BIORAMA Niederösterreich #4

Page 1

P.b.b. — 11Z038861 M — 1040 Wien www.facebook.com/Biorama

BIORAMA Niederösterreich ausgabe 4 — NOVEMBER 2019. www.biorama.eu

KOSTENLOS — ABER NICHT UMSONST

Di e N i e de rös t e r r e ic h a u sg a be #4

Douglasie, Palme, Sukkulente: Die Neuen in Niederösterreichs Flora Gegenwind: Was den Ausbau der Windkraft hemmt. Offensive: Wie das Land den Wohnbau weiterdenkt. Luftballons: Warum der Spaß verboten gehört.

— — —

14 44 54


ERGO SUM, SUM

Sumsi ist stolzer UnterstĂźtzer der Initiative 2028 von Hektar Nektar!

Impressum: Medieninhaber: Raiffeisen-Landeswerbung NiederĂśsterreich-Wien, F.-W.-Raiffeisen-Platz 1, 1020 Wien.

COGITO


B io r a m a NÖ

E d i t o r i al , Im p r essu m

3

E

s ist schon über vierzig Jahre her, dass per Volksab­ stimmung entschieden wurde, dass Österreich sich von der Atomkraft lieber fernhält. Das bereits fertiggestellte akw Zwentendorf ging deshalb seit 1978 nie ans Netz.

Neulich sah ich irgendwo einen alten orf-Beitrag zur De­ batte von damals. Und darin saß ein Niederösterreicher vor der Kamera, der einen interessanten Punkt machte. Er sagte sinngemäß: Wenn bei den TschechInnen hinter der Grenze das nächste akw steht, sind wir allen Gefahren und Nach­ teilen der Atomkraft ausgesetzt. Wieso sollen wir dann aus­ gerechnet auf die Vorteile verzichten und selbst kein akw betreiben? Ich fragte mich, ob es dieses Argument heute auch noch gibt. Wenn doch ohnehin alle kollektiv vom Klimawandel betrof­ fen sind – wieso dann individuell auf die Vorzüge des emissi­ onsintensiven Fliegens oder suv-Fahrens verzichten? Wenn doch eh alle Meere längst voller Plastikmüll sind – wieso auf die praktischen Vorzüge des Wegwerfplastiks verzichten? Wer von den Nachteilen eines ressourcenintensiven Lebens­ stils betroffen ist, wird doch wohl auch ein Recht auf seine Vorzüge haben. So argumentiert fast niemand. So leben ver­ dammt viele. Ist seit den 1970er-Jahren etwa die Ehrlichkeit in der De­ batte verloren gegangen? Vielleicht. Die These wäre wohl trotzdem ein wenig steil. Vielleicht ist einfach nur die Sche­ re zwischen dem, was man über Nachhaltigkeit weiß, und dem eigenen Lebensstil zu groß geworden, als dass man so argumentieren würde wie die AtomkraftbefürworterInnen der 1970er-Jahre. Wenn das so ist, dann müssten wir uns alle immer wieder ertappt fühlen. Na eh. Ist ja auch so.

B ilder   Thomas W eber, E lis abeth Els

Thomas Stollenwerk

Thomas Stollenwerk hat das vorliegende Heft maßgeblich mitgestaltet. Das Redaktionsteam sagt für viele Jahre Danke, baba und foi ned! Wir wünschen gute Lektüre!

Ausflug in den Wald mal anders. Michael Mickl versucht sich beim Arrangieren für unser Coverfoto als Plastikflorist. Dank an Markus Betz, der uns dafür seine Legobäumchen borgte!

impressum HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEURIN Irina Zelewitz AUTORINNEN Jürgen Schmücking, Thomas Stollenwerk, Thomas Weber, Yasmin Vihaus, Irina Zelewitz GESTALTUNG Michael Mickl COVER Michael Mickl ANZEIGENVERKAUF Micky Klemsch, Thomas Weber, Norbert Windpassinger DRUCK Walstead NP Druck Gesellschaft mbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Wohllebengasse 16/6, 1040 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT www.biorama.eu, redaktion@biorama. eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT siehe Website: www.biorama.eu ERSCHEINUNGSWEISE 2× jährlich ERSCHEINUNGSORT Wien BLATTLINIE BIORAMA ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. BIORAMA erscheint sechs Mal im Jahr.


Bild:  Adri a n Paci: Turn on, 20 04 (Fi lmstill), Cou rtesy der Kü nstle r / t he artist , k aufma nn repett o, Maila nd / Mila n, New York, Galerie Pe ter Kilchma nn , Züri chom/star cev ic

B io r a m a N Ö

4  b i l d d e r au sgabe


5

LOST COMMUNITIES

Adrian Paci: Turn on, 2004 (Filmstill) In der Videoinstallation »Turn on« hat der in Albanien geborene und Ende der 90er-Jahre nach Italien emigrierte Künstler Adrian Paci mit Arbeitssuchenden aus seiner Geburtsstadt Shkodër zusammengearbeitet. Thema der Installation ist die Sichtbarmachung von Menschen, die nicht gesehen werden, Menschen, die von einem System vergessen wurden, in den Vordergrund zu rücken. Mit den Prota­ gonistInnen aus der Installation hat Paci für ein aktuelles Video namens »Prova« wieder zusammengearbeitet. Beide Arbeiten sind Teil der von Andreas Hoffer als Retrospektive auf Pacis Werk kuratierten Ausstellung »Adrian Paci. Lost Commu­ nities«, die von 24. 11. 2019 bis 23. 2. 2020 in der Kunsthalle Krems zu sehen ist. Text:Irina Zelewitz kunsthalle.at


B io r a m a nö

Inhalt 03 Editorial 04 Bild der Ausgabe 08 Tweet Talk 10 Splitter 14 Vom Kampf gegen

Windmühlen

34 Industrieviertel unter Palmen

Kakteen in der Wachau und Palmen im Industrieviertel –Neulinge sind mitunter Bioinvasoren, mitunter schon Teil des niederösterreichischen Waldmanagements.

Dem Ausbau der Erneuerbaren weht mitunter starker Wind entgegen 22 Sauen mit Sendern Wildsaufang im Nationalpark 26 Textile Schätze in Nieder-

österreichs Museen

Mode, die Museumsgeschichte schreibt 33 Das Unding Über eine seltsame Fehlinvestition 34 Industrieviertel unter Palmen Die Neuen in Niederösterreichs Flora 36 Refugium in den Baumkronen Nahe Loosdorf steht ein Vogelparadies 44 Zukunft Wohnen Niederösterreichs Wohnbauoffensive 48 Cooler in Grün Lebendige Fassaden 52 Die Spur der Emissionen Ein Emissionskataster aller Gemeinden 54 Aufgeblasener Abfall Die Schattenseite des Luftballons

22 Sauen mit Sendern

Im Nationalpark Donau-Auen wird zur Zukunft der Jagd geforscht: Ein Besuch bei den Saufängern von Eckartsau.

57 Gummibandbusiness Die Achse Weiten-Berlin 59 »Des is ka Zuckerlfabrik« Spatenstich einer Kompostieranlage 61 Öliges So bewahrst du Geschmack 64 Marktplatz Food Käse, Brot und Wein 66 Kolumne: hintaus

Bilder  M i c hae l Mick l, Isto ck. com/Kwas ny221, He idrun henk e, Jü rg e n Schmücking, Ist ock.com/starc evic

6

au f takt


36 Am Fuss der Vogelwarte In Sooß hat der gelernte Kunsttischler Heinz Ziegelwanger ein Vogelparadies erschaffen. Fotografin Heidrun Henke hat ihn und seine Familie dort zwischen Biobaumschule, Bienenstöcken und blökenden Kärntner Brillenschafen besucht.

64

48

Mehr als Käsebrot

Aussen grün

Die Kulinarische Dreifaltigkeit: Drei Bäckereien, drei Käsereien, ein Demeter-Winzer – und deren Produkte.

Fassadenbegrünung ist mehr als Behübschung, sie leistet einen Beitrag zum Stadtklima und bietet Lebensraum.


S plit t er

Entgeltliche Einschaltung.

Biorama NÖ

breitspurig

Heute s a w t e n o h sc vergessen? DAS DEMENZ-SERVICE NÖ IST IHR WEGWEISER BEI ALLEN FRAGEN RUND UM DIE DEMENZ. Kostenlose NÖ Demenz-Hotline: 0800 700 300* Montag bis Freitag von 08:00 bis 16:00 Uhr demenzservicenoe@noegus.at * Eine individuelle Beratung ist derzeit nur in der Region NÖ Mitte (Krems, Lilienfeld, St. Pölten, Tulln) verfügbar.

Alle Informationen unter www.demenzservicenoe.at

Auf weiter Spur Weitgehend unbemerkt wird ein gigantisches Infrastrukturprojekt vorbereitet, das den Raum Wien-Bratislava mit Fernost verbinden soll. Schräg gegenüber der Wiener Staatsoper, direkt an der Ringstraße, residiert die Breitspur Planungs­ gesellschaft mbH. Zweck der Gesellschaft mit dem etwas altbackenen Namen ist das Vorantreiben eines Güterbahnkorridors, der die Twin-City-Region Wien-Bratislava über die Slowakei, die Ukraine und Russland mit China verbindet. An dem Joint Venture sind neben den öbb auch die Eisenbahn­ gesellschaften aus den genannten osteuropäischen Staaten beteiligt. Noch im laufenden Jahr soll der Umweltbericht zum Breitspurbahnprojekt für die Verbindung zwischen Wien und der östlichen Staatsgrenze erscheinen. Im November 2018 hat­ te die öbb Infrastruktur AG eine strategische Prü­ fung für die Eisenbahnstrecke im Korridor »Raum östlich von Wien – Staatsgrenze bei Kittsee (Stre­ cke und Güterterminal)« beim Verkehrsministeri­ um beantragt. Die Investitionskosten für die Schie­ neninfrastruktur inklusive Terminal werden aus heutiger Sicht mit rund einer Milliarde Euro be­ ziffert. Eine Machbarkeitsstudie bescheinigt dem Breitspurbahnprojekt einen jährlichen Wertschöp­ fungseffekt von mehr als 450 Millionen Euro sowie die Schaffung von 3500 Vollzeitarbeitsplätzen im Umkreis des Verteilerbahnhofs. Das riesige Infrastrukturprojekt könnte dafür sorgen, dass Niederösterreich wichtige Station der Neuen Sei­ denstraße wird. Geschäftsführer der Planungsge­ sellschaft für das Globalisierungsprojekt ist der 31-jährige Burschenschafter und ehemalige rfsObmann Alexander Schierhuber. Thomas Stollenwerk breitspur.at


gastwirtschaft

Stirbt das Wirtshaus?

B ilder   istock.co m/niria nm, isto ck. com/robynmac

Die Zahl der traditionellen Wirtshäuser in Niederösterreich gehe zurück, vermeldet die Wirtschaftskammer. Kein Grund zur Panik. Gab es 2001 in Niederösterreich noch fast 2800 Gasthäuser und Gasthöfe mit höchstens acht Betten, waren es Mitte 2019 nicht einmal mehr 2000, teilt die NÖ Wirtschaftskammer mit und ruft nach Hilfe aus öffentlichen Kassen: Um das Dorfwirts­ haus als Begegnungszentrum und sozialen Treff­ punkt für die Ortsbevölkerung zu erhalten, sol­ len die jeweiligen Gemeinden ihren Beitrag leisten. Das regt Mario Pulker, Obmann der Sparte Touris­ mus und Freizeitwirtschaft in der NÖ Wirtschafts­ kammer, an. Die Kommunen könnten etwa für Erhalt und Neubau von Festsälen aufkommen. Denn gerade im ländlichen Raum brauche es »ein Bekenntnis der Gemeinden zum Erhalt ihrer Gasthäuser«. Ein Blick in die Statistik der wko zeigt: 1421 Gasthäuser werden in NÖ betrieben. Hin­ zu kommen 30 Gasthöfe mit höchstens acht Betten. Und dann wären da noch 747 Restau­ rants, 746 Kaffeehäuser und 914 Kaffeerestaurants. Außerdem 56 Espressobetriebe und Stehkaffee­ schenken, 91 Kaffeekonditoreien und 122 Wein­ lokale. Dazu kommen 567 Imbissstuben und 429 Würstel- und Kebabstände. Begegnungszentren und soziale Treffpunkte gibt es also noch in Nie­ derösterreich. Auch wenn die wko eine besonde­ re Vorliebe für Gasthäuser zu haben scheint. Laut wko-Statistik gibt es in ganz Niederösterreich übri­ gens nur ein einziges Bierlokal. Der schwache Trost: In Wien gibt es laut derselben Statistik überhaupt kein Bierlokal. Thomas Stollenwerk gastwirtnoe.at

WAS BEI UNS AM SPEISEPLAN STEHT? NIEDERÖSTERREICH!

Wir kochen frisch, regional und saisonal – in unseren Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern, für unsere Betriebe und Senioren.

Guten Appetit!

SAISON – AL REGIO&N – AL? Ab i n d ie K üc

he!

www.noetutgut.at www.noetutgut.at/vitalkueche


Biorama NÖ

S plit t er

Mist

Der Neue am Mistplatz

Die Österreichische Post AG hat ihre MitarbeiterInnen mit neuen Uniformen ausgestattet. Aus den ausgemusterten soll Neues entstehen.

Du bist DesignerIn und hast Lust, daran mitzuwirken? Bewirb dich bis zum 5. Jänner 2020 unter: www.poolbar.at/generator Re:Post Generator, Wien 17.–25. Februar 2020 Nachbearbeitungslabor 13.–15. März 2020

Wer zuhause im großen Stil aufräumt und ein­ mal so richtig entrümpelt, bringt früher oder später meist eine ganze Kofferraumladung zum Mistplatz, um dort seine Abfälle in verschiedenen Containern zu entsorgen. Holz zu Holz, Metall zu Metall, Elektronik zu Elektronik. Was es am Mistplatz nicht immer gibt: eine Abteilung für Dinge, die man weiter- oder wiederver­wenden kann. Deshalb haben der Abfallverband Schwechat (aws) und die Volkshilfe Wien ein ReUse-Projekt gestartet. Auf Mistplätzen werden auffällige pinke Container aufgestellt. Aufschrift »Ned weghaun – Weitergeben«. Darin können Gegenstände deponiert wer­ den, die zwar noch gut sind – die man aber den­ noch loswerden will. In Schwadorf (Bezirk Bruck an der Leitha) nimmt das Projekt seinen Aus­ gang. In 15 Gemeinden rund um Schwadorf wer­ den bei den Abfallsammelzentren Waren gesam­ melt – vom Fahrrad bis zur Kleidung. Danach wird aussortiert, wenn nötig repariert und später werden die Gegenstände im ersten Re-Use-Shop in Niederösterreich zum Verkauf angeboten. Thomas Stollenwerk schwechat.abfallverband.at

B ilder  Ab fallwi rtschaft s chwe chat

Die Abfallzentren rund um Schwadorf haben Zuwachs durch pinke Re-Use-Container erhalten.


Für die BioPause im Büro

eigenweingarten

Wie der Garten zum Weingarten wird Hilfreiches Handbuch: »Bio-Wein im eigenen Garten« zeigt, wie Wein auch im kleinen Maßstab gelingt. Wer über ein wenig Grund und Boden verfügt, hat vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, Wein anzubauen – und vielleicht sogar überlegt, aus der erhofften Ernte auch gleich selbst Wein zu machen. Oder Traubensaft zu pressen. Oder Weinblätter anders zu verarbeiten. Auf 167 Seiten, verfasst vom Weinviertler Biobauernpaar Toni und Sonja Schmid, erfahren wir alles, was es diesbezüglich zu wissen gilt: Geboten werden eine kurze grundlegende Ein­ führung in den Bioweinbau, botanische Grundlagen und Basiswissen über Arten und Sorten – inklusi­ ve piwi-Sorten, also pilzwiderstandsfähiger Sor­ ten, versteht sich. Es folgen theoretische Grund­ lagen zu Klima, Standort, Boden, Rebvermehrung, Rebschnitt und Erziehungsarten, eine Anleitung zu praktischen Arbeiten wie etwa Laubschnitt, Boden­ pflege und Pflanzenschutz und Wissenswertes zu Ernte und Verarbeitung. Ideal für den Biogarten, ist auch den passenden Begleitpflanzen (vom berühm­ ten Weingartenpfirsich über Erdbeeren und Quitte bis zu Spargel, Safran, Knoblauch, Erdäpfeln und Kürbis) genügend Raum gewidmet. Der Untertitel des im Löwenzahn Verlag erschienenen Buchs fasst alles treffend zusammen: »Wie Anbau, Pflege und Ernte auf kleiner Fläche gelingen.« Thomas Weber

Das ADAMAH BioBüroKistl versorgt kleine und große Teams ganz bequem mit frischen BioVitaminen, fair gehandeltem Kaffee, fruchtigen Säfte, Nüssen und anderen BioEnergiespendern. Probier‘s aus: Wir schicken ein BüroKistl kostenlos auch in dein Büro. www.adamah.at/biobuero


B io r a m a N Ö

tweet talk Wir haben die Twitter-Community befragt.

» Hast du schon einmal überlegt, dich in der Kommunal­politik zu engagieren? Bzw. Was hat dich bisher davon abgehalten?«

Andreas Kovar

@Andreas_Kovar #ConstructivePolicies #PublicAffairs #Advocacy @KovarPartners, #eParticipation @eComitee, #ChildrensRights @SOSKinderdorfAT

»Den Job als Bürgermeister von Wien hat mir gerade hier jemand vor der Nase weggeschnappt. Dabei ist er nicht mal aus Ottakring.«

Barbara Ruhsmann @BarbaraRuhsmann

Wohnen, Stadt-Land, Demokratie, Literatur, Währing | forumwohnbaupolitik.at

»Ja, vor fünf Jahren. Es ging ganz einfach: E-Mail, dass ich Interesse hätte, mitzuarbeiten, darauf folgte ein nettes Kennenlerngespräch und die Einladung zur monatlichen Sitzung. Bereu es bis heute nicht ;).«

B ilder  twi tter

12

DIGITALGESPRÄCH


13

Georg Renner

Gerhard Kompein

Vater, Bürger, Niederösterreicher. Journalist Kleine Zeitung; vormals Die Presse, NZZ.at, addendum.org. Beseelt von Garten, Tee und Bienen.

