ECHT ANZIEHEND
Niederösterreich hat sich wieder sommerfrisch gemacht.
Wie früher: Eine Zeitreise durchs Weinviertel, entlang der Nordwestbahn.
Wie erfunden: Die Authentizität, die wir meinen, umfasst Original und Fälschung.
Wie
Niederösterreich hat sich wieder sommerfrisch gemacht.
Wie früher: Eine Zeitreise durchs Weinviertel, entlang der Nordwestbahn.
Wie erfunden: Die Authentizität, die wir meinen, umfasst Original und Fälschung.
Wie
»Gerade im Bereich der Nachhaltigkeit gibt es zahlreiche Handlungsfelder, in denen Niederösterreich mit einer konsequent nachhaltigkeitsorientierten Angebotsentwicklung und Kommunikation wesentliches Differenzierungskapital gegenüber den touristischen Mitbewerbern entwickeln kann. Dazu zählt in erster Linie die Steigerung der nachhaltigen touristischen Mobilität und Konnektivität – sowohl bei der Anreise an den Ausflugs-/Urlaubsort als auch bei der Fortbewegung vor Ort. Niederösterreich soll zukünftig klar stärker als nachhaltig erreichbare Destination positioniert werden«, heißt es in der »Tourismusstrategie Niederösterreich 2025« (Stand August 2023).
Das sind, wenn auch nicht sehr konkrete, dann doch klare und ambitionierte Zielsetzungen. Wenn sie allerdings nur in der Tourismusstrategie, nicht aber in der Wirtschafts- (gibt es, zeitgleich entstanden) oder etwa einer Mobilitätsstrategie (derzeit gibt es ein »Mobilitätskonzept« aus dem Jahr 2015) zu finden sind, könnte irgendwann auch bei der Gäste-Zielgruppe der Eindruck entstehen, der Fokus läge mehr auf der Vermarktung einer Erzählung zu nachhaltigen Mobilitätsformen für TouristInnen (die wollen das hören), als auf einer echten Mobilitätswende, die das Mobilitäsverhalten von UrlauberInnen lediglich nicht vergisst. Aber das ist spekulative Zukunftsmusik. Insgesamt brachte 2023 für den Tourismus in Niederösterreich 7.337.200 Nächtigungen, ein Plus von 11,2 Prozent. Häufige Motive für einen Urlaub in Niederösterreich sind bekanntlich: ein dichtes Netz an Landstraßen, die für europäische Verhältnisse auffällig stabile Lebensmittelsicherheit und die Begrenzung von Blühstreifen und anderen ein aufgeräumtes Landschaftsbild störenden Maßnahmen auf ein erträgliches Ausmaß. Zusammengefasst: Wer will schon Natur oder gar künstlich und umständlich wiederhergestellte Natürlichkeit? Daher gilt es, Kurs zu halten, denn hier wird das Kapital von Morgen geschaffen – für die Lebensqualität vor Ort und gleichzeitig für die Anziehungskraft weit über die Landesgrenzen hinaus.
Irina Zelewitz, Chefredakteurin zelewitz@biorama.eu
IMPRESSUM
HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEURIN Irina Zelewitz AUTORINNEN Martin Mühl, Ulrike Potmesil, Hanna Stummer, Thomas Weber, Martin Zellhofer GESTALTUNG Ulrike Dorner, Stefan Staller LEKTORAT Barbara Ottawa ANZEIGENVERKAUF Herwig Bauer, Thomas Weber DRUCK Walstead NP Druck GmbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT Biorama GmbH, Windmühlgasse 9/14, 1060 Wien; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT biorama.eu/abo ERSCHEINUNGSWEISE BIORAMA 6 Ausgaben pro Jahr ERSCHEINUNGSORT Wien.
BLATTLINIE BIORAMA ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. BIORAMA erscheint sechs Mal im Jahr. Zusätzlich erscheinen wechselnde BIORAMA-Line-Extentions.
Wir wundern uns auch. Und wünschen viel Freude beim Entdecken niederösterreichischer Kultur, Kulinarik und noch intakter Landschaft, einen frischen Sommer und gute Lektüre! Bitte sammeln Sie Altpapier für
PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und kontrollierten Quellen www.pefc.at Thomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu @th_weber
Auf der Suche nach Spuren »lieblicher Landschaft« in einer Gegend, die zumindest 1933 »weit besser ist, als ihr Ruf wissen will«.
03 Editorial
06 Bild der Ausgabe
08 Street Talk
10 Global Village
13 Meine Stadt
16 Ist gar nichts mehr wie früher? Ein Ausflug ins Weinviertel – früher und heute.
22 Fiktion ganz nah am Echten Gäste sind auf der Suche nach dem Regionstypischen, dem Ursprünglichen.
28 Veni, Vidi, Wahlwaldviertler Zeno Stanek im Portrait.
35 Bastlerhits in ruhmreicher Ruhelage Neben historischen Bauwerken belebt die NÖ Landesausstellung auch die repräsentierte Region.
38 Sonne, wo Kohle war Eine Geschichte vom Wandel der Stromerzeugung.
42 Kochbuchempfehlung Die Mehlspeisrezepte niederösterreichischer Köchinnen.
44 Genuss erfahren
Auf geführten E-Bike-Touren lassen sich Biobetriebe um Langenlois erleben.
46 Rezensionen Empfehlungen, Warnungen, warnende Empfehlungen.
KOLUMNEN
49 Aus dem Verlag
50 Hintaus
Vom »Zuagrastn« zum Festivalintendanten und Regionalentwickler des nördlichen Waldviertels: Zeno Stanek.
Die jährlich wandernde Niederösterreichische Landesausstellung ist Pflegemaßnahme für Burgen und Schlösser, aber auch für Regionen.
Die Suche nach dem Echten ist für viele zentrales Urlaubselement. Doch die Grenzen zur Fälschung sind fließend.
Nach der Entscheidung gegen Zwentendorf wurde in Dürnrohr ein Kohlekraftwerk errichtet. Jetzt ist dessen Lager einem Solarpark gewichen.
PEFC/06-39-08
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VISUALISIERUNG: ANNA VASOF
An den klassischen ausziehbaren Werkzeugkasten angelehnt ist die begehbare Skulptur von Architektin und Medienkünstlerin Anna Vasof, die seit Ende Mai im Innenhof des neuen Wohnheims der Landesberufsschule Mistelbach zu finden ist. Das mit Stahlblech verkleidete Objekt in Form eines geöffneten Werkzeugkastens ist im Inneren mit Sitzflächen ausgestattet. Es soll von den Lehrlingen nicht nur als
Aufenthaltsort genutzt werden können, sondern stellt auch auf humorvolle Weise einen Bezug zur Berufsschule und den zukünftigen Berufswegen der Jugendlichen her. Die eigenen Fähigkeiten sind dabei die Werkzeuge, die im Zuge der Ausbildung genutzt und verbessert – und anders als gedacht verwendet werden können. HANNA
koernoe.at
52, Krankenschwester
Ich glaube das war am Barockfestival in Schloss Hof. Das findet jedes Jahr statt, es gibt dort Pferde, schöne Kostüme und eben alles was zu barocken Festivitäten dazugehört.
20, Zivildiener
Das war mit Freunden an der Achterlacke in Wiener Neustadt. Dort kann man im Sommer super Volleyball spielen.
32, Selbstständig
Ich wohne noch nicht sehr lange hier in Wiener Neustadt, aber tatsächlich hatte ich meinen schönsten Ferientag in letzter Zeit hier im Stadtzentrum. Den habe ich einfach damit genossen, am Hauptplatz Kaffee zu trinken.
32, Kanzleiangestellte
Da denke ich an den Eis-Greissler-Park in Krumbach, dort war ich letztes Jahr mit meinem Sohn. Das ist eigentlich ein riesiger Spielplatz, ein großes Areal mit Achterbahn, Rutschen, Trampolinen und einem großen Wasserspielplatz, für Kinder also ideal.
55, Schönheitsberaterin
Das war bei den Myrafällen bei Muggendorf. Dort ist es wunderschön zu spazieren, frische Luft zu tanken und dem Wasser zuzuschauen.
26, Projektmanager
Für mich war das ein wirklich schöner Wandertag auf der Rax.
19, Schülerin
Der war in St. Corona. Am liebsten habe ich die Sommerrodelbahn, aber auch der Motorikpark gefällt mir und spazieren kann man dort auch sehr schön.
66, ehemalige Hauptschullehrerin
Der war auf Schloss Hof im Marchfeld. Dort gibt es Führungen durch das Schloss; durch die dazugehörenden Gärten zu spazieren ist sehr erholsam und friedlich. Ein Highlight waren auch die dort gezüchteten weißen Esel.
71, ehemaliger Installateur
Ich mache sehr gerne Ausflüge, in Puchberg am Schneeberg gefällt es mir und meiner Lebensgefährtin besonders. Der Teich ist sehr schön zu umrunden und auch das Kaffeehaus dort mögen wir.
Nahe Drösing lädt ein die dort vorkommenden Sanddünen als Inspiration nutzender Radrastplatz zum Verweilen ein.
Zum 100-jährigen Bestehen des Bundeslandes Niederösterreich wurde 2022 der Iron Curtain Trail, der Radfernweg entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs, von Hohenau bis Marchegg mit Kunstinstallationen versehen. Die im Rahmen des Gruppenprojekts »Super Natur« kuratierten, teils permanenten und teils temporären, Kunstprojekte nehmen auf die spezielle Geschichte des ehemaligen Grenzraumes Bezug. Neu hinzugekommen ist dabei kürzlich eine vom Wiener Designstudio Mischer Traxler gestaltete Raststation bei Drösing, die den Namen »Duene« trägt. Als Inspiration für den mit Metall und Netz gestalteten Rastplatz dienten die nahe gelegenen Sanddünen bei Drösing – jene einzigartige Landschaft, die viele sonst nirgendwo in Österreich vorkommenden Pflanzen und Tiere beheimatet, darunter etwa den Sandthymian (mitunter besser bekannt als Quendel, der in Mitteleuropa inzwischen insgesamt selten geworden ist), oder die geschützte Kreiselwespe, die im Sand ihr Nest gräbt. Bevor die Dünen nach der letzten Eiszeit durch zunehmende Vegetation stabilisiert wurden, haben sie ständig neue Formen angenommen – und das diente als Vorbild für die Gestaltung der nun installierten und für alle, die eine kleine Pause machen wollen, zugänglichen Hängematten und Fahrradständer. HANNA STUMMER
koernoe.at
Zentrale Bedeutung von Fließgewässern und Trockenrasenbergen fürs zentrale Weinviertel.
Die Natur des zentralen Weinviertels erforschen, verstehen, fördern und erleben – dieses Ziel hat ein Projekt des Naturschutzbund Niederösterreichs. Für die Region Weinviertel-Manhartsberg sind sowohl die sie durchziehenden Fließgewässer als auch ihre Trockenrasenberge enorm wertvoll. Diese dienen aufgrund ihrer speziellen Bedingungen wie Nährstoffarmut und Trockenheit als Rückzugsort für viele gefährdete Pflanzen- und Tierarten, die sich an die besonderen Gegebenheiten angepasst haben. Die Ziele des bis Ende Oktober 2024 laufenden Projekts sind auf die verschiedenen Teile des Naturraumes ausgelegt. Beispielsweise soll die Biodiversität der Fließgewässer durch Kartierung gewisser Artengruppen aufgezeigt und Vorschläge zu ihrer Förderung ausgearbeitet werden. Bei der Pflege des Trockenrasens helfen Freiwillige aus verschiedenen Ländern im Rahmen des »Green Belt Camps« zur Erhaltung des »Grünen Bands«, einem beinahe 13.000 Kilometer langen Biotopverbunds entlang des während des Kalten Krieges weitgehend sich selbst überlassenen Streifens Natur auf beiden Seiten der Grenze des Eisernen Vorhangs. Freiwillige ab 18 Jahren können sich für die Camps im Frühherbst 2024 melden. HANNA STUMMER
Bichel, Kobel, FeldraineKleine
Übernehmen Sie eine Patenschaft und leisten Sie damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt und zur Anpassung an den Klimawandel!
Bei Übernahme einer Patenschaft können Sie das Landschaftselement gerne besuchen und erleben, wie es sich im Jahresverlauf verändert.
Bichel, Kobel und Feldraine sind nicht genutzte Strukturen zwischen den landwirtschaftlichen Flächen, die Lebensraum für sehr viele Tier- und Pflanzenarten sind.
KLAR! Waldviertler Kernland +43 2872 / 200 79 40 klar@waldviertler-kernland.at www.patenschaft-vielfalt.at
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Eigenes Bildungsprogramm mit mehr als 600 Veranstaltungen im Jahr
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Bezahlte Mittagspause und flexible Arbeitszeitmodelle, zum Beispiel Altersteilzeit oder Pflegeteilzeit
Programme zur Förderung der physischen, psychischen und mentalen Gesundheit
Alle Informationen finden Sie im KarriereCenter der NÖ LGA�
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TEXT UND BILD
Die Geschichte der Mittelalter- und Stadtmauernstadt Hainburg lässt sich erwandern. Beim ältesten Stadttor, dem Ungartor aus dem 13. Jahrhundert, beginnt die Tour, weiter geht es am Helden-, dann am Halterturm und dem Theodorapalast vorbei zur Marc-Aurel-Kaserne. Am Bürgerspital vorbei erreicht man das Wiener Tor. Über den Hauptplatz geht man weiter durch die Blutgasse und das Fischertor und gelangt schließlich zum Donauufer.
