weiterzuentwickeln. Abhängig vom erreichten Bioanteil werden Betriebe von Bio Austria mit Bronze (über 30 % Bio), Silber (über 60 % Bio) oder Gold (über 90 % Bio) ausgezeichnet. Aktuell sind rund 100 biozertifi-

zierte Betriebe in diesem Bereich Partner von Bio Austria. Ein Modell inklusive Förderung hat die Initiative »Natürlich gut essen« des Oekobusiness Wien für die Stadt Wien umgesetzt. Die Plattform listet mehr als 50 Restaurantbetriebe und Imbissstände und informiert über deren Zertifizierungsgrad, aber beispielsweise auch den Zeitpunkt der letzten Biokontrolle. Ihr Modell inklusive Förderung sehen viele als Vorbild, das sie sich auch vom Bund für das ganze Land wünschen. Zuständig für die Regelung ist in Österreich das Sozial- und Gesundheitsministerium.

WARTEN AUF DIE KOMMENDE REGIERUNG

Dieses hatte ein Gremium zur Erarbeitung einer Verordnung zum EU-Qualitätskriterien-Durchführungsgesetz inklusive Regelung für die Gastronomie eingesetzt, in dem unter anderem die Bio Austria, die BiowirtInnen, die Biokontrollstellen und auch die Lebensmittelkontrollstellen sitzen. Sie versuchen nun, einen mit der letzten Regierung ausverhandelten Vorschlag für das Gesetz mit der nächsten Regierung umzusetzen. Bis dahin bleibt es an interessierten KonsumentInnen, sich über die auch in Österreich vorhandenen Zertifizierungen und Labels genau zu informieren.

KOCHEN ALS AKT DER FÜRSORGE

– FÜR SICH UND ANDERE

Koch Paul Ivic´ im Gespräch darüber, warum er lieber einem Landwirt treu bleibt, als seine Betriebe auf bio umzustellen. Und selbst selten essen geht, weil es so wenig zertifizierte Biogastronomie gibt.

Als Küchenchef des Tian und des Tian Bistro verantwortet er zwei der vegetarischen Restaurants Wiens – und hat dort als einziger in Österreich für vegetarische Küche einen Stern erkocht. Er tritt seit Jahren als Advokat einer direkten Beziehung zwischen ProduzentIn und GastronomIn auf und tingelt von einer Podiumsdiskussion zur nächsten, um seine Vorstellung von anständiger Küche und Nachhaltigkeit zu propagieren. Manches davon hat er Ende des Jahres auch in sein neues Kochbuch »Vegetarisch« geschrieben (mehr dazu bei unseren Kochbuchempfehlungen und Rezepttipps ab Seite 60), im Gespräch erklärt er, was ihn antreibt – und was es alles eigentlich gar nicht geben sollte.

BIORAMA: Neben den Rezepten ist in Ihrem neuen Kochbuch auch Platz für Vermittlung von sowohl Grundlagenwissen als auch Philosophie. Was sollen mehr Leute über den Umgang mit Lebensmitteln wissen?

PAUL IVIĆ: Zum einen, was Lebensmittel überhaupt sind – was alles in diese Kategorie fällt und wie sehr wir durch Ernährung unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden beeinflussen. Zum anderen, dass wir, je nachdem, welche Lebensmittel wir einkaufen, einen guten oder schlechten ökologischen Fußabdruck haben. Und ich finde außerdem, dass Lebensmittel ein soziales Thema sind: Wenn wir wissen, woher sie kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden, können wir uns viel ein-

INTERVIEW

Irina Zelewitz

Paul Ivić

Der gebürtige Tiroler (Serfaus) hat als Koch die Welt bereist – wie er sich das als 14-jähriger zum Beginn der Kochlehre vorgestellt hat. 2011 hat er als Küchenchef das restaurant Tian in Wien eröffnet, 2014 dort den ersten Stern für vegetarische Küche in Österreich erkocht. Er sagt, er ernährt sich zu 80 % vegetarisch und zu 20 % von Fleisch und Fisch.

facher entscheiden, ob wir sie wollen oder nicht. Das ist zwar alles sehr komplex, aber im Kochbuch möchte ich es so runterbrechen, dass Kochen nicht als Wissenschaft betrieben werden muss, sondern dass der Zugang dazu recht simpel sein kann – dass es etwas Emotionales ist: als Selbstfürsorge und Fürsorge für andere.

Apropos, wissen, von wo: Sie kennen Ihre ProduzentInnen persönlich. Was verstehen Sie unter nachhaltigem Einkauf, das auch zu Hause nachgemacht werden kann?

Nicht alle. Und das ist auch nicht mein Ziel, denn wir kaufen auch einiges gern bei Händlern ein. Aber vieles direkt von Bäuerinnen und Bauern zu beziehen, ermöglicht mir, mit konstant hoher Produktqualität zu arbeiten.

Was man zu Hause Richtung Nachhaltigkeit genauso machen kann wie wir im Betrieb: erstens Foodwaste reduzieren, zweitens Fleisch reduzieren, drittens regional und bio einkaufen. 100 % gehen nie, aber das macht nichts.

Sie sind ein Omnivor, der im Restaurant nur Vegetarisches anbietet – gibt es Geschmack, der fehlt, wenn man mit Pflanzen arbeitet?