SCR1899 & EC KAC #M31STER

@georg_renner

@gkompein

»Die Kreisverkehre«

»Mein Job«

Markus Klein @mmmagk

Michael Pürmayr @Andylee_Sato

Marathon Runner, Software Developer. Likes statistics and podcasts. Reads the news. Tweets in German and English.

»Ja. Hab auch mal Gemeinderat gemacht. Wichtigste Hürde (auch aus dem Bekanntenkreis so gesagt bekommen) ist der undurchsichtige Weg, wie man bei Partei X auf die Liste kommt. Nicht jedeR, der/die sich engagieren will, will auch jahrelang zuvor am Parteistammtisch sitzen.«

IT enthusiast, innovation coach, project mgr, speaker || Ökonomie, Soziologie, Klettern, Tauchen, Film … innvationcoaches.at

»Mir fehlt die klare Vorstellung, was dort passiert und wie viel Aufwand pro Woche das eigentlich ist. Welche Rechte und Pflichten hat man? Kann man im Notfall aussteigen? Gibt es dazu irgendwelche Unterlagen? Und Angst vor Seil- & Machenschaften.«

Eva

@evakalla I was born to be different – not perfect – so don’t judge me!

Georg H. Jeitler

»Ja. Abgehalten haben mich der Job und die Tatsache, dass mich keine Partei genug überzeugt, um ihr beizutreten.«

@GHJeitler

Gerichtssachverständiger. Forensik, Wirtschaft, Beratung, Kommunikation, Medien, Urheberrecht. Unternehmer. Private views u. a. zu Politik, Medien, Korruption.

»Klar. Abgehalten hat mich die daraus resultierende Angreifbarkeit in meiner Tätigkeit. Und natürlich der Umstand, dass meine Frau bereits Stadträtin ist.«

SunshinecatE @TheCat_hi

Interior Designerin & im Herzen immer Pinzgauerin. Alleindompteurin der Kinderschar.

»Ja, durchaus. Mir fehlt nur die Zeit momentan ...«

Heiko Greyhead

Alpha Goat

Dem Leben zugewandt! Dem LiebeLeben, GlaubeLeben, FamilieLeben, LandLeben und FleckviehLeben! #Leben, #ProLife, #Glaube #Landwirtschaft, #Fleckvieh

Ungusteliger, alles kritisierender & nicht immer ernst zu nehmender Bock der Mitte sowie #stablegenius mit Hang zum #StonerRock.

@Fleckviehonline

»Bin seit 22 Jahren dabei. Auch heute Abend wieder, 19:00–21:00 Uhr.«

@–AlphaGoat_

»Ja, oft. Warum nicht? Klubzwang und ideologische Verbohrtheit auf kleinsten Ebenen.«


B io r a m a N Ö

W i nd k ra f t

14

Vom Kampf gegen Windmühlen Die letzte Bundesregierung hat den Ausbau der Windkraft auf 30 Terawattstunden pro Jahr bis 2030 angekündigt. Im Windkraftvorzeigeland Niederösterreich fragt man sich, wie das gehen soll.


Bild istock.co m/sedmak

15


B io r a m a N Ö

W i nd k ra f t

16

Text Thomas Stollenwerk

»E

s geht darum, dass Waldstandorte unserer Meinung nach ungeeignet sind«, erklärt Michael »Jimmy« Moser. »›Waldschutz ist Klimaschutz‹ war immer ein grüner Slogan. Das hat man inzwischen offenbar vergessen. Wir sehen nicht ein, dass Windkraftstandorte ausgerechnet in Waldgebieten liegen sollen.« Moser ist Sprecher der IG Waldviertel, einem Zusammenschluss von mehreren BürgerInneninitiativen, die sich in der Region gegen Windkraftanlagen in Waldgebieten engagieren. Der Einsatz gegen die »Windkraftlobby«, wie er sagt, ist Moser ein Anliegen, mit dem er es ernst meint. Dabei hat er gar nicht pauschal etwas gegen die Branche und ihre Technologie. »Wenn es von der Landschaft her passt, spricht gar nichts gegen die Windkraft als Teil eines modernen, ökologischen Strommix. Windkraft allgemein ist für keine der BürgerInneninitiativen im Waldviertel ein Problem. Es ärgert uns deshalb, wenn wir als ›WindkraftgegnerInnen‹ tituliert werden. Wir sind LandschaftsschützerInnen, TierschützerInnen oder WaldschützerInnen, aber WindkraftgegnerInnen kenne ich keine. Es geht uns um die Standortwahl.« Moser repräsentiert eine der Seiten in einem Konflikt, dessen Konfliktlinien einen überraschend klassischen Verlauf zeichnen – dafür, dass es um die Zukunft der Energieversorgung geht. Die Energiewende soll dafür sorgen, dass zu Strom wird, was die Natur gratis und regenerativ zur Verfügung stellt. Doch der Weg zu dieser Wende entpuppt sich als ein Ringen um etwas sehr Begrenztes: nämlich Fläche. Um regenerative Energiequellen zu nutzen, benötigt man eine Menge Platz. Vor allem, wenn es um Windkraft geht. Und davon soll in Niederösterreich zukünftig deutlich mehr produziert

werden als heute, wenn es nach dem NÖ Klimaund Energiefahrplan geht, dem CO2-Reduktionsplan für die Zwanzigerjahre, den die St. Pöltner Landesregierung im Juni vorgelegt hat.

»Not in my backyard« Der Fahrplan beschreibt den Ausbau der Energieversorgung durch Biomasse, Sonne, Wasser und Wind. Dass der Ausbau schnell genug geschieht, während der Stromverbrauch durch die Abkehr von fossilen Brennstoffen insgesamt ansteigt, ist längst nicht gesagt. ExpertInnen sind skeptisch. In einer parlamentarischen Enquete im Nationalrat, in der die bundesweite Mission 2030 im Mai 2018 diskutiert wurde, wies der Klima- und Energieexperte Erwin Mayer darauf hin, dass man beim Ökostromausbau wohl einen Zahn zulegen müsse, um die nationalen Ziele zu erfüllen. Wachse der Stromverbrauch im aktuellen Tempo weiter, gebe es im Jahr 2030 Bedarf an 90 Terawattstunden Ökostrom. Heute liege dieser bei 50 Terawattstunden. »Das heißt, wir reden von 40 Terawatt­ stunden Zubau in zehn Jahren, von 2020 bis 2030. Also vier Terawattstunden Zubau pro Jahr, also von einer Versechsfachung des Ökostromausbaus«, sagte Mayer damals.

» Es ärgert uns, wenn wir als ›WindkraftgegnerInnen‹ tituliert  werden. Wir sind LandschaftsschützerInnen, Tierschützer­Innen oder Waldschützer­Innen, aber Windkraftgegner­Innen kenne ich keine. Es geht uns um die Standortwahl.« – Michael Moser, IG Waldviertel


Bilder ig Waldvie rte l, i sto ck.com/Jue rge n Bau er Picture s

17

Quelle: atlas.noe.gv.at/ w e bgisatlas


B io r a m a N Ö

W i nd k ra f t

18 Mit Blick auf die öffentlichen Zustimmungsraten zu den erneuerbaren Energieträgern könnte man annehmen: Der Ausbau müsste problemlos funktionieren. Neun von zehn ÖsterreicherInnen möchten, »dass die Regierung den Ausbau der erneuerbaren Energien rasch ermöglicht«, heißt es in einer Studie des Branchenverbands IG Windkraft. Und laut einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte, der WU Wien und der Uni Klagenfurt ist Niederösterreich mit Zustimmungswerten von über 80 Prozent zur Energiewende österreichweit führend, was die Akzeptanz der Erneuerbaren angeht.1 Für Michael Moser sind diese Zahlen wenig überraschend: »Wenn ich nur die Frage stelle, ob die Menschen für Windkraft oder für Atomkraft sind, dann wundert das Ergebnis nicht. Es wird ja nur gefragt: Windkraft ja oder nein? Wenn man detailliert nachfragt, zum Beispiel nach den geeigneten Standorten, ist das Bild schon ein anderes.« Dass es mit der Zustimmung schnell vorbei ist, wenn es bei der geplanten Errichtung neuer Windräder konkret wird, gibt auch die Windkraftbranche zu. Dann werde das übliche Nimby-Problem relevant, erzählt man. Nimby steht für »Not in my backyard« und steht sprichwörtlich für die Ablehnung von Infrastruktur, sobald diese in der eigenen Umgebung errichtet werden soll. Zwar sind die wenigsten Menschen gegen Bahnstrecken, Kläranlagen oder eben Windräder. Nur will gleichzeitig eben auch niemand direkt daneben wohnen. Ein Problem für die Windkraftbranche wie für andere Industriezweige. Nimby ist der Grund, weshalb die Branche daran zweifelt, dass aus Niederösterreichs aktuell 700 Windkraftanlagen in den kommenden Jahren wirklich noch deutlich mehr werden.

Bild i sto ck. com/ borchee

LAngwierige Verfahren Der Manager eines Windkraftunternehmens, der namentlich lieber nicht genannt werden möchte, um laufende Planungsprojekte nicht zu gefährden, berichtet von den Schwierigkeiten bei der Planung von Windkraftanlagen: Oft würden zwei oder drei AktivistInnen in einem Ort ausreichen, um die Stimmung gegen die Windkraft zu drehen. Langwierige BürgerInnenbeteiligung am Genehmigungsverfahren könne die Verfahren schnell zum mehrjäh-


rigen Prozess machen und somit für enorme wirtschaftliche Risiken sorgen. Am Beginn eines Projekts stehe für WindkraftplanerInnen deshalb inzwischen immer die Recherche in sozialen Netzwerken, wie es in einem Ort politisch zugeht. Parteilose BürgerInneninitiativen oder oppositionsgetriebene Stimmungsmache einer bestimmten Partei – meist unter dem Deckmantel der Forderung nach direkter Demokratie – hätten schon so manchen formal völlig korrekt geplanten Windpark verhindert.

Vor der Wahl herrscht flaute Michael Moser von der IG Waldviertel sieht das naturgemäß anders. Dass trotzdem immer wieder Anlagen genehmigt werden, ärgert ihn. »Da gibt es Gesetze, die missachtet werden. Landschaftsbild, Naturschutzgesetz, Forstgesetz, hydrologische Regelungen sprechen gegen den Ausbau der Windkraft im Wald. Trotzdem wird mit aller Gewalt versucht, die Verfahren durchzuziehen«, berichtet er. »Das stößt den Leuten auf. Sonst gäbe es nicht acht BürgerInneninitiativen mit über 15.000 UnterstützerInnen, wenn man die bisherigen Unterschriften gegen die Waldviertler Projekte zusammenzählt.« Auch den Vorwurf, er und seine MitstreiterInnen würden korrekte Planungsverfahren künstlich in die Länge ziehen, will er nicht gelten lassen. »Da wird vonseiten der Windkraftlobby mit lauter Gefälligkeitsgutachten gearbeitet, die einige wenige Institute für die gesamte Branche verfassen. Da stellt es jemandem, der normale Naturschutzverfahren gewohnt ist, die Haare auf.« Der Konflikt scheint schwer lösbar. Kein Wunder, dass PolitikerInnen auf Gemeindeebene wenig Interesse daran haben, sich auf die Seite der ErrichterInnen oder GegnerInnen von Windkraftanlagen zu schlagen. »Vor der Wahl mach ma das sicher nimmer«, lautet ein Satz, den WindkraftplanerInnen in vielen Amtszimmern hören. Und auf einer der politischen Ebenen steht bekanntlich immer gerade eine Wahl bevor. Der wachsenden Bedeutung von BürgerInneninitiativen und politischer Partizipation auf lokaler Ebene würde die Windkraftbranche durchaus gerne stärker Rechnung tragen, wird beteuert. Nur sei das gar nicht so einfach. »Die Leute akzeptieren es nicht, im Dunkeln gelassen zu werden, und deshalb muss man sie

zum richtigen Zeit» Wenn es von der Landpunkt der Planung schaft her passt, spricht einbinden«, erklärt gar nichts gegen die ein Windkraftunternehmer. »Es gibt keiWindkraft als Teil eines ne Zauberformel für modernen, ökologischen erfolgreiche Projekte. Mal ist ein Infoabend Strommix. Windkraft perfekt, mal ist er geallgemein ist für keine der nau falsch, mal zu BürgerInneninitiativen im früh, mal zu spät. Am Ende ist alles eine Waldviertel ein Problem.« Frage der Kommuni– Michael Moser, IG Waldviertel kation.« Dabei müsse man sich zwei Gruppen ganz besonders widmen. »Da sind einmal die eher weniger gebildeten Leute, die sich vor allem Neuen fürchten. Die zu überzeugen ist schwierig. Und dann sind da AkademikerInnen, die aufs Land gezogen sind, eine Gemeindeordnung lesen können und gerne lange Schriftstücke aufsetzen. Die wollen ihren Traum ländlicher Idylle leben, und da passen Windkraftanlagen eben nicht hinein. Ich kann das ja sogar nachvollziehen.«

ambitionierte Ziele Wer bleibt dann neben den Betreibergesellschaften noch als BefürworterIn und ProfiteurIn der Windkraft? Natürlich – die GrundeigentümerInnen. Denn dort, wo die Masten mit Rotoren und Turbinen errichtet werden, sprudeln für sie ordentliche Renditen. Oft gehört der Grund unter den Rotoren Gemeinden, meist aber LandwirtInnen oder GroßgrundbesitzerInnen. Durchaus konservative Wählerschaft – könnte man annehmen. »Die finanziellen ProfiteurInnen der Windkraft sind eigentlich klassische ÖVP-WählerInnen«, erklärt auch der Windkraftunternehmer. »Außer bei den Gemeindeäckern. Da profitieren alle. Trotzdem ist man in St. Pölten wohl der Meinung, dass man mit dem Thema politisch keinen Blumentopf gewinnen kann.« Aus Sicht der Windkraftbranche gäbe es durchaus Möglichkeiten, der Windkraft auf Landesebene stärker als bisher unter die Rotorblätter zu greifen, berichtet der Branchenvertreter, der gerne anonym bleiben möchte und zugesteht, dass ÖVP-Landesrat Stephan Pernkopf beim Thema Windkraft engagierter sei als Landeshauptfrau

19


24.11.2019–23.02.2020

kunsthalle.at

Adrian Paci, Centro di permanenza temporanea, 2007 (Filmstill), Courtesy der Künstler / the artist, kaufmann repetto, Mailand / Milan, New York, Galerie Peter Kilchmann, Zürich

ADRIAN PACI Lost Communities


Bio r a m a NÖ

W i nd k r af t

21

Johanna Mikl-Leitner. Und wie sieht es Umweltlandesrat Pernkopf selbst? Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht: »Die Ziele im Klimaund Energiefahrplan für die Stromerzeugung im Jahr 2030 sind sehr ambitioniert. Um diese Ziele erreichen zu können, braucht es in erster Linie ein vorausschauendes Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz der Bundesregierung. Ohne ein solches sind weder die Ziele für die Windkraft noch für die Photovoltaik erreichbar.« Dass es an politischem Rückhalt für die Windkraftbranche fehle, kann er nicht erkennen: »Der NÖ Landtag hat vergangenen Mai seine Ziele für die Windkraft neuerlich bestätigt. Jedes Projekt unterliegt dabei einem strengen Genehmigungsverfahren. Es wird daher Projekte geben, die alle Vorgaben erfüllen, und eben Projekte, die die Vorgaben nicht erfüllen können. Für 2020 werden wir in Niederösterreich das Zwischenziel von 4000 GWh sehr präzise erreichen.«

Bild Tho ma s We b e r

Reicht repowering? Eher nein. Der Branchenverband IG Windkraft weist hingegen darauf hin, dass mehr Flächen für die Errichtung von Windparks zur Verfügung gestellt werden müssten als bisher geplant, um die Ziele des NÖ Energiefahrplans zu erreichen. »Allein die Erneuerung der bestehenden Windparks durch Repowering reicht für die notwendige Entwicklung nicht aus. Hier braucht es auch neue Standorte«, erklärt Geschäftsführer Stefan Moidl. In einem Beitrag im Branchenblatt »Die Ökoenergie« wird der Verbandschef noch deutlicher: »Seit Jahren geht der Windkraftausbau in Österreich zurück. Konnten 2014 netto noch 214 Windräder errichtet werden, waren es 2018 nur mehr 53. Während die ganze Welt über die Klimakrise redet und die Jugendlichen auf der Straße streiken, reduzieren wir seit Jahren in Österreich den so dringend nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Mit schönen Reden, ambitionierten Ankündigungen, glänzenden Strategiepapieren und dergleichen mehr könnten Bibliotheken gefüllt werden. Der Weg vom Reden zum Handeln scheint in Österreich besonders lang zu sein.« Mehr Fläche für Windräder wird es laut Pernkopf nicht geben. Er setzt eher auf Repowering bestehender Anlagen. »Viele Anlagen wurden in den Jahren 2003 bis 2007 errichtet. Diese Anlagen erreichen das Ende der geplanten Lebensdauer ab 2025 – sie können aber mit einem vorausschauenden Service deutlich länger betrieben werden«, weiß Pernkopf.