Start- und Endpunkt der Radtour ist die Schiffsanlegestelle. Von hier aus geht es Richtung Westen, soweit man radeln will oder kann. Erlebenswert ist die Querung der Donau und der Weg durch die stromaufwärts liegende Stopfenreuther Au. Die Keimzelle des Nationalpark Donau-Auen, wo der Protest tausender Menschen im Jahr 1984 das geplante Donaukraftwerk verhinderte.
Ulrike Potmesil stammt aus dem Weinviertel und hat ihren Lebensmittelpunkt nach Hainburg verlegt. Der Blick von ihrer Wohnung auf die Donau hat es ihr besonders angetan, denn die Journalistin liebt es zu reisen, bevorzugt auf dem Wasser – zum Beispiel mit ihrer selbst renovierten Stahlyacht auf dem Atlantik. Darüber spricht sie im Podcast »Steuerfrau«.
Hunderte Kilometer zieht sich der Donau-Treppelweg entlang, eines der unberührtesten Stücke ist jenes von Hainburg bis zur Marchmündung. Während ein Großteil des Treppelweges – der früher dazu diente, Schiffe mit Pferdekraft stromaufwärts zu ziehen – asphaltiert ist, wirkt die östlichste Strecke über die Ruine Röthelstein bis zur slowakischen Grenze wie ein Urwald-Pfad. Wochentags ist man hier in den Morgenstunden fast allein.
Der Familienbetrieb im Zentrum der Stadt ist seit 1994 Hainburgs erster und bislang einziger biologischer Weinbaubetrieb, die Flächen gehören zum Weinbaugebiet Carnuntum, eine Biobuschenschank gibt’s hier auch. Im Biohofladen bietet Familie Pinkl eine feine Auswahl an Gemüse, Wein, Most, Edelbränden, Brot, Kräutern und mehr.
Mitten in der Natur, winzigklein und außergewöhnlich. Die Tiny-Houses von Ecovillage sind der perfekte Ort zum Nichtstun. Oder auch Ausgangsort um vieles zu entdecken. Die Häuser befinden sich unter großen Nussbäumen mit Blick auf ein Baumhaus und beherbergen Doppelbett, Toilette, Waschbecken und Sitzecke. Zudem gibt es einen Badewagen und eine Gemeinschaftsküche. Am besten lässt es sich in einer der Hängematten unter den Bäumen faulenzen. Zur Zubereitung eines Frühstücks steht eine Gemeinschaftsküche bereit.
Der technologische Wandel hat das Weinviertel massiv verändert. Entseelt hat er es noch nicht.
TEXT Martin Zellhofer
1933 schaltet Bundeskanzler Dollfuß das Parlament aus und schafft demokratische Rechte ab, österreichweit gibt es bereits 600.000 Arbeitslose, NationalsozialistInnen überziehen die Straßen mit Terror, der längst weitverbreitete Antisemitismus wird nun auch staatlich verfolgt. Für viele ist da an einen Urlaub nicht mehr zu denken, und die breite Masse kann sich so einen auch gar nicht leisten. Zu-
dem bleibt Erwerbstätigen wenig Freizeit: Der Urlaubsanspruch ist gering, es gilt die Sechs-Tage-Woche mit 48 Stunden Wochenarbeitszeit, sechs davon am Samstag. Was am ehesten geht: ein Ausflug quasi vor der Haustür.
Das dachte sich wohl auch Leopold Opitz (1883–1953), der mit seinem »Nordwestbahnführer für Touristen, Sommerfrischler, Heimatkundler und Schulen« der Gegend, »die
weit besser ist, als ihr Ruf wissen will«, einen Reiseführer widmet. Er arbeitet sich an der Bahnlinie Wien–Korneuburg–Stockerau–Hollabrunn–Retz–Znojmo inklusive ihrer Nebenlinien und weiterer erreichbarer Ausflugsziele in deren Umgebung ab. 700 Stück beträgt die Auflage, die er 1933 in Eigenregie herausbringt. Viel ist über den in Wien lebenden Professor am Tullner Gymnasium nicht bekannt. Die Provinz scheint aber sein Hobby gewesen sein, denn in einer Anzeige im Buch bewirbt er Lichtbildervorträge über »die Nordwestbahnstrecke, ihre Umgebung oder über Auslandsreisen«, die er mit seinem »reichhaltigen Archiv mit Glasbildern und anderen Bildern für Projektion, Diaskop und Epidiaskop« bestreiten kann.
Heidenreichstein
PRACHTVOLLE BAUTEN UND LIEBLICHE LANDSCHAFT
Heidenreichstein
Zwettl
Zwettl
Krems an der Donau
Schon vor hundert Jahren herrschte ob der modernen Zeiten offensichtlich eine Sehnsucht nach Stille und Ruhe. So widmet Opitz seinen Reiseführer jenen, die sich angesichts der wachsenden Bevölkerung und des steigenden Autoverkehrs nach Gegenden sehnen, die »noch nicht so abgegrast sind« und am Wochenende nicht so gestürmt werden wie der Süden von Wien. Was erwartet den Ausflügler im Weinviertel? »Prachtvolle Bauten und liebliche Landschaft« und – der Vogelreichtum! Denn entlang der Nordwestbahn finden sich schwarzstirnige Würger, Rotkopfwürger, schwarzkehlige Wiesenschmätzer, Sperbergrasmücken, Sumpfrohrsänger, Heidelerchen und die Nachtigall. Die Reise beginnt am palastähnlichen, imposanten Wiener Nordbahnhof, per Dampfzug geht es hinaus Richtung Bisamberg. Erster Halt im Weinviertel ist Langenzersdorf mit seinen Häusern mit »schmaler Giebelfront mit engen, meist sehr langen Höfen«. Neben dem Bisamberg (der Naturheilkundler Florian Berndl, Begründer des Gänsehäufels, wohnt dort oben) empfiehlt Opitz einen Gang durch die Au zur Donau oder eine Überfahrt Richtung Klosterneuburg mit einer von mehreren Motorbootverbindungen (kein Betrieb bei Eistreiben!). Touristen, die zu Fuß von Wien Richtung Langenz-
Krems an der Donau
ersdorf unterwegs sind, mahnt Opitz, bloß nicht die von vielen Autos befahrene Prager Straße entlang zu gehen.
Die »anmutige Sommerfrische« Bisamberg (Opitz zufolge hat der Ort damals 2000 EinwohnerInnen) bietet »Arzt im Ort, Brunnenwasser, elektrisches Licht, Straßenbespritzung«. Korneuburg (8653 EinwohnerInnen) »weist mancherlei Sehenswertes auf«, auch die Dampfschiffe der Postlinie Wien-Linz legen hier an. Die ausgedehnten Aulandschaften laden zum Baden ein, bei warmem Wetter bringen Dampfschiffe, der sogenannte Bäderverkehr, Badegäste sonntags von Wien nach Korneu-
Znaim
Unterretzbach Retz
Zellerndorf
Retz
Guntersdorf
Hollabrunn
Breitenwaida
Göllersdorf
Absdorf
Laa an der Thaya
Unterretzbach
Zellerndorf
Guntersdorf
Sierndorf
Stockerau
Die Nordwestbahn verkehrt seit 1871 bis Znojmo – bis heute entlang der Linienführung, auf der sie vor 153 Jahren errichtet worden ist.
Die 1728–1735 gebaute historische Prager (Recihs-) Straße (vom späteren Wiener Bezirk Floridsorf Richtung Prag) hingegen ersetzt fast bis zur Grenze Autobahn und Schnellstraße, die laufend ausgebaut wurden – und auch künftig werden.
Poysdorf
Laa an der Thaya
Mistelbach
Hollabrunn
Breitenwaida
Göllersdorf
Korneuburg
Sierndorf
Absdorf
Bisamberg
Stockerau
Langenzersdorf
Strebersdorf
Floridsdorf
Nordbahnhof
Korneuburg
Bisamberg
Langenzersdorf
St. Pölten
St. Pölten
Mödling
Mödling
Strebersdorf
Floridsdorf
Nordbahnhof
MOSTVIERTEL
Bis weit ins 20. Jahrhundert begann oder endete die Fahrt der Nordwestbahn am Wiener Nordbahnhof.
burg, Kritzendorf und Greifenstein. Das nahe Leobendorf »ist eine gute und billige Sommerfrische (…), hat Postamt, Fernsprech- und Fern-
»Es sind vor allem die heute aus der Zeit gefallenen, aber 1933 als Errungenschaft geltenden Attribute, die diesen Reiseführer so interessant machen.«
Biowein
entlang der Nordwestbahn ist u. a. erhältlich in den Vinotheken Wein & Genuss Guntersdorf, Weinquartier Retz oder der Gebietsvinothek Retzer Land (im Retzer Althof) – und in unzähligen Heurigen und direkt ab Hof – zum Bespiel im Bioweingut Ingrid Groiss, 850 Meter von der Haltestelle Breitenwaida .
schreibamt, einen Arzt sowie fast durchwegs elektrische Beleuchtung«. Etwas weiter weg, im Tullnerfeld, bietet der Bahnknoten Absdorf (1405 EinwohnerInnen) »Gasthöfe für Touristen und Sommerfrischler (…), elektrisches Licht, Brunnenwasser, Automechaniker, Benzinpumpen«. Absdorf lasse sich, so Opitz, als Basis für viele Fahrten in andere Orte nutzen und biete gleichzeitig den Vorteil, dass die SommerfrischlerInnen bei Bedarf mit dem Zug schnell wieder in Wien sein können. »Schon nach einem kurzen Gang durch den Ort erkennt man ihn als reinliche, ja, geradezu schmucke Kleinstadt«. Diese Lorbeeren gelten Hollabrunn, das mit
»mehreren Humanärzten, einem Tierarzt und einer Apotheke, elektrischem Licht, Trinkwasserleitung, Straßenbespritzung, Schlachthaus mit Kunsteis und Kühlräumen, landwirtschaftlicher Genossenschaftsmolkerei (…), Lichtspielen, Familien-, Sonnen-, Luft-, Wasser-, Dampf-, Wannen- und Schwimmbad mit Schwimmunterricht“ aufwarten kann.
MIT
Während der Sommerfrischler der 1930er-Jahre bis nach Stockerau einen akzeptablen Zugfahrplan vorfindet, gestaltet sich die Ausflugsplanung nördlich davon schwieriger: Mit sechs täglichen Zügen Richtung Znojmo (nicht alle fahren bis dorthin), ergänzt um einen an Sonntagen und einen Hauptsaison-Samstagzug, muss ein Ausflug gut geplant sein. Unterwegs ist der Reisende abseits der Bahn mit dem Bus, für jeden Ort listet Opitz Busverbindungen auf. Und wo der nicht hinfährt, geht man gemäß Reiseführer halt zu Fuß. Was Opitz überhaupt nicht erwähnt, sind Wirtshäuser oder Einkaufsmöglichkeiten – weil DorfwirtIn, GreißlerIn und FleischerIn im Ort 1933 Standard waren. Es sind vor allem die heute aus der Zeit gefallenen, aber 1933 als Errungenschaft geltenden Attribute, die diesen Reiseführer so interessant
machen. Nicht so spannend sind Opitzs lange Auflistungen berühmter EinwohnerInnen einzelner Ortschaften und quälend lange Auflistungen aktiver und gewesener Professoren an den Gymnasien entlang der Strecke. Das Werk ist übrigens via die Homepage der Wienbibliothek im Rathaus digital zu lesen.
UND HEUTE?
Fast alle beschriebenen »prachtvollen Bauten« – Kirchen, Schlösser, historische Gebäude oder Denkmäler – lassen sich heute noch besichtigen. Tatsächlich ist die Nordwestbahnachse auch noch reich an »lieblicher Landschaft«, Blicke aus dem Zugfenster beweisen das. Alle Wanderungen durch verschiedene Gebiete kann man heute noch gehen, die von Opitz erwähnten großen Wälder wie Rohrwald oder Hollabrunner Wald bestehen noch. Auch heute ist die Gegend »noch nicht so abgegrast« wie anderswo, Ruhe und Stille lassen sich finden,
Der Vogelschutzorganisation Birdlife zufolge ist der früher im Weinviertel relativ weit verbreitete Schwarzstirnwürger dort heute ausgestorben und in Österreich insgesamt mittlerweile extrem selten geworden, er brütet nur der nur mehr im Nordburgenland in wenigen Paaren. »Als Großinsektenjäger« habe er »vor allem durch die Technisierung und Intensivierung der Landwirtschaft, die Flurbereinigung und Flächenversiegelung sowie den Rückgang der Weideviehhaltung massiv an Boden verloren«.
Sehr ähnlich sei es auch dem Rotkopfwürger ergangen, denn beide Arten sind für die Brut und zur Jagd auf strukturreiche Landschaften angewiesen. »Dementsprechend hat auch der Rotkopfwürger massiv unter der Entfernung von Landschaftselementen sowie der intensivierten Flächenbewirtschaftung gelitten und ist, obwohl er ehemals ein verbreiteter Brutvogel der Tieflagen war, in den 1980er-Jahren in ganz Österreich ausgestorben«, fasst Birdlife zusammen.
Weinviertler
Lesetipps:
»Das Weinviertel und das Marchfeld«, Falter Verlag, 2012.
Das Weinviertel erlesen und verstehen gelingt mit Alfred Komareks »Weinviertel. Tauchgänge im grünen Meer«, Kremayr & Scheriau, 2000.