Nein. Wenn ich eine richtig gute Pizza Margherita bekomme, dann vermisse ich nichts. Es schmeckt einfach sensationell. Ich glaube, man muss den Fokus wegbringen von der Frage: Vermisse ich etwas? Sondern fragen: Schmeckt es oder schmeckt es nicht? Aber wir werden halt schon als Kind darauf konditioniert, dass ein Schnitzel und nicht ein Kohlrabi was Besonderes ist. Ich muss gestehen, ich erinnere mich an den Mais vom Nachbarsfeld, an den Kohlrabi als Geschmäcker meiner Kindheit, die ich vermisse. Und diese Sehnsucht treibt mich auch an, das möchte ich wieder auf die Teller bringen. Auch wenn die Hygienestandards schlechter waren, meine ich: Abgesehen davon hatten wir früher teilweise eine bessere Lebensmittelqualität.

Zu den Geschmäckern der Kindheit gehören für viele auch Maggi, Fondor, Suppenwürfel und Würze. Gibt es inzwischen auch in Bio-Varianten, wie stehen Sie dazu? Für mich, in meinem Haushalt, in meinem Restaurant, ist das ein Tabu. Es wird sicher auch gute Produkte geben, aber meistens sind einfach zu viel Salz und zu viel Zucker drin – und

ich will einfach wissen und selber dosieren, was drin ist. Aber ich bin der Letzte, der zu Leuten sagt, ihr dürft keinen Suppenwürfel nehmen. Ich selber nehme es nicht. Ich mag es nicht.

Im Buch beschreiben Sie »Tomatenwasser« als »Umami pur«. Was ist das Besondere daran im Vergleich zu frischen Tomaten? Es gibt viele Gemüsesorten, die Umami in ein Gericht bringen, zum Beispiel Pilze. Umami ist natürlich das Einfachste, weil du Gäste damit sehr schnell zufriedenstellst. Im Betrieb reicht mir das aber nicht, ich möchte in erster Linie den Geschmack von Gemüse unterstreichen.

Tomaten haben von Haus aus Umami, durchs Einkochen, beispielsweise zu einem Tomatenwasser, kann man den Geschmack intensivieren. Das kannst du überall dazugeben. Es eignet sich hervorragend als Würzmittel für zu Hause, dort habe ich im Gegensatz zum Restaurant auch nicht immer die Zeit, etwas stundenlang zu reduzieren oder für andere aufwendige Behandlungen der Gemüse. Stattdessen kriege ich durch Zugabe von ein bisschen Tomatenwasser gleich einen viel besseren Geschmack in Gerichte.

Das kann man produzieren und dann für das ganze Jahr einfrieren?

Einfrieren, einrexen – und gerade im Sommer, wenn man eh öfters überreife Tomaten hat, ist das eine gute Möglichkeit, auch Foodwaste zu vermeiden. Noch weniger Arbeit als durch Einkochen ist es übrigens mit einem Entsafter – dazu reicht in meinen Augen ein Gerät um 50 Euro.

Wie kriegt man Fleisch-Tiger dazu, sich für Gemüse zu öffnen und zu probieren?

Vor allem wenn ich mir anschaue, welches Fleisch die Leute kaufen, die sagen »Ohne mein Fleisch kann ich nicht leben«, denke ich mir schon: puh, schwierig.

Ich möchte allen sagen: »Hey, schaut mal, auf was ihr verzichtet, auf welche guten Geschmäcker! Geht mal wohin und schaut euch nach einem gut schmeckenden Gemüse um, etwa nach richtig guten Erdäpfeln!« Sobald die das einmal gehabt haben, öffnet sich bei denen sehr viel. In Österreich sind wir gesegnet, wir haben ja 25 % Bioanteil, aber wenn das Gemüse nur aus Monokultur kommt, aus ausgelaugten, leblosen Böden, die fast nur mehr Kunstdünger enthalten, schmeckt auch das Gemüse nach nichts mehr.

Was hat Sie überzeugt, einer, sagen wir, nicht unbedingt nachhaltigen Form der Gastronomie den Rücken zu kehren und etwas anderes machen zu wollen?

Ich war schon sehr krank, also psychisch und mental brutal angeschlagen. Da war ich ziemlich am Tiefpunkt. Mein damaliger Arzt hat gemeint: »Spätestens in drei Monaten sehe ich dich auf meinem OP-Tisch, wenn du so weitertust.« Dann habe ich einmal überlegt, wie kann ich was ändern, was muss ich ändern? Ich hatte mich zwar schon immer mit der Wirkungsweise von Ernährung auseinandergesetzt, das aber nie bei mir selber angewendet. Und ich hatte einen Fleischkonsum von 120 Kilo im Jahr – alle Wurstwaren usw. mitgezählt, da war ein ansehnlicher Anteil hoch verarbeiteter Lebensmittel dabei. Das habe ich geändert, für acht Monate meine Ernährung radikal umgestellt. Körperlich ist es mir relativ schnell wieder gut gegangen, mental hat es länger gedauert. Mir ist erst mit 32 bewusst geworden, warum ich eigentlich Koch geworden bin, welche Verantwortung man dadurch hat und was man Schönes daraus machen kann. Der Christian (Halper, Anm.) ist an mich herangetreten, wollte unbedingt ein vegetarisch-veganes Restaurant aufmachen. Und ich habe mir gedacht: Okay, das ist genau, was ich machen will! Wir haben zweieinhalb oder drei Stunden über Gott und die Welt geredet, über Essen und Boden, das war ein Zugang zur Gastronomie, der mir entspricht. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob du mit Gemüse, Fisch oder Fleisch kochst. Was eine Rolle spielt, ist die Qualität der eingesetzten Lebensmittel und wie umgegangen wird mit der Natur, der Umwelt, den Menschen und den Tieren.