»Zu betonen ist, dass grundsätzlich an der Zonierung, die die Windkraft auf ein Prozent der Landesfläche beschränkt, festgehalten wird.« Aus Sicht der Branche ist das wenig. Aus Sicht der WindkraftkritikerInnen aus dem Waldviertel ist das bereits eine ganze Menge. »Als dieses eine Prozent der Landesfläche gilt ja nur die Standfläche«, erklärt Michael Moser. »Ein 240 Meter hohes Windrad zerstört aber die Fläche auf mehreren Quadratkilometern.« Er rechnet vor, dass es schnell um eine optische Beeinträchtigung von 30 bis 40 Prozent der Landschaft in Niederösterreich gehen könnte, wenn die aktuell geplanten Windparks realisiert würden. »Es ist eine Verharmlosung, wenn man bloß die Fläche zählt, auf der der Betonsockel steht, so wie es Herr Pernkopf tut.« Mehr Fläche wird es für die Windkraft in absehbarer Zukunft nicht geben. Das Nimby-Problem dürfte dazu seinen Beitrag leisten. Es scheint immer dann gebannt, wenn erst einmal Windkraftanlagen errichtet sind. Denn die Deloitte-Studie (»Erneuerbare Energien in Österreich«, 2019) zur Stimmung gegenüber den erneuerbaren Energieträgern hat auch Folgendes ergeben: »85 Prozent derjenigen, die in der Nähe einer Windkraftanlage wohnen, würden dem Bau einer weiteren Windturbine eher zustimmen.«

Frischer Wind und fossile Pumpstation: Landschaftsbild aus dem Weinviertler Hohenruppersdorf.


B io r a m a N Ö

W i l d sch we in e

22 Text Thomas Weber

Mittlerweile ein seltenes Bild: ein Wildschwein im Schnee. Die Sauen profitieren von warmen Wintern und dem reichen Nahrungsangebot in der Kulturlandschaft. In den Donauauen werden Sauen gefangen und besendert, um ihr Verhalten studieren zu können. Im Bild: eine nicht-besenderte Sau aus dem Band »Unser Wild« von Christoph Burgstaller.

Bild  C hristo ph Burgsta ller.

Sauen mit Sendern


23

In den Donauauen wird erforscht, wie die Zukunft der Jagd aussehen könnte – zum Beispiel mit Nachtsichtgeräten oder Fallen. Ein Besuch bei den Saufängern von Eckartsau.

Z

wei Dachse bereiten Andreas Daim derzeit schlaflose Nächte. Zehn Mal pro Nacht weckt ihn das Telefon – »Das ist eine Vorübung für unseren Nachwuchs, sagt meine Freundin« – und sendet dem Wildbiologen eine Schwarz-Weiß-Aufnahme live aus dem Nationalpark. Dort hat er auf den Flächen der Bundesforste, mitten im Auwald, eine selbst konstruierte Falle aufgestellt. Ob deren im Boden unter Blätterwerk versteckte Stahlnetze blitzschnell hochgezogen werden, entscheidet er aus dem Bett anhand der von der Wildkamera geschickten Aufnahme. Meist ist es eben einer der beiden Dachse, der falschen Alarm auslöst. Oder ein umherstreifender Fuchs, ein hungriger Hase, Hirsch oder ein Eichelhäher, der sich an der Futterstelle labt. Abgesehen hat es Daim ausschließlich auf Wildschweine. Ist eines davon oder gleich eine ganze Rotte von Sauen zu sehen, wird er aktiv. Lässt die Netze, die sonst in Zoos Menschen von Tigern trennen, hochschnellen, zieht sich an, fährt hinaus in die Au. Dort trifft er Paul Korn, seinen ebenfalls alarmierten Verbündeten, der für die Bundesforste in Eckartsau fürs Wildtiermanagement zuständig ist. »Wir sind lautlos, eingespielt und reden nix«, beschreibt Korn, was dann passiert. Behutsam werden die Tiere eines nach dem anderen in einen engen Triebkanal gelotst, rasch mit zur Beruhigung zugedeckten Augen begutachtet, auf Alter, Geschlecht und Gewicht geschätzt und schließlich vor dem Freilassen mit einem langlebigen kleinen Ohrmarkensender ausgestattet. Das Ganze ist für die beiden nicht ganz ungefährlich. Im Wald draußen ist es dunkel, ausgewachsene Tiere haben messerscharfe Hauer und jedes reagiert anders in solch einer Stresssituation. »Manche Sauen laufen weg, manche vollziehen im Netz einen Scheinangriff.« Verletzungen gab es bei insgesamt 22 besenderten Schweinen bislang keine, weder bei Mensch

noch beim Tier. 200 Wildschweine sollen bis 2021 insgesamt besendert worden sein (»also relativ viele«, so Daim), sie sollen Daten liefern und vielfältige Rückschlüsse auf das Verhalten der Tiere möglich machen. Wie viel Schwarzwild insgesamt hier lebt – das Gebiet erstreckt sich mit seinen 10.000 Hektar über eine Länge von 30 Kilometern –, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. »Mit 200 Sauen mit Sendern werden wir vorsichtig gesagt insgesamt wohl ein Zehntel der Tiere erfasst haben«, schätzt Korn.

Wie Keiler ziehen Damit die gesammelten Daten auch wirklich aussagekräftig sind, haben die beiden rund um den Nationalpark insgesamt 50 Antennen montiert – auf Windrädern in Petronell ebenso wie auf Lagerhaus-Türmen, auf Schloss Eckartsau, am Dach von Schloss Orth sowie fünf solarbetriebene Baumantennen –, die im Halbminutentakt den Aufenthaltsort der Ohrmarken aufzeichnen. »Drei Antennen wären eigentlich ausreichend, aber je mehr Antennen, desto präziser lässt sich der Standort wirklich bestimmen«, sagt Andreas Daim, der auf die ursprünglich für die Logistikbranche entwickelte Technik aufmerksam wurde, nachdem sie in Afrika geholfen hatte, die Wilderei auf Nashörner zu bekämpfen. In Niederösterreich soll ihr Einsatz vielfältige Einsichten und Einblicke in das Leben des intelligenten Allesfressers Sus scrofa bringen. »Wenn die Frischlinge groß und alt genug sind, dann besendern wir auch ganze Rotten und erhoffen uns dadurch Erkenntnisse darüber, wann die Jungtiere ihre Mutter verlassen oder wie Keiler ziehen«, erzählt Paul Korn. Auch wohin die Tiere beim alljährlichen Hochwasser weichen, wie weit sich ihre Streifgebiete erstrecken und wie weit hinaus sie aus dem Nationalpark wandern, wollen die Forscher ergründen.

Die Wildschweinfamilie In der Jägersprache wird das Wildschwein Schwarzwild genannt. Das männliche Tier ist der Keiler, das weibliche die Bache. Von ihrer Geburt im März oder April bis zum Alter von etwa einem Jahr werden Jungtiere als Frischlinge bezeichnet, danach sind sie bis zum Alter von zwei Jahren Überläufer. Eine Gruppe von Wildschweinen ist eine Rotte.


Die schnelle Hilfe am Telefon. Paul Korn (Österreichische Bundesforste), links, und Andreas Daim (boku).

www.144.at/1450

Bilder  TH o ma s We ber

Entgeltliche Einschaltung

Was bringt ein Nachtsichtgerät? Von besonderem Interesse ist aber, wie sich das Schwarzwild in den unterschiedlichen Zonen des Nationalparks verhält. Denn in Österreichs Nationalparks wird zwar nicht gejagt. Schwarzwild und Rotwild wird aber mangels natürlicher Feinde sehr wohl reguliert (von August bis Jänner). Beobachtet werden soll nun, ob und wie besenderte Sauen durch unterschiedliche Regulierungsmethoden ihr Verhalten anpassen. Dazu gibt es neben einem Ruhegebiet, in welchem keinerlei Regulierung stattfindet, ein Gebiet, in dem zur Regulierung der seit 1. Jänner 2019 gestattete Schalldämpfer verwendet wird. Und eines, in welchem die Regulierung mittels Nachtsichtgerät passieren soll. Für den Einsatz von Letzterem ist noch eine Gesetzesänderung erforderlich. Denn obgleich Nachtsichtgeräte illegal vereinzelt im Einsatz sind, bleiben sie verboten – und insgesamt umstritten. »Die Befürchtung des Gesetzgebers ist, dass die 24/7-Bejagung, die durch eine generelle Freigabe von Nachtsichtgerät möglich wäre, den Tieren Stress bereitet, weil sie gar nicht zur Ruhe kommen«, so Korn. »Um wissenschaftlich arbeiten zu können und eine Faktenbasis für eine künftige Entscheidung zu schaffen, brauchen wir aber eine Jagdrechtsnovelle, die Ausnahmen für solche Projekte zulässt.« Auch das Institut für Meteorologie der Universität für Bodenkultur (boku) ist in das Projekt eingebunden. Dort hat man drei Sensoren gebaut, welche die Nachthelligkeit erfassen. »Unsere These ist, dass die Tiere bei hellen Nächten scheuer werden, weil sie gelernt haben, dass Gefahr besteht«, erklärt Andreas


Bio r a m a NÖ

W i l d sc h we in e

25

»Wir sind lautlos, eingespielt und reden nix.« – Paul Korn und Andreas Daim über das Besendern Daim. »Das liefert wichtige Information für einen künftig möglichen Einsatz von Nachtsichtgeräten, weil der Landwirtschaft dann in Neumondnächten eher Schäden auf Äckern und Feldern entstehen.« Vielerorts wünschen sich Bäuerinnen und Bauern einen Einsatz von Nachtsichtgeräten, denn das Wildschwein gehört weltweit zu den großen Gewinnern des Klimawandels, es vermehrt sich explosionsartig und ist als hochintelligentes Tier schwer zu jagen. Paul Korn erwartet sich vom kombinierten Einsatz von Schalldämpfer und Nachtsichtgerät »eine eher tiergerechte Jagd, weil das Wild durch den Schalldämpfer Ruhe hat und ich es als Jäger mit dem Nachtsichtgerät sicher und sauber ansprechen kann«. Das könnte – ein anderer Forschungsschwerpunkt – zur Folge haben, dass Wild wieder tagaktiv wird. »Das gemeinsame Interesse ist also: Der Nationalpark möchte erlebbares Wild, das seine BesucherInnen auch zu Gesicht bekommen«, so der Bundesforste-Forscher.

Effizienz durch Fallenfang Das von der Forschungsförderungsgesell-

schaft (ffg) finanzierte Projekt – es hört auf den sperrigen Titel »Einflüsse der Jagd mit Nachtsichtzielgeräten und Schalldämp fern auf das RaumZeit-Verhalten bei S c hwa r z w i l d « – wird zwar von vielen Kooperationspartnern getragen. Neben Daims federführendem boku-Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft, den Bundesforsten und dem Nationalpark sind mit der ma49 Forstverwaltung Lobau auch die Stadt Wien und der Niederösterreichische Landesjagdverband involviert. Letzterer könnte mit einem nicht unwesentlichen Detail künftig aber wenig Freude haben: dem Fallenfang von Wildschweinen. Die von Daim und Korn entwickelte Netzfalle ist günstig, dürfte demnächst als Patent eingereicht werden – und hat sich bereits als überaus effizient bewährt. Fallenfang gilt der Jägerschaft nicht als Jagd. Das bestätigt auch Paul Korn: »Der Fallenfang ist schwer umstritten innerhalb der Jägerschaft. Aber so viel ist klar: Bei den zunehmenden Problemen mit Schwarzwild wird man das auch offen diskutieren müssen.« Durchaus denkbar also, dass der eine oder die andere BerufsjägerIn sich in naher Zukunft auch als FallenstellerIn betätigt. Zumindest diese Diskussion lässt Andreas Daim aber ruhig schlafen.

Langlebig, leicht und günstig: Die Ohrmarkensender begleiten die Wildschweine ihr ganzes restliches Leben.

»Unser Wild« von Christoph Burgstaller ist im Servus Verlag erschienen und zeigt auf 260 großformatigen Seiten Gams, Murmeltier, Adler, Schwarzwild, Rehe, Rotwild u. a. in mehr als 500 Bildern. Auch eine Anleitung, wie sich das Wild auch von nicht jagenden ZeitgenossInnen beobachten lässt, liefert der Band. Leider nicht dokumentiert: Wolf, Bär, Luchs, Goldschakal und Waschbär.


B io r a m a N Ö

Fash i o n

26 Text Thomas Stollenwerk

Textile Schätze in Niederösterreichs Museen Ein Forschungsprojekt geht der Frage nach, was die textilen Bestände in Niederösterreichs zahlreichen Museen über die Kleidungsgeschichte der Region aussagen. Ulrike Vitovec vom Museumsmanagement NÖ und Ulrich Schwarz-Gräber vom Institut für die Geschichte des ländlichen Raumes in St. Pölten erklären, worum es den beteiligten ForscherInnen dabei geht.


B ild  MM N/ Katri n Vo gg

27


B io r a m a N Ö

Fash i o n

28

Ulrike Vitovec Ulrike Vitovec ist inhaltliche und wissenschaftliche Leiterin der Museums­ förderung des Landes Niederösterreich.

Ulrich Schwarz-Gräber Der Historiker Ulrich Schwarz-Gräber leitet das seit Juli 2019 laufende Projekt »Bewegte Mode im nördlichen Niederösterreich«.

BIORAMA: Kurz zusammengefasst: Worum geht es Ihnen im Projekt und was wollen Sie in Erfahrung bringen? Ulrike Vitovec: »Wir haben in Niederösterreich eine reichhaltige Museumslandschaft mit sehr vielen sehr traditionsreichen alten Sammlungen. Die Sammlungen unserer Stadtmuseen zählen zum Teil zu den ältesten von Bürgern angelegten kulturgeschichtlichen Sammlungen Europas. In der wissenschaftlichen Beforschung dieser Sammlungen gibt es allerdings große Lücken. Deshalb dieses Forschungsprojekt, das sich speziell der textilen Bekleidung in den Sammlungen widmet, einem Thema, das bisher wenig beforscht ist. Wir leisten sozusagen Pionierarbeit mit diesem Projekt.« Ulrich Schwarz-Gräber: »In dem Projekt geht es darum, die Sammlungen textiler Bekleidung in niederösterreichischen Museen nördlich der Donau systematisch danach zu untersuchen, wann, wie und woher die gesammelten Kleidungsstücke in diese Sammlungen gekommen sind. Das bedeutet, danach zu fragen, wie die Sammlungen zustande gekommen sind – wie ausgewählt wurde –, aber auch, welche Wege die Kleidungsstücke zurückgelegt haben, bevor sie in die Sammlung kamen. Wir vermuten, dass ein genaues empirisches Hinschauen eine äußerst ›bewegte Geschichte‹ mit intensiven Austauschbeziehungen zwischen näheren und ferneren Regionen zeigt.«

Noch steht das Projekt am Anfang. Wie werden Sie methodisch vorgehen? Ulrike Vitovec: »Wir haben im vergangenen Jahr in eine neue Online-Inventardatenbank die textilen Bekleidungsbestände von ausgewählten Stadt- und Regionalmuseen des Waldund Weinviertels aufgenommen. Diese Daten bilden die Forschungsgrundlage. Im Zuge des Projekts werden diese vorhandenen Sammlungsdaten ergänzt und ausgewertet werden.« Ulrich Schwarz-Gräber: »Es ist ein durch und durch empirisches Projekt. Die Daten aus der Inventardatenbank wollen wir systematisch nach Ähnlichkeit und Unähnlichkeit der er-

fassten Merkmale der Objekte vergleichen – eine Art kulturwissenschaftliches Pattern Recognition also. Dadurch wollen wir uns einen Überblick verschaffen, quasi eine Landkarte der vielfältigen Sammlungslandschaft erstellen. Ein zweiter Schritt wird sein, ausgewählte, besonders signifikante Beispiele der historischen Dynamik des Gefüges ländlicher Kleidungswelten genauer zu beschreiben. Dies soll durch vertiefende Mikrostudien geschehen, in denen wir die AkteurInnen der Mobilität von Textilien sowie die Pfade und Kontaktzonen des Austauschs zu rekonstruieren versuchen. Eine Art analytischer Reisebericht einzelner Kleidungsstücke von ihrer Herstellung über ihren historischen Gebrauch bis zu ihrer Lagerung im Museum.« Sicher haben Sie sich in der Vorbereitung mit Mode im nördlichen NÖ beschäftigt. Haben Sie Thesen, die Sie überprüfen wollen, und falls ja: Welche Thesen sind das? Ulrike Vitovec: »Im wissenschaftlichen Fach Volkskunde finden wir in einschlägigen Publikationen unter dem Titel Tracht nur Beschreibungen einer sehr engen Auswahl an Kleidungsteilen, aber nie eine grundsätzliche Darstellung der Bekleidung der Bevölkerung. Wir sehen anhand der tatsächlich in den Sammlungen aufbewahrten Bestände, dass die bisherigen Beschreibungen auf die real vorhandenen Kleidungsstücke nicht zutreffen – und das macht uns natürlich neugierig darauf, welche Schlüsse wir aus der Beforschung aller noch vorhandenen Bekleidungsteile ziehen werden.« Ulrich Schwarz-Gräber: »Grundsätzlich ist das Projekt explorativ angelegt, das heißt, wir gehen nicht von einer These aus, die wir bestätigen oder widerlegen wollen. Vielmehr versuchen wir, ausgehend von systematischen empirischen Erhebungen Regelmäßigkeiten, Typen, Trends etc. zu entdecken. Die historische Migrationsforschung zeigt uns, dass das Leben der Menschen am Land und in den Kleinstädten durch ein hohes Maß an