Das Weinviertel von verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet mit dutzenden Veröffentlichungen die im Viertel, beheimatete Edition Winkler-Hermaden.
zumindest abseits der Straßen. Das gesamte im Personenverkehr betriebene Weinviertler Eisenbahnnetz ist mittlerweile elektrifiziert, der Fahrplan auf der Nordwestbahn enorm dicht. Sogar mit dem Vogelreichtum schaut es besser aus, als ich vermutet hätte: Die Vogelschutzorganisation Birdlife Österreich bezeichnet zwar den schwarzstirnigen Würger als in der Gegend und den Rotkopfwürger als in ganz Österreich ausgestorben, aber die anderen erwähnten Arten gibt es wenigstens noch. Der Weinvierteltourismus boomt. Die Weinviertel Tourismus GmbH nennt für 2023 639.240 Nächtigungen, circa 68 % der Übernachtungen tätigen InländerInnen, auf Platz eins liegen NiederösterreicherInnen vor WienerInnen und OberösterreicherInnen. Eine klassische Sommerfrische eines Wiener Publikums in ehemaligen Sommerfrischeorten wie Würnitz, Stockerau, Leobendorf, Absdorf oder Wul-
lersdorf findet heute aber nicht mehr statt. Das von Opitz wegen seiner guten Lage gelobte Absdorf bietet heute überhaupt keine Gästebetten an. Heute zählen zu den sogenannten Top-Ausflugszielen im Einzugsbereich der Nordwestbahn die Fossilienwelt Stetten, der Retzer Erlebniskeller und der Nationalpark Thayatal.
Witzigerweise spielt das zentrale sinn- und identitätsstiftende Element des Weinviertels – der Wein – bei Opitz keine Rolle, während gemäß Weinviertel Tourismus Wein und Kulinarik (und Radfahren) die Gründe schlechthin sind, im Weinviertel zu nächtigen.
Als Opitz die steigende Zahl der Autos beklagt, zählt Niederösterreich 22.658 Kraftfahrzeuge aller Art (Stand 1933), lächerlich im Vergleich zu den 2023 im Bundesland gemeldeten 1.634.988 Fahrzeugen. Parallel zur historischen Prager Straße verlaufen bis Stockerau die Donauuferautobahn (die das Donauufer mit seinen Aulandschaften zerstört hat) und weiter bis Guntersdorf die Weinviertler Schnellstraße, in Korneuburg mündet zudem die Außenringautobahn in die Donauuferautobahn. Um die Außenringautobahn zu verstecken, verläuft sie hinter Korneuburg unterirdisch. Der Speckgürtelort Bisamberg zählt heute über doppelt so viele EinwohnerInnen wie 1933, die Stadt Korneuburg 13759, selbst hintaus, wie in Absdorf, leben heute 1000 Menschen mehr als 1933.
Das imposante Gebäude des Wiener Nordbahnhofes fiel dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer, einige Nebenbahnen der Nordwestbahn werden heute nicht mehr im Personenverkehr befahren. Sonntagsbusverkehr rund um die Nordwestbahn gibt es so gut wie gar nicht, die wenigen Samstagsangebote sind für einen Ausflug ungeeignet. Die Weinviertler Dörfer haben sich kolossal verändert, viele Wirtshäuser und fast alle GreißlerInnen haben dauerhaft geschlossen. Das Auto dominiert den öffentlichen Raum. Wien frisst sich unerbittlich in gestern noch agrarische Gebiete, die an der Nordwestbahn gelegenen Kleinstädte Korneuburg, Stockerau, Hollabrunn und Retz fressen sich in ihr Umland: Supermärkte, Baumärkte und sonstiges Gewerbe abseits der historischen Zentren sorgen für (nicht überall im selben Maße auftretende) innerstädtische Leerstände und zusätzlichen Autoverkehr. Auch die Dörfer fransen aus, dass hier seit Jahrzehnten vor allem an der autogerechten Landschaft gearbeitet wird, zeigt seine Konsequenzen. Leopold Opitz hätte diese Entwicklungen wohl eher nicht gutgeheißen. Er war zwar nicht fortschrittsfeindlich, aber schon der seinerzeit vergleichsweise geringe Autoverkehr nervte ihn. Und wie wird ein »Nordwestbahnführer« 2123 aussehen? Es bleibt spannend.
Johannes Gutmann, SONNENTOR Gründer
Überall, wo wir losgestartet sind, haben wir zuerst alte Gebäude renoviert. Im Waldviertel genauso wie bei unserem Schwesterunternehmen in Tschechien. Oft waren es wahrlich Ruinen, die wir aber schnell ins Herz geschlossen haben. Wir konnten die bestehende Substanz nutzen, diese Schätze bewahren, und damit auch die mit ihnen verbundenen Werte. Ihr Weiterbestehen stärkt den Erhalt regionaler Strukturen, etwa indem regionale Betriebe involviert werden und alte Kulturschätze öffentlich zugänglich gemacht werden. Auch in Zwettl war es so: Als ich das alte Anwesen, in dem heute unsere Stadt-Lofts inklusive der begehbaren Stadtmauer zuhause sind, kaufte – wurde mir als erstes dir Frage gestellt: »Wann reißt du die alte Hütte weg? Die verschandelt ja das ganze Stadtbild!« Acht Jahre ließ ich mir bewusst Zeit, um mit meiner lieben Frau Edith und unserem sonnigen Team dem Haus neues Leben einzuhauchen. Manchmal braucht es einfach Geduld bis zum richtigen Zeitpunkt, um ein mutiges Projekt anzugehen. Die Ferienwohnungen, die hier entstanden sind, sollen einladen, zu entdecken, was man mit Kreativität und Mut schaffen und erhalten kann. Von restaurierten Böden, über upgecycelte Möbel, bis zu Gegenständen, die von anderen Baustellen vor der Entsorgung gerettet wurden: Ich hoffe, dass wir auch andere inspirieren – Traut euch, mit dem zu experimentieren, was da ist!
www.sonnentor.com/stadt-loft
TEXT
Ulrike Potmesil
Gäste sind auf der Suche nach dem Regionstypischen, dem Ursprünglichen. Doch die Grenzen zwischen Original und Fälschung sind fließend.
Der Urlaubstrend geht klar Richtung Authentizität. Zwar nicht für jene, die Disneyland besuchen oder in Las Vegas ihr Glück suchen, dafür aber für Menschen, die gerne genussvoll reisen und in fremde Lebensräume eintauchen wollen. Das geht aus den Tourismusstrategiepapieren etlicher Staaten hervor. Deutschland etwa führt Authentizität im ersten Punkt seiner Tourismusstrategie an, ebenso hat sie im aktuellen Programm »Swissstainable«, der Strategie zur nachhaltigen Entwicklung des Reiselands Schweiz, große Bedeutung.
Auch die Tourismusstrategie des Bundeslandes Niederösterreich setzt auf Authentizität, wie aus dem Strategiepapier 2020–2025 zu entnehmen ist. »Bis 2025 soll Niederösterreich als nachhaltiges, authentisches und vor allem
Günter Fuhrmann
Der historisch versierte niederösterreichische Kulturmanager Günter Fuhrmann ist Ausstellungproduzent und Heritage Marketer.
attraktives Kurz- und Haupturlaubsland etabliert werden«, heißt es darin. Aber was bedeutet Authentizität? Das Griechische »Authentis« bedeutet eigenhändig. Im Sinne von echt wurde es ab dem 13. Jahrhundert für Reliquien verwendet. »Authentica« waren die von der Kirche vorgegebenen Bescheinigungen für Knochen, die Heiligen zugeordnet wurden.
Doch abgesehen von Pilgertouristinnen und -touristen: Was erwarten Gäste, wenn sie von Authentischem sprechen, und wie lässt sich diese Erwartungshaltung mit Tourismusplänen und Marketingstrategien vereinbaren? Vom Charakter eines Menschen bis hin zu Kulturen wird erwartet, dass »die Erscheinung mit dem Wesen übereinstimmt und die wahre Identität zum Tragen kommt«, wie es Karl Marx formulierte. Dies gilt auch für die Tourismusbranche, denn man will das Echte, und nicht das Künstliche, besichtigen.
Nicht zuletzt, um dies zu untermauern, stellt die Unesco-Echtheitszertifikate für Stätten des »Kulturerbes« aus. Auch in Niederösterreich befinden sich einige solchermaßen zertifizierte Orte. Erst im Jahr 2022 wurde die Weinviertler Kellerkultur zum Nationalen Immateriellen Kulturerbe erklärt. Handelt es sich beim Welterbe um materielle Kultur- und Naturdenkmäler, wie etwa das Taj Mahal oder Schloss Schönbrunn, umfasst das Immaterielle Kulturerbe Bräuche, Rituale, Feste und traditionelles Handwerk. »Es bedeutet die Wertschätzung geübter Bräuche«, sagt der niederösterreichische Kulturmanager Günter Fuhrmann, er ist in der Ausstellungproduktion und im sogenannten Heritage Marketing tätig. Man wisse viel und zugleich wenig über die Kellergassen. Fuhrmann sagt, man weiß »we-
nig über die Zeit, als sie errichtet wurden und in erster Linie Produktionsorte für den Weinviertler Wein waren, viel über die Zeit danach.« Über Alltagskultur aus vergangener Zeit existieren wenige Aufzeichnungen, das Wissen über sie basiert auf mündlicher Überlieferung. Doch mit der Technisierung der Weinproduktion hatten die Gassen ihren Zweck erfüllt und wandelten sich zu Orten der Geselligkeit und über diese zweite, spätere Identität der Kellergasse gibt es viele schriftliche Quellen. Die Frage, welche der beiden Identitäten nun das kulturelle Erbe darstellen, stellt sich laut Fuhrmann nicht: »Die zeitliche Achse spielt keine Rolle in der Entscheidung der Unesco. Die Liste enthält jahrtausendealte Traditionen ebenso wie wenige Jahrzehnte alte.«
Über Alltagskultur aus vergangener Zeit existieren wenige Aufzeichnungen, das Wissen über sie basiert auf mündlicher Überlieferung
Die klassische Kulturkritik postulierte, Tourismus sei »Massenbetrug«, vermarkte nur inszenierte Echtheit. Kulturelle Identität sei Show zur Unterhaltung der Fremden, faszinierend und exotisch. Nur was als authentisch präsentiert werde, verdiene die Bezeichnung Kultur und damit auch, erhalten zu werden. Und nur was erhaltenswert ist, kann zur Sehenswürdigkeit werden. »Venedig ist wahnsinnig echt«, lässt Ludwig Thoma vor hundert Jahren das Fräulein Käsebier schwärmen. So echt wie die Kellerkultur.
»Wenn sich die Menschen mit dem Kulturgut identifizieren, es selbst wertschätzen und leben, wird es auch für Gäste interessant«, meint Fuhrmann. Sobald Gast und GastgeberIn Erlebnisse teilen, Einheimische Geheimtipps geben, Seele und Herz der Orte spürbar werden, seien diese mehr als bloße Kulisse. Die Köllamauna verkörpern diese gelebten Traditionen, hat-
Ein Schoßkoa-Türl. Andere »Fachausdrücke bzw. mundartliche Bezeichnungen rund um die Welt der Kellergassen« – von Akazie bis Weinbeerratschen – und deren Bedeutung finden sich beim Weinvierteltourismus auf weinviertel.at/kellergassenglossar
ten früher die Aufsicht über die Weinkeller und setzen sich heute für die Erhaltung der Kellerkultur ein. Solange Kultur nicht dargestellt son-
dern gelebt werde, sei sie nicht in Gefahr, musealisiert zu werden, ist Fuhrmann überzeugt. Zudem sei das Weinviertel »noch sehr weit
Baden ist seit 2021 eine von elf »Great Spa Towns of Europe« – historische Zeugnissen der »reichen Kur- und Bäderkultur des 18. und 19. Jahrhunderts«.
von Overtourismus entfernt«, ein Phänomen, das Musealisierung beziehungsweise Folklorisierung beschleunigen würde. Was den materiellen Wert der Kellergasse betrifft, gibt es ebenfalls Pläne. Definierte Schutzzonen sollen gewachsene Strukturen in der Kellergasse erhalten, eine zeitgemäße Nutzung ermöglichen
und den Abbruch von historisch wertvollen Kellern verhindern.
ECHTE HOTSPOTS
Niederösterreich hat gegenüber den westlichen Bundesländern den (aus BesucherInnenperspektive) Vorteil, relativ spät als Urlaubsziel
entdeckt worden zu sein, dennoch weisen einige Top-Ausflugsziele hohe BesucherInnenzahlen auf. Was potenziell sehenswert ist, schlagen TouristikerInnen vor, was tatsächlich sehenswert ist, entscheiden letztendlich die Gäste.
Wer Echtes sucht, will »Geheimtipps« finden. Wie etwa die Trachtenkapelle Brand der Ortschaft Brand-Nagelberg im Waldviertel. Sie ist seit 2021 Immaterielles Unesco-Kulturerbe, was dem Engagement des Obmanns Jürgen Uitz zu verdanken ist. Er vertiefte sich in die 100 Jahre alte enge Verbindung zwischen der Trachtenkapelle Brand und den Blaskapellen jenseits der tschechisch-österreichischen Grenze, aus der eine gemeinsame Musiziertradition im Klangbild der südböhmischen Blasmusik entstanden war. »Dann bin ich auf einen Zeitzeugen aufmerksam geworden, bin spontan nach Prag gefahren und habe den 92-Jährigen interviewt, das war der Beginn der Idee, dass wir uns bei der Unesco bewerben«, erzählt er. 3000 Besucherinnen und Besucher kamen im Vorjahr zum jährlichen Festival, viel mehr müssen es auch nicht werden, meint Uitz. Es ist ein Festival, das von Engagement, Ehrenamtlichkeit und persönlichem Austausch zwischen Gastgebern und Gästen lebt.