Sie sagen, als Gastronom kann man viel machen – welche Chance haben Gäste, nachzuvollziehen, wie etwa eingekauft wird? Oft stehen einzelne zwei, drei Zutaten als Aushängeschilder für Nachhaltigkeit auf Karten wie »Wiener Frühstück mit Bioeiern« oder »Schnitzel vom Biokalb«, ansonsten gibt es wenig Informationen. Gehören mehr Regulative eingeführt oder liegt die Verantwortung bei den GastronomInnen, transparenter und einfacher verständlich zu machen, was sie verarbeiten? Es ist eine sehr komplexe Frage. Ich glaube einfach, die Haltung des Gastronomen oder der

»Es spielt überhaupt keine Rolle, ob du mit Gemüse, Fisch oder Fleisch kochst.«

Koch Paul Ivic´

Gastronomin bestimmt, wie und was sie oder er einkauft. Was garantiert der Bio-Standard?

Würde ich bei meinem Onkel kaufen, der 20 Rinder und zwei Schlachttermine im Jahr hat, bekäme ich Fleisch von Tieren, die vom Frühjahr bis zum Herbst draußen und auf dem Berg waren, also nur im Winter in einem geräumigen Stall. Bio garantiert mir das nicht – und der Onkel hat auch keine Biozertifizierung. Als GastronomIn ist es unter Umständen schwierig, auf diese Produkte zu verzichten.

Ich als Konsument hätte am liebsten diese Sicherheit eines Biozertifikats, weil ich sie selten haben kann, gehe ich nicht so häufig auswärts essen. Ich mag einfach kein Gemüse oder Obst zu mir nehmen, das mit Herbiziden und Pestiziden behandelt worden ist. Ich mag auch kein Fleisch oder Fisch, das mit Hormonen oder Antibiotika behandelt ist. Ich möchte ein Lebensmittel haben. Wir diskutieren im Kochcampus und auch bei »Gaumen hoch«, wo die Latte liegen soll. Ich sage dabei immer: Sie muss ziemlich weit oben sein und nicht so gestaltet, dass sie für alle sofort erreichbar ist, sondern dass man schrittweise darauf hinarbeiten kann. Man muss aber immer dazusagen: Wenn du als Gastronomiebetrieb echte Transparenz für die Gäste bieten willst, musst du dafür fast eineN MitarbeiterIn mehr einstellen.

Die einzige wirkliche Lösung wird sein, dass es nur mehr Bio- oder Demeterlandwirtschaft geben wird. Aber wie man da hinkommt, kann ich nicht beantworten.

Sie haben auch keinen Tipp, wenn Leute fragen: Was soll ich machen, wenn ich in einem Restaurant eine Ahnung bekommen will, wie es in Küche und Einkauf zugeht?

Man kann natürlich auch einfach mal ein paar Fragen zu einzelnen Produkten in Gerichten stellen, an der Antwort merkt man meistens schon grob, wie es läuft. Wenn es einem wichtig ist, gibt man sich unter FreundInnen

Vom Blatt bis zur Wurzel – Ivić verarbeitet wertvolle Ausgangsprodukte, im Tian vorzugsweise Gemüse. Im Bild: Rosalind, Amaranth & Buttermilch.

und Bekannten Tipps, ich habe inzwischen ein entsprechendes berufliches Netzwerk. Aber je mehr man darüber nachdenkt, muss man sagen: Es ist zu kompliziert. Hauptsache, überall pickt ein AMA-Gütesiegel. Na, gratuliere!

Wäre eine verpflichtende Herkunftsbezeichnung ein Schritt in die richtige Richtung oder am Problem vorbeigedacht?

Das könnte man schon machen! Ich hätte als Gastronom nichts dagegen. Weil wenn ich dann hinschreibe, dass ich Biozutaten aus Italien verwende, passt das für die meisten Gäste ja vermutlich auch.

Ersetzt die Herkunftsbezeichnung in der Praxis womöglich oft die Frage nach Haltungsstandards?

Nein, aber ich denke, es werden in absehbarer Zeit nicht viele Betriebe zu 100 % biozertifiziert sein. Es bleibt natürlich erstrebenswert.

Bei Ihnen lande ich ja dann nicht, wenn ich nur in biozertifizierte Betriebe gehe. Gibt es Pläne, das zu ändern?

Ich denke immer wieder darüber nach, aber

einer meiner wichtigsten Bauern will sich nicht biozertifizieren, weil er sagt: »Bio braucht keine Zertifizierung, Bio ist eine Überzeugung.« Und dass er »nicht für das Siegel, sondern für den Boden und für sich arbeitet«. Und ich nehme sehr viel von ihm ab, das schmeckt am besten. Er hat Ahnung vom richtigen Umgang mit dem Boden und ich akzeptiere, dass er die Zertifizierung nicht will.

Also ich bin überzeugter Freund von Bio, von Demeter, aber ich akzeptiere auch Leute als Partner, die ohne Zertifikate produzieren.