Bilder  MM N/K atri n V o gg, E ric h Ma rs chik, Wol f g nag ku ne rth

29


B io r a m a N Ö

Fash i o n

30

» Museumssammlungen enthalten ›tatsächliche Beweisstücke‹, die ganz real bei Menschen in Verwendung waren und die die Geschichte ›übriggelassen‹ hat.« – Ulrike Vitovec Mobilität geprägt war: Weggehen, Durchwandern, saisonal oder für einen Lebensabschnitt woanders arbeiten, Ankommen oder Wieder-Heimkommen, das war Alltag. Gleichzeitig reisten nicht nur Menschen mit Kleidern am Körper; auch Waren mit fremden Stoffen, Schnitten und Mustern zirkulierten durch Handel oder wandernde Handwerker. Eine Annahme des Projekts ist, dass sich diese Dynamik in der Bekleidungskultur wiederfindet.« Gibt es (offensichtliche) regionale Besonderheiten in der Verbreitung von Textilien im nördlichen Niederösterreich? Ulrich Schwarz-Gräber: »Diese Frage hoffen wir, in drei Jahren beantworten zu können. Eine Besonderheit der untersuchten Region ist aber sicherlich deren Lage als näheres und entfernteres Umland von Wien, einer im 19. Jahrhundert dynamisch wachsenden Metropole.« Sind die Textilbestände in den NÖ-Regionalmuseen bisher noch weitgehend unerforscht oder gibt es Arbeiten, auf die Sie zurückgreifen können? Ulrike Vitovec: »Wir leisten mit diesem Forschungsvorhaben Pionierarbeit. Die Bestände sind weitgehend unerforscht. Zudem wurde in den vergangenen Jahren besonders im wissenschaftlichen Fach Volkskunde (neuere Bezeichnungen sind etwa Europäische Ethnologie, Alltagskulturforschung, Kulturanthropologie) deutlich, dass die ForscherInnen eines Großteils des vergangenen Jahrhunderts Forschungen zur Alltagskultur der Bevölkerung sehr selektiv betrieben und damit Forschungsbereiche nicht in der gesamten Dimension do-

kumentiert und dargestellt haben. Besonders deutlich zeigt sich dies beim Thema Tracht versus Bekleidung.« Ulrich Schwarz-Gräber: »Es gibt zwar ältere volkskundliche Arbeiten zu Textilsammlungen Niederösterreichs; diese sind jedoch zumeist mehr als fünfzig Jahre alt. Zudem gibt es vereinzelte Studien mit jeweils sehr speziellen Fragestellungen. Im Vergleich zur Steiermark oder zu Tirol, aber etwa auch zum Salzkammergut, wo es eine lange Forschungstradition zur Bekleidungskultur und auch rezente Forschungen gibt, ist Niederösterreich – und hier insbesondere der Teil nördlich der Donau – relativ unerforscht. Das Projekt betreibt also wirklich Grundlagenarbeit.« In der Projektbeschreibung heißt es, temporäre Trends und Moden würden oft als Störung einer imaginierten bäuerlich-ländlichen Kultur interpretiert. Bedeutet das auch, dass Mode als nicht-ländlich, sondern städtisch wahrgenommen wird? Ulrich Schwarz-Gräber: »Die Periode, die wir uns in dem Projekt besonders genau ansehen – das späte 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts –, ist auch dadurch geprägt, dass in unterschiedlichen Kontexten, etwa in der sich herausbildenden Disziplin der Volkskunde, Dichotomien von Mode und Tracht, bäuerlich und bürgerlich, Stadt und Land den Diskurs strukturierten. Hier lassen sich bei genauem und kritischem Hinsehen zahlreiche Akte der Erfindung von Tradition auffinden. Diese dichotomische Denkweise, die dem einen Veränderlichkeit und dem anderen Ursprünglichkeit und Stabilität zuschrieb und für das, was als Volkskultur bezeichnet wurde, aber auch allgemein für die Kultur der Moderne konstitutiv war, wurde in der neueren volkskundlichen Forschung intensiv bearbeitet. Hier können wir unsere empirische Studie in ein lebendiges und innovatives Forschungsfeld einbetten. In unserem Projekt versuchen wir diese stark vereinfachenden, aber mächtigen Gegensatzpaare Mode und Tracht, Stadt und Land vor-


Bauen im einklang mit der natur Nähere Infos und Fotos auf:

www.poell.cc

F HOlzBAU INGENIEURHOlzBAU DACHDECkEREI VIER SpENGlEREI GENERATIONEN plANUNG SCHAFFEN VERTRAUEN STATIk BAUpHySIk 4-facher Meisterbetrieb

irma Pöll: Wo sehen Sie die Vorteile im Holzbau und warum haben Sie sich für die Holzbauweise entschieden? Hr. Bossniak: Es ging vorwiegend um Gewicht und Statik, wobei sich die Holzriegelbauweise als optimale Form und als unschlagbar bewiesen hat. Der große Vorteil lag für mich in der Geschwindigkeit der Bauphase. Es ging dann ruck zuck, am ersten Tag kam der große Kran und am Abend sind die Wände gestanden, am zweiten Tag waren wir dicht. Innerhalb von drei Tagen war die Geschichte erledigt, der Rohbau fertig.

Firma Pöll: Inwiefern betrifft Ihrer Meinung nach die Holzbauweise das Thema Ökologie und CO2 Reduzierung? Hr. Bossniak: Der Vorteil liegt in der Nachwachsbarkeit. Aber als Investor letztendlich waren für mich die Machbarkeit und Kostengründe ausschlaggebend. Der ökologische Faktor ist ein schöner Zusatz. Firma Pöll: Welchen Mehrwert haben Sie als Kunde durch die Zusammenarbeit mit einem Holzbaumeister wahrgenommen? Hr. Bossniak: Bin durch die Idee der Leichtbauweise auf die Fa. Pöll gestoßen. Ausschlaggebend

Interview mit Bauherrn Ing. Thomas Bossniak über sein Mehrparteienhaus: Aufstockung eines Altbestandes in Holzrahmenbauweise Juni 2019 für mich war, dass ich einen großen Teil der Arbeiten, nämlich Zimmerer,- Dachdecker, -Spenglerund Schwarzdeckerarbeiten in einer Hand hatte. Somit ist für mich die ganze Koordination der Schnittpunkte weggefallen. Ich wollte, dass ich mich um nichts kümmern muss und weiß, dass es dann auch funktioniert. Firma Pöll: Sind Sie rückblickend betrachtet der Meinung, den richtigen Partner gewählt zu haben und würden Sie uns weiter empfehlen? Hr. Bossniak: Ich war sehr zufrieden mit der hervorragenden Bauausführung und empfehle die Fa. Pöll bei passender Gelegenheit gerne weiter. Ihre Firma hat immer über den Tellerrand hinaus geblickt und war sehr bedacht darauf, dass nicht irgendwelche Fehler passieren. Mein Ansprechpartner, Hr. DI Wolfgang Pöll, war diesbezüglich sehr penibel und lösungsorientiert. Kann nur sagen, machen Sie weiter so. Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch. Kurzinfo Bauweise: » Berechnung der Statik » Holzriegelbau sowie Brandwand » Dämmstoff: Holzweichfaser/Zellulose » Dach: hinterlüftetes Blechdach & begehbares/bekiestes Flachdach

Ludwig Pöll GmbH | Schubertstraße 18 | A - 2263 Dürnkrut | +43 02538 / 80257, Fax DW 4 | office@poell.cc | www.poell.cc


B io r a m a N Ö

Fash i o n

32

Der Historiker Frank Trentmann schreibt in seinem Buch »Empire of Things« (»Herrschaft der Dinge«), man stelle sich die Entwicklung der europäischen Konsumkultur in aller Regel weniger bunt vor, als sie tatsächlich war. Er beschreibt zum Beispiel, dass Arbeiter im 19. Jahrhundert bereits verschiede-

ne Kleidungsstücke für verschiedene Anlässe besaßen und durchaus »modisch« waren. Erwarten Sie das auch im Hinblick auf das nördliche Niederösterreich? Ulrich Schwarz-Gräber: »Ich bin skeptisch, ob wir mit unserem Zugang über die Analyse der gesammelten ›Museumsdinge‹ tatsächlich Aussagen über den Besitzstand einzelner Menschen treffen können. Dazu müssten wir auch andere Quellen, wie etwa Verlassenschaftsin-

ventare, untersuchen. Wo wir hingegen an die Ergebnisse von Frank Trentmann anschließen wollen, ist bei der Frage danach, inwieweit im ländlichen Raum und den Kleinstädten Niederösterreichs die Vielfalt der vor Ort vorhandenen und bekannten Kleidungsstücke eine weit größere war als vielfach angenommen.« Ihr Projekt ist Teil des Gesamtprojekts »Mobile Dinge«. Worum geht es dabei? Ulrich Schwarz-Gräber: »Das vom Land Niederösterreich geförderte Projekt ›Mobile Dinge‹ erforscht an ausgewählten Schauplätzen – von der Jungsteinzeit bis zu aktuellen Fluchtbewegungen rund um das Jahr 2015 – die Mobilität von Dingen und wie Mobilität von Menschen und Ideen an Dingen sichtbar wird. Ein zentraler Aspekt dieses Projekts ist die enge Kooperation zwischen geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungsinstituten und dem Museumsund Sammlungswesen in Niederösterreich. Und dies verspricht eine äußerst fruchtbare Partnerschaft zu werden.« Ulrike Vitovec: »Wir freuen uns sehr, dass wir als Museumsmanagement Niederösterreich Ko o p e ra t i o n s p a r t n e r in diesem Projekt sind. Die Artefakte, oder einfacher ausgedrückt: die ›Dinge‹ in den Sammlungen unserer Stadtund Regionalmuseen sind wichtige Quellen für kulturgeschichtliche Forschungen. Museumssammlungen enthalten ›tatsächliche Beweisstücke‹, die ganz real bei Menschen in Verwendung waren und die die Geschichte ›übriggelassen‹ hat.« Nähere Informationen zum Forschungsprojekt finden sich auf mobiledinge.at

Bild  MM N/ Katri n Vog g

erst möglichst hintanzustellen, sie also nicht als analytische Kategorien zu verwenden. Und wir sind schon neugierig, wie uns das gelingt und welches Bild sich nach unseren Vergleichen der zahlreichen gesammelten Kleidungsstücke zeigt.«


Bio r a m a NÖ

Mar c h f e l d

33

Text Thomas Weber

Das Unding Am Gerücht ist nichts dran: Gänserndorf verfügt weder über eine Schneekanone noch über eine Pistenraupe. Allerdings verstaubt in der Flachlandgemeinde eine »Schneelanze«.

Bild   sta dt gemei nde gäns erndorf

W

ie kommt man auf die Idee, im tiefsten Flachland eine Beschneiungsanlage anzuschaffen? Warum steht seit 2013 eine Schneelanze im Lager der Stadtgemeinde? Ganz genau lässt sich das nicht mehr nachvollziehen. »Das Ding wurde unter meinem Vorgänger angeschafft«, sagt René Lobner. Er ist seit 2015 Bürgermeister in Gänserndorf (Seehöhe 167 Meter), der Bezirks- und auch darüber hinaus heimlichen Hauptstadt des Marchfelds. Die windige Ebene ist mittlerweile bekannt für ihre nachts weithin rot blinkenden Rotorenkraftwerke – und damit für das Fehlen jeglicher nennenswerter Erhebungen. Selbst Hügel sucht man hier vergebens. Wobei: fast. Einen überschaubaren Rodelhügel gibt es im Gemeindegebiet. Und genau der hätte ursprünglich mit der Schneelanze beschneit werden sollen. Was zwar gut gemeint war, sich aber als eher unpraktikabel erwies. »Das Ganze war nicht sonderlich gut durchdacht und geplant. Dort ist es sehr windig und es verbläst den feinen Wassernebel – also den Schnee – zu sehr«, so Lobner. Weder eine Wasserversorgung, eine Zuleitung, noch ein fixer Aufstellplatz wurden seinerzeit unter seinem

Vorgänger geschaffen. »Insofern ist das Ding unter diesen Rahmenbedingungen nicht wirklich gut einzusetzen.« Zum Einsatz könne die Lanze überhaupt erst nach mehreren Tagen unter minus 3 Grad kommen. In der Fantasie der Bevölkerung ist die Schneelanze ob ihrer seltenen Sichtung bereits zur Schneekanone oder gar zur Pistenraupe ausgewachsen. Die SchildbürgerInnengeschichte von der Flachlandgemeinde mit der Schneekanone in der Gemeindegarage, die auch in den umliegenden Dörfern und Siedlungen die Runde macht, ist zwar maßlos übertrieben und die Fehlinvestition keine große. Ein Fehlkauf war die Schneelanze aber offensichtlich. Denn im seltenen Fall des Falles, dass die Temperaturen tief genug für ihren Einsatz sind, muss jemand vom städtischen Bauhof für die Betreuung abgestellt werden. Alles in allem: »eine absolute Energie und Ressourcenverschwendung« (Lobner). Zumal das Marchfeld mittlerweile mitunter selbst im Winter unter Wasserknappheit leidet. Bereits vor einiger Zeit hat der Bürgermeister seinem Stadtrat deshalb den Verkauf der Schneelanze vorgeschlagen. Gut möglich also, dass das Ding bald auf willhaben.at auftaucht.

Gänserndorf, Hauptstadt des Marchfelds Die stark wachsende Bezirkshauptstadt mit ihren 11.577 Einwohner­ Innen (Stand: Jänner 2019) ist die inoffizielle Hauptstadt der weithin ebenen Region Marchfeld. Auf 167 Metern Seehöhe gelegen, wohnen sie im Schnitt 7 Meter höher als die durchschnittlichen MarchfelderInnen. 2022 findet die Niederösterreichische Landesausstellung im Marchfeld statt. Ihr Arbeitstitel: »Wunderwelt Natur«. Hauptstandort wird allerdings nicht Gänserndorf, sondern das weiter südöstlich an der Grenze zur Slowakei gelegene Marchegg.


B io r a m a N Ö

H e im i sch e Fl o r a

34 Text Thomas Stollenwerk

Bild Michael Mickl

Industrieviertel unter Palmen Der Klimawandel sorgt in der Flora für ein Kommen und Gehen. Über drei Neulinge, die aktuell in Niederösterreich heimisch werden.

I

n Bad Deutsch-Altenburg gedeihen Palmen. Und das nicht im Gewächshaus, sondern einfach so in der Natur. Und sie überwintern sogar. Es geht um die Chinesische Hanfpalme, um genau zu sein. Die war dem Forscher Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien in der Hauptstadt aufgefallen. Also begab er sich auf eine Recherche und fragte unter BotanikerInnen, wo ihren geschulten Augen bereits ähnliche Pflanzen aufgefallen sind. Mehrere Standorte konnten identifiziert werden. In Wien, im oberösterreichischen Luftenberg und eben im Industrieviertel. Eindeutige Zeichen für die beginnende Ausbreitung der Palmen in Österreich sieht der Forscher. »Bislang handelt es sich nur um kleine Vorkommen, besonders in Städten wie in Wien, und es wurden ausschließlich junge verwilderte Palmen aufgefunden. Aber in einigen Jahrzehnten könnten Palmen in Österreich schon häufiger verwildert angetroffen werden«, erklärt der Wissenschafter, dessen Studie zur Ausbreitung der Chinesischen Hanfpalme bereits im Jänner im Fachblatt BioInvasions Records erschienen ist. Übrigens hat Franz Essl nicht zum ersten Mal die verwilderte Ausbreitung eines pflanzlichen Neulings in Niederösterreich nachgewiesen. Schon vor über einem Jahrzehnt stieß Essl auf Opuntia phaeacantha Engelmann. Deren Heimatgebiet liegt in den südwestlichen usa und im angrenzenden Nordmexiko. In Mit-

teleuropa ist die dickblättrige, stachelige Kakteenart in Ziergärten beliebt. Damals beschrieb Essl: »Von dieser Art liegen aus Europa bislang erst sehr wenige Angaben zu Verwilderungen vor, für Mitteleuropa war diese Sippe bislang nicht bekannt.« Nachgewiesen wurde die Kaktee seit 2007 an mehreren sonnenexponierten Fundorten, z. B. bei Dürnstein in der Wachau.

Douglasien- statt Fichtenforst Während der Klimawandel dafür sorgt, dass sich eingewanderte Pflanzen im wärmer werdenden Niederösterreich ausbreiten können, bekommt er einigen angestammten Gewächsen ganz und gar nicht gut. Im Waldmanagement wird inzwischen darauf reagiert. Zum Beispiel durch das gezielte Anpflanzen von nordamerikanischen Douglasien, die aufgrund der klimatischen Gegebenheiten in ihrer ursprünglichen Heimat besser mit langen, sommerlichen Trockenperioden umgehen können, als es etwa die heimischen Fichten können. Manche sehen in dem amerikanischen Nadelbaum schon eine Alternative zur Fichte. »Die Douglasie gilt als alter Newcomer unter den Baumarten. Ur-


35

sprünglich vor allem in Nordamerika verbreitet, stellt sie an geeigneten Standorten eine schnellwüchsige forstliche Alternative dar, die gewaltige Dimensionen erreichen kann«, heißt es vonseiten der Österreichischen Bundesforste, die vor der gewaltigen Aufgabe stehen, die heimischen Wälder behutsam an den Klimawandel anzupassen und den »Wald der Zukunft« zu gestalten. KritikerInnen befürchten aller-

dings, dass die Douglasie die heimischen Böden wegen ihres hohen Nähstoffbedarfs schädigen und eine Waldwirtschaft mit Düngung erforderlich machen könnte. »In manchen Regionen Österreichs müssen wir uns vom heutigen Waldbild verabschieden. Das Waldbild wird sich verändern, doch es wird bunter und vielfältiger werden!«, erklärt Rudolf Freidhager, Vorstand der Bundesforste, optimistisch. Dafür – so viel scheint sicher – sorgt die Natur am Ende von selbst.


B io r a m a N Ö

36

SC h ö ner Wo h n en


37

Text Thomas Weber

Bilder Heidrun Henke

Refugium in den Baumkronen Ursprünglich als Wohnhaus gezimmert nutzt Heinz Ziegelwanger – eigentlich Kunsttischler, heute Biobauer, Imker und Schafzüchter – seine Vogelwarte als Abenteuerspielplatz, Baumschulverkaufsraum und künftig als Hendlstall.