Als BesucherInnenmagnet erweisen sich auch die Stadt Baden und das Stift Heiligenkreuz, 2021 und 1994als Unesco-Kulturerbe ausgezeichnet. Heiligenkreuz ist eines der wenigen Klöster in Europa, die ihre Tradition ebenso wie die Gebäude und ihre Nutzung vom zwölften Jahrhundert bis heute kontinuierlich beibehalten haben. Dem Ort kommen somit spirituelle, historische, künstlerische und kulturelle Bedeutung in gleichem Maße zu. Die Unesco wertet Heiligenkreuz als Synonym für klösterliche Tradition und ihre Verantwortung für das historische Erbe.
ALTERTUM MIT MULTIMEDIA
Doch Niederösterreich verfügt auch über Stätten, die ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wurden, Kultur- und Naturdenkmäler von außergewöhnlichem universellem Wert. Beispiel für jahrtausendealtes Kulturerbe ist der Donau-Limes, er verläuft auf insgesamt 600 Kilometern der Grenzen des Römischen Reiches. Zu den ausgewählten Standorten von Deutschland bis zum Schwarzen Meer gehört auch Carnuntum, die 2000 Jahre alte römische Befes-
tigung östlich von Wien. Die Rekordzahl von 550.000 BesucherInnen wurde 2011, als dort die Niederösterreichische Landesausstellung stattfand, verzeichnet.
Wer in Carnuntum Authentizität erwartet, wird allerdings enttäuscht. So wie an vielen anderen Tourismushotspots weltweit. Denn nicht nur im Falle einer 2000 Jahre alten Stadt geht nichts ohne moderne Infrastruktur. Carnuntum hat sein BesucherInnenzentrum, seine Multimediashow, seine rekonstruierten und dekorierten römischen Häuser. Die Kellergassen kommen zwar ohne dergleichen aus, aber längst ist nicht alles echt. Weder die Dixi-Toilette noch die zu Gästequartieren umgebauten Keller. Und vor allem nicht die anderen TouristInnen, die die Orte mit ihrer Präsenz sozusagen gegenseitig ›ent-authentifizieren‹. Wer authentisch urlauben und trotzdem nicht auf ein Mindestmaß an Komfort verzichten möchte, hat nur diese Chance: Sich dem Echten so gut wie möglich anzunähern. MarketingstrategInnen wiederum bemühen sich im Idealfall, so wenig wie möglich zu verfälschen, dabei aber gleichzeitig so viel Infrastruktur wie möglich zu bieten. Und wenn es nicht authentisch ist, ist es zumindest schöne Fassade. All-inclusive-Kultur, authentisch touristisch.
Die Grenze des römischen Reiches, die als Donau-Limes bezeichnet wurde, zieht sich durch die heutigen Staaten Deutschland (Bayern), Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien, Bulgarien und Rumänien. Den niederösterreichischen Teil davon kann man wunderbar entlang des Donauradweges erradeln.
Zeno Stanek kam privat ins Waldviertel. Er blieb als Kulturmanager und wurde zum wichtigen Regionalentwickler.
PORTRAIT
Thomas Weber
Eigentlich ist er ja immer noch Intendant und Kulturmensch durch und durch. Das Festival Schrammelklang veranstaltete Zeno Stanek erstmals 2007 am Herrensee, der in der Gegend noch Teich genannt wurde, als der damalige Student am Reinhardt-Seminar Anfang der 90er-Jahre erstmals hier »herauf« kam. Ein Wienerliedfestival im Waldviertel, begründet wurde das damit, dass Kaspar Schrammel, der Vater der legendären Brüder Johann (1850–1893) und Josef (1852–1895) Schrammel, nach denen das Genre der Schrammelmusik benannt ist, aus Litschau stammt. Los war in Litschau damals nicht wahnsinnig viel. Die Lage im äußersten Norden des Landes, Jahrzehnte nahe der toten Grenze am Eisernen Vorhang, alles kein Wunder. Mit seinem Wirken und seinem weitreichenden Netzwerk hat Stanek die Gegend maßgeblich belebt. Bevor das Waldviertel ganz zu seinem Lebensmittelpunkt wurde, führte er Regie an unterschiedlichen Theaterhäusern; z. B. am Wiener
Volkstheater, am Landestheater Salzburg oder am Deutschen Staatstheater Temeswar. Er organisierte und organisiert immer noch Schreibworkshops, leitet einen kleinen Theaterverlag. Genres und Sparten gehen ineinander über. 2007, im ersten Festivaljahr von Schrammelklang, wurde Litschau erstmals als Luftkurort bezeichnet. Seither wird die Stadtgemeinde als solcher vermarktet. Kultur und Tourismus werden gemeinsam gedacht. 2018 erweiterte Stanek seine Aktivitäten um das Theaterfestival »Hin & Weg«, das er als »Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung« versteht. Alles ist gleichermaßen anspruchsvoll wie niederschwellig, insgesamt ansprechend. Einen populistischen Kniefall wird man im Programm aber vergeblich suchen. Kointentandin Katharina Stemberger meinte im Gespräch mit BIORAMA vor Jahren, dass sie sich bei ihrer Arbeit für »Hin & Weg« den Luxus herausnehme, »nicht mit egomanischen Arschlöchern zusammenzuarbeiten«. Zeno Stanek selbst würden
solche Worte kaum über die Lippen kommen. Die Atmosphäre der arschlochfreien Zone verkörpert er freilich vollends. Er hat sich den Ruf eines Anpackers erarbeitet, der andere begeistern und mitreißen kann, der nicht nur Ideen hat, sondern diese auch umsetzen kann. Nicht immer freiwillig, manchmal notgedrungen. Als vor ein paar Jahren ein für die Gegend und seine Festivals wichtiger Beherbergungsbetrieb – das direkt am See gelegene Feriendorf – geschlossen werden sollte, die Betreiber waren wie ihr Quartier in die Jahre gekommen, suchte Stanek erst einen Investor. Und wurde dann gemeinsam mit seiner Frau Manuela selbst Betreiber des völlig umgebauten und modernisierten Theater- und Feriendorf Königsleitn. Bereits 2008 wurde er als »Litschower« mit dem Kulturpreis der Stadt gewürdigt. 2016 erhielt er ihr Ehrenzeichen in Gold. Seit 2022 trägt er – nach dem Ehrenpreis für Tourismus des Landes Niederösterreich – auch noch den Ehrenring der Stadt Litschau. Verdienter Ruhm und viel Ehre für einen »Zuagrasten«.
Eine Institution, bereits zum 18. Mal am Herrensee in Litschau, das von Intendant Zeno Stanek gegründete Festival. Heuer widmet es sich vom 5. bis 14. 7. dem Wienerlied, der Schrammelkultur und ganz besonders der Vermittlung an ein jüngeres Publikum. Konzerte u. a. von: Wiener Tschuschenkapelle & Anna Mabo und die Buben, Voodoo Jürgens & Die Ansa Panier, Kreiml & Samurai. schrammelklang.at
2024 finden das Theaterfestival zum 7. Mal statt (9. 8. bis 18. 8.). Motto: »Identität teilen«. Künstlerische Leitung: Katharina Stemberger, Sigrid Horn und Zeno Stanek. Highlights des wirklich umfassenden, vielseitigen Programms sind jedes Jahr die »Küchenlesungen« und heuer auch das Eröffnungskonzert von Violetta Parisini. hinundweg.jetzt
2021 eröffnet und bereits der kulturtouristische Leitbetrieb im nördlichen Waldviertel: das ehemalige Hoteldorf im Luftkurort Litschau wurde liebevoll zum Kreativ- und Workshopzentrum umgebaut. Verbindet Theater, Natur, Kulinarik und Tourismus – auch für Schulgruppen.
Nicht nur für Kinder und Jugendliche ganzjährige Unterkünfte koenigsleitn.at
Festivaldirektor Zeno Stanek über gestiegene Grundstückspreise, Sammeltaxis und Warmherzigkeit am vermeintlichen Kältepol des Bundeslandes.
BIORAMA: Wann sind Sie das erste Mal nach Litschau gekommen und wie haben Sie die Gegend damals empfunden?
ZENO STANEK: Das erste Mal bin ich im Winter 1992 nach Litschau gekommen. Es war tief verschneit, sehr still, alles hat eine unglaubliche Ruhe ausgestrahlt aber auch eine Gemütlichkeit.
Wie hat sich Litschau seither verändert?
Für mich persönlich hat sich Litschau zu einem zweiten Zuhause entwickelt. Litschau ist in der Wahrnehmung der Menschen vom Kältepol Österreichs zu einem Ort kultureller Begegnung geworden. Die dort lebenden Menschen identifizieren sich mit dem ursprüngli-
chen Waldviertel genauso wie mit innovativer Kunst. Den Stolz der Waldviertler Identität spürt man im positivsten Sinne überall. Laut Statistik Austria sind die Bevölkerungszahlen in den Jahren seit ich in Litschau bin zurückgegangen. Aber der Rückgang der Zahlen verläuft zuletzt nicht mehr so rapide, wie es noch im letzten Jahrhundert war. Außerdem kommen viele LitschauerInnen, die zum Arbeiten weggezogen sind, in der Pension wieder zurück. Die Grundstückspreise sind bedingt durch Corona und das Verlangen nach dem »Draußen-sein-Können« in der Natur gestiegen.
Ihre Festivals Hin & Weg und Schrammelklang sind ohne Gäste von auswärts
INTERVIEW
Thomas Weber
Waldviertelbahn
In der Sommersaison (vom 1. Mai bis 27. Oktober) tuckert der Nostalgiezug vom Wiener FranzJosefs-Bahnhof bis direkt nach Litschau.
Von dort sind es 20 Minuten Fußweg zum Herrenseetheater.
waldviertelbahn.at
nicht denkbar. Lassen sich Kulturinteressierte leichter an sonst unbekannte als an bekannte Orte locken?
Ich glaube es ist eher schwieriger, Menschen an unbekannte Orte zu locken. Es ist die Neugierde der kunst- und kulturinteressierten Menschen, die es mit sich bringt, dass manchmal neue Orte (auf)gesucht werden. Ein unbekannter Ort alleine aber reicht für ein Festival nicht. Es ist schon notwendig das passende künstlerische Programm dazu zu servieren.
Und wie gelingt das?
Ein Ort muss »gelesen« werden und es muss ein spezielles künstlerisches Programm dazu entwickelt werden. Am wichtigsten ist aber die ansässige Bevölkerung, die überzeugt und integriert werden muss.
Auf der Festivalwebsite werden Gäste aufgefordert, die Anreise mit Öffis zu planen oder Fahrgemeinschaften zu bilden. Dabei werden die an den Festivalwochenenden »hervorragenden Verbindungen« mit den ÖBB und der Waldviertelbahn gepriesen. Das liest sich, als wären Sie restlos zufrieden mit der Infrastruktur.
Nein, das bin ich natürlich nicht. Gut wäre, wenn insgesamt mehr öffentliche Anreisen ermöglicht würden, zum Beispiel mit dem Bus. Es ist natürlich gut, dass man mit der Franz-Josephs-Bahn nach Göpfritz und von dort gut mit dem Bus nach Litschau kommt. Aber manchmal ist der Zug verspätet und der Bus wartet nicht. Dann steht eine größere Gruppe von Leuten in Göpfritz am Bahnhof und muss auf den nächsten Bus warten. Die Leute kommen zwar wieder – aber die nehmen nie wieder den Bus! Die Anreise mit der Waldviertelbahn wiederum ist sehr romantisch, aber ein bisschen langsam. Das ist ja eine Museumsbahn, die im Sommer einmal täglich fährt. Die verkehrt noch nicht in der Nebensaison. Da müsste einiges an der Struktur verändert werden, um sie alltagstauglich zu machen. Sie müsste aber nur öfter fahren, nicht schneller! Denn die Langsamkeit macht ihren Reiz aus.
An Festivalwochenenden bieten Sie ein Shuttle zu allen Unterkünften an. Wird das gut angenommen?
Ja, das »Schrammeltaxi« fährt alle Destinationen an und verrechnet pro Kilometer, egal wie viele Menschen es transportiert. Es passen sieben Leute rein, das ist also sehr attraktiv. Vielleicht ist das auch eine Lösung für die Zukunft. Ich sehe ja ein, dass die Öffis nicht so tief in die Tasche greifen können, dass es überall einen flächendeckenden täglichen Rundumbetrieb gibt. Vielleicht ist diese Zusammenarbeit mit Privaten eine Möglichkeit. Wir haben ja Taxi- und Busunternehmen in der Region. So ein Angebot gehörte natürlich zentral gesteuert und mit einer Organisation umgesetzt. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass da derzeit etwas passiert.
Kreative und Kulturinteressierte sind im städtischen Raum oft Vorboten, Stichwort: Gentrifizierung. Zieht die Kultur dauerhaft Menschen nach Litschau?
Bei Litschau von Gentrifizierung zu sprechen ist etwas hochgegriffen. Litschau ist zwar eine Stadt, aber mit gemütlichem Dorfcharakter. Die Festivals Litschau haben vielen die wunderschöne Gegend näherbringen können. Besonders freut mich, dass sich immer mehr KünstlerInnen in Litschau niederlassen, um die kreative Stimmung des Ortes zu genießen und gleichzeitig dazu beitragen.
Wie weit über die Ortsgrenzen wirken die Festivals wirtschaftlich?