Leute, die sich nicht intensiv damit beschäftigen wollen, haben ohne Biosiegel derzeit kaum eine Chance, auch nur grob nachzuvollziehen, wie ihre Lebensmittel produziert werden.

Aber viele KonsumentInnen sagen, wenn sie Bio hören, als erstes: »Können wir uns nicht leisten!« Davor schauen sie nicht einmal auf den Preis. Das ist dasselbe Prinzip wie wenn Menschen zum Thema vegetarische oder vegane Speisen sagen: »Wir lassen uns das Fleisch nicht verbieten!«: Ich behaupte, das sind Aussagen, die meistens ohne irgendeine Auseinandersetzung mit dem Thema und insofern ohne Grundlage getroffen werden.

Denn das ist kein Luxus, das ist eigentlich der niedrigste Standard, den wir haben sollten. Ich bin der Überzeugung, wenn in einem Supermarkt Bio gar nicht angeschrieben ist, sondern auf jedem konventionellen Apfel steht, mit welchen Spritzmitteln er bearbeitet wurde, erkennen die Leute ihn als Gefahrengut und dann kaufen von 100 Leuten 80 das andere Obst. Und ich glaube, dass niemand ein Rindfleisch oder Kalbfleisch angreifen würde, auf dem steht: »enthält 4 Milligramm Colistin, 3 Milligramm Amoxicillin, …« und dazu ein Foto von den Haltungsbedingungen aufgedruckt ist. Dann werden sie sagen: »Nicht-bio kann man sich schon aus gesundheitlichen Gründen gar nicht leisten.«

Und da reden wir noch gar nicht davon, dass alles andere nicht nachhaltig ist – und wir mit viel Steuergeld die Konsequenzen ausbaden versuchen müssen.

Wie geht es Ihnen mit Marketing, das lautet: Beides – bio und konventionell – ist gut und hat seine Vor- und Nachteile?

Nicht jeder konventionelle Bauer, jede konventionelle Bäuerin arbeitet schlecht, wir haben

Es ist so, wie wenn Greenpeace schreibt: Der Eisbär stirbt. Wen interessiert das in Tirol? Wann der nächste Sessellift zugesperrt wird, das interessiert die Leute in Tirol. Für mich lautet die Frage: Wie kommen wir dazu, dass die Leute Begrifflichkeiten besser verstehen?

Sie haben das Gefühl, es ist zu wenig bekannt, dass Bio konkrete Standards beispielsweise in puncto Pestizideinsatz und Tierhaltung umfasst?

Genau. Und wir tun ja eigentlich alles, um nicht befähigt zu werden, über Lebensmittel Bescheid zu wissen. Wenn wir Interesse hätten, den Menschen Verständnis von Lebensmitteln zu vermitteln, würden wir bei den Schulen und Kindergärten beginnen. Da wäre eine Verpflichtung zum Biostandard für mich naheliegend. Und dass Schulkinder und LehrerInnen lernen, was Bio bedeutet und was Gemüse ist und wozu man das braucht. Vielleicht ist das genauso wichtig wie Basics in Englisch, Deutsch und Mathematik.

Produktion von Lebensmitteln und deren Nährwert sollte also in den Lehrplan und Bioverpflegung als Standard in Kindergärten und Schulen vorgeschrieben werden?

Das wäre unsere Fürsorgeverantwortung. Das darf man nicht den einzelnen Menschen überlassen, sondern das muss der Staat bestimmen. Es handelt sich außerdem ja um Präventionsausgaben, denn wenn man schaut, was wir bei Kindern an Fettleibigkeit oder Diabetes haben: Das kommt von den hochindustriell gefertigten Produkten und nicht von übermäßigem Rahmgurkenverzehr. Und man muss auch den Mythos ein für alle Mal beseitigen, dass die Weltbevölkerung ohne konventionelle Landwirtschaft nicht ernährt werden kann. Das Gegenteil ist der Fall: Degenerierte Böden sind leblos.

Ein systemisches Verständnis von Landwirtschaft würde solche Mythen weniger glaubhaft erscheinen lassen?

Ich denke wie gesagt oft darüber nach, wie man das Argument »Bio oder Demeter ist nicht leistbar« entkräften kann. Für die meisten sind Demeterbäuerinnen und -bauern irgendwelche esoterischen Spinner. Aber das ist komplett falsch, denn sie beschäftigen sich mit der Natur, beobachten die Natur und pro -

duzieren auf dieser Grundlage Lebensmittel für uns alle – warum wollen wir solche Leute diffamieren, die einen wahnsinnigen Job für uns machen?

Also im besten Sinne wahnsinnig. Manche sind aber außerdem auch EsoterikerInnen. Ich weiß auch nicht, warum es so wichtig ist, Zeug zu vergraben und auf eine gewisse Wei-

»Es handelt sich außerdem ja um Präventionsausgaben, denn wenn man schaut, was wir bei Kindern an Fettleibigkeit

oder Diabetes haben: Das kommt von den hochindustriell gefertigten Produkten und nicht von übermäßigem Rahmgurkenverzehr.«

Koch Paul Ivic´

se zu stapeln, aber wenn man dran glaubt: Soll so sein!