W

ie soll man sich das Paradies auch anders vorstellen denn als Abenteuerspielplatz, Biobauernhof oder Obstgarten. Oder, besser noch: als alles in einem. Eben. So gesehen lässt sich das Paradies – Sooß 3 – mit dem Navi ansteuern, es liegt zwi-

schen Melk und Sankt Pölten an einem Hügel am Rande des Dunkelsteinerwalds. Der selbst ist zwar zu weiten Teilen Fichtenforst und Monokultur. Doch hier in Sooß, in Gemeindegrenzen gedacht befinden wir uns in Loosdorf, blüht das Leben in seiner vielfältigsten Pracht.


6 +

Au s g A b e n b ior A m A b u ch p r äm um € 29,— ie

»Ein alarmierender Appell für eine rasche Umkehr hin zu einer regenerativen Landwirtschaft – Lösungsansätze und MutmachProjekte liefert Grassberger mit.« Lisa mayr, Der Standard

ShortliSt fürS »WiSS

enSchaftSbuch deS

JahreS«

erstmals betrachtet ein buch das große ganze: Der mediziner und Biologe martin Grassberger zeigt auf wie die Agrarindustrie, unsere Ernährungsgewohnheiten und die Zerstörung der Natur mit der Epidemie chronischer Krankheiten zusammenhängen. »Das leise Sterben – Warum wir eine landwirtschaftliche Revolution brauchen, um eine gesunde Zukunft zu haben« martin Grassberger, Residenz Verlag, erscheint in der Reihe »Leben auf Sicht«.

biorama.eu/abo

issuu.com/biorama


B io r a m a NÖ

SC h ö ne r Wo h n en

39

Vor zwanzig Jahren hat Heinz Ziegelwanger, damals aufstrebender Kunsttischler, von seinem Onkel Karl eine Wiese gepachtet und darauf alte Obstsorten auf Hochstamm gepflanzt. »Da der kleine Bauernhof verfallen war, errich-

teten wir die Vogelwarte«, erinnert er sich. Neben einem optimalen Ort zur laienhaften Vogelbeobachtung bot ihm das neun Meter hoch ragende Bauwerk mit seinen fünf Ebenen Unterkunft und Lagerraum. »Frei wie ein Vo-


40

» Lorem Ipsum sit dolores mani. Lorem Ipsum sit dolores mani. « – Name

» Frei wie ein Vogel einschlafen und aufwachen, ohne Strom und sonstige neuzeitliche Errungenschaft. Darum ging es ihm und seiner Frau Mona Mayer damals.«

gel einschlafen und aufwachen, ohne Strom und sonstige neuzeitliche Errungenschaft.« Darum ging es ihm und seiner Frau Mona Mayer damals. Zwei Jahrzehnte später – Ziegelwanger verdingt sich längst als Biobauer, Baumschulgärtner, verkauft als Imker Honig, Königinnen, Völker und züchtet Kärntner Brillenschafe, die gelernte Gärtnerin Mayer arbeitet im Nebenerwerb in einem Mutter-Kind-Haus – hat sich die Sache zu einem auf drei Standbeinen stehenden Biobauernhof ausgewachsen. Und die fünfköpfige Familie ist aus der Vogelwarte herausgewachsen.


B io r a m a NÖ

SC h ö ne r Wo h n en

41


bio ÖSTERREICH MESSE WIESELBURG

www.bio-oesterreich.at • bio ESSEN • bio KAUFEN • bio KLEIDEN • bio GÄRTNERN • bio INFORMIEREN • bio BEWIRTSCHAFTEN • bio GENIESSEN • bio URLAUB • bio GASTRONOMIE

17. 11. bis 18. 11. 19


B io r a m a NÖ

SC h ö ne r Wo h n en

43

Biohof Schaf & Biene Heinz Ziegelwanger und Mona Mayer verkaufen nicht nur Honig, Bienenvölker, Lammfleisch, Zuchtschafe, Obst, Säfte und Bäumchen alter Obstsorten, sondern übernehmen in Kooperation mit dem Verein Arche Noah auch die Wunschveredelung persönlicher Lieblingsobstsorten. Außerdem beherbergt ihr Hof als Teil des weltweiten wwoof-Netzwerks (»World-Wide Opportunities on Organic Farms«) immer wieder Gäste, die für Kost und Logis mitanpacken. Sooß 3, 3382 Loosdorf schafundbiene.at

Doch auch nach der Geburt von Alvin (2004), Silvius (2009) und Jasmina (2012) ragt die Vogelwarte neben dem liebevoll wiederhergerichteten Bauernhaus über die Landschaft, als Refugium aus den zu ihr hinaufgewachsenen Obstbaumkronen. Die oberen beiden Etagen nutzen die Kinder, manchmal auch Gäste, als Wohn-, Spiel- und Schlafraum; jene darunter dient als Lager, die zweite als Verkaufsraum der Baumschule. Und zu ebener Erde wird gerade umgebaut. Hier residieren künftig – »Endlich!«, frohlockt Mona Mayer – die neu angeschafften Hühner. Schließlich kräht im Paradies frühmorgens auch ein Hahn.


B io r a m a N Ö

W o h nbau

44

Zukunft Wohnen Wie können wir ressourcenschonender bauen?

W

reich allerdings zunehmend BewohnerInnen. elchen Einfluss hat die zunehmenDass es die Menschen in Ballungsräume zieht, de Landflucht auf unsere Umwelt ist keine neue Erkenntnis und entspricht eiund inwieweit können Förderungen nem weltweiten Trend. Der damit einhergedazu beitragen, nachhaltiger zu bauhenden Herausforderungen ist man sich auch en und zu wohnen? Die zunehmende Urbaniin der niederösterreichischen Landesregiesierung, die steigende Nachfrage nach bezahlrung bewusst, wie Landeshauptfrau Johanna barem Wohnraum, das beinahe Aussterben von Mikl-Leitner erklärt: »Wir wissen, die Gesellkleinen Gemeinden und der drohende Klimaschaft wird immer älter und mobiler, die Anwandel sowie seine Folgen machen das Thema zahl der Singlehaushalte steigt, die UmweltanWohnen nicht nur aus gesellschaftlicher, sonliegen spielen eine immer wichtigere Rolle und dern auch aus ökologischer Perspektive zu eies gibt neue digitale Arbeitsformen.« Laut dem ner der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Wie wir in Zukunft leben und wohnen, hängt » Wir wissen, die Gesellschaft wird von Entscheidungen ab, die immer älter und mobiler, die Anzahl schon heute getroffen werden. In Niederösterreich wohder Singlehaushalte steigt, die nen aktuell rund 1,7 Millionen Umweltanliegen spielen eine immer Menschen, das Bundesland wächst weiter, vor allem in den wichtigere Rolle und es gibt neue Städten und rund um Wien. An digitale Arbeitsformen.« den nördlichen und südlichen – Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau Rändern verliert Niederöster-

Bilder   Ni ederö ste rre ich We rbu ng/ s chwar z-koe nig .at, Le afle t

Text Yasmin Vihaus


45

Österreichischen Institut für Raumplanung wandern die meisten Personen zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr ab. Vor allem für kleinere Gemeinden wird die Landflucht zunehmend zum Problem – während die BewohnerInnenzahl sinkt, steigt gleichzeitig das Durchschnittsalter der verbleibenden Bevölkerung. Die sinkenden EinwohnerInnenzahlen sorgen für ein geringeres Budget in den Gemeindekassen und für eine schlechter werdende Infrastruktur, zudem finden gerade junge Menschen schwieriger Arbeit in der Umgebung.

Landflucht frühzeitig entgegenwirken Um dieser Negativspirale entgegenzuwirken, setzen einige Gemeinden Gegenmaßnahmen. Waidhofen an der Ybbs ist Mitglied des Vereins Zukunftsorte, der ländliche Kommunen vernetzt und es sich zum Ziel gesetzt hat, eine hohe Lebensqualität für GemeindebürgerInnen zu schaffen. Das passiert durch überregionale Zusammenarbeit, durch aktive Kommunikation mit den EinwohnerInnen und durch das

< -50% ± 0% > +50% Bevölkerungsentwicklung in Niederösterreich seit 1971 Addendum und die Niederösterreichischen Nachrichten haben anhand von Zahlen der Statistik Austria zum Thema Landflucht recherchiert.


46

Nutzen von eigenem, kreativem Potenzial. Die Gemeinde Waidhofen an der Ybbs entschied sich aktiv gegen ein Einkaufszentrum vor den Toren der Stadt und sorgte stattdessen für eine belebtere Innenstadt durch eine Verbesserung der Bausubstanz. Von 2400 Quadratmetern leerer Verkaufsfläche blieben nur knapp 500 übrig. Zudem kümmert sich ein Planungsbüro um das Leerstandsmanagement und bringt dafür HauseigentümerInnen aus der Innenstadt, PolitikerInnen und das Stadtmarketing an einen Tisch, um Wohnraum, Arbeitsflächen und Handelsflächen zu schaffen. Ein eigener Innenstadtkoordinator führt seit 2005 potenzielle VermieterInnen und MieterInnen zusammen. Direkt in der Stadt entsteht am ehemaligen Bene-Werk aktuell der sogenannte Beta-Campus. Neben einem im vergangenen Jahr neu eröffneten Co-Working-Space sollen bis 2023 dort

» Ich denke, dass wir in Zukunft viel mehr in Richtung gesamtökologische Betrachtung eines Gebäudes gehen müssen. Derzeit legen wir den Fokus lediglich auf den Betrieb. « – Daniela Trauninger, Donau-Universität Krems

Zersiedelung führt zu Flächenversiegelung Auf Landesebene versucht man HäuslbauerInnen ländliche Regionen mit Förderungen schmackhaft zu machen, wie Wohnbaulandesrat Martin Eichtinger erklärt: »Im Rahmen der Wohnbauförderung wird für den Neubau und für die Sanierung ein finanzieller Bonus eingeführt, um ländliche Regionen als Wohnraum attraktiv zu halten. Darüber hinaus werden auch zur Belebung der Ortskerne zusätzliche Anreize gesetzt.« Im Durchschnitt soll es für ländliche Regionen bis zu 20 Prozent mehr Förderung seitens des Landes geben, um somit einen regionalen Ausgleich sicherzustellen. Direkt in Ortskernen wird abhängig von Lage und Beschaffenheit ein Bonus von bis zu 12.000 Euro ausgeschüttet. Die Belebung des ländlichen Raums hat allerdings nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ökologische Vorteile. Leerstände in Gemeinden und die zunehmende Zersiedlung führen zu immer mehr versiegelten Flächen. Versiegelter Boden kann keinen Niederschlag aufnehmen, zudem geht Lebensraum für Tiere und Pflanzen verloren und die fehlende Versickerungsfläche erhöht die Gefahr von Hochwassern. Dementsprechend sei es besonders wichtig, bestehende Ortskerne zu fördern, betont Daniela Trauninger, Leiterin des Zentrums für Bauklimatik

B ild  NL K/Bu rchha rt

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und WohnbauLandesrat Martin Eichtinger setzen im Rahmen der Wohnbauförderung auf eine Belebung der Ortskerne und Unterstützung von ländlichen Regionen.

auch eine Schule, Labore und Werkstätten, Eventspaces und neue Wohnmöglichkeiten geschaffen werden. Das neue Gelände beherbergt das Polytechnikum Waidhofen, dass zukünftig auch mit ansässigen Firmen zusammenarbeiten soll. Der neu geschaffene Wohnraum soll vor allem junge Menschen ansprechen, die für Ausbildung oder Job in die Region kommen. Angeboten werden sowohl Zimmer innerhalb eines ‚betreuten Wohnraums für Lehrlinge und SchülerInnen als auch Kleinwohnungen für Singles und Paare.


47 und Gebäudetechnik an der Donau-Universität Krems. Trauninger ist zuständig für die begleitende Evaluierung der niederösterreichischen Wohnbauförderung und die Weiterentwicklung der Förderkriterien im Bereich energieeffiziente und nachhaltige Gebäudestandards. Sie erklärt: »Aus meiner Sicht werden in Österreich viel zu viele Grundstücke neu aufgeschlossen. Dies führt zwangsläufig immer zu einer zusätzlichen Versiegelung durch notwendige Infrastrukturmaßnahmen, was die Allgemeinheit nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch durch Errichtung, Instandhaltung, Pflege belastet. Gleichzeitig sterben damit ganze Stadtzentren aus, weil die bestehenden Gebäude und Infrastrukturen nicht mehr nachgenutzt werden.« Um eine entsprechende Verdichtung und Nachnutzung bestehender Gebäude und Stadtstrukturen zu forcieren und gleichzeitig die Neuversiegelung in den Griff zu bekommen, müsse aber zudem auch eine überregionale Raumplanung implementiert werden, wo auch das Grünraum- und Regenwassermanagement mitgedacht werden müsse. Die Expertin evaluiert die Förderkriterien der niederösterreichischen Wohnbauförderung in Bezug auf die Umsetzung klimaschutzrelevanter Ziele im Bereich energieeffizienter und nachhaltiger Gebäudestandards. Förderungen seien, so Trauninger, gerade im Bereich Nachhaltigkeit ein wichtiges Steuerungselement.

Energieeffizient wohnen, nachhaltig bauen Dabei geht es nicht nur darum, wo gebaut wird, sondern auch, wie gebaut wird. Während Energieeffizienz schon heute ein Thema ist, gibt es im Bereich der Bausubstanz selbst noch Aufholbedarf. Voraussetzung für eine Wohnbauförderung in Niederösterreich ist aktuell etwa die Erfüllung gewisser Mindeststandards bei der Gesamteffizienz sowie der Einbau eines alternativen, effizienten Heizsystems. Seit 2019 sind Ölheizungen in Neubauten verboten, zudem wird im Rahmen des Förderprogramms »Raus aus dem Öl« auch der Umstieg auf alternative Heizkessel gefördert. Gerade in diesem Bereich zeigen sich erste Erfolge: Der Standard

Energieautark wohnen

im Bereich der Energieeffizienz ist bei geWolfgang Löser ist von Mindeststandards im Beförderten Wohnbaureich Energieeffizienz weit entfernt. In Streitten im Durchschnitt dorf bei Stockerau verwirklichte er den ersten schon jetzt höher als gänzlich energieautarken Bauernhof Österreichs. bei frei finanzierten Sein Traktor verbrennt durch eine Umrüstung Wohnungen. statt Diesel kaltgepresstes Pflanzenöl aus eigener Langfristig geseErzeugung, das zur Gänze aus Sonnenblumen gehen müsse man allerwonnen wird, die mit extrem wenig Dünger und völlig ohne Pestizide auskommen. dings gesamtheitlicher denken, so DaniZum Heizen der Gebäude verwendet Wolfgang ela Trauninger: »Ich Löser eine Hackgutzentralheizung, das Brenndenke, dass wir in holz stammt aus der Region, vom eigenen Wald Zukunft viel mehr in oder aus Zukauf. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt mit einer thermischen Solaranlage, die Richtung gesamtökoPhotovoltaikanlage war die Krönung auf dem logische Betrachtung Weg zum energieautarken Bauernhof. eines Gebäudes gehen müssen. Derzeit An sonnenreichen Tagen erzeugt seine Anlage doppelt so viel Strom, wie verbraucht wird. Das legen wir den Fokus sei gar nicht so schwierig, so Wolfgang Löser: lediglich auf den Be»Die Möglichkeiten zum energieautarken Eitrieb. Vielmehr müsgenheim, zur energieautarken Gemeinde und sen aber auch die energieautarken Region sind für jeden von uns Ressourceneffizienz gegeben, es bedarf lediglich einer Loslösung von und die Wiederverüberkommenen Denkmustern, um eine lebenswendbarkeit der einwerte Umwelt auch für nachfolgende Generatiogesetzten Baustofnen zu sichern.« fe mitberücksichtigt werden. Eine derartige Berücksichtigung der Kreislaufwirtschaft sehe ich allerdings nicht als länderspezifische Aufgabe, sondern das sollte dringend bundesweit in die übergeordneten Richtlinien einfließen.« Entscheidend sei dann etwa auch, inwiefern ein Haus recycelbar ist. Entsprechende politische Strategien – und auch die nötigen Technologien – gibt es aktuell bereits in den Niederlanden. Das niederländische Unternehmen Daas Baksteen bietet etwa ein neuartiges Trockenbausystem an, mit dem sich Wände einfach demontieren lassen. Die einzelnen Bausteine werden wie Legosteine ohne Mörtel zusammengefügt, lassen sich trennen und können nach einem Abbau vollständig wiederverwendet werden. Lösungen wie diese könnten in Zukunft dafür sorgen, dass nicht nur das Wohnen, sondern auch das Bauen nachhaltiger wird.


B io r a m a N Ö

VER T I KALE BE G RÜNUNG

48

Cooler in Grün Fassadenbegrünungen schaffen Lebensraum und kühlen auf natürliche Weise.