Während der Festivals profitiert die gesamte Region von den Gästen, weil wir regionale Betriebe und Arbeitskräfte einbinden. Mittlerweile breiten sich die kulturellen Ereignisse auf das ganze Jahr aus. Mit dem Theaterund Feriendorf Königsleitn ist künstlerische Vielfalt und kulturelle Bildung Thema für den gesamten Tourismus geworden. Somit holen wir auch außerhalb der Saison Menschen im künstlerischen und kulturellen Kontext nach Litschau. Wir konnten in den letzten Jahren die Anzahl der BesucherInnen verdoppeln. Im Theater- und Feriendorf sind die Übernachtungen auf die Saison gerechnet ebenso verdoppelt worden.
Was ist aus touristischer Sicht schwierig?
Wir haben zu wenige Unterkünfte. Manche Pensionen in der Region sperren zu oder stehen
kurz davor. Die nächste Generation muss überzeugt werden weiterzumachen. Hier ist die Politik gefragt und in der Verantwortung.
Und was macht die Politik?
Die Politik weiß um das Problem und sucht nach Lösungen. Es gibt ja Konzepte meinerseits, einer Art »Regionalrezeption«, die zentral die einzelnen Beherbergungsbetriebe betreut – so weit wie diese das jeweils wollen. Entweder wird für sie alles übernommen oder nur einzelne Module wie Check-in, Reinigung oder Verpflegung. Mit einer Anfangsinvestition ließen sich da auch Arbeitsplätze schaffen. Die Betriebe gehören teilweise auch erst einmal ins 21. Jahrhundert geholt, beispielsweise Bäder oder Eingänge restauriert. Das ließe sich mit regionalen Handwerksbetrieben bewerkstelligen. Es bräuchte ein Dreieck zwischen EigentümerIn, Bank und Förderinstitution: einen Kredit zur Finanzierung, eine Förderung zur Motivation und eine/n EigentümerIn mit Engagement – und rundherum die Regionalrezeption, die das organisiert. All das könnte bei uns im Theater- und Feriendorf von einer zusätzlichen Person betreut werden. Das ist kein naives Denken, wir haben das schon durchgedacht gemeinsam mit der Ecoplus (Wirtschaftsförderungsagentur des Landes NÖ, Anm.), aber all das ist natürlich viel Arbeit.
Wenn ich Sie so höre, frage ich mich: Wann werden Sie Tourismus-Landesrat?
(Lacht) Na, das glaub i ned! Aber es ist wirklich wichtig, die kleinen Betriebe zu erhalten. Sie beleben die Region: Die kleinen Bäckereien, Fleischhauer, Frühstückspensionen – dass es die im Waldviertel zum Teil noch gibt, ist ein Traum. Das werden die Leute künftig auch zu schätzen lernen und gezielt suchen!
Sind sie zufrieden mit der Kulturpolitik des Landes?
Vorsichtig sage ich jetzt einmal, dass das Land Niederösterreich verglichen mit anderen Bundesländern eine Vorreiterrolle gespielt hat. Es wurde viel investiert und geschaffen. Meinerseits gibt es eine tolle, respektvolle Zusammenarbeit mit der Kulturabteilung des Landes. Wir wurden vom Land auch gezielt angehalten, mit realistischen Zahlen zu arbeiten. Früher war
das ja so, dass man bei Förderansuchen des Dreifache reingeschrieben hat, um dann ein Drittel der Summe zu bekommen. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Ich schätze diesen realistischen Blick auf Kultur, den es in Niederösterreich gibt. Wichtig wird werden, dass Kunst und Kultur künftig nicht als getrennte Schiene von Bildung gesehen wird. Bildung ist das Wichtigste, auch für Kunst und Kultur. Bildung schafft bei jungen Menschen Interesse für Kultur und zeigt, dass wir es dabei mit Genuss zu tun haben.
Das Waldviertel ist eine der Gegenden, wo die rechtsradikale FPÖ besonders großen Rückhalt hat. Merken Sie das im Alltag?
Nein, im Alltag nicht. Ist das wirklich so?
Ich würde schon sagen, das Waldviertel ist das rechte Redneck-Homeland Niederösterreichs …
Ja, das ist natürlich bitter. Aber das schlägt gleich in die Kerbe der Bildung. Wenn man nix weiß und glaubt, dass das, was diese Partei anbietet, Lösungen sind, dann ist das natürlich traurig …
Sie meinten am Telefon bei der Terminvereinbarung für unser Gespräch: »Es ist immer noch schwierig, aber es wird. Daran glaub ich.« Warum glauben Sie an die Region?
Es ist einfach schön hier! Der frühere angebliche klimatische Nachteil wird sich in Zukunft, ob wir wollen oder nicht, als Vorteil herauskristallisieren. Immer mehr Menschen werden im eigenen Land Erholung suchen. Wer will schon zwei Tage seines wertvollen Urlaubs damit verbringen, am Flughafen zu schwitzen um schlecht behandelt und hungernd eine Flugreise in eine überhitzte Destination anzutreten, die nur teuer und nicht mehr authentisch ist? Da komm’ ich doch lieber ins naheliegende Waldviertel und genieße die gesündeste Ecke des Landes nach einer kurzen, vielleicht sogar umweltfreundlich organisierten Anreise. Gerade im Raum Litschau ist es durch die unfassbar schöne Natur und den interessanten schnell zu erreichenden Kulturkreis in Tschechien doppelt spannend. Ich glaube an die Menschen hier! Die, die schon immer da waren und die, die dazugereist sind.
Rechte Wahlkreise
In den Wahlkreisen im nördlichen Waldviertel (Gmünd, Waidhofen an der Thaya, Zwettl) ist die rechtsradikale FPÖ überdurchschnittlich stark. Bei der Landtagswahl 2023 holte sie 27, 31 und 30% der abgegebenen Stimmen. In Litschau: 26%.
Der Treffpunkt ist beim Stolleneingang, dem sogenannten »Mundloch«. Hier wartet Bernhard Umreich schon vor dem verschlossenen Tor, das ins alte Bergwerk führt. Jedes Kind, auch jede und jeder Erwachsene bekommt einen Helm und ein »Geleucht«, also eine Taschenlampe. Denn auch wenn die 800 Meter lange Strecke, über die uns der Vereinsobmann gleich durchs Schaubergwerk führen wird, beleuchtet ist: Vorschrift ist Vorschrift. Und stell dir vor, es fällt das Licht aus. Der Ausflug ist auch so abenteuerlich genug, eine Zeitreise. Bis 1901 wurde hier im Grillenberg, einer 812 Meter hohen Erhebung in Payerbach, Erz abgebaut. »Dann war es zu teuer und unwirtschaftlich, ständig das Wasser aus den Stollen pumpen zu müssen«, erzählt Bernhard Umreich. Eigentlich
fließt hier nur ein »kleines Bacherl«, zehn Zentimenter breit, vier Zentimeter tief. Doch das rund um die Uhr. So reicht das Rinnsal aus, um den größten Teil der unterirdischen Stollen zu fluten. Deshalb wurde das Bergwerk vor über 100 Jahren stillgelegt. Später, in den beiden Weltkriegen, wurde hier aber doch wieder Erz abgebaut. 1945 schließlich, zu Kriegsende, sprengte die russische Rote Armee den Zugangsschacht. Erst 1985 wurde der Abschnitt, auf dem wir gerade in den Grillenberg steigen, wieder freigeräumt. Wir sehen unterschiedliche Gesteine, rötliches Erz, aus dem sich auch heute noch Eisen gewinnen ließe. Auch die sonst nirgendwo in Niederösterreich entdeckten »Eisenblüten« zeigt er uns. Das sind Kalkkristalle, die in alle Richtungen wachsen. Mit etwas Glück, sagt er, sehen wir hier im Feuch-
ten auch Feuersalamander, Fledermäuse oder später im Sturzschacht Kröten und Frösche.
Tief ins Schaubergwerk Grillenberg führt uns auch Folge 3 der neuen Staffel des »Kultur4Kids«-Podcasts. Mit ihrem Podcast bringt die Kunst- und Kulturabteilung des Landes Niederösterreich Kindern die kulturellen Schätze des Bundeslandes näher: spielerisch, abenteuerlich, kindgerecht erzählt von Sophie Berger und Robert Steiner. Damit wir uns nicht in den nahezu unendlichen Möglichkeiten, die Niederösterreich kulturell zu bieten hat, verlieren, ist der Podcast in Staffeln strukturiert. Jede von ihnen bringt uns abwechselnd in eines der Viertel des Landes. Nach der ersten Staffel, in der wir von den Donau-Auen und dem Nationalpark aus das Marchfeld erkundet haben (alle Folgen sind dauerhaft hörbar), geht es in der zweiten Staffel nun im Industrieviertel »Entlang der Schwarza« – und immer auf die eine oder andere Art ums Wasser. Einmal besuchen wir den Naturpark Falkenstein und Wild Rafting im Nasswald. Ein andermal sind wir am Schwarzatal Radweg und im Wasserleitungsmuseum Kaiserbrunn unterwegs. Und bevor wir im Brotund Mühlenmuseum Gloggnitz (siehe Interview nächste Seite) und im städtischen Museum Neunkirchen Halt machen, erkunden wir eben das Schaubergwerk Grillenberg. Nach jeder Folge gilt es ein Rätsel zu lösen. Zusammen ergeben die Antworten jeder Staffel ein Lösungswort. Wer darauf kommt, hat die Chance auf tolle Preise.
Alle Episoden sind zwar für Kinder gedacht und gestaltet, aber auch für Erwachsene interessant. Der Kultur4Kids-Podcast eignet sich zum gemeinsamen Hören, zur Vorbereitung auf Familienbesuche oder zum Nachhören. Ausserdem ist der »Kultur4Kids«-Podcast der erste und einzige Podcast im deutschsprachigen Raum, der sich direkt an Kinder richtet, um ihnen Kultur und Geschichte eines Landes näherzubringen.
Wie eindrucksvoll und weit verzweigt diese sein kann, erahnen wir auch im Grillenberg. Wie tief die gefluteten Schächte und Stollen sind, weiß man nämlich nicht mehr. Die Rote Armee hat alle Aufzeichnungen und Pläne verschleppt oder vernichtet. Alten Erzählungen folgend schätzt Bernhard Umreich, dass die Gänge des Bergwerks 3,5 Kilometer lang sind und mindestens 130 Meter in die Tiefe führen: »Vielleicht wären die Stollen irgendwann einmal auch zum Höhlentauchen interessant«, sagt er. Das wäre aber nicht nur gefährlich (»weil die alten Holzstützen unter Wasser faulen«), sondern vor allem eine andere abenteuerliche Geschichte.
payerbach.at
»Der gestiefelte Kater neu geschnurrt«: Die Geschichte vom gestiefelten Kater kennt immer noch jedes Kind. Im Rahmen des Märchensommer Niederösterreich wird sie vom Team um Nina Blum um neue Figuren und neue Ereignisse zu einem aktualisierten Theatererlebnis erweitert.
2161 Poysbrunn; bis 25. August, verschiedene Beginnzeiten maerchensommer.at
Ein Sagenklassiker, zeitgemäß als Kindermusical besungen: »Das Lied der Nibelungen« mit der Geschichte vom kühnen Siegfried, dem bekanntesten Helden der deutschen Sagenwelt.
2340 Mödling, teatro; bis 4. August teatro.at
Entertainmentgeschichte bringt »Hier kommt Bart!« ins Karikaturmuseum Krems. Die »Simpsons« sind als Serie längst legendär und seit 1989 mit 35 Staffeln prägend für die Popkultur. In Krems zu sehen sind 150 handgezeichnete Bilder, Storyboards und Skizzen aus den ersten 13 Staffeln (danach wurde digital produziert). Ein spannendes Making-of.
3500 Krems; ab 13. Juli karikaturmuseum.at
Ende August werden die Tage bereits merkbar kürzer und gemeinsam mit einer Zoologin geht es in zwei »Fledermausnächten« des Museum Niederösterreich durch St.Pölten auf der Suche nach den Fledermäusen, die in der Landeshauptstadt leben.
3100 St. Pölten; am 20. und 27. August, 19 Uhr museumnoe.at
Eine Institution und beliebt bei Alt und Jung: Das Hunnenfest des MAMUZ im Freigelände des Schloss Asparn zeigt in Schaukämpfen, Musikvorführungen und zahlreichen Mitmachstationen, wie die Hunnen lebten.
2151 Asparn/Zaya, 24. und 25. August, ab 10 Uhr mamuz.at
Weitere Tipps: kultur4kids.at/kompass
Müller und Bäcker sind als Handwerker aus Blickfeld und Bewusstsein verschwunden. Brauchen Brot und Mühlen deshalb ein Museum? Unser Museum ist ein Industriedenkmal zum Anfassen. Bei uns spürt, erfährt und begreift man, wie vor der digitalisierten technischen Welt auf mechanische Art und Weise mittels Transmission gemahlen wurden. Für technisch versierte Erwachsene geht das natürlich anders in die Tiefe als für Kinder. Bei uns sind die Mahlformen der Flachmüllerei und der Hochmüllerei vertreten – also einerseits das Mahlen mit Steinen und andererseits die Methode mit Stahlwalzen. Wir können viele alte Gerätschaften auch heute noch einschalten und in Betrieb zeigen. Das Faszinierende an der Transmission bleibt ja, dass mit nur einer Antriebsquelle die ganze Mühle läuft.