Für viele Leute ist Zeitmangel das, was sie vom täglichen Kochen abhält. Ich glaube, man hat uns eingeredet, dass Kochen Zeitverschwendung ist. Und ich bin halt 45 und woran erinnere ich mich aus meiner Kindheit am besten? Daran, dass meine Eltern, die im Winter sieben Tage die Woche gearbeitet haben, nie unter zwölf Stunden Arbeitszeit, sich trotzdem die Zeit dafür genommen haben – Zeit für jemanden anderen. Das heißt, Essen hat für mich immer etwas mit einer enorm hohen Wertschätzung zu tun. Wenn man sich auch im Single-Haushalt nicht 10–15 Minuten Zeit nimmt – so lange braucht eine Tiefkühlpizza übrigens – um sich was Gescheites zu kochen, bist du dir nichts wert. Und unter was Gescheitem verstehe ich nicht Aufwendiges, es reichen einfach gekochte Salzkartoffeln, die können sensationell schmecken und mit ein bisschen Kräutertopfen dazu hast du ein vollwertiges, gutes Essen.

TEXT

GROSSES GEMÜSEKINO

Sternekoch Paul Ivic´ ist engagierter Botschafter der vegetarischen Küche in Österreich, seit Jahren besetzt er mit Selbstverständlichkeit die Hauptrollen seiner Menüs mit Gemüse. Gleichzeitig sind Ivic´s Rezepte aber auch solche der vegetarischen österreichischen Küche – auch wo es nicht um Eierschwammerlgulasch und Linsensalat mit Kernöldressing geht, ist seine Handschrift von der Küche des Alpenraums mitgeprägt.

Mit dem 400 Seiten starken Manifest »Vegetarisch« bietet er nicht nur Rezepte, die eher aus seiner Haubenküche inspiriert sind (Fenchel im Salzteig), sondern vor allem auch viel flott Zubereitetes wie Pasta mit schneller Tomatensauce oder eben auch sehr Regionaltypisches wie Grießnockerlsuppe, Kartoffelbuchteln, Käsespätzle – in einfacher, für Verständ-

lichkeit im gesamten deutschsprachigen Raum angepasster Sprache.

Die Komplexität wird im Buch durch ein bis drei Fenchelknollen angezeigt – im Folgenden mit Schwierigkeitsgrad 1–3 übersetzt. Das ganze Konzept ist unprätentiös – exotische Zutaten werden durch das Ausschöpfen des in Österreich (und der Großteil davon auch in ganz Deutschland) aus regionaler Produktion halbwegs gut verfügbaren Gemüses quasi überflüssig; die entsprechende Warenkunde liefert Ivic´ mit, samt Saisonkalender und Einkaufsratgeber. Ivic´ bietet allen, die bereit sind, ein wenig Zeit und Hingabe zu investieren, Anleitungen, um zu Hause ohne Firlefanz richtig gute Gemüsegerichte zu kochen. Dass das Buch seinen Platz in der Reihe der Standardwerke finden wird, scheint schon ausgemachte Sache.

Irina Zelewitz

AJOBLANCO MIT

NORI UND GURKE

SCHWIERIGKEITSGRAD 1 VON 3

ZUTATEN

• 180 g Knoblauch

• 160 ml Olivenöl

• 100 g Gurkenabschnitte (s. u.)

• 70 g geröstete Macadamianüsse (oder geröstete Mandeln)

• 50 ml Apfelsaft

• 90 ml Tomatenwasser oder Gemüsefond

• 1 EL Apfelessig

• Zitronensaft zum Abschmecken

ZUBEREITUNG

Nori-Dressing

• 50 ml Apfelessig

• 1 TL Zucker

• 3 Blätter Nori-Algen

• 50 ml Sojasauce

• Saft von 1 Zitrone

Gurkenparisienne und Bänder

• 3 Gurken

Ein Gefäß mit 2 l sehr heißem Wasser füllen, die Knoblauchknollen in Zehen aufteilen und 10 Minuten in das Wasser legen. Dieser Vorgang erleichtert das Schälen. Anschließend herausnehmen und aus den Schalen drücken.

Das Öl in einem Topf erhitzen und die Knoblauchzehen bei niedriger Hitze sehr weich garen, das dauert etwa 20 Minuten. Der Knoblauch wird nicht nur weich, sondern entfaltet auch ein angenehmes feines, mildes Aroma.

Die Gurkenreste mit allen Zutaten vermengen und fein mixen. Mit Salz und Zitronensaft abschmecken.

Nori-Dressing

Für das Dressing den Apfelessig mit dem Zucker aufkochen, die Nori-Blätter in Stücke reißen, zugeben und die Flüssigkeit auf die Hälfte reduzieren. Sojasauce und Zitronensaft zufügen und möglichst glatt pürieren. Die Gurkenstücke mit dem Nori-Dressing marinieren.

Gurkenparisienne und Bänder

Die Gurken waschen. Aus zwei Gurken Parisienne ausstechen, alternativ die Gurken halbieren, die Kerne herausschaben und für die Ajoblanco beiseitestellen. Aus dem Rest 2-cm-Würfel schneiden. Aus der dritten Gurke mit einem Sparschäler oder Gemüsehobel feine Bänder herstellen.

Fertigstellen

Die Ajoblanco in tiefe Schalen oder Suppenteller füllen, die marinierten Gurkenstücke und Bänder daraufgeben und noch etwas Dressing darüberverteilen.