D

ie Sommermonate waren heiß. Das entspricht nicht nur dem subjektiven Empfinden der Menschen, sondern ist auch mit Daten belegbar. Aufnahmen aus dem Sommer 2017 zeigen, dass in manchen Bereichen der Stadt Krems um 10 Uhr früh bereits die 33-Grad-Marke überschritten wurde. Für Abkühlung in urbanen Hitzeinseln soll in Krems künftig mehr Grün auf Dächern und Fassaden sorgen. Im Rahmen des Projekts Greenovate Krems wurde im vergangenen Jahr ein Leitfaden anhand von zwei Projekten in der Kremser Altstadt erstellt, der Gemeinden und BauträgerInnen bei der Umsetzung von klimarelevanter Gebäudebegrünung unterstützen soll. Wichtig sei bei der Umsetzung vor allem die Partizipation, wie Christine Rottenbacher, Lehrgangsleiterin des Zentrums für Umweltsensitivität an der Donau-Universität Krems, die das Projekt wissenschaftlich begleitet, erklärt: »Es gibt nach wie vor eine starke Diskrepanz zwischen ›beobachten‹ und ›wirklich umsetzen‹. Leute beobachten diese Prozesse zwar, wollen ihren

Balkon aber selbst nicht begrünen, weil sie beispielsweise Angst davor haben, dass dann mehr Insekten in der Wohnung sind. Das muss man besprechen und ernst nehmen. Die Umsetzung ist bedeutend einfacher, wenn man eine Gruppe an Menschen hat, die bestimmte Werte bereits vertritt und auch teilhaben will.«

Grüne Klimaanlage »Grün statt Grau« heißt es auch bei der gleichnamigen Kompetenzstelle für Bauwerksbegrünung, die mit ihrem mobilen Ausstellungsraum mugli in ganz Österreich Vermittlungsarbeit leistet. Das Credo: Aus kahlen Wänden sollen grüne vertikale Lebensräume werden, die zudem im Sommer eine kühlende und im Winter eine dämmende Funktion haben. »Eine Begrünung an der Fassade ist praktisch eine grüne Klimaanlage, die die Umgebungsluft kühlt. Zusätzlich schafft man damit auch Lebensräume, es gibt Pollen- und Nektarquellen, zum Beispiel für Wildbienen, aber auch für andere Insekten, die wiederum dienen als Nahrungsquelle

Bild   grünstat tgrau

Text Yasmin Vihaus


Jetzt Heizkessel tauschen und bis zu € 3.000,– an Landesförderung sichern.

Förderung gültig seit 01.01.2019

Tauschen Sie Ihren alten Öl-Heizkessel und sichern Sie sich bis zu € 3.000,– an Landesförderung. Setzen Sie auf erneuerbare Energie, sparen Sie viel Geld und schützen wir unsere Umwelt.

Alle Infos zur Förderung:

www.noe-wohnbau.at Wohnbau-Hotline: 02742/22133

Entgeltliche Einschaltung des Landes Niederösterreich

Raus mit dem Öl. Rein mit reiner Energie!


B io r a m a N Ö

VER T I KALE BE G RÜNUNG

50

Ein Ziel von Landesrat Eichtinger (im Bild bei der Garten Tulln) ist, dass jedes Haus einer Genossenschaft zudem ein eigenes Nützlingshotel bekommt.

für Vögel. Die Begrünung trägt damit auch zur Biodiversität bei«, erklärt Elisabeth Gruchmann-Bernau von GrünStattGrau. Welche Begrünungssysteme bei welchen Gegebenheiten umsetzbar sind und wie verschiedene unterstützende Technologien funktionieren, wird BesucherInnen im Rahmen von Führungen im mugli erklärt. Mithilfe eines Periskops kann dabei beispielsweise auch ein begrüntes Dach mit Wildbienenhotel und der Kombinationsbauweise eines Photovoltaik-Gründachs erkundet werden. Zudem erhalten InteressentInnen auch eine Erstberatung, so Elisabeth Gruchmann-Bernau: »Viele Menschen haben gerade im vergangenen Sommer schon etwas über das Thema gehört und wollen wissen, wie man die Sache am besten angeht. Man sieht im mugli genau, was dahintersteckt, wie beispielsweise eine automatische Bewässerung aussieht und worauf man achten muss.« Grundsätzlich wird zwischen bodengebundener und wandgebundener Begrünung unterschieden, zudem sind auch die Wuchseigenschaften der Pflanze entscheidend. Sogenannte Selbstklimmer bilden Haftscheiben oder Wurzeln aus und haften selbst direkt an der Fassade. Bei Schling- oder Windpflanzen braucht es Seile zur Unterstützung, Spreizklimmer benötigen hingegen ein netzartiges Rankgerüst. Nur wenn die Voraussetzungen stimmen, können die Pflanzen optimal wachsen.

Neben klassischen Selbstklimmerern oder Blühstauden können auch essbare Obst- und Gemüsepflanzen für die Fassadenbegrünung verwendet werden.

Wurde das perfekte Konzept für den Standort gefunden, leisten Pflanzen enorm viel. An der Fassade der MA48 Wien wachsen bereits seit 2010 rund 16.000 verschiedene Pflanzen im Rahmen einer fassadengebundenen Begrünung. Das Projekt wurde wissenschaftlich von der Universität für Bodenkultur in Wien begleitet, die erhobenen Daten zeigen sehr deutliche Auswirkungen. Die Verdunstungsleistung auf der rund 850 Quadratmeter großen bepflanzten Fläche entspricht der Kühlleistung von etwa 45 Klimakühlgeräten mit jeweils 3000 Watt Kühlleistung und acht Stunden Betriebsdauer. Zudem unterscheidet sich die Oberflä-

Im Rahmen der NÖ Wohnbauförderung wird die Begrünung von Dächern und Fassaden sowohl bei Neubau als auch bei Sanierung gefördert.

B ild ER   NL K/Filzwie se r, GRÜNSTATTGRAU

Kühlleistung von 45 Klimakühlgeräten


Hol dir die Naturkalender Niederösterreich App! Grafik: agenturschreibeis.at . Foto: POV

chentemperatur an sonnigen Tagen von der gemessenen Temperatur direkt an der Putzfassade um bis zu 15 Grad Celsius. Im Winter dämmt der »grüne Pelz« hingegen und sorgt für geringeren Wärmeverlust nach außen. Während sowohl das subjektive Wohlbefinden als auch die Temperaturen an der Fassade durchaus beeinflusst werden können, hält sich der positive Einfluss auf unser Klima je nach System allerdings in Grenzen, warnt Christine Rottenbacher: »Die fassadengebundene Begrünung wird oft mit Trinkwasser gewässert, das ist eigentlich nicht nachhaltig. Natürlich ist es ein hübsches Element und es erbringt für das Gebäude selbst eine Kühlleistung und steigert auch das Wohlbefinden, aber der Boden muss geöffnet werden, wenn man über Nachhaltigkeit, Regenmanagement und Klimawandelanpassungen spricht.« Eine Alternative bietet die bodengebundene Fassadenbegrünung, bei der der Boden geöffnet und eine Regenwasserzuleitung hergestellt werden muss, damit Pflanzen wachsen können. In Sachen Nachhaltigkeit leiste diese Form der Begrünung wesentlich mehr, zudem sei sie bei guter Umsetzung auch etwas pflegeleichter, sagt die Expertin. Geeignet sind Fassadenbegrünungen nicht nur bei Großprojekten, sondern auch beim klassischen Einfamilienhaus, so Elisabeth Gruchmann-Bernau von GrünStattGrau: »Auch im privaten Bereich kann eine Fassadenbegrünung einen großen Nutzen haben, etwa wenn man die Südfassade eines Hauses begrünt und so eine Beschattung der Bausubstanz erreicht. Man kann damit auch die Gebäudehülle vor Wettereinflüssen und starken Temperaturschwankungen schützen.« Vor der Umsetzung bietet GrünStattGrau den Greening Check als digitales Erstberatungstool, bei dem der Istzustand, der Sollzustand und das Begrünungsziel erhoben werden, um in einem weiteren Schritt genau zu analysieren, welche Begrünungssysteme geeignet sind. Wer sein Haus in Niederösterreich mit einem begrünten Dach ausstattet, bekommt im Rahmen der Wohnbauförderung ein Förderdarlehen, in Zukunft wird dieses auch auf begrünte Fassaden ausgeweitet.

NaturTipp:

Erhältlich in den App-Stores und auf www.naturkalender-noe.at

MIT UNTERSTÜTZUNG DES LANDES NIEDERÖSTERREICH UND DER EUROPÄISCHEN UNION Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums: Hier investiert Europa in die ländlichen Gebiete


B io r a m a N Ö

52

N i e d e r öste r r eich in Ka rte n

Die Spur der Emissionen

Der Emissionskataster zeigt die Emissionsmengen je nach Gemeinde. Umwelttechniker Manfred Brandstätter vom Amt der Landesregierung erklärt, was die Karte zeigt. Interview Thomas Stollenwerk

BIORAMA: Was bringt der Emissionskataster zum Ausdruck? Manfred Brandstätter: »Der Kataster ist eine Darstellung der Gesamtemissionen, jeweils normiert auf die Fläche pro Gemeinde. Das heißt: Wir sehen uns dafür alle Emissionen auf einem Gemeindegebiet an, dividieren sie durch die Gemeindefläche und stellen sie dann auf einer Karte dar.«

Wie werden die Werte dafür erhoben? »Die Emissionen werden einerseits durch Fragebögen erhoben und andererseits durch statistische Daten aus unterschiedlichen Quellen.« Ist dort, wo die Karte besonders dunkel ist, die Luft schlechter? »Das kann man so nicht sagen. Eine hohe Emissionsdichte ist nicht gleichbedeutend mit schlechter Luft. Kraftwerke zum Beispiel haben ja hohe Schornsteine, damit die Schadstoffe in einer hohen Luftschicht ausgebracht werden und eine Verdünnung stattfindet. Die Menschen in der Umgebung eines Kraftwerks atmen deshalb nicht direkt die Emissionen ein, sondern die Immission.«

DI Manfred Brandstätter ist stellvertretender Leiter der Abteilung Umwelttechnik des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung.

Was sind konkrete Anwendungen des Katasters? »Zum Beispiel Energiekonzepte von Gemeinden oder Luftreinhaltungspläne wie das Feinstaubprogramm NÖ.« Welche Emissionen werden im Kataster dargestellt? »Wir können Kohlendioxid (CO2), Schwefel-

Bad Groß

dioxid (SO2), Stickoxid (NOx) und Feinstaub (PM10) in dieser Form darstellen. Die Kartendarstellungen gibt es also für verschiedene Emissionen.« Gibt es Beispiele für bestimmte Entscheidungen, die ganz eng mit Emissionswerten und der Luftqualität verSt. Valentin knüpft sind? »Na ja, zum Beispiel die Haag Reduktion von Schwefel aus dem HausbrandHeizöl. Da hat man festgestellt, dass es Gebiete gab, in denen extrem hohe SO2-Emissionen stattfanden. Es wurde dann festgestellt, dass es aufgrund der hohen Schwefelwerte notwendig war, den Schwefelanteil zu reduzieren.« Den Kataster gibt es bereits seit 1976. Wie entwickeln sich die Emissionen seither? »Eine extreme Erfolgsgeschichte ist tatsächlich die schon angesprochene Reduktion der Schwefelemissionen. Saurer Regen ist deshalb heute kein Thema mehr. Wir haben die SO2-Emissionen seit 1990 um rund 94 Prozent reduziert. Auch die Stickoxide sind um ein Drittel zurückgegangen. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren keine Feinstaubüber­ schreitungen mehr. Durch weniger Emis­ sionen kommt es zu einer besseren Immissions­situation.«

Am


53 Die Karte zeigt nur die CO2-Emissionen. Darstellungen für andere Emissionsarten gibt es online. Einfach »NÖ Emissionskataster Luft« googeln!

Litschau Raabs an der Thaya Schrems Gmünd

Hardegg

Waidhofen

Retz

Laa an der Thaya

Horn

ßpertholz

Pölla

Zwettl

Rapottenstein Arbesbach

Eggenburg Gars am Kamp Maissau

Grafenwoth Spitz

Poysdorf

Mistelbach Zisterdorf

Hollabrunn

Stockerau

Korneuburg

Gänserndorf

Ypertal Melk

mstetten

Wieselburg

St. Pölten

Gablitz

Marchegg WIEN

Schwechat

Wilhelmsburg

Bernhardsthal

Eckartsau

Bruck/Leitha

Scheibbs

Lilienfeld

Ramsau Berndorf

Ybbsitz Lunz am See

Annaberg St. Aegyd am Neuwalde Reichenau an der Rax

Emissionsdichten / Gemeinde: Co2 neE (t/km2) <10.0

250.0-1000.0

<10.0-100.0

1000.0-10000.0

100.0-250.0

>= 100000.0

Neunkirchen

Krumbach

Emissionsschwerpunkte wie der Großraum Wien oder die Westautobahn sind als dunkle Einführungen deutlich in der Karte zu erkennen.


54


Bio r a m a NÖ

E i nw e g

Aufgeblasener Abfall Zugegeben, es ist traurig, doch Luftballons sind ein Wegwerfartikel erster Güte. Eigentlich sollte man sie verbieten. Oder etwa nicht? Text Thomas Stollenwerk

A

m 27. September 1986 trug sich über der US-Stadt Cleveland etwas zu, das die Leichtigkeit des Ballonsteigenlassens mit einer bis dahin ganz ungewohnten Schwere belastete. Es sollte ein Weltrekord aufgestellt werden, nämlich jener für die größte jemals gleichzeitig steigen gelassene Anzahl heliumgefüllter Ballons. Zwei Millionen Ballons sollten vom Stadtzentrum Clevelands aus in den Himmel steigen. Für einen Dollar zugunsten der Wohltätigkeitsorganisation United Way konnte man je zwei Ballons beisteuern. Letztlich stiegen 1.429.643 Ballons auf, gerieten in eine Kaltfront und wurden zurück Richtung Erde gedrückt. Die gigantische Wolke aus Helium und Plastik sorgte für Verkehrsbehinderungen und Unfälle, für panische Tiere, verschmutzte Ufer des Lake Erie und auch dafür, dass ein Rettungshubschraubereinsatz abgebrochen werden musste, was zwei Schiffbrüchige das Leben kostete. Die folgenden Schadenersatzklagen machten den Rekordversuch für die VeranstalterInnen zum Minusgeschäft.

Bild  TH o ma s We b e r

Ballons im Sinkflug Heute, über drei Jahrzehnte später, ist der langsame, aber sichere Sinkflug des Luftballons als Instrument der schwebenden Erheiterung längst eingeleitet. Denn Luftballons sind eigentlich nur aufgeblasener Abfall – oder doch nicht? Natürlich bereiten mit Luft oder Helium gefüllte Ballons große Freude. Doch diese Freude dauert nicht besonders lang. Ganz ähnlich ist es mit anderen Artikeln, deren Nutzen kurz, deren Verbleib in der Umwelt aber unverhältnismäßig lang ist. Die EU hat deshalb schon

2018 eine Richtlinie auf den Weg gebracht, wonach ab 2021 Gegenstände aus Wegwerfplastik nicht mehr verwendet werden dürfen. Strohhalme zum Beispiel, oder die kleinen Plastikgabeln zum Pommes-frites-Aufspießen. Auch die Plastikstängel, an denen sich Ballons befestigen lassen und an denen Kinder- und Erwachsenenhände Ballons halten können, stehen auf der Liste der zu verbannenden Wegwerfplastikgegenstände. Die Ballons selbst allerdings nicht. Nicht nur der Blick zurück ins Jahr 1986 veranlasst zu einem kritischen Blick auf die aufblasbaren, elastischen Kunststoffbeutel. Aktuell, so wissenschaftliche Schätzungen, finden sich in den Weltmeeren rund 250.000 Tonnen Plastikmüll. Als ein australisches ForscherInnenteam für eine im März 2019 veröffentlichte Studie 1733 tote Seevögel sezierte, fanden sie bei 32,1 Prozent dieser Tiere Plastik in Magen oder Darm. Bei 73 Prozent der Vögel war dieses Plastik zwar nicht eindeutig als Todesursache zu bestimmen, doch bei 13 Prozent der toten Vögel gehen die ForscherInnen davon aus, dass sie am Plastikverzehr gestorben sind. Bei etwa einem Viertel der Tiere konnten die For­ scherInnen die Todesursache nicht klar benennen, einen Zusammenhang mit der Plastikaufnahme aber auch nicht ausschließen. Plastik kann bei Seevögeln zu einer Verstopfung der Atemwege führen, zu zerrissenen Därmen oder einem Darmverschluss. Zwei Korrelationen konnten recht eindeutig nachgewiesen werden: In den offensichtlich durch die Aufnahme von Plastik getöteten Seevögeln fand sich mehr Plastik als in jenen Tieren mit unklarer Todesursache. Und die Vögel mit unklarer

55


B io r a m a N Ö

E i nw e g

Todesursache hatten mehr Plastik gefressen als jene mit offensichtlich anderer Todesursache. Die ForscherInnen folgerten daraus einen statistischen Zusammenhang zwischen Plastikaufnahme und Sterberisiko der Vögel. Schon die Aufnahme eines einzelnen Stücks Plastikmüll erhöhe das Sterberisiko für Seevögel um 20 Prozent. Dieses Risiko erhöht sich auf 50 Prozent, wenn neun Stück Plastikmüll verzehrt werden. In einem der 1733 sezierten Vögel fanden die ForscherInnen ganze 93 Stück Plastikmüll – der sichere Tod für das Tier. Nun ist Plastik nicht gleich Plastik. Die australischen ForscherInnen stellten fest, dass Plastikmüll für die Vögel dann am tödlichsten ist, wenn er schwer und weich ist. Besonders gefährlich: Luftballons oder Stücke davon. Um bis zu 32 Mal höher gegenüber härteren Plastikteilen liege das Sterberisiko für Seevögel, die ein Stück Luftballon fressen, schreiben die ForscherInnen. Auch Plastiksackerl und Kondome seien besonders gefährlich. Als Grund dafür vermuten die WissenschaftlerInnen die Flexibilität des Materials. Es sei besonders geeignet, Körperpassagen zu verschließen, und seine Beschaffenheit führe dazu, dass Seevögel das treibende Material mit Beutetieren verwechselten. Übrigens unterscheiden Vögel auch nicht zwischen Luftballons aus Plastik und solchen aus Naturkautschuk oder Naturlatex, die binnen Monaten auf natürliche Art und Weise zerfallen. Immerhin: Wer in Niederösterreich größere Mengen von Luftballons aufsteigen lassen möchte, benötigt eine Genehmigung. Dabei

geht es allerdings weniger um das Wohl von Seevögeln oder Flora und Fauna allgemein als vielmehr um die Flugsicherheit. Wer weniger als 15 Kilometer weit entfernt vom nächsten Flugplatz mehr als dreißig Ballons steigen lassen möchte, braucht die Erlaubnis der Abteilung Verkehrsrecht der Landesregierung, ebenso wie jeder, der mehr als 100 Ballons steigen lassen möchte – unabhängig von der Entfernung zum nächsten Flugplatz. Generell verboten sind außerdem »das Steigenlassen von gebündelten Kleinballonen, radarreflektierende Anhänger oder Farben an den Kleinballonen, das Steigenlassen von Wunschlaternen, Skylaternen, Himmelslaternen, Glücksballons, Knicklichtern oder led-Lichtern« ohne Genehmigung des Landes. Die zu zahlende Verwaltungsabgabe für die Genehmigung beläuft sich übrigens auf 21,80 Euro, die Eingabegebühr auf 14,30 Euro. Natürlich ist die Verkehrssicherheit ein hohes Gut. Aber wäre nicht auch der Umweltschutz ein gutes Argument, um auf Luftballons zu verzichten? Wer sich das Ballonsteigenlassen genehmigen lässt, holt sich die Absolution zum Entsorgen von Kunststoff über den Luftweg. Muss das wirklich sein? In den Niederlanden hat inzwischen fast ein Fünftel der Gemeinden das Steigenlassen von Luftballons verboten. Auch in vielen britischen Gemeinden und US-Bundesstaaten hat man Regeln erlassen, die es verbieten, die Plastikflut über den Luftweg zu vergrößern. Hierzulande ist man davon noch ein Stück entfernt – aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden.