Mit Wasser als Grundlage …
Genau. Die Francis-Turbine im Keller wurde direkt mit dem Wasser aus dem Weißenbach hinter der Mühle betrieben: mit Riemen wird die Wasserkraft vom Keller bis hinauf ins Dachgeschoß übertragen. Zu begreifen, dass man nicht einfach ein- und ausschaltet wie auf Knopfdruck, sondern dass jedes Gerät mechanisch mit dem anderen zusammenspielt, das ist das Faszinosum. Ich vergleiche das gerne mit einem Orchester, wo große und kleine Instrumente perfekt zusammenspielen müssen, damit
etwas Harmonisches entsteht. Bei Kindern konzentrieren wir uns auf die Mahltechnik, darauf, dass es zwanzig oder sogar 22 Durchläufe brauchte, bevor man feines weißes Mehl bekommen hat.
Wissen Kinder heutzutage, wie das Brot in die Bäckerei oder ins Supermarktregal kommt?
Einzelne Kinder haben zu Hause sogar gesehen, wie die Oma Brot bäckt. Aber die allermeisten wissen das eher nicht. Im Museum bieten wir für Kinder und Erwachsene Brotbackworkshops an. Da kommen Kinder mit 10, 12 oder 13 Jahren, die sagen, dass sie noch nie in ein Mehl gegriffen haben. Die sind dann eine halbe Stunde nur mit dem Angreifen beschäftigt.
Politberaterin Regina Stoll engagiert sich in ihrer Freizeit als Kulturvermittlerin im Brot- und Mühlenmuseum Gloggnitz.
Die Kinderführung »Dem Korn auf der Spur« dauert 60 Minuten. Was lässt sich in einer Stunde begreifen?
Im Brotlabor neben der Mühle bestimmen wir gemeinsam Körner, wir erklären, wie Luft ins Brot kommt, rühren Hefe an und schauen der Bläschenbildung zu. Wir zeigen, wofür es Hefe oder Sauerteig braucht. Je nach Workshop können größere Kinder auch Brot aus Sauerteig und Semmeln aus Weizenmehl machen. Für die Basics braucht man schon vier Stunden, alles halt je nachdem, wie lang man sich Zeit nehmen möchte. brotundmuehle.at
Niederösterreichs Landesausstellung – die 2024 offiziell pausiert – widmet sich seit langem nicht nur der Landeskultur.
Noch heute wird Margit Straßhofer auf die Landesausstellung angesprochen, die sie 2017 ins südliche Waldviertel gebracht hat. Die Ausstellung selbst – »Alles was Recht ist« über die regionale Rechtsgeschichte – ist längst Geschichte und Straßhofer, die 2016 in Abstimmung des Gemeindebunds zur »beliebtesten Bürgermeisterin Österreichs« gekürt worden war, mittlerweile aus dem Amt geschieden. Doch der Effekt der geballten Kraftanstrengung von damals sei noch heute »uner-
messlich«, wie die Altbürgermeisterin sagt. »Das hat wirklich wahnsinnig viel gebracht für die Gemeinde, für das Schloss und für die gesamte Region«, sagt Straßhofer. »Der langfristige Fokus ermöglicht Regionalentwicklung und es gibt kein Instrument, das für Gemeinden und die entsprechende Region derart nachhaltig wirkt, wie solch eine Landesausstellung.« Besonders augenscheinlich sind die Auswirkungen beim Schloss Pöggstall selbst. Es wurde vor der Eröffnung mit großem Aufwand ge-
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St. Pölten wurde nicht zur Europäischen Kulturhauptstadt. Das kompensiert die »Tangente«. Das Festival widmet sich der Gegenwartskunst (und eröffnete u.a. das Kinderkunstlabor), sorgte aber auch für die Renovierung der ehemaligen Synagoge. Sie dient nun dauerhaft als Ort der Kultur. kinderkunstlabor.at
Niederösterreichische Landesausstellung
In den vergangenen 60 Jahren wurden in über 40 Landesausstellungen 11 Millionen BesucherInnen erreicht. Die erste Ausstellung fand noch zur Besatzungszeit 1951 in Krems statt. Seit 25 Jahren wird die Ausstellung gezielt als Instrument zur Regionalentwicklung genutzt.
Das Programm des Festivals für Gegenwartskultur ist online auf tangente-st-poelten.at
neralsaniert. Das Renaissanceschloss, zu Teilen nach Entwürfen Albrecht Dürers gebaut und ursprünglich eine frühgotische Wasserburg, strahlt auch sieben Jahre danach noch in neuem Glanz. Geblieben ist neben der rechtsgeschichtlichen Sammlung des Landes und der »vermutlich einzigen am Originalstandort erhalten gebliebenen Folterkammer Österreichs« (wie sie die Website der Marktgemeinde auslobt) auch eine Dauerausstellung zu den Erkenntnissen der jüngsten Bauforschung: Denn das Schloss ist kein Provinzschloss unter vielen. Unter der im Habsburgerreich einflussreichen Familie Rogendorfer war es ein weitreichendes kulturelles Zentrum – hier wurden für die damalige Zeit bahnbrechende Bautechniken umgesetzt. Heute fallen sie unter Denkmalschutz. Dem ordnet sich mittlerweile auch das Gemeindeamt unter, das hier nach der Generalsanierung Einzug hielt; ebenso die Musikschule Südliches Waldviertel, ein »Waldviertel2go«-Shop
und ein auf Backhendl spezialisiertes Wirtshaus. »Im Ausstellungsjahr und in den beiden Jahren darauf war der Ansturm natürlich am größten«, erinnert sich die Altbürgermeisterin. Damals habe es auch verstärkt Zuzüge gegeben, »weil Investitionen in die Infrastruktur natürlich insgesamt interessant sind«. Das touristische Interesse jedenfalls wäre bis heute nicht abgeflacht. Abgezeichnet hat sich die Aufbruchsstimmung auch abseits des Schlosses im Ortsbild, sagt Straßhofer: »Das Ortsbild hat sich verbessert. Viele haben ihre Häuser aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten renoviert und restauriert.«
BRÖCKELNDES
Pöggstall ist kein Einzelfall. Im Zweijahresrhythmus lenkt die Niederösterreichische Landesausstellung Interesse und BesucherInnen in einen neuen Winkel des Bundeslandes. Neben Architektur – zumeist baufällig gewordenes Geschichtsträchtiges – soll dabei eine Region zu neuem Leben erweckt, die regionale Identität gestärkt werden. Nach 2019 und 2022 wäre auch 2024 wieder ein Landesausstellungsjahr gewesen. Bereits im Jahr vor der Pandemie war die »Welt in Bewegung«, zumindest in Wiener Neustadt, wo unter diesem Titel Mobilität Thema war. Das ermöglichte eine Revitalisierung und Umbauten der Ausstellungsstandorte Kasematten und dem Museum St. Peter an der Sperr. Bürgermeister Klaus Schneeberger, damals auch noch Landtagsabgeordneter,
Schloss Marchegg
2022 im Rahmen der Landesausstellung renoviert und seither für vielfältige Veranstaltungen genützt. schlossmarchegg.at
Noch wird erfasst, wie reparaturbedürftig Teile des geschichtsträchtigen Klinikums Mauer wirklich sind. 2026 findet darin die Landesausstellung statt.
sprach von einer »Trägerrakete in eine positive Zukunft, die wir uns immer gewünscht haben«. Die 2022 gelüfteten »Marchfeld Geheimnisse« zeigten unter diesem Ausstellungstitel, wie sich ein seit Jahrtausenden besiedelter und immer wieder überschwemmter Naturraum –das Marchfeld – auch zum Kulturraum entwickelte. Renoviert wurde damals unter anderem das davor bröckelnde Barockschloss Marchegg.
2024 OFFIZIELL PAUSE
2024 ist aber ein Ausnahmejahr. Landesausstellung findet keine statt. Das Modell dahinter ist in diesem Jahr »ruhend gestellt«, wie es aus dem Büro der in der Schallaburg angesiedelten Kulturbetriebsgesellschaft heißt. »Wir machen das zugunsten eines eigenen Kulturschwerpunktes in der Landeshauptstadt; der ‚Tangente‘«, erklärt Sprecher Klaus Kerstinger. Das heißt nichts anderes als: die »Tangente«, das großangelegte Festival für Gegenwartskultur in St. Pölten, ist die inoffizielle Landesausstellung. Es entstand gewissermaßen in einer gemeinsamen Trotzreaktion von Land und Landeshauptstadt. Sankt Pölten hatte sich –repräsentiert von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) – um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt beworben, wurde
Der Arbeitstitel der Landesausstellung 2026 lautet »Wunder Mensch. Seelische Gesundheit im Wandel der Zeit«. Dafür wird das Jugendstil-Ensemble des Landesklinikums Amstetten-Mauer fertig renoviert. Spatenstich ist im Spätsommer 2024. noe-landesausstellung.at
aber abgelehnt. Ausgewählt wurden bekanntlich Tartu in Estland, Bodø in Norwegen und Bad Ischl im Salzkammergut. So erklärte man sich einfach selbst zur Kulturhauptstadt – und organisierte die ein halbes Jahr laufende »Tangente«. Sie setzt nun zum Teil Projekte um, die euphorisch im Prozess der Kulturhauptstadtbewerbung entwickelt worden waren. Neben einem Neubau, des dieses Sommer eröffnenden »Kinderkunstlabors«, welches ein Publikum bis zum Alter von zwölf Jahren an Kultur heranführen soll, wurde auch der Domplatz neu gestaltet. Ein Prestigeprojekt ist aber auch die Renovierung der Ehemaligen Synagoge St. Pölten, die 1938 von den NationalsozialistInnen verwüstet worden war. Sie dient fortan als Kulturzentrum. Unter anderem findet darin das Festival »Jewish Weekends« statt.
Im Jahr 2028 ist dann das Waldviertel an der Reihe, dann (nach zuletzt 2019) wieder das Industrieviertel.
Eine Geschichte vom Wandel der Stromerzeugung.
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Martin Mühl
Große PV-Anlagen
Österreichs größte PVAnlage entsteht derzeit im Burgenländischen Nickelsdorf. Die größte Anlage in Niederösterreich betreibt der Zitronensäure-Produzent Jungbunzlauer in Pernhofen bei Mistelbach (40 Hektar und 56 MW).
Die größte schwimmende PV-Anlage hat die EVN auf ungenutzten Baggerseen bei Grafenwörth errichtet (14 Hektar, 24,5 MW).
Sonnenstrom statt Kohlestrom – es kann so einfach sein: Und in Dürnrohr, auf dem EVN-Gelände, ist es sogar wahr: Die neue Photovoltaik-Anlage, die über eine Bauzeit von rund einem Jahr hier errichtet und im April 2024 in Betrieb genommen wurde, ist eine der größten in Niederösterreich und steht auf 23 Hektar – und damit nicht auf dem Kraftwerksgebäude, sondern auf einer zu diesem gehörenden Freifläche. Genau diese wurde viele Jahre dafür genutzt, große Mengen an Steinkohle für das Kraftwerk zu lagern: Ganze 1,5 Millionen Tonnen Kohle, mit denen man das Kraftwerk auch bei einem Ausfall an Nachlieferungen bis zu zwei Jahre lang hätte betreiben können. Die nun errichteten 35.600 PV-Module erzeugen jährlich 27,3 GWh Strom und versorgen damit rund 7700 Haushalte. Bis 2030 will die EVN, der größte Energieversorger des Bundeslandes, ihre gesamte PV-Leistung auf 300 MW – zu denen Dürnrohr nun
23,5 MW beiträgt – ausbauen, bis 2034 will sie ihren Ausstoß an CO2 um 60% reduzieren.
Dürnrohr hat eine bewegte Geschichte als Energiestandort – die exemplarisch weit mehr erzählt. Die Ortschaft liegt in der Gemeinde Zwentendorf und nachdem das dort errichtete Kernkraftwerk nach einer Volksabstimmung 1978 nie in Betrieb ging, wollte man die bestehende Infrastruktur wie Leitungen und ein Umspannwerk nutzen und baute das Kraftwerk Dürnrohr. Das ging 1987 in Betrieb, konnte mit Kohle und Gas befeuert werden und von seinen beiden Kraftwerksblöcken wurde einer vom Verbund betrieben und einer von der EVN. Seit 2004 ist auf dem Gelände außerdem eine Müllverbrennungsanlage installiert in der jährlich über 500.000 Tonnen Haushaltsund Gewerbemüll zur Strom- und Wärmeerzeugung verbrannt werden. 2015 schloss der
Verbund seinen Block aus wirtschaftlichen Gründen, 2019 beendete auch die EVN den Betrieb des Kohlekraftwerks – ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen. 2018 zählte die EU das Kraftwerk noch zu einem der größten Verursacher von Treibhausgasen in Österreich. Bei der Schließung 2019 sprach Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner von einer Einsparung von 3,6 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr – das wären 5 % der gesamten CO2-Emissionen Österreichs im Jahr 2022 gewesen.
Möglich gemacht hat dies in erster Linie der Ausbau der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen. 2009 wurden in Niederösterreich 48.819 GWh Energie erzeugt –damals mehr als ein Drittel der österreichischen Energieerzeugung. Davon entfielen 44,9 % auf erneuerbare Energieträger, die damals Wasser, Wind und PV, Umgebungswärme, Brennholz und Biogene Brenn- und Treibstoffe umfassten. Die anderen Energiequellen waren zu 27,8 % Naturgas, 25,1 % Erdöl und 2,2 % brennbare Abfälle. 2021 sahen diese Zahlen schon ganz anders aus. 41.391 GWh und damit über 28 % der gesamtösterreichischen Energieerzeugung kamen aus Niederösterreich und verteilten sich auf 67,8% erneuerbare Energiequellen, 14,1 % Erdöl, 13,5 % Erdgas und 4,7 % brennbare Abfälle. Bei den erneuerbaren Energiequellen wurden vor allem Windkraft, Photovoltaik und Umgebungswärme ausgebaut. Den größten Beitrag in diesem Bereich liefern aber biogene Brenn- und Treibstoffe, sowie Wasserkraft.