DAZU PASSEN

Helles, frisch getoastetes Brot oder in der Pfanne geröstetes Brot.

REZEPTE AUS:

TOMATENWASSER

AUS DEN »BASICS« VON »VEGETARISCH«

ZUTATEN

• 2 kg vollreife, sonnengereifte Tomaten

ZUBEREITUNG

• 1 TL Salz

• 1 TL Zucker

Die Tomaten halbieren und vom Strunk befreien. In einen Mixbehälter geben und mit Salz und Zucker pürieren.

Ein nasses Baumwolltuch (Geschirrhandtuch) oder

Passiertuch in ein Sieb legen, mit einer passenden Schüssel darunter. Anschließend das Tomatenpüree hineingießen und über Nacht abtropfen lassen. Dadurch wird der Tomatenfond klar wie Wasser.

Eine schnellere Version kann durch Pressen des Tomatenpürees im Baumwolltuch in 10 Minuten erledigt werden. Einziger Nachteil dabei ist, dass der Tomatenfond nicht mehr klar ist – dem Geschmack tut das aber keinen Abbruch.

TIPPS

Für einen intensiveren Geschmack kann das Tomatenwasser auch eingekocht werden.

Tomatenwasser kann gut eingefroren werden oder in einem sterilisierten Glas gut verschlossen kühl gelagert werden. Das Tomatenwasser kann gerade zu Hause wie ein natürlicher Geschmacksverstärker eingesetzt werden. Vor allem die Samen enthalten viel natürliche Glutaminsäure, die durch Reduzieren der Flüssigkeit verstärkt wird und viele Gerichte noch runder und stimmiger schmecken lässt.

»VEGETARISCH« von Paul Ivić, 2024, DK Verlag.

MISO-HASELNUSSMELANZANI

SCHWIERIGKEITSGRAD 1 VON 3

ZUTATEN

• 4 Auberginen

Miso-Marinade

• 120 ml Weißwein (am besten Riesling)

• 50 g brauner Rohrzucker

• 200 g helle Miso-Paste (am besten Saikyo)

• 2 EL natives Haselnussöl (oder Rapsöl)

ZUBEREITUNG

• Saft und Abrieb von 1 Biolimette (oder Bergamotte)

Fertigstellen

• frische Kräuter nach Belieben (z. B. Zitronenverbene, Koriander, …)

Den Backofen auf 220 °C Umluft vorheizen. Die Auberginen im Ganzen auf ein Blech geben, 25 Minuten im Ofen garen. Die Auberginen aus dem Ofen nehmen, leicht abkühlen lassen, dann die Haut abziehen. Die Auberginen zwischen zwei Blätter Küchenrolle legen und vorsichtig die Flüssigkeit herausdrücken. Dann halbieren.

Miso-Marinade

Den Weißwein in einer Pfanne bei mittlerer Temperatur auf 40 ml reduzieren lassen. Den Zucker in der warmen Flüssigkeit auflösen. Den reduzierten Weißwein abkühlen lassen und mit den restlichen Zutaten verrühren.

Fertigstellen

Die halbierten Auberginen auf ein Blech legen und großzügig mit der Miso-Marinade bepinseln; 5 Minuten ziehen lassen. Das Blech zurück in den Ofen schieben und etwa 15 Minuten bei maximaler Hitze und Umluft so lange garen, bis die Auberginen goldbraun sind. Aus dem Ofen nehmen und nach Belieben mit frischen Kräutern servieren.

DAZU PASSEN

Alle möglichen Vorspeisen. Am schönsten ist es, verschiedene in die Mitte des Tisches zu stellen und mit anderen gemeinsam zu genießen. Zum Beispiel: Radicchio mit Parmesan, gegrillte Romanasalatherzen mit grüner Gazpacho, Weißkohlstrudel, Artischocken-Tortilla mit marinierten Tomaten.

BÄRLAUCHSPÄTZLE MIT

STROGANOFF-SAUCE

SCHWIERIGKEITSGRAD 2–3 VON 3

ZUTATEN

für die Bärlauchspätzle

• 3 Eier

• 100 ml Milch

• 2–3 EL Bärlauchpesto (s. Buch)

• 1 TL Salz

• Muskatnuss, frisch gerieben

• 250 g Mehl

• 2 l Wasser

für die Stroganoff-Sauce

• 250 g Champignons

• 100 g Zwiebeln

• 250 g rote Paprikaschoten

• 100 g Essiggurken

• 3–4 EL Olivenöl

• 125 ml Cognac

• 1 TL Senf

• 1 EL Paprikapulver edelsüß

• 250 g Schlagsahne

• 250 ml Gemüsefond (s. Buch)

• 2–3 EL Essiggurkenwasser

• 2 EL geschnittene Petersilie

• 1 TL Maisstärke

• 2 EL Wasser

• Saft und Abrieb von 1/2 Biozitrone

ZUBEREITUNG

Bärlauchspätzle

Eier, Milch und Bärlauchpesto gut verrühren. Mit Salz und Muskat würzen und 10 Minuten abgedeckt ruhen lassen. Die Eimasse kräftig in das Mehl einarbeiten, damit keine Klumpen entstehen. Das Wasser salzen und zum Kochen bringen. Die Spätzlemasse mithilfe eines Spätzlesiebs und einer Teigkarte in das Wasser »reiben«. Mit einem Kochlöffel gut durchrühren. Die Spätzle einmal aufkochen und 2–3 Minuten ziehen lassen, mit einem Schaumlöffel aus dem Wasser nehmen. Mit der Stroganoff-Sauce anrichten und servieren.