Bild   istock.co m/o necl earvis ion

56


Bi o r a m a NÖ

gu mm i ban db u sin ess

57

Text Irina Zelewitz

Bänder verbinden Eine Gummiverbindung Berlin–Weiten sorgt für Nachfrage nach und Angebot von ökologisch produzierten Gummibändern – und deren Biozertifizierung.

Bilder   Charle

D

ie Berlinerin Mandy Geddert produziert seit 2010 nachhaltige Kindermode, wie sie sie nennt. Sie war damals Mutter zweier Kleinkinder, daher kam der Wunsch nach Kleidung, die ökologisch verantwortungsvoll produziert ist und gleichzeitig die kleinen TrägerInnen nicht durch Schadstoffe im Gewebe belastet. Die verarbeiteten Stoffe waren daher von Beginn an biozertifiziert. Seit September dieses Jahres ist ihr Unternehmen gots-zertifiziert. Ein Stück im Puzzle auf dem Weg zur rundum biozertifizierten Kindermode sind auch die für Gedderts Modelle benötigten Gummibänder, die sich besonders bei Kindermode nun einmal gut machen – die waren für Geddert allerdings nicht in Bioqualität zu bekommen. »In Deutschland habe ich ProduzentInnen gefunden, die Öko-Tex-Standard-100-zertifiziert waren, aber eben nicht bio. In Asien bin ich auf HerstellerInnen gestoßen, die be-

haupteten, Bioware zu produzieren, die das aber nicht belegen und mir nicht glaubwürdig erklären konnten, woher sie die Rohstoffe beziehen«, erklärt Geddert. Da fiel ihr der Lieferant der Hosenträger, die sie verarbeitet, ein, von dem wusste sie schon, dass er mitunter Spezialwünsche in kleinen Chargen erfüllt – und das war die Bandweberei von Werner und Gerda Gassner im südlichen Waldviertel. Deren KundInnen sind hauptsächlich keine ModeherstellerInnen, sondern im technischen Bereich angesiedelt – klassischerweise Frachträume, die mit Gummigeweben ausgestattet sind, die Automobilindustrie, FlugzeugherstellerInnen. Also nicht die üblichen Verdächtigen, wenn man an die treibenden Kräfte im Fair-FashionBereich denkt. Doch Geddert sprach Gassner bei der nächsten Gelegenheit, auf einer Messe in Linz, an und versuchte, ihn dafür zu gewinnen, ein nach ihren Vorstellungen ökologisch nachhaltiges

Mandy Geddert ist Geschäftsführerin von CharLe – Sustainable Kids Fashion


B io r a m a NX XÖ

gu E r lmm end iba Lonre dbmu sin ip su e ss m

Die Gummibänder werden auch nach Australien, Hongkong und Kanada verkauft.

Gummiband für sie herzustellen Gassner winkte ab. Weil er, wie er heute rück­ blickend erklärt, als Unternehmer »Geld verdienen muss und nur produzieren kann, wofür auch jemand bezahlt«. Stattdessen bot er Geddert Bänder aus – nicht biozertifiziertem – Leinen und Naturkautschuk an. Geddert ließ nicht locker und versuchte es ein paar Monate später bei einem nächsten Treffen auf einer nächsten Messe, diesmal in Wien, einfach wieder. »Ich wusste, er arbeitete in der Vergangenheit ohnehin auch mit einer Vielzahl an ökologischen Rohstoffen, aber das Thema stand für ihn nicht im Vordergrund. Daher habe ich ihn einfach genervt.« Geddert schlussfolgerte, dass die Anlagen in der Bandweberei wohl in der Lage wären, aus Biobaumwolle und Naturkautschuk

Die Bandweberei Gassner Elastics in Weiten.

CharLe hat inzwischen 41 verschiedene Gummibänder aus Biobaumwolle und Naturkautschuk im Sortiment. charle-berlin.de

Biogummibänder herzustellen, und dass die BesitzerInnen der Fabrik grundsätzlich empfänglich für gute Ideen sein könnten. Sie begab sich daher auf die Suche nach Bezugsquellen für die Rohstoffe in entsprechender Qualität und fand sie auch. Und schließlich willigte Gassner ein, es zu versuchen. Eine Sympathiefrage sei es wohl letztlich gewesen, die Gassner umgestimmt habe: »Es imponiert ihm vermutlich, wenn man hartnäckig ist. Wir haben uns einfach verstanden.« Die Bandweberei im Waldviertel hat begonnen, Biobaumwolle als verzwirntes Garn gots-zertifiziert und lebensmittelechten Naturkautschuk einzukaufen und daraus erste Gummibänder zu weben. Aus der einst abwegigen Idee sind nun zwei Prozent der Produktion der Bandweberei Rudolf Gassner & Söhne geworden. »In der Mitte vom Nirgendwo, im Wald«, so beschreibt Gassner die Umgebung seiner Produktionsstätte, und seine Rolle folgendermaßen: »Die Verkäuferin ist die Frau Geddert, ich bin nur der Produzent. Aber mir macht es schon Spaß, das auf Schiene zu bringen, dabei zu sein.« Und wie Mandy Geddert verkauft – längst produziert und verkauft sie nicht mehr nur Mode, der internationale Vertrieb der zu 100% im Waldviertel produzierten Bänder ist jetzt schon zum zweiten Standbein ihres Unternehmens geworden. Geddert ist nach erfolgreicher Prüfung der Bänder nach EU-Spielzeugrichtlinie EN 17 durch ein unabhängiges Prüfinstitut nun überzeugt, dass die Bänder der 2020 geplanten gots-Zertifizierung standhalten werden.

Bil Bild de rer    Cha Cha rle rl e

58


Bi o r a m a NÖ

Lo k alt e rm in

59

Spatenstich für die Kompostieranlage: Geschäftsführer Bernd Brantner, Firmengründer Walter Brantner und Landeshauptfraustellvertreter Stephan Pernkopf (v. l. n. r.)

»Des is ka Zuckerlfabrik« In Langenlois entsteht die modernste Cradle-to-Cradle-Kompostieranlage Österreichs. Beim Spatenstich wurde der Nachhaltigkeitsgedanke gepflegt und eingehegt.

E

in sonniger Mittwochvormittag auf einem Feld zwischen Krems und Langenlois. Ein Festzelt wurde errichtet, und geladene Gäste aus den umliegenden Gemeinden sind zusammengekommen, um dem Spatenstich beizuwohnen. »Ich fühle mich der Abfallwirtschaft eng verbunden«, erklärt Landeshauptfraustellvertreter Stephan Pernkopf gleich zu Beginn seines routinierten Grußworts an die versammelte Festgemeinde. Es gilt, den Baubeginn des neuen Kompost- und Erdenwerks des Entsorgungsunternehmens Brantner gebührend zu feiern. Der Umweltlandesrat erinnert die versammelten Gäste, unter denen ei-

nige VertreterInnen der umliegenden Gemeinden sind, daran, dass 35 Jahre nach Einführung der Mülltrennung in Österreich die Trennmoral deutlich sinke – das betreffe allerdings vor allem den städtischen Raum. Und ebendieser Moralverlust mache es nötig, immer wieder daran zu erinnern, welches wirtschaftliche Potenzial in Mülltrennung und Recycling stecke.

Abfall als ressource Beim Kremser Entsorgungsunternehmen Brantner, das heute der Gastgeber ist, hat man die angesprochenen Recyclingpotenziale längst erkannt. Juniorchef Bernd Brantner erklärt,

Text und bild Thomas Stollenwerk


B io r a m a N Ö

Lo k alt e rmin

60

Nachhaltigkeit sei zwar ein inflationär benützter und entsprechend schwammiger Begriff, in seinem Unternehmen werde er allerdings mit wirklichem Inhalt gefüllt. »Die Abfälle von heute sind die Ressourcen von morgen« lautet schließlich die Vision des Familienunternehmens. In unmittelbarer Nähe des Flugplatzes Krems-Gneixendorf entsteht deshalb auf einer Fläche von 33.000 m2 eine Kompostieranlage mit Auslegung für 35.000 Tonnen biogenen Abfall. Die gesammelten Abfälle, die zum Beispiel aus den braunen Haushaltsbiomülltonnen stammen, sollen ab Mitte 2020 in der entstehenden Halle unterschiedliche Verrottungsphasen unter kontrollierten Bedingungen durchlaufen – weitgehend unabhängig von der Witterung. Belüftung und Befeuchtung können zentral gesteuert werden. Unterschiedliche Erden, Sande und Aschen können dem Kompost beigefügt werden, sodass am Ende wertvoller Biohumus entsteht. Der kann dann zum Beispiel in der Landwirtschaft oder im Gartenbau eingesetzt werden, um die Bodenqualität zu verbessern und die Biodiversität zu erhöhen. Ein sinnvolles Projekt der Kreislaufwirtschaft. Trotzdem schiebt Landesrat Pernkopf seinen Worten zum ökologischen Recycling noch etwas nach: Man solle bei allem Umwelt- und Klimabewusstsein bitte nicht vergessen, dass es insbesondere den fossilen Brennstoffen Öl und Kohle zu verdanken sei, dass man heute noch intakte Wälder antreffe, die nicht der Rodung zum Gewinn von Brennstoff zum Opfer gefallen seien. Es ist auch die von Landesrat Pernkopf angemahnte und sinkende Bereitschaft zur Mülltrennung, die große technische Anlage wie diese überhaupt nötig macht. Denn mechanische Anlagen, mit denen der kompostierbare Biomüll von Dingen, die eigentlich in den Restmüll gehören, getrennt werden kann, rentieren sich erst ab einem gewissen Anlagenvolumen. »Früher reichte zur Kompostierung eine einfache asphaltierte Fläche. Heute ist eine Einhausung inklusive Abluftreinigung nötig«, erklärt Bernhard Gamerith vom Unternehmen Compost Systems. Die weltweit tätige Firma

mit Sitz in Wels hat schon über hundert Kompostieranlagen geplant, und nun eben auch das Erdenwerk der Firma Brantner. »Des is ka Zuckerlfabrik«, erklärt Gamerith, ein so großes Kompostwerk könne schon mal ganz schön stinken. »Jeder hat das Bedürfnis, seine Freizeit auszuleben. Da sind Kompostanlagen und ihr Geruch ein bisschen problematisch.« Deshalb wird die neue Anlage mit einer aufwändigen Anlage zur Reinigung der entstehenden Abluft ausgestattet.

der Geruch: »ein bisschen problematisch« Bevor die geladenen Honoratioren zum feierlichen Spatenstich ansetzen, ist es Zeit für ein geistliches Grußwort. Dazu hat sich Prälat Maximilian Fürnsinn ein Zitat aus dem Buch Genesis ausgesucht: »Gott schuf die Menschen als sein Abbild. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.« Bevor er dem Kompostierwerk seinen Segen erteilt, legt der Geistliche den Anwesenden noch seinen Blick auf die Nachhaltigkeit dar. »An der derzeitigen Klimadebatte stört mich einiges. Wir schaffen uns hier eine zeitgerechte Ideologie«, erklärt er. Er wolle das Interesse der jungen Fridays-for-Future-Akti­ vistInnen zwar nicht lächerlich machen, doch es mache schon einen Unterschied, ob man nur für das Klima demonstriere oder auch tatsächlich etwas dafür tue. Politische Sorge bereite ihm auch der massive Volkszorn. »Es droht eine Ökodiktatur in Verbindung mit Rechtspopulismus.« Mehr politische Balance sei hier dringend geboten. Der dringliche Appell, es beim Umwelt- und Klimaschutz nicht zu übertreiben, tat der Stimmung beim Rammen der bereitgestellten polierten Spaten ins niederösterreichische Erdreich keinen Abbruch. Nach vollzogenem Spatenstich versammelte sich die Festgemeinde zum gemütlichen Mittagsbuffet im nahe gelegenen Flugplatzrestaurant.


B io r a m a NÖ

ö l

61

Text Irina Zelewitz

Öl kann durch nichts ersetzt werden Damit Geschmack und wertvolle Inhaltsstoffe von Ölen möglichst lang erhalten bleiben, kann man einiges richtig machen.

Ö

l kann Hitzeüberträger zwischen Pfanne und Bratgut sein oder zur Textur einer Speise beitragen. Wer Öl aufgrund seines Geschmacks und seiner wertvollen Inhaltsstoffe schätzt, will, dass beides möglichst lange erhalten bleibt. So einer ist wenig überraschend auch der Ölmüller Georg Gilli, den biorama in seiner Waldviertler Ölmühle besucht und um Beratung in Öllagerfragen gebeten hat. Er hat verraten, wie man sieben klassisch niederösterreichische Öle zuhause behandelt. »Der Mindestanspruch ist das Küchenkastl«, mahnt Gilli mit strengem Blick, wenn man ihn fragt, wo und wie ein gutes Öl denn aufzubewahren ist. Der Idealfall ist – für alle Öle, sofern ausreichend Platz vorhanden ist – die Lagerung im Kühlschrank. Das gilt übrigens für originalverschlossene wie für geöffnete Flaschen. Die Haltbarkeitsangaben beziehen sich auf verschlossene Flaschen, geöffnet kann sich diese Spanne – abhängig vom Öl – auch bei guter Lagerung mitunter auf ein Drittel verkürzen. Wobei Gilli betont, dass seine Öle auch geöffnet bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum keine relevanten Qualitätseinbußen erleiden. Grundsätzlich gilt: Je höher die Raumtemperatur, desto schneller der Oxidationsprozess – der passiert allerdings sukzessive, nicht etwa

» Wenn ich etwas richtig hoch erhitzen will, nehme ich Schmalz, Erdnussöl oder Kokosfett. Auch Olivenöl hält richtig viel aus, also bis um die 200 Grad, wobei man hier jenes nimmt, das wenig Trübstoffe hat, weil die sonst auch irgendwann verbrennen.« – Ölmüller Georg Gilli schlagartig, sobald ein Öl ein paar Stunden nicht im Kühlschrank steht. Verdorbenes Öl erkennt man meist eindeutig am ranzigen Geruch und allerspätestens am entsprechenden Geschmack. Statt an der Flaschenöffnung, an der sich kleine Mengen absetzen und schneller oxidieren können, zu riechen, empfiehlt es sich im Zweifelsfall, ein paar Tropfen auf einen Löffel zu geben, um den Gesamtzustand des Öls festzustellen. »Gekühlt und komplett finster gelagert, toleriert jedes Öl ein wenig mehr«, manche Öle seien aber empfindlicher als andere. Sieben Öle im Detail:

Georg Gilli Georg Gilli ist in vierter Generation Hüter der 460 Jahre alten Mühle in Eggenburg im Waldviertel, die sein Urgroßvater vor über 80 Jahren gekauft hat. Wo früher Weizen gemahlen wurde – ein Teil ist als Schaumühle noch erhalten –, presst Georg Gilli heute Bioöl unter dem Markennamen »aÖ – Iss Dialekt«.


B io r a m a N Ö

ö l

62

Raps Von einem Verwandten des Leindotters, dem Raps, wird – wie etwa auch von der Sonnenblume – auch viel Öl industriell gepresst und desodoriert, also mit Wasserdampf behandelt. Dadurch wird das Aroma abgemildert und der Rauchpunkt erhöht. Gilli fasst zusammen: »Das Öl schmeckt zwar dann vergleichsweise nach nichts mehr, ist aber auch hitzebeständiger.« Beim kaltgepressten Rapsöl rät Gilli allerdings von der Verwendung als Bratöl ab. Es geht in eine ähnliche Geschmacksrichtung wie Leindotteröl, ist aber milder als dieses und ein Jahr haltbar. Gekühlt halten auch jene Öle, die man nicht unbedingt kühlen muss, etwas länger.

Sonnenblume Auch der universal einsetzbare Klassiker Sonnenblumenöl hält originalverschlossen rund ein Jahr, gekühlt drei Monate länger. Sonnenblumenöl enthält Wachse, die sich bei Aufbewahrung im Kühlschrank verfestigen. Wer sein Olivenöl im Kühlschrank lagert, kennt das – es bilden sich Flocken, die sich allerdings nach einem Tag Lagerung bei Zimmertemperatur wieder auflösen. Erhitzbar ist es bis 150 Grad. Kaltgepresstes Sonnenblumenöl ist aromatisch und daher nicht unbedingt für Süßspeisen geeignet, findet Gilli. Er empfiehlt es eher zu Saurem, also etwa zum Anbraten von Gemüse.