WEITERER AUSBAU
Welche Energiequellen den erneuerbaren zugeordnet oder zumindest als »green« eingestuft werden, ist nicht nur in
Seit Frühjahr 2024 wird auf 23 Hektar mittels 35.600 PV-Modulen nachhaltiger Strom für etwa 7700 Haushalte erzeugt.
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In Niederösterreich wurden 2023 rund 758.000 Haushalte gezählt. Die neue PV-Anlage versorgt rund 1 % davon mit Strom. In ganz Österreich gibt es 4,12 Millionen Haushalte.
Wie heiß ist
Fernwärme?
Die Müllverbrennungsanlage in Dürnrohr versorgt je nach Bedarf die nahegelegene Industrie per Fernwärme mit Heißdampf mit 250° Celsius oder Haushalte in St. Pölten. In diesem Fall wird der Dampf mit 130 Grad auf den Weg geschickt und kommt mit 128 Grad an.
Verhandlung, wenn die EU anlässlich ihres Green Deals festlegen muss, ob Atomkraft als nachhaltig eingestuft werden soll, sondern etwa auch in Diskussionen um nicht-fossile Brennstoffe oder auch das Verbrennen von Holz. In Niederösterreich trug Scheitholz als Energiequelle 2021 immerhin mit 15 % zu den erneuerbaren Energieträgern bei. So wie auch diskutiert wird, ob Müllverbrennung als nachhaltig einzustufen ist, was Umweltverbände verneinen.
Die Müllverbrennungsanlage in Dürnrohr läuft seit 20 Jahren rund um die Uhr. Je nach Bedarf liefert sie Fernwärme in Form von Heißdampf für die nahegelegene Industrie wie den Zuckerproduzenten Agrana oder Fernwärme für Haushalte in Sankt Pölten. Wird keine Fernwärme benötigt, wird aus dem Heißdampf Strom erzeugt und über das Umspannwerk ins Netz eingespeist. Dieser Strom versorgt
170.000 Haushalte. Ein weiterer Ausbau des Kraftwerks ist geplant. »Für die EVN ist es dabei praktisch, dass für die PV-Anlage keine landwirtschaftliche Fläche genutzt werden muss und für das gesamte Gelände des Kraftwerks mit rund 180 Hektar viele Genehmigungen bereits vorliegen«, erklärt Stefan Zach, Pressesprecher der EVN. »Die Errichtung ist hier auch günstiger, weil große Teile an Infrastruktur bereits vorhanden sind. Ausgebaut werden soll nicht nur die PV-Anlage, sondern es soll künftig etwa auch niederösterreichischer Klärschlamm zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt werden.«
Niederösterreich erzeugt mehr Energie, als es verbraucht – mittlerweile zum Großteil aus erneuerbaren Energiequellen. Kann der Bedarf damit einmal nicht gedeckt werden, wird Energie aus anderen Bundesländern oder dem Ausland importiert. Bei Engpässen kann die Verbund-Tochter Austrian Power Grid (APG), verantwortlich dafür, dass der Strom in Österreich überregional verteilt wird, auch dafür sorgen, dass etwa die EVN ihr Gaskraftwerk in Theiß bei Krems kurzzeitig in Betrieb nimmt. Der Ausbau der Wasserkraft hat in Österreich früh dafür gesorgt, dass ein entscheidender Teil der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen kommt.
Der Ausbau von in erster Linie Windkraft und Photovoltaik hat es möglich gemacht auf Energie aus fossilen Brennstoffen heute weitgehend zu verzichten. Jene neue PV-Anlage ist ein dezentraler Bestandteiles dieses Puzzles. Der große ausformulierte Plan dahinter – das Erneuerbaren-Ausbaugesetz – existiert bisher nur als Entwurf. Auf diesen muss die Umsetzung, aber teilweise auch einfach nicht warten.
mas (Opas wird das seltener nachgesagt) sind ja mitunter dafür bekannt, bei Nachfragen zu Backrezepten auch den allerliebsten Verwandten nur »kneten, bis es passt« oder »Milch zufügen nach Gefühl« zu raten. Wer Erfahrung hat, versteht, alle andern können nur verzweifeln – bis sie durch Trial and Error und einige missratene Male Topfenknödelformen später das nötige Gefühl entwickelt haben. Die beschriebenen Grobanleitungen dazu gibt’s nun von Expertinnen aus der Küche der ehemaligen Landwirtschaftschule Sooß.
Denn die ist zwar nämlich seit 2023 Geschichte, nachdem 2016 eine Reduktion der Standorte der Landwirtschaftschule beschlossen wurde; deren »Küchenteam« bestehend aus Maria Rupf, Elfriede Linsberger und Elisabeth Lechner ist allerdings gemeinsam mit vielen Lehrenden und SchülerInnen zum inzwischen vergrößerten LFS-Standort in Pyhra gewechselt. Vom dortigen Fachbereich Betriebs- und Haushalts-Management wurde das Mehlspeis-Knowhow des Teams nun publiziert. Dass es sich um »erprobte Rezepte« handelt ist also glaubwürdig. Verschriftlicht waren sie einzeln ohnehin immer wieder worden, weil auch regelmäßig auf
Festen der Schule nach diesen gefragt worden sei. Nur zusammengetragen hat sie die längste Zeit niemand.
Nun können die für die Privatküche angepassten Großküchenrezepte zuhause nachgekocht werden. Angehängt ist dann noch ein Teil mit Keksrezepten ehemaliger SchülerInnen. Die Rezeptsammlung ist alltagstauglich (für Leute, die im Alltag überhaupt backen), großteils geht‘s schnell und unkompliziert zu, allerdings teilweise mit recht viel Einsatz von Puddingpulver, Nutella oder Qimiq – dort, wo man auch mit Eiern, Stärke, Nougat und Schokolade arbeiten und so auf einige Zusatzstoffe verzichten und gleichzeitig einfacher mit Bioprodukten arbeiten könnte. Als größter Vorteil des Selberbackens gilt vielen inzwischen nämlich nicht mehr der Preis, sondern die Kontrolle über die Inhaltsstoffe. Zugegeben: Wer heute möchte, dass es schmeckt wie in der eigenen Kindheit, wird in vielen Fällen um Puddingpulver nicht herumkommen. Die Rezepte sind eben die dreier Köchinnen und entsprechend vielfältig. Über 180 Rezepte auf 146 Seiten, lebensnah ins Szene gesetzt, erhältlich im Hofladen der Fachschule Pyhra.
ZUBEREITUNG
• 5 Eier
Fülle:
• 250 g Topfen
• 120 g Zucker
• 1 Pkg. Vanillezucker
Das Kochbuch »MEHLSPEISKÜCHE« der Fachschule Pyhra im Bezirk St. Pölten.
• 50 g erweichte Schokolade
• 6 EL Öl
• 1 EL Wasser
• 100 g geriebene Nüsse
• 50 g Mehl
• 1/2 TL Backpulver
• 100 g Zucker, Vanillezucker, Zitronensaft
• 8 Blatt Gelatine
• 1/2l Schlagobers
Spiegel:
• 1/4 l Himbeermark
• 3 Blatt Gelatine
Klar mit 1/3 des Zuckers zu Schnee schlagen. Dotter, Zucker, Vanillezucker und die erweichte Schokolade schaumig rühren, Öl und Wasser einlaufen lassen, trockene Zutaten und den Schnee unterheben. Boden backen, mit Marmelade bestreichen.
Für die Creme:
Topfen, Zucker und Zitronensaft verrühren, die in Rum aufgelöste Gelatine einrühren und das geschlagene Obers unterheben. Die Masse auf den Boden streichen und fest werden lassen.
Für den Spiegel das Mark mit der aufgelösten Gelatine verrühren und auf der Torte verteilen.
ZUTATEN
• 1/4l Klar
• 250 g Kristallzucker
• 250 g ger. Nüsse (Walnüsse, Haselnüsse, Mandel mischen)
• 125 g Butter
• 60 g Staubzucker
• 1/8 l Milch (festen Pudding bereiten 1,5 dag Vanillepudding)
• Fondant Glasur, zerlassene Schokolade
• 50 g Mehl Spiegel:
• 140 g Butter
• 5 Eier
• 180 g Staubzucker
• 180 g ger. Mohn
• 70 g ger. Mandeln
ZUBEREITUNG
Klar mit Zucker steif schlagen, Nüsse unterheben, auf zwei Bleche streichen und bei 180 °C etwa 15 min. backen. Je 3 Streifen schneiden und mit Buttercreme zusammensetzen (in die schaumig gerührte Butter Pudding löffelweise einrühren;
ACHTUNG: Butter und Pudding müssen die gleiche Temperatur haben).
Mit Fondant-Glasur überziehen und mit Schokolade Esterhazy-Muster machen.
• 1 Pkg. Vanillezucker, Zimt, Zitronenschale, Rum
ZUBEREITUNG
Schnee schlagen, Dotter, Butter, Zucker, Vanillezucker, Zitronenschale, Zimt und Rum schaumig schlagen und anschließend die trockenen Zutaten einrühren und zum Schluss den Schnee unterheben. bei 160 °C ca. 50 min. backen. Ausgekühlt mit Marmelade bestreichen und beliebig glasieren.
Auf geführten E-Bike-Touren lassen sich Biobetriebe rund um Langenlois erleben.
TEXT
Martin Mühl
Slowfood entstand Ende der 1980er-Jahre als Gegenbewegung zum normierten
Fastfood und will bis heute Genuss, regionale und geschmackliche Vielfalt und auch Nachhaltigkeit in der Kulinarik bewahren und zelebrieren.
Bio oder so?
Eine Listung der Partnerbetriebe samt Biologo wo eine Zertifizierung vorhanden, würde das ganze noch transparenter machen.
In Langenlois im Kamptal steht der Wein im Mittelpunkt vieler Freizeitangebote. So auch bei den Winecycle-Tours. In kleinen Gruppen geht es auf dem E-Bike in die Umgebung von Langenlois, in Weingärten und zu Manufakturen, die in der Produktion auf Nachhaltigkeit setzen. Ein Angebot in einem Tourismusgebiet, wie viele andere auch – nur eben bio. Entstanden ist die Idee im Austausch in der Regionalgruppe Kamptal des Vereins Slowfood, Jan Moser vom Demeter-Weingut Vitikultur Moser und Marcel Gillinger haben daraus dann konkretes Konzept und Angebot gemacht, in dem Nachhaltigkeit einen Großen Stellenwert hat: »Uns geht es dabei um die Sinnhaftigkeit und ein Stück weit auch um eine gewisse Vorbildfunktion für ein nachhaltiges, ressourcenschonendes Miteinander«, erläutert Gillinger. Bio sind die ausgewählten Partnerbetriebe auch bei Wein und Lebensmitteln nur teilwei-
se – da würde noch mehr gehen in einer Region, wo der Biogedanke schon so gut Fuß gefasst hat. Am besten man nimmt daher vom Angebot Gebrauch, sich von Winecycle eine Tour nach den eigenen Präferenzen zusammenzustellen zu lassen. Die könnten dann ja – nur ein Vorschlag – lauten: »Bitte eine Tour ausschließlich zu biozertifizierten Betrieben!«
KEIN TOURENEINERLEI
Dazu muss man allerdings als Gruppe buchen. Wer sich vor Ort zu einer zusammenwürfeln lassen möchte, ist auf die von Winecycle-Tours zusammengestellten Touren beschränkt. Die Gruppengröße ist auch deswegen auf 8 Personen beschränkt, weil der Austausch untereinander absolut gewünscht ist. Vom Hauptplatz in Langenlois, der gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist, geht es zu einer oder mehreren Stationen – zweieinhalb Stun-
dem E-Bike geht es direkt in die Weinberge zu einer kleinen Verkostung.
den oder auf Wunsch auch fast eine Tag lang. 20 Betriebe stehen als Stationen zur Auswahl, darunter »Langenloiser Eingelegtes und Eingemachtes«, die Edelbrennerei Hörzinger, Imkerei Pell, die Brauerei Brauschneider, die Hofkäserei Robert Paget, Schwein und Wein Schopper oder auch die Weingüter Völkl, Öhlzelt, Jurtschitsch, Vitikultur Moser, Kreuzhuber, Kroneder, Hugl und Herbst. Abseits der Kulinarik kann man Kamptal-Alpakas besuchen oder eine Seifenmanufaktur, die Arche Noah, die Kittenberger Chalets oder eine Gartenbauschule. Wobei wenig überraschend manche Highlights auf der Strecke liegen, Keller und »Platzerl«, die nur die Einheimischen kennen oder die auch nur für die Tour geöffnet werden. In der gerade beginnenden Saison 2024 sind darüber hinaus ein paar Spezial- und Thementouren wie die Tour in der Wachau, eine Tour namens »Wildes Kamptal«, eine Singlestour oder auch eine Tour, die sich historischen Geschichten humorvoll nähern will, geplant.
Fährt man einmal mit auf einer Winecycle-Tour, erschließt sich deren Beliebtheit schnell: Es macht einfach Spaß, in einer kleinen Gruppe auf dem E-Bike – Holz-E-Bikes von My Esel, die in Oberösterreich gefertigt werden – gemütlich, aber nicht langsam das Umland von Langenlois zu erkunden, Steigungen ohne Anstrengung zu erklimmen und bei diversen Stationen halt zu machen und zu genießen. Zu erleben gibt es mitunter spontane Momente und Einblicke –geführt von lokalen Guides – in Produktionsstätten und Betriebe jenseits eines auch in Langenlois mitunter vorhandenen Heurigenkitschs.