Stroganoff-Sauce

Die Champignons je nach Größe vierteln oder sechsteln. Die Zwiebeln schälen, vierteln und in feine Streifen schneiden. Die Paprika vierteln, von Samen und Scheidewänden befreien und in 2–3 cm lange, feine Streifen schneiden. Die Essiggurken ebenfalls in 2–3 cm lange, feine Streifen schneiden. Das Olivenöl in einem Topf erhitzen, die Champignons darin 5 Minuten anbraten und salzen. Die Temperatur reduzieren und die Zwiebeln zugeben und 5 Minuten leicht farblos anschwitzen. Mit Cognac aufgießen und vollständig verkochen. Paprikastreifen, Senf, Paprikapulver sowie Sahne und Gemüsefond zugeben und weitere 5 Minuten leicht köcheln lassen.

Essiggurken und Essiggurkenwasser sowie Petersilie zugeben. Die Maisstärke mit dem Wasser anrühren. Die Sauce aufkochen, die Maisstärke einrühren und weitere 2 Minuten köcheln lassen. Vom Herd nehmen, mit Zitronensaft und -abrieb verfeinern.

Bœuf Stroganoff ist ein Klassiker der gehobenen Küche und wurde erstmals in einem russischen Kochbuch von 1871 erwähnt. Meine Stroganoff-Sauce ist selbstverständlich vegetarisch, hat aber den säuerlichen Anklang und die Cremigkeit, die das Original ausmachen.

NEU ODER NOCH GUT

Empfehlungen, Warnungen, warnende Empfehlungen. Von Neuentdeckungen und alten Perlen. Auf dass uns Weghören und -sehen vergeht.

»HAPPY PLACES – GÄRTEN DER WELT« / LONELY PLANET, 2024.

Vorgelesen für alle, die Glück in grünen Paradiesen suchen.

Dieses Buch macht deutlich: Gärten gibt es in allen Varianten und Größen. Allerdings: Viele der hier beschriebenen und fotografierten Orte sind wohl eher Parks als Gärten. Abseits aller Definitionsfragen macht dieses Buch große Lust darauf, Orte zu entdecken und dabei »Glück« zu finden, wie im Vorwort versprochen wird.

60 Gärten, Parks, Friedhöfe und Naturschutzgebiete stellen die AutorInnen auf jeweils drei Seiten vor. Dazu kommen jeweils zwei Kurzporträts ähnlicher Orte in anderen Regionen. Eine Weltreise in Grün? Nicht nur, denn es werden auch Skulpturen- und Industrieparks oder Schottergärten beschrieben. Die Vielfalt menschlicher Gestaltungsideen ist unbegrenzt und spiegelt sich in den künstlich angelegten Landschaften rund um den Globus. Weithin bekannte Anlagen und TouristInnen-Klassiker wie die Highline in Manhattan oder der Salzburger Schlosspark Hellbrunn finden sich in dem Band ebenso wie nicht so Bekanntes sowie Überraschendes. Wer etwa mit England den klassischen englischen Garten assoziiert, stößt auf Beth Chatto’s Plants & Gardens, wo Stranddisteln und Federgräser auf Schotter wachsen. Mit Sissinghurst Castle, Hever Castle und Walmer Castle kommen aber auch Fans des Klassischen auf ihre Kosten – nur um beim Weiterblättern auf den Giardino dell’Impossibile zu stoßen, einen Steinbruchgarten auf Sizilien.

Praktische Infos zu Anreise, allfälligen Eintrittsgebühren oder Barrierefreiheit ergänzen die Beschreibungen der Gartenanlagen ebenso wie Mini-Interviews mit BetreiberInnen sowie MitarbeiterInnen der Gärten. »Happy Places. Gärten der Welt. 60 besondere Orte zum Staunen und Innehalten« ist ein Buch für eine ausgedehnte und entspannende Couchreise in alle Weltregionen.

MARTIN GUSS / »UMSTIEG AUFS ELEKTROAUTO« / Stiftung Warentest, 2025.

Vorgelesen für alle, die ein möglichst umfassendes und praktisches Kompendium rund ums Thema E-Auto suchen.

Stiftung Warentest sammelt auf rund 250 Seiten umfassendes Wissen rund ums E-Auto und geht dabei nicht nur auf Eigenheiten eines mit Strom betriebenen Pkw und so manch Vorurteil gegenüber dem E-Auto ein, sondern schreibt auch kurz und bündig über Ladeinfrastruktur, Möglichkeiten der Finanzierung oder Versicherung. Vieles von dem, was hier an Wissen gesammelt ist, ist Interessierten bereits bekannt –es ist hier noch einmal kompakt gesammelt und bietet einen fundierten Überblick. Die Kapiteleinteilung sowie die übersichtliche und gelungene Aufmachung machen das Buch auch für jene wertvoll, die nur bestimmte Teile nachlesen wollen. Wenige Kapitel wie jene zu steuerlichen Regelungen sind länderspezifisch und gelten nur für Deutschland. MARTIN MÜHL

UND

SONST SO, IM BIORAMAUNIVERSUM ...