» Salat geht immer. Aber beim Rest muss man ein bisschen spielen.« – Ölmüller Georg Gilli

Distel Färberdistelöl ist ebenfalls etwa zwölf Monate haltbar, muss nicht in den Kühlschrank und hält dort laut Georg Gilli »lang über das mhd« hinaus. Erhitzbar ist bis zu 150 Grad, denn seine Inhaltsstoffe seien nicht so wertvoll, »dass dabei viel ruiniert würde«. Distelöl ist ein leichtes Öl, der Anteil an gesättigten Fettsäuren ist also relativ niedrig – »für ein Öl«, betont Gilli. Im Geschmack ist das Öl sehr mild. Es eigne sich daher etwa auch für Süßspeisen – sogar zum Backen, denn auch bei 180 Grad im Rohr werde eine Kuchenmasse im Kern kaum über 150 Grad erhitzt.

Bilder  CC BY- SA 3. 0, isto ck. com/o nec le arvisi o n, i stock.co m/ti o l o co , i sto ck. com/a nze letti , Christia n Bru na, istock.com/die p hosie, istock.com/ berezko

Leindotter

Das Öl der zu Unrecht recht unbekannten Pflanze Leindotter (nicht zu verwechseln mit Lein) ist nicht sehr kompliziert. Lange lagerbar – etwa ein Jahr (berechnet wird immer vom Tag des Pressens). Es muss nicht im Kühlschrank gelagert werden, hält dort aber etwas länger. »Sehr stabil« nennt das der Experte. Erhitzt werden sollte es nicht, da ab 70 Grad die Inhaltsstoffe des Öls zerstört werden. Am meisten wertvolle Inhaltsstoffe hat ein Öl, wenn es gar nicht erhitzt wurde – so es denn jemals welche in nennenswertem Ausmaß hatte. Gilli beschreibt den Geschmack als den von grünen Erbsenschoten und das Aroma als »spargelig« und sagt, er kocht damit – »aber ich verwende es erst, wenn die Speise auf Esstemperatur abgekühlt ist«. Seine Empfehlung: Das Öl zu/auf/an gegrilltem Fisch – etwa Lachs.


63

Hanf

Lein

Bei Hanföl verlängert sich durch Lagerung im Kühlschrank die Haltbarkeit von neun auf zwölf Monate. Verwendung findet es idealerweise ausschließlich in Salaten und nach dem Garen auf dem Teller.

So zäh der Flachs, so fragil sein Öl: Drei Monate hält sich Leinöl und zwar gekühlt. Leinöl hat als »junges Öl« eine sehr buttriges, grünes Aroma wie eine ganz junge Wallnuss, die man noch schälen muss und eine fein-bittere Note. Doch je schlechter es gelagert wird, desto schneller wird es aufgrund seines vergleichbar niedrigen Vitamin-E-Gehalts (sehr) bitter – und dann ist es, wie der Ölmüller so schön sagt »drüber«.

Der Rauchpunkt – jener Zeitpunkt, zu dem ein Öl in der Pfanne deutlich sichtbar zu rauchen beginnt – des Hanföls liegt bei 165 Grad. Doch »Hanf erhitzt man nicht, weil es schade um seine Inhaltsstoffe ist, etwa das gut ausgewogene Verhältnis zwischen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, das besonders VeganerInnen oft interessiert«, erklärt Gilli. Er findet, Hanföl passt aufgrund seines Aromas von »grünem Heu« sehr gut zu dunklem Fleisch und grünen Smoothies.

Bei drei Monaten Lagerfähigkeit, liegt die Idee nahe, es einzufrieren – und Gilli sagt, das kann man machen: »Gefroren nimmt Leinöl Puddingkonsistenz an, es bilden sich keine Kristalle und daher wird nicht wirklich etwas im Öl zerstört.« Er hingegen schwört auf Leinöl über alles: Über die Pasta genauso wie statt der Butter über süße Mohnnudeln, in die Buttermilch oder ins Frühstücksmüsli mit Joghurt!

DIY

Die klassische Anleitung fürs Mazerat – etwa ein Kräuter- oder Chiliöl – endet oft mit dem Hinweis, die fertige Zubereitung aufs Fensterbrett zu stellen, damit der Prozess der Mazeration beschleunigt wird. Anders gesagt: Damit der Geschmack des Eingelegten durch das Mehr an Licht und Wärme schneller auf das Öl übergeht. Beschleunigt wird hier allerdings gleichzeitig auch der Verderbensprozess.

Kürbiskern Auch »Kernöl« ist ungekühlt rund neun Monate lagerfähig, gekühlt ein Jahr. Damit das »Steirische Kürbiskernöl« das klassische Nussaroma erhält, müssen die Kerne vor dem Pressen geröstet werden. Allerdings gibt es auch Kürbiskernöl, bei dem gezielt auf das Nussaroma verzichtet wird – es behält statt dessen ein, wie Gilli es nennt, pures Aroma. Erhitzen gelte es bei beiden eher zu vermeiden. Wozu? Ob nun geröstet oder auch nicht, Gilli sagt: Kürbiskernöl muss man auf einer Topfenpalatschinke mit Schokoladensauce gekostet haben – am besten in beiden Varianten.

»Ich muss mir überlegen, ob ich vor allem will, dass es schnell geht«, warnt Gilli, »vielleicht ist es mir lieber, mein Ölauszug wird nur langsam intensiver, hält dafür aber auch ein paar Monate.« Wer frische Pflanzen verwendet, muss das entstandene Öl oder die Paste (Gillis Tipp hier: Hanföl mit Basilikum!) noch schneller verbrauchen. Für Haltbarkeit ist es wichtig, nur mit trockenen Kräutern zu arbeiten. Welche Pflanzen zu welchen Ölen? Der Experte rät zu Selbstvertrauen: »Am besten Kräuter, die einem schmecken, in ein Öl geben, das einem schmeckt – wenn man meint, es könnte gut zusammenpassen.«


B io r a m a N Ö

Mar kt p l atz f o o d

64

Käse, Brot und Wein – die kulinArische Dreifaltigkeit »Käse und Brot« ist weit mehr als Käsebrot. Gemeinsam mit Wein (daher ist auch hier einer mit im Spiel) gilt das Trio als Inbegriff des Genusses. bild und Text Jürgen Schmücking

I

n Bezug auf Wein gehört Niederösterreich seit einer Ewigkeit zur Weltspitze und bei Brot und Käse tut sich ordentlich was. In den vergangenen Jahren entstanden handwerkliche Unternehmen, die für Aufsehen sorgten. Neue Käsereien, die ihren Konkurrenten im alpinen Westen zeigen, wo der Bartel die Milch holt, und Bäckereien, die herrliches Brot backen. Ein paar davon genauer angeschaut.

1

Öfferl Dampfbäckerei Robert De Vino

O. k., der Name muss kurz erklärt werden. Die Öfferl-Brote haben kreative Namen. Sie heißen Madame Crousto, Rainer Roggen oder eben Robert De Vino. Wobei Letzteres ein Weinviertler Sonnenblumenkern-Walnuss-Biobrot ist. Natursauerteig – eh klar – und im Stein­ ofen gedampft. Das (Bio- und Demeter-)Getreide kommt aus dem Weinviertel und aus Südmähren, vermahlen in der legendären Mühle von Lisa Dyk. Ein perfekter Begleiter für Robert Pagets hochreifen Blauschimmel und auch wunderbar zum PetNat. oefferl.bio


2

Joseph Brot Bio-Joseph-Brot

3

Erste Waldviertler Bio-Backschule Bio-Brot

4

E rlauftaler Käsewölfe Wolfpassinger Mostviertler

Es ist ein gewaltiges Radl. Nicht unbedingt, was die Größe betrifft. Da gibt es noch größere. Aber zum Glück kommt es nicht immer auf die Größe an. Geschmack, Duft und Textur sind umwerfend. Ein Brot, dem man die Zeit und Ruhe ansieht, die für seine Herstellung so wichtig sind. Technisch gesehen ist es ein hefefreies Biosauerteigbrot. Unglaublich harmonisch und weich, und das für lange Zeit. In einem Tuch eingeschlagen, hin und wieder belüftet, hält das Brot zwei Wochen und mehr. Der beste Begleiter für den rassigen Wolfpassinger Mostviertler.
 joseph.co.at/de

Die Erste Waldviertler Bio-Backschule in Drosendorf an der Thaya hat ihren Sitz im historischen Gemäuer des Alten Bürgerspitals. Hier bietet Elisabeth Ruckser Events und Workshops rund ums Mehl und Brot an. Die Zielgruppe ist dabei weit gefasst und reicht von quirligen Kindergruppen bis zu (kaum ruhigeren) Runden mit PensionistInnen. Es wird gemeinsam gelacht, geknetet und, während sich die Stube mit dem warmen Duft von frischem Brot füllt, gemeinsam darauf gewartet, die Laibe aus dem Ofen zu holen. In Drosendorf regiert die Vielfalt. Hier ein klassisches Bauernbrot mit herrlich frischem Anisgeschmack. bio-backschule.at

Den Käse aus seiner Verpackung zu schneiden ist bereits das erste Erlebnis. Ein kräftiger, würziger und eindrücklicher Reifeton steigt in die Nase. Zauberhaft. Der Käse aus der Schlosskäserei Wolfpassing reift in einer mostangereicherten Salzlake. Danach wird er mit einer – hauseigenen und streng geheimen – Hausschmiere behandelt. Der mostige Rotkultur-Ton ist die solide Grundlage, der Teig selbst, weiß wie Elfenbein, ist fest, cremig und mit nussigen Noten unterlegt. 
 käsewölfe.at

65

5

Milchmäderl Schneidige Susi

6

Robert Paget Blauschimmelkäse (Oktober 2017)

Vorweg ein paar Worte zum Namen. Es sind die Milchmäderl, und gemeint sind die Schafe. Keinesfalls Milchmädchen. Das ist erstens – als Milchmädchenrechnung – eine Argumentation für einfache Gemüter und zweitens – noch viel schlimmer – eine industrielle Kondensmilch aus der Dose oder Tube. Von beidem sind die Milchmäderl meilenweit entfernt. Das Milchmäderl-Team sind Bio-Schafbauern, denen Tierwohl, hochwertige Milch und guter Käse am Herzen liegen. Einer davon ist die Schneidige Susi. Benannt nach einem außergewöhnlichen Schaf. Der Käse ist ein naturgereifter Hartkäse mit feiner Bruchlochung. Außen hart, innen weich. Mit elegantem nussigem Aroma ausgestattet und am Gaumen zart schmelzend. Rohmilchkäse at its best! milchmaederl.at

Als der Postbote den Käse brachte, hielt er mir das Paket mit weit ausgestrecktem Arm und leicht verzweifeltem Gesichtsausdruck entgegen. Dabei ist das, was Mozzarellaguru Paget da geschickt hat, eine echte Rarität. Blauschimmelkäse vom Oktober 2017. Also quasi Jahrgangsschimmel. Der Käse ist so reif, dass die kleinen Blauschimmeläderchen, die sich in den jungen Monaten des Käses fein durch den Laib zogen, in den Teig diffundiert sind. Der ganze Käse wirkt dadurch leicht blau-grau. Zugegeben, der Anblick ist gewöhnungsbedürftig, dafür ist der Duft (aber auch der Geschmack) atemberaubend. Und das ist durchaus zweideutig gemeint. Ein Erlebnis sondergleichen. bufala-connection.at

7

Familienweingut Wimmer-Czerny PetNat

Für den PetNat pur füllt der Demeter-Winzer Hans Czerny den Most von St. Laurent, Pinot Noir und Zweigelt in eine Sektflasche, verschließt sie wie eine Bierflasche mit einer Krone und lehnt sich dann zurück und schaut, was passiert. Schwefel, Zucker oder andere Stoffe kommen nicht in die Flasche. Dabei heraus kommt hefetrüber Trinkspaß mit lebendiger Perlage. Für jeden einzelnen Käse in dieser Rubrik ist er ein genialer Begleiter. wimmer-czerny.at


B io r a m a N Ö

h i ntau s

66 Text Thomas Weber

Weniger ist schwer Bescheren uns die Annehmlichkeiten von Spotify, Netflix und YouTube wirklich eine Renaissance der Atomkraft? Über Sebastian Kurz, 5G und ein gutes altes Sharingmodell

3Sat-Moderator und Philosoph

N

ie habe ich mich älter gefühlt als vergangenes Frühjahr am Gymnasium Wolkersdorf. Tolle Schule, engagierte LehrerInnen, in der Aula zwei dritte Klassen. Ich war zu einem Workshop geladen: Nachhaltigkeit im Alltag. Die Kinder, Pardon: die Jugendlichen wussten auffällig viel. Diskutierten über alte Handys und neue Smartphones, über Sushi aus dem Supermarkt und Plastik in den Weltmeeren und im Weidenbach. Und dann kam die Rede auf YouTube, Spotify, Netflix und ich fühlte mich uralt. Nicht, weil ich die genannten Plattformen nicht auch selbst nutzen würde. Nein, ich gestehe: Ich habe auf Spotify mittlerweile mehr Musik chendeckenden 5G, stellt sich doch auch die entdeckt als früher im Plattenladen. Dass ich Frage, wo all die Energie künftig herkommich plötzlich schrecklich alt fühlte, lag damen soll. Kurzsichtige TechnokratInnen ran, dass alles Genannte als unumstößlich beschwören da plötzlich auch hierzulande und unvermeidbar schien, als wären Spowieder die Atomkraft als Option. Als ob eine tify und Netflix gewissermaßen gottgegeEnergiegewinnungsform, die ein Endlager beben. Ich musste ausholen und erklärte ein nötigt – für alte Brennstäbe –, jemals auch nur gutes altes Sharingmodell: die Videothek. ansatzweise nachhaltig sein könnte. Manche hatten das Wort schon gehört. 74 Atomkraftwerke gibt es gegenwärtig in EuAber wirklich keine/r der versammelten ropa, zählt das Magazin »Datum« in einer CoDreizehn-, Vierzehnjährigen wusste, verstory über das akw Mochovce auf, 16 werwas es bezeichnete, dass man sich dort, den gerade gebaut, 101 wurden bereits stillgelegt. damals im Mesozoikum, dvds und da»Die Pläne für Mochovce sind älter als die dvd, älvor Videokassetten ausleihen konnte. ter als der Nationalstaat Slowakei, älter als SebasDrei Wochen später dann hatte meitian Kurz«, heißt es da, »hier gelten sie dennoch ne alte Stammvideothek – rip Video als Innovation: Die Atomenergie sei sauber, sicher, Jack! – ihren dvd-Abverkauf endgülbillig«. Die entscheidende Einschätzung von Nikotig abgeschlossen und sich in einen laus Müllner, dem stellvertretenden Leiter des InsMassagesalon verwandelt. tituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften an Keine Spur Wehmut, nein, aber der boku Wien, geht im Artikel aber fast ein wenig seit dem Vormittag in Wolkersunter: »Wir müssen beginnen, weniger Energie zu verdorf denke ich öfter nach über brauchen«, sagt er. »Nur dann können wir ohne fossile das Gottgegebene, über Netflix, Energieträger auskommen.« Fürwahr, ein altmodischer übers Stromsparen. Denn wähAnsatz: Strom sparen. Aber er gehört schleunigst wieder rend andere von der Digitaliin die Lehrpläne. sierung schwärmen, vom flä-

Bild   i st ock.com/ FrankRams pott

» Das Streaming von Onlinevideos produziert pro Jahr etwa 300 Millionen Tonnen CO2 weltweit – ähnlich viel wie ganz Spanien im Jahr. Kann es sein, dass wir ein Problem haben, wenn 8 Milliarden auf der Couch sitzen und Netflix in 4K sehen wollen?« – Gert Scobel, Autor,


Die groSSen Wildtiere kehren zurück nach mitteleuropa. Was Bedeutet das für mensch und natur?

n 6 Ausgabe B ior a m a um € 25,—

Mehr dazu im – Magazin für nachhaltigen Lebensstil – kostenlos, aber abonnierbar. biorama.eu/abo

issuu.com/biorama


SAUBERER STROM SAUBERER STROM REGIONALE ARBEITSPLÄTZE SAUBERER STROM KLIMAWANDEL REGIONALE ARBEITSPLÄTZE SAUBERER STROM REGIONALE ARBEITSPLÄTZE KLIMAWANDEL INVESTITIONEN VERSORGUNGSSICHERHEIT LOKALE WERTSCHÖPFUNG KLIMAWANDEL

INVESTITIONEN VERSORGUNGSSICHERHEIT LOKALE WERTSCHÖPFUNG REGIONALE ARBEITSPLÄTZE VERÄNDERTES LANDSCHAFTSBILD STEIGENDER ENERGIEHUNGER INVESTITIONEN VERSORGUNGSSICHERHEIT LOKALE WERTSCHÖPFUNG KLIMAWANDEL ZIELKONFLIKTE VERÄNDERTES LANDSCHAFTSBILD STEIGENDER ENERGIEHUNGER UNABHÄNGIGKEIT UMWELTSCHUTZ VERÄNDERTES LANDSCHAFTSBILD INVESTITIONEN LOKALEZIELKONFLIKTE VERSORGUNGSSICHERHEIT ZIELKONFLIKTE WERTSCHÖPFUNG STEIGENDER ENERGIEHUNGER UNABHÄNGIGKEIT UMWELTSCHUTZ UNABHÄNGIGKEIT UMWELTSCHUTZ VERÄNDERTES LANDSCHAFTSBILD STEIGENDER ENERGIEHUNGER ZIELKONFLIKTE UNABHÄNGIGKEIT

Wir stellen uns den Fragen der Zeit. Wir stellen uns den Fragen der Zeit. Wir stellen uns den Fragen der Zeit.

Wir stellen uns den Fragen der Zeit.

UMWELTSCHUTZ


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.