Wer nach Ausflugs- und Urlaubsideen sucht, ist beim Tee- und Gewürzspezialisten richtig. Direkt in Sprögnitz geben regelmäßige Führungen einen Einblick in die nach frischer Pfefferminze und blumigem Lavendel duftende Produktion sowie die Unternehmensgeschichte. Draußen im Grünen warten Kräuterwanderungen, Tee-Kräuter-Führungen und eigenständige Streifzüge im Naturgarten der Vielfalt, in Kräutergärten und auf Wanderwegen. Im angenehm kühlen Wald-Reich kommen Wissbegierige und Rätselfans mit 19 Erlebnissen auf ihre Kosten. Für die richtige Erfrischung verwöhnt das Bio-Gasthaus Leibspeis’ mit kreativen Sommergerichten, hausgemachten Limonaden oder Eis- und Kuchenkreationen. www.sonnentor.com/erlebnis
Und wenn man gleich länger im Waldviertel bleiben will, laden das Land-Loft im idyllischen Kräutergarten zu einer Auszeit und das Stadt-Loft mitten in Zwettl zum Eintauchen in die Geschichte der Stadt ein. Beide versprechen ein nachhaltiges, außergewöhnliches Übernachtungserlebnis, das für ein Ankommen und Wohlfühlen sorgt.
www.sonnentor.com/uebernachten
Empfehlungen, Warnungen, warnende Empfehlungen. Von Neuentdeckungen und alten Perlen. Auf dass uns weghören und -sehen vergeht.
PUSCH / »HERRSCHAFTSZEITEN«/ Amalthea, 2024.
Vorgelesen für alle, die das Wort »pfiffig« unironisch benutzen und denen Downton Abbey zu spannend ist.
WWer schon immer wissen wollte, wie es hinter den dicken Mauern eines Schlosses zugeht, wenn nicht gerade die Augen der republikanischen Öffentlichkeit durch die Linse der ORF Sendung »Herrschaftszeiten« kritisch äugen, der wird auch nach der Lektüre des Buchs zur Sendung nicht klüger dastehen. Oder vielleicht doch, dann leben halt in sämtlichen Secondhand-Häusern Österreichs Gott sei’s gedankt ausschließlich nachhaltig denkende, überaus offene und frei von jeglichen Standesdünkel agierende SympathieträgerInnen. Das erscheint logisch, hat die Monarchie vergangener Jahrhunderte doch auch durch Gottes Gnade stets die geeignetsten KandidatInnen als RegentInnen gefunden (die Erstgeborenen). Spiegelfeld bleibt in seinem Buch oberflächlich, und daran kann man nichts Schlimmes finden, denn wer nur an der Oberfläche bleibt, kann zumindest nicht allzu schlimmen Unsinn verzapfen. RestauratorInnen bekommen vielleicht kurz Schnappatmung, wenn freimütig »künstlerische Freiheit« bei der Renovierungsarbeiten konstatiert und gebilligt werden, aber Spiegelfeld
beschreibt sämtliche von ihm besuchten Häuser nicht unsympathisch als lebendige Familienheime, in denen sich die Ehefrauen selbstbewusst einbringen dürfen. Es könnte alles schlimmer sein, denkt man sich beim Lesen oft, legt das Buch weg und vergisst..
MARKUS REDL / »DIE ZUKUNFT DER SKIGEBIETE. DAS WEISSE GOLD WIRD GRÜN«/ Story one, 2024.
Vorgelesen für alle, die Skifahren noch für das »leiwandst« Vorstellbare halten, die Berge lieben, vielleicht sogar von ihrer Inszenierung leben.
Von Berufs wegen denkt Markus Redl viel über die Zukunft nicht nur des Schneesports, sondern vor allem jener Orte und Regionen nach, die derzeit noch vom klassischen Outdoor-Wintersport leben. Seit 2011 managt er die Ecoplus Alpin, eine Tochter der Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich, die u. a. Bergbahnen, Liftgesellschaften und Skigebiete in Annaberg, St. Corona, Hochkar und Ötscher betreibt. In vielen davon gab es bereits notwendige »Klimawandelanpassungen«: Skigebiete wurden bewusst verkleinert, ein Minimalangebot an befahrbaren Pisten definiert,
dort allerdings die Beschneiung ausgebaut; ebenso die ganzjahrestauglichen Angebote. International viel beachtet beispielsweise die Wexl Trails in St. Corona am Wechsel. Redl propagiert das geplante Gesundschrumpfen, eine Abkehr vom saisonalen Massentourismus sowie die Segnungen der Digitalisierung, um BesucherInnenströme zu lenken. Viele der Beispiele entstammen seinem eigenen Wirkungsbereich. Praxisnah ist auch das Buch, in dem er nun weitgehend unbearbeitet Gastkommentare, Blogbeiträge und Vorträge gesammelt hat. Das mag stilistisch nicht immer ganz stimmig sein. Leicht zu lesen ist es allemal. Inhaltlicher Anspruch und Agenda halten außerdem locker alles zusammen. Selbst wer sich noch nie über die Dramaturgie eines Skitags in Bergerlebniswelten Gedanken gemacht hat, erfährt hier Wissenswertes über Tourismus, Wirtschaftsstandort und naturschutzfachlich vertretbare BesucherInnenlenkung: etwa vom Dilemma, dass Equipment, »Maschinenschnee« und technisch perfekt präparierte Pisten immer rasantere Abfahrten ermöglichen, was allerdings ältere SkifahrerInnen mitunter dazu bringt, das Skifahren ganz bleiben zu lassen (um Risiken zu minimieren), obwohl es sie aus Sicht des Tourismus aber länger aktiv bräuchte, um geburtenschwache Generationen wirtschaftlich auszugleichen. Redl deutet spannende Ideen an, etwa die Koppelung von Saisonkarten ans Klimaticket der ÖBB – weil viele Skigebiete historisch an Bahnstrecken entwickelt wurden (vom Semmering bis St. Anton am Arlberg), was eine Klimaneutralisierung des Freizeitvergnügens verhältnismäßig einfach mache. Er denkt die Entwicklung von Skiregionen im Rahmen eines Nationalen Wiederherstellungsplans (abgeleitet aus der europäischen Nature Restoration). Interessant auch seine Vision des Skilehrers bzw. der Skilehrerin als NaturvermittlerIn. Vieles bleibt vorsichtig diplomatisch formuliert. Man merkt, dass der Autor sich im Alltag nicht nur mit offenen Geistern rumzuschlagen hat; sein Gespür für den behutsamen Umgang mit sensiblen Themen, um gemeinsam konstruktiv arbeiten zu können. Insgesamt ein wichtiger Debattenbeitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des ländlichen Raums und nötigen touristischen Weichenstellungen. Wer an der Sache interessiert ist, sei auch auf das wirklich hörenswerte 50-minütige Gespräch verwiesen, das der Podcast »Ganz offen gesagt« mit Markus Redl geführt hat. THOMAS WEBER
Lange Nacht der Märchen – für Kinder
Sa 24.–So 25. August 2024
Markt: Handwerk unter Sternen Sa 31. August 2024, 18.00–23.00 Uhr
Brandlhof, 3710 Radlbrunn 24 volkskulturnoe.at
So 28. Juli 2024 8.00–14.00 Uhr
Das BIORAMA-Bookazine für alle ÖsterreicherInnen, die Wert auf biologische Küche legen, geht in die sechste Runde! Wir zeigen die Vorzeigebetriebe der Bioverpflegung genauso wie jene, die deren Grundlagenarbeit machen: BioproduzentInnen von Vorarlberg bis zum Neusiedler See. Bei uns erzählen sie, worauf sie stolz sind und womit sie hadern.
Schwerpunktmäßig widmen wir uns in der Ende 2024 für das Jahr 2025 erscheinenden Ausgabe der fünften Geschmackrichtung – umami. Richtig viele, richtig gute Produktempfehlungen, Küchentipps und Rezepte gibt’s wie immer obendrauf! Die bisherigen Ausgaben der BIORAMA BIOKÜCHE sind auch online biorama.eu/ausgaben
Jährlich sechs Ausgaben direkt in deinen Briefkasten!
Das Vorbilderbuch über Ruth Klüger. Das Leben der 1931 in Wien geborenen, von den Nazis ins KZ verschleppten und 2020 in den USA verstorbenen Literaturwissenschafterin und Dichterin Ruth Klüger soll in Erinnerung bleiben. Die Edition BIORAMA erzählt in einem Kinderbuch vom Leben einer beeindruckenden Frau. »Die Geschichte von Ruth Klüger – Wie ein kleines Mädchen mit Glück und Gedichten am Leben blieb« bildete den Auftakt zur Beschäftigung mit vorbildhaften Menschen und Geschichten in Buchform.
edition.biorama.eu
Auch wenn biorama ein Gratismagazin ist, kannst du es abonnieren und bekommst jede Ausgabe nach Hause geschickt – bei einem Wohnsitz in Österreich auch unsere LineExtension biorama Niederösterreich. Für 25 EUR im Jahr bist du dabei und unterstützt unsere unabhängige redaktionelle Arbeit. biorama.eu/abo
KOLUMNE
Ein neuer Nationalpark entlang des Kamps ist eine gute Idee. Das Projekt »Kampwald« gehört aber größer gedacht.
EThomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu
s ist nicht alltäglich, dass gleich zwei Landesräte gleichzeitig ausrücken, um eine Angelegenheit, die eigentlich noch alles andere als ausgemacht ist, gemeinsam zu verkünden. Auch bei frohen Botschaften nicht. Genau das passierte Mitte Mai, als über den ORF die Idee eines neuen Nationalparks im Waldviertel verlautbart wurde. Unter dem griffigen Arbeitstitel »Kampwald« wurden damit gedanklich die Pflöcke für ein mögliches Naturschutzgebiet eingeschlagen. Ein Nationalpark ist das zweithochwertigste international anerkannte Naturschutzgebiet überhaupt. Bislang gibt es in Niederösterreich zwei davon: den zuletzt erweiterten Nationalpark Donau-Auen, noch in der Bundeshauptstadt beginnend bis zur Staatsgrenze kurz vor Bratislava. Und den deutlich kleineren Nationalpark Thayatal, ganz im Norden an der Grenze zu Tschechien. Höher als ein Nationalpark ist nur noch ein sogenanntes Wildnisgebiet eingestuft. Davon gibt es in Niederösterreich eines: das Wildnisgebiet Dürrenstein. Der Kampwald könnte nun ebenfalls Nationalpark werden – sofern es dafür Geld aus dem Klimaschutzministerium gibt. Im Biodiversitätscall, der im Rahmen des Green Deals der EU ausgerufen wurde, stehen insgesamt 27 Millionen Euro für die Erweiterung von Naturschutzflächen bereit. Würdig und recht, davon auch Geld nach Niederösterreich zu holen. Die Initiative dazu kam von Stephan Pernkopf und Ludwig Schleritzko, ersterer Stellvertreter der Landeshauptfrau und u. a. für die Forst- und Landwirtschaft zuständig, zweiterer u. a. für Finanzen (und zuvor selbst Nationalparkdirektor im Thayatal). Der gemeinsame Vorstoß der beiden ÖVP-Landesräte ist auf vielen Ebenen interessant. Zuerst auf der parteipolitischen. Vor der Koalition mit der FPÖ war Pernkopf auch für Naturschutz zuständig. In den Regierungsverhandlungen hat er
sich die Zuständigkeit für Nationalparks gesichert. Offiziell ist für Naturschutz nun die blaue Landesrätin Susanne Rosenkranz zuständig (die sich in Naturschutzkreisen durchaus Respekt erarbeitet hat). Allzu viel Spielraum hat sie in ihrem Feld aber nicht. In Niederösterreich gibt es traditionell wenig Geld für Naturschutz. Mit ihrer Kampwald-Idee haben die beiden Landesräte das Thema aber nun klar für die ÖVP besetzt. Wird sie umgesetzt, kommt das allermeiste Geld angenehmerweise vom Bund. Neu ist die Idee eines Schutzgebiets in den Wäldern um den Kamp indes nicht. Lange war ein Biosphärenpark im Gespräch. Einige der Steilhänge sind urwaldnah, ohnehin schwer zu bewirtschaften. Etwas im Abseits gibt es bereits vereinzelte Naturwaldinitiativen von privaten GroßgrundbesitzerInnen. Wirklich erfasst ist das alles bislang nicht. Bleibt vorerst viel ungewiss. Einige der vorgeschlagenen Gebiete aus dem Besitz von Gut Ottenstein beispielsweise sind ökologisch wertvoll. Als Kernzonen mit dem darin gebotenen Prozessschutz, welcher der Natur freien Lauf lässt, sind bewirtschaftete Teiche aber ungeeignet. Insgesamt gehört das Projekt auch größer gedacht, gehören zumindest Teile des Truppenübungsplatzes Allentsteig berücksichtigt. Er ist als Naturparadies längst der inoffizielle siebente Nationalpark Österreichs. Ein wenig wirkt das Projekt »Kampwald« zu diesem Zeitpunkt außerdem wie ein Ablenkmanöver. Auf entscheidender Ebene blockiert die ÖVP nämlich massiv Renaturierung, argumentiert mit Halbwahrheiten und verhindert Maßnahmen zum Bodenschutz.