OUT SOON

Die fünfzehnte

BIORAMA-NiederösterreichRegionalausgabe

Das wunderschöne Bundesland Niederösterreich umgibt die österreichische Bundeshauptstadt Wien, da liegt es uns besonders nahe, schwerpunktmäßig darüber zu berichten, was dort nachhaltig bewegt. In der nächsten Regionalausgabe dreht sich vieles um Energie, deren gemeinsame Erzeugung und Speicherung.

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BIORAMA BIOKÜCHE 2025

Das BIORAMA-Bookazine für alle ÖsterreicherInnen, die Wert auf biologische Küche legen, geht in die fünfte Runde! Wir zeigen die Vorzeigebetriebe der Bioverpflegung genauso wie jene, die deren Grundlagenarbeit machen: BioproduzentInnen von Vorarlberg bis zum Neusiedler See. Bei uns erzählen sie, worauf sie stolz sind und womit sie hadern. Schwerpunktmäßig widmen wir uns in der aktuellen Ausgabe der fünften Geschmacksrichtung – Umami. Richtig viele, richtig gute Produktempfehlungen, Küchentipps und Rezepte gibt’s wie immer obendrauf! Die bisherigen Ausgaben der BIORAMA BIOKÜCHE sind auch online. biorama.eu/ausgaben

MAGAZIN

TEXT

Ursel Nendzig

ACH, LINDA BRAUCHT KEIN KONTO.

Warum ich seit Jahren die Bankfiliale ums Eck meide? Fragt die Söhne und ihre imaginäre Schwester.

Nachdem die Söhne mehrere Jahre lang ihr mühsam zusammengehaltenes Taschengeld in zwei Weltspartag-Geschenks-Sparbüchsen sammelten, verkündete ich eines Tages (feierlich): »Heute, liebe Söhne, werdet ihr euer erstes Bankkonto bekommen!« Große Aufregung und viele, im Hüpfen gestellte, Fragen auf dem Weg zur nächsten Bankfiliale. Dort empfing uns eine sehr, sehr nette junge Bankberaterin, die zu Beginn unseres Termins wohl nicht ahnte, dass sie nur wenige Minuten später mit dem Gedanken spielte, das Jugendamt zu verständigen.

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

Doch der Reihe nach. Es begann mit einem ausführlichen Beratungsgespräch, bei dem alle vorhandenen Kekse, mehrere Zuckertütchen und zwei Kleinstpackungen banklogoförmiges Gummizeug vernichtet beziehungsweise auf dem Boden (Teppich!) verteilt wurden. Danach füllte ich brav zwei vielseitige Anträge auf zwei Sparkonten aus. Währenddessen –ich nehme an, die Bankberaterin nutzte die Gelegenheit, ihren Kinderwunsch auf die Probe zu stellen – ließ sie die beiden Söhne den Kopierer bedienen, ihren Drehstuhl ausprobieren, die Papierschneidemaschine benutzen und zeigte ihnen, wo überall Überwachungskameras angebracht waren.

schub, in etwa so, wie ich es auch der nun alarmierten Bankberaterin versucht habe, zu erklären: Der große Sohn, damals neun Jahre alt, hatte zum ersten Geburtstag ein Stofftier geschenkt bekommen, ein Schaf, das man zum Aufwärmen in die Mikrowelle setzen konnte und das den Namen Linda schon per Etikett mitbrachte. Weil sie aber sehr üppig mit wärmespeichernden Hirsekörnern gefüllt ist, wurde sie »die dicke Linda« genannt. Der große Sohn liebte die dicke Linda vom ersten Augenblick an, liebt sie bis heute, nahm sie bis vor Kurzem mit auf Schulsportwoche und lässt sie, so cool kann er gar nicht sein, in seinem Bett übernachten. Seiner großen Liebe verlieh er nicht nur dadurch Ausdruck, dass er sie als Schwester anerkannte, son-

»Heute, liebe Söhne, werdet ihr euer erstes Bankkonto bekommen!«

Als Nächstes waren Stammdatenblätter dran, die sie am Computer ausfüllte, beide Söhne dicht neben ihr, jeweils über ihre Schultern auf den Bildschirm schauend. Sie war äußerst geduldig, fragte immer zuerst die Söhne nach Straße, Hausnummer und Geburtsdatum – und schließlich auch nach der Haushaltsgröße. Ob sie noch mehrere Geschwister hätten? Der größere Sohn antwortete, ohne zu zögern: »Die dicke Linda, die ist acht.« Nun wird es Zeit für einen kurzen Ein-

dern auch, dass er niemals ihren vollen Namen abkürzte, sondern sie immer als »die dicke Linda« bezeichnet, also auch dann, wenn er in der Bank nach Geschwistern gefragt wurde.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Zweifel der Bankberaterin ganz ausräumen konnte, indem ich behauptete, es handle sich um ein Stofftier, die Söhne waren keine Hilfe, sie waren ausgerechnet jetzt das erste Mal an diesem Nachmittag stumm wie zwei Fische.

So lächelte sie höflich die Vorstellung weg, dass zu unserem Haushalt ein achtjähriges Mädchen gehört, das wir »die dicke Linda« nennen und das als einziges von drei Geschwistern kein Konto bekommt – während die beiden Buben in traditionell österreichisch-deutscher Manier zumindest über ein Sparkonto an den Umgang mit Geld herangeführt werden.

Für aufgeweckte Weltretter.

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